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Gefammelte Werke
von
Charles Sealsfield.
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% 3 > 3 * 4 I
Dritter Theil»
Der Segitime und die Republikaner,
Dritter Theil.
Stuttgart, 2
Verlag der J. B. Metz ler'ſchen Buchhandlung.
1845.
a
Der Segitime
und
die Nepublifaner,
Eine Geſchichte
aus dem lebten amerifanifchzenglifchen Kriege,
. Bon
Charles Sealsfield,
In drei Sheilen.
Dribter Theil,
Dritte durchgeſehene Auflage.
0
Stuttgart. |
Verlag der J. B. Metzler'ſchen Buchhandlung.
1845.
für mein Bolt, wenn ig Ser Unger echt
| 1%
Achtundzwanzigſt es Kapitel —J
Here! Herr! Es iſt oft ſchwer für Freunde
ſich wieder zu ſehen; aber Berge können durch
Erdbeben verſetzt werden und ſich ſo wieder
begegnen.
Shakespeare.
Der Landſitz, in dem unfer Squire es ſich fo be⸗
quem gemacht, und zu Hauſe ſchien, gehörte zu einer
der vielen Miſſiſippi⸗Pflanzungen, die weniger durch
äußere Großartigkeit, als durch innere Pracht, die
glänzenden Reichthümer zur Schau tragen, die dieſer
Erwerb feinen Befliffenen beinahe immer ſichert.
Er Hatte nebſt dem Erdgeſchoße bloß noch ein Stock ⸗
werk, und rühte auf Pfeilern, vielleicht des Luftzuges
oder des austretenden Miſſiſippi wegen, war leicht
gebaut, augenfcheinlich mehr zum Schuge gegen die
fengenden Strahlen der Sonne, als gegen erflartende
Winterkälte. Acht Stufen von weißlich geflecktem
Marmor führten zur Piazza und dent Periftyle, mit
> | — 6 >
dem die Fronte des Hauſes verziert war; die Säu-
lenräume waren mit hohen Jalouſiefenſtern aus—
| gefüllt ‚ gleichfalls um während der heißen Sommer
zeit einen fortwährenden Luftzug zu unterhalten.
Im Dintergrunde waren zwei andere ziemlich große
Gebäude, von denen das eine zur Wohnung der
Wirthſchaftsbeamten, das andere zur Aufnahme der
Colonialprodukte der Pflanzung beſtimmt zu ſeyn
ſchien, und an dieſe beiden ſchloſſen ſich zwei Reihen
kleinerer aber nicht unwohnlicher Blockhäuſer für
die ſchwarze Bevölkerung der Pflanzung an, hinter
welchen eine meilenbreite Fläche gegen die Cypreſſen⸗
wälder hinablief, aus der ein kahler, blätter⸗, rinde-
und zweigloſer Wald ungeheurer abgeſtorbener Bäume
emporſtarrte, der, in längliche Vierecke abgetheilt, *
in ſeinen weiten Zwiſchenräumen mit hoch aufge⸗
ſchoſſenen breiten Stauden bepflanzt war, deren ver⸗
dorrte Blumenkronen noch hie und da die aufgebro⸗
henen Kapfeln der zarten weißen fogenannten Baum-
wolle: ſehen ließen, mit welcher, abwechfelnd mit
Mais, die Felder bepflanzt gewefen 'warem. Der
größte Theil dieſer Cotton- und Wälſchkornfelder
% augen] cheinlich dem Cypreſſenſumpfe abgenommen
7 >
und durch Gräben getronfnet worden, und der Con⸗
traft mit dem üppigen, undurchdringlichen Urwalde
und dem bodenlofen Sumpfe gab ein anfehauliches
Bild von dem Kraftaufivande, den e8 erfordert Haben’
mußte, um diefe herrliche Pflanzung der furchtbaren
Wildniß abzugewinnen, und ſo allmahlig aus einem:
Verſtecke reißender Thiere ein Basar ——
zu ſchaffen. Al
Man jah gewiffermaßen, baß ein Geiſt hier ge⸗
waltet, der, ſtufenweiſe fortſchreitend, allmählig
vom Nöthigen aufs Bequeme übergegangen, und
mit genauer Berechnung feiner Kräfte einen eiſernen
Willen verband. Wenn jedoch das ſichtlicher maßen
Harte eines langen Dienftzwanges, der hier fo aufs.
fallend hervorſtach, dem menfchenfreundlichen Auge
wehe that, jo verföhnte andererfeitö wieder das heitere
und muthwillige Völkchen, das im reinfichen Dörf⸗
chen fich umbhertummelte, und fröhlich und mohlge-
muth wenigftens verrieth, daß, wenn feines Kern
eiferner Wille 68 zur Thätigkeit gehalten hatte, er:
es zugleich an den Früchten derſelben in einem Maße
Theil nehmen ließ, das Taufende von bürftigern Ber
— 8 —
wohnern der alten Welt mit neidiſchem Auge sie
haben dürften.
Wer fo die Kleinen Wollköpfe auf der znifepen in
Keiden Hüttenreihen Hinablaufenden Gaffe Herum-
toben, oder die ſchlanken Mädchen in ihrem bunten
malerifhen Kopfputze fah, die hellgrünen ober hoch⸗ N
rothen ſeidenen Tücher um ihre Scheitel in einen
Knoten gewunden, wie fie ſchäckernd und lachend mit
‚den jungen Burſchen umhertanzten; oder die Alten,
wie fie, wohl, genäht und bequem gekleidet behaglich
ihre kurzen Pfeifen rauchten, der dürfte vergeblich
nach dem herzzerreißenden Elende gefucht haben, da
partetifehe Unwiſſenheit diefer allerdings: gebt ck
Klaſſe fo reichlich zugetheilt, und das, wenn auch
einzeln wahr, zur Ehre des amerikaniſchen u
terö, nichts weniger ala allgemein. ift. |
+ Das Gefeg und der anerkannte Gerechtigkeits und
Billigkeitsfinn des achtungswerthen ſüdlichen Bür-
gers hat auch) das Loos dieſer Klaſſe bereits um Vie⸗“
les verbeſſert, und wenn einerſeits drückend er⸗
ſcheint, daß ihrem Lande geraubte Unglückliche oder ’
deren Nachkom men in fremden Dienſten fröhnen
ſollen, ſo dürfen wir hinwieder nicht vergeſſen, daß
a; ze 7
gi
—p 9 8
dieſe Zwingherren, ſchuldlos an diefem fluchwürdigen i
Dienftzwang , jelbft unter dem ererbten gefährlichen
Joche leiden, und daß die menfchenfreundlichfte Weis-
heit nicht ohne Schaudern an eine plößliche Los⸗
laffung. einer feit eng gefeffelten Race
denken dürfte.
Die Sonne war mittleriweile hinter dem unge-
heuern Cypreſſenkranze, der im Oſten die Pflanzung
umgürtet, hervorgeftiegen, und ihre Strahlen dünn⸗
ten allmählig den Nebelfaum, der fich über die ganze
Landſchaft hingezogen hatte; nur am Hauptſtrom
ſchwamm er noch, eine ungeheure Schichte, hinter
der am jenſeitigen Ufer die Pflanzungen und *
den Horizont begrenzten.
Ein reizendes Mädchen im eleganten Morgenanzuge
war auf die Piazza des Hauſes herausgeflogen und
ſah ſorgfältig in der Richtung des Bayou hin, von
dem man über den mäßigen Raſenplatz durch Grup
pen von Chinatulpen, Orange⸗ und Citronenbäumen
einer weiten Ausſicht auf den Strom gegen Weſten
genoß, die nur gegen Norden zu durch die Bluffs
—$ 10 &—
oder das Hochland begrenzt war, deren fehroffe, mit
Jasmin und Nebengehänge überzogene Refmwände:
fih unfern dem neben der Pflanzung hinſ er
Bayou Hinzogen.
- Ein ſchlanker Wuchs, ein jehr ſchöner 4 ‚ der.
fich zuweilen etwas ſtolz aufwarf, ein zart kolorirtes
Geficht, deſſen Mienenfpiel weniger leichte Beweglich—
feit, al3 etwas Pikantes errathen ließ, durchdringend
blaue Augen, Die fehr zuverfichtlich um fich blickten,
waren die hervorftechenden Züge dieſer intereffanten
Geftalt, die lauſchend den Blick auf das Bayou ge—
richtet ſtand, al3 ein zweites Mädchen herangeflogen
Fam, die, ihren Arm um den Nacken der Erſtern
werfend, diefe freundlich auf die marmorne Piazza
dem eifernen Geländer zuzog. | *
„Aber weißt Du ſchon, Siſſi?“ ſprach re daß
wir Gäſte haben und zwar —* — ſagte
Polli. Pi |
„Zwei Indianerinnen Sq — Squaws, u —
die Sis, indem ſie ironiſch die ſchönen Lippen ver—
drehte, gleichſam als fürchte ſie, das ungeſchlachte
Wort dürfte ſie ungebührlich erweitern, „Du kennſt
ja den Hautgout unſers Squire.“
hi
— 1
Nein, nein, Vergy. : Pa felbft Hat fie eingeladen ;
er fol ganz entzüdt von ihr gewefen ſeyn. Sie
schläft noch, aber Polli jagt, fie ſoll wunderfchön
feyn ; fte ift eben gegangen, nach) ihr zu jehen. «
⸗Huſh Gabriele!“ entgeznete die etwas ftolge
Schöne der zartern Schweiter, deren arglos heiteres
Auge und blondes Lockenköpfchen einige Sommer
weniger in die liebe Gotteswelt hineingefehaut Haben
mochten. „Ich hörte das Parkthor, und Pa hat ihn
zum Frühſtück geladen. Warum erdoch nicht kommt.“
„Recht jonderbar, Siffi, Du Haft ihn Doch ſchon
geftern erwartet; lispelte Gabriele mit einem etwas
ſchalkhaften Ausdrucke, der ihr zum Röckchen A Ven-
fant allerliebft ließ. „Und dann ‚“ fegte fte ſchmollend
hinzu, „muß er wieder hinab zum gräulichen alten
General.“
„Und in die Schlacht vor den Feind ;“ ſeufzte Vir—
ginie, die in die Säulenhalle zurüdeilte, während
Gabriele ftehen blieb.
„Ach, e8 ift nur eine Ordonnanz;“ ffterte Dieſe,
indem ſie auf Siſſi zuflog und ſie wieder auf die
Piazza zog, auf welche die Ordonnanz zugeſchritten
| *
4 — 2 —
fam, die die Beiden grüßte und ins dm de Haufes
ging.
„Ah! fieh doch, Sifji, wie jhön ta deutete das
Mädchen auf den Nebelhang des Miſſiſippi, der nun,
in den ſtärker werdenden Strahlen der hinter den
Baumgipfeln herauffteigenden Sonne aus einander
ſtäubend, in die phantaftifchften Gebilde fich formte.
Während ungeheure Schichten in die Lüfte verſchmol⸗
zen, Fräufelten ſich andere in die Formen umgeftürzter
Kegel, zwifchen denen die in meilenweiter Ferne
verlorenen Wälder nun näher zu treten und im
fehnellen Laufe dem Strome zuzueilen fehienen. Die—
jer blißte nun in feiner ganzen hehren Majeftät
durch die Silberdünfte hervor, und Die einzelnen Boote a
und Fahrzeuge, die auf feiner Dam Fläche of ‘a
ſchnell hinabſchoßen oder ſchneckenartig Hinaufkre
chen, ſchimmerten mit ihren —* m
wie Schwäne auf dem erglänzenden Waſſerſp
„Ach wie ſchön,“ ſprach eine ſchm elgenb
Stimme hinter den beiden Mädchen, während zwei
blendend weiße Arme ſich um ihre Naden —— |
ein wunderliebliches Wefen in ihre Mitte trat. „On- "
ten Morgen, meine Schweftern!« Die beiden: ihgen | n
4
Ik
—9 13 —
prallten aus einander, ſahen die holde Grüßende
einen Augenbli verwundert an und flogen dann
Beide zugleich auf fie zu, und indem fte fie umfchlan-
gen, preßten fie eine Unzahl Küffe auf den lieblichen
Mund und Wangen.
„Und Wer bift Du denn, Du lieber holder Engel?“
fragte Virginie.
„Mein füßes Kind, wie fommft Du hieher? 24 fiel
Gabriele ein.
„Mein ſüßes, liebes Götterkind,“ fiel die Erſtere
wieder ein, indem ſie ſie umſchlang und Kuß auf Kuß
auf ihre Lippen preßte.
Es war Roſa, die in der reizenden Ueberraſchung,
die ſie den beiden Mädchen verſchafft, noch nicht Zeit
gehabt hatte, ein Wort zu ſagen. „Sie nennen mich
Roſa, liebe, ſchöne Schweſtern,“ lispelte fie.
„Roſa, meine ſüße, liebe Roſa, Du holdeſte,
ſchönſte Roſel⸗
Und wieder umſchlangen ſie das wunderſchöne Mäd⸗
chen und erbrückten es beinahe in ihren Liebfofungen.
Es war ein lieblicher Anblick, das holde Natur-
geſchöpf zwiſchen den zwei fein gebildeten reizenden
Mädchen zu ſehen, wie fie aus den Armen der Einen in
#
— 14
die der Andern flog. und fih im erften Augenblicke 9—
Beider Herzen erobert hatte. Sie ſchienen ſich nicht
ſatt an — ſehen und küſſen zu kinnes. pl
verftummt. Die reine ungefünftete Natur —— über —
Schwächen und die kalten herzloſen Formen des ge⸗
ſellſchaftlichen Lebens auf einmal geſiegt. gr
„Sieh doch, Bruder! was wir hier haben?“ froh—
lockte Gabriele einem elegant gefleideten Jünglinge |
zu, der an die reigende Grupperherangefommen und, &
nicht minder erftaunt, erſt jet bemerkt wurde.
„Mein Bruder! Yispelte Rofa, indem fie feine 9J
Hand zutraulich erfaßte und ihn verwundert anſah. —
„Komm, ſüßes Kind, zur Ma!“ riefen nun Beide, —*
fie erfaſſend und jubelnd einer würdevollen Dame zus
eilend, die das liebe Kind freundlich willkommen hieß.
„Du bift ja ein holder Engel!“ rief Virginie, die,
als Rofa in den Armen der Mutter hing, erſt Seit
hatte, ihren Anzug zu muſtern. „Und wahrlich, « |
fuhr fie in drolliger Verwunderung fort, im neueften
Geſchmacke angezogen. Sieh doch nur, Gabriele, #
— 5
diefe allerliebfte ſchwarzſeidene Robe, wie unvergleich- |
lich fie fie Fleidet, und die niedlichen Prunelle-Halb⸗
ftiefelhen, und der allerliebfte Gürtel und die Spange
und Bracelets. Wirklich, mein liebes Mädchen, die
erſte Pariſer Künſtlerin könnte Dich nicht lieblicher
dargeſtellt haben. Und biſt Du wirklich mit den In—
dianern gekommen ?«
Gewiß, liebe Schwefter.“
„Und Du haft bei ihnen in ihrem — wie heißen
fie nura —
„In ihrem Wigwam gewohnt,“ half ihr Roſa.
Der Oberſte mit Major Copeland und Capitain
Percy waren gleichfalls eingetreten. Zart und naiv,
mit einem gewiſſen Ausdrucke von Hoheit, nahte fie
— ſich den Eintretenden, und begrüßte die beiden Stabs—
offiziere als theure Väter, den jungen Gapitain als
Bruder.
„Ja, Du mußt nicht fo viele Väter anerkennen ;«
rief der Squire Iachend, indem er fie herzlich küßte.
„Biſt wahrlich ein prachtiges Kind geworden, Gott
fegne Dich! Der Indianer hat wahre Vaterftelle an
Dir vertreten. Sollte es nicht gedacht haben, daß
der alte, grimmige Tokeah Dich fo gut halten würde.
—, 16 ⸗ 2
«
Bift ja jo zart, als ob Du al’ Dein Le
einem Käftchen aufgehoben geivef N
„Spotte nur, Pflegevater, u ſprach ⸗ DE
und Mädchen fpotteten meiner zarten Hände und Füße
auch, und Canondah wollte mich deßhalb nie in den. |
Feldern arbeiten laſſen. Aber ſiehe,“ ſprach fie, wich
habe doch einen langen, langen Weg zurückgelegt. «
„Uber Doch nicht zu Fuße?“ —
„Nein ‚u ſprach ſie; ihr Blick mar jedoch ſchon auf
einen andern Gegenſtand gefallen, und fie ſah freund»
Vieh lächelnd dem Spiele * Capitains und Virgi⸗
*
J
niens zu.
Dieſer ſchien, trotz des harten Kampfes); der ji
ſchen ihm und dem Oberſten ſtatt gefunden, mit dem J
Haufe in einer nähern Berührung zu ftehen. Er 1
hatte kaum der Frau feine Ehrfurcht bezeugt und ſich
im Kreiſe herum verbeugt, als er ſich Virginien
näherte, die bei ſeinem Eintritte glühend roth ge— i
worden war, doch fich eben jo fehnell in eine ernfte,
etwas ftolze Miene gezwungen umd Die Sand zurüch· .
gezogen hatte, die er vergeblich zu erfafien gefucht. |
Rofa hatte abwechjelnd den jungen Mann und ihre
j
}
-
-
*
2
— 17
neue Schwefter angeſehen. Sie ſchwebte nun auf
Letztere zu und ſah ſie bedeutſam lächelnd an.
„Sieh do,“ ſprach fie, „wie flehend fein Blick
auf Dir ruht. Er iſt ein Sing aben ſanft und
milde wie eine Taube.“
„Eine ſchöne Taube;“ lachte Virgine, „wenn Du
fie kennteſt, dieſe Taube.“
„Liebe, meine Schweſter,“ lispelte Roſa ihr zu,
yergißt ſich ſelbſt, um nur das Lächeln der Freude
auf dem Geſichte des Bruders hervorzulocken.“
„Mein wunderliches Kind,“ ſprach Virginie, „um
Deinetwillen ſey ihm vergeben.“ Und ! ie reichte dem
Capitain ihre Hand.
„Meine Lieben!“ ſprach der Oberſte, der ein ſtum⸗
mer Zeuge der artigen Vermittelungsſcene geweſen
war; „vergeßt nicht, daß wir wieder hinab müſſen,
und daß das Frühſtück unſer wartet. Komm Du
herrliche Roſe der Wildniß! und ihren: Arm in den
ſeinigen legend, folgte er dem Squire, der mit der
Oberſtin den Zug führte.
„Es iſt mir noch immer wie ein Traum,“ ſprach
Diefer,, der nun Pla genommenihatte. „Hätte mir
eher den Tod eingebildet, als gedacht, Dich wieder
Der Legitime. II. 2
918 —
zu ſehen. Erſt als Du fort warſt, da empfanden wir,
wie lieb Du uns Allen gewefen biſt. Ja, ja, Roſa.
Wir haben noch nach Jahren von’ Die geſprochen.
Und als ich heute nun ſo mit dem grimmigen Tokeah
rede, ſieh, ſo kommt ſie heraus aus ihrer Wolldecke
und auf mich zu, und faßt mich fo zutraulich bei der
Hand und macht mich zum Vater, * * ein
Wort davon weiß.“
„Und diefe Baterfchaft ſchien Euch nicht übel zu
gefallen ?“ fiel ihm der Oberft in feinen etwas trocke⸗
nen Art, ein, „denn Ihr vergaßt darüber, den Häaupt-
‘ing über fein Verhältniß mit Dem Dritten auszu⸗
forſchen. * *
„Mit dem Britten?« fragte die ntuethen ge⸗
wordene Roſa.
„Ja, liebe Roſa,“ verſetzte der — „Kennſt
Du ihn 2
„Gewiß; und ift mein Bruder hier gemejen tu
„Ja,«“ lachte der Squire. „Du haft zu viele Brüder
My,
und Väter; das ift ein arger Zeifig, fo jung er ift.
Ein Spion, der noch zur rechten Zeit Reißaus ger |
nommen, fonft hinge er. Wird aber dem Galgen
nicht entgehen. «
— 19
Das Mädchen hatte verwundert zugehört.
„Aber das Nämliche dachte auch dev Miko, und er
hat gegen feine Tochter und Rofa das Schlachtmefjer
aufgehoben, weil er glaubte, daß fie einen Spion in
fein Wigwam gebracht. Kann der Britte zugleich bei
den rothen und den weißen Männern Spion feyn?“
fragte fie unſchuldig.
Alle waren aufmerkfam geworden. „Du kennſt
ihn alſo, liebe Rofe?“ fragte der Squire.
„Gewiß,“ — verficherte fie abermals. „Er ift vor
‚dreißig Sonnen bei und in einem Boote am untern
MWaldfaum angekommen. Cr war vom Seeräuber
geflohen und ſchwach und matt, und eine große
Waſſerſchlange biß ihn, als er aus dem Boote fteigen
wollte, und Ganondah Fam ihm zu Hülfe und tödtete
die Schlange, und wir brachten ihn in den hohlen
‚Baum und trugen ihn in das Wigwam, und da
pflegte ihn Canondah, bis ex wieder hergeftellt war.“
„Und weiter 2 fragte der Squire, der Antheil an
dem Schickſal des jungen Mannes zu nehmen ſchien,
und, was eben nicht fehr häufig der Hal feyn mochte,
der Huhnsbruſt auf feinem Teller vergaß.
Als er gefund geworden, u fuhr fie im unſchuldig
* | 2"
ET U ©; — PER — BR Eu
—: 20 >— s
naiven Tone fort, wurde er ängſtlich; er fürchtete
den Miko, der mit den Männern auf der Jagd war
und fagte, er müffe zu den Seinigen, Die gegen die
Weißen diefed Landes Krieg führten. Gr wurde mit
jedem Tage verſtörter. Da ward mir bange um den
Yeidenden Bruder, und das Herz drohte mir zu zer⸗
fpringen, und ich flehte zu Canondah und bat und
beſchwor fie, ihn nicht Länger zurückzuhalten und ihn.
zu den Seinigen gehen zu laſſen; denn der Miko
würde ihn, wenn er ihn gefunden, im Glauben, daß
er ein Späher der Weißen ſey, mit dem —
getödtet haben.“
„Und weiter?“ fragte der Squire
„Und Canondah,“ fuhr fie fort, „wollte nie
Roſa mußte drohen und jagen, fie ſelbſt wolle dem
Bruder den Weg zeigen oder mit ihm’ im Sumpfe
erſticken. Sie hätte wohl diefes gelonnt, aber ſie
hätte den Pfad nicht gefunden ,« unterbrach fie ſich;
wer iſt ſchmal und nur dag Häuptlingen amd det
Tochter des Mito bekannt. Selbſt die Squaws wuß⸗
ten ihn nicht. Mind Canondah gab weinend den Bitten
Roſas nach, und dem weißen Bruder hing ſie eine
Wolldecke um und band die Mocaſſins an ſeine Füße
a
1
und den Wampumgürtel um feinen Leib, und fie
färbte feine Haut, um die Verfolger zu taufchen, und
fie führte ihn über den fehmalen Pfad auf das jen-
feitige Ufer des zweiten Sluffes. Es hat Canondah
und Roſa vieles Herzeleid verurfacht; denn als der
Mio zurück Fam und er von den Weibern hörte, daß
ein weißer Fremdling im Wigwam gewefen, wurde
fein Angeſicht finfter, wie das des reißenden Panther;
denn er. dachte, der Britte jey ein Späher, und ſchon
batte fich feine Hand erhoben, um das Schlacht-
mefjer im die Bruft feiner Tochter und Roſa's zu
fioßen ; der gute Gott hat ihn jedoch zurück gehalten.“
„Und der Britte Hatte den Mike nicht gefehen?«
fragte der Squire.
„Der Mio ift feiner Spur nachgeeilt; ob er ihn
gejehen hat, weiß ich nicht.“
© Und was will der Miko mit den Indianern hier 24
Er hat einen langen Traum gehabt, den er erfüllen
muß, weil e8 ihm der große Geift geboten hat. &r
geht mit feinem Sohne zu den mächtigen Cumanchees;
die Seinigen find bereitö abgegangen, er ift nur mit
Wenigen zurück in die Niederlaffungen der Weißen.
Und der große Häuptling der Cumanchees wollte den
m |
Bater feines: Meibes nicht allein ziehen Yaffen. Der
arme Miko hat feine Tochter verloren, und Roſa hat
ihn gleichfalls begleitet; ſonſt wirden ja,“ ſetzte ſie
mit naiver Unſchuld hinzu, „feine Augen vor
erblinden. 4
Die Geſellſchaft Hatte mit Berwunderung und Nüfe
rung dem einfachen Bortrage der reizgenden Sprecherin
zugehört, der allerdings für fie von größerer Wich⸗
tigkeit war, als die Erzählerin ahnen mochte, indem
fie einen Lichtftrahl auf die plötzliche verdächtige Er—
ſcheinung des Britten und der Indianer warf. Sp
wenig eine folche Erſcheinung zu einer andern Zeit
beachtet worden wäre, fo bedeutend wurde fie im ge-
genwärtigen Augenblicke, wo die Vertheidiger des
Landes auf dem Punkte ftanden, nahe an zweihundert
Meilen den Strom hinab gegen den auswärtigen
Feind zu ziehen. Selbft eine Eleine Horde yon India=
nern mußte, mitihrer Art Krieg zu führen, nicht nur
endlofen Jammer in den zerftreuten Niederlaffungen
jenſeits des Stromes verbreiten : ein feindlicher Ueber⸗
fall konnte felbft dem Gange des Krieges. eine un—
günftige Wendung geben, indem er natürlich die Mi-
lizen, die die Ihrigen den blutigen Tomahawks preis⸗
”
— 3 —
gegeben jahen, entmuthigen, fie vielleicht gar bes.
wegen würde, die ohnehin ſchwache Armee zu ver-
laſſen, um den Ihrigen zu Hülfe zu kommen. Die
ungefünftelte, das Gepräge unverfennbarer Wahr⸗
heit an ſich tragende Erzählung war daher eine wahre
Wohlthat für die beſorgten Väter geworden.
„Und warum,“ fragte der Squire nach einer Weile,
what der Narr nicht geſagt, woher. er feinen Wam—
pumgürtel und Fellwamms hat?“
»Ganondah ‚“ verfeßte Rofa, what ihn beim großen
Geifte ſchwören laſſen, daß er nicht verrathen wolle,
wo er gewefen. Der Miko fürchtet die Weißen fehr,
und er hat ſich in ein Land gezogen, wo er fie nimmer>
mehr ſehen will. «
„Ja, das iſt's!“ verfegte der Squire nad) einer
Paufe, während welcher er eingeholt, was er wäh—
rend der Erzählung allenfalls verſäumt haben mochte.
Gabriele und Roſa hatten ihr Mahl geendet und
die beiden Mädchen flogen ſchäckernd aus dem Saale.
„Immerhin dürft Ihr nicht vergeſſen,“ Hub wieder
der Oberfte an, „daß, jo wenig die Wahrheit dieſes
lieben Kindes zu bezweifeln fteht, die Indianer, wenn
fte etwas im Schilde führen jollten, nicht Roſa zur
. > Bertrauten gemach haben es Ib en. Obwohl Träume
viel vermögend bei ihnen fine, ſo aſha di ſe r weite
Ausflug eines Traumes wegen dochi immer fonderbar. a.
„Mir nicht,“ entgegnete der Squire. „Sie | he N E
Taufende von Meilen, wenn ihnen der große S: E
im Schlafe es zuflüftert, wie fie jagen, Und dam *
müßt Ihr wohl bedenken, daß die Indianer gerade
auf unfre Niederlaffungen gekommen. 8 | |
etwas Arges im Schilde, glaubt Ihr, fie wären den’
Atchafalaya herüber, ohne fich umzufehen? Und dann,
würden fe wohl das Kind mitgenommen haben?
Sahet Ihrnicht, wie der Indianer plötzlich ale Faffung _
verlor, als ich ihm ankündigte, daß Ihr feine Pflege⸗
tochter zu Euch geladen? Konnte kaum meinen Augen
trauen, wie ich ihn jo bewegt jah. Und ihre Klei⸗
dung und Gefchmeide verrathen ja offenbar, daß fte
von ihm über Alles Hoch gehalten wird. Die reichfte
Erbin dürfte ſich nicht ihres Anzuges ihämen. u
„Eben diefer Anzug,“ eriwiederte der Oberſte,
„macht mir das Ganze um fo unerflärbarer. Woher
kann der Indianer diefe Dinge haben ? ⸗)
Ihr vergeht, daß er der Schwiegervater des Cu⸗
manchee iſt, der vor Gold ſtarrt; dieſe Cumanchees
—
—
Fre
=.
> find, höre ich von unfern Männern, die hinüber nach
Santa Fee und Merico handeln ‚ reiche Wilde, im
ewigen Kriege mit den Spaniern begriffen, von denen
fie oft große Beute machen. «
0 nDer Schnitt diefer Kleider und die Façon ihrer
Geſchmeide ift englifch , Vieber Squire,“ bemerkte die
Dame, „und zwar im beften, neueften Gefchmadfe. u
„Und das ‚u verfegte der Oberfte, „ist allerdings
bedenklich. Ihr wißt, John Bull, obwohl er breit
auf feine Taſchen ſchlägt, ift Kein folcher Narr fie zu
leeren, wenn er dabei nicht zehnfach gewinnen Fann.
Das Raͤthſel ift fo wenig gelöst, daß es mir im Ge-
gentheil nur verwickelter vorfommt. u
„Wir wollen bald dem Hacken einen Köder finden, «
fprach der Squire ; „ohnedem haben wir eine Zuſam⸗
menkunft mit den Indianern, und es müßte ſchlimm
bergehen, wenn wir nicht das Wahre heraus fünden. «
Die Töne des Pianpforte unterbrachen das etwas
ernft gewordene Tifchgefprach. Die Gefelfchaft, ala
jehe fte die bezaubernde Wirfung voraus, welche die
Muſik auf das Naturfind hervor bringen würde, er-
hob fich von der Tafel und trat in den Saal.
Roſa Hatte mit der naiven Neugierde eines Kindes
— BR
die prachtoolle Einrichtung, Die herrlichen — ”.
die glänzend feidenen Vorhänge, die duftenden Roſa⸗
holz Meubeln, die marmornen Statuen —
und war in lieblicher Einfalt von einem Gegenſtande
zum andern gehüpft, als Gabriele zum Pi 3 an orte 7
fehlüpfte und einige Töne anfchlug. ‚Diefe Horihte
hoch auf, als die zarten Finger über die Taften hin—
ſchwebten und einige ergreifende Akkorde erlangen. —
Sie flog auf das Inftrument zu und jah hinein mit‘
kindiſch naiver Einfalt, und breitete die Hände dar—
über, als wollte ſie die fanften Töne erhafchen und
mit. verwundertem Blicke hielt fie es, als fürdhtete
fie ſich, fie würden entfliehen. Allmählig, ala Ga-
briele nach dem fanften Vorſpiele in die Romanze des
Troubadours einſchlug, da malte ſich in ihrem Ge—
ſichte ein ſtilles, namenloſes Entzücken, ihre Augen
begannen zu leuchten mit der Gluth unnennbarer
Wonne, ihre ganze Geſtalt ſchien von einem elektri—
ſchen Feuer berührt. Sie umgaukelte ſich ſelbſt, wie
ein lieblicher Schmetterling und, ſo wie dieſer ſeine
zarten Flügel, fo breitete ſie ihre Hände aus, als
wollte fie die garten Töne umarmen; ihre Füße hoben
ſich, fie berührte kaum mehr den Teppich, jede ihrer
{4
Bewegungen war die fehönfte Poeſie, ihr ganzes |
Weſen Verklärung geworden. . Eben war die Gefell-
fchaft eingetreten, als die Töne ihre Kraft auf das
holde Geſchöpf zu äußern anfingen.
Sie ſahen dem Ausdrucke der Natur mit Berwuns
derung und Staunen zu. Ein herrlicherer Tanz war
nie gefehen worden. Zulebt flog fie, mit Thränen
in den Augen, überwältigt von der füßen Empfin=
dung ‚ Gabrielen an den Hals.
„Ich Bitte Dich um Gotteswillen, Schwefter, tödte
mich nicht ; ich fterbe, meine Seele eilt davon mit den
entzückenden Tönen.“
- Und dann fegte fie fich Hin, und eine Thräne perlte
nach der andern über ihre Wangen.
„ch ‚u lispelte fie; „wäre ich Doch geftorben! wäre
ich geſtorben!“ — \
Beh: 5 va mie Dh due
BL) 6 F i A
Der Vortheil ift Dein Gott, der meine bleibt
Gerechtigkeit, und ſolche Feinde fehließen ag
ficgere Bündniſſe.
Bäthe.
Das Tiebe Mädchen hatte innerhalb der zwei Wo—
hen, während. welcher ‚wir fie aus den Augen ver—
Ioren haben, unendlich gewonnen. Sie war zuver⸗
ſichtlicher, natürlicher ; ihr Blick Hatte ſich aufgehellt,
ihr ganzes Wefen war felbftvertrauender, ja ſelbſt⸗
ſtändiger geworden. Der gänzliche Mangel an Selbft-
ftändigfeit oder vielmehr das Gefühl ihrer gänzlichen
Hülfloſigkeit, vorzüglich aber das empörende Der
wußtfeyn, fich einem Menfchen aufgeopfert zu wiſſen,
den ihr reines Gemüth verabfcheuen mußte, hatte
ihrem ganzen frühern Wefen etwas fehmerzlich De—
müthiges, etwas Troſtloſes gegeben, das um fo
peinlicher auffiel, als ihr dunkles Verhältniß, ihr
ſelbſt nicht ganz Hlar, ihrem ganzen Aeußern etwas »
* unnatürlich Geheimnißvolles verlieh. Mit dem Auf-
er
hören dieſes unnatürlichen Verhältniffes zum See—
* —
20 ⸗—
rauber Hatte ſich nun ihr, niedergedrücktes Gemüth
‚nicht nur. aufgerichtet, ſondern die ſchreckliche Cata—
ſtrophe, welche die Wilden und vorzüglich den Miko
getroffen, hatte auch ihre Lage auf eine Art geändert,
die, fo ſchmerzlich ſie das jammervolle Ende ihrer
Freundin noch immer empfand, nichts deſto weniger
einen vortheilhaften Einfluß auf ſie äußern mußte.
Der durch den Tod der Seinigen in ſtumpfe Bewußt⸗
loſigkeit verſunkene Miko hatte Vieles von dem ihm
eigenthümlichen herriſch ſtarren unbeugſamen Sinn
verloren und war nun gewiſſermaßen ſelbſt in jene
Hulfloſigkeit verſunken, die, wie es fehlen, in ihr
und ihrem reinen kindlichen Gemüthe allein Troſt,
Stütze und Labung fand. Nur ſie war im Stande
geweſen, ihn zuweilen aufzuhellen; ſeine erſtarrte
Seele, ſchien es, fand es für nöthig, ſich an ſie zu
halten und ſich zuweilen zu ſonnen an den Erinne⸗
‚zungen verflofiener Tage. Dieje allmählige Aner-
fennung einerfeit3, fo wie die zarte Aufmerkſamkeit
des jungen Häuptlings andererſeits, ‚hatte das edle,
‚reine , ſich ſelbſt vergefiende und nur im Wohle An-
derer ‚lebende Gemüth auf, den Zittichen der ‚Liebe _
y —
30 &—
emporgehoben und ihr allmählig eine höhere Beto-
nung gegeben. Sie war noch immer Kind, eine zarte
unſchuldige Seele; aber die Gataftrophe war der
‚Prüfftein ihres Lebens geworden, dem fie num eine
höhere Richtung gab. Die höhere Würde der zarten
"Jungfrau fing ang ſich in ihr zu regen.
Und die Wechfelwirkung diefes erhebenden Gefüh-
les war allmählig in einer Art von Herrſchaft be—
merfbar getvorden, der ſich willig zu unterziehen ihre
Umgebungen einen befondern Reiz zu finden ae ;
“eine Grfcheinung , die vielleicht eben fo ſehr dung die
"bezaubernde Anmuth des Mädchens, als hie ſelbß
von dem ſtolzeſten Indianer der weißen Race —**
maßen nothgedrungen zugeſtandene Ueberlegenheit zu
erklären geweſen ſeyn dürfte. Selbſt der Mikd hatte
ſich in den letztern Tagen einer ſcheuen Ehrerbietigkeit
nicht erwehren können: EI Sol ſchien fie als ein
Weſen höherer Art zu betrachten und nahte ſich ihr
mit einer Schüchternheit, einer Zartheit, die bielleicht
den gebildetſten Damenritter beſchämt haben würde. —
Auf dem ganzen Wege hatte er ſo zu ſagen mit freu⸗
ditger Furcht ihre Teifeften Wünſche erfüllt, mit der
zarteften Sorgfalt jeden Schritt ihres Pferdes ber
— 1.31 —
wacht, jeden Wink ihrer Augen abgefehen und bei=
‚nahe nur in ihrem Dienfte gelebt. Sp wie diefe An⸗
erkennung ihres fittlichen Werthes auf ihren Geift,
fo hatten die Zerftreuung auf der langen Reife, die
abwechjelnd prachtvollen Naturſcenen und die reinen
Lüfte der grenzenlofen Wiefen der Attacapas und
Opelouſas, auf ihren Körper gewirkt und ihr eine
Lebhaftigkeit, eine Brifche verliehen, die ihrer herr⸗
lichen Luftgeftalt ungemein wohl ftanden.
Pan konnte Faum etwas Nührenderes jehen, ala
dieſes anmuthsvolle Weſen, wie fie dem erftarrten
Wilden füß fehmeichelte und ihm Durch die zarteften
unſchuldigſten Liebfofungen -zu neuem Leben zu er⸗
werfen fich bemühte. Allmählig war e8 ihren unaus-
‚gefeßten Bemühungen auch gelungen, den alten Mann
wieder zu einigem Bewußtſeyn zurückzubringen. Nur
erſchien mit dieſem auch eine gewiſſe Beklommenheit,
eine Aengſtlichkeit, die in demſelben Maße zunahm,
als er ſich den Niederlaſſungen der Weißen näherte.
Mit jedem Schritte, den der kleine Zug vorwärts
that, wurde nämlich die Miene des alten Häuptlings
grollender, ſeine Ungeduld ſtärker; ſein Stumpfſinn
ſchien ihn nur zu verlaſſen, um einer keifenden, zanf-
*
32 —
ſüchtigen Laune Platz zu machen. Als ſähe er die
Demüthigungen voraus, die er von den Weißen wu
erwarten habe, verfuchte er ſich zuvor gegen: ſie zu B
ſtählen und zu ermuthigen. Stunden lang war er
zankenden grollenden Selbjtgefpräche begriffen, in *
er den Weißen Reden in den Mund legte, um rn mit
Trotz und Hohn zu beantworten.
Sp waren fie auf demfelben Wege, den der India-
ner den Britten geführt, nämlich auf dem Pfade der
Coshattaes dem Atchafalaya zugeritten, den Miko
und feine Oconees ausgenommen, die, ‚getreu Der
Sitte ihres Stammes, neben den: Pferden einher-
fchritten. Oberhalb Opeloufas am Atchafalaya an-
gekommen, hatten fie Diefe mit den Pawnees zurück-
gefandt, und -angefangen ein Rindecanoe zu bauen,
als fie in dieſer Befchäftigung vom zweien der vom
Magiftrate von Opeloufas ausgefandten Männer
entdeckt und bald darauf von einer Fleinen Abtheilung
Milizen überrafcht und zu Gefangenen **
wurden.
Obwohl die Indianer weder Widerſtand noch luft "
verfuchten und ihr Boot gelafjen vollendeten, jo hatte
die ftarre herriſche Art, mit der man fie aufforderte
1 De er A ie 4
—9.33 &—
unverzüglich zu folgen, und die gehäffigen mißtraui-
ſchen Blicke, mit denen fie gemefjen. wurden, ihren
Stolz jo empfindlich gefränft, daß, ohne des Miko
eindringliche Bitten, wahrſcheinlich ein Kampf daraus
entftanden wäre. Als fürchtete er nun jede Berüh-
rung mit feinen trogigen Erbfeinden, hatte er fi
ſchnell an die Seite feiner Pflegetochter zurückgezogen,
die, in eine Wolldecke gehüllt, auf einem Baumſtamme
geſeſſen war. Noch ſprach fie freundlich mit dem alten
Manne, als El Sol Fam, um fie in das Boot zu
führen. Die Wolldecke war ihr zum Theil in der
Bewegung entfallen, als fte auf das Fahrzeug zutrat.
Der Anblick des weißen reich gekleideten Mädchens, das
freundlich und froh ſich mit dem alten Indianer unter-
hielt, Hatte in den Sinterwäldlern eine Umwandlung
hervorgebracht, die, wäre fie durch einen Zauber-
ſchlag bewirkt worden, nicht plößlicher oder größer
hätte ſeyn können. Ihr rauhes gebieterifches Wefen -
war auf einmal der zuvorkommendſten Aufmerkſamkeit
gewichen. Alle waren zurückgetreten, als ſich ihnen
das Mädchen grüßend nahte, ihr Führer hatte artig
ſeine Hand angeboten, um ihr beim Einſteigen zu
helfen, war aber vom Cumancheehäuptlinge zurück—
Der Legitime. TIL Ä 3
2 — 4
halfen —* Selbſt Se Valediging erttug ber
Befehlshaber zur nicht geringen Verwunderung des
Wiko, dem, obgleich ſcheinbar ſtarr und in ſich ver⸗
funken, keine Bewegung ſeiner Feinde entgangen war.
Mährend ber ganzen Ueberfahrt waren fie mit einer
Schonung von den Weißen behandelt worden, die
gegen das barſche, herriſche Benehmen bei dem Ueber-
falle zu ſehr abſtach/ um nicht auch El Sol aufmerk⸗
ſam zu machen.
Im Depot angekommen, waren fie zwar im Wacht⸗
hauſe eingebracht worden der. Führer der Abtheilung
nahte ſich jedoch ehrerbietig dem Mädchen und bat fie,
einftweilen feine Begleitung in den Gafthof anzuneh⸗
men. Sie fhlug dieſes freundlich aus und blieb mit den
Indianern in der Stube, wo fie endlich durch Die
Ankunft der Offiziere aus ihrem Zweifel geriſſen
wurden, von denen ber Falkenblick des Squire den
Miko fogleich erkannte. Auch Diefer hatte den von
ihm nichts weniger als billig behandelten Ziwifchen-
händler herausgefunden, und ſich zudend aufgerichtet,
als er feine Anrede begann. Da trat aus dem Hinter⸗
grunde Roſa hervor, und, aus der Wollderfe ſchlü—
pfend, warf fie ſich dem erftaunten Squire um den
Ye - a a nu CE 5 ah £ Bi N n SM ” * u; TRETEN
m, F — My Y
" ——— 5— u? “ *
9— 35 — | * 2
Hals, der faum feinen Augen trauend fie ſtarr *
ſchaute, bis ſie ihm endlich mit den Worten: „Deines
Roſa,“ fein Pflegefind ins Gevächtnif zurückrief. a
Da umſchlang auch er fie mit einer Herzlichkeit ‚bier
ihn für eine geraume Weile Alles vergefien machte.
Die ausgezeichnete Achtung, mit der auch die übri⸗
gen Offiziere das liebliche Kind empfingen, Defnge
ernſte Unterredung , die fie mit einanbwe hielten und x
die mildere Anrede des Squire, daß er glaube, or
keah ſey in Friede und Freundſchaft gekommen, fo
wie der Umftand, daß fie fogleich aus dem Wacht⸗
= in den Gafthof geführt und dem Wiethe als
Gäſte der Regierung zur beſtmöglichen Sorgfalt
überantwortet wurden, dieſe Umſtände klärten endlich
den im langen Verkehr mit ſeinen Feinden mit den
verſchiedenen Behandlungsarten, die ſie ſeiner Race
angedeihen ließen, wohl bekannten Miko allmählig
über die plötzliche Sinnesänderung der gefürchteten
Weißen auf. Dieſe Sinnesänderung hatte natürlich
eben fo ſehr in dem achtungsvollen Benehmen des
Amerikaners gegen das weibliche Gefchlecht über»
haupt, als der Borausfegung insbefondere feinen
Grund, daß Indianer, die in einer ſolchen Begleitung
3*
; RE
— 3 —
erſcheinen, nicht feindfelige Abftchten im Schilde füh-
ven fonnten. Dem alten Manne, der ſich ſchon auf
Kränfungen und Demüthigung aller Art gefaßt ge-
macht hatte, that diefer-Sonnenftrahl in feinem fin-
ſtern Geſchicke wohl. Der gebeugte, gebrochene,
unter der Laft feines Schickſals erliegende Häuptling
war ſchwach geworden; er fühlte zu feinem bittern
Schmerze, daß er nicht mehr die Kraft habe, dem
Feinde, der ihn im feiner Jugend und Mannesalter
zermalmt hatte ‚ entgegen zu treten. Die Großmuth
kam ihm daher wie Yindernder Balfam auf feine tödt⸗
lich eiternde Wunde. |
Sp war e3 denn natürlich, daß er ſich von ihr,
die er num für feinen Schußgeift anfah, mit Kummer
und Schmerzen trennte, und nur die Verficherung des
Squire, daß er für Roſa Hafte und fie ihm nicht ent«
riffen werden folle, Eonnte ihn bewegen, fie mit dem
Oberften gehen zu laſſen, der fie ehrerbietig in fein
Haus geladen hatte. Als fie aber ſchied, da verließ
den ftarren Wilden feine Faſſung auf eine unbegreife
Viche Weife. Er ftarrte ihr ins Geftcht, als wollte
er fie ich recht ins Gedächtniß prägen, damit fie ihm
nicht verwechfelt würde. Er umfaßte fie, feine Stimme
=
— 37 —
ſtockte, als er feine Hand auf ihr Haupt Iegte und fie
ſegnete.
Noch rannte er ihr nach, als ſie ſchon aus der
Thüre war, umſchlang ſie wieder und ſegnete ſie
nochmals. Der junge Häuptling bezeugte ihr ſeine
Ehrerbietung auf eine bei dem ſtolzen Indianer nicht
minder ſeltene Weiſe. Er begleitete ſie mit dem
Deoneemädchen, welches ihren Kleiderbündel trug,
und feinen beiden Männern bis an die Thürſchwelle.
nDie Weißen beugen ſich vor Nofa,“ flüfterte er ihr
mit wehmüthig hohler Stimme zu: „ihr Bruder
ſtirbt für fie; und, fein Haupt auf feine Bruft neigend,
ſchwieg er eine Weile, und dann ſchied er. Nach der
Trennung von Roſa fielen die beiden Häuptlinge in
ihr voriges düfteres, ftarres, brütendes Schweigen,
aus dem fie nur durch die Trommeln geweckt wurden,
die das Zeichen zur Vereinigung der Truppen gaben.
Der Anblick der Milizen, die, beiläufig taufend
Mann ftark, fih nun in zwei Bataillone aufftellten,
regte in dem Wilden plößlich all den Haß auf, der
fein ganzes Leben fo unnennbar unfelig gemacht hatte.
Mit ftarrem Staunen, halb mit Entfegen, folgte er
jeder Bewegung, jedem Schritte der Truppen mit
f
— ⸗—
einer Aufmerkfamteit, in der ein unfägtich bitteres
Gefühl ſich ſpiegelte. Die Mannſchaft von Opelou⸗
ſas, die von den Offizieren eingetheilt wurde, ſchien
ihn weniger zu intereſſiren, vieleicht weil er ſich be—
wußt war, daß auch er mit feinen Oconees gegen den
tegellofen Ungeſtümm des noch ungeordneten ſchwan⸗ |
kenden Haufens mit Erfolg ftreiten Eönnte. Als aber
das gefchlofiene Corps des vom Oberften fomman-
dirten Bataillons feine verfehiedenen Evolutionen
auszuführen begann, da überzog ſich das Geficht des
alten Mannes mit einem grauenhaften Ausdrude von
Sammer, Bitterkeit und Grol.
„Sieht mein Sohn,“ ſprach er mit leifer zitternder
Stimme im Pawneedialekte, als fürchte er, feine
Veinde würden das von ihm ausgefprochene zwei⸗
deutige Lob hören, „ſieht mein Sohn, wie die Weißen
ſchlau ſind. Die rothen Männer werden nimmer den
Tomahawk in ihrem Blute farben; fie ſind unbändig
und ſtolz, wie der Büffelſtier, aber wenn fie dad
Kriegögefchrei erheben, fo werden fie zabm und
folgen nicht Einem Führer, wie die rothen Männer,
jondern vielen, die Alle unter Einem find.“
Und treten fo, wie die Herde den Jäger, die rothen
30 —
Männer lachend nieder;“ erwiederte EI Sol eben fo
leiſe, ohne von den Bewegungen der Truppen, Die ,
nun im Sturmfohritte auf fie zufamen, ein Auge zu
verwenden.
„Tokeah,“ ſprach er nach einer langen Baufe, hat
oft mit. feiner Seele gefprochen, woher es kommt,
daß der weiße Mann fo trogig und wieder fo folgfam
ift. Die rothen Männer ſind bloß trotzig; ihnen
wird nie geholfen werden.“
„Warum,“ ſprach er wieder nach einer viertel-
ftündigen Baufe, „find doch die rothen Männer blind
gemacht vom großen Geifte? Warum verhüfft er feit
vielen Sommern fein Antligtua |
„Im Leben des rothen Volkes ift det große Geift
nieht; er ift ihnen zum Stiefvater in ihrem eigenen
Lande geworden; fie müffen fluchen dem Leben, das
er ihnen gegeben hat. «
„Mein Vater fpricht Worte der Finfternig,“ ver-
wies ihm EI Sol; „das Antlik des großen Geiftes
wird fich ummörfen.
„Es hat fich ſchon umwölkt. Er mag den Donner
aus feiner Wolfe fehleudern; Tofeah wird ihn fegnen. «
Der junge Häuptling trat entfeßt zurück.
— 10 >
„Ja, der große Geift,u ſprach der mit fich zer-
fallene Alte, „iſt wie ein ſchönes Weib, er liebt die
glatte Haut der weißen jüngern Söhne, die Altern
hat er verftoßen; fie verfehwinden von der Erde —
von dem Erbtheile ihrer Väter, er bläst fie mit feinen
Winden zur See gegen Sonnenuntergang Wenn
fie jenſeits der Felſenberge angekommen ſeyn werden,
ſo braucht er ſie nicht in das Salzwaſſer hinein zu
ſtoßen, es wird ihrer Keiner mehr da ſeyn.“
„Läſtere den großen Geiſt nicht, alter Mann!“
rief ihm El Sol drohend zu.
„Läſtern?“ wiederholte der mit ſeinem Schickſale
hadernde Indianer, „hat Tokeah geläſtert, iſt nicht
ſein ganzes Leben eine Läſterung des großen Geiſtes?
Warum,“ murmelte er mit erboster Stimme, „warum
verfolgt er Tokeah umd fein Volk von ihrer Geburt
an? Was haben fie verbrochen? Warum fhlägt er
fie? Hat Tokeah Böſes gethan? Warum züchtigt
er feine Kinder? Warum hat er feinen Feinden die,
Schlauheit des rothen Hundes, die Stärfe des Büf⸗
fels, den rothen Männern die Blindheit der Eule ge-
geben, die beim hellen Tage im Finſtern tappt ?“
»Die rothen Männer werden helfe fehen und wieder
— 41
zum Leben erwachen in Senorars und Senowhares
Gefilden; der Seher Blackeagle hat es verkündet ;u
tröftete ihn El Sol. |
Ein Soffnungsfhimmer durchzuckte das Angeficht
des alten Mannes: „mein Sohn hat Recht,“ ſprach
er, und wieder verfiel er in fein voriges Dahinſtarren.
In dieſen düſtern Ausbrüchen waren Stunden ver⸗
gangen; kaum daß ihn die Seinigen vermochten, an
dem reichlichen Mahle Theil zu nehmen, das ihm die
Gaſtlichkeit der Weißen bereitet hatte. Als wolle er
ſich recht ſelbſt quälen durch den Anblick dieſer ge—
haßten Weißen und ihre Ueberlegenheit in Anzahl
und Kriegsübung, ſo war er hinausgeeilt, hatte ſie
einige Zeit angeſtarrt und war wieder troſtloſer zurück—
gekehrt, um dasſelbe in einer halben Stunde wieder
zu thun.
Als endlich das Bataillon entlaſſen worden war,
und die Oberoffiziere ſich dem Gaſthofe näherten und in
den Saal traten, in welchem nun auch die Indianer
eingeführt wurden, ſah ihnen der alte Mann mit einer
Sehnſucht entgegen, die den Offizieren, die mit ſeinem
ſchrecklichen Gemüthszuſtande natürlich wenig oder
gar nicht bekannt waren, auffiel und natürlich beitrug,
— Re er *
eine gewiſſe vertrauungsvolle Stimmung zwiſchen
beiden Parteien zu erzeugen. Als die Offizier 2 Tab
genommen hatten, ließen ſich auch die Indianer auf
ihre gewöhnliche Weife auf den mit Teppiche beleg-
ten Fußboden nieder, indem fie, auf ihren Schenkeln
ſitzend, ihre Beine in einander kreuzten.
»Wünfchen meine rothen Brüder mit der Zun
der rothen Männer zu fprechen, oder wollen fie i
Botfehaft mit der der Weißen verkünden ?« —
Squire. —
„Der Miko der — iſt ferne von den Seini⸗
gen, und ſeine Augen ſehen viele Weiße; er will mit
der Zunge der Weißen reden,“ verſetzte der alte Mann
nach einer Paufe.
„Unſere Männer,“ jo hub der General an, „haben
die Fußſtapfen ihrer rothen Brüder gefehen, ehe fie
das Gange beftiegen, um an den großen Fluß zu ges
Yangen; fie haben diefes unferem Bruder, dem Häupt⸗
ling Copeland, berichtet, und er bat die rothen Män-
ner. hieher führen laſſen, damit ihre weißen Brüder
erfahren, weßhalb fie gekommen find, undyob fie
ihrer Hülfe bedürfen ?u
Der General fprach diefe Worte in einem zutraus
43 ⸗—
lich würdevollen Tone, der augenſcheinlich berechnet
war, die Indianer in guter Stimmung zu erhalten.
Ein unmerflich bitteres Lächeln Hatte ven Mund des
Greifen während derfelben verzogen. Nach der ge—
wöhnlichen Pauſe erwiederte er:
„Tokeah hat viele Sommer gefehen, und in der
Halfte derſelben ift er, ein freier und gewaltiger Miko,
9. Oconee bis zum endloſen Fluſſe gegangen, ohne
daß ihm Schlingen gelegt worden wären. Warum
darf der Miko mit den Seinigen nicht frei gehen, wo—
hin er will? Sind die weißen Männer jo furchtfam
geworden, daß die Schatten von fechs rothen Män—
nern und zwei Mädchen fie erſchrecken?“
„Daß die weißen Männer ihre rothen Brüder nicht
fürchten, weiß der Miko am beften,“ verfeßte der
General; „auch ift er ein zu großer Häuptling, um
nicht auch zu wifjen, daß, wenn man den Tomahawk
ausgegraben Hat, die Augen offen ſeyn müſſen, um
Diejenigen zu zählen, die ſich dem Lager nähern.
„Hat der weiße Sauptling je den Tomahawk gegen
die rothen Männer erhoben?“ fragte der Indianer
nach einer Weile.
„Nein, aber gegen die Söhne des großen Vaters
4
der Ganadas. Ich Kin der Befehlshaber dieſer a
tungswerthen Männer, die in vielen STR ge:
kämpft haben. «
„Sp frage der weiße Häuptling feine Brüder, u
verjeßte der Indianer nach einer langen Paufe, „und
fie werden ihm jagen, daß die rothen Männer nicht
mit ihren Squaws gehen, um das Schlachtgefehrei
zu erheben. Der Mifo ift mit feinem So dem
mächtigen Hauptlinge der Cumanchees, im Frieden
gefommen. Tokeah ift alt geworden; ſetzte er bes
deutfam hinzu.
„Und die weißen Männer ftreefen dem alt gewor-
denen Miko und feinen Brüdern die Palmen ihrer
Hände zum Friedenszeichen entgegen;“ erwiederte der
General. „Aber die rothen Männer find Hug,“ fuhr
er. nach einer Eleinen Pauſe fort, „und fie lieben ihre
Wigwams und Jagdgründe ſehr. Warum haben ſie
einen fo weiten Weg gemacht?““ |
Der Indianer fah den Sprecher eine Weile for=
[hend an. „Wenn der große Vater etwas mit feiner
Seele redet, behält er es nicht für ſich?“ Ss
„Der große Vater ift in feinem Land ‚und die
Seinigen fehen feine Wege; aber der Miko, frägt er
.
9 45 —
nicht auch den Fremdling, den er in feinem Wigwam
findet?“ antwortete der General.
„Iſt Tokeah ein Bremdling im Lande feiner Väter? «
fragte der Wilde mit unfäglich wehmüthiger Bitter-
feit. „Ja, er iſt's, er hat bereits ſeit vielen Som—
mern nicht mehr den Tomahawk gegen ſeine weißen
Feinde erhoben. Er hat ihn begraben und er iſt roſtig
geworden. Er iſt auf breitem Pfade gekommen,
nicht wie ein Dieb; aber er iſt ein Fremdling in fei=
nem Lande geworden. 4
„Uber die rothen Männer find Feine Thoren, die
nicht wiſſen, was ſie thun. Hat nicht der Vater der
Canadas Tofeah durch feinen Boten etwas ins Ohr
flüftern laſſen?“ fragte der General, der vielleicht
mit VBorbedacht die wehmüthige Stimmung des In-
dianers nicht berückfichtigte.
Diefer wurde aufmerffam.
„Iſt der Sohn des großen Vaters der Canadas
bei meinen weißen Brüdern geweſen?“
„Er ift aufgefangen von den Unfrigen und einge-
bracht worden;“ erwiederte der General.
Es erfolgte eine lange Pauſe, während welcher die
{4
beiden Sprecher fih zum ausholenden —
vorzubereiten ſchienenann.
„Und die weißen Männer haben den Sohn des
großen Vaters der Canadas ergriffen und ig
men?“ fragte der Indianer.
„Sp haben wir;“ war die Antwort.
„Und was haben die Hä äuptlinge der — Man⸗ |
ner befchlofien ?« | ——
„Was thun die rothen Männer mit Denjenigen,
die ſie als Späher einfangen?“ |
„Und ift der junge Sohn des großen Vater *
Canadas als Späher zu den weißen Männern ge—
kommen?“ fragte der Indianer kopfſchüttelnd.
„Er kam von Tokeah, dem Kauptlinge der Oco—
need ; 4 Sprach der General mit plötzlich ſtarker Stimme.
„Hat mein weißer Bruder geſagt, daß er von
Tokeah kommt?“ fragte Pic in demjelben Falten
unbewegten Tone.
„Glaubt Tokeah, daß bie — Männer nicht
Augen haben, um zu ſehen, wenn auch die Zunge
ſchweigt? Sie wiſſen, ihre Feinde von ihren Freunden
zu unterſcheiden. Wenn die rothen Männer ihre
Tomahawks gegen uns erheben wollen, ſo mögen
———
*
an
fie dieſes thun, wir werden ihnen zu begegnen wiffen;
wenn fie ſich aber wie die Hunde vom Jäger aufs
Wild hetzen laſſen, dann müffen fie zufrieden feyn,
wenn fie als ſolche todtgejchlagen werden.
Und glaubt der weiße Häuptling,“ fiel der Miko
ſchnell ein, „daß Tokeah Thor genug fey, ſich wie
ein Hund von einem Mädchen hegen zu lafjen, um
ihr das Wild für ihren Keſſel zu fangen? Der weiße
Häuptling hat wenig von Tofeah gehört. «
„Der große Vater der Canadas ift ſchlau,“ ver⸗
ſetzte der General; „er ſchickt zuweilen auch Mädchen,
weil er weiß, daß die rothen Männer die zarten wei—
ben Gefichter lieben.“
„Tokeah ift ein Mann, ein Häuptling,“ ſprach
der Indianer, der der zarten Gefichter lacht. Der
weiße Häuptling mag die weiße Nofa fragen. Sie
iſt es, die den Sohn des großen Vaters der Canadas _
ing Wigwam geführt, mit Einer, die nicht mehr iſt.“
Hier ftockte feine Stimme und er hielt plößlich inne;
er ermannte fich jedoch und fuhr fort: „Er ift aus
der Schlinge des Seeräubers entwifcht, und Tokeah
hat ihn erft gefehen, als ex jenfeits des zweiten Fluſ⸗
E23
8
ſes war. Dann hat er ihm Einen feiner Männer ges
geben, um ihn zu den Seinigen zu bringen. “u
„Der Miko der Deoneed würde dieß nicht mit
Einem der Unfrigen gethan haben. Der Miko ift viel
zu gütig gegen unfere Feinde; “ verſetzte der General.
„Tokeah Hat gethan, was feine Väter auch mit
den Vätern der weißen Männer gethan haben, die
friedlich in ihre Wigwams famen und wieder gingen.
Er legt nur feinen Feinden Fallſtricke.“
„Wir zweifeln nicht an Eurer Freundſchaft für die
Söhne des jogenannten großen Vaters der Kanadas;
auch haben wir nichts dagegen, wenn Ihr von ihm
Geſchenke annehmt. Aber vergeßt dabei nicht, daß
wenn der große Vater der Kanadas Euch Glasperlen
gibt, er dafür die Köpfe Eurer —* Männer
nimmt.“
„Tokeah ſpottet der Glasperlen der — “ Di
„Aber er nimmt fie für feine Kinder, verfeßte der
General, „und er liebt, das gelbe Metall an ihnen
glänzen zu ſehen.“ —
Der Indianer, der nach ſeiner kbre Rede
wieder feinen Kopf auf die Bruſt geſenkt hatte,
fuhr bei diefen Worten unwillig auf.
49 —
Der weiße Häuptling mag feinen Bruder fragen;“
entgegnete er, auf den Squire deutend. „Er ift fett
‚geworden von den Biber- und Hirfihfellen, die ihm
die rothen Männer für Feuerwaſſer gebracht: haben,
und er wird ihm fagen, wie man das glänzende
Metall gewinnt. Die weiße Roſe ift die Tochter des
Miko und er hat viele Biberhäute und Bärenhäute
gefammelt, und feine Tochter Canondah hat viele
Galabafjen Feuerwaſſers gebrannt, um die Augen
der weißen Roſe in Freude leuchten zu machen. To—
keah würde das glänzende Metall des großen Vaters
der Canadas mit dem Fuße wegſtoßen.“
„Und warum hat die Tochter Tokeahs dem Sohne
des Vaters der Kanadas den Mund verfchlofien?«
„Tokeah felbit Hat feine Zunge gebunden;“ ent-
gegnete der Indianer.
und warum Hat der Häuptling dieſes gethan?
Sind die Oconees Diebe geworden, die das Zages⸗
licht ſcheuen?“
„Liebt mein Bruder, das, was ihm theuer Hi
Diebe jehen zu laſſen? Die Oconees verſtecken ihre
Wigwams nicht vor den weißen Männern, aber vor
Der Segitime. III. A
— 50 —
ihren Dieben, die fommen, um ihnen ihr Vieh und
ihr Korn zu fehlen. Sie wollen Frieden.u
„Und Tokeah ift zurückgefommen, um —7— Volk
zu ſehen?“ fragte der General.
Der Häuptling fehüttelte das Haupt. „Der Miko
kennt Die Muscogees nicht mehr. Er ift gefommen
in Frieden, weil der große Geift ihm in die Ohren
geflüftert Hat. Wenn er gethan, was er befohlen
hat, dann wird er dahin gehen, wohin ihn Keiner
der Weißen mehr fehen wird.“ SE
Der General und die. Offiziere ſchienen mit den
Aufklärungen, die ihnen der Talk*) gegeben hatte,
zufrieden zu feyn. Sie befprachen ſich noch eine Weile
unter einander, und dann ſchloß der Erftere die Zu-
ſammenkunft mit den Worten: „Meine rothen Brü-
der. find wilffommen in den Wigwams der weißen
Männer, und Diefe- werden forgen, daß fie ueberfluß
an Feuerwaſſer und Wildpret haben. Aber ſie werden
warten in dem Wigwam, in dem ſie ſind, bis der
große Vater von ihrer Ankunft benachrichtigt iſt. Der
Miko weiß, daß er gerecht iſt, und daß Er wer
5
Re}
*) Unterrevung. — Verhandlung.
W
651 —
Kinder nichts zu fürchten haben, wenn ſie in Frieden
gekommen ſind.“
„Gut;“ erwiederte der Indianer.
Beide Parteien erhoben ſich nun, und, nachdem ſie
ſich würdevoll die Hand gereicht hatten, trennten ſie
ſich. Die Indianer kehrten in ihre Stube zurück und
die Offiziere, mit Ausnahme des Capitains, blieben
im Saale, der ſich ſchnell zum abermaligen Meeting
zu füllen begann.
Dreißigſtes Kapitel.
Ihn, feinen Werth, wie ſehr vie ihn be⸗
dürfen, habt Ihr recht wohl getroffen.
Shakespealre.
„Willkommen, Capitain!“ ſprach die Frau des
Oberſten, als Dieſer im drawing room eintrat.
„Setzen Sie ſich, die Kinder find. oben. Sie haben
und ein herrliches Chriftgefehenk-in dem lieben Engel
gebracht. Es kömmt mir immer vor, als wäre fie
‚der Bote des Sieges, der Engel des Friedens und
eine gute Vorbedeutung für die Unfrigen, die morgen
gegen den Feind ziehen. Wir haben den ganzen Nach—
4 ®
— 52 —
mittag mit ihr geweint, als fie ung ihr fehönes Leben
und den Tod der Tochter des Miko erzählte. So ein
herrlich demüthiges, in Liebe erquillendes Gemüth!
Sie müffen diefem Miko alles Gute erweiſen; er muß
fehr unglüclich feyn. Sie Haben eine Unterredung
gehabt? Ich ſchloß es aus Ihrem langen Ausblei-
ben.a
Der Capitain Hatte fich nachläſſig aufs Sopha hin—
geworfen und fuhr mit der Hand unmuthig durch die
ſchwarzen Locken. „Ein troſtlos zerrüttetes Gemüth, «
ſprach er, win dem nur eine Leidenſchaft noch brennt,
Haß, glühend verzehrender Haß gegen Alles, was
amerifanifch ift, der fich in jeder Miene, jedem Worte,
jeder Muskel ausdrückt. Hat aber wahrlich Urſache;
dieſe Hinterwäldler find ein felbftfüchtiges, fteifes,
ſtarres, rauhes Volk.“
Die Dame ſchüttelte den Kopf. „Capitain! Sie
fehen mit den Augen des Vorurtheiles. Sie fühlen
fih unbehaglich.“
„Unbehaglich!“ rief der Capitain, bitter lachend.
„Als ich heute vortrat, der Major fprach noch mit
| den Stabsoffizieren des andern Bataillons, da kehrte
— 3
mir die ganze Rotte den Rüden. Es i zum vafend.
werden. 4
Der Offizier fprang auf und Vief zähneknirſchend
durch den Salon.
„Und Sie?u fragte Die Dame. |
„Was würden Sie, theure Mutter, in meinem
Falle nach einer folchen Afftonte gethan haben?“
„Würde die Männer ernft, aber vertrauensvoll
gefragt haben, was ſie mit ihrem Betragen meinen.
— Und was that der Major?“
„Rauchte dann und trank und ſtolperte mit ihnen
den ganzen Tag herum; erwieberte der Capitain.
„Ich Vieß fie ſtehen und ging auf meine Stube.“
»Gapitain Percy!“ ſprach die Dame ernfthaft,
„man hat fehon geftern, oder vielmehr heute Mor—
gen, ihr Betragen ſehr fonderbar gefunden, daß
€
Sie als Militar es wagen Eonnten, die Volksverhand— 7
lungen zu unterbrechen.“
Der Eapitain wurde feuerroth. „Wagen, ihre
Volksverhandlungen zu unterbrechen. Beim Himmel!
fie verdienten Alle, vor's Kriegsgericht geftellt zu wer⸗
den. Der Gefangene entwiſcht, er konnte keine Stunde
fort ſeyn. Ich eile, ich renne; ich befehle den Män-
£ Yyckar Ir hen
; *
— 5 >
nern, ich bitte, ich befehmdreden General. Nur zwan⸗
zig Mann. — Da ftehen fie mit offenen Ohren, Au-
gen und Mäulern, ohne ein Glied zu bewegen, um
anzuhören, was taufendmal bereits in allen unfern
Countyzeitungen geftanden. «
Aber, Vieber Capitain, was geht dad Sie an,
wenn das Volk e8 feinem Intereffe gemäß findet, ſich
zu berathen? Und Sie haben fehr unamerikanifihe
Morte gefprochen. Sie gehen von Mund zu Munde. u
„Deſto befjer. Sie mögen wiffen, was man von
ihnen denkt.“
Die Oberftin fehüttelte ven Kopf. „Und Sie ver-
meffen ft, gegen den millfionarmigen Riefen, Volks—
geift genannt, Ihre Stimme zu erheben und den
Bürgern mehrerer Countied Trotz zu bieten !«
„Ich bin nicht Volks-, ich bin Linientruppencapt-
tain. u i
„And Wen gehören diefe Linientruppen?“ fragte
die Dame. „Und dann,“ fuhr fie fort, „dieſer Un—
friede, diefer Hader in der gegenwärtigen, ſchwer
bedrängten Zeit, wohin foll-er führen? Wenn Dieje-
nigen, die das Volk gegen den Feind Yeiten follen, aus
übel veritandenem Stolze fich mit diefem zerwerfen?“
*
45>
„Und Wer hat diefen Unfrieden verurfacht, theure
Mutter? Doch nicht Sapitain Percy. Wer ift es,
der die Oppofition gegen den Gommandirenden be—
gonnen hat ?u |
„Gapitain!u fprach die Dame bejorgt, „Sie find
zu lange von Haufe gewefen, Sie kennen das Volks-
Yeben und feine Gewalt hier nicht. Sie ftellen ſich
unfer. Volk wie das des alten Englands, des Para-
diefes der Großen, vor. Hier ift das Paradies des
Volkes, und fo wie in jenem die Großen, hat bier
das Volk alle Macht und Herrſchaft.“
Leider!“ verjeßte der Capitain.
Die Frau wandte fih unwilig mit einem halb
mitleidigen,, halb beleidigten Blicke von ihm. Indem
gingen die Thüren auf, und der Oberfte mit dem
Major Eopeland traten ein und begrüßten die Dame
herzlich, den Gapitain etwas Falt.
„Ihr schon Hier?“ fragte Diele.
„Ja, Liebe!“ eriwiederte der Oberft. „Das Haben
wir dem Squire zu verdanfen. Es ift vortrefflich aus—
gefallen, und ich gehe nun mit Zuverficht hinab.
Squire Copeland ift ein Wundermann ; die Reſolu—
— EN NE Hu NOMER
56
tionen find einmüthig angenommen. Einige er
Einwendungen machen, nahmen fie. jedoch zr
„Das ſind die Tenneſſeer, die erſt letzte en
herabgefommen find, #.entgegnete der Squire. „Noch
wilder Stoff und haben fich das Fechten und das
Gouging noch nicht abgewöhnt. Für unten find fie
jedoch gerade recht. «
„Die Manoeuvres ihrer Schügen fing aller Ehre
werth, Major! und die Ordnung, mit der fie ſich
benahmen, bewundernswerth — für den erften Tag
namlich.
„Einige Male,“ bemerkte der Sauire, „wandelte
fie noch immer die Luft an, ein Kleines zu verfoften ;
aber al3 ich einem Dutend die Cigarren aus dem:
Munde genommen, warenfie für denganzen Tagrubig.
Ei, es find freilich Feine Newyorker oder Londoner
Gentlemen; aber glaubt mir, ihres Landes Beſte
geht ihnen über Alles. Wir haben nun vier Com—
pagnien Schützen beifammen, die ein Dutzend brit-
tifcher wegblafen. «
Der Capitain, nachläffig auf das Sopha hinge-
ſtreckt, hatte Lächelnd den Squire angehört. „Major
Copeland,“ fprach er endlich ein wenig Tpöttifch,
—- 7 —
„ſcheint feine. Feinde etwas unter ihrem Werthe zu
halten. Es verrätßsmenigftens Selbftber
„Und das kann bei einem Volke nie; zu weit gehen.
—* das Mel zutraut, wii ee auch aus⸗
m |
— Feind verachtet iſt * | ——
ui ich immer gehört,“ entgegnete der Gapitain.
„Mag feyn in der alten Welt,“ entgegniete der,
Squire trocken. „Hier haben wir ein befferes Sprüch⸗
wort: Achte Dich zuerft jelbft, und Deine Feinde
werden Dich nicht verachten. Uebrigens, Gapitain,
find wir in einem freien Lande, und Sie mögen ſprüch—
wörtern jo viel Sie wollen; nur möchte ich Ihnen’
rathen, daß, wenn Sie mit Bürgern zu thun haben,
Sie auch Bürger und fein Iota mehr feyn müſſen. u
„Und nach Dpeloufas zum Squire Copeland in
die Lehre gehen;“ lachte der Capitain bitter. '
„Vielleicht wäre es beſſer für Sie gewefen, als
daß Sie Ihre ſchöne Jugend in dem grundverdorbe—
nen England verbrachten. Sie haben, fiheint e8, aus
lauter Entzücfen über das gehorfame Volk der alten
Welt vergefien, daß hier das Volk Gehorfam fordert.
Es ift freilich bequemer, zu fagen: Du gehſt und Du
| 68
ſtehſt, wie es — Mann in der |
Ihnen fonft der: m
fen fich unjere Manieren juft getan Laffen, und wenn
Sie fich dieſer ſchämen, je nun, fo glauben Sie mir,
die Männer würden fich noch mehr ausländifcher Ma—
nieren fehämen ; fie find Männer, und zwar die freie
ſten Männer der Welt, und zu ftog, um fo Fin
den Manieren zu unterwerfen. 4
„Dieſe Lektion, Major, als was ſoll ich ſie neh⸗
* zu gr der Capitain auf, der raſch auf den Ma-
elegant uniformirte Offizier, der augenfcheinlich den
feinften Weltton fich angeeignet hatte, ſchien weniger
über die Reden des Squire, als deffen Aeußeres em—
pört. Diefes war, wie unfere Lefer wiffen, nichts _
weniger als elegant. Eine rehfatbige, etwas grob-
tuchene Redingote, die, zwar weniger berühmt, aber
eben fo viele Touren gemacht Haben mochte, als ihre
L N 1
— —
— —
s50 —
graue, dazumal in Elba befind che Schweſter, eben
ſolche Pantalons, eine Art ſchwarzſeidenen Strickes
um den * und der O uäkerhut, auf dem der bar⸗ 4
of ———— wie eine Vogel uche prangte, atb-
* nichts gefehen, waren das Coſtum des vier⸗
ſchrötigen Squire, der ernſt und ſcharf auf denj jung
Sie hinuber jandten und uns einen * Faſhio⸗
nable wiedergaben. Aber Sie haben ſich wie ein
Mann bben an den Seen gebe ten. Wäre das nicht
der Fall, Major Eopeland ie wahrlich Sie
fein Wort verloren haben. «
„Gapitain Percy,“ ſprach der Offizier ſtolz
darf Feines Fürfprechers und am wenigften -
„Sie find jung, Capitain,“ fiel ihm der Major
falt und trocken ein, „vergeffen Sie nicht, daß Sie
mir fubordinirter Offizier find. Wir gehen morgen,
wie es befehloffen worden, mit den acht Compagnien
hinab. Zweihundert Manır bleiben zurück. Sie wer-
J
— 00.
den num Öelegenheitihaben, zu zeigen, nat an
Ihren englifihen 'anieren oder am Wohle des Lan⸗
des mehr liegt. Und 5 nicht, af wan
Sie einmal mit einem Ihrer Mithinge eC ig arre
nehmen oder ein Glas Toddy trinken, —
trauen Sie ehrt und kein Haar breit von Ihrer —
nigmt; ; u daß dieſe nämlichen Bürger größere.
er zu Paaren zu treiben wifjen, als Sie find.“
Er nickte mitdem Kopfe und verſchwand im Hintern.
drawing room. —
Es war etwas zutrauli ulich — aber we
zugleich etwas lakonſſch Hartes in dem Tone des
Squire geweſen, das dem Offizier, abwechſelnd das
Blut über die Wangen jagte. Chen wollt@er dem
Major nacheilen, al 3 ihm der Oberfte zurief.
„Was wollen &lr; Capitain Percy?“
„Dem Grobian eine Erklärung abfordern. u
„Segen ie ſich, dieſe will ich Ihnen felbft geben:
Wiſſen Sie, daß die fammtlihe Mannſchaft, ohne:
Ausnahme, über Ihr Betragen bei dem geftrigen
Meeting, unddie Aeußerungen, die Sie fallen ließen, fo
wie über Ihr Heutiges Benehmen fo entrüſtet find, daß ſie
ftehenden Fußes ein Comit6von Offizieren ernannten ?«
—9 641 —
„uUnd?“ fragte der Gapitain, der ein wenig be-
troffen wurde.
„Und daß diefes Comite darauf antrug, dad Ganze
an den Commandirenden zu berichten und Sie einft-
weilen von allen Dienftverhältniffen mit — * Bür⸗
gern zu ſuspendiren?“
Der Capitain erblaßte.
„Da trat Major Copeland vor, und mit jener ihm
eigenen nervichten Beredtſamkeit ſtellte er den Män-
nern die Nothwendigkeit dar, Sie beizubehalten.
Nichts vergaß er; Ihre Dienſte, Ihre glänzenden
Thaten bei Plattsburg, Alles ſchilderte er. Er kennt
Sie genau. Es dauerte lange; endlich gelang es ihm,
den Unwillen zu beſchwichtigen. Die Beſchlüſſe wur-
den einftweilen zurückgenommen, verjtehen Sie? einft=
weilen!“
„Ich habe im Auftrag meines Chefs gehandelt,
und wenn mir im Unwillen Worte entſchlüpften —“
„Die nie einem Manne entfehlüpfen follten, der
Andere zu commandiren berufen iſt;“ ſprach der
Dberfte. Sie kamen in Aufträgen des Generals.
Wohl! ſo mochten Sie ſich derſelben entledigen und
dann ſchweigen. Aber Sie kamen wie der Pfeil vom
— 2 —
Bogen und dachten vermuthlich, weil der General
unten mit den Greolen ſo wenig Umftände macht,
diefe hier noch weniger nöthig zu haben. Ihr Chef
verfteht jedoth die Sache befjer, und während er Sie
mit feiner Donnerbotfchaft aufs Gerathewohl fendet,
fchreibt er einen freundlichen Brief an den Squire,
ja recht bald mit dem Bataillon herabzufommen, er
felbft Habe ihm Quartier beftellt. «
„Wie wußte er, daß der Squire Copeland zum
Major gewählt werden würde ?“ n
"Wenn die jenfeitigen Counties die sPeäffdenten-
ftelle zu vergeben hätten, fo würde fie ihm zu Theil
werden, der durch Erfahrung, Kenntniffe, Gemein-
nüßigfeit und felbft Vermögensumſtände eine hohe
Stellung dort einnimmt. Er iſt einer der Tonangeber
der dempfratifchen Partei im. Staate, in mehreren
Counties allgewaltig. Wie konnten Sie es wagen,
mit einem Manne, der ſechs angeſeſſene Söhne hat
und der für ſein Land geblutet, ehe Sie noch waren,
in einem folchen Tone zu ſprechen ?“
Der Capitain war einige Male raſch im Salon
auf und ab geſchritten. „Der General ahnte etwas
von einer Oppoſition; er hat mir aufgetragen, alles
4
—— ————
63 —
Mögliche zu thun, um dieſe rückgängig zu ma—
chen. u
„Und Sie famen und glaubten, man werde hier
fogleich den Athem verlieren? Seyen Sie verfichert,
Ihr donnernder General wird die gewaltige Pille,
wegen der Sie fih den Mund verbrannt und Ihre
Popularität und, was dafjelbe ift, Ihre militärifche
Exiſtenz vielleicht auf immer gefährdet, mit zuder-
fügem Munde Hinabwürgen, und durch ein freund-
Yiches Geftcht dem fernen Volksunwillen vorzubeugen
fuchen. «
Es erfolgte eine lange Pauſe.
„Wir gehen morgen, wie Sie wifjen, mit den ein-
geübten Truppen und den NRiflemannern hinab; Sie
bleiben einige T age zurück, bis die Mannfchaft eingeübt
iſt. Eines muß ich jedoch bemerken, « fuhr der Oberfte
ernfthaft fort, „Ihrer Bewerbung um meine ochter,
Capitain Percy habe ich keine ‚Sinderniffe” in den
Meg gelegt, obwohl fie nicht ganz nach meinen Sinne
ift. Ich will jedoch der Neigung meines Kindes Keinen
Zwang anlegen. Nur vergefien Sie nicht, daß ich
mit meiner Tochter nicht zugleich auch meine Popu⸗
larität bei meinen Mitbürgern hinweggeben will.“
he a un
FENSTER"
— 6 >
Der Capitain hatte den Sprecher ſtarr angeſehen.
Einige Male ſchritt er raſch im Salon auf und ab;
dann griff er nach den Handſchuhen und Tſchako,
die er heftig an ſich riß. Noch ſtand er unſchlüſſig,
als die Frau des Oberſten ſich erhob und würdevoll
ſprach: —*
„Eintracht und Zuſammenwirken! Kommen Sie, —
Capitain, Sie waren es, der gefehlt hatte. An Ihnen |
Yiegt e3, den erjten Schritt zu thun. «
Der Gapitain faßte die dargebotene Hand und
folgte der Dame. Nach einer Weile kamen die Beiden
Arm in Arm mit dem Squire und Virginien zurüd.
nSie ift bereit zu Bett gegangen,“ ſprach der
mild gewordene Squire, der liebe Engel! hätte fie
gerne noch einmal jehen mögen. «
„Laßt fie,“ entgegnete die Frau, „ſie bedarf der
Ruhe. Sie hat zwei Nächte nicht geſchlafen. Mor⸗
gen wollen wir fie mit Hinabnehmen. «
Und als wäre mit dem fieben Kinde auch der Froh⸗
finn von ihnen gemwichen, fo lagerte ſich nun ſchwer⸗
muthsvoller Ernſt über die Familie hin.
Es waren die letzten Stunden, die ſie vor einer
Trennung hatte, die Wochen, Monate, vielleicht auch
Es
' u
Ch
6 —
ewig dauern konnte, und natürlich wurden ſie in einer
ernſten Stimmung gefeiert. Die wichtigen Angelegen⸗
halien des Vaterlandes und des ſehr großen Haus-
heites des Oberſten knüpften den ſpäten Theetiſch bei—
nahe an die Soupertafel, und es war lange nach Mit⸗
ternacht, als dieſe aufgehoben und die Sklaven
familienweiſe in den Speiſeſaal eingeführt wurden,
wo der Pflanzer ihnen eine eindringende Anrede hielt,
fie zur treuen Pflichterfüllung ermahnte und dann ge—
rührten Abſchied nahm. An Schlaf dachte Keiner.
In den vielfältigen Geſchäften des großen Hausweſens
und den Vorbereitungen zum Abmarſche war die Nacht
verfloſſen und der Morgen graute ſchon herauf, als
der Donner der Kanonen auch die Ankunft dev Dampf-
böte verkündete. Nicht lange darauf kamen Roſa
und Gabriele in den Saal. Eine Weile ſtand noch
die fhöne Familiengruppe beifammen, und dann ver-
ließ fie das Haus und Bayou auf dem Weg zum
Stromesufer. *
Noch hing der Nebel ſo bicht über dem Strome
und dem Ufer, daß bloß ein dumpfes Gewirre von
Stimmen zu entnehmen, Kein Gegenftand. zu unter-
jheiden war. Die Mannſchaft war jedoch verſam—
Der Legitime. II. 5
& Y y Grant NN EEE a =
r n * ee Nur
a .
x
6 . d,
melt und mit ihr Taufende von FR Maäpchen
und Kindern, die von nahe und ferne gefommen waren,
um von den Ihrigen Abfchied zu nehmen. «Der Schau⸗
luſtige dürfte hier nicht ſehr befriedigt geweſen ſeyn;
denn es war hier nichts von jenem Pompe und Prunke
zu ſehen, von jener betäubenden Muſik zu hören, die
in den fogenannten centralifirten Staaten gewifjer-
maßen mit als Lockſpeiſe zu dienen beftimmt find, Die
armen Söfplinge defto williger ihr glänzendes Elend
vergeffen zu machen; feine jener wilden Gejänge,
Tumulte oder ftehenden Zecherfeenen, die bei folchen
Beranlaffungen ähnliche Abfchiede charakteriſiren und
die fogenannten Landesvertheidiger als einen Haufen
disciplinirter Auswürflinge bezeichnen, denen man
zu guter Lebt noch etwas durch die Finger ſieht; im
Gegentheile, es herrſchte hier eine tiefe Stille, oder viel-
mehr ein murmelndes Geflüfter, das nur durch dielau=
ten Stimmen der Handlanger und Neger unterbrochen .
wurde. Ernft und befonnen ftanden Alle und bejpra=
hen fich mit den Ihrigen mit einer Ruhe, die un⸗
widerleglich die hohe Stufe der Selbſtachtung beur—
fundete, die das amerikanifche Volk fo weit über jedes
andere erhebt und wohl am natürlichften dadurch zu
2
—
—
En, A 7
e
. ea
erflären ſeyn dürfte, daß dieſes keinen eigentlichen |
Vöhel in feiner Mitte hat, fondern jedes Glied des
großen Körpers, felbftthätig und politiſch wichtig, jeden
feiner Schritte als denfendes, freies Wefen überlegt
und eben deßhalb mit gefeßter ernfter Kraft derſelben
entgegentritt. Noch einmal umarmte der Oberfte feine
Lieben, und dann ließ er das Zeichen zum Aufbruche
‚geben. - Ihm folgte fein Sohn, der Mutter und Schwwe-
ftern raſch küßte, die Hand Roſas erfaßte, fie fiebe—
riſch an fein Herz riß, und dann der Squire, der den
Damen die Hand fehüttelte und dann Roſa in feine
Arme nahm. „Bete für und, Roſa,“ murmelte er
ihr zu, „der da droben hört das Flehen der Unfihuld,
wir werden's wahrlich brauchen. «
Und ſtärker vollten die Trommeln, und gellender
tönten die Pfeifen, und der Donner der Kanonen von
den Dampfbonten brüllte darein, und der alte Mann
riß fi von ihr und der Familie 108. Und Trupp
auf Trupp zog nun an ihnen vorüber. Ein dumpfes,
düſteres Gemurmel, ein anfangs leiſes, unterdrück⸗
168, dann allmählig Lauter werdendes Schluchzen der
Frauen, Mädchen und Kinder. Gott fegne Euch!
Er jey mit Cuch, der Herr der Heerſchaaren!« rief es
va 5*
%
>
aus hundert Kehlen. „Denkt an Weib und Kind!
Seyd ſtark, ſeyd Männer!“ ſchrieen und kreiſchten
Andere. Da Segen Roſa plöglich zufammen. „Um
Gottes Willen!“ vief fi, und flog erſtarrti in — Arme
ihrer neuen Mutter. Sie drückte ihr Geſicht in den
Buſen der Dame. Sie deutete ſchaudernd hinter ſich
auf eine Schaar von Männern, die im dichten Nebel⸗
flor, von einem Zug Milizen geführt, auf das —
ſchiff zuſchritten.
„Was iſt's? was iſt's?“ rief Die erſchrockene
Oberſtin.
„Mutter! um Gotteswillen rette mich! — Rette
Deine Roſa!“ Mehr vermochte ſie nicht zu ſagen:
denn ſie hing in den Armen der Frau halb todt vor
Schrecken, ihre Glieder ſchlotterten, fie war von un—
endlicher Angft ergriffen.
Da ftürzte plöglih von hinten eine riefiglange,
hagere Geftalt, gleich einem Gejpenfte, unter Die
Gruppe der Damen, riß Roſa mit Niefengewalt aus
den Armen der Frau und hielt fie mitden langen, dürren
Händen umfchlungen, mehr wie ein Hölifches Nacht-
gefpenft, denn ein Erdenbewohner. Mutter und Töch⸗
ter waren vor Entſetzen kreiſchend zurückgeſprungen.
d,
4
— 69 ⸗—
„Was iſt's ?“ rief der Capitain, der mit gezücktem
Degen herbeigerannt war. J
Der Indianer ſtierte ihn mit den rollenden Augen
eines Raſenden an, drückte Roſa krampfhaft an ſich,
nur den langen Hals ſtreckte er gräßlich nach dem
Dampfſchiffe hin, und ſeine furchtbar funkelnden Au⸗
gen ſtierten nach. „Der Häuptling der Salzſee;“
ſtöhnte er. EN
Roſa blickte auf. Sie ſchaute um ſich. „Mikol“
rief fie, wer ift gegangen. Sey ruhig, Miko, der
Mörder Canondahs und der Deinigen ift auf dem
Strome.“
Und allmahlig wurde fein Blick ruhiger. Seine
Hände fielen von dem Mädchen, er blickte nochmals
ftier auf und ſchwankte langſamen Schritted den Sei-
nigen zu.
„Am Gottes willen, Kind, was ift das age
rief die entfeßte Oberftin.
Roſa zitterte noch an allen Gliedern.
„Der Seeräuber, Mutter. /“
Kind, Du täufchgf Dich,“ rief die beforgte Dame.
„Wie folte der Seeräuber hieher kommen?“
„Nein, nein, verſetzte fie; „der Miko hat ihn auch
= Re as
. 4 710 ⸗— F
geſehen.“ Und wieder ſchaute ſie ängſtlich hinüber
auf die Dampfboote, aus deren Kaminröhren num der
Rauch heftiger zu qualmen anfing. Einige Male
zifchte der Dampf noch wierafend herüber. Ein lan-
ges, taufendftimmiges Gott fegne Euch, ſchallte hin—
über, fam herüber, die Schiffe hoben fich, wandten
ſich und trieben dann der verhängnißvollen Ferne zu.
Einunddreißigſtes Kapitel.
Beliebtd Euer Wohlehren, meine armen Dienſte
zu genehmigen. Möchte gerne Euer Brod ver-
foften, und wenn’s noch fo ſchwarz wäre, und
Euern Trank, und wär’ er auch der wäflerigite,
und für vierzig Schillinge will ih Euer Wohl-
ehren fo viele Dienfte thun, als ein Anderer
für drei Pfund. :
: Öreene.
„Sind fte abgezogen ?« fragte ein Mann mit Teifer
Stimme, als wollte er die Umftehenden in ihren
ſchmerzhaften Betrachtungen nicht ftören.
„Sp wie Ihr jeht,“ verfeßte ein Zweiter; „Ihr .
jeyd unter den Riflemännern Wb; Ihr ſolltet ſchon
geſtern da geweſen ſeyn; Euer Capitain ift fort.“
„Damn!“ verſetzte der Mann. „Wären es auch,
Du. ! ’
* — 7
wenn uns nicht Dieſe zurück gehalten Hätten. u Gr
wies auf eine Gruppe von fünf Männern, mit denen
er fo eben vom jenfeitigen Ufer gelandet, und die ver=
wundert fehienen, als fie fich plöglich in einer dichten
Reihe von Männern, Weibern und Kindern befanden,
von denen Einige ihre Ohren den ferne her ziſchenden
Dampffchiffen nachhielten, Andere in ſchweren Ge—
danken vertieft ftanden, wieder Andere ihre Tücher
an die Augen hielten. Es war etwas Ergreifendes
in diefer Todesftille der vielen Hundert Männer, Frauen
und Kinder, die, ohne einen Laut von fich zu geben,
noch das Zifchen der Dampffchiffe erborchen zu wollen
fchienen. Das Gefpräch, obwohl leife geführt, Hatte
jedoch die Aufmerkſamkeit auf die jo eben Angefom-
menen gerichtet, von denen Zwei ald Nachbarn bes
grüßt, der Dritte als der entlaufene Neger des Ober-
ften Barker erkannt, und der Vierte einige Augenblide
betrachtet und dann als ein befonderer Aufmerſamkeit
eben nicht fehr werthes Subjekt entlafjen wurde, der
Letzte jedoch. eine rafıhe Bewegung und ein Gemur-
mel veranlaßte, das ſchnell lauter wurde. „Der
Spion,“ rollte ed von Mund zu Munde.
„Bei Jafus!“ rief der Junge, den wir ald den
ne
Vierten bezeichnet, mit einer feharfen, Enarrenden,
rauhen Stimme, und einem Dialekte, der ihn fogleich
als einen Sohn Erins verrieth. „Bei Jaſus! Mei⸗
ſter James, das iſt eine luſtige Hetze; was das für
einen Lärm ſetzt. Als wir ankamen, hätte man eine
Maus laufen hören können; kaum haben wir aber
einen Fuß ans Land geſetzt, ſo hebt der Tumult und
Schrecken an, juſt als wenn eine NYankeefregatte an
einen königlichen Zweiundfünfziger angeprallt käme.“
Der angeredete Maſter James, der, wie unſere
Leſer errathen werden, wieder unſer unglückſeliger
Britte war, gab Feine Antwort. Mit zufammen-
gepreßten Zähnen und Lippen ftand er ſtieren, Teeren,
halb verwilderten Blickes, der, wenn er auch nicht die
Begrüßung, mit der er bewillkommt worden, wechtfer-
tigte, mindeftens auf harte Stöße während feiner
dreipigftündigen Flucht deutete. Das Gemurmel „der
Spion“ war mittlerweile immer lauter geworden.
Der Irlander beſah zuerſt ſich vom Kopfe zu den
Füßen, dann feine beiden Gefährten, und riefluftigaus: _
„Spion, bei Jingo! Wer, glaubt Ihr wohl, Daß
ein Spion ift? Meines Waters Sohn? Ei, das ift
zum Todtlachen. Mafter James, das Milch- und
— 3%
Blutgefiht?« Er ſah ihn nochmals an. » Der Neger-
gentleman? Hol’ mich der Teufel, wenn Ihr bei
Sinnen feyd. Im unferer Familie, den Murphys zu
Kildare, fol mich — verdammen, lebt Keiner, der
noch gehängt worden wäre. Spion! geht zum Teu⸗
‘sel, Ihr ſeyd nicht gefeheibt. 4 Er brach in ein un=
bändiges Gelächter aus.
Iſt ja Dein Bruder Paddy zu Dublin mit der
Hanfbraut getraut tworden, 4 rief ihm Einer der zurück⸗
gebliebenen Milizen zu.
„Da fprecht Ihr wie ein verdammter Maul-
dreſcher; fuhr der Irlander heraus. „Es war mein
Stiefbruder, der Mami ihr Balg, ift im Greenhoufe
in der Kaferne vom Brette getanzt. Wäre nicht ihr
Couſin zu Camarthaen in dem Teufelöneft aufgefeflen,
ſo wäre er noch in feiner Jacke. Er hatte aber feine,
hatte fie für eine Bouteille Whisky noch’ im Loche
verfehachert, wurde im Hemde gehängt. u
„Haft recht, Paddy,“ rief ein Zweiter, der den
Spaß nicht kalt laſſen werden wollte. „Aber Dein
Bater, der Davy Murphy ?«
—
9J5
„Iſt wegen eines elenden Fäßchens Magentroſt
som Conſtable Meigs erſchoſſen worden. Verdamm—
—H Tu —
ter Narr! Ein fo ehrlicher Tod, als ihn Einer nur
ſterben Eann.
„Und Deine Schweſter zu Cork iſt ja wegen —
diebſtahl confiszirt worden!“ rief ihm ein Dritter zu.
„In Cork? Bei Jaſus,“ lachte der Irländer. „Im
Cork? Haben in ganz Cork kein Schaaf. Sind froh,
wenn fie eine Ziege füttern Eönnen. Der Grashalm,
der übrig bleibt, da machen fie Tihee daraus. Arme
Mary!“ rief er drollig. „Als ich fie zum zweiten
Male jah, da fagte fie mir: Du, Davy, fagte fie,
fey gefcheidt, fagte fie, und — “
Der Yuftige Irfänder wurde in feinen Familien
befenntniffen, zum Leidiwefen der Männer von Ope—
louſas, wieesfchien, durch zwei Milizen unterbrochen,
die, Gewehr. im Arm, nun von dem MWachthaufe
ankamen, um ihn mit feinen zwei Gefahrtenin Empfang
zu nehmen... Er fah einen Augenblick verwundert die
Beiden an, und fehrie dann, fich niederhodend, mit
närrifchem Gelächter: „Mafter James Hodges! Ma—
fter James Hodges! Parleh fouhs frenseh Monsie-
hour ?4 Und wieder lachte er fo unbändig, daß ihm
zufeßt der Athem verging. „Ci, Mafter James!“
fiherte er, „als wir da geftern mit Befen und
— 75
Stöden erpedirt wurden, Wer hätte da glauben
follen, daß und in vierundzwanzig Stunden darauf
jo viele Auszeichnung erwiefen und mir mit einer
Ehrenwache eingeholt würden ?«
„Ich glaube,“ rief Einer, „hinter dem ſteckt etwas
mehr, als der bloße Schalfsnarr. |
„Parleh fouhs frenseh Monsiehour?“ jchrie der
Irlander wieder mit einem tollen Gelächter.
„Das ift ein närrifcher Kauz,“ riefen einige Mi-
lizen. „Laßt ihm doch feine Freude.“ Und fofort
schloß fich der ganze Haufe der Männer und Kinder
an den Zug.
„Parleh fouhs frenseh Monsiehour?“ ſchrie er
wieder, indem er ftille ftand und narrifch Tachte.
„Könnt auch nichts ‚“ fuhr er in feinem iriſchen Bro=
gue fort. „Hol mich der Teufel, da fagen die Nar-
ren, Louiſiana ift halb franzöſiſch, Halb Danke.
Damn ye, unfer Pfaffe, der Pater Kirkpatrif, weiß
es befjer, und meines Vaters Sohn hat's von ihm
gelernt; aber wo ich noch angefragt habe, hat mich
Keiner verftanden. 4
„Du bift ein kecker Burſche,“ rief ihm Einer der
Offiziere zu, wein paarmal vierundzwanzig Stunden
—d 76 —
bei Waſſer und Brod werden Deine Landſtreicher
zunge wohl langſamer machen.“ |
Der Ire fah den Sprecher eine Weile zweifelhaft
an; dann fiel fein Inuernder Blick auf Die Umſtehen—
den, die augenscheinlich Durch feine tolle Laune ergötzt
waren, und wieder fehrie er: „Parleh fouhs frenseh
Monsiehour ?“ aus. feiner blauen Jade ein Papier
hervorziehend „Mit Euer Wohlehren Erlaubniß,
ein Seemann von der Brigg Sarah, Gapitain Mo—
rand, ein Landsmann von mir, der aber Nankee ge=
worden, und Hol’ mich der Teufel, ich werde auch
einer. Nichts über die Danfees. Parleh fouhs fren-
seh Monsiehour, Majfter James Hodges?u wandte
er fich zu Diefem. „Ach, Mafter James! wären: wir,
wo wir geftern waren; die Beſen und Stöcke find bei
alledem nicht fo gefährlich, wie dieſe Stußer da.“
Der Yuftige Schalksnarr hockte fich wieder nieder
und lachte toller als je: „Parleh fouhs frenseh Mon-
siehour ?“ |
„Deine Abfertigung ift richtig, « ſprach der Offizier,
aber wie Famft Du zu dem Gefangenen ?u ' |
„Parleh fouhs frenseh?“ rief der Ire. wieder.
„Hol' mich der Teufel, wenn ich felbft weiß wie, und
—7>-
es fagen kann. Meine Zunge ift jo troden, feit ich
die Stadt verlaffen habe, als wenn fie eine Gallon
Erbſenwaſſer hinabgeſchwemmt hätte.“ Und wieder
ftand er ftile und lachte pfiffig. |
Das halb eonfiscirte Schelmengefiht, in Dem ein
Zug von Gutmüthigfeit mit einer derben Portion
irifeher Unverjchämtheit und unbezwingbarer Laune
fich fpiegelte, hatte die ganze Escorte allmählig in
eine Stimmung verjeßt, die, fo ernit fie anfangs
war, das Lachen Faum mehr unterdrücken Eonnte.
Der Zug näherte fich nun dem Wachthaufe, der Ire
hielt jedoch alle zehn Schritte. Einer der Offiziere
nahm ein halbes Dollarſtück aus ſeiner Börſe und
hielt es zwiſchen den Fingern.
„Ach gnädigſter, ſüßeſter, liebſter, ſchönſter, hold—
ſeligſter, allerfürtrefflichſter, ehrenfeſteſter Squire,
Major, Oberſter, General, Lieutenant oder gar
Corporal!“ rief der Irländer, ſeine Hand nach dem
Geldſtücke mit einer poſſierlichen Fratze ausſtreckend,
die ein allgemeines Gelächter erregte.
„Ei, die alte Frau mit ihrer Kappe und der Adler
mit ſeinen Sternen, die find doch tauſendmal ge—
ſcheidter, al3 der närriſche Capitain Morand. Wollte
„aus
mich mit aller Gewalt unter ein Corps Breitwilliger
Haben, da gegen die Rothroͤcke zu fechten. Hol mich
der Teufel, wenn ich’8 gethan habe. Ei, wenn's noch
der Accife gegolten hätte, oder eine Gallon Kildare
Whisky Dabei zu verdienen gewefen wäre. Hört 'mal,
Euer Whisky hier ift 'm Teufel zu ſchlecht. Ah,“
blinzte ex pfiffig, „Davy ift fein Narr, hätte ihn Sir
Edward erwifcht, fo hinge er. Das ift auch Einer,
hat in eine Gelbrothe hinein geheirathet. Ein ver-
dammter Drangemann. Ah, Mifter, nun laßt uns
'mal eins dem Mafter James Hodges zutrinken.“
„Bleibe nur unterdefjen hier,“ erwiederte der Of-
fizier. „Du gebft mit ins Wachthaus; wird Dir
aber nichts gefchehen. «
»Bei allen Mächten! fehrie der Ire, „ind Wacht-
haus fol ich! Was wollt Ihr damit? Weil ich
nicht in der Freicompagnie dienen wollte, fol ich ins
Wachthaus tu .
„Paddy,“ rief ihm der Nächſtſtehende zu, „Dei⸗
nes Vaters Sohn iſt ein gewaltiger Narr."
„Bei allen Mächten, er iſt's 54 rief der luſtige Ire
wieder. „Aber doch fein folcher Narr, feine Finger in
den fochenden Topf zu fterfen. Hab’ mich aufn
*
u
— 79
Meg ins Land gemacht, und da bin ich nun. Braut
Ihr 'n gewichsten Burſchen? Kann Alles in der
Welt, nur Geld machen nicht. Schreinern, zimmern,
Schuhe flicken, Strike drehen. Hol’ mich der Teufel,
wenn zwifchen Cork und Dublin Einer 's mit Davy
Murphy aufnimmt. Davy, fagte Seine Wohlehren,
der Squire zu Samarthaen, Davy, fagte er, wenn
aus Dir nicht etwas Rechtes wird, fo heiß mich etwas.
Aber geftern hättet Ihr mich fehen follen! Bei Jafus,
da war ich wild. Verdammter je nantang pas.
Damn him. Sein! Sat mich über die Stiegen hin—
abgeworfen, mich nantang pas aufgeheißen. Kann
mir’ Einer jagen, was das nantang pas ift? Wenn
ich's wüßte, ich ging hinüber und drehte dem Land—
lubber den Hals um, und follte ich morgen baumeln.“
„Du mußt ung nur fügen, wie Du zu dem nan-
tang pas gefommen biſt.“
Unfer Britte hatte bisher in ftummer Wuth die
nimmer endenden tollen Ausbrüche feined Leidens—
gefährten angehört; num fchien jedoch feine Geduld
ihr Ende erreicht zu Haben, und er faßte den Jungen
am Arme, ihn heftig jhüttelnd. „Wenn Dir nicht
Dein Maul hältſt, verdammter Taugenichts, fo dreh
— 0 —
ich Dira — er konnte jedoch jeinen Sag ticht vol⸗
Venden, denn im nämlichen Augenblick — me
Männer von dem Jren weg.
„Ruhe, junger Menſch!“ fprach der Eine mit BER
fo ernften Miene, daß dem zusfenden Jünglinge das
Wort auf den Lippen erftarb.
„Geduld, Mafter James,“ ſchrie der etwas aus
feiner Faſſung gefommene Ire darein; „Ihr feht, die
NYankees haben nicht gar zu vielen Reſpekt vor einem
englifchen Gentleman; am beften iſt's, Ihr ergebt
Euch in Euer Schickſal. Hätt's nicht gedacht,“ fuhr
er fort, „hat's aber ſchon meine Großmutter ihrer
Tochter gefagt. Hörſt Du, Davy, jagte fie, Dayy,
fagte fie,-bift ein geſchickter Balg, fagte fie, und geb’
nur recht fleißig in die Schule zum Pater Murdoch,
fagte fie, aus Dir wird etwas Hohes. Aber der ver-
dammte Greole, fein Wort franzöſiſch kann er.“
„Und Du haſt mit ihm geſprochen?“ fragten *
Zwanzig lachend.
„Mit ihm geſprochen? Ei, das hab' ich, hab' mit
größern Herrn geſprochen als dem ſchäbigen Creolen
da, und verdammt mag ich ſeyn, wenn's nicht wahr
iſt; hab' mit ihm parlirt, fo klar, jo deutlich, wie's
»
RE
{1
nur immer jeyn fann. Fragt nur Mafter James.
Ah, der arme Mafter James! der hat 'mal fo ein
Armefündergeficht, — habt doch 'mal Mitleid ;.Hatt’n
juft ein paar Stunden zuvor aufgegabelt, lugte mir
da am Waldrande herum, wollte mit dem ſchwarzen
Gentlement da nicht recht hinein und nicht heraus;
dacht' mir, bei Dem ſieht's auch nicht zweimal richtig
aus, willſt doc) 'mal ſehen, was fie vorhaben, hat's
aber im Geſicht; hab'n kaum angeſehen, wußt' ich
ſchon, wie viel es geſchlagen hatte. Ei, ſagt' ic,
Maſter, ſagt' ich, woll'n 'mal zufammen ſchauen, ob
wir den Nankees nicht ging Nafe drehen und und
nah Newyork oder Philadelphia durchſchlagen können.
Es fann doch fo gar weit nicht ſeyn?“ |
„Eine Kleinigkeit,“ Yachten Alle; „fünfundzwanzig⸗
hundert Meilen. u
„Nankee⸗Meilen?“ fragte der Irlander mit einem
pfiffigen Blinzeln, „davon gehen eis. .r eine
englifche. «
„Der Kerl ift witzig,“ riefen ihm Einige zu.
„Ne, Spaß bei Seite, fir es wirklich zwei⸗
tauſend ?“
„Fünfhundert darüber, und gute.“
Der Legitime. II. 6
a a ei,
J—
—8 82 —
„Bei Jaſus!“ kreuzte ſich der Irländer, „wenn's ſo
iſt, da war meines Vaters Sohn doch ein gewaltiger
Narr, daß er feine ſechsunddreißig Dollars fo ver⸗
ſilbert, ald wenn fie ihm in der Taſche brennten.
Und wenn fie nun Alle jo find, wie der verfluchte
Nantang pas, ftellt Euch) 'mal vor: ald wir ung denn
da mit Mafter James und dem Neger-Gentleman
zufammen gefunden, da machten wir und aufn Weg;
hr wißt warum und weßwegen: in unfern Magen
hatte es bereits zwei Mal Mittag gefehlagen. Wohl,
famen denn fo in der beften Intention auf ein Haus
zu, und ein ſauberes Haus war's auch noch ‚ ftebt fo
ein Landlubber mit zmei Lehdies vor der Thür, und
fieht uns ganz behaglich zu, wie wir Einer nad) dem
Andern angeftiegen Famen. Mafter James hielt ſich
jedoch zurück und wollte auch mich nicht vorlaſſen;
aber Davy iſt Fein Narr, und fo ging er denn friſch
d’rauf und d'ran. Es that Noth, in meinem Magen
rumpelte e8, fo wahr ich meines Vaters Sohn bin,
wie in der Sarah, wenn ein Nordiwefter angezogen
fam. Thut mir nur leid um den ſchönen Kratzfuß
und die vielen Gomplimente, die ich ſchnitt; aber die
— 83 ⸗—
Damen waren ſauber, keine ſchönern in Dublin, und
das will viel ſagen.“
Der Ire war mit feiner Begleitung, worunter wir
die ſämmtlichen zurüdgebliebenen Milizen verftehen,
vor dem Wachthauſe angelangt. Cine Anzahl der-
jelben hatte fih vor den Eingang geftellt, fo gleich-
jam ftillfehweigend den Wunfch zu erkennen gebend,
noch etwas mehr von dem Yuftigen Zeiſige zu hören,
ehe ex in die Wachtftube abgeführt würde. Sein um-
gemein drolliges Wefen und. feine unverftegbar um=
verſchämte gute Laune hielten die Mienen feiner Zus
hörer in fteter Tachluftiger Spannung.
Wohl, Gentlemen,“ fuhr er fort, „rückte ſodann
die Kappe in der Hand an meinen Mann und die
beiden Lehdies heran, und fragte ihn auf fo gut fran=
zöftjch wie Ihr je gehört habt: Parleh fouhs frenseh
Monsiehour ? fagt’ ich ; wui, jagt er; da war ich froh.
Mir find zwei arme reifende Gentlemen von der See,
mit dem ſchwarzen Gentleman vom Lande hier, Has war
der Neger, und wir wollten gerne fogleih nad New⸗
york oder Philadelphia oder Bofton, wenn das näher
ift, jagt’ ich. Da winkt der verdammte Landlubber,
ſchaut mich an, als hatt! er im feinem Leben feinen
6 *
— 84 —
Theer gefehen, und heißt mich — einen Je
nantang pas.“
„Das Parleh fouhs frenseh Monsiehour Haft Du
franzöſiſch gefragt, das Uebrige aber in Deinem
kauderwälſchen irifehen Brogue, 4 bemerkte Einer der
Umftehenden lachend.
„Ei, bei allen Mächten! wie glaubt Ihr wohl,
daß meines. Vaters Sohn auch reden ſoll, als in ſei⸗
ned Vaters Sprache?u
&3 brach nun ein Gelächter aus, fo brüllend, fo
übermäßig, daß die bereit weit entfernten Frauen
und Mädchen verwundert ftehen blieben. Nur der
Britte ſchoß wüthende Blicke auf feinen armen irlän-
diſchen Reifegefährten.
„Und was thateft Du?“ fragten ihn Zwanzig.
„Damn yo,“ fuhr der Ire fort, als fich der Auf
ruhr ein wenig gelegt hatte, „glaubt Ihr, ich hab'
ihn fo bald fahren Taffen, wenn mir aus der Küche
herüber der Dampf fo Tiebreich in die Naſe fuhr? ich
fragte ihn nochmals: ‚Parleh fouhs frenseh Monsie-
hour, jagt ich, und der Kahlkopf jagt wieder wui,
und als ich ihm wieder unſere Noth auseinander
ſehte, ſchaut er mich wieder wie verrückt an. Der
R
5
Maulaffe, er verftand wieder kein Wort franzöſiſch,
und als ich ihm weiter erklärte, ward er zornig und
hieß mich wieder einen Je nantang pas.“
„Und Du?“ brüten Fünfzig.
„Fragt ’n nochmals: Parleh fouhs frenseh Mon-
siehour ? und dann jagt’ ich ihm, der Teufel joll ihn
holen, wenn :er fo gleichgültig zufehen fann, wie
zwei Gentlemen am Hungertuche nagen. Er aber
hieß mich wieder giftig einen Je nantang pas. “
„Ei, das haft Du aber doch nicht geduldig ein—
geſteckt; riefen ihm Zwanzig mit brüßfendem Ge—
Lächter zu.
nDa fennt Ihr Davy Murphy ſchlecht, wenn
Ihr denkt, er ginge ſo leichten Kaufes davon; war
ſchon halb wild und rief ihm nochmals mit lauter
Stimme in die Ohren: Parleh fouhs frenseh Mon-
siehour ; aber da hättet Ihr ihn fehen follen, er wurde
toll wie Capitain Morand, wenn's nen Squall ſetzte
und er von der Numflafche weg muß, zappelte vor
Wuth an allen Gligdern und fuhr auf mich zu. Um
das hätte ich mich wenig geſcheert; aber es kamen ein
Halb Dutzend Neger mit Knitteln und Befen, Alle
auf mich los. Wurden ihrer zu Viele, und fo {haut
—) 86
ich denn, wo der Zimmermann s doch offen helaſſen
der verfluchte Landlubber!“ u
„Und. wie ging e8 Euch weiter?“ fragten Zwanzig.
„Hört 'mal,“ fuhr der Irländer fort, „in Eurem
Danfeelande weiß man nicht, ob man gefotten oder
gebraten ift; aber wenn wir nicht geftern in einer
Näuber- und Mörderhöhle waren, Mafter James
Hodges, fo will ich wie eine Kanone vernagelt —*
Bei Jaſus! Und die alte Vettel vor der Thüre.
„Hund,“ rief Einer der Hintenftehenden, „ich ve 3
Dir den Hals um, wenn Du meine Mutter fo titu-
lirſt.“
„Ei, Mutter! Capitain Rock hatte auch eine, und
James Kirkpatrik, der in Ketten zu Greenwich ge—
rade unterm Hoſpital am Strande hängt, könnt ihn
noch klappern hören, wenn der Wind zieht, der hatte
wohl auch eine?“
„Ne, weiter,“ beruhigten ihn Andere, „fürchte
Dich nicht. «
„Verdammt fey Deine Plauderzunge,⸗ rief ihm
der Britte zu, der ſich kaum mehr halten konnte;
„wenn Du nicht ſchweigſt, fo drehe ich Dir den Hals
um.“
— 97 —
Er machte Miene, ſeine Drohung in Ausführung zu
bringen, jedoch ohne auf den eigenwilligen Iren die
mindeſte Wirkung hervorzubringen; im Gegentheile,
der Zorn ſeines vormaligen Gefährten ſetzte ſein
Mundwerk nur um ſo mehr in Bewegung, als er
ſeinen Triumph in den Geſichtern der Menge las.
„Schaut nur, wie Ihr d'raus kommt, Maſter Ja⸗
mes,“ rief er, „und laßt mir die Sorge für meine
Zunge. Meine Zunge iſt eine ſo gute Zunge, wie
eine in Irland, hat Niemanden etwas zu leid gethan,
mieine Zunge; habt ſie nicht gefüttert, meine Zunge;
braucht ihr alſo nicht das Reden zu verbieten, meiner
Zunge.“
„Bravo, Paddy!“ rief es von mehreren Seiten,
„Du biſt in einem freien Lande.“
„Eben deßwegen,“ fuhr Dieſer fort, „aber der
Teufel ſelbſt hatte Reipaus genommen, wenn er mit
uns im Bette gewefen ware. Wohl denn, Gentles.
men, als wir fo liefen, die Neger hinter ung drein —“
„Selbſt Neger,“ Ereifehten ihm ein Dutzend Wol-
köpfe aus dem äußern Halbzirkel zu.
„Laß Dich nicht irre machen, Davy!“
„Wohl,“ fuhr der Ire fort, wald wir fo liefen —
ER NE
— 8 ⸗—
auch Mafter James hob feine Beine, da gings denn
“ fort über Stumpf und Stiel, durch Wälder und Fel-
der, weiß felbft nicht mehr wie lange, wir Tiefen wie
zwei ehrliche Unterthanen Sr. brittiſchen Majeftät
nur laufen können, wenn die Danfees hinter ihnen
drein find. «
„Das war nicht übel, Paddy,“ bemerkte Sin,
hier ift ein anderer halber Dollar. «
„Der Simmel fegne 68,4 verfeßteder Junge, „wenn
nur Euer Whisky nicht gar fo fehlecht wäre! — Wir +
waren ein paar Stunden jo ausgezogen, auf einmal
fahen wir una vor einem Haufe oder einer Hütte oder
einem Blockhaus, wie Ihr e8 nennen mögt. Saß da
eine Alte vor der Thür, und wieder fragt’ ich: Parleh
fouhs frenseh._Monsiehour ? und fie fehüttelte den
Kopf. Wollte ſchon abziehen, Dachte, da ſetzt's auch
nicht viel, fragte aber doch, ob wir nicht eine kleine
Unterlage für unfere rebellifchen Mägen und Knochen
haben könnten ; und hof’ mich der Teufel, fie fagt ja,
in einem fo guten Engliſch, als je in Kildare gehört
wurde; aber kamen uns theuer zu ftehen, die Schin=
fenfchnitte und Wälſchkornpfannkuchen und der Thee.
Es jah grauslih aus in der Stube, Fünnt mir's
—) 89 —
glauben! ein Menſchenkopf mit Füßen und Beinen
in einem Troge, die Arme in einem zweiten, dazu das
Grabeslicht; wir ſaßen wie im unterſten Schiffsraume
bei unſerm Nachteſſen.“
Der Britte wurde mit jedem Augenblite ärger»
licher. | |
„Wohlwerthe!“ fuhr der Ire fort, „Dayy ift fein
Narr, er weiß was er weiß, umſonſt hat uns die
alte Hexe nicht fo freundlich ind Haus hineingewinft,
und dann das Mefierichleifen in der ſpäten Nacht —
he? — haben wir's denn nicht mit unſern eigenen
Ohren gehört?“
Die drei jungen Männer, die die beiden Gefange-
nen und ihren luſtigen Compagnon eittgebracht hatten,
fprachen nun Teife mit den Milizen, und es entftand
wieber ein lautes betäubendes Gelächter.
„Und fie Haben alfo auf Euer Eoftbares Leben einen
Anſchlag gemacht? fragten ihn Mehrere.
„&i, Ihr mögt Lachen,» ſchrie der Ire, „wär't Ihr
aber an unſerer Stelle geweſen, wäre Euch das La—
chen wohl vergangen. Als wir fo im Bette lagen,
Mafter James und ich, und die draußen in der Stube
‚ unter einander zu wispern anfingen: Die Beiden ent-
— 0 ⸗—
gehen uns nicht, aber haltet die Mefjer parat, es ift
Nacht, und die Kugeln könnten fie nuranfehießen, laßt
ſie ruhig noch eine Weile im Bette und fehneidetihnen
die Knniegelenfe ab. Ja, fo jagten fe, und das mun—
felten fie,“ werficherte der Ire, „und was fagt denn
Ihr dazu? fragte er die Umftehenden.
„Das ift ja ſchrecklich,“ riefen Mehrere mit einem
Schauder, der wieder in einem brüllenden Gelächter
endigte. '
„Ja, das war e8 auch; aber wir fprangen, als
wir die Vögel fo fingen hörten, Beide zugleich aus
dem Bette, al3 ob der Donner drein gefahren wäre.
Mafter James, der wollt’ es anfangs nicht glauben;
aber dann horchte er felbft an der Thüre, und dur
die Spalte jah er ihrer Drei in der Stube, ihre Stußer
in der Hand und ihre Meffer auch, und auf unfere
Thüre fehauten fie jo grimmig, da ſprangen wir Beide
zugleich aus dem Fenſter auf gut Glüd.u
„Und Ihr zwei Schaafsföpfe habt in allem Ernſte
Mistreß Blunt für eine Räuberin und ihre Söhne
für Räuber gehalten?“ fragten ein Dutzend zugleich.
„Bei allen Mächten!“ rief der Irländer in verwirr-
tem Staunen, „wie meint Ihr das?“
—
N
— 1
„And die Hirſche, die fie in der Nacht zu jagen
ausgingen, auf Euch gedeutet ?« fragten andere Zwan⸗
zig, „und die geſchlachteten Schweine für gemordete
Menſchen angeſehen? und Euer geſcheidter Compag-
non, der Midſhipman im Donnerer Sr. brittiſchen
allerexcellenteſten Majeſtät, Hat ſich auch aus dem Fen⸗
ſter ſalvirt?“ fragte ein dritter Haufe.
„Ach Der ſprang,“ rief der Ire, in deſſen neblich-
tem Gehirn e8 allmäahlig zutagen anfing, „Der fprang,
als ob der Donner in den Mainmaft hineingefihlagen
hätte. Flugs war er durchs Fenfter; aber der arme
Gentleman war aus 'm Regen in die Traufe gekom—
men, und fehrie, als ob er am Spieße ſteckte; er war
einem brummenden Bären in den Rachen gelaufen.
Dweinnddreißigftes Kapitel. -
Wie ein Bogel, der ven Faden bricht
Und zum Walde Eehrt,
Schleppt er des Gefängniſſes Schmach
Noch ein Stückchen, den Faden, nach;
Er iſt der alte freigeborne Vogel nicht.
Göthe.
Unſere Leſer kennen die ernſte, ſtattlich ſteife Per—
ſon Bruder Jonathans oder, wie er ſich neuerlich zu
%
— A he ah naae
— 92
nennen angefangen hat, Uncle Sams, zu wohl, um
mit ihm nicht den etwas derben Scherz zu fühlen, der
ihn nun auf Koften feines ihm eben nicht jehr wohl-
gewogenen Verwandten zu Theil ward, und der, fo
wenig übrigens befagter Uncle Sam für vielen Spaß-
empfänglich ift, des wahren Salzes eine zu ftarfe
Dofis hatte, um ihn nicht zu vermögen, Die herge=
brachte, etwas fteife republifanifche Würde einftweilen
abzulegen und feine Lachorgane in Bewegung zu feßen.
Es war wirklich ein recht origineller Streich John
Bulls, mit all der gehörigen Farbengebung von Ueber-
muth und Albernheit, Troß und panifchem Schreden, »
die unferm Verwandten bei feinen Befuchen im Lande
Bruder Ionathans fo häufig Poffen fpielen und ihm
jene tragifomifchen Schattenfeiten verleihen, die das
Charaftergemälde erſt in feiner Vollendung darftellen.
Das Schickſal ſelbſt ſchien fich verſchworen zu haben,
unjerm jungen brittifchen Uebermuthe eine derbe Lek—
tion zu geben. Unſere Leſer werden nämlich aus der
verworrenen Relation des Iländers entnommen has
ben, daß unfer Held, gerade wie er mit feinem ſchwar—
zen Gefährten von der Straße in den Ward einzulen-
fen im Begriffe ftand, von Diefem entdeckt und mit
EEE TEN WER
— 9
iriſcher Zudringlichkeit um fo weniger losgelaſſen
- wurde, als er gleichfalls die Ehre hatte, ein Theer zu
fegn. — Auf dem Irrzuge, den fie nun miteinander
antraten, war der Irländer auf die erfte Prlanzung,
die in feinem Wege Tag, mit ächt irifcher Unverfehämt-
heit Sturm gelaufen, um mittelft feiner franzöſiſchen
Sprachkenntniß fich und feinen beiden Compagnons
eine Eleine Magenunterlage, wie er e8 nannte, zu
verfchaffen. Der Ire war in feiner Anrede an den
Creolen natürlich im parlez-vous francais ftedfen
geblieben und hatte auf fein weiteres, im rauhen iri=
ſchen Dialekte vorgebrachtes Kauderwälſch ein „je
n’entends pas‘‘ zur Antwort erhalten. Als er zu-
dringlicher wurde, ließ ihn der Greole wie es zu er=
warten ftand, im Glauben, er werde zum Beten
gehalten, aus dem Haufe werfen. Das Lücherlichite
dabei war jedoch der Umftand, daß der Junge noch
immtex, nicht begreifen Eonnte, warum der Creole ſei⸗
nen irifchen groben Brogue nicht für baar franzöſiſch
verftehen wollte, nachdem er doch fein parleh fouhs
frensch Monsiehour, das fich in feinem Gehirn feſt—
geſetzt, dafür erfannt hatte.
Der zweite Berfuch unferer Abenteurer war nicht
—9 4
weniger betrübt auögefallen. Vor einem Hinter:
wäldlerhaufe angekommen und da ſelbſtmitleidig auf-
genommen, hatte ihre aufgeregte Phantafie die
abgethanen Schweine für gefchlachtete Menfchen an=
gefehen und die Reden der fich auf eine nächtliche Hirſch⸗
jagd vorbereitenden Söhne des Hauſes ihre Gehirn-
kammer fo gänzlich in Aufruhr gebracht, daß fie, um
ihre Haut zu retten, in gerechtem Entſetzen bei Nacht
und Nebel aus Bette und Fenſter ſprangen wobei
unfer Midfhipman noch das Unglück hatte, einem
jungen Bären, der, wie dieß häufig der Fall ift, zur
Maäftung an einer Kette lag, in die Tagen zu gera-
then und fo feftgehalten zu werden, bis fein Hülfe⸗
ruf endlich die drei Söhne des Hauſes herbeilockte.
Auf unſern Britten nun hatte der Auftritt eine
ſeltſame Wirkung. Er beſaß überhaupt, wie unſere
Leſer wiſſen, bei vielem Muthe auch eine reichliche
Gabe jenes kalten, höhnenden Uebermuths, den die
ariſtokratiſchen Jünglinge des Mutterlandes ſo un⸗
vergleichlich in Worten und Geberden an den Tag zu
fördern verſtehen, jenen kalten, felbſtiſchen uebernmuth,
auf den John Bull ſich ſo viel zu gute thut, und der,
die Wahrheit zu geftehen, ihm vieleicht mehr genügt
— 5
hat im gewaltfamen und friedlichen Verkehre mit fei=
nen gefügigern und fehlichten Nachbarn, als jein wirkli⸗
cher Muth, der aber gewöhnlich den Kürzern zieht im
Verkehre mit feinem Falten, ftarren Verwandten. So
ſehr er ſich nun in dem Spotte gefallen hatte, den er
ziemlich derb bei jeder Gelegenheit über die ſogenannten
Nankees ausgegoſſen hatte, fo ſchien ihm doch die Noth⸗
wendigkeit nicht einzuleuchten, die kleine Züchtigung, die
er ſich ſelbſt zugezogen, mit Anſtand zu ertragen. Schon
daß er, ein Midfhipman im Donnerer, vor einen
bunten Haufen Danfees gebracht worden war und da
fein Verhör beftehen mußte, war ein Umftand, der
ihm, der fich feine Richter nie ohne die gehörigen
Perücken oder menigftens goldene Epaulettes denken
fonnte, mit Schauder erfüllte; daß aber eben dieſe
Danfees in ihrer plebejiſchen Frechheit fo weit gehen
und einen brittifchen Offizier, der die Lieutenantfchaft
gewifjermaßen in der Taſche hatte, zum Gegenftande
ihres Gelächters machten, überftieg fein Capacitäts-
vermögen fo fehr, daß wir ihn, den fröhlichen June |
gen, der biöher i in guůten und ſchlimmen Lagen ſich ſo
wacker und launig bewieſen, kaum mehr erkennen
würden, hätten wir nicht. den Schlüſſel zu dieſer felt-
a
*
— 6 —
famen — — im Ren HENE beſagten
John Bulls.
Er ſtand nun, in Folge ſeiner Entweichung und
der durch Roſa und die Indianer gegebenen. Aufklä⸗
rungen, abermals im Verhöre, das der Comman—
dant des Depots fogleich nach dem Exercitium zu⸗
ſammenberufen hatte. So ſehr Dieſer von ſeiner
Unſchuld überzeugt ſeyn mochte, ſo konnte er doch
nicht umhin, bei dem Vernehmen des jungen Man⸗
nes alle jene Genauigkeit und ſelbſt Strenge blicken
zu laſſen, die ebenſo die Unſchuld des Jünglings,
als ſeine eigene Unpartheilichkeit darthun ſollte. Ein
ſchleuniges Verfahren war um ſo nöthiger, als, trotz
der einleuchtenden Unſchuld des Verdächtigten, Gefahr
im Verzug obwaltete. Selbſt der Umſtand, daß ein
Bewohner des Städtchens mit in ſeine Entweichung
verwickelt wär, erfchien von einer um fo größeren
Bedeutung, als wirklich mehrere fehr gefährliche Ver—
ſchwörungen von Ausländern in der Hauptſtadt ent»
‚deckt worden waren. Allein ber Gapitain fand in
diefer feiner menfchenfreundlichen Bemühung, den
jungen Mann ſo ſchnell als möglich aus feiner Friti-
ſchen Lage zu reißen, nicht geringe Schwierigkeit in
— 7 —
Diefem, der es recht darauf angelegt zu haben fehien,
feine gute Sache felbft zu verbetben. Der junge Mann.
hatte den Kopf gänzlich verloren und jehon bei feinem
Eintritte in die Berhörftube dieſes durch einen Trog,
einer Sintanfegung alles Anftandes bewiefen, der die
ſämmtlichen Offiziere mit Unwillen erfüllte. Im Ver—
Laufe des Verhörs ſah fich der Capitain einige Mal
gensthigt, ihn ernftlich zurecht zu weiſen. Das Ver-
hör hatte bereit3 mehrere Stunden gedauert, ohne
ein Refultat zu ergeben. Selbft die Frage, ob er mit
einem der Einwohner des Städtchens im &inver-
ftändnifje geweſen, wollte er, trotz des Flehens Diefer,
nicht ‚beantworten. Mehrere waren bereits mit ihm
eonfrontirt worden und unter Diefen unfer Schenk-
wirth, den wir unter dem Namen Benito Eennen.
Die Offiziere fehritten nun zum legten Bunfte, näm—
lich der Confrontation mit. den Indianern. Zuerſt
wurde Roſa eingeführt.
„Ihr bekennt alſo nicht, daß Ihr mit Tokeah und
den Seinigen in Verbindung geſtanden ah gu — |
Capitain Bercy.
Der-Öefangene gab ein verdrießliches „Nein“ zut
Antwort.
Der Legitime. IN. 7
— 8 —
„Kennt Ihr junge Dame?u fragte der Ca⸗
pitain.
Roſa war an der Hand zweier ‚often vun bie |
geöffnete Thüre eingetreten. Sie verneigte ſich ſitt⸗
ſam vor den Anweſenden, die ihrerſeits aufſtanden
und ſie baten, ſich auf den Seſſel niederzulaſſen, den
Einer der Offiziere für ſie hinſtellte. Sie hatte jedoch
den Gefangenen kaum erſehen, als ſie auf ihn zu⸗
trat, und, ſeine Hand erfaſſend ‚ihn fragte: „Mein
Bruder! Du bift ſehr blaß; Wer hat Dir etwas zu
leid gethan tu
Das bekümmerte Mädchen, das ihm theilnehmend
wehmüthig ins Auge blickte, weckte ihn für einen
Augenblick aus feinem düftern Dahinftarren. Gr ſah
fie forſchend, kalt, Beinahe unwillig eine Weile an.
„AH, Roſa, find Sie es? Vergebung. — Und wie⸗
der heftete er feine Augen zur Erde.
Die Offiziere fehienen eine nähere Erklärung der
beiden jungen Leute zu wünfchen; aber der Gefangene
fehwieg fo eigenfinnig verdüftert, daß dem Mädchen,
das ihn einige Zeit verwundert angefehen hatte, ſicht⸗
lich bange ward.
„Mein Bruder !u ſprach fie mit flehender Stimme.
a u ee
— 9
„warum bift Du böfe? Du zürnt Kr Bi Deiner
Schwefter ?«
„Mein Bruder!“ bat fie abermals, wrede Doch!
ach warum bift Du nicht bei dem Miko geblieben.
Sieh, Canondah bat es Dir gefagt, daß die Weißen
Dich tödten würden. Ab, vielleicht wäre Vieles nicht
geſchehen. Mein Bruder! Nicht wahr, die Reit
find kalt?“ flüfterte fie.
Ein Knirfehen mitden Zähnen war all’die Antwort,
die fie erhielt. — Sie zog ſich verſchüchtert zurück
„Wollen Sie gefäligft, Miß Roſa,“ fprach der
Gapitain Percy endlich nach langem vergeblichen
Warten, „uns einige Fragen beantworten 2u
„Ja wohl, mein Bruder;“ verſetzte fie.
„Sie Eennen den Gefangenen?“ auf den Britten
deutend.
„Gewiß, mein Bruder!“
„Wie kam er in das Wigwam der Indianer?“
"Ganz krank und verwundet.“ EN
„Wer nahm ihn auf ?«
„Canondah, die Tochter des Miko, auf die Bitte
Nofas. Der Miko war auf der. großen Jagd.“
— 10 —
„Hat er während feines Aufenthaltes im Wigwam
der Oconees den Miko gefeben *« 2 |
„Nein, mein Bruder! Er zitterte vor Furcht; ihn
zu fehen. Er rannte Tag und Nacht, um aus dem:
Wigwam zu entfommen, ehe der Miko zurückkehrte
und nachdem er geſund geworden war. Er hat den
Piko nicht geſehen.“ |
„Er bat alfo mit den Indianern, männlich oder
weiblich, Feine Art von Verbindung gehabt?“
„Nein, mein Bruder! Er fprach bloß mit Canon⸗
dah, Die ihm zu eſſen brachte, und mit Roſa.“
„Wie lang blieb er im Wigwam?“ Ad.
nSiebzehn Tage oder Sonnen.“
- Der Öefangene hatte feine Augen ftier auf den Bo-
den geheftet; zuweilen raffte er fich auf, warf einen
Blick auf die Sprechenden, dann verfanf er in fein
voriges Dahbinftarren.
Der Capitain ftand num auf, und Roſen bei der
Hand nehmend, führte er fie ſeitwärts zu einem Site,
fie erfuchend, einftweilen Platz zu nehmen.
In demſelben Augenblicke trat der Milo, begleitet
von zweien ſeiner Oconees, ein.
„Tokeah!« rief der Jüngling, der den Indianer
DE re nur, A 4 2a Kr DD
m
‚eine Weile ftier anfah und dann wieder das Auge zu
Boden ſchlug. „Damn, Euer Wigwam,“ murmelte
er in fich Hinein, „hat mich in eine faubere —
geben: u
‚Der Häuptling fah den Gefingenen eine Weile
aufmerkſam an und ſprach dann: „Tokeah hat e8 fei=
nem Bruder gefagt, als er von ihm Abſchied nahm,
% daß ihn die Weißen als Späher einfangen würden. Mein
Sohn hätte bei dem rothen Männern bleiben ſollen.“
„Damn die weißen und dierothen Männer ;# mur-
melte der Britte zwifchen den Zähnen. „Wollte, ich
wäre lieber in die Hölle gerathen, als in Euer Wig-
wam und unter Die — 4
Der Indianer wurde immer aufmerffamer.
„Tokeah!“ fragte der -Gapitain, ift diefer junge
Mensch Derfelbe, der ſich vierzehn Tage bei Euch auf-
gehalten hat?“
„Er ift es,“ ſprach der Indianer, „den Eine, die
nicht mehr ift, und die weiße Roſe rag
des Miko gebracht haben.“
» Dem Eure Tochter die leibimgäftlice ee bat,
die er auf dem Leibe trägt. « |
Der Indianer nickte.
en e⸗ cu 2
»Der aus dem Wigwam entwiſcht ift, gegen Euern
‚Willen und Euer Wiffen ?“ fragteder >
„Ich glaube, Gapitain, Semertte der Zu
figende, „Sie follten die Beiden con — und
nicht dem Indianer die Worte auf die Zunge legem⸗ x
„Tokeah,“ ſprach der Häuptling, hat feinen Mund
bereitö zweimal geöffnet und feinen weißen Brüdern
- die Wahrheit gejagt; der Miko fehlief, fein weißer
junger Sohn Fam und er mar auf der Jagd, als er
ging.“
„Und warum,“ ſo fragte der Milizenoffizier den
Gefangenen, „habt Ihr Dieſes nicht früher geſagt?⸗
Dieſer gab keine Antwort.
Der Indianer ſah ihn eine Weile verwundert an
und ſprach dann: „Mein Bruder mag reden; er mag,
was Tokeah gefagt hat, mit feiner Zunge befräfti-
gen; der Mifo bindet feine Zunge nicht mehr.“
Der Gefangene ſchwieg noch immer. „Der Miko,“
fuhr er endlich mürriſch heraus, „weiß, was er zu
thun hat, und ich thue, was mir gefällig iſt.“
„Als mein weißer Bruder das Wigwam der Oe—
conees verließ,“ ſprach der Indianer kopfſchüttelnd,
„da band ihm Tokeah die Zunge, weil er den Pfad,
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der zu feinem Wigwam führt, rein halten wollte. Es
ift nun nicht mehr und der Seeräuber hat es ver-
brannt, Tokeal hat ihm den Rücken gewendet. Mein
y Bruder mag veden. Mein Sohn muß reden,“ fuhr
er nach aner abermaligen Pauſe fort; „die weißen
Brüder und der große Vater würden jonft glauben,
daß er und die Seinigen auf dem nämlichen Pfade
mit den Söhnen des Vaters von Canada begriffen
find. 7
„Glauben Sie, Gapitain, Daß dieſes in der Ord⸗
nung ift;# bemerkte wieder Einer der Beifiger.
„Ich glaube, es ift ganz’ in der Ordnung;“ er—
wiederte Diefer. „Wie wir aus dem Protokolle, das
vorgeftern mit den Indianern aufgenommen wurde,
erfehen, jo hat Diefer dem Gefangenen das Ehren-
wort abgenommen, die Lage feined Wigwams an
Niemanden zu verrathen. |
Der Indianer hatte unterdejien den Gefangenen
aufmerkſam betrachtet. „Mein —I FR ſprach er,
„iſt wie der Büffelſtier, ber in der rub
Sein Muth iſt im Loche —— u Und mit dieſen
Worten wandte er fich von ihm.
„James Hodges,“ fprach der Gapitain, 4° jeyd
x
Moe. er
% ;
hiermit aufgefordert, Grflärung über Cuern Aufent-
- Halt bei den Indianern zu geben. Ich kann bei dieſer
Gelegenheit nicht umhin, Euch Gerechtigkeit hinſicht⸗
lich der Treue widerfahren zu laſſen, mit der Ihr:
Euer, dem Indianer gegebenes Ehrenwort gehalten”
habt.u
„Sie haben ihn ja gehört, io wie das Mädchen.
Schreiben Sie, was Sie wollen; thun Sie, was Sie ai
wollen.“
„Ihr meint Miß Rofa, junger Menſchh verwies
ihm der Offizier, „dieſelbe junge Dame, die Euch mit
Gefahr ihres Lebens aus dem Wigwam entließ?«
Der Gefangene erröthete; einen Augenblick war er.
betroffen, dann fehlug er feine Augen wieder zur Erde. *
„Fahrt nur fort,“ bedeutete ihm der Offizier.
„Vergeßt jedoch nicht, daß es Eure Angelegenheit
nicht verfchlimmern wird, wenn Ihr von Perfonen
mit Ehrerbietung ſprecht, denen Fein Gentleman Ach⸗
tung verſagen wird, und die am wenigſten von Euch
Geringſchätzung verdient haben.“ |
„Sch habe nichts weiter zu fagen,“ verfeßte der
Gefangene mit etwas leiferer Stimme und beſchämt,
n
—$ 15 ——
wie es ſchien „Brauche Eure Gunſt und Gnade
nicht; ;4 fügte er mürriſch Hinzu.
„Junger Menfch! Ihr ſeyd irrig, wenn Ihr gfaukt,
es fey bloß um Euch in dieſer Angelegenheit zu thun.
Ihr feyd e8 der Ehre Eures Landes, Eurer Mitbür-
ger, der Flotte ſchuldig, zu der Ihr zu gehören vor=
gebt, den Verdacht abzumälzen, der auf Euch laſtet.“
England und feine Flotte werden ihre Ehre ſelbſt
zu rechtfertigen wiſſen;“ fprach der Gefangene, ſich
ſtolz aufiverfend. „Scheint, es kitzelt Eu,“ fuhr er
murmelnd fort, „daß Ihr mit guter Art einen Britten
in Eure Klauen gebracht habt, an dem Ihr Euer
Müthchen ungeſtraft kühlen könnt. — Macht, was
Ihr wollt.“
„Es kömmt mir vor, mit dem jungen Menſchen
iſt's nicht richtig; bemerkte Einer der Milizoffiziere.
„Ich glaube, wir heben einſtweilen das Verhör auf.“
Der Capitain ſchien Bedenken zu tragen und
wandte ſich nochmals an den Gefangenen. „Ihr wollt
alſo nicht Rede ſtehen?“ hin
Ein mürriſch trogiges Kopfſchütteln war Alles,
was er zur Antwort erhielt.
" Die Offiziere erhoben fih nun und der Gefangene
u E11 —
wurde abgeführt: Ohne aufzublicken hatte er ſich
gewendet und die Stube verlaſſen. Auch die India—
ner wurden freundlich entlaſſen, und Roſa wieder
von zwei Offizieren in die Mitte genommen und aus
dem Hauſe begleitet. u.
„Das ift ein jo dummer, roher Junge,“ heb end⸗
lich Einer der Beiſitzer des Verhöres an, „als mir
noch je einer in meinem Leben vorgekommen iſt.“
Nichts Hündiſcheres, Verſtockteres;“ verſetzte ein
Zweiter. „Es iſt, als ob das böſe Gewiſſen ihn
nicht aufſchauen ließe.“
„Ich weiß nicht,“ fiel der Gapitain ein, wer be-
nahm fich früber mit vieler Artigfeit und ganz ala
Gentleman. Ich bin wirklich ganz erftaunt über die
Beränderung, die mit ihm vorgegangen. «
„Ich weiß nichts vom Gentleman, bin auch Feiner,
jondern ein fchlichter Pflanzer, » bemerkte der dem Li—
niencapitain zunächft ftehende Hinterwäldler, «der im
bellgrünen Frack und pompadourrothen Pantalond
einen Capitain der Opelouſasmilizen repräſentirte,
„aber ſo viel ſehe ich, daß der junge Menſch einen
Trotz hat, wie Einer. Er iſt ein John Bull, ein
wahrer junger Bull, dem der Kitzel benommen iſt.
—9 107 —
Ich Hab’ ihn mir-genau in Opelouſas angejehen.
Jedes Wort war Hohn, jede Miene ausgelaffen,
muthwillig; es war des Spottes Fein Ende. Wißt
Ihr, was ihm den Kitel benommen hat? Die Ge-
schichte bei Mistreß Blunt. Daß er ein folcher Ha—
fenfuß war, und ſich fo in's Bockshorn jagen ließ,
das verzeibt er filh und uns nimmermehr. Glaubt
mir's, der Junge gäbe fein gutes Wort um fein Le—
ben, und wäre in diefem Augenblicke froh, wenn wir
ihn hingen.“ |
„Das ift auch meine Meinung,“ verfegte ein An—
derer. „Nehmt John Bull, jo wie Ihr ihn hier vor
Euch feht, den Hochmuthäteufel, und Ihr habt einen
Ochſen, und das ift der junge Menſch. Er hat den
Kopf verloren, und gab’ feinen Levy darum, wenn
man ihm aush den Hals nähme. Ich glaub’s auch,
es ware ihm lieb, wenn wir ihn hingen.“
"Sp hängt ihn, # meinteein Dritter. „Ich, meiner-
ſeits, kann nicht fehen, warum wir da mit dem jungen
Laffen jo viel Federleſens machen. Laßt 'n anrennen,
wenn er Luft dazu bat. Den ganzen Tag everzirt
und protofollirt. Es ift halb neun. Wollen doch
nicht bis Mitternacht ſitzen.“
—H 108 ⸗— 3
Wenn es ſeyn muß, Lieutenant Wels / (era
ein junger Mann, „ſo wollen wir. Es würde
und dem Lande zu keiner Ehre gereichen, wenn wir
uns den Trotz des jungen Mannes zu Nutze machten,
um John Bull Eines zu verſetzen. Das ſähe ſo hinter Yu
Rücken aus, daß wir uns wahrlich ſchämen müßte
Wir find hier, um der Sache auf den —* ‚u \
kommen.“ *
Capitain Percy ſchwieg. Er ſchien ſeine beſondern
Urſachen zu haben, ſich in dieſe heikele Angelegenheit
ſo wenig als möglich zu miſchen und die Sache ſelbſt
ſprechen zu laſſen; wahrſcheinlich hatte er auch deß⸗
halb eine größere Anzahl von Offizieren zum Verhöre
eingeladen, als es gewöhnlich der Fall war.
„Ihr habt Hier die Kriegsgefege,“ ſprach der Erfte
wieder. „Nach dem 22. $. gehört er vollkommen vor
unfere Schranken. Nach dem 43. $. da tft er der
Verachtung des über ihn niedergefegten Court zeihlich.
Selbft wenn das Leßtere nur vor die Ohren des Un-
tern kömmt, jo gnade ihm Gott. «
„Laßt mich machen, u ſprach der junge Mann, „ich
glaube, ich kann ihn zum Neden bringen. Laßt ihn
nochmals vortreten und den Irlander dazu.“
PR.
—
4
— 109 —
| „Wohl, Mifter Copeland, wenn Ihr meint;“
verfeßten die Uebrigen. „Sollte ung freuen.“
Nach einer Weile traten die Beiden ein.
„Daphy Murphy!“ ſprach der junge Mann mit:
ei ‚einem ermunternden Blicke, „Einige von uns haben
Meine. und Deines Leidensgefährten Gefchichte noch
nicht gehört. Laß doch einmal los. Wie war e8 mit
dem nangtang pas und dev Mörderhöhle?“
„Bapitain Percy!“ fehrie der Britte aufer fich,
wich bitte Sie um Gotteswillen.“
ECuer Wohlehren!“ rief der Irländer, ſich Hinter
den Ohren kratzend. „Meines Vaters Sohn iſt ein
närriſcher Kauz; aber feit der Geſchichte iſt der Gent-
leman da zum Narren geworden. Ich muß, wenn
ich muß; aber glaubt mir's, er überfchnappt. «
„Das kann Euch aber Alles zu nichts helfen;
verjeßte der Offizier mit einem ſcharfen Seitenblic
auf den Gefangenen, der abwechfelnd feuerroth und
leichenblaß wurde. „Wenn Ihr aber,“ fuhr er zum
Dritten gewendet fort, „Eure Zunge löſen wollt,
dann erfpart Ihr uns die Mühe, Euern närrifchen
Landsmann zu hören. Gebt Auskunft über das,
u — N: J
* * &.
*
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was Ihr gefragt werdet, und wir nn eig viel⸗
leicht das Uebrige erlaſſen.“
Der Gefangene ſchwieg J immer im ſichtlichen
innern Kampfe; dann fiel fein Auge auf den Iren,
und als Diefer das Zimmer verlafjen hatte, föste
fich auch feine Zunge. Uber erft nach geraumer Zeit”
war er im Stande, die ihm vorgelegten Fragen zu
beantworten. Als er geendet hatte, ſprach der Ca—
pitain: „Sunger Menſch, Ihr Habt dießmal befiere
Richter gefunden, als Ihr verdient. Ich hoffe, Eure:
Angelegenheit werde fich ausgleichen laffen.“
Dreiunddreißigftes Kapitel,
Mädchen, die gut burchfommert und warm
gehalten werben, find,. wie die Pliegen um
Bartholomät, blind, ob fie gleich ihre Augen
haben; und dann Yaffen fie mit fi handhaben,
*
da ſie vorher ſich nicht einmal — nenn a
laſſen.
Auch unſere Roſa ſchien etwas bange zu ſeyn, ein
wenig verſchüchtert; ein leiſer Anklang von Unruhe,
von leichter Verſtimmung war an ihr bemerkbar,
he
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J.
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die e ist hren Grund in der ernftern Betonung ”
# © überhaupt, die nach dem Abʒuge der Milizen einge⸗
treten war, vielleicht aber auch in den Eigenthümlich-
feiten des Hauſes hatte, in dem fie fich num befand,
das, obwohl achtungswerth, in vieler Sinficht doch
vielleicht nicht das geeignetite geweſen feyn dürfte, die
Mebergangsftufe zu bilden, und ein gewifjermaßen
aus dem Naturzuftande kommendes Kind, wie unfere
Roſa, mit den zwangvollen geſellſchaftlichen Verhält-
niffen der gebildeten Welt auszufühnen. — Unfer
Pflanzer nämlich ſtammte von einer jener ariftofra=
tifehen Familien ab, die, in frühern Zeiten herüber-
gewandert, die Eigenthümlichfeiten der englifchen
Ariftofratie auf den freien Boden unferes Landes mit
zu verpflangen beigetragen hatten, und die, obgleich
fie auf Titel feinen Anfpruch machten, ihre Stamm—
bäume noch immer eben fo wenig vergeffen haben,
als ihre im Mutterlande zurückgebliebenen betitelten
Verwandten. Zwar war das politiſche Glaubens—
bekenntniß des Oberſten das demokratiſche, und Miſter
Parker war Einer der Erſten geweſen, der ſich ſeit
ſeiner Ueberſiedelung der Partei des Testen Präſi—
denten und Gründers der: neuern demokratiſchen
——
Schule, die im Staate — 75— gewor n |
gejchloffen Hatte; und der Ernſt, mit dem er die Sache —
ſeines Freundes Copeland gegen Capitain Percy er⸗
griff, ſchien auch die Aufrichtigkeit ſeiner politiſchen
Grundſätze zu verbürgen. Die näher mit der Familie
Bekannten wollten jedoch wiſſen, daß er ſich nur noth⸗
gedrungen, und weil die alten Grundſätze Virginiens
hier ganz außer Mode, an die herrſchende demokra—
tifche Maforität angeſchloſſen hätte. Es wurde ſelbſt
behauptet, daß der Dberfte nicht nur die im 3. 1789
ausgefprochenen Herrichergrundfäge feines Staates,
jene gewifjermaßen zur firen Idee gewordenen Sym-
bole eines Achten Virginiers, fondern felbft die weiter
gehenden Irrlehren des alten Adams, wie er felbe in
feiner befannten Correſpondenz mit Guningham ges
offenbaret, im Herzen trage; felbft der Eifer, mit
dem er das Meeting und die dabei gefaßten Reſolu⸗
tionen betrieben hatte, wurde auf Rechnung jener
Schelfucht gefegt, die dem alten ariftofratifehen Bir
ginier nicht erlaubte, die Anmaßungen eines‘ a
dem Namen nach befannten und, wenn dag Gerücht
wahr ſprach, von einer unbedeutenden irifchen Ba=
milie abfiammenden Emporkömmlings, den der Zu⸗
“ ; 9*
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Be:
7
—9 13 &
fall gehoben, jo geduldig hinzunehmen. Es war
ziemlich allgemein angenommen, daß vorzüglich Mis-
treß Barker an diefer politifehen Gefügigfeit des Ober-
ften ihren Antheil habe, jo wie fie überhaupt nicht
nur mit den Führern der ariftofratifchen Partei in
ihrem Mutterftante, jondern auch in der Bruder- und
Danfeeftadt in Verbindung ftehen ſollte, noch immer
der Hoffnung Iebend, Die gegenwärtige demokratiſche
Tendenz in die ihrer Anſicht nach würdigere arifto-
fratifche des Mutterlandes oder wenigſtens Mutter-
ftaates umzuftimmen.
Diefe politiſchen Gefinnungen hatten nun, wie es
immer der all ift, auch auf das geſellſchaftliche Ber-
hältniß der Familie einen bedeutenden Einfluß ge—
äußert, und einen gewifjen höfiſch berechneten, ftatt-
Yich fteifen und wieder leichten Ion in ihr hervorge—
bracht, der jelbft den Nachbarn eine nähere Berbin-
dung zu verleiden ſchien, Die, obwohl fie in gutem
Dernehmen mit ihr ftanden, doch ihr. Beſtreben, ſich
populär zu machen, nichts weniger als zu würdigen
ſchienen, inſofern dem Oberften bereit mehrere Can⸗
vaſſe oder Bewerbungen um Öffentliche confidentielle
Der kegitime. III. 8
se
w J
J—
—H 114 &—
Stellen mißlungen waren, und dieſes troß der Be-
deutfamfeit, die ihm feine frühe Anfiedelung gab.
Es waren bereit8 zehn Jahre feit diefer Ueberſiede—
fung aus feinem Mutterſtaate Virginien verſtrichen.
Nichts verknüpft aber bekanntlich leichter, bindet
Bürger-und Bürger inniger an einander, als eine
folche, und befonders eine frühe Neberfiedelung. Die
mannigfaltigen Hülfsleiſtungen, die felbft der Aermſte
dem Reichen zu leiften im Stande ift, die vielfachen
Entbehrungen, die fih Alle — wenigſtens für einige
Zeit gefallen laſſen müffen, bringen die beiden End-
punkte der Gefellfchaft einander fo nahe, und knüpfen
fie fo feft, daß ein geringer Grad von Vertrauen und
Zuvorfommen Hinreicht, aus den neuen Nachbarn
dauernde Freunde zu machen. Das Benehmen der
zarten, an Ueberfluß und Bequemlichkeiten des Lebens
gewöhnten Mistreß Parker hatte damals ſehr ges
fallen. Sie hatte die Entbehrungen des Hinterwäld-
lerlebens mit einem Gleichmuthe ertragen, dem ſelbſt
ihre ärmſten Nachbarn die Bewunderung nicht ver⸗
fagen konnten. Hülfreich und tröftend, erheiternd
und Jeitend war fie ihrem Gatten zur Seite geftanden,
mit zarter Hand bemüht, felbft diefe Entbehrungen
*
—9 115 —
in Genüffe zu verwandeln. Noch war die Blockhütte
zu fehen, im der fie mit ihrem Gatten und Kindern
die erften Jahre verlebt. Mit Rührung wies fie in
die Ecke hin, wo in der einzigen Stube das Piano—
forte ftand, an dem fie ihres verehrten Händels fromme
Melodieen ihrer Familie nah vollbrachtem Tagwerke
vortrug. Mit Stolz zeigte fie Die abgetragenen Klei—
der, die in derfelben Hütte als Andenken hingen, und
von ihrer Hand gefertigt waren. Ste war überhaupt
eine Frau von trefflichen Grundfägen und einem aus=
gebildeten Verſtande; aber obgleich bei einem num
fürftlichen Vermögen einfach und feheinbar anfprud)=
108, hatte fie doch viel von jener Vornehmheit, durch
welche die Damen unferer fogenannten guten Familien
ihren Mitbürgerinnen gewiffermaßen als Muſter vor⸗
zuleuchten beflifjen find; und obgleich weit entfernt,
der guten Dame ein beleidigendes Vornehmthun zur
Laſt zu legen, fo hatte fie doch eben diefe Eigenthüm—⸗
lichkeit in eine etwas falfche Stellung zu ihren Mit-
vbürgern verfeßt, die ihrem Betragen etwas künſtlich
Kaltes verlieh, das vielleicht nirgends. aufgefallen
wäre, aber bei einem Volke, wo der geſellſchaftliche
i 8*
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Be und einftweilen, unſern —* dieſe
Awentungen über eine Familie zu geben, die zwar,
wie bemerkt, bei Allen, die fte näher kannten, in hoher
und verdienter Achtung ſtand, die aber doch einen f
gewifjen Keim der Ungufriedenheit in fich jelbft ent⸗
bielt, und in zu gefpannten Verhältniſſen lebte, um
ein fo kunſtlo 8 einfaches, aber empfänglich auffaſſendes —
Gemüth, wie das unferer Nofa, ganz anzufprechen.
Auf fie hatte das Zufammenleben mit dem gebilde-
ten, dem feinen Melttone vertrauten Kreife eine ganz
eigenthümfiche Wirkung. Zuerft war fte erſchienen,
als ob fie, in einen langen Schlummer verſunken,
plöglih aus dem Traume erwacht wäre, ſo friſch
Fächelte fie Alles an, und fo Tieblich ſpiegelte ſich ihr
ganzes Weſen in den neuen Umgebungen. Dieſer
Contraſt war wieder fo fein, fie erfchien fo bezaubernd,
felbft in den Kleinen Verftößen, die fie fich anfangs
zu Schulden kommen ließ, daß fie für ihre neuen
Sreundinnen, die das Verhältniß, indem fie bei den
KL 20
° Indianern gelebt hatte, nicht Fannten, wirklich zum
Räthſel wurde. Der reine mütterliche Sinn Ganon-
— ur
dahs, die wie ihr Schutzgeiſt nur Blumen * ihren
=
Pfad zu ſtreuen bemüht geweſen war, und die Zart-
heit, mit der ſie von allen rohern Berührungen mit
den Squaws entfernt gehalten worden, hatten auch
tie eine gewiffe Vornehmheit gegeben; aber ganz ande⸗
ſchen Hofleben, oder vielmehr der Poeſie dieſes Lebens,
das ſie häufig in den lebhafteſten Ergüſſen überraſchte,
und beſonders bei jedem unharmoniſchen Anſtoßen
> <
s
ter Art, eine Art Hoheit, eine Zurückgezogenheit, die |
ſich gleichjam um ihr ganzes Weſen gelegt. Es war
etwas Mikoiſches, etwas wie Anklang vom indiani=
auf ihr zart empfüngliches Gemüth bemerkbar wurde: -
Diefes unharmonifhe Anftogen fonnte, ungeachtet
der rückfichtsvollen und fchonenden Behandlung, die
ihr zu Theil wurde, nicht ausbleiben; denn es liegt
nun einmal im der Natur unferes freien Lebens, daß
es Diejenigen, die in zwangvollen Berhäftnifjen ges
lebt und fo geſchmeidiger geworden find, allzu ſchroff
— allzu frei und rückſichtslos anſtößt, und daß ſelbſt
die verfeinerten Sitten unſeres ſogenannten ariſto⸗
kratiſchen und dem hohen Weltton nähern Lebens,
dieſe Anſtöße um ſo weniger verhindern können, als
ihre ſteifern und geregeltern Formen diktatoriſcher
—d 118 >
feſtgeſetzt ſind. Bei jedem dieſer Anſtöße nun zog
ſich das Mädchen immer verſchüchtert zurück, der
Mimoſa nicht unähnlich, die, von einer rauhen Hand
berührt, in ſich ſelbſt zurückſchreckt. Allmählig wur
den auch die Folgen dieſer auf das Gemüth des Kindes
fieberiſch fröſtelnd wirkenden Anſtöße in einer gewiſſen
ſcheuen Bangigkeit bemerkbar; die Eigenheiten des
civiliſirten Lebens, indem ſie klarer vor ihre Anſchau—⸗
ung traten, ſchienen ſie mit dem niederſchlagenden
Gefühle ihres Zurückſtehens in Bildung zu mahnen.
Sie hing oft nachdenklich das Köpfehen, und Häufig _
ſah man Thränen in ihrem Auge. Immerhin dauer-
ten die Empfindungen nicht lange; ihre natürliche
Glaftieität und ihr Verſtand gaben ihre bald ihre
Schwungkraft wieder. Sie hatte überhaupt eine uns.
gemein richtig klare Anſchauung. Die Eigenheiten
und Charaktere ihrer neuen Umgebungen batte fie
gewiffermaßen in den erften Stunden herausgefunden.
Ohne erinnert zu werden, hatte fie fich die verſchie⸗
denen Formen des geſellſchaftlichen Lebens im Ums
gange in nur wenigen Tagen angeeignet. Ihre Sprache
verrieth noch am meiſten die Abgeſchiedenheit, in der
ſie gelebt hatte. Sie war wortarm, und kämpfte oft
EEE I
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EEE EEE Dr BEER
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—$H 119 —
mit peinlicher Berlegenheit, ihren Ideen Ausdruck zu
geben. Sie horchte aufmerkfam auf Alles, was ge
fügt wurde, und fann nach der Weiſe der Indianer
eine Weile nach, ehe fie Antwort gab. Wenn fie
jedoch erzählte, war fie unwiderſtehlich; dann war fie
ganz poetifche Natur.
„Ach, mein Gott!“ feufzte Virginie eines Langen
trüben Nachmittags von ihrem Sopha der Ma zu,
die auf einem zweiten, vor einem mit Wirthſchafts⸗
büchern und Papieren überdeckten Tiſche ſaß, ihr
gegenüber ein junger Mann, von dem unſere Leſer
als Aufſeher der Pflanzung und Sohne des mit
Sproſſen reichlich geſegneten Squire Copeland gehört
Haben — „Ach, Ma!“ rief die Miß wieder, indem
fie einen’ fürzlich an's Lebenslicht getretenen Roman
des fehottifchen Unbekannten auf das Sopha warf und
zum Fenſter eilte, „Alles todt und erftorben. — Nicht
einmal eines der Tieblichen Flachböte zu fehen. Fürs
wahr, man möchte auswachfen;“ ſchmollte fie in ko—
miſcher Ungeduld, der Mutter einen troſtloſen Blick
zufendend, die, ihrerfeitS zum Aufſeher — in
ihrer Rede fortfuhr: ”
ESie glauben alſo nicht, Mifter Copeland, daß
wir Vompey hinabfenden — *
& nen wir ihn doch auch nicht nehmen? |
— 120
„Er ſcheint gewitzigt,“ ſprach der junge N Pr
„Sie fpiekten ihm ſchrecklich mit, und vielleicht Laßt
fih noch etwas aus ihm machen. Ich denke, wir
laſſen ihn unterdeſſen oben. Hierher taugt‘ er freilich
nicht. Er hat ſich das Herumziehen angewöhnt und
verdürbe ung nur die Pflanzung. Wir Haben num
dreißig fo rubige Familien beifammen, wie w fich
9 ir wünſchen laſſen.“
* Ach mein Gott!“ ſeufzte Virginie darein. „Nichte
als von Bompey’s und Cäſars und Cato's und Cajus’
und Baummwollenballen zu hören!“ und mit diefen
\ Klagetönen ließ fie ſich wieder in eine etwas ſchmach⸗
tende Attitude nieder, das Köpfchen in die Hand ge-
ftüißt, und dem ſchottiſchen Zauberer, wie er ſich ſelbſt
mit wahrer ſchottiſcher Beſcheidenheit nennt, einen
huldvollen Blick zuwerfend. Das Gemälde zu vollen⸗
den, tanzten Roſa und Gabriele in das Drawing
room, Hinter ihnen drein ein ſchwarzes Kammer⸗
zöfchen, das einen ungeheuern Globus trug.
„Uns iſt es beinahe kalt in der Bibliothek gewor⸗
—
—— +
hen, u xief die Miß der Ma zu, „und ih will Moſen
nun gerade Alles erklären, wie Mistreß Me. Leod.“
Die Ma nickte Beifall zu, und-dag Töchterihen,
indem fie den nafelnden Ton der Benftonsvorfteherin
fo ziemlich annahm, begann: „Nun fennft Du Ame—
rika und weißt alfo, wo unfer Land zu fuchen iſt,
num, wo ift es?“ „Hier;“ wies Roſa.
Gerade daneben,“ lachte Gabriele. „Ei Du Un⸗
aufmerkfame. Das ift ja Neufüdwallis. Hier iſt es;
merke Dir es wohl u fuhr fie gewichtig fort. 6 iſt
das Hauptland von Amerika, verſtehſt Du, ſo wie
wir die Hauptnation ſind, und deßhalb vorzugsweiſe
Amerikaner heißen, während die Andern bloß Mexi⸗
caner, Peruvianer, Braftlianer genannt werden.“
nAber Ihr feyd en. aus Yankees?“ warf ihr
Rofa ein.
„Pfui, wer wird fo eitond 3 (age; Du garftiges
Kind! Wer hat Dir denn das gejagt? Danfees
heißen bloß Diefe da," — fie deutete mit dem Finger
auf die ſechs Neu-England-Staaten. „Diefe da find
und heißen Danfees. Wir heißen fie fo, weil fie ung
Wallnußholz für Muskatnüſſe und Hickory für Schin-
fen, und unfern Negern Miffifippifchlamm für Me—
ve
| — 12 &-.
dizinpulver verfaufen; überhaupt weil fie * die
Juden ſind.“
„Ah, was Du doch nicht Alles — rief Sir
gine etwas piquirt vom Sopha herüber. E .
„Huſh Siffi! wir find in einem freien Lande,“ |
Yachte fie, mit dem Finger drohend, ihrer Schweſter |
zu. „Es iſt natürlich, daß Du Dich der Yankees
annimmſt. Aber ich kann Capitain Percy gar
nicht“ —
„Aber Du biſt doch wirklich unausſtehlich, Ga—
briele;“ flötete ihr die bitterböſe Virginie zu.
„Siſſi, Siſſi,“ riefen Lehrerin und Zögling, und
hüpften auf die Zürnende zu, und ihr um den Hals,
und dann trippelte Gabriele zum Fenſter und tröftete
fie; „er wird. bald kommen, und wir müffen zuvor
enden.” Und dann hüpfte fie wieder zu — Globus
und fuhr fort:
„Nun, weißt Du, wo wir ſind? Wo ſind wir?“
„Da, Siſſi.“
„Recht ſo, mein Kind!“ betrüftigte die drei Monate
ältere Lehrerin.
„Nun, weißt Du aber auch, wo Europa iſt? Sieh,
hier iſt es, und hier iſt Aſien, und Afrika iſt da unten.
% — Beh MEER EN De co Een ir: TRETEN
— 128 —
Dieſe drei Welttheile werden die alte Welt genannt,
und der unſrige die neue.“
„Und warum werden ſie die alte, und der unſrige
die neue Welt genannt?“ fragte die aufmerkſame
Schülerin.
„Warum? Warum? Warum? Ja nun, weil
der unſrige neu, und deßhalb beſſer iſt. Alles was r
neu ift, ift beſſer als das Alte. Ja, auch weil der
unfrige ſpäter entdeckt wurde. «
- Der Zögling nickte Beifall zu.
7, Sieh, diefer Heine Fleck da, der ganz Kleine, heißt
| ‚ Großbritannien, und der noch kleinere daneben Irland,
j das find zwei Infeln.
} „Die dem thörichten Häuptling gehören, der die
been Canadas beſitzt?“
| „Richtig, mein Kind!“ bekräftigte die Präzeptorin.
; „Und hier ift Frankreich und hier Deutſchland, hier
Spanien und da oben Rußland, und eine Menge
Fleiner Staaten und Königreiche.“ |
„Königreiche, was find das für Dinge?“ fragte
Nofa.
„Das find Länder, die Könige haben oder Häupt—
linge, fo wie der Miko, nur viel größer. Und fie find
er = en na nem ———
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*
2
Aut *
N) —H 12 @
feine Wilden. Ste haben auch) Br Leute, denen ſie |
gebieten, und einen prächtigen Hofſtaat. Ma wird
Dir dieß erzählen. Sie ift im Drawing room der
Königin gewefen, von England nämlich, um die
Andern fümmern wir und nicht viel, und fie hat mit
ihr gefprochen. Sieh, diefe Völker und Linder müffen
Könige haben, weil fie ſich nicht ſelbſt regieren können,
und im Zuſtande der Kindheit ſind, der politiſchen
Kindheit nämlich, ſagt Da. Wenn fie die Könige
nicht hatten, ſo würden ſie in Unordnung und Revo⸗
u;
fution gerathen, wie fie e8 in diefem Lande,“ fie zeigte * 4
auf Frankreich, „gethan haben. Da ſie aber Könige *
haben, denen fie angehören und die mit großen Armeen
fie wohl ruhig ſeyn.“
3
*
und vielen Dienern ſie im Zaume halten, ſo T —
„Und was thun die Könige mit ihnen?“
„Je nun, gerade was der Miko mit den Seinigen
auch thut,“ erwiederte die Lehrerin, die Hier Erklä—
rungen ein Bischen in die Enge zu treiben anfingen.
„Sie regieren fie und machen Krieg und Frieden, und
verkaufen ihre Ländereien, weil ihre armen, Unter—
thanen glauben, daß fie von Gott eingefeßt find.“
„Sa, aber Gabriele, Du fagft, daß die alte Welt
*
.
J *
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»
4
I
noch in der Kindheit iſt, das kann doch nicht ſeyn;
wenn ſie alt iſt, ſo kann ſie doch nicht in der Kindheit
ſeyn.“
„Sehr gut kann fie es ſeyn;“ verficherte fie Ga⸗
briele. „Die alten Leute werden wieder zu Kindern.
Weißt Du das nicht? Sieh, weil wir jung ſind,
lernen wir noch immer Wir haben unſere Civili⸗
ſation von ihnen, und ſind bereits weiter fortgeſchrit⸗
gen. Aber fie lernen nichts von und. Wir haben die
Dampfſchiffe *) ſchon feit acht Jahren erfünden, und
als Ma mit Pa in England waren, ſahen fie noch
„. Feines. Mir find ſchon feit vierzig Iahren frei webeg-
"fie blieben immer was fie find. “
„Uber wie kommt denn dieß?“
Da eben, weil fie wie die alten Eindifchen Leute
fich Elüger dünfen als Andete — und weil Hain ihrer
Kindheit auch gehalten werden. *
‚ nRinder u mahnte Die Oberſtin aus dem’ erften
*) 1805 von Foulton erfunden, und ver erfte VBerfuch am Hud⸗
fon gemacht. 4809. wurden fie am Miffifippi eingeführt, und
bald feht vermehrt. Gegenwärtig laufen auf dieſem Strom gegen
vierhundert. |
—9 126 &—
Zimmer herrüber, „wartet bis die Lichter lonmen,
Ihr verderbt Euch ſonſt die Augen.“
Indem trat ein ſchwarzer Diener mit ſilbernen
Leuchtern ein, der zugleich die Argand-Lampen an—
zündete und dann zur Herrin leiſe ſprach.
„Laßt ſie eintreten;“ befahl ſie dann.
Eine junge, ziemlich gut ausſehende, aber etwas
trödleriſch gekleidete verſchüchterte Frau trat ein, ſah
ſich auf allen Seiten um, und nachdem ſie ſich ver⸗
neigt hatte, eilte fie auf die Oberſtin zu, um ihr Die
Hand zu küſſen. #
„Laffen Sie das, Madame Madiedo,* rief Diefe.
„Sie wiffen, daß dieß nicht Sitte bei ung ift. Haben
Sie mir etwas zu jagen?“
„Madame!“ Sprach die Frau in gebrochenem Eng-
ich, „Sie wiſſen, ich komme Ihre Milde anzuflehen. “
5 Es thut mir ſehr leid, liebe Madame Madiedo,“
erwiederte die Frau des Oberſten; „aber in den Fall
Ihres Mannes glaube ich er — zu
dürfen.“
„Madame!“ ſprach die — —* „Sie
wiſſen vieleicht nicht, daß mein V mit Ihrem
Neger nichts zu thun hatte?“
*
— 17 —
nr Aber deſto mehr mit fehlechten Menſchen;“ fiel ihr
die Dame ein. „Er hat jelbft einen Staatögefangenen
aus feiner Haft befreit. u
„Aber, Madame,” verſetzte die Framzoſin ein wenig
ſcheu. „Aber, Madame! das iftu —
„Was wollen Sie fügen? liebe Madame Ma—
diedo?“
„Es iſt dieſes eine Angelegenheit; “ ſprach die
Franzöſin und leiſe und mit ſtockender Stimme,
„welche die hohe Obrigkeit allein angeht, und mit
der wir uns eigentlich, ich bitte um Vergebung, nicht
befaſſen ſollten.“
„Das glauben Sie, meine Gute,“ fiel ihr die Frau
des Oberſten ein. „Und als Ausländerin geht Sie
wirklich dieſe Angelegenheit nur inſoferne an, als Ihr
Mann darin verwickelt iſt; aber als Amerikanerin
habe ich mit der Obrigkeit etwas mehr zu thun, und
es ſollte mir leid ſeyn, wenn durch meine Schuld der
Gang der öffentlichen Gerechtigkeitspflege gehindert
würde. Einem Verbrecher, der ſich an der öffentlichen
Sicherheit ſo ſchwer verſündigt, Vorſchub zu leiſten,
dazu werde ich nimmer einwilligen.“
Die Franzöffn erblaßte bei Anhörung diefer Works,
®
428 —
die in einem zwar ſehr gelaſſenen, aber auch ſehr
kalten Tone ausgeſprochen worden waren. |
„Seyen Sie doch nicht fo fait, jo graufam. Seen
Sie gütig! Geben Sie mir eine fanftere Antwort.
Senden Sie mich nicht fo troſtlos zurück!” bat fie.
Roſa Hatte ſich unterdeſſen ſchon einigemale aus
dem zweiten Zimmer herangeſchlichen, war aber im⸗
mer wieder von Gabrielen zurüdgehalten worden,
„Was will die arme Frau?“ fragte fie.
„Ihr Mann hat den wegen Spionirens und Um—
triebe mit den Indianern verdächtigen Britten aus
ſeiner Haft befreit, und wurde deßhalb ins Gefaͤng⸗
niß geworfen.“
„Aber das hat ja Roſa auch gethan.“ 4
„Nein, Miß!“ belehrte fe die. Oberftin. Was
Sie gethan haben, war edle Selbitaufopferung ges
genüber einer wilden rohen Willfür. Sie haben ein
Menfchenleben gerettet oder zu. retten geglaubt; Ihre
Handlung mar edel, obwohl nicht ganz geſetzlich;
aber es iſt immer verdienſtlich gegen Willkür aufzu⸗
ſtehen, wo und in welcher Geſtalt ſie ſich zeige; aber
der Mann dieſer Frau hat aus ſchlimmen Abſichten
weiſen Geſetzen, die unſere Mitbürger ſich zu ihrer
I ee
— 1 u —
=
*
— 129 8 ;
Sicherheit gegeben haben, ſeines eigenen Vortheiles
willen allein, in die Hände. gegriffen. 4
Dieſe etwas lange Erklärung war wieder in dem
gelafienen, aber unter den gegenwärtigen Verhält-
niffen etwas rückſichtloſen Tone gegeben, der mehr
Schein — als wirkliche Tugend zu verrathen ſchien;
auch war die bedrängte Franzöftn beinahe ungeduldig
“geworden. „Mein Gott,“ murmelte fie halb Yaut
zu fich jelbft: „ſie Spricht wie ein Richter, der auf dem
Stuhle fit, während mir das Herz im Leibe fprin-
gen möchte. Was doch diefe Menfchen für Kalte
Naturen haben!u —
Die Dame mochte die Worte vernommen haben;
ohne fie jedoch zu ‚beachten, fuhr fie in demfelben
belehrenden Tone fort: „Unfer Land hat Ihrem
Manne, ohne nach jeinem frühern Betragen zu fragen,
ein Aſyl unter der Bedingung angeboten, daß er
denſelben Gefegen gehorche, unter denen auch wir
ftehen, Daß er befonders nie etwas gegen Die Sicher⸗
heit des Landes unternehme, das ihn duldete,“ — fie
betonte dieſesU Wort. „Oberſt Barker hat Monfieur
Madiedo verhaften laſſen; warum, wiſſen Sie. Es
Der Legitime. IL - 9
* a et YA — ——
* z
— 130 & —
geziemt nicht mir, dem, was er r gethan, entgegen zu.
handeln. «
„&r iſt nur, weil er keine Bürgfeaft Reiten Sonnte,
gefangen gefegt worden; fehluchzte die Franzöſin.
„Ein Wort von Ihnen, und er ift frei. Erbarmen Sie
ſich unfer. Seit feinet Verhaftung haben wir feinezehn
Binten verkauft. Alles feheut uns "Alles hat fich vor
und zurädgezogen. Es ift ein graufames Land diefes.
Statt und in unferem Unglücke beizufpringen md
aufzuhelfen, drücken fie immer nur tiefer hinab. zn
„Es ift fein Frankreich, noch ein Spanienzu
feßte die Dame ernft. — j |
„Leider, nein!“ jammerte die Sranzöfln.
„Da dürfte vom Volke allerdings die Befreiung.
eines Staatsverbrechers als verdienſtlic angeſchen
werden, weil ſie Niemanden gefährdet als den Ge⸗
walthaber; hier iſt es Verrath an der Menſchheit,
an allen Bürgern — und es freut mich, daß Dieſe ſo
viele öffentliche Tugend beſitzen, um ihren Abſcheu |
auf alle Weife zu erkennen zu geben. « \
Die Obriftin erhob ſich nun von ihrem Sie, und
ein leichtes Kopfnicken gab der Frau zu verſtehen, daß
ſie entlaſſen ſey.
— 131 — ie
Sp richtig im Ganzen genommen die bier ausge⸗
fprochenen Grundfäge waren, fo fehlen deren Ans
wendung boch ſowohl dem jungen Copeland als
Roſen nicht ganz zu gefallen, an aus ganz ver⸗
ſchiedenen Gründen.
Die Letztere hatte ſich zum Fenſter heſchlichen, und
der ſich entfernenden Franzöſin nachgeſehen.
„Ach Mutter! laſſe doch das troſtloſe Weib nicht
ſo von Dir,“ — bat ſie, ee * bekümmert
f altend. x
„Miß Roſa!“ erwiederte Die Dame etwas vor⸗
nehm: „Wollen Sie gefälligſt/ — fie deutete auf
Gabrielen, zu der das Mädchen verfehlichtert ſchlich.
„Es ſind fürchterlich gräßliche, im Grund und
Boden verdorbene Menſchen, diefe Ausländer,“
jeufzte die Frau, indem fie ſich wieder fegte. „Wann |
wird doch einmal dieſe ſo ſchrecklich mißbrauchte Gna⸗
denthüre ſich ſchließen, dieſes ar, dag * Ken |
erkaufte Freiheit — n
Sie hielt inne und fah den jungen Gopeland vo
ſchend an.
„Das wollte ich auch wieder nicht, # fiel ihre Dieſer
aſch ein. „Dieſe Menfchen da ſchaden unfern Bürgern
9*
— 132 —
nichts, fie geben nicht. böſes Beiſpiel, weil fi Nie⸗
mand nach ihnen kehrt; aber ihnen unſere Thüre zu-
thun, würde heißen auch die Guten ausſchließen, in
andern Worten, die Alien bill mit all ihrem Trieb-
werfe wieder in den Gang bringen. Das ware —
Tories juſt recht.“
Er ſah die Dame ſcharf an. —
„Laßt uns weiter in unſerm Rechnungsabſchluſſe;“
bemerkte ſie mit einiger Verlegenheit.
Dieſe Verlegenheit, in welche ſie der kleine Ver⸗
rath geſetzt, den ihr die Zunge geſpielt, indem ſie ſich
einen der heißeſten Torywünſche in Gegenwart des
jungen Copeland entſchlüpfen ließ, verließ ſie erſt
beim Eintritte des Capitains, der ungefähr nach zehn
Minuten erfolgte. |
„Mein Bruder,“ Fam ihm Noja, noch immer
über die jammernde Franzöſin finnend, entgegen.
nDein Geſicht ift heiter. Du bringft fröhliche Vot-
ſchaft. Und ift der Britte nun wirklich frei, und zürnt
er nicht mehr, und iſt/ —
„Miß Roſa!“ fiel ihr die Oberftin ein, „Sie fra-
gen für eine junge Dame zu viel. Auch haben Sie
toieder vergeſſen/ —
—9 133 ⸗—
U mfeiber!a verſetzte Diefe, „kann Roſa ſich nicht
angewöhnen, zu ihrem Bruder zu reden, als wenn
ihrer Zwei wären.“
„Ich glaube wirklich,“ verſicherte fi der Kapitain,
„Miß Rofa verfünden zu dürfen, daß er, an dem fie
fo unverdiente Teilnahme nimmt, gänzlich frei iſt.“
„Ihr Schügling jeheint Sie ſehr in Anſpruch ges
nommen zu haben,“ bemerkte Virginie etwas Ppdttifch.
„Das Viebe Alt-England wird es Ihnen Dank wiffen. #
„Ich Hoffe, auch das Neue,“ ſprach der Capitain
etwas ernft, „und ſelbſt Miß Virginie dürfte mir
Gerechtigkeit und vielleicht auch einigen Dank wiber-
fahren laſſen.“
„Ich bin ganz Amerikanerin, 4 verfegte Diefe etwas
fpröde, „und was ich von England gefehen habe, ift
wahrlich nicht geeignet, mich weniger ftolz auf mein
Land zu machen. Ich behalte meinen Dank gang
‚meinen Landsleuten vor. 4 |
„In dieſem Punkte,“ fiel der junge Copeland ein,
„dürfte Capitain Percy wirklich auf Ihren Dan,
Miß Virginie, fo wie auf den unfrigen Anfpruch zu
machen berechtigt feyn; denn er hat und sine Scham⸗
röthe erſpart.“
{a |
Ich habe bloß meine Schuldigkeit gekhan, Mifter
Gopeland,« bedeutete er dem jungen Manne etwas
vornehm. „Es ſcheint jedoch, daß noch Jemand an-
derer mehr. ala feine Schuldigfeit gethan habe. “
„Die Ehre feines Landes zu wahren, follteich glau-
ben, ift Schuldigkeit für Jeden; da brauchen wir
nicht Männer dafür zu bezahlen. Wir können e8
feröft thun,“ ſprach der junge Mann trodfen.
„Wie fol ich das verſtehen?“ fragte die Dame
den Gapitain. | EG
„Sie wiffen, theure Mutter,“ verſetzte Diefer,
die Ordre des Generals traf vorgeftern ein, kaum
drei Tage nach unferer Unterfuchung.“
„Ich follte meinen, die Zeit wäre hinlänglich, fie
zweimal hinab und herauf paffiren zu machen.“
„In gewöhnlichen Zeiten, nicht in diefen,“ verſetzte
ihr der Gapitain bedeutfam; „der junge Menfch ſcheint
unten Freunde gefunden zu haben, und in Gnaden zu
ftehen, fo daß Capitain Percy vielleicht ſelbſt es
wagen dürfte, ohne Anftoß zu geben —4 u —
„Ihm einige Güte zu erweiſen,“ fiel der junge
Eopelandsein. „Er verdient auch einige. Wenigftens
hat fein Betragen gegen die Indianer und den armen
415
Pompey ihn als einen warmherzigen feften jungen
Menſchen erwieſen. Und Haben Sie ihm ja etwas
Gutes erzeigt, Capitain, fo ift dieß wirklich nicht. Ihre
fchlechtefte Handlung. « Und mit diefen Worten packte
der Jüngling feine Bücher und Schriften zufammen
und verließ, mit einer ‚[eichten — gegen die
Damen, den Salon.
Räthſel und wieder Räthſel,“ — bie Oberflin,
„Was haben Sie doch mit dem jungen Eopeland, und
was hat Diefer mit dem jungen Britten zu thun ?“
Der Capitain hatte Diefem ſchweigend und kopf⸗
ſchüttelnd nachgeſehen. „Ich weiß ſelbſt nicht, was
der junge Menſch will. Uebrigens ſind mir meine
Herren Mitoffiziere,“ — ſein Geſicht verzog ſich in
ein unwillkührliches Hohnlächeln, „ein Räthſel. Hö⸗
ren Sie nur, Capitain Mike Broom hat ſich geſtern
in eigener hoher Perſon herbeigelaſſen, den jungen
Britten bei der Tafel aufzuführen, und Alle haben
ihm recht generös ihre Börſen angetragen.“
„Eine Aufmerkſamkeit, über die ich Ihnen vielleicht
einen Aufſchluß zu geben vermag;“ erwiederte die
Oberftin. „Sp viel ich weiß, hat der Bruder unſeres
—9 16 ⸗
Auffehers, der Lieutenant, feinem Vater das Reſul⸗
tat des letzten Verhörs gefehrieben. u
„Aha!“ fiel ihr der Capitain ein. „Nun verſtehe
ich — und der allmächtige Major hat ſein gnädiges
Fürwort eingelegt, und der junge Britte iſt nun von
den Söhnen hoch protegirt, und natürlich von der
ganzen Mannſchaft des lieben Opelouſas.“
„Ein guter Credit bei ſeinen Mitbürgern iſt vieles
werth, lieber Capitain; u Sprach Die Be: ; mit einem.
halben Seufzer.
Diefem ſchwebte noch die Antwort auf! den. Sippen,
als eine Ordonnanz eintrat und ihm ein verſiegeltes
Paket übergab. Zugleich gingen die Flügelthüren
auf, und die Worte: „Onkel, Couſinen,“ begrüßten
einen Zug junge Damen, die, von einem ältlichen
Manne begleitet, in den Saal eintraten.
Sie wurden von der Oberftin herzlich, aber auch
etwas finttlich empfangen. Ohne auf die Beweglich⸗
feit der drei übereleganten Mifjes oder die Ungeduld _
de8 Onkels Rückſicht zu nehmen, ging fie alle For⸗
men der etwas ceremoniöſen Aufführung ſowohl Ro⸗
ſas als des Capitains durch, obgleich ihre Gäſte von
Beiden nicht beſonders Notiz zu nehmen ſchienen.
*4
—4137 —
Vierunddreißigſtes Kapitel.
Wie doch jeder Narr mit den Worten ſpielen
kann! Ich denke, es wird in Kurzem ſo weit
kommen, daß Stillſchweigen die beſte Art ſeyn
wird, feinen Witz zu zeigen.
Shafespeare.
„Ja, da wären wir,“ ftöhnte der Onfel-darein,
ein fettes behagliches Männchen mit einer beneidend-
werthen Kupfernafe und ein paar graublinzelnden
Augen, die, man hätte ſchwören follen, irgendwo in
Conecticut oder Maſſachuſets das Licht der Welt er—
blieft haben mußten. „Ihr Habt alfo nichts vom
Dampfſchiff gehört? Wir liefen fo eben ein. #
„Recht ſchön,“ rief Virginie, „daß Site unfer nicht
vergefien haben, und den Sylveſter-Abend mit ung
Armen zubringen wollen. Ach, wir fiten ſchon eine
ganze Woche, wie die arabifchen Prinzeffinnen. 4
„Euer Fehler, 4 verfeßte der Onkel, fich den Schweiß
son der Stirne wifchend. „Warum feyd Ihr nicht
Hinabgegangen wie wir? Uns wurde es zu Haufe zu
' enge. Da ſetzten wir uns auf ein Dampfjehiff und
hinab ging es. Sind aber froh, daß wir wieder weg
find. «
— 138 —
„Froh:“ rief Eine der drei Miſſes. „Aber Ba,
wie können Sie nur ſo ſagen? Wir wären gerne
unten "geblieben, aber Ihnen wurde bange.u
„Ja, ftellen Sie fich nur vor, liebe Schwägerin ‚« |
verfeßte der Onkel, „die tollen Mädchen wollten ab-
fofut unten bleiben. O Schwägerin! Sie haben
feinen Begriff, wie ſchrecklich es da unten ausſieht.
Ich verſichere Sie, es wird mir —— zu
Muthe, Fein Handel, Fein Wandel —
„Aber Partien genug!“ fiel ihm wieder Eine der
Miſſes ein. |
„Es muß ein fehr freier Ton unten ſeyn, Miß
Georgiane;“ bemerkte die Oberftin etwas ernft.
„Sehr frei, liebe Tante; die altwäterifche fteife
Manier ift ganz verfehwunden. Man ift ganz sans
gene. 4 N
„Was ich ſehr mißbillige, Miß;“ verſetzte Die
Oberſtin.
„Hörſt Du, Miſſi?« fiel ihr der Pa ein. „Ach
mein Gott!“fuhr er fort, „nur Trommeln und Pfei⸗
fen zu hören. Auf der Renee nichts als Gegelte und-
Mannſchaft — ererzierend, trommelnd, pfeifend, lär—
mend; und hinunter an der Levee — Gott fey ed ges
4, — J — N RN — TER V
ea bag Le Ber ar la SE EM an ar ar
| —9 139 ⸗—
Hagt! Wagen auf Wagen, Karren auf Karren, mit
Munition, Pulver, Lebensmitteln — Neger und
Milizen, Offiziere und Mannfihaft, Mattofen und
Generale, Alles unter einander. Mußten felbft zum
Dampfiehiffe zu Buße gehen. Das ift aber Alles
nichts, Mistreß Parker,“ fuhr er, fich ſelbſt erfräf-
tigend,, fort — „das ift Alles nichts!“ rief er noch⸗
mals, ſich die Stien trocknend. „Uber Fein Schtif zu
feben, feine Brigg, nicht einmal ein armfeliger Scho-
ner. Oberhalb der Vorſtadt Annunciation liegen
noch ein paar abgetacelt, und das ift Alles; und das
Zehren auf imfere often, als ob es nimmer ein Ende
hätte! Das Herz möchte Einem zerfpringen. Wenn's
noch ein halbes Jahr fo fortgeht, fo find wir Alle
ruinirt.“ Der kurzathmige Bflanzer war ganz leben—
dig in der Befchreibung feiner und der allgemeinen
Noth geworden.
„Ach!“ jeufzte er wieder. „Meine arme, arme
Baumwolle! Stellt Euch nur vor. Habe da in der
Preſſe Rilieur an die zweitaufend Ballen, die Ernte
der Veßten drei Jahre. Was gefehieht? Der General,
mir nichts, dir nichts, läßt fünfhundert Ballen her-
ausnehmen, ohne mir nur ein Wort zufagen. Fünf-
Br ah!
10
— Ballen! Dreifigtaufend Dollars! Prime
Cotton. Glaubt denn der einfältige General, meine
Baumwolle komme mit den Baumftämmen —
ſouri herab!“
„Ich verſtehe nun,“ ſprach Mistreß Barker. —
„Ihr ginget hinab, um Eure Baumwolle aus den
Klauen des Generals zu retten. Das hättet Ihr Euch
immer erſparen können. Auch wir haben fünfhundert
Ballen hergegeben. Sie wurden geſcatt und werden
vergütet werden.“
„Und dann, wenn einige Kugeln einſchlagen, wiegt
ſie um ſo ſchwerer,“ tröſtete ihn der Capitain, der
zeitweilig von ſeinen Depeſchen das Männchen anſah.
Der Pflanzer hatte Beide mit Ungeduld angehört.
„Erſparen können? ſchätzen? erſtatten? — Ich ſage
Euch, es iſt ein Eingriff in's Eigenthumsrecht, der
ſchrecklich iſt. Sollte er nicht meine Einwilligung ab—
gewartet4 —
„Und den Feind zugleich gebeten haben, zu wars
ten, bis Mifter Bowditch dieſe zu geben gejonnen
wäre,“ fiel der Gapitain etwas ſpöttiſch ein.
„Ich werde es ihm ſchon weiſen,“ verſicherte Die—
ſer. „Stellen Sie ſich vor, dieſer Quaſi⸗Pflanzer
2
— 11 — | ⸗
von Naſhville da, der kaum hundertundfünfzig Ba
Yen Upland-Cotton mit all jeiner Generalfehaft zu⸗
ſammen bringt, will einem Mann wie mir die Thüre
weifen! Ich dränge mich hindurch mit meinen Kin⸗
dern. Sie wollten die Befeſtigung des Lagers ſehen.
Drei Stunden hatten wir zu gehen, zwanzigmal wa—
ven, wir in Gefahr, unter die Räder zu kommen, und
als ich endlich vor dem Hauptquartier anfomme, (äßt
er mir jagen, er habe Feine Zeit, ſich mit meinen An-
gelegenheit zu befafjen. “
Es war ſehr unartig, Tante, wir können Sie
verfichern ;u meinten die drei Miffes.
Unfer Eremplar, einer jener Republikaner, deren
wir im Norden und Süden eine ſo erkleckliche Anzahl
haben, und die, wenn es darauf ankäme, lieber den
Schach von Berfien zu Washington figen fähen, als
ein Prozent ihrer Aktien oder einen Ballen ihrer Baum-
wolle zu: verlieren. war in eine mäßige Aufwallung
gerathen, fo viel namlich feine comfortabte Leibes⸗
beſchaffenheit und eine Affaire von dreißigtauſend Dol-
lars zuließen. Das Tiheegeräthe, das nun aufgetra-
gen wurde, unterbrach einigermaßen feine gerechte
‚Erbitterung und er gewann ein ruhigeres Ausfehen;
ue ⸗ —
als aber bie. Diener fie erg baten, Lu er
wieder 108. | | \
„Stellen Sie fich nur vor, Tiebe — —
wiſſen, unter dem letzten Landhauſe, wo —A
quartier aufgef chlagen hat, zweihundert Schritte darun⸗
ter, da liegt meine Baumwolle und noch zehn⸗ bis
zwölftauſend Ballen mehr. Und alle hat ſie zur
Bruſtwehr verwendet. Sie läuft mannshoch vom
Miſſiſippi zu den Cypreſſenſümpfen quer durchs Land,
eine halbe Meile lang. Die ganze Baumwolle iſt mit
Erde überworfen, davor ein Graben, acht Schuh
breit und ſechs tief. Auf den Flanken find die —*
terien mit Sechzehnpfündern.“
„Miſter Bowditch, / verſicherte der Capitain, „Sie
haben die ganze Befeſtigung des Lagers jo bündig an⸗
gegeben, daß auch der befte Militär nichts ausfetzen
könnte.“
Unſer Pflanzer nahm eine Taſſe Thee und fuhr
fort: „Ich verſuchte es, den Miſter Parker zu einer
Meeting zu bewegen, klopfte bei Floyd und Bower's
an. Allen hat aber das Kanonenfieber die Köpfe fo
verwirrt, daß gar nicht daran zu denfen ift.“
„Aber ich wundre mich nur, wie Sie felbft an fo
En ne =
—
ER Se Ze
ie
| ”
etwas denken Eonnten, — in einem jo kritiſchen Zeit-
punfte daran denfen fonnten, u bemerkte die Oberftin,
mit ſichtlichem Mißfallen an dem grob I Tätige
Schwager. ’
„Wie, was?« fragte Diefer, mund Euer Meeting
— He?«— —
— ein unveräußerliches Bürgerrecht aufrecht
zu erhalten.“ |
„Unveräußerliches Bürgerrecht! — Ei, ei, rau
Schwägerin! — oder um dem guten Mann vorläufig
„ein Bein unterzufhlagen, falls er es fich gelüſten
laſſen follte, einft im weißen Haufe wohnen zu wol-
len. Hab' aber nichts Dagegen einzuwenden. Es ſteht
auf dem Grund und Boden von alt Virginien und
ſollte eigentlich alfo nur Virginier zu Einfaßen Haben. «
„Es follte mir leid thun, wenn Sie fo etwas den⸗
ken könnten,“ ſprach Mistreß Parker mit einem Tone,
dem man anſah, daß ihre Gelaſſenheit * eine harte
Probe geſtellt wurde.
„Denken!“ fiel ihr der Schwager ein. „Ich denke
nichts, gar nichts. Am Beften fo. — Ich denke an
nichts, als an meine Baumwolle. Denken mögen
au
Die, die nichts Beſſeres zu thun habe Dar
für eine, andere Taſſe. u *
„Und der General hat Ihre ——
Proteſtation gegen ſeine Gewaltthätigkeit, wie" € {
es nennen, hingehen laſſen?“ fragte der Capitain.
„Hingehen laſſen?“ entgegnete der Pflanzer ver-
wundert. „Wie meinen Sie dieß?“
„Ich kann mich unmöglich eines gelindern Aus—
drucks bedienen.“ &
„Sie denken alfo, er jollte mir haben ein Zimmer-
chen in der Nahe der Cathedrale im Staatögefäng-
niffe anweiſen laſſen?“
Der Militär ſah ihn bedeutſam lächelnd an.
„Capitain Percy!“ ſprach das dicke, runde Männ-
chen, und es wurde ungemein ernſt. „Wir nennen
unfer Land frei, weil Jeder unverholen feine Meinung
fagen und fih vollfommen ausfprechen mag; was _
das Handeln betrifft, jo bejtimmt das Geſetz, das
heißt die Mehrzahl, und die Minderzahl mug ih
fügen. Wenn Sie aber meinen, daß des Generald
Erklärung des Kriegsgefeges und Belagerungszu—
ftandes mich auch nur um eine Sylbe an meinen Rech⸗
ten verfürzt hat oder verfürzen kann, fo irren Sie
— 15 ——
fih. Ih Bin ein Virginier; aber in diefem Punkte
gegen die Adminiſtration und folglich gegen den Krieg,
‚+ und billige ganz, was die Hartford-Gonvention ge-
than hat, und habe mich "auch in diefem Punkte er-
klärt.“ |
Und mit diefen Worten ahob er ſich von ſeinem
Sitze und ging in das andere Zimmer, wohin die
jungen Damen ſich, als die Converſation dieſe ernſte
Wendung genommen, zurückgezogen hatten. Der
Gapitain jelbft ftand raſch auf und empfahl fi.
Ueberhaupt ſchien der junge Mann, von dem wir
zwar nicht viel geſehen oder gehört haben, der ſich
aber bei mehreren Gelegenheiten, und ſelbſt im Pro-
zeſſe des Dritten, als wohlwollend und zartfühlend
erwieſen hatte, feine natürliche Stellung gegenüber
feinen Mitbürgern ganz unrichtig aufgefaßt zu haben.
Er hatte etwas militarifch Kurzes, etwas gebieterifch
Raſches, ein gewifjes herrifch gentlemanifches We—
fen, mit einem Ton von Selbjtbewußtjeyn, der fi
nur unwillig in die bedachtlich abgemefjenen Formen
de3 Öffentlichen und Privatlebend zu fügen wußte,
und bei jeder Gelegenheit an dem felbftjtändigen Sinn
»
feiner Mitbürger anftieß. Was ihm jedoch vorzüg-
Der Legitime. IM. | 10
a Sail.
— 116 —
lich mangelte, war die Achtung für die PER die⸗
ſer ſeiner Mitbürger. Er zeigte eine gewiſſe Gering⸗
ſchätzung, die häufig in einen ſchneidenden Hohn über⸗ *
ging, eine Eigenheit, die er wahrſcheinlich ſeiner Er⸗
ziehung in einem ganz ariſtokratiſchen — und damals
den Amerikanern ſehr abholden Lande, vielleicht aber
auch der Gewohnheit des Befehlens verdankte.
Allein dieſer Mangel an Achtung für die öffent—
liche Meinung, und weit mehr noch Geringſchaͤtzung,
wird nirgends härter beſtraft als in dieſem Lande.
Was auch immer die Fehler des Amerikaners ſeyn
mögen, Achtung für die Meinung jedes. Menſchen iſt
ihm angeboten ; politifche oder religiöfe Unduldfam-
feit find ihm fremd und verhaßt. Alle Gefinnungen,
alle Prinzipe können fich bei ihm unumwunden aus⸗
ſprechen, alle Grundſätze und Religionen leben und
weben friedlich neben einander und verſchmelzen durch
eben dieſe Duldſamkeit jeden Tag mehr in ein har-
monifches Ganzes. Er hat natürlichen Abſcheu nicht
nur gegen alle Vorrechte, ſondern jehon die bloße
Anmafung, felbft fogenannte großartig leidenſchaft⸗
lich herrifche Empfindungen find ihm zuwider, meil
er überzeugt ift, daß fie die Natur des öffentlichen
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7 NEN ET RER EN N. ©
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—u7 —
Lebens trüben und in Gährung bringen. So be—
ſchränkt daher unfer Mifter Bowditch feyn mochte,
fo einzig und allein er nur Eine Idee im Kopfe hatte, .
nämlich feine Baummolle, fo war doch die bloße Zu-
muthung des Gapitains, die Beſchränkung ſeiner
Freiheit betreffend, hinreichend geweſen, feine phleg⸗
matifche Gottonfeele weit mehr zu empören, als es
ſelbſt die gefährdeten fünfhundert Ballen vermochten,
und die Art und Weife, wie Mistreß Parker ihre
Mißbilligung äußerte, verrieth nur zu fehr ihre voll⸗
fommene Beiftimmung.
Die jungen Damen hatten unterdefjen in dem zwei⸗
ten Kränzchen ihre Derzendergießungen begonnen.
„Alſo die Ma will ſelbſt das Pianoforte nicht er⸗
lauben, fo lange der Onfel und Charles vor dem
Feinde ſtehen?“ fragte die Aeltefte der drei Gragien.
»Die unten machen fich das Herz nicht fo ſchwer.
Befuche über Befuche von beiden Ufern. Da find die
Longs, die Broadheads, die Johnſons, die Smiths,
Alle find fie unten.“
„Und die englifchen Dffiziere;“ fiel die Zweite ein.
„Ich verſichere Dich, Vergy, nichts Schöneres. Eben,
als wir im Lager waren, kam ein Major als Par—
10*
— 118 —
lamentär an. Er bedauerte unendlich, daß die Damen
Louiſianas in ihren Karnevalsunterhaltungen ſo ver⸗
kürzt würden, und lud ſich und die Seinigen weit m
artig zu unfern Bällen ein. « Ä
„Kam aber derb weg,“ ſchaltete der Papa ein,
„Tanz und Bälle,“ erwiederte der General, /ſollten
ſie genug haben, mehr als ihnen lieb ſeyn werde. Er
meinte eiſerne Bälle.“ |
„Und Bartieen find lie in Menge;“ begann
die Erſtere wieder.
„Ja, ftellt Euch nur vor,“ fiel der Pflanzer wieder
ein, „die Melly heirathet den Gapitain Warburton.
ft feit dem Falliment ihres Vaters Feine zwanzig
Dollars werth. Er nichts werth, als feine Gage —
fie nichts — wo die Leute nur hindenken!“
Roſa, welche die angefommenen Gäſte nicht jehr
anzufprechen fehienen, hatte fich an die Seite Gabrie-
lens zurückgezogen. Sie fragte nunleife: „Warum iſt
die arme Melly nicht3 werth tu
„Weil fie nichts werth ift, weil fie arm —
wiederte ihr Dieſe.
„Weil ſie arm iſt, deßhalb iſt fie nichts werth;“
verſetzte das noch ärmere Kind nachdenklich.
*
me. 119 ·⸗⸗
„Und nun,“ fuhr die lebhafte Couſine fort, „Pa
wollte morgen nach Natchez hinauf; wenn Ihr aber
hübſch artig ſeyd und uns zu amuſiren verſprecht, ſo
bleiben wir einige Tage. Nicht wahr, Pa?⸗
„O Schmerz!“ rief lachend Virginie. „Sie kom—
men auf zwölf Stunden und wollen ſchon amufirt
ſeyn. Ein ſehr großes Compliment finde ich darin
für unſere annehmlichen Gaben eben nicht; damit Ihr
3 EB
aber ſeht, wie wir Böſes mit Gutem vergelten, ſo
will ich mich zu Vorſchlägen herbeilaſſen.“
„Wir find ganz Ohren; verficherten die drei fafhio-
nablen Schönen.
„Morgen früh denn Schau bei den inbianifgen
Löwen.“
„Pfui, mit Euern ſchmutzigen indianiſchen Löwen;“
riefen die Drei mit Abſcheu.
„So hört doch nur,“ mahnte Virginie, „einer
darunter ſoll wirklich ein königlicher Loͤwe ſeyn.“
Das Geplauder war in dem leichten, gefällig an—
muthigen Tone geführt, der gerade nicht ausgelaſſen,
aber für die etwas bedenklichen Zeitumſtände vielleicht
muthwillig genannt werden konnte.
| Die Oberftin hatte ſchon einige Zeit mit Ungeduld
—) 150 —
zugehört. „Miſſes!“ ſprach ſie etwas ſchetf, „Ihr
ſeyd fehr vergnügt und es freut mich; aberich
Buer Trohfinn ware etwas mehr gedampft; etwas
mehr Zartheit, in einem Augenblicke, wo bie Unſri⸗
gen in einem ſo ernſten Kampfe begriffen ſind, RM
nicht überflüffig ſeyn.“
Auch Roſa bien von beumucfteiiepe iger
„Die Löwen ?“ fragte Gabriele. „Habt Ihr Löwen
hier? Das müſſen ſchreckliche Thiere ſeyn, wenn fie
ſo ausſehen, wie ſie auf dem Bilde im Speiſeſaale
gemalt ſind!“
„Du kamſt ja mit ihnen;“ — Gabriele.
„Ich!“ rief Roſa verwundert. Sie ſann eine Weile
nach. „Du meinſt doch nicht —“ fie ſtockte, fie wurde
blaß.
„Die Indianer;“ lächelte Gabriele. „Wir nennen
jede ungewöhnliche ausländifche Erſcheinung einen
Löwen. Das ift Sprachgebrauch.“
„Das ift ein ſehr graufamer Sprachgebrauch;“
ſeufzte fie. „Ihr jeyd graufam und ſelbſt in Eurer
Sröhlichkeit fehneidet Ihr tiefer ein, als die Schlacht⸗
meſſer der Wilden in ihrer Wuth, — ftoßt Ihr dem
armen alten Mann den Stachel Eurer Zunge in dad
—9 151 >
Herz. 4 Sie 209 ſich unwillig zurüd. Gabriele ſchlang
ihren Arm um fie: „Sey nicht boͤſe, a der alte
Hauptling ift ja nicht hier. « ;
„Uber feine Tochter ift es;“ ſprach R
„Seine Tochter?“ fragte Mifter Bowditch, der in
feiner Promenade durch die beiden Abtheilungen des
drawing room die letzten Worte de8 Mädchens ge-
hört hatte. „Wer ift doch die junge Dame?« fragte
er Mistrep Barker.
„Miß Roſa, unfer lieber Gaſt.“
„Miß Roſa — Roſa,“ wiederholte der Pflanzer
mit einer Stimme, die leiſe ſeyn ſollte, die aber in den
beiden Zimmern gehört wurde. |
„Ich habe Sie Ihnen bereitd vorgeftellt, aber
Miſter Bowditch ſchien zu ſehr mit andern Gegen-
ftänden befchäftigt;“ ſprach die Dame mit einem ſanf⸗
ten Verweiſe. |
"Ach, jeßt erinnere ich mich, à propos!“ Gr
wackelte zur Klingelfehnur und zog fie. „Bringt mir
doch einmal meinen Ueberrod aus der Vorhalle her—
ein. Da, Mistreß Parker, find ein halbes Dugend
Briefe, ein wenig verfpätet, aber gute Nachrichten
fommen nie zu ſpät. Muß doch ſehen.“ Und mit
452 —
‚Worten feßte er ohne Umftände feine Brille
en. afe e und Ohren umd Be an Mer
zu entfalten.
Die Dame hatte die Briefe in — genommen,
und ſich für einige Augenblicke entſchuldigend, *
ſie mit Virginien das Beſuchzimmer.
„Da ſeht einmal dieſe Zeitungſchreiber — BEER
Ganzen genommen nicht fo übel, nein,“ — rief er,
indem er das Kind durch die Brille mufterte, mit
etwas weniger Intereffe, als er wahrfeheinlich einem
fremden, in feine Baummollenpreffe gerathenen Cot—
tonballen bewiefen haben dürfte.
„Sehen Sie,“ fuhr er fort, „da fteht Ihre Lebens-
gefehichte ſchwarz auf weiß.“
„Etwas von Roſa in diefen Papieren ⸗ fragte
das aufmerkffam gewordene Mädchen.
Der Pflanzer fah fie verwundert an. „Sie wiffen
ja, die ftecken ihre Nafen in Alles hinein, «
»Darf ich bitten,“ ſprach fie.
„Gerne;“ verfeßte er, ihr das Blatt reichend.
Sie nahm es und zog fich fehnell in die Ecke des-
Sophas zurück. Sie las Wort für Wort. Bei jeder
Linie ſchüttelte fie das Köpfchen ftärfer. Sie mechfelte
m. *
— 153 —
die Farbe. Wieder las fie, eine Thräne perlte in ihren
Augen, und das Köpfihen fenfend, ſchien fte Alles
um fih her zu — So war ſie eine geraume
Weile geſeſſen, das Blatt auf ihrem Schooße, ohne
ein Wort zu ſprechen. Die Damen waren herbei—
getreten und ſahen ſie verwundert an. Unwille, be—
leidigtes Zartgefühl, ſchienen in ihrem Gemüthe
wechſelſeitig zu kämpfen; die Freiheit, die man ſich
mit ihr genommen, ſchien ſie tief zu verletzen.
Der Pflanzer trat an ſie heran.
„Aber, mein Vater,“ rief ſie aufſtehend, und nicht
ohne Unwillen, „das iſt ja nicht wahr, was hier ge⸗
druckt iſt. Der weiße Mann muß ſehr böſe ſeyn, der
dieß gethan hat.“
„Pah, Vater,“ wiederholte der Pflanzer. „Danke
ſchönſtens, Miſſi! Hab' aber mit den Dreien da ge—
nug zu thun. Glauben nicht, was die Einen für
Geld koſten. Da mußten drei Shawls her, eine neue
Erfindung irgend eines müßigen Webers in China,
das uns ohnedem ſchweres Geld koſtet. Kommen mich _
die drei Dinger da auf zweitaufend Dollars; das
gäbe vier tlichtige Neger, A fünfhundert Dollars per
Stüf, von denen Jeder fünfzig Prozent geben muß,
—454 &—
macht taufend Dollar per annum. Das verftehen
Sie aber nicht, armes Kind;“ meinte er mit einem
mitleidigen, beinahe geringfchäßigen Blicke. „Ia, da
find fie mir nun Alle über'm Hals. Die Georgiane —
nun, da glaube ich, wird ſich wohl mit Charles etwas
machen lafjen. Bin nur froh, daß Krieg ift. : Haben
wir doch diefen Winter mit.den verdammten Bällen
j und Partieen Ruhe. Der vorige Carneval Eoftete
mich netto zehentaufend Dollars. Wenn's meinem
Kopfe nach gegangen wäre, jo hätte ich Amalien
noch ein Jahr in der Penſion gelaffen. Schicht fich
befier. Sieht fo fonderbar aus, wenn man zwei auf.
einmal auf's Tapet bringt; die jungen Leute wifjen
nicht, wo am erften anzubeißen ift, und leckern nur.
Ja, Bin ein alter Spaß.“
Der Fleine Mann hatte dieje Nede, feine beiden
Hände in der Tafıhe, in den beiden Zimmern promes
nivend, mit einer Selbſtgefälligkeit vorgetragen, die
feine drei Mifjes ſehr zu beluftigen ſchien, von der
aber das arme Naturkind nur fo viel begriff, daß fie
mit einer fehonungslofen Geringſchätzigkeit und Rück—
fichtslofigfeit behandelt wurde. Ihr Bufen hob fich
immer beflommener.
— =
ei wi -
er.
—4 155 —
„Nun wirklich,“ fuhr der Pflanzer fort, das Blatt
wieder aufnehmend, „der Artifel ift gut gefchrieben,
‚ und wenn ihn irgend eine alte wohlthätige Haut zu
Gefichte befümmt, Fann er vielleicht Ihr Glück machen.
Haben Sie ihn denn auch geleſen?“ Er begann:
„Wir würden Bedenken tragen, Nachitehendes in
unfer Blatt aufzunehmen — das ift fo eine gewöhn-
Yiche Formel,“ unterbrach er fih. — „Bedenken tra-
gen — die Wichte Bedenken tragen, wenn ung,“
fuhr er fort, „die Wahrheit der berührten Daten nicht
durch refpeftable Autoritäten verbürgt und wir nicht
auch zugleich der Hoffnung wären, durch ihre Ver—
breitung nüglich zu werden, und Licht und Aufflä-
zung über einen Vorfall zu verbreiten.“
„Richt und Aufklärung über einen Vorfall ver-
breiten;“ commentirte er. „Er will Licht und Auf-
klärung über fie verbreiten. Das ift übrigens ganz
vecht, und es läßt fich gar nichts dawider fagen. Nur
unfere Neger muß man nicht aufklären wollen. «
Das Mädchen hatte aufmerkffam zugehört. „Die
Worte find füß, aber in feinem Herzen fpricht er
bitter;# fügte fie leiſe und unwillig.
„Je nun, was die Indianer betrifft, da macht er
—H 16 —
freilich feine Complimente; aber Wer wird Ru
die mit einem Wilden machen? a) — u
Er las weiter.
„Bor beiläufig vierzehn Sahren, in einer ſtürmi⸗
ſchen Dezembernacht, ſtürzte plötzlich eine Horde In-
dianer von dem Volke der Creeks an die Behauſung
Eines unſerer Bürger, der damals im Staate Geor—
gien, am Fluſſe Cooſa, als von der Regierung auto—
riſirter Zwiſchenhändler lebte. Aus dem Schlafe auf⸗
geſchreckt, öffnete er noch gerade zu rechter Zeit die
Thüre, um einen gewaltſamen Einbruch zu verhüten.
Es war die Schaar des berüchtigten Tokeah, der
durch feine Gräuel und Schreckensthaten die Lang-
muth unferer Bürger und Megierung fo jehr ermüdet,
und, nachdem er fein Land verkauft, Durch Gemwalt-
thaten aller Art das weſtliche Georgien unficher ge
macht. Die Familie,, den unbändigen” Sinn des
Wilden wohl fennend, erwartete nichts Geringered
als augenblicklichen Tod; ſey es jedoch, daß ſeine
Raub⸗ und Mordgier bereits durch — jr \
gefättigt —“
„Der Miko,“ fiel ihm Roſa mit einer Heftigkeit
ein, die den Eleinen Mann ftugen machte, „der Miko
—9 157 —
ift Fein Dieb, fein Räuber, fein Mörder. Er hat
nicht fein Land verkauft. Es iſt ihm geſtohlen worden.
Er hat nicht das Meſſer an die Bruſt meiner Milch—
mutter geſetzt. Er hat ihr für das, was Roſa bei
ihr genoſſen, Belle bezahlt. Er hat Rofa nicht ges
ftohlen. Er hat den Pfeil bittern FO nie jo tief
in ihr Herz gedrückt, ala —
»Nun, ich will nicht ftreiten, Miſſi. Es iſt immer
ſchön, daß Sie ſelbſt eines Wilden Partei nehmen.
Sa, ja — hm, — aber der Schluß iſt recht gut.“
„Wir enthalten uns aller weitern Bemerkungen
bis zur gerichtlichen Aufklärung dieſes nyſteriſen
Verhältniſſes, wünſchen jedoch, ‚ 28 möge etwas von
den Angehörigen des unglücklichen Kindes, das nun
hülflos und verwaist und verwahrlost i in die Weit
Hinausgeftoßen ift, entdeckt werden, und falls Dieſe
nicht mehr am Leben wären, daß ſich irgend eine mit⸗
leidige Seele deſſelben erbarmen möge. Wir erfuchen
deßhalb unfere Mitredactoren, beſonders franzöſiſche
und ſpaniſche, daß ſie dieſer Anzeige eine Aufnahme |
in ihre vefpeftablen Blätter gönnen, und fo einer
Thatſache Publicität geben, die wahrſcheinlich unſäg⸗
458
liche Trauer und Jammer in irgend einer franzöſiſchen
oder ſpaniſchen Creolenfamilie verurſacht hat „AR
„Roſa,“ ſprach fie bebend, „ift arm. „Sie ift den
Meißen nichts werth. Aber fie it dem Miko werth
und theuer. Sie geht zu ihm und wird den .
nicht beſchwerlich fallen. «
„Sie, Miß, zu den Indianern zurückkehren? Eine
Milde werden? das wäre wirklich ſchade. Sie mol-
len?u fragte der Pflanzer verwundert.
„Aber mein Gott, was habt Ihr denn?“ rief
Mistreß Parker, die von Gabrielen in der Angſt
ihres Herzens herbeigeholt worden war.
„Nichts, “verſicherte der Onkel, „bloß das Zeitungs⸗
blatt. Sie will zu den Indianern zurück, und ich fage
ihr, fie thäte beffer, wenn fte irgendwo a |
men trachtete. «
„Aber, Mifter Bowditch,“ rief die Dame uns
willig, „wie können Sie ſich doch ſolche ee
ten mit unfern Gäften erlauben!“
„Ich weiß aber nicht, was Ihr da für ein Weſen
macht. Sie iſt doch nur ein armes Kind, und Oberſt
Parker ſelbſt hat mir geſagt —“ |
—H 159 —
Indem trat ein Bedienter ein. „Madame, ein
ſonderbarer Beſuch — zwei der Indianer.“
„Sie kommen um Roſa. Lebe wohl, theure Mut-
ter! Lebet wohl, Virginie und Gabriele!“ rief fie.
„Miß, wohin wollen Sie?“ ſchrie die erſchrockene
Dame. Doc fie war ſchon verfehwunden. Wie eine
Berfolgte flog fie durch den Corridor auf die beiden
Cumanchees zu, und mit diefen über das Bayou, fü
ſchnell als fie Eonnte, zum Gafthofe. Sie ftürzte die
Stiegen hinan und warf fich mit unendlicher Angft
an den Hals des Miko, gleichfam als wollte fte ihn
fefthalten, damit er ihr nicht entriffen würde, „Armer
gefangener Löwe;“ flüfterte fie. „Arme Rofa, ſie
ift nichts werth; die Weißen haben fte mit Sohn ver-
ftoßen. Arme Roſa.“ Einige Male waren ihr die
Worte entfchlüpft, ‚als der alte Häuptling aufmerkfam
wurde und fie forfehend anfah.
„Wie meint meine weiße Roſa dieß?“ fragte er.
"Was ift der Löwe? Wer ift er?“ Eh
„Der Löwe ift eine grimmig wilde Kae, die Alleb
tödtet, und die von den Weißen gefangen und in einen
eiſernen Käfig geſperrt wird, wo ſie dann ihrer Qual
vr
— 160 —
in der Gefangenschaft ſpotten. Sie heißen alle Ge⸗
fangenen Löwen. Das iſt Sprachgebrauch “
„Und Roſa iſt nichts werth?“ fragte El Sol.
„Wie meint meine theure Schweſter dieß?“
„Nichts werth ſind bei den Weißen alle Diejenigen,
die nicht viele Dollars oder viel Gold haben
„Dann mag meine Schmwefter den Weifen fage
daß Roſa mehr merth ift, als fie; daß fie alles old
und alle Dollars der Cumanchees befigt, daß EI Sol
und die Seinigen freudig al ihr gelbes und meißes
Metall hergeben wollen, wenn e8 ein Lächeln auf
ihrem Gefichte hervorbringt. Roſa muß! den Weißen
fagen, daß fte mehr filberne Dollars, mehr Go
beſitzt, als viele Pferde tragen können. Sp wenig
der Miko und fein Sohn gefangene wilde Kazen find,
fo wenig ift Roſa nicht3 werth. Sie hs mehr werth,
als die Weißen.“
Das Mädchen ſah den She. der heftig 9 ge=
worden war, gerührt an. „El Sol,“ lispelte ſi eihm
zu,‘ „ist mein Bruder, Roſa will ihm die en
Schwefter feyn.a ae
- Der alte Mann war unterdeffen aufgeftanden und
einige Male in der Stube auf- und abgefehritten. Er
”
*
m Ja ——
—9 161 — :
horchte, eilte an die Thüre, zum Fenſter, er fing an,
fich jehneller zu bewegen. Im anftopenden Zimmer
wurden mehrere Stimmen gehört, und das Getöfe
vom Ufer, und das Trommeln por dem Wachthaufe
verfündeten eine Bewegung unter den zurücfgebliebe-
nen Miligen, die Alle in Reihe und Glied ftanden.
Auf einmal jeßten ſi ie ſich in Marſch und zogen dem
Ufer zu. Das Geziſche des entquellenden Dampfes
verrieth ihren Abzug auf dem Dampfboote. Die
Augen des alten Mannes fingen an zu funkeln. Er
ſah ſtarr auf die im Fackelſchein ſich fortbewegenden
Maſſen, rannte wieder zur Thüre und horchte. Bei—
nahe ſchien es, als ob er fühle wie der König der
Thiere, der, in feinem eiſernen Käfig eingeſperrt,
raſtlos vor⸗ und rückwärts trabt und durch die Spal-
ten feined Gefängnifjes fpaht und einen Ausgang zu
erlauern trachtet.
„Die weißen Krieger 4 rief er plötzlich mit *
funkelnden Augen, „ſind gegangen. Hört mein Sohn
das Kochen des feuerſpeienden Canoes? Tokeah will
nun gehen zu erfüllen, was ihm der große Geiſt hat
zuflüſtern laſſen. Dieſe Nacht,“ ſprach er zu Roſa,
„werden die rothen Männer die Wigwams der Wei—
Der Legitime. II. * 11
’
m #
Ben verlaffen; zu lange find fie |
Käfige gefangen gehalten worden.“ 0,
„Sp laß uns eilen,“ rief Rofe. er
Nein, meine Tochter kann nicht mitgehen,« er⸗
wiederte er; „der Pfad iſt rauh, der Miko muß eilen,
damit er erfülle, was ihm geboten worden. Die
Füße meiner Tochter find zart.“ + il
„Nicht mitgehen? Der Mito will = Tochter
verlafien?« rief das Mädchen. entfegt. "Viral
Der alte Dann ſchüttelte das Sant. Die weige
Roſa iſt Tokeah ſehr lieb; aber fie if rn e ges
tragen worden auf dem Pfade, der; zwiſchen Deut.
Natchez und dem endloſen Fluſſe lüiegt. Die Dornen
des Weges, den ihr Vater nun geht, würden ihre
Füße verwunden. “ je
„Sie werden ftarf werden; verficherte fie ihn.
„Roſa, meine Schwefter, muß bleiben, bis der wi i
Miko und fein Sohn zurücgefommen. Die Brüder
El Sols, die Häuptlinge der Cumanchees, werden 9—
ihre Schritte bewachen, und ſie ſchütend umſtehen⸗
„Und Tokeah und El Sol wollen wirklich gehen,
ohne Rofa mitzunehmen ?« ſprach fie, beinahe unwillig
4 *
e
N
E
ke 5
—H 163 ⸗—
„Vater,“ bat fie, ih an den Hals des alten Miko
| werfend, nimm Roſa, Deine Roſa, mit Dir.“
„El-Eotah ‚u ſprach Diejer, „wird dem Mio fein
Mahl bereiten. Aber Roſa muß bei den Weißen
bleiben, bis er zurüdfommt. Tokeah weiß,“ fuhr
er fort, „daß ihre Herzen nicht ſchlagen, wie die der
rothen Männer; fte klappern, weil nur Dollars darin-
nen find; fie zahlen die Bifien, die meine Tochter in
ihren Mund ſteckt; aber Roſa mag beim Händler mit
Veuerwafjer bleiben. Tokeah wird mit Dollars be—
zahlen. Ocht⸗it⸗lan hat ihrer viele für fie, und da
‚gelbe Metall — u
Es Hopfte an die Thüre, und ver Wirth trat ein
und ſprach mit Roſen, die mit ihm die Stube verlieh.
Sie erfehien ungemein ernft und bewegt nad) eini-
gen Minuten wieder. “ |
„Alſo muß Roſa bleiben?“ fragte fie nochmals.
„Meine Tochter weiß, wie theuer fie dem Miko
ift. Sie ift die einzige Weiße, die feinem Kerzen
theuer ift. Aber Roſa kann nicht auf dem Pfade
gehen, den ex nun wandelt.“
„So will Rofa wieder zu den Weißen. Sie darf
nicht beim Händler mit Feuerwaſſer bleibert, wo bloß
a.
—— ni u an
—, 164 —
Männer find. Es geziemt der Jungfrau nicht, unter
Diefen zu ſeyn. Die Weißen find Falt; —
auch klug, ſie wiſſen, was geziemt.“
„Meine Tochter iſt weiſe,“ ſprach der alte Mann
in demſelben gelaſſenen Tone, „der große Geiſt der
Weißen iſt in ihr; ſie wird ſeiner Stimme folgen,
und thun, was er ihr heißt, und ihr Herz ihrem
Vater bewahren.“
„Möge der große Geiſt Dich begleiten, —*—
lispelte ſite ihm zu. „Du biſt Roſen theuer. Das
Einzige, was ihr von Canondah übrig iſt. Roſa
wird den großen Geiſt bitten, daß er die Dornen on
Deinem Pfade tilge.“ |
- Sie fiel ihm bewegt um den Hals, und der alte
Mann legte feine Stirne auf die ihrige; dann erhob
er ſich, und beide -Hände auf ihrem Haupte faltend,
fprach er im tiefften Gefühle: „Der große Geiſt be—
— Dich, meine Tochter!“ —
Der junge Häuptling ſtand in chrfurchtsvouen
— Als der Miko ſeinen Segen ausgeſpro—
chen hatte, faßte er ihre Hände und, ſie an ſein Herz
drückend, ſah er ihr eine Weile in die Augen und
wandte ſich dann raſch weg.
1 3A nr A BEE AR ige aaa dd JE he Bit —V Pr Sa" ER ES
— 165 —
Roſa ſchaute ihn verwundert an und verließ daun
gedankenvoll u Stube.
Finfunnvreipigfe Kapitel.
Willſt Du genau erfahren, was 14; ziemt,
So frage nur bei edlen Frauen an.
Göthe.
Roſa kehrte ernft, beinahe feierlich, nach Kaufe
zurück; es war etwas Umerflärbares in ihrem ganzen
Weſen, das der Dberftin und ſelbſt ihren etwas fri⸗
volen Couſinen auffiel. Alle ſchwiegen jedoch; aber
am folgenden Morgen, als Dieſe mit dem Onkel ab—
gereist waren, nahm die Oberſtin ſie bei der Hand,
und fie forfchend anblickend, ſprach fie mit einer mil-
"dein, aber eindringenden Stimme:
Liebe Miß Roſa! Sie haben geftern etwas ge⸗
Pe; than, das una Ale ſehr gefehmerzt hat.
Moſa etwas gethan, das Schmerzen verurfacht
hat?“ verjeßte das Mädchen, ihre Hände faltend.
„Und Sie fragen, Miß?“ erwiederte die Dame,
„nachdem Sie bei Nacht, ohne etwas zu fagen, aus
N
—H 166 —
dem Haufe entwichen, zu den Wilden ine
fprach fie mit ftärferer Betonung. *
„Theure Mutter, ich bitte Dich, heiße ſie nicht
Wilde. Es ſind edle Menſchen. Ihr habt * viel
Böſes zugefügt.“
„Miß Roſa,“ ſprach die Dame, „darüber Eönnen
Sie jegt nicht urtheilen. Sie werden es einft können.
Bis dahin verfehieben Sie Ihr Urtheil und glauben Sie
einftweilen meiner DVerftcherung, daß das Loos, das
diefe Wilden niederdrückt, nicht unverdient ift. "Jeder
Menfch hat fein Schieffal in den Händen. Auch Sie,
Roſa, haben es. Und darum Bitte ich Sie, nie zu
vergefien, daß Sie eine junge Dame find, die ſich
nie etwa vergeben, am wenigften aber den Anftand
fo fehr verlegen darf, um Wilde zur Nachtzeit zu be—
fuchen.
„Aber fie famen, um Rofa abzuholen, und BRof >
mußte zum Miko, ihrem Vater, gehen.“ —
„Vater,“ rief die Dame unwillig. „Miß, wie kön⸗
nen Sie den wilden garſtigen Indianer Ihren Vater
nennen?“
„Roſa wird ihn nie anders nennen. Er iſt Ca—
nondahs Vater. Sie wird ihn nie verlaffen;“ ſprach
"od |
a a) Da Ma N BEE gr BE RZ
Me
— Dt
—9 167 &—
fie mit leifer, demüthiger, aber auch entfehloffener
Stimme. |
„Wie, Ste wollen zu den Wilden gehen?“ rief die
Oberſtin mit einem Abſcheu, jo unverholen, als wenn
Eine ihrer eigenen Töchter ihr diefen jeltfamen Ent-
ſchluß verkündet hätte. „Zu den Wilden?“ rief fie _
„ nach einer langen Paufe abermald, und mit geftei-
gertem Unwillen. „Unfer Haus, die. eivilifirtefte Ge-
ſellſchaft, wollten Sie verlaffen? Wäre es möglich?«
Sie warf’einen Yangen, forſchenden, beinahe miß—
tranifchen Blick auf das Mädchen. |
Unfere Oberftin war, wie unfere Lejer entnommen
Haben werden, eine Dame von hoher Bildung; ‚aber
obgleich fie nicht die gewöhnlichen Vorurtheile theilte,
die man häufig gegen die Indianer hegt, jo mußte
ihr doch der Entſchluß des ‚Kindes, zum Mindeften
gejagt, außerordentlich vorkommen. Nah ihrem
Blicke zu urtheilen, fehlen fie nicht ungeneigt, diefen
jeltfamen Entſchluß einer minder lautern Quelle zu⸗
zuſchreiben, als die war, der er ſeinen Urſprung
verdankte. |
„Miß Roſa!“ ſprach fie mit einer feierlichen
Stimme, „das edelſte Geſchöpf, das aus der Hand
der Natur hervorging, iſt das Weib. Sie duldet,
ſie leidet, wo der Mann nur genießt. Selbſt ihre
Freuden ſind an Schmerzen geknüpft. Aber in ihrer
Hand liegt das Schickſal des Geſchlechtes, und ein
tugendhaftes Mädchen, das ſich pflichtbewußt zur
Gattin bildet, iſt eine achtunggebietende Erſcheinung.
Aber die tiefſte Erniedrigung, Roſa, iſt es, wenn
ein weißes, frei geborenes Mädchen ſich freiwillig
einem — weniger als Barbaren — einem Wilden zu
überliefern niedrig genug denkt. — Es ift thierifche
Erniedrigung, * ſprach ſie mit Abſcheu, „weil bloß
thieriſche Leidenſchaft — “ fie hielt inne; denn das
Mädchen ſchrack ſichtlich zuſammen.
„Roſa,“ ſprach ſie, „iſt ſehr unglücklich. Du
ſagſt, es ſey die tiefſte Erniedrigung, ſich den Wilden
hinzugeben; wohin ſoll Roſa gehen? Bei Euch,“
ſeufzte ſie, „iſt ſie nichts werth. Sie hat fein Gold.
Sie iſt arm. Ihr bietet ſie, wie der Zwiſchenhändler
ſein Feuerwaſſer, dent öffentlichen Mitleiden an.“
Die Oberſtin ſah das Mädchen, deſſen richtiger
Blick fo tief das Unzarte des Zeitungsartikels auf-
gefaßt und noch immer fühlte, betroffen an. „Es ift
gefehlt worden, « fprach fie; „aber dieſe Unzartheit war
—) 169 —
gut gemeint, "meine Tochter. Wir müſſen Manches
dulden, was uns hart fcheint, weil wir den Grund
davon nicht einfehen. # | 3
„Mutter ! ſprach das Mädchen, min. meinem
Herzen ſpricht eine Stimme, die mich nie irre geführt
hat. Sie gebot mir, dem Miko zu folgen. Sie wird
mir ſagen, was ich zu thun habe. Aber bei Euch
würde die arme Roſa verlaſſen ſeyn. Als der Miko,“
fuhr ſie mit leiſer Stimme fort, „ſich entſchloſſen
hatte, in die Niederlaſſungen der Weißen zu gehen,
da ward es in meiner Seele plötzlich helle. Ich, ver-
langte mitzugehen. Roſa ift gegangen. Ach!“ feufzte
fie, fie ift fremd unter Euch. Als fie in der Hütte
des Zwifchenhändlers war, da gab man ihr Speife,
weil der Miko Belle gab. Sie war fremd damals.
Sie ift e8 wieder. Beim Mifo war fie Tochter.
Mutter!u rief fie überwältigt von ihren Gefühlen,
„ſey nicht graufam, entreiße der armen Roſa nicht -
das Einzige, was fie auf der Welt befigt, den Troft, ,
den Miko zum Vater zu haben. Rofa hat nie ihren
Vater gekannt; fie ift nie am Bufen ihrer Mutter
gelegen. D, e8 ift fo wenig, um was fie Dich bittet. «
Die Oberftin blickte das in tiefften Schmerz ver-
2 170 —
ſunkene Mädchen in fprachlofer Rührung a
theures, verwaistes Kind! ſprach fie, mi h win
Mutter jeyn. ine Mutter läßt fich Hvar nimmer-
mehr erſetzen! aber mütterliche Freundin, —
will ich Dir ganz ſeyn.“
Der unglücklichen Waiſe war nun allmählig ihr
Verluſt, das Entbehren der Mutterbruſt, des väter⸗
lichen Schutzes in den Contraſten, die ſie in ihrem
kurzen Leben erfahren hatte, deutlich geworden. Es
war aber nicht bloß Sehnſucht nach den entbehrten
Vater- und Mutterarmen, die ſich nun in dem Kinde
jo ergreifend Außerte. Sie hatte ihre Verlaffenheit
ſchon in der Hütte des Miko gefühlt; aber nie war fie
fich derfelben fo deutlich, fo fehmerzlich bewußt wor—
den, als in ihren neuen Umgebungen, und der freien
Deweglichfeit und hinwiederum den eingezwäangten
Formen ihres neuen Kreifes. An die rauhe Väterlichkeit
des Miko gewöhnt, war dieſe ihrer demüthigenden,
von Liebe erquellenden, ſich ſo gerne anſchließenden
Natur zum Bedürfniß geworden; jetzt aber fühlte ſie
ſich nun unendlich einſam und verlaſſen.
Sie war bisher im Hauſe des Oberſten ganz als
lieber Gaſt, mit all der Rückſicht und Aufmerkſam⸗
4 Mu kn ı — u WE ee" MR — — # a
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feit, die einer jungen ‚Dame in ihrer Lage erwiefen
werden Eonnte‘, behandelt worden; allein ihr natür-
licher, durch lange Einſamkeit zum Nachdenken auf-
geregter Verſtand ließ fie in eben. diefer Rückſicht
zugleich all die Kälte erfehen, die in unfern ſoge—
nannten guten Häuſern gewiſſermaßen zur Sitte ge⸗
worden iſt. Zwar hatte in den erſten Tagen ihres
Hierſeyns, und vorzüglich während der Anweſenheit
des Squire Copeland, eine herzliche Ausnahme Statt
gefunden; aber als Dieſer abgegangen, wurde ihr
der Contraſt nur um ſo auffallender. Vielleicht war
auch eine kleine Scheu vor dem Mädchen, das ſo lange
Zeit unter den Indianern gelebt hatte, mit im Spiele.
„da, Roſa!“ ſprach die Oberſtin, die gegangen
und wieder zurückgekommen war, „Du jollft meine
Tochter ſeyn. Der Indianer ift unftchtbar geworden,
höre ich fo eben. Möge er nie wieder fommen.“
„Er wird wiederfommen;“ rief das Mädchen zu—
verfichtlich. „Er wird kommen, um Roſen zu holen.“
„Ich zweifle;“ erwiederte ihr die Oberftin, die es viel-
Yeicht nicht räthlich fand, das, was ihr als Starrſinn
an dem Mädchen erfcheinen mochte, gegenwärtig zu
befämpfen. „&3 tft zwar fehr wenig an ihm gelegen;
—$ 12 &—
allein ex hat. des Böfen zu viel gethan⸗ ‚um ſich
gerechten, aber auch ftrengen Richten ne chmals
ſtellen.
Er wird gewiß ie BR —* |
Roſa nochmals.
„Und warum iſt er gegangen?“ fragte die Oberfin.
„Vielleicht ſollte ich nicht: fragen, da er'Deinem Herzen
näher ſcheint als wir. Nur ift fein Verſchwinden
gegenwärtig auffallend. Roſa! ich hoffe, Du wirft,
mir Vertrauen fchenfen, Eindliches Vertrauen? Es
hat das Verſchwinden des Indianers einige Unruhe
verurſacht. Ich hoffe, nochmals ſage ich es, Du wirſt
in Deiner Anhänglichkeit, die ich übrigens ehre, die
Scheidelinie der Pflicht erkennen, und das Vertrauen,
das in Dich geſetzt wird, nicht mißbrauchen.⸗ |
Nachdem fie diefe Worte mild, aber ernft und ein-
dringend gefprochen hatte, entfernte ſie ſich. Das
Mädchen war in tiefes Nachdenken verſunken geftan-
den, über die ſeltſamen Worte ſinnend. Die myſte⸗
riöſe und plötzliche Entweichung der vier Indianer
hatte wirklich am Bayou und in der Umgegend einige
Unruhe verurſacht, und die Frau des Oberſten war
erſucht worden, wo möglich die Veranlaſſung dieſes
— BE EEE m Sue ma > tea u. 2
—d9 173 &
Unſichtbarwerdens des gefährlichen — aus
| feiner Pflegetochter herauszubringen. Ihr BO
verfichtlicher Ton war jedoch ein hinläng li her Ben ei,
* ſie In Mitwiſſenſchaft habe, was au
daß die Wilden, im Falle fie wirklich eiiönd Beind-
felige3 im, Schilde führten, ihr ihre Abfichten Fund
! gethan haben würden. Bald verfehmolz auch diefe
Kleine Beſorgniß in der großen Angelegenheit, die nun
Alle ausfchlieglich zu befchäftigen anfing. und i im der
man alles Uebrige vergaß. Sp lange nämlich die
beiden Compagnien unter dem Befehle des Capitain
Percy noch am Bayou waren, ſchien man noch immer
beruhigt. Sp unbedeutend die Anzahl der zurückge—
bliebenen Milizen war, ſo hatte doch der Umſtand
ihrer Nichteinberufung der Umgegend ein gewiſſes
Gefühl von Sicherheit, von Vertrauen eingeflößt,
das num durch die plötzliche Ordre zum Abmarſche
ſehr erſchüttert worden war. Es war eine fieberiſche
Aufregung eingetreten, eine krampfhafte Spannung,
die die Gemüther immer heftiger dann ergreift, wenn
der Schauplatz der Gefahr entfernt und ſo der düſtern
Phantaſie mehr Spielraum zu trüben Bildern ge—
—9 174 —
er „ir ? Art ſchaudernder ei ſich
xniger an den sas
ausfo⸗ ſchenden ſtarren Mienen, dem häu⸗ *
m * en — und
gen ne einen eines Dampfbontes und dem bangen
Berfehlingen der Zeitungen, deren — geheime, |
nißvolle Kürze nie peinlicher ward. Auch ER.
Familie war von’ diefen fieberiſchen Sc nicht
verfehont geblieben, und wenn durch das rege Still⸗
leben, das auf der Pflanzung herrſchte, die düſtere
Folie weniger ſtark hindurchſchimmerte, ſo war dieſes
nicht ſo ſehr einem Mangel an Theilnahme oder Ge⸗
fühl, als vielmehr der Selbſtverldugnung der alle
digen Frau zuzuſchreiben, die als Mutter und Ge-
bieterin dem Saufe voritand. Unſere Gatten und
Söhne,“ ſyrach ſie zu ihren Töchtern und, Ks Ä
„kämpfen für uns und unſer Land. Uns hat die
Natur eine nicht minder ehrenvolle Berti
gewiefen, die — durch Häusliche Thätigkeit die Keräfte
unferer Männer und Söhne in den Stand — *
ihrer großen Beſtimmung Genüge zu leiſten; die wür-
*
ee u
a STE
ER; ne a
—— —
—+ 15 —
digfte Deunahme, die das Weib äußern kann. Es
geziemt dem freien Weibe nicht, fich von G Empfindungen
überwältigen zu laffen ; dein es ift nicht niedergedruckt
durch das erſchütternde Phantom eines übermůthigen
Tyrannen, der ihre Lieben von ihrem Buſen reißt
und einem dunkeln Verhängniffe zuſtößt; es kennt die
Gefahr und die Noͤthwendigkeit, ihr zu begegnen
Aber ungeachtet dieſer männlich ſtarken Gründe
wurde die Prüfung auch für ſie allmählig zu ſchwer,
und ſonderbarer Weiſe ſuchte ſie bei unſerem liebenden
Naturkinde Troſt und Ermunterung. Jeden Tag,
jede Stunde fühlte ſie ſich mehr und mehr angezogen,
und der beiderſeitige Anklang von Schmerz und Ent⸗
behrung ſchien ſie nun wirklich zu einem Gliede der
Familie zu einigen. So verlief eine Woche.
Es war an einem ſonnigen Mittage, daß Roſa
am Baydu in ſinnender Betrachtung ſtand, dem Ge-
ſange der in Cottonpreſſe arbeitenden Neger zuhor⸗
chend, wie ſie ihr eindringend wehmüthiges Talla⸗i—
hoe herüber tönen ließen. Es iſt ein ergreifend me—
lancholiſcher Geſang, wie er in ſeinen tiefen Baßtö—
nen und dem klagenden Tenor in langen Cadenzen
—9 176 &—
an das Ohr ſchlägt. Allmahlig verſtunmten die
Stimmen eine nach der andern, dann erhoben ſie ſich
wieder, und ein Chor von vierundzwanzig Männern
brach in den ſchönen Negergefang Bulla⸗tai aus.
Auch dieſer war verklungen. Roſa ftand aber noch
immer, ohne zu bemerken, wie die * mit ihren
Töchtern herantrat.
„Weißt Du, liebe Roſa,“ ſprach fie, „daß baſer
Schmerz, dem Du Dich überläßt, ſelbſtiſch iſt, daß
wir uns nie ganz einer Wehmuth — dürfen,
die unſere Kräfte aufzehrt?“
Es iſt nicht Schmerz, Mutter; es iſt etwas ganz
Anderes. Etwas Großes, etwas Wichtiges, das Dir
Roſa zu verkünden hat.“
„Etwas Großes;“ ſprach die Dame, die aufmerk-
fam wurde; denn die Züge des Flaren idealen Ge—
fichtes der Sprecherin fehienen außerordentlich bewegt.
„Ja,“ ſprach fie, mes ift eine wichtige Stunde diefe,
in der viel entfehieden wird. Der gute Gott wird fie
tröftend für Dich werden laſſen; Mutter, er ift gut
und milde. Sey auch Du es, Mutter! ich bitte Dich.“
„Wie kann ich es, liebe Roſa;“ ſprach die *
Dame.
Kir. NT
—hH 177
„Du Fannft es. Sey milde gegen das arme Weib,
deren Mann imGefängniffe ſchmachtet. Die Stunde,
in der Roſa Dich bittet, ift wichtig. Gewähre ihr,
fo wird. fie Die jagen — “
„Und was wird Roſa fagen?u fragte bie Oberftin
das finnend horchende Mädchen. „Deine Bitte ift
gewährt; ich will die Bürgfchaft übernehmen. «
Das Kind drückte die Hand der Dame freudig an
den Bufen. „Roſa dankt Dir, theure Mutter!«
ſprach fie mit Hoheit. „Dafür will fie Dir etwas
fagen. In diefer Stunde fehlagen die Eurigen die
Schlacht;“ flüfterte fie leife, aber beftimmt.
Mutter und Töchter Lächelten ungläubig.
„Kommt,“ ſprach fie; „hier Hören wir nichts.“
Sie eilte voran an das untere, ſüdliche Ende des
Parfes, ftellte die drei Damen in einen Halbzirkel,
und beugte ſich dann in der Richtung des Luftzuges.
Es war dieſen Morgen ein ungemein dichter Nebel
über der ganzen Gegend gelegen. Gegen Mittag je—
doch fing ein ſtarker Südwind an vom Strome herauf⸗
zumwehen, und die Kraft der Sonne, die felbft Januar-
sage in dieſem Lande zu fo herrlich milden Erfihei-
nungen macht, hatte allmählig die Atmofphäre in
Der Legitime. III | 12
eine’ zitternd elaftifche Bewegung — den
fernen Pflanzungen her waren noch einige Chöre ber
“Neger zu hören. Allmählig ſchwiegen w
und die Natur ſchien mit den armen Soma in
Feierſtunde zu halten.
„Ich höre nichts,“ ſprach die — „als Fr
Windzug, “ feßte Virgine hinzu; „und das knarrende
Gekrächze der alten Bidi,“ meinte Gabriele.
„Ihr habt nicht in dem ſchweigenden ie Wig
/
wam am Natchez gelebt, « lächelte Mofa. Sie hor
wieder und fihauerte dann zufammen. „Das * |
fürchterliche Schüſſe.“ R 4
„Hörſt Du wirklich etwas?“ riefen bie drei er- *
blaſſenden Damen.
„Gewiß, ich höre jeden Schuß, viele hie, fünf-
zehn, zwanzig auf einmal. Jeder ‚gleicht dem ent-
fernten Rollen des Donners. u vr
„Es tft nicht möglich, meinte die Oberftin. * 4
m ur an Kerl Rasen —* der, 4
die Ufer liegen offen.“
„Ich Eomme fo eben vom — r
junge Copeland mit einer leichten Verbeugung
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— 179 er
fonderbarer Vorfall: die beiden Indianer, die wir
ſeit der Entweichung des Alten in Haft zu fehen ge
nöthigt \ waren, brachen plöglich los; aber ftatt zu
entfliehen, ftehen fie nun am Ufer, die wunderlichften
Verzerrungen fehneidend. Ich glaube, die Leute Der R :
etwas.“
„Es iſt die Schlacht, liebe Mutter. — liebe
Mutter! Virginie und Gabriele! zu Ochtitlan, und
mein Bruder wird dem armen Manne ſeine Freiheit
verkünden.“
„So ſey es denn,“ ſprach die Oberſtin, die —
von der natürlichen Beweglichkeit des Mädchens hin⸗
geriſſen fühlte. „Miſter Copeland gehen Sie zu
Squire Brown, und ſagen Sie ihm, daß wir Bürg⸗
ſchaft für Madiedo ftehen. “
Der junge Mann jah die Frau verwundert an.
„Gehe, gehe, lieber Bruder!“ trieb ihn Mofa vor⸗
waärts, „und komme dann.““
„Sehr gerne, Siſſi;“ ſprach Diefer, der raſch den
Weg zum Städtchen einſchlug, während die Damen
dem Strome zueilten. "Schon von weiten erblickten
ſie die Indianer, umgeben von einer Gruppe von
Männern, Weibern und Kindern. Einer derſelben
Gen ; Ph
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180 ⸗
lag in dem Winkel der Erdzunge, die hier durch dns
aus dem Miſſiſippi tretende Bayou gebildet wird,
auf dem Boden, während der Andere die Neugierigen,
x irn
—
die mehr und mehr herbeikamen, in einen Halbzirkel
prönete. Ein leiſes, kaum merkbares Sauſeln kam
vom Süden herauf, das aber bei Weitem von dem
Rauſchen der Wogen übertäubt wurde. Allmãhlig
hatte das ſonderbare ſtumme Schauſpiel eine bedeu—
tende Anzahl von Menſchen angezogen. Als die In⸗
dianer Roſen erſahen, ſprangen ſie mit der lebhafte—
ſten Freude auf ſie zu und ſprachen einige Worte im
Pawneedialekte, mit der Gluth der höchſten Leiden-
haft. Ihr ganzes Wefen Hatte eine Eriegerifche Wuth
angenommen.
„Es ift die Schlacht," ſprach Diele. „Die Cu⸗
manchees hören fie deutlich. Sie fagen, es ift eine
ſchreckliche Schlacht, die die Meißen fihlagen. Viele
taufend große und Fleine Feuerſchlünde ſpeien ihre
eifernen und bleiernen Kugeln aus.“
Der Indianer warf fih auf den Boden und gab
Zeichen.
„Sie ftehen noch immer auf demfelben Orte,“
ſprach fie. „Nun brüllen die Feuerſchlünde weniger. 4
— * Be 2
1
—9 181 —
„Nun brülen fie ftärfer;“ rief fie nach einer Weile,
Nun zittert die Erde. Zwanzig der. großen Beuer-
ſchlünde brüllen auf einmal.“
„Gott ſegne Sie, Madame!“ rief plöblich eine
Stimme hinter ihnen. Es war der Spanier oder
Mexicaner Madiedo, alias Benito, mit feinem Weibe.
Die Oberſtin winkte ihnen Stillſchweigen zu und
deutete auf Roſen. „Danken Sie es Dieſer;“ ſprach
ſie leiſe.
Der Mann faßte ſie einige Augenblicke ins Auge,
und ſein ſprachloſes Erſtaunen ſchien ihm die Worte
auf der Zunge zu feſſeln. „Um Gotteswillen, Wer
ſind Sie Miß? um Vergebung?“
„Roſa;“ ſprach das Mädchen verwundert.
„Roſa!“ erwiederte der Mann. „Mein Gott, wie
fie leibt und lebt. Unbegreiflich!“ rief er.
Die Indianer waren während dieſes Zweigefpräches
ungebuldig geworden. Der auf dem Boden Legende
hatte ſich aufgerichtet und ftand gleichgültig, ohne
ferner feine Beobachtungen fortzufeßen. Das .Ge-
prä, obwohl leiſe geführt, Hatte es ihnen unmög⸗
lich gemacht, etwas weiter zu hören.
„Die Schlacht, Madame und meine fchönen Miffes, u
\
—ı > >— —
rief ein junger Mann in * engliſch vDſthierhum—
form, ‚aber mit dem knarrenden irifehen ialekte, „bei
St. Patrif! Wer das fagt, muß die Ohren eines
Midas Haben. Wiſſen Sie, meine ſchönen Damen,
daß wir auf einem ihrer Dampfſchiffe volle achtzehn
Stunden brauchten, und fie gehen wie die beſten eng⸗
liſchen Poſtpferde. Eine ſchöne Erfindung, Madame,
die Ihnen Ehre macht.“
Die Oberftin jah den dreiften jungen Mann ver-
wundert unwillig an.
„Lieutenant Connaught!“ Sprach der junge Cope—
and, „wollen Sie fo gefällig feyn, mir aufein Wort
zu folgen?“
„Ein andermal,“ rief der Irländer, der fich recht
wohl zu befinden fehien, obgleich ihm alle Damen den
Rücken gewendet hatten. „Diefe Wilden,“ fuhr er
fort, „haben übrigens ein feines Gehör, und es ift
zehn gegen eind zu wetten, daß wir Gelbiefer Zeit die
Hauptftadt genommen haben und die Unftigen auf
dem Hermarfche find. In diefem Falle, meine Da—
men, können Sie fich auf den Schuß Lieutenant Eon-
naughts verlaffen. Darf ich fo frei feyn, Ihnen mei-
9
4
\
3
—, 183 ⸗—
nen Arm anzubieten, ſhöne — Inge er zu
Virginien. * u
Statt der jungen Dame bot ihm Mifter Copeland
den ſeinigen an, und ohne ein Wort weiter zu ver-
lieren, 309 er ihn-einer Gruppe kriegsgefangener Of⸗
fiziere zu, die mehr beſcheiden in einiger Entfernung
am Stromesufer ſtanden.
So wie der Irländer entfernt war, warf ſich der
Cumanchee wieder zur Erde, und gab neuerdings
denſelben regelmäßigen Bericht von der Schlacht durch
Zeichen, zuweilen wisperte er Roſen einige Worte zu,
die ſie dann der Oberſtin und der verſammelten Menge
mittheilte. Die Umſtehenden ſtanden ſtarr in athem—
loſer Stille. Jeden Augenblick mehrte ſich die Menge;
ſie kamen auf den Zehen geſchlichen, und gingen,
kamen wieder und ſtanden, Alles um ſich her vergef-
fend. Stunden waren fo verftrihen, die Sonne ſank
bereits hinter die weftlichen Wälder, und noch ftanden
Alle verfammelt. Plöglich fuhr der Indianer zufam-
men und fprang mit allen — des Ent-
ſetzens auf.
„Es war ein ſchrecklicher Donner zu rief Roſa.
Wieder warf er ſich zur Erde, lag noch eine Viertel⸗
—
—
ſtunde, und ſtand dann — auf. Beide Wine
nahmen Abſchied von Roſa und folgten —
die fie ihrer Haft zuführte. ar
„Madame!“ ſprach der Wirth Madiedo die Ober⸗
ſtin an, als Dieſe nun mit ihren Töchtern und Roſa
den. Sehmörg betrat. „Darfich Sieum einen Augen⸗
blick Gehör bitten?“
„Nicht heute, Monfieur Madiedo ;fprach die Dame.
„Nur zehn, nur fünf Minuten. Es betrifft die
junge Dame;“ auf Roſa deutend.
„Kommen Sie denn i in einer halben Stunde.
Sechs unddreißigſtes Kapitel.
Vierzig Schillinge wollt' ich darum geben,
wenn ich mein Buch mit Liedern und Sonneten
bier hätte. — Nun Simpel, wo haft Du ge—
ſteckt? Ich muß mir wohl felbft aufwarten!
Shafespeare.
Grabesftile herrfchte am folgenden Morgen im
Speifefaale des Gafthofes zum Bayou Sarah, wo
fi die Gäfte fo eben zum Frühſtücke niederließen, als
der Donnerruf „ein Dampfſchiff!“ erſchallte. Die
— a ,
— 185 —
Seffel flogen nun in jeder Richtung aus einander, und
Alle ftrömten todtenbleich zur Thüre hinaus auf das
Stromufer zu. Nur vier junge Männer, die ihre
reichen goldftrogenden rothen Uniformen als englifche
Dffiziere bezeichneten, blieben mit unferem Mid ſhip⸗
man ganz gemächlich an der vollbeſetzten Tafel ſitzen.
„Da gehen ſie, die glorreichen Pankees;⸗ lachte
Capitain Murray.
„Sind bloß drei darunter, die Uebrigen ſind *
franzöſiſchen und deutſchen Spargelwächterz“ ent—
gegnete Lieutenant Forbes.
Dieſe Spargelwächter, wie fie der. launige Eng⸗
länder nannte, waren die Bewohner des Städtchens,
die feit dem Abmarfch der waffenfähigen Mannſchaft
in ein Corps quasi Muncipalgarden, zur Aufrecht-
haltung der öffentlichen Ordnung, vereinigt worden
waren, und unter denen fich auch die Herren Gieb
und Prenzlau befanden, die fih, im Vorbeigehen fey
es gejagt, auf die Ehre, an der. allgemeinen Landes—
vertheidigung Antheil zu nehmen, die ihnen vor
ihren weniger reſpektablen Landesmännern, den
Herren Merks und Stock, zu Theil wurde, nicht
wenig einbildeten, und ihre frühern Meinungen über
—
on
die bei uns herrſchende Unordnung sine aufge
geben hatten.
„Langweilige Kerle,“ rief Capitain —
der. „Unausſtehlich langweilige Kerle, dieſe Yan-
kees,«“ verſicherte er nochmals, eine Quail anfaſſend,
und die Bruſt von beiden Seiten mit anatomiſcher
Genauigkeit ablöſend. „Wenn das Thierchen hier,“
betheuerte er, mein wenig mehr gebraten, ſtatt ge—
röſtet wäre, bei Jove! Longs Hotel könnte nichts
derlei aufweiſen.“
„Ich glaube denn doch, unſere Aetſu
Haunches ſind zarter,“ verſetzte Lieutenant Devon,
der, den Vorzug ſeiner landsmänniſchen Hirſchziemer
a priori erkennend, nichts deſto weniger dem ameri-
kaniſchen die Ehre eines tiefen Einſchnittes in die
Mitte anthat.
„Vergebung,“ entgegnete der Capitain Murray
„Ich Ipreche von Nebhühnern oder Quails, wie fie
bier genannt werden, will aber vom Ihrigen jpäter
verfuchen.
„Weiß nicht,“ fiel Lieutenant Forbes ein, der e8
gleichfalls mit dem Hirfehziemer hielt, „aber das will
ih Euch jagen, Gentlemen, daß mein Magen von
u |
—
J
—H 1897 &— *
der verdammten Salzſäure ſo ausgetrocknet war, daß
er Sauerampfer angenommen hätte.“ Er ſah ſich
etwas vorſichtig nach allen Seiten um. „Verdammt!
vier Monate Salzkur. Hol' mich der Henker, wenn
dieſe Kerle nicht verdienen, alle ſammt und ſonders
gehängt zu werden. Da kommen wir herüber aus
der belle France und dem glühenden Spanien, in der
Hoffnung, die Tagediebe werden Raifon haben und
fih in ihr 2008 ergeben, und da find wir num dieſe
ſechs Wochen eingepreßt zwiſchen See und Sümpfen,
ohne auch nur fo viel wie ein Haus gefehen zu haben.
Nicht vorwärts, nicht rückwärts, und nichts als
Pökel⸗ und Salzfleifeh, und Kartoffeln vom vorlegten
Jahre, die wie Madeira bereit3 dreimal die Fahrt
nach Dftindien gemacht Haben. Aufwärter ich danke
für ein Glas Madeira. — Hol mich der — auch Fein
Aufwärter hier.“
„Und glauben Sie,“ ſprach Lieutenant Connaught
zu unferem Midfhipman, „daß die Gaudiebe und
auch nur eine frifihe Kartoffel zukommen ließen?
Wenn wir eine Guinee für eine gegeben hätten, fo
wäre Feines ihrer verdammten Ungethüme, die fie
Archen oder Blatböte heißen, binabgefommen. Ge—
%
—H 188 —
meine Seelen! gar nichts von dem ritterlichen Geifte |
der Spanier und Franzofen. Ich verfichere Ste, Mifter
Hodges, felbft in Frankreich waren wir die Hähne
in-den Körben. Nur fehade, die armen Teufel hatten
nichts zu geben, als ihre Weiber und ihre Mädchen.“
„Bei Iove! Meine liebliche Donna Iſabella y Yrun,
y Caldevai, y Madagascar, y Balthaſar, der Teufel
weiß — “ lachte Lieutenant Devon.
„Genug, genug,“ fielen Alle lachend ein, ze
haben mehr Titel al3 Dollars. u
„Wollte jedoch, ich hätte fie hier, Die rad Iſa⸗
bella;⸗ meinte Lieutenant Devon.
„Würde Ihnen nichts REN die puritaniſchen
Danfees erlauben Einem derlei Zeitvertreib nicht;“
verſicherte ihn Lieutenant Forbes. | —
„Danke Ihnen nun,“ fiel Capitain Murray ein,
„für einen Schnitt Ihres Sirfchziemerd. Aber, was
haben Sie doch mit dem herrlichen Geſchöpfe ge—
macht ?u
„Pah! fie Capitain Richlh⸗ für eine —
ächter Havannahs überlaſſen;“ erwiederte ihm der
Lieutenant ganz gelaſſen, indem er ihm ein Stück vom
Hirſchziemer ſchnitt und reichte. „Der behielt ſie bis
ee ee u ch
—
480 —
er in Oporto einſchiffte; dann ließ er ſie dem alten
Caballero zuruͤck, der ſie noch haben muß, wenn fie
ihre ſchönen Sünden nicht in einem ihrer jungfräu⸗
lichen Behälter abbüßt.“
„Da!“ lachte Bapitain Murray, „mit den Donnas
und Condefjas und Senoras trieben wir ed doch wirf-
Yich zu bunt! Aber, wiffen Sie,“ fuhr er zu unferem
Seefadeten gewendet fort, „daß wir alle Urfache ha—
ben, mit Ihrer Flotte oder vielmehr mit Ihren Com—
pagnons unzufrieden zu ſeyn? Anftatt und Zufuhren
zu bringen, gingen fie nach Jamaica und Vießen fich
von den NYankees wegkapern. Ueberhaupt, Ihr Her⸗
zen, in diefem Kriege habt Ihr wahrlich nicht viel
Ehre eingelegt, die Java weg, der Macedonian weg,
ein halbes Dutzend Fregatten mehr; es darf fich Fein
föniglicher Zweiundfünfziger mehr fehen Tafjen.“
„Sch glaube, wir ftehen fo ziemlich al pari,“ ent-
gegnete ihm unfer Midfhipman, defjen esprit du
Corps die Anspielung ein wenig verdroß.
„Gewiß, Mifter Hodges,“ verficherte ihn Lieute⸗
nant Devon, „wir wollen die Ehre der koͤniglichen
Waffen retten, ſie ſollen Rache haben für die Frech—
heit, die ſich dieſe gemeinen Tagdiebe herausgenom⸗
KERLE EB et in
*
*.
*
men. Ei) ich glaube, ſie hätten fie alles Ernſtes ge:
bangen, ohne Rückſicht auf die blaue Uniform.u
„Gerade fo, wie fie Major Andre ohne Rückſicht
auf die rothe hingen;“ entgegnete ihm unſer Mid⸗
ſhipman.
„Das iſt ſchon ſo lange her,“ lachte der —
„daß es bald nicht mehr wahr ſeyn wird. Aber
Scherz bei Seite, Miſter Hodges, es wäre doch keine *
ſo ganz unebene Sache geweſen. Ein beneidenswer⸗
ther Tod. Hören Sie nur, wenn wir ins Gras bei—
Sen, und diefe Grobiane legen es immer zuerft auf die
goldenen Epaulettes an, fo kräht Fein Hahn um uns.
Aber Sie wären von Tom und Goleridge befungen,
und allen Damen betrauert worden. Hof mich der
Henker! Mit ſechs Pence, und mehr. koſtet der Stri
nicht, Unſterblichkeit zu erringen, iſt wahrlich keine
Kleinigkeit. Ihre Gebeine würden, wie die des ſeligen
Andre, ausgegraben und in der Weiikinferabigl
canoniftrt worden ſeyn, eine: marmorne Tafel mit
goldenen Buchſtaben darüber, ae Jämes
Hodges Esq. 4 FR er
Damn, die Weſtminſterabten * Ihre Poſſen⸗
reißerei dazu,“ rief der Midſhipman, dem der Scherz,
— 10 e—
*
—
— 11 —
den man fich auf feine Koften zu erlauben beliebte,
allmählig zu bunt wurde. » |
„Nein, Gentlemen, ich verfichere Euch,“ ſprach
Gapitain Murray, wich kann es begreifen, wie unfe=
rem Freunde Miſter Hodges nicht ſo ganz wohl zu
Muth ſeyn mochte. Uebrigens famen Sie doch mit
heiler Haut davon, und Sie mögen froh ſeyn; in
+ Europa würde man fich freilich jo etwas mit einem
brittiſchen Offizier nicht erlauben, aber da haben wir
es mit gefügigen Souverainen zu thun, und die Völ⸗
fer kommen in feine Rechnung, aber dieſe Flegel“
„Alles und Alles zufammengenommen,“ fiel ihm
Lisutenant Forbes ein, „verfichere ich Sie, e8 ift Fein
jo übles Ding, Amerikaner zu ſeyn, und wahrlich,
wäre ich Fein englifcher Gentleman, io wollte ih ein
freier Amerikaner ſeyn.“
„Seyd verſichert „a° meinte unfer Midſ Hiyman,
wenn Ihr noch acht Tage hier feyd, ſo werdet Ihr
recht ſehr Nefpekt befommen. Zwei Lektionen habt
Ihr ſchon.“
„Ab, Eonnaught, das ift ein — * Sie,
lachte Lieutenant Devon. „Wie fagte der Junge? er
it, glaub ich, Capitain der Spargelwächter. Be—
S
912 &—
haltet den Narren einftweilen bei Euch, und wenn er
es nochmals wagt, Damen zu infultiven, werden wir
ihm einen andern Ort anweiſen.“ |
„Und ih werde Demjenigen, der es wagt, die Un-
gefehliffenheit diefes groben Yankee zu wiederholen,
gleichfalls einen Ort anweifen;“ vief der hitzige Ir—
Yänder. „Bei St. Patrik! das willich.“
„Pah! da habt Ihr den Sprudelkopf,“ fiel Capi⸗
tain Murray beſchwichtigend ein. „Schade, daß wir
keine Piſtolen bei uns haben, er ſchöſſe ſich wahrlich
nach dem herrlichen Dejeuner, ohne die Verdauung
abzuwarten.“
„Nein, galant,“ meinte Lieutenant Devon, „ſind
ſie nun einmal ſicher nicht. Da ſitzen wir bereits an
die ſechs Tage. Anfangs dachte ich ſelbſt, unſere
Gefangenſchaft dürfte kein ſo großes Unglück vn
Mir find die Erften und haben freie Wahl. u *
„Und die Mädchen reich;“ fielen ihm die Andern ein.
A
x
ie
„Eben deßwegen aber jtolz wie der Teufel; kü-
mert fich Keine um und. Und wir find doch wahrlich
feine üblen Kerls;“ meinte er, fich wohlgefällig be—
ſehend. ⸗
„Wir müſſen ung rächen;“ fielen Alle ein.
—91B —
„Gentlemen!“ verficherte Capitain Murray, nich |
habe die Ehre zu verkünden, daß ich ein vortreffliches
Frühſtück vollendet habe, und nun zur Verdauung
verboten, ſeit uns der puritaniſche Wirth die Karten
fo sans ſagon ins Feuer geworfen.“
„Was läßt ſich nun thun, das die Danfeeleute
verdrießt?“
Unſere vier Kriegsgefangenen erirugen, wie unſere
Leſer erſehen, ihr hartes Loos mit gerade ſo vieler
Gelaſſenheit, als Britten gewöhnlich an Tag zu legen
pflegen, wenn ſie für ihre leiblichen Bedürfniſſe ge—
ſorgt wiſſen und dabei die Freiheit genießen, ihrer
Zunge freien Spielraum laſſen zu dürfen; eine Frei—
beit, die fie vielleicht noch beſſer zu ſchätzen gewußt
haben würden, menn die Apathie der Danfees, wie
‚fie meinten, für. ihre gefelligen Vorzüge mehr Em-
| yfänglichfeit geäußert hätte. Die war jedoch nicht u
der Fall gewefen, und unfere fünf Cavaliere ſahen
ſich auf ihren Gafthof und allenfallfige Spaziergänge
beichränft, ohne die mindefte Ausficht zu einer jener
intereffanten liaisons, die ihnen ihre frühern Cam—
pagnen jo intereffant gemacht hatten. Uebrigens fihien
Der Reaitime. II. ' 13
was anfangen? Ecarté und rouge et noir ſind
*
—H 19 —
ihr Ungehaltenfegn auf die ungeregelten militäriſ
Bewegungen diefer Nankees, die fo ganz o hne Com—
plimente mit nicht mehr als fechs zehnhundert Mann
auf ein Corps von achttauſend ſogenannter brittiſcher
Veteranen losgingen, und beinahe zwei Compagnien
der königlichen Grenadiere von dem Hauptkorps ab⸗
ſchnitten und auf gute Nankeemanier erbeuteten —
doch nicht ſo ganz von Herzen zu kommen; im Gegen⸗
theile, es däuchte ſelbſt unſerm Midſhipman die
Gleichgültigkeit dieſer ſeiner martialiſchen Landsleute
gegen die leicht an den Amerikanern zu verdienenden
Lorbeern zu weit zu gehen. Dieſe Gleichgültigkeit
hatte auch Vieles dazu beigetragen, unſerm jungen
Mann nach der doppelt glücklich überſtandenen Criſis
wieder zu ſeiner Geneſung, das heißt zur Rückkehr
ſeines Verſtandes, zu helfen, und er fing an allmäh⸗
lig zu begreifen, daß der Schandfleck ſeiner Greurfion
aus dem Fenfter der Mistreß Blunt vieleicht doch
nicht ganz England erröthen machen dürfte, auch daß
die ſogenannten Nankees nichts weniger als unmenſch⸗
liche Halbwilde waren, obgleich ſie in ſeinen Lebensüber⸗
druß einzuſtimmen nicht für gut fanden. Zwar war
er nicht ungeneigt, die Suspendirung ſeines Prozeſſes
ar
aan 195 — n
auf Rechnung eines heilſamen Schreckens vor der
Rache feiner Landsleute zu ſetzen, und damit das
generöſe Anerbieten des jungen Copeland, das ihn
in Stand geſetzt hatte, ſeine Garderobe zu reformi⸗
ren, in Einklang zu bringen; aber es waren ihm
wieder Zweifel aufgeftiegen, und diefe hatten für ihn
wenigſtens das Erfprießliche, daß Fein bedenklicher
Rückfall in fein voriges Uebel ftatt fand, und er weit
gemäßigter von einem Lande umd deffen Bewohnern
zu denken anfing, als er wahrfcheinlich in feinem
Reben je zuvor gethan; eine Verhaltungslinie, der er
zufünftig um jo mehr fich zu folgen befliß, als er zu
finden glaubte, daß fie ihn im feinem Verkehre mit
den ihm nun allmählig furchtbar gewordenen Ameri⸗
kanern am weiteften führe. |
„Der Nebel ift verſchwunden,“ bemerkte Lieutenant
Devon, der mit feinen Kriegsgefährten fich unter-
defien von der Tafel erhoben und zum Fenſter ge
treten war.
„Die Sonne bricht hervor wie an einem Londoner
Maitage,“ fete Lieutenant Forbes hinzu. „Schade,
daß das herrliche Rand nicht brittifch iſt.“
13*
A DR te ee — 9
——
dr
7 !
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— 196 Fe
„Wird Hoffentlich: ‚bald —— yem
nant Devon, „die Hauptftadt ift bei ——
— Wollen wir auf die Bluffs?“ RR
„Die Bluffs;“ lachten Alle. „Fürwahr, dieſe
NMankees werden noch ein eigenes Engliſch erfinden;
doch halt, da kommt eines ihrer wirklich prachtvollen
Dampfſchiffe herauf.“
„Wohlan, vielleicht etwas Neues. Habt Ihr be-
merkt, wie fie bleich wurden und Reißaus nahmen;
ein gutes Borbedeutungszeichen V re Lieutenant
Devon. ER 2
Und mit dieſen Worten feßten fich and Helden
in Bewegung. F
Der Donner der Kanonen ließ ſich vom Dampf—
ſchiffe Miſſouri hören, die Flagge der Staaten vom
Hinterkaſtelle wehend. Das ganze Dampfſchiff wim—
melte von rothen Uniformen. Als es einlief, trat
Lieutenant Parker aus dem Schiffe, nach ihm ein
Zug uniformirter Milizen und brittiſcher kriegsge⸗
fangener Offiziere und Soldaten.
„Major Warden!«“ riefen die fünf Briten, „Was
iſt das?“
„Aufs Haupt geſchlagen, Sir Edward, alle Ge—
17 ⸗—
nerale, beinahe alle Oberoffiziere todt oder tödtlich
verwundet; Zweitauſend geblieben, der Ueberreſt
in vollemRückzuge; “ ſprach der kriegsgefangene, ver—
wundete Major leiſe pi |
„Da gibt es Avancements;“ tft fie Lieutenant
Devon.
Der amerikanifhe Lieutenant warf dem Britten
einen Blick der tiefften Verachtung zu, und fiel dann
ſchweigend feiner Harrenden Mutter und feinen Schwer
ftern in die Arme. ;
„Ich bringe pie Siegesbotfchaft, rief er der
verfammelten Menge zu, „die gerechte Sache hat
triumphirt.“
Die gerechte Rache hatte wirklich triumphirt, wie
ſelbſt die glänzendſte Einbildungskraft nicht herrlicher
hätte wünſchen können. Ein ſchönes, mit allen Kriegs—
bedürfniſſen reichlich ausgerüſtetes, von Siegen trun⸗
kenes Heer geübter Veteranen, die im zehnjährigen
Kampfe mit den tapferſten Truppen der alten Welt
den Sieg an ihre Fahnen gefeſſelt hatten, war von
kaum der Hälfte freier Männer ſo völlig aufs Haupt
geſchlagen worden, daß es ſelbſt das Feld zu halten
nicht mehr im Stande war. Nie war toller Ueber—
— 188 —
muth ſchärfer beftraft worden, als durch dieſen letzten
Schlag, der den ſtolzen Feind zu einer Zeit traf.
er bereits den Frieden zu — J
funden hatte. |
Kein Jubel, fein Frohlocken war jeboch unter der
verſammelten, größtentheils aus Frauen und Kindern
beſtehenden Menge zu hören. Als aber der Lieute—
nant mit ſeinen Gefährten die Nachricht umſtändlicher
vorgetragen hatte, gingen Alle ſchweigend, ohne vor—
herige Abrede getroffen zu haben, dem Tempel des
Höchften zu, um ihm ihren Dank für einen Sieg dar-
zubringen, der um fo herrlicher war, als'er dem Lande
nur wenige Opfer Eoftete.
Wir überlaffen fte und die Landfehaft ihren freudig
frommen Gefühlen, um dem merfwürdigen Manne
auf ſeinem Zuge nachzuſehen, der in einem Zeitpunkte
beſchloſſen, wo west trüben Schickſals Härtefter Schlag
ihn fo fürchterlich ai; durch die Dazwiſchen⸗
funft der „Weißen“ verzögert, aber nicht aufges
geben worden war. |
—t 19 &—
re Kapitel,
” Gorch! was wimmert im graufigen Thale wort?
Sit’ der Specht? Nein, nein, — Iſt's tie Whip-
poorwill? Nein, nein. —Ift’s die Narhteule? Nein,
nein. — Es ift ter Miko, der das Grab feines Ba-
ters mit feinem Blute düngt.
Muscogee Wehklage.
Es würde eben ſo überflüſſig als unintereſſant
ſeyn, den Urſachen nachgrübeln zu wollen, die den
alten Häuptling veranlaßten, das Bayon in einem
Zeitpunkte zu verlafjen, der, indem er den gegen ihn
erhobenen Befchuldigungen von geheimen Umtrieben
einen Anſchein von mehr als Wahrſcheinlichkeit ver—
lieh, ihn neuerdings dem Argwohne feiner vermeint—
lichen Unterdrücker bloß ſtellen mußte. In ſeinem
wilden, ſtarren Sinne und ſeiner Apathie achtete er
wahrſcheinlich weder der einen noch der Andern und,
getrieben durch das große Gebot des Geiſtes ſeines
Vaters, ergriff er die erſte Gelegenheit, feinen ver⸗
meintlichen Feinden zu entgehen, die, obwohl fie
gropmüthig für feinen Unterhalt geforgt, doch in
feiner Meinung wieder Feine Gelegenheit verfaumt
hatten, ihm alle die Kränfungen zuzufügen, die ihr
Uebermutb nur erfinnen fonnte, und die feine un-
glückfelige Gonfequenz einem eben ſo planmäßig feind⸗
ſeligen Syſteme ihrerſeits zuſchrieb, als er ſelbſt ſein
ganzes Leben hindurch beobachtet hatte. — Noch im-
mer fah er die Amerikaner durch das trüb gehäffige
Medium feiner eigenen Phantafte, und diefe Blind-
heit Tieß ihm in allen den zufälligen Aeußerungen der.
Meißen, in ihren geringfügigften Handlungen, die
eben jo nur auf Einen Punkt berechnete Handlungds
weife ſehen, welche er fich in feinem Leben zum Leit—
ftern genommen hatte; ein Wahn, der bei jeiner ab⸗
gefehiedenen Lebensweiſe und verfehlofjenen Gemüths—
art wohl verzeihlich, aber auch nothwendig eine nie
verfiegende Duelle immermwährender Kränfungen und.
Feindfeligfeiten werden mupte. Hatte nun auch ſei—
nem finftern Stolze die Aufmerkſamkeit wohl gethan,
die ihm vor feinem Sohne von den Weißen mider-
fuhr, fo war ihm hinwiederum die Geringſchätzung,
mit der er behandelt wurde, wie ein nagender Wurm
an feiner Seele gehangen. Schon der Befehl, auf
den großen Krieger der Weißen, der fein Volk bei⸗
nahe vertilgt hatte, zu harren, war ihm fürchterlich ;
geweſen. Es waren Viele gekommen, ihn zu fehen,
NN, — 2 ae a a u N an —
—
201 ⸗
wie man allenfalls ein reißendes Thier, das endlich
eingefangen iſt, ſieht, und die Art, wie er ſich bei:
diefen Befuchen benahm, zeigte wirklich wenig Unter-
ſchied zwifchen einem eingeſperrten Naubthier und
dem Könige der Oconees. Unſere Lefer werden fich-
hoffentlich den Charakter diefes merfwürdigen Manz,
ned, der bei einer ungemeinen Seelenhöhe auch wie—
der entjegliche Tiefen hatte, im Auge behalten haben,
um und weitere Bemerkungen überflüffig zu machen.
Die Tradition feiner Stammesgenoffen nun hat
uns feinen geheimnißvollen Zug vom Bayou ums
ftändlich aufbewahrt, und indem wir ihr getreu folz
gen, verſetzen wir und an feine Seite in die Urwäl-
der des heutigen Staates Miſſiſippi, oberhalb Nat=
chez, an welcher Stadt ihn fein Weg vorbeigeführt
hatte. ’
Acht Tage waren feit feinem Verſchwinden vom
dem Bayou verflofien, aber noch. hatte er mit den
Seinigen fein Wort gefprochen. Tag für Tag war
er vorwärts geeilt, raftlos und nimmer ruhend, ver—
ſchloſſen, finfter und brütend, feine Begleiter ihm
folgend, wie Hunde ihren Herren, ohne einen Laut
” ; Be u ac —
202 &—
von ſich zu geben. — Das Wild des Waldes hatte
ihnen zur Nahrung gedient, die gefrorne Erde zur
Lagerſtätte, ihre Wolldecken zu Betten. Sie hatten
ſorgfältig die Wohnungen der Weißen vermieden
und waren ohne Hinderniſſe am vierzehnten Tage
sach ihrem Aufbruche im Angeſichte eines jener un—
geheuern Fichtenwälder angelangt, die ſich von der
ſüdlichſten Kette der Appalachen hinüberſtrecken gegen
den Staat Miſſiſippi. Je näher der Häuptling die—
ſen Wäldern kam, deſto freier, ſagt die Tradition,
wurde feine Seele, deſto heiterer fein Auge, deſto zuver⸗
fichtticher feine Miene. Ein Gefühl son Wehmuth
und Freude, von bangem Schmerze und froher Sehn-
fucht trieb ihn vorwärts zum Lande feiner Kindheit,
feiner Mannbarfeit, dem er den Rücken zu wenden
gezwungen worden war, das ihn verftoßen hatte.
Und, ald er in der Nähe des Fluſſes ankam, an
deſſen jenfeitigem Ufer die Fichtenwälder feiner. Hei⸗
math empor ftarrten, da wurde feine Seele groß,
und die ganze Kraft der vorigen Tage lebte in ihm .
wieder auf und er hob ſchweigend feine Arme und
deutete hinüber — und leiſe und feierlich fehritt er
über die leichte Eisdecke des Fluffes. — Und' als er
—t 03 ⸗—
am jenfeitigen Ufer angelangt war, warf er fich zur
Erde und blieb eine lange Weile regungs⸗ und be⸗
wegungslos liegen. Der Wind hob ſeine grauen
Haare, daß ſie empor ſtanden, wie das vom Froſte
verfengte Gras, der kalte, rauhe Nordwind war ihm
das Säufeln der Geifter feiner Väter, das zu ihm
ſprach, deſſen Stimme er verftand , und dem er wie—
der Antwort gab. Ningend mit fich felbft und fei=
nem Jammer, ftöhnte er und brach endlich in Die
Worte aus:
n&rde! die du gefehen haft den Sohn von ihm,
der dem Sohne des großen Sheyah Leben gab —
Tofeah grüßt dich! Der Herr deiner endlofen Wäl-
der, war er geboren, der Mifo eines großen Volkes,
war er gewählt. — Ein Flüchtling, ſteht er nun auf
deiner Gränze, ein Auswürfling, ein Fremdling Dir
und den Gräbern feiner Väter. Großer Geift!
Warum haft Du dieß gethan? BZahllofe Sonnen
hindurch hat der Miko mit den Seinigen an den
Ufern feines Fluſſes gejagt, ein mächtiges Volk hat
er beberrfeht, warum mußte Tokeah in die meite
Nacht der Wildniß? Warum mußte er dem Lande
feiner Väter den Nürken Eehren? Warum muß er
a rs
—
und das Andenken von * verſchwinden von deiner
Erde? Sprich, großer Geift! Gieb Tokeah NR:
Zeichen, daß er deinen Willen erkenne! / iger:
Der flehende Greis ſah auf das weite Simmels-
zelt mit jehnfüchtigem Blicke. — Es war mit Wok
fen überzogen, der Nordwind heulte durch den Wald.
— Sein Angeficht wurde düſter und verzagt. —
Wieder ſank er zur Erde. Ein kalter Fieberfroſt rüt⸗
telte ihn. m
„Großer Geift! vergib,“ murmelte er. „Deine
Stirn ift umwölkt und Dein Auge ſieht düfter auf
Tokeah, weil er wie ein zagendes Kind redet.u
Er erhob fih nun, und indem er feine Gefährten
zu fich winkte, danfte er zuerft dem Cumanchee⸗
Häuptling für feine getreue Liebe und eröffnete ihnen
dann die Urſache ſeines tauſend Meilen langen Zuges
in DM Worten: —
„Sieben Sommer find verflofien, feit der Miko
der Deoneed dem Land feinen Rücken geivendet, wo
jeine Voreltern ihre Wigwans hatten. Zweimal feit
dieſer Zeit hat er den endlofen Fluß überſetzt, allein
und von feinem Auge gefehen, um an den Gräbern
feiner Väter zu liegen. Gleich— dem reißenden Pan⸗
72 i *
*
—H9 205 —
“
ther ward, er gejagt, gleich dem Hungrigen Wolfe
ward ihm von den Weißen auf feiner Fährte nachge=
ſetzt; es iſt nun zum letztenmale, daß fein Fuß auf
dem Lande fteht, wo feine Väter gelebt haben. In
der zweiten Nacht nach der, die ihm Alles geraubt
hatte, ‚das feinem Auge theuer war, als fein Haupt
ſchlaflos und verzweifelnd nicht ruhen, ſeine Augen
ſich nicht ſchließen konnten, in derſelben Nacht er-
ſchien ihm der Geift feines Vaters, der in den grü-
nen Wiefen wohnt. Tokeah Min bange in feinem
Herzen, und dem Geiſte feines Vaters war auch
bang. „Geh!“ jo fprah er — „geh! zu meinem
Grabe und ſammle die Gebeine Desjenigen, der Dir
Leben gegeben hat, und Derjenigen,. die Dich geſäugt |
hat; nimm fie aus ihrer düftern Wohnung und von
der entheiligten Erde Derer, die fte verachten! Laß
fie in demfelben Grunde ruhen, wo mein Sohn und
fein Volk ruhen werden und begrabe fie unter den
Gebeinen der rothen Männer. Fürchte Dich nicht,
fie aus ihrem Grabe zu nehmen! Der Fluch wird
Dich nicht treffen.“ Tokeah erhob fih von feinem
Lager, fuhr der Greis fort, als der Geiſt ihm fo
flüfterte ; feine Seele war traurig. Wieder legte er
— 206 e—
fih auf das Lager. „Die Sufe des Roſſes, der
Pflug der Weißen,“ ſprach wieder der Geiſt feines
Vaters, „find über den. Todeshügel gegangen, wo
der Vater Tokeah's begraben liegt, eine kurze Zeit
und ſeine Gebeine werden zerſtreut ſeyn über die
Erde und von den Winden weggeführt werden.“ —
„El Sol!“ Sprach der Greis, nun zu ſeinem Sohne
gewendet, „Tokeah muß thun, was ihn der Geiſt
ſeines Vaters geheißen hat. Er’ muß die Gebeine
ſeines Vaters nehmen, daß ſie friedlich ruhen mögen.
Er muß den Häuptling der Cumanchees während drei
Sonnen verlaſſen, und in das Thal gehen, wo fein
Bater begraben liegt." —
Der junge Mexikaner horchte — auf die
Worte des alten Mannes.
„Hat der Geiſt des Vaters dem Miko zugeflüſtert ?“
fragte er mit ſtarker, dumpfer Stimme.
„Zweimal hat er deutlich geſprochen.“
„Dann muß er ſeiner Stimme gehorchen. Groß
iſt,“ ſprach er, und ein unwillkürlicher Schauder
durchzuckte ihn — „groß und ſchrecklich iſt der Fluch,
der Jene trifft, die die Gebeine aus ihrer Ruhe reißen.
— Ihr Volk wendet ſich ſchaudernd, und ihre Na=
—9 207 &—
men find verflucht von Geſchlecht zu Geſchlecht; aber
wenn ber Vater gefprochen hat, dann muß der Sohn
gehorchen. El Sol will mit feinem Vater gehen.“
„El Sol,“ erwiederte der Greis kopffchüttelnd,
„iſt der Sohn des Miko und ſeinem Herzen ſehr
theuer, er hat das Blut Tokeah's in ſeinen Armen
gehabt; aber ſein Auge darf den entheiligten Hügel
nicht ſehen, unter dem fein Vater begraben iſt.“
„El Sol wird nieht auf die Schande feines Va—
ter8 fchauen; aber er wird dem Miko folgen und
will ferne von dem Grabeshügel Sheyahs warten,
bis der Miko zurückkömmt.
Der alte Mann gab ſchweigend feine Einwilligung,
und der Heine Zug bewegte ſich gegen Often. Mit
dem Anbruche des zweiten Tages befanden fie. ſich
am Fuße eines Berges, hinter welchem die Flächen
Georgiens ſich unabſehbar gegen das atlantiſche Meer
hinabdehnen. Der alte Mann hatte im feierlichen
Ernſt den Berg erſtiegen. „Sieht mein Sohn,“
ſprach er, als fie auf dem Gipfel angefommen wa⸗
ren von dem fie eine ferne Ausſicht auf die wald-
bekränzten, nur bie und da durch Reif verfilberten
Hügel hatten — „ſieht mein Sohn jene hohen Hü—
NT RE ERNEUT 109 12007, EERAEN
DV. Bar ol a AN
2 ee +
ad, die ſich i in einer Kette — E— und deren
Füße ſich immerdar in dem glänzenden Sttome wa-
fhen? Sie find noch in Nebel gefleidet; hinter die-
fen ift das Thal, wo die Gebeine * Vaters
Tokeah's ruhen.“ —
„Mein Vater mag dann — “sprach & Sol.
Nein, mein Sohn,“ verſetzte der alte Mann.
„Als der Leib des Vaters Tokeah's tief gelegt ward,
da fprach der große Prophet feines Volkes den Fluch
über Denjenigen aus, der feine Gebeine an das glän- |
zende Licht der Sonne bringen und. vor Schaam er-
bleichen machen würde. Das Licht des Himmels darf
fie nie wieder fehen; der finftern Nacht wurden fie
übergeben, in der finftern Nacht müffen fte aus ihrem
Dunfel gehoben werden. Tokeah will warten, bis
die glänzende Kugel Hinter der Welt iſt.“ |
Er ſprach nun mit den Oconees, und Dieſe ent-
fernten fich, kamen aber nach einer Weile zurück, mit
Rinde beladen. Sie fegten ſich mit dem alten Manne
nieder und fingen an, dieſe in die Form eines klei⸗
nen Sarges zuſammen zu nähen, deſſen Ins und
Außenfeiten fte mit den Fellen von Hirſchen die fi fie
den Tag zuvor erfegt hatten, beffeideten, Ein Strahl
Ge
—d 209 ⸗—
von Zufriedenheit überzog das erftorbene Geficht
des Greifes, als er den Sarg beendigt ſah. Er hef-
tete an die beiden Ende einen breiten Riemen.
„In der Rinde Deiner Geburtswälder und im
Gewande derfelben Hirſche, die Du gejagt haft, ſollſt
Du ruhen, Gebein meines Vaters,“ ſprach er.
Und dann legte er ſich zur Ruhe. Als die Nacht her—
angebrochen war, ſtand er auf, nahm den Sarg an ſeine
Bruſt, und winkte den beiden Oconees, ihm zufolgen.
Es war Mitternacht, als die drei Indianer im
Thale ankamen. Der volle Mond war bisher Durch
einen Fichten Saum Teichter filberner Wolken geflogen.
und ſank num in eine bleifarbige graue Schneewolke.
Die Indianer bewegten fich im tiefften Stillfehweigen,
längs den Ufern des Stromes, unter den blätter= .
Iofen Wallnußbäumen fort. Ein leichter Schauder
überfiel den armen Dann, al3 er durch die wohl-
befannten Wälder feines Geburtsfandes ſich ftahl;
er blickte auf, ftarr und ſcheu und furchtſam, als um-
ſchwebten ihn die Geifter feiner Väter. Er horchte, als
hörte er ihre Stimme. Je weiter er in das Thal ein-
drang, defto beflügelter wurden feine Schritte. Ein
entfernter Laut fehlug an feine Ohren. — Es war
Der Legitime, m. | 14
—9 210 &—
Hundegebell. „Geift meines Vaters,“ ftöhnte u, >»
bie Weißen find Deinem Grabe nahe. u.— Er rannte
nun, er flog dem Grabeshügel zu Die rohe Ein-
zäunung eines Wälſchkornfeldes umgab die Stätte —
die Fiebliche Nacht der Wildniß war verfehmunden,
— Stengel von Wälſchkorn und Hülfen mit Stödfen
lagen auf dem Boden zerftreut umher. Die Bäume
ftanden blätterlos und abgeftorben ; ihre zum Theil
zindelofen weißen Stämme jtarrten tie in Grab-
tücher gehüllte Rieſen in das zuckende Antlitz des
Wilden. „Geiſt meines Vaters!“ riefen; / Geiſt mei⸗
ned Vaters!“ jammerte ex in unſäglichem Sihmerze.
„Wo find die Gebeine, die Deine Stärke ausmachten
und von denen die Gebeine Tokeah's find? Das Erd⸗
reih ringd um die Bäume, deren Fable, im blafjen
Mondlichte zum Himmel emporftrebende.Aefte die Ver⸗
wüftung. anzuffagen fehienen, war durch den Pflug
aufgeriſſen. Der Greis fiel bewußtlos zur Erde.
Seine Gefährten ſprangen herbei, ihn antguitun
„Hinweg! weg,“ murmelte er mit dumpfer Stimme.
— „Hinweg von dem Grunde, wo ein —
begraben liegt! Tokeah will ſeine Gebeine allein aus⸗
graben.“
—H 211 &— %
Und mit feinen Händen grub er nun den halb ge-
frornen Boden auf. Der Kiefel’ fehnitt in feine er—
ftarrten Palmen, das Blut floß von Fingern und
aus den Nägeln, die Haut fiel in Feen von feinen
Händen; aber feine Eile, als befürchtete er, Jemand
würde ihm feines Schatzes berauben, nahm mit fei-
nen Wunden zu und er bohrte, Bis er die ganze
Mafje Erde aufgeworfen und die Meberbleibfel feines
Vaters gefammelt hatte. Das erfte und einzige Mal
in feinem Leben fhluchzte er laut und vergoß heiße
Tränen. Dann rannte er zum Grabe feiner Mutter.
Det Pflug war hier tiefer eingedrungen. Nur wenige
Zolle Erde bedeckten noch ihre Gebeine. Mit unfäg-
lichem Schmerze legte er diefe zu denen feines Vaters.
Der Mond goß fein volles Licht auf den Wilden, als
er auf der gefrorenen Erde vor dem Sarge lag:
„Geiſt meines Vaters!“ ftöhnte er, „Du haft
wahr geſprochen. Die Hufe der Thiere der Weißen
find über Deinen Grabhügel gegangen. Sie haben
ihn flach getreten. Sieh herab von Deiner Wohnung.
Der Sohn hat gethan, was Du ihm geboten haft.
Er wird Deine Meberrefte nun dahin nehmen, wo
feine — grabſchänderiſche Hand ſie ſtören, wo
14*
- — 212 ⸗—
ſeine eigenen Gebeine ruhen ſollen. Er will ſie unter
feinem Volke begraben. Geiſt meines Vaters! bitte
den großen Geift, daß er auf feine Kinder mit mil-
dem Antlitz fehe, daß Du einft wieder ihrer hat
Dich freuen mögeft. Dein Sohn ift gleich einer a
moderten Eiche. Viele Stürme haben ſeine Kraft
gebrochen, ſeine Aeſte ſind zerſchellt, ſein Geiſt ſeufzt.
— Geiſt meines Vaters! wenn Du das Antlitz des
großen Geiſtes ſiehſt, bitte ihn für Deinen ar
jeine Kinder !u
Das Humdegebelle ließ ſich de hören De
„Ich höre die Stimme des Vorläufers der Feinde
meines Gefchlöchtes. Lebe wohl, Vater⸗ — Mutter-
land! Lebt wohl, ihr Bäume, in deren Schatten
Tokeah fo oft ſich gefühlt hat, während des heißen
Sommers, — mo er gerubt hat nach der langen
Jagd. — Lebe wohl, Strom! wo er feine Glieder
fo oft erfrifcht, wo er das Nuder zuerft gehoben. —
Lebt wohl, ihr Hügel, auf welchen jein Vater zuerſt
feine ſchwachen Arme ——— hat, den Bogen zu
ſpannen!“ EN
Der Mond goß feine Silberftrahlen wieder hinter
— 213
dem — Flaume von Wolfen hervor. Das Ge⸗
belfe ward zum Drittenmale gehört. ——
„Großer Geiſt!“ bat er, „Du haſt mit hellen Anz
gen auf die Thaten des Kindes gejehen. Deffne die
Ohren feiner Brüder, auf da fie die Worte hören, '
die er ihnen fagen wird. |
Er jtand fodann auf, und nachdem er den Riemen“
um feinen Hals gelegt, nahm er den Sarg an feine
Bruft und Fehrte zurück zu den Cumanchees. Den
beiden Oconees winkte er, und Diefe entfernten ſich
in verſchiedenen Richtungen. i
„Der Geift meines Vaters Hat wahr BERG u
redete er feinen Sohn an. „Der Pflug ift über den
Grabhügel gegangen, der feine Gebeine einſchloß.
Der Hügel felbft ift zertreten, verfehtwunden. «
„Tokeah hat wie ein frommer Sohn, wie ein
großer Mifo gethan,“ eriwiederte der junge Mann.
— „Aber die Cumanchees und Pawnees und Die
Deoneed find verwaist, der Pfad, den Tokeah und
El Sol zu gehen haben, iſt lange — der weißen
Roſe wird bange ſeyn.“ Er hielt plötzlich inne.
Der alte Häuptling warf einen forſchenden Blick
auf ihn und ſprach dann: „Die rothen Manner wiſ⸗
*
4
8
—dH 214 &—
E
- fen, daß Tokeah auf dem Pfabe ift, das Gebot des
großen Geiftes zu erfüllen. — Aber mein Sohn hat
etwas auf dem Herzen, er muß feine Zunge Töfen. a
El Sol ſchwieg jedoch und fie feßten fich zu ihrem
Mahle Als fie diefes eingenommen, traten fie ihren
Rückweg an. Es war jedoch nicht derfelbe Weg, den
fie gefommen waren; ihre gegenwärtige Richtung
Yag mehr füdöftlich. Der junge Häuptling fehien un=
geduldig zu werden. Schweigend, jedoch mit der den
Indianern eigenthümlichen Selbftverläugnung, folgte
er dem greifen Hauptlinge durch eine Landſchaft, die
von der, durch welche fie bisher gekommen waren,
. gänzlich verfehieden war. Gewächſe, Bäume, das
Erdreich, die zerftreuten Pflanzungen, die ihnen auf—
fließen, felbt die Zäune um die Gärten an den Häu-
fern waren verfchieden. Sie bemerften an dieſen
Zäunen häufig die Gerippe von Thieren, die dem
Mexikaner fremd zu feyn ſchienen; lange fürdhter-
liche Gerippe mit ungeheuern Rachen und Zähnen,
die Einen noch immer grinfend anblicdten, al3 woll-
ten fie die Wanderer verfchlingen. Ste waren in Ala⸗
bama, mo die häufigen Aigatoren gewöhnlich von
den Pflanzern als eine Art Trophäen an den Zaum
—d 2156
. an einander. gereibt werben, fo wie wir die Adler
und andere Raubvögel an unfern Scheunen . als
Warnungszeichen für die Hühnerdiebe heften. Ihre
Schritte wurden nun mit jeder Stunde jorgfamer.
Sie vermieden nicht nur ängftlich die Wohnungen
der Weißen, fondern auch jede zufällige Begegnung
derfelben; durch die dunfelften Wälder, die unzu-
gänglichften Dickichte, die wegloſeſten Sümpfe ging
ihr gefahrvoller Weg ſchnell und mit einer Sicher⸗
heit, die die Gefahr wittert und ihr inſtinktartig zu
entrinnen weiß. Endlich, nach einem Marſche von
mehreren Tagen, langten fie in einem weiten, tiefen
Thale an, das, von mäßigen Hügeln umſchloſſen, in
der abgefhiedenften Verborgenheit lag. Der alte
Mann fegte feinen Sarg auf die Erde, winfte feinem
Sohne zu bleiben, und verließ feine beiden Begleiter.
Nah einer Weile wurde ein durchdringend langes
Pfeifen gehört, fo fehneidend, fo gellend, Haß die Nacht-
eulen zu Hunderten in ein lang fchallendes Gelächter
ausbrachen — dann erfolgte eine tiefe Stille. Wieder
erfhallte das Pfeifen, von einem ohr= und herzzer⸗
reißenden Tone begleitet, der weder von Thieren
noch Menſchen herzurühren ſchien, und wieder er=
en Sal DS a
“folgte eine lange Stille. Ein drittes Mal ertönte
dieſes Pfeifen, ſchneidender und durchdringender als
zuvor, und nun war es, als ob aus der Ferne ein
Geziſch und Gemiſch von Tönen und Stimmen ver—
nehmbar würde, ſo klagend, ſo heulend, wie das
Geheul des Wolfes, wenn er in Langen, ſchmerz⸗
lichen Todesmartern ſich wälgt. Bald darauf erſchien
der alte Mann und ſetzte ſich ſchweigend an die Seite
feines Sohnes.
Achtunddreißigſtes Kapitel.
Sie alle antworten eines Lauts,
Man ſey im Fallen, brauche Geld, man fönne
Nicht wie man wolle.
Goͤthe.
Mit einem Male wurde e8 helle. Noth und wild
fladfernde Flammen fehlugen durch das Gebüfche und
erleuchteten die graufige Waldesnacht. Aus den ver-
ſchiedenen Zugängen kamen eine Menge Geſtal⸗
ten trotend auf die beiden Häuptlinge zu, neigten |
ihre Häupter, Freuzten ihre Hände ‚auf der Bruft,
und ließen fich dann ohne ein Wort zu reden am Ra-
-
4
—$ 217 &—
fen auf die gewöhnliche Art nieder. Ihre Anzahl war
„ bereit auf fünfzig geftiegen ; aber fie mehrte fich mit
jeder Minute, fo daß fte ſich endlich auf mehrere
Hunderte belaufen mochte. Die Meiſten der wilden
Ankömmlinge waren in ihre Wolldecken gehüllt, un—
ter denen ſie das Jagthhemd und den Wampumgürtel
mit der Lendenbedeckung trugen. Viele aber hatten
bereits Fragmente amerikaniſcher Kleidung, obwohl
in ſo bunter Miſchung, daß ſie, bei Tage und in
weniger ſchauerlichen Umgebungen geſehen, leicht
Lachen Hätten erregen können. So hatten Einige
Beinkleider, aber weder Schuhe noch Strümpfe. An-
dere hatten Hüte, auf deren Kronen bleierne Bilder
in dem breiten blechernen Bande ftafen, wieder An=
dere hatten Röcke ohne Beinkleider, oder Welten
ohne eine andere Bekleidung, das Jagdhemde und
die Wolldecke ausgenommen. Nur Wenige waren
ganz in das amerifanifche Koſtüm gefleidet. Auch in
der Art, wie fie fich den beiden Häuptlingen nahten,
war, etwas ganz Eigenthümliches. Es fehien, als ob fie
mit Widerwillen herankämen ; ihre wilden, und durch
den unmäßigen Genuß des Feuerwaſſers halb ver-
troefneten Geftchtszüge gaben weder Freude no
— 48 e⸗—
Theilnahme zu erkennen, eher eine gewiſſe Scheu,
einen unwillkürlichen, halb unterdrückten Schauder.
Der alte Mann war geſenkten Hauptes in der Stel⸗
lung fißen geblieben, die er eingenommen hatte. Als
er endlich feine Augen auffchlug und fein Blick über
die verfammelte Menge hingleitete, ftarrten ihn die
MWilden mit einem fo glogend gleichgültigen Aus—
drudfe an, als wären fte mit Entſetzen beim Anblicke
ihres frühern Häuptlings erfüllt. Da wurde feine
Miene ſchmerzhaft düfter, und ein bittere, beinahe
höhnifches Kacheln verzog feinen Mund. Ein altlicher,
aber ganz nach amerifanifcher Weiſe gefleideter Dann,
von einer ind Kupferroth ſchillernden Geſichtsfarbe,
trat keck vor den alten Häuptling, ſah ihn eine Weile
höhniſch lächelnd an, und ſeine Kienfackel in die Erde
ſtoßend, ſetzte er ſich unter die Vorderſten im Halb⸗
kreiſe. „Joſeph, der. Oconee,“ murmelten Alle —
und dann erfolgte wieder eine lange Pauſe.
Die Wilden hatten ſämmtlich ihre Kienfackeln in
die Erde geftekt, und der Wiederfchein des roth im
ihre grimmigen Geftchter fchlagenden Lichtes gab der
Berfammlung einen Ausdrud, der wild pittoredf ge-
wefen wäre, wenn nicht die übel angebrachten Frag—
—d 219 &—
mente amerikaniſcher Kleidung diefen Eindruck mie
gefagt ins Lächerliche verzerrt hätten.
„Sind meine Brüder verfammelt, um die Stimme
Eines zu hören, deſſen Auge fie lange nicht mehr ges
fehen hat?“ fragte der Miko. 2.
„Sie find es,“ ſprach ein alter Mann, „ die Mus—
cogees find weit gekommen, um die Worte des großen
Miko zu hören, und ihre Ohren find offen, und eh
Arme ausgeſtreckt. u
„Die Männer der Muscogeed haben die Toma—
hawks begraben,“ rief der Häuptling Iofeph heftig.
— „Sie haben beim großen Geiſt gefehtworen, “ fegte
er mit einer zänkiſch gellenden Stimme Hinzu.
&3 entftand ein Gemurmel, das eben fo wohl Bei-
fall als Mißbilligung bedeuten konnte.
„Mein Geruch ſpürt den Athem eines Verräthers,
den Sohn eines Weißen und einer betrogenen Squaw,
der Tochter eines Häuptlings der Muscogees:“ 9
der Miko.
Es erhob fich wieder das Gemurmel ded Unmillens.
„Mein Athen,“ erwiederte der Halfblood *) Jo—
*) Halbblütig — von einer Weißen und einem Indianer,
oder umgekehrt, abftammenp.
—
9
ſeph giftig, „ſpürt den Athem eines Wolfes, den die
Heerde der Seinigen vertrieben, weil ex fie den Jü-
gern in die Schlingen geführt; Joſeph,“ ſetzte er
triumphirend hinzu, „iſt geboren von dem Blute ro⸗
ther und weißer Eltern. Sein Vater war ein Weißer,
feine Mutter war die Tochter der Schweiter des Miko
Tokeah. Hat er aber, gleich Dieſem, den rothen
Männern das lange Meſſer der Weißen in den Nacken
geſetzt? Nein, er hat es abgewehrt von ihrer Bruft.
Er bat gejagt mit ihnen, er hat den Tomahawk er-
hoben mit ihnen gegen die Cherofees und die Coe—
taws der jechd Nationen.“
Er hielt inne und fah die Umberfigenden forſchend
an. J
„Wenn meine Rede meinen Brüdern gefällt, jo
will ich fortfahren; wenn fie. aber ihre Ohren vers
ſchließen, jo weiß der Häuptling Jofeph feine Zunge
zu halten.« . _.* —
Ein alter Wilder unterbrach ihn. „Er hat ſich
wie der rothe Hund in ſeine Höhle geflüchtet, als die
Muscogees die Art gegen die Weißen erhoben. Er
hat den Späher der Weißen gemacht. u
„Und feinen Brüdern den Frieden gebracht,“ fiel
— mM —
der Halfblood dem Sprecher keck ein. „Wäre Iofeph
nicht gewefen, wo wären jeßt die Mußcogees? Sie
wären von der Erde vertilgt.“ |
„Beſſer,“ fagte ein Zweiter, „fie wären defafln
im blutigen Felde, als von ihren eigenen Brüdern |
verrathen zu werden. «
Der Miko hatte dieſe verſchiedenen Ausbrüche der
Ungeduld, die fo ſehr der. bei einer Verſammlung
bhergebrachten Sitte zuwider liefen, mit mehr Stau—
nen ald Unwillen angehört.
„Und fehen die Augen Tokeah's,/ fo FIN er end⸗
lich, „wirklich die Muscogees, die großen Muscogees,
deren größter Häuptling fein Bater und er gewefen?
Die Muscogees, die den Weißen noch fürchterlich
waren, als bereit3 alle rothen Stämme diesfeits des
endlofen Fluſſes verſchwunden oder halb vertilgt wa—
ven? Ja!“ rief er mit fehmerzlicher Betonung, „es
find wirklich die Muscogees, aber nicht die Musco—
gees des Miko Sheyah und Tofeah, e8 find Männer
mit rothen und röthlichen Gefichtern, aber in den
Gewändern der Weißen. Hört, rothe Männer, die
legten Worte Tokeah's, und füllt feine Ohren nicht
mit Squaws⸗ Gezänfe. — Männer der Muscogees!
Mr. a re Kt
— 22 —
Den Eure Augen neben Tokeah ſehen, va
Sol, der größte Häuptling der Cumanchees.⸗
Es erhob ſich ſofort eine Anzahl der — die
ſich dem j jungen Merikaner näherten, um ihn zu be⸗
grüßen, indem fie ihm die Palme, ihrer Hand
gegenſtreckten; die Uebrigen blieben murrend ſitzen
„Der Miko der Oconees,«“ Sprach der Halfblood
Joſeph, „hat fich von feinem Volke losgeriffen. Er
ift in die falzige Wildniß jenſeits des endlofen Stro—
med gegangen. Warum hat ihn fein Weg wieder
bieher gebracht? Seine Zunge ift wie das Wafler
des Deonee, das fich bereitö mit dem großen Salzſee
vermiſcht hat. Sie iſt bitter, ſcharf und giftig. Wol-
len meine Brüder fie hören, und das Gift in ihre Her—
zen aufnehmen 24 8
Es entftand wieder ein heftiges Gemurmel.
„Wollen meine Brüder ihn hören und die Stirn‘
der Weißen umwölken?“ fehrie der Halfblood. „Er,
der die Leichen der Ihrigen geſäet hat wie Wälſchkorn,
er Vebt noch, feine Krieger find mit ihm. Er ift nicht
viele Tagreifen von den Wigwams der Muscogees.
„Hugh!“ ertönte es aus den Reihen mit einem
furchtbaren Geheule, während Andere in ein lautes
| 423 ⸗—
Miteren ausbrachen. Mehrere fehienen dem Sprecher
beizupflichten, Diele hatten jedoch ihre Augen auf
den Mifo gerichtet, der Falt und anſcheinend une
wegt ſaß. a
„Der Sohn eines Weißen,“ hub er eb an,
„bat wahr gefprochen. Die Zunge Tokeah's ift bit⸗
ter; fie ift nicht geläufiger geworden, ſeit er vor
zwanzig Jahren in eben diefem Thale zu den Seini-
gen geſprochen. Sie ift Kitterer geworden; Denn
feine Augen haben Vieles gefehen, feine Ohren Vie—
les gehört, das feine Seele betrübt. Sie haben ge-
fehen, wie fein Volt fih wie Hunde von ihren fal-
ſchen Brüdern an rothe Männer — an Brüder hegen
ließ.“ Bei diejen Worten blies er in feine geballte
Fauſt, die er zugleich öffnete und vorwarf. „Seine
Augen Haben gefehen, wie rothe Männer gegen ihre
rothen Brüder den Tomahawk erhoben haben, weil
die falſchen Weißen e8 jo gewollt haben, die dann
der Thoren fpotteten, die fich einander die Meſſer in
die Bruft fließen. Seine Augen haben geſehen, wie
falſche Brüder fih in die Wigwams der Weißen ger
fehlichen, und von ihnen viele Dollars erhielten, und
damit die rothen Männer betrunfen machten , und
N er FC 7 I >
J — ———
wu
als fie ſich im Kothe berummwälgten, aha.
Ohren flüfterten, das Land ihrer Vaͤter den Weißen
zu verkaufen. Sie haben es geſehen, wie fie, wäh-
vend der Miko auf feinem Zuge gegen die Choctaws
der ſechs Nationen geweſen, gegen die der Tomahawk
wider ſeinen Willen erhoben worden, wie ſie ſein
Land den Weißen verkauften. Sie haben es geſehen,
und die Dollars, die er dafür empfangen ſollte. Aber
er hat ſie mit dem Fuße weggeſtoßen. Seine Oh—
ren,“ fuhr er fort, „haben gehört, wie ſich die ge—
blendeten, rothen Männer anhetzen jießen, die To—
mahawks zu erheben gegen die Weißen, als es zu
ſpät war, und ſie ſo in die Falle gingen. Sie ſind
geſchlagen worden in blutigen Schlachten, und viele
Sommer werden verlaufen, ehe die rothen Männer
werden wagen dürfen, wieder ihre Tomahawks gegen
die Unterdrücker zu erheben. Aber höret, rothe Män—
ner der Muscogees!“ fuhr er fort, und feine Stimme
606 ſich — „die Weißen haben die rothen Mä
durch ihre heuergewehre und langen Meſſer J
drückt. Ihrer ſind Wenige, aber dieſe Wenige ſind
noch den Weißen zu Viele. Hört, rothe Männer !
die Weißen haben viefe Gifte. Sie haben das Feuer⸗
2
—4
|
|
’
wafjer, das langſam tödtet. Sie haben ihre weißen
Späher, die fie unter Die rothen Männer fenden und
die ihren Squaws und Töchtern Fieber find, weil fie |
eine zartere Haut haben; fie haben aber auch ver=
rätherifche Zungen unter den rothen Männern, viele
verrätherifihe Zungen. Sie find Häuptlinge gewor—
den, dieſe verrätherifchen Zungen. Sie haben die
" Dollars genommen, die der Miko mit den Füßen
weggejtoßen hat, Sie ziehen mit meinem Volke. Sie
wohnen auf feinem Lande. Sie reden mit feiner
Zunge. Aber fie reden mit einer Doppelzunge, weil
ſie Doppeltes Blut haben. Kennen meine Brüder |
diefe Männer 24 Sein Blick. fiel durchbohrend auf
den Häuptling Joſeph.
Diefer war in unruhiger, unbändiger Wuth, und
nur durch die Seinigen bisher vom Ausbruche derſel⸗
ben zurückgehalten worden.
⸗Männer der Muscogees!“ ſchrie er aufſpringend
‚mit kreiſchender Stimme. — Ich ſage nichts mehr, als
her große Krieger der Weißen (ebt noch — der verbann-
te, der vertriebene Tokeah flüftert Euch in die Ohren.’
Ihr mögt ihn hören, und feine Worte werden Euch
führen, wohin er getrieben wurde, in die Salzwuſte. A
Der Resitime. ID.
8 913
— 6 —
Der alte Mann hatte, nachdem, er gefprochen, fein
Haupt auf die Bruft gefenkt. Er hob es num und
warf.auf den Sprecher einen mitleidig verächtlichen
Blick. „Hat Tokeah,“ jo frug er, „das Kriegsge—
fchrei erhoben? Sat er feinen Brüdern in die Ohren
geflüftert, es zu erheben? Was Tokeah gewollt hat,
wiffen die rothen Männer. Sie verfchlofien ihre Oh—
ren. Sie hörten feine Stimme nicht. Tokeah war in
feinem Herzen betrübt, als feine Ohren e8 vernah-
men. Er war ferne von ihnen. Er hat aber. eine
Kette gefehlungen, die auch für fie glänzen wird —
der große Häuptling der Cumanchees wird fie als
feine Brüder, als feine Söhne aufnehmen. Tokeah
ift gefommen, fein Volk nochmals zu ſehen. Er ift
durch die Wigwams der Weißen gegangen. Sie zit-
tern vor den vielen Kriegern des Vaters der Cana—
das, die gekommen find, zahlreich wie die Bäume des
*
Waldes in großen Canoes, und mit brüllenden |
— |
Feuerſchlünden.“
Die Wilden wurden plötzlich fi "und * den
Häuptling forſchend an. Ihre Augen begannen wild
zu rollen, und das dumpfe Flüſtern, das nun in den
*
J
MM.
Reihen umberlief, bewies, daß der Alte eine Saite
berührt hatte, die gewaltig i in ihrem Innern erflang.
„Und was befiehlt uns der große Miko zu thun?“
„Der Miko iſt gekommen auf dem Pfade des Frie—
dens,“ verſetzte Dieſer ausweichend. „Die Seinigen -
find ferne. Seine Brüder haben ſeit vielen Sommern
feine Stimme nicht gehört. Sie haben ſich andere
Häuptlinge gegeben — fie müffen Diefen gehorchen. «
Er jah bei diefen Worten die Wilden forfehend
an und horchte auf das Gemurmel, das nun ent-
ftand.
„Seine Augen jehen nicht mehr. Muscogees;u
fuhr er fort. „Sie fehen verkleidete rothe Männer,
die ſich mit den weggeworfenen Gewändern der Wei-
‚Ben behangen, die fich de Wampums ihrer Väter
Thamen, und deren die Weißen fpotten. — Sein
Herz fügt ihm, daß unter den engen Röcken der
Weißen auch ihre falſchen Herzen ſchlagen, und daß
feine Worte in die Ohren feiner und ihrer Feinde
geflüftert werden. Der Miko hat fein Volk verlaffen,
als der Giftzahn in ihre Eingeweide zu fehlagen an-
gefangen; das Gift hat um ſich gegriffen — ex fieht
nichts mehr als eiternde Wunden. Er fieht Häupt—
15*
Ba 9 * a de ——
— ———— iR —
—
— 228 —
linge in den Gewändern der Weißen, Krieger in des
nen der Weißen und der Muscogees ſein Herz iſt
traurig. u
„Der Miko der Oconees ift ein weifer Häuptling. u
ſprach Einer der älteſten Wilden. „In ihm rollt das
Blut vieler Mikos. Die Männer der Muscogees
wollen ſeine Stimme hören. Sie ſind viele Sonnen
weit gekommen, um dem Späherauge der Weißen zu
entgehen. Sollen ſie umſonſt gekommen feyn 2a
„Die Muscogees find weife,“ ſprach der Miko mit
einer ironifehen Betonung und einem bittern ſpötti—
fchen Lächeln. „Sie haben die Boten der Weißen
getäufcht, aber fie haben ihre Späher mitgebracht.
Ein Thor Spricht zweimal,“ fuhr er fort — „der
Miko ift gekommen, um von feinem Volke auf immer
Abfchied zu nehmen. «
„Dann bat der Miko einen weiten Weg gemacht;
den er fich. Hätte erfparen können, u verjeßte ein zweiter
jüngerer Wilder. „Die Muscogees wollen Ruhe,
der Mifo gibt nimmer Ruhe.“
„Ja,“ erwiederte Diefer, „mein Bruder hat wahr
gefprochen; der Miko ift unruhig, fo wie der freie, |
wilde Büffel es ift, der die Seinigen von den Jägern
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3 — — MN/ F * ir;
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in die Hürde getrieben fieht. Die Weißen geben den
rothen Männern Brieden, weil ſie bedrängt find von
den Kriegern des großen Vaters der Canadas. Wenn
aber die rothen Röcke abgezogen ſeyn werden, dann
mögen die armen Muscogeed die Sommer zählen,
die fie noch auf ihrem Lande leben werden. Es mwer-
den derer nicht viele jeyn. Männer der Muscogees!
Ihr habt die Stimme Eures großen Alteften Häupt—
lings nicht gehört. Ihr habt fein Blut verftoßen.
Ihr Habt die Quelle in ihrem Urfprunge getrübt,
dad Blut Eurer Häuptlinge mit dem unreinen Feuer-
wafjerfehlamm der Weißen vermengt. — Es wird
nie mehr rein werden. Eure Häuptlinge füllen ihre
Säde mit Dollars. Sie handeln mit fehwarzen
Männern, und Faufen fte, ihre Felder zu pflügen.
Muscogees! der Mifo hat mit dem Geifte feines
Vaters gefprochen. u.
Alle horchten hoch auf.
„Und Diefer will feine Gebeine nicht ferner unter
einem entarteten Volke laſſen, unter einem Volke,
das fein Blut verrathen.“ |
„Hugh!“ ertönte e8 abermals mit einem graufen-
haften —.
— 230 —
x Pe Si, u sprach der alte Mann, ——
bote feines Vaters Folge geleiſtet. Er iſt gekommen,
um ſeine Gebeine im freien Lande der großen Cu—
manchees zu begraben.“ Er hob nun den Deckel vom
Sarge weg, um den die Wilden ſich heulend *
drängten.
„Der Miko,“ nahm Einer der alten Indianer das
Wort, „iſt ein großer, ein hoher Häuptling; — hat
hm der große Sheyah zugeflüftert, feine Gebeine von
den Muscogees zu holen?“ |
„Er hat es;“ ſprach der Mio. ö
„Hugh!“ ertönte es abermals aus der tiefften
Bruft jümmtlicher Wilden, die nun heulend Durch
einander rannten.
nDer Mio ift gefommen,“ fprach der Greid, vum
das Gebot feines Vaters zu erfüllen. Die rothen
Männer können ihn nicht mehr halten.: Aber fie mö—
gen fommen in die ſchönen Gefilde der Cumanchees.
Tofeah und fein Sohn, der große El Sol, werden
ihnen die Hand öffnen.“
Und mit dieſen Worten erhob er ſich und verließ
die verſammelte Menge, ohne ſie auch nur eines fer⸗
nern Blickes zu würdigen. Ein tobendes Geheul
ei, u u [ae th BI EM
%
— 31 ⸗— &
ſchallte ihm noch eine Weile nach, das ſich init
in den Bergflüften verlor. y
Die beiden Häuptlinge ſchlugen 4 mit *
Oconees, die ſich wieder zu ihnen geſellt hatten, den
Weg zum Miſſiſippi ein.
Was eigentlich die Urſache dieſer ſonderbaren gu
ſammenkunft geweſen, läßt ſich ſchwer beſtimmen.
In der Natur des alten Häuptlings lag jener uner-
gründliche Doppelfinn, den der Wilde überhaupt in
einem fo hoben Grade beſitzt, daß er Jahre Yang
die größten Entwürfe mit einem undurchdringlichen
Schleier verhüllen kann, in einem außerordentlichen
Grade. — Und wenn ihn das Geheiß feines Vaters,
wie er meinte, oder richtiger zu Tprechen, fein Traum
zu dem weiten Zuge veranlagt hatte, jo ſcheint es
eben fo gewiß, daß er diefem allmählig einen zweiten,
Endzweck dann unterfchob, ald er am Bayou mit der
vermeintlichen Verlegenheit ſeiner Feinde näher be—
kannt wurde. Ob es ein letzter Verſuch geweſen,
ſein Volk zum Ergreifen der Waffen gegen den Feind
zu bewegen, oder ob er dieſes bloß ausholen wollte,
um auf alle möglichen Falle bereit zu jeyn, darüber
ſchweigt fowohl die Tradition als die geſchichtliche
e..
mn
Urfunde. Sp wie er es nun faud hatte er jeden
Verſuch für immer aufgegeben. Die Politik der Een-
tralregierung, oder vielmehr das allmählige Annä—
bern der Amerikaner, hatte nämlich während feines
langen Exils eines jener Mittel ausgefunden, wo⸗
durch ſowohl wilde als civiliſirte, aber noch im Zu—
ſtande der politiſchen Kindheit befindliche Völker auf
dem ſicherſten und ſchnellſten Wege entnationaliſirt
und gebändigt werden — Zwiſchenheirathen —
durch die der Einfluß der vornehmſten Häuptlinge
allmählig auf die ſogenannten Halfbloods über—
ging, die, dem amerikaniſchen Intereſſe näher ver—
wandt, das übrige Volk in dieſes zu ziehen wuß—
ten. Es war dieſes um ſo leichter gelungen, als die
bedeutenden Jahresgehalte, die den Indianern für
ihre Ländereien ausbezahlt wurden, eine Menge jun⸗
ger. Abenteurer veranlaßten, die Kupferfarbe der
Töchter der Häuptlinge zu überfehen, um fich jo in
ein Befisthum einzuniften, das noch angiehender
durch den bedeutenden Einfluß wurde, den fie durch
folche Seirathen unter den Wilden gewannen. Durch
eine folche Heirath war auch der Mifo, wie wir be—
reitö wiffen, um fein Land und um feinen Einfluß
un ER Aa. SE lee) Kar Br 1 ZU ng learn 1 El a A a
— 1333 &—
gebracht worden, und es war natürlich, daß, als
diefe Politik häufiger befolgt wurde, die Kluft zwi⸗
ſchen ihm und dem Volke immer mehr zunahm. Mebri-
gens bieibt diefer Verſuch ſowohl, als das ganze _
Lehen des gefchichtlichen Mannes immer merfwirdig,
und vielleicht mehr fo, als felbft die größeren, aber
unbandig wilderen Kampfe eines Philipp, Logan,
Teeumfeh und aller jener Männer, deren Niefenfee-
len die Herrſchaft die ſes Landes ihren weißen Fein⸗
den durch mehr als ein Jahrhundert ftreitig machten.
Die beiden Häuptlinge, fagt die Tradition, eilten
nun, fo viel e8 die Erſchöpfung des alten Mannes
zuließ, dem Bayou zu. Jedoch ſchon am folgenden
Morgen bemerften fie, nicht ohne Unruhe, Spuren
von Mocaſſins, die kurz vor ihrer Ankunft hinter-
laffen worden waren. Je weiter fie vorwärts eilten,
defto mehr leuchtete ihnen die Gewißheit ein, daß
Muscogees vor ihnen denfelben Weg gegangen was
ren. Der Miko ſchien weniger ängftlich, aber der
junge Häuptling wurde mehr und mehr beforgt. Mit
der gewohnten Selbftverläugnung jedoch ſchwieg er.
Als fte aber am fechsten Tage nach ihrem Aufbruche
vom Talk oder der Zufammenkunft fich fo eben an
*
— 234 ⸗— *
demſelben Plate zur Nachtruhe niedergelaſſen hatten,
den die Späher nicht viele Stunden zuvor eingenommen,
konnte El Sol feiner Zunge nicht Länger mehr gebieten.
„Der Miko hat gethan, ufprach er, „wie ein from⸗
mer Sohn, als er das Gebot ſeines Vaters erfüllte;
aber er hat nicht wie ein kluger Häuptling gehandelt,
als er zu ſeinem Volke ſprach; er hat der kochenden
Gluth, die an ſeinem Herzen nagt, gehorcht. Der
Miko ſollte dieß nicht gethan haben, wenn er ſeinen
Fuß unter die Weißen ſetzen will.“
„Sind die rothen Männer deßhalb weniger Kin—
der des Miko?“ fragte Dieſer, „weil ſie ſeine Stimme
zu hören verſchmähen?“
„War es die Stimme eines Vaters, die aus To—
keah zu den Muscogees ſprach?“ fragte El Sol be—
deutſam. —
Der Miko ſchwieg.
„El Sol iſt ein Häuptling,“ fuhr der Cumanchee
fort, „ſein Herz hat noch immer die Wunde nicht
vergeſſen, die die Weißen ihm ſchlugen, als ſie ſeinen
Vater tödteten; aber er iſt ein Vater vieler Kinder.
Könnte er allein die That an den Weißen rächen, er
würde es thun: aber es würde das Blut feiner Brü—
—d 235 9
der Foften. Er überläßt die Rache Wacondah, und
Yebt für fein Volk. Der Mifo muß dieß auch) thun.
- Wenn die Weißen erfahren,“ fuhr er nach einer
Pauſe fort, „daß der Miko feinem Volke in die Ob-
ren geflüſtert hat,“ — fein Blick fiel auf die von den
Indianern hinterlafjenen Spuren, werden fie ihre
Stirn runzeln — vielleicht, “ feßte er hinzu, „werden
fie das Pfand behalten,“ fein Blick fiel auf die Erde
— „das ihnen der Miko Hinterlaffen hat.“ Die
legten Worte fprach er leiſe, beinahe furchtfam.
„Die weiße Roſe ift die Tochter des Mifo. Er hat
Biber- uud Bärenfelle für fie gegeben. Er würde
fie den Weißen nicht laffen, wenn fie viele taufend
Dollars geben würden.“ Das Herz des jungen
Häuptlings fehlug hörbar lauter.
„Mein Sohn muß feine Zunge löfen,“ ſprach J
alte Mann. „Er weiß, daß ſein Vater ihn ſehr liebt.
„Waeondah,“ ſprach der Cumanchee mit kaum
hörbarer Stimme, „hat die Tochter des Miko zu ſich
genommen.“ Er ſtockte, ſeine Wangen glühten, ſeine
ganze Geſtalt zitterte.
„Roſa iſt die Tochter des Miko. El Sol,“ rief
der Alte, „wird wieder der Sohn Tokeah's werden. »
„Mein DBater !u mehr vermochte der junge Mann
nicht zu fprechen. Uber er fiel dem Alten bewegt an
die Bruft, und indem er auffprang und ihn beinahe
unwiderſtehlich mit ftch fortriß, verrieth ſich die un⸗
fägliche Kiebe, die den jungen Wilden erfafit hatte.
Sie eilten nun raſch und unaufhaltfam dem Bayou
zu, wo fie nach Verlauf mehrerer Tage * — *
dere Unfälle anlangten.
„Sieht mein Vater?“ rief der Cumanchee aus, als
ſie an der Höhe der Bluffs ſtanden und über die
prachtvolle Niederung und den Strom blickten. „Wohl
mußte Tofeah in feinem Kampfe unterliegen, — möge
er num glücklich feinen Feinden entgehen!a — Eine
Weile ftanden die Beiden wie angewurzelt, und dann
ſchlichen fie ſich langſam und düſter der Thalniede-
rung zu.
Uennunddreißigſtes Kapitel.
Hier kommt der Britte. Laßt feinen Empfang
fo feyn, wie er für einen Herrn Eurer Bildung ge-
gen einen Fremden feines Standes geziemt.
Shafespeare.
Es war ein herrlicher, obgleich für die beiden Wil-
den niederfchlagender Anblick, der fich ihnen darbot.
\ * gu a *
— 37
Die Natur hatte ſich in der Zwiſchenzeit mit je—
ner prachtvollen Ueppigkeit entfaltet, die in dieſem
Lande ſchon im erſten Frühlingsmonate alle die Pracht
und Schönheit zeigt, die mehr nördlich erſt einige
Monate ſpäter hervortritt. Aus den hell- und dun—
kelgrünen Baumgruppen tauchten unzählige Pflan⸗
zungen und Landhäuſer auf, die das Auge in weiter
Ferne an den beiden Ufern des Stromes erblicken
konnte. Alles war Blüthe und Grün, und hinten
her, in blauer Ferne, wogten die Wälder des weſt—
lichen Ufers, die die Pflanzungen gleich ungeheuern,
immer grünen Wällen beſchützten. Den hehrſten An—
blick jedoch gewährte der majeſtätiſche Strom, von
herrlichen Landhäuſern begürtet, fo majeftätifch da—
Hinfließend, als jey er zum Gebieter der Welt erko—
ven; auf feinen Wellen ſchaukelten hundert Heine und
große Fahrzeuge, die Taufende von Meilen herab-
famen, oder nun dem Bayou zufiefen, um das ſchöne
Schaufpiel zu fehen, das die Ankunft der Milizen
darbot. Es war nämlich nicht lange nach der Sie—
A
|
gesbotſchaft die, nicht minder erfreuliche, vom Ab—
ſchluſſe des Friedens im Staate angelangt, ſo daß
der wichtige Sieg, der erfochten worden, kurz vor
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Be a On EUREN EG *
rt Fr > We ER 2
DH
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Abſchluß des Friedens erkämpft worden war. Der
größte Theil der Landesvertheidiger war bereits nach
Hauſe gekehrt, der Ueberreſt kam nun ſo eben in
einem Dampfſchiffe den Stromberauf, ſchon von weis
tem von einem: taufendftimmigen vurrah ihrer ver-
fammelten Waffenbrüder begrüßt, die nun in ihrem
vollen Waffenſchmucke gekommen waren, um ihre
Mitbürger zu empfangen. Alle hatten ſich nun auf
eigene Koſten uniformirt, und, ihr cher feſter
Marſch und ihre ſichere militäriſche Haltung verrieth
nichts mehr von jener Unbeholfenheit, die wir früher
zu bemerken häufig Gelegenheit hatten. Als das
Dampfſchiff in das Bayou eingelaufen, wurde es
von einem tauſendſtimmigen Willkommen begrüßt.
Die Milizen formirten ſich, ſo wie ſie landeten, in
Reihe und Glied; dann folgten die Damen, begleitet
von den Offizieren. Unter dieſen die Frau des Ober—
ften mit ihren Töchtern und Roſa, begleitet won dem’
Dberften, feinem Sohne und dem Major Eopeland.
So wie die Offiziere vorgetreten waren, trat eine De⸗
putation der ſo eben gelandeten Milizen vor, und
Einer derſelben hielt eine Anrede, und nachdem er im
Namen und im Auftrage ſeiner Mitbürger den
en
We a _
139
fämmtlichen Offizieren für die Thätigfeit, Klugheit .
und Sorgfalt, die fie während diefer Eritifchen Epoche
an den Tag gelegt hatten, gedankt, verficherte er fie
zugleich, daß er von ſeinen Mitbürgern beauftragt
ſey, ihnen zu bedeuten, daß fie fich des in fie geſetzten
Vertrauens vollkommen würdig bewiefen hätten.
‚Der Oberfte erwiederte diefe Anrede in demfelben
würdevollen Tone, indem er feinen Mitbürgeen im
"Namen der Offiziere für das Vertrauen dankte, das
fie ihm und feinen Mitbefehlshabern geſchenkt hatten,
und fie zugleich bat, nun, da fie in ihren häuslichen
Kreis und zum bürgerlichen Leben zurückkehrten, fie
auch ferner in ihrer Achtung und ihrem Vertrauen zu
behalten.
Es war eine kurze, prunflofe, aber hochſt würde⸗
volle Scene. Die hohe Achtung, der Anſtand, der
ſich hier zwiſchen zeitherig Befehlenden und Gehor—
[7
K
—
chenden, die nun wieder in ihre vorige bürgerliche
Gleichheit zurückkehrten, ſo männlich kräftig äußerte,
war ſo unverkennbar und charakteriſtiſch hervorge—
treten, daß eine Zeit lang nach dem Auftritte eine
tiefe Stille herrſchte. Auf einmal erſchallte jedoch
ber Ruf: „Major Gopeland !u — 1 ke
Kehlen. ——
Der Major, der iin mit den —
ſtanden war, auch, im Vorbeigehen ſey es bemerkt, in
einer glänzenden Uniform mit dreieckigem Federhute
ſtak, die ihn einem in einen ledernen Sad eingenäh—
ten Elephanten nicht unähnlich darſtellte, trat nun
vor, jedoch nicht ohne Gefahr, mit feinem Deg:
einige Verlegenheit zu kommen. * |
„Mitbürger! !a Sprach er, „mein Bataillon ift zwar
fhon zu Haufe, und die Bürger werden fich ihre
Ruhe wohl ſchmecken laſſen; da Ihr mir aber die _
Ehre anthut, meine Meinung nochmals hören zu
wollen, jo ſage ich: Wir haben als Offiziere unfere -
Pflicht und Schuldigkeit gethan. Ihr habt aber mehr
gethan. Ehre fey Euch deßhalb von Kindern und —
Kindeskindern! Ehre,“ rief der bewegte Mann, fer
nen Federhut abnehmend und hoch ſchwenkend, „Ehre a
ſey Euch! Und ſollte der Letzte von Euch in Noth
ſeyn, oder Beiſtand brauchen, ſo kommt zum alten,
Squire Copeland; denn den Major wollen wi
weilen an den Nagel hängen.“ —
„Ein Hurrah dem Major Copeland!“ erſchallte N
ir nz
4 M 8
es nun neunmal hinter einander jo Fräftig, daß der,
Donner der Kanonen vom Dampfboote und die
Trommeln übertäubt wurden.
Hiebei ließ es jedoch unſer Major, der feine Po-
pularität nicht nur zu gewinnen, fondern auch zu er=
halten wußte, nicht bewenden, ſondern vortretend,
drückte er nun jedem Einzelnen die Hand, plauderte
einige Worte, und 309 fo von Mann zu Mann, Je
den bei jeinem Namen begrüßend,, durch die Reihen.
„Holla!“ vief er plötzlich, als er an den Flügel-
mann- gekommen war, und mit feinem Falkenblicke
hinüber auf eine Gruppe feitwärts ftehender engli-
jeher Offiziere fehweifte, Die nicht ohne Ueberraſchung
dem würdevollen Schaufpiele zugefehen hatten. „Hol⸗
Ya, Kinder! da fehen meine Augen einen alten Be⸗
kannten.“ Und mit diefen Worten flieg er auf die
Gruppe der Britten'zu, nicht ohne Gefahr, dag ihm
fein drittes Bein, nämlich der Degen, einen Ebu
ſpiele.
„Gentlemen!“ ſprach er —“ ned RR, mid,
Euch hier zu fehen. Lapt Euch's wohl behagen bei
und. Ihr ſeyd gerne fo gefehen; doch habt Ihr da
‚einen Jungen unter Euch, deſſen längere Bekannt—
Der Legitime. IN. 16
*
m
a
ſchaft ich noch für eine Weile Inden möcte. — J
junge, haſt Du Luſt, mit r mir
ſas zu gehen? Heute biſt Du J mir Saft
Oberſten Parker. gina Die aber in Acht, es oh
eine Schaar da, die gefährfichere Schüſſe thut
Kanonen und Kartätſchen ·
Die extempore Anrede galt unſerem widſhiyman
James Hodges, der raſch die Hank: des Majors er⸗
faßt hatte, und ſie herzlich drückte.
„Sehr gerne, Major,“ vief der * Züng- |
ling. —
Die Offiziere hatten den —— hen *
umringt, um ihm ihre Achtung zu bezeugen. Er
drückte Jedem die Hand ; md ſprach darin, mit em N,
ihm eigenthümlichen ſchlauen Lächeln: —* Re
„Gentlemen, Ihr habt Eure — J
„Und ‚Sie, Major,“ tiefen. im die Offiziere zu, :
„mehr ala Ihre Schuldigkeit. tn . Br * a
„Ah bah,“ erwiederte Sir, "Da i * we yo 4
wenn man fo ungebetene ‚Säfte im Pelz fih ha
ſchauen, wie man ſie wieder wegbri gt. Aber viß —
Ihr was, Gentlemen, Ihr zieht: vor acht Tagen noch &
nicht ab; Wer von Euch Luft hat, be ) a Tag
\
EN, 0 Er A rl LANGE. nich Een SEE nl
“ *
* * —
# 5
J
9 MI —
2. zum alten Sauire Copeland auf feine Pflanzung zu
einer Bärenjagd zu kommen, ift herzlich willfommen. #
„Major!“ riefen Alle, „das Anerbieten iſt ſo
lockend, daß Keiner refüſiren wird. u
„Topp, Ihr ſeyd Alle willkommen; ; Ihr Habt Alle
Platz, auf meiner Pflanzung nämlich; im Stadt⸗
hauſe geht's enge her, wie der Junge da weiß. Ihr
kommt doch auch, Oberſt Wedding ?« |
„Mit dent größten Vergnügen ;“ verfeßte ihm der
Baronet. |
. » Morgen oder heute noch Fommt der General en
Chef, und übermorgen geht Ihr alſo mit mir. Doch
nun verzeiht, dieſen Jungen Springinsfeld *
ich uch.“
Und mit dieſen Worten griff er an — gut, |
und nahm Abfchied von den mit der Ausficht —* die
Bärenjagd hoch entzückten Britten.
„Doch Hört, Major Copeland, “Tief der Midſhip⸗
man, wie kommen doch dieſe ſaubern Zeiſige in Euer
ſo wohl geordnetes Gemeindeweſen ? kant, Be
Er deutete auf einen Zug von Männern, die fich
Hinter den Damen längs dem —— dem Seädt-
Sen zugefligen.
16*
24 —
„Welche meinſt Du?«“ rief Diefer. ee
„Sp wahr ich lebe, das find die Seeräuber. u
„PBah!a verfeßte der Major in einiger Berk n
heit, „Du ſiehſt wieder einmal verkehrt:“ und ob
ihm Zeit zu geben, den Nachzüglern einen zweiten.
Blick zugufenden, zog er ihn den Damen zu.
| „Mistreß Parker!“ ſprach er, „erlaubt mir, Euch
einen Jungen da aufzuführen, einen fo wackern Jun—
gen, verfichere ich Euch, als je in feinen eigenen
Schuhen ftand, und der wahrlich. mehr reelles Blut
im Eleinen dinger hat, als ein Pferd ſchwemmen
könnte. Und da, mein lieber Engel, „rief er *
zu, „Ihr ſeyd ohnedem alte Bekannte.“
„Miſter Hodges,“ ſprach Dieſe mit einem leichten
Erröthen, „es iſt lange Zeit, daß ich Sie ia mehr
gefehen. «
„Miß Roſa!“ vief der verwirrte Jüngling®
„3a, ich glaube, die Miß Roſa mußt Du bald
aufgeben. Sie haben ihr einen andern Namen ir—
jr
*
11
gendwo im Mexicanerlande gefunden, und — doch
nun gehſt Du mit uns, und da Mistreß Parker ſchon ſo
gütig iſt, und meiner Zudringlichkeit nichts abſchla—
gen kann, ſo bleibſt Du bei mir in Haft. Haben ge—
hört von Deinen Heldenthaten. Wie war es mit der
Mistreß Blum ?u |
Aber Squire,“ ſchalt ihn Virginie, „Sie find
doch wirklich ein Erzbarbar.“
Der Jüngling erröthete bis über die Ohren.
„Nein, Major Copeland,“ ſprach die Oberſtin,
„Sie müſſen Ihrem und unſerem Gaſt nicht ſo arg
mitſpielen, ſonſt verbittern Sie ihm unſer Haus, ehe
wir noch die Schwelle erreichen.“
„Glaubt das nicht!“ rief Dieſer, „er iſt 4
ſo blöde, verſichere Euch, und er hat es bewieſen,
aber er hat ſein dem Indianer gegebenes Ehrenwort
wie ein Ehrenmann gehalten und Eurem Pompey
das Leben gerettet, wie ein tüchtiger, wackerer Junge.
Und übermorgen geht er mit mir, und Roſa, Du
kommſt doch auch na, wenn Mistreß Se Dich
holt?“
„Da wirft Du Wunder ſehen, liebe Roſa,«“ lachte
Virginie. „Sie find liebe Narren, die guten Leute
in Opeloufas, mit ihren Kornhusking und Hopſeſa!“
„Mein Plagegeift mir wieder auf der Ferſe?“ rief
der Major; aber ich habe Mittel und Wege, ihn
zu Paaren zu treiben.“
„Nun, ii fen Frieden, uifhene
darum; meinte. irginie.
„Um ihn in einer Viertelſtunde wieher ke
„Es geht nun in der Welt nicht anders; entgege
nete die Miß mit einem Eomifchen Seufzer.
Die Familie war fo unter Scherzen und Lachen
mit ihren Gäften im Landhaufe des Oberften ange-
fommen, wo Diefer unſern Midſhipman mit den
Worten begrüßte:
„Sie ſind hier zu Hauſe, lieber Miſter
und je länger Sie und das Vergnügen Ihrer Gegen-
wart fehenfen wollen, defto mehr ſoll e8 ung freuen.
Ihr Breund wird Ihnen übrigens ald Beifpiel an
die Dand gehen, wie man ohne Zwang bei ung ver-
fahrt!“ :
„Ja, das will ich,4 Sprach der Major, „und e8
Euch zu beweifen, will ich mich ſogleich aus der ver⸗
dammten Jacke mit Gold und Schnüren, und dem
Federhute, den ich bald rechts, bald links aufſetze,
herausthun. Stelle Dir nur vor, Junge, da haben
ſie mich in einen ſolchen Sack hineingethan, ſo knapp,
ſo enge, daß ich hundert Stoßſeufzer iu einer Minute
vorbringe. Koſtet mich die Lapalie da dreihundert
9 7 ⸗
| Dollars; Hätte damit einem —— Jungen auf die
Beine und zu einem Stücke Landes derhelfen können;
aber ſie wollten es nicht anders. Wohl! wenn ich
nach Hauſe komme, will ich mich meinen dreißig Ne⸗
gern zeigen, die werden nicht wenig ſchauen. Wohl!
und fo Gott will, bleibft Du dann eine ſchöne Meile
bei ung.“
„Und der Donnerer ?« fragte der Britte.
„Wird auch ohne Dich flott werden. Deine Gar-
riere ift ohnedem fo ziemlich vorüber. Ich glaube,
Du thäteft am beften, Du hingeft Dein a, *
an den Nagel.“
„Wollen jehen;“ lachte der Britte.
„Und nun, meine Damen, überlaſſe ich Ihnen
das Jüngelchen, um mich wenigſtens für ein paar
Stunden bis zum Valle in eine weniger militärifehe
Garderobe zu werfen.
„Mifter Hodges, u fprach der Oberft, „Sie 4
das Herz des Majors auf eine Weiſe gewonnen, die
Ihnen ſehr erfreulich ſeyn darf.“ |
„Fürwahr, Oberft, fo fehmeichelhaft mir diefes ift,
fo weiß ich doch wirklich nicht, wie es damit zuging. «
„Es ehrt Sie. Sie werden einen der würdigſten
— 8 &—
Männer in unferem Stanterfennen lernen, der un-
gemein viel für fein County und fein Land gethan hat. u
„Doch Mifter Hogdes,“ fiel ihm die Oberſtin ein,
„auch Sie müſſen ſich ein wenig zu unferem Balle
vorbereiten; denn da Sie nicht mit den Waffen in der.
Hand gefangen wurden, ſo behandeln wir Sie als
Einen der Unſrigen. Mein Sohn, Lieutenant Parker,
iſt ohnedem von Ihrer Größe, und Sie werden ſich
am beſten mit ihm verſtehen.“
In dem Augenblicke trat der Lieutenant ein. Er
begrüßte den Britten herzlich ‚ und die beiden jungen
Männer Wlenen an einander Gefallen zu finden.
Der ſchnelle Wechſel in ſeinem Glücksſterne, der ihn
aus einer verlaſſenen Zielſcheibe des Spottes plötz⸗
lich zum Gegenſtande der herzlichſten Theilnahme in
einem Hauſe gemacht, deſſen fürſtlichen Reichthum er
mit Staunen bemerkte, hatte den jungen Mann wie—
der in ſeine volle, frohe, heitere Stimmung verſetzt,
die unſer Squire Copeland ganz richtig deutete, als
er nun in ſeine gewöhnliche Serna metamorphor⸗
ſirt eintrat.
„Nicht wahr, Herzensjunge!“ rief er, „hier läßt
ſich's leben. Aber wenn Du uns näher kennen lernſt,
—H 29 &—
*
wirſt Du finden, daß wir ſo gut zu leben wiſſen, wie
Eure Herzoge und Marquife und Earls. Siehft Du,
Junge, bei Euch find bloß ein paar taufend Familien
Herren im Lande, bei uns eine Million. Alle Haben
wir. — fo wie einſt unfere Voreltern, die Normanen,
das alte England — fo unfer Land erobert, nur mit
dent Unterjchiede, daß Ihr Eure Ueberwundenen
‚triebt, Eure Felder zu pflügen und fie zu einer Art
‚Sklaven machte, und wir unfere durch den Pflug
gemachten Groberungen auch mit dem Schwerte zu
behaupten wiſſen. Hab’ ich Dir's nicht gefagt, daß
wir Euch ledern werden? Sey froh, daß Du nicht
dabei warſt. Hätteſt Du die Unſrigen geſehen! Nein,
mir ſelbſt wurde das Blut in den Adern kalt. Höre,
wie Mauern ſtanden ſie, als die Eurigen anrückten,
und gerade als ob ſie auf Hirſchböcke anlegten.
Du konnteſt ſie hören, wie ſie ſich zuriefen: ich nehme
den Flügelmann gerade an der Naſe; John, ich den
daneben ins rechte Auge; Iſaak, ich den Dritten ins
linke, und ſo ging es fort durch Reihe und Glied,
und ſo wie ſie ſprachen, ſo thaten ſie, und jeder
Schuß ſtreckte ſeinen Mann zu Boden, und dann
nahmen ſie kaltblütig ein friſch geladenes Gewehr
a > { *
vom Hintermann und thaten wie 45
Angriff der Eurigen fielen an die taufend Mann, und
Eure Commandirenden mit ihnen. Da liefen die ar-
men Narren, fo wie eine Heerde Schaafe, die ihren
Führer verloren. Sieh, die Unſrigen wären ſchon
nicht gelaufen, wenn zehn Generale gefallen wären,
weil Jeder ſich ſo gut wie der General ſelbſt dünkt.
Beim zweiten Angriff, unter den Befehlen irgend
eines Sir Richard, oder Peter oder Paul — die ar-
men Wichte dauerten mich, es ift auch eine verfluchte
Sache, fih jo auf's Gebot eines rappelköpfiſchen,
hohen, gebietenden Narren zum Todtſchießen für ſechs
Penee binftellen müfjen — ließen fie wieder an die
fünfhundert Mann, hatten wieder ihren Comman—
direnden weggeſchoſſen. Ein Generallientenant war
noch übrig, und der Fam num auch, um fich feinen
Theil zu holen, fammelte die Flüchtlinge und Fam
zum Dritten Male. Und ließ wieder an die Fünf-
hundert am Plage, und er felbft blieb liegen; dann
freilich Tiefen die Eurigen, al8 ob ihnen die Schuhe
fohlen brennten; aber dag Wiederfommen vergaßen
fie. Hatten alle ihre Generale und Oberoffiziere meg-
gefchoflen; haben aber doch ihre Schuldigfeit ge-
— *
— 251 —
than. uUebrigens, Junge, ſind wir noch die Alten,
und obgleich dem General die Ehre des Sleges zu-
kömmt, ımd er num Sieger von New — beißt, . fo
haben wir ihm doch nichts gefchenkt. Sieh, bei Euch
hätte man ihm auf Koften der Nation eine Schen-
fung gemacht, und er wäre halb vergüttert worden;
wir haben ihm, gleich nachdem die Nachricht vom
geihlofienen Frieden anfam, den Prozeß gemacht
und feine Conftitutionsverlegung büßen machen.
Und was glaubft Du, daß gefchehen it? Je nun,
er Fam mit einer Geldbuße von zmeitaufend Dollars
davon. Das ift eine Warnung für unfere zeitweili-
gen Machthaber, die ihnen vom Volke zum Beſten
anvertraute Gewalt nicht zu mißbrauchen, und Bür—
ger nicht zu behandeln, als wenn fie Neger wären.
Schadet ihm nichts. Siehft Du, fo müffen Männer
über ihre Freiheit wachen. «
Wir glauben faum nöthig zu haben, unfern Leſern
die Thatſache zu beſtätigen, die der Squire ſo eben
erzählte und die, wie wir wiſſen, genau dahin ging,
daß der berühmte Sieger wirklich zu dieſer Geldſtrafe
wegen Verletzung der Habeas corpus acte während
—d 352 —
feines Oberbefehls verurtheilt —— ia EBOR:
der er fich auch willig unterzog. |
Der junge Britte hatte den legten Theil * Rede
unſeres Squire nicht ohne Verwunderung angehört;
denn obwohl in einem vergleichungsweiſe freien Lande
geboren und erzogen, war ihm doch der außerordent⸗
‚Lich republikaniſche Starrſinn, der einer ſolchen Verur⸗
theilung unter dieſen Umſtänden zu Grunde lag,
eine neue Erſcheinung.
„Major,“ lachte er, „wenn Ihre Eure großen Män-
ner fo behandelt, dann ift’s in bei Euch Fein zu
feyn. 4
„Nein, lieber Junge,“ —— der — ;
„wir achten unfere großen Männer fo gut wie Ihr,
ja noch mehr; aber bei ung hat der Kleinfte Gelegen-
heit, groß zu werden. Sieh, der Öeneralwar ein armer
Schluder, fo wie ich; aber verftehft Du, bei ung gibt _
es Leute, fo gut wie in der alten Welt, die hoch
hinaus und ihre Mitbürger zu Neitpferden machen
wollen, auf die fie nur Sattel und Zaum zulegen
brauchen, um zur Oberherrſchaft und Tyrannei zu
galoppiren. Laß es ihnen einmal hingehen, und fie
werden es ein zweites Mal verfuchen. 4
%
— 33 &—
„Ich weite, Major,“ lachte ihm der Britte zu,
„Ihr wußtet die Sache Hüger anzufangen, fo wie
ich fehe, jo habt Ihr Eure guten Männer von Ope—
louſas ziemlich ftarf im Garne.
„Glaubſt Du, Junge?“ ſprach der Squire. „So
wenig verfichere ich Dich, daß der erfte Fehltritt in
einem gewiſſen kitzlichen Punkte, ein Hinneigen zum
Föderalismus zum Beifpiele, mich um meinen ganzen
Eredit bringen würde. Bei uns ift Verftellung un—
möglich, lieber Junge; aber ich will Dir fagen, ein
offener Kopf, ein reines, für das Wohl feiner Mit⸗
bürger warmes Herz thut viel. Sieh, ich bin drei
Jahre in Opelouſas. Seit dieſer Zeit hatte ich an
die fünfzig junge, tüchtige Bürger angeftebelt, und
ihnen zu Land und Haus und Hof verholfen, und
auf die Teichtefte Weife. Als ich herab Fam, kaufte
ich nämlich an fünfzehntaufend Acer ſchönen Landes.
Wenn ich num fo einen ordentlichen Burfchen fah, der
bei mir oder im County anflopfte, da fragte ich nicht,
wie fehwer er ſey, jondern ſchaute ihm ins Geficht,
und war er ein ehrlicher Junge, jo gab ich ihm einz,
zwei= oder dreihundert Acker und eben fo viele Dol-
lars obendrein, und fo gedieh ich und er auch. Ach
habe an die Fünfzig Dr Sie find Alle ver-
heirathet und ordentliche Bürger, und werden reich
und das Land auch. Siehſt Du, wie
fluß gewann?“
Der Jüngling drückte dem wackern Manne der
gerade und ungekünſtelt, aber maͤnnlich gen —
jede Stunde weitſchweifiger, aber auch vorthe
zeigte, herzlich die Hand. Gr war vom eehfefigen:
Squire beim Knopfe feitgehalten worden, und Beide
befanden fich ſchon einiges. Zeit allein im Drawing'
room, ehe e8 von Diejem bemerkt wurde.
„Holla!“ vief er auf einmal, „die haben Alle
Reißaus genommen, und da jteht eben, er ſah we
Fenfter, „die Oberftin und ſchwatzt Sonderbar!
Wer ift der. Wicht, wenn ich nicht itre, Derſelbe der
Dich jungen Springingfeld aus der Preſſe holtesu Und
mit diefen Worten verließ er die —— und trat an
die Sprechenden. "m. im," * EN |
»Darf ich?u fragte er Die Sberfinft * ——
„Wir wollten Sie fo eben rufen,“ eh. Die
„Mifter Barker ift unten .am Bayou, um mit dem
Comité Anordnungen zum Empfang des Generals
F
en
zu treffen. Monſieur Madiedo hat die verdächtigen
Säfte wieder aufgenommen. u | |
„Ihr habt Euch wacker im · Punkte mit Roſa be⸗
nommen,“ ſprach der Major zum Wirth, „und fo
bezeugt, daß das Gute bei Euch überwiegt. Was
Ihr nun zu thun habt, will ich Euch ſagen. Die
verdächtigen Marodeurs müſſen weg, ſo bald als
möglich; wir. können ſie jedoch nicht zwingen, denn
es ift eim freies Land; jo lange fte hier bleiben wol⸗
len, mögen ſie; nur müſſen wir genaue Kundſchaft
von ihrem Thun und Treiben haben.“
„Die jol Ihnen werden, Herr Major.u “
„Das iſt Alles, was wir brauchen. So lange fie
hier find, werden wir forgen, daß an dreißig Mann
noch⸗ unter Waffen bleiben... Und nun wögt Ihr
gehen.“⸗
Roh, Gern — verſetzte der Wirth, der
ſich verbeugte und, nachdem, er über das Bayou geſetzt
hatte; raſch ſeinem Estaminet oder der —* zum
SÜRREREINEN zu ging. A Re de
Vierzigſtes Kapitel. 4
. Mit einem Wort, Hänge Die nicht fo fehr
an mid; ich bin ja Dein Galgen nicht. Seh,
ein kurzes Mefjer und ein tüchtiger Haufen.
2 © Hakan eäre.
Wie bei unferem erſten Beſuche, jo faßen dieſelben
drei Perſonen in derſelben Ede, von wo aus Mon-
ſteur Madiedo, alias Benito, zu dem gefährlichen
Liebesdienſte vermocht worden war. Es war vielleicht
bemerkenswerth, daß — ungeachtet der zahlreichen
Menſchenmenge, die von allen Seiten dem Bayou
zugeftrömt war, fo daß felbft die nächften Pflanzun-
gen ſich herbeifaffen mußten, einen Theil‘ der heim-
gefehrten Milizen für die Nacht: unterzubringen —
in diefer Schenke, unfere Marodeurs ausgenommen,
auch nicht ein einziger Gaft zu fehen war, fo daß
Monfteur_Benito für feine allzu große. Gefälligkeit
wirklich hart beftraft zu werden fehlen. Er ertrug
jedoch diefen ſtillſchweigenden Ausdruck der äffent-
lichen Verachtung mit vieler Refignation; auch war
fein Verhältniß zu feinen Gäften gegenwärtig ganz
anderer Art, und er hatte ihnen gegenüber eine weit
—d 357 >
zuverfichtlichere Haltung angenommen. Als er in die
Stube eingetreten, mo [eine Frau an dem Schent-
tifche befchäftigt war, Tegte er feine Hände auf den
Rücken und fehritt gemächlich auf und ab. So oft er
am Fenſter ankam, warf er einen Blick auf die
zahlreichen Gruppen von Männern, die vor den übri—
gen Häuſern in einbrechender Dämmerung ſtanden,
unm dann kopfſchüttelnd feinen Spaziergang fortzu-
ſetzen. | |
„Ja,« vief er endlich, als er abermals einen Blick
durch das Fenfter geworfen, „das danfe ih Euch:
fie nun da mit Weib und Kind, und mag verhun-
gern, umd meinen Wein und Cognac felbft ausfaufen,
damit er mir nicht: ſauer werde. 4
»Wollen Dir helfen, Benito, obwohl Dein Bor-
deaur ganz erbarmlich ift,“ ſprach Einerraus dem
Kleeblatte. „Es lebe unfer Generalpardon. «
Der Wirth gab dem Sprecher Feine Antwort, _
wandte fih aber zu dem Manne, den wir bei feinem
erften Auftritte am Bayou als Bermummten bezeichnet
haben, und der noch immer eine ſchwarze Binde um
feine Stirne und das linfe Auge trug. 2
„Ich fage Euch,“ Sprach er, „mit Eurem Pardon
Der Legitime. II. 17
WB 5
bat es gute Wege, und Ihr habt ihn **
* bei a, ei ‚eher r Son ui 1J em.
Staaten safe Ihr nun einmal ni
wenn Ihr, wie Mogsahen, hußfertige Thr
nein. u — a6
Das ſehe ich nur zu deutlich,“ ei der Ver⸗
mummte zähneknirſchend. „Wahrlich, wenn ich —F
gewußt hätte —
rind was denn?“ fragte der Wirth. Was ”
erlangt habt, ift aller Ehren werth. Ihr werdet doch
nicht wollen, daß fie Euch Aemter und Würden geben ?«
„Hol' der Teufel ihre Aemter, ich wollte lieber —“
nWoht!a fuhr der Mirth fort, Ihr habt Euch
ein fü chönes Vermögen zuſammen gebeutet Ihr könnt
Eure Tage in Ruhe leben.“ |
„Ja,“ vief der Vermummte, „es war der fönfe
Tag meines Lebens, eine herrliche Rache, eine Rache,
fo göttlihh! daß es mir nur leid thut, daß ich ſie nicht
theifen konnte. Wären nur taufend unjerer Braven
zugegen N als wir dieſe Krämerſeelen jagten.
Möge mich — verdammen, es war ein ſchöner Tag. u
„Ihr habt Euch gut benommen ;« ſprach der Wi
*
259 ⸗—
Der Vermummte ſah ihn verächtlich an, „Benito,
aus. Deinem Munde mein Lob hören zu müſſen!
Spare Deine Zunge, ich bitte Dich, oder — Teufel
und Kölle! — Jeder Sergeant, jeder Corporal wurde
in ihren Zeitungen geprieſen; nur ihn, der vielleicht
mehr zum Siege beitrug, als zehn ihrer Compag—
nien, nur ihn mit feinen dreißig Braven vergaß man.“
„Undank ift der Welt Lohn,“ verſetzte Benito,
nwenn die Citrone ausgedrückt iſt, wirft man die
Schale weg. Sie heißen ſich im Scherz Souveräne,
aber fte haben im Ernſte alle die Kalte Herzloſigkeit
und vornehme ni, als wenn fte — wirklich
wären.“ '
„Als ich geftern um meine Aufwartung machen a J
dürfen bat, wurde ich durch die Hinterthüre des Hau⸗
ſes, den Stall, eingelaſſen. Lafitte, ſprach er, was
Ihr gethan habt, verdient Anerkennung. Ihr habt
einen Theil Eurer Verbrechen gut gemacht. Wir
wollen das Uebrige vergeſſen; nur müßt Ihr das
Land räumen, deſſen Sicherheit Ihr zu ſehr verletzt
habt, um dieſe jemals vergeſſen zu machen. Und
zum Danke für Alles warf er mir einen elenden Pad
Banknoten von dreitaufend Dollars zu m.
17%
a
2 Ka a TER er de ra ea Tan ee FT Bed KA Zah 1 el 220 KERLE REN ET a Naert c
ad —* Fk N Far vr Aa Kr 7
„Das übrigens immer eine nicht zu verachtende
Er Summe ift, mit der allein ſchon Ihr Euch in Mexico
recht ſchön ctabliren könnt, u verſetzte der Wirth.
„Und: das ift auch das Einzige, was Ihr thun könnt.
Vielleicht ſehen wir uns da wieder. Hier gedeihen
wir einmal nicht. Sie laſſen uns nicht einmal wie
die Hefen ſetzen, fie werfen ung beim Spundloche aus.
„Wäre ich klüger geweſen, und hätte den Pater Hi⸗
dalgo mit ſeinen Muſikanten beim Teufel gelaſſen,
ſo ſäße ich auch im Trockenen. Alles iſt Narrheit.
Es iſt Niemand geſcheidt in der Welt als dieſe Re—
publikaner. Die allein leben für ſich. Wir Meri-
kaner, Franzoſen, Spanier, und wie fie Alle heißen,
wenn ich's jo recht um und um betrachte, find nur
halbe Menſchen; denn die andere Hälfte gehört nicht
ung.“
„3a,“ Sprach der Vermummte, wenn man fich jo
an die vierzig Jahre in der Welt herumgetummelt
hat, wird's Einem allmählig klar. Hier lernt man
ächte Philoſophie. Hier weiß man vernünftig zu
leben. Ich habe während der acht Wochen meines
Hierſeyns mehr- gelernt, als mein ganzes übriges
Leben. Was nützt es jedoch; nun ich einſehe nd mir
x
—
ee
F
— 261 ⸗—
vornehme, weist mar mir wieder Die Thüre. Teufel
und Hölle! fie haben einen Sieg gewonnen, deſſen
ſich Napoleon nicht ſchöner rühmen Eonnte, und feine
Muskel ihrer Geftchter ift verzogen; gerade als ob es
feyn müßte, und nun Ben fie wieder ruhig an ihren
Pflug.“
„Und das bleibt auch Euch übrig, # verſetzte der
Wirth, „da Ihr denn doch einmal Euer wüftes Leben
aufzugeben feft entfehloffen feyd. +
„Wirth!“ rief eine Stimme durch die Thüre herein.
„Da bin ich,“ antwortete Benito, der dem Rufe
folgte, und aus der Stube trat.
„Ich habe Gäfte befommen,“ vief ex mit vieler
Zufriedenheit; „aber ich weiß; nicht, ob ſie ſich ge-
rade zu Euch ſchicken. Es find alte Bekannte von
Euch.“ Er flüfterte dem Bermummten etwas in die
Ohren.
„Alle Teufel! Wirklich?« rief Diefer.
„Wollt Ihr Euch’ auf einen Augenblick zurück⸗
ziehen?“ fragte der Wirth.
„Pah, wollen fie ſehen. Wir find ja in einem
freien Sande, heißt es.“
EL ALT TEENS RE EEE — — — e
* *
— ⸗——
Indem trat ein Sergeant ein, dem die Indiar
in Begleitung zweier Milizen folgten. ka. 7
„Sie haben fih zwar freiwillig geftellt, u Müerte
Der Sergeant dem Wirthe zur, naber Ihr müßt ge⸗
wiſſermaßen für ſie haften; ohnedem ſind die beiden
Cumanchees gleichfalls hier.“
„Sorgt für nichts,“ verſicherte ihnen der Wirth;
wir wollen fie wie unfere Augäpfel bewachen und
bewahren. Wache wäre — würde nur F
wohn erregen.“
Inzwiſchen hatte ſich — alte Miko Awas be⸗
fremdet in der dunkeln, von zwei Talglichtern küm—
merlich erhellten Stube umgeſehen, deren Aermlichkeit
ihm aufzufallen fehien. Ein bitteres Lächeln umkreiste
feinen Mund, als er die weiß übertünchten Wände,
die armfeligen Teppiche und die Eichenholzſeſſel und
Tiſche überſah. „Sieht El Sol,“ murmelte er dem
jungen Cumanchee zu, „wie die Herzen der Weißen
kalt geworden find. Als die Indianer zuerft kamen,
führten fie fie in ein Foftbares Wigwam. Hier u
Der Cumanchee hatte nicht minder aufmerffam in
der Stube umhergeſehen, als fein durchdringender
Blick in die Ecke fiel, wo die drei Ausländer ſaßen.
—) 2363 —
Plotzlich fingen feine Augen am Feuer zu ſpruhen, ſeine
Nafenlöcher ſchwollen wie die Nüſtern eines Roſſes,
er begann zu ſchnauben und, in die grimmigſte Wuth
ausbrechend, fuhr er auf den Tiſch zu, hinter welchem
die drei Ausländer faßen.
„Hat,“ fo fprach er mit einer Donnerftimme, „hat
die Schlinge der Cumanchees und die Lanze der Paw⸗
nees deßhalb des Diebes geſchont, damit Diefer mit
feinem giftigen Athem abermals das Geſicht des un⸗
glücklichen Vaters vergifte, dem er die Tochter und
die Seinigen geraubt? Und indem er nach dem Dolche
griff, würde er auf Lafitte losgeſtürzt ſeyn, wenn
ihm nicht die Milizen in die Arme gefallen wären.
„Im Namen des Geſetzes, Ruhe!“ ſprach der Ser-
geant, „oder ich führe wi augenblicklich in's Ge—⸗
fängniß.“
„Mein Sohn,“ ſprach * Mito bedeutſam, „wir
find im Wigwan der Weißen. «
Der Seeräuber, denn Diefer war es, wie unfere
Lefer entnommen haben werden, hatte, während der
Wilde den Dolch zuekte, mit vieler Kaftblütigkeit fein
Glas ausgetrunken.
„Mag ich erſchoſſen ſeyn, “ flüſterte Einer der Mi-
SE a se
Du 1 a Fre a ea IE Te RE a Al BEAT an un ee
i er *
— 26 —
lizen ſeinen Gefaͤhrten zu, „wenn biefeh: Man nit I
mehr Faltes Blut in feinen Adern hat, als alle Ali- :
gatgren im Broadfivgmp zufammen genommen.“
„Das ift auch das Befte, was er hat. Er fehneidet
Euch mit demfelben Gleichmuthe die Kehle ab. Kennt
Ihr ihn?u &
„Werde ihn doch.. Für jest ift ihm feine Zeche ab⸗
geſchrieben, befümmt er aber wieder etwas 8 die
Kreide, dann hängt er doch.“ —
Lafitte, ohne irgend Einem der An efi aden |
dere Aufmerkfamkeit zu fehenfen, goß ſich wieder fin
Glas voll und tranf ruhig fort, als die Thüre aber-
mals aufging und die beiden Gumanchees herein und
auf den jungen Häuptling zufprangen. Ri Kind,
das den Armen der Mutter entriffen und nach einerlan-
gen Abweſenheit wied r zur ückgegeben wird, kann mit
ausgebreiteten Mutterarme eilen,
als die beiden Wilben 9 die de3 jungen: Cumanchee.
Die drei Wilden waren wirkliche Kinder geworden.
Sie fielen ſich einander in die Arme, ſie umſchlangen
ſich, ſie beſahen, ſie betaſteten ſich, als mißtrauten
ſie ihren Augen, ſie ſchienen ihres Entzückens nimmer
ein Ende zu finden. Als dieſes ſo eine Weile gewährt
we %
— 5
hatte, traten die Beiden von ihrem Häuptlinge zurück,
kreuzten ihre Arme auf der Bruſt und ſtanden eine
lange Weile in ehrfurchtsvoller Stellung vor ihm, der
ſeinerſeits eine hohe, gebieteriſche Miene angenommen
hatte. Mit Hoheit hörte er ihren Bericht und ihre
Schickſale während jeiner Abweſenheit. Aber bald
verwandelte fich diefe in heftigere Symptome, die
bald Schmerz, bald Wuth, wieder Scham und Zorn
im ungemein ſchnellen Mienenjpiele ausdrücken. Auf
einmal brach er in einen Lauten Schmerzensruf aus;
feine Arme fielen ftraff an feine Seite, und als ſchämte
er ſich vor den Anweſenden, trat er mit den beiden
Cumanchees aus der Stube.
Das Geſpräch der Indianer war im Pawneedialekte
geführt worden und hatte die Aufmerkſamkeit Aller
jehr erxegt; denn es mußte offenbar etwas Befonde-
res ſeyn, das die Seelen dieſer an Selbſtverläugnung
ſo ſehr gewohnten Menſchen ſo außerordentlich be⸗
wegen konnte. Auch der Miko war es; aber in feinen
ſtarren Zügen war bloß ein bitteres Lächeln zu be⸗
merken. Als die Milizen ſahen, daß ſie vergeblich
nach Aufklärung warteten, entfernten fie ftch.
Der Miko hatte fi ich in der Ecke des Feuerplatzes
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miedergelafſen, * ſaß eine geraume Zeit, ohne irgend
ein Merkmal von Leben: von fih zu geben; dann be>
gann er fein Haupt zu erheben, und fein Blick fiel
auf den Seeräuber, der noch in jeiner Ecke ſaß, wandte
ſich jedoch immer wieder mit Abſcheu von ihm. &
fehien, al3 ob dem alten Manne eine Anwandlung
von Neugierde ankäme, zu wiſſen, was ſeinen Feind
hieher gebracht habe, und daß nur Stolz und Scheu
ihn vom erſten Schritte zur Annäherung zurückhalte.
Der Seeräuber brach endlich das Eis, indem er
aufftand und an den Miko hertrat.
„So finden wir und denn wieder, Mike, ſprach
er nicht ohne Theilnahme, vum drei Monate älter,
weifer, aber nicht glücklicher. Wo find die Zeiten,
wo wir jo friedlich beifammen ſaßen im Wigwam
am Natchez?“ Er ſprach die letzten Worte mit einer
jo fehmerzlichen Betonung, daß der Indianer *
forſchend anſah.
„Ja, Miko, wenn a Sr damals ie jo troßig |
von Euch gewiefen hättet, und ich fein ſolcher Narr
geweſen wäre, eines Mädchens — Alles auf das
Spiel zu ſetzen — — Ja, Miko, ich meinte es gut.
Wir hätten ein glückliches Leben führen Fönnen. Wir
PZ *
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‚hätten eine hertliche Golonie gegründet, fein Feind in
der Welt hätte und etwas anhaben dürfen. Es war
ein fehöner Traum.“ i |
Der alte Mann ſchwieg noch immer. „Wie fommt
es,“ fragte er endlich mit fichtlichem Widerftreben,
„daß Der, auf den der große Vater der Weißen einen '
Preis von ſo vielen Dollars gefegt hat, fich num in
ihren Wigwams fehen laßt
„Erinnert Ihr Euch, Miko, jenes Morgens, als
ich Euch im Council-Wigwam fagte, Kafitte würde
Euch vertheidigen? Ihr braucht Euch nicht zu fürch—
ten? Mifo, hättet Ihr damals auf meine Stimme
gehört, wäre Alles beffer gewefen. Schon damals
war der Plan reif, der mich mit der Welt verfühnen
follte. Hilft nun aber Alles’ nichts. «
„Und der Häuptling der Salzſee ift ein Freund der
Meißen?“ fragte der Indianer.
„Sp wie man Freund jeyn Tann,“ verjeßte Der
Seeräuber bitter lachend, „wenn man einen Dienft
erwieſen hat, der zu groß ift, um bezahlt zu werden.
Sie haben mir gnädigft erlaubt, ihre Kanonen zu
bedienen, und mich der Gefahr, verftünmtelt "oder
todtgefchoflen zu werden, fo an die fieben Stunden
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bloß zu ſtellen; dafür habe ich nun eine Art Pardon
und die huldreiche Weiſung, mich ſo Ion: -
nen zu paden, als möglich.“ k
Die Rolle, die der Seeräuber geſpielt, iſt ER 3
fannt, um einer Erläuterung zu bedürfen. Weniger
bekannt dürfte es jedoch ſeyn, daß die Geſinnungen
dieſes ſeltſamen Abenteurers wirklich mit den hier ge—
äußerten übereinſtimmten.
„Und der Häuptling der Salzſee iſt zu den Wein
gegangen, um mit ihnen den Tomahamf gegen bie
Söhne’ des Vaters der Canadas zu erheben? fragte
der Indianer gefpannt.
„Ich komme fo eben von der Affaire herauf. Die
Weißen haben einen glänzenden Sieg davon getragen. «
„Und er bat die große Schlacht der Meißen mit-
geichlagen?“ fragte der Indianer beinahe ängftlich.
„Ja,“ eriwiederte der Seeräuber mit demſelben ver:
zweifelt bittern Hohnlachen, „und dafür hat er die
Erlaubniß erhalten oder vielmehr den guten Rath,
das Land fo bald als möglich zu räumen.“
Der Indianer, der feine Gefühle bisher gewaltſam
unterdrückt Hatte, war num nicht länger im Stande,
dem furchtbaren Kampfe, der in feinem Innern tobte,
260 ⸗⸗
zu gebieten. Seine Bruft bob fih, als drohte es
ihn zu erſticken. Seine Augen rollten, als wären fie .
von einem innern Feinde im Kreiſe getrieben. Seine
Hände auf fein Geftcht fehlagend, ftöhnte er Yaut und
fiel dann bewußtlos über den Sarg hin.
„Miko!“ jchrie der Seeräuber, der herbei fprang
und den bewegungslofen Mann wieder aufrichtete.
„Miko, was iſt dieß?“ |
Der alte Mann blickte ftier um fich her. „Geiſter
meiner Deonees! Geift meiner Tochter! ich habe Euch
Süuhnopfer bringen wollen; der Dieb hat Euch und
mich betrogen. Nein!“ rief er ſchmerzlich, „die Weißen
haben mich betrogen.“
„Häuptling!“ ſprach der Wirth auf den gedeckten
Tiſch weiſend, „eßt und. trinkt, und ſchlagt Euch das
Uebrige aus dem Sinne. Trinkt! je mehr, deſto
beffer, es gebt auf Koften der Regierung. u
Der Indianer nahm das dargebotene Glas an,
trank e8 aus umd bedeutete dem Wirth, es wieder zu
füllen. Wieder ftürzte er es hinab und wieder wurde e8
gefüllt. Er wiederholte den Zug ein drittes, ein vier-
tes, fünftes und fechstes Mal und anf dann bewußt⸗
los am Boden hin.
Ift doch bei alle dem *
ſprach Benito. — Sn Si
„Ein König wilft Du fügen, ſprach de
räuber ernft. „Gin Legitimer mit fo edlem 2 J
als je in den Adern Eines gefloſſen. Bean Duden |
hunderttaufendften Theil feiner Leiden e ‘
teft, wäreft Du längſt im Tollhauſe — ober. —
Galgen vermodert.“ Er ſah auf den
verſchränkten Armen herab. „Schaffe ihn n
Schmerzlichite fteht ihm noch bevor." 2 "u
„Doch horch, was iſt das? Neun Eh von
einem Dampfſchiſſe. Ein neunmaliges Hurrah. Der
General en Chef iſt angekommen. Gute Nacht, Milo,
morgen wirft Du mehr hören. “ uut
w
ERBEN Kapites a
Geht ins Gericht Mr nal J
Sünder ſind wir Alle. Fake
Sha bea e.. 5.
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Das Rollen der Trommeln — RR
den Morgen das Zufammentreten der Dam
als die Indianer durch die dichten Reiben der Milizen
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dem Gafthofe zu geführt wurde, wo der Obergeneral
fein Abfteigequartier genommen; hatte Im Corridor,
der zu dem Saale führte, den wir bereit’ jo ‚vielen
Beftimmungen gewidmet geſehen haben, ftand ein
sahlreiches Offiziers-Corps in glänzend reichen Uni- i
formen, welches die fo eben aus dem Saale fommenden
brittiſchen Offiziere freundlich begrüßte. „Die India⸗
ner,“ rief eine Stimme, ** vor!“ Sie tra⸗
ten ein. 35,
Sp eben erhob fich ein langer, a aber kraft⸗
voll gebauter, ältlicher Mann von einem Armfeffel,
auf defien einer Lehne ſich ein Kiffen befand, auf dem
fein linker, in einer Schlinge: getragener Arm geruht
hatte. Seine Züge waren feharf gezeichnet, ſtark her—
vortretend und deuteten auf fejte, unerſchütterliche
Kühe. Das fühne blaue Auge, in tiefen Augenhöhlen
funfelnd, verrieth ein Feuer, das weder Alter noch
körperliche Leiden geſchwächt hatten. Sein Gang war
langſam, aber würdevoll. Er trug die Generals-
- uniform des höchſten Grades in den Staaten, unter
einem braunen Ueberrocke. Säbel und Federhullagen
auf einem Seitentiſche. Sein ſcharfer Blick fiel, als
die Indianer eintraten, auf jeden — mit einem
*
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Lo» TURN a te —— RR —— rn
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Ausdrucke, der die Wilden durthhuſchauen fin. —
Nach einer Eurzen Baufe ließ er ſich wieder auf den |
Armſeſſel nieder und nickte den in zu
nehmen. sa
„Tokeah!“ ſprach der Major Gopelanb: ‚She
fteht vor dem kommandirenden General, dem großen
Krieger, der ie Muscogees und die Söh de
Vaters der Canadas in vielen und‘ — Shiahen
geſchlagen hat, dem Bevollmächtigten des PF
Vaters der rothen Männer.“ Ä
Die Indianer fahen nach diefer eiwas ——*
aber hier ganz zweckmäßigen Aufführung den General
betroffen an; und ihr Haupt neigend, ſtreckten die
Palmen ihrer Hände vor.
„Tokeah, der letzte Miko der Oconees,“ A va
Diefer, „iſt mit feinem Sohne er Sol, dem mia J F
gen Häuptlinge, der Cumanchees ‚gefommen, ihre 1
Hände in Frieden und Freundſchaft ausg ſtreckt.“
„Tokeah, Miko der Oconees!“/ wiederholte det
General kopfſchüttelnd. „Wir Haben Vieles, m zu
Biete bon diefem Tokeah ae Und dieſer junge
Mann hier?“ u — e
„It EI Sol, der junge Häuptling der Cumanchees— un
—) 273 —
Der General jah den jungen Mann mit einem sinn?
weniger mißtrauifchen Blicke an. Ä
„Sagt dem Häuptlinge, er ſey willfommen i in den
MWigwams feiner weißen Brüder.
Nachdem der Miko diefes verdolmetjcht hatte, fegte
der junge: Cumanchee feine Nechte an die Bruft und
neigte ſein Haupt.
Beide Häuptlinge bewieſen viel Ruhe ‚und ſelbſt
Anftand in ihrer Haltung. Sie verzogen Feine Miene,
und ihre Augen in achtungssoller Aufmerkffamfeit auf
den ‚General gerichtet, warteten fie auf Die weitere
Einleitung des fogenannten Talks oder der Zufammen-
funft. Der, General feinerfeits fehlen den Wilden
volle Gelegenheit geben zu wollen, ſich ganz in ihrer
ſententiöſen Manier auszufprechen.
na Tokeah,“ ſprach er nach einer Paufe, wäh—
vend welcher er inne gehalten hatte, um den Indianern
Zeit zugeben, ſich zu faffen. „Wir haben von Euch)
gehört, aber wir wollen das Gefchehene in dem Strom
der Vergefienheit begraben.“
»Der Miko würde von den Weißen ferne, olhlichen
J ſeyn;“ ſprach der Indianer. „Er weiß, daß er ein
Dorn in Ihren Augen iſt. Er iſt von Ihnen auf
Der Legitime. III. 18
— m
ſeinem Pfade aufgehalten worben, ben et geganı ä
um das Gebot ded großen: Geiſtes z u erfüttn.u* €
deutete auf den Sarg, den er rn * —
men hatte.
Der General ſchůttelte wieber hot haue un 1
ſollte Tofeah nicht fo tief hinab nad Alabama
gangen feyn; der Oconee und das heilige Feld⸗
Muscogees ſind weit von letzterem.“ *
Der alte Häuptling ſah den General Betroffen: an.
„Tokeah! Tokeah!“ ſprach Diefer. „Es mag —*
gehen für dießmal. Aber ſo ſchlau Ihr auch Gure
Anſchläge macht, wir blicken fie durch /
„Tokeah hat die Fußſtapfen der Mo ſins auf
ſeinem Wege gefehen; er wußte, daß feine Feinde dem J
großen Vater in die Ohren flüſtern würden; er mußte :
noch zu feinem Volke fprechen. Wenn mein Bater
den Talk Tokeahs gehört hätte, würde er feine Stirn
nicht’ rungen. Der Miko wird jetzt dahin gehen, mo
ihn die Weißen nichtmehr fehen werden. Die Aerte
der weißen Männer machen einen ‚großen u in \
den Ohren Tokeahs ⸗ —1
„Weiß der große Pater von dieſem?“ TR der 4
General.
— 5 —
Die Männer der Dconees Haben feit fieben Som⸗
mern auf den Jagdgründen der Mexicos gewohnt.
Sie wollen wieder zurüd, wohin die Pflugſchar und
die Haden der Weißen ihnen nicht folgen werden.⸗
„Und der alte Tokeah hat das gute Land ſeiner
Däter verlaſſen, und iſt in ein ſchlechtes gezogen, wo
ihm die Mufcheln und Schalen die Füße ierj@neihen
werden?“
„Wenn die rothen Männer ein ſchönes Weib Haben,
das für ſie nicht Eochen und ihre Jagdhemde machen
will, jo fenden fie es zurück zu ihrem Vater, und
nehmen ein haͤßliches Weib, das thut, was ſie brau⸗
chen. Tokeah hat im Lande ſeiner Väter gelebt, und
unter den Weißen mit ſeinem Volke. Wenn ihre
Pferde und ihr Vieh über ihre Grenzen gingen, durfte
er nicht gehen, um ſie einzufangen, und wenn er es
that, fo warfen fie ihn in ein finſteres Wigwam oder
ſchoßen auf ihn aus ihren Feuergewehren; aber wenn
das Vieh der rothen Männer über die Grenzen der
Weißen ging, ſo nahmen ſie es, und wenn die rothen
Männer zürnten, nahmen ſie auch ihr Leben Dazu,
Tokeah Eonnte nicht mehr unter. ſolchen Menſchen
leben. «
18*
a RE ET EINE Se VOR TER ER E
Hweben 4 fragte der General, 3 die rot
ner nicht auch böſe Brüder ··
„Die rothen Männer ſtrafen oe —
fuhr der Indianer grollend fort — mund fie treiben F
ſie in die Wildniß; — aber die weißen Männer thei- |
len das bon den rothen Geftohlene. Es ift weit zum
großen Vater, und er hört nicht das Aufen feiner
rothen Kinder, und die Zunge feiner Boten *) iſt fehr
gekrümmt. Tokeah will deßwegen gehen, wo er die
Weißen nimmer. ſehen wird.” AN
„Das heißt zu den Cumanchees, um mit * die
Kette zu ergänzen, die ſein unruhiger Geiſt mit ſeinen
Brüdern und und zerriſſen hat?“ verſehte der Ge⸗
neral, der, weit entfernt durch die grollend werdende
Sprache des Indianers beleidigt zu werden, fortfuhr:
„Es ift fein Zweifel, daß bie rothen Männer in ge-
wiſſen Punkten son ung gefitten haben; aber fie Ha-
ben nicht mehr von und ald wir von ihnen erduldet.
Doch wir wollen und können ums hiefüber nicht in N
Brörterungen einlaffen. Nur follte Tokeah einfehen, f
daß wir die Stärkeren — und Herren des Landes find.
Mir fonnten Tokeah fein Land nehmen; denn es war
BR, ®
5°
*) Agenten der Vereinigten Staaten.
uns durch das Recht des Krieges verfallen. Wir
haben es ihm abgefauft, ihn als freien Mann, als
Bruder behandelt.“
» Der große Geiſt,“ ſprach der Indianer,
„hat ſehr große Spinnen in dem Lande gemacht, wo
der Miko lebte, und eine derſelben tödtet einen kleinen
Bogel: Diefe Spinnen ſagten zu den Vögeln: „Seht,
wir wollen Euch allein und in Frieden Iafien, und
nicht mit Euch brechen; aber Ihr dürft auch nicht un-
fere Netze zerreißen.“ Die armen Vögel blieben in
ihren Neftern, und faßen da für eine lange Weile.
Hunger trieb fie endlich heraus; als fie aber auf-
fliegen wollten, fanden ſich ale Wälder mit den Neben
der Spinnen überzogen, und die armen Vögel fielen
in die Schlingen, und wurden von den giftigen Spin=
nen aufgefreſſen, und ihr Blut ausgefaugt, und fie
mußten eines langſamen Todes ſterben. Die rothen
Männer ſind die armen Vögel, die Weißen die
Spinnen. Ihrer Stämme waren viele. Sie ſind
verſchwunden vom Angeſichte der Erde. Sie ftarben,
Viele durch die langen Meffer der Weißen, noch mehr
aber durch ihre Lift und ihr Feuerwaſſer. T oleah
will weit von m gehen.”
8
¶ Das mögt Spethun, — beſten dün
werden Euch keine Hinderniſſe in den —
geofe Geiſt,“ fuhr der Indianer fort, „bat
den endloſen Strom rinnen gemacht, von wo der
Schnee fällt, gegen das Land zu, wo die Sonne Heiß 4 }
ſcheint. Er hat den rothen und weißen Männern
ueberfluß an Land gegeben, aber die weißen,“ fuhr 4—
er klagend fort, find nie zufrieden, fie greifen immer
weiter, und ſtrecken ihre Hand aus nach dem, wasden
sothen Männern gehört, und nehmen jeden Sommer —
mehr von dem Lande Dieſer.“
„Die Weißen haben das Land der rothen ii
gekauft; es ift deßhalb ihr rechtmäßiges — u
verfeßte der General. h
„Sie haben die rothen Männer mit Feuerwaſſer
betrunken gemacht, und fie dann um ihr Land bes
trogen,“ entgegnete der ftarrfinnige Indianer.
„Tokeah,“ ſprach der General mit jener Ruhe, die
den Indianer, eben weil er fie zu einem gewiſſen
Grade beſitzt, am ſchnellſten aus feiner Faſſung bringt,
„der große Geift hat die Erde für die weißen umd
rothen Männer gemacht, daß fie fie pflügen und be-
bauen, und von ihren Früchten leben mögen; er hat
m
J
.
Ri Ca
*
No —
ſie aber nit zu einem Jagdgrunde gemacht, daß einige
Hundert rothe Männer im faulen Dafeyn einen Raum
einnehmen, auf dem Millionen glücklich leben und
gedeihen fönnen. Wenn Ihr die Ländereien, die Ihr
noch habt, und die noch immer ſo groß ſind, wie
manches Königreich der alten Welt, wo mehrere Mil⸗
lionen glücklich leben und gedeihen können; wenn Ihr.
diefe Ländereien beurbaren wollt, jo könnt Ihr reis
cher, glücklicher feyn, als irgend eine gleiche Anzahl
Bürger der vereinten Staaten; ‚wenn Ihr Häuptlinge
aber das Geld, das Ihr von ung als. Sahresgehalte
für Euer abgetretened Land erhaltet, unter Euch ver=
theikt und Eurem Volke höchſtens ein paar Dollars
zum Vertrinken hinwerft — dann aber fie Darben
laſſet; — wenn Ihr fie jo — ftatt Euch ihrer anzu=
nehmen, und unfere menjchenfreundlihen Bemühun-
gen, fie der Gultur zu gewinnen, zu unterftügen —
zum Auswurfe herabwürdigt, und fie zwingt, an
den Thüren unferer Bürger ihr Brod zu betteln, und
fih in unferem Straßenkothe herumzuwälzen: dann
müßt Ihr es diefen Bürgern nicht verargen, wenn
ſie folcher Geſellſchaft überdrüffig werden. Ich kenne
Euch, Häuptlinge; Ihr ſeyd ſolche Blutfauger der
”= 3%
—
Eurigen, als es der — * ber alten R e
Welt nur ſeyn kann.“ | “ i —
„Tokeah hat die Dollars mit Süßen
erwiederte der Indianer.
ZIch kenne auch Cuch, Toten, ini hab/ die he⸗
naueſten ndigungen eingezogen.“ Doch On
Euch * Alter ,“ fuhr der General fort: „Was
thun wohl die Creeks oder, wie Ihr Euch nennt, die
Miuscogees, wenn ihnen ein rother Späher der Ehe
rofees in die Hand fällt, der während fie mit Diefen
in Srieden Ieben, zu den Choctaws eilt, um den ſechs
Nationen in die Ohren zu flüftern, die Tomahawks
zu erheben, und über die Muscogees —— ſo
wie der Panther über das Rind herfällt/ ⸗/
Der Indianer ſchwieg betroffen: r
„Sie nehmen‘ feinen Skalp. Nicht wahr? Pr
Tofenh damals mit rache- und wuthſchnaubendem
Herzen hinauf zu den Shawneeſe ging, da wurde ihm
ſein Land von ſeinem eigenen Volke verkauft, das
müde war, ſeinen ewigen Unruheſtiftereien länger
Vorſchub zu leiſten, und den unverſöhnlichen Häuptling
aus ihrer Mitte weg wollte. Wir fonnten Euch als
Spion, als Aufwiegler, den Prozeß machen, und
*
NY; gr 4 er Haan
281
Eure eigenen Männer würden Eure Henker geworden
feyn. Wir thaten es nicht. Wir benahmen Euch die
Gelegenheit, fürder fchadlich zu werden, und ließen
Euch gehen. Wenn Ihr das Geld wegftießt, das Euch
für das Land bezahlt wurde, war. es Euer Fehler;
für das, was Ihr damals thatet, hattet Ihr den Tod
verdient. Das Schickſal der rothen Männer,“ fuhr
der General würdevoll fort, „iſt hart in vieler Hinſicht,
aber es iſt nicht unvermeidlich; die Barbarei muß
im Kampfe mit der Aufklärung immer weichen, ſo
wie die Nacht dem Tage weicht; aber Ihr habt die
Mittel in der Hand, an dieſe Aufklärung Euch anzu—
fchließen und in unfer bürgerliches Leben einzutreten.
Wollt Ihr diefes jedoch nicht, und zieht Ihr vor, ſtatt
genchteter Bürger wilde Legitime zu feyn, fo müßt
Ir mit dem Schickſale nicht hadern, das Euch wie
Spielwerkzeuge wegwirft, nachdem Ihr Eure nächt-
liche Bahn durchlaufen ſeyd.“ |
Die Wahrheit der eindringenden und and Erha-
bene grenzenden Sprache des Generald hatte den
Indianer plöglich zum Schweigen gebracht.
„Tokeah,“ hob der General wieder nach einer langen
Baufe an, „wir haben, wie gefagt, nichts gegen Euren
Entſchluß, zu gehen, und ich * die notthigen Befele
in meiner Militärdiviſion hinterlaſſen, daß
Offiziere Euch ungehindert ziehen laſſen. Ehe dieſes
jedoch geſchieht, müßt Ihr una noch über Einen Punkt
Aufklärung geben. Eure verfehiedenen Stämme find
zwar von und gewiffermaßen als Völker betrachtet,
in deren innere Angelegenheiten wir ung nicht mengen,
und denen wir felbft das Necht laſſen, unter einander
Krieg zu führen, aber unjere obervormundjchaftliche
Bergünftigung dehnt fich nicht fo meit aus, Euch) das
Recht zu geben, über unfere friedlichen Mitbürger
berzufallen, und Euch unfere Kinder zugueignen,
nachdem Ihr ihre Eltern graufam gemordet.«
Der alte Mann borchte hoch, auf.
„Tokeah hat die Tochter eines weißen Vaters und
einer weißen Mutter zu und gebracht. Er hat fie als
fein Kind betrachtet. Wie ift er zu der jungen Dame
gefommen, die er die weiße Roſe vn fragte der
General. en —
Der Indianer fuhr plötzlich auf. Er ſah bald den
General, bald den Squire Copeland an. Sein Mund
zuckte, und nachdem: er EI Sol etwas in die Ohren
geflüftert hatte, erwiederte er: ee
Die weiße Rofe ift die Tochter des Miko. Er hat
viele Biber- und Bärenfelle für fie gegeben. Sie mar
feine Tochter, bald nachdem * das Licht der Welt er⸗
blickte.“
„Wie kam ſie aber in Eure Hände?“ fragte der
General nochmals.
„Tokeah hat ſie den rothen Männern der Choctaws
der ſechs Dörfer, die am endloſen Fluſſe wohnen,
abgenommen. Wäre fein Arm nicht gewefen, fo wäre
ihr Gehirn ſchon viele Sommer an dem Baume ver⸗
trocknet, an den ſie die Hand eines Bi ſchmet⸗
tern wollte.“
„Auch dieß beantwortet nicht die Frage,“ entgeg⸗
nete der General. „Wie kam die junge Dame aber
in Eure Gewalt?“
„Der große Bater,u verſetzte der Indianer aus—
weichend, what eine große Schlacht gewonnen, in der
feiner Feinde Viele geblieben find. Gehören die Beute
und die Gefangenen nicht ihm und den Seinigen?«
„Ich will Euch fpäter auf die Frage antivorten,«
bedeutete ihm der General. „Die junge Dame ift
die Tochter weißer Eltern — Fein Chortam — Tokeah!⸗
NT N ER
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ee * er —
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— Er
ſprach der General drnft ——
hiemit auf, mir reine Wahrheit zu fagen. u
Des Häuptling Augen begegneten dem durchboh⸗
venden Blick des Generald, waren aber np
Stande, diefen auszuhalten. ——
„Der große Vater ift gerecht,“ ſprach er, „er wird)
dem alten Tofeah nicht die Blume rauben, die er viele
Sommer gewartet und die die einzige Freude feiner
Augen ift, die fein gehört und — 4 er ſprach *8
tern Worte leiſe und mit hohler Stimme.
„Euch ſoll Recht widerfahren,“ ſprach der Ge—
neral; „aber zuerſt müßt Ihr Eure —— auf
dieſe junge Dame erweiſen. u
„Tokeah beſitzt die weiße Roſe vierzehn Sommer,“
antwortete der Indianer etwas zuverfichtlich; wer hat
fie aus den Händen der Muscogees geretlet, als Diefe
fie an einen Baumftamm fchleudern wollten. «
„Fahrt fort," fprach der General.
„Tokeah will reden und fein großer Vater wird
hören. Vierzehn Sommer und Winter find verfloffen,
feit der Mifo der Oconees mit feinem Volke bie 30%
mahamfs gegen die Choctaws der ſechs Dörfer er-
hoben. Sein Herz war mit den Choctaws; allein
5 a
die —* wollten das Ariegsgeſchrei erheben,
und er zog gegen die ſechs Nationen. Es war in der
zehnten Nacht, ſeit der Tomahawk ausgegraben war,
daß der Miko in der Nähe: des oberften Dorfes feiner
Feinde lag, der Stunde martend, wo feine Veinde
ſchlafen würden, als auf einmal feine Ohren den
Kriegsruf der Seinigen, die zu ſpähen ausgegangen
waren, hörten. Er flog den Seinigen zu; aber ehe
er ankam, hatten ſie hre Feinde bereits in die Flucht
gejagt und er kam gerade, um zu ſehen, wie ſie den
Gefangenen die Skalpe abzogen. Es waren vier
weiße Männer und drei ‚Weiber darunter. Eines
dieſer Weiber war jehr zart und fehr jung, und hatte
die weiße Roſe in ihren Armen, die fie noch fefthielt,
als ihr Kopf bereit3 gefpalten war. Der Mifo war
zu fpät gekommen, um dem zarten Weibe das Leben
zu retten; aber er hörte das Wimmern des Kindes,
als der Bater Mi⸗li⸗machs es an einen Baum ſchleu⸗
dern wollte, und er riß es ihm aus den Händen und
brachte es zu dem weißen Zwiſchenhändler,“ bei die⸗
fen Worten ſah er den Squire Copeland an, „und
er gab viele Felle für die Milch, die ſein Weib der
weißen Roſe gab. Der Miko,“ fuhr er fort, „hat
Er A RE NEN F RE Fa u, rt
a ee N an augen
nr. 7 ⸗·⸗·
noch Alles, was * * als er e on
rettete.” ⸗ oe 2x
Der General blickte bei dieſen Worten den Inbianer 2
feharf an, der ſtockte und inne hielt. a
„Tokeah mug Alles, was er. von feinem Pflege-
Tinde hat, vorzeigen,“ bedeutete ihm der General;
„ed ift wichtig und unerläßlich, um n der Wahrheit auf
den Grund zu kommen.“ mb
Der Alte winkte jofort einem der Diners, der
fehnell den Saal verließ. *
Während-der Pauſe, die nun eintrat, ‚näherte ſich
ein Sremder dem General und handigte ihm ein Pa—
pier ein, das Diefer aufmerkfam las und dann auf
das neben dem Armſeſſel ftehende Seitentifehchen legte.
Der Oconee war mit dem Bündel gelommen, und
der General übergab e8 dem ie. ” Squire
Gopeland. \ R —— Pe
„Da ift die Kette,“ rief Diefer;iei ein golbenes Kett⸗
chen von der bekannten feinen merikaniſchen Arbeit
vorzeigend, „und dad Medaillen iſt noch datau ⸗
mit den Buchſtaben I. C. Ru
„Das nämliche,“ bemerkte der Fremde, „das J
dene in dem Afftdavit befehrieben finden werden.
—d 87 06
Der Tauf- und Familiennamen des Kindes. Die
Kleidung konnte nicht fo genau befchrieben werden,
da der Bater bei der Jammerſcene nicht zugegen war,
und die Diener, männliche — * als weibliche, um⸗
kamen.“
Die Kleidung des Kindes war ziemlich gealtet,
Die Brüffeler Spigen an dem Hemdchen waren gelb
geworden, das Pelzchen war ganz zernagt, auch das
Uebrige war verlegen und morſch.
Der Indianer hat zwar das Kind auf eine Weife
in ſeine Gewalt befommen, die, jo fchrecklich fte auch
ſeyn mag, feine Rechte gewiffermaßen nach unfern
Gefegen begründet, natürlich fo Lange der Vater feine
Anfprüche nicht geltend macht, jedoch nach diefen Be-
weiſen zu jehließen, kann fein Zweifel mehr obwal-
Ien, dapıdie junge Dame, die weiße Roſe genannt,
eine und dieſelbe mit dem in diefem Papiere angege-
benen Kinde fey, und daß ſie ihrem Vater zurückge⸗
geben werden müſſe, ſobald er ſie anſpricht, und ſo—
bald er die Forderungen des Indianers für Verköſti⸗
gung und Pflege befriedigt hat.“
„Kein Zweifel, Euer Excellenz,“ erwiederte der
Fremde, „und der ſehr edle Vater der jungen Dame,
28
| deffen Gefchäftsführer in Veracruz ich ſeyn
Ehre habe, wird gerne zehnfach vergelten, u
nach fo langem Jammer und Suchen wieder zum Be⸗
fie feines einziggeliebten Kindes verhelfen kann. Ich
habe Vollmacht ſchon feit dreizehn Jahren in dieſer
Hinſicht.“ Er wies eine zweite Schrift vor. — }
Die Teilnahme der Anwefenden an: dem Schid-
fale des interefjanten Kindes fing num an, ſich laut
auszuſprechen; die Meinng der ſämmtlichen, im
Saale befindlichen Offiziere, worunter auch mehrere
angeſehene Rechtsgelehrte und Staatsbeamte waren,
ging dahin, daß unter obwaltenden Umſtänden das
Kind nicht wieder den Wilden ausgeliefert werden,
ſondern einſtweilen in der Obhut des Major Cope⸗
land oder Oberſten Barfer verbleiben jolle, bis die
Anfprüche dee Indianer auf ——— aus⸗
geglichen ſeyen.
Dieſe waren in einer Spannung geftanben,, die
jeden Augenblick heftiger wurde und gegen ihre ſon⸗
ſtige Apathie ſehr kontraſtirte. Sie ſchienen ſo viel
verſtanden zu haben, daß es ſich um Roſa Handle; &
da fie aber von der Unterhaltung der Anweſenden
wenig oder nicht3 verftanden, vwerrieth ſich ihre Un—
F
* —d 289 a
gewißheit nur in einer fieberifchen Unruhe, die be=
fonderd am alten Manne auffiel.
„KLokeah,“ ſprach der General, „Ihr feyd hiemit
entlaſſen — Eure Pflegetochter bleibt vorläufig hier.
Es fteht Euch jedoch frei, Eure Rechte auf fie und
vorzüglich auf Entſchädigung für die an fie gewandte
Pflege bei unfern Gerichten geltend zu machen. Bis
dahin bleibt fie in der Obhut, Die ihr von dieſen be—
ftimmt werden wird. « |
Der Indiane:, der von der Rede des Generals
nichts begriff, langte mach dem Päckchen.
„Wie gefagt, das bleibt hier,“ bedeutete ihm der
General nochmals. „Ihr jeht hier mehrere Rechts—
gelehrte, die Alle der Meinung find, daß die Tochter
ihrem Vater wiedergegeben werden folle. «
„Die weißen Männer find gerecht;“ vief der In-
dianer, „die Zunge des großen Vaters ſpricht wie
die Zunge eines großen Kriegers.“
„Ihr ſeyd übrigens frei,“ ſchloß der General,
„Eure Schritte zu thun, und ſo lange Ihr hier zu
verweilen gedenkt, wird für Euch geſorgt werden,“
Er winfte nun den Indianern ihre Entlafjung ; m
Der Legitime. MM. 19
En NN
a Dieſe entfernten fih, nachdem je ihm auf die
gewöhnliche Weife ihre Ehrfurcht: bezeigt Hatten.
„Nun babe ich Eurem Willen fo recht: getfamdu — — N
fragte der General unfern — De 7 j
"Das habt Ihr;«“ verft cherte ihn *
ſegne Euch dafür.“
„Eure Zufriedenheit iſt mir viel werth;⸗ nnd
der General, der fich wieder niederließ und einige
Depeſchen unterzeichnete, die er einem feiner Adju ·
tanten reichte. „Und nun gibt es noch etwas?“ fragte
er lächelnd. — |
„Ihr wißt, die Bürger find — en bre °
Achtung zu bezeugen, und warten nut auf um.
das Manveubre zu beginnen; dann —8— —* liches
Gaſtmahl und Ball. a
„Ich bitte End, verfehont ER in der Ge
neral: Sch denke, wir De der Mandeuvres q ge 4
nug.“ — 1
„Für dießmal können wir es Euch nt ht. erfafen,“
ſprach der Squire, „außer Ihr verſagt ie, Er ſah J \
ihm bei dieſen Worten forfehend an. % 2 —A 3
Der General zeigte auf feinen zerfihmekte ı Arm.
‚ »Ölaubt mir, wenn man zwei voth Blei
—
—$ 291 &
ſtecken hat, dann ift es wahrlich nicht Zeit, an Ma—
noeuvres, Bälle und Gaftmahle zu denken.“
„Die Bürger werben es kaum glauben, daß Ihr
diefer Wunde halber verfagtet. Sie werden e8 einer
andern zujchreiben. «
Der General fah den Sprecher betroffen an.
„Thut wie Ihr wollt,“ fuhr Diefer Leife fort.
„Eines laßt Euch jedoch jagen. Der Volksſouverain
ift im: feiner Etikette der Eiglichfte, den es gibt, das
wißt Ihr. Ihr habt große Dinge gethan; aber das
Größte, was Euch mehr Achtung, als Eure Siege
erwarb, ift, daß Ihr gutwillig Euren Nacken beugtet
und; Eure Strafe wie ein Mann aushieltet.u ⸗
„Hang Euch,“ entgegnete der General lachend.
„Die Ereolen, an denen mir nichts gelegen ift, haben
mir Bälle gegeben und mich befranzt, und. die Unfti=
gen, für die ich mein Blut vergoß und mir einen ſie—
chen Körper holte, laſſen mich zum Danfe zweitau⸗
jend Dollars Strafe bezahlen, und hätte ich das Geld
nicht, ſo ſäße ich vielleicht im Loche. Auch re —
‚wollten die Creolen bezahlen.“
„Ihr thatet wohl, daß Ihr ſie nicht zahlen — | |
flüfterte ihm der Squire zu. „Uebrigens, General,
* 19*
Mm ie ®.
nehmt mir es nicht Übel. Aber es mar ein wenig z
viel Eifer und heißes Blut in Euch, eine kleine N b
kühlung kann nicht ſchaden. Nun aber, da Alles gut
abgelaufen ift, ſeyd Ihr unfer, Mann. Wollt Ihr
bleiben und unſre Achtungsbezeugungen annehmen
— die, Ihr wißt e8, wir eben nicht jehr freigebig
verfehwenden — oder nicht ?«
„Sch bleibe,“ ſprach der General, dem Squire die
Hand drüdend, „obwohl Ihr ein wahres Toryneſt
hier habt, und wenn ich nicht irre, das öffentliche
Gaſtmahl in eben dem Saale gehalten werden ſoll,
wo man mich als einen Tyrannen verdammt hat.“
„Alles zu feiner Zeit,“ ſprach der Squire. „Aber
nun geſtehe ich Euch, es freut mich, daß Ihr bleibt
und die Probe ausgehalten habt. Wäret Ihr gegan-
gen, eben diefe Torys hätten fich ihre Haut voll ge- |
Yacht. Nein, General, man muß feinen Feinden zu
begegnen wifjen.« — Und mit diefen Worten drück—
ten ftch Beide nochmals die Sand und der Squire
entfernte fih. „Doch, Holla,“ rief er, nochmals zu⸗
rückkehrend: „Das Manoeuvre fängt doch vor einer
Stunde noch nicht an? Ich bin ſo eben zu meiner us
Pflegetochter berufen, die ihrem wilden Pflegevater
*
— 93 — .
einen Beſuch abftatten will. Er geht — ab, hör
ich — deſto beſſer.“
Und mit dieſen Worten verließ er den Saal, um
ſich zu ſeinem Pflegekinde zu begeben, das ſo eben mit
der Familie des Oberſten angekommen war, um das
Manoeuvre und die darauf folgenden Feſtlichkeiten
durch ihre Gegenwart zu verherrlichen.
Zweiundvierzigſtes Kapitel.
Euch zu beſuchen, iſt die Dame
Valeria gekommen.
Shakespeare.
„And nun, liebes Kind,” ſprach er, „ſtehe ich Dir
zu Dienften. Einen Vater hätteft Du nun, ‚Gott ſey
Dank. Wollte Gott, wir könnten Daſſelbe auch von
der Mutter ſagen. Der Wilde hat aber keine Schuld
an ihrem Tode, und obgleih Wilder, — was Du
nun thun wirft, ehrt Dich. Doch halt, wo ift unfer
Midſhipman. Ah, da iſt er. Willſt Du mit, Ser-
zendjunge, von einem alten Bekannten Abſchied zu
nehmen?“ |
„Und ein gejcheidter Vater muß diefer Dein Pa
£
* — 94
auch noch feyn,“ fuhr der Squire zu Roſen gewend
fort: „ich ſehe es ſchon daraus, daß er eine Million
Dollars in unſern Banken niedergelegt hat. Schau,
Junge,“ wandte er fich zum Seefadeten, „fo kommen
fie nach und nach Alle zu und. Bisher hattet Ihr
das meifte Vertrauen! nun aber fängt es bei Euch
zu happern an, und fie legen ihr Geld hübſch bei ung
nieder. Ia, aber Roſa, liebes Kind,“ wandte er ſich
wieder zu Diefer, „ftehft Du mit dem Beitungsarlis
fel, der Dein Eleined Herzchen fo aufgerüttelt hat,
der ift num hinüber nach Vera-Cruz mit Madiedo
zum Commifjär Deines Vaters gewandert, und hat
aller Wege fein Gutes gethan. Der Wicht von Zei-
tungsfehreiber hat zwar, ftatt reine Wahrheit ein-
zufchenfen, ‚feine Zeitungsfloskeln fubftituirt; aber
im Ganzen hatte er jo Unrecht nicht, obwohl Dir der
Spaß gar nicht behagte. Aber Dir geht e8 in diefem
Punkte noch wie gewiffen Völkern, die die liebe Preß⸗
freiheit auch ganz barbarifch undelifat finden. Haft
mir aber ganz aus dem Herzen gefprochen,, liebes
Kind, und obwohl Dein wilder Miko ein wenig ım-
reputirlich logirt ift, fo gibt e8 doch wieder dälle, wo
ein Befuch in einem folchen Haufe zu größerer Ehre
3 gereicht, als im drawing room ded weißen Hauſes
zu figen, das uns die Rothröcke verbrannt haben.
Alfo Deine Luft, unter den Wilden zu wohnen, «
lachte er recht Herzlich, „ift Dir fo ziemlich vergangen?
Glaub's gerne, .mein Kind; es läßt ſich zur Noth
auch unter ‚den Wilden leben, ſo wie von Haferku⸗
chen; aber beſſer iſt beſſer, und wir haben es am
beſten. Glaub mir's, liebes Kind, wenn Du ſechs
Monate unter uns gelebt haben wirft, und Du wür-
deſt auf den Hof des erſten Königs verſetzt, wirſt Du
Dich bald wieder in unſer glücklich frohes und einzig
und allein aufgeklärtes Bürgerleben zurüdwünfchen.
In den erften Wochen mag Dir jo Manches an und
nicht gefallen haben; aber wir find wie das Achte,
gejunde Noftbeef und Kernbrod; je langer man da=
von ißt, deſto beſſer und lieblicher ſchmeckt es Sieh,
bei Euch,“ fuhr er zum Midſhipman gewendet fort,
„habt Ihr auch etwas unſerm freien Leben Aehn—
liches. Bei Euch find die Lord& und Gentlemen jo
frei wie wir; aber ‚die Uebrigen find arme Narren,
‚ die von Freiheit reden wie der Blinde von der Farbe.
Iſt aber natürlich bei Euch. Ihr habt das Land,
oder vielmehr Euere und unſere Vorfahren haben
ed von den Angelfachfen und den. alten Britteit er-
obert, und die herrſchenden Familien haben fi in
die beflegten armen Teufel wie in das liebe Vieh ge-
theilt, und find noch zu dato Herren. Wir haben um-
ſere Eroberungen von ein paar hunderttauſend In—
dianern gemacht und mit unſerm Pfluge, und die
Erſtern ſind verſchwunden durch eigene Schuld,
letzte Eroberung macht und Alle, die nämlich arbei-
ten wollen, zu unabhängigen Männern die in die
Angelegenheiten ihres Landes mit reden können und
ſo llen. Sieh, als ich nur noch mit den Meinigen fünf-
zig Dollar hatte, war ich juft fo frei als jetzt, da
ich über hunderttauſend verfügen kann. Iſt aber Alles
ehrlich erworben, durch Feine Genieftreiche, nur auf
gewöhnlichem Wege. u
Und unter dem Schluß diefer Rede waren fie an
der Thüre des Estaments zum ——— ange⸗
kommen.
Sie fanden die beiden —— mit ie Ge⸗
fährten auf die gewöhnliche Weiſe am Boden der Gaſt⸗
ſtube ſitzend, in der ſie ſich allein befanden. El Sol |
war bei ihrem Eintritte aufgeftanden und ihnen einige
Schritte entgegen getreten; Roſen bei der Hand neh—
mend, führte er fie zu einem Site, von dem fie jedoch
auf den Miko zueilte und ihn kindlich umſchlang.
Dieſer ſah ſie kalt und forſchend an.
„Miko,“ ſprach der Squire, „Eure vorige Pflege
tochter, Miß Rofa, ift gefommen, von Euch Abfchied
zu nehmen, da Ihr num einmal gehen wollt, und Cuh
zu danken für alles Gute, das Ihr ihr erzeigt habt.
Uebrigens werdet Ihr den Preis ſelbſt beftimmen,
der Euch als Koftenerfag für geleiftete Sorgfalt und
Pflege gebührt. «
„Tokeah, 4 eriwiederte der Indianer, der natürlich
von den Worten des Squire nur wenig verftand,
indem er zugleich einen ledernen Beutel aus feinem
Wampumgürtel 309, „wird gerne bezahlen, was der
weiße Häuptling fordern wird, für Speife und Tranf,
die er der weißen Roſe gegeben hat.“
„Ihr ſeyd im Irrthum,“ verfeßte der Squire, „und
Euch gebührt Bezahlung. Eigentlich hätte dieß vor
eine Jury gehört, aber fordert, und ich ftehe Euch
dafür, daß Alles, was billig und gerecht iſt, bezahlt
werden wird.“
„Der weiße Häuptling,“ ſprach der —
„mag nehmen, jo viel er will.“
29 ⸗
„Ich fage Euch, nicht Ihr, wir m zahlen;⸗
verſetzte der Squire. I: Eee
„Hat meine Tochter von ihrem Milchvater Abſchied
genommen?“ fragte der Indianer Roſen, die während
der letzten Meden des Wilden ängftlich zu werben.
ſchien. „Roſe muß nun vom Wigwam der Weißen
ſich trennen; der Pfad iſt lang, den der Miko zu
wandeln hat. Er ift der Weißen fehr müde.u
„Und muß der Miko gehen?“ fragte Roſa. „O
Vater meiner Canondah, bleibe doch; die Weißen
werden Dich ald Bruder lieben,“
Der Indianer jah fie erftaunt an. „Wie,“ fuhr
er heraus, „wie meint Roſa dieß? die Bee: Die
giftigen Weißen, Tokeah als ihren Bruder Lieben?
Hat die weiße Roſe? — “ Gr fah fie mißtrauiſch
finfter an. „Die weiße Roſe,“ auf die MWollderke deu:
tend, „wird finden, was fie braucht. Tokeah ift der ;
Weißen fehr müde; er will gehen.“ u
„Miko!“ Sprach fie etwas furchtfam, denn es war |
nun Far, daß Diefer noch immer im’ Mißverftand
über die Abftcht ihres Kummers fey, „Roſa ift ge—
fommen, Dich zu bitten, noch einige Zeit bei den
1299 —
Meißen zu bleiben; aber wenn Du gehen. se fo
will fie —“
„Der Miko ift der Vater feines Volkes ;u ſprach
Dieſer, „es ruft ihn, er muß gehen, und Roſe iſt
ſeine Tochter und die Roſe der Oconees, ſie wird die
Roſe der Cumanchees ſeyn, die Squaw eines großen
Häuptlings;“ ſprach der Indianer.
Das Kind trat erröthend und halb unwillig zurück.
„Miko,“ ſprach fie, „Du biſt der theure Vater mei—
ner Canondah, der mein Leben gerettet und erhalten,
ich danke Dir kindlich; aber Miko, Deine Verfügung
kann ich, darf ich,“ ſie zitterte und trat noch einen
Schritt zurück, „nicht annehmen. Ich gehöre nicht
mehr Dir, ich gehöre meinem Vater, meinem lange
beweinten Vater.“
„Roſa ſpricht wahr, ſie gehört ihrem Vater,“ fuhr
der noch nicht aus ſeinem Irrthum geriſſene Miko
fort, „die Füße meiner Tochter ſind ſchwach; aber
ſie wird im Canoe ſitzen, bis ſie in den Wigwams
der Pawnees ankömmt, und Fl haben der Roſſe
viele. 4
„Bei Gott!“ rief der Squire, „hier ift ein Irr⸗
thum, der Indianer gedenkt Roſen mitzunehmen.
— N de ne a N —— z E27
% I TR VE ILTOR ES RER
„Herzensjunge,“ ſprach er zu dem Jünglinge, weile
ſo ſchnell als möglich zum Oberſten Parker, und
bringe und einen Zug Männer. Vor den langen
Bajonneten haben fie allein Reſpekt. Roſa, liebes
Kind, Halt inne, der Wilde fieht mir ganz wild und
unheimlich aus,“ flüfterte er dem Mädchen zu.
Wirklich war in dem Wilden eine eben fo plöß-
liche, nur dem fchärfiten Auge bemerfbare Verände—
rung vorgegangen. Es fihien, als ob auch er ahne,
daß ihm Roſa entriſſen werden könne. Seine ſtarre,
lebloſe, düſtere Miene war einer Unruhe gewichen,
die den Major beſorgt werden Tief. |
. nDie weiße Roſe,“ ſprach er nach einer Weile, ei-
nen langen forfchenden Blick auf fie werfend, nift
eine fromme Tochter; fie wird für ihren BR das
MWildpret kochen.“ 2 “
„Gerne wollte ich dieß für den Water meiner Ca—
nondah thun;“ ſprach fie noch immer verſchüchtert,
„allein ein größeres Gebot ruft, theurer Vater. Va—
ter meiner Canondah! Roſa ift gefommen, um von
Dir Abschied zu nehmen.u ° AN
Der Indianer horchte Hoch auf. | |
„Ih kann Dir nicht folgen; aber mein Bater
—
A
*
301 &—
wird Dir hundertfältig vergelten, was Du an ſeiner
Tochter gethan haſt.“
„Wie meint meine Tochter dieß,“ fragte der Wilde,
der ſie noch immer nicht ganz verſtand.
„Miko,“ ſprach das Mädchen, „der Vater, der mir
das Leben gegeben hat, iſt wieder gefunden. Roſa
muß zu ihm eilen; denn er hat ſie ſeit vierzehn er
ren beweint, gefucht. «
„Tokeah hat Roſen das Leben gegeben; er hat fie
dem Arme des Vaters Mislismachs entriffen, er *
Felle für die Milch bezahlt.“
„Aber Roja hat noch einen andern Vater, der ihr
näher ſteht, den ihr der große Geift gegeben, der ihr
das Leben gegeben hat; zu Diefem muf fie gehen.
Ih muß Dich verlafjen, Miko;“ fprach fie mit etwas
mehr Entſchloſſenheit.
Der Indianer jah das Mädchen mit einem Blicke
an, in dem fich die Hölle in ihren unteriten Tiefen
zu malen anfing. Die Schuppen waren endlich von
feinen Augen gefallen; aber jelbft in diefem Augen-
blicke verließ ihn feine fürchterliche Kalte nicht, ob—
wohl ſich der entfeglihe Sturm, der num in feinem
* — 302 —
Innern zu toben begann, bereits graufenbaft in ei
nem Barbenmwechfel und Dienenfpiele zeigte.
„Miko,“ ſprach der Squire, der nicht ohne Ban⸗
gigkeit dieſe furchtbaren Symptome tief verſchloſſener,
aber nun bald ausbrechender Wuth bemerkte. „Miko,
Ihr habt gehört, was Euch der große Krieger ie
hat?“ ».
Der Indianer würdigte ihn Feines. Budes; —*
ganzer Körper fing fieberiſch zu zucken an, ſeine Hand
fuhr nach dem Schlachtmeſſer, dann ſah er wieder |
auf Roſen mit einem Blide, jo. durchbohrend, daß 2
der Squire entjegt an ihre Seite jprang. Zur Ver⸗ 9—
wunderung des Majors hatte das Mädchen alle ehe 4
Entſchloſſenheit/ ja eine Art Sopeit erlangt.
„Miko,“ Sprach fee, „ihre Arme, aus um |
im Begriffe auf F age —
uſ⸗ — a: * a, |
„Wie fpricht meine e Koltente fuhr. der Indianer Er
auf, der noch nicht feirten Ohren zu trauen bien.
„Tokeah ift nicht ihr Vater? - Sie will,“ und feine F
Stimme nahm einen ſo unnatürlich pfeifenden Ton 4
an, daß. der Fr und feine Frau fehreiend BER...
or r..
AM 2 ED u En x
1 BE A a
—d 303 &— .
bereinftürzten, „fie will,“ brach er endlich aus, „dem
Miko nicht folgen?“ ‘ Ä
„Sie kann m ;“ ſprach fie mit ungemeiner Feftig-
feit.
„Halt, BE ſo lieb Dir Dein Leben ift, — u
rief der Squire, „und fieh mir in das Gefiht; in Dir
Eocht wieder der Teufel. «
„Meine Tochter,“ ſprach der Wilde, ohne Diefen
einer Antwort zu würdigen, „ſagt, fie hat einen an-
dern Vater gefunden ?“
* da, Vater meiner Canondah!“ flüſterte fie.
„Und fie will bei den Weißen bleiben?“
' „Rofa muß.‘ u 4 \
„Und Rofa, “fuhr er in Genie höffgeinend
Falten Tone fort, „will den Miko verlaſſen? Ihn
# allein auf den weiten Pfad gehen laſſen?“
Und indem er diefe Worte anfcheinend auf die ru-
higſte Weiſe ausſprach, Hatte er die Riemen des Sar-
ges über feinen Kopf gezogen, fprang mit. einem
Satze auf feine Beine und auf Roſen zu, und fie in
J ſeine Arme aufraffend, ſtürzte er zurück in die Ecke
an die Thüre de Seitengemadhs‘, daß die Scheiben
Wa des Glasfenſters in taufend Stücke brachen.
® _ 304 e |
„Und glaubt die weiße Schlange, der Miko iſt ein
Narr?“ ſchrie er mit zornfunkelnden Augen, das
Mädchen in ſeinem linken Arme haltend, während
der rechte das Schlachtmeffer ſchwang.
„Miko!“ rief der junge Häuptling, der bisher
fchweigend und theilnahmlos gefeflen, aber nun, ente
feßt über den unbeſchreiblich furchtbaren Ausbruch
der Wuth, aufgefprungen und dem Miko nachgeeilt
war. | ' a
„Und glaubt die weiße Schlange,“ rief der rafende
Milde mit einer. pfeifend höhniſchen Stimme, und
der Schaum ftand ihm am Mumde, „glaubt die weiße
Schlange, der Miko habe ſie gefüttert, und Felle
für ſie bezahlt, und ſie zur Blume gezogen für die
Weißen, die giftigen Weißen, die er —— Er
ſpie mit Abſcheu aus.
„Beim allmächtigen Gott, halt! en fegb *
des Todes, wenn dem Kinde etwas zu Leide geſchieht,“
rief der Squire, der einen Stuhl erfaßt, und ſich mit
Gewalt den Weg zu ihr bahnen wollte, jedo q
den Cumanchees und Oconees zurückgeſtoßen aim, ;
Deßwegen wollte alſo die weiße Schlange zudem. 4
Weißen,“ rief er: „Weiß mein Sohn, daß die vr j
Pe
on
’
-
* —9—
la nt ae — —
—H 305 —
Roſe ihren Water verrathen, an die Weißen verra-
then?u rief er dem Cumanchee zu. „Will die weiße
Schlange ihrem Vater folgen?“ fehrie der ſchäumende
Wilde.
„Ich kann nicht;« ſprach fte, meines Vaters, mei⸗—
nes weißen Vaters Stimme ruft.“
Ein Blick des tödtlichſten Haſſes durchzuckte den
Wilden für einen Augenblick, während er das ſchöne,
halb ohnmächtige Kind in feinen Armen hielt.
„Tokeah will die weiße Roſe den Weißen Yaffen;*
rief er giftig lachend, indem fein Schlachtmeſſer zuckend
nach ihrem Bufen fuhr. *
„Um Gotteswillen! er mordet ſie,“ ſchrie der Ma=
jor, der nun wie raſend durch die Indianer brach;
doch der junge Mericaner war ihm in dieſem ent—
ſcheidenden Augenblick zuvorgekommen. Mit einem
Satz zwiſchen die niederfahrende Hand des Wilden
und fein Schlachtopfer ſpringend, riß er Rofen aus
den Armen Tokeahs und ſchleuderte ihm mit zorn⸗
— blitzenden Augen in die Thüre hinein, daß ſte i in
Bu Stücke flog.
„Tokah iſt wahrhaftig eine wilde Rabe, rief er
| it Abſcheu, „der vergißt, daß er ein Häuptling fei=
r j Der Legitime. IIL 20
— 306 —
ned Volkes, ein Vater ift,; der Schande auf bi Na⸗
men der rothen Männer bringt. El Sol mt ſich
eines ſolchen Vaters.“ Re 9
Dieſe Worte, im Pawneedialekte — hat⸗
ten eine unbeſchreibliche Wirkung auf den Wilden.
Er hatte ſich aufgerichtet, ſank aber wieder wie leb⸗
108 zufammen. EI Sol fprang zu ihm und richtete
ihn auf.
Die Milizen waren unterdeſſen angekommen und
traten mit aufgepflanztem Bajonnet ein. {
⸗Sollen wir den Indianer ing Setängnif fügren?«
fragte Lieutenant Barker.
- Der Major ftand noch immer ſprachlos im —
Nachdenken ſeine beiden Arme um Roſa geſchlungen.
„Lieutenant Parker,“ ſprach er, „nehmen Sie
einſtweilen Roſen; der Allmächtige ſelbſt hat ſie be⸗ |
ſchützt, und uns geziemt es nicht, Rache zu nehmen.
Aber Tokeah!“ redete er Dieſen an⸗ — er num
an den noch immer am Boden fiegenden er⸗
antrat und ihn mit beiden Händen erfaßte J an
die Wand richtete, „Tokeah, Du haft Dein aim}
nach unferen Gefegen verwirkt, und der Strang wäre y
Deine gelindefte Strafe; doch gehe nun, und zwar f
|
1
—) 307 —
in diefer Stunde. Nicht und geziemt e8, an einem ſo
entmenfchten Wefen, wie Du, Gerechtigkeit zu üben.
Sey Deiner eigenen Strafe überlafjen.“
Roſa hing noch halb leblos in den Armen des
Squire. Nun jedoch blickte ſie um ſich und erhob
ſich dann. „Er war mein Vater, mein unglücklicher
Vater;“ flehte ſie, und auf ihn zueilend, ſchlang ſie
ihre beiden Arme um ihn. „DVater meiner Canon⸗
dah!“ bat fie, „Roſa würde Dich nimmer verlaffen,
aber e8 ruft die Stimme ihres Vaters; wirft Du
Deiner geweſenen Tochter verzeihen?“
Der Indianer gab keinen Laut von ſich.
Sie ſah ihn eine Weile mit thränenden Augen an,
dann wandte fie ſich zu El Sol, und ſich ſittſam ehr-
furchtsvoll verneigend, nahm fie Abſchied und ent—
fernte ſich mit ihren Begleitern.
Der junge Häuptling war wie träumend noch ge-
ſtanden, als der Major mit Roſen und den Milizen
ſchon weit von dem Estaminet waren. Plötzlich kam
er jedoch nachgeſprungen, und ſich vor Roſa ſtellend,
faßte er ihre Hände, drückte ſie an ſeinen Buſen, und
neigte ſein Haupt ſo wehmüthig, daß Alle ſprachlos
ſtanden. „El Sol,“ flüſterte er ihr mit kaum hör—
20*
ns
a
barer Stimme zu, „hat Roſen gejehen er
nie wieder vergeffen.“ Und dann wandie er
ohne fie oder Jemanden anzubliten.
„Fürwahr,“ fprach der Squire: Bar 2
Tränen vergofien der edle Wilde.u
Dreiundvierzigſtes Kapitel.
Im Indianerland ſteht On —* Stein,
Unten Frümmt fi ve J ilde |
"Toapperlieh. P
Eine Stunde darauf verliefen die Indianer das
ee in demfelben Canoe, in dem fie gefommen
waren. Sie fuhren den Miſſiſippi hinauf, und ſchoſ⸗
> fen dann in die Mündung des Redrivers hinein, auf
dem fie ihre Fahrt fortjegten. Am zehnten Tagenah
ihrer Abfahrt befanden fie fich, immer aufwärts ſtei⸗ |
gend, auf der Hochebene, mo. die weftlichen Grenzen
von Pouiftana und Arkanfas mit den öftlichen Meri-
cos zufammenftoßen. Vor ihnen Yagen die noch im-
mer mit Schnee bedeckten Häupter der Ozarkgebirge,
&
jenſeits welcher ungeheure Steppen ſich gegen die Fel⸗
ſengebirge oder Rockymountains dehnen. Die Sonne
ſank ſo eben hinter die Schneeberge als ſie an dem
weſtlichen Ende des langen T afelfelſens landeten, der,
‚wie. bekannt, am linken Ufer des rothen Fluſſes wall-
artig, einem ungeheuern Würfel gleich, emporfteigt.
Als fte ihe Gange verlaffen hatten, gingen fie einem
Felſen zu, der fich unfern dem Ufer in der öden Salz—
fteppe erhebt, und in deffen Mitte ſich eine Grotte be-
findet, einem gemauerten Gewölbe nicht unähnlich.
Da ſchlugen fie ihr Nachtquartier auf. Diefer Felſen
bildet Die imaginäre Grenzlinie, Die die Pawnees des
Toyaskftammes, die Conſas und die Dfagen für ihre
Jagdreviere fich gefeßt haben. Der junge Häuptling
befahl den Seinigen, ein Feuer anzuzünden; denn
der alte Mann, aus dem heißen Clima Louiſianas
gekommen, Zitterte vor Kälte. Nachdem fie ihr ſpar—
james Nachtmahl eingenommen hatten, ſtreckte ſich
der alte Häuptling mit ſeinen Oconees vor dem Feuer
nieder und entſchlief. El Sol horchte noch einer Le—
gende, die Einer ſeiner Cumanchees erzählte, als ein
ferner Laut an feine Ohren ſchlug. Die drei Krieger
ſprangen zugleich auf ihre Füße, und ftreeften ihre
| e gi 30 " — *
Rote in ic Bei sog
an ihre Ohren brachte. ie TORE — nr}
" Hundel⸗ murmelte der junge Cumanchee, wfle
knurren gegen einen Feind, der ihnen eine Wunde
ſchlug, wenn'e3 in feiner Macht ftand, fie zu vernich⸗
fen; und indem er die drei Schläfer aufmeckte, flog
er dem Ufer zu, wo fie das Gange gelafien hatten.
Er winfte Dem Miko und ſeinen Oconees einzuſteigen,
während er ſelbſt mit ſeinen Cumanchees an dem
ſchmalen, laͤngs dem Waſſer ſich hinabwindenden
Rande fortfihlih. Das Canoe war ungefähr eine
halbe Meile den Strom hinabgeglitten, als e8 hielt
und der junge Häuptling mit feinen beiden Gefähr-
ten einftieg, nachdem fie zuvor mehrere Aeſte und
Zweige de3 aus den Felſenritzen aufgefchoflenen Ge—
büfches abgebrochen hatten. Sie fuhren den Strom
bis zum Ende des Tafelfelfens hinab, wo der junge
Cumanchee den alten. Häuptling Yieß, und fich mit
den übrigen Wilden Yängs dem Felfen der Steppe
zufehlich. Cine Truppe von zwanzig bis fünfundzwan⸗
zig Pferden hielt am Fuße des Felfens. Einige der
Wilden waren abgefeffen und unterfuchten die Lager-
ftätte, die unfere Indianer kurz zuvor inne hatten,
”
nn. —
*
rs 1
— 311 —
und Inden fie die aus der. et führenden du Suffte-
pfen im Monblichte auf der Erde fort£riechend ‚maßen
und serfolgten, war es zweifelhaft, ob es wirklich
Menſchen oder Amphibien waren, bie im nächtlichen
Zeitvertreibe fich aus den wäfferigen Tiefen an das
Land geſtohlen hatten. Die Hälfte der Wilden Hi
noch immer auf ihren Pferden.
Der junge Häuptling hatte mit der gefpannteften
Aufmerkjamteit jede Bewegung feiner Beinde beob-
achtet, und ſein Ohr an den Felfen haltend, ftand er
wie eine Marmorftatue, Auf einmal jedoch winfte
er feinen Gefährten, und die fünf Indianer Erochen
num mit ſolcher Sicherheit und Behendigfeit Durch die
Sakzfteppe an die zurückgebliebenen Wilden heran,
dag auch das geübteſte Ohr nicht das leiſeſte Geräuſch
zu vernehmen im Stande geweſen wäre. Bloß eine
ſanfte Wellenhöhe trennte fie noch von ihren Beinden.
EL Sol horchte; einzelne Laute fehlugen im Zuge des
ſcharfen Nordweftwindes an fein Ohr. Eine Weile
bielt er, dann richtete er fich auf feine Kniee, ſah hin—
auf zur filbernen Mondſcheibe, die mum- aus einer
Schneeiwolfe trat und die dunfeln Geftalten der Wil-
den in ihren: sollen Umrifje erfennen ließ. Langfam
a
* Re"
* 312 —
ſeinen Stutzer richtend, gab er ſeinen Gefährten ein
Zeichen, und im nächſten Augenblicke ſtürzten fünf
Wilde zu Boden. Ein fürchterliches Geheul ſchallte
durch die Lüfte. Schnell, wie der Blitz, war der
Mexicaner auf die entſetzten Feinde herangeſtürzt,
die mit einem zweiten fürchterlichen Geheul davon—
ſprengten. Nur der außerordentlichen Behendigkeit
des jungen Häuptlings und ſeiner Cumanchees konnte
es gelingen, ein halbes Dutzend der halbwilden Rofſe
zu fangen. Sp fehnell jedoch waren ihre Bewegun—
gen gewejen, daß die Zügel oder vielmehr Stricke der
Pferde beinahe aus den Händen ihrer Feinde in die
ihrigen fielen ; ‚die übrigen Thiere baumten ſich ent»
ſetzt, wieherten nochmals und brachen dann in die
weite wüſte Nacht der Steppe.
Die Cumanchees waren auf die Rücken der erbeu—
teten Pferde gefprungen und rafch dem Ufer zu ge—
ſprengt. Sie hatten aber kaum ihr Canoe beftiegen,
‚ Ihre Pferde im Strome nach ſich ziehend, als die Ku—
geln und Pfeile ihrer nachjegenden Feinde um ihre
Ohren zu pfeifen und zu ſchwirren begammen.
„Will mein Sohn dem Miko verfprechen, ein gu=
ter Dater der Oconees zu ſeyn?“ fragte der alte
— 313 —
KHauptling mit. einer hohlen Stimme, während noch
immer einzelne Kugeln an ihnen worüberpfiffen.
„Ein Vater und ein Bruder,“ verſetzte der Cu—
manchee. „Aber warum diefe Frage, mein Vater?
Mein Vater wird ſich lange mit feinen Kindern |
freuen !u |
„Will EI Sol es bei dem großen Geifte veripre-
chen?“ wiederholte der alte Mann dringender und
in einem röchelnd hohlen Tone.
„Er will es,“ erwiederte der junge Däuptling.
„Will er verjprechen, Tokeah und feinen Vater
inmitten der Gräber feines Volkes zu begraben? der
großen Cumanchees zu begraben ?«
„Er will; ſprach EI Sol unwillkürlich ſchaudernd.
„Sie werden ſeinen und ſeines Vaters Leib denn
nicht verſpotten können,“ ſtöhnte er; „aber es iſt der
Wille des großen Geiſtes, daß Tokeah die Länder
der Cumanchees nicht ſehen ſoll; er iſt verdammt,
auf dem Lande der Weißen zu ſterben.“
Er röchelte, murmelte noch einige abgebrochene
Worte in die Ohren feiner Oconees, die in das wil-
defte Schmerzensgeheul ausbrachen, und El Sol um—
fing ihn, der in Todeszuckungen noch Erampfhaft den
N 3 —
NE
*
Er |
Sarg auf feine Bruft drückte. Allmäh gt
feine Arme, und er fiel entſeelt in das &: mi |
Eine Kugel hatte ihn zwifchen Nacken und Hals durs
bohrt. Das Leben war gewichen. Der junge Haupt
ling warf fi in ſtummem Schmerze auf die Leiche.
Das Canoe war fehon lange an dem jenfeitigen Ufer,
und noch immer Yag er bewußtlos über den Körper
hingeftresft, bis ihm endlich das leiſe Flüſtern feinee
Getreuen auf die Gefahr aufmerkſam machte; dann Ss |
lud er den Körper auf feine Schultern, Tegte ihn über
den Rücken des, Pferdes, fprang ſelbſt darauf, und
309 jo mit feinen trauernden Gefährten dem Wig⸗
wam der Pawnees des Toyaskſtammes zu, wo ſie
am folgenden Tage, unter dem erſchütternden Todes⸗
geſange der Wilden, ihren Einzug hielten.
—2 315 ⸗—
Poſtſeript. |
3 Wir finden in mehreren Zeitungen des Staates,
im welchem dieſe Begebenheiten fich zugettagen, und.
namentlich in der Countyzeitung von Opeloufas, eine
2 Randgloſſe unter dem Artikel Verehelichungen, die
® den Leſern dieſer Blätter nicht ganz unwerth als Zu⸗
“ gabe erfeheinen dürfte, und die wir deßhalb ganz fo
} geben, wie wir fie finden. Sie lautet:
Marriages.
Have been united in the bonds of wedlock by
the Revd. Jesaiah Simpkins this Thursday (viz the
43 of March 1816) the most amiable et accom-
plished Miss Mary Copeland, daughter of the Ho-
norable John Copeland of the same County et of
- Mistress Juditha, to Master James Hodges, for-
merly of the R. B. N. now of Hodges-Seat in the
same State.
Wörtlich überfegt:
Berehelihungen.
Wurden vereinigt durch die Bande ver (
dem ehrmwürdigen Iefaja Simpfins, heute ®
ftag den 13. März 1816, die ſehr lebens
und hochgebildete Miß Maria Copeland, ‚Tor ter. de
ſehr achtbaren John Copeland aus Berfeben 6 —
ſchaft und der Fran Juditha, und der H er F Jakob
Hodges, früher von der königlich britiiſchen I
gegenwärtig o von Hodges⸗Sitz in ine S
—
—
—
Gefammelte Werke
von
Charles Sealsfield.
— —
Vierter Theil,
— —
Der Virey und die Ariſtokraten.
*
Erſter Theil.
—-0->
Stuttgart.
Berlag der 3. B. Metzler'ſchen Buchhandlung.
1845.
+
" 5 | | er
Der virey —
und
die Ariſtokraten,
oder 44
Merito im | Jahr 1812.
een
Shartes Sealsfield
*
In drei Theilen.
——
Dritte durchgeſehene Auflage. J
—8>
LA. ; %
Stuttgart.
Berlag der J. B. Metzler'ſchen Buchhandlung.
1845. J
Bis we
4 y " J
—
—
ae
Vorwort des Herausgebers
zur erften Auflage.
Die Grundzüge des vorliegenden Buches, das wir Bilder
des öffentlichen und häuslichen Lebens in Mexiko in der an=
gegebenen Periode nennen möchten, find während eines Be-
ſuches des Heren Berfaffers in Mexiko niedergefchrieben
worden.
Die meiften Skizzen wurden in dem Lande felbft entworfen,
fo wie die Charaktere größtentheils nach der Natur gezeich-
net find; mehrere lernte der Herr Verfaſſer perfünlich kennen.
Die gefchichtlichen Partien find theils aus mündlichen Ueber⸗
lieferungen bewährter Perfonen, theils aus dem offiziellen
Blatte der damaligen Periode genommen, Fernere Quellen
anzugeben, hält der Herr Verfafler für überflüffig, da ex
feine Aufgabe zu liefern im Sinne hatte, und Daher Reche Ar
fchaft abzulegen weder für nöthig, noch angemeflen Hält,
Unterdefien wird der, einiger Beurtheilung fühige Lefer
fehr bald die tief gefchichtliche philofophifche Betonung des
Buches herausfinden, durch deffen Andeutungen ihm vielleicht
erſt Mehreres in den Gefchichtswerfen eines Robinfon,
Mier, Zavala über diefes Land klar werben dürfte.
Die Noten und Erklärungen find durchgängig vom Her:
ausgeber , fo wie mehrere der Capitel-Motto's; ri find
Der Virey. L
— 6 —
theils aus ſchriftlich⸗brieflichen Grin des ie
Berfaffers, theils aus den beften Werfen, die über diefes
Land exiftiren, entnommen. Die fpanifchen Ausdrücke wur⸗
den auf den ausdrücklichen Wunſch des Herrn Verfaſſers
beibehalten, theils „um dem Buche fein mexikaniſches Co—
lorit nicht zu fchwächen,“ theils weil das noch auf einer
fehr untergeordneten Stufe der Givilifation ſte—
hende Bolf von Mexiko mit feinen Ausdrücken
Begriffe verbindet, die der vielhöher ftehenden
deutfhen Nation wohldurd Umfchreibung, aber
nicht Leicht oder nur felten durch eine al
ung, verfinnlicht werden können.“
Dbwohl übrigens diefes Buch für alle Riaffenberbürger-
lichen Gefellfchaft gefchrieben ift, fo glauben wir doch, um
Niemandes Erwartungen zu täuſchen, beifügen zu müſſen,
daß nur der Höher Gebildete, oder der mit de tgeſchicht⸗
lichen Gange dieſes merkwürdigen Reiches bel annt werden
Mollende, wahren und hohen Genuß fchöpfen wird; aber
die Großartigkeit des Gegenftandes, die auferorbeiilic
fräftige, durchaus mit dem Gegentande vertraute Behand:
lungsweife, der unbererhenbare Einfluß, den diefes Land
früher oder fpäter, gewiß aber in nicht fehr entfernten Zeit,
auf die Schiekfale der übrigen Welt üben wird und muß,
laſſen den Herausgeber hoffen, nicht umfonft den Blick des
Publiftums auf eine literarifche Erſcheinung gerichtet zu
haben, deren veeller Merth deſſen Urtheile —— an⸗
heimgeſtellt wird.
Den 6. Auguſt 1834.
— BIrEn Pc: EN Y
BR. —4
Ginleitung
„Der erſte Schimmer Mexiko's, der und bei der
Annaherung an fein merfwürdiges Geftade ind Auge
glänzt, erregt in uns eine feltfame Miſchung von
widerſprechenden Empfindungen. u — — — — —
„Der leichte Baltimore⸗Schooner windet und kämpft
ſich mühſam durch die zornigen Wogen, die eine halbe
Stunde zuvor von einem raſenden Squall aufgerüttelt
worden. Die Höhe, auf der er ſich befindet, iſt 200Br.
und 9592, noch wenigſtens 60 Meilen vom Lande.
Nichts iſt zu ſehen als der Waſſerſpiegel und das
blau und grau ſchattirte Himmelsgezelt, auf dem fich
einzelne Gewitterwolfen, von Fichten Punkten um—
geben, hingelagert haben. Einer dieſer Tichteren
Punkte ſteht unverrücdt Süd-⸗Südweſt vor unferm
Blicke, während die andern in der ſchaukelnden, ſchwer
arbeitenden Bewegung des Schiffes ewig wechſeln.
Er wird bald fichter, dald dunkler, er glänzt num wie
2
EN Bei a. ur
H Dh eb RER
— 8 —
ein Pharus in ſtockfinſterer Nacht, wieder tritt er in
den Hintergrund gleich der verſchüchtert erbleichenden
Jungfrau. Unſere und unſerer Umgebung Blicke ſind
ſtarr auf dieſen Punkt gerichtet, deſſen Farbenſpiel
jeden Augenblick wechſelt, um den die Wolken
mit jeder Sekunde phantaſtiſcher, magiſcher tanzen.
Nun umfangen ſie ſeinen Nacken, wie der Schleier
ſich um das Geſicht der züchtigen Jungfrau legt; wie—
der verſchwinden ſie, und das rieſige Bild tritt bald
glänzend hehr in den Vordergrund — bald verſchämt
zart in den Hintergrund, hängt nun als Rieſenſtern in
dem Himmel über einem undurhdringlichen Wolfen-
fehleier, der den ganzen Rand des Horizonts einnimmt,
bald fteigt er über diefen als Feuerfäule herauf aus
dem magischen, dunfeln, Taufende von Meilen langen
Sockel. Noch iſt das Gewölk über den Himmel zer-
ſtreut, und der Sockel liegt am blauen Wolkenrande
unbeweglich, und ſo weit das Auge reicht, eine todte
Maſſe, zwiſchen Himmel und Waſſer. Sie zieht ſich
in Schlangenlinien von Norden nach Süden, in dunkel⸗
blau, grau und grün, mit einem rothen Saume über
ihrem Scheitel. — Es iſt die Stunde der Morgen⸗
dämmerung, und Ihr ſeyd der Einladung des Capi⸗
tains gefolgt, der ſchweigend mit den übrigen Ges
fährten auf dem ſchräg abſchüſſigen, engen Verdecke
fteht. Selbft der Matrofe vergißt einen Augenblid
Schlaf und Hängematte und ftarrt auf den erwähnten
Punkt in-fprachlofer Erwartung. Auf einmal ver⸗
ſchwindet der dunkle grau blaue Schleier, der um den
a Me 3 1) FE BE, RT er Yan
ya *
4
N’ i
—9-
Gürtel und Nacken diefes magischen Rieſenpunktes
wogt, Die Schlangenlinien des Wolkenrandes des
ungeheuren Sockels werden glänzend roth, und indem
das Auge mit Verwunderung dem prachtvollen Far—
benmechfel zufteht, ftrahlt der Bunkt über dem Wolfen-
jhleier auf einmal in überirdifcher Glorie im die
Himmel hinein, er wird zur riefigen, ungeheuer flam=
menden Pyramide, die im leuchtenden Beuer vor unfern
Blicken auflodert, eine Maſſe gediegenen Silbers, des
reinften Goldes, mit Milliarden von Brillanten,
Nubinen und Smaragden beſetzt. — Es ift der Dri-
zava, der, von der aus dem Ozeane auffteigenden
Sonne beleuchtet, aus feinem Wolkenſchleier hervor—
tritt, den ein buen norte von feinem Nacken gelüftet,
und der nun Eure Seelen in Bewunderung und An=
betung verfeßtz denn die Poefie des Simmels und der
Erde hat fich vereinigt, um Euch den herrlichften, den
größten aller Genüffe zu geben, wie ihn Euer Auge
nie gefhaut hat, nie fehauen wird. — Ihr wendet
Euch für einen Augenblit, um Cuerm Gemüth
Erholung zu geben, von diefem herrlichften und
größten aller Genüffe, und wie Ihr’ wieder Euern
Blick dem Naturwunder zuwerfet, fo ift e8 verſchwun⸗
den, ein grauer Nebel aus den Gewäſſern aufgeftiegen
und unter feinen wäfferigen Zittigen fliegt Ihr der
Küfte zu. Der Nebel erhebt fih, und der Stirn in
Wolken gehüllt, tritt Euch abermals entgegen, aber
nur fein Haupt ragt Über diefe hervor — zu feinen:
Füßen jeht Ihr den langen Gebirgsfaum der Cordil⸗
V
— —
leren, und vor Euch die öde, baum= und ſtrauchloſe
Sandmwüfte, an deren Rand Veracruz Euch entgegen⸗
ſchimmert, ein glänzend weißer Punkt, der * wie
Ihr näher kommt, Euch unwillkürlich an die über—
tünchten Gräber der Schrift mahnt.“ —
„Mit dieſen Vorgefühlen betretet — die Sem
R Mexiko's.“
„Der erſte Schritt auf mexikaniſchem Boden über⸗
zeugt Euch, daß dieſes Land eine ſchwere, eine tödtliche
Criſis überſtanden, daß es ſich aus diefer Criſis noch
nicht erholt hat, und noch lange nicht erholen wird.
Es ſind die Nachwehen einer Krankheit, die, wie die
ſeines ſchrecklichen vomito prieto, noch Jahre lang
den Körper in Siechthum ſchmachten laſſen, ihn viel⸗
leicht nie verlaſſen. Man glaubt in einer ſo eben durch
eine Feuersbrunſt zerſtörten Stadt zu ſeyn, deren
unglückliche Einwohner noch ſo ſehr von Schreck und
Entſetzen betäubt ſind, daß ſie an das Aufräumen
gar nicht denken; oder auf einem Dreimaſter, der in
einer Reihe von Stürmen Ruder, Segel, Maſte, den
beſten Theil ſeiner Schiffsoffiziere und alle ſeine Lebens⸗
mittel verloren, und auf dem alle Bande des Gehor-
fams gelöst find, wo brutale Gewalt allein Gefeß
ift. Alles zeugt hier von der peinlichen Auflöfung
aller gefellfchaftlichen Bande, von einer Zerftörung,
einem Bürgerfriege, der, mit giftigem, tödtlichem
— 1
Haſſe geführt, nichts verfchont hat, IR 7
u. m Werke." —
„Dieſe Eindrücke und ein gewiſſes Grauen begleiten
uns noch mehrere Stunden, nachdem wir das glänzend
troftlofe Beracruz bereits verlaffen und ung durch die,
Sandhügel hindurch gemüht, die zwiſchen diefer Stadt
und den ärmlichen ſechs Hütten, Santa Fé genannt,
unfere Geduld jo jehr in Anfpruch nehmen. — Hinter
diefen jedoch zeigen ſich Lichtpunfkte. Dafen in dem
Sand- und Sumpfmeere, vom herrlichiten Grün,
dem glänzendften Roth, dem lieblichſten Blau — An—
klänge von dem Lande, wo, mit den Worten eines
| — Dichters zu reden:
— — — die Citronen blühn,
im dunfeln Laub die Golvorangen glühn —
fommen uns entgegen. Wildniffe von Palmenz,
Drangen-, Citronen- und Bananen-Baumen, mit
Myriaden von Blumen behangen und Schlingpflanzen
ummoben, unterbrechen die Sandebenen da, wo ein
Bach oder eine Duelle Nahrung gibt. Wilde Kür-
biſſe und zahliofe Convolvulus-Blüthen bilden das
Dach der wunderbaren Aue. Es tritt gleichfam der
Kampf zwifchen dem Prinzip des Guten und des
Böſen, zwifchen Leben und Verwefung, und anſchau—
lich vor Augen. Es fommt ung vor, fo wie wir von
Bajada einen Blick rückwärts werfen, als fähen wir
diejes merkwürdige Land hervortreten aus den Meeres-
er
wogen, müde, matt und erfehöpft von der ——*
Anſtrengung, die ihm dieſes gefoftet, binfinfen auf
den Sand, unfähig, ſich weiter zu ſchleppen, erſt nach
einer mehrſtündigen Ruhe einen neuen Anſatz ne m.
weiter fehleichen, wieder Tiegen bleiben, wieder = >
ftehen, aber allmählig feine vorige Kraft ger nen,
die zur Wildheit ausartet, ſo wie e8 weiter fehreite AM
„Jenſeits der prachtvollen Puente del Rey*), der
ſchönſten Mexiko's, beginnt das Land einen wunder-
bar grandidfen Charakter anzunehmen. Der Dichter,
indem er fang: ' ”.
„Kennft du den Berg und feinen Wolfenfteg,
Das Maulthier ſucht im Nebel feinen Weg,
In Höhlen wohnt ver Drachen alte Brut
Es ftürzt der Fels, und über ihn die Fluth“ —
ſcheint die Belfenftraße zwifchen Puente del Rey und
Perote vor Augen gehabt zu haben, auf der zu jeder
Stunde des Tages das Maulthier in langen Reihen
hinan flimmt, feinen Weg juchend im Nebel, jo wie
es auf die eifige Höhe von Perote hinan fteigt.*
„Mexiko ift nicht ein ſchönes Land in dem Sinne,
wie wir ung ein ſolches gewöhnlich denken, wenigitend
nicht von diefer Seite gefehen oder betreten. Es find
nicht Fieblich grünende Fluren, die das Auge erfrifchen,
nicht wogende Felder, nicht fanft dahin riefelnde
Quellen oder majejtätifche Ströme, die wir fehauen;
*) Königsbrüdfe.
—2
EI.
— 13 ⸗—
das Auge erblickt nur ungeheuere, fehauerliche Felfen-
maffen, gräuliche Klüfte, entfegliche Abgründe, die
aus den furchtbarften Höhen in die Tiefen des Erd—
balles hineingähnen, und aus denen der Donner der
Katarrakte heraufbrüllt wie Schlachtendonner. Die.
Natur tragt hier den Charakter des wildeften Stolzes,
der bizarrften, furhtbarften Kraft, und wieder einer
unbefchreiblich trägen Indolenz. Es iſt diefes Land
die Poeſie der weitlichen Hemiſphäre, das poetifchite
Land der Erde. Selten einer jener fanfteren Heber-
gange, im denen fich die profaifchere Natur in andern
Ländern fo jehr gefällt, nur Spuren gemaltfamer
Revolutionen und fehnell auf einander folgender Ka=
taftrophen, haufig nicht mehr als einen Steinwurf
vom einander entfernt, bei jedem Schritte Spuren
der gewaltfamften Umwälzungen, der unnatürlichften
Kämpfe.“
„Aber auch mit jedem Schritte, den wir in das
Innere dieſes merkwürdigen Landes thun, mit jedem
Felſenblocke, den wir hinan klimmen, werden uns auch
die Schickſale deſſelben, ſein räthſelhaftes Verhängniß,
klarer, begreiflicher; der Zuſammenhang der phyſiſchen
und moraliſchen Geſtaltung deſſelben erſcheint uns
deutlicher. Wir ſehen, wie die Natur ſo rieſenartig,
ſo groß, fo ſcharf, fo bizarr, fo energiſch und hin—
wiederum jo zurücftoßend, flach, träge und gemein,
dem Menfchen die Bahn gezeigt hat, ibm Vorbild
geworden tft, ihn mit fortgerifien hat zu Erſchütte—
rungen, die die grellſte Phantafie vergeblich in ihrer
w
—+ 14
ganzen Schrecklichkeit zu malen fich Saite; ®
denn ſo wie dieſes Land von der rieſigen Hand der
Natur gleichſam in einer ihrer höhnende Launen i in
Trümmer hingeworfen, aus denen ſich ein, obwohl
noch immer chaotiſch ausſehendes Ganze geftaltet,.
ift auch feine moralifche Geftaltung oder vielmehr. Die
feiner bürgerlichen Geſellſchaft, gleichen Schritt ges
gangen. Keine jener Harmonifchen, vernunftgemäßen
Entwickelungen, die unfer Stolz und zugleich Bürgen
unferer fortfchreitenden Vervollkommnung find. Nur
Spuren von unerträglicher Unterdrückung vohen
Kämpfen und graufamen Eroberungen, denen ein
noch graufamerer Despotismus folgte, der mieder
durch eine eben jo graufame Revolution geſtürzt "
werden beftimmt iſt.“
„Und Doch, wie der denfende Naturforfcher in bie
phyſiſchen Revolution Zufammenhang erfihaut, jo
findet auch der ruhige Beſchauer in den moralifchen
Umwälzungen Urjache und Wirkung heraus, und vor
feinem Blicke geftaltet ſich allmählig das Chaos zum
Ganzen und zum Einklang.“
„Noch aber iſt Alles Chaos, Berftörung, Der
worrenheit, moralifcher Schutt und Trümmer.
„les was beftanden,: ift über den Haufen ge—
worfen, vernichtet, zerbrochen oder Fümmerlich zu—
fammengefügt, um beim erften Windftoße wieder über
den Haufen geworfen zu werden. Denn nicht bloß
\ 4
SE ladet „2 ee BER Ze
—d 15 —
eine dreihundertjährige Regierung, auch die: gejell-
fchaftliche Form, die fie begründet, ift gebrochen; der
Glaube, die Religion, Alles ift gebrochen; Alles
nennt fich frei, und Alles fteht fich feindfelig gegen-
über. Millionen von Indianern, dem Buchftaben des
Geſetzes nach frei, in der That aber die Sclaven Jeder—
mann; ein Adel, der feine Titel verloren, aber feine
Majorate beibehalten und auf diefen der unumfchränfte
Gebieter von Hunderttauſenden feiner jogenannten
Mitbürger ift; eine herrſchende Kirche ohne Hirten;
eine Religion, die die Dreieinigfeit lehrt, und ein Volk,
das an feinen Gott oder an die Götzen der alten Az—
tefen glaubt; der wüthendfte Fanatismus und der eckel⸗
baftefte Atheismus; eine notionale Repräfentation und
Schaaren militärifcher Diktatoren und Tyrannen, von
denen e8 fich der Geringfte zur Schande rechnen würde,
den gegebenen Geſetzen zu gehorchen. Mit einem Worte,
die zügelloſeſte Breiheit, die, phantaftifeh wild auf-
gefchoflen, noch viele Phafen durchzugehen haben wird,
ebe fie ftch zur gefeglichen Freiheit geftaltet.“
„Sie wird fich aber geftalten; den die Elemente des
Guten find auch hier zahlreich und fräftig, obwohl
der Sauerteig der verdorbenften debauchirten Civili—
fation, die je ein Land vergiftet, tief eingedrungen
und lange fehmerzliche Krankheiten verurfachen wird. *
„Bisher ift diefes Volk fich noch immer jelbft ein
Räthſel; es ift noch nicht zum Bewußtfeyn, zur Bes
-urtheilung feiner felbft gefommen, noch nicht erwacht
aus dem langen Taumel, in welchen es die plößliche
Erlangung feiner Freiheit geworfen. Es iſt die
ſchichte dieſer Freiheit mehr: einem | ca m
als der Wirklichkeit. Es fehlängeln ſich Lich
dureh ihr Labyrinth; aber das Ganze erfcheint
“Labyrinth. —— weiß noch immer nicht,
zur Freiheit gekommen. Es wurde von ihr überraſcht,
ohne daß es Biete erkämpft, verdient hätte, Ein ein⸗
ziger Tag hat fie ihm verfchafft, für rie ee If Jahre
vergeblich ſein Blut vergoſſen, vergeblich jefämpft
hatte; denn es war unterlegen in jeinem Brei =
rafchte fie folches, wie das Kind am Nenjahrbtage Mr:
überraſcht wird. Was es im eilfjährigen Kampf nicht
zu erringen vermochte, brach auf einmal herein, ſo
unvermuthet, ſo plötzlich, daß alle Gemüther berauſcht J
wurden und es noch immer ſind. Es iſt eine Art
wilden, wüſten Freiheitsrauſches, der noch im
herrſcht, der die Gemüther noch immer nicht zur — *
ſinnung kommen läßt, und der bei allen Volkskla
mehr oder weniger zu verſpüren iſt, ausgenommen
den vormaligen Gebietern diejes Landed.u !
„Es ift ein feltfames Gefühl, das ung bei dem
Anblicke diefer Menfchen befchleicht, dieſer Fremdlinge,
die wie abgeſchiedene Geiſter der Vorwelt noch immer
als Geſpenſter umher wandeln, gleichſam das Böſe zu
ſchauen, das ſie geſtiftet, ſich zu weiden an der Eu—
meniden-Saat, die fie geſäet Haben. Man ſieht fie
düſter und wieder hohnlachend um ihre Lieblingsplätze
und Städte herum wandeln; denn unerachtet des Vers
EEG Ey
*
—
— 11
bannungsgefeßes find ihrer zwifchen zehn= und fünf-
zehntaufend noch im Lande, gefettet an dieſes durch
ihre Berbindungen mit Eingebornen, oder durch die
Schäße, die fie den Eingeweiden der Erde anvertraut
und zu heben nicht Zeit noch Gelegenheit hatten.“
„Sie wandeln nun um diefe DVerfterfe herum, wie
unfere Indianer um die Gräber ihrer Väter. Sie find
lebende Klagelieder vergangener Herrlichkeit, von Kei—
nem bedauert, ſelbſt nicht bemitleidet. «
„Das Land hat fie ausgeftoßen, von fich geworfen,
als Feinde und Eindringlinge, die fich von feinem Blute
preihundert Jahre hindurch genährt und doch Fremd—
Yinge im Lande geblieben find. Sie haften an diefem,
‚mie der Schiffshauptmann der Letzte am Wradfe
haftet. Und, feltfam! derfelbe Spanier, der düftern
Blickes, verfchloffener Miene, in feinen braunen
Mantel gehüllt, um feine Lieblingsftadt Xalappa in
den Gärten diefes irdischen Paradieſes herum fehleicht,
son Jedermann verabſcheut, obgleich geduldet, er hofft‘
auf die Rückkehr feiner Gewalt noch immer, hofft ſich
wieder im Blute der Merikaner zu füttigen, gefteht
es, verhehlt e8 nicht. Er hat nichts gelernt in den
acht Jahren, die feit dem 21. Februar 1821 verfloſſen
find, nichts verlernt. Nur Ein dunkler Punkt ſchwebt
ihm in der ganzen langen Periode vor Augen, die
DVerrätherei Iturbided. Hätte Apodoafa diefem Itur—
bide fein Zutrauen nicht geſchenkt, meint er, würde er
Mexiko noch immer fein nennen. Wie der Hund, der
wüthend und blind über den Stein, der ihn getroffen
9 18 —
herſtürzt, und nicht den Schleuderer, der ihn geworfen,
fo zerfleifcht er das Andenken diefes Mannes, nicht
einfehend, daß er bloß das Werkzeug war in gewal⸗
tigeren Händen, beſtimmt, die morſche Form
brechen, und daß dieſes Werkzeug —
ſobald es feine Beſtimmung erreicht hatte.“
„Der Haß des Mexikaners gegen dieſe Spanier ift
unbeſchreiblich, er geht ins Unglaubliche er iſt jo
ungeheuer, wie die Uebel, die ſie ihm zugefügt haben;
er iſt gegenwärtig, nächſt der Spielſucht, die einzige
Leidenſchaft, die in ſeiner Apathie zuweilen aufblitzt.
Er iſt furchtbar und wird ihm ſo lange inne wohnen,
als die Erinnerung an die ausgeſtandenen Leiden,
das Schmerzgefühl der Wunden, die ihm geſchlagen
worden; und die Wahrheit zu geſtehen, werden dieſe
noch lange Zeit, vielleicht noch Jahrhunderte eitern.
Geheilt werden ſie ſchwerlich je.“ ae
Aus des Verfaſſers merifanifchem Tagebuche br a *
feines Beſuches 1828. *
—
Be
> A
ee —
Erſtes Kapitel.
Kund ift’s, ſollt's mindeftend feyn, daß man in allen
Ländern, wo ſich's Volk katholiſch nennt,
Sechs Wochen, eh’ vie Oſterglocken fehallen,
Zu jeder Art von wildem Jubel rennt,
Und eh’ man beichtet, möcht’ in Neu verfallen
— Gleichviel zu weldem Stand man fich befennt —
Durch Tanz und Trunf und Feſtſchmaus und Masken
Und Sonft’ged, was mit Geld fich läßt foreiren.
* Beppo.
Die Siefta war vorüber; die tiefe Stille, in welche
die zweiftündige Mittagsruhe die ganze Hauptſtadt
Neus-Spaniend wie begraben hatte, war auf einmal
einem tobenden Geſumſe gewichen, das, aus den obern
Borftädten hereinbrechend, und einem nicht minderto=
benden Lärmen von den untern her begegnend, bald
über der ganzen Hauptſtadt in einem fo furchtbaren
Schwall von Tönen aufftieg, daß ihre unzähligen
Gallinazos *) Meilen weit dadurch verfcheucht wurden.
*) Aasgeier; fie fchwärmen ii. alla in und um die
- Städte Mexiko's.
Taufende ihrer —E Sohn fich von ihren *
gerſtätten, den Porticis der Kirchen, Häuſer und Pa⸗
läſte, oder tanzten, mit den bunteſten Mummereien
behangen, aus dem Parian*) hervor, um das Car⸗
neval in jener raſenden Luſt zu feiern, mit der die
katholiſchen Völker ſich für die drückenden Entbeh—
rungen des Jahres ſchadlos zu halten pflegen. Hier
ſah man einen rieſigen Tenatero **) im ungeheuern ſpa⸗
niſchen Generalshute und der Sergeantenjacke, Scep⸗
ter und Weltkugel in der einen Sand, in der andern
ein Kreuz von Pappe, ftolz einherfchreiten, den Gr-
löfer von Atolnico ***) vorftellend; ihm zur Seite
eine Schaar von Indianern, Zambos und MeftizenT),
in Apoftel, Jünger, jüdiſche Priefter und Weiber
metamorphoftrt, vor dem göttlichen Meifter unzüch-
tige Tanze und Sprünge aufführen; daneben Adam:
und Eva, vom Engel mit flammendem Schwerte aus -
*) Der Bazar auf dem Hauptplatze Mexiko's.
**) Sin Erzträger; fie tragen 250 Pfund mit Leichtigkeit
mehrere hundert Stufen hinan, und find grwipaen ——
von ſehr ſtarkem Körperbau.
***) Siehe Note I. am Ende dieſes Bandes.
+) Siehe Note I.
dem Paradiefe getrieben, das von einer Gruppe von
Mefen dargeftelt wurde, die dad damalige Eden,
wie es auf unfern Pfennigbildern repräafentirt wird,
nicht übel vorftellten. An einem dritten Orte ließ ſich
der Dios Padre *) herab, felbft den Reigen anzufüh—
ven, zu dem die heilige Cäcilia, mit einer ſpaniſchen
Raute verfehen, den Gangafo **) produeirte, während
wieder das kleine Jeſuskindlein auf feiner Flucht nah
Aegypten, einen gewaltigen Eſel reitend, Ströme
Waſſers in die offenen Fenſter und den Vorübergehen⸗
den in die Geſichter ſpritzte. Dazwiſchen Schaaren
von Leperos ***), Stutzern und elegant herausge-
pußten Mädchen und Weibern, die fich in dieſem
Schwarm von Indianern wie Sumpflilien im giftig
ſchmutzigen Morafte ausnahmen; dann wieder Hun⸗
derte von Raketen, die ungeachtet des hellen Tages—
*) Gott Bater.
**) Der durch die Nafe gezogene Geſang, den die Guitarre
begleitet; jo unmelodifch er auch ift, wird dazu gewöhnlich ge=
tanzt.
***) Auch Guachinangss oder Saragates genannt, (buchftäb-
lich Ausfägige,) werden jene Unglüclichen geheißen, die zu Tau—⸗
fenden in der Stadt und den Vorſtädten Mexiko's dach- und fach-
los haufen. (Siehe Note I. I.)
Der Virey. I. 3
—ı 2 ⸗—
zur. — Freude der ——— — u ee in
res Toben überging, fo wie einer der fer; 1 Schwär-
mer zwiſchen einem Mirador*) oder unter die pe
ten Damenföpfe, die von den Geländern herab wink⸗
ten, einfuhr. Ueberall die tollſte, wildeſte Freude;
aber eine Freude eigener Art, ſo raſend auf einmal —
ausgebrochen, ſo grell und plötzlich nach der Todten⸗
ſtille, die noch wenige Minuteg zuvor. geherrſcht Ba
Auge und Ohr befremdet und —— die en Tau⸗
ſenden von Bacchanten und Bacchantinnen zuſah und.
zuhorchte, die,. wie aus der Erde gewachſen, eine
Miſchung von Phyſiognomien darboten, ſo chaotiſch,
ſo ſchroff und bizarr und feindſelig ſich begegnend,
wie fie auf der Erde nicht mehr geſehen werden kön⸗
nen! Ueppige Mulatinnen mit derben Zambos, Ino-
chig hagere Indianer mit der gefülligeren Meftizin,
ftattliche Greolen mit Alta atras, und darunter wie
der Geftchter, Die zu Feiner befannten Race oder Abart
des lieben Menfehengefehlechtes zu gehören ſhieen |
*) Die vergitterten Balcone, mit deneir die Häuſer Merito's
geziert find. _ Bi
— 5
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—) 3 —
trieben und drängten fih um — und zu jenen heili=
gen Faftnachtsfpielen, autos sacramentales genannt,
in welchen die ſüdlichen Völker befanntlich eine eigene -
Art von Rache an derfelben Religion nehmen, nach
deren Gebräuchen fie menige Stunden zuvor. das
böchfte Wefen verehrt; von denen aber nur fehr We—
nige jenen myfteriöfen Sinn Fannten, den bie raffi-
nirten, wenn gleich nicht aufgeklärtern, europäiſchen
Völker ihren tollen Mummereien unterzulegen pfle= *
gen.. Einige derfelben fehienen jedoch eine tiefere Be—
deutung auszusprechen, und darunter Eine, Die wir
um das merifanifche Volksleben auch von dieſer Seite
kennen zu lernen, und näher befehen wollen.
Es war eine Gruppe von zwölf Perfonen, bie,
phantaftifch in die verſchiedenen Coſtüme der India=
nerftämme des Landes gekleidet, einen fogenantıten
Carro *) jo mahlerifh umgaben, dag man wohl jah,
fie folgten der Leitung eines berechnenden Kopfes. *
Die Indianer waren in Trauer und bewegten ſich als
Leidtragend um dieſen Wagen, auf dem zwei Ge⸗
ſtalten ſich befanden, die das Attribut des Gräßlichen
*),Ein zweirädriger Wagen.
; 3*
— 4 —
und Komifchen fo feltfam in ihrem Aufzuge vereinig-
ten, daß das Auge neugierig und ſchaudernd zugleich
auf diefe fonderbaren Geftalten blickte, von Denen die
Eine ausgeſtreckt auf dem Wagen lag: ein blutend
verſtümmelter Torſo, aus deſſen Bruſt und abgehaue⸗
nen Arm= und Schenkelſtumpfen das Blut noch im⸗
mer tröpfelnd herabfiel, welches wieder von einem |
zweiten Gefolge jpanifcher Verlarvter mit Gier aufs
geleckt wurde. Noch fehien Leben in ihm, denn er
ftöhnte und gab hohle Töne von fich, und mühte fih
vergebens ab, das Ungeheuer, das, gleich einem Vam⸗
pyr, fih auf ihm niedergelaffen und feine Tigerflauen
in feine Bruft eingefehlagen, abzufchütteln. Diefes
obenan fißende Ungeheuer war eben fo feltfam an-
zuſchauen. Es hatte das finftere Geficht eines wohl-
genährten Dominikanermönchs, deffen Kutte es auch
trug; auf der einen Seite hatte es eine brennende
Tadel, auf der andern einen belfenden Hund; fein
Haupt bedeckte eine Eupferne Gieffanne, die wahr-
Tcheinlich das Helmfubftitut des Nitterd der Mancha
sorftellen follte. Ueber diefen Helm ragten ein paar
Flügel hinaus, nicht unähnlich denjenigen, die Die _
fruchtbare Phantafie alter Wappenfünftler dem Vogel _
—d 2 —
Greif gegeben; der Nüden endigte im Schwanze des
mexikanischen Wolfes Coyote, fo wie wieder dem Ca—
guar die Taten angehörten, mit denen er den Torfo
furchtbar zerfleifchte.
Diefer fonderbare Speftafelaufzug hatte ſich die
Tacubaſtraße herauf ‚in die Sant Agoftingaffe, von
diefer in die Plateria, und aus, diefer wieder in bie
Adlergaffe gezogen, und ſich endlich dem Stadtviertel
Trespanna zugewandt, wo er vor dem Hotel gleichen
Namens hielt.
Die Haufen von Indianern, Meftizen und der far=
bigen Bevölkerung waren allmälig durch Hunderte
von Greolen verftärft worden, während der ftolgere
Spanier mißtrauiſch aus den Fenſtern feines wohl.
verwahrten Haufe dem fonderbaren Gaufelfpiele zu=
ſah, um das nun Taufende von Zambos, Creolen,
Indianern und Meſtizen einen Kranz bildeten, ſo ma—
leriſch, eine Miſchung von Köpfen und Phyſiogno—
mien, ſo chaotiſch, und eine Mannigfaltigkeit von
glänzenden Prachtaufzügen und den ekelhafteſten Lum—
pen ſo nahe an einander gereiht, wie ſie nur wieder
in die ſem Lande geſehen werben kann.
260 a
Unter den veichften Mangaer), die * ER
ahpegögen, war ein junger Mann, deſſen Geſicht
ſchwer errathen ließ, welcher Race es angehörte. Es
hatte alle Farben des Regenbogens/ die ſich auf der
knapp anliegenden Seitenmasfe fo blendend natlir-
lich darftellten, dag man in Verſuchung Fam, dieſes
Farben ſpiel für Natur zu halten. Er war aus der
Fonda **) von Trespanna heraus auf. die Straße
getanzt, hatte ſich einigemal flüchtig vorfichtig umge⸗
ſehen, und ſich dann durch die Schaaren dem Gaukel⸗
aufzuge zu gedrängt und gewunden. Es war et
Eigenes in der Art des jungen Stutzers denn e ein
ſolcher konnte er, feiner reichen Kleidung nach, ge-
nannt werden, das ihm ſchnell Platz verſchaffte.
„Närriſche Leute! hirnloſe Leute! ſchweiniſche Hau⸗
fen! Was rennt, was drängt, was lauft Ihr? Was
ſeyd Ihr gekommen zu ſchauen, zu ſehen? Wißt Ihr
nicht, daß das Sehen verboten iſt, beſonders das
helle Sehen?“
Der Ton des Stutzers, ſeine plötzliche orſenmn
*) Der Mantel eines Mexikaners.
*), Ein Gajthof erften Nanges.
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und das tecke Originelle ſeines Weſens, im Gegen⸗
ſatze zu dem ſcheuen Benehmen der übrigen Creolen
die ſich vorſichtig dem Wagen näherten, ihn einige
Augenblicke mißtrauiſch betrachteten, und dann fich
ſchnell zurückzogen, um in ſicherer Ferne des Weitern
zu harren, hatten nicht verfehlt, die allgemeine Neu—⸗
- gierde auf ihn zu lenken.
„Wohl denn, Volk son Mexiko oder Anahuac*),
wenn Ihr jo Euch lieber nennen hört, das heißt Az-
tefen, und Tenochfen, und Dtomiten **), und Me—
ſtizen, und Zambos, und Altra atras, und Blancos,
die der Teufel,“ flüſterte er leiſer, „ganz oder wenig⸗
ſtens zum zwanzigſten Theile holen mag. #**)
„Bravo!“ riefen Hunderte von Meftizen und Zam-
608, denen die letzten Worte des Stutzers auf einmal
I
*) Der eigentliche Name des einſtmaligen Kaiſerthums.
**) Agtefen, Tenochken, wurden die alten Merifaner genannt.
Otomiten ift ein zahleeicher zweiter Hauptftamm Mexiko's. Die
Sprachen der Azteken und Otomiten find die verbreitetften, und
zeichnen fich die eine durch ihre Härte, die andere durch ihre
Meichheit aus.
***) Man nahm an, daß die Spanier, die Gehieter des Lan-
des, den zwanzigſten Theil feiner weißen Bevölkerung, das heißt:
ungefähr 60,000 Seelen, ausmachten.
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über fein politifches Glaubensbekenntniß Licht gege⸗
ben hatten. „Bravo escuchate!* *) ertönte es wie—
der und wieder. |
Mährend diefes Bravorufens hatte fich der Mann
tanzend und wieder windend durch die Haufen zum
Popanze hin Plab gemacht, den er aufmerffam be—
trachtete. |
„Alſo Ihr möchtet gerne wiſſen?“ vief ex wieder.
„Wiffet Ihr aber, daß eben diefes Wiffen verboten
ift? Ei, aber fehauen möchtet Ihr, denn das Schauen
ift nicht verboten, und wenn Ihr Feine Mulos **)
feyd, fo mögt Ihr auch ſehen, helle ſehen!“
„Wenn wir aber Mulos find?“ rief eine Stimme.
„Dann will ich Euer Ariero ***) ſeyn,“ Tachte der
Stußer, der um das Schauftück mittlerweile herums
getanzt war. „Alſo Mulos jeyd Ihr!“ rief er auf-
bliefend; „Madre de Dios!}) Das feyd Ihr ja ſchon
gewefen alle Tage Eures Lebens, ſeit namlich der
finftere Gachupin da — er deutete auf das Ungeheuer
*) Hört! *
**) Maulthiere; das gewöhnliche Laſtthier in Mexiko.
**x) Maulthiertreiber; ein ſehr zahlreiches Gewerbe.
) Mutter Gottes.
— 29 —
halb Mönch, halb Thier — das arme Ding, das
Einige Anahuac, Andere Mexicotl*), wieder Andere
Guauhtomozin **) nennen, zu feiner Lagerſtätte er-
foren. Arme Mulos, und wieder Mulos! Ihr jeyd
J wie mein armer Sancho, der nichts will als Bier,
und wieder Bier, und nochmals Bier ***). Arme
Mulos!“ | |
„Arme Mulos!“ feufzten Hunderte unwillkürlich,
wechſelsweiſe das blutige Ungeheuer und wieder den
Sprecher anftarrend.
Auf einmal hob der Stußer die Kutte des Unge—
heuerd, und der vom Rumpfe getrennte Kopf des
blutigen Torfo Fam zum Vorſchein. Es waren in-
dianifche Züge, von einer Meifterhand jo natürlich)
dargeftellt, daß Hunderte yon Stimmen mit einem
Male riefen: „Guauhtomozin!“
„Guauhtomozin!“ ſchallte es dumpf von Munde
zu Munde, während der Pregonero7) (dieſen Namen
*) Der merifanifche Kriegsgott.
**) Der Teste amerifanifche Regent.
***) Sollte eigentlich Pulque heißen ; denn Bier war damals
in Merifo, und ift noch heute wenig befannt.
+) Wörtlich überſetzt: Ausrufer,
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hatte der Stußer bereit von der Menge e
fortfuhr, den Schleier von dem ſeltſamen Aufzuge
lüften. 5 Re
„Seht, hier find feine Klauen am tiefſten einge⸗
hackt; es iſt Guanaxuato und Guadalaxara!“ ſprach
der Pregonero, und die Menge ſchauderte wiedet
„Es iſt Tio Gachupin,“ lachte er auf einmal, fir
dem Abſatze herumwendend, „Tio Suhayin,®), der
das Spiel, das er vor nicht, ganz dreihundert Jahren
mit dem armen Guauhtomozin — — Nein, es iſt
Guauhtomozin's Geiſt!“ rief er, „der erſchienen,
blutend und um Rache ſchreiend.“
So viel war nun dem Haufen glinahlis Klar ge⸗
worden, daß der Spektakelaufzug eine tiefe, ja ge⸗
fährliche, politifche Bedeutung habe. Die Menge hatte 4
ſchnell zugenommen; die flachen Blumendächer, Die
Miradors der nahen und entfernten Häu uſer waren
*) Vetter Gachupin. Gachupin ift ein — Wort,
deſſen Bedeutung eben fo wenig erklärbar iſt, als die der Be
nennung Yankee. Die Spanier behaupten, es bedeute einen
Helden zu Pferde; die Indianer und Kaften — einen Dieb: Es
wird allgemein als ein Schimpfname betrachtet, mit dem man
vorzüglich die Spanier und die ihnen anhäugenden Creolen be—
zeichnet.
un,
mit unzähligen Köpfen angefült. Es herrſchte eine
tiefe Stille, die nur vom Geflüfter der Neugierde
oder dem Gemurmel des Schauders unterbrochen
würde, welches der Judianer mit einem fo eigenthüm⸗
lichen Tone von ſich gibt, wenn ihm jene theuern, fo
tief im Herzen ruhenden Erinnerungen an die Ge⸗
walt und Herrſchaft feiner Vorfahren durch Zufall
ausgepreßt werden. Auf einmal rief es: „Vigilan-
cia! Vigilancia !* *) von einem fernen Mirador her-
ab. „Vigilancia!* ſchallte es von Mund zu Munde.
„Vigilaneia!‘ rief der Pregonero; „Gracias Senoras -
y Senores!“*) Yachte er, duckte fich und verſchwand.
In wenigen Augenblicken war vom gräßlichen Sinn-
bilde Meriko's felbſt keine Spur mehr vorhanden,
und als endlich die beiden Alguazils mit ihren Stä-
ben fih Bahn gebrochen hatten, regnete es Feen
von Pappendeckeln und Trümmer gebrochenen Holzes
9 Wechſaneit! Habt Acht!
*) Dank, gnädige Herren und Herrſchaften! Senor, gleich—
bedeutend mit dem franzöfifchen Seigneur, fpricht jeder weiße
und auch Schwarze Merifaner an, fo armfelig er übrigens auch
feyn mag. Senora, gnädige Frau. Senoria, Herrfchaft, Herr-
lichkeit. Diefer letztere Titel wird nur Perfonen gegeben, die
Oberftenrang haben.
—h 32 &—
auf ihre verhaßten Häupter; die Menge ſelbſt war, _
gleich einer Woge, durch einen gewaltigen Fels ge-
borften, auf allen Seiten ausgerifjen, und brach
großentheil® in den Gafthof ein, vor dem die Scene
ſelbſt ftattgefunden hatte.
Dieſer Gafthof, der erſte Mexiko's zur Zeit, in die
unfere Epifode fallt, war, jo wie heutzutage, der Ver⸗
einigungspunkt der hohen und niedrigen Welt der
Hauptftadt, das heißt des größten Reichthums und
der efelhafteften Blöße, die nur gedacht werden kön—
nen. Die untern Gefchoße nahmen eine Art Bazar
ein, in denen Waaren mexikaniſcher Fabrikate zum
Berfauf ausgeboten wurden; die obern Säle waren.
zur Bewirthung der Gäſte beftimmt, und mit einer
Pracht ausmeublirt, die auffallend mit diefen Gäften
felbft contraftirte.
Im erften diefer Säle ftand ein großer, langer
Tiſch, einer Billardtafel ähnlich, auf. dem Kaufen
Sifberd Tagen, die Taufende von Pinftern betragen
mochten, während die Garderobe der ringsum fißen-
den oder ftehenden Spieler um eben fo viele Pfennige
zu theuer bezahlt gewefen wäre. Außer den Worten
Senor und Senora war faum ein Laut zu hören;
.
—H 3 —
aber dafür ſprachen ihre giftig feurigen Blicke deſto
vernehmlicher, und ein Grimm war in ihren Augen
zu leſen, der jeden Augenblick in Mord und Todtfehlag
ausbrechen zu wollen fehien.
Der zweite Saal war, wo möglich, von einer noch
häßlicheren Klafje von Menfchen angefüllt, die lie—
gend, ftehend, hockend, auf allen Vieren, in Stelluns
gen hingeſtreckt waren, die nicht befehrieben, viel we—
niger gefehen werden mögen; zum Theile befchäftigt,
ihre und ihrer Kinder Köpfe von jenen Anwohnern
zu reinigen, die der ganze Reichthum diefer Klaffe zu
ſeyn pflegen ; eine Befchäftigung, der fie fich mit einer
Sorgfalt überliegen, als wenn diefe zur Feier des
dia de fiesto *) gehört hätte.
Ein dritter Saal war den Chocolade- und San-
garee **)-Trinfern gewidmet, die ihre Gläfer und Be-
her mit einer Behaglichkeit Yeerten, die in der efel-
haften Nacktheit und Armuth ihrer Umgebungen noch
einen eigenen Reiz zu finden fehien; denn zwifchen
Stühlen, Bänfen und Tifchen lagen und krümmten
*) Fefttag.
**) Ein Getränk, aus Zuder, Zitronen, Wale, Rum imd
Gewürz bereitet.
ſich die Elenden, Leperos genannt, gleichwie ı
dungsmittel, das ſämmtliche Klaſſen Mexikos
menhielt; und wieder zogen ein: reich geklei
nier, Spanierinnen 23 Greolen, die ng
mädchen, die froh und üppig einhertangten R ebd
und Käftchen tragend, und „Piazza po
Senoras! ‘“) ſchreiend, hintendrein die En
die diefem Gefchrei mit ihren Säbeln un X
den nöthigen Nachdruck gaben. *
„Carracco! que bella y cara compania!“ ner
auf einmal diefelbe Stimme, die wir unten auf de P
Straße als den Ausleger der gefährlichen Faffnachte- |
pofle gehört haben, und die num Pin |
feiner Larve nach zu fehließen, angehörte, der in ein |
ganz neuen Anzug in den Saal trat, die Geſellſche
*) Platz für unſere gnädige- Frauen!
**) Cortejo, lieg Corteho, Cavaliere serviente. F
**œ)y) Verdammt! welch cine ſchöne und liebliche Ge
) Caballero, Cavalier. Jeder von ſpaniſchem Blute ab⸗
ſtammende Merikaner macht auf dieſe Benennung Anſpruch.
“
En — 35 &—
milt jenen flüchtigen Blicken meffend, mit denen der
“ Hohe Wüftling eine untergeordnete Klafje von Men-
sehen zu muftern gewohnt ift. „Carracco! a la Bo-
Bi nanza!“*) rief er, an den langen Tifeh tretend und
J eine Rolle Piaſter auf eine Karte werfend, die im
niachſten Augenblicke auch ſchon gewonnen hatte.
„Bravo, bravissimo! Doble!‘“ ſchrie er.
F Der Stutzer hatte wieder gewonnen und die Sum—
me, fo beträchtlich fie auch war, ohne eine Miene zu
J verziehen, auf die frifche Karte geworfen. |
Ki „Treple!“ fehrie er, als fie wieder gewonnen:
‚„Quadruple!‘ ein viertesmal, und mit dieſem legten
lüc falle warf ihm auch der Banquier ſeine ganze
n Baarſchaft mit den Worten: „Maledito gato!“ Hin,
und erhob ſich von feinem Site mit einem Blicke, fo
grimmig, daß man hätte glauben ſollen, es müffe
den nächften Augenblick Mord und Todtfchlag erfol-
gen. ‚Wider alles Erwarten jedoch nahm der Mann
ſeine zwei Realen, die er in den Ohren ſtecken gehabt,
rief den Kellner, hielt —* — die beiden Silberſtücke
ry Holle! zum Glück! Bonanza bedeutet aber vorzüglich
wi Glück in Bergwerksunternehmungen.
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vor die Augen, und — auf das eine: bed,
feierlich: „Cigarros!“ und auf dad andere: „Arguar- *
diente de cana!“*) und nachdem er ſo über fein.
Geld disponirt, ſchlug er, in Erwartung ‚der beiden |
Labſale, feine Manga mit jo vieler Kunſtfertigkeit
über die Schulter, daß der Zipfel der andern Hälfte
zugleich bis zu der Hüfte herab verlängert wurde,
und es ſo einiger Aufmerkfamkeit bedurfte, zu ger
wahren, daß einer der beiden Schenkel gänzlich des
nöthigen Artikels, Beinfleider genannt, ermangelte. |
„Senoras ySenores! ala Bonanza!‘ **) rief nun
der glückliche Eroberer der Schäße feines Vorfahren,
indem er gleichermaßen zwei Realen *æx) aus einem
bejondern Beutelchen herausnahm, und ‚einen in in jedes
Ohr fteckte, welche Handlung er mit dem Beiden des
Kreuzes begleitete.
„Plazza Gavillas!‘“ +) rief es auf einmal ie, |
„Plazza por las Senoras!“ und mit diefem Aufe trat
) Num (aus Zuderrohr). ;
**) Kommen Sie Damen und Herren, zum Glücke. |
**) Neal, ver achte Theil eines Piaſters, wird, das Glück
feſtzuhalten, den Spielern in die Ohren geſteckt. J
+) Platz, Pöbel! Mit dieſem Namen werden vl die 7
Nebellen bezeichnet. |
ein Zug fpanifcher Soldaten mit ihren oder Anderer
Weibern ein. “
Sie waren auf eine Weiſe herausgeputzt, um die
ſie manche unſerer vornehmen Damen beneidet haben
dürfte, ſo wenig der Schnitt ihrer Kleidung dies auch
verdiente, Vor jeder dieſer Spanierinnen ſchritten
drei Mulattomädchen mit loſe anliegenden Seiden-
röckchen, die ihnen bis zu den Knieen reichten, und
fo locker und lockend anlagen, daß Bufen und der
ganze Leib ohne Mühe zu erfehen waren; die Haare
in goldfadige Nebe gewunden; an den Armen Span—
gen von gleichem Metalle. Das Erfte diefer Mädchen
trug ‚ein offenes Käftchen mit Cigarren, aus dem
mwechfelweife die Dame und ihr Cortejo fich zuhalfen ;
das Zweite ein Körbchen mit Zuckerwerk, dem gleich-
fans Häufig zugefprochen wurde, und die Dritte die
Geldbörſe.
„Plazza!“ erſchallte es wieder, und die Begleiter
der Damen, wohlbeftallte Unterpffiziere der fpanifchen
Truppen, ſchwangen ihre Rohrſtöcke und Säbel, daß
Indianer und Meftizen und Zambos wie gemäht von
Bänken und Stühlen purzelten.
Der Birey. I. 4
— 8
' „Carracco! que quiere ‚deghi usted?" 9 rief
unſer neue Banquier, der ſich auf feinen Sit, nieder
gelafien hatte, auf einmal auffpringend. = todos
Bastos y bastas de todo el mondo“ —
Er ſprach dieſe Worte ſo drohend, und Tine Ger
ſtikulation war ſo echt mexikaniſch, daß drei der Ser—
geanten mit einemmale auf ihn zuſprangen.
„Gojo, que quieris rn EP ©:
Gojo!“ rief dev Merifaner gleichfalls „und dabei
fuhr feine Hand unter Die Manga, und die Bewegung
war jo fehnell von den fämmtlichen ‚weißen, ſchwar⸗
zen, braunen und grünen Phyſiognomien nachgeahmt
worden, daß die drei Sergeanten nebſt ihren Damen
mit einemmale zurückprallten. Nur die Vierte hatte
ſich in der Nähe des Tiſches gehalten und ſchwang
nun die Karten, die Geſellſchaft zum Spiele ein—
ladend. |
Diefe Einladung hatte auch einen. unbegreiflich
*) Alle Teufel, was wollen Sie damit fagen?
**) Ym aller Kuittel ver Welt willen! Die ſpaniſchen Kar—
ten heißen oros, espadas, copas und bastos. Diele letzteren
ftellen Knittel, und figürlich jene Symbole vor, die mit unferen
Hirſchgeweihen gleiche Bedeutung haben.
***) Hund, was foll dieß bedeuten?
ſchnellen Erfolg. Diefelben Menfchen, die fo eben
Partei auf Leben und Tod für ihren Landsmann ge-
nommen hatten, — denn dieß verrieth das myfteriöfe
Langen unter die Mangas — erfahen kaum, in
weſſen Sand fich die Zauberblätter befanden, als fie
auch wie mit Einer Stimme riefen: .
„Por el amor! Va usted con Dios Senor!“*)
„Va usted con cien mil demonios Senor !“* **)
brülften die Spanier. Hi?
Der junge Mann ſah abwechfelnd feine armen
Landsleute, dann wieder die Spanier an; dann, wie
ergriffen von der fonderbar originellen Höflichkeit und
Grobheit Beider, lachte er laut auf, packte pfeifend
feine eroberte Beute zufammen und räumte den Saal.
Seine Wanderung durch die anftoßenden Säle
ſchien einige Zeit hindurch eine abſichtsloſe zu ſeyn;
er ftolzirte durch den einen, ftieß bier mit einem Be—
fannten auf ein Glas Aguardiente an, nippte einem
Andern aus dem Chofoladebecher, half einem Dritten
feine Sangaree leeren, und fehleuderte fo eine Weile
*) Um der Liebe Gottes! Gehen Eure Herrlichfeit mit Gott.
**) Gehen Sie mit allen hunderttaufend Tenfeln, gnädiger
Herr!
4 *
+0
herum, bis er ſich endlich in —E— — Saal
verlor, wo er an die Flügelthüre trat, die verſchloſ⸗
ſen war, und an die er mit den SEE
„Ave Maria purissima!‘ J
Sie wurde aufgethan. | Bee.
„Sine pecado concebeda,‘‘ **) fügte er hinzu.
„Por el amor de Dios No fineza, no piedad!***)
Können Sie nicht fagen: „Sine pecado concebeda
Senores?“
u Bweites Kapitel.
Verdades dire en camisa.
Poco menes que desnuda.
Quevedo.
Die Geſellſchaft des Saales war von der fo ebi
beſchriebenen vortheilhaft verſchieden; ſie beſtand aus
beiläufig fünf und zwanzig jungen — die,
9 Gegrüßet ſeyeſt Du, reinſte Maria! — der gewöhnliche
Gruß der in ein Zimmer Tretenden.
**) Ohne Sünde empfangen! — die Antwort darauf.
***) Um der Liebe Gottes willen! Feine Frömmigkeit, Feine
Artigkeit mehr zu finden.
3 Dre: du Sa ae Pa RE
— 4 > |
re Ammtlich in die reiche Tracht des Landes gekleidet,
Mangas verfehwenderifh mit Sammt, Seide und
‚Gold verbrämt, Jacken mit Otterfellen ausgeſchla—
gen und gleichfalls mit Gold verbrämt, und die
übrige Kleidung von entfprechend Eoftbaren Materia=
lien hatten. Das fpige, feine Hohnlächeln, mit dem
fie den Eindringling mufterten, und ihre vornehm
gleichgültigen Blicke auf die Goldhaufen, die den Tiſch
bedeckten, verriethen geübte Sazardipieler, oder, was
in Mexiko daffelbe fagen will, Edelleute vom höch—
ften Range. Der Saal war Eoftbar meublirt, Tifche
und Seſſel vom feinften Holze und reich vergoldet,
Vorhänge, Eſtrada's, Luftres nach der neueften
Fagçon.
„Sechszehn machen einen Dublon,“ *) ſprach der
junge Mann, der, nichts weniger als verſchüchtert
durch den vornehm geringſchätzigen Empfang nun
zum Tiſche trat und eine Rolle von ſo vielen Pia—⸗
fern auf eine der Karten ſetzte.
‚No pueden,“**) erwiederte der Banquier, der
*) Ein ſpan. Dublom ift gleich ſechszehn Silberpiaftern.
**) Können nicht.
m m
mit feiner hölzernen Hand das — gering
zurückwies. *
„No,pueden,“ ſprachen in 1 dempldensinofige
Tone die Kavaliere, „una sociedad;con fuero“ 9).
„Una sociedad con fuero ?“ wiederholte der Mann
kopfſchüttelnd. „Allen, Reſpekt vor. Fueros, Nota
bene, wenn fie refpeftirt werden. Wiſſen Sie aber,
Senores, daß unfer Fuero älter ift ?«
„Dein Buero älter, Gato? Yu #*) — Einer der
Edelleute gedehnt.
„Ei, gewiß iſt es älter, und gerade ſo alt, als die
Madre Eecleſia ***) zum Narren geworden iſt.“
„Die Madre Eccleſia zum Narren geworden?
Gato, wie meinft Du dieß?“
„Ei, zum Narren geworden; fie fraß nämlich fo
viele Narrheit, daß fie ganz zum Narren geworden
ift, wie Sie fehen können, wenn Sie auf die Gaffe
ſchauen wollen. Juft fo, wie die Madre Patria})
*) Eine Gefellfchaft mit einem Privilegium, geichloflene »
Geſellſchaft.
**) Gato heißt Katze, figürlich Spitzbube.
*x*) Mutterkirche.
) Madre Patria nennt ver Mexikaner Spanien. — Mutter-
fand.
9 3 9 |
fo viel merifanifches Blut uhren; daß fie ganz
blutdürſtig geworben ift.u
Die jungen Kavaliere wurden auf einmal aufmerf-
ſam. „Paz Senor! Va usted con Dios,*) und möge
Ihnen der Alguazil Fein Geleit in die Cordelada gez,
ben,“ Sprach der Banquier.
„Paz wollen Sie, Ruhe wollen Sie ? Sie N AROR
fie nicht finden, nicht mehr in Meriko finden! —
Ruhe wollen Sie?“ wiederholte er ſchwärmeriſch,
feurig, „Sie werden fie jo wenig finden, als Pedrillo.
Keine Ruh, feine Ruh’, Feine Ruh' beit Tag und
Nacht; Nichts das ihm Vergnügen macht.“ Und
mit diefen Worten brach er auf einmal in die wunder⸗
ſchön Yaunige Arie Pedrillo's aus, die er mit einem
Feuer und einem Aufſchwunge abjang, daß die Ka—
valiere den Mann mit offenen Mäulern anftarrten.
Zugleich waren im neben anftoßenden Saale eine
Guitarre und Gaftagnetten eingefallen, die den Ge⸗
fang regelmäßig begleiteten.
War es der Reiz der Ueberraſchung, oder das
Driginelle in der Weife des Sängers, der das Bruch—
*) Ruhe, mein Onädiger! Gehen Sie mit Gott.
Maine FR ar Ei 0
— Mm
ftüf aus dem Meiſterwerke des berühmten und. —
zur Ehre des Creoliſchen Geſchmackes ſey —
— in Mexiko hoch beliebten Tonſetzers ſo unvergle
lich a limprovista gegeben hatte, Die Kapaliere J
‚gen wie von einem elektriſchen Funken berührt auf,
und zwanzig Dublonen —— ihm mit einemmale in
die Manga. FT:
„Encora!-Encora!“ riefen Alle. %
„Senorias!“ ſprach der Banquier, der allein mür⸗
riſch gehorcht hatte und nun unſerem Aventurier näher
trat, „ich warne Sie, Senorias! Ich erkenne in dem
Caballero“ — er ſprach das Wort in einem ſpitzig
wegwerfenden Tone — „denſelben Gentilhombre, *)
dem die Alguazils ſo eben auf den Ferſen waren, und
der uns dieſe ungebetenen Herren ſehr leicht auf den
Hals bringen dürfte!“ Be *
„Biſt Du ß Gato, der den Alguazils die Naſe
gedreht?“ vief en Mehrere.
Doch der junge Mann hatte ſtatt aller. Antwort
mit dem Fuße geftampft, und, als wäre diefed Stam—
pfen ein Zauberfchlag, jo öffneten fich zwei Blügel-
*) Gentleman, aber in einem ironifchen Einne.
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thüren, gegenüber denjenigen, durch die er gekommen,
und heraus traten vier Geftalten, “die , fleifehfarben
feidene Masken auf den Gefichtern und eben ſolche
‚Kleider auf dem Leibe, zwei herrliche, "aber etwas
üppige Tänzerpanre bildeten.
„Senioras, por el amor de Dios!‘“ warnte, bat,
flehte und drohte der Banquier.
Mit den vier Tänzern waren zwei Begleiter mit
Guitarren gefonimen, die fie nun anfchlugen. Dieſes
entfchied. Die Kavaliere, im Anſchauen der üppigen
Umriſſe der herrlichen zwei Mädchengeftalten verfun-
fen, ſahen und hörten nichts mehr vom Bangquier,
der haftig und mürriſch feine Geldhaufen zuſammen
fcharrte, fie in einen Kaften padte und den Saal
verließ, als wenn der Feind ihm auf den Ferfen nach-
folgte. *
Die Guitarren hatten geklungen, die Tänzer ſich in
Bewegung geſetzt, die Caſtagnetten knackten darein,
und nun führten die zwei Paare einen Tanz auf, den
der ſtärkſte Pinſel vergeblich in ſeinem raſenden Lie—
besentzücken zu ſchildern verſuchen würde. Jede Be—
wegung war reine Natur, Hingebung, hinſchmelzende
— 16 —
Luft. Sie begannen mit dem Bolero, *) und gingen,
durch ein raſches Stampfen mit dem Fuße und ein
Wirbeln der Arme in den Fandango ber. Alles war
Wolluſt, üppig glühende Wolluſt, aber nicht jene grobe
Wolluſt, unter der gewöhnliche Fandangotänzer ihre
Ungeſchicklichkeit zu verbergen pflegen. Die höchſte
Poeſie dieſes zugleich üppigen und zarten Tanzes
ſtellte ſich in jeder Bewegung jo unnachahmlich er-
greifend dar, daß die Kavaliere in ſprachloſem Ent-
zücken mit Yauten Ah's und Oh's! vorfprangen, den
aufgeregten Sturm tobenderXeidenfchaft zu beſchwich⸗
tigen. — Sie prallten, als wäre der Blitz vor ihnen
in den Boden gefchlagen, zurück. Ein widrig geftöhn-
te8 Brr! tönte aus der hintern Ecke des Saales, und
unterbrach. plöglich und graufam ihre Zauberbilder.
Sie wandten ſich nochmals nach dem Gegenftande,
der fie fo plößlich zurückgefcheucht, und gewahrten
eine Geftalt, die das Erftaunen unferer Lefer kaum
minder erregen dürfte, als fte e8 bei den jungen Ka=
valieren gethan. Tr
*) Ein dem Fandango ähnlicher Nationaltanz. Die Bewegun—
gen find rascher.
47 e—
Auf einer Ottomane, die im Hintertheile des Saa-
les fich längs der Wand hinzog, lag halb und ſaß
bald eine Geftalt, deren Anzug einen Moslem bezeich-
nete, und zwar einen Moslem des höchiten Ranges.
Sein Kleid war grün, fein Turban gleichfalls; in
dieſem Letztern glänzte ein Gefchmeide funfelnder Edel-
ſteine, das Alles übertraf, was in Meriko diefer Art
bisher noch gefehen worden war. Dafür aber waren
die Züge des Moslems wieder die zurückftoßendften,
die gedacht werden Fonnten. Eine niedrig zurückge⸗
bogene Stirne, mit blau grauen, ſtieren, gläſernen,
und doch tückiſch lauernden Augen, in denen Treu—
Iofigfeit und Graufamfeit ihren Sit aufgefehlagen zu
haben fehienen. Zwiſchen der Stirne und diefen Aus
gen neigte fich eine lange Nafe raubthierartig zu einer
Dberlippe herab, der Gefräßigfeit angeboren fchien,
während die Unterfippe in äußerſter Erfehlaffung nie-
derhing; die Kinnladen diefes häßlichen Geſichtes wa—
ren vieredfig und lang, der Mund groß. Leber das
Ganze war ein Eolorit ausgegoffen, das ganz den
tückifch falfchen und mwiderlichen Zügen des Geftchtes
entfprach und feiner Farbe angehörte.
*
48 ⸗——
„Por el amor de Dios!“ *) ſchrieen unſere Kava⸗
liere nun wirklich erſchreckt. Por el amor! Was
ſoll das? Was hat dieß zu bedeuten?“
Sie naͤherten ſich wieder furchtſam En
Geftalt und ſchraken wieder zurüd, als wenn in Die-
fer Figur ein böfer Zauber läge. |
Neben ihr Enieten zwei andere Moslems, der Gine |
in einem blendend weißen, der Andere in einem grü-
nen Türban. Sie hatten ihre Hände auf die Bruft
gefaltet, und ihre Geftchter berührten beinahe den
Teppich.
„Brr!“ ftöhnte der Moslem, fich verdrießlich auf
der Ottomane dehnend, in einem Tone, der mehr dem
Grunzen eines Borſtenthieres, als einer Menſchen⸗
ſtimme glich. Beide Moslems prallten auf die Seite,
und erhoben ſich ehrfurchtsvoll, einen Schritt zurüd-
tretend, ohne die Kavaliere auch nur eines Blickes zu
würdigen.
Die Neuheit diefer jonderbaren Scene ſchien Die
jo jehr außer Faſſung gebracht zu haben, dag auch
fein Einziger ein Wort zu fprechen wagte.
*) Um Gottes Liebe willen.
—) 19 ⸗
' „Zil ullah !* ſprach derWeißbeturbante, „Zilullah!
Seine Hoheit haben wieder gefprochen. Geſprochen,
aber wie viel gefprochen?“ ſetzte er troſtlos hinzu.
„Ben Haddi würde heute gern bloßen Fußes die
Walfahrt beginnen —“ |
„Und Bultfhere,“ fiel ihm der Andere ein, „den
ſchwarzen Stein von Ararat füffen —“
„Wenn,“ begann der Erftere wieder, „Seine Ho—
heit von diefem Uebel hergeftellt würde. Zil ullah!
Drei Tage haben Ihre Hoheit weder von der Bohne
son Mecca gefoftet, noch von dem glorreichen Safte,
der die Gläubigen ſchon bei Lebzeiten in das Para—
dies verſetzt —“
NO von dem Safte,“ fiel der Andere ein, „den
und Shiras in fo reiner Süfe liefert; noch Haben
die Hoheit die janften Liebfofungen der holden Zu—
leima, noch die feurigen der rafchen Fatima begehrt,
feit drei Tagen nicht begehrt. Was fol Alles dieß?“
„Es find Unverdaufichfeiten,“ ſprach der Grün-
beturbante.
„Regierungsſorgen,“ erwiederte der mit dem wei—
Ben Turban, „wir müſſen ihn zerftreuen. Es find
—
— 50 —
frifhe Almas *) und Odalisfen angefommen.
müſſen ihn zerftreuen. Pi N
Er näherte fich fofort dem quaft eatife Beni ie
war der hohe Rang, den der figende Moslem vor⸗
ftellen follte, und nachdem er fich zur Erde geworfen,
trug er die Bitte vor. Es folgte wieder ein Grungen,
das wie Zuftimmung gelten konnte, worauf fich der
Vezier freudig erhob, einen Schritt zurück trat, drei-
mal mit dem Fuße vernehmlich, doch nicht zu heftig,
ftampfte, und dann. mit feinem Gefährten in die Ecke
trat, um der kommenden Dinge zu harren.
Zur Berwunderung unferer Kavaliere öffneten ſich
wieder die Flügelthüren, und vier Tänzerpaare tra—
ten ein in fo glänzend prachtvollem Koftum, als
ſelbſt dasjenige der Moslemin verdunfelte. Ihnen
folgten vier rabenfchwarze Geftalten, von denen die
zwei Erſteren die ſpaniſch morifche Guitarre trugen,
die Dritte das oftindifche Tomton **) und die Vierte
die perfifche Flöte.
Eine Weile ftanden die acht Figuren in —
*) Türkiſche Tänzerinnen.
**) Die oftindische Trommel.
se ee ed 1 a
—5—
vollem Karren, als wieder ein Brr fich hören ließ, und
der Kopf des Moslem, den wir befchrieben, ſich erhob,
um das neue Schaufpiel feines Blickes zu würdigen.
Ein Adagio der Öuitarre, in welches das Tomtom
wie das entfernte Rollen des Donners einfiel, all-
mählig ftärfer und ftärfer werdend, eröffnete den
Tanz. Dann fielen die Caftagnetten anfangs ein=
zeln knackend ein, und endlich erhob fich der Flöte
fanfter Ton, das Ganze zur Harmonie verbindend.
Gerade fo hatten ſich die Tänzer geformt ; anfcheinend
Eunftlo8. und ganz Natur, verſchmolzen fte allmählig
in. die fhönfte, üppigfte Tänzergruppe, mit ihren
bunten Schleiern Regenbogen bildend, hinter welchen
die ſchwellenden Geftalten wie Houris hervorläcel-
ten. Aller Blicke waren bloß auf den befchriebenen
Moslem gerichtet. Bald ging das Adagio in das
Allegro über, die Bewegungen der Tänzer wurden
rajcher, ihre Geberdenfprache Tebendiger, das Spiel
ihrer Glieder üppiger, wollüftiger ; mit jedem Gaftag-
nettenknacke wurden ſie feuriger, verlangender; Aller
Blicke, Aller Bewegungen jehienen nur auf den
Kalifen gerichtet zu jeyn, die Eines Paares ausge⸗
nommen. Es war die zarteſte der vier Mädchenge—
—
*
{42 ur i
falten, die, von einem Perferfrieger verfolgt,
im Tanze zu entfliehen ftrebte. Bewund iderr ngsr yürd
Yösten fich dieſe zwei Geftalten aus der ri van
um eine Weile ihr eigenes Spiel zu v lger Di
Fliehende glitt fo ſchnell, und ihte Beweg 1 ge waren.
fo eigenthümfich zart und reizend, daß der Kalif 4
reremale die Augen weit öffnete (aut ftöhnt
Bei jeder ſolchen Bewegung fehlen ber Sihmerz pe %
armen Perſers bis zur Verzweiflung zu fteigen, und
ein lautes Bravo entfuhr den ſämmtlichen Kavalie⸗
ren; nur den Kalif ſchien dieſe Kunſt der Sinnes⸗
luſt ungerührt zu laſſen. Einigemale ſtierten ſeine
Augen, und es ſchoß ein Strahl des Verlangens
daraus hervor; aber ſchnell verſiegte wieder der ſchwach
auflodernde Funke, den felbft des Perfers Triumph
über die nur ſchwach widerftehende Geliebte, nicht
wieder aufregen zu können fehten. Das Ganze war
jo finnenfigelnd, daß Keiner unſerer Kavaliere es
länger auszuhalten vermochte, und Alle mit glühen-
den Gefichtern der Thüre zuftürzten. * *
„Brr,“ ſtöhnte er wieder mit derſelben kreiſchend
grunzenden Stimme. „Und Ihr nennt das Zeitver⸗
treib, was wir tauſend und abermal tauſendmale ge-
— 53 —
ſehen haben? Ein Holländer könnte auswachſen wie
feine Zwiebel. Beim Barte des Propheten!“ rief er
heftiger. „Vezier, jo wir heute feinen Schlaf, und
morgen feinen Appetit haben, jo haft Du die Schnur,
und Deine Almas ſtecken auf Pfählen.“
Der Vezier ftand ſprachlos ob diefer Drohung, der
Emir mit weit aufgefperrtem Munde, die Tänzer und
Tänzerinnen wie angezaubert feft gebannt in derfelben
Stellung, in der fie waren, als die Donnerworte
gefprochen wurden; Eine der Bajaderen hielt ihr Füß⸗
chen in wagrechter Lage, ſo daß die Zehenſpitze i in
den offenen Mund ihres Tänzers zu ruhen Fam; eine
Zweite hatte in der Verzweiflung den ihrigen in der
Falte des Gewandes des Emirs verloren, der, vor
Schmerz aufs und abrennend, fie nun auf dem ihr noch
gebliebenen Fuße mittanzen ließ; Alle drückten Schrecken
und Entjegen fo unvergleichlich natürlich aus, daß
der Kalif auf einmal ind lauteſte Gelächter ausbrach.
„Beim Barte des Propheten!“ rief er mit demſelben
widerlichen Gelächter: „Wir haben große Luft Dir den
Kopf, Vezir, wirklich abſchlagen zu laſſen, um diefe
Scene nochmals, und mo möglich in verftärkter Natür-
Yichkeit, zu genießen.“
Der Virey. 1. 5
u Pen: Ss 43 —
„Allah Akhar!““ *) tiefen Vezier ur d ( n
ng und Tänzerinnen. Und Alle brach
Lobpreiſungen der Gnade Allahs aus, der große
Wunder durch feine Sklaven gethan, und ein te Lad hen
hervorgebracht, das die Hoheit erquickt hatte. A
Dieſer einftimmige Beweis von — er
fehlen dem Kalifen wohlgefällig zu ſeyn &r nickte,
und der Emir, durch dieſes Beifalls chen aufge⸗
muntert, wagte es näher zu treten.
„Wir wollten nur unmaßgeblich;⸗ hob er an
„Beim Barte des Propheten! unterbrach, ihn der
Kalif: „Wir wiſſen, was Du ſagen willſt Wir
brauchen den Vezier, ſo wie wir Blutigel brauchen,
um angeſetzt zu werden, wo überreiches oder verdor⸗
benes Blut vorhanden. Ich habe gedroht, Einem die⸗ k
fer unnüßen Tänzer — — Was meinft Du, ers |
würde fie Springen machen ?«
„Verzeihung, Hoheit! würde fie ſicherlich erlahmen;
vielmehr einem Schwein aus dem ge: Volk ge⸗
nannt, — — A
„Ober Einem, der Zechinen befigt;“ ſchaltete der
*) Gott ift grof.
— —
— 55 —
Bu ein: "Die Schatzkammer Deiner Hoheit iſt
ſehr leer, und dieſe Almas ſind arm wie Kirchen⸗
mäuſe der Giaours, und nützliche Diener des Staates.“
„Beim Barte des Propheten, Du ſagſt recht, ſie
ſind nützliche Diener des Staats;“ bekräftigte der
Kalif, ſeinen Unterleib ſtreichend, „und ſie mögen y>
unferer Hulden und Gnaden verſichert ſeyn. Laſſe
alſo einem paar Dutzend aus einem der Beſeſtans die
Köpfe abſchlagen, und ihre Zechinen dieſen armen
Teufeln zur Hälfte zu Theil werden.“
Ein leiſes Tappen an der Thüre ſchien —
um Einlaß zu bitten. Der Vezier hatte ſie geöffnet,
und kam mit der Nachricht zurück, daß der Ober⸗
Emir die Gnade einer Audienz begehre.
„Wieder Regierungsſorgen, und nichts: als Re—
gierungsforgenzu brummte der Kalif, und ließ das
Haupt ſinken wie zur Ueberlegung; dann hob er es
mürriſch und ſprach: „Es ſey, wir wollen den geiſt⸗
lichen Oberhirten unferes Neiches empfangen. Ent-
fernt Euch ſchnell und tretet ab; denn nicht geziemt
es fih, daf wir den Ausleger des Korans in derlei
fleifchlicher Gefellfehaft empfangen.“
Tänzer und Muftker traten nun in den Sinter-
5*
— 56 ⸗—
grund, fehoben die Kavaliere gleichfalls in dieſen zu⸗
rück, und erwarteten mit gefalteten Händen den Ober⸗
Emir, der gleich darauf geſenkten Hauptes herein kam
und, nachdem er vor den Kalifen getreten, mit ae
Gefichte den Teppich berührte.
„Entledige Did) Deiner Worte, maßen wir fo eben
in Hohen Regierungsangelegenheiten begriffen gewe—
fen; auch der Zuftand diefes unferes Leibes — u
„Bismallah !‘“ *) fprach der hohe Priefter zum Höch-
ften der Moslemin: „Wir Haben Gebete ausgefchrieen,
ausrufen laſſen von allen Tempelzinnen; befohlen,
daß die Gläubigen fih mit Staub beftreuen. Mir
haben Männer aufgenommen, die heilige Wallfahrt
zu thun, und den fehwarzen Stein von Ararat zu
füfjen, um diefes- körperliche Vebelbefinden Deiner
Hoheit — u
„Du haft wohlgethan, Ober-Emir;“ ſprach der
Kalif.
„Licht der Welt, das mehr denn die Sonne dur
feinen Glanz erhellt,“ fuhr der Ober-Emir fort, „wir
haben auch in Anbetracht des großen Uebels, das
*) Im Namen des Herr. Anfangsworte der Kapitel des
Korans.
— 37 ⸗—
dem Reiche erwachjen mürde durch Diefes Uebelbefinden
Deines Leibes, in dem Buche, das uns ftatt aller
Weisheit der Giaours dient, nachgeſchlagen, und
darinnen gefunden, daß Harun al Rashid von einem
ähnlichen Vebelbefinden heimgefucht ward, welches
Uebelbefinden er fich ohne Zweifel durch übermäßige
Anftvengung in Erfüllung feiner Serrfcherpflichten
zugezogen — 4
n Halte ein, Ober⸗Emir!⸗ donnerte ihm der Kalif
zu: „Halte ein, und wäge Deine Worte, bevor Du
redeſt. Herrſcherpflichten ſagſt Du? Herrſcherpflich—
ten? Wer hat Pflichten? Gewürm, ſolches wie Du,
das wir aus dem Staube gehoben haben, bat Pflich—
ten; wir aber haben weder mit folchem Gewürm, noch
mit Pflichten etwas ‚zu thun; wir, der Vikar des
Propheten. Unfer Vergnügen ift Euere Micht, und
unſer Wille iſt Euer Gebot.“ |
„Ohne Zweifel, ohne Zweifel, Licht der Wert!«
verbeſſerte fich der Ober⸗Emir. „Dein unteriwürfiger
Sklave wollte jagen, Vergnügen. Wohl, als Harun
al Rashid fich in ähnlichen Betrübniffen befand,
"welche er fich zweifelhaft zugezogen durch übermäßige
Anftrengungen in Vergnügungen — — 4
$ —
= Nail
— J * a
A
x SE.
Sklave,⸗ brach her Kalif BIENEN ſpot
—— unſer, ſagend, daß Harun al Ras id, a nf
glorreicher Vorfahr, ſich übernommen F Habe in Ver⸗
gnügungen, fo darauf anfpielend, daß u ung Ä
übernommen haben? Werfen wir unsnicht täglich
neunmal Neunmale, das Angeſicht gegen Mekka ge⸗
kehrt, zur Erde? Haben wir nicht noch geſtern an
zwaänzigmal unſern Namen unterſchrieben, verdam—
mend diejenigen ungläubigen, räudigen Hunde zum
Tode, die gottesläſterlich von ung, dem Vikar des
Propheten, geſprochen, und im Quartier
gegen unſere geheiligte Perſon geläſtert hab 1,
— was fagten die Hunde? — Haben wir nicht Be⸗
fehl ertheilt zu hüngen, zu ſpießen, zu vertilgen wie
ſchäblicheg Gewürm alle Diejenigen, die da zweifeln,
bebenten "der überhaupt denken? Haben wir nicht
dieſen Befehl überall verkünden Yaffen zu des Pro-
pheten und unſeres eigenen Namens größerer Ehre?“ |
Der Kalif hielt inne. Auf einmal wandte er fich zum
mir: „Und nun fage an, was Harun al Rashid,
unfer glorreicher Vorfahr, gethan, wenn er von Trüb-
jalen, gleich ung, heimgefucht worden!“ Be
„Bismallah !““ begann der Priefter: „Wenn Harım
al — betrübt rs in — Art, wie es Deine
Hoheit iſt, ſo hat er mit dem Buche, welches wir mit
uns gebracht und aus dem, wenn es Deiner a
beliebt, Du erjehen kannſt und ſelbſt fejen - — ——
„Wicht, elender Wicht!⸗ brauste der Kalif wieder |
auf, und warf einen Blid der tiefften Verachtung
auf, den Sprecher und fein Buch: „Warum halten
wir Dich und Deines Gleichen, wenn es nicht iſt,
Dasjenige für uns zu thun, was ſelbſt zu thun unter
unſerer Würde wäre? und iſt Leſen von Büchern
nicht. unter unſerer Würde? und enthalten Bücher
nicht die Geſinnungen von Böſewichtern, da ſie über
Dinge reden, welche ſie nichts angehen, und die auf
alle mögliche Weiſe zu vertilgen wir uns vorgenom⸗
men und Befehl gegeben haben! Haben wir nicht
die Seidenjchnur zu reichen befohlen allen Denjenigen,
von welchen verlautet, Daß fie derlei Bücher nicht
bloß fchreiben, fondern nur leſen? Haben wir es
nicht zur Bedingung unſeres Wohlgefallens gemacht
für alle unſere Getreuen, nicht zu leſen, nicht den
Kopf mit Dingen zu beſchweren, die Böſewichter Auf⸗
klärung heißen, und welche nur dazu taugt, ihnen
die Köpfe zu verwirren? Haben wir nicht deßhalb
0
auedrůcllch eine Schar von Müfiggängern an fen
Hof genommen, von denen Du das O er] ya |
‚und die ftatt unferes ganzen, Volkes leſen und denlen
müſſen und ſollen?“ ———
„Und warum ſollte das Licht * — ſrach |
der Oßer-Emir, „Er, den alle Weisheit unter der
Sonne erhellt — — 4 |
Der Kalif fah wohlgefällig auf: „Beim Barte des
Propheten! Du haft, ein wahres Wort gefprochen.
Nebel würde es dem Imaum al Moslemin *) anfte-
hen, zu leſen, und ſich um die Geſinnungen * Ge⸗
danken von Euch Gewürm zu bekümmern. Doch
laſſe uns hören, was unſer glorreicher Vorfahr ge⸗
than, wenn er in einer ähnlichen Betrübniß geweſen.“
Der Ober-Emir, der auf den Knien gelegen, rich—
tete ſich nun zur Hälfte auf und ſprach: |
„O Dut der Du allen Völkern als Die Wonne der
Seele gegeben bift, wie foll ich meine Bewunderung
hinlänglich ausdrücken, um Deine hohen Gienſhat
ten würdig zu preiſen — — 4
„Halt ein einen Augenblick, Ober-Emir 34 fiel ihm
der Kalif ein. „Du ſollſt und mußt wiſſen, daß uns an
*) Haupt der Gläubigen.
— 1 —
Deinem Preifen und Deiner Erfenntniß unferer guten
und hohen Eigenschaften nichts gelegen it, und daß
Dein Preiſen ftinkt in unferer Nafe und übel klingt hi
in unfern Ohren, und gang und gar werthlos iſt.
Unterwürfigkeit und blinden Gehorſam fordern wir,
das iſt Alles, was wir brauchen. Es geziemt ſich
nicht für ſolches Gewürm, das wir aus dem Staube
gehoben und wieder in den Staub zurückwerfen kön—
nen, zu und aufzublicken, mit dem Vorhaben, unfere
guten Eigenſchaften auszufpähen, bei fothaner Aus-
ſpähung leicht auch — — “ Der Kalif wollte wahr-
feheinlich fagen, unfere böfe Eigenſchaften, — hielt
aber inne. \
„Du ſollſt,“ fuhr er fich verbeffernd fort, „zu ung
aufblicken, wie Du zur Sonne aufbliekeft, in der Du
weder Gutes noch Böſes, Schädfiches noch Unſchäd⸗
liches ſiehſt, die Du nur fühlſt in ihren Wirkungen,
Segnungen, Zerſtörungen; fo ſollſt Du zu uns empor⸗
blicken. Und nun fahre fort uns zu ſagen, was Harun
al Rashid gethan, wenn er in ſolchen Trübſalen
| befangen, in welchen wir gegenwärtig find. «
„Allah Akbar! Harun al Rashid, wenn behaftet
mit dem Hebel, über das Deine Hoheit klagt, hatte
en
die Gewohnheit, ſich in allerlei T
den, als da find die der Kaufe
‚Seeleute ı EI SR |
„air wiffen, “fiel ihm der Kau ein, „und ob⸗
wohl wir fehr geneigt find, unferm ghorreichen 9 Vor⸗
fahren in Allem nachzuahmen, wenn dieſes zu
viel Anftrengung unfern Geiſt und Körper a fügt,
jo zweifeln wir doc, ob hegenwärng En —
Wiſſe, A fuhr er, in einem leiſern Tone fort, „daß
zwar Harun al Rashid unſer Borfaße, daß aber
unfer hochherrliches Blut, Dank jey es der Duint-
effenz unferer Borfahren, immer reiner, geiftiger, —
ſelbſt als das Haruns al Rashid, geworden. Wir
können uns daher unmöglich herablaſſen, Harun al
Rashid nachzuahmen in dieſem Punkte. Wie,“ hob
er wieder an, „wir ſollten uns herablaſſen, unter
die ſchweiniſchen Kaufen, Volk genannt, und. zu |
mengen, und unfere Geruchönerven durch ihren Ziwie-
bel⸗ und Knoblauchgeſtank beleidigen — dieſes
Aggregat von Unflat!“
„Aber um Deine Hoheit zur Duinteffeng, alle Ri
Defien, was rein geiftig und Hoch ift, zu machen,
muß da das Volk, oder wie wir es nennen, der
— 63 —
RE nicht Aggregat des Unflats wer⸗
den? Steht es nicht im Koran, daß der Menſch einen
Funfen des göttlichen Geiftes habe? aber fteht 8
nicht auch im dem Buche, in dem die Erfahrungen
Harun al Rashid aufgezeichnet find, daß der Führer
der. Gläubigen, der Vikar des Propheten, die Funken.
wie in eine Sonne ſammele?“
Wahr ſprichſt Du;“ verfeßte der Kalifz „wir
haben alles Geiſtige und alle Materie aus unſerm
Volke * ausgeſogen, und zur Quinteſſenz in uns
ſelbſt umgewandelt, daß unfer Volk nun ganz und
gar Schweine find.“
„Zi Ullah'“ rief der Ober⸗Emir, deſſen Blicke
ſich zur Thüre wandten.
„Und nicht nur deßhalb,“ fuhr * Kalif fort, der
ſich durch dieſe Bewegung nicht ſtören ließ, „fondern
auch weil uns unſer Bruder auf dieſes Schloß, das
Einem ſeiner erleuchtetſten Getreuen gehört, verſetzt,
und uns mit aller Fürſorge umgeben, können wir dem
Beiſpiel Harun al Rashid nicht Folge leiſten.“
„Es wundert mich doch,“ flüſterte der Emir in der
Ecke dem Vezier zu, „daß die Hoheit, die, unter uns ge—
ſagt, die lügenhafteſte Hoheit iſt, die je über die Gläu⸗
BE a: SE he VL, 2. Ye
— 64 e
bigen geherrſcht, ſolchen Abſcheu vor den ſchweiniſchen
Haufen hat, ſie, die ſich mit allen liederlichen Dirnen
in den Straßenwinkeln und an Brunnenecken ——*
gewälzt.“
„Hush!“ warnte der Emir, Du, Dein
Genick jey von ir fennft Du die Launen eines
Kalifen ſo wenig — — “
„Nein,“ beſchloß der Kalif, „wir wollen ein dem |
Bropheten mwohlgefülligeres Werk thun, und zwar
wollen wir beginnen, mit eignen Händen das zwölfte
Unterröckchen für die Mutter deffelben zu Tage zu
fördern, auf daß fie mit jedem Monate wechjeln kann.“
Schon mehrere Male war an den Flügelthüren
des Haupteinganges zum Saale ein Geflüfter zu hören
geweſen, das die Anmwefenheit von Horchern verrieth:
ein Umftand, der die Hälfe der kecken Repräfentanten
des Kalifats in Gefahr bringen Eonnte. Ohne fich jedoch
durch Diefe Anzeichen von Spürhunden ftören zu Taf
jen, hatten die Moslemins fortgefahren ihre Rollen zu
fpielen, und der Kalif erhob fich mit all der Würde und
ftoifchen Hoheit eines morgenländifchen Beherrfchers,
jeinen beiſtehenden Dienern nochmals verfündend,
wie er Großes thun, und das zmwölfte Unterröckchen
ie )
65
mit eigener Hand für die Mutter des Bropheten fer=
tigen wolle. So war der Zug zur Thüre gefihritten ;
als Einer der Kavaliere aus dem Erftarren, in wel-
ches Alle diefer merkwürdige Auftritt verſetzt Hatte,
erwachend, plöglich auffprang, dem Kalifen ins Ge—
ficht ftierte, und mit den Worten „Por el amor de
Dios! Fernando el Rey!“*) wieder zurückprallte,
nochmals vorlief und, Halto traidor**) fehreiend, den
Kalifen zu erfafien ſtrebte. Selbit in dieſem gefähr-
lichen Momente vergaß Diefer die angenommene
Würde nicht. Einen Blick hoher Geringſchätzung
warf er auf den Jüngling, und ſchritt dann zu der
Thüre hinaus, während der riefige Emir den Creolen
erfaßte, wie eine. Feder aufhob und, „ihn weit in den
Salon zurückfchleudernd, die Thüre zuwarf.
Noch ftanden die ſämmtlichen Kavaliere in Schrecken
und Staunen verfunfen, als die andern Flügelthüren
krachend aufgerifjen wurden, und mehrere Alguazild
hereinftürzten, wüthende Blicke in dem Saale umher
warfen, und als fie die Gegenftände ihres Suchens
*) Um Ootteswillen! Ferdinand der König.
**), Halt Verräther!
—H 66 8 Be —
nicht ſahen, unter lauten Flüchen ind Verwünſchun—
gen durch die zweite Thüre rannten, dürch welche die
ſeltſamen Akteurs verſchwunden waren/ und weiter
von Saal zu Saal, laut ſchreiend: Tiendo te traid i
Tiendo, tiendo vos traidores. *) Im w ithei
Aundlaufe waren fie wieder in den Saal gefon n m
wo die Edelleute, ſprachlos und bewegungslos noch
immer ſtanden.
„Todos diablos!“*) ſchrie Einer der Be {
zum Fenfter gerannt war: „Sie find inden Patio**)
hinab, acht Varas***) hinab; Demonio!*“F) brülfte
er mit einer Wuth, die ihm den — aus dem
Munde trieb. j
„Und. Ihr, Saballeros !u ++) ſhnaubte er RR
Kavaliere .an, denen diefe Scene nun erft vollends
die Bedeutung der beifbiellos kecken Pasquinade fund
**) Ich halte dich, ich habe euch Verraͤther. a RL, *
*) Alle Teufel! — —
**) Hofraum.
*) Mexrikaniſche Elle. |
+) Teufel! ein etwas gelinderer Fluch als Diablo.
7) Hier wird es im farfaftifchen Sinne gebraucht, ſo wie
dieß häufig der Fall ift.
#
— 7 —
gethan, und die athemlos, bleich und zitternd ſtanden.
„Und Ihr, Caballeros!“ jehrie er mit ‚gellender-
‚Stimme, „bat e8 Euch beliebt, mit dem geheiligten -
Namen der Majeftät Euern Spott zu treiben?“
„Don Battijta, bei unferer Ehre! Wir nö:
nicht, wir wußten nit ne
„Bei unferer- Ehre, donnerte ein zweiter Häſcher,
* „Ihr ſollt es bezahlen, bezahlen mit Euern Köpfen,
Hunde von Greolen. 4
„Don Jago!“ riefen die empörten Kavaliere dro—
hend. „Uuf unſere Ehre — — 4
„Auf unfere Ehre,“ überfchrie fie der Wguazil,
wären wir Birey — — 4
„Was nicht ift, kann ia werden! Ihr feyd ei ge=
borner Gachupin,“ ſchrie Einer der Kavaliere mit
bitterem Spotte. |
„Wir find ein Spanier, und Ihr ſeyd nur elende
Creolen; -elende, elende Ereolen; y basta!‘‘*)..
Seclbſt die Geduld des Schafes Hat ihre Gränzen,
und fo auch die unferer Creolen. Die Kavaliere
ſprangen Alle auf einmal wie rafend auf den Alguazil
*) Und das iſt genug.
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108; doch Diefer hatte den Ausbruch des Sturmes vor⸗ |
geſehen, und war mit Einem Sage zur Thüre hinaus. E
Hunderte von Creolen der Mittelklaffen, Meftigen,
Zambos und Spanier hatten ſich vor | der T | reg
ſammelt, und ſtanden, ohne jedoch für die sine oder
die andere Partei auch nur ein Wort zu —*
Unſere Kavaliere ſelbſt ſtarrten ſich noch —
an, und dann, als entſetzten ſie ſich vor
Geſtalten, verſchwanden ſie haſtig —* ale Am
„Da gehen fte, die glorreihen Sprößlinge des
verdorbenften Blutes, das in Mexiko rinnt, fünf oder
ſechs ausgenommen,“ flüſterte zwei Minuten nach
dieſem Auftritte derſelbe Pedrillo, den wir der Rollen —
ſo viele ſpielen geſehen haben, und der, bereits wieder
ins Unkenntliche — vor dem Thore des
Hotels ftand. —
„Thut mit dieſem adelichen Blute,“ fuhr er brum⸗
mend fort, „was Ihr wollt, kitzelt ſie, wie Ihr wollt;
wenn. es nicht eine Tänzerin ift, fo Hilft Alles nicht."
„Bit Du des Teufels!“ entgegnete ihm fein Ge⸗
fährte, „Dich da herzuſtellen, kaum zwei Minuten nach⸗
a vi we. Per
\ : 7
«
— 69 —
dem Du der Nobilitad *) und den Alguazils eine
forche Nafe gedreht? Bei meiner Seele, ich jehe Dich
noch, ehe das Jahr um vier Wochen Alter ift, auf
der Veracruz⸗ Esplanade **) dem Verdugo zum Ka-
ballito dienen. ***)
„Pah! Eure Alguazils, elende Kerls! zu Inqui—
ſitions⸗Famillars 7) gut genug; aber zur höhern
Spionerie — ja, wären e8 Franzoſen, das find Dir
Kerls! In Kuba kannſt Du ihrer fehen; aber dieſe
Spanier müſſen erft ein Vierteljahrhundert ‚abgerich-
tet werden. Wollen auf die Plazza. Iſt hohe Zeit.“
Und mit diefen Worten fehritten die Beiden recht
gemächtich der Plazza ee Tr) zu. 3
*) Hoher Adel. | *
*) Der Richtplatß von Mexikoo.
+) Dem Verdugo zum Kaballito dienen. Verdugo iſt der
Henker, Kaballito das Pfervchen ; in Mexiko werden jene.Berg-
‘ Teute fo geheißen, auf deren mit Sätteln verfehenen Rücken
Mineros und Sotomineros (Beamte) die Schachte hinab-
und auffteigen. Da nun bei den Hinrichtungen in Meriko
der Scharfrichter fih dem Gehängten auf die Schulter fegt
fo ift das Sprichwort „dem Verdugo zum Kaballito dienen“
mit „gehängt werden“ gleichbedeutend. u.
+) Ein Häfcher, Spion. *
jr) Der Hauptplatz von Mexiko, den der Palaſt des Viee⸗
königs und die Kathedrale mit andern Prachtgebäuden zieren
Der Virey. I. 6
— 0 —
Zum mindeften bie Strafe J Be
Erfahren, obgleich du nur —— |
Pania. . . Niehab ich vein Geheiß
Mit größ’rer Luft erfüllt, als jeßt.. .
Byron. “
Meriko ift eine jener Städte, ‚die weniger du j e
Pracht und Menge ihrer. Batäfte und öffenllichen
Denkmäler, als durch ihre Lage, dem Blicke des ſie
Betretenden imponiren und u— werden.
Dieſe Lage ſelbſt hat wieder, an ſich genommen, fehr
wenig Vortheilhaftes; ein bizarrer Geſchmack und
. eine eigenfinnige Laune hat den Regierungsſitz eines
ungeheuern Reiches, jo ganz allen Regeln einer wei⸗
fen Politik und ſelbſt des gefunden Menſchenverſtandes
entgegen, jo vorſätzlich in einen Sumpfboden und in
die Nähe mehrerer gefährlicher Seen hineingezwängt,
um abgefchloffen von aller Wert alljährlich der Ge-
fahr einer Ueberſchwemmung und früher oder fpäter
der Zerftörung preisgegeben zu werden, daß nur der
unbefchreibliche Heiz der Umgebungen mit diefen grel-
len Uebelftänden einigermaßen verföhnen fann. Wirf-
z
— 71 —
lich übertreffen aber dieſe Umgebungen auch Alles,
was an Grandioſem je geſehen oder gedacht werden
mag. Es erhebt ſich nämlich die Stadt, nördlich vom
See Chaleo und weſtlich vom Tezcuco — und den
obern Seen, in Form eines Parallelogrames, das
von geradlinigen Straßen durchſchnitten wird. Die
Häufer diefer Straßen würden wir. niedrig nennen,
da fie fich nicht haufig über. ein Stockwerk erheben ;
aber diefer einförmige Anblick wird reichlich ſowohl
durch ihre Farbenmannigfaltigkeit, ihre glänzend⸗
geſchmackvollen Balkone, die prachtvollen Blumen-
garten auf den Terrafiendächern, vorzüglich aber durch
die Großartigkeit der vielen Regierungspaläſte and
öffentlichen Gebäude und zahlreichen Kirchen gehoben,
und fo der Eindruck der, Regelmäßigkeit und Einfach—
heit in's Impoſante geſteigert. Was jedoch Mexiko
den Vorrang vor jeder andern Binnenland-Hauptftadt
zufichert, find ihre einzig prachtvollen Umgebungen,
oder vielmehr Gontrafte. Die großen Waſſermaſſen
der fünf Seen, die diefe Stadt im Süden, Often und
Norden umglänzen, die herrlichen Sruchtgärten, mit
allen europäifchen und tropifchen Früchten und Blu—
men duftend, find nicht malerifcher, als die rauhen,
6*
-n=- |
nadten, von aller Vegetation entblößten Vorphyr⸗
und Baſaltgebirge, die dieſe Stadt in der Entfernung
von fünfzehn bis zwanzig Meilen, und doch ſcheinbar
ſo nahe umgeben, daß das Auge keinen Zwiſchenraum
zwiſchen den Häuſerreihen und den Felſenklüften ſieht.
Die außerordentliche Reinheit der Atmoſphäre wäh—
rend der trockenen Jahreszeit bringt namlich die Fel—
fenketten des Tenochtitlan⸗Thales *) und jelbft Die
entfernteren ſchneebedeckten Rieſenkuppen des Itztac⸗
cihuatl und Popocapetetl **) dem Auge fo nahe, daß
fie allem Gefegen der Optik zu fpotten fiheint, und
einen Contraſt bildet fo prachtvoll exotiſch, daß fich
der Beſchauer in eine neue Welt hineingezaubert
glaubt.
Die Sonne neigte ſich bereits zum — als
die beiden waghalſigen Abenteuerer, ſchlendernd durch
*
*) Die alte Benennung des Thales von Mexiko von den
Tenochken.
**) Die Kuppen dieſer ehemals feuerſpeienden Berge, von
denen der erſte über 15,000, der andere über 17,600 Fuß über
der Meeresfläche ſich erheben, ragen auf allen Seiten über die
das Thal umgebenden Baſaltgebirge hervor.
m
—3-
mehrere Straßen, in der obern San Ngoftinogafje
anlangten, um in die Plazza Mayor einzulenfen. Ein
gewaltiger. Lichtftrom, der die ganze fehnurgerade,
meilenlange Straße plöglich aufhellte, blendete ihre
Augen, indem er die ganze Öftliche Reihe der Häuſer
in taufend phantaftifchen Geftalten vor ihren Blicken
ſchwirren ließ, während die wetliche bereit3 in die
Dämmerung hinübergraute. Die grünen, gelben,
blaßrothen, lichtblauen und wieder al fresco bemal-
ten, oder mit Borzellain überffeideten Häufer fihienen
in den gitternden Strahlen der Abendfonne eben ſo—
wohl zu tanzen, als die bunten Haufen, die laͤrmend
und tobend aus den untern Theilen der Stadt herauf-
fchwärmten; Ströme von Wohlgerüchen, die aus den
taufend Blumenvafen und den Gärten der Dächer ſich
in der Abendluft entwickelten, ſteigerten den Sinnen⸗
rauſch zur Betäubung. Von dem äußerſten Ende der
Strafe her funkelten in der Abendſonne die glänzen—
den Porphyrmaſſen der Gebirge Tenochtitlans her-
über und fchloffen ſich gewiſſermaßen an die Häuſer—
reihen gleich ungeheuern Wällen glühenden Erzes an,
das im Guſſe fortfehwilt. Verne her glänzte der
Itztaccihuatl, mit feinem ſchneebedeckten Haupte einen
*
——
Sttom von Licht über die ungeheuern Por srmaffen
gießend, die zu feinen Füßen liegen. Die: bendfonne
Hatte num dieſen Scheidepunft der Grängberge Tenoch-
titlans berührt und die entzückende Scenerie hervor⸗
gebracht. Die beiden Wanderer ſtanden in ſprach—
loſem Anblicke verloren.
„Carracco!“ rief Pedrillo endlich, und ſeine Bruſt
ſchwoll ſichtlich von jenem tiefen Entzücken, mit dem
der Südländer die herrlichen Naturſcenen ſeines Lan⸗
des fühlt: „Carraco! que bella y hermosa nuestra
Ciudad! el gefe de todo el mundo. Ah, Mexico
por siempre!“ 9
„Ah, que bella y hermosa!“ fhottete fein Ge-
fahrte, indem er auf die zerlumpten Volkshaufen deu-
tete, die, untermengt mit reich gefleideten Männern
und Damen, nun ftärfer und ftärfer in die Plaza
zu ftrömen anfingen, unter Diefen ein zahfeeicher
Schwarm von Indianern, die vom Berarruzthore
herabfamen, und bei deren Erfcheinen unfer Pedrillo
mit den Zähnen knirſchte, und dann, - gleichfam als
wäre er nicht fähig, den eckelhaften Anblick zu er-
*) Alle Teufel! Wie fchön, wie herrlich ift unfere Stadt,
das Haupt der ganzen Melt! Meriko fir immer!
4
— 5
tragen, jeinen Gefährten anfaßte und ihn mit fich der
Plazza zu fortrip.
Der Indianer, deren Anblist unfern Pedrillo fo
ſehr aus feinen Träumen geſchüttelt, mochten einige
Taufend feyn, meiftens alte Männer, Weiber und
Kinder. Ihr troftlofes Wefen verrieth herbe Drang—
fale, gänzliche Ermattung und eine Yange, mühevolle
Manderung, Die Weiber hatten wenig mehr am
Leibe, ald Feen von ſchwarzen, groben Wolldecken,
in deren Löcher ſie die Köpfe gefteckt hatten, fo daß
die Nefte flackernd um ihre haͤßlichen, nackten, ver-
dorrten Leiber hingen. Auf ihren Rüden hockten die
Säuglinge, während die ertachfeneren Kinder ganz
nackt neben den Müttern einher Viefen und fih an
ihren Lumpen fefthielten. Die Männer hatten Beben
von Magueyleinwand *) oder auch, jogenannte Pa—
nos **) um ihre, Lenden, ſonſt aber Feine Kleidung,
*) Magueyleinwand wird von den beiden Species ver
Quetzlotichtli- Aloe gewoben. Bei Zubereitung der Fäden ver-
führt man wie beim Hanf oder Flache. Die Blätter werden
ins Wafler gelegt, in der Sonne getrocknet und dann ge—
brochen.
**) Ein grober Zeug, in Zacateras verfertigt.
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* * v2
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— 6 — »
und ihre firaff über die Geſichter herabhängenden
Haare gaben ihnen einen ungemein verſtört ⸗
lichen Ausdruck. Kaum daß ſie mehr aufeeät; zu leben
vermochte, ftolperten fie der Plazza zu, gleich einer
Heerde übertriebenen Viehes; nur ihre düſter und
tückiſch umherſchielenden Blicke verriethen noch jene
Ungebeugtheit und jenen tief verſteckten indianiſchen
Grimm, den weder körperliche noch geiſtige Leiden
ganz zu überwältigen vermögen. Als ſie auf dem
Platze angekommen waren, lagerten fie ſich — ein
elender und beinahe ſcheußlicher Knäuel. Ein düſteres |
Gemurn sl ausgenommen, war Fein Laut von ihnen
zu hören, und die prachtwollen Kirchen und Paläſte
de3 herrlichen Plages waren nicht im Stande, ihnen
auch nur einen Blick abzugewinnen. Die Haufen
Leperos, Meſtizen, Mulatten und Creolen, die ſchwär—
mend auf⸗ und niederwogten, hatten ſich ſcheu vor
dem unſäglichen Elende der Schaar zurückgezogen, die,
einem Schwarme Heuſchrecken nicht unähnlich, eben
ſo unerwartet eingefallen, und gleich dieſem bereits
Spuren ihres eckelhaften Daſeyns in den vergiftenden
Ausdünſtungen und Unrathe zurückzulaſſen begannen.
Die Glocken von den Thürmen der Domkirche hatten
— 7
ſechs geſchlagen; beim letzten Schlage fielen die Ave—
Maria⸗Glocken der ganzen Stadt ein. Tauſende ent-
blößten ihre Häupter und murmelten ihr Abendgebet,
fo daß der ungeheure Lärm plöglich in eine Grabes-
ftille, und eben fo ſchnell wieder in das lauteſte Tofen
überging. Der letzte Glockenſchlag war noch nicht
ganz verflungen, als auch ein Trupp Uhlanen aus
dem linken Flügel des viceföniglichen Palaſtes hervor
trabte, umd nicht minder mechaniſch inftinftartig an
die Indianer anfprengte, als Diefe gekommen waren.
Ohne einen Laut von ſich zu geben, brachen die Reiter
auf den Knäuel ein, Treibern gleich, die ihre gewich⸗
tigen Knittel auf den Rücken der zoͤgernden Thiere
ſpielen laſſen, und mit einem kaum ſchnellern Er—
folge. Erſt als die Uhlanen in die vorderſten Reihen
eingedrungen waren, fing der Knäuel an ſich zu be—
wegen, doch ſo langſam, daß bereits mehrere Weiber
und Kinder niedergeritten und von den Hufen der
Pferde zertreten waren, ehe ſich die Uebrigen zu regen
anfingen. Nur zuweilen entfuhren dem Haufen ſchnei—
dend heulende Töne, dem Pfeifen des Orkans durch
die Taue und Segelwerke vergleichbar. Kläglich war
es übrigens anzufehen, wie einzelne Weiber die zucken—
—H 78 Ze | |
den Leichname ihrer Kinder unter den Pferdehufen
hervorzerrten, fte mit aufgeriffenen Augen anftierten,
mehr Orang-Outangs in ihrem höchften Schmerze,
als Menſchen Ähnlich, und dann mit Klagelauten,
die wenig von denen diefer Thiere verfchieden 4
in die Straßen einbrachen. m
Das Ganze bot ein feltfames Schaufpiel dar. Wie
vom Winde hergeblafen, waren die Indianer erſchie—
nen, und mit nicht minderer Schnelligkeit hatte die
unfichtbare Gewalt ihre Werkzeuge herbeigeführt, fie
wieder zu.vertreiben. Die übrigen Volkshaufen waren
in jener Gefühltofigkeit ftehen geblieben, welche Men ⸗
ſchen eigenthümlich iſt, die an derlei Scenen gewohnt |
find. Nur Wenige hatten fich in die noch immer offene
Kathedral⸗ und San. Brancescofirche geflüchtet, aus
denen fie, nachdem die Ruhe hergeftellt, wieder zum
Vorſchein kamen. | Ey
— —— —— —
„Was Teufel hat das zu bedeuten?“ fragte unſer |
Pedrillo, der, fein Cigarro rauchend, ganz gemüth-
lich der unmenfehlichen Treibjagd zugeſehen hatte.
— 79
„Sure Gachupins find doch ſonſt, was man fagt,
väterlich gefinnt gegen die gente irrazionale?« *)
„Sp, jo," verfebte Pedro; „doch Dieje da haben
etwas auf der Kreide, wie Du fo eben hören magſt.“
Bin Alguazil ſchrie eine Urt Proffamation der
Menge vor, die er zur Ruhe aufforderte.
„Ruhe! Ruhe! Volk von Mexiko!“ rief der Beamte;
Ruhe, welche da iſt des Mexikaners erſte Prlicht,
und Eure beſonders, die Ihr unter dem Schutze des
Auges Sr. katholiſchen Majeſtät ſteht, welches da
iſt unſer allergnädigſter Herr, der Virey, der beſchützt,
und ſieht, und bewacht die Ruheliebenden, und ver—
dirbt die Gottloſen und Widerſpenſtigen mit Feuer
und Schwert, fo wie Ihr an den Gavecillas von Zi—
tacuaro **) gefehen habt. Die Gerechtigkeit verfolgt
*) Unvernünftiges Bolf wurden und werden die Indianer
- noch immer von den weißen Merifanern geheißen.
**) Die Spanische Negierung nannte und behandelte durch—
gängig die Infurgenten nie anders, als wie den niebrigften
Pöbel, gavilla oder gavecillas. Zitacuaro liegt 40 Stunden
weftlich von Mexiko und wurde vom jpanifchen General Porlier
eingenommen, dem Boden gleich gemacht, die Einwohner
vertilgt oder vertrieben, und der Sit der Regierung nach)
Marabativ verlegt, weil da eine Infurgenten-Regierungsjunta
von D. Raynon gebildet worden und die Einwohner Wider-
ftand geleiftet hatten.
— 0 —
die Ruheſtörer, wo fie fich zeigen. Viva Su Mages-
tad Fernando VII. y el Excellentissimb Senor,
nuestro Virey! Viva! Viva!“ *
Einige Spanier verfuchten das Viva nadhguei
ſchen, wurden jedoch von einem tobenden Muera l
übertäubt, das tauſend Kehlen zugleich brüllten. Die
Öffentliche Stimmung fing an, ſich ſchnell für die un-
glücklichen Einwohner von Zitacuaro zu erklären.
„Arme Teufel!“ ſchrie Einer, wich glaube, diefe
Gente irrazionale wären genug beftraft worden, als
der Obermeßger ihre Stadt niederbrannte, ihre? efber
verwäüftete, ihre Baume umbieb, die Männer alle
fehlachtete und die Weiber und Kinder mit einem
Zettel wegſchickte. Mit dem können ſie ſich wärmen
ſtatt der Wolldecke.“ x
„Man jagt fie von Zitacuaro,“ ſchrie ein Zweiter,
nach Guanaxuato, von Guanaruato nach Vallado—
+
Id, von Valladolid nach Puebla, von Puebla nach
Sombrerete. Uberall dezimirt man ſie, und ſo be—
kommt man Ruhe; das iſt Euer Indulto.“**)
*) Es lebe Ce. Majeftät Ferdinand VII. und Se. Ex⸗
cellenz unſer gnädiger Vicekönig! Er lebe hoch! NN
**) Amneſtie.
En EEE, F
— 81 —
„In Guanaruato,“ brülfte ein Dritter, „haben
fie Ruhe auf einmal gemacht; vierzgehntaufend Män-
ner, Weiber und Mädchen und Kinder an einem Tage
gefchlachtet. Das. muß ein Treffen für die Gallinazos
und Coyotes gemwefen ſeyn!“
Doch als wollte die unfichtbare Macht, die jo eben
dieſen gräßlichen Beleg ihrer unbegrängt ſchrecklichen
Gewalt der Menge geliefert, dieſe feinen Augenblic
zu gefährlichen Nachdenken kommen Laffen eröffnete
ſich fofort eine neue Scene. "Die Uhlanenhatten ſich
nämlich kaum an den verfchiedenen Zugängen der
Plazza und des vieeföniglichen Palaſtes aufgeftellt, als
ſich die Thore des letztern öffneten, und ein Zug von
Männern herausfihritt, der die allgemeine Aufmerf-
famfeit mit einemmale feffelte.
Es waren ihrer vierundzwangig; ihrem Aeußern
nach zu ſchließen Zwittergeſchöpfe, zwifchen Leibgar—
diften und Hausdienern die Mitte haltend. Sie hatten
gewaltige, aufgeftülpte Hüte, reich mit Goldtreſſen
beſetzt und einem ſilbernen Schilde verſehen, ein golde—
nes Kaſtell mit drei Thürmen im rothen, und einem
gekrönten Löwen im ſilbernen Felde. Ihre Uniformen
beſtanden aus einer rothen Jacke, mit einer Menge
— 2
filberner Knöpfe beſetzt, eben folchen Beinkleidern,
gleichfalls mit Goldtreſſen und ſilbernen Knöpfen
längs den Hüften bis zu den Knieen verziert; ihre
Bottinas oder Kamafchen, von braunem Leder, waren
hinten offen. Als Waffen hatten fie einen kurzen
Degen und einen langen Spieß oder Hellebarde. Die
Uniform ihres Anführerd unterfihied ſich bloß Durch
größere Feinheit und -reichere Verzierung. Statt der
Hellebarde trug er einen Commandoftab mit goldenen
Knopfe, dem eines Regimentstambours nicht unähn-
lich; auch fein Marſch glich dem eines ſolchen Würde-
trägers, indem er, den rechten Fuß ſchnell vorwer⸗
fend, die Zehe einen Augenblick balancirte, und
dann eben fo gravitätiſch den linken nachfandte. Diefe
Bewegung, von der größten Hälfte der Truppe nach—
geahmt, verurfachte unter der gaffenden Menge ein
lautes Gelächter. ° .
„Elende Rebellen! Pöbel, den die Hölle bald ve
ſchlingen möge!“ brummte der Gapitain der vice⸗
Eöniglichen Leibgarde oder Mabardieros; denn nicht
geringer war die Charge des Anführers dieſer vier-
undzwanzig Trabanten, der, ohne die Lachenden eines
Blickes zu würdigen, ſo weit vorſchritt, bis er ſich
—) 83 —
beinahe der Neiterftatue Karls IV. mitten auf dem
Plage genähert hatte. Das Gelächter war immer
ftärfer geworden; vergebens, daß einige Spanier,
deren Faftilianifcher Stolz fich durch den wirklich lächer⸗
lichen Aufmarsch gekränkt fühlte, dem einher traben-
den Gapitain zuriefen; er marſchirte fort, gefolgt von
feinen Truppen, deren eine Hälfte im militärifchen
Schritte nachkam, während die Andern, Truthühnern
gleich, die gedrechfelten a ihres Befehls⸗
habers nachäfften.
„Misericordia! madre de Dis!“ rief er auf ein=
mal, als er, vor der Statue ſchwenkend, den Marjch
der Kleinen Truppe in feiner ganzen lächerlichen Gra—
vität überſah. „Por el amor! Hat jemals ein Ca-
pitano de los Alabardieros de su Excellenza el
Virey graciosissimo de Nueva Espana — hat jemals
ein Gapitain der Hellebardiere Sr. Ercellenz des aller=
gnädigften Vicekönigs von Neufpanien fo etwas ge—
fehen? Senores, por el amor de Dios! Meine ‚gnä-
digen Herren, um der Liebe Gottes willen! Wenn
Sie nun Se. Ercellenz unfer Allergnädigiter, oder
Se. Ereellenz unfer Allfertapferftier — — Alle
Teufel! Wer hat Euch geheißen, den Parademarſch
a
—) #5
Eures Capitains nachzuahmen?
Heilige Jungfrau! da habt Se es,
Dragones 9 den —
der © Abenden Uber das waren a (
jeßt ift e8 ein bloßer Schatten. Dama
unſere Reglamentos +) vier Wochen vor | je
manos. Geſtern wurden mir die O are
und zehn ſolcher Schlingel, und jet tet
Folgen “ #
„Mexiko Kümmert ſich einen Teufel um 16 und
Sure Trabanten, fehr ehrenfefter- Herr,u tief ‚eine |
Stimme ang dem air „Wünſcht Curen —
— 55* a 4
2 J er y
*) Dragoner. * a
**) Buchftäblich Handkuß, wusbeir die Hoftat And Soirbe
des ſpaniſch königlichen und mexikaniſch vice iglichen
genannt, weil an dieſen der hohe Adel, die Beintihtei
Deamten zum Handkuſſe zugeläffen wurden. _ ——
++, Anſtand, Artigkeit. —
7) Reglement Verhaltungsbefehl ST.
— 8
gones Glück zu ihrem — Feldzuge; ; ihre Ka⸗
meraden würden viel darum geben, wären fie hier.
Der Capitän der Leibtrabanten warf einem ftolgen,
finftern Blick auf den Sprecher, ſchüttelte das Haupt
und marjehirte in einem weniger gezierten Schritte
dem Portale des Palaſtes zu, vor welchem ex feine
Leute zwei Mann hoch aufmarſchiren ließ, und dann,
feinen Commandojtab ſchwenkend, J a
befehl von fich gab:
„Vigilaneia amigos! Habt Acht, Freunde; das
ift num der fünfgehnte Beſamanos-Tag, den unfer
allergnä ädigſter Herr und Gebieter ſeit achtzehn Mo—
naten hält, und es ift Eure verfluchte Pflicht und
Schuldigkeit, Vigilancia an den Tag zu legen. Vi-
gilancia ſage ich! hört Ihr? Vigilaneia! denn die
Gavecilla ift Heute to, und vor ihrem Lärm kann
man fein eigenes Wort nicht verftehen. Vigilancia
denn! Wenn der Arzobispo *) kommt, fo wißt Ihr,
was zu thun; wenn Se. Excellenz, der Allertapferfte,
der Sieger von Alculco, von Marfil, von Ealdes
+) Erzbifchof.
Der Virey. J. 7
ron *) — obwohl Diefer eigentlich den Alabardierss
nichts zu befehlen hat; da er aber die Gayecillas mit
der Jungfrau und aller Heiligen Sm in bie Sölte
gefandt, — fo wird ihm Fein rechtglaubig er Spanie
die Honra **) verſagen. Mit Einem Worte / och⸗
dieſelben werden empfangen wie Höchſtdieſelben der
Virey feldft, Paukenſchlag und Präfentation. Iſt es
ein Oidor, verſtehen Sie, meine Herren! jo wird
präfentirt. Ein Oidor *4*8) iſt aus ſo gutem Fang
Yifchen Geblüte, als Einer, und, mag ſeyn, e e
rer Edelmann als der König fetbft. u Bei *
Worten nahm der Mann den Hut / ab. „Kommt ein
Rath der Junta del Hacienda Real ), ein Intendant,
ein Präfident oder Rath des Conſulado +4), fo wird
*)7 "General Galega, ‚ver für diefen Testen großen Sieg
über Hidalgo in den Grafenjtand erhoben wurde.
**) Die Ehre.
*x*x) Mitglied des höchften Gerichtshofes von Mertfo, Aus
diencia genannt, hatte zugleich die Funktionen eines kontro—
livenden Staatsrathes. Die Vorrechte der Glieder waren jehr
bedeutend, fie durften aber nicht Eingeborene des Landes eier
lichen, auch ‚Feine liegenden Befigungen erwerben.
+) Finanzkammer.
+) Das Handlungstribunal beftand ganz aus Spaniern mit
fehr wenigen Ausnahmen. Es hatte — den Handel
des Landes für ſich.
1 u ie
ee
re —
— 17 -
| 2
‚gleichfalls präſentirt. Iſt es ein Regidor *), ein Al-
kalde **) oder Einer de los Cabildos ***), und ift er
ein Spanier, jo wird gleichfalls präfentirt. Iſt er
ein Criollo, ſo ift er geehrt, zu viel geehrt, wenn Ihr
das Gewehr anzieht. Was nun die Creolen con ti-
tulo de Castilla}) betrifft, jo will es ſich zwar
nicht geziemen, daß geborene Spanier derlei Menſchen
. »&hrenbezeugungen offeriren; allein wir haben Winke
erhalten, verſteht Ihr, Winke, und man hat Urſache
ſie zu ſchonen, obwohl fie im Grunde nicht mehr
Schonung verdienen, als die gente irrazionale, die
unfere tapfern Cameradoes jo eben wie wilde Büffel
von der Plazza gehetzt. Ei, die Criollos! ſie ſind
es, aber — — 4 ! * ,
Die Testen Worte verſchluckte der Capitano auf
feiner eilfertigen Netirade in das Palaftthor ; denn
wohl fünfzehn Stilette waren, von unfihtbaren Hän—
den gejehleudert, ihm in der einbrechenden Finfternif
auf das Haupt, Bruft und Schenkel geflogen, und
*) Maire.-
**) Alderman, Rathöherr.
**;x) Heißen geiftliche und weltliche Gorporationen, Dom—
Fapitel, Stadträthe.
+) Adelspiplom.
7»
8
bloß die underhältmißmaßige Entfernung ſelbſt bat
fein Leben gerettet. De
‚In feiner wüthenden Promenade meins: des
Thorweges wurde er plötzlich durch ein lautes Lachen
und ein gellendes „Escuchate‘ unterbrochen.
„Escuchate hombres y mugieres de Mexico!‘‘*)
fehrie eine Stimme, die wieder unferem Pedrillo an=
‚gehörte. „Hört, vorzüglich Ihr Creolen, was diefer
Kriegsheld in Friedenszeiten für ein Reglamento
gibt. Die Creolen, fagt er, müſſe man noch einft-
weilen jehonen, Se. Ereellenz, der Virey, habe
Winke zu ihren Gunften fallen laſſen, obwohl fie jo
wenig Schonung verdienen, als Die gente irrazionale,
die von den Lanceros **) jo eben von ber Plaza ge⸗
trieben — u
‚‚Mueran los Gachupinos!‘‘ ***) brülften zwangig,
hundert und dann taufend Stimmen in ang
Chorus.
„Diablo! Hombres de Demonio!“ f) ſchrie der
*), Hört, Ihr Männer und Weiber von Meriko.
**) Lanzenreiter, Uhlanen.
***) Tod den Gachupins (den Spaniern).
7) Teufel, Teufelsmenfchen.
* ee a = P
RT ee en a ee ee
TE
a
a 27 ("A And
” 1
Br Sl
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vH
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— 9 —
Capitain, deſſen panifcher Schrerfen ſich mittlerweile
gelegt hatte. „Que dices!“*) ſchrie er, aus dem Thore
ſpringend. „Uno grito!“ **) Aufruhr, Rebellion!
Bei der heiligen Jungfrau, Aufruhr vor Sonn Naſe
Sr. Excellenz!“ —
Der Spanier der untern Stände hat), bei einer an—
geborenen Gravität und einem ernft trockenen Stolze,
wieder eine Originalität oder vielmehr Simplicität,
die Folge feiner DVereinzelung und Abgeſchiedenheit
von den übrigen Nationen, die den Ausbrüchen feines
Stolzes und Unwillens einen um fo drolligern An—
ſtrich verleiht, al3 feine Sprache unterwürfig und
Enechtifeh, und wieder Hochtrabend und pompös, mit
feinem häufig nicht3 weniger als impofanten Aeußern
im grellſten Widerfpruche fteht. Der grimmige Ca—
pitain daher, weit entfernt das Toben durch fein Ge—
ſchrei zu befchwichtigen, veranlaßte ein um fo lauteres
Gebrülle von Mueran los Gachupinos, das Häufig
von einem fehallenden Gelächter begleitet war, in
welches Teßtere auch der Offizier der vor dem Palaft-
*) Was fagft Du?
**) Aufruf zur Rebellion.
— 0
thore ſtationirten Uhlanen ah Der Zorn
unſeres Helden wandte fih fofort auf die nah
Gegenftand, und mit einer Stimme, Halb erftie
Wuth, fprang er auf den Offizier los; doch ſchneu
ſich wendend ſtand er ſtille, und den Creolen vom
Kopfe zu den Füßen meſſend, murmelte er ein Picaro
Criollo*), und dann, als halte er es unter feiner
Würde, an einen Creolen ein Wort zu — zog
er ſich wieder zurück. *
Viertes Kapitel.
Ein köſtlich Pröbchen wohl von Menſchen! Gut.
Sein Blut wallt auf, und wenn’s ein wenig fleußt,
Kühlt es fein Fieber.
Byron.
„Was meinft Du, wird der Viento de Miftecen **)
lange anhalten?“ fragte eine tiefe Baßſtimme, als das
Gelächter nachgelaffen hatte.
„Lange anhalten!“ erwiederte der Gefragte, ein
*) Elender Greole.
*) Mifterca- Wind, ſüdöſtlicher Wind, der von Oaxaca und
Acapuleo herauf Fommt; er ift trocken und brennend. .
— 1 —
Evangelifta, d. h. Straßenfekretär, nach der Feder zu
fehließen, die in der Dunkelheit noch hinter feinen Oh—
ren ſteckend zu erjehen war, und dem offenen Wamfe,
in dem eine Nolle Bapier logirte, und darunter das
Tintenfaß, ein Baummwollenflöcfchen in Tinte getaucht
das.an einem, Orte beherbergt war, wo es vermuth=
lich Fein rechtgläubiger Nichtmerifaner gefucht haben
dürfte, im Nabelloche nämlich. „Lange anhalten? «
wiederholte der Straßenfefretär, „das weiß ich nicht.“
„Sp will ich es Dir jagen ;“ fiel Pedrillo ein, „juft
jo lange, bis der Chalco und Tezcuco *) trocken ge=
Vegt und wieder angefüllt werden. «
„Der Tezeuco trocken gelegt und wieder ——
Amigo?u**) verſetzte der Evangeliſt. „Hör, das
geht über meine Vernunft.“
„Glaubs gerne, mein Gnädiger;“ erwiederte Pe—
drillo, „trocken gelegt und wieder angefüllt, ſage ich.
Weißt Du nicht, Haß der Viento de Miſtecca juſt fo
dürr, verdorrt, verdorrend und verjengend ankömmt,
wie unſere dürren hungrigen Gachupinos, wenn fie
*) Die Meriko zunächit gelegenen Seeen, von denen der
eine füßes, der andere falziges Wafler hat.
*) Freund.
an "
aus der Madre Patria Serüßertommen; { aß er
zur, Aber laßt⸗ wie — armen Nexiko, mit
deffen Blute ſie ſich m äften? Ei, der Viento de Mi⸗
ſtecea wird ihnen zur Ader laſſen. * sa
kommen!⸗ u
„Bravo! Bravo!‘ riefen die Unfiefenten: aa
cuomo uno libro selado!“ *) —
„Was ſagt der Hund von einem Zambor⸗ rief
nun ein Mann mit hohem ſpitzigen Hute, auf dem
eine blütrothe Kokarde prangte. „Was fagt Er?u
fehrie der Häfcher der Polizei, indem er ftch dem Haus
fen zugudrängen fuchte, und mit feinem Amtsſtabe
links und recht3 drein ſchlug.
„Der Viento de Miſtecca ift gut zur Aderlaß,“
wiederholte der kühne Pedrillo. „Möge er bad
kommen!“
„Halt! halt!“ rief nun der Alguazil, der aus
Leibeskräften ſich Bahn zu machen bemühte. Die
dichte Volksmaſſe hatte jedoch fehnell einen undurch—
dringlichen Phalanx gebildet, der Sprecher ſelbſt ſich
geduckt, und in der einbrechenden Finfterniß unficht-
*) Er fpricht wie ein geftempeltes Buch, ein Kalender.
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er — ERDE OLD NER U
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\ bar gemacht. Die Uhlanen, die vor — Valaſt
hielten, bildeten mittlerweile eine Angriffsfolonne,
und machten Miene, den Wguazil zu unterftügen. ö
»Rugerteniente*) Pablo!“ rief wieder Pedrillo.
„Ihr thätet beſſer, Ihr ginget nach Scufartt);
Oberſt Soto dürfte Euch brauchen.“
Der Alguazil horchte einen Augenblick; dann ſprang
er wieder auf den Haufen zu: „Te tiendo! Te ti-
endo!***) Diefer da in der Tunica, er ift Derfelbe,
der Se. Majeftat — “
„Ich denke, Alguazit,“ mahnte * Offtzer der
die drohende Bewegung der Menge aufmerkſam be-
obachtet hatte, wich denke, Ihr ließet den armen Teufel
ſchreien; es ift nicht der erfte und wird nicht der letzte
Grito ſeyn, und es liegt nicht viel daran, ob Einer
mehr oder weniger in der Cordelada P) liegt.“
„Senor Lugerteniente,“ drohte der Alguazil;
„wohlverehrter Herr Lieutenant! Sie waren ſchnell,
*) Lieutenant.
**) Eine Stadt, dreißig Stunden ſüdweſtlich von Mexiko
gelegen, wo Oberſt Soto von Morelos geſchlagen wurde.
**x) Ich habe Dich.
+) Eines der drei Hauptgefängniſſe in Mexiko.
— 4
als es den armen Gente irragionale von Zitacuaro
galt. Sie find ein Creole, ich warne Sie.“
Und mit diefen Worten drang er mit aller Gewalt
auf den Knäuel ein. Diefer ftand noch immer als
undurhdringliche Maſſe; eine Bewegung aber, die
gleichzeitig unter den Mangas Statt fand, machte
‚ die Reiter augenfcheinlich ftugen. Nicht fo den Al—
guazil, der wie rafend um fich fehlug.
„Venid Senor!*) Kommen Sie, mein gnädiger
Herr!“ ſprach eine tiefe Stimme.
Der Knäuel öffnete fih und ließ den Alguazil ein,
ſchloß fich jedoch, als die Reiter andrangen, gleich
der Meereswoge, die ihr Opfer verfehlungen. Alle
hatten die Stilete gezogen. Einige Augenblicke herrſchte
eine bange Stille; auf einmal hörte man, die MWorte:
„Jesu, Maria y Jose!‘ **) und dann ein Stöhnen
und Nöcheln.
‚„Mueran las Gavecillas! Tod den Rebellen!“
ſchrie nun der Offizier, und die Reiter hieben ein;
doch der Haufe Hatte ſich mit einer unbegreiflichen
Schnelligkeit getheilt; mehrere Pferde ftürzten, und,
*) Kommen Euer Gnaden.
**) Jeſus, Maria und Sofeph!
—) 5 —
zu Vergrößerung der allgemeinen Berwirrung, brach
ein plößlicher Lichtftrom aus den Thoren des Pala-
ftes, der für einige Augenblicke Roſſe und Reiter er—
blindete. Es waren kurze Angenblide, aber hinrei⸗
chend, dieſen Theil des Platzes gänzlich von den
Haufen zu reinigen. Der Alguazil, zwei Uhlanen
und eben ſo viele Pferde waren als Opfer gefallen;
der Haufe hatte ſich unter der großen Maſſe der auf
dem Platze auf⸗ und niederwogenden Menge verloren,
die nun ſelbſt ſchnell heran drang, und ihre nichts
weniger als friedlichen Abſichten durch laute „Mueras
und Abajos con los Gachupinos‘‘ fund that. Ein
allgemeiner Aufftand fehien auf dem Punkte auszu—
brechen.
Auf einmal wurde der Wirbel von Trommeln ge
hört, in deren Rollen eine rauſchend prachtvolle Ja—
nitſcharenmuſik einfiel; zugleich ſprühten ſechszig Pech⸗
pfannen längs der ungeheuren Fronte des Palaſtes
ihre grellen Flammen durch die Menge. Der plöß-
liche Strom von Licht und Tönen hatte eine unbe-
greiflich fchnelle Wirkung auf den Haufen der Tau—
fende. Alle Gedanken an Aufruhr waren verſchwunden.
Ein taufendftimmiges „Viva, Viva!“ erjchallte, und
kaum hatte die Bande die erften Akkorde der Ouver⸗
ture, Clemenza de Tito, eröffnet, ‚als die Taufende
und abermals Taufende in den fröhlichften Jubel
ausbrachen. Unzählige Tänzergruppen bildeten ſich
mit einemmale, und die ganze Plaza mar ein fröh⸗
liches Gewimmel der lebensfrohen Menge geworden.
Die tiefe Finſterniß im ganzen ungeheuern Vierecke
war zugleich wie durch einen Zauberfchlag in Tages—
helle verwandelt, denn Taufende von Lampen ſchim⸗
merten von den Blumengärten der Dächer und goßen
über die ftattlich mafftven Tempel, Bette und Häu⸗
fer einen Lichtftrom, der Die geoßeitigdn Bauwerke
ind Niefenmäßige erhöhte. Reich gefleidete Spanier
und Creolen, zerfumpte Leperos, Mulattinnen und
halbnackte Indianer, Zambos und liederliche Dirnen,
Alles vereinigte ſich im Bolero, Fandango und Cha=
rave. *) Und gleichſam um das Ganze noch charakte—
riftifcher Darzuftellen, hatten ſich zahlreiche Reiter⸗
ſchaaren von Dragonern und Uhlanen mitten durch
die Haufen einen Weg gebahnt, und fehlogen num die.
ganze Maffe in einen ungehzuern Rahmen ein, fo
*) Von diefen drei Tänzen iſt der letztere der beliebteſte in
Mexiko und kann als Nationaltanz betrachtet werden.
BT ——
das Bild eines despotiſch beherrſchten Staates ver-
ſinnlichend, wo die Maſſen durch die eiſerne Hand
der oberſten Gewalt und ihrer Helfershelfer zu Freud
und Leid getrieben und in Schranken gehalten werden.
„Ihr ſcheint die allgemeine Freude nicht zu theilen;“
wisperte ein ältlicher Indianer unferem Abenteurer
zu, deffen außerordentliche Beweglichkeit, während
der ſo eben beſchriebenen tumultuarifchen Auftritte,
plöglich einem unverholenen Mißmuth gewichen war.
Der junge Mann drehte fich auf einem Abſatze um,
und kehrte dem Sprecher den Rücken. „Ei, diefe
Luſtigkeit ift ganz einzig,“ fuhr der Indianer fort,
„fo wie wir ein einziges Volk find. — Meiner Seele!
immer am Juftigften, wenn wir am tüchtigften ge—
zaust werben.“
Der junge Mann warf dem Sprecher einen Blick
rücklings zu, und verfanf dann in fein voriges
Schweigen.
„Jeder het ſeinen Ahuttzote l⸗ Amgo!— *) fuhr
*) Seder hat feine Ahuigote, Freund! ein indianifches
Sprichwort. Ahuitzote beveutet fo viel als Feind, feindliches
Geſchick.
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der Indianer fort, „und Ihr“ Hattet ihrer viele.
Glaub’ es gerne, daß Euch das Geklingel da Eonträr
gekommen ift; der Baden war aber ein wenig fehlecht
gefponnen, deghalb ift er jo ſchnell zerriffen.“
„Welchen Faden meint Ihr, Tatli?« *) verfeßte
nun der. junge Mann mit einer Leifen, hohlen Stimme.
„Einen blutrothen mit einem ara. und blauen
Ende.“
„Diablo!“ zifchelte Pedrillo: „Nun ſehe ich wohl,
- Men ich vor mir habe. Glaubt mir, %8 hilft aller
Wege nichts. Thut was Ihr wollt. Da hatten wir
ſie am Anſatze zu einem herrlichen Motino; aber da
kommen ein Dutzend Hautbois und Klarinetten und
Pfeifen, und Alles iſt beim Teufel.“
„Ja, wenn der Alguazil die königliche Armee ges
weſen wäre,“ brummte der Iudianer. |
„Wie meint Ihr?“ fragte Pedrillo, dem ——
näher an den Leib rückend.
Der junge Mann hatte, während er ſo ſprach,
den Indianer allmählig dem Sockel der Reiterſtatue
Karls IV. zugezogen. „Das Loſungswort!“ ziſchelte
*) Vater.
= —* | »
—I 9 —
er dem Indianer zu, indem feine rechte Hand zugleich
hinter die Manga fiel. 2
„Sachte, Amigo,“ Lächelte Dieſer; med war ein
Meifterftreih, wie Du den Alguazil zum Still-
fehweigen brachteftz Feine Pinte Blut gefloffen, und
der Gahupin jo maufetodt, Du hatteft ein drei
ſchneidiges Stilletto, vermuthe ih? Aber wir find
fein Alguazil.“
„Noch nicht, « flüfterte der junge Mann; „ſollſt e8
aber werden; und bei diefen Worten jaß dem In-
dianer auch der Dolch am Leibe, doch eben jo ſchnell
fanf feine Sand. „Alle Teufel, Wer hätte dem
General V.“ | |
„Hisht,“ ſprach der Indianer. „Wir haben Euer
Treiben gefeben. Ci, wenn Masqueraden und ein
paar Erdolchungen Mexiko retten könnten, da wäret
Ihr die Leute; aber zum Zugreifen — — Komme num
und höre.“ Er mwisperte ihm einige Worte in die
Ohren. |
„Madre ‘de Dios!“ rief-der junge Mann, „und
- Mexiko fteht noch? Kommt! jede Minute mag e8 für
immer verlieren.“ Beide eilten fehnell durch das
Getümmel. ;
> 100 &—
Mitten unter dem fröhlichen Gewimmel und der
raufchend prachtvollen Muſik ſah man anfangs ein⸗ j
zelne, dann ganze Reihen von zwei⸗, vie and. geh-
ſpännigen Kutſchen herannahen. Die ſond
Kopfzierathen der Pferde und Maulahiete denn mt
diefer Iegtern Thiergattung, war-die Mehrzahl ge |
Kutſchen befpannt, und ihr ſchweres häufig maſſiv
ſilbernes Geſchirr, entſprach ganz den Kutſchen ſelbſt,
von denen die meiſten eine Art lederner lakirter,
glänzender Kaſten mit einer Unzahl vergoldeter
Schnörkel waren, deren Seiten, mit Bildern in halbe ’ J—
und ſelbſt ganzer Lebensgröße bemalt, die Thate N der
erſten ſpaniſchen Eroberer oder irgend einen Heiligen
darftellten. — Die meiften derjelben waren ohne
Springfedern und, auf der bloßen Achfe ruhend, ver-
urfachte ihre Ankunft ein Gepolter, das die Muſik
der beiden Negimentsbanden vor dem» Balajtthore
und im Schloßhofe übertäubte. Beinahe ade Hatten
Vorläufer, nebit einer Suite, die aus farbigen, reich
gekleideten männlichen und weiblichen: Mulatten und
Negern beftand, welche vor-und zu beiden Seiten der
Wagen einhergingen. In jedem diefer Wagen faßen
zwifchen vier und ſechs Perfonen, die, je nachdem fie
— 11 ⸗—
zus herrſchenden Klaſſe der Spanier oder der be—
herrſchten der Creolen gehörten, in das offene Balaft-
thor einfuhren, oder vor dieſem abzufteigen genöthigt
waren. Als wollten fich jedoch diefe Lebtern für diefe
Zurücdfegung in den Augen ded Volkes durch einen
defto auffallendern Pomp rächen, ging ihr Abfteigen
wieder mit einem Prunfe vor fich, der eben fo fehr
ihren Reichthum als deſſen ungefehickte Anwendung
verrieth. Die Wagenthüren wurden nämlich ſtets zu
gleicher Zeit von mehreren reich und phantaftifch ge-
kleideten Negern und Negermädchen auf beiden Sei⸗
ten geöffnet, die männlichen und weiblichen Herrſchaf⸗
ter ſtiegen zu den zwei verſchiedenen Thüren her—
aus, und ſchritten dann, unter dem Vortritte ihrer
ſchwarzen Dienerſchaft, dem Thore zu, wo die Letz⸗
tern, nach einer formellen Verbeugung, ſich wandten
und zu dem Wagen zurückkehrten. Selbſt der Poöbel
fehien den Vebelftand der hier fo unpafjend angebrach-
ten Schauftellung, im Gegenſatze mit dem einfachern
und würdevollern Aufzuge der verhaßten Spanier, zu
fühlen, und bei einem jedesmaligen ſolchen Abſteigen
erhob ſich ein Gemurmel, das die allgemeine Unzu—
friedenheit deutlich beurkundete. „Muchacho! Barra-
Der Virey. I. { 8
—H 10 &—
cho I“ *) Be bg —* —2 e
folgten —— RER ww ein * nth im
fiche Weife vom Volke empfangen. =. w ’ *
Auf einmal erſchallte es von dem äuferften En
des Platzes El terribile Gachupin !* ***) und
leichte, geſchmackvoll gebaute Carroſſe, von vier te
zen Andalufiern gezogen, rollte durch die aufgeftellten
Reiterſchaaren, ihr zur Seite mehrere Adjutanten und
Ordonnanzen. Die Bande ſchlug ‚einen‘ herrlichen:
Triumphmarſch an, die Reiter ſenkten ihre Schwer⸗
ter, während das Volk beinahe ſchaudernd dem wei,
nachfah, wie er in den Schloßhof rollte, gleich ala ob
in feinem Innern ein unheilvolles Element verborgen
wäre.
Ein zweiter Wagen folgte von der entgegengeſetz⸗
ten Seite, von ſechs phantaftifch geſchmückten Maul-
thieren gezogen, langſam und feierlich ; voran zwei \
\
*) Einfaltspinfel, Trunkenbold. Letzteres ift der —
Schimpfname, der gegeben werden kann.
**) Tod! und — Nieder mit ihm. |
**) El terribile Gachupin, der fehredffiche iz Don
Salleja, fpäter Graf von Calderon.
—
—4103 &—
roth gekleidete Laufer, und zu beiden Seiten ein halbes
Dutzend ſchwarzer Diener. Der Wagen wurde mit
dem Nufe: „Viva la vierge de Guadeloupe! Abajo
con la vierge delos remedios!‘ *) empfangen. Der
Inſaß de8 Wagens hielt jegnend feine Hand zum lin⸗
fen und wieder zum rechten Wagenfenjter. heraus;
aber. jede feiner Segnungen veranlaßte nur ein um
ſo lauteres Gebrülle, das wohl zehn Minuten anhielt,
und erſt ſchwächer wurde, als ein neuer Wagen dem
müßigen Pöbel neue Nahrung brachte.
„Tierra templada!“**) brüllte es wieder von dem
äußerften Ende der Plazza herüber, und brach dann
in einen einftimmigen, wüthenden Schrei aus, der
wie Sturmesgeheul die Luft erfüllte,
Ein eleganter zweifpänniger Landau im neueften
englifchen Gefchmade war durch die Uhlanen- und
Dragonerfpaliere herangefommen, mit bloß einem
einzigen, aber geſchmackvoll gefleideten Diener. Der
Magen hielt, unter dem Portale; aber mehrere Do⸗
*) Es lebe die Jungfrau von Guadeloupe! Nieder mit
der Jungfrau der Gnaden! (Siehe Note am Ende des drit—
ten Bandes.)
**) Die gemäßigte Zone.
8*
—H 104 ⸗—
meftifen eikten aus dem Thore heraus und führten
ihn in den Thorweg des Palaftesein.
Ein zweiter im gewöhnlichen antiken Style war
gleichfalls herangefommen, deſſen Bürde jedoch, eine
ältliche Dame und ein blühender Jüngling, vor dem
Thore entladen wurde.
„Superbo, brillante hombre!‘ *) brüllten die
Haufen dem jungen Greolen zu, von einem „Bivau
begleitet, das eben jo ſchnell durch ein „Callate, el
Ninon de la tierra fria!“ **) befchwichtigt wurde.
Diefe Symptome des Hffentlichen Beifalls und Un—
muth3 fehienen von dem Jünglinge auf eine eben night
fehr beifallige Weife aufgenommen zu werden; jein
Blick gleitete vornehm über die Menge, und dann,
fein Haupt ftolz aufwerfend, verſchwand er mit der
Dame zwifchen den Thoren. »
„Senor Battifta!a wandte fih der Capitain der
Hellebardierer an den Alguazil, der an den Thoren
Poſto gefaßt, und zugleich die Aufgabe zu haben
fchien, die Neuerungen des Pöbels über die verſchie⸗
denen Ankömmlinge zu notiren — „Senor Battiſta!“
*) Stolger, prächtiger Menſch.
**) Schweigt, es iſt der Liebling der Falten Zone.
Fr in 3 3 I.
—9 105 &-
Was hat es für eine Bewandtniß mit diefem Conde
de San Jago, *) der doch, fo viel ich weiß, auch nur
ein Creole ift? Möchte doch wiſſen, aus welchem
Holze der gefchnigt ift, daß er die Ehre eines gebore-
nen Spaniers genießt ?«
„Aus einem Holze, Senor Capitano,“ verfeßte der
Alguazil mit einem vielfagenden Blide, „das, zum
Glücke Altfpaniens, nicht häufiger in diefem Lande‘
wächst, als der arbol de las manitos!“ **)
„Das ift weife aber dunkel gefprochen, Senor
Battifta,“ erwiederte der Capitano, eine Prife neh—
mend. N
„Hören Sie, Senpr Gapitano, 4 wisperte der Al=
guazil, „hören Sie fie Tierra templada brüllen ?“
Der Lärm nahm immer mehr zu; Vivas und
Mueras rollten wie ein Lauffeuer die Plazza hindurch.
*) ©rafen von Santago. i
**) Cheirostemon platanefolium, der berühmte Hand—
baum. Seine Blüthe ift eine prachtvolle rothe Blume, in Form
einer Tulpe und, näher betrachtet, einer Hand, mit einwärts
gefriimmten Fingern. Es find bloß drei Baume in Merifo
vorhanden: der Mutterbaum in den Bergen von Tolueca und
zwei Sprößlinge im botanifchen arten des vireföniglichen
Balaftes.
a —— HEN
[2 . I
— 16 |
Eine rauhe Stimme fehrie: „bie Tierra templada ift
zum Gachupin geworden!“ Eine andere brüllte:
„Viva tierra templada!“ und „Viva terra tem-
- plada!‘‘ brüllten Tauſende nad. Ä |
„Hören Sie ſie,“ murmelte der Alguazil, „dieſe
verdammten Gavillas! So find fte: fie treiben nichts,
fie thun nichts, fie arbeiten nichts, fie beten’ nicht, fie
foften uns jeden Tag Taufende, damit wir nur Ruhe
haben; und brechen fie los, fo brülft der Jorullo *)
nicht ſtärker, als fie e8 thun. Glücklicherweiſe Yaffen
fie e8 jedoch beim Brülfen bewenden. Heute aber
weht ein ſchlimmer Wind; gebe die heilige Jungfrau,
daß er bald worühergehe! Arch Haben die Hunde ihr
Rothwälſch; das iſt eine neue Erfeheinung, eine ge
fährliche Erſcheinung, fage ich Ihnen. Die Tierra
templada, die gemäßigte Zone, tft der Conde; ſo
viel ift richtig, weder warm noch Falt, wie der Aal,
der im Chalco gefangen, Salz= und Süßwaſſer ver-
trägt, und fich Frümmt, und ihnen einen Arm und,
mag feyn, ein Bein bricht, wenn fie ihn in den Chi—
*) Ein fenerfpeiender Berg, der im verfloffenen Jahrhin—
derte entſtanden und wieder vergangen.
—9 107 ⸗—
nampas,*) im Erbfen- oder Frijolofelde **) fangen.
‚Wir hatten in Merifo Ruhe, felbft al8 der verdammte
Hidalgo von Guaximalpa ***) herabfam; heute je=
doch ift der Teufel los.“ — Und mit diefen Worten
verlor fich der Hafcher im Innern des Palaftes.
Fünftes Kapitel.
Mein Sig hier war bisher ein Thron.
Foscari.
Wie unfere Lefer bereit3 vernommen haben, fo
galten die fo eben befchriebenen pompöſen Vorberei-
tungen einem jener glänzenden Hofzirfel, die in mo—
narchifchen Staaten eihgeführt find, theils um dem
Herrſcher die Huldigung darzubringen, die einer von
*) Die fogenannten ſchwimmenden Gärten, die aber, gegen-
wärtig Eleine Gartenſtücke, von Indianern bebaut, in der —
des Sees liegen.
**) Bohnenfeld.
***) Guaximalpa, eine große Hacienda, Landgut, 5 Meilen
von Mexiko. Hivalgo hatte fein Hauptquartier vafelbft aufge-
ſchlagen.
—9 108 &—
Gottes Gnaden erhöhten Perſon in den Augen loya⸗ *
ler Unterthanen geziemend erſcheint, theils auch die
dem Throne zunächſt ſtehenden Umgebungen durch
ihre Theilnahme an dieſer Huldigung feſter an das
Intereſſe deſſelben zu knüpfen, und durch vereinte
Pracht dem Haufen die Idee göttlicher Erhabenheit
deſto eindringlicher vor Augen zu bringen. Wenig-
ſtens dürfte das die Urſache ſeyn, warum dieſer, in
barbariſchen Zeiten entſtandenen und bis auf unſere
Zeiten fortgeführten Art von Repräſentation der
Volksmajeſtät — die, obwohl aus verſchiedenen
Gründen und in beſcheidener Form auch bei und Ein-
gang gefunden — in monarhifchen Staaten: eine fo
große Bedeutfamfeit beigelegt wird.
Es ift vielleicht für den Fünftigen Beftand ſo man—
cher der gegenwärtig in Glanz beftehenden Dynaſtien
des alten Europas eine eben jo unglüdliche als cha—
rafteriftifche Eigenheit, daß ftch nicht nur die ganze |
Stantsmafchine, fondern auch die bürgerliche Geſell⸗
ſchaft ſelbſt, um den Herrſcher, als um ihre Sonne,
dreht, und die große Maffe des Volkes als eine Art
Nullen, die die Hauptzahl wohl vergrößern, für ſich
aber als gehaltlos verachtet werden, von jeder per='
Mi a 1 WER IRTIR Pr
—H 109 &—
jönlichen Berührung mit diefem Herrſcher gänzlich
ausgeſchloſſen ift. Wie viel an diefer Ausſchließung
das heut zu Tage gewiſſermaßen zur Ueberreife ge-
langte Prinzip der Legitimität Schuld fey, wollen
wir hier nicht beftimmen, obwohl wir auf der andern
Seite nicht umhin können, zu geftehen, daß in dieſen,
fonft vielleicht nicht unglücklichen Ländern eben durch
diefe artifiziele und gewiffermaßen mit dem Gepräge
der Divinität bezeichneten Rangunterfchiede eine folche
Abſonderung nothiwendig geworden ift. Die neueften
Greignifje, indem fie in einem großen transatlanti—
ſchen Staate den Zutritt zu einem gefrönten Haupte
etwas mwohlfeiler gemacht und fo den Schleier gelüf- h
tet, der diefe ſich jo Hoch ftelfenden Menfchen bisher
dem Auge der Deffentlichkeit entzogen, haben auch
die Qualen errathen laſſen, die aus einem größern
Bedürfniß von Popularität für fie entfteben, und zus
gleich das Entfegen nicht undeutlich gezeigt, von dem
diefe durch Gottes Gnaden fich eingefegt wähnenden
WMonarchen bei jeder Berührung mit dem ungewa—
fehenen großen Haufen durchdrungen feyn mögen.
Bekanntlich hat es das Mutterland des unglück—
lichen Merifo in diefem Zweige legitimer Wiffenfehaft
9 110 &—
durch feine innige Verbindung und Nachahmung der
römiſchen Hierarchie am weiteften gebracht, und der
Erfolg, den eine folche Gleichſtellung *) des irdifchen
Monarchen und Höchften Weſens im eigenen Lande
batte, war ohne Zweifel eine der nächſten Veran—
lafjungen gewejen, daß der Herricher, der dieſes Syſtem
des ſpaniſchen Hofſtaates in ſeinen ererbten Ländern
begründet, es in möglichſt größter Vollkommenheit
auch auf Mexiko in der Art ausdehnte, daß es
ſo zu ſagen die Grundlage der dieſem Lande gegebe—
nen Regierungsform wurde. Bereits im Jahre 1530
wurde diefes Repräſentationsſyſtem mit einer Pracht
eingeführt, die den Hof des merikanifchen Vicekönigs
mit den glänzendften der alten Welt wetteifern machte,
und wenn eine trügliche Botitif e8 zu erheifchen ſchien,
dem eroberten Lande zu imponiren und ihm die Macht
des zweitaufend Stunden entfernten Herrſchers durch
feinen Abglanz zu verfinnlichen, jo boten die unge-
geheuern Reichthümer, die durch den Schweiß eines
*) Das Prädikat Se. Majeftät wird in Spanien und Merifo
fowohl dem Könige, als auch der confeerirten Hoftie — in wel-
her die Katholiken bekanntlich den lebendigen Gott anbeten —
beigelegt. £
N
4 66
N
—9 11 —
beftegten Sklavenvolkes in die Hände der erften Spa- |
nier glitten, eben fo leicht die Mittel, dieſe Abftcht
ohne feheinbaren Nachtheil des Mutterlandes durch-
zuführen. Noch heut zu Tage ftaunen wir billig über
die ungeheure Verſchwendung und den Glanz, der dieſe
Vicekönige Mexiko's in den erften Sahrhumderten nach
der Eroberung und zu einer Zeit umgab, wo die
Stätten, auf denen gegenwärtig unfere großen See—
ftadte den Handel der Welt zu leiten anfangen, noch
undurhöringliche Wildnig waren. — Zwar hatten
fich dieſe Neichthümer im Verlaufe der Zeit gemin-
dert, oder vielmehr ihre Ausbeute war in vegelmäfii-
gere Kanäle geleitet worden; allmahlig waren fie
aus den Händen foldatifcher Wüftlinge in die gieri=
ger Beamten und angefefjener Creolen übergegangen ;
die Pracht der Hauptftadt und der Glanz des vice-
Eöniglichen Safftaates hatten jedoch dabei nichts ge—
Yitten, da die Spanische Politik es für rathlich gefun-
den hatte, diefe Letzteren, obwohl fte fie als bloße
Stieffinder betrachtete, an den Herrlichfeiten des Sa—
trapenhofes um jo mehr Antheil nehmen zu Yaffen,
als diefer durch ſchwere Geldfummen erfauft werden
mußte, und zugleich eine Bürgfchaft für die Fünftige
—öH 112 &—
Treue der Courfähigen wurde. Die Adelsdiplome,
titulos de Castilla, die zur unerläßlichen Bedingung
des Eintritts in diefe Zirfel gemacht wurden, waren
fein unmwichtiger Beitrag zur Privatchatoulle der ka—
tholifhen, allmählig Armer gewordenen PMajeftät,
und, abgefehen von den großen Summen, die auf
diefe Weife in den königlichen Privatſchatz floffen,
wurden diefer Hofftaat und diefe Hofzirkel die Mittel,
das Land allmahlig in jene abfolute Abhangigkeit zu
bringen, welche das Lieblingsfuften der heutigen Re—
gierungsfunft ift. Der reiche merifanifche Adel hatte
in diefen Hofzirfeln nicht nur Gelegenheit, feine Reich-
thümer auf eine dem privilegirten Sandelöftande von
Cadix vortheilhafte Weife zu verſchwenden; die Cen—⸗
tralifirung des Adels um den Hof des Satrapen war
auch der Bindungsfaden geworden, dieſen inniger an
das königliche Intereffe zu Enüpfen, indem er Gelegen-
heit gab, die verfehiedenen Nüancen der Unzufrieden-
beit zu bewachen, Mißvergnügen im Keime zu er
fticfen, die Ueberrefte felbftftändig politifchen Gefühls
durch eine galante Debaucherie zu vertilgen und durch
jene, Ariftofraten fo füßen und unentbehrlichen In-
triguen alle Fäden der bürgerlichen Gefellfehaft ſpie—
—9 113 &—
lend in der Hand zu behalten. — So war diefer Hof-
ſtaat, urfprünglich eine halb barbarifche Schauftellung
| roher, feudaler Pracht, wie in den alten europätfchen
Ländern, das Mittel geworden, das Land feiter an
feine Serrfcher dadurch zu knüpfen, daß der vorneh—
mere Theil der Bürger in die Gefellfchaft feines Re—
präfentanten gezogen, und jo mit dem Herrſchenden
felbft in nähere Verbindung gebracht wurde. Die
Folgen diefer Politik waren ſehr befriedigend für die
fpanifche Serrfchaft geweſen, und es dürfte noch heute
ſchwer zu entfcheiden ſeyn, ob die lange Ruhe, die
drei Jahrhunderte hindurch in diefen unfäglich gedrück—
ten Ländern felbft dann nicht unterbrochen worden,
als das Mutterland im langen und blutigen Erbfolge
frieg begriffen war, und die innige Anhänglichfeit,
mit der der merifanifche Adel noch gegenwärtig an
Spanien hängt, nicht einzig und allein diefem Reprä—
ſentativſyſtem zugufchreiben fey; wenigftens verrieth der
Eifer, mit dem, wie wir gefehen haben, Hunderte von
Familien ſich zu diefer grande soirde drängten, ein
Intereffe an der Ehre des viceföniglichen Hofſtaates,
das ‚ auf die Patrioten übergetragen, das Schickſal
—$ 114 &—
der Königlichen Regierung Kald voihen —* x
dürfte. | et
Der Palaft, in dem dieſe Hofeour — ur,
und dem feither die ehrenvollere Beſtimmung zu Aeit
geworden, die oberften Behörden einer freien Re—
publif in feinen Mauern zu vereinigen, war ganz
geeignet, den Repräfentanten eines mächtigen Herr-
ſchers mit den höchften Landesſtellen und. einen glän⸗
zenden Adel innerhalb feiner Säle aufzunehmen. Er
nimmt die ganze Südſeite des prachtvollen Platzes,
Plazza mayor genannt, ein, und erhebt fich in jenem
gediegenen, aber. etwas fehwerfälligen Style, den wir
an fpanifchen Bauwerken häufig bemerfen, und der,
obgleich weniger kühn als der römifche, den Eindruck
abfoluter Derrjeherwürde einem unwiſſenden aber
finnlichen Volke vor Augen zu bringen durch jeine
Ehrfurcht gebietenden Maſſen vielleicht geeigneter feyn
dürfte, als ſelbſt die clajfifchen Formen des erftern.
Mehrere Thore führen in feine weiten, inneren Höfe
und zur gewölbten Säulenhalle, die um einen pracht=
vollen Hofgarten läuft. Eine breite Doppelflucht von
Treppen führte in die Staatszimmer de3 mächtigften
Satrapen der neuern Zeiten, die, al3 follte die Natur
a nr u
u —
—$9 115 —
feiner Gewalt recht auffallend dem Gintretenden vor
die Sinne gebracht werden, zum Theil über den ſchau—
derhaften Gefängniffen der Staatöverbrecher erbaut
waren. Die Thorwege und die Säulenhalle wimmelte
von -Schaaren reich gefleideter Hofdiener, Leibgardi—
ften und Livreebedienten, mit Wachtpoften vermifcht,
die an die Staatstreppen hinan fanden, und an die
ſich eine zweite Schaar noch reicher gefleideter Haus—
offiziere anfchlofien, die zum Theil einen weiten
Vorſaal einnahmen, oder vorden Klügelthüren de Au⸗
dienzſaales gerichtet jtanden. Gruppen von Adjutan-
ten und Dffigieren aller Grade und Waffen’ bildeten
jene malerifche Mifehung, die vielleicht mehr als der
glänzende Hof felbft geeignet ift, das Bild höchſter
Gewalt recht imponirend vor Augen zu bringen.
Zwei reich gefleidete Höflinge bewachten den Eingang,
und überlieferten die zum —5 immer
dem Ceremonienmeiſter.
Der große und hohe Audienzſaal, die untere Säfte
mit Eſteras, die obere mit glänzenden Teppichen be
legt, war in jenem alterthümlichen Gefchmade ver-
ziert, der eine lange beftandene und feſt begründete
Herrſchaft andeutet. An den Wänden glängten un—
en ern
geheure Trumeaus, abwechſelnd m langen Reihe
von Wappenſchildern, die die obſoleten 2 iſp cüche der
verſchiedenen Herrſcherfamilien des ani
beinahe alle Länder des Erdbodens — —
reiche, obwohl etwas verblichene Draperie vom Bun“
pur und hineftfchem Atlas, mit Gold verbraͤmt, zog
ſich oberhalb dieſer den Wänden entlang zu ‚einem
Thronhimmel, unter dem ſechs Stufen Hoch ein ſchwer⸗ ⸗
fälliger vergoldeter Armſeſſel mit hoher Lehne ſtand,
auf dem die Attribute der königlichen Würde: lagen.
Zu beiden Seiten dieſes Thronfißes, drei Stufen niedri⸗
ger, befanden ſich zwei andere Seſſel auf Eſtradas,
und darüber gleichfalls Baldachine, obwohl um Vie⸗
les einfacher. Eine dritte Stufe hatte wieder mehrere
Site, jedoch ohne Baldachin. Ale waren mit Eoft-
baren, aber einigermaßen gealterten Fußteppichen be=
deckt; zwei Reihen vor Seffeln zu beiden Seiten des
Salons vollendeten die Einrichtung. Das Ganze im
ſchwerfällig alterthümlichen Geſchmacke des verflofje-
nen Jahrhunderts, unterſtützt jedoch von einer gedie⸗ F
genen Pracht und einer glänzenden Beleuchtung,
brachte eine impofante Wirkung hervor.
Sp wie der Erzbifchof eingetreten, erhoben ſich
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— 117 ⸗—
fammtliche Anweſende und verneigten ſich. Während
der geiftliche Würdenträger zu den Stufen des Thro—
nes vorſchritt, Hffneten fich die obern Flügelthüren,
und ein prachtvoll glänzender Zug trat von Diefer
Seite ein. An feiner Spige befand ſich der Satrap,
dem königliche Gunft oder vielmehr Intrigue das
Wohl und Wehe des reichften Königreiches der neuen.
Welt mit fieben Millionen feiner Bewohner zur unums
ſchränkten Dispofition überliefert hatte. Es war Diefes
ein fein gebildeter Mann mittlerer Größe. Der Ober—
theil feines Gefichtes hatte nichts Ausgezeichnetes; der
untere war jedoch merfwürdiger, wenn nicht gefälfiger.
Ein rundes Kinn, um das von Zeit zu Zeit ein an—
genehmes Lächeln jpielte, gab ihm einen Ausdrud
von Zufriedenheit, obwohl feine Miene fich wieder jo .
ſüßlich verzog, als ihm einen tückiſch grauſam wol⸗
lüſtigen Zug verlieh, der durch ein zeitweiliges Blin⸗
zeln noch vermehrt wurde. Doch hatte dieſer Mann
jede Fiber wieder ſo ſehr in ſeiner Gewalt, daß jeder
Augenblick auch ein anderes Geſicht zeigte. Er trug
die Feldmarſchallsuniform Spaniens mit dem großen
Bande des Ordens Carls II. Die Weiſe, wie er
den Erzbifchof empfing, verrieth jene feheinbar hohe
Der Virey. L 9
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— 118 6
Ehrfurcht, mit der kluge Stäntömänmer Biegen
Stüßen zeitlicher Gewalt vor den Augen ber
zu ehren verftehen,, wenn fie gleich von dem: (ebenen
Prinzip der Religion wenig "pder gar nicht. durch⸗
drungen ſind. Seine Verbeugung war beinahe demü⸗
thig, und der ſchärfſte Beobachter dürfte vergeblich i
einen Zug von Spott in dem Gefichte des Satrapen *
geſucht haben, der auf mehreren ſeines Gefolges nicht
undeutlich zu leſen war. Andererſeits ſchien der geift-
liche Würdenträger ſich vollkommen ſeines hohen
Ranges bewußt, und es war an ihm nichts von jener
affektirten Demuth zu jpüren, die wir an den Vorſte⸗
hern dieſer Kirche in Ländern zu bemerken Gelegen⸗
heit haben, wo ihre Autorität auf unſichern Pfeilern
ſchwankt; eine gewiſſe Verlegenheit allenfalls ausge⸗
nommen, die dem Geſichte einen finſtern Ausdruck
verlieh, und die vielleicht dem Pereat zuzuſchreiben
war, das der Schutzpatronin ſeines Geburtslandes
und jo ihm ſelbſt von dem Pöbel gebracht worden.
Das tieffte Schweigen herrſchte während der Uns
terhaltung der beiden Würdenträger, an der bloß no
Eine Berfon unmittelbaren Antheil nahm, und zwar
eine, die nicht minder merkwürdig in der Geſchichte
u
—9 119 —
dieſes unglücklichen Landes, als abftoßend in ihrem.
Aeußern erſchien; eine ftarfe, hagere Geftalt, von mus-
Ffulöfem Körperbau, mit einem finftern, abſchrecken⸗
den Geftchte, und einem Paar kohlſchwarzer, ver=
glaster, ftierer Augen, die, unter den bufchig graus
ſchwarzen Augentwimpern hervorglogend, dem Manne
etwas Gräßliches verliehen. Es war eine Art Sa-
tandgeficht, doch ohne deſſen Geift, vielmehr eine Mi-
ſchung von Bigotterie, Dummheit und Graufamfeit,
die zugleich Ekel erregten.
Als die beiden Würdenträger und der General-
Gapitain, denn dieß war die hohe Charge des fo eben
befchriebenen Militärs, die Unterhaltung lange ge—
nug ausgedehnt hatten, um den Anweſenden gewiffer-
maßen das innige Verhältniß zwifchen Staat, Kirche
und dem Schwerte bemerkbar zu machen, traten fie
vor die Stufen des Tihrones, um einen Zug von Da—
men zu empfangen, die Durch die nämlichen Thüren
eingetreten, durch welche auch der Satrap gekommen
war, und die fich nach einer kurzen Unterhaltung zue
Linken des Thronhimmels auf der erften —9— auf⸗
ſtellten.
Der Sypanier beſitzt eine natürliche, ihm angeborne
9*
— 190 —
1 deren lundlage, Selbſtgefühl und National-
ſtolz, ihn vorzüglich zum Repräſentiren eignen, ob⸗
wohl beide wieder in der neuern Zeit ſehr gelitten
haben. So ſehr der ſchaͤrfere Beobachter jene geiſt⸗
reich schönen Phyfiognomien vermißt haben dürfte, -
die bei ähnlichen Beranlaffungen in unferem oder dem
ung verwandten Mutterlande das Auge eben ſowohl,
als den Berftand, anfprechen, indem fie durch ihre
ruhige, innere Würde und Bejonnenheit eine gewiſſer⸗
maßen intuitive Beſchauung des freien Mannes er-
lauben; fo fehr dürfte andrerfeits fein Intereffe durch
den Anblick einer Verfammlung aufgeregt worden
ſeyn, in der gewifjermaßen die ganze Macht und Ener-
gie eined mächtigen Staates concentrirt war, und
deren grelle, barſche Gefichter als Abdruck der außer=
ordentlichiten Regierung gelten Eonnten, die je in
einem Lande gewüthet hat. Die Spanier waren beiz
nahe durchgängig Heine verbuttete Geftalten, mit
ſchwarzbraunen oder olivengrünen,, verzerrten, hoch—
müthigen Gefichtern, funfelnden Fleinen Nattenaugen,
und Zügen, in denen die jugendlichen Leidenſchaften
nur auögetobt zu haben fehienen, um ihre Hefen mit
den härteren und haffenswürdigern des grauen Alters
—
— — BE ann La a Da ER * * ir *
—9 1231 &
zu vermiſchen. In der Art, wie fie ſich dem Satrapen
näherten, lag etwas ſervil Niedertraͤchtiges und wie⸗
der abſtoßend widrig Arrogantes. Sie kamen in der
ehrfurchtsvollſten Stellung heran; aber in dieſer ge-
heuchelten Ehrfurcht lag wieder ein Sohnlächeln, das
deutlich verrieth, ihre Suldigung gelte dem Abglanz
der Majeſtät nur inſoferne, als dieſe ihre eigenen
Plane unterſtützte, und daß ſie tief fühlten, ſie be—
fänden ſich in einem Lande, auf deſſen unbeſchränkte
Beherrſchung ſie einzig und allein Anſpruch hätten,
obgleich ſie in ihrem eigenen Lande Sklaven waren.
Aengſtlich und beinahe furchtſam, mit einem leeren
nichtsſagenden, ariſtokratiſchen Lächeln und kriechen—
den Bücklingen kamen die Creolen heran, voll ſüßen
Schauers bei ihrer Annäherung zur höchſten Perſon⸗
nage wagten ſie es kaum aufzutreten, und die un—
nennbare Seligkeit, die ihre Geſichter überftrahlte,
jo wie ein Wort vom Satrapen ihnen gu Theil wurde,
war um ſo widerlicher, als der unverfennbare Hohn
ihrer Borganger den Commentar zu diefer Hofwonne
bildete. Sp gewiß e8 ift, daß eine fefte männliche
Haltung das Gemüth wohl anfpricht, indem fie
der Ausdruck perſönlicher Freiheit und Sicherheit
| me
wird, eben jo bewirft die entgegengefeßte ‚Eriechende
Darftellungdes innern Menfchen wiederjene Aengſtlich⸗
feit und Unbehaglichfeit, die fich eben jo unwillkür—
lich in Verachtung Desjenigen ummwandelt, der diefe
in und bervorzubringen die DVeranlaffung war. Es
bedurfte wirklich nur eines Augenblickes, um dem
aufmerkſamen Menſchenkenner einen anſchaulichen
Begriff von der Natur der Herrſchaft zu geben, unter
welcher dieſes Land ſeufzte und ihn über die Urſachen
aufzuklären, die nahe an ſieben Millionen Creolen,
Indianer und Kaſten unter der Botmaͤßigkeit von
einer verhältnißmäßig geringen Anzahl von Spaniern
erhalten konnten. Er
Abgeſehen jedoch von diefen höhern Betrachtungen
gewährte die Berfammlung einen glänzenden Anblisk.
Die reichen Uniformen der Generale und hohen
Staatsbeamten, unter denen fich Die malerifche Amts—
tracht der Oidores mit ihren fehwarzen Seidemän-
telm und goldenen Ketten auszeichnete; die. farbigen .
Gewänder der hohen Geiftlichkeit, mit den vielfi
prachtvollen Uniformen der verfihiedenen Beamten
und der antiken und reichen Tracht mehrerer Greolen,
mit den reichern Anzügen der Damen, boten ein En-
)
—H 13 ⸗—
jemble dar, welches der mächtigfte Autokrat kaum
glänzender an feinem Hofe aufweifen Fonnte, und. def-
ſen Wirfung durch ein geheimnigvolles Etwas, das
durch das Ganze hindurchfchimmerte, eher vermehrt
als vermindert"wurde.
Nachdem die Borjtellung der Herren auf der rech⸗
ten Seite des Saales vor ſich gegangen, waren ſie
auf die linke geführt worden, ‚mo fie zum Handkuſſe
der Gemahlin des alter ego des Königs zugelaffen,
die Damen aber mit einer Umarmung oder ‚einem
mehr oder weniger verbindlichen Knickſe empfangen
wurden, um nach einer kürzern oder längern Unter⸗
haltung, die wieder eine größere oder mindere Wohl⸗
gewogenheit andeuten ſollte, eben ſo entlaſſen zu
werden.
Derſelbe Stolz von Seiten der Spanierinnen: doch
ſchien bei den creoliſchen Frauen die Eiferſucht gegen
ihre Nebenbuhlerinnen weit charakteriſtiſcher hervor-
treten zu wollen, als diefes von Seite ihrer Ehemän—
©: gemejen war. Auch in ihrem Putze
hatten fich die zwei ſchönen Hälften einander fo zu fagen
feindfelig gegenüber geftellt, und während die Spa-
nierinnen in die Nobe ihres Landes gefleidet waren,
ner
—d 124 —
hatten die Greolinnen die Toilette des Volkes, wel-
ches die Regierung ihres Mutterlandes über den Hau-
fen geworfen und ihren Regenten in Gefangenfchaft
hielt, vorgezogen, obwohl diefer Vorzug von unfern
Schönen um fo weniger beneidet worden ſeyn dürfte,
als ihre Mufter noch dem verflofenen Jahrhunderte
angehörten. Unter den jüngern-Damen gab e8 un—
gemein herrliche Geftalten, und der zart gebräunte
Teint und das Liebe glühende Auge verriethen auch
unter den mißftaltenden Anzügen die Sprößlinge des
glühenden Andaluftens und des ftolzen Gaftiliens.
Die Sonne jedoch, um welche fich der ganze Kreis
bewegte, war der Satrape, und der Spanier jelbit
ſchien die ihm angeborne Galanterie für den Augen—
blick vergeſſen zu haben, um dem Nepräfentanten
Eöniglicher Majeftät und fo fich felbft die höchſt *
liche Huldigung darzubringen.
Nichts konnte aber auch der würdevollen Anmuth
gleich kommen, mit welcher dieſe Perſonnage ſeine
Regentenrolle ſpielte. Auch den Zagendſten Be er
ermuthigen zu wollen durch freundliche Milde, die
recht angelegentlich aufzufordern ſchien, fich behaglich
in feiner Nähe zu fühlen. Allen wußte der Mann
— 185 —
etwas Verbindliches zu jagen; Doch war dieje feine
Freundlichkeit wieder jehr veränderlich; bei Einigen
ſchien fie mehr in's Vertrauliche übergehen zu wol-
Yen, während bei Andern mieder die Amtsmiene oder
gnädige Serablaffung vorherrichte. Die Geläufigkeit,
mit der er die verfchiedenartigften Fragen gleichſam
im Vorbeigehen, und doch zugleich jo angelegentlich
an Feden richtete, war bewundernswerth. Ginige
diefer Fragen bezogen ſich auf das gute Ausſehen der
Befragten, umd das Vergnügen, das er empfand,
einen jo getreuen Diener feines Herrn in jo vollkom—
menem Wohlſeyn zu fehen; Andere auf Samilien-
verhältniffe, in welchen der hohe Mann bis zu einem
gewiffen Punkte bewandert ſchien; noch andere auf
das Fach, dem der Befragte vorſtand; alle aber
waren in jener oberflächlich gefälligen Manier vorge—
bracht, die gewiſſermaßen den Fragenden als über
tiefere Kenntniß des von ihm berührten Gegenſtan—
des erhaben darſtellen ſollten. Mehreremale fand es
die hohe Perſonnage auch für dienlich, Worte leiſer
zu ſprechen, die hinlängliche Inhaltsſchwere hatten,
dem Angeredeten das Blut in das olivenfarbige Ges
— 16 &—
ſicht zu jagen, ohne daß ſie dem Salraben mir als
ein gnädiges Lächeln gekoſtet hätten.
Die Stimme des Camarerio-Mayor, der u,
kömmlinge verfündete, brachte endlich in dem Geftchte
de3 gefehmeidigen Hofmannes eine Art Stillſtand
hervor, und feine Muskeln zueften zum Erftenmale
in dem augenbficklichen, und wie es ſchien ſchweren
Kampfe, den e8 ihn Eoftete, fie in das vorige Kran
zu glätten.
Sechstes Kapitel.
AL dieſer eitle Brunf ift frevler Schimpf,
Der um fo tiefer nur dieß Herz verwundet,
Indem er IN ala Gegengift hinreicht.
(+ Byron.
Es waren die ziwei Creolen, die mit der Dame in
den Ießten zwei Wagen angefommen waren. Der
Erfte, der unter dem Namen Conde de San Jago
angekündigt wurde, war ein Mann mittlerer Größe,
von feinem, jehmächtigem Gtiederbaue; fein’ Alter
mochte zwifchen vierzig und fünfzig ſeyn, obwohl ein
unverfennbarer Zug von Gram ihm das Ausjehen
ER Re
— 127 0 —
von vielleicht fünf Jahren mehr gab; feine Geftchts-
j züge waren fein und edel, mit den feharf marfirten
Umriſſen, welche die Nachkommen der römiſchen Na—
tion charakteriſiren; ſein Auge durchdringend und
| klar; jein fefter Tritt und feine beftimmte Haltung
| beurfundeten Gelafjenheit und hohe innere Würde;
fein Anzug war nach dem neuejten, damals in Eu—
ropa herrſchenden Geſchmacke; ein einfach ſchwarzer
Tuchrock, eben ſolche Beinkleider, ſeidene Strümpfe
und Schuhe. Indem er ſich den Stufen des Thrones
h näherte, glitt jein Blick ruhig und achtungsvoll über
die Verfammlung hin, von der Mehrere, ihren freund-
lich aufwallenden Geſichtszügen nach zu ſchließen, eben
ſo angenehm als wohlthuend überrajcht wurden.
} Sein Begleiter war noch jehr jung, und konnte
kaum das achtzehnte Jahr überſchritten haben; eine
unverkennbare Familienähnlichkeit bezeichnete ihn als
| einen nahen Verwandten. Ein ſchwarzer Lockenkopf,
j ine breite, offene Stirne mit herrlichen Braunen und
ir in Baar Augen, fo prachtvoll, fo glühend, daß die
weibliche Hälfte der Aſſemblee unwillkührlich in das
6 eflüfter: „O que brillantes estrellas!“*) ausbrach.
— —
Welch glänzende Sterne!
7
ſie fich tief und ftanden einige Sekunden. Inte
von zuteauficher Freundlichkeit angenommen, und kin
Sant gebräunte Wangen mit eine fein een
römischen Nafe gaben dem jugendlichen Gefihte einen.
Ausdruck von anmuthiger Männlichkeit, ‚deren ſich
der ſtolze Jüngling vollkommen bewußt zu ſeyn ſchien.
ALS die Beiden von dem Camarerio⸗Mayor*) vor
die Stufen des Throne geführt waren, verbeugten
voller Erwartung.
Das Geficht des Vicekönigs —— * Ausdruet
Auge ruhte wohlgefällig lächelnd auf Beiden.
„Der Conde de San Jago iſt willkommen!“ ſprach
er mit einer tiefern Verbeugung, als er bisher, den
Erzbiſchof ausgenommen, noch zu machen für gut be⸗
funden hatte. „Der Carneval hat endlich bewirkt,
worauf wir, trotz unſerer freundlichen Zumuthungen,
fo lange vergebens gehofft haben.“ Bi
‚»&ure Greellenz geruhen, einer Urſache zuzufi h e
ben, die fehwerlih für uns Veranlaſſung werden
konnte,“ erwiederte der Conde. „Wir find gekon
men,“ jeßte er im beftimmtern Tone Hinzu, „um dem
*) Oberfammerbherr.
— 129 —
| erlauchten Repräfentanten der Majeftät unfere Ehr⸗
furcht zu bezeugen und uns dem Born der Gnade zu
* dem Mexiko ſo Vieles verdankt.“
„Und dem Schutze der Mutter de los remedios,“
murmelte der Erzbiſchof, ohne jedoch in die Rede ſelbſt
einzufallen.
„Und dem guten ſpaniſchen Schwerte,“ fügte der -
General⸗Capitain etwas Lauter hinzu.
Wir Haben den Troft der gerechten Sache und des
Beiſtandes des Allerhöchſten und der Jungfrau, die
die Stütze Spaniens iſt,“ bemerkte der Vicekönig in
> einem Tone, der unwillkürlich einen ſpöttiſchen Nach⸗
klang von ſich gab. „Und dieſer junge Kavalier?“
| fragte er mit einem fremden Blicke auf den Jüngling,
n der dem Grafen zur Seite ftand.
Diefer, im höchften Grade, wie es ſchien überrafcht,
erröthete und gerieth dermaßen in Verlegenheit, daß
er wirr und ſcheu um ſich und dann zu Boden blickte.
M „Euer Excellenz unterthänigit aufzumarten, der
i Sohn unſers Goufin, Don Senor Sebaſtiano,“
ſprach der Conde mit einem Blicke, der nicht minder
befremdet bald auf dem Vicekönige, wieder auf dem
Jüngling rubte.
5
4
— 130 &—
Die hohe Perfonnage hatte gleichfalls ihre 8:
verloren, die fie erft wieder gewann, als (
des General-Gapitains hörbar wurde.
Diefer hatte fein ftieres Auge forſchend pi
Jüngling gerichtet, den er mit einem ref il > m
fterte, das allenfalls ein Werbeoffizier einem N
wachjenen Rekruten ſchenken dürfte, und dann fich E
zum Vicekönig gewandt, dem er einige Worte: fl
fterte. Aus der Unterhaltung, die zwiſchen en bei⸗
den Dignitairen ſich entſponnen, waren a
abgebrochenen Säge zu vernehmen: 4
zwanzig beigefellen, die —— mit den ger
heiligten Mußeftunden Sr. Majeftät ihren 5
treiben,“ und das „furchtbar! furchtbar!“ das dem
Satrapen in demfelben Teifen Tone entfuhr; dann
wurden ihre Stimmen abermals zum unverſtändl
Geziſche. wu |
Der Conde war während des kurzen, aber einiger
maßen peinlichen Ziwifchenfpieles ruhig en . |
jein Auge abwechfelnd auf den Vicekönig und d
General-Gapitain gerichtet, als der- Erſtere, — * "
Hälfte an ihn, zur andern — Generaf-@ apit
wendend, ſprach: |
—> Bl &
„Wir waren ohnedem gewillet, Sr. Herrlichkeit
dem Conde Jago einen Beweis von Wohlwollen zu
geben, der den hohen Fueros *), deren fich feine hohe
| Familie erfreut, angemefjener feyn dürfte, als Euer
Excellenz gütiger Vorſchlag —“
De General-Gapitain erwiederte:
Wir find fo frei, zu bemerken, Excellenza, daß auf
2 Fueros i in unferer Lage Nüskficht zu nehmen dem In⸗
N tereffe unſeres allergnädigften Herrn, den die heilige:
n Jungfrau jhügen möge, nicht anders als hinderlich
ſeyn könne. Se. geheiligte Majeſtät haben ſie gege—
ben, und nehmen ſie wieder, und zu Letzterm ſind wir
bevollmächtigt, wenn immer der — Sr. Majeſtät
es erheiſcht.“
Euer Ercellenz Bemerkungen;⸗ verſetzte der Vice⸗
könig, „find eben jo wahr als richtig, und wir wür-
den nicht anjtehen, wenn der Dienft Sr. Majeftät —“
„Der Herr hat ed gegeben, der Herr hat e8 genom⸗
min,“ fiel der Erzbiſchof ein. |
—
) Privilegien. Jeder Stand hatte ſeine Fueros: der Militär—
ſtand, die Geiſtlichkeit, die Conſulado, die Miliz ꝛe. Eines
dieſer Privilegien beſtand in der eigenen Gerichtsbarkeit des
reſpeetiven Standes.
Ye
-
0 "Wir kennen inter hi * |
lenz gütig zu bemerken belleben ist oe er Cu “
Es erheiſchte⸗ — * —
dem geiſtlichen Dignitair Zeit gegeben I
Bode einzuſchalten; ; nallein ©. Ere l mh io * d
dien iſt und ſeit — geweſen —
„Euer Excellenz kennen Ihre Vollmachten,
ſetzte der General⸗Capitain; aber meine Meinung
ift, zuerſt vein Werk ums dann Milde, | > viel Sie
wollen. Vai
etwas heftig ein, * ber * de Guerre
eihiene 1 böksheigen,, eins t [
„Wir haben einen En eingeſch
4*
*) Oberſtes Kriegstollegium. +
**) Klugheit und Vorſicht.
*
Er
SE
EN
913 &—
Conde, als das Intereffe unſers allergnädigften Herrn
und Gebieters, vereinen wird.a
‚Und nachdem er diefe Worte in einem etwas Tau-
tern, und zwar jenem beftimmten, obwohl immer
noch verſöhnenden Tone gefprochen, der Widerrede
eben ſo unnütz, als unſchicklich machen folte, vers
beugte ex ſich etwas Leichter und Fälter gegen den Gra-
fen, als e3 beim Empfange der Fall gewefen.
Letzterer, nachdem er auf diefe myfteriöfe Weife
abgefertigt worden war, wich mit feinem Neffen von
den Stufen des Thrones zurück, während der Sa-
trape, in Begleitung des Erzbiſchofes, des General
Gapitains und feines Gefolges, ihren erhabenen
Standpunkt ‚ebenfalls verließen, um gleihfam den
versehiedenen Berfonen eine Art —— abzu⸗
ſtatten.
So ſteif —* formell der letzte Empfang geendet
hatte, ſo freundlich, gefällig und herablaſſend wurde
nun wieder der Repräſentant der, abſoluten Gewalt;
ja, es ſchien, als ob dieſer mit Verſtellungsgabe ſo
ſehr ausgerüſtete Mann ſeine höchſte Kraft aufböte,
um feine Rolle einem grüclügen Ende entgegenzu=
| führen.
Der Virey. L * 10
—d 134 — “5
„Wir haben,» fprady er mit-der freundlichſten
Miene und dem heiterften Lächeln zu unferem Grafen,
als er endlich in feiner Tour zu Diefem herabgelangt _
war: „und eine kleine Mühe und ſelbſt einen Fleinen
Zwiſt Ihretwegen zugezogen, theurer Conde, die, wie
Sie erſehen haben, uns ſchiefen Bemerkungen aus⸗
geſetzt; allein dieſe ſollen uns nicht abhalten, der
Stimme unſeres Herzens, die für ee —
ſpricht, zu folgen. « *
Ein vielſagender Blick, ein freundliches Nicken be⸗
gleitete dieſe huldreich geheimnißvolle Zuſicherung,
und dann ſchritt der Mann weiter.
Der Graf hatte kein Wort geſprochen, und wäh—
rend er ſich vor dem weltlichen Gewalthaber ver—
beugte, trat der Geiſtliche heran.
Das Erſcheinen dieſes Prieſters konnte würdevoll
genannt werden; das maleriſche violetfarbige Seiden⸗
gewand, welches in weiten Falten ſeine hohe, dünne
Geſtalt umfloß, und deſſen Schleppe von einem reich⸗ 3
gekleideten Pagen getragen, gab ſeinem Ehrfurcht ge
bietenden Wefen etwas Antikes, das jedoch, wie ge—
fagt, wieder durch eine gewiſſe Verlegenheit geſtört
wurde, die ihn ſelbſt während der langen Aufwartung
— 135 —
nicht ganz verlaffen hatte. Er trug um feinen Hals |
eine goldene Kette von der feinften merifanifchen Ar⸗
beit, die in einem mit Juwelen bef etzten Kreuze endigte,
das auf die Bruſt zu liegen kam.
Auy bien!“ *) redete ex den Conde mit einer et⸗
was finſtern Freundlichkeit an; „Muy bien! Alles
mit der heiligen Jungfrau angefangen. Sie verleiht
ihren Beiſtand nicht bloß durch Fürbitte, ſondern,
wie die allein ſeligmachende Kirche ausdrücklich lehrt,
auch aus eigener Machtvollkommenheit, weßhalb ſie
billig de los remedios genannt wird. Si, si, Se-
nor!“ *) jprach er nach diefer gottfelig ſeyn ſollen⸗
den Auseinanderfegung des Schußverhältniffes feiner
Batronin: „Wir felbft wollen das allerheiligfte Meß⸗
opfer in unferer Kapelle darbringen; e8 ift zwar eine
halbe Stunde früher, als wir gewohnt find — “
„Beso a Vmd la manos!“ Ich Füffe die Hande
meines gnädigften Herrn Erzbifchofes, « erwiederte
der Graf etwas troden; „aber Perdon Illustrissima
Senoria, ***) wenn ich meine Unwiſſenheit über die
*) Sehr wohl!
**) Ya, ja, mein Önädiger.
+) Mergebung, erlauchte Herrlichkeit.
10*
— 136 —
Beranlaffung dieſet Hohen Gnade. u erfennen
geben muß. “
Die Verlegenheit des geiſtlichen pn
flieg um ein Bedeutendes bei diefen Worten. » „Se⸗
noria,“ erwiederte er finſter, „werden die Veranlaſ⸗
ſung unfehlbar ſeiner Zeit kennen lernen, und wir,
wie geſagt, eine Collectam pro peregrinante,*)
für Ihren Neffen namlich, zu machen und bewogen.
finden, der morgen früh um ſechs Uhr nach —
Sr. Excellenz unſerem gnädigſten Vicekönig vo⸗
werden wird.“
„Eine Reiſe nach der Madre Patria, nach Spa⸗
nien? Und mein Neffe!“ fuhr der Conde heraus im
Tone des höchſten Erſtaunens und mit einem Bid.
in dem fich ein empörtes Gemüth deutlich verriet.
Der Erzbiſchof fehlen nicht minder erftaunt über
diefe Wahrzeichen des gräflichen Unwillens; fein fin-
fterer Blick fiel einen Augenblic — * auf
den Conde.
„Se. Excellenz unſer gnädigſter Virey,“ fubrer 7
*) Ein Gebet für einen Neifenden.
—{+1371-
verweifend fort, „haben mit Sochdero eigenem Munde
uns eröffnet, wie Don Manuel abgehen werde, und
uns zugleich erfucht, Befehle wegen des allerheifigften
Meßopfers, das Derfelbe noch vor feinem Abgange
Hören wird, zu erlaſſen. Wir haben uns jedoch be—
wogen gefunden, Don Joſe Conde de San. Jago
einen Beweis unferer ganz befondern Werthſchätzung
infofern zu geben, als wir felbft das befagte aller-
heiligfte Meßopfer und Collectam pro peregrinante
/ der Mutter de los remedios darzubringen gedenfen.”
" Und mit diefen Worten ließ der Priefter fein Haupt
mit einem plößlich abgemeffenen Nude ſinken, daß
das fpige Kinn auf die Bruft zu liegen fam und,
es mit einem eben fo abgemefienen Nude zurück—
‚werfend, fehritt er mit devot artoganter Gravität
weiter.
Allmählig war in dem Audienzfaale ein Gemurmel
hörbar geworden, das, fo viele Mühe man ſich auch
gab, es zu unterdrücken, auf eben ſo inhaltsſchwere,
wenn nicht unangenehmere Mittheilungen von Seiten
des Satrapen ſchließen ließ, als diejenigen waren, die
dem Conde zu Theil geworden. Das Gemurmel
fchien immer lauter werden zu wollen, als auch die
Stimme de Vicekönigs ſich ſtärket erhob, wi u
eine T odesſtille eintrat. Seine Worte * bi } *
Creolen gerichtet, deſſen Gegenvorſtellung an etn a
lauter geweſen waren, als die ſpaniſche Etiquett
ſolchen Gelegenheiten zu aa Mm gut Befunden
hatte.
„Don Garcia!“ ſprach er, „es ſollten uns leid thun,
wenn wir uns getäuſcht hätten, und, wo wir einen
loyalen Verehrer des Willens Sr. geheiligten Maje⸗
ſtät unſers allergnädigſten Herrn und, Gebieters ; zu
ſehen glaubten, der nicht anſtehen würde, Gut und
Blut für feinen angebeteten Monarchen zu opfern,
— einen räfonnirenden Unzufriedenen. wahrnehmen
follten — «
„Von den Lehren ded fegerifchen Giberalen Windes,
der, Pro dolor! in diefem unglücklichen Neiche nur
zu fehr zu wehen anfängt, umbergetrieben, « * der
Erzbiſchof ein.
„Nein, nein, Excellenza,“ fuhr der Satrape, zum
General-Gapitain gewendet, fort, der finſter und
drohend den armen Creolen maß; „ich verſichere Sie,
Don Gareia iſt ein zu loyales Glied der mexikaniſchen
Nobilitad, um nicht die unangenehmen Folgen zu
A a
wi
—dH 139 >
gewahren, die der leiſeſte Widerſpruch um ſo mehr
in einem Zeitpunfte haben müßte, ald wir, Sr. Ma—
jeftat loyale Diener, feſt entfchlofjen find, das An—
ſehen der von Allerhöchftderfelben uns allerhuldreichſt
übertragenen Gewalt in feinem ganzen Umfange auf-
recht zu erhalten, und fo diefes Königreich wieder in
den Zuftand zurüd zu bringen, ein würdiger Gegen-
ftand der Gnade unſers Deren zu werden. «
&3 war bei diefem höfiſchen Amtstone wieder fo
viel ſüß Schmeichelndes, oder vielmehr perfid Kofetti-
rended.in den Worten des Satrapen, daß die Augen
der meiften Creolen mit einer Art fieberifch peinlicher
Spannung an dent Sprecher hingen. |
„Excellentiſſimo Senor,“ ſprach der Greole, an
den die Anrede gerichtet, die aber fo laut gefprochen
worden war, daß Alle Leicht einfehen konnten, fie
gelte ihnen ebenfowohl: „&reellentiffimg Senor!“
wiederholte der zuckende und bebende Creole mit Halb
erftichter Stimme, „nur Eine Gnade gewähren Sie
dem Vater, deffen Sohn fo plöglich, unverſchuldet
aus den Armen feiner Familie geriffen wird. Bas
bat Sfidor verbrochen?«“
„Der getreue Unterthan forfeht nicht, räſonnirt nicht,
* uo —
er gehorcht,“ ſprach der General mit ſta
| ſcher Stimme. TH
Eine Todesftille erfolgte auf if ot in em
ganzen Saale; nur ein leiſes, Faum merkbares Knir-
fehen mit den Zähnen, verrieth den heißen Ingeimm
der gedemüthigten Creolen. Doch tagte es Keiner
auch nur ein Wort zu entgegnen.
„Wir find der Hoffnung,“ fuhr der Satraye fort,
„St. geheiligten Majeftät allergetreuefte Unterthanen
diefes Königreiches werden fortfahren, fie der Aller-
höchſten Gnaden würdig zu crhaum vie Se. Maje⸗
ſtät durch Ihre allerloyalſten
Diener, die durchlauchtigſten Conn zum Andenken
der durch Ihre geheiligten Waffen ſowohl in der
Madre Patria, als in diefem Königreiche , erfochtenen
Siege, und namentlich der Eroberung von Badajoz,
Ihren allerunterthänigiten Getreuen angedeihen zu
laſſen allerhuldreichſt geruhet haben. Und es iſt mit
dem größten Vergnügen,“ fuhr der Satrape, mit
feinem füßeften Lächeln fort, „daß wir den Großen
dieſes Königreichs eröffnen, daß die erwähnten aller-
huldreichſten Gnadenbeweife Sr. geheiligten Ma-
jeftät im Königreiche bereits angelangt und des
—— De Br Er = = — * — ee cn 2
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glücklichen Zeitpunktes harren, wo das Allerhöchſte
Namensfeſt unſeres angebeteten Monarchen und ge—
ſtatten wird, über dieſe allerhuldreichſten Merkmale
Allerhöchſtdero Gnade, nad Allerhöchſtdero gnädig-
fter Willensmeinung, allerunterthänigft gehorfamft
zu verfügen. «
Sp niederträchtig, unmännlich und ſelbſt abſurd
ſolche Redensarten in unſerer männlich freien ameri—
Fanifchen Sprache Elingen, jo zwar, daß es gewiffer-
maßen unmöglich feheint, fie wiederzugeben, und fo
fehr fie ficherlich das Gelächter und die Verachtung
jedes Gebildeten in unjerem und dem Mutterlande
erregen müßten, fo ift doch befanntlich dieſe, die
Menſchheit entehrende Sprache in allen Ländern des
despotifch beherrſchten Kontinents von Europa fo
fehr Mode geworden, daß fie da gewiſſermaßen zum
guten Tone und zur Bildung gehört, und erft jegt eine
der politifchen Aufklärung etwas weiter vorgerückte
Nation fich derfelben zu fehämen anfängt. Diefer Wort-
ſchwall, der jede Anrede an einen Monarchen oder
felbft eine bloße Erwähnung Defjelben begleitet, ift
übrigens wohl berechnet, und Feines der geringfügig-
ften Mittel, die Berftandesfräfte der armen loyalen
*
ur ⸗
Unterthanen dergeſtalt zu umwölken, daß ſie gewiſſer⸗
maßen nichts Menſchliches mehr, ſondern nur Ueber⸗
irdiſches an ihrem Herrſcher zu ſehen wähnen.
Der Satrape, nachdem er folhergeftalt das nun
dem Lande zu Theil gewordene Heil verfü 1 ‚
überfah nochmals mit einem gnädigen Lächeln die
glänzende Verfammlung, und wandte ſich dann zu
den Damen. Die anweſenden Spanier brachen in
ein abgemefjenes, mäßig lautes Viva Su Magestad
sacratissima Fernando VI. *) aus, in welches Bi-
vat mehrere Creolen einftimmten, die gleichjam um
dem viceföniglichen Gedächtniß bei Verleihung der
Gnadenbezeugungen nicht zu entichlüpfen, ſich in
demuthsvoller Haſt vorgedrängt hatten. Der Satrap
lächelte Dieſen gnädig zu, überſah die Uebrigen mit
etwas ſtolzerem Blicke, und nachdem der hohe Mann,
eben ſo formell als gnädig, von den geiſtlichen und
weltlichen Würdeträgern Abſchied genommen, ent—
fernte er ſich unter dem Vortritte ſeines Hofperſonales
auf dieſelbe Weiſe, wie er gekommen war.
Der letzte Abſchnitt dieſes Hofzirkels hatte einen
*) Es lebe Se. geheiligte Majeſtät, Ferdinaud der VIL
— 113 ⸗⸗
gemifchten Charakter von fo empörender Kerzlofigfeit
und Heimtücke, ſüßlicher SHoldfeligfeit und hohn—
lächelnder Grauſamkeit; die Umgebungen, der finſtere
Soldat mit ſeinem Gefolge von Generalen, der fromm
tückiſche Erzbiſchof mit der kaum minder furchtbaren
Ideenaſſociation von Autos da fe, verliehen den Wor⸗
ten, fo eckelhaft Eriechend fie auch waren, ‚eine jo
furchtbare Deutung, daß die Meiften der armen Ereo-
len fehaudernd dem Manne nachblickten, der die bit-
terften Demüthigungen und herzzerreigendften Gewalt-
ftreiche auf eine ſolche Weife vorbringen fonnte. Eine
lange Weile nach der Entfernung des Vicekönigs
herrſchte noch Todesftille im ganzen großen Saale;
die Greolen fahen ſich an, wie Menſchen, die plöglich
aus dem Schlafe aufmachen und erft allmahlig wieder
zum Bewußtſeyn zurüdfehren. Als wäre aber jede
Aeußerung durch eine unftchtbare Gewalt unterfagt,
fo erjtarben die Worte auf ihren Zungen. Kein Laut
war zu vernehmen; nur ein dumpfes, zifehendes Ge-
flüfter, das, als wäre e8 noch zu gefährlich, ſchnell
abgebrochen wurde, um durch eine Sprache erfeßt zu
werden, in der es die ſüdlichen Völker in Folge des
auf ihnen laftenden Druckes bekanntlich fo weit ge—
* —— ei a
—
bracht haben. Wirklich ſchienen ſich die Anweſenden
in dieſer eben ſo beſtimmt und deutlich verftändigen
zu können, als wenn fie ſich ihre Ideen durch Worte
mitgetbeilt hätten. Ihre Blicke waren fehnell und
fprechend, und ſo raſch folgten nun die Verſtändi—
gungen dieſer Augen- und Geberdenſprache, daß ein
plötzlich Eintretender ſich in einer Verſammlung auf⸗
geregter Taubſtummen geglaubt haben würde. Nicht
weniger lebhaft war die Augenfpracdhe der Damen,
deren Mantillas ſich nun mit den heftigern Geberden
der Männer vereinigten, um ein Schaufpiel aufzu-
führen, das mur in einem fpanifchen Lande wieder
‚gefehen werden Eann. |
Diefe Beweglichkeit der Schleier und Fächer, dieſe
glänzenden, rollenden und wieder Liebe ſchmachtenden
Flammenblicke, die Unmuth, Verachtung, Zorn und
die heftigften Leidenfchaften zu. ſprühen jehienen, fie
wechſelten fo pfeilſchnell auf den Gefichtern mit den, -
fanftern der Liebe und Annäherung, daß die ganze
Aſſemblee, fichtlich felbft von Diefer innen Kraftäußes
rung ergriffen, nicht länger im Stande war, ihre
Empfindungen zu verbergen, und wie getrieben aus
dem Saale zu drängen begann. Unfer Graf allein
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— 15 ⸗
war ruhig geftanden; die Meiften der anweſenden
Creolen hatten fih um ihn gefammelt, ihn forfchend
angeblickt, und waren wieder weiter gefehritten, um
Andern Plag zu machen. Auf einmal jedoch fihien
auch er feine Haltung zu verlieren, feine Augen dreh—
ten fich Tichtlich in den Höhlen, und fein Blick, auf
Einen Punkt gerichtet, begann ao und VRR zu
werden. |
Unter dem: Site des — auf der erſten
Stufe, wo die Gemahlin des Satrapen noch immer
Abſchied von den Damen nahm, ſtand eine junge
ſtolze Dame; ihr erhabener Standpunft verrieth einen
hohen Rang, ‚das höhniſche Lächeln, mit dem fie die
herannahenden Greolinnen begrüßte, verſchmolz wie—
der in den fehmachtendften Blick, jo wie ihr Auge auf).
einen entferntern Gegenftand im Saale hinabglitt.
Auch ſie fehlen den Conde prüfend zu meſſen; doch
wandte ſich ihr Flammenblick unwillkürlich wieder
und wieder auf den entferntern und, wie es fchien,
begünftigten Gegenftand. Die Vicefönigin hatte nun
von ſämmtlichen Damen Abſchied genommen; noch
einen Blick warf die ftolze Schönheit herüber, und
dann wandte fie fih. Mit ihr der Graf.
un
„Tip! theuerfter Tio!“ mit diefen Wi e
Don Manuel, ſein — gr und ur
heran.
Eine Wolfe hatte ſich über der Stirn des sn.
gelagert. Er fah den Jüngling mit einen wehmüthi=
gen ernften Lächeln an, ergriff dann die Sand feines
Nachbarn, und verlieh den Saal.
Noch trat Einer der Camarerios vor, zu verkün—
den, daß Ihre Ereellenzen und Se. erzbifchöfliche
Gnaden das Theater mit ihrem Bejuche beehren
würden. Und nachdem Alle jo den ftinfehweigenden
Befehl empfangen hatten, ſich gleichfalls dahin zu
begeben, zogen fte fih aus dem Audienzfanle zurück,
Wir ſelbſt, in der Vorausfegung, unfere Lefer
dürften einftweilen- an dieſem Probeſtück der vice⸗
königlichen Herrlichkeit zur Genüge haben, verlaſſen
die hohe Aſſemblee, um den Faden unferer Erzählung
in einer etwas weniger ſchwindlichten Höhe fortzufegen.
k
— 1 —
Siebentes Kapitel.
Mein Elend wett’ ich um ein Dutzend Nadeln,
Das fie vom Staat fi unterhalten werben,
Bor einem Wechfel thut das Jedermann.
Shafespeare.
Gegen Süden lauft die Hauptſtadt Mexiko's in
den fogenannten Paseo, nuevo, einen öffentlichen
Spaziergang, aus, beftehend in zwei breiten Alleen,
die wieder in der Straße von Tacubaya endigen.
Spwohl die beiden öffentlichen Spaziergänge, als
die Stragen, find begränzt von einer lachenden Land—
ſchaft herrlicher Gärten, in denen die tropifchen Er—
zeugnifje der heißen Zone mit den Blüthen und Früch—
ten @uropas verfchmelzen, um abwechjelnd einen
ewigen Frühling und Herbſt darzuftellen. Tauſende
von. Pfirfich-, Kirfhen- und Apfel- und Orangen
und Gitronenbäumen bilden einen prachtvollen Frucht-
wald, der bis zum Porphyrfelſen von Capultepec 9
*) Das Schloß von Capultepec, einer, Feſtung ähnlicher
denn einem Schloſſe, auf dem Felſenhügel gleichen Namens,
vom Vicekönige Galvez erbaut. Im Garten deſſelben Schloſ—
ſes befinden ſich die ſogenannten Monteezouma-Cypreſſen;
eine derſelben mißt 41 Fuß im Durchmeſſer.
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mit feinem Föniglichen Schloffe un nen fa oe;
Cypreſſen, reicht. Von dieſem Standy
das Thal von Tenochtitlan bekanntermaße am e |
züefendften und grandioſeſten dar, mit, alle — en h
Seen und Gärten, Maisfeldern und Fruqh |
jeinen Domen und Kuppeln, feinen, Balı
vierzig Städten und Städtchen, feinen un
Weilern, Dörfern und Villas, alle Kekrängt im Str
den und Südoften von den hohen Tendehtit —* ergen
und bewacht von den Rieſenkuppen des gotnc
und Popocatepetl. *
Die Stille, die in dieſem lachenden ‚Reiche erſch B
bloß des Abends und, Morgens von den zu Markt
fommenden * Bu — *
getragen, daß mehrere der angefepenften. Bam
diefen Punkt zu ihren Stadtwohnungen
hatten.- Unter dieſen Villas, und zwar denje igen,
die ſich näher dem Chalcofee zu aus den fie umgeben⸗
— icli al udn
—d 149 >
den Hainen von Frucht und Waldbäumen erheben,
zeichnete fich ein einfach ſymmetriſches Gebäude mit
zwei Eleinen Slügeln durch eine ruhig beitere und an=
muthige Lage unter bejchatteten Ulmen und Pappeln
aus. Es hatte zwei Stockwerke, die ein flaches Dach
bedeckte, von dem bereits die VBorboten des Frühlings,
die merikanifche Flora, mit ihrem reichen glänzenden
Gefolge Belt genommen hatte. Das Innere des
Haufes entfprach ganz dem geſchmackvollen Aeußern.
Sin Haus- oder vielmehr Hofgarten mit-einem plät-
ſchernden Springbrunnen, umgeben von der Veran-
dah oder Säulenhalle, aus der man indie Staats-
zimmer im obern Stockwerke gelangte, die, beinahe
durchgängig al fresco ausgemalt, vielleicht von un—
ferem Geſchmack zu einfach befunden worden jeyn
dürften, obwohl wieder einzelne Geräthfchaften Spu—
ren gediegenen Neichthumes wahrnehmen ließen. In
dem Hauſe ſelbſt herrſchte eine tiefe, ‚beinahe unheim=
liche Stille, die kaum vermuthen ließ, daß eine Schaar
Diener anwefend war, die der reichite Ariftofrat der
großbrittannifchen Infeln für alle Zwecke perſönlicher
Bequemlichkeit mehr als zureichend gefunden haben
würde. Sie waren zum Theil aus der creolifchen,
Der Virey. L 411
a ee See 5 Ban DER a A rn
; Ri RE en
—d 150 &—
zum Theil aus der farbigen Booölterung dee Landes
genommen, und hatten in ihrem ganzen ſer
Ernſt und jene Beſonnenheit, die wir an de
dienern häufig bemerken, und die ein ſehr gelindes
Verhältniß zwiſchen Befehlenden und *
urkunden. Mehrere waren in der Sala mit Borfeh-
rungen zum Empfang von Gäſten beſchäftig 4 Linige
bereiteten die Eſteras auf dem Marmorfußboi en ar
Andere ordneten Reihen von Sophas und |
längs den Wänden; ein drittes Paar brachte einen ”
ungeheuern Fupfernen Keſſel, mehr einem tragbaren
Kamine Ahnlih, und mit glühenden Kohlen ange-
fült, den fogenannten Brafjero oder Kohlenkeſſel;
wieder Andere ſtellten Tabourets in die Ecke des Saa-
les, auf welche zierliche Glaskäſten mit ſilbernen
Standbildern zu ſtehen kamen, die von einem Blumen⸗
ſtrauße mit ſilbernen Armleuchtern flankirt wurden.
Dieſe Figuren ſtellten die Schutzheiligen Mexikos vor,
und zwar den Erlöſer von Atolnico, die Madonna de
los remedios, die Vierge de Guadeloupe, und, den
San Felippo. de Jesus, einen mexikaniſchen Hrieſter,
dem die ſpaniſche Politik das Heiligendiplom bei der
römiſchen Curie auszuwirken ſich herabgelaſſen hatte.
—9 151 ⸗—
Dieſe Vorkehrungen wurden unter der Oberleitung
eines alten ehrwürdig ausfehenden Mannes getroffen,
der, ein Sammtbarett auf dem Haupte, ein langes
ſpaniſches Rohr mit goldenem Knopfe in der Hand,
als Mayor domo oder Oberhofmeiſter gravitaͤtiſch
im Saale auf⸗ und abſchritt.
„Muy bien — fo iſts recht,“ ſprach ex. „In die
linke Ede, gegenüber dem Erlöfer von Atolnico; da
gehört ſie hin, daß ſie Jedem in die Augen falle.
Werden ſie brauchen. Zwei friſche Wachskerzen,
Mattheo,“ bedeutete er einem andern Diener! „Was
fol denn das, Itztlan?“ brummte er einer kupferfar— —
bigen Apollogeſtalt zu, einem Oaxaca⸗Indianer, der
zwei Stümpchen Wachslichter vor dem Bilde der Ma—
donna de los remedios, der Schußpatronin der Spas
nier, aufgeftellt hatte. „Was fol das, Istlan?“
fprach er im verweifenden Tone, und einer Miene, die
einiges Mißtrauen verrieth, ftch aber ſchnell wieder
aufheiterte. „Höre,“ fuhr er fort, „Dein Wille mag
gut patriotifch ſeyn, und weder Se. Herrlichkeit, ber
Conde, noch wir, der Mayor domo feines gräflichen
Haufes, haben etwas einzuwenden, wenn Du der
Jungfrau de los remedios die Cortez in Deiner
417
—9 152 &
Stube verweigerft: aber hier, verftehft Du, find wir
in der Sala Sr. Herrlichkeit, wo ein Quentchen Klug-
heit mehr werth ift, als ein Pfund guter Wille mit
Dummheit verfeßt. Stecke frifche Warhslichter an;
denn jollten Gachupins kommen, ihre Nafen fpüren
fein in diefem Punkte, und Sr. Herrlichkeit Haus ſoll
ihnen feine Gelegenheit zum Obrenblafen geben. Ei,
und Hann hat die Madonna de los remedios um uns
noch immer friſche Wachskerzen verdient, obgleich,
Dios! wenn fo etwas noch vor fünf Jahren gehört
worden wäre, ich feft und ficherlich glaube, ganz Me-
xiko würde vor Schreden geftorben feyn; aber die
heilige Jungfrau Hat fich auch übernommen. Junge,
ich ſage Dir, der Tezecuco *) ift Fein Viertel Vara
geftiegen, und wieder gefallen, und Wer hat es ge-
than? die Jungfrau de los remedios. So wie die
Gitacion **) eine Woche ausblieb, Wer wurde ge—
*) Das Anfchwellen des Fluſſes Guautitlan in der regnichten
Jahreszeit verurfacht das Steigen des Waflers im See von
Zumpango, der fich mit dem von San Chriſtoval vereinigt; beide
fprengen die Dämme, welche fie von dem Tezecuco trennen, und
die Gewäſſer ver Iegteren werden. fo in die Hauptftadt zurückge—
drängt, der fie bereits mehrere Male gänzliche Zerftörung drohen.
**) Gftacion de las aguas, periodifche Negenzeit, fängt im
Juni, Späteftens Juli an, und dauert drei bis vier Monate.
4
J
F A
f
—2 153 &
plagt, dia y noche, Tag und Nacht, mit Bußgängen
und Prozefftonen? Wieder die Jungfrau de los re-
medios. Und bei der legten Hungersnoth, wo die
Fanega *) Mais zwanzig Piafter und eine Tortilla
einen Real foftete, wurden die, armen gente irrazio-
nale jo verblüfft, daß fie ganz vergaßen, daß eine
Vierge de Guadeloupe vor der Nafe, vor der Puerta
de Beracruz **), ift. Wohl mochte die de los reme-
dios ihr als die größere erfcheinen, da alle ihre Ver—
ehrer vollauf hatten, während die armen Anbeter der
Guadeloupe wie Mofhettos im Ianuarfrofte dahin
ftarben. «
Unſere Leſer dürften allenfall3 über den Gegen
ftand, der den frommen Eifer unfere8 Mayor domo
erregt, im Zweifel ſeyn, und es ift daher billig, ihnen
bemerklich zu machen, daß diefer Fein anderer war,
als die Barteilichfeit de8 wunderthätigen Gnadenbil-
des der Madonna de los remedios, der Schußpatro=
nin der Spanier, die, wie die mit der Gefchichte dieſes
*) Ein Getreisemaß, ein und ein halbes Bufhel, 135 bis
4140 Pfund.
**) Weraeruge Thor, durch das die Straße zum Wallfahrtsort
der fogenannten Jungfrau von Guadeloupe führt.
—4154 &—
—*
Landes naher Vertrauten wiſſen werden, zu vielfäl⸗
tigen Reibungen Veranlaſſung gab, indem die Spa-
nier ihr alle glücklichen Ereigniſſe zuſchreiben, zur
offenbaren Zurückſetzung der mexikaniſchen Madonna
de Guadeloupe, die, als nur von einem Indianer ge⸗
funden und überdieß kupferrother Hautfarbe, natür⸗
lich in den Augen der rechtgläubigen Spanier als we—
nig beſſer denn eine Indianerin ſelbſt angeſehen wurde.
Daß die beiden Marias zugleich die Repräfentantin-
nen der beiden. Parteien geworden waren, die fich
nun im blutigen Kampfe gegenüberftanden,- und als
ſolche fih alle die Berwünfchungen und Schmähun-
gen, mit denen Parteihäupter in der Negel von ihren
Gegnern beehrt werden, gefallen laſſen mußten, war
bloß die natürliche, Folge eines - Aberglaubens, der
längft jeden Funken gefunden Dienfchenwerftandes in
diefem Punkte erftickt Hatte.
Der Indianer hatte unterdefien, obwohl mit ſicht⸗
lichem Mißmuthe, zwei friſche Wachskerzen aufge—
ſteckt: eine Verrichtung, die er mit dem frommen
Wunſche begleitete, daß Mexitli*) der Jungfrau de
*) Der Kriegsgott der alten Mexikaner.
—d 155 ⸗—
los remedios und allen den Ihrigen recht bald den
Kopf zerſchmettern möge, welchen chriſtlichen Wunſch
er jedoch mehr zu brummen als laut zu ſagen für gut
befand.
„Aber ‚u brach er endlich aus, „wenn nur Die
Jungfrau de Guadeloupe fich auch ein wenig mehr
rühren wollte. Sie ſcheint jedoch zu ſchlafen, ärger
als eine thörichte Schildkröte.“ |
„Das weiß ich wieder nicht, Itztlan,“ bemerkte der
Mayor domo, eine gewaltige Prife nehmend.
„Aber Itztlan weiß es;“ verſetzte der Indianer. ©
„Er weiß es, daß fie den verdammten Gachupins
hilft und geholfen hat, jeit der Zeit, wo der tückiſche
Raubmörder, den ſie Marquis *) nennen, in Mexiko
eingedrungen, und wo ſie den Unſrigen Sand in die
Augen geſtreut.“
„Ich fürchte, das thut fie noch immer, Itztlan;“
bemerkte der Mayor domo mit einer Miene, die, bei
einer reichlichen Doſis Simplizität, eine wenigſtens
eben fo reiche Mutterwitzes wahrnehmen Vie.
*) Gortez wird ftetS mit dem Namen des großen Marquis,
oder Marquis allein bezeichnet.
156 ey h r
„Wahrend die von Guadeloupe die unſrigen ſitzen
läßt,“ brummte Itztlan, „dann ſoll es uns wundern,
wenn Mexiko mit allen ſeinen gewonnenen Schlachten
zuletzt doch wieder dem Gachupin in den ver
führt. u
„Es ift leider ſchon darinnen, und zwar ganz und
gar;“ verſetzte der Mayor domo. „Aber immer.
bleibt es ein harter Punkt, Itztlan. Damen, weißt
Du, find fo wetterwendifch in ihren Saunen, als fie
in ihrem Putze find; aber zum Glücke haben fie in
dem himmlifchen Hofſtaate drei vernünftige Schieds⸗
richter: den Dios Patre, Dios Hijo und Dios Espi-
ritu Santo, *) und Diefe werden der Senora ſchon
allenfalls den Kopf zurecht ſetzen.“
„Verdad, Verdad,‘* fiel da8 ganze Corps der Die
nerfchaft ein; denn wie leicht zu erachten, ſo hatte die
interefjante Discufffon über den Hofſtaat des Him—
mels, den fte ſich allenfalld al pari mit dem Sr. Er-
cellenz des Vicekönigs dachten, Ale zu aufmerffamen
Zuhörern gehabt.
„Und doch,“ hob Itztlan wieder an, „hätte die
*) Gott Vater, Sohn und heiliger Geift.
—$ 157 &—
Jungfrau de Guadeloupe immer etwas mehr für die
Unfrigen thun können.“
„Itztlan!“ Sprach der Mayor domo.
„Maestro !*‘ erwiederte der Indianer.
„Se. Herrlichkeit, der Conde, nicht wahr, find ein
gütiger und gnädiger Herr, der Dich fehr liebt, und -
alle die Seinigen? Aber obgleich er alle feine Neger
freigegeben auf feinen Haciendas und für fie. noch im=
mer forgt — Diejenigen nämlich, Die nicht zu den
Patrioten übergelaufen — glaubt Du wohl, er
würde ihnen Alles gewähren, was fie in ihrer Dumme
heit verlangen könnten 24
„No— se‘ *) verfeßte der Indianer Fopfichüttelnd.
„So viel weiß Ibtlan aber, daß von diefen zwei
Madres de Dios, ich wette zehn blanfe Thaler, die
rothe fich übertölpeln läßt. Gi, die weiße hat des
Schalfes zu viel —“
»Du irrſt, Itztlan,“ verfeßte Mayor domo, eine
frifehe Prife nehmend; „Du irrft, maßen Du zwei
Mütter Gotted annimmt, da e8 in der That und
Wahrheit doch nur Eine gibt.“
*) Weiß nicht.
RR.
Der Indianer mit den übrigen Zuhörern, denen
ihr Schußverhältniß zu den beiden Madonnas de
los remedios und de Guadeloupe’ bereit zu däm-
mern angefangen hatte, und die ſich nun durch die
‚Worte des Moyor domo auf einmal wieder in die
abjolutefte Finſterniß zurüsfgeworfen fühlten, ſchrieen
mit einer Stimme: „Todos diablos! no mas que
una Vierge!‘‘*) a |
„Itztlan,“ fprach der Mayor domo, „haſt Du nie
den — den — den Virey,«“ ſtieß er endlich mit einer
Art Schauder und Abſcheu heraus — „haft Du ihn
nie gefeben? Nein,” rief erfich befinnend, und gleich-
am froh, einen Ausweg gefunden zu haben, „mein,
ich meine nicht den gegenwärtigen, den vorigen meine
ich — Iturrigaray meine ich, der mar doch noch ein
Mann.u
Der Indianer und die Uebrigen fehauderten bei den
erften Worten des Mayor domo gleichfalls zuſammen.
nDie Schlange,“ ftieß der Indianer mit einem Grimme
heraus, der feine tiefen Kehlentöne im hohen Saale.
wiederhallen machte. „Die: Schlange, wiederholte
*) Alle Teufel! nur Eine Mutter Gottes.
a in
—$ 159 &—
er und feine vollenden Augen fprühten Flammen,
„die das Indulto auf allen Kirchenthüren ankleben,
und dann die Indianer von Zitacnaro, von Iſtla,
von Sombrerete, von — mit Weibern, Mädchen und
Kindern in ihren Däufern einfperren und verbrennen
‘ließ. Maldito sea el nombre!“*) Der Indianer
rannte zähneknirſchend im Saale umber.
„Wehe, Wehe!“ fprach der Mayor domo. „Wehe,
Wehe! Der Mann hat mehr Blut verrätherifcher
Weiſe vergoſſen, als den Teczuco füllen würde. Nein,
ich meine Iturrigaray; Den mein! ich;“ wiederholte
‚der Mayor domo befänftigend.
Der Indianer wurde ruhiger und nickte. „Hab'
ihn geſehen,“ fprach er, „zweimal; als er von Ga-
pultepec herabfam; hätte ihn beinahe nicht erfannt ;
ſah juft aus, wie unfer Einer auch. Und dann jah
ihn Istlan nochmals, als er auf der Plazza mayor
“mitten unter feinen Dragones und Lanzeros war.
‚Stroßte aber von Gold und hatte ein breited Band
auf der Bruft und einen dreiedfigen Hut; war aus-
zufehen wie unfer Erlöfer von Atolnico.
*) Verflucht ſey fein Name.
—9 160 &—
„Kurz,“ ſprach der Mayor domo, „der Virey auf
der Plaza war eine ganz verfehiedene Perſon von
dem Virey von Capultepec.“ |
Der Indianer nickte. | %
„Und doch wieder nur Eine und, diefelbe Perſon!
Und nicht wahr, Itztlan? Du würdeſt Dich eher und
mit größerer Zuverficht an den Virey von Capulte-
pec gewendet haben, als an den auf der Plazza
mayor?“
„Itztlan braucht den Virey nicht, und Anahuae
braucht die Gachupins nicht;“ verfeßte der Indianer.
Wohl wahr, Istlan. Wir brauchen auch die |
Coyotes weder auf unfern Haciendas de eria, noch
denen y labor *), die ung die Schaafe wegfreffen, und
in Veracruz brauchen fie das Vomito **) nicht, und
doch haben wir beide. Wohl,“ ſchloß nun der Mayor
domo, der jo hinlänglich für den Capaeitäts-Meridian
feiner Zuhörer vorgearbeitet zu haben glauben mochte.
„Sp wie der Virey von Gapultepec von dem auf der
Plazza eine en und —* wieder nur Eine
*) Landgüter, auf denen Viehzucht und Ackerbau zugleich ge=
trieben wird.
*) Das Erbrechen. Die legte Grife im gelben Fieber.
—H 16 —
und diefelbe Perfon ift, jo ift auch die Jungfrau von
Guadeloupe von der de los remedios eine verſchie—
dene, und doch wieder nur Eine und diefelbe Perfon.
Wenn fie namlich ihre Toilette als Jungfrau de los
remedios für die Gachupius macht, und fteif und
ftarr, in ihrer ganzen Pracht und von ihrem Hofſtaat
umringt, den Gachupins Audienz gibt, und ſtolz auf
die armen Indianer herabfieht, jo ift fie eine ganz
verfchiedene Berfon von der Jungfrau de Guadeloupe, ®
die ſich nur im ſchlichten Hauskleid zeigt, und den In—
dianern Audienz gibt, und ihnen zu gefallen rothe
Farbe wie die Duenna*) und Camarero**) auflegt,
und doch wieder nur Eine und diefelbe Perſon.“
Der Mayor domo, nach diefer dDogmatifchen Er—
klärung, die, im Vorbeigehen ſey es bemerkt, gegen—
über den horriblen Legenden der Prieſter der mexika—
nischen Kirche noch erträglich genannt werden Fonnte,
war aufgeftanden und zur Wanduhr getrippelt, die
er bedenklich und Angftlich anfah. Ein leichter Schau-
der durchzuckte feine halb verwitterte Geftalt; und es
*) Gouvernante.
**) Rammerfrau.
— i62⸗
war erſichtlich, daß er ſich bloß deßhalb foltiefin die
Angelegenheiten des himmliſchen Hofſtaates verwickelt
hatte, um trüber Ahnungen los zu werden. = U,
Gr fröftelte zufammen: „Ci, Wer die friſche Luft
unferes Guautla Amilpas oder, ‚noch beffer, Daraı i
oder Valle Santiago hätte! — Jeſu Maria! min
wird jo bange/ — — | — en
„Don Anſelmo!“ riefen ſämmtliche Diener; be
jorgt an ihn heran tretend; was fehlt Euch/ =
„Was mir fehlt?“ erwiederte der alte Mann.
„Ei, was fehlt unferem armen, prächtigen Conde |
Carlos? Wißt Ihr es? Armer Narr! Was das
Entwürfe waren noch vor acht⸗ Tagen; wie er vor
die ganze Notabilitad hintreten wollte, fie auffordern,
zum Virey zu gehen und ihm fein ſchändliches Be⸗
tragen gegen- Merifo vorzubalten. Seht ihn jegt an,
juft wie ein Hund, der im Schinderfacke gewefen. E8
iſt auf unfern Haciendag arg genug, und man hat‘
fich der Horden hungriger Häfcher zu erwehren; aber
bier, Jeſu Maria !u |
„Seht nur einmal Diego an,“ fiel ein zweiter Diez
ner ein. „Auf der Hacienda fängt er einen Coyote
im Laufe; hier gebt er herum, als ob er den gejtri=
Ä gen Tag juchte.”
Weiß nicht,“ brummte Itztlan. „Itztlan i Me⸗
xiko nie fo dämiſch vorgekommen. Es ſchnürt Itztlan
die Kehle zuſammen. Itztlan fürchtet ſich nicht; aber
alle Leute find bleich und zittern und wiſpern.“
; „Und das bringt auch über Deine Eifenfeele ein
Fröſteln?“ ſprach der-Mayor domo. „Glaub' «8
gerne; man müßte, son Granit feyn, um das auszu⸗
halten. Hier ſind nur die Gavilla und unſere Peini—
ger froh; alles übrige wie fterbend oder todt. Jeſu
Marin, und der Conde noch nicht zurück! und Car—
los umd Federigo auch nicht! Habe ihnen doch auf--
getragen, von dem Gange der Beſamanos Nachricht
zu bringen. Was wird da wieder aus— und A
fponnen werden?”
Der alte Mann fröftelte wieder zufammen. „Gi,
wäre es meinem Willen nachgegangen, fo wären wir
unten in Guautla Amilpas oder Daxaca geblieben.
> Die frohe Botfchaft, die und wegen des Ninon ge—
bracht wurde, war nicht der Mühe werth. Ci, und
; wie ſechs Monate Den verändert haben! Man fagt,
wifperte er leiſe, zer fey zum Gachupin geworden. #
44
— am
„Dann möge erin die flebzehnte Hölle —
ren!“ brummten die Diener alle
„Wer ſpricht gegen Don Manuel, Sk Steffen uns
ſeres Seren?“ fehraf der Mayor domo auf, ſich über
die Stirne fahrend. „Ei, er ift der ei ch
Gachupin, diefer Manuel, und ihm ift Mexiko
yr
w
mehr als eine Waffer angefüllte, ausgebeuteteSchacht. u >
„Und Wer konnte Conde Jago, den Stolz von Me-
ax en, ‚oingen, J
xiko, die Blume der Blancos*) in O
nach Tenochtitlan zu kommen?“ fragte 4 {
Der Mayor domo fhüttelte das Haupt. BF |
e3 iſt ſchwer für den Gaballito, den Minero oder
Soto-Minero abzumwerfen, der feft auf feinem Rüden 4
ſitzt; und wirft er ihn ab, ſo ſtürzt er ms Su
ſelbſt in die tiefe Schacht hinab. Wird immer Arger,
Itztlan,“ fuhr er fort. „Ich habe die Galvez, die
Buccarellis, die Revillagigedos, die Afanzas, die
Iturrigarays gefehen; harte, ftolze Männer, die den
Popocacepetl mit einem Fuße flach zu treten fich ſtark
2
r
genug dünften, ſtolz, wie Lucifer; aber doch waren *
*) Meiße, werden ſchlechtweg die Spanier und Creolen ge—
nannt.
————
—
a ——
2
“u wen
es Spanier — Schrot und Korn; aber
dieſer — —“ der alte Mann faltete feine Hände.
nDiefer Vanegas,“ fuhr er ftiller fort; „dieſer Ä
Danegas, in der franzöftichen Schule aufgewachfen,
unter ihren Peitſchenhieben, der Schule aller Perfidie
und Lafter. Sie fagen, er habe ſelbſt die Armeen der
Gachupins bei Cuenca und Almonacid an die
| keteriſchen Joſephinos *) verkauft. Jeſu Maria! und
was der Mann in Mexiko gethan hat, das, glaubt
mir Kinder, ift noch nie erhört worden, und Alles
mit honigſüßer Zunge. Es fchreit zum Simmel um
/ Race. Und doch, wenn diefe Schlange zu St. Peter
kommt, ich.glaube, ſie überredet 20 fie in den Him⸗
mel ten. Ein Schurke, wer danchnoq darin⸗
nen bleibt.
„Jeſu Maria!⸗ ſeufzte * Mann, indem er zu⸗
gleich das Kreuz ſchlug, und dann ſeinen Daumen
küßte.
) Anhänger Joſeph Bonapartes.
Der Virey. J. 12,
Achtes ee S
Es freut mich wenig
Zu melden dieß; doch was ich fag, ift wahr.
Grm ea
Der-alte Mann wurde in feinen düftern Ausbrü⸗
chen durch das Läuten der Glocke an der Pforte, und
den darauf folgenden Eintritt eines jungen Mannes
im mexikaniſchen Coſtüme unterbrochen; der mehr in
den Saal ſtürzte ald trat. In der Haft war ihm ein
Theil der Manga, und mit diefer ein leichter Bündel
und eine Larvesentfallen. Der Jüngling haſchte
ſchnell darnach, und, raſch auf den Braſſero zutretend,
warf er den Bündel Larve ins Feuer.
„Wohl gethan, Don Pinto,“ ſprach der Mayor
domo, der dem verftörten Jüngling kopfſchüttelnd zu=
geſehen hatte. „Wiſſen wir nun doch, wozu dieſe
Braſſeros, die uns der Gachupin mit allem ſeinem
Trödel gleichfalls auf den Hals gebracht, obgleich ſie
zu nichts nütze ſind, als ſich die Zehen zu verbrennen,
wiſſen wir doch, wozu ſie gut ſind; wo hätte ſonſt
Don Pinto einen Feuerheerd für ſeine Narrheits—
kappen gefunden? Nimm es heraus, Jago,“ ſprach
° * Er * * =
— ee
er zu Einem der Diener; ve ift Gold daran, und a.
Pinto wird defjen nie zu viel Haben.“
„Laßt e8! laßt es!“ rief der Züngling, heftig einen
feiner Spornen auf den Fnifternden halb verbrannten
Anzug ſetzend.
„Wie e8 Euch beliebt, Don Pinto,“ Sprach der
Mayor domo. „Nur wollte ich Eu bedeutet haben,
Senor, daf wenn Ihr Narrenftreiche treibt, Ihr das
Narrengewand da laffen mögt, wo Ihr fie getrieben. #
„San Jago noch nicht zurück?“ fragte der Süngling
gahnend. A
„Wer?“ fragte der Mayor domo mit. allen Zeichen
der Verachtung. „Wer? San Jago? Wen meint
Don Pinto damit?“
„Den Gonde,“ verfegte der Jüngling, ſich nach—
faffig in das Sopha mwerfend. „Die Herrlichkeit bei
unfern Serrfchaften wird, fage ich Dir Alter, bald
ihr Ende haben. Ei, ich — Dinge geſehen, Zeichen,
die da ärger ſind, als die Zeichen, von denen unſere
Padres ſich den Mund ſo voll nehmen, wenn ſie einem
armen Caballero die Hölle recht heiß machen wollen,
Zeichen, von denen ſich Merifo noch vor vierund-
12*
168 æ
‚zwanzig Stunden, ‚eben ſo wenig als Deine Philo ſo⸗
yhie haͤtte teäumen laſſen. “ Me
Der alte Mayor domo und jeine Mubiener ſahen
den jungen Wüſtling ſtarr an; denn als ſolchen be—
zeichnete ihn das hohle Auge, der dunkle violetfarbige
Ring und das bronzfarbige Geſicht, in dem nächt-
liche Ausfchweifungen tiefe Spuren zurückgelaſſen
hatten. |
„Philoſophie, Don Pinto!“ verfegte der Mayor
domo;, endlich. tiefer Athem holend. „Se. Herrlichkeit
Don: Iofe Eonde de San Jago find ein viejo Chri-
stiano, ein alter Chrift, und wir, Gott jey Dank,
find ein guter Chrift, und haben Feine Philoſophie
und wollen feine Bhilofophie haben. Was wir haben,
genügt und auf unferer Reiſe durch dieſes Thränen—
thal, und hoffentlich dort drüben. — Der alte Mann
faltete die Hände, indem er wechſelweiſe die Madon-
nen und Standbilder anfah. „Wir vertrauen auf die
heilige, unfehlbare Kirche.
„&i, und auf den König,“ verjegte der Jüngling
fpottend. |
„Auch auf den König, Her * Mayor domo ein.
„Aber er iſt zweitauſend Stunden von ſeinen Unter—
TE, *
169 —
thanen, oder vielmehr den Unterthanen ſeiner Unter⸗
thanen,“ ſetzte er leiſer Hinzu, „den weniger als Unter
thanen feiner Unterthanen. — Mein Gott, was ift
aus dem armen Mexiko geworden ?« | |
„Was aus Mexiko geworden ift,“ erwiederte dee
MWüftling lachend. „Carracco! das Fonntet Ihr vor .
der Fonda Trafpanna gefehen haben. Ein blutig
verftümmelter Leichnam, der zerfebt und zerfreffen
auf einem Schubfarren fortgezerrt wird. Aha Yu Yachte
er, „Ihr fpißt Eure Ohren, und wohl mögt Ihr;
denn während Ihr hier fißt, gehen draußen Dinge
vor — Dinge! — — Alle Teufel! rief er auffprin-
gend, und raſch und ſcheu zum Fenfter laufend, „aber
die Eiudad füngt ſich zu rühren an, wenn gleich ſeine
Guachinangos und Nobilitad und gente irrazionale
eine fühllofe Race find. Ei, das war ein Auto sacra-
mentale.‘
„Das ift fo me fiel der Mayor domo
mit Verachtung ein; „Autos sacramentales, Prozef-
fion, Nafeten, und der Erlöſer von Atolnico mie ein
Madrider Mayo *) herausgeputzt.“
—
*) Stußer.
—
„Dießmal gab es andere Dinge zu ſchauen,“ ent⸗
gegnete ihm der Jüngling etwas ernſter. „Einer dieſer
Mayos hatte ein verdammt ſchlechtes Lager, und ʒwar
auf einem Schubkarren; es war eine Ladung, die für
zehntauſend Mulos zu fehmer geweſen ſeyn dürfte.«
„Es war der geröftete Quauhtomozin,“ fuhr der
Müftling, unheimlich Yachend, fort, „der auf den
Schubkarren ausgeſtreckt lag, juft fo wie Ihr ihn auf
dem Bilde in der Malerafademie jehen fonntet, AS
deſſen DVerfertigung der arme Olla mit einem Fı —
und Halseiſen belohnt worden, nur mit dem Unter—
ſchiede, daß der Leichnam genau die Geftalt des un—
glücklichen Mexiko ſelbſt hatte. Seine rechte verftüm-
melte Hand ftelte Yucatan und Veracruz vor; feine
Linke, von zahllofem Gewürme angefreffen, Puebla
und Oaxaka. Auf dem Leibe, der mit Valladolid und
Meriko bezeichnet war, ſaß ein Vampyr; um die
Schenkel, die Guadalaxara, Zacatecas und San
Louis Potoſi*) bildeten, zerrte und riß ſih ein wüthen⸗
der Caguar. u
*) Intendanzen oder Provinzen, in die befanntlich das damalige
Königreich Neufpanien eingetheilt war, und die feit ihrer Unab-
hängigfeitserflärung die vereinigten Staaten von Mexiko bilden.
k
— 11 —
ve
„Und alles das habt Ihr geſehen?“ fragte der
Mayor domo kopfſchüttelnd.
„Konntet es leſen, wenn Ihr nämlich Ute
verfteht. «
„Don Pinto! hört und feht weniger, wenn es Euch
beliebt; denn vieles Sehen und Hören macht Augen-
‚und Ohrenweh, jagt unfer Sprichwort. Laßt fie fi
abmühen,“ fprach er, fich zu den Dienern wendend,
„da eine Flamme hervorbringen zu wollen, wo faum
Rauch zu haben ift. Gi, wir kennen Mexiko, diefe
Giterbeule yon Gachupin-Verderbniß und merifani-
ſchen Gefhtwüren. Zum Plündern, zum Boleros-
und Charavetanzen, zum Pasquillsmachen, ja, da
find fie.gut; aber Der ift ein Narr, der feinen Kopf
für dieſes Gefindel in die Schlinge bringt. Die Ga-
villa ift alle im Solde und Brode der Polizei. — —
Federigo, was and fragte er auf einmal er=
ſchrocken.
Maestro Anſelmo! Cosmo, Pablo, Alonzo, to-
dos diablos!“ jehrie Federigo, der athemlos in den
Saal gerannt kam. „Wißt Ihr, daß die junge No-
bilitad aus Mexiko zur Armee vermiefen ift? Fünf
und zwanzig Gaballeros find ſchneller in die Hülſen
* R
von fünf und zwanzig — gekrochen,
der Seidewurm aus feinem Cocon ſich — Se.
Ercellenz, es es iſt ſicher, haben 9 jungen, hohen,
Adel allergnädigſt zu Zielſcheiben für die ketzeriſchen
Rebellen zu verwenden beſchloſſen. /
„Jeſu Maria y Iofe!a riefen fammtliche Diener.
„Und was das Schönfte ift,“ rief der Berichter-
ſtatter, „die guten Caballeros, die doch, wie Ihr
wißt, die Nebellen wie die fieben Todfünden haſſen,
kamen zu ihren Lugertenientesſtellen, wie der Pilatus
ins Credo. Es fol eine Art-Kacara*) feyn, eine
Traveftie, welcher der junge Adel beizumohnen ſich
erfühnt hat, die Se. Excellenz zu diefem plötzlichen,
gnädigen Entſchluſſe veranlaßt; ein Pero **) von
einem Mauren — Kalifen, ſoll die Perſon unſeres
allergnädigſten Herrn und Königs zum. Sprechen
nachgeahmt haben. «
„Jeſu Maria y Joſe!“ riefen nun — ig Stim⸗
men; denn der größte Theil der zahlreichen Diener:
ſchaft war natürlicher Weife berbeigeeilt, um feinen
Antheil an den inhaltfchweren Neuigkeiten abzuholen. |
*) Eine Satyre', Poſſe.
*) Hund, Schimpfnamen, den Mauren gegeben.
—
— 173 —
Aber Mexilo iſt auch dafür um eine gewichtige
Kenntnif reicher geworden, u fuhr der Bericterflater |
fort, mund der legte Lepero weiß nun, daß Fer⸗
nando VII., der gute Sohn, auf dem Schlofe wo er
haust — was denft Ihr wohl? je nun = Unter
röckchen für Madonna de los remedios ſtickt.“ |
„Jeſu Maria!“ feufzte der Mayor domo, „Eine
Pasquinade auf Se. Majeftät! Eine Pabquinade
auf Se. Majeftät! Ich ſah mit meinen ‚eigenen Aus
gen, wie Don · Silva gehängt wurde, well er ſich bei⸗
fallen ließ, den Kopf auf die linke Seite zu neigen,
wie Se. Ercellenz der Virey Galvez zu thun gewohnt
waren, und Don Cosmo, der in den Kerkern der
Cordelada erdroſſelt wurde, weil er ſagte, ©e. Maje⸗
ſtät ſey juſt ein Menſch wie er auch, und es ſey Narr⸗
heit zu glauben, ſie haben für ihn im Himmel auch
einen Thron aufgerichtet /·
4 „Nombre Santo de Dios, que quiere dicer
eo“ *) fchrie nun ein neuer Ankömmling, der nicht
2 weniger verwirrt und erfehroefen in den Saat ftürzte
= „Don Manuel — —u
7%) Heiliger Name Gottes. Was will denn ag wieder ſagen?
$ Was will denn dieß bedeuten?
—H 174 — 5
„Was iſts mit Don Manuel?u riefen Ale er⸗
ſchrocken. A
„Iſt in die Madre Patria verwiefen; * den
um ſechs Uhr auf Befehl des Vicefönigs i in die Madre
Patria ab.“
„Jeſu Maria!“ riefen wieder ſämmtliche —
„Don Senor Manuel, der Neffe feiner Herrlichkeit,
unfer Nino*), in die Madre Patria? Jeſu Maria!
was hat das zu bedeuten?“ wiederholten fie, ſich mit
großen Augen anſtarrend noch immer ungewiß, was
aus der ſonderbaren Botſchaft zu machen.
„In die Madre Patria?“ wiederholte der Mayor
domo fopfjchüttelnd. * : |
„So fagte mir der Camarerio ©r. Ürrelleng ber
fräftigte der Dienet, der die Nachricht gebracht hatte, |
„daß nämlich feine Ereellenz aus übergroßer Huld
für den Erben Sr. Herrlichkeit, des Conde, befchlofjen
haben, Diefen in die Madre Patria abzufenden.u ·“
„In die Madre Patria?“ murmelte der Mayor
domo noch) immer. „Sr. Excellenz übergroße Huld?
*) Die zävtliche Benennung, mit der in Merifo das jüngfte
Kind des Haufes bezeichnet wird; und ift es ein Mädchen Nina.
Es bedeutet fo viel als: das geliebte Kind, das zarte Kin. ;
— 15 ⸗—
Ja vor fünf oder zehn Jahren, da würden wir eine
folhe Gnade mit ſchwerem Golde bezahlt Haben;
aber jegt! — Gott und die heilige Jungfrau allein
wiffen, was dahinter ſteckt! — 4 Der Alte verftummte
plöglich.
„Stille! die Nina; ftille, ftille, leiſe, ftille! die
Nina,“ rief es von allen Seiten, und die Diener
wichen ehrfurchtsvoll zurück, um einer Dame Plab
zu machen, die, zur Hälfte verfchleiert, durch die obern
Flügelthüren in den Saal getreten. Sie war noch
jung, mehr Kind als Jungfrau. Ihr ſchönes Fafta-
nienbraunes Haar wallte in langen Locken über einen
Theil des Dalfes, während‘ der andere durch die Man—
tilla *) verhüllt war. Sie trug eine prachtvolle Robe
von chamoisfarbigem chineſiſchem Atlas, darüber die
wunderliebliche Basquina, **) die ihr bis zu den
Knien reichte, und die Juwelen, die an ihrem Haupte,
Halſe und Armen ſchimmerten, würden dem Braut-
ſchmucke einer Königin nicht Unehre gemacht haben,
*) Der Schleier, ver, am Scheitel unter dem Kamme bes .
feftigt, iiber Geficht und Schultern fällt.
) Das mit feidenen Franſen beſetzte feidene Unterfleio , das
über die Robe geworfen wird.
—
begrüßt. — war, nicht paſſender —* werden
konnte. *
„Wer ſpricht von Don Manuel? Wo iſt er, Kin⸗
der?“ fragte fie mit einer noch findlichen Silber⸗
ſtimme. „Um der Madre*) willen, Anſelmo!“ rief
fie heftiger, als die Diener ſchwiegen, fich Betroffen
anfahen und ſtockten; »Anfelmo, Cosmo, dederigo! 4
Wo iſt er? Federigo, Du haſt ihn geſehen? ſage —
Mutter Jeſu! Vier und zwanzig Stunden in Mexiko,
und ihn noch nicht gefehen! Jeſu Maria y Joſe! jo
forich doch, Federigo! Noch nie bift Du fo harthörig 1
verſtockt geweſen?“ |
„Er ſoll in die Madre Patria, auf X Berater. j
Ercellenz,“ ſprach Federigo. 4
„Muchacho!“ riefen Alte; B— —9— 3
jagt e8? Du ſagſt es!“ \
„Jeſu Maria y Joſe! in die Madre Patria! Don 2
Manuel in die Madre Patria! Tia! Tia! er ſoll in 2
Me
;
BE
;
3
*) Nerftcht fi, Madre de Dios oder gracia, "Mutter
Gottes oder der Gnaden.
r
— IR er
die Madre Patria,“ ſchluchzte ſie, indem ſie auf eine
ältliche Frau zurannte und ſie heftig bei der Hand
faßte; doch ſprang ſie ſogleich wieder zurück, und, auf
den Bedienten zueilend, erfaßte ſie ſeine beiden Hände!
„Federigo! um der fünf Wunden willen! Federigo!
Sprichſt Du auch wahr? Sprich, ich beſchwöre
Dich !u \
„Nina! Nina!“ riefen nun männliche und weib—
liche Diener, über die SHeftigfeit des Lieblings des
Hauſes erſchreckt.
„Wo iſt der Conde?“ ſchrie wieder ein friſcher
Ankömmling, der ſtürmiſch die Treppen heraufge—
rannt und in den Saal geſtürzt war. „Der Conde
noch nicht hier?“ |
»Der Conde? Wo ift er? wo ift er?“ riefen Ale.
nDie Beſaomnos iſt vorüber!“ ſchrie der Diener:
nich Habe ihn am Palaſtthore verlaſſen; er ift im
im Theater. Jefu Maria, der Conde!“
| „Jeſu Maria, der Conde!“ heulten Alle, und mit
diefen Worten ftürzte der ganze Troß die Ing hin⸗
ab, zum Hausthore hinaus,
Ein wilder wüfter Lärm erſchallte aus der Stadt
herüber, begleitet von zeitweiligen Flinten- und Ka=
—H 178 —
—
nonenſchüſſen, die dem Chaos von er
tönenden Stimmen zum Refrain bienten. 2 llle wa
wie im Sturme zum Hausthore Hinausgeflogen, men’
nach der Mayor domo, fo fehnell feine —
Füße es zuließen.
Ein ſcharfer ſüdweſtlicher Windſtoß, der durch die
Tacubayaſchluchten heraufkam, machte den alten
Diener plöglich halten. Ihm zur Linfen lag Mexiko,
mit einem lichtrothen Nebelflor überfaumt, der fih
über die Stadt gleich einem feurigen Schleier hin=
lagerte; zur Nechten brüllte der Donner ſüdweſtlich
herauf, und die Blige fuhren zudend und ſchauerlich
den Itztaccihuatl herab, dejjen ſchneeige Koppe auf-
leuchtete wie ein feuriger Drache, wenn er fich zur
Wuth peitſcht ; dann entfuhr den finjtern Wolfen
wieder ein Donnerfchlag, fo fürchterlich durch das
Gebirge hinbrüllend, daß die Erde bebte; die Blige
warfen ihr grelles Licht über die ganzen ungeheuern
Felſenmaſſen des Gürtels von Tenochtitlan, leckten
endlich das Thal, und erglänzten und erftarben in
. den Waſſerflächen des Tezeuco und Chalco. \
„Jeſu Maria!“ ftöhnte der alte Mann; „was ift 2
das wieder? Jeſu! Das Gemitter Fommt yon Puebla # |
2 at a a DE FEN N Dunarlariahet, v9 6
n — 179 —
und geht über den Itztaccihuatl: das bedeutet Drang⸗
ſal, Drangſal! Und die Blitze lecken Mexiko, und
ſchon meine Mutter ſelig ſ agte mir, daß das Jammer
und Elend bedeute; und der Lärm wird immer ärger!
Jeſu Maria! auch von Tacubaya kömmt es herauf!“
Der alte Mann ſtarrte in die finſtere Nacht
hinaus.
Gt, da liegt es, das alte Mexiko, „murmelte er,
fo ſtolz, jo herrlich, als ob fein Fall nicht auch fom-
men wirde, und der des verruchten Spanierd, der
Jeſu Marin im Munde und Belzebub im Herzen hat.“
„Mondſüchtig, Don Anſelmo?“ fragte eine Stim-
me, „und ohne Baret und Amtsftab? Fürwahr, da
ſteht Mexiko nicht mehr lange! Wer hat je fo etwas
gehört ?u
Der Mayor domo fühlte nach feinem Haupte, nad)
° feinem Stabe, und wandte fih dann zu dem Sprecher,
den er verdächtig maß. Es war ein junger, ftarfer
Mann, der, einen Indianer am Arme, aus der Ul—
- menlaube herangefchlichen war. |
„Der Conde Jago no * zu Säuferu fragte
der Fremde.
un.
„Ob er es iſt ode nicht, 2 migo!“ erf
‚Mayor domo, der auf einmal. eine Faſſu gin
erlangt hatte, wird Euch wenig £ü m er 1, be
„Vielleicht Ser mehr, als Ihr gut Au-
ſelmo!“ — |
„Wer bit Du? was win Du? woher RER Sn? i
Gehe mit Deinem heiligen Schußengel und lebe tau—
jend Jahre, Freund!“ vief der Mayor domo, der,
wieder Ängftlich wurde und fich ſchnell zum Thore zu-
rückzog, wohin ihm der verdächtige Nachtwandler mit |
feinem Gefährten gefolgt war... m 00000
„Jeſu Maria! das iſt Jago, unſer geweſene Jago!“
kreiſchte er auf einmal, unſer Ariero, und nun Einer
der Gavecillas! Fort mit Dir! ob in den Himmel
oder bie Hölle, iſt gleichviel!“ rief der alte Mann, der-
ſich, fo ſchnell als er vermochte, innerhalb des —
zurückgezogen hatte. J—
Doch der Fremdling war ſchneller geweſen; mit 2
Einem Satze war er zwiſchen dem alten Manne und
dem zufallenden Hausthore; mit einem zweiten ſchob 3 N
er den alten Mann auf die Seite; dann, den Indianer %
erfafiend, riß er Diefen mit fich fort in den Thorweg, 3 3
*
—9 181 ⸗—
— Beide verſchwanden Wwiſchen den Säulen der
Verandah. *)
„Jeſu Maria! das iſt Jago! Jago! Jago! Um
Gotteswillen!Rebellen! Diebe! Räuber! Mörder!“
ſchrie nun der Mann aus Leibeskräften, durch die
Verandah die Treppen hinan eilend. „Jeſu Maria!
Wir ſind Alle des Todes, wenn — — Pedro! Pablo!
Alonzo! todos diablos! — Gott verzeih mir Die
ſchwere Sünde!“ betete der Mann wieder, indem er
fich Ereuzigte und dann den Daumen küßte.
„Alle Teufel! Maestro Anſelmo, was ‚gibts? was
treibt Ihr?“ rief Don Pinto, der über die Treppe
herabtanzte und den Mann verwundert anfah. „Aha!
Meriko hat Euch endlich aus Eurem Gleichgewicht
gebracht. Höre, Alter! feit den vier und zwanzig
legten Stunden habe ich eine Aroba**) meines theuern
Fleiſches verloren. Adios! Adios!“ rief der Wüftling.
Der alte Mann hofte tief Athem, wie Einer, dem
eine ſchwere Laſt von der Bruft genommen wird,
. ** 4
ne
*) Der Säulengang oder die um den Hofraum oder Gar-
ten herumlaufende Iufiige, vergitterte Halle. Sie ift in allen
bejjern jpanijchen Käufern, vorzüglich aber Villa's zu finden.
**) Sin Gewicht von 25 Pfund. x
Der Virey. I. 13
182 ⸗—
Gehe Du, — er, ER Halte den
alten Anfelmo lieber für einen Narren, als dap Du
. Deine Nafe dahin ſteckſt, wo fie und. len das Le—
benslicht ausblafen könnte. Ei, das wäre Waffer,
auf feine Mühle, zu wiffen, daß zwei Rebellen ſich in *
unſerm Hauſe verborgen haben. Zwar ſpricht er
lichkeit. Wer feinen Beutel füllt und ih:
verforgt, hat ihn. Und nun muß Maestro Anſelm
der Mayor domo, Sr. Herrlichkeit, noch Porter ſeynz
Dieſer auch fort.“ 3
Das Raſſeln eines Wagens unterbrach den * |
ängftigten Alten. An zwanzig. Diener Famen vor
und hinter dieſem gefprungen, rifjen Die MWagenthüren
auf, hoben den Grafen heraus, und trugen ihn im
Triumphe auf ihren Armen durch den Thorweg über
die Treppen in den Saal.
„Dios sea labado!“*) fihrie der Mayor domo,
ftieren, halb verwilderten Blickes die Hände des Gras
fen erfafiend. „Dios sea labado!‘‘ rief er wieder,
feinen Gebieter abermals und abermals umfafjend.
*) ©ott ſey gelobt!
troß dem ärgften Patrioten; aber es iſt pure Lieder⸗
ı mit —
ee A Ka Ban BE
it —— —
—
— A
7 =
in den Saal gerannt kam.
1
Anſeindi⸗ ſprach Diefer, ERS. gibt es? Iſt
etwas hier vorgefallen ?“
Conde!“ rief Dieſer; „Conde!“ ſchluchzte er. ‚lim
Gotteswillen! eilen, laufen Sie aus dieſem Hauſe!“
Anſelmo! u rief Dieſer erftaunt: „Was *
Du? Was ift Div?u
Der alte Mann wurde in den Ausbrüchen ſeiner
Angſt durch die junge Dame unterbrochen, die nun
Heuntes Kapitel.
. So voller Phantafien
Iſt Liebe, daß nur fie phantaftiich ift.
Shafespeare.
„Tio!“*) rief das entzückend ſchöne Kind, das
nun, den Schleier weit zurücigeworfen, durch die,
obere Saalthüre hereinftürzte und dem Grafen in un=
fäglichem Schmerze an den Hals flog, mehrere weib-
liche Dienerinnen hinter ihr drein: „Tio! Tio!“ rief
*) Onkel, Better; fcherzweife werden haufig auch Bauern
und Fuhrlente jo begrüßt.
13%
Pe
er? a
N
—, 194 e— «
ſie, und ihre — Locken rollten wild u
den herrlichften Alabaſternacken, der ſich je ü über einen
„weiblichen Buſen erhob; „Tio! Tio! por el amor de
‘ Dios! Por la santissima madre! Tio! Tio!“‘ *)
rief fie, ihn fefter umfohlingend, daß Perlen- und
Diamantenbänder von dem Halfe und den Armen
brachen und auf die Eſtera rollten, „O mio Tio!
mio amigo, mio Padre, mio corazon!‘‘ **)
„Nina!“ bat der Graf mit bebend zärtlicher Stim-
me, fich liebevoll über das herrliche Gefchöpf herab-
neigend, „Nina, mea Nina! que,es este ?‘‘ ***)
„Tio! Tio!“ tief fie wieder, ungeftümer ſchluch—
zend, indem fie feinen Hals fahren ließ, feine Hände
erfaßte, und ihm wie wahnftnnig in die Augen ftierte.
„Es verdad?“ fr) flüfterte te leiſe, al3 wäre fte vor
dem Tone ihrer eigenen Stimme erſchrocken. „Per-
dito por siempre?‘“* Tr) ftöhnte fie aus hohler Bruft:
„Dedischada Elvira!“ 77)
*) Um ver Liebe Gottes, ver auepeHREB ROM Sungfrau
willen !
**) D mein Oheim, mein Vater, mein Hai.
+) Nina, meine Nina’ was iſt es? was fehlt Dir?
+) Sit es wahr?
1) Verloren auf ewig?
+rH) Unglüdliche Elvira!
* — 15
- Der Conde wandte fein — in ſprachloſem
Scömerz. weg. | ir ur
„Perdito por siempre! Verloren auf.ewig! auf
ewig!“ rief fie wild, und mit. einem Riſſe war der .;
Schleier von ihrem Haupte, die noch übrigen Ge !
fehmeide vom Halfe, Armen und Haupte — das herr= ’
che Gefchöpf tobte in feiner Fieblich wilden Naferei.
„Nina!“ rief der Graf im fanft verweiſenden Tone,
„Nina, faſſe Dich, Gräfin Elvira, faffe Dich!“ rief
er ftärfer, fie in feine Arme ſchließend. — |
‚Sie warf fich wieder an feinen Hals, ſah ihn ſtarr 9
an; dann ließ ſie einen Arm ſinken, ihr Köpfchen }
fing an fich zu neigen, ihre Geftalt ſenkte ftch, jo daß
die Finger der einen Hand die Eftera berührten; nur.
die andere hielt ftch um den Hals des Grafen krampf—
haft verfehlungen. W
Das herrliche Gefchöpf hing reizend in ——
Jammer um den Nacken des Conde. Ihr dunfel= gi
blaues, jeelenvolles Auge nun halb gefchloffen, num
wieder troftlos zum Grafen aufblickend; ihre Geftalt
Veicht, Yuftig, elaftifch; ihre Hände, als wenn fie von
Alabafter geformt wären, Die eine noch immer um
den Hals des Grafen geſchlungen, -die andere Die
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h u ze a
. | ie Fe
486
Eſtera berührend — das wunderliebliche Weſen konnte
kaum mehr als dreizehn Jahre zählen; aber in dieſem
zarten, jugendlichen Buſen wohnte bereits die ſüße
Empfindung mit aller Stärke ſüdlicher Gluth. Wie
ſie ſo hinabhing, hatten ihre Frauen einen Kreis um
ſie gebildet, der Mayor domo mit derſelben Delika⸗
teſſe die ſämmtliche Dienerſchaft zurückgeſchoben, der
Conde ſie in ſeine Arme erfaßt und, unterſtützt von
ihren Dienerinnen, ſie in eines der anſtoßenden Ge—
mächer getragen, wo er ſie auf eine Ottomane nieder—
ließ. Das holde Geſchöpf ließ Alles mit ſich geſchehen;
erſt als ſie auf dem Sopha halb lag, halb ſaß, rief
ſie ſchluchzend, ihre thränenſchweren Augen auf den
Conde gerichtet: „Tio!“
„Nina!“ antwortete Dieſer.
„O, ich wußte es!“ lispelte fie in jener ſüßen, un—
endlich reizenden Vergeſſenheit der Töchter ihres Lan—
des: „Nina wußte es! Sie liebt ihn; er iſt ihr
Corazon *), ſie ſein Eſtrella **), die ——
ihrer Hoffnung.“
*) Herz.
*+) Stern.
a N — all. RE,
— * & **
— 197 28
„Wen liebt er? Wen Tiebt fie? Wer iſt ihr Co—
razon?«“ fragte haftig der Graf.
Sie blickte feheu auf. „Tiol Tio! Was habe ich,
gejagt? Das Geheimniß ſeiner Liebe verrathen, ſei—
ner Liebe? Unglückliche!“ flüſterte ſie ſich ſchaudernd
zu; wer liebt Dich nicht mebr, und Du, Du vun
ihn verrathen ?«
„Wen liebt er?“ rief der Graf heftiger: „Nina,
um Gotteswillen! Wen liebt er? Sage!
Das Mädchen blickte ihn erſchrocken an, und, als
wäre fie: von einem Fieberfehauer ergriffen, rief fie, -
am ganzen Körper zitternd: „Nein, nein, Elvira
will ihn nicht verrathen! Er liebtfie! Santa Vierge!
Seine Liebe felbft ift Verrath!“ murmelte fie Teifer.
„Ich weiß, Wen er liebt; ich weiß, Wer ihn liebt,
fprach der Graf, der wechjelmeife zur Condeſſa her—
angetreten und wieder ungeftum im Kabinette aufs
und abgefchritten war. „Ruhig, Nina! Ruhig, Con—
defia! Tochter meines theuerften Freundes! — Thor
und Elender!“ fuhr er mit unterdrücter Stimme
fort, „da feine Hoffnungen fußen wollen, mo Meri-
ko's Fluch anhebt und endigt! — Nein, Elvira,“
fprach er, ſich ſtolz erhebend, „die Herrliche Tochter
18 —
eines der edelften Merikaner fol nur einen Mexikaner
glücklich machen! Nina, ruhig! ich bitte Dich! So
er Deiner würdig ift, fo foll ihn Die die Macht der
Hölle jelbft nicht entreißen; hat er aber Mexiko ver-
rathen, hat er ſich mit den unverföhnlichen Feinden
Mexiko's zu feinem Verderben in's Bündniß begeben,
— dann, dann wird,“ rief er mit heftiger Stimme,
„ihn auch Condeſſa Elvira zu verachten wiſſen!“
Der Graf hatte in der heftigen Bewegung die
Hand des Mädchens erfaßt; fie ſah ihn mit thranen-
fehweren Augen an.
„Verachten?“ ſprach fte leife; „verachten ?“ wie—
derholte ſie das Köpfchen ſchüttelnd. „So magſt Du’
den Popocatepetl verachten, weil er ſein Haupt ſtolz
über die Berge Tenochtitlans erhebt? Manuel ver—
achten, den Erſten der Söhne Mexiko's? Unglückliche
Elvira! Wenn Du dieß könnteſt, wie müßte Dein
Herz für alles Edle, Große, Ritterliche erſtorben ſeyn!
Beweinen will ihn Elvira, beweinen!“ ſchluchzte ſie,
mit ihren langen Locken ſpielend, deren künſtliches
Gerölle ſie erfaßte und mit einem Schnitte vom herr—
lichen Koyfe trennte.
„Nina!“ rief der Graf böfe..
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—H 189 &—
Sie hörte nicht, fie fah nicht. Sie bemerkte nicht,
daß ein Indianer in das Zimmer getreten war, der,
zwifchen fie und den Grafen fehreitend, die Hand des
Letztern erfaßte.
Der Eonde, erftaunt über diefe Erſcheinung, war
einen Schritt zurückgetreten. |
„Gott ſegne Euch, Conde San Jago, für die
Worte, die Ihr ſo eben geſprochen,“ ſagte der In—
dianer mit einer ernſten, feierlichen Stimme; „Gott
ſegne Euch mit ſeinem ſtärkſten Segen!“
„Wer biſt Du, Tatli?“ fragte der überraſchte
Conde mit einigem Unwillen und in heftigem Tone.
Eine zweite Geſtalt trat aus demſelben verborge—
nen Gemache.
„Jago!“ rief der Conde im Tone des höchſten Er—
ſtaunens, „Jago, und Du wagſt es — —“
„Nach Mexiko zu kommen, Conde,“ ſprach Jago mit
Würde, „und daß ich es wage, bürgt Euch für den
hohen Preis, den wir auf Euch ſetzen; doch, wir ha—
ben Feine Minute Zeit,“ und mit dieſen Worten nahm
er von dem Kopfe des Indianers die Perücke von lan—
gen, ftraffen, indianifchen Haaren, hob die Larve von
feinem Geſichte weg, und zeigte dem Grafen in dem
j EN ET ERBEN
—9 10 —
Indianer einen alten, aber äußerſt würdevollen Dann,
defien feuriger Flammenblict mit dem tiefen, wehmü=
thigen Ernſt des Geftchtes eine der ihönften Phy⸗
ſiognomien bildete.
Der Graf trat zwei Schritte zurück: „Mor—!«
„Ja,“ jprach der Greis, „der bin ich; gekommen,
um Gonde Jago im Namen des unglüsklichen Mes
xiko um feinen Beiftand, feinen Rath), feine Hülfe zu
bitten.“
Der Graf fah den Greifen jprachlos an.
„Und wo ift Hermann Carlos?«*) rief die Con—⸗
deſſa, die auffprang, einen Leuchter vom Tiſch riß
und die beiden Geftalten beleuchtete, dann, ſich auf
die Stirne fihlagend, wie im Traume murmelte:
„Santa Vierge, yo soy distratta! Elvira distratta!**)
Ihn verachten ?« Tispelte fie, im Kabinette rafıh auf-
und abrennend und ungedufdig den filbernen Leuchter
auf den Tiſch fehleudernd: „Ihn aus dem Herzen
reißen? Arme Thörin, das Fannft Du nicht; aber
beten, beten kannſt Du für ihn!“ Und indem fie die—
7
‚‚
*) Bruder. ü
**) Heilige Sungfrau, ich babe meinen Berftand verloren!
Elvira ift wahnfinnig !
2 Fr a ee 2 U
a “ P ”.
— 14 ⸗—
fes ſprach, eilte fte einem Fußſchemel zu, über dem
eine Madonna von gediegenem Golde ftand, über
der Figur eine Lampe von gleichem Metalle; das
Bild an ihren Bufen drückend, rief fie: „Läſtere nicht,
Tio! Läſtre ihm nicht!“ und dann verſchmolz ihre
Stimme in das füge Flüſtern der innigften, vertrauend=
ſten Andacht zur Tröfterin merikanifcher Herzen.
} Es wurden draußen Fußtritte hörbar. Der Graf
x ßte die beiden Männer, riß die Thüre des ver-
borgenen Kabinettes auf und jchob fie raſch hinein.
Säfte! 4 yerfündete der Gentilhombre *) des Gra—
fe ‚ der, gefolgt von der Duenna, in das Kabinett
—* „Ihre Herrlichkeiten die Grafen Fagoagos,
Iſtlas, Irun, die Marquiſe Moncada, Gomez,
Iguala.“
h „Die Condeſſa,“ bedeutete ihn der Graf, „wird
die Honneurs des Haufes machen, fobald fie ihre An—
d cht verrichtet.“
3 Die Gräfin betete noch eine Weile; ; dann ftand fie
N f und folgte, Lieblicher noch durch den Anflug von
€ Pe den beiden Dienern in den Befuchfaal.
“ *
Be
Behntes Kapitel.
Graf war er, konnte tanzen, mufgize, —
Sprach gut franzoſiſch, doch toskaniſch ſchlecht;
Denn Wenige der Wälſchen nur ſtudiren
Die Sprache ver Etrusker rein und ächt.
Beppo. 4
Wir ſind in unſerm glücklichen Lande abſoluter
Freiheit nicht ſolche blinde Götzendiener einer imagi⸗
nären ungezähmten Gleichheit, um die Vortheile, die
eine würdige Geburt gewährt, zu verachten, oder in
das Pöbelgeſchrei einzuſtimmen, das Menſchen des J
halb verdammt, weil fie der Zufall bei dieferK f
ftigt hat. Auch bei ung gilt e8 etwas, von wird use
Aeltern abzuftammen, die durch Kraft ihres Willeng,
durch Tätigkeit und Talente ihres Baterlandes Ruhn
oder Wohl gegründet haben; — und gegen fo he
Vorzüge gleichgültig zu ſeyn, verräth, wenn nich
einen rohen, doch rauhen Sinn, um den wir Ni -
manden beneiden. Aber indem wir fo dem Ariſto—
fraten, den der Zufall bei feiner Geburt begür tigt,
Gerechtigkeit widerfahren laſſen, gebt unfere Vor⸗
liebe wieder nicht ſo weit, die Anmaßungen dieſe
| — 19 —
Glückskinder auf die Beherrſchung ihrer Mitbürger
‚ mit gleicher Nachficht zu behandeln, und wenn wir
bei Männern, die ſich im Dienfte des Gemeinweſens
| Einfluß erworben haben, es begreiflich finden, daß
fie fuchen, die erworbenen Vortheile auf ihre Kinder
zu vererben, ſo finden wir es eben ſo natürlich, daß
der geſunde Sinn dieſer Mitbürger ſich gegen eine
ſolche Vererbung des Einfluſſes ſträube und An—
maßungen zurückweiſe, die ſich auf Erblichkeit und
nicht auf perſönliche Tüchtigkeit oder Tugenden grün-
den. Solche Anmaßungen im Keime zu erſticken,
fordert Pflicht eben fo wohl als die geſunde Staats—
j politif ‚eines freien Volkes, weil nichts leichter wu—
i dert: und fieh im Boden einer freien Verfaſſung feft-
ſetzt, ald Gewalt. — Und in diefen tief gefühlten bei-
| derfeitigen Bedürfniffen Fiegt der Same jenes fangen
nie rubhenden Kampfes, der zwiſchen der ſogenannten
Ariſtokratie und Demokratie unter verſchiedenen Na⸗
mien und Formen auch bei uns ſeit Entſtehung un—
" ferer Republik beftanden hat, und der nie endigen
wird. Gegen das Beftehen einer folchen Ariftofratie
A der Geburt, des Vermögens, der Talente, und die
Sucht, ihre Fortdauer zu vererben und zu befeftigen,
De FERNEN
N —
eifern zu wollen, verräth eben ſo fh 4
ſchaft mit den Triebfedern des men ei Herzens,
als den Beftandtheilen und Bebingsingen der Eriſtenz
einer freien bürgerlichen Gefellfehaft, die, wenn wohl
geordnet, immer dem Talente und der Vetriebſamkeit
den nöthigen Spielraum, Glücksgüter und Einfluß
auf das Gemeinweſen zu erwerben, darbietet und
darbieten fol. Wir würden diefe Ariftofeatie eine
natürliche nennen, ein nothwendiges und in vieler
Hinftcht auch heilfames Uebel und ganz verſchied
von jenen Ariſtokratien der alten Welt, mit denen
wir, zum Glücke, in unſerm freien Lande nichts zu
thun haben, und die jene heftigen Kämpfe ja a
die noch heutiges Tages nicht beendigt find und wahr
fcheinlich. nie beendigt werden dürften. Es find dieje
Nachläſſe jenes barbarifchen Mittelalters, in welchen
die Negenten ſich als Lehnträger des höchſten Wefent
zu betrachten angefangen, und in ſolcher Eigenſchaft
über ihre Völker mit der unumſchränkten WINE in
einer rohen Machtvolffommenheit dDisponirend, ie⸗
ſelben nach Gefallen unter jene Günſtlinge verthei
ten, die ihnen zur Ausbreitung oder Befeſtigung
ihrer Herrſchaft förderlich waren. Sp entſtand ie
u I I
ER % 5
— 15 —
Ariftofratie, die wir unter dem Namen des feudalen
Adels Fennen; urfprünglich bloße Beamte der Krone,
über einen Diftrift, eine Stadt oder ein Schloß gefeßt,
die fie für die Krone zu bewachen, oder von ihr zur
Nutznießung hatten, und die fie beim häufigen Wech—
ſel der Dynaftien allmählig zu erblichen Beftsthümern
in der Art verwandelten, daß fie ihre Untergebenen
oder Bafallen eben jo wohl als disponibles Eigen
thum betrachteten, als die Viehheerden, die ſie befaßen.
Es gehört natürlich nicht in den Bereich unferer
Geſchichte, die Rechte dieſes Adels zu unterſuchen,
oder auf den Kampf eingehen zu wollen, den die
Behauptung dieſer Rechte mit den vorgerückten Be—
dürfniſſen der Menſchheit. verurſacht hat. So un—
gerecht die Anmaßungen den Gedrückten erſcheinen
mögen, ſo können wir, die auf neutralem Grunde
ſtehen, doch nicht umhin, zu geſtehen, daß die An—
ſprüche dieſer Art Ariſtokraten ſich zum Theile auch
wieder auf wirkliche Beſitztitel gründen, die ihre Vor—
fahren Jahrhunderte hindurch unbeſtritten genoſſen,
und die Mißbrauch und ein veränderter Zeitgeiſt wohl
mit den Bedürfniſſen dieſes Zeitgeiſtes in Einklang
zu bringen, aber geradehin zu entreißen ſchwerlich
9 1% &—
das Necht geben dürfte, da ein folches ger alt ame
Entreißen die Auflöſung der bürgerlichen Geſellſchaft
ſelbſt und den Ruin derſelben En na
ziehen müßte. » 1 —
Aber es gibt eine dritte Ariſtokratie in — Dr
ten, die weniger achtungswerth, als die bei uns be⸗ |
ftehende, oder der feudale und. auf. wirkliche Beſitz⸗
thümer gegründete Adel, eine ſo zu ſagen artificielle
Ariſtokratie genannt werden könnte, eine Art Quaſi⸗
Adel, der, mit der allmähligen Ausbildung des Legi⸗
timitätsſyſtems entſtanden, gewiſſermaßen Surrogat
des feudalen Adels geworden; der ſogenannte Brief⸗
oder Diplom-Adel, eine Klaſſe bevorrechteter Bürger,
die ſich häufig durch niederträchtig entehrende Dienſte
die perſönliche Gunſt des Herrſchers erworben, oder,
im Beſitze eines großen Vermögens, ſich dieſe artifi⸗
cielle Standeserhöhung erkauft und ſo über die übrige 4
bürgerliche Geſellſchaft erhoben, in Bezug auf ihre
Perſonen und- häufig auch auf ihr Bermögen eine
privilegirte Kafte bilden. > ; re
Wenn ſchon der Erwerb. eines großen en Vermögens 4
an ſich ſelbſt mit mehr oder weniger Nachtheilen füt hi
das Gemeinwefen verbunden ift, deffen Gleichgewicht
—9 117 &
immer mehr oder weniger durch eine ſolche Uebervor—⸗
theilung geftört wird, jo werden dieſe Nachtheile noch
in's Umendliche gefteigert durch Bevorrechtung diefer
ohnehin bereits auf Unfoften ihrer Mitbürgerkaſſen
bevorrechteten Klaſſe. Diefe unfinnige Staatsmarime
ift jedoch in den gealterten Monarchien der alten Welt,
in Folge des Verſchwindens des feudalen Adels, Hof—
und Staat3politif geworden, der die neuen Ariſtokra⸗
tien dieſer Staaten und, wir müſſen Hinzufügen, auch
Mexiko's bekanntlich ihre Entftehung verdanken, wie
die mit der Gefhichte dieſes Landes einigermaßen
Bekannten mwiffen werden. Bon dem fogenannten
feudalen Adel, das heißt den Abkömmlingen der erften
Eroberer, die zur Belohnung für ihre Dienfte repar-
timentos *) erhalten hatten, waren nur wenige Fa—
milien mehr im Lande übrig geblieben. Die meiften
waren ausgeftorben, oder hatten fich bei dem allmäh—
lig graffer werdenden Büreau=sDespotismus der von
dem Mutterlande herübergefandten Beamten in das—
felbe zurückgezogen, wo ihre Kinder wenigjtend die
Rechte geborner Spanier genofen. Mit ihrem Ver—
*) Kronlehei.
Der Virey. J. 14
>
SED) ERSTE A anal ——
3 * * “ J wa. ' 6
ER
— 198 e
ſchwinden war das einzige Gut, zu deſſen *
in Mexiko fie mitgewirkt hatten, die Mumiet
‚heit der Städte — dem Mufter der ſpaniſchen Städte e⸗
ordnung nachgebildet — gleichfalls untergegangen.
Der ſpaniſche Hof, der in demſelben Grade erfüch-
tiger auf feine Gewalt geworden, als fein kriegeri⸗
ſcher Geiſt erſtorben war, hatte es ʒweckmäßiger
befunden, die öffentliche Gewalt in Neuſpanien ganz
in ſeinen belegirten Werkzeugen zu concentriren, und
eifrig darauf hinarbeitend, die letzten Spuren des
öffentlichen Lebens, als die Ausübung der höchſten
Gewalt hemmend, zu verwiſchen, hatte man die
Städtefreiheit in Mexiko gänzlich aufgehoben und die
Corregidor⸗ und Alkaldeſtellen durch Öffentlichen Ber-
kauf den reichern Creolenfamilien in die Hände geſpielt,
die ſich durch dieſe Titel um ſo glücklicher fühlten,
als ſie die Ehre eines Amtes hatten, ohne mit deſſen
Bürde beläſtigt zu ſeyn. Da dieſelbe unglückſelige
Regierung ſtatt der größtentheils eingezogenen Kron⸗
lehen die ſogenannten Mayorasgos *) eingeführt, und
*) Majorate. Das Recht, fie zu errichten, wurde nur dem
hohen Adel ertheilt. Sie beftanden aus ungeheuern Landftrichen
und find feit 1824 aufgehoben.
EEK GEBETE ENG
—19
das Recht, jolche zu errichten, gleichfalls mit unge⸗
heuern Summen bezahlt werden mußte, ſo war die
ganze künſtliche europäiſche Ariſtokratie auch auf Me—
xiko übertragen, nur mit dem Unterſchiede, daß dieſer
Titeladel nicht wie in Europa zu Staatsämtern An—
ſpruch gab, ſondern ganz nominell war.
Aber der Einfluß, den dieſer nominelle Adel auf
die bürgerliche Geſellſchaft des Landes äußerte, war
deshalb nicht weniger verderblich geweſen. Durch
ihn vorzüglich hatte ſich das merkwürdige, in der Ge—
ſchichte der Welt unerhörte Schauſpiel geſtaltet, daß
eine bürgerliche Geſellſchaft von nahe an ſieben Mil—
lionen Seelen beinahe dreihundert Jahre in Unmün—
digkeit von einem mehrere tauſend Stunden entfern-
ten Hofe gehalten wurde, zu deffen Glanz fie doch feit
Jahrhunderten mehr als alle übrigen Theile der
Monarchie beigetragen hatte; und daß fie, was noch
auffallender ift, zufrieden und ſtolz auf dieſe Bevog⸗
tung war; daß fie in Kaften eingetheilt, durch Pris
vilegten und Rangunterſchiede von einander gehalten,
und doch im abfoluteften Sklavenzuftande verblieb.
Sp hatte man in Mexiko einen hohen Adel, Grafen
und Marquife, die Enkel der alten Eroberer und
14*
20 &—
Söhne von Beamten und ſelbſt Abenteurern, die
durch glückliche Bergmerksfpefulationen in den Beſitz
eines plößlich großen Vermögens gefonmen waren;
man hatte einen Mitteladel, zu dem fich jeder weiß
geborne Sohn eined Spanierd oder Creolen rechnete,
. einen Quaſi-Adel, der durch ein Diplom der Au—
dienein erlangt und gewöhnlich dem farbigen Ehr—
geize zu Theil wurde, und endlich die elenden Kaſten
mit ihren Abftufungen und Mifchlingen, und die noch
elendere Rage der Indianer. Dan hatte ſo Rangunter-
fchiede, Kleidungsunterfchiede, Unterfchiede in Allem.
NurimFoche, das auf Allen Laftete,war Fein Unterfchied.
Alle krochen vor dem Spanier; aber für diefe Unter- '
würfigfeit durfte der hochadelige Creole ungefcheut
dem bloßen Gaballero oder Sidalgo *) auf den Naden
treten, der Saballero den Quateroon oder Quinte—
roon mißhandeln, und Diefer wieder den Indianer
zum Thiere berabmwürdigen. Wir wollen, um dieſe
furchtbare Hierarchie anfchaulicher zu machen, unjere
*) Das Wort Hidalgo wird in Meriko weniger gehört als
Saballero, Gavalier. Jeder Creole nennt ſich einen Gaballero.
Todo Blanco es Caballero , lautet das mexikaniſche Sprich-
wort.
*7
— u N EEE EB
—H 201 —
Leſer in die Geſelſſchaft einiger Notabilitäten ainfüh—
ren, die, wie ſie gehört haben, ſo eben angemeldet
wurden. Sieben derſelben waren unter dem Vor—
tritte des Mayor domo und einer zahlreichen Diener—
ſchaft die Staatstreppe hinan in den Saal eingeführt |
worden, wo fie mit aller Grandezza der fpanifchen
Etiquette empfangen wurden.
Der VBorderfte diefes Zuges war ein ſchwammiges
Männchen, mit gehäbigem Unterleibe, gepuderten
Haaren und zierlichem, ſchwarz feidenem Saarbeutel.
Er brachte zuerft Feuchend feinen reich geftickten Frack
a la Louis-Quinze in die gehörige Richtung, glättete
die zerfnitterten Spigen der Hemdärmel t richtete den
furzen fteifen Kragen und die langen Schöße in Orb»
nung, abjuftirte den kurzen Staatödegen mit ftählere
nem Öriffe, und ftöhnte dann, fich neugierig umfehend:
„Ah, Maestro Anſelmo! Se. Herrlichkeit der
Conde nicht Hier? Ah Maestro! brennen vor Ver⸗
langen, Demſelben unſere Attention zue fügen. a,
Maestro Anfelmo ?« u
„Vuestra Senoria;“ werfegte der Mayor domo,
fich tief bückend.
202 —
„Ah, Maestro Anfelmp!“ ftöhnte der Marquis
fort, „Ihr ſeyd noch immer * Alte; aber, Santiſ⸗
ſima Madre! werdet Ihr es Zlauben, daß, als wir
aus unſerer Loge traten, Einer jener Gavecillas
uns heranrannte, ſchreiend: Moncada! Moncada!
alter Moncada! So hieß er uns, Maestro Anſelmo,⸗
klagte der zahnloſe Marquis und ſeine erdfahlen Lip⸗
pen zitterten; „ſo hieß er uns,“ fuhr er fort, „die
wir doch von Sr. Excellenz ſelbſt nie anders ar
Vuestra Senoria begrüßt werden. «
„And wie anderd, Graciofiffima Senoria ?u ver-
jeßte der_Mayor doma mit pflichtſchuldigem E⸗
ſtaunen.
„Ei, Maestro Anſelmo! Ihr ſeyd noch aus der
alten Schule; aber dieſe ewigen Gritos und Pro—
nunciamentos und Motinos*) haben die guten. alten
Zeiten ganz verdorben.
„Ah,“ fiel ein zweiter Marquis ein, der im blut-
rothen T et zu Ehren der fpanifchen National=
*) Verfchiedene Arten des Aufruhre. Grito, wie oben be—
merkt, beventet dem Aufruf zum Aufruhr, Pronunciamento
die Erklärung der Infurgenten, und Motino den Aufftand
felbft.
—d9 203 06
farbe prangte, „ah, aber ©e. Excellenz der Aller⸗
gnädigſte haben doch mit Hochdero eigenem Munde
huldreich verſichert, daß dieſe Gritos und Motinos
jetzt ihr Ende haben ſollen, und Se. Excellenz der
Allertapferite Haben gleichfalls bei allen Heiligen zu
betheuern geruht, daß in ſechs Monaten fein Nebelle
mehr den Boden Neufpaniens befudeln ſolle.“
„Bitte um Vergebung, Euer Gnaden,“ ſprach ein
alter Gonde, „aber wir erlauben uns eine unterthä—
nige Bemerkung um fo mehr, als diefe von äußerfter
Importanz ift. Euer Gnaden Herrlichkeit fagten
nämlich: Se. Excellenz der Allergnädigfte, wo doch
das Prädikat Allergnädigfter blos der Magestad zu=
kommt.“ |
„Sp fommen wir de pregonero a verdugo, *)
von den Federn auf's Stroh, “4 fiel der Mayor domo
ein, der nicht ohne Unwillen den Edelleuten zugehört
hatte. „Ab, Senorias, unfer Sprichwort jagt: Aun
falto el roba par desollar; fie haben dem Thiere, das
heißt der Rebellion, noch nicht die Haut über den
4
*) Buchſtäblich: vom Ausrufer zum Henker.
‘ y Ey
“2% A
*
res
20
Kopf gezogen und ich fürchte⸗ ſie wird m uns ab-
gezogen werden. u Biden
Es ift eine merfwürdige Gigenheun des Cyan,
daß er bei allem feinem Stolze und feiner Härte
der dem Hausdiener eine Familiarität erlaubt, Pr
ſelbſt in unferm Lande, wo der Diener fo fehr auf _
Gleichheit Anspruch macht, auffallen würde. Diefes
vertrauliche Verhältniß zwifchen Befehlenden und Ge=
horchenden ift noch weit auffallender bei feinen ameri⸗
kaniſchen Nachkommen, den ſeine großen, leicht er⸗
worbenen Reichthümer vielleicht veranlaßten, die
Zahl ſeiner Domeſtiken ſo ſehr zu vermehren, daß ſie
mehr dem Troſſe eines Kronvaſallen aus den Zeiten
Ferdinands und Iſabellens, als der Dienerſchaft eines
Neuadelichen gleicht. Auch das Verhältniß zwiſchen
Befehlenden und Gehorchenden hat mehr von der |
franfen Offenheit des Knappen, als der bezahlten. |
Dienftbefliffenheit unferer Miethlinge, und, gleich den % &
Knappen des alten Nittertfums, beſitzt der Creo en⸗
diener ale Würde und allen männlichen Ernf
fer bloß noch in Romanen Tebenden Menfchenklafl
Unter der zahlreichen Dienerſchaft eines merikaniſche
Haushalters nimmt natürlich der Mayor domo de
Ä
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|
|
|
— 205 &—
eriten Rang ein, und das Vertrauen, dad eine ſolche
Stelle beurfundet, gibt ihm häufig eine gewichtige
Stimme nicht bloß in der Familie, jondern im gan—
zen Abel, um ſo mehr, als die Mayores domo, in
eine Gilde vereinigt, ſich bedeutender Privilegien er—
freuen, und als die Häupter der Dienerſchaft des
ſämmtlichen Adels die Angelegenheiten deſſelben
leiten.
Der Mayor domo daher, weit entfernt, ie jeine
Einreden Befremden zu erregen, war, jo wie er den
Mund öffnete, der MWortführer der hochadelichen Sie-
ben geworden, die, vielleicht froh, ihren einigermaßen
dürftigen Gedanfenvorrath durch neue Jdeen aufzu-
frifchen, fich nun ſämmtlich an ihn wandten.“
„Ei, Anſelmo iſt ein geſchickter alter Kauz,“ be⸗
merkte der Conde Irun; eine Bemerkung, welche die
Uebrigen zu bekräftigen nicht ermangelten.
„Si, si, Senorias,“ fuhr der Mayor domo in dem⸗
felben ehrfurhtsvollen Tone fort: „wir Haben nun
den Tezeneo ſiebenzig Male fteigen und wieder fallen
gefehen, aber in dieſen fiebenzig Jahren unferes Le=
bens nicht fo viele Lügen gehört, ald in den legten _
ae" Monaten. Gi, lefen Sie, — Herr⸗
in
nie Aal
—9 206 ⸗—
fehaften, die Gazetta, die einzige, deren ſich Mexiko
erfreut — Jeſus und Joſe! Acht und achtzig mal,
genau gezahlt, find num bereits die Nebellen vernich-
tet, und acht und achtzig mal find fie immer wieder
von den Todten auferftanden. Ich fage, Senores,
der alte Anfelmo jagt ed, das alte ſpaniſche Sprich-
wort meint wohl: No Espannol mentira, *) aber
das neuere fagt: Dejar en el dintero.**) Ei, und
Se. Ereellenz find nur zu Elug für Meriko.u
Die Worte des Mayor domo hatten die alten Mar-
quife zu einer langen Pauſe gebracht.
„Und,“ fragte der Gonde de Iſtla, „was glaubt
nun Maestro Anſelmo?“ —
„Alles, was die Kirche zu glauben gebietet,“ wrech
der alte Mann mit einem einfältigen und wieder
ſchlauen Blinzeln, „und das iſt hinlänglich. Wie
ſollte der arme Anſelmo auch anders, da ſo viele er—
lauchte Herrſchaften ſelbſt glauben und geſchehen feyn
laſſen müſſen, daß ihnen ihre — |
*) Kein Spanier lügt. ;
*x) Buchfräblich: im Dintenfaife es laffen; die Sud fü für
fich behalten.
. u.
Y ug ü
—9 207 —
Söhne vor der Nafe weggenommen und in die Armee
gefteeft und vor den Feind gefchiekt werden. «
Jeſu Maria!“ riefen ſämmtliche Cavaliere, „ſo
iſt es denn wahr, was man ſich allenthalben zu—
flüſtert?“ |
„Und Senorias wifjen das nicht?“ vief der Mayor
domo erjtaunt aus. |
„Und glaubt Ihr wirflih,“ fragte der Marquis
Moncada, „daß die Rebellen es wagen werden, auf
die Söhne der höchſten merikanifchen Nobilitad zu
ſchießen?“
„Jeſus Maria! Was ſollten fie anders?“ verſetzte
der Mayor domo, dem die naive Frage doch einiger—
maßen zu bunt vorfam.
„Sachte, jachte, Maestro Anfelmo !“ Sprach der
alte Marquis: Ihr ohne Zweifel ſeyd nicht fo fehr
von Ehrfurcht für unfere Hochadelichen Familien durch-
drungen, da Ihr einigermaßen der Geſellſchaft des
hohen Adels täglich, ja ftündlich zu genießen gewür-
diget werdet; aber die Gavecillas, die unfere Per—
fonen nur von ferne fohauen, Diefe, jollten wir billig
meinen, würden von einem heiligen Schauer ergriffen
werden.“ _
— |
Der alte Mayor domo war ungeduldig geworden.
„Und werden ſie,“ fragte ex mit einiger Heftigkeit,
„von einem heiligen Schauer ergriffen, wenn fie die
ſpaniſchen Generale und Oberften todtſchießen? und
waren Hidalgo und feine Patrioten von einem heili-
gen Schauer ergriffen worden, als fte in Guana=
xuato*) Reich und Arm über die Klinge ſpringen
ließen?“
Dieſes Argument entſchied. Der BERN und
jeine Compairs ftierten den Mayor domo mit einem
geifterartigen Grinfen an. „Aber Anfelmo ‚u-xief er
— „Jeſu Maria! der Mann ſpricht wahr; aber An—
ſelmo!“ und er trippelte im Saale herum. „Laſſe,
nein, laſſe nicht; fogleich wollen wir zum Virey —
ja zum Virey — Jefu! Wenn wir noch an die Lei-
den gedenken, die und Ge. Excellenz, der Virey
Galvez, verurfachte, ald es Ihnen Seifiet, das Lager
bei Tacubaya zu halten. Senorias wien Mine
Oberfter in der Miliz. Jeſu Maria 9 Iofe! Wenn
wir noch daran gedenken, rüttelt e8 und wie Fieber—
froft. Wir waren drei Wochen Frank vor —
*) Lies Guanajuado.
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—) 209 &—
Denken Sie fih, Senprias! fünf volle Stunden
mußten wir zu Pferde fiben, und Keiner von unferem
Servidumbre *) durfte fich und nähern, um über un—
jere Berfon den Sonnenſchirm zu halten. Und die
vielen taufend Gewehre, die alle mit Pulver geladen
und mit Bajonetten bejpießt waren; jeden Augenblick
waren wir in Gefahr, eines möchte zerplagen. Und
ftechen ‚u fragte der alte Marquis fehr naiv, „pie
Rebellen auch mit Bajonetten, und jehießen fie mit
Pulver?u
„Und mit Blei,“ verfeßte der Mayor domo troden.
„Jeſu! Jeſu!“ ftöhnte er wieder und mit ihm die
Uebrigen. „Ia, Ereifchte er, „das kommt Alles von
der Aufklärung und den Neuerungen. Seit der Zeit,
wo Se. Excellenz der Virey Revillagigedo **) nafe-
weis genug waren, dem Volke klar und bündig vor
Augen zu legen, wie e8 nur in der Ciudad Merifo
allein hundertmal ftärker an Zahl jey, als unfere
gnädigen Gebieter. Ei, diefe unglückjelige Volks—
*) Dienerichaft.
++) Diefe Volkszählung wurde im Jahre 1790 unternommen
und der Virefönig, einer der wenigen rechtlichen Männer,
die diefe hohe Stelle bekleideten, ſehr deßwegen getabelt.
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—, 210 ⸗— 0
zählung! fagt ja fehon die heilige Schrift, daß Don
David dafür von Gott beftraft wurde; nicht wahr,
Senorias?“ fragte der über feine Schriftgelehrfam-
feit felbft erftaunte Marquis feine Mit-Cavaliere. —
„Und dann feit der Zeit,“ fiel der Mayor domo
ein, „wo man das ganze Meriko zwang, durch Bril-
Yen zu fehen. — — Gi, Senores, die zweitaufend
Kitten Brillen, die das Cadirer Conſulado von den
Holländern erhandelt, und weßhalb wir, und unfere
unbehosten und unbefchuhten Indianer, auf Anord⸗
nung Sr. Greellenz des Virey, Brillen bei hoher
Strafe tragen mußten; Sengriad! wenn man das
Rolf mit Gewalt zwingt, helle zu fehen, dann muß
man fich die Folgen gefallen laſſen.“
Es entjtand wieder eine Paufe. Die komiſch ab-
furde Thatſache, daß wirklich ein Volk von mehreren
Millionen Menfchen gezwungen worden war, Brillen
zu tragen, weil ein derfei Artifel, von der priviles
girten Kafte der Cadirer Kaufleute erhandelt, ſonſt
zu verliegen gedroht hätte, hatte die. Gavaliere in
ihren Klagen über die Folgen der Aufklärung ganz
aus dem Concepte gebracht. gen
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*
——
Eilftes Kapitel.
So mancher Mißvergnügte war im Land,
Die Macht verwünſchend, die tyranniſch band.
Lara.
Ein neuer Ankömmling, der unter dem Namen
Donna Senora Sebajtiana Anna Mier-y T-n und dem
Zufaße ‚„‚venida de su Exzellenza‘‘“*) angefündigt
wurde, gab ihrem Sinnen auf einmal eine andere
Richtung.
Die Dame war reich, aber nichts weniger als ge-
ſchmackvoll, in eine Menge jeidener Röcke von den
grellſten Farben gekleidet, die ihrem untern Seyn
einen Umfang gaben, der mit der platten, bretternen
und übel arrangirten Taille nicht3 weniger als lieb⸗
lich eontraftirte. Die unmäßig hohen Abſätze ihrer
Schuhe verliehen ihrem Gange überdiep etwas Wat-
ſchelndes, fo daß ihr die Unterftügung des Cortejo,
der mit ihr eintrat, wirklich zum Bedürfniß wurde,
Diefer Cortejo war ein Mann von ftarfem Körper-
bau, aber unangenehmen, ja widrigen Gefichts-
*) Von ©r. Ereellenz angefommen.
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⁊ — 212 a h
zügen, mit einem ungemeinen Beſtreben, freundlich
zu feheinen: eine Mifchung von höfifcher Abgeſchliffen⸗
heit und ſoldatiſcher Rauhheit, in ſteter greller Be—
weglichkeit. Man ſah es dem Manne beim erſten
Blicke an, daß er von einem raſtloſen Ehrgeize ge⸗
peitſcht wurde. Er trug die Uniform eines Staabs⸗
offtziers der königlich mexikaniſchen Truppen, Seine
Schutzbefohlene, indem ſie den Saal hinauf ſchritt,
hielt zwei ſeidene Stricke oder Schnüre, die an ihrem
Gürtel befeſtigt waren, wohlgefällig zwiſchen ihren
Fingern. An denſelben waren eine Menge Knoten,
die Embleme der verſchiedenen Eroberungen, die das
ſchöne Gefchlecht von Mexiko, wenn die chronique
scandaleuse wahr fpricht, auf diefe Weife zur Schau
zu tragen ſich nicht entblödet. Sie war augenfcheinlich
mit wichtigen Nachrichten beladen, da fie, ohne die
etwas umftindlichen Eintrittceremopnien zu durch—
geben, ſchon an der Thüre den Gavalieren zurief:
„Ah, Senores! Senores! So müſſen denn wir, die
Donna Sebaſtiana, die Taube ſeyn, die die Freuden-
botſchaft überbringt.“
Die Dame, nachdem ſie geſprochen, ſchien ſich auf
einmal zu beſinnen, und trippelte zur jungen Condeſſa
HERE.
hinauf, die fo eben mit ihrem Gefolge weiblicher
Dienerinnen eingetreten war, umarmte fie, und ent-
Vedigte fich dann ihrer wichtigen Botfchaft in folgen- |
den Worten:
„Ah, Senorias! Senorias! Ah, meine Herr
ſchaften!“ flüfterte fie, indem fie die Augen in füßer
Entzückung verdrehte. „Ah, Senorias,“ wiederholte
ſie zu den Kavalieren, die nun alle herbeigeeilt waren,
um ſo viel als möglich in ihre Nähe zu gelangen.
„Wiſſen Sie nun, was jene gnädig huldreichen Worte,
die Se. Ercellenz füllen zu laſſen gnädigft geruhten —
Wiſſen Sie auh? — O! Se. Ereellenz find ein aller=
hiebfter, göttlicher Herr. Stellen fte fich vor,“ rief
fie wichtig, „Sie haben die Vorhänge ihrer Loge
‚ beim legten Akte ganz herabgelaffen; und Iturrigeray,
der vulgäre, Liberäle. Iturrigeray, wiſſen Sie noch,
‘er behielt fie immer oben, man Eonnte feine Cigarre
rauchen. 4
Damit unfern Lefern die Worte der Dame begreif-
lich werden mögen, jo müſſen wir bemerken, daß das
ſchöne Gefchlecht Mexikos feiner Lieblingsunterhal-
tung des Cigarrenrauchens auch im Theater eifrig
dann oblag, wenn die höchfte Standesperfon gnadig
Der Virey. IL. 5
—d 214 &
geruhte, die Vorhänge ihrer Loge herabzulaſſen; eine
Sitte, die gewöhnlich während des Zuiſhenalies
ſtattfand. —JJ
„Ja, Se. Excellenz ſagten,“ fuhr die Damefort—
„Ah, Senorias!“ rief fie, mit ihrem Fächer wedelnd,
nah, Senprias! — Nicht wahr, die Condeſſa Ruhl
war ganz hocant? Ah, Senorias,“ aber der Sinn
der divinen Worte: „Es ift bereit3 angekommen, das
Eönigliche Paquet, verfiegelt mit dem — —
ſiegel.“ —
„Mit dem großen — u seten bir Siben⸗
männer ein.
„Um am Namenstage Sr., geheiligten Majeftät
geöffnet zu werden. « —
„Geöffnet zu werden!“ kreiſchten die Kavaliere.
„Se. Ereellenz haben uns ja dieſes bereits huld-
reich zu eröffnen geruht,“ bemerkte der Conde Irun
wichtig.
„Ah, Se, Ercellenz, Se. Excellenz!“ wisperte die
Sengra mit einer geheimnißvollen Miene.: „Aber _
wiffen auch meine Herrſchaften, wiffen Sie auch? —
Ah, Senorias! Glückliche Nobilitad, deren Treue
— 45 —
von Sr. Majeftät auf eine fo eelatante Weife RER
wird!“
„Honorirt wird!“ kreiſchten und ſchluchzten die '
Edelleute.
Fünfundzwanzig!“ platzte die Donna heraus,
num nicht länger im Stande, die Bürde ihres Geheim-
nifjes zu tragen.
„Fünfundzwanzig!“ fehrieen die ſieben Edelleute.
„Fünfundzwanzig!“ überſchrie ſie die triumphirende
Donna, „worunter vier Großkreuze. Die Camareria
Ihrer Excellenz haben es mir unter dem Siegel der
Verſchwiegenheit geoffenbaret.“
„Fünfundzwanzig,“ ſchrieen und kreiſchten und
ſchluchzten die armen ſieben Kavaliere, und dann
brachen ſie in einen Jubel aus, der es wirklich zweifel⸗
haft machte, ob ſie nicht Alle den Verſtand verloren
hatten. Sie rauſchten in ihren ſeidenen Röcken an
einander heran, umarmten ſich, küßten ſich auf die
gravitätiſchſte Weiſe, wünſchten ſich und Mexiko Glück,
trippelten auf die Dame und die junge Condeſſa zu, |
umarmten Diefe, und wieder ſich untereinander, „fünfs
undzwanzig und vier Großkreuze“ heulend ; felbft der
Mayor domo wurde umarınt, und einem Pagen, der
15*
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—H 216 —
eingetreten war, um die Armleuchter vor den Schuß-
patronen und Schußpatroninnen anzuzünden, wider-
fuhr die gleiche Ehre. In ihrem Entzücken hatte die
Geſellſchaft nicht bemerkt, daß der Graf mit mehreren
Kavalieren eingetreten und, nicht wenig befremdet
über die jeltfame Scene, eine Weile fprachlos da⸗
geſtanden war. Erſt als der Mayor domo ſeinen
Herrn ankündete, ermannten ſich die armen Kavaliere,
und Alle eilten auf ihn zu: „ Fünfundzwanzig, wor⸗
unter vier Großkreuze,“ jauchzend. *
Die feinen Geſichtszüge des Weltmannes, weit
entfernt, Spott oder Hohn blicken zu laſſen, ſchienen
wieder eben ſo wenig die Freude oder Ueberraſchung
ſeiner Gäſte zu theilen. Dieſes mochte auch der Fall
mit Mehreren der Eheleute feyn, die mit ihm ges
fommen waren. |
„Die Ehre,“ ſprach er, indem er fich ringsumher
verneigte, „die unſerem armen Hauſe widerfährt, den
hohen Adel eben ſo unvermuthet, als herablaſſend,
in dieſer ſpäten Stunde in unſern Mauern zu ſchen,
iſt ſo überraſchend — — u
„Conde!“ ſprach der Marquis, der unter dem
zitel von Moncada aufgeführt war, „Conde!“
—9 17 —
verſicherte er gravitätifch, „es macht Epoche in der
Geſchichte a. rünfunbgigi | worunter vier
Großfreuge — —“
„Bei der Mutter des lebendigen Gottes! jo macht
es;“ ſprach Einer der Begleiter des Conde, im höch-.
ften Unmillen. „Wirklich macht e8 Epoche in der
Geſchichte Mexiko's, zu hören, wie fieben Hochadelige
Mexiko's vor Freuden umberfpringen, daß fünfund-
zwanzig unferer Söhne wie gemeine” gente irrazio-
nale. zufammen gefangen und zur Armee ahgefanb
werden. 4
„Aber, Madre de Dios! tu viefen unfere fieben, Edel⸗
leute, höchlich verblüfft. „Aber, Madre de Dios!“
Es traten mehr und mehr Gäjte ein.
»Der fehr edle Marquis de Grijalva irren,” Sprach
der Graf, „in fofern Sie glauben, daß unfere Com—
pairs fich über die gewaltfame Entreifung eines uns
ferer wichtigften Fueros freuen, vermöge deſſen unfere
Söhne, und vorzüglich unfere Eritgeborenen, als
Mayprasgoherren vom Militärdienfte befreit find.
Ihre Ueberraſchung ift mehr loyal, indem fte fich über
die Huld Sr. Majeftät äußert, die dieſem Lande fünf-
h, a a N
Sa y NR a} nk
”
218 ⸗—
undzwanzig Klein- und Großkreuze des Königlichen
Ordens Carls II. verliehen hat.“ f
„Que los llevan todos los Demonios de los diez
y siete infiernos‘“*) fuhr der Marquis heraus.
„Und wiffen Sie, Senores, was diefe Groß- und
Kleinkrenze Mexiko Eoften? Ci, fie Foften ihm be—
reit3 hundertundfünfzigtaufend feiner fleißtgften Ein-
wohner, und hundert Millionen Escudos *). Sie ko—
ften und unfere Balencianas, unfere Barrancos, unfere
Beta negras**). Mexiko ift eine Wüfte, Puebla eine
Wüſte, Valladolid eine Wüſte, Queretaro, San Louis
Botofi eine Wüfte; das ganze Land in Aufruhr: Seno⸗
res; ich bürge Ihnen nicht dafür,“ fuhr der hißige
alte Landedelmann fort, „daß Sie, die fo entzückt
find über die Eönigliche Huld, von der übrigens Fer—
nandos geheiligte Majeftät eben fo wenig wiſſen mag,
als unfer Stiefel — — 4
„Jeſu Maria y Joſe! er läftert, er Läftert!a ſchrieen
Mehrere der Grafen und Marquis.
*) So mögen fie alle Teufel ver. fiebzehn Höllen holen;
llevan wird ausgefprochen: Ijevan.
*) Biafter.. J
**) Die berühmten Erzgänge von Guanaxuato, Bolanos und
Sombrereto.
en
— 219 &—
„Den Teufel auch läſtert er, « fuhr der Higige alte
Greole fort. „Se. Majeſtät figen im Schloffe Balen-
say irgendiwo in Panama und wiffen den Teufel, was
in Spanien, und noch weniger, was in Mexiko vor-
geht, und dann fagen wir, der Marquis von Gri—
jalva fagt e8, daß wir ſehr in Zweifel find, ob Sie,
Senores, bis zum Namenstage Sr. Majeftät auch
noch einen ganzen No haben werden, um die könig—
lichen Decorationen in einem gefunden Knopfloche
Platz nehmen zu laſſen.“
Die Heftigkeit des Sprechers hatte die fieben Edel-
Yeute mit einem Schauer erfüllt, der dem eines from—
men gläubigen Katholiken vergleichbar jeyn dürfte,
welcher einen verruchten Keßer auf fein Idol mit Art
und Schwert zuhauen fieht. Sie zogen ftch insge—
ſammt ſcheu zurüf. |
„Wir können uns nicht verhehlen,“ fiel nun der
Sonde ein, der inzwifchen mit den Empfange Der
angefommenen Befucher befchäftigt geweſen war,
„daß, ſo ſehr wir die allerhöchſte Gnade in Bezug
auf die fünfundzwanzig Ordensverleihungen zu ſchätzen
wiſſen, eine werkthätigere Hülfe um ſo nothwendiger
ſeyn dürfte, als ohne dieſe der Ruin des Landes uns
*
2*
220 —
ausweichlich iſt. Im Thale von Cuernavaca gingen
die vorletzte Nacht einundzwanzig Zuckerpflanzungen
in Rauch und Flammen auf, und, wie wir leider Ur⸗
ſache haben zu vermuthen, auf Geheiß unſerer Gebieter.“
Der feine Weltmann, der Achtung für die Winde
und Gnade des Negenten mit Schonung der Vor⸗
urtheile und Schwächen ſeiner Compairs jo gefchiekt
zu verbinden wußte, hatte, indem er zugleich über die
Urheber der Drangfale des Landes einen bittern Tadel
ausſprach, ſchnell Anklang gefunden.
„Jeſu Maria!“ rief Einer der Sieben, „Und und
bringt unfer Ariero Nachricht, daß unfere Hacienda
de Trigo*) San Francisco im Bario rein auöges
plündert — 4 ,
„And unfere Neal bei Sombrereto — —
fiel ein Zweiter ein —
„Und alles Maſchinenwerk an — Shehhten
an der Valenciana verbrannt und vernichtet,“ klagte
ein Dritter.
„Jeden Tag mehren ſich unſere Drangſale,“ jam—
5) Land gut, zum Ackerbau eingerichtet, zum Unterſchiede von
Hacienda de benefieio, das zum Bergwerfswefen einges
richtet ift.
—H 21 ⸗
merte der Vierte; „und felbft der heutige dia de fiesto,
fonft nur beftimmt, Jubel zu verbreiten, hat die ganze
Stadt mit Schrecken erfüllt. Man hegt die armen
Indianer arger, als die Eoyotes.
„Es find Nebellen, und zwar die Nebellen von
Itzceuhar;“ bemerkte der Major, der als Cortejo der
Donna gefommen war.
„Denen man jedoch die Amneftie bei dem dreieinigen
Gotte zugefichert, von allen Kanzeln verkündet hat,
ſprach der Graf mit ſtarker, feierlicher Stimme. „Don
Agoſtino Iturbido! Es war Ihre Escadron, die ſich
dieſe überflüſſige Grauſamkeit im Angeſichte Meriko’s
zu Schulden kommen ließ.“ |
„Hohe Befehle, erlauchter Graf;“ erwiederte der
Major mit einem tückiſchen Lächeln.
„Wir haben nichts gegen Befehle zu erwiedern,
wir, deren Schuldigkeit es ift, zu gehorchen;“ ſprach
der Graf. „Aber wenn wir,“ und er jah den Major
mit feinem durchdringendften Blicke an, „um von uns
fern Gebietern ein gnädiges Lächeln zu erlangen,
unſer Land noch unglücklicher machen wollen, a8
unſere Gebieter — und wahrlich, wir thun es, —
dann dürfte die Zeit bald kommen, wo Dieſe uns
ah
m —
ſelbſt ftatt der —*— Indianer in bie Svoeadien |
\jenden werden.
„Es verdad!‘“ riefen mehrere Sri, von der
Wahrheit getroffen. „Der Anfang dazu ift bereits
gemacht, und unfer älteftes Privilegium ift uns heute
entrifjen. Man fendet unfere Erfigeborenen zu der
Armee, ohne es auch nur der Mühe werth zu halten,
ung zu jagen — 4
„Das wollen wir,“ ſprach eine hell Elingende, aber
harte Stimme, die einem jungen Manne angehörte,
der, in der linken Hand ein verfiegeltes Packet, in der
rechten ein Augenglas, die Gefelichaft gemächlich
vornehm mufternd in den Saal getreten und fich dem.
Grafen genähert hatte. Er war von vornehmer Ge—
ftalt, Yeicht und gewandt, hatte jedoch in feinen Blicken
etwas vom Baftlisfen. Als er die Creolen flüchtig
überfehen und vornehm leicht begrüßt hatte, übergab
er dem Conde mit einer tiefern Verbeugung und den
Morten: „der Wille Sr. Excellenz,“ das Packet.
„Wir wiſſen doch nichts im Palaſte, daß Se. Herr⸗
lichkeit eine Tertullia in Ihrem Haufe haben, « be⸗
merkte der Höfling lächelnd während der Todten—
ſtille, die ſein Eintritt verurſacht hatte. „Doch haben
tee —
—H 223 —
fih Se. Herrlichkeit vieleicht nicht der hohen Re—
gierungs-Entfehliefung erinnert, in Folge welher"
feine Zufammenkunft, was immer für einer Art, ohne
‚die ausdrückliche Genehmigung von Sr. Ereellenz in
Mexiko ftattfinden folle.
„Wir Haben von einem folchen Erlaſſe gehört,“
verfeßte der Graf, „und würden nicht ermangelt ha⸗
ben, demjelben Bolge zu leijten. Doch, wie Don
Ruxy Gomez fehen, fo ift e8 ein bloßer Willkommens⸗
bejuch Ihrer Herrlichfeiten, die und die Ehre ange-
than haben, uns zu unferer Ankunft in Mexiko Glück
zu wünſchen.“ Der Graf hatte feine Worte mit einer
Verbeugung an die Eheleute begleitet. |
„Sr. Herrlichkeit zu Ihrer Ankunft in Mexiko
Glück zu wünschen, * fielen mehrere Kavaliere mit jener
Ideenübereinſtimmung ein, die wir an den hoben
Gliedern der Ariftofratie haufig nach einem erquick—
lichen Diner bemerken, wenn die volle Befchäftigung
der VBerdauungswerfzeuge es unräathlich macht, ihre
Verrichtungen Durch ftörende Geiftesanftrengung zu
hemmen.
Se. Herrlichkeit find ſehr glücklich in der Achtung
i Ihrer Compairs,“ meinte.der Höfling, „die jedoch,
— u
die Wahrheit zu geſtehen, eine fttfame € Stunde zu
ihren Achtungsbezeugungen gewählt haben.“
„Wenn Don Ruy Gomez der Meinung find“ —
fielen zehn Edelleute erfehrorfen ein —
„Wir leben in Zeiten, Senor, wo fich jeltfamere
Dinge zutragen — 4 bemerkte der Graf, der während-
dem das Siegel des Packets aufgebrochen hatte.
„Es ift für Euer Herrlichkeit Privateinfichtz“ be—
deutete ihm der Höfling mit einiger Saft, und nicht.
ohne Mißbilligung.
„Perdon denn,“ verſetzte * Sraf, „doch finde
ich bloß die Neifepaffe unferes Neffen Don Manuel
und den Befehl, der ihn morgen früh in die Madre
Batria abjendet; ob als Gefangener oder Berwiefener,
weiß die heilige Jungfrau und Se. Ercellenz allein —“
„Was immer die Befehle Sr. Ercellenz feyn mö—
gen,“ verfeßte der Privatfefretär wichtig, „fo werden
Eure Herrlichkeit wohl thun, ſich ganz Hochdero Willen
zu fügen, der, wie Sie wiffen, immer fehr gnädige
Nücfihten für das erlauchte Haus Conde Sen
hatte. «
Der ſchneidend bitter hohnlächelnde Son indem
die ganze Unterhaltung vom Privatfefretär des Sa—
—, 25 ⸗—
trapen angefangen und fortgeführt worden war,
eontraftirte jeltfam mit dem höfifchen, abgemeffenen
und zierlichen Worten, die er zu ftellen wußte.
„Wir find ganz son der Gnade Se. Ercellenz gegen
unfer armes Haus durchdrungen, #entgegnete der Eon
de, „obwohl wir diefe Heberrafchung nicht vermuthet
hatten. Zwar ift Dom Manuel nicht unfer Sohn.
Mir felbft ftehen einfam,“ fuhr er mit einer weichen
Stimme fort, „aber wir fühlen als Vater. Es ſcheint
jedoch, unſer Neffe habe die Aufmerkſamkeit und ſelbſt
die Gunſt Sr. Excellenz ſehr ſchnell und in hohem
Grade zu erwerben das Glück gehabt. Es überraſcht
uns dieſes einigermaßen.“
Dieſe Worte, im verbindlichſten Tone ausgeſpro⸗
chen, ſchienen nun wieder den Höfling verlegen zu
machen, der den Grafen forſchend anſah.
„Eben ſo,“ fiel der Marquis Grijalva ein, „als
wir für die Aufmerkſamkeit Sr. Excellenz verbunden
ſind, die ſo unerwartet geruhet, unfere Söhne mit
dem porte-Epee zu beehren. «
„Es ift traurig, Don Ruy Gomez,“ * ein
Zweiter an, „daß die Fueros unſeres Adels ung ſelbſt
in unferem Blute nicht ſchützen können; Don Ruy
*
; — 6 —
‚Gomez find die rechte Hand Er. Excellenz, und wenn
Deroſelben Fürſprache — 4 ri:
Mehrere Kavaliere drängten fich fofort um die
wichtige Perfonage, die eine entfprechend protegivende
Miene anzunehmen begann, die aber Durch eine plöß-
lich finftere Wolfe wieder verfcheucht wurde.
„Und ift es wirflih Sr. geheiligten Majeitäat
Mille ?u fragte der Marquis Grijalva; „iſt e8 wirf-
lich fein Wille, daß die Erſtgeborenen des megikani-
ſchen Adels ihrer Privilegien verluftig geben ſ ) h
Wir haben,“ fuhr der derbe, aber etwas ſimple Gonde .
fort, „ein altes Buch, in dem es gedruckt ſteht, daß,
wenn ein Edelmann ſich vor dem Justicia de derecho
einſchrieb, und ſo Sicherheit gab, daß er vor ſeinen
Richtern erſcheinen würde, dieſer jetras inhibitorias |
gab, welche ihn vor aller Gewaltthätigkeit an nei and
Gütern ſchützten, bis er förmlich nach den Gefetzen oder
Privilegien gerichtet war. Wurde der Juſticia oder ei⸗
ner feiner Lieutenants für irgend’einen folchen Verhaf⸗
teten um Hülfe angeſprochen, fo fertigte er die Manife- 3
stacion aus, das heißt:.er nahm den Gefangenen in 3
feine Obhut, und fand e8 ſich, daß er wider die Burros | E
—9 9 —
oder ohne fürmlichen Rechtszuſtand verhaftet war, fo
ſetzte er ihn in Freiheit. Auch fagt daſſelbe Buch —*)
Der Sprecher, der, wie er fich nach Landjunfer-
MWeife naiv ausdrückte, ein Buch hatte, in dem diefe
alten Privilegien ftanden, die wirklich für Spanien
bis zum Jahre 1519 eriftirten, hielt in feiner Erpo—
fition plöglich inne. Der Geheimfefretär hatte ihn
nämlich mit einem Blicke angefehen, jo höhniſch und
böswillig, daß der alte Geſetzforſcher ganz aus ber
Faſſung Fam.
„Und haben Euer Kerrlichkeit, u fragte der Höfling,
indem er den Sprecher hohnlachend vom Kopfe zu
den Füßen maß, „wirklich ein folches Buch ? Wahr-
fcheinfich in Kalbsleder eingebunden?“ fuhr er nach
einer Baufe mit demſelben Hohne fort. „Als Ant-
wort auf Ihr Buch wollen wir Euer Gnaden jagen,
dag Ihre Söhne ihrer Fueros verluftig worden find,
weil fie fich deren durch ein disloyales Betragen un=
würdig gemacht haben. Danken Sie es der Milde
Sr. Excellenz, daß Hochdieſelben, aus Rückſicht für
die Treue der Väter, das Verbrechen der Söhne nicht
*) Die ſpaniſche Habeas⸗Corpusakte. Sie wurde von Carl I.
(als römischer Kaifer Carl V.) aufgehoben.
ſchärfer heimgeſucht RR ala uch e e Strafe,
die,” jeßte er Hinzu, „ſelbſt ſpaniſche B 08 f
eine Belohnung angejehen haben. | Wahrli
Yiere, Die fich erfrechten, Pasquille gege n die llig
Perſon Sr. Majeſtät anzuhören, find febr hu Toyo!
Sie werden es geftehen, "durch ein goldene Porte-
epee beitraft.
Die Urſache des Gewaltferittes, der. vier er |
zwanzig Söhne der erften Samilien ihrer Privilegien
beraubte, und fie zwang, die Waffen wider ihren
Willen zu ergreifen, war jomit an das Tageslicht
gekommen. Die Gavaliere, die von dem Schickſale
ihrer Söhne während der Cour und des darauf fol-
genden Theaters nichts, oder bloß dunkle Gerüchte
und die oben erwähnten myfteriöfen Infinuntionen
de3 Satrapen vernommen, und erft jebt Aufklärung
über die Urfache erhielten, die ihre Söhne, ohne daß
fie gehört oder zur Verantwortung gezogen worden
wären, verdammte, unter einem blutdürftig rohen
Manne zu dienten, wurden fo gänzlich durch die Worte
des Höflings eingejchlichtert, daß auch Fein Gingiger
etwas zu eriwiedern verfuchte.
„Ihre Söhne, Senores,“ fuhr der Geheimfefretär
9 29 —
mit paniſcher Grandezza und Schonungsloſigkeit fort,
„werden unter dem unüberwindlichſten Helden, der
die Rebellen bei Aeulco, bei Marfil und an der Brücke
von Calderon vernichtet, der von Sr. Majeſtät jelbft
hochgeehrt find, unter dieſem Helden werden fie die
Zucht und die loyalen Gefinnungen lernen, die fie im
Verkehre mitrebelliichen Gavecilla's vergefl en zu haben
ſcheinen. ⸗
„Wenn,“ ſprach der Conde, „die Mayorasgo—
herren, unſere erlauchten Compairs, ſich jo weit ver-
geſſen haben, Pasquille auf Sr. Majeſtät geheiligte
Perſon anzuhören, dann können wir fie bloß der be—
fannten Milde Sr. Excellenz anempfehlen und von
ihrem väterlichen Derzen Milderung ihres Schickſals
erflehen. Se. Excellenz werden jedoch vielleicht Gnade
für Recht angedeihen laſſen, in Anbetracht, daß dieſe
Anſchließung unferer Söhne an die königlichen Trup—
penforps die Nebellen noch mehr in ihren Grimme
gegen den Adel beftärken müſſe, defjen loyale Treue
ohnedem bereit3 der Opfer fo viele gebracht, und der
yon Freund und Feind fo bitter heimgefucht worden ift.“
„Die Rebellen," bemerkte der Geheimſekretär, „ha—
ben nach unferm geringen Ermefjen den hohen Adel
Der Virey. L | 46
—H 30 &—
nicht graufamer heimgefucht, oder fi) gegen ihn mehr
erfrecht, als fie e8 gegen die. unveräuferlichen Rechte
Sr. Majeftät felbft gethan haben, und wenn der hohe
Adel Opfer gebracht hat, fo ſollte, nach unſerm ge⸗
ringen Ermeſſen, Derfelbe, weit entfernt dieſes zu
bedauern, vielmehr in diefen Opfern gloriren, da fie
mit dazu dienen, der geheiligten Majeftät einen Be—
weis feiner unbegrängten Treue zu liefern. Oder wie
würde Sonde Denjenigen nennen, der in einem folchen
Kampfe Schonung von den Rebellen hoffen oder er=
bitten, oder Nebenrückfichten geltend machen würde 94
„Don Ruy Gomez gibt und eine Erklärung, 4 ver—
jeßte der Gonde, „die eben jo loyal als richtig ift. Was
und und unfere Compairs betrifft, jo ftehen unſere
Güter, unfer Blut Sr. Majeftät ganz zu Dienften,
und wir find eben fo weit entfernt, Schonung von
den Rebellen zu erwarten als anzufuchen. Aber Don
Ruy Gomez wird bemerken, daß Staatsklugheit eben
jo jehr erfordert, dag man die Kräfte der Getreuen
ſchone, als die des Feindes vermindere, und daß Sr.
Majeſtät Intereſſe weit mehr gefördert werben dürfte,
wenn Diejenigen, deren Grundſätze anerkanntermaßen
a da un 3 r £ —— —* —
— A 0
—, 331 ⸗—
loyal find, auch in den Stand gefeßt werden, die Re—
gierung zu unterftügen. «
»Die Regierung zu unterftügen ?« wicherhokte der
Geheimjefretär mit dem bitterften Hohne; „die Re—
gterung zu unterftügen ?” fprach er mit wegwerfender
Verachtung. „Wir haben immer geglaubt und find
immer gelehrt worden, dag Se. Majeftät der unum—
ſchränkte Gebieter in allen ihren Landen und über
alle ihre Untertbanen und deren Güter find, Nie—
manden Rechenſchaft zu geben jehuldig, als Gott
und ihrem Beichtvater. Wahrlih! es ift uns jehr
befremdend, bier eine ganz neue Xehre aufgefteltt zu
hören.
„Niemand zweifelt daran,“ fiel der Marquis Gri-
jaloa ein, „daß Se. Majeftät unumſchränkter Gebieter
unferer Habe und unfjeres Lebens find; aber wo
nichts ift, jagt unfer Sprichwort, da hat des Königs
Majeftat felbit das Necht verloren, und wenn unfere
gnädigen Gebieter noch eine Weile auf diefe Art _
haufen, dann wird des Königs geheiligte Majeftät
ihr Recht bald verloren haben. +
„Das ift ein Grito! Aufruhr! Rebellion!“ ſchrie
der Geheimſekretär, im höchſten Zorne erglühend.
16*
232 —
„Uno grito! Rebellion!“ ſchrie ihm der Major
und zehn Edelleute nach, und im Augenblicke herrſchte
ein Tumult im Saale, der, bei der außerordentlichen |
Beweglichkeit der Gavaliere, beinahe in Thätlichkeiten
auszubrechen drohte. Mehrere Tiefen ängſtlich im
Saale umher, „uno grito, Jesu Maria!‘“ ſchreiend.
„Wir haben zu viel yon den Gefinnungen Ihrer
Herrlichfeiten gehört,“ ſprach der Geheimfekretär mit
Yauter, erhobener Stimme, vum und nicht veranlapt
zu finden, Ihnen im Namen Sr. Ercellenz anzudeu-
ten, augenblicklich die Caſa Sr. Herrlichkeit zu räu—
men und®fich fofort nach Haufe zu begeben.“
Diefe fonderbare Weifung, an mehr denn zwanzig
Glieder des erften Adels von Mexiko in feiner eige-
nen Hauptjtadt gegeben, war nicht ſobald ausgefpro=
chen, als auch die Mehrzahl ſchon Anftalten machte,
derfelben mit aller nur möglichen Haft Folge zu lei=
ften. In unausfprechlicher Angft rannten diefe armen
Gavaliere nach der Thüre, und fingen an nach ihren
Hüten und Mangas zu ſchreien.
„Wenn Se. Excellenz,“ fprach der Conde, „Don
Ruy Gomez zu dieſem Befehle ermächtigt haben, dann
müſſen die Cavaliere gehorchen, denn der Wille Sr.
233 ⸗—
Excellenz, gleichviel ob gerecht oder ungerecht, ift Ge⸗
ſetz im Lande. Wenn jedoch Don Ruy Gomez aus
eigener Machtvollkommenheit den unſchuldigen Be—
weis von Achtung, den unſere Compairs uns zu
geben für gut befunden — —“
„Bemühen Sie ſich nicht, Senor Conde,“ unter-
brach ihn der Geheimſchreiber mit einem ſchnöden
Seitenblicke; „was wir gethan, werden wir auch zu
verantworten wiſſen.“
Mehr denn zehn Cavaliere hatten ſich nun an die
Thüre gedrängt, wurden jedoch in ihrem Eifer, dem
verbrecherifch Liberalen Saale zu entfliehen, durch)
einen ſtaubbedeckten, fehmeißtriefenden Mann in
brauner Jade und rothfammtner Wefte und braunen
Lederfamafchen, aufgehalten, der in ftürmifcher Eile,
von mehreren Dienern eingeführt, in den Saal
drang, und dem Grafen ein verfiegelted Schreiben
überreichte. Diefer riß das ſchmutzige Couvert weg,
überflog das Papier, und wandte ſich dann mit dem⸗
ſelben marmornen Ausdrucke im Geſichte zum Ge—
heimſekretär, dem er einige Zeilen zu leſen gab.
Der junge Höfling war augenſcheinlich in der
großen Hofkunſt noch nicht ſeit langer Zeit einge—
a
) YET
—234 —
weiht; denn das vorige Sohnlächeln war wie ein
Aprilſonnenſtrahl vor dem wieder hereinbrechenden
Nebel verſchwunden, ſein Geſicht nahm einen feierlich
ehrfurchtsvollen Ausdruck, ſein ganzes Benehmen
einen Anſtand an, von dem früher auch nicht die lei⸗
ſeſte Spur zu vermerken geweſen.
„Jeſu Maria! Was iſt's? Was gibt's?“ ſchrieen
nun die Cavaliere, die mit athemloſer Spannung dieſe
Symptome einer veränderten Gemüthsſtimmung im
Geſichte des Herrendieners geleſen hatten.
„Sie werden es hören, Senorias,“ wandte ſich
der Conde mit derſelben ehrfurchtsvollen Gelaſſenheit
an ſie, „wenn Sie ſich bis zu unſerer Rückkehr ges
dulden wollen, gegen die nun hoffentlich Don Ruy
Gomez nichts ferner einzuwenden haben wird. Se—
norias!“ fuhr er mit erhöhter Stimme fort, „die
Nachrichten, die uns unſer Correo ſo eben gebracht,
find von einer ſolchen Wichtigkeit, daß wir nicht um-
bin fönnen, fogleich zu Sr. Excellenz zu eilen, um
jelbe Hochdenfelben zur hohen Einficht vorzulegen,
wobei wir Se. Herrlichkeit den Marquis Grijalva
erfuchen, ung zu begleiten, und wenn eg, wandte.er
fich zum Geheimfchreiber, „von einem ſpaniſchen Hi—
N
#
dalgo nicht zu viele Herablaſſung ift, einen Sit im
Magen eined armen merikanifchen Grafen anzuneh-
men, fo bieten wir diefen Don Ruy Gomez ehrfurcht3=
vol an.“
Kein Zug von Spott oder Hohn zeigte fich bei
diefen Worten in den Mienen de8 Grafen, und es
blieb zweifelhaft, ob jeine Einladung nicht mit der
überreichlichen Demuth eines Greolen, gegenüber fei=
nem ſpaniſchen Gebieter, auögefprochen war. Der
Geheimfekretär fihien fie wenigftend ganz in diefem
Sinne zu verftehen.
„Wir nehmen,“ fprach er ſtockend, obwohl mit
aller ſpaniſchan Grandezza, „das Anerbieten Sr. Herr⸗
lipfeit des Conde San Jago an.“
Die Beiden entfernten fich unter dem Vortritte des
Mayor domo und mehrerer Diener, und bald darauf
verfündete das Raſſeln einer Kutfche ihre Abfahrt.
—
J
I FR 1 $ EL ME
——
26 —
Bwölftes Kapitel.
Die Hölle iſt ledig
Und alle Teufel hier.
Shaflspeare.
Noch war die Gefellichaft über die plößliche Ver-
wandlung des Geheimfefretärs, und den eben fo un-
erwarteten, als der fehuldigen Ehrfurcht zumiderlau-
fenden Beſuch Eines ihrer Glieder bei der höchſten
- Berfon des Königreiches in bangen Bermuthungen
und Zweifeln befangen, die bei den näheren Freun—
den des Grafen in die ängftlichiten Beſorgniſſe über
das Gewagte des unerhörten Schrittes übergingen,
als ein furchtbar gellendes Gehbeul, das aus taufend
Kehlen auf einmal hervorzubrechen fehien, ſo gewal⸗
tig an die Fenſter des Haufes anſchlug, daß die Scheis
ben zitternd erflangen. Das Geheul, ſchrill und gel-
Yend, rollte wie in einem mächtig langen gezogenen
Stoße durch die Lüfte, und prallte aus der großen
Entfernung wie in einem Focus an das Gebäude,
bielt eine Weile an, erftarb und brach von neuem los,
tobender als zuvor: dann lief e3 wie ein Lauffeuer
— 237 &
die Gebirge Tenochtitlans hinan, mo e8, in eim furcht⸗
bares Echo von taufend und abermals taufend Stim-
men vereinigt, über das ganze Thal hinüber rote.
Ein allgemeines Entfegen hatte fich der Zurückge—
bliebenen bemächtigt. |
„Ya escampa yllevan guijarras !‘*) ſpraäch der.
Mayor domo, deffen bleich braunes Geficht eine plötz⸗
liche Röthe überflogen hatte. — „Nun ift der Teufel
198, daS bedeutet etwas mehr als das tolle Lärmen
der Leperos drüben in Mexiko; das fommt von den
Klüften Tenochtitlans und den Schluchten Tacubayas
herüber. Patiencia Senores!“ berubigte er die im—
mer ängſtlicher umher trippelnden, und wieder furcht-
ſam horchenden Creolen; Pedro, Cosmo und Hiero-
nymo laufet hinauf gegen Gapultepec! und Itztlan,
fomm ber, Junge!” —
Und mit dieſen Worten öffnete der alte Mann die
Fenſter, und ſah in die Nacht hinaus. Es war eine
ſternenhelle Nacht. Von Itztaccihuatl fuhr zuweilen
ein greller Lichtſtrom, von einem dumpfen Donner
*) Buchſtäblich: Endlich ergießt ch der Himmel und es rege
net Kiefelfteine.
— 38 >
begleitet, herüber und rollte über das Thal hin, ı '
dann fiel das Geheul und Gebrülle der unſichtharen |
Menge jo majeftätifch ein, daß es für einen Augen-
blick ſchien, als vereinige ſich der Donner des Him⸗
mels mit der Stimme des Volkes, um im nächtlichen
Schrecken ihre Allgewalt zu verfünden. *
„Der Itztaccihuatl,“ ſprach der Mayor domo, un⸗
gemein feierlich, „der raſet heute, und ich brauche es
Ihro Herrlichkeiten nicht erſt zu ſagen, daß dieſes Un—
glück und Jammer für Mexiko bedeutet. Die Gave—
eillas find Hinter Capultepec, und fie brüllen von der
Tacubaya-Straße herüber und ziehen fich gegen
Buenvista hinauf. — — Sa, ja, es find Die Gente
irrazionale, fie toben, und wenn Die anfangen
zu toben, dann Gnade Gott Mexiko. — Ei, fie wit-
tern auf, und fie wittern weit; auf fünfzig Meilen
fpüren fie was vorgeht.“ |
„Jeſu Maria!“ riefen die geängſtigten Edelleute
wieder.
„Gi, die Indianer,“ fuhr der alte Mayor domo .
fort; „fie haben freilich Eeine Gazetta, feine Correos;
aber fie wiffen befjer was. vorgeht, als die Ercellenza
im Palafte, und wenn ihrer noch zehn mehr darin-
⸗
ie Me —
a ———
17
Un,
— 39 —
nen wären, und ich wette — Itztlan kann ung über
ihr Gebrüll befjer Auskunft geben, als es morgen die
AUügenhafte Gazetta thun wird. Itztlan,“ wandte er
ſich zu dem Indianer — „was bebeutet das Geheul?“
„Die Gachupins werden es morgen erfahren,“ er—
wiederte der Indianer trocken.
„Jeſu Maria!“ riefen wieder zehn Stimmen.
„Hisht, Senorias! Kennen Ihro Herrlichkeiten die
rothe Natur ſo wenig, daß ſie durch Lamentationen
herausbringen wollen, was er, wenn er es vermeiden
kann, nicht von ſich geben wird? Patiencia, Seno—
rias! und bringen Sie mir den Indianer nicht aus
ſeinem guten Willen.“
Dieſer hatte abermals aufmerkſam gehorcht. Er
wandte ſich plötzlich, und wie es ſchien mißmuthig.
„Die Patrioten werden Mexiko noch viele Tage nicht
ſehen,“ murmelte er zwiſchen den Zähnen, und dann
entfernte er ſich. | ?
Das Geheul näherte fih auf einigen Punkten, und
dann ging es in ein wirres Geſchrei über, das der
Billa immer näher kam. Ein Haufe der Schreier war
bis auf taufend Schritte angekommen, und brüllte
mit furchtbarem Geheule: „„Mueran los gachupinos!
mw
Viva Morellos nuestro libertador"y se 3
de Cuautla Amilpas!“*) Gleich darauf vaffelte es
anı Sausthore. Die ganze Villa gerieth in Aufruhr.
„Jeſu Maria, 108 Gavecillas — die Rebellen!“
ſchrieen mehrere Stimmen.
Der Schreden unferer armen Kavaliere he
den höchften Grad bei dieſer furchtbaren Nachricht.
Sie Tiefen zitternd und zagend im Saale umber, „los
- Gavecillas“ heulend und freufchend. Mitten unter
ihnen der Mayor domo, fie ermahnend, bittend, be⸗
ſchwörend, ihre Würde nicht ſo ſehr zu vergeſſen.
Alles vergebens — „Paz Senorias!“ ſchrie der alte
Mann endlich in Verzweiflung.
„Paz, Senorias!“ fehrie er ftärfer; doch Die ge-
ängftigten Creolen hörten die Stimme des Dieners
nicht. In ihrem Schrecken hatten fich Einige vor den
Schugheiligen niedergeworfen, Andere rannten zähnes
Elappernd im Saale herum, wieder Andere fitähten
fih Hinter den Dienern und rn den Dane: zu
verbergen.
*) Tod den Gachupinos (Spanier). Es lebe Motels fe
DBefreier, ver Sieger von Suautla Amilpas. 4
;
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f
er ch
— MM
+ n Der Conde!“ rief endlich der Mayor domo in der
höchften Tonleiter feiner heißer gellenden Stimme.
„Der Gonde, Senorias!“ |
„Der Conde — wo tft er — der Conde?“ riefen
Alle.
„Gegangen,“ erwiederte der. Mayor domo, „um
‚mit Sr. Excellenz zu fprechen, und die Gaverillas ſo—
gleich zu verjagen.“
Und gleich geſchreckten Kindern, denen ihre Amme
die Zuficherung ertheilt, daß ihr Bapa ſogleich wie
der kommen werde, um das Nachtgeſpenſt zu ver—
treiben, fingen unſere Grafen und Marquis an ſich
allmälig zu beruhigen, und der Mayor domo, nach—
dem er ſo die ſchwachen Geiſteskräfte ihrer Herrlich—
keiten glücklich auf einen Punkt concentrirt, der fie
für einige Zeit zu befchäftigen verfprach, ergriff nun
feinen Amtsftab, um die Diener zu ordnen, die mit
Erfriſchungen ankamen.
»Don Agoftino Iturbide, Por el amor:de Dios
— Wo ift Don Iturbide?“ fehrieen BR Jeſu
Maria, auch Der iſt weg!“
Der Major hatte fi) während deö Tumultes aus
dem Saale gefshlichen, wobei ihm. der Mayor domo
120
und fjümmtliche Diener mit Blicken —— die,
zum Wenigſten geſagt, für den Mann — ſchmei⸗
chelhaft waren. #
„Laſſen Sie Den, Senorias,“ A der Greis
ungemein ernft und mit einem Nachklange der tiefften
Verachtung. „Sie verlieren nichts an diefem Don
Iturbide, fo groß und ſtark er ift. Wollte Gott, er
ginge, und recht weit von Merifo; — * Sie es
mir.“
„Anſelmo, was iſt Div wieder?“ fragten Mehrere.
„Vienga tiempo, vienga consejo,“ ſprach der
Mayor domo feierlih. „Kommt Zeit, fommt Rath.“
Unfer Sprichwort fagt: A picaro, picaro y medio.
Mit einem Schurken ſey ein Spitzbube und ein halber
drüber, und Senorias, Don Agoftino ift der Mann
darnach. Vienga tiempo, vienga consejo;“* ſchloß
er, worauf er feine Dienerfchaft ordnete, die num,
zwei Mann hoch, die mannigfaltigiten Erfriſchungen h
und Getränke in filbernen Geſchirren auftrug. 4
Der Klang Friegerifcher Inftrumente, der durch die
Benfter drang, unterbrach auf einmal die Stille, die
eingetreten war. ” 4 j
Es war die herrliche Janitſcharenmuſik der Regie
— 243 ⸗—
menter de la Reina und del principe de Paz,*)
die fich nun auf der Strafe näherten, die durch den
Paseo nuevo Capultepec vorbei nach Tacubaya hin-
aufzieht. Der ergreifende Anklang der Friegerifchen
Muſik brachte bei den Cavalieren ganz diejelbe Zau—
ber ähnliche Wirfung hervor, die wir früher an der
fogenannten Gavilla'zu bemerken Gelegenheit hatten.
Der raſche Aufmarſch einer zahlreichen Cavallerie
wurde zugleich hörbar, und diefe verfeßte die Gefell-
ichaft eben fo plößlich als unerwartet in die entgegen-
geſetzten Ertreme. Die athemloſe Stile, die bei. dem
erſten Trompetenſtoße geherrſcht hatte, wich allmalig
Ausrufungen des Entzückens; die Gavaliere began-
nen regelmäßig den Takt zur Muſik mit ihren Hän—
den und Füßen zu fchlagen, und vergoffen wieder
Freudenthränen, umarmten fich wieder und trippel-
ten im Saale herum gleich Schiffbrüchigen, die dem
offenen Wellengrabe durch ein herannahendes Segel
entriffen. werden, und ftießen jubelnd mit ihren Glä-
fern auf das Verderben der Patrioten an. Je länger
der Zug währte, defto ungenirter und ungeſtümer
*) Der Königin und des Friedensfürſten.
+
wurde ihre Freude, und ſelbſt ihr Muth fing an zu
erwachen, und dieſelben Patrioten, deren bloße Er—
wähnung ſie noch eine halbe Stunde zuvor in pani⸗
ſchen Schreck verfegt hatte, wurden num Gegenftand
des beifendften Wites und einiger recht artigen bon-
mots. Auf die Gavallerie waren mehrere Infanterie-
Pegimenter und ein ziemlich bedeutender Artillerie⸗
Train gefolgt, die, im hellen Fackelſchein vorbei defi⸗
Virend, wirklich ein anziehend Eriegerifches Nachtſtück
darjtellten. Gin lautes Vaya vmd con Dios y con
la Vierge folgte den Truppen von Seiten der Cava⸗
liere, ein brummendes Vaya vmd con eien mil De-
monios von Seiten der Diener. #
Als der letzte Pferdehuf verklungen war, wurde
das Raffeln eines Wagens gehört, und ehe noch die
entzückten Creolen aus ihrem kriegeriſchen Enthuſias⸗
mus erwachten, ſtand der Conde San Jago wieder
unter ihnen. ;
225 &
Dreizehntes Kapitel.
Bon folden Sachen fpricht ſich's beffer drinnen,
Meint er.
Beppo.
„Dios sea labado!“ fchrieen unfere armen Cava⸗
liere, mit einer Energie, die beinahe Herzlichkeit und
Manneskraft verrieth; doch ſich eben fo ſchnell ver
beſſernd, hielten ſie in ihrem haſtigen Drängen an
und ſahen dem Grafen ſtarr und forſchend in's Ge—
ſicht. Auch kein Zug hatte ſich im Geſichte des feinen
Weltmannes verändert, und mit der feinen Gelafjen-
beit, die den wahren Ariftofraten charafterifirt, be—
grüßte er zuerft-feine Gäfte und ſprach dann:
„Perdon, Senorias, dag Nothwendigkeit und
zwang, Ihre Herrlichkeiten in einem Augenblice zu
verlafien, und unfern Beſuch bei Sr. Excellenz auf
eine Weife zu verlängern, die im gegenwärtigen kri—
tifchen Zeitpunfte Sie vielleicht in einige Unruhe vers
ſetzt haben dürfte.“
Zwei Dinge ſchienen in der Nede des beſonnenen
Edelmannes aufzufallen. Die Entfehuldigung des
Der Virey. 1. 17
26
Beſuches bei der Excellenz und das Bedauern, daß
die Verlängerung dieſes Beſuches ihnen — den Ca⸗
valieren — einige Unruhe verurſacht haben dürfte.
Die Gleichſtellung des Adels mit der höchſten Perſon
im Königreiche, die gewiſſermaßen in ſeinen Worten
lag, hatte für mexikaniſche Cavaliere etwas ſo Eige—
nes, daß ſie ſich ſprachlos anſtarrten.
„Ah! Senorias dachten wahrſcheinlich, Se. Ex—
cellenz dürfte und vielleicht ein Zimmerchen in dem
Hospital de San Salvador *) anweiſen haben laſ⸗
fen, weil unſere Zunge in Gegenwart des Geheim-
Sekretärs etwas rauh geweſen.“
„Bei, meiner Seele!“ fuhr der Marquis 2
„vor achtzehn Monaten dürfte ſo etwas arrivirt ſeyn!
Aber die Zeiten ändern ſich, und der alte Grijalva
weiß ſo gut, woher der Wind bläst, als der beſte
gallo de viento.**) Meiner Seele,“ rief er noch—
mald treuherzig aus, wich glaube, Se. Ereellenz
würde noch vor achtzehn Monaten denjenigen Cava⸗
lier in ihre beliebten Infernellos haben einſperren
laſſen, der es gewagt hätte, nach Mitternacht eine
Irrenhaus in Merifo.
Wetterhahn.
er
47 —
Audienz nadzufuhen; aber jo Gott will, fo wird bie | *
arme Nobilitad Mexiko's noch im Preiſe ſteigen.
Nach den offenen Mäulern, mit denen die Mehr⸗
zahl den Marquis anhörte, fehien fie wirklich nicht
ungeneigt, diefen nächtlichen Beſuch als eine halbe
Heldenthat anzufehen. „Und Se. Excellenz?“ frage
ten endlich Mehrere in höchfter Spannung.
»Waren mit der zweiten Excellenz, dem General-
Gapitain, zwanzig Generalen und ſämmtlichen Oido—
res noch in Gonfejo, wie es hieß, aber in —
zu ſagen bei der Tertullia.“
„Aber Dias! die Etiquette verbietet ja Sr. Excel—
leng —“ fielen Mehrere ein.
„Eine Tertullia oder ein Diner zu geben;“ ergänzte
der Marquis.
„S» ift e8, Senores ! und eben der Umftand, daß
‚Se. Excellenz gibt, wo fie früher bloß zu nehmen ge='
wohnt waren, beftimmt mich zu glauben, daß dieſem
Lande eine große Veränderung bevorfteht, Ah Se-
nores! Se. Excellenz machen fich wohlfeiler. Zwar
war die Tertullia bei ©r. Greellenz Schwägerin, der
königlichen Ifabelle, wie fie genannt wird, und Se.
Excellenz waren geneigt, befremdet vornehm
17 *
auf, und herabzuſchauen; aber es foftete dem Gonde
nur ein Wort, und Se. Excellenz wurde ganz Finezza;
weiter wurden Diefelben jo ergriffen und bewegt, daß
fie olivengrün und braunſchwarz ausjahen, und zit-
terten. wie ein Schlagaal, und Se. Errellenz, der
General-Gapitano, Fluchten wie ein Ariero und kreuz⸗
ten fih wie ein Badre von San Francisco; Alles
in einer und derfelben Minute.“
Die Schilderung der Gemüthsbewegung der beiden
Excellenzen fehien den Cavalieren wohl zu thun, fie.
horchten in außerfter Spannung ihren Worten.
„Und Se. Ercellenz haben wirklich ihre gewohnte
Contenance verloren ?+ fragten endlich Mehrere er—
ftaunt. :
„Totaliter!“ flel der Marquis Grijalva ein. „Se.
Ereellenz liefen dermaßen bewegt in ihrem Kabinette
auf und ab, daf die ganze Tertullia in Unordnung
gegieth, und Se. Excellenz, der General-Kapitano,
in’8 Kabinett geftürzt kamen, ohne auch nur von
einem Camarerio eingeführt zu werden, und als fie
die Urfache unfered Befuches erfuhren, ſchworen fie
wie der befte Lancero; dafür Füßten aber Se. Ers
eellenz auch wenigftens fünfzigmal ihre Daumen und
—9 219 &— | m
ſchlugen bei jedem Fluche zweimal das Kreuz. Se.
Ercellenz find ein ſehr guter Chrift; aber Gott gnabe
den armen Patrioten, die Urfache find, daß ©. Er⸗
cellenz von der Kered-Bouteille weg mußten.
„Ihre Excellenzen,“ bemerkte der Conde, „haben
das Intereffe der Öffentlichen Ordnung und Gr. ge-
beiligten Majeftät zu fehr am Herzen, um nicht durch
die Kühnheit der Rebellen, die es nun zum zweiten
Male wagen, mit Heeresmacht vor die — —
zu rücken, alterirt zu werden.“ Mn
„Und wir glauben,“ fiel ihm der Marquis wieder
ein, „daß Se. Ereellenz ſich wegen des Intereffes
Sr. Majeſtät eben fo wenig den Hals abreifen wer=
den, als fie diefes in der Madre Patria gethan, wo
fie eine Schlacht nach der andern an die Franceſados
und felbft Pepe *) verloren; aber verftehen Sie,
Senores, Se. Excellenz haben ſich anheiſchig gemacht,
zwei Millionen Escudos für die Mühe zu bezahlen,
das hartnäckige Mexiko zu regieren, und nebft diefen
zwei Millionen Escudos dürften Ihre Excellenz noch
*) Die Franzoſen. Pepe, Diminutiv von Joſe, wurde König |
Joſeph genannt.
*
—
200 e—
während der fünfjährigen Dauer ihres Biregnato*)
gunodigſt geſonnen ſeyn, andere zwei Millionen für
ſich ſelbſt auf die Seite zu legen, und verſtehen Sie,
Senores, eine ſo gute Melkkuh auch die Jungfrau
von Guadeloupe iſt, es wird verdammt ſchwer hal-
ten, vier Millionen Escudos aus ihr heraus zu
bringen, zwei nämlich für die allerdurchlauchtigſten
Cortez und zwei für die hohe Excellenz.“
Die Art und Weife, in welcher die Verhältniſſe
der Jungfrau von Guadeloupe oder, eigentlich zu reden,
des Vicekönigs, mit Mexiko in Verbindung gebracht
wurden, dürfte einigermaßen das religiöfe Gefühl
unferer nichtfatholifihen Leſer beleidigen, war aber
wieder weit entfernt, unfern frommen Gavalieren zu
mißfallen.: Im Gegentheile, fie bewirkte eine unges
mein heitere Stimmung, und Bravos über Bravos
verriethen, daß der derbe Marquis allgemein Anklang
gefunden hatte.
„Jetzt kriechen Sochdiefelben zum Kreuze, aber zu
ſpät;“ fuhr Diefer fort. „Wir waren auf einmal
die beften Breunde, und Hochdiefelben zwangen und
J
) Vicekönigthums.
IE Wr
* N)
— 31 &—
ſogar, neben ſich und, der General-Kapitanos-Errel- *
lenz Platz zu nehmen; eine Gnade, die, ſo viel wir
wiſſen, noch keinem armen Mexikaner zu BR ge
worden ift.“ *
„Perdon,“ fiel der Marquis de Moncada ein;
aber Eure Herrlichkeit vergefien Ao 87, wo unfer
hochfeliger Herr Vater die hohe Ehre hatten, von
Sr. Excellenz gnädigſt eingeladen zu werden, fi
auf demfelben roth fammetnen Sopha niederzulaffen,
welches wir befanntlich nach Sr. Excellenz Abgang
als Denkmal viceföniglicher Huld in unfern Beſitz zu
bringen und in unferm Befuchfaale aufzuftellen jo
glücklich waren, wie unfere Bamiliendofumente aus—
weifen. Unfer Hochfeliger Herr Vater beliebten die-
jer hohen Gnade um fo häufiger zu erwähnen, als
ihm das unbegreifliche Mißgeſchick paſſirte, fih auf
den hoch begünftigten Schooßhund Ihrer Excellenz
niederzulafien, und von denenfelben in den Sit ge⸗
a zu werden. Ä
„Wahr,“ fprach der Marquis, „wobei Se. Er-
cellenz gnädigft Ihrem hochfeligen Seren Vater zu
bedeuten gerubten, fich zu allen Teufeln zu ſcheren.“
Die interefiante Aufzählung der dem Haufe Mon=
—
”
th 52 —
cada widerfahrnen Gnabenbezeugungen drohte. meh⸗
rere ähnliche nach fich zu ziehen, nach den lebhaften
Debatten zu fehliegen, zu denen fie unter der Mehr-
zahl der Cavaliere Veranlaffung gab. Der Eonde
fehnitt diefe, zum Mißbehagen der Debattirenden, mit
feiner Einrede ab.
„Senorias!“ fprach er. „Unfere Lage ift fo ei
tiſch, unfere Stellung feit einiger Zeit fo unficher ge—
worden, daß es und wirffich die höchſte Zeit feheint,
derfelben einige Augenblicke um fo mehr zu ſchenken,
als es vielleicht morgen fehon zu fpät feyn dürfte,
uns ruhig zu befprechen.«
„Sonde! Jefu Maria! Was fol das — be⸗
deuten?“
„Senorias,“ ſprach Dieſer, „haben ja noch nicht
die Urfache gehört, die und veranlaßte, Se. Exeel-
lenz in diefer fpaten Stunde unfern Beſuch abzu—
ftatten. ”
„Jeſu Marin!“ riefen wieder die Edelleute.
„Wir können und nicht verhehlen,“ fubr Diefer
fort, „daß die Negierung, ja die ganze Eriftenz des
Staates fehr bedroht ift, und mit diefer unfere eigene.
—H 33 —
Unfer Correo *) hat und von Guautla Amilpas Nach⸗
richt gebracht, — die der Regierung wurden fämmt-
lich von den Rebellen aufgefangen und erſchoſſen —
daß Bravo mit dreitauſend Gavecillas in Cuautla
eingerückt, daß General Muſitu auf's Haupt geſchla—
gen, Oberſt Soto mit feinem Corps vernichtet, daß
Morellos, nachdem er eine bedeutende Heeresmacht
vor Acapulco zurücgelaffen, in der Nähe der Haupt⸗
ftadt ängefommen, um fich mit den übrigen Rebellen—
häuptern zu vereinigen, daß Vittoria, Cos und Rai—
non ſich gleichfalls mit ihren Armeecorps gegen die
- Hauptftadt wenden, kurz, daß ſich eine Maffe von
fünfzehn= bis zwanzigtauſend Rebellen kaum zwanzig
Stunden von Mexiko concentrirt, die feſt entſchloſſen
ſcheinen, das Ende der verrſchaft ne herbei⸗
zuführen.“
„Jeſu Maria!“ riefen die Kavaliere nich:
Der Gonde hielt eine Weile inne. — „Was der
hohe Adel,“ fuhr er fort, „von ſolchen Menfchen, wie
die Bravo's, die Vincente Guereros, die Galeanas
*) Courier.
— 3 —
und Raynons, die Ofournos, zu erwarten babe, wer⸗
den meine Herrſchaften ohne viele Mühe einſehen.“
„Jeſu Maria!“ riefen die Edefleute.
„Se. Ereellenz haben willkürlich, grauſam eines
der-erften Privilegien des hohen Adels vernichtet, ins
dem fie unfere Söhne zwangen, wider ihren Willen
die Waffen zu ergreifen; aber Senorias, nach un-
ferm Ermefjen dürfte bei alle dem jetzt kaum die Zeit
ſeyn, über verletzte Privilegien zu klagen, wo unſere
ganze Eriftenz auf dem Spiele fteht, und in diefer
Rückſicht haben wir uns bewogen gefunden, ver-
trauend auf Ihre Weisheit und Ihren Patriotismus,
einen vorläufigen Schritt zu thun, der ohne Zweifel
von Ihrer Einficht gebilligt werden wird. Wir haben
namlich auf die dringlichen Vorftellungen Sr. Excel⸗
lenz ung bewogen gefunden, Derfelben ein Darlehen
von Seite des Adels zuzuftchern, und unfererfeit |
den Anfang mit hunderttaufend Escudos gemacht.
Sie, Seniorad, werden um fo mehr wifjen, was in 4
diefer Angelegenheit zu thun ift, als die hufdreichen
Gnadenbeweife Sr. Majeftät keinen würdigern Ca-
valieren zu Theil werden können, als den hohen
: ee
—) 35 —
Männern, die bereitd jo Vieles zur Wiederherftel-
lung der Ruhe und Ordnung gethan haben.“
Es würde ſchwer ſeyn, das Mienenfpiel der Cava—
liere während diefer Rede zu fehildern; bei jedem
Satze waren auch andere Phyfiognomien zum Vor—
fehein gekommen. Anfangs war offenbar Verwun⸗—
derung über die Kühnheit des Grafen, der in einem
ſolchen Tone von der Ereellenz zu ſprechen wagte,
vorherrſchend; dann wurde ihr Blick lauernd, gleich
dem des Raubthieres, das ſich anſchickt, ſeine Beute
im Sprunge zu haſchen; wieder wurde ihre Miene
ausforfchend, wie die des Gerichtöyorfigerd. Zuwei—
len Keuchteten ihre Augen freudeftrahlend auf, und
bei Erwähnung der Ordenskreuze verklärte ein frohes
Lächeln ihre Züge; ein leiſes Geflüfter trat an die
Stelle diefes ftummen Mienenfpieles, und e8 war
ſichtlich, daß fie ſich Alle verftändigten. Wie mit
einem Afforde näherten fie fich dem Grafen und nahe
men einen eben fo fehnellen als ängftlichen Wbfchied.
Drei ältliche Herren, die wir ald Grafen auffüh-
ren gehört haben, waren mit dem Marquis de Gri-
jalva und zwei Jünglingen allein zurüd geblieben;
’ u
—H 256 &—
Alle fahen den ſich Entfernenden im höchſten Erftau-
nen nad).
„Alle Teufel!“ Tachte der Diarquis, „Habt Ihr je
fo etwas gefehen? Ganz Mexiko in Flammen, von.
ihren Käufern und Haciendas eines nach dem andern
ihnen über die Köpfe zufammengebrannt, ihre Berg
werfe verdorben, und kaum hören die alten Efel von
den Ordenskreuzen, jo laufen fie wie befeflen, um
morgen fich die Beine abzuzappeln und bei irgend
einer Samareria Zutritt zu erhalten und ihre legten
hunderttaufend Duros an den Mann zu bringen.“
„Sehr möglich,“ verfegte der Conde.
„Ich finde e8 fogar natürlich,“ bemerkte der Graf
Iſtla, „nach dem erleuchteten Beifpiele, das ihnen
Conde de San Jago gegeben. Fürwahr! Eure
Herrlichkeit — er wandte fich mit einiger Empfind⸗
lichkeit an den Grafen — „müffen ganz befondere
Urfachen gehabt haben, eben jeßt eine Regierung zu
unterftügen, die und ärger als die Gaveeillas ſelbſt |
behandelt.“ | }
„Wir haben bloß unfere Pflicht als Toyaler Unter-
than erfüllt.
— 37 —
Der Conde Iſtla war heftig im Saale auf> und
abgerannt.
„Und beforgen Euer Herrlichkeit nicht, daß unfer
ſo deeidirtes Anfchließen an die Gachupind in diefer
Krifis und vollends den Gnadenftoß geben müffe,
fans Morellos und die Patrioten die Oberhand er-
langen ſollten?“
„Unſer fo deeidirtes Anſchließen an die Gachu—
pins 24 fragte der Conde mit einem Blicke, der ver—
rieth, daß beide Grafen ein diplomatiſches Spiel trie=
ben. „Unſer Anfchliegen an die Gachupins,“ wieder-
holte er mit einer ftärfern Betonung: „Und bleibt
Ioyalen Unterthanen eine andere Wahl übrig, als
ſich an Diejenigen anzufchließen, die Se. Majeftät zu
Stellvertretern Ihres fouverainen Willens, zu Exe—
eutoren Ihrer königlichen Defrete und zugefandt
| haben? Doch Conde Iftla,“ fuhr er, zum Grafen
gewendet, fort, der zweifelnd den Kopf fehüttelte,
„mag fich-vollfommen beruhigen. Was wir von den
Batrioten gefagt haben, fagen wir zwar noch, und
Morellos ift in vieler Hinficht gefährlicher als Hi—
dalgo; aber der Cura von Dolores, obgleich unfähig,
ein Commando zu führen, war unbeftrittener Gene⸗
Ei; 268 ⸗
raliſſimus von hundert und zehntaufend Indianern;
Morellos hat mit fünfzig Parteigängern zu thun. a
„Die ftch ihm jedoch Alle unterworfen haben.“
„Um fich feinem Oberbefehle eben fo fehnell wieder.
zu entziehen. Conde Iſtla Fennt das merikaniſche
Volk zu gut, um zu erwarten, daß ein Vincente
Guerero und ein Vittoria, ein Bravo und ein Rai—
non lange an demfelben Pfluge ziehen werden. Was
den Nector betrifft, Senores,“ er wandte fich zu den
Uebrigen, „jo kennen Sie ihn; aber wir zweifeln, daß
feine. geiftliche Gelehrfamfeit Hinreichen wird, einen
Desperado, der eben fo leicht die Revolution für
Megelagerung aufgeben dürfte, einen Ariero, der
wüſte Lieder brüllt, einen ränkeſüchtigen Advokaten
und einen verſchmitzten Escribano zur Geſetzlichkeit
und Ordnung zu führen.“
„Wenn jedoch Callaja geſchlagen wird ?« bemerkte
der Conde Iſtla.
„Sp zieht er ſich nach Mexiko zurück, das wider
ſtehen wird, trotz dem, daß es Feine Wälle und Thore
hat. Und dieſelben Leperos, die heute für Morellos
brüllten, werden daſſelbe gegen ihn thun, wenn ihnen
die Regierung Pulque und Tortillas gibt, ſo wie ſie
N
—) 39 —
beute gethan hat. Ja, Senores,“ fuhr er fort, „wir
waren heute auf sulfanifchem Boden, und wären die
Patrioten vier Sthden fpäter ausgebrochen, fo dürfte
es ſchlimm um die Gahupind und und geftanden
haben. Zwanzigtaufend Duros und einige Flinten-
und Kartätfchenfalven haben die Ruhe wieder herge-
ftellt, und wenn Sie ſich jest in die Tacubaftraße
‚bemühen, ſo werden Sie Morellos eben jo viele
Pereats gebracht hören, als Sie ihm vor zwei Stun-
den Vivats zurufen hören Fonnten. — Doch, was
wollen Sie, Conde,“ fuhr er in fehärferm Tone fort:
„Neutral bleiben, oder fich zu den Nebellen hinnei=
gen? Glauben Sie, daß ſelbſt der hochgeborne Eonde
Iſtla als Pair behandelt werden würde vom letzten
Patriotenchef, der num an der Spiße von zweitauſend
Machettos *) fteht? Die Rebellion hat die Formen
zerrifien, Gonde, und die gefelfchaftliche Ordnung
jelbit ift bloß eine Form. Die rohen Maſſen find
allein übrig geblieben, und in diefe follen auch wir
geworfen werden — das ift der Wunfch der Nebel-
Venhäupter. «
Be
—
+) Das lange Meffer, das die Merifaner der untern Stände
durchgängig führen. |
\
Der beftimmte und abgefchloffene Ton, in welchem
diefe letzten Worte gefprochen wurden, fehlen den
Wunſch auszudrücken, einer fernekn Erörterung die⸗
ſes Gegenſtandes überhoben zu ſeyn, und die drei
Grafen, die dieſen Wink — —
und fuhren ab.
Der Conde hatte ihnen einen fange Bid nadge
worfen und ſetzte ſich dann, augenſcheinlich erſchöpft von
den Anſtrengungen der Nacht, auf eines der Sopha.
Seine Miene, die bisher ruhig, ja kalt geweſen, hellte
ſich allmälig auf, und die Züge des edlen Geſichtes
ſchienen klarer und beſtimmter hervortreten zu wollen,
nachdem die feindſeligeren Berührungen, zu denen
offenbar die legten drei Cavaliere gehört hatten, ges
wichen waren. Gemifjermaßen fehien die ausgezeich--
nete Kafte, die in der Gefchichte diefes Landes eine jo
merfwürdige Rolle innerhalb der legten zwanzig
Jahre gefpielt hat, nun die vielen Hüllen, deren fie
fich bediente, allmahlig abwerfen und in ihrer wah-
ven Geftalt hervortreten zu wollen. Nur drei Perfo- .
nen waren nebft dem Grafen zurücgeblieben; aber
in diefen Dreien fihien das Wefen der merikanifchen
Ariftofratie gewiſſermaßen perfonificirt zu feyn. Nebft
ra ia ah a nn
—H Hl
dem Marquis Grijalva waren noch zwei junge Män⸗
ner, oder ‚vielmehr Jünglinge, anweſend, von denen
der Jüngere eine jener Phyſiognomien genannt wer⸗
den Eonnte, die man nicht ohne hohes Intereſſe ſehen
mag. Es waren die feinften Züge, die ſich je in
einem ariftofratifehen Gefichte jpiegelten ; ein ſanftes
und zugleich durchdringendes blaues Auge, das feine
Abſtammung von leoniſchem Adel verrieth; eine fein
geformte griechifche Nafe, mit jener gefälligen Bie—
gung, die dem Gefichte einen Ausdruck von einer mehr
als gewöhnlichen Dofis Weltklugheit gab, der aber
wieder durch die verführerifche Anmuth des Mundes
und des ganzen Gefichtes gemildert wurde. Die auf-
- fallende Aehnlichkeit mit der jungen Dame, die wir
bereitöfennen gelernt haben, bezeichnete ihn als ihren
Bruder.
Der Mayor domo hatte feinen Amtsſtab erhoben,
auf welches Zeichen die Diener die Erfrifehungen auf
fleinen Tafeln vor die Gäſte hinſetzten und dann den
Saal raumten.
„Ja, es ift gewiß,“ ſprach der Gonde, „der heutige
Tag hätte leicht der letzte der Herrſchaft Spaniens
ſeyn Eönnen. — 50 —
Der Virey. I. 418
— 32 ⸗
„Wollte Gott, er ‚wäre es geweſen!“ —
Marquis. *
„Perdon! Es wäre * unſer letzter heweſen.
Die Gavecillas, wären ſie vier Stunden ſpäter aus⸗
gebrochen, hätten Alles über den Haufen geworfen.
Nein, Grijalva! Wir kennen nicht die Kunſt zu re⸗
gieren, Ze: fehwere Kunft, wenn man fie nicht
gelernt hat; wir würden auf eben die yo in bie
Hände. eines verſchmitzten Abenteurers | fall 1,
alle die Nationen, die zu frühe — sehen
Das große Wort: „Lerne Dich ſelbſt kennen⸗ or
Nationen eben ſowohl, als einzelnen Menfehen, ‚und
wenn wir e8 geradezu herausfagen wollen, ſo ſind
uns die Spanier nothwendig, um unſern Pöbel, un⸗
ſere halbwilden Indianer und wilderen Kaſten im
Zaume zu halten. u *
„Iſt das Dein Ernſt, San Jago?“ fragte F
Marquis.
„Mein vollkommener Ernſt,“ ſprach der Conde
„Wer follte die Regierung des Landes übernehmen, |
im Falle die Spanier verjagt würden? Der Priefter
Morellos? — Vittoria? — Bravo? — Cos? —
a U EN ng SE,
— 263 &—
Wer hat Anfehen genug, um den zügellofen Saufen
in Schranfen zu halten ?«
„Wir folten glauben, Eonde de San dago ——*
verfeßte der Marquis.
„Und wo ift die bewaffnete Macht, bie Conde de
San Jagos Anjehen aufrecht erhalten würde?“ fragte
der Conde. „Vergiß nicht, Marquis, daß wir, der
hohe Adel, dem eigentlich die Regierung des Landes
zuſteht, auch nicht einmal ein Regiment zu unſerer
Dispoſition haben; daß die Regierung ung ſorgfältig
von der Armee entfernt gehalten und bloß den Mit-
telabel angeftellt hat; daß die Patrioten, für fich
ſelbſt ſorgend, keinerdings geneigt ſeyn werden, die
Früchte ihrer Siege, wenn ſie ſolche ja erfechten, uns
zu Füßen zu legen; daß wir hülflos daſtehen, Tang-
ſam daher vorfchreiten, uns feldft erft die Waffen
fehmieden müfjen, um unfere Rechte zu vertheidigen,
und daß, fo lange wir nicht gerüftet find, unfer In—
tereffe e8 fordert, und an Spanien anzufihließen.
„Und wann wird die Zeit kommen, wo wir ge⸗
rüſtet ſeyn werden?“ fragten Alle.
„Der Grundſtein iſt durch die Betiſe gelegt, die
der Vicekönig heute durch die Abſendung unſerer
18 ®
“®,
| 7
— 4
Söhne gemacht hat. Daß diefe gewaltthätige Ordre
alle die Früchte trage, die Pflege gedeihen machen
kann, dafür müſſen wir ſorgen. Es find die Iturbi—
des, die Santa Annas, die Barraxis in der Armee;
ed ift hohe Zeit, daß der hohe Adel auch feine Wort-
führer in derfelben habe.“
Der alte Diarquis fuhr plöglich wie aus einem
Traume auf. „Alſo defwegen hörteft Du die In-
finuation des DVirey nicht, als er. ſich erbot, ſeine
Ordre zurückzunehmen?“ fragte er mit aufleuchtendem
Geſichte.
„Almagro und Carlos,“ enige der Conde
ausweichend zu den jungen Kavalieren, „Ihr ſeyd
beordert, Euch morgen oder vielmehr ſchon heute an
die königlichen Truppen anzufchließen. Gerne würde
ich Euch das Loos erſpart haben, das edle Kriegs⸗
handwerk unter dem blutdürftigen Metzger Calleja zu
erlernen; allein — — 4
Die drei Kavaliere ſprangen auf, und die gefüllten
Gläſer hoch empor hebend, riefen fie mit ftürmifcher
Begeifterung: „Viva !u -
Der Graf war feinerjeits aufg und ſließ |
mit ihnen an. Kein Wort wurde bei diefer merke
268 =
würdigen Geſundheit geſprochen. Nur ihre Blicke
verriethen, daß Alle ſich verſtanden. |
„Ja,“ Sprach der Conde, als die Drei ſich wilder
gefett hatten, „auf Euch beruht die Hoffnung Me—
xiko's. Das gegenwärtige Gefchlecht ift verloren und
verdorben. Was diefe Nacht gefäet hat, müßt Ihr
wachfen machen. Stufenweife erhebt fih das Ge-
bäude, das den Menfchen zur Wohnung dient; eben
fo langſam bildet fich die Form, die wir bürgerliche
Gefellfehaft nennen. Wer fie bildet, hat das Recht,
fie zu lenken. Laffen wir ung den Vorrang von den
Patrioten abgewinnen, jo müffen wir und unter fie
beugen. — Zerftören wir die alte Form, ehe die neue
vollendet ift, fo begräbt uns das einftürgende Ge—
baude unter feinen Trümmern. Einen Schritt haben
wir gethan — die Waffengewalt in unfere Hände zu
befommen — — u | |
Die abgebrochenen Worte des Grafen wurden von
den drei vertrauten Breunden mit athemloſem Still-
fehweigen angehört. Indem die tief gelegten Plane,
die in der Bruft diefes merfwürdigen Mannes ſchlum—
merten, fich fo allmählig enthüllten, fonnte man auch
zugleich darin den eigentlichen Keim des Grundrifjes
| | MM, 1
Be... 266 er |
bemerken, den feine Partei ſich i in Biefem menhwinbi
gen Kampfe als Leitftern vorgezeichnet hatte.
Der Graf hielt inne, und fe fi über et,
und wie aus einem Traume erwachend/ fragte er—
„Manuel noch nicht hier? Und Ihr habt ihn geſehen, |
Almagro und Carlos?
„Nicht, feit wir die Fonda — verfegten
die beiden Kavaliere. |
„Dad war ni con prudencia, ni con sagacidad ;“
drohte der Gonde, fanft vermweifend. „Und Feine
Spur von den Urhebern?« |
Keine," Sprach Conde Carlos. „Mir fihiene ed wie
ein Traum, wären die Folgen nicht jo ganz a limpro-
vista gefommen. Ich habe wirklich nie etwas Vol—
lendeteres gefehen, Tio! jelbft die Juwelen, die der
QuasisKalif trug, waren echt. Ich glaubte den grofen |
Rubin der Moncadas und den eirunden Diamanten
Ruys zu bemerken. Sie wifjen, Tip, was unſer Lieb⸗
ling ſagt:
Der Mann, des Inneres leer iſt von Muſik,
Gerührt nicht wird vom Einklang füßer Töne —
„Und die Muſik war ergreifend, die Wahrheit der
Darftelung fo unübertrefflich, daß man Barbar hätte
ſeyn müffen — — 4
—9 47
DOer Graf fchüttelte mehr und "mehr das Haupt,
und zog die Glocke.
„Anſelmo!“ ſprach er zum eintretenden >
domo. „Einige Polizones haben fich mit der Ma—
jeftät und ung einen groben Scherz erlaubt, Der ſehr
ſchlimme Folgen haben kann. — Was denkſt Du?u
„Daß wir fie ausfindig machen müffen. ‚Morgen
Abend, fo Gott will; wollen wir auch mehr wiffen. «
Der Mayor domo entfernte fich wieder.
Es iſt ein gefährliches Spiel, dieſes Spiel mit
der Majeftät,“ fuhr der Graf fort, ald der Diener
den Saal verlafien hatte. „Es ijt mit ihr, wie mit
der Religion, oder. vielmehr dem Aberglauben, der
da Gott dahinter wähnt, wo bloß Holz und Flitter-
ftaat ift; aber ziehen wir den Schleier weg und zeigen
dem Pöbel fein Idol im feiner Nacktheit, jo haben
wir ihm mit der Enttäuſchung nicht den Wahn allein,
fondern den: Glauben ſelbſt geraubt; wir geben ihm
nicht Freiheit, jondern Zügellofigfeit. Reißen wir
den moralifchen Schleier weg, der die Perſon des
Negenten dem Pöbel als geheiligt darfielt, ohne zu—
vor Gefeglichkeit und Aufklärung fubftituirt zu haben,
fo rufen wir einen Haufen Verruchter auf und an, die
a —* —— * —43 O a et nur un 2
— 208
fein Geſet achten. Der Regent, was immer feine
Fehler ſeyn mögen, iſt in monarchiſchen Staaten eine
moraliſche Perſon, der Achtung gebührt, ſelbſt wenn
das Individuum derſelben unwerth ſeyn ſollte —
„Und iſt die geheiligte Majeſtät Fernandos wirk⸗
lich der nichtswürdige Charakter, als welcher er —u
„Er ift es,“ ſprach der Graf leiſer — „die lieder⸗
lichſte Bedientenſeele, die je durch niederträchtig nichts⸗
würdige Kammerdiener und Prieſter verdorben wurde,
wenn,“ ſetzte er etwas leiſer hinzu, „an einem Blute
etwas zu verderben iſt, das ſeit Jahrhunderten nicht
mehr Blut, ſondern verdorbene Giftjauche iſt; aber
nichts deſto weniger, Senorias, ift er König,das
Haupt der bürgerlichen Geſellſchaft, und der Stütz⸗
punkt, die Krone des Adels, der Ableiter, der die
Blitze der Volksſtürme auf ſich zieht und unſchadlich
in die Tiefe leitet. Reißt ihn weg, und das erſte
Volksungewitter begräbt Euch unter Eurem eignen
Schutte. — Und ſich auf dieſe Weiſe an feiner eignen
Exiſtenz zu verſündigen, iſt mehr als Verbrechen —
iſt Dummheit.“ |
Der Conde ſank wieder in feine vorige Düfterheit
—
\
269 —
zurück. Die Glocke ſchlug zwei, die Kavalierenahmen
Abſchied; nur der Jüngfte war allein zurückgeblieben.
Der Graf erfaßte feine Sand und begab * mit
in ein entferntes Gemach.
„Für Dich, Carlos,“ ſprach er, als fie in de
angelangt waren, „haben wir eine Gapitaingftelle
im Regimente Callejas felbft zugefichert erhalten.
Unfer.Mayor domo hat bereits für Deine Equipirung
die nöthigen Anweiſungen erhalten. Du ſollſt in
drei Stunden nach Puebla und Jalappa, um von da
einen Transport nach Veracruz hinab zu führen, der
uns ſelbſt einigermaßen intereffirt. Sollte Dir ein
Zufall auf dem Marfche aufſtoßen, und ich befürchte,
ed dürfte der Ball feyn, fo- “ Gr übergab dem
Jüngling eine Kleine ungefchlachte Figur, nicht größer
als eine Wallnuß; eine verborgene Springfeder, Die
er berührte, öffnete die Frage in zwei Hälften, und
zeigte ein Blatt, auf dem die Worte: „Securidad, |
Morelos ‚“ gefchrieben waren.
„Morelos!“ rief der junge Sonde im höcften Er⸗
ſtaunen.
„Leiſer, Carlos,“ warnte der Conde. „Er iſt ein
wackerer Mann, obgleich er unglücklich enden muß.
No ⸗—
Wollte Gott, Mexiko hätte Mehrere ſeines Gleichen.
Bewahre, was Du empfangen haſt, auf den Fall
der äußerſten Noth. Wenn Du zurücktehrſt, werde
ich noch in Mexiko ſeyn.“
Der Mayor domo trat wieder ein.
Alle Vorbereitungen zur Reiſe Don Manuels
getroffen?“ fragte der Graf.
„Und ſo geht er denn wirklich?“ fragte der alte
Diener befümmert.
Der Graf fuhr ſich mit der Hand über die ER
und fah den Diener einen Augenblick mit einem weh⸗
müthigen Blicke an; dann fich erhebend, begab er ſich
mit dem jungen Grafen unter dem ‚Vortritte des
Mayor domo in die anftoßende Hauskapelle, wo die
fümmtliche Dienerfchaft verfammelt war. Ein india=
nifcher Priefter ſprach das Abendgebet, worauf fich
der größte Theil der Dienerfchaft zur Ruhe begab.
In diefem Augenblick hörte man den rafchen Ga—
Iopp eines Pferdes, das den. Paseo nuevo herab-
fprengte; bald darauf wurde die Glocke angezogen,
und rafche Fußtritte naherten fich dem Gemache, wo—
Hin fich die beiden Grafen zurückgezogen hatten.
—9 271 —
Dierzehntes Bapitel.
In Deinem geben ift ein böfer Punkt,
Schwarz angemerkt, verdammt im Buch des Himmels.
Shakespeare.
&3 war der Jüngling, den wir bereits im Audienz=
fanle des Vicekönigs als Neffen des Conde kennen
gelernt haben; er trat in ſtürmiſcher Haſt ein, ſein
Anzug noch von dem fehnellen Nitte in Unordnung,
feine Wangen mit einer Biebergluth übergoflen, das
Bild eines herrlichen, aber zugleich übermüthig adels—
folgen jungen Greolen, ganz Beuer und Flamme und
jugendliche Tollkühnheit. Wie der Jüngling fo ein=
drang, und dann plößlich wie feſt gewurzelt da ftand,
ihm gegenüber der nicht minder intereffante Conde
Garlos, fiel der Blick des Grafen mwechfelfeitig von
dem Einen auf den Andern, und ein ſchwerer Kampf
fhien ihn für einige Minuten unfähig zu machen,
auch nur ein Wort hervorzubringen. Es waren zwei
vollfommene Gontrafte, dieje beiden Jünglinge: der
Eine mit feinem unbefiegbaren Stolz im feurigen
Auge, das die Pöbelwelt zum Kampfe herauszu-
— 12 —
fordern jehien, der Andere mit den ruhig garten und
doch wieder männlichen Zügen des int, eftuellen Ge⸗
ſichtes, die nur Sanftmuth und Wohlwollen ver-
riethen, aber. in der edel gewölbten Stine, der fein
gebogenen Nafe und den kaum merklich, wie zum
Spotte verzogenen Lippen ein gewiſſes Etwas ver⸗—
fündigten, dem nur der Sabre zehn mehr fehlten, um
ſpielend eine Welt in Wirklichkeit zu gewinnen, bie
Jener Im tobenden Kampfe zu re nicht
feftzuhalten fähig fhien. EEE * —
„Ein ſchöner Traum!“ unterbrach endlic der &
das Stillſchweigen. „Gin fhöner Traum!“ feufzte
er, ſich mit der Hand über die Stirn fahrend. „Wir
haben ihn viele Jahre geträumt, dieſen Traum,
Manuel! — wird er wohl in Erfüllung gehen ?“
„Und diefer Traum, theurer ri Tio? 24 fragte. Don
Manuel. * — |
„Mexiko, das wie der Phönix in Flammen a
lodert, aus diefer Flamme erftehend, erftehend J
ſeine inwohnende Kraft, ſein eigenes Blut.“
„Dann war es ein Traum, Tio! — ein bloßer
Traum, ſo wie der Vogel Phoͤnir ſelbſt ein Traum
war!
—) 273 —
Ein schöner Dichterstraum,“ ſprach der Graf;
‚unter dem aber eine herrliche Wahrheit liegt.“
„Wenn es Mexiko gilt,“ verſetzte der Jüngling
bitter, „fo ſchwindet das Herrliche, und nur das Nied—
rige, Gemeine bleibt. «
„Manuel!“ jprach der Graf mit einem forfchenden
Blick. — „Dieß waren nicht Deine Gefinnungen no
vor ſechs Monaten, ald Du unfere Hacienda ver-
liegeft; das arme Merifo war damals noch fo glüd-
Tich, etwas höher in Deinen Hoffnungen und Deiner
Achtung zu ftehen. — Was hat es jo tief herab-
geſetzt ?“ | |
„Und Sie fragen, gnädigſter Onkel?“ rief der
Jüngling bitter. „Sie fragen, nach der Erfahrung
der letzten zwölf Monate? D Land der Schande! das
tollkühn genug iſt, an ſeinen Ketten zu ſchütteln, aber
zu feige, fie zu zerbrechen, das fich in fte ſchmieden läßt,
mit feinen Millionen viehiſcher Indianer und viehi—
ſcherer Meſtizen, ſchmieden von wenigen taufend
Spaniern — — 4 ö |
„Räftere Dein DBaterland nicht,“ fuhr der Graf
ftrenge auf. — „Schande der Zunge, die die Scham
ihrer Mutter aufdeckt. Daß Meriko ift, was e8 ift, elend,
&
— 27 e—
verachtet, felbft von der verachtetften, verächtlichten
Nation, — wem verbanft es diefes, als eben diefer
Nation?“
„Sich ſelbſt verdankt es feine Schande,“ her ihm
der Jüngling eben fo heftig ein. „Sich felbft und
feiner Niederträchtigfeit, mit welcher der ftolgefte
Greole dem Lebten der Spanier die Füße leckt; der
Niederträchtigfeit, mit welcher der Edelſte Meriko’s
fein Land verräth, wenn er ein Kreuzchen in fein
Knopfloch erhalt; dieſer Niederträchtigkeit. verdankt
Mexiko was es ift.“
„Wirklich?“ fragte der Eonde. „Und wenn diefer
niederträchtige Sklave dennoch endlich feine Ketten
zu ſchwer findet, und wenn er feine blutrünſtigen
Arme und Schenkel ſchüttelt, und wenn er dieſe Ketten
bricht, und mit ihren Trümmern ſeine Tyrannen er⸗
ſchlägt, und ſich lieber wieder ne als fefjeln
laßt? 2u
faner,“ ſprach der Jüngling mit der bitterften Ver—
achtung. „Sklave bleibt er fo jehr, daß, wenn er.
A
„Sp bleibt er ein Sklave, ein elender, niedriger
Sklave, in deffen Körper fein Tropfen edlen Blutes
rolt. Sklave bleibt er, weniger ald Sklave — Meri- |
rn
— 75 —
. Hunderttaufende ftark ift, er vor einem Regimente
feiner Zuchtmeifter zu Paaren friecht, "oder ausein⸗
ander ftaubt wie Spreu vor dem Winde. « |
„Deine Worte find bitter,“ verfeßte der Conde.—
„Gib acht, Manuel, daß ihr Stachel nicht auf Dih
zurückprallt. — Aber was iſt,“ fuhr er mit erhöhter
Stimme fort, „Derjenige, der, geboren in dieſem
Sklavenlande, vom Schieffale berufen, die Ehre def-
felben zu wahren, e8 im grauenvollen Todeskampfe
verläßt? Statt das Sklavenvaterland gegen feine
Tyrannen zu vertheidigen, einem Phantom nachjagt,
das ihm eine treulofe Phantafte vorgefpiegelt ?«
„Wenn mein gnäadiger Onkel Gehorfam gegen die
Befehle des erlauchten Repräfentanten der geheiligten
Majeftät mit einem fo jehimpflihen Worte ald De-
fertion bezeichnet,” ſprach der junge Don ſtolz, „dann
geftehe ich mich derfelben ſchuldig; aber zugleich gebe
| ich mein Ehrenwort, daß ich die Schande diefer De-
fertion nicht für die höchfte von Mexiko angebotene
Ehre vertaufchen würde. «
„Neffe;“ ſprach der Grafin einem’ Tone, der ver-
tieth, daß er überfatt der: Ausbrüche diefes ungere-
gelten Stolzes feg. „Wir müffen ung verftändigen; _
— 276 —
denn die Zeit eilt, und Dein Entſchluß muß nun be⸗
ſtimmen, ob mi Länger das Vergnügen haben follen,
uns Deiner Gegenwart zu erfreuen. Se. Ereellenz, «
fuhr er fort, „haben in Folge einer Eleinen Unvor⸗
ſichtigkeit, deren fich der junge hohe Adel in dem Gaft-
hofe Traspanna dadurch ſchuldig gemacht hat, daf
er ftaatöverbrecherifche, gegen die geheiligte Perſon
Sr. Majeftät gerichtete Pasquille angehört, denfel-
ben zur Armee abgefandt; in Betracht jedoch, daß
derſelbe Adel mehr überraſcht und mit dem verruchten
Vorhaben der Pasquillanten unbekannt, ſich des
Verbrechens laesae majestatis nicht vorſätzlich ſchul⸗
dig gemacht, demſelben Offtzierspatente ausfolgen
zu laſſen geruhet, und unſerm Neffen, Don Manuel,
als Beweis befonderer Berücfichtigung, die Erlaub⸗
niß ertheilt, in die Madre Patria zu —— um da⸗
ſelbſt durch loyale Dienſte im Heere der Kämpfer zur
Wiederherſtellung des Thrones Sr. Majeſtät den
Flecken auszuwiſchen, den er auf ſeinen Namen ge—
laden, in welcher Hinſicht Sie Dir das Capitains-
patent auszuwirken gnädig verheißen haben.“
„Eine Strafe,“ fiel der Jüngling begeiftert ein,
ndie ich für das höchfte Ziel meiner Wünſche erkenne.
N
— 27 —
Tio! Tio!“ Er trat ſtürmiſch auf den Grafen zu,
welcher einen Schritt zurück wich.
„Vor noch fünf Jahren,“ ſprach der Letztere, " würde
eine ſolche Berückſichtigung wirklich wünfchenswerth
für einen merifanifchen Edelmann gewefen feyn, und
dieß um fo mehr, als die Politik unferer Oberherren
es nicht für räthlich fand, daß ein Merifaner je fehe,
daß andere Länder beffer vegiert werden, als fein
eigenes; aber die Umſtände haben fich geändert, und
wir haben alle Urfache zu glauben, daß das, was
Gnade feyn fol, irgend einen unheilfhwangern Plan
gegen unfer Haus und ung jelbft verberge. *
„O Tio!“ rief der Jüngling feurig, „o Tio, wüß-
ten Sie, wie hoch der Virey die Tugenden Euer
Gnaden verehrt.“
„Der Virey unſere Tugenden verehren?“ entgeg-
nete der Conde kalt. „Und, wie es ſcheint, im Bei—
ſeyn unſeres Neffen,“ fuhr er mit einem Blicke auf
Diefen fort, „den er noch vor wenigen Stunden nicht
zu fennen ſchien.“ Er holte einige Male tiefen Athem
und ging im Kabinette auf und ab. „Wir haben Be-
weife von diefer Verehrung,“ fuhr er fort, wald wir
‚aus der Befamanos nach Haufe fuhren, Beweife, die
Der Virey. J. 19
u me .
‚ung wahrſcheinlich des Bergnügens Seat ie:
BR, —— vber Eigen, der Unfrigen je
dumbre und einige Anhängtichkeit de⸗ ———
Mexiko Sr. Excellenz gnädiges Wohlwollen vereitelt
hätten. Wir haben jedoch,“ fuhr er ungemein ruhig
fort, „noch nicht geendet. Se. Excellenz, durch ſpe⸗
zielle Gründe veranlaßt, haben den, etwas gewalt⸗
ſamen Entſchluß, der uns von unſerem nächſte Bluts “=
verwandten trennen follte, aufgegeben, und es ie‘
freigeftelt, nach Spanien a oder im ' Vater-
lande zu: verbleiben. « |
Der Jüngling erbleichte. Eine lange Weile „se
ohne daß Einer der Beiden ein Wort gewechfelt hatte;
endlich fprang er, im fichtbaren Kampfe und beinahe
außer fich, auf den Grafen zu. |
„Tio! theuerſter Tip!“ rief er mit ſtürmiſcher Un-
geduld, „ich muß fort! ich muß! D, die Furien peit-
fhen mich aus dieſem Mexiko, diefem entfeglichen
Mexiko! O Spanien!“ rief er mit-der vollen Be—
geifterung eines glühend fühlichen Gemüthes, „du
Land der Helden, du Wiege alles Großen und Edlen,
du Mufter der Loyalität und Ritterlichkeit, das fih
n”
9.279 —
„erhoben, um im furchtbaren, großen Kampfe das an⸗
geſtammte Land geheiligter Majeſtät, verrätheriſcher
Weiſe vom Feinde geſtohlen, aus den Klauen des
Kronenräubers zu retten! Er, die Zierde der Könige,
in ſchmählicher Gefangenſchaft! Nein! Tauſende ha—
ben ſich erhoben, um die Eindringlinge zu vertilgen;
der Donner brüllt über den atlantiſchen Ocean her—
über; er ruft: Manuel muß ſeinem Rufe gehorchen!“
Der Graf hatte dieſen Pathos, den der Jüngling
in einer forrespondirend theatralifchen Stellung des
klamirte, mit ungemeiner Ruhe angehört, nur zus
weilen fräufelten jich feine Lippen in jenes ſarkaſtiſche
Lächeln, das derlei Albernheiten dem Aufgeklärten
auch wider feinen Willen abzwingen.
„Und ist es bloß der Donner der Kanonen, der Dich
ruft? feine andere Stimme, die vom Tenochtitlanthale
Dich fortjendet?“ fragte der Graf mit demjelben ruhi⸗
gen Lächeln um jeine Lippen.
Der Jüngling erröthete und ſtockte.
„Und wird das Schickſal Deine Entwürfe ver—⸗
wirklichen?“ fragte der Graf weiter: „Iſt das Spas
nien wirklich Deiner Sympathien würdig? Iſt e8
wirklich das glänzende Gebilde, das Dir Deine Phans
19 ®
tafie vormalt? dieſer gefangene König wirklich der |
edle, leidende Held, den Du Dir träumft? das Land
der Öonfalvos, der Hernandez, noch immer der Sam-
melplatz alle Heldenmuthes? — Armer Junge!“
brach der Graf ab, hob jedoch wieder nach einer Hlei-
nen Weile an: „Das Land der Cordovas, der Cor—⸗
tez, iſt unter dem verſengenden, verdorrenden Hauch
der Prieſter und Königstyrannei eine baumloſe Wüſte
geworden, von Landſtreichern, Räubern, Bettlern
und faulen Mönchen angefüllt, und von einem Volke
bewohnt, das, ſtatt zu arbeiten, ſich ſeine Nahrung
vor den Pforten der Klöſter holt, — dieſes Dein
Heldenvolk hat nicht einmal das Verdienſt, unter
eigenen Fahnen zu fechten; es iſt das ſchmählich be—
zahlte Gold der Ingleſe, das dieſe Bettlernation auf-
gerüttelt und in ihrem ſtupiden Enthuſiasmus wach
erhält. u
„Läftern Sie das Vaterland meiner Mutternicht!«
fehrie der Jüngling, yon Zorn überwältigt.
"Bloß Deiner Mutter?“ fragte der Conde.
Der Don errötbete.
„Und in diefes Land, diefes Paradies von Bertfern
und Mönchen willft Du gehen? Deinem flehenden,
— 331 &—
bedrängten Vaterlande den Rücken kehren in der
Stunde ſeiner Noth, ſeiner Todesangſt? Was wird
dieſes Vaterland dazu ſagen?“
„Manuel verachtet dieſes Vaterland;“ verſetzte an
- der übermüthige Jüngling.
„Das ift genug;“ Sprach der Conde, plötzlich auf-
ftehend. „Das Blut Deiner Wange ift aufrichtiger,
als Deine Zunge. Behalte jedoch Dein Geheimnig
für Did; felbft fragen wollen wir Dich nicht, wo
Du in diefen legten Stunden gewefen, obwohl unfere
Freundſchaft vieleicht einige Aufmerkſamkeit verdient
hätte, Wir haben jedoch der Freiheit fo wenig übrig
gelaffen, daß e8 graufam wäre, einander die dürftigen
Broſamen, die noch übrig find, verfümmern zu wollen.
Aber Don Manuel!“ fuhr er fort, und feine Stimme
wurde ungemein ernſt, „indem wir Div Deine Freiheit
hiemit unbefchranft laffen, und und des fügen Troſtes
berauben, uns eine freundliche Stüße unferer Ent-
würfe, einen achtungsvollen Pfleger unferer Plane,
einen gefühlvollen Mitbürger mit offenem Herzen für
die Drangfale feines Vaterlandes zu erhalten, fteht
es unferer Freiheit nicht minder zu, ung vor den Fol-
gen Deines Entjehluffes zu bewahren. Nicht wir
Bw
u
wollen Deine Freiheit beſchränken; aber eben fo wenig
wollen wir zugeben, daß Du die unfere beſchränkſt.⸗
Der Jüngling ſah den Grafen ſtarr an.
„Beh denn mit Gott,“ ſprach Diefer. „Deines
Vaters Diener werden Dich begleiten, und wir für
die Mittel forgen, Dich mit dem Deiner Familie ge-
bührenden Anftande in die Madre Patria einzuführen.
Aber weiter geziemt es fich nicht, daß wir gehen.
Derjenige, der, fih über fein Vaterland und feine
Blutsverwandten erhaben fühlend, zum Schwager
eined Virey ſich emporzufehwingen gedenkt, würde ſich |
wahrſcheinlich zu ftolz fühlen, um von einem arm-
feligen merifanifchen Conde fürder Unterftügung zu
beifchen. «
Der Jüngling ftand wie eine Bildfaule — fein
bleiches Geficht auf den Boden geheftet, war er keines
Wortes mächtig,
„Du haft nicht bloß mit Deinem Ontel,« ve
Diefer fort, „Du haft mit dem edelften Gefchöpfe, das
innerhalb der Meere Mexikos das Tageslicht erblickt
— dem Stolze unferes Landes — Dein herzlofes
Spiel getrieben. Gleich dem verfehmisten Sohne
Iſaks verläffeft Du Deine Heimath, um in einem
&
.
— 283 —
fremden Lande den Phantomen Deines ſelbſtſüchtigen
Ehrgeizes nachzulaufen.“
„Mani!“ rief eine ſchluchzende Stimme, und die
liebliche Condeſſa ſchwankte zur Thüre herein, ihr
thränenſchweres Antlitz in die Mantilla verhüllt,
bebend und zitternd, ihre verweinten Augen weh—
müthig auf den Jüngling geheftet. Ihre ſtockend
ſchluchzende Stimme vermochte bloß abgeriſſene Laute
hervorzubringen. Unſchlüſſig ſchwankend, ihre Hände
kindlich auf dem Buſen gefaltet, ſchluchzte fie „Mani!
Mani!“ wie ein nahender Engel aus höheren Sphä—
ren. „Mani! fo willſt Du ung und unſer armes be⸗
drängtes Mexiko verlaſſen? Mani, um der fünf
Wunden! der heiligen Jungfrau willen! Mani!
Mani! O gedenkſt Du noch jenes feierlichen Schwu—
res, den Deine Zunge vor nicht ſechs Monden auf
der Höhe von Oaxaca im Angeſichte Gottes und der
beiden Ozeane ausſprach, des feierlichen Schwures,
Du würdeſt ganz Mexikaner ſeyn? Und Du willſt
Mexiko verlaſſen? Mani! Mani!“
Der Jüngling ſtand ſprachlos.
„Mani!“ bat fie, ihre Hände ihm bittend entgegen—
ſtreckend, „Mani bleibe bei Tio! Bleibe in unferem
*
* 8;
armen bedrängten Derifo! Bleibe!“ ce fie. bee:
* Arme faltend.
Das leichte Rauſchen, das ihr —
wand verurſachte, ſchreckte den Jüngling plötzlich aus
ſeinen Träumen. Er blickte ſie einen Augenblick ſtarr
an, und ſtürzte dann mit den Worte; „Fort von
hier!“ aus dem Kabinette. “
„Einen Neffen haben wir verloren!“ drach der
Conde mit ſchmerzerſtickter Stimme. „Einen. Sohn
und eine Tochter haben wir noch. Das iſt der Fluch *
des Despotismus. Er entzweit uns mit unſern Lieben,
mit ung ſelbſt, dem Glauben, der Hoffnung, der Liebe,
A dios Kinder!“ Er füßte Beide, und entfernte ſich
dann.
Fünfzehntes Kapitel,
— D Du!
Berverblicher ald Hunger, Peſt und Meere!
Schau die betrübte Bürde dieſes Bettes;
Das it Dein Wer.
Shafespeare.
Die Gloden von den Kirchthürmen hatten mittler=
weile fünf gefchlagen, und der Morgen graute von
m 28 6
| Oſten herüber: Anfangs ein fieberrother Punkt am
Itztaccihuatl, der wieder in matte chaotiſche Dunfel-
heit verglomm, wieder auftauchte und vom Grün-
rothen ins Afchfarbige, von diefem ind Dunfelbraune,
und vom Dunkelbraunen ins Blaßgoldene ſchillernd,
das Auftauchen der Sonne aus dem Ozean verkün—
dete. Noch war es dunkel am Himmel, aber es war
eine eigene Dunfelheit; Fein Wölkchen befleckte das
reine Himmelszelt; die wenigen noch ſichtbaren Sterne
ſchienen zu zittern in der Morgenfriſche, und erbleich—
ten, während hinab gegen den Popocatepetl die rothen
Streifen ſeines ſchneeigen Hauptes gleich feurigen
Flaggen ſich um ſeine hehren Krater legten. Dann
begann ein mattes blaſſes Licht zuerſt über die Koppen
der Tenochtitlan⸗Gebirge herüber zu brechen, und im
Zwielichte tauchten fie auf, eine nach der andern; aber
die Stadt lag noch in Finſterniß und Schlaf begraben,
und nichts unterbrach die Todtenſtille, als das Vigi—
lanzia der Schildwachen und das Raſſeln der Todten—
karren, welche die in der Nacht entſchlummerten Le—
peros in ihre enge Wohnung oder die Hauptwachen
abführten. Es war eine eigene Stille, dieſe Stille
der Tauſende, dieſes Todtenleben, bewacht von den
286 ⸗
Wächtern des ertödteten Despotismus. Am Se
Chalco und feinem Kanale fing es dann am ſich zu
regen, und Hunderte von Canoes flogen im Schatten
der weichenden Nacht über den mehr und mehr er⸗
glänzenden Waflerfpiegel dem engen Kanale zu, bes
gleitet von dem Morgengefange der Indianerinnen
und den Guitarrentönen ihrer Männer. »
„Jeſu Maria und alle Heiligen, halb fünf Uhr!«
jammerte der Mayor Domo, der eben vom rechten
Flügel gefommen war, ihm nach mehrere meibliche
Diener, die auf den Zehen einhertrippelten, Schrecken
auf ihren Geftchtern. „Halb fünf Uhr!“ jammerte
der alte Diener, „noch eine Stunde — horch die
Glocke von der Kathedralfirche — die Stunde, in der
der Erzbifchof Die Meſſe anſagte, iſt ja noch nicht
gekommen. Wird er gehen?“
„Er iſt ſchon gegangen, aber nicht zur Meſſe;“ |
flüfterte Don Pinto dem alten Manne in die Ohren.
„Zum Teufel mit Deiner alten Weiberfrömmigfeit.a
„Geſpenſt der Pacht und der Hölle! Alle guten
Seifter Toben Gott den Herrn; “ Freifchte der Mayor }
domo, der zurückiehaudernd an den Conde ftieß, wel⸗
cher, in ſeinen Schlafrock gehüllt, vorüber in den 3
ee
rechten Flügel zu den Gemächern der jungen Condeſſa
ſchritt.
„Gott und alle Heiligen!“ wehklagte der alte Mann
ſeinem Herrn. „Sie liegt noch immer in Ohnmacht,
unbewußt alles deſſen, was um fie her vorgeht;⸗
und er faltete feine Hände zufammen.
Der Graf trat in das Kabinett, und die Vorhänge .
des Bettes öffnend, fehaute er mit befümmertem Blicke
auf das Engelögebilde, das, weißer denn die Linnen,
die e8 verhüllten, da Tag! ob fehlummernd oder ver⸗
blichen, würde beim erften Anblick ſchwer zu errathen
gewefen jeyn.
Gleich einer Alabafterftatue von griechifcher Sand
gemeifelt, lag fie hingegoſſen, eine Bifton ohne Athen,
ohne Bewegung. Erſt nach langen Zwifchenräumen
öffneten fich ihre bleichen Lippen, zitterten einige Se—
funden leblos und unwillkürlich, wie die Blätter vom
Hauche des Windes gerüttelt, und ſchloßen ſich wieder
fo willenlos, wie diefe zur Erde fallen. |
„Sp dauert es jetzt ſchon gefihlagene zwei Stun—
den; “ wisperte Sancheca, die Doncella *) der jungen
*) Kammermädchen.
nen 3.
— ‚+ NEL
J >
*
—
Condeſſa, indem ſie ſich über das Engelsgeſicht hin⸗
bog und den kalten Schweiß von der Stirne küßte.
„Zuweilen,“ murmelte die Duenna mit Thränen
im Auge, „ſchaudert fie auf, zittert, dann fchlägt fie.
die Augen auf und ftarrt und — als ob ſie ein
Geſpenſt ſähe. Sie ſpricht auch mit ſich ſelbſt. Eile,
eile glänzendes Segel, eile, führe ihn hinweg, leichtes
ſilbernes Segel vom unglückſeligen Mexiko zur Bahn
des Ruhmes, lispelte fte im befehlenden Ton, und |
dann fpreitete fie die Arme aus, als wollte fie Jemanden.
aus den Klauen eines Ungethümes erretten. Wieder
betet fie, warnt vor den Gachupins; felbft verwünſcht
hat fie die Gachupins. Heilige Jungfrau! mic) wun—
dert nur, wo fie die Verwünſchungen gelernt hat. 4
Der Engel konnte ſonſt nichts als beten.“ —
„Gerade als Anſelmo uns verließ, “.fiel Sancheca
wieder ein, „erhob ſie ſich, und ging mit geſchloſſenen
Augen im Zimmer umher, ergriff den Armleuchter
und fuchte in allen Eden. Sie ftarrte und Alle an,
als ob fie uns nie gejehen hätte, und dann ftieß fie
den Armleuchter wieder weg, Freuzte ihre Händchen
auf dem Bufen, und bat.fo flehentlich, ein Stein hätte
fich ihrer erbarmen mögen. Aber fie konnte diefe An—
.
—d 39 ⸗—
ſtrengung nicht aushalten, und wäre gejunfen und
gefallen, hätten wir fie nicht aufgefangen. *
„Du haft vergejfen,“ rief Bettina, ein zweites
Kammermädchen, „was ſie fprach, als fie fo im Ka—
binette umherſuchte. Ja,“ fagte fie, über dieſe Felſen
und Klippen muß er hinab ins Bereich des tückiſchen
Vomito, und Jeſu Maria! die See, die ſtürmiſche
See mit ihren Alles verſchlingenden Wogen!“
Der Graf, eine Thräne im Auge, bog ſich über
die Schlummernde hin.
„Nina! Nina! Wollen wir nicht für den Unglück—
lichen, der uns verläßt, beten?“
Sie hörte nicht, ſie gab keine Antwort.
„Nina! Nina!“ bat er wieder.
Ein entfernter Trompetenftoß, der den Paseo herab
ſchmetterte, Vieß fich im Kabinette Hören. Die Augen
"der ohnmächtig Schlummernden öffneten fich.
„Nina!“ bat der Conde wieder im zärtlich väter—
lichen Tone, „Nina, wollen wir nicht für den Unglüd-
lichen beten, der uns verläßt?“
Auf einmal öffnete fie die Augen, blickte ftier und
ſtarr um fich, ſchüttelte das Lockenköpfchen, fehaute
den Grafen wie verwundert an, ftredfte ihre Arme
Tr
uns. und ihn um den Hals faſſend,
por siempre perdito.“ —
Ein zweiter Trompetenſtoß ſchme
Paseo nuevo herüber. Ein ſtarkes Detad
goner, mit einem Stabsoffizier an der. 5: Ü
und ein Jüngling in reicher Uniform ſpr
Pferde. ä n Re ir
Sogleich war eine BEN heftige Sms, Sie Dan 3
Manuels, zu hören, Der wie rafend ſchrie: „Fort!
um's Teufelswillen! Fort, oder ich a
auf dem Plage!“ " | i
„Jeſu Maria! ftöhnte der Mayor dome: nei 1
Belzebubs, ohne Meſſe, ohne Biaticum, ohne Beichte. u
Selbſt die rohen Dragoner ſchauderten ob der Hef⸗ \
tigkeit des Jünglings, und bekreuzten ſich mit einem
Entſetzen, das dem jungen Edelmanne vollends feine
Befinnung zu en NO: che ein Wort w 2
*) Nicht für ewig verloren.
—H 291 —
ſten -Ölieder an, in wenigen Minuten war Alles
zwifchen dem Laubwerke der Bäume verfehwunden.
Der Graf mit dem jungen Conde hatten. ſprachlos
den Enteilenden nachgejehen.
„Was ſoll das?“ ſprach der Erftere endlich zum
jungen Conde, der. noch immer verftört bald durchs
Fenſter, bald auf das Bette der Condeſſa ftierte: es
iſt noch eine halbe Stunde vor ſechs.“
„Wir haben plöglich Drdre zum fchleunigften Auf-
bruche erhalten. Die Gavecillas zeigen fich vom Mas»
linche herab bis zur Barranca von Juanes, und be=
drohen unfere Kommunikation mit Puebla; die von
Kalapa und Veracruz iſt bereits unterbrochen.“
„Das iſt eine ſchlimme und wieder eine tröſtliche
Nachricht,“ ſprach der Graf in tiefem Nachdenken,
„eine ſehr ſchlimme und eine ſehr tröſtliche Nachricht.
Fürchte für die Nina nichts, Carlos!“ fuhr er mit be—
wegter Stimme fort, und ſein Blick fiel wieder auf
die Leidende; ; „fo ſehr find unſere häuslichen Leiden
mit denen unfereö Volkes verwoben, daß nur Die
gänzliche Genefung des legtern unfern Sammer vol-
lends heben kann. Ja, theurer Carlos! das Leiden
Deiner Schwefter ift mir nun Labfal geworden; denn
x .
e wendet meinen wahnftnnigen —* weni; \
einige Zeit von dem Elende meines — ab; J
es iſt Zerſtreuung.“ J J
„Gott! was find wir für Menſchen, die hier noch
Zerftreuung ſuchen müſſen. Hermanna Cloira!a*)
flüſterte er der jungen Gräfin zu, auf die er zueilte
und ihr einen Kuß auf die Lippen drückte. |
Das lieblihe Kind Hffnete wieder die Augen und #
ſah den Bruder mit einem troſtlos wehmüthigen Blicke .
an. „Ayde mi,‘ **) lispelte fte; „Ay de mi,‘ wieder⸗
holte fie, und fehaudernd, wie gerüttelt vom Fieber- |
frofte, jehrack fie wieder zufammen. „Perdona mia
estrella,“ bat fie, „Perdon Hermanno!‘‘***) umd
dann hob fie ihre Hände bittend und entſchlummerte. 4—
„Jeſu Maria!“ rief der junge Graf, „und - ſoll 1
gehen und fie verlaffen?« “
„Fürchte nicht für fie,“ ſprach der Gonde; van E
ihrer baldigen Genefung zu zweifeln, wäre an ihr |
Zartfinn verzweifeln. Das Leiden unferes Volkes if .
fo groß, daß fie ihr eigenes darüber vergeffen wird.“
*) Schweiter Elvira.
+) Mehe mir!
***) Vergebung meinem Sterne! Vergebung, en £
— 293 —
Und mit diefen Worten füßten ſich Beide; ber
junge Graf eilte aus dem Saale dem Detachement
der Dragoner nad).
Sechszehntes Kapitel.
Sollten unfere Lejer zu finden glauben, daß wir gar
zu langweilig werden, jo mögen fie verfihert jeyn, daß
wir unfere ganz bejondere Gründe haben.
Brittiſcher Ejfaytit.
Mir würden ung faum wundern, wenn unjere Les
jer die bisher gejchilderten Scenen mehr ala Aus—
brüche einer krankhaften Phantaſie befächelten, die in
ober Luft Zerrbilder darftellt, die nirgends als in
ihren ausjchweifenden Träumen ihr flüchtiges Da—
jeyn haben. — Für uns, deren geſellſchaftliche In—
jtitutionen fi) jo naturgemäß und Human entwidelt,
deren Gejeglichkeit in Folge diefer rationelen Ent—
widelung fo feſt begründet und allgemein ift, wo der
Aermfte jo wie der Reichſte jeine angebornen Rechte
und die unter feiner Mitwirkung feſtgeſetzten Be
ichränfungen eben jo genau fennt und männlich feſt—
hält, al8 fie von feinen Vorfahren erfämpft und ver-
Der Virey. I. | 20
— 294 —
theidigt worden, für unfer ernſt politifches Wirken
und Leben dürfte es ſchwer ſeyn, ein fo tolles Ge—
wirre raſenden Uebermuthes und ftupider Feigheit,
kraſſen Despotismus und frecher Zügellofigfeit, un-
erträglicher Anmaßung und niedriger Preisgebung
der heiligiten angebornen Rechte auch nur möglich zu
denfen; denn es gehört wirklich die Vereinigung all
der Uebel dazu, die dem Menjchen feine Würde rau-
ben und ihn allmählig zu wenig mehr denn einem
Thiere herabwürdigen, um jolde Charaktere und
Scenen zu verwirklichen; eine Vereinigung, die wir,
troß aller Klagen, auch nicht im entferntejten zu dul⸗
den hatten. Nein, fo drücend auch die Anmaßungen
waren, über welche die Väter der neuen Freiheit, und
wir mögen fühn behaupten, der Wiedergeburt des
Menſchengeſchlechts, zu Hagen hatten, jo waren fie
doc noch wahre Wohlthaten im Vergleiche mit den
fürchterlichen Uebeln, die das Nachbarland jeit Jahr=
hunderten erduldet hat. Uebel, die aber, die Wahr
heit zu geftehen, auch zu den unfere Vorfahren bür⸗
denden Laſten ganz in demjelben Folgenverhäliniffe
ſtanden, welche die friedlich ruhige Befignahme eines
unwirthbaren, von Niemanden rechtmäßig angejpro-
— nn 5 *
TEE a bi anni an u,
Ze u ud
— 295 —
chenen Bodens, und hinmwiederum die Eroberungen
eines Cortez oder Pizarro nothwendig nach ſich ziehen
mußten.
Wenn ruhig friedliche und freiheitsftolze, auf ihre
angebornen Rechte eiferjüchtige, und durch politische
oder religiöje Verfolgungen in ihrem Vaterlande be=
drängte Bürger diefem den Rüden fehren, um in
einer Taujende von Meilen entfernten Wildniß die
in ihrem Baterlande angefochtenen Rechte ungekränkt
zu genießen; wenn fie und ihre Nachfolger und deren
Kinder und Kindesfinder unter fteten Kämpfen mit
wilden Thieren und wildern Menjchen diefe Wildniß
beurbaren; wenn fid) unter ihren raftlofen Händen
blühende Fluren, wohnliche Site und reihe Städte
erheben; wenn diefe Bürger durch Gejeklichfeit,
Fleiß und Fortjchreiten in Aufklärung und den bür—
gerlihen Künften allmählig zu Staaten anwadjen,
die, ſtark im Bewußtſeyn ihrer Kraft, ſich jehnen,
ſich ſelbſt Gefege zu geben, ftatt diefe vom entfernten
Mutterlande zu empfangen, die Früchte ihres Fleißes,
die Erfparnifje ihrer Weiber und Kinder zum Beten
des eignen Landes zu verwenden, jtatt fie einer ver=
ſchwenderiſchen fernen Ariſtokratie zu tpöriöten nim«
20
— 296 —
mer endenden Entwürfen und Kriegen in den Schooß
zu werfen; wenn ſolche Bürger und zwar die edel-
ſten, die gewiſſenhafteſten, die einſichtsvollſten, ſelbſt
Hand ans Werk legen, und ſich zuerſt in die Breſche
ſtellen, und ihren Willen zur That werden laſſen,
und ſich erheben, um für ihre angebornen Rechte zu
kämpfen: dann werden dieſe Staaten und der Kampf
für ihre Rechte, dieſe bürgerliche Geſellſchaft und die
Revolution, durch welche ſie ſich vom Mutterlande
losreißen, ganz anders beſchaffen ſeyn, als die eines
Volkes, das, durch einen Haufen ſitten- und geſetz—
loſer Abenteurer plötzlich über den Haufen geworfen,
Jahrhunderte in einer unerhörten Dienſtbarkeit ge-
ſchmachtet und, nachdem es Jahrhunderte geſchmach—
tet, endlich losbricht, nicht um angeborne Rechte, von
denen es feinen Begriff Hat, wieder zu erlangen, jon-
dern — jeinen Rachedurſt zu befriedigen. I dem
erjten Falle ift es die zur bürgerlichen Freiheit aufer—
zogene Gejelliehaft, die Mündigwerdung des jungen
Mannes, der in feine bürgerliche Rechte eintritt, und
diefe mit männlichem Geifte, warmem Herzen und 4—
kaltem Verſtande zu verfechten weiß; im andern iſt —
es das Entſpringen des gefangenen Tigers, der den
— 297 —
in feinem Eijenfäfige lange verhaltenen Grimm auf
eine blutige Weife zu befriedigen vom Inſtinkte ge=
trieben wird. Das eine Beijpiel haben die Ver—
einigten Staaten aufgejtellt, daS andere Mexiko.
Gefunfen unter den mwüthenden Angriffen eines
verzweifelten Abenteurers, feiner Religion, feiner
Bildung, jeiner Herrjcher, feiner edeljten Männer,
jeiner Tempel, ſelbſt feiner Gefchichte beraubt, war
das ganze Land, nachdem es in die Hände der Spa—
nier zu fallen das Unglüd gehabt, aus einem blü-
hend jelbftftändigen Staate eine ungeheure Domaine,
— feine Bewohner eine disponible Horde geworden,
der man noch eine Wohlthat zu erweiſen glaubte,
wenn man fie, zu Hunderten, zu Taufenden, wie das
Vieh an eine wüfte Soldatesfa vertheilte. Ihres
Eigenthumes, ihrer Weder, zum Theile jelbjt ihrer
Weiber und Kinder beraubt, heerdenweife in die Berg-
werfe getrieben, oder zum Lafttragen über unweg—
ſame Gebirge verdammt, war. die Geſchichte dieſes
beiſpiellos gemißhandelten Volkes drei Jahrhunderte
hindurch ein fortwährendes Gemälde der unmenſch—
lichſten Bedrückung geweſen, dem ſelbſt die zu ſeinem
Beſten gegebenen Geſetze dadurch, daß fie gewiſſen—
|
Iofen Beamten zur Vollziehung anvertraut waren, zu |
unheilbarem Krebsſchaden wurden. In ihre Dörfer
eingebannt, aus denen fie nur gerifjen wurden, um
ihren Beinigern zu fröhnen, hatten fie im ftumpfen
Dahinbrüten Alles verloren, wa8 den Menjchen ala
ſolchen bezeichnet; nur das Gefühl ihrer Entwürdiz
gung, die Erinnerung an die ausgeftandenen Leiden,
und ein injtinktartiges, düfteres Sehnen nad) bluti=
ger Rache waren geblieben. —
In dieſen wenigen Zeilen iſt die Geſchichte von *
Fünftheilen der Bewohner Mexiko's und der gleich 4
unglücklichen, gleich verwahrlosten und noch mehr
verwilderten und verachteten Geſchöpfe — der Kaften
— enthalten, — Sprößlinge einer thierifchen Ver⸗ 4
miſchung der Eroberer und ihrer Nachfolger und 2
Sklaven mit den Eingebornen — mit all dem an- 3
ſcheinenden Stumpffinne, all der wirklichen Apathie J
der rothen Race, all der Zucht- und Geſetzloſigkeit —
der weißen Väter, in eine Welt hinausgeſtoßen, die
fie al8 ehrlos brandmarkte, alles Eigentums bes
taubte, verdammte zu den niedrigjten Arbeiten, ein N
fteter Gegenftand der Furcht und des Abjcheues der M
bejjern Klafjen, weil fie nichts zu verlieren, in einer an
— .299 —
Staatsummwälzung Alles zu gewinnen hatten. So
waren die Elemente einer Bevölferung befchaffen, die
nun durch den Kreißlauf der Dinge zum Kampfe für
ihre Unabhängigkeit in die Bahn zu treten gleichſam
bei den Haaren herbeigezogen werden jollte, gleich
dem Gladiator, der mit der lebten Kraft der Ver—
zweiflung die Feſſeln von den blutrünftigen Gliedern
briht und, um dem Serfer zu entipringen, jeine
Rettung nur in dem Untergange jeiner Unterdrüder
judt: —
Dreihundert Jahre hatte Mexiko Monarchen ge=
horcht, die e8 nie gejehen, ohne aud) nur den Gedan-
fen eines Abfalles zu hegen. Zwar hatte der Geift
der Freiheit, durch die Vereinten Staaten ins Leben
gerufen, auch in Mexiko Anklang gefunden; aber
dieſer Anklang war verhallt, und ein namenlofes
Sehnen war Alles, was übrig geblieben war. Das
planmäßige Unterdrückungsſyſtem des Spaniers hatte
jeden höhern Aufſchwung erdrüdt; der Adel hatte
fi) ganz an die Regierung angejchlofjen, die Mittel=
flafjen waren gefolgt, das Volk mußte diefem Bei—
jpiele folgen. Es herrſchte Ruhe, jelbjt lange nach—
dem in den jüdlichen Kolonien bereits der Aufſtand
u ;
ausgebrodhen war; diefe Ruhe war felbft nicht un⸗
terbrochen worden, als die Nachricht von der gewalt⸗ 4
ſamen Befignahme der Hauptftadt des Mutterlandes 4
durch feine Erbfeinde und der grauſamen Metzelei
in derſelben eingetroffen.*) Das entrüſtete Mexiko,
weit entfernt, bie günftige Gelegenheit zu benußen, |
feine Unabängigfeit zu erklären, beeilte ſich vielmehr,
die fprechendften Beweife feiner Sympathie für die
gekränkte Ehre des Mutterlandes zu geben, und all- g
enthalben ertönten Verwünſchungen gegen den ge
mwaltthätigen Machthaber, der den wenig gefannten 4
Herricher jo heimtüdifch aus feinem Erbreiche gelockt
und in jtrenger Haft gefangen hielt. Die Kriegser-
Härung der oberften Junta gegen denjelben Macht—
haber war mit- lauten Beifalle aufgenommen wor-
den, und Alles beftrebte fi), werkthätig jeinen En-
thuſiasmus zu bezeugen, als ein königliches Dekret “
anlangte, das Mexiko befahl, den Bruder defjelben E
fremden Machthabers als Regenten anzuerkennen, der —
feinen legitimen Fürſten jo widerrechtlich entführtpatte,
Ein augenſcheinlicherer Beweis von Unwürdigkeit —
*) Mürats, Mat 1808.
— 301 —
zu herrſchen konnte wohl nie und nirgends einem
Volke jo deutlich vor Augen gelegt werden, als e8 in
diejem königlichen Defrete geſchah. Loyalität war
diefem Volke gewifjermaßen zum Glaubensartifel ges
worden; aber jo wie der blinde Glaube dem abſo—
Iutejten Unglauben weicht, wenn der Blindgläubige
plößlich aus ſeinem Wahne geriſſen wird, ſo war
auch von dem Volke Mexiko's durch dieſe königliche
Niederträchtigkeit auf einmal alle Loyalität gewichen.
Gegen den angeſtammten Monarchen ſich zu em—
pören, würde den Mexikanern ſchwerlich je einge—
fallen ſeyn; aber von eben dieſem Monarchen auf
eine ſo ſchmähliche Weiſe weggeworfen zu werden,
war eine um ſo ſchmerzlicher gefühlte Kränkung, als
das Land, bei aller ſeiner Herabwürdigung, dieſe
letzte Herabwürdigung noch nicht erfahren hatte.
Der Unwille über dieſe königliche Zumuthung war
allgemein, und das Dekret wurde einſtimmig und
öffentlich verbrannt. Mit gerechter Entrüſtung ge—
wahrte jedoch daſſelbe Volk, daß gerade Diejenigen,
die ſich ihrer Loyalität und Anhänglichkeit an die
fönigliche Berfon und ihr Haus am meiſten gerühmt
hatten, die Erften gewejen waren, die ihre Treue auf
— 302 —
den neuen Herrſcher übertragen hatten. Alle
rungsbeamte, beinahe alle Spanier, hatten eili
ſtalten getroffen, das Land dem neuen Herrſcher
überantworten, ohne auch nur zu fragen, ob es au
wolle. Ein Einziger hatte einen ehrenvolleren Aı
weg eingeſchlagen — Zturrigaray, ber Vicelön
Den feigen und niederträchtig verſchmitzten Charak—
ſeines gefangenen Gebieters wohl kennend, hatte
den Plan gefaßt, demſelben Mexiko, dem MWunfe
feiner Bevölferung gemäß, zu erhalten. Eine Junt
zuſammengeſetzt aus Spaniern und den angefehenft
Merifanern, follte eine Volfgrepräfentation bilden,
die bis zur Ankunft beftimmterer Befehle aus Euro
das Land vor allen gewaltjamen Erſchütterungen b
wahren jollte. Der Entwurf hatte den Beifall all
gutgefinnten Mexikaner erhalten. Alle jahen
Frohlocken dem Zeitpunkte entgegen, wo endlich
ſie in den öffentlichen Angelegenheiten ihres Lan
mitſprechen ſollten. Der Jubel war allgemein; ab
mitten unter dieſem Jubel, mitten unter dieſen
bereitungen zur Ausführung des Entwurfes m
Urheber des Planes, der Vicefönig felbft, von jei
eigenen Sandaleuten in feinem Pallafte überfallen
— 308 —
mit feiner Familie verhaftet, nad) dem Seehafen von
Beracruz abgeführt und als Staatsgefangener nad
Spanien eingejifft.
Dem ſchwächſten Verftande war e8 durch dieſe Ge—
waltthaten ar gemorden, daß jo lange der Spanier
herriche, der Mexikaner unbedingt Sklave bleiben
müſſe; daß er nie hoffen dürfe, an der Verwaltung
feines Landes Antheil zu nehmen, und daß an Jturti=
garay bloß deßhalb der unerhörte, geſetzloſe Gewalt-
ſtreich verübt worden war, weil er den Weg zur all⸗
mähligen Emancipirung der Greolen bahnen zu wol«
Yen fi) unterfangen Hatte. |
Hatte des Herrſchers niederträchtige Refignation
feiner angebornen Nechte der Legitimität in den Au«
gen des Volkes den Stab gebrochen, jo hatte dieſer
Gewaltſtreich es nicht minder mit der Herrſchaft der
Spanier gethan. Von dieſem Augenblicke an begann
der Entſchluß zu wurzeln, ſich der Spanier auf jede
nur mögliche Weiſe zu entledigen. Eine Verſchwö—
rung war die unmittelbare Folge, zu der fi an
hundert der angejehenften Mexikaner mit mehreren
Hunderten aus den Mittelflaffen und dem Militär
vereinigten, mit dem fejten Vorſatze, das ſchandbare
- Mi a
Joch abzufchütteln, — als wieder die Verrätherei S
Eines der Verſchwornen, der die Verbündeten in der
Beichte verrieth, den Ausbruch derjelben zwar nit
bereitelte, aber bejchleunigte. |
Es war um neun Uhr Abends am 15. September
1810 gemwejen, al3 Don Ignacio Allende y Unzaga,
Gapitain im königlichen Regimente de la reina, von Bi
Gueretaro fommend, in die Wohnung des Pfarrers E
von Dolores, Padre Hidalgo, jtürzte, mit der Nach⸗ 2
richt, daß diejelbe Verſchwörung, die Mexiko von der 3
verhaßten Herrſchaft der Spanier befreien jollte, ent-
det, und daß der Befehl erlafjen ſei, die Verſchwor—
nen todt oder lebendig einzubringen. — Den ſichern
Untergang vor Augen, berathichlagten die beiden Ber
ſchwornen eine. Stunde, und traten dann unter ihre J
Freunde, den feſten Entſchluß verkündend, ihr Leben
an die Freiheit des Vaterlandes zu ſetzen. Zwei BE
Offiziere, die Lieutenants Abaſalo y Bellera und ©
Aldama, mit einem Haufen Luftiger Mufitanten,
Tiſch- und Hausgenofjen des Eura, vereinigten fi) 2
mit den Aufrührern, und mit diefen, dreizehnan
der Zahl, beginnt die große mexikaniſche E
Revolution. Be
— 305 —
Während Hidalgo, ein Eruzifig in der Linken,
ein Piſtol in der Rechten, auf das Gefängniß og»
ftürzt und die Verbrecher. befreit, dringt Allende mit
den Hebrigen in die Häufer der Spanier, zwingt fie,
ihr Silber und baares Geld auszuliefern, und dann
mitdem Gefchrei: „Vivalaindependencia y muera
el mal gubernio!‘‘*) ftürmten Alle in die Straßen
bon Dolores. Die ganze indianijche Bevölkerung
ſchließt fih an den geliebten Cura an; in wenigen
Stunden ift der Haufe der Empdrer auf einige Tau—
jend geftiegen, wozu auf dem Zuge nach Miguel el
Grande achthundert Rekruten vom Regimente des
Gapitains ftoßen. Unaufhaltfam vordringend, wirft
fi) die Yosgelafjene Rotte mit den Worten: „Tod den
Gachupins!“ auf San Filippe; in drei Tagen fteigt
fie auf zwanzigtaufend; zu Zelaya angelangt, ſchließt
ſich ein mexikaniſches Infanterieregiment mit einem
Theile des Kavallerieregiment3 del prineipe an ſie
an. Weiter fortſchwellend, wirft fie fi), unter dem
teten Rufe: „Tod den Gachupins!“ auf Guanaxuato,
die reichjte Stadt Mexiko's, wo eine dritte Truppen
) Es lebe die Freiheit! Nieder mit ber fchlechten Regies
sung! (buchftäblich: es fterbe die fchlechte Regierung!)
me
abtheilung fich zu ihr ſchlägt. Won allen Seiten
ſtrömen num die Indianer herbei, und bie Horde
wächst auf fünfzigtaufend an. In Guanazuato ;
wird die fefte Alhondega*) im Sturm genommen,
die ſämmtlichen Spanier und Creolen, die ſich mit
ihren Schäßen dahin geflüchtet, niedergemadht; über R
fünf Millionen harte Piafter fallen den Aufrührern °
als Beute in die Hände. Der Fall dieſer Stadt zieht E
eine ungeheuere Menge Indianer aus allen Theilen B
des Reiches herbei; die Horde fteigt auf achtzigtau— a
jend Mann, mworunter aber faum viertaufend Ge— —
wehre ſind. Unaufhaltſam drängt ſie über Vallado— 3
lid nad) Mexiko vor, wirft den Oberften Trugillo J
bei Las Cruces über den Haufen, und zieht am 31. BE
Dftober die Hügel von Santa Fe herab, die Haupt- B
jtadt des Königreiches im Angefichte, in deren Mauern 2
dreißigtaujend Leperos nur des Zeichens zum An
griffe harren, um den Kampf innerhalb der Stadt zu Fi
beginnen. Bloß zmweitaufend Linientruppen find zur
Vertheidigung der Hauptftadt vorhanden; Calleja, —
der Oberfeldherr, iſt hundert Stunden von Mexilo;
*) Alhondega de granaditas, ein Getreidemagazin.
J
J—
— 307 —
ein anderer Obergeneral, der Graf von Cadena,
ſechzig; der Rüden ift gleichfall3 von den Patrioten
aufgeregt; auf der Straße von Tlalnepatla rüct ein
Patriotenchef zur Unterftüung Hidalgo’3 heran; der
Vicekönig trifft bereit3 Anftalten zum Abzuge nad)
Beracruz; das Schickſal von Mexiko ift, allem An—
ſcheine nah, feiner Entſcheidung nahe — ein rajcher
Angriff, und die Herrſchaft der Indianer ift wieder
bergeftellt. Aber am folgenden Tage zieht ſich Hi-
dalgo mit jeinem hundert und zehntaufend Mann
ftarfen Schwarme zurüd; Mexiko ift gerettet; aber
die Leidensgejchichte der Patrioten fängt nun an.
Am 7. November bei Alculco von dem vereinigt
jpanifch=creolifchen Heere geſchlagen, trifft bald darauf
Allende bei Marfil ein gleiches Loos, und eine dritte
Schlacht bei Calderon entſcheidet dag Schickſal des
erſten Feldzuges, deſſen Urheber, Hidalgo, mit fünf—
zig ſeiner Gefährten bald darauf, verrätheriſcher
Weiſe bei Acalito gefangen genommen, mit ſeinem
Leben büßt.
Der erſte Aufzug des revolutionären Dramas war
beendigt, ſechs Monate nachdem der blutige Vorhang
aufgezogen worden war; aber die Brandfackel, weit
— 08 |
entfernt, mit dem alle des Führers verlöfcht zu fi
hatte fi) nur getheilt, um in zahllojen Flammen das
ganze Reich deſto ficherer im allgemeinen Brande aufe |
fodern zu machen. Taufende Derjenigen, die fihnon
den Schladhtfeldern von Aculco, Marfil und Calde⸗
ron gerettet hatten, durchzogen nun die Intendanzen,
einen Vertilgungskrieg beginnend, der langſam, ber
ſicher, die unverſöhnlichen Tyrannen aufreiben joe, |
Die meiften diefer Haufen waren von Prieftern, % Ad⸗
vokaten oder Abenteurern befehligt, die ohne Bil-
dung, bloß durch ihren Haß gegen die Gachupins
ausgezeichnet, ohne Plan oder Uebereinſtimmung
handelten. Noch hatten ſich nur Wenige von der
beſſern Klaſſe der Creolen an die Aufrührer ange—
ſchloſſen; im eigentlichen Sinne des Wortes waren
es noch immer bloß die Indianer und Kaften, dieder
Gefammtbildung und dem Eigenthume des Landes
gegenüberftanden, und die Herrſchaft der Spanier,
obwohl erſchüttert, hatte an den Creolen ſelbſt ihre
ſtärkſte Stüße gefunden. '
Diefe, obwohl verhältnigmäßig weniger gedrückt
als die Indianer und Kaſten, hatten ſich mehr jo ge—
fühlt, weil fie aufgeflärter, ihre Rechte, wenn nit
— 309 —
deutlicher erfannten, doch lebhafter ahnten, als die
ftumpffinnige, bloß durch Rachedurſt angetriebene,
rothe und gemijchte Race. Kinder von Vätern, die
Spanier waren und als jolche mit jouveräner Ver—
achtung auf Alles, was Creole hieß, ja ſelbſt auf
ihre eigenen, in Mexiko erzeugten Kinder, herabjahen,
hatten Diefe, jo zu jagen, den Haß gegen die Spanier
mit der Muttermilch eingefogen. Weit entfernt, die
Rechteihrer Bäter nach) dem Buchſtaben der königlichen
Verordnungen zu genießen, waren Tie jchon durch ihre
Geburt in dem zinsbaren Lande in den Volfshaufen
zurüdgejtoßen, um durch immer wieder und wieder ic)
erneuernde Schaaren gieriger und hochmüthiger Be—
amten, die in Lumpen famen und mit Hunderttaujen=
den das Land verließen, außgejogen zu werden. Im
Beſitze der ſchönſten Ländereien undihrer unermeßlichen
unterirdiichen Reichthümer, hatte jelbjt Beſitzthum bei
ihnen feinen Reiz verloren; denn des Spaniers Will-
für fannte fein Eigenthumsrecht, und er war im Na—
men feines königlichen Meiſters der unumjchränfte
Herr alles Eigenthums. Ein ſolcher Zujtand hatte
mit der ſchmerzlichſten Erbitterung endlich den Wunſch
nad) Befreiung von * ſchamloſen — all⸗
Der Virey. J.
— 310 —
gemein erregt, und durch die Verſchwörung waren
auch alle Anftalten dazu getroffen gemejen. Sie
jollte, wie gejagt, an Einem Tage über ganz Merifo
ausbrechen, und unmittelbar jollten Creolen an die
Stelle der zur Verhaftung beftimmten, ſpaniſchen
Regierungsbeamten treten, die Seehäfen zugleich ber
jeßt werden, und jo durch Abjchneidung jeder Unter-
ftüßung von dem benachbarten Cuba die Föniglihe
Regierung gewifjermaßen in ihrem eigenen Nebe ge=
fangen und erftictt werden. An dem erwähnten un-
glücklichen Verrathe eines Prieſters jcheiterte der
ganze Plan, und Hidalgo, zu tief verwidelt, um
feinem unvermeidlihen Schiejale zu entgehen, hatte
den Ausbruch der Revolution bejehleunigt und, auf
die Creolen, die ſich großentheild aus der Schlinge
gezogen, erbittert, mit jeinen Indianern einen Ver—
tilgungsfrieg begonnen, der Beide, Spanier und
Creolen, gleich feindfelig behandelte.
Diejer furhtbare Mißgriff, der nun Spanier und
Ereolen gleich hart traf, hatte das Schidjal des Auf-
ſtandes jelbjt entichieden, und die Creolen gezwungen,
gegen ihren Willen fi) an diefelben Spanier anzu=
ſchließen, zu deren Verderben fie jelbjt den erjten
A &,
Rei. = air
— 51 —
Grundftein gelegt hatten. Es mar vorzüglich durch
ihre Mitwirkung gejchehen, daß die drei Schlachten
gegen die Rebellen gewonnen worden waren; allein
die Spanier, weit entfernt für diefe Mitwirkung
dankbar zu jeyn, fahen in der ganzen Creolen-Be-
völferung nur die mißgünftigen Rebellen, die in der
Ausführung ihrer Pläne gejcheitert waren.
Ueber einen Aufſtand erbittert, der ihrem Könige
jeine Suprematie, und ihnen jelbft die Ausbeutung des
reichſten Landes der Erde zu entreißen gedroht hatte,
fingen fie an, darauf hin zu arbeiten, fich nicht nur
der Rebellen jelbjt auf alle mögliche Weiſe zu ent-
ledigen, fondern auch der Möglichkeit einer künftigen
Empörung auf eben die Art vorzubeugen, wie unfere
Bienenjäger den Stichen der wilden Schwärme vor—
beugen, deren Honig fie ſich ungejtört zuzueignen im
Sinne haben, fie nämlid) mit euer und der Art zu
vertilgen. Vierundzwanzig große und Heine Städte
mit zahllojen Dörfern waren in den achtzehn Mona—
ten des Krieges bereit3 von den Spaniern von Grund
und Boden aus zerjtört, ihre Bevölkerung ohne Un—
terſchied vertilgt worden, aus feiner andern Urjache,
als weil fie die Injurgenten vorzugsweiſe begünjtigt
21*
— 312 —
hatten. Noch nicht zufrieden mit den Hundert-
“taufenden, die Feuer und Schwert gefreſſen, hatten
fi die blinden Legitimitätsdiener nicht entblödet,
im Namen des dreieinigen Gotte8 und der heiligen
Jungfrau die feierlichite Amnejtie dur) den Mund
der Kirche zu verfünden, um die leichtgläubigen Elen—
den, die diefen VBerficherungen trauten, ohne Erbar-
men zu bertilgen. Eine jo entjeßliche Treuloſigkeit
Yieß natürlich feine Möglichkeit einer Wiederausſöh—
nung mehr zu, und die plößliche Wendung, Die der
Gang der Revolution zu gleicher Zeit zu nehmen
anfing, ſchien endlich die ganze Bevölkerung gegen
dieſe elenden Tyrannen vereinigen zu wollen.
Unter den Abenteurern, die, Ruhm oder Beute
juchend oder von Haß gegen die Unterdrüder ange—
trieben, fich zu Hidalgo auf feinem Triumphzuge von
Guanaxuato nad) Mexiko gedrängt hatten, war aud)
jein Jugendfreund und Schulgefährte Padre Morellos,
Rector Cura*), von Nucupetaro geweſen. Bon dem
Generaliffimus Hidalgo brüderlich aufgenommen,
hatte er von Diefem den Auftrag erhalten, die jüd-
*) Der Pfarrer; weltgeiftlichen Standes beißen fie Nec-
tores Curas, die Kloftergeiftlichen Padres Curas.
ER ENTE TREE
— 33 —
mweitlichen Provinzen des Königreiches in Aufitand
zu verfegen. Mit diefem gefährlichen Auftrage aus—
gerüftet, hatte ſich der fechzigjährige Priefter, bloß
von fünf Anhängern begleitet, in die Intendanzen
feiner neuen Militärdivifion begeben, war in Pe—
talan auf zwanzig Neger geſtoßen, die er durch das
Verſprechen der Treiheit ihm zu folgen bewog, und
bald darauf von mehreren Creolen mit ihrem An—
hange verjtärft worden.
Ungleich feinem Vorgänger, fing diefer Priefter
den Krieg im Kleinen, nad Art jener Guerillas
an, die im Mutterlande die Kraft des Yeindes jo
wirffam gebrochen hatten. Allmählig die Sphäre
jeiner kriegeriſchen Thätigfeit erweiternd, hatte er
mehrere nicht unbedeutende Siege über die ſpaniſchen
Generale in einem ſechszehnmonatlichen Heinen Kriege
davon getragen. Das Gerücht ſchilderte ihn ala
einen ernjten Mann, ganz das Gegentheil vom
leichtſinnig raſchen Hidalgo, begabt mit einem durch—
dringenden Verſtande, von tadellofen Sitten und
weit liberalern Anfichten, als man fie von einem
mexikaniſchen Priefter und feiner beſchränkten Er—
ziehung hätte erwarten follen; der Einfluß, den er
wen
auf die Indianer ausübte, follte ans Unglaubliche |
. gränzen. Diefer Mann nun war an demjelben dia
de fiesto, an welchem unſere Gefchichte beginnt,
an der Spibe einer Heinen Armee in der Nähe von
Mexiko angekommen; die bedeutendften Chefs der
Patriotencorps, unter denen Vittoria, Guerero, Bra=
vo, Ofjourno, hatten ſich feinen Befehlen unter-
worfen, und das moraliſche Webergewicht feines
Namens Ichien endlich bewirken zu wollen, woran
e3 jeit dem Tode Hidalgos gefehlt hatte, Weberein-
flimmung in den Kriegsoperationen der Patrioten
und eine Disciplin unter den Truppen, die dem
Lande Bertrauen einflößen konnte.
Auf diefen Mann nun begann Mexiko die Augen
ſehnſuchtsvoll zu richten. Er oder Keiner, das war
der allgemeine Glaube, konnte das Land befreien.
Taufende von Creolen hatten fich bereit an ihn an-
geiehloffen, und Taufende waren auf dem Punkte,
dieſem Beifpiele zu folgen. Der Enthufiasmus nahın
ſtündlich zu, und felbft der gewiſſe Tod, der Jeden
traf, der auch nur Wünſche für Mexiko laut werden
ließ, konnte die Aufregung unter der jüngern creoli=.
ſchen Bevölkerung nicht ftillen. Die reifere Mehrzahl
* 4
RE —F — BE
— 835 —
ſchwankte jedoch noch immer unentjchloffen. Gänzlich
in der Gewalt der Spanier, denen fie ih, um Schuß
por den wüthenden Horden Hidalgos zu finden, in
die Hände liefern mußten, und argwöhnifch von Dies
fen bewacht, fehlte e8 ihnen eben fo fehr an der Kraft,
ih ihren Tyrannen zu entziehen, als am Willen,
ih an die neuen Befreier anzuschließen. Der miß-
lungene Verſuch Hidalgos hatte ihr Vertrauen auf
die Möglichkeit einer Befreiung erfchüttert, die Grau—
jamfeiten der Indianer gegen ihre Brüder ihre Be—
geilterung eingejchüchtert. Noch gellte ihnen das
Wuth- und Rachegeſchrei der Indianer in die Ohren.
Würde Morellos auch im Stande ſeyn, Calleja die
Spitze zu bieten, gegen den Hidalgo und Allende mit
ihren Hundertaufenden das Feld bei jedem Zuſam—
mentreffen verloren hatten? jelbjt im Falle eines
Sieges im Stande ſeyn, Kriegszucht und Ordnung
unter den zufammengelaufenen Schaaren aufrecht zu
erhalten? Würden die Abenteurer, von denen Die
meiften Abtheilungen des Patriotenheeres befehligt
waren, nicht vielmehr ihren Sieg benüßen, um das
unglückliche Land mit allen Schrednifien, die einen
zuchtloſen, ſiegtrunkenen Rebellenhaufen begleiten,
Se
heimfuchen? Solches waren die Fragen, die ſich
Tauſenden der einſichtsvollern Bürger, nicht nur der
Hauptjtadt, jondern des Landes aufdrängten, und
ihre Thatkraft in dem Augenblicde hemmten, wo dieje
zur Bertreibung der Spanier in Wirkſamkeit treten
jollte. Alle haßten die Spanier bitter und blutig.
Alle hatten gelitten, und litten noch immer von den
unerträgliden Anmaßungen und der Geſetzloſigkeit
diejer bigotten nimmer fatten Eindringlinge; aber
diefe Eindringlinge hatten troß ihrer Geſetzloſigkeit
Ordnung gehandhabt, deren Werth nun in der all=
gemeinen Zerrüttung jo fühlbar geworden war, Die
perjönliche Sicherheit und die Rechte des Eigenthums,
wenn aud) häufig verlegt, waren doch nie jo en gros
über den Haufen geworfen worden. Hatten diefe
Gründe jhon auf die Gefinnungen und das Betra-
gen der Mehrzahl der bemittelten Mittelklaſſen be=
deutenden Einfluß geäußert, jo mußten fie eg noch
weit mehr bei der am meilten bevorrechteten Kaſte,
dem hohen Adel, der bei einem Umjturze der Ord—
nung natürlich am meiften zu verlieren hatte. Meh-
tere dieſer Familien bildeten, wie gejagt, eine Muni⸗
zipal-Nriftofratie, die beſonders über die Indianer
— * * u
ne EL 25 1 Er Mal un 2
— 317 —
und die mit ihnen verwandten Kaſten eine fehr
drüdende Herrſchaft ausübte, die Revolution, die
nit nur diefer drüdenden, ganz eigenthümlich
Ihändlichen Herrſchaft ein Ende zu machen, fondern
fie au) in die Klaſſe der übrigen Bürger zu werfen,
und was bejonders jehredlich für fie war, ihnen ihre
Adelsdiplome und Ordensdecorationen zu entreißen
drohte, für die fie jo große Summen aufgewandt
hatten, und auf die fie, gleich den raffinirten höhern
Ständen des europäijchen Feſtlandes, einen unend—
lichen Werth jegten, mußte fie daher nothwendig mit
Schrecken erfüllen und ihnen das Ende der Herrſchaft
des Spanier3 als ihr eigenes darftellen. Daß diefe
Borjtellungen verzweifelte Anjtrenaungen von Seiten
des Adels bewirkten, die ſpaniſche Herrſchaft um
jeden Preis aufrecht zu erhalten, war um jo natür=
licher, als feine beſchränkte Erziehung ihn ganz in
die Hände diefer Herrjchaft gegeben hatte. Wenn
jedoch dieſe Vorurtheile gegen die Revolution unter
der Mehrzahl des hohen Adels herrjchend waren,
und es wäre eitel, die Thatfache zu läugnen, jo kön—
nen wir auf der andern Seite nicht umhin zu ge-
ftehen, daß es wieder Männer unter diefer hohen
— 318 —
betitelten Ariftofratie gab, die den Stand der Dinge
aus einem weit höhern, für fie und ihr Land ehren-
volferen Gefichtspunfte auffaßten. Eigenthum und
vorzüglich Grundeigenthum ift, was auch Ultralibe—
raliamus dagegen Jagen mag, eine Baſis, deren So—
lidität auch dem ſchwächſten Verſtande einen Halt
gibt, den der geijtreichere Eigenthumsloſe vergeblich
anſpricht. Es liegt etwas Zähes, aber zugleich auch
etwas Pofitives im Grundeigenthum, das jeinen Be—
jiger gemwifjermaßen zwingt, unabhängig bon feiner
Perjönlichen Vorliebe und feinen Vorurtheilen, das
Wohl des Landes zu berüdjichtigen, in dem fein
Eigenthum liegt. So wahrhaft abjurd daher auch
das Benehmen der Mehrzahl diefer Hochadelichen im
Anfange der Revolution geweſen, jo kindiſch lächer—
lich ihre Vorliebe für die werthloſen Auszeichnungen
ihres königlichen Gebieters, ſo hatte es wieder unter
ihnen Männer gegeben, die die Lage ihres Landes
richtiger beurtheilten, und ungeachtet des ſervilen
Kleides, das ſie trugen, für die Freiheit ihres Landes
größere Opfer gebracht hatten, als die glühendſten,
lauteften und ungeftümften Fteiheitshelden je gethan.
Unter Diefen hatte fich der Edelmann, mit dem wir
— rn
———
— 319 —
bereit3 unfere Lejer befannt gemacht haben, befonders
ausgezeichnet. Yamilienverhältniffe hatten ihm den
jeltenen Borzug verichafft, feine Jugend in der Madre
Patria und den civilifirtern Ländern der alten Welt
zuzubringen, und ihm fo Gelegenheit gegeben, jene
Erfahrungen zu fammeln, die nöthig find, um eine
unabhängig richtige Anficht der Verhältniſſe feines
eigenen Landes zu faſſen. Bon der Natur mit einem
durchdringenden Berjtande begabt, hatten die Demü-
thigungen, die er fi) von dem ſtolzen Spanier im
Mutterlande bloß deßhalb hatte gefallen laſſen
müſſen, weil er ein geborener Merifaner war, ihm
frühzeitig jenen tiefen Abjcheu gegen die Bedrücker
eingeflößt, den nur wieder derjelbe reife und gebil-
dete Berftand genugfam zu meiftern im Stande war.
Die Eindrüde, die er im gejelligen Leben der aufge—
Härteften Völfer Europas und der Aufgeflärtejten
jeineg eigenen Welttheil8 empfangen, hatte er tief in
feinen Bufen niedergelegt und in die Einſamkeit ſei—
ner weitläufigen Befißungen mitgenommen, two fie
ihm Nahrung in feinen trüben Stunden und Leit-
jtern in feinem häuslichen und öffentlichen Leben
wurden. So war allmählig ein eben jo fejter als
— 320 —
umſichtiger Charakter entjtanden, der jedoch, unge-
- achtet feiner Umfichtigkeit und Klugheit, faum für die
Länge dem Argwohn der Beherricher des Landes ent
gangen jeyn dürfte, wenn nicht ein herbes Loos, das
jein Yamilienglüd kurz nad feiner Rückkehr aus
Europa zertrtümmert, dadurch, daß es ihn zum
Gegenftand einer allgemeinen Sympathie erhob, wie-
der beigetragen hätte, dem ſpaniſchen Mißtrauen eine
andere Richtung zu geben. Er jelbjt hatte ſich feit
diefem Schlage gänzlich) von der Welt zurüdigezogen,
ganz und allein in der Beförderung des MWohles
jeiner nächften Umgebungen und zahlreichen Angehö-
rigen Troft und Erholung ſuchend. Aber ungeachtet
diefer Zurücigezogenheit hatte fich jein Einfluß zu—
jehends und auf eine Weiſe vergrößert, die jelbjt die
Aufmerkſamkeit des Mutterlandes auf fich zu ziehen
begonnen hatte. Diefer Einfluß wieder, weit ent-
fernt, in feiner Perfönlichfeit Herborzutreten, war
vielmehr in der fejtern Haltung des Adels und der
ihm zunächft ftehenden bürgerlichen Klafjen bemeri-
bar geworden. Es lag etwas Geheimnißvolles in
dieſem Einfluffe, ſo wie in der Art, wie er ihn geltend
machte. Gleich dem befonnen, ruhig feften See-
— 321 —
manne, der jeden Windhauch kennt und jedes Wölk—
hen zu Haflifiziren weiß, ſchien jein durchdringender
Blick Schon lange vor dem Ausbruche der Revolution
feine Maßregeln getroffen zu haben, um dem kom—
menden Sturm zu begegnen. Das Gerücht ging,
daß er die Hauptveranlafjung gewejen, die Mehrere
de3 mexikanischen Adels bewogen, ſich an Iturrigaray
anzufchließen. Er jelbft war bei diejer großen poli—
tiſchen Maßregel nicht bejonders herborgetreten. Als
jedoch der Plan fich wirklich zu einem günftigen Re—
jultate neigte, hatte ex ſich gemäßigt und feſt für den-
jelben erflärt, als das einzige Mittel, jein Volk und
Land aus dem herabwürdigenden Zuftande zu reißen,
und mit der Art und Weife, fich jelbjt zu beherrjchen,
ſtufenweiſe vertrauter zu machen, jo Hand in Hand
mit den ſpaniſchen Behörden fortzufchreiten, big
günftige Verhältniſſe e8 erlauben würden, den Ver—
band zwiſchen beiden Ländern gänzlich aufzulöfen.
Merkwürdig genug erklärte fich jedoch derfelbe aufs
geflärte Geift gegen eine plöhliche Freiheitserflärung,
und zwar jo bejtimmt, daß eine bedeutende An—
zahl ihm wieder ihr Vertrauen zu entziehen anfing.
Vielleicht, daß er, die Schwächen diejes Volkes ein-
— 352 —
ſehend, die Unmöglichkeit vorausfah, die Freiheit, .
ſelbſt wenn fie erlangt würde, zu bewahren. Seine
Gefinnungen theilten die einflußreichften und auf⸗
geklärteſten Mitglieder deſſelben Hohen Adels und
der höheren Bürgerflaffen. Doc als Diefe, empört
über den jchnöden Gemwaltftreich, der den beliebten
Vicekönig jo verrätherifch gefangen aus dem Lande
entführte, zum offenen Bruche Anftalt machten, z0g
ſich der vorfichtige Ariftofrat wieder in feine vorige
ſcheinbare Unthätigfeit zurück, aus der er fi auch
durch die nachher wirklich ausgebrochene Revolution
nicht bringen ließ. Unterdeſſen wollten die heller
Sehenden, ungeachtet dieſes ſcheinbaren Rüczuges
bon der politiichen Laufbahn, deutliche Spuren feiner
fortwährenden Thätigfeit bemerkt haben, und wirk—
ih waren Symptome einer ſolchen im ganzen
Lande zu fühlen, die um fo auffallender wurden,
als die Bedeutjamfeit der Hülfsmittel, die dieſem
unfichtbaren Agenten zu Gebote jtanden, und Die
Wirkſamkeit derjelben, alle Verſuche der Behörde,’
fie zu entdecken oder ihnen auf die Spur zu fommen,
auf eine Weife vereitelte, die diefe in die größte
Beforgniß verjehte. Das ganze Land war in der
BB Ball Ds ee TR Da a a a FE rt
— 323 —
That duch diefe unfichtbaren Agenten in feinen Ge—
ſinnungen und Anfichten revoltirt worden, und jo
ſicher wirkte der ausgeftreute Same des Haſſes gegen
die Spanier, daß, ohne den unglüdlichen Verrath,
wahrſcheinlich Mexiko ohne bejonders hartnädigen
Kanpf in die Hände der Creolen übergegangen wäre.
Die Urheber dieſer moraliſchen Revolution blieben
jedoch in geheimnißvolle Dunfelheit gehüllt, und unfer
Graf ſchloß fi mit dem ganzen Adel offenbar an die
fönigliche Regierung an. Der neue Vicekönig, der
Nachfolger des unglüdlichen Jturrigarray, der mitt-
Verweile die Zügel derjelben übernommen, hatte mit
zahlreihen Belohnungen, Orden und Titeln für die
Werkzeuge, die feinem Vorgänger einen vicefönig-
lichen Stuhl und Freiheit geraubt, auch) eine bedeu-
tende Anzahl Berdammungs- und Todesurtheile
mitgebracht. Aber obwohl das Stigma des Libera-
lismus auch) den Conde San Jago ftark befleckt, fo
hatte fich doch die neue Excellenz mehr als beeilt, ihn
mit Beweijen von Freundſchaft und Vertrauen zu
überhäufen, die eben jo jehr die Verwunderung der
Uneingeweihten, als das zufriedene Lächeln der Wif-
jenden, erregten. Andere Vorfälle hatten ſich wieder
— men |
ereignet, die das gute Verhältniß zwiſchen den beiden
Gewaltigen zu zerjtören drohten, und unter diejen
der Machtſpruch, der den Neffen des Ariftofraten in
die Madre Partia verwies. Welches die eigentliche
Beranlaffung zu diefem Cabinetsftreiche geweſen,
dürfte der Verfolg der Gejchichte lehren, zu der wir
nad) diefer etwas langen, aber zur Verftändigung
unferer Leſer vielleicht eben nicht überflüjfigen Skizze
der damaligen Berhältnifje Mexikos wiederkehren.
Noten des erften Bandes.
Il. Den Erlöſer von Atolnico vorftellend.
Die Kapelle des Grlöfers von Atolnico befindet ſich auf
dem Gipfel eines ziemlich fteilen und Hohen Berges, zwe
und eine halbe Stunde von Miguel el Grande. Auf dem
Hochaltar ſteht man die Standbilder des Erlöfers, der
Jungfrau Maria, Magdalenens u. |. w. von gediegenem
Silber, mit Rubinen und Smaragden befegt. Links befin
det fich eine Neihe von nicht weniger als dreißig Altären
“mit Standbildern in Lebensgröße, Säulen, Kreuzen, Leuch—
tern, alle 'von demfelben Metalle. Die Summen, die hier
jährlich geopfert werden, betragen weit über hunderttaufend
Piafter. Der Urfprung diefes MWallfahrtsortes ift merf-
würdig. Im der Mitte des vorigen Jahrhunderts trieb ein
Strafenräuber, Namens Lohra, fein Wefen in der Cor:
dillera auf eine fo furchtbare Weife, daß die Regierung,
nicht im Stande feiner Meifter zu werden, ihn einen Ge:
neralpardon für feine Vergehungen und die oberfte Richter—
ftelle in einem der drei Haupfgefängniffe Mexiko's mit
einem jährlichen Gehalt von taufend Dollars anbot. Der
Mann nahm die Stelle an, bemächtigte fich feiner Genof-
fen, fing fie zu Hunderten auf und befreite wirklich das
Der Virey. J. 22
5 | ame 8
Land von diefer Geißel. Als Nentet Richter —
hatte er unumſchränkte Gewalt über Leben und Tod. “ *
ließ vorzüglich die Schmuggler zu Dutzenden aufhängen,
wenn ſie nicht den Gewinn mit ihm theilen wollten. Bm
den ungeheuern Reichthümern, die er auf diefe Weiſe zu⸗
ſammenbrachte, baute ex die Kirche von Atolnico, die er
mit mehreren der daſelbſt befindlichen ſilbernen Standbil⸗
der ausſtattete.
II. Ihm zur Seite eine — von — |
nern, Zambos und Meftizen. Der Sohn eines
Weißen und einer Weißen, feyen fie im Land oder in Weite
indien geboren, heißt Greole, die Tochter Creolin. Der x
Sohn oder die Tochter eines Weipen, Creolen oder Sure: %
päers von einer Indianerin wird. Meitize, Meſtizin oder
auch Metis genannt. Die Farbe eines ſolchen vermiſchten Bi
| Sprößlings it vöthlich transparent, die Hände und Füge
flein, die Augen aber noch immer fchief. Sie find Tann J
Charakters als die Mulatten. 58
Mulatten ſtammen von weißen Vätern ib Neger: R
müttern ab; die Farbe ift bronce. Chinos oder Zambos —
werden die von Negermännern und Indianerweibern Ab⸗ —
ſtammenden genannt. Sie ſind dunkel ſchwarz-braun. Zam⸗
bos prietos werden die von einem Neger und —
Zamba Abſtammenden genannt.
Quateroon iſt das Kind eines Weißen und ‚einer
Mulattin, Duinteroon das Kind eines Weißen. und
einer Quateroon; vermifcht fich die Quinteroon nochmals De
mit einem Weißen, fo wird der Sprößling ganz weiß.
Alta atras, Sprünge rückwaͤrts nennt man, wenn ſich
eine weißere Berfon mit einem dunkler farbichten Manne
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vermifcht. Alle diefe farbichten Abkömmlinge werden zu⸗
ſammen die Kaſten genannt, z. B. der Kaſte der Quinte—
roons, dev Meſtizen ꝛc. Reinen Urſprungs find bloß die
Gachupins (die Spanier), ihre Söhne und Töchter, die
Creolen, die Indianer und die Neger.
Es Lebe die Jungfrau von Guadeloupe!
Nieder mit der Jungfrau der Ganden! Das
Bild der Jungfrau von Guadeloupe ift in ihrer pracht-
vollen Kiche, zwei Stunden von Merifo, aufgeftellt. Es
it ein auf grobem Agave-Baſt gemaltes fehlechtes Bild,
das bald nach der Sroberung erſchien, und zwar auf
einem benachbarten öden Hügel, wo es zuerit einen Ins
dianer durch eine himmlifche Muſik entzückte, die die Engel
um dafielbe herum aufführten. Der Indianer erzählte die:
jes Wunder dem Erzbifchof, der es aber nicht glauben
wollte. Ein zweites Mal ging der Indianer bei dem mu—
fietrenden Bilde vorüber, und da fand er es mitten unter
einem Hanfen Nofen ; wieder befahl es ihm, zum Erzbifchof
zu gehen. Der Erzbifchof wurde turch diefes zweite Wunz
der auf einmal gläubig, und begrüßte das Bild mit dem
Titel: Unfere Dame von Guadeloupe. Eine Kapelle wurde
errichtet, und da der Wunder immer mehr wurden, fo
wurde es endlich zur Schugpatronin von Mexiko erhoben,
und zwar da die Gefichtsfarbe der Madonna von gebräuns
tem Golorit ift, zur Batronin der Eingebornen.
Die Jungfrau der Önaden, Vierge de los re-
medios. Ihre Kirche liegt nordweftlich von Merifo, und
das Bild wurde von einem Soldaten des Cortez gefunden und
zeigte ſich leivdenfchaftlich für die Spanier eingenommen.
So ſchwebte es während der Schlacht yon Otumba vor den
Solpaten von — her und re —
in die Augen. Bei andern Schlachten wurde J
gemein mit den. Indianern. Zur Dankbarkeit $
eine Kapelle errichtet. Aber auf einmal —
Bild zum unſäglichen Leidweſen der Spanier. Nad
halben Jahre entdeckte endlich ein Indianer, der, u
dem Corazon einer Agave zu gelangen, die Blatter
ſchnitt, das Bild mitten zwiſchen dem Stamme um
Blättern. Es wurde fofort im Triumph hexbeigeholt
fo dankbar bewies es fich für die ihm bewiefene Aufmen
famfeit, daß es fogleich nad) einer langen Dürre einen fia
fen Regen fandte. Für die unzähligen Wunder, Die ei
zum Vortheile ver Spanier verrichtete, erhoben fie Diefe zu
ihrer Schußpatronin und übergaben ihr den Befehl ihrer
Heere. Sie jtritt fehr tapfer gegen die Jungfrau
Guadeloupe, die wieder von den Merifanern zu ihrer K ie
oberftin erhoben ward. Als nämlich Hidalgo, nachden
die Fahne des Aufruhrs .aufgepflanzt, von dem, Erzbife
erfommunicirt wurde und in Gefahr ftand, von allen feinen
Indianern und Anhängern auf einmal verlaffen zu werden, &%
fiel es ihm glücklicherweiſe bei, ſich und die Seinigen unter
den Schug der Jungfrau von Guadeloupe zu ftellen. Cine
ungeheure Fahne wurde fofort verfertigt mit dem Side
der Jungfrau; diefe wurde als Generalfeldmarfchallin
elamirt, ihr ein Gehalt angewiefen und ihr Gehorfam vers
fprochen. Sie bezog ihren ah: wirklich volle rn |
Sabre, bis 1824. R
LG
5475887
Vierke,
ammelte
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Sealsfield, Charles (pseud.)
— *—* of Toront |
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