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Full text of "Gesammelte Werke"

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Sa 0 
Gefammelte Werke 


von 


Charles Sealsfield. 


— — 


% 3 > 3 * 4 I 
Dritter Theil» 


Der Segitime und die Republikaner, 


Dritter Theil. 


Stuttgart, 2 
Verlag der J. B. Metz ler'ſchen Buchhandlung. 
1845. 





a 


Der Segitime 
und 
die Nepublifaner, 


Eine Geſchichte 
aus dem lebten amerifanifchzenglifchen Kriege, 


. Bon 
Charles Sealsfield, 





In drei Sheilen. 





Dribter Theil, 
Dritte durchgeſehene Auflage. 


0 


Stuttgart. | 
Verlag der J. B. Metzler'ſchen Buchhandlung. 
1845. 


für mein Bolt, wenn ig Ser Unger echt 
| 1% 





Achtundzwanzigſt es Kapitel —J 


Here! Herr! Es iſt oft ſchwer für Freunde 
ſich wieder zu ſehen; aber Berge können durch 
Erdbeben verſetzt werden und ſich ſo wieder 
begegnen. 
Shakespeare. 


Der Landſitz, in dem unfer Squire es ſich fo be⸗ 
quem gemacht, und zu Hauſe ſchien, gehörte zu einer 
der vielen Miſſiſippi⸗Pflanzungen, die weniger durch 
äußere Großartigkeit, als durch innere Pracht, die 
glänzenden Reichthümer zur Schau tragen, die dieſer 
Erwerb feinen Befliffenen beinahe immer ſichert. 
Er Hatte nebſt dem Erdgeſchoße bloß noch ein Stock ⸗ 
werk, und rühte auf Pfeilern, vielleicht des Luftzuges 
oder des austretenden Miſſiſippi wegen, war leicht 
gebaut, augenfcheinlich mehr zum Schuge gegen die 
fengenden Strahlen der Sonne, als gegen erflartende 
Winterkälte. Acht Stufen von weißlich geflecktem 
Marmor führten zur Piazza und dent Periftyle, mit 


> | — 6 > 
dem die Fronte des Hauſes verziert war; die Säu- 
lenräume waren mit hohen Jalouſiefenſtern aus— 
| gefüllt ‚ gleichfalls um während der heißen Sommer 
zeit einen fortwährenden Luftzug zu unterhalten. 
Im Dintergrunde waren zwei andere ziemlich große 
Gebäude, von denen das eine zur Wohnung der 
Wirthſchaftsbeamten, das andere zur Aufnahme der 
Colonialprodukte der Pflanzung beſtimmt zu ſeyn 
ſchien, und an dieſe beiden ſchloſſen ſich zwei Reihen 
kleinerer aber nicht unwohnlicher Blockhäuſer für 
die ſchwarze Bevölkerung der Pflanzung an, hinter 
welchen eine meilenbreite Fläche gegen die Cypreſſen⸗ 
wälder hinablief, aus der ein kahler, blätter⸗, rinde- 
und zweigloſer Wald ungeheurer abgeſtorbener Bäume 


emporſtarrte, der, in längliche Vierecke abgetheilt, * 


in ſeinen weiten Zwiſchenräumen mit hoch aufge⸗ 

ſchoſſenen breiten Stauden bepflanzt war, deren ver⸗ 
dorrte Blumenkronen noch hie und da die aufgebro⸗ 
henen Kapfeln der zarten weißen fogenannten Baum- 
wolle: ſehen ließen, mit welcher, abwechfelnd mit 
Mais, die Felder bepflanzt gewefen 'warem. Der 
größte Theil dieſer Cotton- und Wälſchkornfelder 
% augen] cheinlich dem Cypreſſenſumpfe abgenommen 


7 > 


und durch Gräben getronfnet worden, und der Con⸗ 
traft mit dem üppigen, undurchdringlichen Urwalde 
und dem bodenlofen Sumpfe gab ein anfehauliches 
Bild von dem Kraftaufivande, den e8 erfordert Haben’ 
mußte, um diefe herrliche Pflanzung der furchtbaren 
Wildniß abzugewinnen, und ſo allmahlig aus einem: 
Verſtecke reißender Thiere ein Basar —— 
zu ſchaffen. Al 
Man jah gewiffermaßen, baß ein Geiſt hier ge⸗ 
waltet, der, ſtufenweiſe fortſchreitend, allmählig 
vom Nöthigen aufs Bequeme übergegangen, und 
mit genauer Berechnung feiner Kräfte einen eiſernen 
Willen verband. Wenn jedoch das ſichtlicher maßen 
Harte eines langen Dienftzwanges, der hier fo aufs. 
fallend hervorſtach, dem menfchenfreundlichen Auge 
wehe that, jo verföhnte andererfeitö wieder das heitere 
und muthwillige Völkchen, das im reinfichen Dörf⸗ 
chen fich umbhertummelte, und fröhlich und mohlge- 
muth wenigftens verrieth, daß, wenn feines Kern 
eiferner Wille 68 zur Thätigkeit gehalten hatte, er: 
es zugleich an den Früchten derſelben in einem Maße 
Theil nehmen ließ, das Taufende von bürftigern Ber 


— 8 — 


wohnern der alten Welt mit neidiſchem Auge sie 
haben dürften. 

Wer fo die Kleinen Wollköpfe auf der znifepen in 
Keiden Hüttenreihen Hinablaufenden Gaffe Herum- 
toben, oder die ſchlanken Mädchen in ihrem bunten 
malerifhen Kopfputze fah, die hellgrünen ober hoch⸗ N 
rothen ſeidenen Tücher um ihre Scheitel in einen 

Knoten gewunden, wie fie ſchäckernd und lachend mit 
‚den jungen Burſchen umhertanzten; oder die Alten, 
wie fie, wohl, genäht und bequem gekleidet behaglich 
ihre kurzen Pfeifen rauchten, der dürfte vergeblich 
nach dem herzzerreißenden Elende gefucht haben, da 
partetifehe Unwiſſenheit diefer allerdings: gebt ck 

Klaſſe fo reichlich zugetheilt, und das, wenn auch 
einzeln wahr, zur Ehre des amerikaniſchen u 
terö, nichts weniger ala allgemein. ift. | 
+ Das Gefeg und der anerkannte Gerechtigkeits und 
Billigkeitsfinn des achtungswerthen ſüdlichen Bür- 
gers hat auch) das Loos dieſer Klaſſe bereits um Vie⸗“ 
les verbeſſert, und wenn einerſeits drückend er⸗ 
ſcheint, daß ihrem Lande geraubte Unglückliche oder ’ 

deren Nachkom men in fremden Dienſten fröhnen 
ſollen, ſo dürfen wir hinwieder nicht vergeſſen, daß 





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—p 9 8 


dieſe Zwingherren, ſchuldlos an diefem fluchwürdigen i 


Dienftzwang , jelbft unter dem ererbten gefährlichen 


Joche leiden, und daß die menfchenfreundlichfte Weis- 


heit nicht ohne Schaudern an eine plößliche Los⸗ 
laffung. einer feit eng gefeffelten Race 
denken dürfte. 


Die Sonne war mittleriweile hinter dem unge- 
heuern Cypreſſenkranze, der im Oſten die Pflanzung 
umgürtet, hervorgeftiegen, und ihre Strahlen dünn⸗ 
ten allmählig den Nebelfaum, der fich über die ganze 
Landſchaft hingezogen hatte; nur am Hauptſtrom 
ſchwamm er noch, eine ungeheure Schichte, hinter 
der am jenſeitigen Ufer die Pflanzungen und * 
den Horizont begrenzten. 

Ein reizendes Mädchen im eleganten Morgenanzuge 
war auf die Piazza des Hauſes herausgeflogen und 


ſah ſorgfältig in der Richtung des Bayou hin, von 
dem man über den mäßigen Raſenplatz durch Grup 


pen von Chinatulpen, Orange⸗ und Citronenbäumen 
einer weiten Ausſicht auf den Strom gegen Weſten 


genoß, die nur gegen Norden zu durch die Bluffs 


—$ 10 &— 


oder das Hochland begrenzt war, deren fehroffe, mit 
Jasmin und Nebengehänge überzogene Refmwände: 
fih unfern dem neben der Pflanzung hinſ er 
Bayou Hinzogen. 

- Ein ſchlanker Wuchs, ein jehr ſchöner 4 ‚ der. 
fich zuweilen etwas ſtolz aufwarf, ein zart kolorirtes 
Geficht, deſſen Mienenfpiel weniger leichte Beweglich— 
feit, al3 etwas Pikantes errathen ließ, durchdringend 
blaue Augen, Die fehr zuverfichtlich um fich blickten, 
waren die hervorftechenden Züge dieſer intereffanten 
Geftalt, die lauſchend den Blick auf das Bayou ge— 
richtet ſtand, al3 ein zweites Mädchen herangeflogen 
Fam, die, ihren Arm um den Nacken der Erſtern 
werfend, diefe freundlich auf die marmorne Piazza 
dem eifernen Geländer zuzog. | * 

„Aber weißt Du ſchon, Siſſi?“ ſprach re daß 
wir Gäſte haben und zwar —* — ſagte 
Polli. Pi | 

„Zwei Indianerinnen Sq — Squaws, u — 


die Sis, indem ſie ironiſch die ſchönen Lippen ver— 


drehte, gleichſam als fürchte ſie, das ungeſchlachte 
Wort dürfte ſie ungebührlich erweitern, „Du kennſt 
ja den Hautgout unſers Squire.“ 


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— 1 


Nein, nein, Vergy. : Pa felbft Hat fie eingeladen ; 
er fol ganz entzüdt von ihr gewefen ſeyn. Sie 
schläft noch, aber Polli jagt, fie ſoll wunderfchön 
feyn ; fte ift eben gegangen, nach) ihr zu jehen. « 
⸗Huſh Gabriele!“ entgeznete die etwas ftolge 
Schöne der zartern Schweiter, deren arglos heiteres 
Auge und blondes Lockenköpfchen einige Sommer 
weniger in die liebe Gotteswelt hineingefehaut Haben 
mochten. „Ich hörte das Parkthor, und Pa hat ihn 
zum Frühſtück geladen. Warum erdoch nicht kommt.“ 
„Recht jonderbar, Siffi, Du Haft ihn Doch ſchon 
geftern erwartet; lispelte Gabriele mit einem etwas 
ſchalkhaften Ausdrucke, der ihr zum Röckchen A Ven- 
fant allerliebft ließ. „Und dann ‚“ fegte fte ſchmollend 
hinzu, „muß er wieder hinab zum gräulichen alten 
General.“ 

„Und in die Schlacht vor den Feind ;“ ſeufzte Vir— 


ginie, die in die Säulenhalle zurüdeilte, während 


Gabriele ftehen blieb. 

„Ach, e8 ift nur eine Ordonnanz;“ ffterte Dieſe, 
indem ſie auf Siſſi zuflog und ſie wieder auf die 
Piazza zog, auf welche die Ordonnanz zugeſchritten 


| * 


4 — 2 — 


fam, die die Beiden grüßte und ins dm de Haufes 
ging. 

„Ah! fieh doch, Sifji, wie jhön ta deutete das 
Mädchen auf den Nebelhang des Miſſiſippi, der nun, 
in den ſtärker werdenden Strahlen der hinter den 
Baumgipfeln herauffteigenden Sonne aus einander 
ſtäubend, in die phantaftifchften Gebilde fich formte. 
Während ungeheure Schichten in die Lüfte verſchmol⸗ 
zen, Fräufelten ſich andere in die Formen umgeftürzter 
Kegel, zwifchen denen die in meilenweiter Ferne 
verlorenen Wälder nun näher zu treten und im 
fehnellen Laufe dem Strome zuzueilen fehienen. Die— 
jer blißte nun in feiner ganzen hehren Majeftät 
durch die Silberdünfte hervor, und Die einzelnen Boote a 
und Fahrzeuge, die auf feiner Dam Fläche of ‘a 
ſchnell hinabſchoßen oder ſchneckenartig Hinaufkre 
chen, ſchimmerten mit ihren —* m 
wie Schwäne auf dem erglänzenden Waſſerſp 

„Ach wie ſchön,“ ſprach eine ſchm elgenb 
Stimme hinter den beiden Mädchen, während zwei 
blendend weiße Arme ſich um ihre Naden —— | 
ein wunderliebliches Wefen in ihre Mitte trat. „On- " 
ten Morgen, meine Schweftern!« Die beiden: ihgen | n 














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—9 13 — 


prallten aus einander, ſahen die holde Grüßende 
einen Augenbli verwundert an und flogen dann 
Beide zugleich auf fie zu, und indem fte fie umfchlan- 
gen, preßten fie eine Unzahl Küffe auf den lieblichen 
Mund und Wangen. 

„Und Wer bift Du denn, Du lieber holder Engel?“ 
fragte Virginie. 

„Mein füßes Kind, wie fommft Du hieher? 24 fiel 
Gabriele ein. 

„Mein ſüßes, liebes Götterkind,“ fiel die Erſtere 
wieder ein, indem ſie ſie umſchlang und Kuß auf Kuß 
auf ihre Lippen preßte. 

Es war Roſa, die in der reizenden Ueberraſchung, 
die ſie den beiden Mädchen verſchafft, noch nicht Zeit 
gehabt hatte, ein Wort zu ſagen. „Sie nennen mich 
Roſa, liebe, ſchöne Schweſtern,“ lispelte fie. 

„Roſa, meine ſüße, liebe Roſa, Du holdeſte, 
ſchönſte Roſel⸗ 

Und wieder umſchlangen ſie das wunderſchöne Mäd⸗ 
chen und erbrückten es beinahe in ihren Liebfofungen. 
Es war ein lieblicher Anblick, das holde Natur- 
geſchöpf zwiſchen den zwei fein gebildeten reizenden 
Mädchen zu ſehen, wie fie aus den Armen der Einen in 


# 





— 14 


die der Andern flog. und fih im erften Augenblicke 9— 
Beider Herzen erobert hatte. Sie ſchienen ſich nicht 
ſatt an — ſehen und küſſen zu kinnes. pl 





verftummt. Die reine ungefünftete Natur —— über — 
Schwächen und die kalten herzloſen Formen des ge⸗ 
ſellſchaftlichen Lebens auf einmal geſiegt. gr 

„Sieh doch, Bruder! was wir hier haben?“ froh— 
lockte Gabriele einem elegant gefleideten Jünglinge | 
zu, der an die reigende Grupperherangefommen und, & 
nicht minder erftaunt, erſt jet bemerkt wurde. 

„Mein Bruder! Yispelte Rofa, indem fie feine 9J 
Hand zutraulich erfaßte und ihn verwundert anſah. — 

„Komm, ſüßes Kind, zur Ma!“ riefen nun Beide, —* 
fie erfaſſend und jubelnd einer würdevollen Dame zus 
eilend, die das liebe Kind freundlich willkommen hieß. 

„Du bift ja ein holder Engel!“ rief Virginie, die, 
als Rofa in den Armen der Mutter hing, erſt Seit 
hatte, ihren Anzug zu muſtern. „Und wahrlich, « | 
fuhr fie in drolliger Verwunderung fort, im neueften 
Geſchmacke angezogen. Sieh doch nur, Gabriele, # 


— 5 


diefe allerliebfte ſchwarzſeidene Robe, wie unvergleich- | 
lich fie fie Fleidet, und die niedlichen Prunelle-Halb⸗ 
ftiefelhen, und der allerliebfte Gürtel und die Spange 
und Bracelets. Wirklich, mein liebes Mädchen, die 
erſte Pariſer Künſtlerin könnte Dich nicht lieblicher 
dargeſtellt haben. Und biſt Du wirklich mit den In— 
dianern gekommen ?« 
Gewiß, liebe Schwefter.“ 

„Und Du haft bei ihnen in ihrem — wie heißen 
fie nura — 

„In ihrem Wigwam gewohnt,“ half ihr Roſa. 

Der Oberſte mit Major Copeland und Capitain 
Percy waren gleichfalls eingetreten. Zart und naiv, 
mit einem gewiſſen Ausdrucke von Hoheit, nahte fie 


— ſich den Eintretenden, und begrüßte die beiden Stabs— 





offiziere als theure Väter, den jungen Gapitain als 
Bruder. 
„Ja, Du mußt nicht fo viele Väter anerkennen ;« 
rief der Squire Iachend, indem er fie herzlich küßte. 
„Biſt wahrlich ein prachtiges Kind geworden, Gott 
fegne Dich! Der Indianer hat wahre Vaterftelle an 
Dir vertreten. Sollte es nicht gedacht haben, daß 
der alte, grimmige Tokeah Dich fo gut halten würde. 


—, 16 ⸗ 2 
« 


Bift ja jo zart, als ob Du al’ Dein Le 
einem Käftchen aufgehoben geivef N 
„Spotte nur, Pflegevater, u ſprach ⸗ DE 
und Mädchen fpotteten meiner zarten Hände und Füße 
auch, und Canondah wollte mich deßhalb nie in den. | 
Feldern arbeiten laſſen. Aber ſiehe,“ ſprach fie, wich 
habe doch einen langen, langen Weg zurückgelegt. « 

„Uber Doch nicht zu Fuße?“ — 

„Nein ‚u ſprach ſie; ihr Blick mar jedoch ſchon auf 
einen andern Gegenſtand gefallen, und fie ſah freund» 
Vieh lächelnd dem Spiele * Capitains und Virgi⸗ 





* 
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niens zu. 
Dieſer ſchien, trotz des harten Kampfes); der ji 
ſchen ihm und dem Oberſten ſtatt gefunden, mit dem J 
Haufe in einer nähern Berührung zu ftehen. Er 1 
hatte kaum der Frau feine Ehrfurcht bezeugt und ſich 
im Kreiſe herum verbeugt, als er ſich Virginien 
näherte, die bei ſeinem Eintritte glühend roth ge— i 
worden war, doch fich eben jo fehnell in eine ernfte, 
etwas ftolze Miene gezwungen umd Die Sand zurüch· . 
gezogen hatte, die er vergeblich zu erfafien gefucht. | 
Rofa hatte abwechjelnd den jungen Mann und ihre 





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2 


— 17 


neue Schwefter angeſehen. Sie ſchwebte nun auf 
Letztere zu und ſah ſie bedeutſam lächelnd an. 

„Sieh do,“ ſprach fie, „wie flehend fein Blick 
auf Dir ruht. Er iſt ein Sing aben ſanft und 
milde wie eine Taube.“ 

„Eine ſchöne Taube;“ lachte Virgine, „wenn Du 
fie kennteſt, dieſe Taube.“ 

„Liebe, meine Schweſter,“ lispelte Roſa ihr zu, 


yergißt ſich ſelbſt, um nur das Lächeln der Freude 


auf dem Geſichte des Bruders hervorzulocken.“ 
„Mein wunderliches Kind,“ ſprach Virginie, „um 


Deinetwillen ſey ihm vergeben.“ Und ! ie reichte dem 
Capitain ihre Hand. 


„Meine Lieben!“ ſprach der Oberſte, der ein ſtum⸗ 
mer Zeuge der artigen Vermittelungsſcene geweſen 
war; „vergeßt nicht, daß wir wieder hinab müſſen, 
und daß das Frühſtück unſer wartet. Komm Du 
herrliche Roſe der Wildniß! und ihren: Arm in den 
ſeinigen legend, folgte er dem Squire, der mit der 
Oberſtin den Zug führte. 

„Es iſt mir noch immer wie ein Traum,“ ſprach 
Diefer,, der nun Pla genommenihatte. „Hätte mir 
eher den Tod eingebildet, als gedacht, Dich wieder 

Der Legitime. II. 2 


918 — 


zu ſehen. Erſt als Du fort warſt, da empfanden wir, 
wie lieb Du uns Allen gewefen biſt. Ja, ja, Roſa. 
Wir haben noch nach Jahren von’ Die geſprochen. 
Und als ich heute nun ſo mit dem grimmigen Tokeah 
rede, ſieh, ſo kommt ſie heraus aus ihrer Wolldecke 
und auf mich zu, und faßt mich fo zutraulich bei der 
Hand und macht mich zum Vater, * * ein 
Wort davon weiß.“ 

„Und diefe Baterfchaft ſchien Euch nicht übel zu 
gefallen ?“ fiel ihm der Oberft in feinen etwas trocke⸗ 
nen Art, ein, „denn Ihr vergaßt darüber, den Häaupt- 
‘ing über fein Verhältniß mit Dem Dritten auszu⸗ 
forſchen. * * 

„Mit dem Britten?« fragte die ntuethen ge⸗ 
wordene Roſa. 

„Ja, liebe Roſa,“ verſetzte der — „Kennſt 
Du ihn 2 

„Gewiß; und ift mein Bruder hier gemejen tu 


„Ja,«“ lachte der Squire. „Du haft zu viele Brüder 





My, 


und Väter; das ift ein arger Zeifig, fo jung er ift. 


Ein Spion, der noch zur rechten Zeit Reißaus ger | 


nommen, fonft hinge er. Wird aber dem Galgen 
nicht entgehen. « 


— 19 


Das Mädchen hatte verwundert zugehört. 

„Aber das Nämliche dachte auch dev Miko, und er 
hat gegen feine Tochter und Rofa das Schlachtmefjer 
aufgehoben, weil er glaubte, daß fie einen Spion in 

fein Wigwam gebracht. Kann der Britte zugleich bei 
den rothen und den weißen Männern Spion feyn?“ 
fragte fie unſchuldig. 

Alle waren aufmerkfam geworden. „Du kennſt 
ihn alſo, liebe Rofe?“ fragte der Squire. 
„Gewiß,“ — verficherte fie abermals. „Er ift vor 

‚dreißig Sonnen bei und in einem Boote am untern 

MWaldfaum angekommen. Cr war vom Seeräuber 

geflohen und ſchwach und matt, und eine große 

Waſſerſchlange biß ihn, als er aus dem Boote fteigen 
wollte, und Ganondah Fam ihm zu Hülfe und tödtete 
die Schlange, und wir brachten ihn in den hohlen 
‚Baum und trugen ihn in das Wigwam, und da 
pflegte ihn Canondah, bis ex wieder hergeftellt war.“ 

„Und weiter 2 fragte der Squire, der Antheil an 
dem Schickſal des jungen Mannes zu nehmen ſchien, 
und, was eben nicht fehr häufig der Hal feyn mochte, 
der Huhnsbruſt auf feinem Teller vergaß. 

Als er gefund geworden, u fuhr fie im unſchuldig 


* | 2" 


ET U ©; — PER — BR Eu 


—: 20 >— s 


naiven Tone fort, wurde er ängſtlich; er fürchtete 
den Miko, der mit den Männern auf der Jagd war 
und fagte, er müffe zu den Seinigen, Die gegen die 
Weißen diefed Landes Krieg führten. Gr wurde mit 
jedem Tage verſtörter. Da ward mir bange um den 
Yeidenden Bruder, und das Herz drohte mir zu zer⸗ 
fpringen, und ich flehte zu Canondah und bat und 
beſchwor fie, ihn nicht Länger zurückzuhalten und ihn. 
zu den Seinigen gehen zu laſſen; denn der Miko 
würde ihn, wenn er ihn gefunden, im Glauben, daß 
er ein Späher der Weißen ſey, mit dem — 
getödtet haben.“ 
„Und weiter?“ fragte der Squire 
„Und Canondah,“ fuhr fie fort, „wollte nie 

Roſa mußte drohen und jagen, fie ſelbſt wolle dem 
Bruder den Weg zeigen oder mit ihm’ im Sumpfe 
erſticken. Sie hätte wohl diefes gelonnt, aber ſie 
hätte den Pfad nicht gefunden ,« unterbrach fie ſich; 
wer iſt ſchmal und nur dag Häuptlingen amd det 
Tochter des Mito bekannt. Selbſt die Squaws wuß⸗ 
ten ihn nicht. Mind Canondah gab weinend den Bitten 
Roſas nach, und dem weißen Bruder hing ſie eine 
Wolldecke um und band die Mocaſſins an ſeine Füße 


a 


1 

und den Wampumgürtel um feinen Leib, und fie 
färbte feine Haut, um die Verfolger zu taufchen, und 
fie führte ihn über den fehmalen Pfad auf das jen- 
feitige Ufer des zweiten Sluffes. Es hat Canondah 
und Roſa vieles Herzeleid verurfacht; denn als der 
Mio zurück Fam und er von den Weibern hörte, daß 
ein weißer Fremdling im Wigwam gewefen, wurde 
fein Angeſicht finfter, wie das des reißenden Panther; 
denn er. dachte, der Britte jey ein Späher, und ſchon 
batte fich feine Hand erhoben, um das Schlacht- 
mefjer im die Bruft feiner Tochter und Roſa's zu 
fioßen ; der gute Gott hat ihn jedoch zurück gehalten.“ 

„Und der Britte Hatte den Mike nicht gefehen?« 
fragte der Squire. 

„Der Mio ift feiner Spur nachgeeilt; ob er ihn 
gejehen hat, weiß ich nicht.“ 
© Und was will der Miko mit den Indianern hier 24 
Er hat einen langen Traum gehabt, den er erfüllen 
muß, weil e8 ihm der große Geift geboten hat. &r 
geht mit feinem Sohne zu den mächtigen Cumanchees; 
die Seinigen find bereitö abgegangen, er ift nur mit 
Wenigen zurück in die Niederlaffungen der Weißen. 
Und der große Häuptling der Cumanchees wollte den 


m | 
Bater feines: Meibes nicht allein ziehen Yaffen. Der 
arme Miko hat feine Tochter verloren, und Roſa hat 
ihn gleichfalls begleitet; ſonſt wirden ja,“ ſetzte ſie 
mit naiver Unſchuld hinzu, „feine Augen vor 
erblinden. 4 
Die Geſellſchaft Hatte mit Berwunderung und Nüfe 
rung dem einfachen Bortrage der reizgenden Sprecherin 
zugehört, der allerdings für fie von größerer Wich⸗ 
tigkeit war, als die Erzählerin ahnen mochte, indem 
fie einen Lichtftrahl auf die plötzliche verdächtige Er— 
ſcheinung des Britten und der Indianer warf. Sp 
wenig eine folche Erſcheinung zu einer andern Zeit 
beachtet worden wäre, fo bedeutend wurde fie im ge- 
genwärtigen Augenblicke, wo die Vertheidiger des 
Landes auf dem Punkte ftanden, nahe an zweihundert 
Meilen den Strom hinab gegen den auswärtigen 
Feind zu ziehen. Selbft eine Eleine Horde yon India= 
nern mußte, mitihrer Art Krieg zu führen, nicht nur 
endlofen Jammer in den zerftreuten Niederlaffungen 
jenſeits des Stromes verbreiten : ein feindlicher Ueber⸗ 
fall konnte felbft dem Gange des Krieges. eine un— 
günftige Wendung geben, indem er natürlich die Mi- 
lizen, die die Ihrigen den blutigen Tomahawks preis⸗ 


” 


— 3 — 


gegeben jahen, entmuthigen, fie vielleicht gar bes. 
wegen würde, die ohnehin ſchwache Armee zu ver- 
laſſen, um den Ihrigen zu Hülfe zu kommen. Die 
ungefünftelte, das Gepräge unverfennbarer Wahr⸗ 
heit an ſich tragende Erzählung war daher eine wahre 
Wohlthat für die beſorgten Väter geworden. 

„Und warum,“ fragte der Squire nach einer Weile, 
what der Narr nicht geſagt, woher. er feinen Wam— 
pumgürtel und Fellwamms hat?“ 

»Ganondah ‚“ verfeßte Rofa, what ihn beim großen 
Geifte ſchwören laſſen, daß er nicht verrathen wolle, 
wo er gewefen. Der Miko fürchtet die Weißen fehr, 
und er hat ſich in ein Land gezogen, wo er fie nimmer> 
mehr ſehen will. « 

„Ja, das iſt's!“ verfegte der Squire nad) einer 
Paufe, während welcher er eingeholt, was er wäh— 
rend der Erzählung allenfalls verſäumt haben mochte. 

Gabriele und Roſa hatten ihr Mahl geendet und 
die beiden Mädchen flogen ſchäckernd aus dem Saale. 

„Immerhin dürft Ihr nicht vergeſſen,“ Hub wieder 
der Oberfte an, „daß, jo wenig die Wahrheit dieſes 
lieben Kindes zu bezweifeln fteht, die Indianer, wenn 
fte etwas im Schilde führen jollten, nicht Roſa zur 













. > Bertrauten gemach haben es Ib en. Obwohl Träume 

viel vermögend bei ihnen fine, ſo aſha di ſe r weite 
Ausflug eines Traumes wegen dochi immer fonderbar. a. 

„Mir nicht,“ entgegnete der Squire. „Sie | he N E 
Taufende von Meilen, wenn ihnen der große S: E 
im Schlafe es zuflüftert, wie fie jagen, Und dam * 
müßt Ihr wohl bedenken, daß die Indianer gerade 
auf unfre Niederlaffungen gekommen. 8 | | 
etwas Arges im Schilde, glaubt Ihr, fie wären den’ 
Atchafalaya herüber, ohne fich umzufehen? Und dann, 
würden fe wohl das Kind mitgenommen haben? 
Sahet Ihrnicht, wie der Indianer plötzlich ale Faffung _ 
verlor, als ich ihm ankündigte, daß Ihr feine Pflege⸗ 
tochter zu Euch geladen? Konnte kaum meinen Augen 
trauen, wie ich ihn jo bewegt jah. Und ihre Klei⸗ 
dung und Gefchmeide verrathen ja offenbar, daß fte 
von ihm über Alles Hoch gehalten wird. Die reichfte 
Erbin dürfte ſich nicht ihres Anzuges ihämen. u 

„Eben diefer Anzug,“ eriwiederte der Oberſte, 
„macht mir das Ganze um fo unerflärbarer. Woher 
kann der Indianer diefe Dinge haben ? ⸗) 

Ihr vergeht, daß er der Schwiegervater des Cu⸗ 
manchee iſt, der vor Gold ſtarrt; dieſe Cumanchees 





— 
— 
Fre 


=. 


> find, höre ich von unfern Männern, die hinüber nach 


Santa Fee und Merico handeln ‚ reiche Wilde, im 
ewigen Kriege mit den Spaniern begriffen, von denen 
fie oft große Beute machen. « 


0 nDer Schnitt diefer Kleider und die Façon ihrer 
Geſchmeide ift englifch , Vieber Squire,“ bemerkte die 


Dame, „und zwar im beften, neueften Gefchmadfe. u 

„Und das ‚u verfegte der Oberfte, „ist allerdings 
bedenklich. Ihr wißt, John Bull, obwohl er breit 
auf feine Taſchen ſchlägt, ift Kein folcher Narr fie zu 


leeren, wenn er dabei nicht zehnfach gewinnen Fann. 
Das Raͤthſel ift fo wenig gelöst, daß es mir im Ge- 


gentheil nur verwickelter vorfommt. u 

„Wir wollen bald dem Hacken einen Köder finden, « 
fprach der Squire ; „ohnedem haben wir eine Zuſam⸗ 
menkunft mit den Indianern, und es müßte ſchlimm 
bergehen, wenn wir nicht das Wahre heraus fünden. « 

Die Töne des Pianpforte unterbrachen das etwas 
ernft gewordene Tifchgefprach. Die Gefelfchaft, ala 
jehe fte die bezaubernde Wirfung voraus, welche die 
Muſik auf das Naturfind hervor bringen würde, er- 
hob fich von der Tafel und trat in den Saal. 

Roſa Hatte mit der naiven Neugierde eines Kindes 





— BR 


die prachtoolle Einrichtung, Die herrlichen — ”. 


die glänzend feidenen Vorhänge, die duftenden Roſa⸗ 
holz Meubeln, die marmornen Statuen — 
und war in lieblicher Einfalt von einem Gegenſtande 
zum andern gehüpft, als Gabriele zum Pi 3 an orte 7 
fehlüpfte und einige Töne anfchlug. ‚Diefe Horihte 

hoch auf, als die zarten Finger über die Taften hin— 

ſchwebten und einige ergreifende Akkorde erlangen. — 
Sie flog auf das Inftrument zu und jah hinein mit‘ 
kindiſch naiver Einfalt, und breitete die Hände dar— 
über, als wollte ſie die fanften Töne erhafchen und 





mit. verwundertem Blicke hielt fie es, als fürdhtete 


fie ſich, fie würden entfliehen. Allmählig, ala Ga- 
briele nach dem fanften Vorſpiele in die Romanze des 
Troubadours einſchlug, da malte ſich in ihrem Ge— 
ſichte ein ſtilles, namenloſes Entzücken, ihre Augen 
begannen zu leuchten mit der Gluth unnennbarer 
Wonne, ihre ganze Geſtalt ſchien von einem elektri— 
ſchen Feuer berührt. Sie umgaukelte ſich ſelbſt, wie 
ein lieblicher Schmetterling und, ſo wie dieſer ſeine 
zarten Flügel, fo breitete ſie ihre Hände aus, als 
wollte fie die garten Töne umarmen; ihre Füße hoben 
ſich, fie berührte kaum mehr den Teppich, jede ihrer 





{4 
Bewegungen war die fehönfte Poeſie, ihr ganzes | 
Weſen Verklärung geworden. . Eben war die Gefell- 
fchaft eingetreten, als die Töne ihre Kraft auf das 
holde Geſchöpf zu äußern anfingen. 

Sie ſahen dem Ausdrucke der Natur mit Berwuns 
derung und Staunen zu. Ein herrlicherer Tanz war 
nie gefehen worden. Zulebt flog fie, mit Thränen 
in den Augen, überwältigt von der füßen Empfin= 
dung ‚ Gabrielen an den Hals. 

„Ich Bitte Dich um Gotteswillen, Schwefter, tödte 
mich nicht ; ich fterbe, meine Seele eilt davon mit den 
entzückenden Tönen.“ 

- Und dann fegte fie fich Hin, und eine Thräne perlte 
nach der andern über ihre Wangen. 

„ch ‚u lispelte fie; „wäre ich Doch geftorben! wäre 
ich geſtorben!“ — \ 


Beh: 5 va mie Dh due 





BL) 6 F i A 
Der Vortheil ift Dein Gott, der meine bleibt 
Gerechtigkeit, und ſolche Feinde fehließen ag 
ficgere Bündniſſe. 
Bäthe. 


Das Tiebe Mädchen hatte innerhalb der zwei Wo— 


hen, während. welcher ‚wir fie aus den Augen ver— 


Ioren haben, unendlich gewonnen. Sie war zuver⸗ 
ſichtlicher, natürlicher ; ihr Blick Hatte ſich aufgehellt, 
ihr ganzes Wefen war felbftvertrauender, ja ſelbſt⸗ 
ſtändiger geworden. Der gänzliche Mangel an Selbft- 
ftändigfeit oder vielmehr das Gefühl ihrer gänzlichen 


Hülfloſigkeit, vorzüglich aber das empörende Der 


wußtfeyn, fich einem Menfchen aufgeopfert zu wiſſen, 
den ihr reines Gemüth verabfcheuen mußte, hatte 
ihrem ganzen frühern Wefen etwas fehmerzlich De— 
müthiges, etwas Troſtloſes gegeben, das um fo 
peinlicher auffiel, als ihr dunkles Verhältniß, ihr 


ſelbſt nicht ganz Hlar, ihrem ganzen Aeußern etwas » 
* unnatürlich Geheimnißvolles verlieh. Mit dem Auf- 


er 


hören dieſes unnatürlichen Verhältniffes zum See— 


* — 
20 ⸗— 


rauber Hatte ſich nun ihr, niedergedrücktes Gemüth 
‚nicht nur. aufgerichtet, ſondern die ſchreckliche Cata— 


ſtrophe, welche die Wilden und vorzüglich den Miko 
getroffen, hatte auch ihre Lage auf eine Art geändert, 
die, fo ſchmerzlich ſie das jammervolle Ende ihrer 
Freundin noch immer empfand, nichts deſto weniger 


einen vortheilhaften Einfluß auf ſie äußern mußte. 
Der durch den Tod der Seinigen in ſtumpfe Bewußt⸗ 
loſigkeit verſunkene Miko hatte Vieles von dem ihm 
eigenthümlichen herriſch ſtarren unbeugſamen Sinn 
verloren und war nun gewiſſermaßen ſelbſt in jene 


Hulfloſigkeit verſunken, die, wie es fehlen, in ihr 
und ihrem reinen kindlichen Gemüthe allein Troſt, 
Stütze und Labung fand. Nur ſie war im Stande 
geweſen, ihn zuweilen aufzuhellen; ſeine erſtarrte 
Seele, ſchien es, fand es für nöthig, ſich an ſie zu 
halten und ſich zuweilen zu ſonnen an den Erinne⸗ 


‚zungen verflofiener Tage. Dieje allmählige Aner- 


fennung einerfeit3, fo wie die zarte Aufmerkſamkeit 
des jungen Häuptlings andererſeits, ‚hatte das edle, 


‚reine , ſich ſelbſt vergefiende und nur im Wohle An- 
derer ‚lebende Gemüth auf, den Zittichen der ‚Liebe _ 


y — 
30 &— 
emporgehoben und ihr allmählig eine höhere Beto- 
nung gegeben. Sie war noch immer Kind, eine zarte 
unſchuldige Seele; aber die Gataftrophe war der 
‚Prüfftein ihres Lebens geworden, dem fie num eine 
höhere Richtung gab. Die höhere Würde der zarten 
"Jungfrau fing ang ſich in ihr zu regen. 
Und die Wechfelwirkung diefes erhebenden Gefüh- 
les war allmählig in einer Art von Herrſchaft be— 
merfbar getvorden, der ſich willig zu unterziehen ihre 
Umgebungen einen befondern Reiz zu finden ae ; 
“eine Grfcheinung , die vielleicht eben fo ſehr dung die 
"bezaubernde Anmuth des Mädchens, als hie ſelbß 
von dem ſtolzeſten Indianer der weißen Race —** 
maßen nothgedrungen zugeſtandene Ueberlegenheit zu 
erklären geweſen ſeyn dürfte. Selbſt der Mikd hatte 
ſich in den letztern Tagen einer ſcheuen Ehrerbietigkeit 
nicht erwehren können: EI Sol ſchien fie als ein 
Weſen höherer Art zu betrachten und nahte ſich ihr 
mit einer Schüchternheit, einer Zartheit, die bielleicht 
den gebildetſten Damenritter beſchämt haben würde. — 
Auf dem ganzen Wege hatte er ſo zu ſagen mit freu⸗ 
ditger Furcht ihre Teifeften Wünſche erfüllt, mit der 
zarteften Sorgfalt jeden Schritt ihres Pferdes ber 





— 1.31 — 


wacht, jeden Wink ihrer Augen abgefehen und bei= 
‚nahe nur in ihrem Dienfte gelebt. Sp wie diefe An⸗ 
erkennung ihres fittlichen Werthes auf ihren Geift, 
fo hatten die Zerftreuung auf der langen Reife, die 
abwechjelnd prachtvollen Naturſcenen und die reinen 
Lüfte der grenzenlofen Wiefen der Attacapas und 
Opelouſas, auf ihren Körper gewirkt und ihr eine 
Lebhaftigkeit, eine Brifche verliehen, die ihrer herr⸗ 
lichen Luftgeftalt ungemein wohl ftanden. 
Pan konnte Faum etwas Nührenderes jehen, ala 
dieſes anmuthsvolle Weſen, wie fie dem erftarrten 
Wilden füß fehmeichelte und ihm Durch die zarteften 
unſchuldigſten Liebfofungen -zu neuem Leben zu er⸗ 
werfen fich bemühte. Allmählig war e8 ihren unaus- 
‚gefeßten Bemühungen auch gelungen, den alten Mann 
wieder zu einigem Bewußtſeyn zurückzubringen. Nur 
erſchien mit dieſem auch eine gewiſſe Beklommenheit, 
eine Aengſtlichkeit, die in demſelben Maße zunahm, 
als er ſich den Niederlaſſungen der Weißen näherte. 
Mit jedem Schritte, den der kleine Zug vorwärts 
that, wurde nämlich die Miene des alten Häuptlings 
grollender, ſeine Ungeduld ſtärker; ſein Stumpfſinn 
ſchien ihn nur zu verlaſſen, um einer keifenden, zanf- 


* 


32 — 


ſüchtigen Laune Platz zu machen. Als ſähe er die 


Demüthigungen voraus, die er von den Weißen wu 
erwarten habe, verfuchte er ſich zuvor gegen: ſie zu B 


ſtählen und zu ermuthigen. Stunden lang war er 
zankenden grollenden Selbjtgefpräche begriffen, in * 


er den Weißen Reden in den Mund legte, um rn mit 


Trotz und Hohn zu beantworten. 

Sp waren fie auf demfelben Wege, den der India- 
ner den Britten geführt, nämlich auf dem Pfade der 
Coshattaes dem Atchafalaya zugeritten, den Miko 
und feine Oconees ausgenommen, die, ‚getreu Der 
Sitte ihres Stammes, neben den: Pferden einher- 
fchritten. Oberhalb Opeloufas am Atchafalaya an- 
gekommen, hatten fie Diefe mit den Pawnees zurück- 
gefandt, und -angefangen ein Rindecanoe zu bauen, 
als fie in dieſer Befchäftigung vom zweien der vom 
Magiftrate von Opeloufas ausgefandten Männer 
entdeckt und bald darauf von einer Fleinen Abtheilung 
Milizen überrafcht und zu Gefangenen ** 
wurden. 


Obwohl die Indianer weder Widerſtand noch luft " 


verfuchten und ihr Boot gelafjen vollendeten, jo hatte 
die ftarre herriſche Art, mit der man fie aufforderte 


1 De er A ie 4 


—9.33 &— 


unverzüglich zu folgen, und die gehäffigen mißtraui- 
ſchen Blicke, mit denen fie gemefjen. wurden, ihren 
Stolz jo empfindlich gefränft, daß, ohne des Miko 
eindringliche Bitten, wahrſcheinlich ein Kampf daraus 
entftanden wäre. Als fürchtete er nun jede Berüh- 
rung mit feinen trogigen Erbfeinden, hatte er fi 
ſchnell an die Seite feiner Pflegetochter zurückgezogen, 
die, in eine Wolldecke gehüllt, auf einem Baumſtamme 


geſeſſen war. Noch ſprach fie freundlich mit dem alten 


Manne, als El Sol Fam, um fie in das Boot zu 
führen. Die Wolldecke war ihr zum Theil in der 
Bewegung entfallen, als fte auf das Fahrzeug zutrat. 
Der Anblick des weißen reich gekleideten Mädchens, das 
freundlich und froh ſich mit dem alten Indianer unter- 
hielt, Hatte in den Sinterwäldlern eine Umwandlung 
hervorgebracht, die, wäre fie durch einen Zauber- 
ſchlag bewirkt worden, nicht plößlicher oder größer 
hätte ſeyn können. Ihr rauhes gebieterifches Wefen - 
war auf einmal der zuvorkommendſten Aufmerkſamkeit 
gewichen. Alle waren zurückgetreten, als ſich ihnen 
das Mädchen grüßend nahte, ihr Führer hatte artig 
ſeine Hand angeboten, um ihr beim Einſteigen zu 
helfen, war aber vom Cumancheehäuptlinge zurück— 
Der Legitime. TIL Ä 3 





2 — 4 


halfen —* Selbſt Se Valediging erttug ber 
Befehlshaber zur nicht geringen Verwunderung des 


Wiko, dem, obgleich ſcheinbar ſtarr und in ſich ver⸗ 


funken, keine Bewegung ſeiner Feinde entgangen war. 
Mährend ber ganzen Ueberfahrt waren fie mit einer 
Schonung von den Weißen behandelt worden, die 
gegen das barſche, herriſche Benehmen bei dem Ueber- 
falle zu ſehr abſtach/ um nicht auch El Sol aufmerk⸗ 
ſam zu machen. 

Im Depot angekommen, waren fie zwar im Wacht⸗ 
hauſe eingebracht worden der. Führer der Abtheilung 
nahte ſich jedoch ehrerbietig dem Mädchen und bat fie, 
einftweilen feine Begleitung in den Gafthof anzuneh⸗ 
men. Sie fhlug dieſes freundlich aus und blieb mit den 
Indianern in der Stube, wo fie endlich durch Die 
Ankunft der Offiziere aus ihrem Zweifel geriſſen 
wurden, von denen ber Falkenblick des Squire den 
Miko fogleich erkannte. Auch Diefer hatte den von 
ihm nichts weniger als billig behandelten Ziwifchen- 
händler herausgefunden, und ſich zudend aufgerichtet, 
als er feine Anrede begann. Da trat aus dem Hinter⸗ 
grunde Roſa hervor, und, aus der Wollderfe ſchlü— 
pfend, warf fie ſich dem erftaunten Squire um den 


Ye - a a nu CE 5 ah £ Bi N n SM ” * u; TRETEN 
m, F — My Y 
" ——— 5— u? “ * 


9— 35 — | * 2 


Hals, der faum feinen Augen trauend fie ſtarr * 
ſchaute, bis ſie ihm endlich mit den Worten: „Deines 
Roſa,“ fein Pflegefind ins Gevächtnif zurückrief. a 
Da umſchlang auch er fie mit einer Herzlichkeit ‚bier 
ihn für eine geraume Weile Alles vergefien machte. 
Die ausgezeichnete Achtung, mit der auch die übri⸗ 

gen Offiziere das liebliche Kind empfingen, Defnge 
ernſte Unterredung , die fie mit einanbwe hielten und x 
die mildere Anrede des Squire, daß er glaube, or 
keah ſey in Friede und Freundſchaft gekommen, fo 
wie der Umftand, daß fie fogleich aus dem Wacht⸗ 
= in den Gafthof geführt und dem Wiethe als 

Gäſte der Regierung zur beſtmöglichen Sorgfalt 
überantwortet wurden, dieſe Umſtände klärten endlich 
den im langen Verkehr mit ſeinen Feinden mit den 
verſchiedenen Behandlungsarten, die ſie ſeiner Race 
angedeihen ließen, wohl bekannten Miko allmählig 
über die plötzliche Sinnesänderung der gefürchteten 
Weißen auf. Dieſe Sinnesänderung hatte natürlich 
eben fo ſehr in dem achtungsvollen Benehmen des 
Amerikaners gegen das weibliche Gefchlecht über» 
haupt, als der Borausfegung insbefondere feinen 
Grund, daß Indianer, die in einer ſolchen Begleitung 
3* 


; RE 


— 3 — 

erſcheinen, nicht feindfelige Abftchten im Schilde füh- 
ven fonnten. Dem alten Manne, der ſich ſchon auf 
Kränfungen und Demüthigung aller Art gefaßt ge- 
macht hatte, that diefer-Sonnenftrahl in feinem fin- 
ſtern Geſchicke wohl. Der gebeugte, gebrochene, 
unter der Laft feines Schickſals erliegende Häuptling 
war ſchwach geworden; er fühlte zu feinem bittern 
Schmerze, daß er nicht mehr die Kraft habe, dem 
Feinde, der ihn im feiner Jugend und Mannesalter 
zermalmt hatte ‚ entgegen zu treten. Die Großmuth 
kam ihm daher wie Yindernder Balfam auf feine tödt⸗ 
lich eiternde Wunde. | 

Sp war e3 denn natürlich, daß er ſich von ihr, 
die er num für feinen Schußgeift anfah, mit Kummer 
und Schmerzen trennte, und nur die Verficherung des 
Squire, daß er für Roſa Hafte und fie ihm nicht ent« 
riffen werden folle, Eonnte ihn bewegen, fie mit dem 
Oberften gehen zu laſſen, der fie ehrerbietig in fein 
Haus geladen hatte. Als fie aber ſchied, da verließ 
den ftarren Wilden feine Faſſung auf eine unbegreife 
Viche Weife. Er ftarrte ihr ins Geftcht, als wollte 
er fie ich recht ins Gedächtniß prägen, damit fie ihm 
nicht verwechfelt würde. Er umfaßte fie, feine Stimme 


= 


— 37 — 


ſtockte, als er feine Hand auf ihr Haupt Iegte und fie 


ſegnete. 


Noch rannte er ihr nach, als ſie ſchon aus der 
Thüre war, umſchlang ſie wieder und ſegnete ſie 
nochmals. Der junge Häuptling bezeugte ihr ſeine 
Ehrerbietung auf eine bei dem ſtolzen Indianer nicht 
minder ſeltene Weiſe. Er begleitete ſie mit dem 
Deoneemädchen, welches ihren Kleiderbündel trug, 
und feinen beiden Männern bis an die Thürſchwelle. 
nDie Weißen beugen ſich vor Nofa,“ flüfterte er ihr 
mit wehmüthig hohler Stimme zu: „ihr Bruder 
ſtirbt für fie; und, fein Haupt auf feine Bruft neigend, 
ſchwieg er eine Weile, und dann ſchied er. Nach der 
Trennung von Roſa fielen die beiden Häuptlinge in 
ihr voriges düfteres, ftarres, brütendes Schweigen, 
aus dem fie nur durch die Trommeln geweckt wurden, 
die das Zeichen zur Vereinigung der Truppen gaben. 

Der Anblick der Milizen, die, beiläufig taufend 
Mann ftark, fih nun in zwei Bataillone aufftellten, 
regte in dem Wilden plößlich all den Haß auf, der 
fein ganzes Leben fo unnennbar unfelig gemacht hatte. 
Mit ftarrem Staunen, halb mit Entfegen, folgte er 
jeder Bewegung, jedem Schritte der Truppen mit 


f 


— ⸗— 


einer Aufmerkfamteit, in der ein unfägtich bitteres 
Gefühl ſich ſpiegelte. Die Mannſchaft von Opelou⸗ 
ſas, die von den Offizieren eingetheilt wurde, ſchien 
ihn weniger zu intereſſiren, vieleicht weil er ſich be— 
wußt war, daß auch er mit feinen Oconees gegen den 
tegellofen Ungeſtümm des noch ungeordneten ſchwan⸗ | 
kenden Haufens mit Erfolg ftreiten Eönnte. Als aber 
das gefchlofiene Corps des vom Oberften fomman- 
dirten Bataillons feine verfehiedenen Evolutionen 
auszuführen begann, da überzog ſich das Geficht des 
alten Mannes mit einem grauenhaften Ausdrude von 
Sammer, Bitterkeit und Grol. 

„Sieht mein Sohn,“ ſprach er mit leifer zitternder 
Stimme im Pawneedialekte, als fürchte er, feine 
Veinde würden das von ihm ausgefprochene zwei⸗ 
deutige Lob hören, „ſieht mein Sohn, wie die Weißen 
ſchlau ſind. Die rothen Männer werden nimmer den 
Tomahawk in ihrem Blute farben; fie ſind unbändig 








und ſtolz, wie der Büffelſtier, aber wenn fie dad 


Kriegögefchrei erheben, fo werden fie zabm und 
folgen nicht Einem Führer, wie die rothen Männer, 
jondern vielen, die Alle unter Einem find.“ 

Und treten fo, wie die Herde den Jäger, die rothen 


30 — 


Männer lachend nieder;“ erwiederte EI Sol eben fo 
leiſe, ohne von den Bewegungen der Truppen, Die , 
nun im Sturmfohritte auf fie zufamen, ein Auge zu 
verwenden. 

„Tokeah,“ ſprach er nach einer langen Baufe, hat 
oft mit. feiner Seele gefprochen, woher es kommt, 
daß der weiße Mann fo trogig und wieder fo folgfam 
ift. Die rothen Männer ſind bloß trotzig; ihnen 
wird nie geholfen werden.“ 

„Warum,“ ſprach er wieder nach einer viertel- 
ftündigen Baufe, „find doch die rothen Männer blind 
gemacht vom großen Geifte? Warum verhüfft er feit 
vielen Sommern fein Antligtua | 

„Im Leben des rothen Volkes ift det große Geift 
nieht; er ift ihnen zum Stiefvater in ihrem eigenen 
Lande geworden; fie müffen fluchen dem Leben, das 
er ihnen gegeben hat. « 

„Mein Vater fpricht Worte der Finfternig,“ ver- 
wies ihm EI Sol; „das Antlik des großen Geiftes 
wird fich ummörfen. 

„Es hat fich ſchon umwölkt. Er mag den Donner 
aus feiner Wolfe fehleudern; Tofeah wird ihn fegnen. « 

Der junge Häuptling trat entfeßt zurück. 


— 10 > 


„Ja, der große Geift,u ſprach der mit fich zer- 
fallene Alte, „iſt wie ein ſchönes Weib, er liebt die 
glatte Haut der weißen jüngern Söhne, die Altern 
hat er verftoßen; fie verfehwinden von der Erde — 
von dem Erbtheile ihrer Väter, er bläst fie mit feinen 
Winden zur See gegen Sonnenuntergang Wenn 
fie jenſeits der Felſenberge angekommen ſeyn werden, 
ſo braucht er ſie nicht in das Salzwaſſer hinein zu 
ſtoßen, es wird ihrer Keiner mehr da ſeyn.“ 

„Läſtere den großen Geiſt nicht, alter Mann!“ 
rief ihm El Sol drohend zu. 

„Läſtern?“ wiederholte der mit ſeinem Schickſale 
hadernde Indianer, „hat Tokeah geläſtert, iſt nicht 
ſein ganzes Leben eine Läſterung des großen Geiſtes? 
Warum,“ murmelte er mit erboster Stimme, „warum 
verfolgt er Tokeah umd fein Volk von ihrer Geburt 

an? Was haben fie verbrochen? Warum fhlägt er 
fie? Hat Tokeah Böſes gethan? Warum züchtigt 
er feine Kinder? Warum hat er feinen Feinden die, 
Schlauheit des rothen Hundes, die Stärfe des Büf⸗ 
fels, den rothen Männern die Blindheit der Eule ge- 
geben, die beim hellen Tage im Finſtern tappt ?“ 

»Die rothen Männer werden helfe fehen und wieder 





— 41 


zum Leben erwachen in Senorars und Senowhares 
Gefilden; der Seher Blackeagle hat es verkündet ;u 
tröftete ihn El Sol. | 

Ein Soffnungsfhimmer durchzuckte das Angeficht 
des alten Mannes: „mein Sohn hat Recht,“ ſprach 
er, und wieder verfiel er in fein voriges Dahinſtarren. 

In dieſen düſtern Ausbrüchen waren Stunden ver⸗ 
gangen; kaum daß ihn die Seinigen vermochten, an 
dem reichlichen Mahle Theil zu nehmen, das ihm die 
Gaſtlichkeit der Weißen bereitet hatte. Als wolle er 
ſich recht ſelbſt quälen durch den Anblick dieſer ge— 
haßten Weißen und ihre Ueberlegenheit in Anzahl 
und Kriegsübung, ſo war er hinausgeeilt, hatte ſie 
einige Zeit angeſtarrt und war wieder troſtloſer zurück— 
gekehrt, um dasſelbe in einer halben Stunde wieder 
zu thun. 

Als endlich das Bataillon entlaſſen worden war, 
und die Oberoffiziere ſich dem Gaſthofe näherten und in 
den Saal traten, in welchem nun auch die Indianer 
eingeführt wurden, ſah ihnen der alte Mann mit einer 
Sehnſucht entgegen, die den Offizieren, die mit ſeinem 
ſchrecklichen Gemüthszuſtande natürlich wenig oder 
gar nicht bekannt waren, auffiel und natürlich beitrug, 


— Re er * 
eine gewiſſe vertrauungsvolle Stimmung zwiſchen 
beiden Parteien zu erzeugen. Als die Offizier 2 Tab 
genommen hatten, ließen ſich auch die Indianer auf 
ihre gewöhnliche Weife auf den mit Teppiche beleg- 
ten Fußboden nieder, indem fie, auf ihren Schenkeln 
ſitzend, ihre Beine in einander kreuzten. 

»Wünfchen meine rothen Brüder mit der Zun 
der rothen Männer zu fprechen, oder wollen fie i 
Botfehaft mit der der Weißen verkünden ?« — 
Squire. — 
„Der Miko der — iſt ferne von den Seini⸗ 
gen, und ſeine Augen ſehen viele Weiße; er will mit 
der Zunge der Weißen reden,“ verſetzte der alte Mann 
nach einer Paufe. 

„Unſere Männer,“ jo hub der General an, „haben 
die Fußſtapfen ihrer rothen Brüder gefehen, ehe fie 
das Gange beftiegen, um an den großen Fluß zu ges 
Yangen; fie haben diefes unferem Bruder, dem Häupt⸗ 
ling Copeland, berichtet, und er bat die rothen Män- 
ner. hieher führen laſſen, damit ihre weißen Brüder 
erfahren, weßhalb fie gekommen find, undyob fie 
ihrer Hülfe bedürfen ?u 

Der General fprach diefe Worte in einem zutraus 





43 ⸗— 
lich würdevollen Tone, der augenſcheinlich berechnet 
war, die Indianer in guter Stimmung zu erhalten. 
Ein unmerflich bitteres Lächeln Hatte ven Mund des 
Greifen während derfelben verzogen. Nach der ge— 

wöhnlichen Pauſe erwiederte er: 
„Tokeah hat viele Sommer gefehen, und in der 
Halfte derſelben ift er, ein freier und gewaltiger Miko, 
9. Oconee bis zum endloſen Fluſſe gegangen, ohne 
daß ihm Schlingen gelegt worden wären. Warum 
darf der Miko mit den Seinigen nicht frei gehen, wo— 
hin er will? Sind die weißen Männer jo furchtfam 
geworden, daß die Schatten von fechs rothen Män— 

nern und zwei Mädchen fie erſchrecken?“ 

„Daß die weißen Männer ihre rothen Brüder nicht 
fürchten, weiß der Miko am beften,“ verfeßte der 
General; „auch ift er ein zu großer Häuptling, um 
nicht auch zu wifjen, daß, wenn man den Tomahawk 
ausgegraben Hat, die Augen offen ſeyn müſſen, um 
Diejenigen zu zählen, die ſich dem Lager nähern. 

„Hat der weiße Sauptling je den Tomahawk gegen 
die rothen Männer erhoben?“ fragte der Indianer 
nach einer Weile. 

„Nein, aber gegen die Söhne des großen Vaters 


4 


der Ganadas. Ich Kin der Befehlshaber dieſer a 
tungswerthen Männer, die in vielen STR ge: 
kämpft haben. « 

„Sp frage der weiße Häuptling feine Brüder, u 
verjeßte der Indianer nach einer langen Paufe, „und 
fie werden ihm jagen, daß die rothen Männer nicht 
mit ihren Squaws gehen, um das Schlachtgefehrei 





zu erheben. Der Mifo ift mit feinem So dem 


mächtigen Hauptlinge der Cumanchees, im Frieden 


gefommen. Tokeah ift alt geworden; ſetzte er bes 


deutfam hinzu. 

„Und die weißen Männer ftreefen dem alt gewor- 
denen Miko und feinen Brüdern die Palmen ihrer 
Hände zum Friedenszeichen entgegen;“ erwiederte der 
General. „Aber die rothen Männer find Hug,“ fuhr 
er. nach einer Eleinen Pauſe fort, „und fie lieben ihre 
Wigwams und Jagdgründe ſehr. Warum haben ſie 
einen fo weiten Weg gemacht?““ | 


Der Indianer fah den Sprecher eine Weile for= 


[hend an. „Wenn der große Vater etwas mit feiner 
Seele redet, behält er es nicht für ſich?“ Ss 


„Der große Vater ift in feinem Land ‚und die 


Seinigen fehen feine Wege; aber der Miko, frägt er 





. 


9 45 — 


nicht auch den Fremdling, den er in feinem Wigwam 
findet?“ antwortete der General. 

„Iſt Tokeah ein Bremdling im Lande feiner Väter? « 
fragte der Wilde mit unfäglich wehmüthiger Bitter- 
feit. „Ja, er iſt's, er hat bereits ſeit vielen Som— 
mern nicht mehr den Tomahawk gegen ſeine weißen 
Feinde erhoben. Er hat ihn begraben und er iſt roſtig 
geworden. Er iſt auf breitem Pfade gekommen, 
nicht wie ein Dieb; aber er iſt ein Fremdling in fei= 
nem Lande geworden. 4 

„Uber die rothen Männer find Feine Thoren, die 
nicht wiſſen, was ſie thun. Hat nicht der Vater der 
Canadas Tofeah durch feinen Boten etwas ins Ohr 
flüftern laſſen?“ fragte der General, der vielleicht 
mit VBorbedacht die wehmüthige Stimmung des In- 
dianers nicht berückfichtigte. 

Diefer wurde aufmerffam. 

„Iſt der Sohn des großen Vaters der Canadas 
bei meinen weißen Brüdern geweſen?“ 

„Er ift aufgefangen von den Unfrigen und einge- 
bracht worden;“ erwiederte der General. 

Es erfolgte eine lange Pauſe, während welcher die 


{4 
beiden Sprecher fih zum ausholenden — 


vorzubereiten ſchienenann. 

„Und die weißen Männer haben den Sohn des 
großen Vaters der Canadas ergriffen und ig 
men?“ fragte der Indianer. 

„Sp haben wir;“ war die Antwort. 

„Und was haben die Hä äuptlinge der — Man⸗ | 
ner befchlofien ?« | —— 

„Was thun die rothen Männer mit Denjenigen, 
die ſie als Späher einfangen?“ | 

„Und ift der junge Sohn des großen Vater * 
Canadas als Späher zu den weißen Männern ge— 
kommen?“ fragte der Indianer kopfſchüttelnd. 

„Er kam von Tokeah, dem Kauptlinge der Oco— 
need ; 4 Sprach der General mit plötzlich ſtarker Stimme. 

„Hat mein weißer Bruder geſagt, daß er von 
Tokeah kommt?“ fragte Pic in demjelben Falten 
unbewegten Tone. 

„Glaubt Tokeah, daß bie — Männer nicht 
Augen haben, um zu ſehen, wenn auch die Zunge 
ſchweigt? Sie wiſſen, ihre Feinde von ihren Freunden 
zu unterſcheiden. Wenn die rothen Männer ihre 
Tomahawks gegen uns erheben wollen, ſo mögen 


——— 


* 








an 


fie dieſes thun, wir werden ihnen zu begegnen wiffen; 
wenn fie ſich aber wie die Hunde vom Jäger aufs 
Wild hetzen laſſen, dann müffen fie zufrieden feyn, 
wenn fie als ſolche todtgejchlagen werden. 

Und glaubt der weiße Häuptling,“ fiel der Miko 
ſchnell ein, „daß Tokeah Thor genug fey, ſich wie 
ein Hund von einem Mädchen hegen zu lafjen, um 
ihr das Wild für ihren Keſſel zu fangen? Der weiße 
Häuptling hat wenig von Tofeah gehört. « 

„Der große Vater der Canadas ift ſchlau,“ ver⸗ 
ſetzte der General; „er ſchickt zuweilen auch Mädchen, 
weil er weiß, daß die rothen Männer die zarten wei— 
ben Gefichter lieben.“ 

„Tokeah ift ein Mann, ein Häuptling,“ ſprach 
der Indianer, der der zarten Gefichter lacht. Der 
weiße Häuptling mag die weiße Nofa fragen. Sie 
iſt es, die den Sohn des großen Vaters der Canadas _ 
ing Wigwam geführt, mit Einer, die nicht mehr iſt.“ 
Hier ftockte feine Stimme und er hielt plößlich inne; 
er ermannte fich jedoch und fuhr fort: „Er ift aus 
der Schlinge des Seeräubers entwifcht, und Tokeah 
hat ihn erft gefehen, als ex jenfeits des zweiten Fluſ⸗ 


E23 





8 


ſes war. Dann hat er ihm Einen feiner Männer ges 
geben, um ihn zu den Seinigen zu bringen. “u 

„Der Miko der Deoneed würde dieß nicht mit 
Einem der Unfrigen gethan haben. Der Miko ift viel 
zu gütig gegen unfere Feinde; “ verſetzte der General. 

„Tokeah Hat gethan, was feine Väter auch mit 
den Vätern der weißen Männer gethan haben, die 
friedlich in ihre Wigwams famen und wieder gingen. 

Er legt nur feinen Feinden Fallſtricke.“ 

„Wir zweifeln nicht an Eurer Freundſchaft für die 
Söhne des jogenannten großen Vaters der Kanadas; 
auch haben wir nichts dagegen, wenn Ihr von ihm 
Geſchenke annehmt. Aber vergeßt dabei nicht, daß 
wenn der große Vater der Kanadas Euch Glasperlen 
gibt, er dafür die Köpfe Eurer —* Männer 
nimmt.“ 

„Tokeah ſpottet der Glasperlen der — “ Di 

„Aber er nimmt fie für feine Kinder, verfeßte der 
General, „und er liebt, das gelbe Metall an ihnen 
glänzen zu ſehen.“ — 

Der Indianer, der nach ſeiner kbre Rede 
wieder feinen Kopf auf die Bruſt geſenkt hatte, 
fuhr bei diefen Worten unwillig auf. 


49 — 

Der weiße Häuptling mag feinen Bruder fragen;“ 
entgegnete er, auf den Squire deutend. „Er ift fett 
‚geworden von den Biber- und Hirfihfellen, die ihm 
die rothen Männer für Feuerwaſſer gebracht: haben, 
und er wird ihm fagen, wie man das glänzende 
Metall gewinnt. Die weiße Roſe ift die Tochter des 
Miko und er hat viele Biberhäute und Bärenhäute 
gefammelt, und feine Tochter Canondah hat viele 
Galabafjen Feuerwaſſers gebrannt, um die Augen 
der weißen Roſe in Freude leuchten zu machen. To— 
keah würde das glänzende Metall des großen Vaters 
der Canadas mit dem Fuße wegſtoßen.“ 

„Und warum hat die Tochter Tokeahs dem Sohne 
des Vaters der Kanadas den Mund verfchlofien?« 

„Tokeah felbit Hat feine Zunge gebunden;“ ent- 

gegnete der Indianer. 

und warum Hat der Häuptling dieſes gethan? 
Sind die Oconees Diebe geworden, die das Zages⸗ 
licht ſcheuen?“ 

„Liebt mein Bruder, das, was ihm theuer Hi 
Diebe jehen zu laſſen? Die Oconees verſtecken ihre 
Wigwams nicht vor den weißen Männern, aber vor 

Der Segitime. III. A 





— 50 — 
ihren Dieben, die fommen, um ihnen ihr Vieh und 
ihr Korn zu fehlen. Sie wollen Frieden.u 

„Und Tokeah ift zurückgefommen, um —7— Volk 
zu ſehen?“ fragte der General. 

Der Häuptling fehüttelte das Haupt. „Der Miko 
kennt Die Muscogees nicht mehr. Er ift gefommen 
in Frieden, weil der große Geift ihm in die Ohren 
geflüftert Hat. Wenn er gethan, was er befohlen 
hat, dann wird er dahin gehen, wohin ihn Keiner 
der Weißen mehr fehen wird.“ SE 

Der General und die. Offiziere ſchienen mit den 
Aufklärungen, die ihnen der Talk*) gegeben hatte, 
zufrieden zu feyn. Sie befprachen ſich noch eine Weile 
unter einander, und dann ſchloß der Erftere die Zu- 
ſammenkunft mit den Worten: „Meine rothen Brü- 
der. find wilffommen in den Wigwams der weißen 
Männer, und Diefe- werden forgen, daß fie ueberfluß 
an Feuerwaſſer und Wildpret haben. Aber ſie werden 
warten in dem Wigwam, in dem ſie ſind, bis der 
große Vater von ihrer Ankunft benachrichtigt iſt. Der 
Miko weiß, daß er gerecht iſt, und daß Er wer 


5 
Re} 





*) Unterrevung. — Verhandlung. 


W 


651 — 

Kinder nichts zu fürchten haben, wenn ſie in Frieden 
gekommen ſind.“ 

„Gut;“ erwiederte der Indianer. 

Beide Parteien erhoben ſich nun, und, nachdem ſie 
ſich würdevoll die Hand gereicht hatten, trennten ſie 
ſich. Die Indianer kehrten in ihre Stube zurück und 
die Offiziere, mit Ausnahme des Capitains, blieben 
im Saale, der ſich ſchnell zum abermaligen Meeting 
zu füllen begann. 


Dreißigſtes Kapitel. 


Ihn, feinen Werth, wie ſehr vie ihn be⸗ 
dürfen, habt Ihr recht wohl getroffen. 
Shakespealre. 

„Willkommen, Capitain!“ ſprach die Frau des 
Oberſten, als Dieſer im drawing room eintrat. 
„Setzen Sie ſich, die Kinder find. oben. Sie haben 
und ein herrliches Chriftgefehenk-in dem lieben Engel 
gebracht. Es kömmt mir immer vor, als wäre fie 


‚der Bote des Sieges, der Engel des Friedens und 


eine gute Vorbedeutung für die Unfrigen, die morgen 
gegen den Feind ziehen. Wir haben den ganzen Nach— 
4 ® 


— 52 — 

mittag mit ihr geweint, als fie ung ihr fehönes Leben 
und den Tod der Tochter des Miko erzählte. So ein 
herrlich demüthiges, in Liebe erquillendes Gemüth! 
Sie müffen diefem Miko alles Gute erweiſen; er muß 
fehr unglüclich feyn. Sie Haben eine Unterredung 
gehabt? Ich ſchloß es aus Ihrem langen Ausblei- 
ben.a 

Der Capitain Hatte fich nachläſſig aufs Sopha hin— 
geworfen und fuhr mit der Hand unmuthig durch die 
ſchwarzen Locken. „Ein troſtlos zerrüttetes Gemüth, « 
ſprach er, win dem nur eine Leidenſchaft noch brennt, 
Haß, glühend verzehrender Haß gegen Alles, was 
amerifanifch ift, der fich in jeder Miene, jedem Worte, 
jeder Muskel ausdrückt. Hat aber wahrlich Urſache; 
dieſe Hinterwäldler find ein felbftfüchtiges, fteifes, 
ſtarres, rauhes Volk.“ 

Die Dame ſchüttelte den Kopf. „Capitain! Sie 
fehen mit den Augen des Vorurtheiles. Sie fühlen 
fih unbehaglich.“ 

„Unbehaglich!“ rief der Capitain, bitter lachend. 
„Als ich heute vortrat, der Major fprach noch mit 
| den Stabsoffizieren des andern Bataillons, da kehrte 


— 3 


mir die ganze Rotte den Rüden. Es i zum vafend. 


werden. 4 


Der Offizier fprang auf und Vief zähneknirſchend 


durch den Salon. 

„Und Sie?u fragte Die Dame. | 

„Was würden Sie, theure Mutter, in meinem 
Falle nach einer folchen Afftonte gethan haben?“ 

„Würde die Männer ernft, aber vertrauensvoll 
gefragt haben, was ſie mit ihrem Betragen meinen. 
— Und was that der Major?“ 

„Rauchte dann und trank und ſtolperte mit ihnen 
den ganzen Tag herum; erwieberte der Capitain. 
„Ich Vieß fie ſtehen und ging auf meine Stube.“ 

»Gapitain Percy!“ ſprach die Dame ernfthaft, 
„man hat fehon geftern, oder vielmehr heute Mor— 


gen, ihr Betragen ſehr fonderbar gefunden, daß 


€ 


Sie als Militar es wagen Eonnten, die Volksverhand— 7 


lungen zu unterbrechen.“ 

Der Eapitain wurde feuerroth. „Wagen, ihre 
Volksverhandlungen zu unterbrechen. Beim Himmel! 
fie verdienten Alle, vor's Kriegsgericht geftellt zu wer⸗ 
den. Der Gefangene entwiſcht, er konnte keine Stunde 
fort ſeyn. Ich eile, ich renne; ich befehle den Män- 


£ Yyckar Ir hen 
; * 


— 5 > 


nern, ich bitte, ich befehmdreden General. Nur zwan⸗ 


zig Mann. — Da ftehen fie mit offenen Ohren, Au- 
gen und Mäulern, ohne ein Glied zu bewegen, um 
anzuhören, was taufendmal bereits in allen unfern 
Countyzeitungen geftanden. « 

Aber, Vieber Capitain, was geht dad Sie an, 
wenn das Volk e8 feinem Intereffe gemäß findet, ſich 
zu berathen? Und Sie haben fehr unamerikanifihe 


Morte gefprochen. Sie gehen von Mund zu Munde. u 


„Deſto befjer. Sie mögen wiffen, was man von 
ihnen denkt.“ 
Die Oberftin fehüttelte ven Kopf. „Und Sie ver- 


meffen ft, gegen den millfionarmigen Riefen, Volks— 


geift genannt, Ihre Stimme zu erheben und den 
Bürgern mehrerer Countied Trotz zu bieten !« 
„Ich bin nicht Volks-, ich bin Linientruppencapt- 


tain. u i 


„And Wen gehören diefe Linientruppen?“ fragte 
die Dame. „Und dann,“ fuhr fie fort, „dieſer Un— 


friede, diefer Hader in der gegenwärtigen, ſchwer 


bedrängten Zeit, wohin foll-er führen? Wenn Dieje- 
nigen, die das Volk gegen den Feind Yeiten follen, aus 
übel veritandenem Stolze fich mit diefem zerwerfen?“ 


* 
45> 


„Und Wer hat diefen Unfrieden verurfacht, theure 
Mutter? Doch nicht Sapitain Percy. Wer ift es, 
der die Oppofition gegen den Gommandirenden be— 
gonnen hat ?u | 

„Gapitain!u fprach die Dame bejorgt, „Sie find 
zu lange von Haufe gewefen, Sie kennen das Volks- 
Yeben und feine Gewalt hier nicht. Sie ftellen ſich 
unfer. Volk wie das des alten Englands, des Para- 
diefes der Großen, vor. Hier ift das Paradies des 
Volkes, und fo wie in jenem die Großen, hat bier 
das Volk alle Macht und Herrſchaft.“ 

Leider!“ verjeßte der Capitain. 

Die Frau wandte fih unwilig mit einem halb 
mitleidigen,, halb beleidigten Blicke von ihm. Indem 
gingen die Thüren auf, und der Oberfte mit dem 
Major Eopeland traten ein und begrüßten die Dame 
herzlich, den Gapitain etwas Falt. 

„Ihr schon Hier?“ fragte Diele. 

„Ja, Liebe!“ eriwiederte der Oberft. „Das Haben 
wir dem Squire zu verdanfen. Es ift vortrefflich aus— 
gefallen, und ich gehe nun mit Zuverficht hinab. 
Squire Copeland ift ein Wundermann ; die Reſolu— 


— EN NE Hu NOMER 


56 


tionen find einmüthig angenommen. Einige er 
Einwendungen machen, nahmen fie. jedoch zr 


„Das ſind die Tenneſſeer, die erſt letzte en 


herabgefommen find, #.entgegnete der Squire. „Noch 
wilder Stoff und haben fich das Fechten und das 
Gouging noch nicht abgewöhnt. Für unten find fie 
jedoch gerade recht. « 

„Die Manoeuvres ihrer Schügen fing aller Ehre 


werth, Major! und die Ordnung, mit der fie ſich 
benahmen, bewundernswerth — für den erften Tag 


namlich. 
„Einige Male,“ bemerkte der Sauire, „wandelte 
fie noch immer die Luft an, ein Kleines zu verfoften ; 


aber al3 ich einem Dutend die Cigarren aus dem: 
Munde genommen, warenfie für denganzen Tagrubig. 


Ei, es find freilich Feine Newyorker oder Londoner 


Gentlemen; aber glaubt mir, ihres Landes Beſte 


geht ihnen über Alles. Wir haben nun vier Com— 
pagnien Schützen beifammen, die ein Dutzend brit- 
tifcher wegblafen. « 


Der Capitain, nachläffig auf das Sopha hinge- 


ſtreckt, hatte Lächelnd den Squire angehört. „Major 
Copeland,“ fprach er endlich ein wenig Tpöttifch, 


—- 7 — 


„ſcheint feine. Feinde etwas unter ihrem Werthe zu 
halten. Es verrätßsmenigftens Selbftber 

„Und das kann bei einem Volke nie; zu weit gehen. 
—* das Mel zutraut, wii ee auch aus⸗ 
m | 








— Feind verachtet iſt * | —— 
ui ich immer gehört,“ entgegnete der Gapitain. 
„Mag feyn in der alten Welt,“ entgegniete der, 
Squire trocken. „Hier haben wir ein befferes Sprüch⸗ 
wort: Achte Dich zuerft jelbft, und Deine Feinde 
werden Dich nicht verachten. Uebrigens, Gapitain, 
find wir in einem freien Lande, und Sie mögen ſprüch— 
wörtern jo viel Sie wollen; nur möchte ich Ihnen’ 
rathen, daß, wenn Sie mit Bürgern zu thun haben, 
Sie auch Bürger und fein Iota mehr feyn müſſen. u 
„Und nach Dpeloufas zum Squire Copeland in 
die Lehre gehen;“ lachte der Capitain bitter. ' 
„Vielleicht wäre es beſſer für Sie gewefen, als 
daß Sie Ihre ſchöne Jugend in dem grundverdorbe— 
nen England verbrachten. Sie haben, fiheint e8, aus 
lauter Entzücfen über das gehorfame Volk der alten 
Welt vergefien, daß hier das Volk Gehorfam fordert. 
Es ift freilich bequemer, zu fagen: Du gehſt und Du 


| 68 
ſtehſt, wie es — Mann in der | 







Ihnen fonft der: m 
fen fich unjere Manieren juft getan Laffen, und wenn 
Sie fich dieſer ſchämen, je nun, fo glauben Sie mir, 
die Männer würden fich noch mehr ausländifcher Ma— 
nieren fehämen ; fie find Männer, und zwar die freie 
ſten Männer der Welt, und zu ftog, um fo Fin 
den Manieren zu unterwerfen. 4 

„Dieſe Lektion, Major, als was ſoll ich ſie neh⸗ 
* zu gr der Capitain auf, der raſch auf den Ma- 





elegant uniformirte Offizier, der augenfcheinlich den 
feinften Weltton fich angeeignet hatte, ſchien weniger 
über die Reden des Squire, als deffen Aeußeres em— 
pört. Diefes war, wie unfere Lefer wiffen, nichts _ 
weniger als elegant. Eine rehfatbige, etwas grob- 
tuchene Redingote, die, zwar weniger berühmt, aber 
eben fo viele Touren gemacht Haben mochte, als ihre 








L N 1 
— — 


— — 
s50 — 





graue, dazumal in Elba befind che Schweſter, eben 
ſolche Pantalons, eine Art ſchwarzſeidenen Strickes 
um den * und der O uäkerhut, auf dem der bar⸗ 4 
of ———— wie eine Vogel uche prangte, atb- 















* nichts gefehen, waren das Coſtum des vier⸗ 
ſchrötigen Squire, der ernſt und ſcharf auf denj jung 


Sie hinuber jandten und uns einen * Faſhio⸗ 
nable wiedergaben. Aber Sie haben ſich wie ein 
Mann bben an den Seen gebe ten. Wäre das nicht 
der Fall, Major Eopeland ie wahrlich Sie 
fein Wort verloren haben. « 

„Gapitain Percy,“ ſprach der Offizier ſtolz 
darf Feines Fürfprechers und am wenigften - 

„Sie find jung, Capitain,“ fiel ihm der Major 
falt und trocken ein, „vergeffen Sie nicht, daß Sie 
mir fubordinirter Offizier find. Wir gehen morgen, 
wie es befehloffen worden, mit den acht Compagnien 
hinab. Zweihundert Manır bleiben zurück. Sie wer- 


J 









— 00. 


den num Öelegenheitihaben, zu zeigen, nat an 
Ihren englifihen 'anieren oder am Wohle des Lan⸗ 
des mehr liegt. Und 5 nicht, af wan 
Sie einmal mit einem Ihrer Mithinge eC ig arre 
nehmen oder ein Glas Toddy trinken, — 
trauen Sie ehrt und kein Haar breit von Ihrer — 
nigmt; ; u daß dieſe nämlichen Bürger größere. 
er zu Paaren zu treiben wifjen, als Sie find.“ 
Er nickte mitdem Kopfe und verſchwand im Hintern. 
drawing room. — 

Es war etwas zutrauli ulich — aber we 
zugleich etwas lakonſſch Hartes in dem Tone des 
Squire geweſen, das dem Offizier, abwechſelnd das 
Blut über die Wangen jagte. Chen wollt@er dem 
Major nacheilen, al 3 ihm der Oberfte zurief. 

„Was wollen &lr; Capitain Percy?“ 

„Dem Grobian eine Erklärung abfordern. u 

„Segen ie ſich, dieſe will ich Ihnen felbft geben: 
Wiſſen Sie, daß die fammtlihe Mannſchaft, ohne: 
Ausnahme, über Ihr Betragen bei dem geftrigen 
Meeting, unddie Aeußerungen, die Sie fallen ließen, fo 
wie über Ihr Heutiges Benehmen fo entrüſtet find, daß ſie 


ftehenden Fußes ein Comit6von Offizieren ernannten ?« 




















—9 641 — 
„uUnd?“ fragte der Gapitain, der ein wenig be- 
troffen wurde. 

„Und daß diefes Comite darauf antrug, dad Ganze 
an den Commandirenden zu berichten und Sie einft- 
weilen von allen Dienftverhältniffen mit — * Bür⸗ 
gern zu ſuspendiren?“ 

Der Capitain erblaßte. 

„Da trat Major Copeland vor, und mit jener ihm 
eigenen nervichten Beredtſamkeit ſtellte er den Män- 
nern die Nothwendigkeit dar, Sie beizubehalten. 
Nichts vergaß er; Ihre Dienſte, Ihre glänzenden 
Thaten bei Plattsburg, Alles ſchilderte er. Er kennt 
Sie genau. Es dauerte lange; endlich gelang es ihm, 
den Unwillen zu beſchwichtigen. Die Beſchlüſſe wur- 
den einftweilen zurückgenommen, verjtehen Sie? einft= 
weilen!“ 

„Ich habe im Auftrag meines Chefs gehandelt, 
und wenn mir im Unwillen Worte entſchlüpften —“ 

„Die nie einem Manne entfehlüpfen follten, der 
Andere zu commandiren berufen iſt;“ ſprach der 
Dberfte. Sie kamen in Aufträgen des Generals. 
Wohl! ſo mochten Sie ſich derſelben entledigen und 
dann ſchweigen. Aber Sie kamen wie der Pfeil vom 


— 2 — 


Bogen und dachten vermuthlich, weil der General 
unten mit den Greolen ſo wenig Umftände macht, 
diefe hier noch weniger nöthig zu haben. Ihr Chef 
verfteht jedoth die Sache befjer, und während er Sie 
mit feiner Donnerbotfchaft aufs Gerathewohl fendet, 
fchreibt er einen freundlichen Brief an den Squire, 
ja recht bald mit dem Bataillon herabzufommen, er 
felbft Habe ihm Quartier beftellt. « 

„Wie wußte er, daß der Squire Copeland zum 
Major gewählt werden würde ?“ n 

"Wenn die jenfeitigen Counties die sPeäffdenten- 


ftelle zu vergeben hätten, fo würde fie ihm zu Theil 


werden, der durch Erfahrung, Kenntniffe, Gemein- 
nüßigfeit und felbft Vermögensumſtände eine hohe 
Stellung dort einnimmt. Er iſt einer der Tonangeber 


der dempfratifchen Partei im. Staate, in mehreren 


Counties allgewaltig. Wie konnten Sie es wagen, 
mit einem Manne, der ſechs angeſeſſene Söhne hat 


und der für ſein Land geblutet, ehe Sie noch waren, 


in einem folchen Tone zu ſprechen ?“ 
Der Capitain war einige Male raſch im Salon 


auf und ab geſchritten. „Der General ahnte etwas 
von einer Oppoſition; er hat mir aufgetragen, alles 





4 


—— ———— 


63 — 


Mögliche zu thun, um dieſe rückgängig zu ma— 
chen. u 

„Und Sie famen und glaubten, man werde hier 
fogleich den Athem verlieren? Seyen Sie verfichert, 
Ihr donnernder General wird die gewaltige Pille, 
wegen der Sie fih den Mund verbrannt und Ihre 
Popularität und, was dafjelbe ift, Ihre militärifche 
Exiſtenz vielleicht auf immer gefährdet, mit zuder- 
fügem Munde Hinabwürgen, und durch ein freund- 
Yiches Geftcht dem fernen Volksunwillen vorzubeugen 
fuchen. « 

Es erfolgte eine lange Pauſe. 

„Wir gehen morgen, wie Sie wifjen, mit den ein- 
geübten Truppen und den NRiflemannern hinab; Sie 
bleiben einige T age zurück, bis die Mannfchaft eingeübt 


iſt. Eines muß ich jedoch bemerken, « fuhr der Oberfte 


ernfthaft fort, „Ihrer Bewerbung um meine ochter, 
Capitain Percy habe ich keine ‚Sinderniffe” in den 
Meg gelegt, obwohl fie nicht ganz nach meinen Sinne 
ift. Ich will jedoch der Neigung meines Kindes Keinen 
Zwang anlegen. Nur vergefien Sie nicht, daß ich 
mit meiner Tochter nicht zugleich auch meine Popu⸗ 
larität bei meinen Mitbürgern hinweggeben will.“ 


he a un 
FENSTER" 


— 6 > 

Der Capitain hatte den Sprecher ſtarr angeſehen. 
Einige Male ſchritt er raſch im Salon auf und ab; 
dann griff er nach den Handſchuhen und Tſchako, 
die er heftig an ſich riß. Noch ſtand er unſchlüſſig, 
als die Frau des Oberſten ſich erhob und würdevoll 
ſprach: —* 

„Eintracht und Zuſammenwirken! Kommen Sie, — 
Capitain, Sie waren es, der gefehlt hatte. An Ihnen | 
Yiegt e3, den erjten Schritt zu thun. « 

Der Gapitain faßte die dargebotene Hand und 
folgte der Dame. Nach einer Weile kamen die Beiden 
Arm in Arm mit dem Squire und Virginien zurüd. 

nSie ift bereit zu Bett gegangen,“ ſprach der 
mild gewordene Squire, der liebe Engel! hätte fie 
gerne noch einmal jehen mögen. « 

„Laßt fie,“ entgegnete die Frau, „ſie bedarf der 
Ruhe. Sie hat zwei Nächte nicht geſchlafen. Mor⸗ 
gen wollen wir fie mit Hinabnehmen. « 

Und als wäre mit dem fieben Kinde auch der Froh⸗ 
finn von ihnen gemwichen, fo lagerte ſich nun ſchwer⸗ 
muthsvoller Ernſt über die Familie hin. 

Es waren die letzten Stunden, die ſie vor einer 
Trennung hatte, die Wochen, Monate, vielleicht auch 


Es 


' u 
Ch 


6 — 


ewig dauern konnte, und natürlich wurden ſie in einer 
ernſten Stimmung gefeiert. Die wichtigen Angelegen⸗ 
halien des Vaterlandes und des ſehr großen Haus- 
heites des Oberſten knüpften den ſpäten Theetiſch bei— 
nahe an die Soupertafel, und es war lange nach Mit⸗ 
ternacht, als dieſe aufgehoben und die Sklaven 
familienweiſe in den Speiſeſaal eingeführt wurden, 


wo der Pflanzer ihnen eine eindringende Anrede hielt, 


fie zur treuen Pflichterfüllung ermahnte und dann ge— 
rührten Abſchied nahm. An Schlaf dachte Keiner. 
In den vielfältigen Geſchäften des großen Hausweſens 
und den Vorbereitungen zum Abmarſche war die Nacht 
verfloſſen und der Morgen graute ſchon herauf, als 
der Donner der Kanonen auch die Ankunft dev Dampf- 
böte verkündete. Nicht lange darauf kamen Roſa 
und Gabriele in den Saal. Eine Weile ſtand noch 
die fhöne Familiengruppe beifammen, und dann ver- 
ließ fie das Haus und Bayou auf dem Weg zum 
Stromesufer. * 

Noch hing der Nebel ſo bicht über dem Strome 
und dem Ufer, daß bloß ein dumpfes Gewirre von 
Stimmen zu entnehmen, Kein Gegenftand. zu unter- 
jheiden war. Die Mannſchaft war jedoch verſam— 

Der Legitime. II. 5 


& Y y Grant NN EEE a = 
r n * ee Nur 
a . 


x 


6 . d, 


melt und mit ihr Taufende von FR Maäpchen 
und Kindern, die von nahe und ferne gefommen waren, 
um von den Ihrigen Abfchied zu nehmen. «Der Schau⸗ 
luſtige dürfte hier nicht ſehr befriedigt geweſen ſeyn; 
denn es war hier nichts von jenem Pompe und Prunke 
zu ſehen, von jener betäubenden Muſik zu hören, die 
in den fogenannten centralifirten Staaten gewifjer- 
maßen mit als Lockſpeiſe zu dienen beftimmt find, Die 
armen Söfplinge defto williger ihr glänzendes Elend 
vergeffen zu machen; feine jener wilden Gejänge, 
Tumulte oder ftehenden Zecherfeenen, die bei folchen 
Beranlaffungen ähnliche Abfchiede charakteriſiren und 
die fogenannten Landesvertheidiger als einen Haufen 
disciplinirter Auswürflinge bezeichnen, denen man 
zu guter Lebt noch etwas durch die Finger ſieht; im 
Gegentheile, es herrſchte hier eine tiefe Stille, oder viel- 
mehr ein murmelndes Geflüfter, das nur durch dielau= 
ten Stimmen der Handlanger und Neger unterbrochen . 
wurde. Ernft und befonnen ftanden Alle und bejpra= 
hen fich mit den Ihrigen mit einer Ruhe, die un⸗ 
widerleglich die hohe Stufe der Selbſtachtung beur— 
fundete, die das amerikanifche Volk fo weit über jedes 
andere erhebt und wohl am natürlichften dadurch zu 


2 


— 


— 


En, A 7 
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. ea 


erflären ſeyn dürfte, daß dieſes keinen eigentlichen | 
Vöhel in feiner Mitte hat, fondern jedes Glied des 
großen Körpers, felbftthätig und politiſch wichtig, jeden 
feiner Schritte als denfendes, freies Wefen überlegt 
und eben deßhalb mit gefeßter ernfter Kraft derſelben 
entgegentritt. Noch einmal umarmte der Oberfte feine 
Lieben, und dann ließ er das Zeichen zum Aufbruche 
‚geben. - Ihm folgte fein Sohn, der Mutter und Schwwe- 
ftern raſch küßte, die Hand Roſas erfaßte, fie fiebe— 
riſch an fein Herz riß, und dann der Squire, der den 
Damen die Hand fehüttelte und dann Roſa in feine 
Arme nahm. „Bete für und, Roſa,“ murmelte er 
ihr zu, „der da droben hört das Flehen der Unfihuld, 
wir werden's wahrlich brauchen. « 

Und ſtärker vollten die Trommeln, und gellender 
tönten die Pfeifen, und der Donner der Kanonen von 
den Dampfbonten brüllte darein, und der alte Mann 
riß fi von ihr und der Familie 108. Und Trupp 
auf Trupp zog nun an ihnen vorüber. Ein dumpfes, 
düſteres Gemurmel, ein anfangs leiſes, unterdrück⸗ 
168, dann allmählig Lauter werdendes Schluchzen der 
Frauen, Mädchen und Kinder. Gott fegne Euch! 
Er jey mit Cuch, der Herr der Heerſchaaren!« rief es 

va 5* 


% 
> 


aus hundert Kehlen. „Denkt an Weib und Kind! 
Seyd ſtark, ſeyd Männer!“ ſchrieen und kreiſchten 
Andere. Da Segen Roſa plöglich zufammen. „Um 
Gottes Willen!“ vief fi, und flog erſtarrti in — Arme 
ihrer neuen Mutter. Sie drückte ihr Geſicht in den 
Buſen der Dame. Sie deutete ſchaudernd hinter ſich 
auf eine Schaar von Männern, die im dichten Nebel⸗ 
flor, von einem Zug Milizen geführt, auf das — 
ſchiff zuſchritten. 

„Was iſt's? was iſt's?“ rief Die erſchrockene 
Oberſtin. 

„Mutter! um Gotteswillen rette mich! — Rette 
Deine Roſa!“ Mehr vermochte ſie nicht zu ſagen: 
denn ſie hing in den Armen der Frau halb todt vor 
Schrecken, ihre Glieder ſchlotterten, fie war von un— 
endlicher Angft ergriffen. 

Da ftürzte plöglih von hinten eine riefiglange, 
hagere Geftalt, gleich einem Gejpenfte, unter Die 
Gruppe der Damen, riß Roſa mit Niefengewalt aus 
den Armen der Frau und hielt fie mitden langen, dürren 
Händen umfchlungen, mehr wie ein Hölifches Nacht- 
gefpenft, denn ein Erdenbewohner. Mutter und Töch⸗ 
ter waren vor Entſetzen kreiſchend zurückgeſprungen. 


d, 








4 
— 69 ⸗— 
„Was iſt's ?“ rief der Capitain, der mit gezücktem 

Degen herbeigerannt war. J 

Der Indianer ſtierte ihn mit den rollenden Augen 
eines Raſenden an, drückte Roſa krampfhaft an ſich, 
nur den langen Hals ſtreckte er gräßlich nach dem 
Dampfſchiffe hin, und ſeine furchtbar funkelnden Au⸗ 
gen ſtierten nach. „Der Häuptling der Salzſee;“ 
ſtöhnte er. EN 

Roſa blickte auf. Sie ſchaute um ſich. „Mikol“ 
rief fie, wer ift gegangen. Sey ruhig, Miko, der 
Mörder Canondahs und der Deinigen ift auf dem 
Strome.“ 

Und allmahlig wurde fein Blick ruhiger. Seine 
Hände fielen von dem Mädchen, er blickte nochmals 
ftier auf und ſchwankte langſamen Schritted den Sei- 
nigen zu. 

„Am Gottes willen, Kind, was ift das age 
rief die entfeßte Oberftin. 

Roſa zitterte noch an allen Gliedern. 

„Der Seeräuber, Mutter. /“ 

Kind, Du täufchgf Dich,“ rief die beforgte Dame. 
„Wie folte der Seeräuber hieher kommen?“ 

„Nein, nein, verſetzte fie; „der Miko hat ihn auch 


= Re as 
. 4 710 ⸗— F 

geſehen.“ Und wieder ſchaute ſie ängſtlich hinüber 
auf die Dampfboote, aus deren Kaminröhren num der 
Rauch heftiger zu qualmen anfing. Einige Male 
zifchte der Dampf noch wierafend herüber. Ein lan- 
ges, taufendftimmiges Gott fegne Euch, ſchallte hin— 
über, fam herüber, die Schiffe hoben fich, wandten 
ſich und trieben dann der verhängnißvollen Ferne zu. 


Einunddreißigſtes Kapitel. 


Beliebtd Euer Wohlehren, meine armen Dienſte 
zu genehmigen. Möchte gerne Euer Brod ver- 
foften, und wenn’s noch fo ſchwarz wäre, und 
Euern Trank, und wär’ er auch der wäflerigite, 
und für vierzig Schillinge will ih Euer Wohl- 
ehren fo viele Dienfte thun, als ein Anderer 
für drei Pfund. : 

: Öreene. 

„Sind fte abgezogen ?« fragte ein Mann mit Teifer 
Stimme, als wollte er die Umftehenden in ihren 
ſchmerzhaften Betrachtungen nicht ftören. 

„Sp wie Ihr jeht,“ verfeßte ein Zweiter; „Ihr . 
jeyd unter den Riflemännern Wb; Ihr ſolltet ſchon 
geſtern da geweſen ſeyn; Euer Capitain ift fort.“ 

„Damn!“ verſetzte der Mann. „Wären es auch, 


Du. ! ’ 

* — 7 
wenn uns nicht Dieſe zurück gehalten Hätten. u Gr 
wies auf eine Gruppe von fünf Männern, mit denen 
er fo eben vom jenfeitigen Ufer gelandet, und die ver= 
wundert fehienen, als fie fich plöglich in einer dichten 
Reihe von Männern, Weibern und Kindern befanden, 
von denen Einige ihre Ohren den ferne her ziſchenden 
Dampffchiffen nachhielten, Andere in ſchweren Ge— 
danken vertieft ftanden, wieder Andere ihre Tücher 
an die Augen hielten. Es war etwas Ergreifendes 
in diefer Todesftille der vielen Hundert Männer, Frauen 
und Kinder, die, ohne einen Laut von fich zu geben, 
noch das Zifchen der Dampffchiffe erborchen zu wollen 
fchienen. Das Gefpräch, obwohl leife geführt, Hatte 
jedoch die Aufmerkſamkeit auf die jo eben Angefom- 
menen gerichtet, von denen Zwei ald Nachbarn bes 
grüßt, der Dritte als der entlaufene Neger des Ober- 
ften Barker erkannt, und der Vierte einige Augenblide 
betrachtet und dann als ein befonderer Aufmerſamkeit 
eben nicht fehr werthes Subjekt entlafjen wurde, der 
Letzte jedoch. eine rafıhe Bewegung und ein Gemur- 
mel veranlaßte, das ſchnell lauter wurde. „Der 
Spion,“ rollte ed von Mund zu Munde. 

„Bei Jafus!“ rief der Junge, den wir ald den 





ne 


Vierten bezeichnet, mit einer feharfen, Enarrenden, 
rauhen Stimme, und einem Dialekte, der ihn fogleich 
als einen Sohn Erins verrieth. „Bei Jaſus! Mei⸗ 
ſter James, das iſt eine luſtige Hetze; was das für 
einen Lärm ſetzt. Als wir ankamen, hätte man eine 
Maus laufen hören können; kaum haben wir aber 
einen Fuß ans Land geſetzt, ſo hebt der Tumult und 
Schrecken an, juſt als wenn eine NYankeefregatte an 
einen königlichen Zweiundfünfziger angeprallt käme.“ 
Der angeredete Maſter James, der, wie unſere 
Leſer errathen werden, wieder unſer unglückſeliger 
Britte war, gab Feine Antwort. Mit zufammen- 
gepreßten Zähnen und Lippen ftand er ſtieren, Teeren, 
halb verwilderten Blickes, der, wenn er auch nicht die 
Begrüßung, mit der er bewillkommt worden, wechtfer- 
tigte, mindeftens auf harte Stöße während feiner 
dreipigftündigen Flucht deutete. Das Gemurmel „der 
Spion“ war mittlerweile immer lauter geworden. 
Der Irlander beſah zuerſt ſich vom Kopfe zu den 
Füßen, dann feine beiden Gefährten, und riefluftigaus: _ 
„Spion, bei Jingo! Wer, glaubt Ihr wohl, Daß 
ein Spion ift? Meines Waters Sohn? Ei, das ift 
zum Todtlachen. Mafter James, das Milch- und 





— 3% 


Blutgefiht?« Er ſah ihn nochmals an. » Der Neger- 
gentleman? Hol’ mich der Teufel, wenn Ihr bei 


Sinnen feyd. Im unferer Familie, den Murphys zu 


Kildare, fol mich — verdammen, lebt Keiner, der 
noch gehängt worden wäre. Spion! geht zum Teu⸗ 


‘sel, Ihr ſeyd nicht gefeheibt. 4 Er brach in ein un= 


bändiges Gelächter aus. 

Iſt ja Dein Bruder Paddy zu Dublin mit der 
Hanfbraut getraut tworden, 4 rief ihm Einer der zurück⸗ 
gebliebenen Milizen zu. 

„Da fprecht Ihr wie ein verdammter Maul- 
dreſcher; fuhr der Irlander heraus. „Es war mein 
Stiefbruder, der Mami ihr Balg, ift im Greenhoufe 
in der Kaferne vom Brette getanzt. Wäre nicht ihr 
Couſin zu Camarthaen in dem Teufelöneft aufgefeflen, 
ſo wäre er noch in feiner Jacke. Er hatte aber feine, 
hatte fie für eine Bouteille Whisky noch’ im Loche 
verfehachert, wurde im Hemde gehängt. u 

„Haft recht, Paddy,“ rief ein Zweiter, der den 
Spaß nicht kalt laſſen werden wollte. „Aber Dein 
Bater, der Davy Murphy ?« 


— 


9J5 


„Iſt wegen eines elenden Fäßchens Magentroſt 


som Conſtable Meigs erſchoſſen worden. Verdamm— 


—H Tu — 
ter Narr! Ein fo ehrlicher Tod, als ihn Einer nur 
ſterben Eann. 

„Und Deine Schweſter zu Cork iſt ja wegen — 
diebſtahl confiszirt worden!“ rief ihm ein Dritter zu. 

„In Cork? Bei Jaſus,“ lachte der Irländer. „Im 
Cork? Haben in ganz Cork kein Schaaf. Sind froh, 
wenn fie eine Ziege füttern Eönnen. Der Grashalm, 
der übrig bleibt, da machen fie Tihee daraus. Arme 
Mary!“ rief er drollig. „Als ich fie zum zweiten 
Male jah, da fagte fie mir: Du, Davy, fagte fie, 
fey gefcheidt, fagte fie, und — “ 

Der Yuftige Irfänder wurde in feinen Familien 
befenntniffen, zum Leidiwefen der Männer von Ope— 
louſas, wieesfchien, durch zwei Milizen unterbrochen, 
die, Gewehr. im Arm, nun von dem MWachthaufe 
ankamen, um ihn mit feinen zwei Gefahrtenin Empfang 
zu nehmen... Er fah einen Augenblick verwundert die 
Beiden an, und fehrie dann, fich niederhodend, mit 
närrifchem Gelächter: „Mafter James Hodges! Ma— 
fter James Hodges! Parleh fouhs frenseh Monsie- 
hour ?4 Und wieder lachte er fo unbändig, daß ihm 
zufeßt der Athem verging. „Ci, Mafter James!“ 
fiherte er, „als wir da geftern mit Befen und 








— 75 


Stöden erpedirt wurden, Wer hätte da glauben 
follen, daß und in vierundzwanzig Stunden darauf 
jo viele Auszeichnung erwiefen und mir mit einer 
Ehrenwache eingeholt würden ?« 

„Ich glaube,“ rief Einer, „hinter dem ſteckt etwas 
mehr, als der bloße Schalfsnarr. | 

„Parleh fouhs frenseh Monsiehour?“ jchrie der 
Irlander wieder mit einem tollen Gelächter. 

„Das ift ein närrifcher Kauz,“ riefen einige Mi- 
lizen. „Laßt ihm doch feine Freude.“ Und fofort 
schloß fich der ganze Haufe der Männer und Kinder 
an den Zug. 

„Parleh fouhs frenseh Monsiehour?“ ſchrie er 
wieder, indem er ftille ftand und narrifch Tachte. 
„Könnt auch nichts ‚“ fuhr er in feinem iriſchen Bro= 
gue fort. „Hol mich der Teufel, da fagen die Nar- 
ren, Louiſiana ift halb franzöſiſch, Halb Danke. 
Damn ye, unfer Pfaffe, der Pater Kirkpatrif, weiß 
es befjer, und meines Vaters Sohn hat's von ihm 
gelernt; aber wo ich noch angefragt habe, hat mich 
Keiner verftanden. 4 

„Du bift ein kecker Burſche,“ rief ihm Einer der 
Offiziere zu, wein paarmal vierundzwanzig Stunden 


—d 76 — 


bei Waſſer und Brod werden Deine Landſtreicher 
zunge wohl langſamer machen.“ | 
Der Ire fah den Sprecher eine Weile zweifelhaft 
an; dann fiel fein Inuernder Blick auf Die Umſtehen— 
den, die augenscheinlich Durch feine tolle Laune ergötzt 
waren, und wieder fehrie er: „Parleh fouhs frenseh 
Monsiehour ?“ aus. feiner blauen Jade ein Papier 
hervorziehend „Mit Euer Wohlehren Erlaubniß, 
ein Seemann von der Brigg Sarah, Gapitain Mo— 
rand, ein Landsmann von mir, der aber Nankee ge= 
worden, und Hol’ mich der Teufel, ich werde auch 
einer. Nichts über die Danfees. Parleh fouhs fren- 
seh Monsiehour, Majfter James Hodges?u wandte 
er fich zu Diefem. „Ach, Mafter James! wären: wir, 
wo wir geftern waren; die Beſen und Stöcke find bei 
alledem nicht fo gefährlich, wie dieſe Stußer da.“ 
Der Yuftige Schalksnarr hockte fich wieder nieder 
und lachte toller als je: „Parleh fouhs frenseh Mon- 
siehour ?“ | 
„Deine Abfertigung ift richtig, « ſprach der Offizier, 
aber wie Famft Du zu dem Gefangenen ?u ' | 
„Parleh fouhs frenseh?“ rief der Ire. wieder. 
„Hol' mich der Teufel, wenn ich felbft weiß wie, und 














—7>- 


es fagen kann. Meine Zunge ift jo troden, feit ich 
die Stadt verlaffen habe, als wenn fie eine Gallon 
Erbſenwaſſer hinabgeſchwemmt hätte.“ Und wieder 
ftand er ftile und lachte pfiffig. | 

Das halb eonfiscirte Schelmengefiht, in Dem ein 
Zug von Gutmüthigfeit mit einer derben Portion 
irifeher Unverjchämtheit und unbezwingbarer Laune 
fich fpiegelte, hatte die ganze Escorte allmählig in 
eine Stimmung verjeßt, die, fo ernit fie anfangs 
war, das Lachen Faum mehr unterdrücken Eonnte. 
Der Zug näherte fich nun dem Wachthaufe, der Ire 
hielt jedoch alle zehn Schritte. Einer der Offiziere 
nahm ein halbes Dollarſtück aus ſeiner Börſe und 
hielt es zwiſchen den Fingern. 

„Ach gnädigſter, ſüßeſter, liebſter, ſchönſter, hold— 
ſeligſter, allerfürtrefflichſter, ehrenfeſteſter Squire, 

Major, Oberſter, General, Lieutenant oder gar 
Corporal!“ rief der Irländer, ſeine Hand nach dem 
Geldſtücke mit einer poſſierlichen Fratze ausſtreckend, 
die ein allgemeines Gelächter erregte. 

„Ei, die alte Frau mit ihrer Kappe und der Adler 
mit ſeinen Sternen, die find doch tauſendmal ge— 
ſcheidter, al3 der närriſche Capitain Morand. Wollte 


„aus 
mich mit aller Gewalt unter ein Corps Breitwilliger 


Haben, da gegen die Rothroͤcke zu fechten. Hol mich 


der Teufel, wenn ich’8 gethan habe. Ei, wenn's noch 
der Accife gegolten hätte, oder eine Gallon Kildare 
Whisky Dabei zu verdienen gewefen wäre. Hört 'mal, 
Euer Whisky hier ift 'm Teufel zu ſchlecht. Ah,“ 


blinzte ex pfiffig, „Davy ift fein Narr, hätte ihn Sir 


Edward erwifcht, fo hinge er. Das ift auch Einer, 
hat in eine Gelbrothe hinein geheirathet. Ein ver- 
dammter Drangemann. Ah, Mifter, nun laßt uns 
'mal eins dem Mafter James Hodges zutrinken.“ 

„Bleibe nur unterdefjen hier,“ erwiederte der Of- 
fizier. „Du gebft mit ins Wachthaus; wird Dir 
aber nichts gefchehen. « 

»Bei allen Mächten! fehrie der Ire, „ind Wacht- 
haus fol ich! Was wollt Ihr damit? Weil ich 


nicht in der Freicompagnie dienen wollte, fol ich ins 


Wachthaus tu . 
„Paddy,“ rief ihm der Nächſtſtehende zu, „Dei⸗ 
nes Vaters Sohn iſt ein gewaltiger Narr." 
„Bei allen Mächten, er iſt's 54 rief der luſtige Ire 
wieder. „Aber doch fein folcher Narr, feine Finger in 
den fochenden Topf zu fterfen. Hab’ mich aufn 





* 








u 





— 79 


Meg ins Land gemacht, und da bin ich nun. Braut 


Ihr 'n gewichsten Burſchen? Kann Alles in der 
Welt, nur Geld machen nicht. Schreinern, zimmern, 
Schuhe flicken, Strike drehen. Hol’ mich der Teufel, 
wenn zwifchen Cork und Dublin Einer 's mit Davy 
Murphy aufnimmt. Davy, fagte Seine Wohlehren, 
der Squire zu Samarthaen, Davy, fagte er, wenn 
aus Dir nicht etwas Rechtes wird, fo heiß mich etwas. 
Aber geftern hättet Ihr mich fehen follen! Bei Jafus, 
da war ich wild. Verdammter je nantang pas. 
Damn him. Sein! Sat mich über die Stiegen hin— 
abgeworfen, mich nantang pas aufgeheißen. Kann 
mir’ Einer jagen, was das nantang pas ift? Wenn 
ich's wüßte, ich ging hinüber und drehte dem Land— 
lubber den Hals um, und follte ich morgen baumeln.“ 

„Du mußt ung nur fügen, wie Du zu dem nan- 
tang pas gefommen biſt.“ 

Unfer Britte hatte bisher in ftummer Wuth die 
nimmer endenden tollen Ausbrüche feined Leidens— 
gefährten angehört; num fchien jedoch feine Geduld 
ihr Ende erreicht zu Haben, und er faßte den Jungen 
am Arme, ihn heftig jhüttelnd. „Wenn Dir nicht 
Dein Maul hältſt, verdammter Taugenichts, fo dreh 





— 0 — 


ich Dira — er konnte jedoch jeinen Sag ticht vol⸗ 
Venden, denn im nämlichen Augenblick — me 
Männer von dem Jren weg. 

„Ruhe, junger Menſch!“ fprach der Eine mit BER 
fo ernften Miene, daß dem zusfenden Jünglinge das 
Wort auf den Lippen erftarb. 

„Geduld, Mafter James,“ ſchrie der etwas aus 
feiner Faſſung gefommene Ire darein; „Ihr feht, die 
NYankees haben nicht gar zu vielen Reſpekt vor einem 
englifchen Gentleman; am beften iſt's, Ihr ergebt 
Euch in Euer Schickſal. Hätt's nicht gedacht,“ fuhr 
er fort, „hat's aber ſchon meine Großmutter ihrer 
Tochter gefagt. Hörſt Du, Davy, jagte fie, Dayy, 
fagte fie,-bift ein geſchickter Balg, fagte fie, und geb’ 
nur recht fleißig in die Schule zum Pater Murdoch, 
fagte fie, aus Dir wird etwas Hohes. Aber der ver- 
dammte Greole, fein Wort franzöſiſch kann er.“ 

„Und Du haſt mit ihm geſprochen?“ fragten * 
Zwanzig lachend. 

„Mit ihm geſprochen? Ei, das hab' ich, hab' mit 
größern Herrn geſprochen als dem ſchäbigen Creolen 
da, und verdammt mag ich ſeyn, wenn's nicht wahr 
iſt; hab' mit ihm parlirt, fo klar, jo deutlich, wie's 


» 


RE 


{1 


nur immer jeyn fann. Fragt nur Mafter James. 
Ah, der arme Mafter James! der hat 'mal fo ein 
Armefündergeficht, — habt doch 'mal Mitleid ;.Hatt’n 
juft ein paar Stunden zuvor aufgegabelt, lugte mir 
da am Waldrande herum, wollte mit dem ſchwarzen 
Gentlement da nicht recht hinein und nicht heraus; 
dacht' mir, bei Dem ſieht's auch nicht zweimal richtig 
aus, willſt doc) 'mal ſehen, was fie vorhaben, hat's 
aber im Geſicht; hab'n kaum angeſehen, wußt' ich 
ſchon, wie viel es geſchlagen hatte. Ei, ſagt' ic, 
Maſter, ſagt' ich, woll'n 'mal zufammen ſchauen, ob 
wir den Nankees nicht ging Nafe drehen und und 
nah Newyork oder Philadelphia durchſchlagen können. 
Es fann doch fo gar weit nicht ſeyn?“ | 

„Eine Kleinigkeit,“ Yachten Alle; „fünfundzwanzig⸗ 
hundert Meilen. u 

„Nankee⸗Meilen?“ fragte der Irlander mit einem 
pfiffigen Blinzeln, „davon gehen eis. .r eine 
englifche. « 

„Der Kerl ift witzig,“ riefen ihm Einige zu. 

„Ne, Spaß bei Seite, fir es wirklich zwei⸗ 
tauſend ?“ 

„Fünfhundert darüber, und gute.“ 

Der Legitime. II. 6 








a a ei, 


J— 
—8 82 — 
„Bei Jaſus!“ kreuzte ſich der Irländer, „wenn's ſo 
iſt, da war meines Vaters Sohn doch ein gewaltiger 
Narr, daß er feine ſechsunddreißig Dollars fo ver⸗ 
ſilbert, ald wenn fie ihm in der Taſche brennten. 
Und wenn fie nun Alle jo find, wie der verfluchte 
Nantang pas, ftellt Euch) 'mal vor: ald wir ung denn 
da mit Mafter James und dem Neger-Gentleman 
zufammen gefunden, da machten wir und aufn Weg; 
hr wißt warum und weßwegen: in unfern Magen 
hatte es bereits zwei Mal Mittag gefehlagen. Wohl, 
famen denn fo in der beften Intention auf ein Haus 
zu, und ein ſauberes Haus war's auch noch ‚ ftebt fo 
ein Landlubber mit zmei Lehdies vor der Thür, und 
fieht uns ganz behaglich zu, wie wir Einer nad) dem 
Andern angeftiegen Famen. Mafter James hielt ſich 
jedoch zurück und wollte auch mich nicht vorlaſſen; 
aber Davy iſt Fein Narr, und fo ging er denn friſch 
d’rauf und d'ran. Es that Noth, in meinem Magen 
rumpelte e8, fo wahr ich meines Vaters Sohn bin, 
wie in der Sarah, wenn ein Nordiwefter angezogen 
fam. Thut mir nur leid um den ſchönen Kratzfuß 
und die vielen Gomplimente, die ich ſchnitt; aber die 


— 83 ⸗— 


Damen waren ſauber, keine ſchönern in Dublin, und 
das will viel ſagen.“ 

Der Ire war mit feiner Begleitung, worunter wir 
die ſämmtlichen zurüdgebliebenen Milizen verftehen, 
vor dem Wachthauſe angelangt. Cine Anzahl der- 
jelben hatte fih vor den Eingang geftellt, fo gleich- 
jam ftillfehweigend den Wunfch zu erkennen gebend, 
noch etwas mehr von dem Yuftigen Zeiſige zu hören, 
ehe ex in die Wachtftube abgeführt würde. Sein um- 
gemein drolliges Wefen und. feine unverftegbar um= 
verſchämte gute Laune hielten die Mienen feiner Zus 
hörer in fteter Tachluftiger Spannung. 

Wohl, Gentlemen,“ fuhr er fort, „rückte ſodann 
die Kappe in der Hand an meinen Mann und die 
beiden Lehdies heran, und fragte ihn auf fo gut fran= 
zöftjch wie Ihr je gehört habt: Parleh fouhs frenseh 
Monsiehour ? fagt’ ich ; wui, jagt er; da war ich froh. 
Mir find zwei arme reifende Gentlemen von der See, 
mit dem ſchwarzen Gentleman vom Lande hier, Has war 
der Neger, und wir wollten gerne fogleih nad New⸗ 
york oder Philadelphia oder Bofton, wenn das näher 
ift, jagt’ ich. Da winkt der verdammte Landlubber, 
ſchaut mich an, als hatt! er im feinem Leben feinen 

6 * 


— 84 — 


Theer gefehen, und heißt mich — einen Je 
nantang pas.“ 

„Das Parleh fouhs frenseh Monsiehour Haft Du 
franzöſiſch gefragt, das Uebrige aber in Deinem 
kauderwälſchen irifehen Brogue, 4 bemerkte Einer der 
Umftehenden lachend. 

„Ei, bei allen Mächten! wie glaubt Ihr wohl, 
daß meines. Vaters Sohn auch reden ſoll, als in ſei⸗ 
ned Vaters Sprache?u 

&3 brach nun ein Gelächter aus, fo brüllend, fo 
übermäßig, daß die bereit weit entfernten Frauen 
und Mädchen verwundert ftehen blieben. Nur der 
Britte ſchoß wüthende Blicke auf feinen armen irlän- 
diſchen Reifegefährten. 

„Und was thateft Du?“ fragten ihn Zwanzig. 

„Damn yo,“ fuhr der Ire fort, als fich der Auf 
ruhr ein wenig gelegt hatte, „glaubt Ihr, ich hab' 
ihn fo bald fahren Taffen, wenn mir aus der Küche 
herüber der Dampf fo Tiebreich in die Naſe fuhr? ich 
fragte ihn nochmals: ‚Parleh fouhs frenseh Monsie- 
hour, jagt ich, und der Kahlkopf jagt wieder wui, 
und als ich ihm wieder unſere Noth auseinander 
ſehte, ſchaut er mich wieder wie verrückt an. Der 


R 








5 


Maulaffe, er verftand wieder kein Wort franzöſiſch, 
und als ich ihm weiter erklärte, ward er zornig und 
hieß mich wieder einen Je nantang pas.“ 

„Und Du?“ brüten Fünfzig. 

„Fragt ’n nochmals: Parleh fouhs frenseh Mon- 
siehour ? und dann jagt’ ich ihm, der Teufel joll ihn 
holen, wenn :er fo gleichgültig zufehen fann, wie 
zwei Gentlemen am Hungertuche nagen. Er aber 
hieß mich wieder giftig einen Je nantang pas. “ 

„Ei, das haft Du aber doch nicht geduldig ein— 
geſteckt; riefen ihm Zwanzig mit brüßfendem Ge— 
Lächter zu. 

nDa fennt Ihr Davy Murphy ſchlecht, wenn 
Ihr denkt, er ginge ſo leichten Kaufes davon; war 
ſchon halb wild und rief ihm nochmals mit lauter 


Stimme in die Ohren: Parleh fouhs frenseh Mon- 


siehour ; aber da hättet Ihr ihn fehen follen, er wurde 
toll wie Capitain Morand, wenn's nen Squall ſetzte 
und er von der Numflafche weg muß, zappelte vor 
Wuth an allen Gligdern und fuhr auf mich zu. Um 
das hätte ich mich wenig geſcheert; aber es kamen ein 
Halb Dutzend Neger mit Knitteln und Befen, Alle 
auf mich los. Wurden ihrer zu Viele, und fo {haut 


—) 86 


ich denn, wo der Zimmermann s doch offen helaſſen 
der verfluchte Landlubber!“ u 

„Und. wie ging e8 Euch weiter?“ fragten Zwanzig. 

„Hört 'mal,“ fuhr der Irländer fort, „in Eurem 
Danfeelande weiß man nicht, ob man gefotten oder 
gebraten ift; aber wenn wir nicht geftern in einer 
Näuber- und Mörderhöhle waren, Mafter James 
Hodges, fo will ich wie eine Kanone vernagelt —* 
Bei Jaſus! Und die alte Vettel vor der Thüre. 

„Hund,“ rief Einer der Hintenftehenden, „ich ve 3 
Dir den Hals um, wenn Du meine Mutter fo titu- 
lirſt.“ 

„Ei, Mutter! Capitain Rock hatte auch eine, und 
James Kirkpatrik, der in Ketten zu Greenwich ge— 
rade unterm Hoſpital am Strande hängt, könnt ihn 
noch klappern hören, wenn der Wind zieht, der hatte 
wohl auch eine?“ 

„Ne, weiter,“ beruhigten ihn Andere, „fürchte 
Dich nicht. « 

„Verdammt fey Deine Plauderzunge,⸗ rief ihm 
der Britte zu, der ſich kaum mehr halten konnte; 
„wenn Du nicht ſchweigſt, fo drehe ich Dir den Hals 
um.“ 


— 97 — 


Er machte Miene, ſeine Drohung in Ausführung zu 
bringen, jedoch ohne auf den eigenwilligen Iren die 
mindeſte Wirkung hervorzubringen; im Gegentheile, 
der Zorn ſeines vormaligen Gefährten ſetzte ſein 
Mundwerk nur um ſo mehr in Bewegung, als er 
ſeinen Triumph in den Geſichtern der Menge las. 

„Schaut nur, wie Ihr d'raus kommt, Maſter Ja⸗ 
mes,“ rief er, „und laßt mir die Sorge für meine 
Zunge. Meine Zunge iſt eine ſo gute Zunge, wie 

eine in Irland, hat Niemanden etwas zu leid gethan, 
mieine Zunge; habt ſie nicht gefüttert, meine Zunge; 
braucht ihr alſo nicht das Reden zu verbieten, meiner 
Zunge.“ 

„Bravo, Paddy!“ rief es von mehreren Seiten, 
„Du biſt in einem freien Lande.“ 

„Eben deßwegen,“ fuhr Dieſer fort, „aber der 
Teufel ſelbſt hatte Reipaus genommen, wenn er mit 
uns im Bette gewefen ware. Wohl denn, Gentles. 
men, als wir fo liefen, die Neger hinter ung drein —“ 

„Selbſt Neger,“ Ereifehten ihm ein Dutzend Wol- 
köpfe aus dem äußern Halbzirkel zu. 

„Laß Dich nicht irre machen, Davy!“ 

„Wohl,“ fuhr der Ire fort, wald wir fo liefen — 


ER NE 


— 8 ⸗— 


auch Mafter James hob feine Beine, da gings denn 
“ fort über Stumpf und Stiel, durch Wälder und Fel- 
der, weiß felbft nicht mehr wie lange, wir Tiefen wie 
zwei ehrliche Unterthanen Sr. brittiſchen Majeftät 
nur laufen können, wenn die Danfees hinter ihnen 
drein find. « 

„Das war nicht übel, Paddy,“ bemerkte Sin, 
hier ift ein anderer halber Dollar. « 

„Der Simmel fegne 68,4 verfeßteder Junge, „wenn 
nur Euer Whisky nicht gar fo fehlecht wäre! — Wir + 
waren ein paar Stunden jo ausgezogen, auf einmal 
fahen wir una vor einem Haufe oder einer Hütte oder 
einem Blockhaus, wie Ihr e8 nennen mögt. Saß da 
eine Alte vor der Thür, und wieder fragt’ ich: Parleh 
fouhs frenseh._Monsiehour ? und fie fehüttelte den 
Kopf. Wollte ſchon abziehen, Dachte, da ſetzt's auch 
nicht viel, fragte aber doch, ob wir nicht eine kleine 
Unterlage für unfere rebellifchen Mägen und Knochen 
haben könnten ; und hof’ mich der Teufel, fie fagt ja, 
in einem fo guten Engliſch, als je in Kildare gehört 
wurde; aber kamen uns theuer zu ftehen, die Schin= 
fenfchnitte und Wälſchkornpfannkuchen und der Thee. 
Es jah grauslih aus in der Stube, Fünnt mir's 








—) 89 — 


glauben! ein Menſchenkopf mit Füßen und Beinen 
in einem Troge, die Arme in einem zweiten, dazu das 
Grabeslicht; wir ſaßen wie im unterſten Schiffsraume 
bei unſerm Nachteſſen.“ 

Der Britte wurde mit jedem Augenblite ärger» 
licher. | | 

„Wohlwerthe!“ fuhr der Ire fort, „Dayy ift fein 
Narr, er weiß was er weiß, umſonſt hat uns die 
alte Hexe nicht fo freundlich ind Haus hineingewinft, 
und dann das Mefierichleifen in der ſpäten Nacht — 
he? — haben wir's denn nicht mit unſern eigenen 
Ohren gehört?“ 

Die drei jungen Männer, die die beiden Gefange- 
nen und ihren luſtigen Compagnon eittgebracht hatten, 
fprachen nun Teife mit den Milizen, und es entftand 
wieber ein lautes betäubendes Gelächter. 

„Und fie Haben alfo auf Euer Eoftbares Leben einen 
Anſchlag gemacht? fragten ihn Mehrere. 

„&i, Ihr mögt Lachen,» ſchrie der Ire, „wär't Ihr 
aber an unſerer Stelle geweſen, wäre Euch das La— 
chen wohl vergangen. Als wir fo im Bette lagen, 
Mafter James und ich, und die draußen in der Stube 
‚ unter einander zu wispern anfingen: Die Beiden ent- 


— 0 ⸗— 


gehen uns nicht, aber haltet die Mefjer parat, es ift 
Nacht, und die Kugeln könnten fie nuranfehießen, laßt 
ſie ruhig noch eine Weile im Bette und fehneidetihnen 
die Knniegelenfe ab. Ja, fo jagten fe, und das mun— 
felten fie,“ werficherte der Ire, „und was fagt denn 
Ihr dazu? fragte er die Umftehenden. 

„Das ift ja ſchrecklich,“ riefen Mehrere mit einem 
Schauder, der wieder in einem brüllenden Gelächter 
endigte. ' 

„Ja, das war e8 auch; aber wir fprangen, als 
wir die Vögel fo fingen hörten, Beide zugleich aus 
dem Bette, al3 ob der Donner drein gefahren wäre. 
Mafter James, der wollt’ es anfangs nicht glauben; 
aber dann horchte er felbft an der Thüre, und dur 
die Spalte jah er ihrer Drei in der Stube, ihre Stußer 
in der Hand und ihre Meffer auch, und auf unfere 
Thüre fehauten fie jo grimmig, da ſprangen wir Beide 
zugleich aus dem Fenſter auf gut Glüd.u 

„Und Ihr zwei Schaafsföpfe habt in allem Ernſte 
Mistreß Blunt für eine Räuberin und ihre Söhne 
für Räuber gehalten?“ fragten ein Dutzend zugleich. 

„Bei allen Mächten!“ rief der Irländer in verwirr- 
tem Staunen, „wie meint Ihr das?“ 


— 


N 


— 1 


„And die Hirſche, die fie in der Nacht zu jagen 
ausgingen, auf Euch gedeutet ?« fragten andere Zwan⸗ 
zig, „und die geſchlachteten Schweine für gemordete 
Menſchen angeſehen? und Euer geſcheidter Compag- 

non, der Midſhipman im Donnerer Sr. brittiſchen 
allerexcellenteſten Majeſtät, Hat ſich auch aus dem Fen⸗ 
ſter ſalvirt?“ fragte ein dritter Haufe. 

„Ach Der ſprang,“ rief der Ire, in deſſen neblich- 
tem Gehirn e8 allmäahlig zutagen anfing, „Der fprang, 
als ob der Donner in den Mainmaft hineingefihlagen 
hätte. Flugs war er durchs Fenfter; aber der arme 

Gentleman war aus 'm Regen in die Traufe gekom— 
men, und fehrie, als ob er am Spieße ſteckte; er war 
einem brummenden Bären in den Rachen gelaufen. 





Dweinnddreißigftes Kapitel. - 


Wie ein Bogel, der ven Faden bricht 
Und zum Walde Eehrt, 
Schleppt er des Gefängniſſes Schmach 
Noch ein Stückchen, den Faden, nach; 
Er iſt der alte freigeborne Vogel nicht. 
Göthe. 


Unſere Leſer kennen die ernſte, ſtattlich ſteife Per— 
ſon Bruder Jonathans oder, wie er ſich neuerlich zu 


% 


— A he ah naae 


— 92 


nennen angefangen hat, Uncle Sams, zu wohl, um 
mit ihm nicht den etwas derben Scherz zu fühlen, der 
ihn nun auf Koften feines ihm eben nicht jehr wohl- 
gewogenen Verwandten zu Theil ward, und der, fo 
wenig übrigens befagter Uncle Sam für vielen Spaß- 
empfänglich ift, des wahren Salzes eine zu ftarfe 
Dofis hatte, um ihn nicht zu vermögen, Die herge= 
brachte, etwas fteife republifanifche Würde einftweilen 
abzulegen und feine Lachorgane in Bewegung zu feßen. 
Es war wirklich ein recht origineller Streich John 
Bulls, mit all der gehörigen Farbengebung von Ueber- 
muth und Albernheit, Troß und panifchem Schreden, » 
die unferm Verwandten bei feinen Befuchen im Lande 
Bruder Ionathans fo häufig Poffen fpielen und ihm 
jene tragifomifchen Schattenfeiten verleihen, die das 
Charaftergemälde erſt in feiner Vollendung darftellen. 
Das Schickſal ſelbſt ſchien fich verſchworen zu haben, 
unjerm jungen brittifchen Uebermuthe eine derbe Lek— 
tion zu geben. Unſere Leſer werden nämlich aus der 
verworrenen Relation des Iländers entnommen has 
ben, daß unfer Held, gerade wie er mit feinem ſchwar— 
zen Gefährten von der Straße in den Ward einzulen- 
fen im Begriffe ftand, von Diefem entdeckt und mit 





EEE TEN WER 





— 9 


iriſcher Zudringlichkeit um fo weniger losgelaſſen 
- wurde, als er gleichfalls die Ehre hatte, ein Theer zu 


fegn. — Auf dem Irrzuge, den fie nun miteinander 
antraten, war der Irländer auf die erfte Prlanzung, 
die in feinem Wege Tag, mit ächt irifcher Unverfehämt- 
heit Sturm gelaufen, um mittelft feiner franzöſiſchen 
Sprachkenntniß fich und feinen beiden Compagnons 
eine Eleine Magenunterlage, wie er e8 nannte, zu 
verfchaffen. Der Ire war in feiner Anrede an den 

Creolen natürlich im parlez-vous francais ftedfen 
geblieben und hatte auf fein weiteres, im rauhen iri= 

ſchen Dialekte vorgebrachtes Kauderwälſch ein „je 

n’entends pas‘‘ zur Antwort erhalten. Als er zu- 

dringlicher wurde, ließ ihn der Greole wie es zu er= 

warten ftand, im Glauben, er werde zum Beten 

gehalten, aus dem Haufe werfen. Das Lücherlichite 

dabei war jedoch der Umftand, daß der Junge noch 

immtex, nicht begreifen Eonnte, warum der Creole ſei⸗ 
nen irifchen groben Brogue nicht für baar franzöſiſch 

verftehen wollte, nachdem er doch fein parleh fouhs 

frensch Monsiehour, das fich in feinem Gehirn feſt— 

geſetzt, dafür erfannt hatte. 

Der zweite Berfuch unferer Abenteurer war nicht 


—9 4 


weniger betrübt auögefallen. Vor einem Hinter: 
wäldlerhaufe angekommen und da ſelbſtmitleidig auf- 
genommen, hatte ihre aufgeregte Phantafie die 
abgethanen Schweine für gefchlachtete Menfchen an= 
gefehen und die Reden der fich auf eine nächtliche Hirſch⸗ 
jagd vorbereitenden Söhne des Hauſes ihre Gehirn- 
kammer fo gänzlich in Aufruhr gebracht, daß fie, um 
ihre Haut zu retten, in gerechtem Entſetzen bei Nacht 
und Nebel aus Bette und Fenſter ſprangen wobei 
unfer Midfhipman noch das Unglück hatte, einem 
jungen Bären, der, wie dieß häufig der Fall ift, zur 
Maäftung an einer Kette lag, in die Tagen zu gera- 
then und fo feftgehalten zu werden, bis fein Hülfe⸗ 
ruf endlich die drei Söhne des Hauſes herbeilockte. 
Auf unſern Britten nun hatte der Auftritt eine 
ſeltſame Wirkung. Er beſaß überhaupt, wie unſere 
Leſer wiſſen, bei vielem Muthe auch eine reichliche 
Gabe jenes kalten, höhnenden Uebermuths, den die 
ariſtokratiſchen Jünglinge des Mutterlandes ſo un⸗ 
vergleichlich in Worten und Geberden an den Tag zu 
fördern verſtehen, jenen kalten, felbſtiſchen uebernmuth, 
auf den John Bull ſich ſo viel zu gute thut, und der, 
die Wahrheit zu geftehen, ihm vieleicht mehr genügt 





— 5 


hat im gewaltfamen und friedlichen Verkehre mit fei= 
nen gefügigern und fehlichten Nachbarn, als jein wirkli⸗ 
cher Muth, der aber gewöhnlich den Kürzern zieht im 
Verkehre mit feinem Falten, ftarren Verwandten. So 
ſehr er ſich nun in dem Spotte gefallen hatte, den er 
ziemlich derb bei jeder Gelegenheit über die ſogenannten 
Nankees ausgegoſſen hatte, fo ſchien ihm doch die Noth⸗ 
wendigkeit nicht einzuleuchten, die kleine Züchtigung, die 
er ſich ſelbſt zugezogen, mit Anſtand zu ertragen. Schon 
daß er, ein Midfhipman im Donnerer, vor einen 
bunten Haufen Danfees gebracht worden war und da 
fein Verhör beftehen mußte, war ein Umftand, der 
ihm, der fich feine Richter nie ohne die gehörigen 
Perücken oder menigftens goldene Epaulettes denken 
fonnte, mit Schauder erfüllte; daß aber eben dieſe 
Danfees in ihrer plebejiſchen Frechheit fo weit gehen 
und einen brittifchen Offizier, der die Lieutenantfchaft 
gewifjermaßen in der Taſche hatte, zum Gegenftande 
ihres Gelächters machten, überftieg fein Capacitäts- 
vermögen fo fehr, daß wir ihn, den fröhlichen June | 
gen, der biöher i in guůten und ſchlimmen Lagen ſich ſo 
wacker und launig bewieſen, kaum mehr erkennen 
würden, hätten wir nicht. den Schlüſſel zu dieſer felt- 


a 
* 


— 6 — 


famen — — im Ren HENE beſagten 
John Bulls. 

Er ſtand nun, in Folge ſeiner Entweichung und 
der durch Roſa und die Indianer gegebenen. Aufklä⸗ 
rungen, abermals im Verhöre, das der Comman— 
dant des Depots fogleich nach dem Exercitium zu⸗ 
ſammenberufen hatte. So ſehr Dieſer von ſeiner 
Unſchuld überzeugt ſeyn mochte, ſo konnte er doch 
nicht umhin, bei dem Vernehmen des jungen Man⸗ 
nes alle jene Genauigkeit und ſelbſt Strenge blicken 
zu laſſen, die ebenſo die Unſchuld des Jünglings, 
als ſeine eigene Unpartheilichkeit darthun ſollte. Ein 
ſchleuniges Verfahren war um ſo nöthiger, als, trotz 
der einleuchtenden Unſchuld des Verdächtigten, Gefahr 
im Verzug obwaltete. Selbſt der Umſtand, daß ein 
Bewohner des Städtchens mit in ſeine Entweichung 
verwickelt wär, erfchien von einer um fo größeren 
Bedeutung, als wirklich mehrere fehr gefährliche Ver— 
ſchwörungen von Ausländern in der Hauptſtadt ent» 
‚deckt worden waren. Allein ber Gapitain fand in 
diefer feiner menfchenfreundlichen Bemühung, den 
jungen Mann ſo ſchnell als möglich aus feiner Friti- 
ſchen Lage zu reißen, nicht geringe Schwierigkeit in 





— 7 — 


Diefem, der es recht darauf angelegt zu haben fehien, 
feine gute Sache felbft zu verbetben. Der junge Mann. 
hatte den Kopf gänzlich verloren und jehon bei feinem 
Eintritte in die Berhörftube dieſes durch einen Trog, 
einer Sintanfegung alles Anftandes bewiefen, der die 
ſämmtlichen Offiziere mit Unwillen erfüllte. Im Ver— 
Laufe des Verhörs ſah fich der Capitain einige Mal 
gensthigt, ihn ernftlich zurecht zu weiſen. Das Ver- 
hör hatte bereit3 mehrere Stunden gedauert, ohne 
ein Refultat zu ergeben. Selbft die Frage, ob er mit 
einem der Einwohner des Städtchens im &inver- 
ftändnifje geweſen, wollte er, trotz des Flehens Diefer, 
nicht ‚beantworten. Mehrere waren bereits mit ihm 
eonfrontirt worden und unter Diefen unfer Schenk- 
wirth, den wir unter dem Namen Benito Eennen. 
Die Offiziere fehritten nun zum legten Bunfte, näm— 
lich der Confrontation mit. den Indianern. Zuerſt 
wurde Roſa eingeführt. 

„Ihr bekennt alſo nicht, daß Ihr mit Tokeah und 
den Seinigen in Verbindung geſtanden ah gu — | 
Capitain Bercy. 

Der-Öefangene gab ein verdrießliches „Nein“ zut 
Antwort. 

Der Legitime. IN. 7 


— 8 — 


„Kennt Ihr junge Dame?u fragte der Ca⸗ 
pitain. 

Roſa war an der Hand zweier ‚often vun bie | 
geöffnete Thüre eingetreten. Sie verneigte ſich ſitt⸗ 
ſam vor den Anweſenden, die ihrerſeits aufſtanden 
und ſie baten, ſich auf den Seſſel niederzulaſſen, den 
Einer der Offiziere für ſie hinſtellte. Sie hatte jedoch 
den Gefangenen kaum erſehen, als ſie auf ihn zu⸗ 
trat, und, ſeine Hand erfaſſend ‚ihn fragte: „Mein 
Bruder! Du bift ſehr blaß; Wer hat Dir etwas zu 
leid gethan tu 

Das bekümmerte Mädchen, das ihm theilnehmend 
wehmüthig ins Auge blickte, weckte ihn für einen 
Augenblick aus feinem düftern Dahinftarren. Gr ſah 
fie forſchend, kalt, Beinahe unwillig eine Weile an. 
„AH, Roſa, find Sie es? Vergebung. — Und wie⸗ 
der heftete er feine Augen zur Erde. 

Die Offiziere fehienen eine nähere Erklärung der 
beiden jungen Leute zu wünfchen; aber der Gefangene 
fehwieg fo eigenfinnig verdüftert, daß dem Mädchen, 
das ihn einige Zeit verwundert angefehen hatte, ſicht⸗ 
lich bange ward. 

„Mein Bruder !u ſprach fie mit flehender Stimme. 








a u ee 


— 9 
„warum bift Du böfe? Du zürnt Kr Bi Deiner 
Schwefter ?« 

„Mein Bruder!“ bat fie abermals, wrede Doch! 
ach warum bift Du nicht bei dem Miko geblieben. 
Sieh, Canondah bat es Dir gefagt, daß die Weißen 
Dich tödten würden. Ab, vielleicht wäre Vieles nicht 


geſchehen. Mein Bruder! Nicht wahr, die Reit 


find kalt?“ flüfterte fie. 

Ein Knirfehen mitden Zähnen war all’die Antwort, 
die fie erhielt. — Sie zog ſich verſchüchtert zurück 

„Wollen Sie gefäligft, Miß Roſa,“ fprach der 
Gapitain Percy endlich nach langem vergeblichen 
Warten, „uns einige Fragen beantworten 2u 

„Ja wohl, mein Bruder;“ verſetzte fie. 

„Sie Eennen den Gefangenen?“ auf den Britten 
deutend. 
„Gewiß, mein Bruder!“ 

„Wie kam er in das Wigwam der Indianer?“ 

"Ganz krank und verwundet.“ EN 

„Wer nahm ihn auf ?« 

„Canondah, die Tochter des Miko, auf die Bitte 
Nofas. Der Miko war auf der. großen Jagd.“ 





— 10 — 


„Hat er während feines Aufenthaltes im Wigwam 
der Oconees den Miko gefeben *« 2 | 
„Nein, mein Bruder! Er zitterte vor Furcht; ihn 
zu fehen. Er rannte Tag und Nacht, um aus dem: 
Wigwam zu entfommen, ehe der Miko zurückkehrte 
und nachdem er geſund geworden war. Er hat den 
Piko nicht geſehen.“ | 
„Er bat alfo mit den Indianern, männlich oder 
weiblich, Feine Art von Verbindung gehabt?“ 
„Nein, mein Bruder! Er fprach bloß mit Canon⸗ 
dah, Die ihm zu eſſen brachte, und mit Roſa.“ 
„Wie lang blieb er im Wigwam?“ Ad. 
nSiebzehn Tage oder Sonnen.“ 
- Der Öefangene hatte feine Augen ftier auf den Bo- 
den geheftet; zuweilen raffte er fich auf, warf einen 
Blick auf die Sprechenden, dann verfanf er in fein 
voriges Dahbinftarren. 
Der Capitain ftand num auf, und Roſen bei der 
Hand nehmend, führte er fie ſeitwärts zu einem Site, 
fie erfuchend, einftweilen Platz zu nehmen. 
In demſelben Augenblicke trat der Milo, begleitet 
von zweien ſeiner Oconees, ein. 
„Tokeah!« rief der Jüngling, der den Indianer 





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‚eine Weile ftier anfah und dann wieder das Auge zu 
Boden ſchlug. „Damn, Euer Wigwam,“ murmelte 
er in fich Hinein, „hat mich in eine faubere — 
geben: u 
‚Der Häuptling fah den Gefingenen eine Weile 


aufmerkſam an und ſprach dann: „Tokeah hat e8 fei= 


nem Bruder gefagt, als er von ihm Abſchied nahm, 


% daß ihn die Weißen als Späher einfangen würden. Mein 


Sohn hätte bei dem rothen Männern bleiben ſollen.“ 
„Damn die weißen und dierothen Männer ;# mur- 
melte der Britte zwifchen den Zähnen. „Wollte, ich 
wäre lieber in die Hölle gerathen, als in Euer Wig- 
wam und unter Die — 4 
Der Indianer wurde immer aufmerffamer. 
„Tokeah!“ fragte der -Gapitain, ift diefer junge 


Mensch Derfelbe, der ſich vierzehn Tage bei Euch auf- 


gehalten hat?“ 
„Er ift es,“ ſprach der Indianer, „den Eine, die 
nicht mehr ift, und die weiße Roſe rag 
des Miko gebracht haben.“ 
» Dem Eure Tochter die leibimgäftlice ee bat, 
die er auf dem Leibe trägt. « | 
Der Indianer nickte. 





en e⸗ cu 2 

»Der aus dem Wigwam entwiſcht ift, gegen Euern 
‚Willen und Euer Wiffen ?“ fragteder > 

„Ich glaube, Gapitain, Semertte der Zu 
figende, „Sie follten die Beiden con — und 
nicht dem Indianer die Worte auf die Zunge legem⸗ x 

„Tokeah,“ ſprach der Häuptling, hat feinen Mund 
bereitö zweimal geöffnet und feinen weißen Brüdern 
- die Wahrheit gejagt; der Miko fehlief, fein weißer 
junger Sohn Fam und er mar auf der Jagd, als er 
ging.“ 

„Und warum,“ ſo fragte der Milizenoffizier den 
Gefangenen, „habt Ihr Dieſes nicht früher geſagt?⸗ 

Dieſer gab keine Antwort. 

Der Indianer ſah ihn eine Weile verwundert an 
und ſprach dann: „Mein Bruder mag reden; er mag, 
was Tokeah gefagt hat, mit feiner Zunge befräfti- 
gen; der Mifo bindet feine Zunge nicht mehr.“ 

Der Gefangene ſchwieg noch immer. „Der Miko,“ 
fuhr er endlich mürriſch heraus, „weiß, was er zu 
thun hat, und ich thue, was mir gefällig iſt.“ 

„Als mein weißer Bruder das Wigwam der Oe— 
conees verließ,“ ſprach der Indianer kopfſchüttelnd, 
„da band ihm Tokeah die Zunge, weil er den Pfad, 





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der zu feinem Wigwam führt, rein halten wollte. Es 
ift nun nicht mehr und der Seeräuber hat es ver- 


brannt, Tokeal hat ihm den Rücken gewendet. Mein 
y Bruder mag veden. Mein Sohn muß reden,“ fuhr 
er nach aner abermaligen Pauſe fort; „die weißen 


Brüder und der große Vater würden jonft glauben, 
daß er und die Seinigen auf dem nämlichen Pfade 
mit den Söhnen des Vaters von Canada begriffen 
find. 7 

„Glauben Sie, Gapitain, Daß dieſes in der Ord⸗ 
nung ift;# bemerkte wieder Einer der Beifiger. 

„Ich glaube, es ift ganz’ in der Ordnung;“ er— 
wiederte Diefer. „Wie wir aus dem Protokolle, das 
vorgeftern mit den Indianern aufgenommen wurde, 
erfehen, jo hat Diefer dem Gefangenen das Ehren- 
wort abgenommen, die Lage feined Wigwams an 
Niemanden zu verrathen. | 

Der Indianer hatte unterdejien den Gefangenen 
aufmerkſam betrachtet. „Mein —I FR ſprach er, 
„iſt wie der Büffelſtier, ber in der rub 
Sein Muth iſt im Loche —— u Und mit dieſen 
Worten wandte er fich von ihm. 

„James Hodges,“ fprach der Gapitain, 4° jeyd 





x 





Moe. er 


% ; 
hiermit aufgefordert, Grflärung über Cuern Aufent- 


- Halt bei den Indianern zu geben. Ich kann bei dieſer 


Gelegenheit nicht umhin, Euch Gerechtigkeit hinſicht⸗ 
lich der Treue widerfahren zu laſſen, mit der Ihr: 
Euer, dem Indianer gegebenes Ehrenwort gehalten” 
habt.u 

„Sie haben ihn ja gehört, io wie das Mädchen. 
Schreiben Sie, was Sie wollen; thun Sie, was Sie ai 
wollen.“ 

„Ihr meint Miß Rofa, junger Menſchh verwies 
ihm der Offizier, „dieſelbe junge Dame, die Euch mit 
Gefahr ihres Lebens aus dem Wigwam entließ?« 

Der Gefangene erröthete; einen Augenblick war er. 
betroffen, dann fehlug er feine Augen wieder zur Erde. * 

„Fahrt nur fort,“ bedeutete ihm der Offizier. 
„Vergeßt jedoch nicht, daß es Eure Angelegenheit 
nicht verfchlimmern wird, wenn Ihr von Perfonen 
mit Ehrerbietung ſprecht, denen Fein Gentleman Ach⸗ 
tung verſagen wird, und die am wenigſten von Euch 
Geringſchätzung verdient haben.“ | 

„Sch habe nichts weiter zu fagen,“ verfeßte der 
Gefangene mit etwas leiferer Stimme und beſchämt, 


n 








—$ 15 —— 
wie es ſchien „Brauche Eure Gunſt und Gnade 
nicht; ;4 fügte er mürriſch Hinzu. 

„Junger Menfch! Ihr ſeyd irrig, wenn Ihr gfaukt, 
es fey bloß um Euch in dieſer Angelegenheit zu thun. 
Ihr feyd e8 der Ehre Eures Landes, Eurer Mitbür- 


ger, der Flotte ſchuldig, zu der Ihr zu gehören vor= 


gebt, den Verdacht abzumälzen, der auf Euch laſtet.“ 
England und feine Flotte werden ihre Ehre ſelbſt 
zu rechtfertigen wiſſen;“ fprach der Gefangene, ſich 
ſtolz aufiverfend. „Scheint, es kitzelt Eu,“ fuhr er 
murmelnd fort, „daß Ihr mit guter Art einen Britten 
in Eure Klauen gebracht habt, an dem Ihr Euer 
Müthchen ungeſtraft kühlen könnt. — Macht, was 
Ihr wollt.“ 

„Es kömmt mir vor, mit dem jungen Menſchen 
iſt's nicht richtig; bemerkte Einer der Milizoffiziere. 
„Ich glaube, wir heben einſtweilen das Verhör auf.“ 

Der Capitain ſchien Bedenken zu tragen und 
wandte ſich nochmals an den Gefangenen. „Ihr wollt 
alſo nicht Rede ſtehen?“ hin 


Ein mürriſch trogiges Kopfſchütteln war Alles, 


was er zur Antwort erhielt. 
" Die Offiziere erhoben fih nun und der Gefangene 


u E11 — 


wurde abgeführt: Ohne aufzublicken hatte er ſich 
gewendet und die Stube verlaſſen. Auch die India— 
ner wurden freundlich entlaſſen, und Roſa wieder 
von zwei Offizieren in die Mitte genommen und aus 
dem Hauſe begleitet. u. 

„Das ift ein jo dummer, roher Junge,“ heb end⸗ 
lich Einer der Beiſitzer des Verhöres an, „als mir 
noch je einer in meinem Leben vorgekommen iſt.“ 

Nichts Hündiſcheres, Verſtockteres;“ verſetzte ein 
Zweiter. „Es iſt, als ob das böſe Gewiſſen ihn 
nicht aufſchauen ließe.“ 

„Ich weiß nicht,“ fiel der Gapitain ein, wer be- 
nahm fich früber mit vieler Artigfeit und ganz ala 
Gentleman. Ich bin wirklich ganz erftaunt über die 
Beränderung, die mit ihm vorgegangen. « 

„Ich weiß nichts vom Gentleman, bin auch Feiner, 
jondern ein fchlichter Pflanzer, » bemerkte der dem Li— 
niencapitain zunächft ftehende Hinterwäldler, «der im 
bellgrünen Frack und pompadourrothen Pantalond 
einen Capitain der Opelouſasmilizen repräſentirte, 
„aber ſo viel ſehe ich, daß der junge Menſch einen 
Trotz hat, wie Einer. Er iſt ein John Bull, ein 
wahrer junger Bull, dem der Kitzel benommen iſt. 











—9 107 — 


Ich Hab’ ihn mir-genau in Opelouſas angejehen. 
Jedes Wort war Hohn, jede Miene ausgelaffen, 
muthwillig; es war des Spottes Fein Ende. Wißt 
Ihr, was ihm den Kitel benommen hat? Die Ge- 
schichte bei Mistreß Blunt. Daß er ein folcher Ha— 
fenfuß war, und ſich fo in's Bockshorn jagen ließ, 
das verzeibt er filh und uns nimmermehr. Glaubt 
mir's, der Junge gäbe fein gutes Wort um fein Le— 
ben, und wäre in diefem Augenblicke froh, wenn wir 
ihn hingen.“ | 

„Das ift auch meine Meinung,“ verfegte ein An— 
derer. „Nehmt John Bull, jo wie Ihr ihn hier vor 
Euch feht, den Hochmuthäteufel, und Ihr habt einen 
Ochſen, und das ift der junge Menſch. Er hat den 
Kopf verloren, und gab’ feinen Levy darum, wenn 
man ihm aush den Hals nähme. Ich glaub’s auch, 
es ware ihm lieb, wenn wir ihn hingen.“ 

"Sp hängt ihn, # meinteein Dritter. „Ich, meiner- 
ſeits, kann nicht fehen, warum wir da mit dem jungen 
Laffen jo viel Federleſens machen. Laßt 'n anrennen, 
wenn er Luft dazu bat. Den ganzen Tag everzirt 
und protofollirt. Es ift halb neun. Wollen doch 
nicht bis Mitternacht ſitzen.“ 





—H 108 ⸗— 3 

Wenn es ſeyn muß, Lieutenant Wels / (era 
ein junger Mann, „ſo wollen wir. Es würde 
und dem Lande zu keiner Ehre gereichen, wenn wir 
uns den Trotz des jungen Mannes zu Nutze machten, 
um John Bull Eines zu verſetzen. Das ſähe ſo hinter Yu 
Rücken aus, daß wir uns wahrlich ſchämen müßte 
Wir find hier, um der Sache auf den —* ‚u \ 
kommen.“ * 

Capitain Percy ſchwieg. Er ſchien ſeine beſondern 
Urſachen zu haben, ſich in dieſe heikele Angelegenheit 
ſo wenig als möglich zu miſchen und die Sache ſelbſt 
ſprechen zu laſſen; wahrſcheinlich hatte er auch deß⸗ 
halb eine größere Anzahl von Offizieren zum Verhöre 
eingeladen, als es gewöhnlich der Fall war. 

„Ihr habt Hier die Kriegsgefege,“ ſprach der Erfte 
wieder. „Nach dem 22. $. gehört er vollkommen vor 
unfere Schranken. Nach dem 43. $. da tft er der 
Verachtung des über ihn niedergefegten Court zeihlich. 
Selbft wenn das Leßtere nur vor die Ohren des Un- 
tern kömmt, jo gnade ihm Gott. « 

„Laßt mich machen, u ſprach der junge Mann, „ich 
glaube, ich kann ihn zum Neden bringen. Laßt ihn 
nochmals vortreten und den Irlander dazu.“ 









PR. 





— 
4 


— 109 — 


| „Wohl, Mifter Copeland, wenn Ihr meint;“ 
verfeßten die Uebrigen. „Sollte ung freuen.“ 

Nach einer Weile traten die Beiden ein. 

„Daphy Murphy!“ ſprach der junge Mann mit: 


ei ‚einem ermunternden Blicke, „Einige von uns haben 





Meine. und Deines Leidensgefährten Gefchichte noch 
nicht gehört. Laß doch einmal los. Wie war e8 mit 
dem nangtang pas und dev Mörderhöhle?“ 

„Bapitain Percy!“ fehrie der Britte aufer fich, 
wich bitte Sie um Gotteswillen.“ 

ECuer Wohlehren!“ rief der Irländer, ſich Hinter 
den Ohren kratzend. „Meines Vaters Sohn iſt ein 
närriſcher Kauz; aber feit der Geſchichte iſt der Gent- 
leman da zum Narren geworden. Ich muß, wenn 
ich muß; aber glaubt mir's, er überfchnappt. « 

„Das kann Euch aber Alles zu nichts helfen; 
verjeßte der Offizier mit einem ſcharfen Seitenblic 
auf den Gefangenen, der abwechfelnd feuerroth und 
leichenblaß wurde. „Wenn Ihr aber,“ fuhr er zum 
Dritten gewendet fort, „Eure Zunge löſen wollt, 
dann erfpart Ihr uns die Mühe, Euern närrifchen 
Landsmann zu hören. Gebt Auskunft über das, 


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* * &. 
* 


* uo > 
was Ihr gefragt werdet, und wir nn eig viel⸗ 
leicht das Uebrige erlaſſen.“ 

Der Gefangene ſchwieg J immer im ſichtlichen 
innern Kampfe; dann fiel fein Auge auf den Iren, 
und als Diefer das Zimmer verlafjen hatte, föste 
fich auch feine Zunge. Uber erft nach geraumer Zeit” 
war er im Stande, die ihm vorgelegten Fragen zu 
beantworten. Als er geendet hatte, ſprach der Ca— 
pitain: „Sunger Menſch, Ihr Habt dießmal befiere 
Richter gefunden, als Ihr verdient. Ich hoffe, Eure: 
Angelegenheit werde fich ausgleichen laffen.“ 


Dreiunddreißigftes Kapitel, 


Mädchen, die gut burchfommert und warm 
gehalten werben,  find,. wie die Pliegen um 
Bartholomät, blind, ob fie gleich ihre Augen 


haben; und dann Yaffen fie mit fi handhaben, 


* 


da ſie vorher ſich nicht einmal — nenn a 


laſſen. 


Auch unſere Roſa ſchien etwas bange zu ſeyn, ein 


wenig verſchüchtert; ein leiſer Anklang von Unruhe, 
von leichter Verſtimmung war an ihr bemerkbar, 


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die e ist hren Grund in der ernftern Betonung ” 


# © überhaupt, die nach dem Abʒuge der Milizen einge⸗ 


treten war, vielleicht aber auch in den Eigenthümlich- 
feiten des Hauſes hatte, in dem fie fich num befand, 
das, obwohl achtungswerth, in vieler Sinficht doch 
vielleicht nicht das geeignetite geweſen feyn dürfte, die 
Mebergangsftufe zu bilden, und ein gewifjermaßen 
aus dem Naturzuftande kommendes Kind, wie unfere 
Roſa, mit den zwangvollen geſellſchaftlichen Verhält- 
niffen der gebildeten Welt auszufühnen. — Unfer 
Pflanzer nämlich ſtammte von einer jener ariftofra= 
tifehen Familien ab, die, in frühern Zeiten herüber- 
gewandert, die Eigenthümlichfeiten der englifchen 
Ariftofratie auf den freien Boden unferes Landes mit 
zu verpflangen beigetragen hatten, und die, obgleich 
fie auf Titel feinen Anfpruch machten, ihre Stamm— 
bäume noch immer eben fo wenig vergeffen haben, 
als ihre im Mutterlande zurückgebliebenen betitelten 
Verwandten. Zwar war das politiſche Glaubens— 
bekenntniß des Oberſten das demokratiſche, und Miſter 
Parker war Einer der Erſten geweſen, der ſich ſeit 
ſeiner Ueberſiedelung der Partei des Testen Präſi— 


denten und Gründers der: neuern demokratiſchen 





—— 





Schule, die im Staate — 75— gewor n | 
gejchloffen Hatte; und der Ernſt, mit dem er die Sache — 
ſeines Freundes Copeland gegen Capitain Percy er⸗ 

griff, ſchien auch die Aufrichtigkeit ſeiner politiſchen 
Grundſätze zu verbürgen. Die näher mit der Familie 
Bekannten wollten jedoch wiſſen, daß er ſich nur noth⸗ 
gedrungen, und weil die alten Grundſätze Virginiens 

hier ganz außer Mode, an die herrſchende demokra— 
tifche Maforität angeſchloſſen hätte. Es wurde ſelbſt 
behauptet, daß der Dberfte nicht nur die im 3. 1789 
ausgefprochenen Herrichergrundfäge feines Staates, 

jene gewifjermaßen zur firen Idee gewordenen Sym- 

bole eines Achten Virginiers, fondern felbft die weiter 
gehenden Irrlehren des alten Adams, wie er felbe in 
feiner befannten Correſpondenz mit Guningham ges 
offenbaret, im Herzen trage; felbft der Eifer, mit 
dem er das Meeting und die dabei gefaßten Reſolu⸗ 
tionen betrieben hatte, wurde auf Rechnung jener 
Schelfucht gefegt, die dem alten ariftofratifehen Bir 
ginier nicht erlaubte, die Anmaßungen eines‘ a 
dem Namen nach befannten und, wenn dag Gerücht 
wahr ſprach, von einer unbedeutenden irifchen Ba= 
milie abfiammenden Emporkömmlings, den der Zu⸗ 


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7 


—9 13 & 


fall gehoben, jo geduldig hinzunehmen. Es war 


ziemlich allgemein angenommen, daß vorzüglich Mis- 
treß Barker an diefer politifehen Gefügigfeit des Ober- 
ften ihren Antheil habe, jo wie fie überhaupt nicht 
nur mit den Führern der ariftofratifchen Partei in 
ihrem Mutterftante, jondern auch in der Bruder- und 
Danfeeftadt in Verbindung ftehen ſollte, noch immer 
der Hoffnung Iebend, Die gegenwärtige demokratiſche 
Tendenz in die ihrer Anſicht nach würdigere arifto- 
fratifche des Mutterlandes oder wenigſtens Mutter- 
ftaates umzuftimmen. 

Diefe politiſchen Gefinnungen hatten nun, wie es 


immer der all ift, auch auf das geſellſchaftliche Ber- 


hältniß der Familie einen bedeutenden Einfluß ge— 
äußert, und einen gewifjen höfiſch berechneten, ftatt- 
Yich fteifen und wieder leichten Ion in ihr hervorge— 
bracht, der jelbft den Nachbarn eine nähere Berbin- 
dung zu verleiden ſchien, Die, obwohl fie in gutem 
Dernehmen mit ihr ftanden, doch ihr. Beſtreben, ſich 
populär zu machen, nichts weniger als zu würdigen 
ſchienen, inſofern dem Oberften bereit mehrere Can⸗ 
vaſſe oder Bewerbungen um Öffentliche confidentielle 
Der kegitime. III. 8 


se 
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J— 





—H 114 &— 


Stellen mißlungen waren, und dieſes troß der Be- 


deutfamfeit, die ihm feine frühe Anfiedelung gab. 

Es waren bereit8 zehn Jahre feit diefer Ueberſiede— 
fung aus feinem Mutterſtaate Virginien verſtrichen. 
Nichts verknüpft aber bekanntlich leichter, bindet 
Bürger-und Bürger inniger an einander, als eine 


folche, und befonders eine frühe Neberfiedelung. Die 


mannigfaltigen Hülfsleiſtungen, die felbft der Aermſte 
dem Reichen zu leiften im Stande ift, die vielfachen 
Entbehrungen, die fih Alle — wenigſtens für einige 
Zeit gefallen laſſen müffen, bringen die beiden End- 


punkte der Gefellfchaft einander fo nahe, und knüpfen 


fie fo feft, daß ein geringer Grad von Vertrauen und 
Zuvorfommen Hinreicht, aus den neuen Nachbarn 
dauernde Freunde zu machen. Das Benehmen der 
zarten, an Ueberfluß und Bequemlichkeiten des Lebens 


gewöhnten Mistreß Parker hatte damals ſehr ges 


fallen. Sie hatte die Entbehrungen des Hinterwäld- 
lerlebens mit einem Gleichmuthe ertragen, dem ſelbſt 


ihre ärmſten Nachbarn die Bewunderung nicht ver⸗ 


fagen konnten. Hülfreich und tröftend, erheiternd 
und Jeitend war fie ihrem Gatten zur Seite geftanden, 
mit zarter Hand bemüht, felbft diefe Entbehrungen 


* 





—9 115 — 


in Genüffe zu verwandeln. Noch war die Blockhütte 
zu fehen, im der fie mit ihrem Gatten und Kindern 
die erften Jahre verlebt. Mit Rührung wies fie in 
die Ecke hin, wo in der einzigen Stube das Piano— 
forte ftand, an dem fie ihres verehrten Händels fromme 
Melodieen ihrer Familie nah vollbrachtem Tagwerke 
vortrug. Mit Stolz zeigte fie Die abgetragenen Klei— 


der, die in derfelben Hütte als Andenken hingen, und 


von ihrer Hand gefertigt waren. Ste war überhaupt 
eine Frau von trefflichen Grundfägen und einem aus= 
gebildeten Verſtande; aber obgleich bei einem num 
fürftlichen Vermögen einfach und feheinbar anfprud)= 
108, hatte fie doch viel von jener Vornehmheit, durch 
welche die Damen unferer fogenannten guten Familien 
ihren Mitbürgerinnen gewiffermaßen als Muſter vor⸗ 
zuleuchten beflifjen find; und obgleich weit entfernt, 
der guten Dame ein beleidigendes Vornehmthun zur 
Laſt zu legen, fo hatte fie doch eben diefe Eigenthüm—⸗ 
lichkeit in eine etwas falfche Stellung zu ihren Mit- 


vbürgern verfeßt, die ihrem Betragen etwas künſtlich 


Kaltes verlieh, das vielleicht nirgends. aufgefallen 
wäre, aber bei einem Volke, wo der geſellſchaftliche 
i 8* 


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Be und einftweilen, unſern —* dieſe 


Awentungen über eine Familie zu geben, die zwar, 
wie bemerkt, bei Allen, die fte näher kannten, in hoher 


und verdienter Achtung ſtand, die aber doch einen f 
gewifjen Keim der Ungufriedenheit in fich jelbft ent⸗ 
bielt, und in zu gefpannten Verhältniſſen lebte, um 
ein fo kunſtlo 8 einfaches, aber empfänglich auffaſſendes — 
Gemüth, wie das unferer Nofa, ganz anzufprechen. 
Auf fie hatte das Zufammenleben mit dem gebilde- 
ten, dem feinen Melttone vertrauten Kreife eine ganz 
eigenthümfiche Wirkung. Zuerft war fte erſchienen, 
als ob fie, in einen langen Schlummer verſunken, 
plöglih aus dem Traume erwacht wäre, ſo friſch 
Fächelte fie Alles an, und fo Tieblich ſpiegelte ſich ihr 
ganzes Weſen in den neuen Umgebungen. Dieſer 
Contraſt war wieder fo fein, fie erfchien fo bezaubernd, 
felbft in den Kleinen Verftößen, die fie fich anfangs 
zu Schulden kommen ließ, daß fie für ihre neuen 
Sreundinnen, die das Verhältniß, indem fie bei den 


KL 20 


° Indianern gelebt hatte, nicht Fannten, wirklich zum 


Räthſel wurde. Der reine mütterliche Sinn Ganon- 








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dahs, die wie ihr Schutzgeiſt nur Blumen * ihren 


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Pfad zu ſtreuen bemüht geweſen war, und die Zart- 
heit, mit der ſie von allen rohern Berührungen mit 
den Squaws entfernt gehalten worden, hatten auch 
tie eine gewiffe Vornehmheit gegeben; aber ganz ande⸗ 


ſchen Hofleben, oder vielmehr der Poeſie dieſes Lebens, 
das ſie häufig in den lebhafteſten Ergüſſen überraſchte, 
und beſonders bei jedem unharmoniſchen Anſtoßen 


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ter Art, eine Art Hoheit, eine Zurückgezogenheit, die | 
ſich gleichjam um ihr ganzes Weſen gelegt. Es war 
etwas Mikoiſches, etwas wie Anklang vom indiani= 


auf ihr zart empfüngliches Gemüth bemerkbar wurde: - 


Diefes unharmonifhe Anftogen fonnte, ungeachtet 
der rückfichtsvollen und fchonenden Behandlung, die 
ihr zu Theil wurde, nicht ausbleiben; denn es liegt 
nun einmal im der Natur unferes freien Lebens, daß 
es Diejenigen, die in zwangvollen Berhäftnifjen ges 
lebt und fo geſchmeidiger geworden find, allzu ſchroff 
— allzu frei und rückſichtslos anſtößt, und daß ſelbſt 
die verfeinerten Sitten unſeres ſogenannten ariſto⸗ 
kratiſchen und dem hohen Weltton nähern Lebens, 
dieſe Anſtöße um ſo weniger verhindern können, als 
ihre ſteifern und geregeltern Formen diktatoriſcher 


—d 118 > 


feſtgeſetzt ſind. Bei jedem dieſer Anſtöße nun zog 
ſich das Mädchen immer verſchüchtert zurück, der 


Mimoſa nicht unähnlich, die, von einer rauhen Hand 


berührt, in ſich ſelbſt zurückſchreckt. Allmählig wur 





den auch die Folgen dieſer auf das Gemüth des Kindes 


fieberiſch fröſtelnd wirkenden Anſtöße in einer gewiſſen 
ſcheuen Bangigkeit bemerkbar; die Eigenheiten des 
civiliſirten Lebens, indem ſie klarer vor ihre Anſchau—⸗ 


ung traten, ſchienen ſie mit dem niederſchlagenden 


Gefühle ihres Zurückſtehens in Bildung zu mahnen. 


Sie hing oft nachdenklich das Köpfehen, und Häufig _ 


ſah man Thränen in ihrem Auge. Immerhin dauer- 
ten die Empfindungen nicht lange; ihre natürliche 
Glaftieität und ihr Verſtand gaben ihre bald ihre 


Schwungkraft wieder. Sie hatte überhaupt eine uns. 


gemein richtig klare Anſchauung. Die Eigenheiten 
und Charaktere ihrer neuen Umgebungen batte fie 
gewiffermaßen in den erften Stunden herausgefunden. 


Ohne erinnert zu werden, hatte fie fich die verſchie⸗ 
denen Formen des geſellſchaftlichen Lebens im Ums 
gange in nur wenigen Tagen angeeignet. Ihre Sprache 


verrieth noch am meiſten die Abgeſchiedenheit, in der 
ſie gelebt hatte. Sie war wortarm, und kämpfte oft 


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—$H 119 — 


mit peinlicher Berlegenheit, ihren Ideen Ausdruck zu 
geben. Sie horchte aufmerkfam auf Alles, was ge 
fügt wurde, und fann nach der Weiſe der Indianer 
eine Weile nach, ehe fie Antwort gab. Wenn fie 
jedoch erzählte, war fie unwiderſtehlich; dann war fie 
ganz poetifche Natur. 

„Ach, mein Gott!“ feufzte Virginie eines Langen 


trüben Nachmittags von ihrem Sopha der Ma zu, 


die auf einem zweiten, vor einem mit Wirthſchafts⸗ 
büchern und Papieren überdeckten Tiſche ſaß, ihr 
gegenüber ein junger Mann, von dem unſere Leſer 
als Aufſeher der Pflanzung und Sohne des mit 
Sproſſen reichlich geſegneten Squire Copeland gehört 
Haben — „Ach, Ma!“ rief die Miß wieder, indem 
fie einen’ fürzlich an's Lebenslicht getretenen Roman 
des fehottifchen Unbekannten auf das Sopha warf und 
zum Fenſter eilte, „Alles todt und erftorben. — Nicht 
einmal eines der Tieblichen Flachböte zu fehen. Fürs 
wahr, man möchte auswachfen;“ ſchmollte fie in ko— 
miſcher Ungeduld, der Mutter einen troſtloſen Blick 
zufendend, die, ihrerfeitS zum Aufſeher — in 
ihrer Rede fortfuhr: ” 

ESie glauben alſo nicht, Mifter Copeland, daß 


wir Vompey hinabfenden — * 
& nen wir ihn doch auch nicht nehmen? | 





— 120 







„Er ſcheint gewitzigt,“ ſprach der junge N Pr 
„Sie fpiekten ihm ſchrecklich mit, und vielleicht Laßt 

fih noch etwas aus ihm machen. Ich denke, wir 
laſſen ihn unterdeſſen oben. Hierher taugt‘ er freilich 
nicht. Er hat ſich das Herumziehen angewöhnt und 


verdürbe ung nur die Pflanzung. Wir Haben num 


dreißig fo rubige Familien beifammen, wie w fich 
9 ir wünſchen laſſen.“ 

* Ach mein Gott!“ ſeufzte Virginie darein. „Nichte 
als von Bompey’s und Cäſars und Cato's und Cajus’ 


und Baummwollenballen zu hören!“ und mit diefen 
\ Klagetönen ließ fie ſich wieder in eine etwas ſchmach⸗ 
tende Attitude nieder, das Köpfchen in die Hand ge- 


ftüißt, und dem ſchottiſchen Zauberer, wie er ſich ſelbſt 
mit wahrer ſchottiſcher Beſcheidenheit nennt, einen 
huldvollen Blick zuwerfend. Das Gemälde zu vollen⸗ 
den, tanzten Roſa und Gabriele in das Drawing 
room, Hinter ihnen drein ein ſchwarzes Kammer⸗ 
zöfchen, das einen ungeheuern Globus trug. 

„Uns iſt es beinahe kalt in der Bibliothek gewor⸗ 


— 


—— + 


hen, u xief die Miß der Ma zu, „und ih will Moſen 


nun gerade Alles erklären, wie Mistreß Me. Leod.“ 


Die Ma nickte Beifall zu, und-dag Töchterihen, 


indem fie den nafelnden Ton der Benftonsvorfteherin 
fo ziemlich annahm, begann: „Nun fennft Du Ame— 
rika und weißt alfo, wo unfer Land zu fuchen iſt, 
num, wo ift es?“ „Hier;“ wies Roſa. 

Gerade daneben,“ lachte Gabriele. „Ei Du Un⸗ 
aufmerkfame. Das ift ja Neufüdwallis. Hier iſt es; 
merke Dir es wohl u fuhr fie gewichtig fort. 6 iſt 
das Hauptland von Amerika, verſtehſt Du, ſo wie 


wir die Hauptnation ſind, und deßhalb vorzugsweiſe 
Amerikaner heißen, während die Andern bloß Mexi⸗ 


caner, Peruvianer, Braftlianer genannt werden.“ 


nAber Ihr feyd en. aus Yankees?“ warf ihr 


Rofa ein. 

„Pfui, wer wird fo eitond 3 (age; Du garftiges 
Kind! Wer hat Dir denn das gejagt? Danfees 
heißen bloß Diefe da," — fie deutete mit dem Finger 
auf die ſechs Neu-England-Staaten. „Diefe da find 
und heißen Danfees. Wir heißen fie fo, weil fie ung 
Wallnußholz für Muskatnüſſe und Hickory für Schin- 
fen, und unfern Negern Miffifippifchlamm für Me— 


ve 





| — 12 &-. 


dizinpulver verfaufen; überhaupt weil fie * die 
Juden ſind.“ 
„Ah, was Du doch nicht Alles — rief Sir 
gine etwas piquirt vom Sopha herüber. E . 

„Huſh Siffi! wir find in einem freien Lande,“ | 
Yachte fie, mit dem Finger drohend, ihrer Schweſter | 
zu. „Es iſt natürlich, daß Du Dich der Yankees 
annimmſt. Aber ich kann Capitain Percy gar 
nicht“ — 

„Aber Du biſt doch wirklich unausſtehlich, Ga— 
briele;“ flötete ihr die bitterböſe Virginie zu. 

„Siſſi, Siſſi,“ riefen Lehrerin und Zögling, und 
hüpften auf die Zürnende zu, und ihr um den Hals, 
und dann trippelte Gabriele zum Fenſter und tröftete 
fie; „er wird. bald kommen, und wir müffen zuvor 
enden.” Und dann hüpfte fie wieder zu — Globus 
und fuhr fort: 

„Nun, weißt Du, wo wir ſind? Wo ſind wir?“ 

„Da, Siſſi.“ 

„Recht ſo, mein Kind!“ betrüftigte die drei Monate 
ältere Lehrerin. 

„Nun, weißt Du aber auch, wo Europa iſt? Sieh, 
hier iſt es, und hier iſt Aſien, und Afrika iſt da unten. 





% — Beh MEER EN De co Een ir: TRETEN 


— 128 — 


Dieſe drei Welttheile werden die alte Welt genannt, 
und der unſrige die neue.“ 

„Und warum werden ſie die alte, und der unſrige 

die neue Welt genannt?“ fragte die aufmerkſame 
Schülerin. 

„Warum? Warum? Warum? Ja nun, weil 
der unſrige neu, und deßhalb beſſer iſt. Alles was r 
neu ift, ift beſſer als das Alte. Ja, auch weil der 
unfrige ſpäter entdeckt wurde. « 

- Der Zögling nickte Beifall zu. 
7, Sieh, diefer Heine Fleck da, der ganz Kleine, heißt 
| ‚ Großbritannien, und der noch kleinere daneben Irland, 
j das find zwei Infeln. 
} „Die dem thörichten Häuptling gehören, der die 
been Canadas beſitzt?“ 
| „Richtig, mein Kind!“ bekräftigte die Präzeptorin. 
; „Und hier ift Frankreich und hier Deutſchland, hier 
Spanien und da oben Rußland, und eine Menge 
Fleiner Staaten und Königreiche.“ | 

„Königreiche, was find das für Dinge?“ fragte 
Nofa. 

„Das find Länder, die Könige haben oder Häupt— 
linge, fo wie der Miko, nur viel größer. Und fie find 


er = en na nem ——— 


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feine Wilden. Ste haben auch) Br Leute, denen ſie | 
gebieten, und einen prächtigen Hofſtaat. Ma wird 


Dir dieß erzählen. Sie ift im Drawing room der 
Königin gewefen, von England nämlich, um die 
Andern fümmern wir und nicht viel, und fie hat mit 
ihr gefprochen. Sieh, diefe Völker und Linder müffen 
Könige haben, weil fie ſich nicht ſelbſt regieren können, 
und im Zuſtande der Kindheit ſind, der politiſchen 
Kindheit nämlich, ſagt Da. Wenn fie die Könige 


nicht hatten, ſo würden ſie in Unordnung und Revo⸗ 





u; 


fution gerathen, wie fie e8 in diefem Lande,“ fie zeigte * 4 


auf Frankreich, „gethan haben. Da ſie aber Könige * 


haben, denen fie angehören und die mit großen Armeen 


fie wohl ruhig ſeyn.“ 


3 
* 


und vielen Dienern ſie im Zaume halten, ſo T — 


„Und was thun die Könige mit ihnen?“ 
„Je nun, gerade was der Miko mit den Seinigen 


auch thut,“ erwiederte die Lehrerin, die Hier Erklä— 


rungen ein Bischen in die Enge zu treiben anfingen. 
„Sie regieren fie und machen Krieg und Frieden, und 


verkaufen ihre Ländereien, weil ihre armen, Unter— 


thanen glauben, daß fie von Gott eingefeßt find.“ 
„Sa, aber Gabriele, Du fagft, daß die alte Welt 


* 





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noch in der Kindheit iſt, das kann doch nicht ſeyn; 
wenn ſie alt iſt, ſo kann ſie doch nicht in der Kindheit 
ſeyn.“ 
„Sehr gut kann fie es ſeyn;“ verficherte fie Ga⸗ 
briele. „Die alten Leute werden wieder zu Kindern. 
Weißt Du das nicht? Sieh, weil wir jung ſind, 
lernen wir noch immer Wir haben unſere Civili⸗ 
ſation von ihnen, und ſind bereits weiter fortgeſchrit⸗ 
gen. Aber fie lernen nichts von und. Wir haben die 


Dampfſchiffe *) ſchon feit acht Jahren erfünden, und 


als Ma mit Pa in England waren, ſahen fie noch 
„. Feines. Mir find ſchon feit vierzig Iahren frei webeg- 
"fie blieben immer was fie find. “ 

„Uber wie kommt denn dieß?“ 

Da eben, weil fie wie die alten Eindifchen Leute 
fich Elüger dünfen als Andete — und weil Hain ihrer 
Kindheit auch gehalten werden. * 

‚ nRinder u mahnte Die Oberſtin aus dem’ erften 





*) 1805 von Foulton erfunden, und ver erfte VBerfuch am Hud⸗ 
fon gemacht. 4809. wurden fie am Miffifippi eingeführt, und 
bald feht vermehrt. Gegenwärtig laufen auf dieſem Strom gegen 
vierhundert. | 





—9 126 &— 


Zimmer herrüber, „wartet bis die Lichter lonmen, 
Ihr verderbt Euch ſonſt die Augen.“ 

Indem trat ein ſchwarzer Diener mit ſilbernen 
Leuchtern ein, der zugleich die Argand-Lampen an— 
zündete und dann zur Herrin leiſe ſprach. 

„Laßt ſie eintreten;“ befahl ſie dann. 

Eine junge, ziemlich gut ausſehende, aber etwas 
trödleriſch gekleidete verſchüchterte Frau trat ein, ſah 
ſich auf allen Seiten um, und nachdem ſie ſich ver⸗ 
neigt hatte, eilte fie auf die Oberſtin zu, um ihr Die 
Hand zu küſſen. # 

„Laffen Sie das, Madame Madiedo,* rief Diefe. 
„Sie wiffen, daß dieß nicht Sitte bei ung ift. Haben 
Sie mir etwas zu jagen?“ 

„Madame!“ Sprach die Frau in gebrochenem Eng- 
ich, „Sie wiſſen, ich komme Ihre Milde anzuflehen. “ 

5 Es thut mir ſehr leid, liebe Madame Madiedo,“ 
erwiederte die Frau des Oberſten; „aber in den Fall 
Ihres Mannes glaube ich er — zu 
dürfen.“ 

„Madame!“ ſprach die — —* „Sie 
wiſſen vieleicht nicht, daß mein V mit Ihrem 
Neger nichts zu thun hatte?“ 


* 


— 17 — 

nr Aber deſto mehr mit fehlechten Menſchen;“ fiel ihr 
die Dame ein. „Er hat jelbft einen Staatögefangenen 
aus feiner Haft befreit. u 

„Aber, Madame,” verſetzte die Framzoſin ein wenig 
ſcheu. „Aber, Madame! das iftu — 

„Was wollen Sie fügen? liebe Madame Ma— 
diedo?“ 

„Es iſt dieſes eine Angelegenheit; “ ſprach die 
Franzöſin und leiſe und mit ſtockender Stimme, 
„welche die hohe Obrigkeit allein angeht, und mit 
der wir uns eigentlich, ich bitte um Vergebung, nicht 
befaſſen ſollten.“ 

„Das glauben Sie, meine Gute,“ fiel ihr die Frau 
des Oberſten ein. „Und als Ausländerin geht Sie 
wirklich dieſe Angelegenheit nur inſoferne an, als Ihr 
Mann darin verwickelt iſt; aber als Amerikanerin 
habe ich mit der Obrigkeit etwas mehr zu thun, und 
es ſollte mir leid ſeyn, wenn durch meine Schuld der 
Gang der öffentlichen Gerechtigkeitspflege gehindert 
würde. Einem Verbrecher, der ſich an der öffentlichen 
Sicherheit ſo ſchwer verſündigt, Vorſchub zu leiſten, 
dazu werde ich nimmer einwilligen.“ 

Die Franzöffn erblaßte bei Anhörung diefer Works, 


® 





428 — 


die in einem zwar ſehr gelaſſenen, aber auch ſehr 
kalten Tone ausgeſprochen worden waren. | 

„Seyen Sie doch nicht fo fait, jo graufam. Seen 
Sie gütig! Geben Sie mir eine fanftere Antwort. 
Senden Sie mich nicht fo troſtlos zurück!” bat fie. 

Roſa Hatte ſich unterdeſſen ſchon einigemale aus 
dem zweiten Zimmer herangeſchlichen, war aber im⸗ 
mer wieder von Gabrielen zurüdgehalten worden, 

„Was will die arme Frau?“ fragte fie. 

„Ihr Mann hat den wegen Spionirens und Um— 
triebe mit den Indianern verdächtigen Britten aus 
ſeiner Haft befreit, und wurde deßhalb ins Gefaͤng⸗ 
niß geworfen.“ 

„Aber das hat ja Roſa auch gethan.“ 4 

„Nein, Miß!“ belehrte fe die. Oberftin. Was 
Sie gethan haben, war edle Selbitaufopferung ges 
genüber einer wilden rohen Willfür. Sie haben ein 
Menfchenleben gerettet oder zu. retten geglaubt; Ihre 
Handlung mar edel, obwohl nicht ganz geſetzlich; 
aber es iſt immer verdienſtlich gegen Willkür aufzu⸗ 
ſtehen, wo und in welcher Geſtalt ſie ſich zeige; aber 
der Mann dieſer Frau hat aus ſchlimmen Abſichten 
weiſen Geſetzen, die unſere Mitbürger ſich zu ihrer 





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— 1 u — 
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* 


— 129 8 ; 


Sicherheit gegeben haben, ſeines eigenen Vortheiles 
willen allein, in die Hände. gegriffen. 4 

Dieſe etwas lange Erklärung war wieder in dem 
gelafienen, aber unter den gegenwärtigen Verhält- 
niffen etwas rückſichtloſen Tone gegeben, der mehr 
Schein — als wirkliche Tugend zu verrathen ſchien; 
auch war die bedrängte Franzöftn beinahe ungeduldig 
“geworden. „Mein Gott,“ murmelte fie halb Yaut 
zu fich jelbft: „ſie Spricht wie ein Richter, der auf dem 
Stuhle fit, während mir das Herz im Leibe fprin- 
gen möchte. Was doch diefe Menfchen für Kalte 
Naturen haben!u — 

Die Dame mochte die Worte vernommen haben; 
ohne fie jedoch zu ‚beachten, fuhr fie in demfelben 
belehrenden Tone fort: „Unfer Land hat Ihrem 
Manne, ohne nach jeinem frühern Betragen zu fragen, 
ein Aſyl unter der Bedingung angeboten, daß er 
denſelben Gefegen gehorche, unter denen auch wir 
ftehen, Daß er befonders nie etwas gegen Die Sicher⸗ 
heit des Landes unternehme, das ihn duldete,“ — fie 
betonte dieſesU Wort. „Oberſt Barker hat Monfieur 
Madiedo verhaften laſſen; warum, wiſſen Sie. Es 

Der Legitime. IL - 9 





* a et YA — —— 
* z 
— 130 & — 


geziemt nicht mir, dem, was er r gethan, entgegen zu. 
handeln. « 

„&r iſt nur, weil er keine Bürgfeaft Reiten Sonnte, 
gefangen gefegt worden; fehluchzte die Franzöſin. 
„Ein Wort von Ihnen, und er ift frei. Erbarmen Sie 
ſich unfer. Seit feinet Verhaftung haben wir feinezehn 
Binten verkauft. Alles feheut uns "Alles hat fich vor 
und zurädgezogen. Es ift ein graufames Land diefes. 
Statt und in unferem Unglücke beizufpringen md 
aufzuhelfen, drücken fie immer nur tiefer hinab. zn 

„Es ift fein Frankreich, noch ein Spanienzu 
feßte die Dame ernft. — j | 

„Leider, nein!“ jammerte die Sranzöfln. 

„Da dürfte vom Volke allerdings die Befreiung. 
eines Staatsverbrechers als verdienſtlic angeſchen 
werden, weil ſie Niemanden gefährdet als den Ge⸗ 
walthaber; hier iſt es Verrath an der Menſchheit, 
an allen Bürgern — und es freut mich, daß Dieſe ſo 
viele öffentliche Tugend beſitzen, um ihren Abſcheu | 
auf alle Weife zu erkennen zu geben. « \ 

Die Obriftin erhob ſich nun von ihrem Sie, und 
ein leichtes Kopfnicken gab der Frau zu verſtehen, daß 
ſie entlaſſen ſey. 








— 131 — ie 
Sp richtig im Ganzen genommen die bier ausge⸗ 
fprochenen Grundfäge waren, fo fehlen deren Ans 
wendung boch ſowohl dem jungen Copeland als 
Roſen nicht ganz zu gefallen, an aus ganz ver⸗ 
ſchiedenen Gründen. 
Die Letztere hatte ſich zum Fenſter heſchlichen, und 
der ſich entfernenden Franzöſin nachgeſehen. 
„Ach Mutter! laſſe doch das troſtloſe Weib nicht 
ſo von Dir,“ — bat ſie, ee * bekümmert 
f altend. x 
„Miß Roſa!“ erwiederte Die Dame etwas vor⸗ 
nehm: „Wollen Sie gefälligſt/ — fie deutete auf 
Gabrielen, zu der das Mädchen verfehlichtert ſchlich. 
„Es ſind fürchterlich gräßliche, im Grund und 
Boden verdorbene Menſchen, diefe Ausländer,“ 
jeufzte die Frau, indem fie ſich wieder fegte. „Wann | 
wird doch einmal dieſe ſo ſchrecklich mißbrauchte Gna⸗ 
denthüre ſich ſchließen, dieſes ar, dag * Ken | 
erkaufte Freiheit — n 
Sie hielt inne und fah den jungen Gopeland vo 


ſchend an. 
„Das wollte ich auch wieder nicht, # fiel ihre Dieſer 


aſch ein. „Dieſe Menfchen da ſchaden unfern Bürgern 


9* 





— 132 — 


nichts, fie geben nicht. böſes Beiſpiel, weil fi Nie⸗ 
mand nach ihnen kehrt; aber ihnen unſere Thüre zu- 
thun, würde heißen auch die Guten ausſchließen, in 
andern Worten, die Alien bill mit all ihrem Trieb- 
werfe wieder in den Gang bringen. Das ware — 
Tories juſt recht.“ 

Er ſah die Dame ſcharf an. — 

„Laßt uns weiter in unſerm Rechnungsabſchluſſe;“ 
bemerkte ſie mit einiger Verlegenheit. 

Dieſe Verlegenheit, in welche ſie der kleine Ver⸗ 
rath geſetzt, den ihr die Zunge geſpielt, indem ſie ſich 
einen der heißeſten Torywünſche in Gegenwart des 
jungen Copeland entſchlüpfen ließ, verließ ſie erſt 
beim Eintritte des Capitains, der ungefähr nach zehn 
Minuten erfolgte. | 

„Mein Bruder,“ Fam ihm Noja, noch immer 
über die jammernde Franzöſin finnend, entgegen. 
nDein Geſicht ift heiter. Du bringft fröhliche Vot- 
ſchaft. Und ift der Britte nun wirklich frei, und zürnt 
er nicht mehr, und iſt/ — 

„Miß Roſa!“ fiel ihr die Oberftin ein, „Sie fra- 
gen für eine junge Dame zu viel. Auch haben Sie 
toieder vergeſſen/ — 


—9 133 ⸗— 


U mfeiber!a verſetzte Diefe, „kann Roſa ſich nicht 
angewöhnen, zu ihrem Bruder zu reden, als wenn 
ihrer Zwei wären.“ 

„Ich glaube wirklich,“ verſicherte fi der Kapitain, 
„Miß Rofa verfünden zu dürfen, daß er, an dem fie 
fo unverdiente Teilnahme nimmt, gänzlich frei iſt.“ 

„Ihr Schügling jeheint Sie ſehr in Anſpruch ges 
nommen zu haben,“ bemerkte Virginie etwas Ppdttifch. 
„Das Viebe Alt-England wird es Ihnen Dank wiffen. # 

„Ich Hoffe, auch das Neue,“ ſprach der Capitain 
etwas ernft, „und ſelbſt Miß Virginie dürfte mir 
Gerechtigkeit und vielleicht auch einigen Dank wiber- 
fahren laſſen.“ 

„Ich bin ganz Amerikanerin, 4 verfegte Diefe etwas 
fpröde, „und was ich von England gefehen habe, ift 
wahrlich nicht geeignet, mich weniger ftolz auf mein 
Land zu machen. Ich behalte meinen Dank gang 
‚meinen Landsleuten vor. 4 | 

„In dieſem Punkte,“ fiel der junge Copeland ein, 
„dürfte Capitain Percy wirklich auf Ihren Dan, 
Miß Virginie, fo wie auf den unfrigen Anfpruch zu 
machen berechtigt feyn; denn er hat und sine Scham⸗ 
röthe erſpart.“ 





{a | 

Ich habe bloß meine Schuldigkeit gekhan, Mifter 
Gopeland,« bedeutete er dem jungen Manne etwas 
vornehm. „Es ſcheint jedoch, daß noch Jemand an- 
derer mehr. ala feine Schuldigfeit gethan habe. “ 

„Die Ehre feines Landes zu wahren, follteich glau- 
ben, ift Schuldigkeit für Jeden; da brauchen wir 
nicht Männer dafür zu bezahlen. Wir können e8 
feröft thun,“ ſprach der junge Mann trodfen. 

„Wie fol ich das verſtehen?“ fragte die Dame 
den Gapitain. | EG 

„Sie wiffen, theure Mutter,“ verſetzte Diefer, 
die Ordre des Generals traf vorgeftern ein, kaum 
drei Tage nach unferer Unterfuchung.“ 

„Ich follte meinen, die Zeit wäre hinlänglich, fie 
zweimal hinab und herauf paffiren zu machen.“ 

„In gewöhnlichen Zeiten, nicht in diefen,“ verſetzte 
ihr der Gapitain bedeutfam; „der junge Menfch ſcheint 
unten Freunde gefunden zu haben, und in Gnaden zu 
ftehen, fo daß Capitain Percy vielleicht ſelbſt es 
wagen dürfte, ohne Anftoß zu geben —4 u — 

„Ihm einige Güte zu erweiſen,“ fiel der junge 
Eopelandsein. „Er verdient auch einige. Wenigftens 
hat fein Betragen gegen die Indianer und den armen 





415 


Pompey ihn als einen warmherzigen feften jungen 
Menſchen erwieſen. Und Haben Sie ihm ja etwas 
Gutes erzeigt, Capitain, fo ift dieß wirklich nicht. Ihre 
fchlechtefte Handlung. « Und mit diefen Worten packte 
der Jüngling feine Bücher und Schriften zufammen 
und verließ, mit einer ‚[eichten — gegen die 
Damen, den Salon. 

Räthſel und wieder Räthſel,“ — bie Oberflin, 
„Was haben Sie doch mit dem jungen Eopeland, und 
was hat Diefer mit dem jungen Britten zu thun ?“ 
Der Capitain hatte Diefem ſchweigend und kopf⸗ 
ſchüttelnd nachgeſehen. „Ich weiß ſelbſt nicht, was 
der junge Menſch will. Uebrigens ſind mir meine 
Herren Mitoffiziere,“ — ſein Geſicht verzog ſich in 
ein unwillkührliches Hohnlächeln, „ein Räthſel. Hö⸗ 
ren Sie nur, Capitain Mike Broom hat ſich geſtern 
in eigener hoher Perſon herbeigelaſſen, den jungen 
Britten bei der Tafel aufzuführen, und Alle haben 
ihm recht generös ihre Börſen angetragen.“ 

„Eine Aufmerkſamkeit, über die ich Ihnen vielleicht 
einen Aufſchluß zu geben vermag;“ erwiederte die 
Oberftin. „Sp viel ich weiß, hat der Bruder unſeres 





—9 16 ⸗ 
Auffehers, der Lieutenant, feinem Vater das Reſul⸗ 
tat des letzten Verhörs gefehrieben. u 

„Aha!“ fiel ihr der Capitain ein. „Nun verſtehe 
ich — und der allmächtige Major hat ſein gnädiges 
Fürwort eingelegt, und der junge Britte iſt nun von 
den Söhnen hoch protegirt, und natürlich von der 
ganzen Mannſchaft des lieben Opelouſas.“ 

„Ein guter Credit bei ſeinen Mitbürgern iſt vieles 
werth, lieber Capitain; u Sprach Die Be: ; mit einem. 
halben Seufzer. 

Diefem ſchwebte noch die Antwort auf! den. Sippen, 
als eine Ordonnanz eintrat und ihm ein verſiegeltes 
Paket übergab. Zugleich gingen die Flügelthüren 
auf, und die Worte: „Onkel, Couſinen,“ begrüßten 
einen Zug junge Damen, die, von einem ältlichen 
Manne begleitet, in den Saal eintraten. 

Sie wurden von der Oberftin herzlich, aber auch 
etwas finttlich empfangen. Ohne auf die Beweglich⸗ 
feit der drei übereleganten Mifjes oder die Ungeduld _ 
de8 Onkels Rückſicht zu nehmen, ging fie alle For⸗ 
men der etwas ceremoniöſen Aufführung ſowohl Ro⸗ 
ſas als des Capitains durch, obgleich ihre Gäſte von 
Beiden nicht beſonders Notiz zu nehmen ſchienen. 


*4 





—4137 — 


Vierunddreißigſtes Kapitel. 


Wie doch jeder Narr mit den Worten ſpielen 
kann! Ich denke, es wird in Kurzem ſo weit 
kommen, daß Stillſchweigen die beſte Art ſeyn 
wird, feinen Witz zu zeigen. 

Shafespeare. 


„Ja, da wären wir,“ ftöhnte der Onfel-darein, 
ein fettes behagliches Männchen mit einer beneidend- 
werthen Kupfernafe und ein paar graublinzelnden 
Augen, die, man hätte ſchwören follen, irgendwo in 
Conecticut oder Maſſachuſets das Licht der Welt er— 
blieft haben mußten. „Ihr Habt alfo nichts vom 
Dampfſchiff gehört? Wir liefen fo eben ein. # 

„Recht ſchön,“ rief Virginie, „daß Site unfer nicht 
vergefien haben, und den Sylveſter-Abend mit ung 
Armen zubringen wollen. Ach, wir fiten ſchon eine 
ganze Woche, wie die arabifchen Prinzeffinnen. 4 

„Euer Fehler, 4 verfeßte der Onkel, fich den Schweiß 
son der Stirne wifchend. „Warum feyd Ihr nicht 
Hinabgegangen wie wir? Uns wurde es zu Haufe zu 
' enge. Da ſetzten wir uns auf ein Dampfjehiff und 

hinab ging es. Sind aber froh, daß wir wieder weg 
find. « 





— 138 — 


„Froh:“ rief Eine der drei Miſſes. „Aber Ba, 
wie können Sie nur ſo ſagen? Wir wären gerne 
unten "geblieben, aber Ihnen wurde bange.u 

„Ja, ftellen Sie fich nur vor, liebe Schwägerin ‚« | 
verfeßte der Onkel, „die tollen Mädchen wollten ab- 
fofut unten bleiben. O Schwägerin! Sie haben 
feinen Begriff, wie ſchrecklich es da unten ausſieht. 

Ich verſichere Sie, es wird mir —— zu 
Muthe, Fein Handel, Fein Wandel — 

„Aber Partien genug!“ fiel ihm wieder Eine der 
Miſſes ein. | 

„Es muß ein fehr freier Ton unten ſeyn, Miß 
Georgiane;“ bemerkte die Oberftin etwas ernft. 

„Sehr frei, liebe Tante; die altwäterifche fteife 
Manier ift ganz verfehwunden. Man ift ganz sans 
gene. 4 N 

„Was ich ſehr mißbillige, Miß;“ verſetzte Die 
Oberſtin. 

„Hörſt Du, Miſſi?« fiel ihr der Pa ein. „Ach 
mein Gott!“fuhr er fort, „nur Trommeln und Pfei⸗ 
fen zu hören. Auf der Renee nichts als Gegelte und- 
Mannſchaft — ererzierend, trommelnd, pfeifend, lär— 
mend; und hinunter an der Levee — Gott fey ed ges 





4, — J — N RN — TER V 
ea bag Le Ber ar la SE EM an ar ar 


| —9 139 ⸗— 

Hagt! Wagen auf Wagen, Karren auf Karren, mit 
Munition, Pulver, Lebensmitteln — Neger und 
Milizen, Offiziere und Mannfihaft, Mattofen und 
Generale, Alles unter einander. Mußten felbft zum 
Dampfiehiffe zu Buße gehen. Das ift aber Alles 
nichts, Mistreß Parker,“ fuhr er, fich ſelbſt erfräf- 
tigend,, fort — „das ift Alles nichts!“ rief er noch⸗ 
mals, ſich die Stien trocknend. „Uber Fein Schtif zu 
feben, feine Brigg, nicht einmal ein armfeliger Scho- 
ner. Oberhalb der Vorſtadt Annunciation liegen 
noch ein paar abgetacelt, und das ift Alles; und das 
Zehren auf imfere often, als ob es nimmer ein Ende 
hätte! Das Herz möchte Einem zerfpringen. Wenn's 
noch ein halbes Jahr fo fortgeht, fo find wir Alle 
ruinirt.“ Der kurzathmige Bflanzer war ganz leben— 
dig in der Befchreibung feiner und der allgemeinen 
Noth geworden. 

„Ach!“ jeufzte er wieder. „Meine arme, arme 
Baumwolle! Stellt Euch nur vor. Habe da in der 
Preſſe Rilieur an die zweitaufend Ballen, die Ernte 
der Veßten drei Jahre. Was gefehieht? Der General, 
mir nichts, dir nichts, läßt fünfhundert Ballen her- 
ausnehmen, ohne mir nur ein Wort zufagen. Fünf- 


Br ah! 


10 


— Ballen! Dreifigtaufend Dollars! Prime 
Cotton. Glaubt denn der einfältige General, meine 
Baumwolle komme mit den Baumftämmen — 
ſouri herab!“ 

„Ich verſtehe nun,“ ſprach Mistreß Barker. — 
„Ihr ginget hinab, um Eure Baumwolle aus den 
Klauen des Generals zu retten. Das hättet Ihr Euch 
immer erſparen können. Auch wir haben fünfhundert 
Ballen hergegeben. Sie wurden geſcatt und werden 
vergütet werden.“ 

„Und dann, wenn einige Kugeln einſchlagen, wiegt 
ſie um ſo ſchwerer,“ tröſtete ihn der Capitain, der 
zeitweilig von ſeinen Depeſchen das Männchen anſah. 

Der Pflanzer hatte Beide mit Ungeduld angehört. 
„Erſparen können? ſchätzen? erſtatten? — Ich ſage 
Euch, es iſt ein Eingriff in's Eigenthumsrecht, der 
ſchrecklich iſt. Sollte er nicht meine Einwilligung ab— 
gewartet4 — 

„Und den Feind zugleich gebeten haben, zu wars 
ten, bis Mifter Bowditch dieſe zu geben gejonnen 
wäre,“ fiel der Gapitain etwas ſpöttiſch ein. 

„Ich werde es ihm ſchon weiſen,“ verſicherte Die— 
ſer. „Stellen Sie ſich vor, dieſer Quaſi⸗Pflanzer 





2 


— 11 — | ⸗ 


von Naſhville da, der kaum hundertundfünfzig Ba 
Yen Upland-Cotton mit all jeiner Generalfehaft zu⸗ 
ſammen bringt, will einem Mann wie mir die Thüre 
weifen! Ich dränge mich hindurch mit meinen Kin⸗ 
dern. Sie wollten die Befeſtigung des Lagers ſehen. 
Drei Stunden hatten wir zu gehen, zwanzigmal wa— 
ven, wir in Gefahr, unter die Räder zu kommen, und 
als ich endlich vor dem Hauptquartier anfomme, (äßt 
er mir jagen, er habe Feine Zeit, ſich mit meinen An- 
gelegenheit zu befafjen. “ 

Es war ſehr unartig, Tante, wir können Sie 
verfichern ;u meinten die drei Miffes. 

Unfer Eremplar, einer jener Republikaner, deren 
wir im Norden und Süden eine ſo erkleckliche Anzahl 
haben, und die, wenn es darauf ankäme, lieber den 

Schach von Berfien zu Washington figen fähen, als 
ein Prozent ihrer Aktien oder einen Ballen ihrer Baum- 
wolle zu: verlieren. war in eine mäßige Aufwallung 

gerathen, fo viel namlich feine comfortabte Leibes⸗ 
beſchaffenheit und eine Affaire von dreißigtauſend Dol- 
lars zuließen. Das Tiheegeräthe, das nun aufgetra- 
gen wurde, unterbrach einigermaßen feine gerechte 
‚Erbitterung und er gewann ein ruhigeres Ausfehen; 


ue ⸗ — 


als aber bie. Diener fie erg baten, Lu er 
wieder 108. | | \ 

„Stellen Sie fich nur vor, Tiebe — — 
wiſſen, unter dem letzten Landhauſe, wo —A 
quartier aufgef chlagen hat, zweihundert Schritte darun⸗ 
ter, da liegt meine Baumwolle und noch zehn⸗ bis 
zwölftauſend Ballen mehr. Und alle hat ſie zur 
Bruſtwehr verwendet. Sie läuft mannshoch vom 





Miſſiſippi zu den Cypreſſenſümpfen quer durchs Land, 


eine halbe Meile lang. Die ganze Baumwolle iſt mit 
Erde überworfen, davor ein Graben, acht Schuh 
breit und ſechs tief. Auf den Flanken find die —* 
terien mit Sechzehnpfündern.“ 

„Miſter Bowditch, / verſicherte der Capitain, „Sie 
haben die ganze Befeſtigung des Lagers jo bündig an⸗ 
gegeben, daß auch der befte Militär nichts ausfetzen 
könnte.“ 

Unſer Pflanzer nahm eine Taſſe Thee und fuhr 
fort: „Ich verſuchte es, den Miſter Parker zu einer 
Meeting zu bewegen, klopfte bei Floyd und Bower's 
an. Allen hat aber das Kanonenfieber die Köpfe fo 
verwirrt, daß gar nicht daran zu denfen ift.“ 

„Aber ich wundre mich nur, wie Sie felbft an fo 





En ne = 


— 


ER Se Ze 


ie 


| ” 
etwas denken Eonnten, — in einem jo kritiſchen Zeit- 
punfte daran denfen fonnten, u bemerkte die Oberftin, 


mit ſichtlichem Mißfallen an dem grob I Tätige 


Schwager. ’ 

„Wie, was?« fragte Diefer, mund Euer Meeting 
— He?«— — 

— ein unveräußerliches Bürgerrecht aufrecht 
zu erhalten.“ | 

„Unveräußerliches Bürgerrecht! — Ei, ei, rau 


Schwägerin! — oder um dem guten Mann vorläufig 


„ein Bein unterzufhlagen, falls er es fich gelüſten 
laſſen follte, einft im weißen Haufe wohnen zu wol- 


len. Hab' aber nichts Dagegen einzuwenden. Es ſteht 
auf dem Grund und Boden von alt Virginien und 
ſollte eigentlich alfo nur Virginier zu Einfaßen Haben. « 

„Es follte mir leid thun, wenn Sie fo etwas den⸗ 
ken könnten,“ ſprach Mistreß Parker mit einem Tone, 
dem man anſah, daß ihre Gelaſſenheit * eine harte 
Probe geſtellt wurde. 

„Denken!“ fiel ihr der Schwager ein. „Ich denke 
nichts, gar nichts. Am Beften fo. — Ich denke an 
nichts, als an meine Baumwolle. Denken mögen 





au 


Die, die nichts Beſſeres zu thun habe Dar 
für eine, andere Taſſe. u * 
„Und der General hat Ihre —— 
Proteſtation gegen ſeine Gewaltthätigkeit, wie" € { 
es nennen, hingehen laſſen?“ fragte der Capitain. 
„Hingehen laſſen?“ entgegnete der Pflanzer ver- 
wundert. „Wie meinen Sie dieß?“ 
„Ich kann mich unmöglich eines gelindern Aus— 
drucks bedienen.“ & 
„Sie denken alfo, er jollte mir haben ein Zimmer- 
chen in der Nahe der Cathedrale im Staatögefäng- 
niffe anweiſen laſſen?“ 
Der Militär ſah ihn bedeutſam lächelnd an. 
„Capitain Percy!“ ſprach das dicke, runde Männ- 
chen, und es wurde ungemein ernſt. „Wir nennen 
unfer Land frei, weil Jeder unverholen feine Meinung 


fagen und fih vollfommen ausfprechen mag; was _ 
das Handeln betrifft, jo bejtimmt das Geſetz, das 
heißt die Mehrzahl, und die Minderzahl mug ih 
fügen. Wenn Sie aber meinen, daß des Generald 


Erklärung des Kriegsgefeges und Belagerungszu— 


ftandes mich auch nur um eine Sylbe an meinen Rech⸗ 


ten verfürzt hat oder verfürzen kann, fo irren Sie 


— 15 —— 


fih. Ih Bin ein Virginier; aber in diefem Punkte 
gegen die Adminiſtration und folglich gegen den Krieg, 


‚+ und billige ganz, was die Hartford-Gonvention ge- 


than hat, und habe mich "auch in diefem Punkte er- 
klärt.“ | 
Und mit diefen Worten ahob er ſich von ſeinem 
Sitze und ging in das andere Zimmer, wohin die 
jungen Damen ſich, als die Converſation dieſe ernſte 
Wendung genommen, zurückgezogen hatten. Der 
Gapitain jelbft ftand raſch auf und empfahl fi. 
Ueberhaupt ſchien der junge Mann, von dem wir 
zwar nicht viel geſehen oder gehört haben, der ſich 
aber bei mehreren Gelegenheiten, und ſelbſt im Pro- 
zeſſe des Dritten, als wohlwollend und zartfühlend 
erwieſen hatte, feine natürliche Stellung gegenüber 
feinen Mitbürgern ganz unrichtig aufgefaßt zu haben. 
Er hatte etwas militarifch Kurzes, etwas gebieterifch 
Raſches, ein gewifjes herrifch gentlemanifches We— 
fen, mit einem Ton von Selbjtbewußtjeyn, der fi 
nur unwillig in die bedachtlich abgemefjenen Formen 
de3 Öffentlichen und Privatlebend zu fügen wußte, 


und bei jeder Gelegenheit an dem felbftjtändigen Sinn 


» 


feiner Mitbürger anftieß. Was ihm jedoch vorzüg- 
Der Legitime. IM. | 10 


a Sail. 


— 116 — 


lich mangelte, war die Achtung für die PER die⸗ 

ſer ſeiner Mitbürger. Er zeigte eine gewiſſe Gering⸗ 
ſchätzung, die häufig in einen ſchneidenden Hohn über⸗ * 
ging, eine Eigenheit, die er wahrſcheinlich ſeiner Er⸗ 
ziehung in einem ganz ariſtokratiſchen — und damals 

den Amerikanern ſehr abholden Lande, vielleicht aber 
auch der Gewohnheit des Befehlens verdankte. 

Allein dieſer Mangel an Achtung für die öffent— 
liche Meinung, und weit mehr noch Geringſchaͤtzung, 
wird nirgends härter beſtraft als in dieſem Lande. 
Was auch immer die Fehler des Amerikaners ſeyn 
mögen, Achtung für die Meinung jedes. Menſchen iſt 
ihm angeboten ; politifche oder religiöfe Unduldfam- 
feit find ihm fremd und verhaßt. Alle Gefinnungen, 
alle Prinzipe können fich bei ihm unumwunden aus⸗ 
ſprechen, alle Grundſätze und Religionen leben und 
weben friedlich neben einander und verſchmelzen durch 
eben dieſe Duldſamkeit jeden Tag mehr in ein har- 
monifches Ganzes. Er hat natürlichen Abſcheu nicht 
nur gegen alle Vorrechte, ſondern jehon die bloße 
Anmafung, felbft fogenannte großartig leidenſchaft⸗ 
lich herrifche Empfindungen find ihm zuwider, meil 
er überzeugt ift, daß fie die Natur des öffentlichen 


a en EN A RI 
7 NEN ET RER EN N. © 
. * 
—9 


—u7 — 


Lebens trüben und in Gährung bringen. So be— 
ſchränkt daher unfer Mifter Bowditch feyn mochte, 
fo einzig und allein er nur Eine Idee im Kopfe hatte, . 
nämlich feine Baummolle, fo war doch die bloße Zu- 
muthung des Gapitains, die Beſchränkung ſeiner 

Freiheit betreffend, hinreichend geweſen, feine phleg⸗ 
matifche Gottonfeele weit mehr zu empören, als es 


ſelbſt die gefährdeten fünfhundert Ballen vermochten, 


und die Art und Weife, wie Mistreß Parker ihre 
Mißbilligung äußerte, verrieth nur zu fehr ihre voll⸗ 
fommene Beiftimmung. 

Die jungen Damen hatten unterdefjen in dem zwei⸗ 
ten Kränzchen ihre Derzendergießungen begonnen. 

„Alſo die Ma will ſelbſt das Pianoforte nicht er⸗ 
lauben, fo lange der Onfel und Charles vor dem 
Feinde ſtehen?“ fragte die Aeltefte der drei Gragien. 
»Die unten machen fich das Herz nicht fo ſchwer. 
Befuche über Befuche von beiden Ufern. Da find die 
Longs, die Broadheads, die Johnſons, die Smiths, 
Alle find fie unten.“ 

„Und die englifchen Dffiziere;“ fiel die Zweite ein. 
„Ich verſichere Dich, Vergy, nichts Schöneres. Eben, 
als wir im Lager waren, kam ein Major als Par— 

10* 





— 118 — 


lamentär an. Er bedauerte unendlich, daß die Damen 
Louiſianas in ihren Karnevalsunterhaltungen ſo ver⸗ 


kürzt würden, und lud ſich und die Seinigen weit m 


artig zu unfern Bällen ein. « Ä 
„Kam aber derb weg,“ ſchaltete der Papa ein, 


„Tanz und Bälle,“ erwiederte der General, /ſollten 


ſie genug haben, mehr als ihnen lieb ſeyn werde. Er 
meinte eiſerne Bälle.“ | 


„Und Bartieen find lie in Menge;“ begann 


die Erſtere wieder. 

„Ja, ftellt Euch nur vor,“ fiel der Pflanzer wieder 
ein, „die Melly heirathet den Gapitain Warburton. 
ft feit dem Falliment ihres Vaters Feine zwanzig 
Dollars werth. Er nichts werth, als feine Gage — 
fie nichts — wo die Leute nur hindenken!“ 

Roſa, welche die angefommenen Gäſte nicht jehr 
anzufprechen fehienen, hatte fich an die Seite Gabrie- 
lens zurückgezogen. Sie fragte nunleife: „Warum iſt 
die arme Melly nicht3 werth tu 

„Weil fie nichts werth ift, weil fie arm — 
wiederte ihr Dieſe. 

„Weil ſie arm iſt, deßhalb iſt fie nichts werth;“ 
verſetzte das noch ärmere Kind nachdenklich. 


* 





me. 119 ·⸗⸗ 


„Und nun,“ fuhr die lebhafte Couſine fort, „Pa 
wollte morgen nach Natchez hinauf; wenn Ihr aber 
hübſch artig ſeyd und uns zu amuſiren verſprecht, ſo 
bleiben wir einige Tage. Nicht wahr, Pa?⸗ 

„O Schmerz!“ rief lachend Virginie. „Sie kom— 
men auf zwölf Stunden und wollen ſchon amufirt 
ſeyn. Ein ſehr großes Compliment finde ich darin 
für unſere annehmlichen Gaben eben nicht; damit Ihr 


3 EB 


aber ſeht, wie wir Böſes mit Gutem vergelten, ſo 


will ich mich zu Vorſchlägen herbeilaſſen.“ 

„Wir find ganz Ohren; verficherten die drei fafhio- 
nablen Schönen. 

„Morgen früh denn Schau bei den inbianifgen 
Löwen.“ 

„Pfui, mit Euern ſchmutzigen indianiſchen Löwen;“ 
riefen die Drei mit Abſcheu. 

„So hört doch nur,“ mahnte Virginie, „einer 
darunter ſoll wirklich ein königlicher Loͤwe ſeyn.“ 

Das Geplauder war in dem leichten, gefällig an— 
muthigen Tone geführt, der gerade nicht ausgelaſſen, 
aber für die etwas bedenklichen Zeitumſtände vielleicht 
muthwillig genannt werden konnte. 
| Die Oberftin hatte ſchon einige Zeit mit Ungeduld 





—) 150 — 
zugehört. „Miſſes!“ ſprach ſie etwas ſchetf, „Ihr 
ſeyd fehr vergnügt und es freut mich; aberich 
Buer Trohfinn ware etwas mehr gedampft; etwas 
mehr Zartheit, in einem Augenblicke, wo bie Unſri⸗ 
gen in einem ſo ernſten Kampfe begriffen ſind, RM 
nicht überflüffig ſeyn.“ 

Auch Roſa bien von beumucfteiiepe iger 

„Die Löwen ?“ fragte Gabriele. „Habt Ihr Löwen 
hier? Das müſſen ſchreckliche Thiere ſeyn, wenn fie 
ſo ausſehen, wie ſie auf dem Bilde im Speiſeſaale 
gemalt ſind!“ 

„Du kamſt ja mit ihnen;“ — Gabriele. 

„Ich!“ rief Roſa verwundert. Sie ſann eine Weile 
nach. „Du meinſt doch nicht —“ fie ſtockte, fie wurde 
blaß. 

„Die Indianer;“ lächelte Gabriele. „Wir nennen 
jede ungewöhnliche ausländifche Erſcheinung einen 
Löwen. Das ift Sprachgebrauch.“ 

„Das ift ein ſehr graufamer Sprachgebrauch;“ 
ſeufzte fie. „Ihr jeyd graufam und ſelbſt in Eurer 
Sröhlichkeit fehneidet Ihr tiefer ein, als die Schlacht⸗ 
meſſer der Wilden in ihrer Wuth, — ftoßt Ihr dem 
armen alten Mann den Stachel Eurer Zunge in dad 


—9 151 > 


Herz. 4 Sie 209 ſich unwillig zurüd. Gabriele ſchlang 
ihren Arm um fie: „Sey nicht boͤſe, a der alte 
Hauptling ift ja nicht hier. « ; 

„Uber feine Tochter ift es;“ ſprach R 

„Seine Tochter?“ fragte Mifter Bowditch, der in 
feiner Promenade durch die beiden Abtheilungen des 
drawing room die letzten Worte de8 Mädchens ge- 
hört hatte. „Wer ift doch die junge Dame?« fragte 
er Mistrep Barker. 

„Miß Roſa, unfer lieber Gaſt.“ 

„Miß Roſa — Roſa,“ wiederholte der Pflanzer 
mit einer Stimme, die leiſe ſeyn ſollte, die aber in den 
beiden Zimmern gehört wurde. | 

„Ich habe Sie Ihnen bereitd vorgeftellt, aber 
Miſter Bowditch ſchien zu ſehr mit andern Gegen- 
ftänden befchäftigt;“ ſprach die Dame mit einem ſanf⸗ 
ten Verweiſe. | 

"Ach, jeßt erinnere ich mich, à propos!“ Gr 
wackelte zur Klingelfehnur und zog fie. „Bringt mir 
doch einmal meinen Ueberrod aus der Vorhalle her— 
ein. Da, Mistreß Parker, find ein halbes Dugend 
Briefe, ein wenig verfpätet, aber gute Nachrichten 
fommen nie zu ſpät. Muß doch ſehen.“ Und mit 


452 — 


‚Worten feßte er ohne Umftände feine Brille 
en. afe e und Ohren umd Be an Mer 
zu entfalten. 

Die Dame hatte die Briefe in — genommen, 
und ſich für einige Augenblicke entſchuldigend, * 
ſie mit Virginien das Beſuchzimmer. 

„Da ſeht einmal dieſe Zeitungſchreiber — BEER 
Ganzen genommen nicht fo übel, nein,“ — rief er, 
indem er das Kind durch die Brille mufterte, mit 
etwas weniger Intereffe, als er wahrfeheinlich einem 
fremden, in feine Baummollenpreffe gerathenen Cot— 
tonballen bewiefen haben dürfte. 

„Sehen Sie,“ fuhr er fort, „da fteht Ihre Lebens- 
gefehichte ſchwarz auf weiß.“ 

„Etwas von Roſa in diefen Papieren ⸗ fragte 
das aufmerkffam gewordene Mädchen. 

Der Pflanzer fah fie verwundert an. „Sie wiffen 
ja, die ftecken ihre Nafen in Alles hinein, « 

»Darf ich bitten,“ ſprach fie. 

„Gerne;“ verfeßte er, ihr das Blatt reichend. 





Sie nahm es und zog fich fehnell in die Ecke des- 


Sophas zurück. Sie las Wort für Wort. Bei jeder 
Linie ſchüttelte fie das Köpfchen ftärfer. Sie mechfelte 





m. * 





— 153 — 


die Farbe. Wieder las fie, eine Thräne perlte in ihren 
Augen, und das Köpfihen fenfend, ſchien fte Alles 
um fih her zu — So war ſie eine geraume 
Weile geſeſſen, das Blatt auf ihrem Schooße, ohne 
ein Wort zu ſprechen. Die Damen waren herbei— 
getreten und ſahen ſie verwundert an. Unwille, be— 
leidigtes Zartgefühl, ſchienen in ihrem Gemüthe 
wechſelſeitig zu kämpfen; die Freiheit, die man ſich 
mit ihr genommen, ſchien ſie tief zu verletzen. 

Der Pflanzer trat an ſie heran. 

„Aber, mein Vater,“ rief ſie aufſtehend, und nicht 
ohne Unwillen, „das iſt ja nicht wahr, was hier ge⸗ 
druckt iſt. Der weiße Mann muß ſehr böſe ſeyn, der 
dieß gethan hat.“ 

„Pah, Vater,“ wiederholte der Pflanzer. „Danke 
ſchönſtens, Miſſi! Hab' aber mit den Dreien da ge— 
nug zu thun. Glauben nicht, was die Einen für 
Geld koſten. Da mußten drei Shawls her, eine neue 
Erfindung irgend eines müßigen Webers in China, 
das uns ohnedem ſchweres Geld koſtet. Kommen mich _ 
die drei Dinger da auf zweitaufend Dollars; das 
gäbe vier tlichtige Neger, A fünfhundert Dollars per 
Stüf, von denen Jeder fünfzig Prozent geben muß, 


—454 &— 


macht taufend Dollar per annum. Das verftehen 
Sie aber nicht, armes Kind;“ meinte er mit einem 
mitleidigen, beinahe geringfchäßigen Blicke. „Ia, da 
find fie mir nun Alle über'm Hals. Die Georgiane — 


nun, da glaube ich, wird ſich wohl mit Charles etwas 


machen lafjen. Bin nur froh, daß Krieg ift. : Haben 
wir doch diefen Winter mit.den verdammten Bällen 
j und Partieen Ruhe. Der vorige Carneval Eoftete 
mich netto zehentaufend Dollars. Wenn's meinem 
Kopfe nach gegangen wäre, jo hätte ich Amalien 
noch ein Jahr in der Penſion gelaffen. Schicht fich 


befier. Sieht fo fonderbar aus, wenn man zwei auf. 


einmal auf's Tapet bringt; die jungen Leute wifjen 


nicht, wo am erften anzubeißen ift, und leckern nur. 


Ja, Bin ein alter Spaß.“ 

Der Fleine Mann hatte dieje Nede, feine beiden 
Hände in der Tafıhe, in den beiden Zimmern promes 
nivend, mit einer Selbſtgefälligkeit vorgetragen, die 
feine drei Mifjes ſehr zu beluftigen ſchien, von der 


aber das arme Naturkind nur fo viel begriff, daß fie 


mit einer fehonungslofen Geringſchätzigkeit und Rück— 
fichtslofigfeit behandelt wurde. Ihr Bufen hob fich 
immer beflommener. 





— = 
ei wi - 


er. 


—4 155 — 


„Nun wirklich,“ fuhr der Pflanzer fort, das Blatt 
wieder aufnehmend, „der Artifel ift gut gefchrieben, 
‚ und wenn ihn irgend eine alte wohlthätige Haut zu 
Gefichte befümmt, Fann er vielleicht Ihr Glück machen. 
Haben Sie ihn denn auch geleſen?“ Er begann: 

„Wir würden Bedenken tragen, Nachitehendes in 
unfer Blatt aufzunehmen — das ift fo eine gewöhn- 
Yiche Formel,“ unterbrach er fih. — „Bedenken tra- 
gen — die Wichte Bedenken tragen, wenn ung,“ 
fuhr er fort, „die Wahrheit der berührten Daten nicht 
durch refpeftable Autoritäten verbürgt und wir nicht 
auch zugleich der Hoffnung wären, durch ihre Ver— 
breitung nüglich zu werden, und Licht und Aufflä- 
zung über einen Vorfall zu verbreiten.“ 

„Richt und Aufklärung über einen Vorfall ver- 
breiten;“ commentirte er. „Er will Licht und Auf- 
klärung über fie verbreiten. Das ift übrigens ganz 
vecht, und es läßt fich gar nichts dawider fagen. Nur 
unfere Neger muß man nicht aufklären wollen. « 

Das Mädchen hatte aufmerkffam zugehört. „Die 
Worte find füß, aber in feinem Herzen fpricht er 
bitter;# fügte fie leiſe und unwillig. 

„Je nun, was die Indianer betrifft, da macht er 


—H 16 — 


freilich feine Complimente; aber Wer wird Ru 
die mit einem Wilden machen? a) — u 
Er las weiter. 
„Bor beiläufig vierzehn Sahren, in einer ſtürmi⸗ 
ſchen Dezembernacht, ſtürzte plötzlich eine Horde In- 
dianer von dem Volke der Creeks an die Behauſung 
Eines unſerer Bürger, der damals im Staate Geor— 
gien, am Fluſſe Cooſa, als von der Regierung auto— 
riſirter Zwiſchenhändler lebte. Aus dem Schlafe auf⸗ 
geſchreckt, öffnete er noch gerade zu rechter Zeit die 
Thüre, um einen gewaltſamen Einbruch zu verhüten. 
Es war die Schaar des berüchtigten Tokeah, der 
durch feine Gräuel und Schreckensthaten die Lang- 
muth unferer Bürger und Megierung fo jehr ermüdet, 
und, nachdem er fein Land verkauft, Durch Gemwalt- 
thaten aller Art das weſtliche Georgien unficher ge 
macht. Die Familie,, den unbändigen” Sinn des 
Wilden wohl fennend, erwartete nichts Geringered 
als augenblicklichen Tod; ſey es jedoch, daß ſeine 
Raub⸗ und Mordgier bereits durch — jr \ 
gefättigt —“ 

„Der Miko,“ fiel ihm Roſa mit einer Heftigkeit 
ein, die den Eleinen Mann ftugen machte, „der Miko 





—9 157 — 


ift Fein Dieb, fein Räuber, fein Mörder. Er hat 
nicht fein Land verkauft. Es iſt ihm geſtohlen worden. 
Er hat nicht das Meſſer an die Bruſt meiner Milch— 
mutter geſetzt. Er hat ihr für das, was Roſa bei 
ihr genoſſen, Belle bezahlt. Er hat Rofa nicht ges 
ftohlen. Er hat den Pfeil bittern FO nie jo tief 
in ihr Herz gedrückt, ala — 

»Nun, ich will nicht ftreiten, Miſſi. Es iſt immer 
ſchön, daß Sie ſelbſt eines Wilden Partei nehmen. 
Sa, ja — hm, — aber der Schluß iſt recht gut.“ 

„Wir enthalten uns aller weitern Bemerkungen 
bis zur gerichtlichen Aufklärung dieſes nyſteriſen 
Verhältniſſes, wünſchen jedoch, ‚ 28 möge etwas von 
den Angehörigen des unglücklichen Kindes, das nun 
hülflos und verwaist und verwahrlost i in die Weit 
Hinausgeftoßen ift, entdeckt werden, und falls Dieſe 
nicht mehr am Leben wären, daß ſich irgend eine mit⸗ 
leidige Seele deſſelben erbarmen möge. Wir erfuchen 
deßhalb unfere Mitredactoren, beſonders franzöſiſche 
und ſpaniſche, daß ſie dieſer Anzeige eine Aufnahme | 
in ihre vefpeftablen Blätter gönnen, und fo einer 
Thatſache Publicität geben, die wahrſcheinlich unſäg⸗ 


458 
liche Trauer und Jammer in irgend einer franzöſiſchen 
oder ſpaniſchen Creolenfamilie verurſacht hat „AR 
„Roſa,“ ſprach fie bebend, „ift arm. „Sie ift den 
Meißen nichts werth. Aber fie it dem Miko werth 
und theuer. Sie geht zu ihm und wird den . 
nicht beſchwerlich fallen. « 


„Sie, Miß, zu den Indianern zurückkehren? Eine 


Milde werden? das wäre wirklich ſchade. Sie mol- 
len?u fragte der Pflanzer verwundert. 

„Aber mein Gott, was habt Ihr denn?“ rief 
Mistreß Parker, die von Gabrielen in der Angſt 
ihres Herzens herbeigeholt worden war. 

„Nichts, “verſicherte der Onkel, „bloß das Zeitungs⸗ 
blatt. Sie will zu den Indianern zurück, und ich fage 


ihr, fie thäte beffer, wenn fte irgendwo a | 


men trachtete. « 

„Aber, Mifter Bowditch,“ rief die Dame uns 
willig, „wie können Sie ſich doch ſolche ee 
ten mit unfern Gäften erlauben!“ 

„Ich weiß aber nicht, was Ihr da für ein Weſen 
macht. Sie iſt doch nur ein armes Kind, und Oberſt 
Parker ſelbſt hat mir geſagt —“ | 











—H 159 — 

Indem trat ein Bedienter ein. „Madame, ein 
ſonderbarer Beſuch — zwei der Indianer.“ 

„Sie kommen um Roſa. Lebe wohl, theure Mut- 
ter! Lebet wohl, Virginie und Gabriele!“ rief fie. 

„Miß, wohin wollen Sie?“ ſchrie die erſchrockene 
Dame. Doc fie war ſchon verfehwunden. Wie eine 
Berfolgte flog fie durch den Corridor auf die beiden 
Cumanchees zu, und mit diefen über das Bayou, fü 
ſchnell als fie Eonnte, zum Gafthofe. Sie ftürzte die 
Stiegen hinan und warf fich mit unendlicher Angft 
an den Hals des Miko, gleichfam als wollte fte ihn 
fefthalten, damit er ihr nicht entriffen würde, „Armer 
gefangener Löwe;“ flüfterte fie. „Arme Rofa, ſie 
ift nichts werth; die Weißen haben fte mit Sohn ver- 
ftoßen. Arme Roſa.“ Einige Male waren ihr die 
Worte entfchlüpft, ‚als der alte Häuptling aufmerkfam 
wurde und fie forfehend anfah. 

„Wie meint meine weiße Roſa dieß?“ fragte er. 
"Was ift der Löwe? Wer ift er?“ Eh 
„Der Löwe ift eine grimmig wilde Kae, die Alleb 
tödtet, und die von den Weißen gefangen und in einen 
eiſernen Käfig geſperrt wird, wo ſie dann ihrer Qual 





vr 


— 160 — 
in der Gefangenschaft ſpotten. Sie heißen alle Ge⸗ 
fangenen Löwen. Das iſt Sprachgebrauch “ 
„Und Roſa iſt nichts werth?“ fragte El Sol. 
„Wie meint meine theure Schweſter dieß?“ 
„Nichts werth ſind bei den Weißen alle Diejenigen, 


die nicht viele Dollars oder viel Gold haben 








„Dann mag meine Schmwefter den Weifen fage 
daß Roſa mehr merth ift, als fie; daß fie alles old 
und alle Dollars der Cumanchees befigt, daß EI Sol 
und die Seinigen freudig al ihr gelbes und meißes 
Metall hergeben wollen, wenn e8 ein Lächeln auf 
ihrem Gefichte hervorbringt. Roſa muß! den Weißen 
fagen, daß fte mehr filberne Dollars, mehr Go 

beſitzt, als viele Pferde tragen können. Sp wenig 
der Miko und fein Sohn gefangene wilde Kazen find, 


fo wenig ift Roſa nicht3 werth. Sie hs mehr werth, 


als die Weißen.“ 


Das Mädchen ſah den She. der heftig 9 ge= 
worden war, gerührt an. „El Sol,“ lispelte ſi eihm 
zu,‘ „ist mein Bruder, Roſa will ihm die en 


Schwefter feyn.a ae 
- Der alte Mann war unterdeffen aufgeftanden und 
einige Male in der Stube auf- und abgefehritten. Er 


” 





* 


m Ja —— 


—9 161 — : 


horchte, eilte an die Thüre, zum Fenſter, er fing an, 
fich jehneller zu bewegen. Im anftopenden Zimmer 
wurden mehrere Stimmen gehört, und das Getöfe 
vom Ufer, und das Trommeln por dem Wachthaufe 
verfündeten eine Bewegung unter den zurücfgebliebe- 
nen Miligen, die Alle in Reihe und Glied ftanden. 

Auf einmal jeßten ſi ie ſich in Marſch und zogen dem 
Ufer zu. Das Geziſche des entquellenden Dampfes 
verrieth ihren Abzug auf dem Dampfboote. Die 
Augen des alten Mannes fingen an zu funkeln. Er 
ſah ſtarr auf die im Fackelſchein ſich fortbewegenden 
Maſſen, rannte wieder zur Thüre und horchte. Bei— 
nahe ſchien es, als ob er fühle wie der König der 
Thiere, der, in feinem eiſernen Käfig eingeſperrt, 

raſtlos vor⸗ und rückwärts trabt und durch die Spal- 

ten feined Gefängnifjes fpaht und einen Ausgang zu 

erlauern trachtet. 

„Die weißen Krieger 4 rief er plötzlich mit * 
funkelnden Augen, „ſind gegangen. Hört mein Sohn 
das Kochen des feuerſpeienden Canoes? Tokeah will 
nun gehen zu erfüllen, was ihm der große Geiſt hat 
zuflüſtern laſſen. Dieſe Nacht,“ ſprach er zu Roſa, 
„werden die rothen Männer die Wigwams der Wei— 

Der Legitime. II. * 11 





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Ben verlaffen; zu lange find fie | 
Käfige gefangen gehalten worden.“ 0, 
„Sp laß uns eilen,“ rief Rofe. er 
Nein, meine Tochter kann nicht mitgehen,« er⸗ 
wiederte er; „der Pfad iſt rauh, der Miko muß eilen, 
damit er erfülle, was ihm geboten worden. Die 
Füße meiner Tochter find zart.“ + il 
„Nicht mitgehen? Der Mito will = Tochter 
verlafien?« rief das Mädchen. entfegt. "Viral 
Der alte Dann ſchüttelte das Sant. Die weige 
Roſa iſt Tokeah ſehr lieb; aber fie if rn e ges 
tragen worden auf dem Pfade, der; zwiſchen Deut. 
Natchez und dem endloſen Fluſſe lüiegt. Die Dornen 
des Weges, den ihr Vater nun geht, würden ihre 
Füße verwunden. “ je 
„Sie werden ftarf werden; verficherte fie ihn. 
„Roſa, meine Schwefter, muß bleiben, bis der wi i 
Miko und fein Sohn zurücgefommen. Die Brüder 
El Sols, die Häuptlinge der Cumanchees, werden 9— 
ihre Schritte bewachen, und ſie ſchütend umſtehen⸗ 
„Und Tokeah und El Sol wollen wirklich gehen, 
ohne Rofa mitzunehmen ?« ſprach fie, beinahe unwillig 
4 * 


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—H 163 ⸗— 


„Vater,“ bat fie, ih an den Hals des alten Miko 
| werfend, nimm Roſa, Deine Roſa, mit Dir.“ 
„El-Eotah ‚u ſprach Diejer, „wird dem Mio fein 
Mahl bereiten. Aber Roſa muß bei den Weißen 
bleiben, bis er zurüdfommt. Tokeah weiß,“ fuhr 
er fort, „daß ihre Herzen nicht ſchlagen, wie die der 
rothen Männer; fte klappern, weil nur Dollars darin- 
nen find; fie zahlen die Bifien, die meine Tochter in 
ihren Mund ſteckt; aber Roſa mag beim Händler mit 
Veuerwafjer bleiben. Tokeah wird mit Dollars be— 
zahlen. Ocht⸗it⸗lan hat ihrer viele für fie, und da 
‚gelbe Metall — u 
Es Hopfte an die Thüre, und ver Wirth trat ein 
und ſprach mit Roſen, die mit ihm die Stube verlieh. 
Sie erfehien ungemein ernft und bewegt nad) eini- 
gen Minuten wieder. “ | 
„Alſo muß Roſa bleiben?“ fragte fie nochmals. 
„Meine Tochter weiß, wie theuer fie dem Miko 
ift. Sie ift die einzige Weiße, die feinem Kerzen 
theuer ift. Aber Roſa kann nicht auf dem Pfade 
gehen, den ex nun wandelt.“ 
„So will Rofa wieder zu den Weißen. Sie darf 
nicht beim Händler mit Feuerwaſſer bleibert, wo bloß 
a. 


—— ni u an 


—, 164 — 


Männer find. Es geziemt der Jungfrau nicht, unter 
Diefen zu ſeyn. Die Weißen find Falt; — 
auch klug, ſie wiſſen, was geziemt.“ 

„Meine Tochter iſt weiſe,“ ſprach der alte Mann 
in demſelben gelaſſenen Tone, „der große Geiſt der 
Weißen iſt in ihr; ſie wird ſeiner Stimme folgen, 
und thun, was er ihr heißt, und ihr Herz ihrem 
Vater bewahren.“ 

„Möge der große Geiſt Dich begleiten, —*— 
lispelte ſite ihm zu. „Du biſt Roſen theuer. Das 
Einzige, was ihr von Canondah übrig iſt. Roſa 
wird den großen Geiſt bitten, daß er die Dornen on 
Deinem Pfade tilge.“ | 

- Sie fiel ihm bewegt um den Hals, und der alte 
Mann legte feine Stirne auf die ihrige; dann erhob 
er ſich, und beide -Hände auf ihrem Haupte faltend, 
fprach er im tiefften Gefühle: „Der große Geiſt be— 
— Dich, meine Tochter!“ — 

Der junge Häuptling ſtand in chrfurchtsvouen 
— Als der Miko ſeinen Segen ausgeſpro— 
chen hatte, faßte er ihre Hände und, ſie an ſein Herz 
drückend, ſah er ihr eine Weile in die Augen und 
wandte ſich dann raſch weg. 









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— 165 — 


Roſa ſchaute ihn verwundert an und verließ daun 
gedankenvoll u Stube. 


Finfunnvreipigfe Kapitel. 


Willſt Du genau erfahren, was 14; ziemt, 
So frage nur bei edlen Frauen an. 
Göthe. 


Roſa kehrte ernft, beinahe feierlich, nach Kaufe 
zurück; es war etwas Umerflärbares in ihrem ganzen 
Weſen, das der Dberftin und ſelbſt ihren etwas fri⸗ 
volen Couſinen auffiel. Alle ſchwiegen jedoch; aber 
am folgenden Morgen, als Dieſe mit dem Onkel ab— 
gereist waren, nahm die Oberſtin ſie bei der Hand, 
und fie forfchend anblickend, ſprach fie mit einer mil- 
"dein, aber eindringenden Stimme: 

Liebe Miß Roſa! Sie haben geftern etwas ge⸗ 


Pe; than, das una Ale ſehr gefehmerzt hat. 


Moſa etwas gethan, das Schmerzen verurfacht 
hat?“ verjeßte das Mädchen, ihre Hände faltend. 

„Und Sie fragen, Miß?“ erwiederte die Dame, 
„nachdem Sie bei Nacht, ohne etwas zu fagen, aus 


N 





—H 166 — 


dem Haufe entwichen, zu den Wilden ine 

fprach fie mit ftärferer Betonung. * 

„Theure Mutter, ich bitte Dich, heiße ſie nicht 
Wilde. Es ſind edle Menſchen. Ihr habt * viel 
Böſes zugefügt.“ 

„Miß Roſa,“ ſprach die Dame, „darüber Eönnen 
Sie jegt nicht urtheilen. Sie werden es einft können. 
Bis dahin verfehieben Sie Ihr Urtheil und glauben Sie 
einftweilen meiner DVerftcherung, daß das Loos, das 
diefe Wilden niederdrückt, nicht unverdient ift. "Jeder 
Menfch hat fein Schieffal in den Händen. Auch Sie, 
Roſa, haben es. Und darum Bitte ich Sie, nie zu 
vergefien, daß Sie eine junge Dame find, die ſich 
nie etwa vergeben, am wenigften aber den Anftand 
fo fehr verlegen darf, um Wilde zur Nachtzeit zu be— 
fuchen. 

„Aber fie famen, um Rofa abzuholen, und BRof > 


mußte zum Miko, ihrem Vater, gehen.“ — 


„Vater,“ rief die Dame unwillig. „Miß, wie kön⸗ 
nen Sie den wilden garſtigen Indianer Ihren Vater 
nennen?“ 

„Roſa wird ihn nie anders nennen. Er iſt Ca— 
nondahs Vater. Sie wird ihn nie verlaffen;“ ſprach 





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—9 167 &— 


fie mit leifer, demüthiger, aber auch entfehloffener 


Stimme. | 

„Wie, Ste wollen zu den Wilden gehen?“ rief die 
Oberſtin mit einem Abſcheu, jo unverholen, als wenn 
Eine ihrer eigenen Töchter ihr diefen jeltfamen Ent- 
ſchluß verkündet hätte. „Zu den Wilden?“ rief fie _ 


„ nach einer langen Paufe abermald, und mit geftei- 


gertem Unwillen. „Unfer Haus, die. eivilifirtefte Ge- 
ſellſchaft, wollten Sie verlaffen? Wäre es möglich?« 
Sie warf’einen Yangen, forſchenden, beinahe miß— 
tranifchen Blick auf das Mädchen. | 

Unfere Oberftin war, wie unfere Lejer entnommen 
Haben werden, eine Dame von hoher Bildung; ‚aber 
obgleich fie nicht die gewöhnlichen Vorurtheile theilte, 
die man häufig gegen die Indianer hegt, jo mußte 
ihr doch der Entſchluß des ‚Kindes, zum Mindeften 
gejagt, außerordentlich vorkommen. Nah ihrem 
Blicke zu urtheilen, fehlen fie nicht ungeneigt, diefen 
jeltfamen Entſchluß einer minder lautern Quelle zu⸗ 
zuſchreiben, als die war, der er ſeinen Urſprung 
verdankte. | 

„Miß Roſa!“ ſprach fie mit einer feierlichen 
Stimme, „das edelſte Geſchöpf, das aus der Hand 


der Natur hervorging, iſt das Weib. Sie duldet, 
ſie leidet, wo der Mann nur genießt. Selbſt ihre 
Freuden ſind an Schmerzen geknüpft. Aber in ihrer 
Hand liegt das Schickſal des Geſchlechtes, und ein 
tugendhaftes Mädchen, das ſich pflichtbewußt zur 
Gattin bildet, iſt eine achtunggebietende Erſcheinung. 
Aber die tiefſte Erniedrigung, Roſa, iſt es, wenn 
ein weißes, frei geborenes Mädchen ſich freiwillig 
einem — weniger als Barbaren — einem Wilden zu 
überliefern niedrig genug denkt. — Es ift thierifche 
Erniedrigung, * ſprach ſie mit Abſcheu, „weil bloß 
thieriſche Leidenſchaft — “ fie hielt inne; denn das 
Mädchen ſchrack ſichtlich zuſammen. 

„Roſa,“ ſprach ſie, „iſt ſehr unglücklich. Du 
ſagſt, es ſey die tiefſte Erniedrigung, ſich den Wilden 
hinzugeben; wohin ſoll Roſa gehen? Bei Euch,“ 
ſeufzte ſie, „iſt ſie nichts werth. Sie hat fein Gold. 
Sie iſt arm. Ihr bietet ſie, wie der Zwiſchenhändler 
ſein Feuerwaſſer, dent öffentlichen Mitleiden an.“ 


Die Oberſtin ſah das Mädchen, deſſen richtiger 


Blick fo tief das Unzarte des Zeitungsartikels auf- 
gefaßt und noch immer fühlte, betroffen an. „Es ift 
gefehlt worden, « fprach fie; „aber dieſe Unzartheit war 














—) 169 — 

gut gemeint, "meine Tochter. Wir müſſen Manches 
dulden, was uns hart fcheint, weil wir den Grund 
davon nicht einfehen. # | 3 

„Mutter ! ſprach das Mädchen, min. meinem 
Herzen ſpricht eine Stimme, die mich nie irre geführt 
hat. Sie gebot mir, dem Miko zu folgen. Sie wird 
mir ſagen, was ich zu thun habe. Aber bei Euch 
würde die arme Roſa verlaſſen ſeyn. Als der Miko,“ 
fuhr ſie mit leiſer Stimme fort, „ſich entſchloſſen 
hatte, in die Niederlaſſungen der Weißen zu gehen, 
da ward es in meiner Seele plötzlich helle. Ich, ver- 
langte mitzugehen. Roſa ift gegangen. Ach!“ feufzte 
fie, fie ift fremd unter Euch. Als fie in der Hütte 
des Zwifchenhändlers war, da gab man ihr Speife, 
weil der Miko Belle gab. Sie war fremd damals. 
Sie ift e8 wieder. Beim Mifo war fie Tochter. 
Mutter!u rief fie überwältigt von ihren Gefühlen, 
„ſey nicht graufam, entreiße der armen Roſa nicht - 
das Einzige, was fie auf der Welt befigt, den Troft, , 
den Miko zum Vater zu haben. Rofa hat nie ihren 
Vater gekannt; fie ift nie am Bufen ihrer Mutter 
gelegen. D, e8 ift fo wenig, um was fie Dich bittet. « 

Die Oberftin blickte das in tiefften Schmerz ver- 





2 170 — 


ſunkene Mädchen in fprachlofer Rührung a 
theures, verwaistes Kind! ſprach fie, mi h win 
Mutter jeyn. ine Mutter läßt fich Hvar nimmer- 
mehr erſetzen! aber mütterliche Freundin, — 
will ich Dir ganz ſeyn.“ 
Der unglücklichen Waiſe war nun allmählig ihr 
Verluſt, das Entbehren der Mutterbruſt, des väter⸗ 
lichen Schutzes in den Contraſten, die ſie in ihrem 
kurzen Leben erfahren hatte, deutlich geworden. Es 
war aber nicht bloß Sehnſucht nach den entbehrten 
Vater- und Mutterarmen, die ſich nun in dem Kinde 
jo ergreifend Außerte. Sie hatte ihre Verlaffenheit 
ſchon in der Hütte des Miko gefühlt; aber nie war fie 
fich derfelben fo deutlich, fo fehmerzlich bewußt wor— 
den, als in ihren neuen Umgebungen, und der freien 
Deweglichfeit und hinwiederum den eingezwäangten 
Formen ihres neuen Kreifes. An die rauhe Väterlichkeit 
des Miko gewöhnt, war dieſe ihrer demüthigenden, 
von Liebe erquellenden, ſich ſo gerne anſchließenden 
Natur zum Bedürfniß geworden; jetzt aber fühlte ſie 
ſich nun unendlich einſam und verlaſſen. 
Sie war bisher im Hauſe des Oberſten ganz als 
lieber Gaſt, mit all der Rückſicht und Aufmerkſam⸗ 








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feit, die einer jungen ‚Dame in ihrer Lage erwiefen 
werden Eonnte‘, behandelt worden; allein ihr natür- 
licher, durch lange Einſamkeit zum Nachdenken auf- 
geregter Verſtand ließ fie in eben. diefer Rückſicht 
zugleich all die Kälte erfehen, die in unfern ſoge— 
nannten guten Häuſern gewiſſermaßen zur Sitte ge⸗ 
worden iſt. Zwar hatte in den erſten Tagen ihres 
Hierſeyns, und vorzüglich während der Anweſenheit 
des Squire Copeland, eine herzliche Ausnahme Statt 
gefunden; aber als Dieſer abgegangen, wurde ihr 
der Contraſt nur um ſo auffallender. Vielleicht war 
auch eine kleine Scheu vor dem Mädchen, das ſo lange 
Zeit unter den Indianern gelebt hatte, mit im Spiele. 
„da, Roſa!“ ſprach die Oberſtin, die gegangen 
und wieder zurückgekommen war, „Du jollft meine 
Tochter ſeyn. Der Indianer ift unftchtbar geworden, 

höre ich fo eben. Möge er nie wieder fommen.“ 
„Er wird wiederfommen;“ rief das Mädchen zu— 
verfichtlich. „Er wird kommen, um Roſen zu holen.“ 
„Ich zweifle;“ erwiederte ihr die Oberftin, die es viel- 
Yeicht nicht räthlich fand, das, was ihr als Starrſinn 
an dem Mädchen erfcheinen mochte, gegenwärtig zu 
befämpfen. „&3 tft zwar fehr wenig an ihm gelegen; 


—$ 12 &— 





allein ex hat. des Böfen zu viel gethan⸗ ‚um ſich 
gerechten, aber auch ftrengen Richten ne chmals 
ſtellen. 

Er wird gewiß ie BR —* | 
Roſa nochmals. 

„Und warum iſt er gegangen?“ fragte die Oberfin. 
„Vielleicht ſollte ich nicht: fragen, da er'Deinem Herzen 
näher ſcheint als wir. Nur ift fein Verſchwinden 
gegenwärtig auffallend. Roſa! ich hoffe, Du wirft, 
mir Vertrauen fchenfen, Eindliches Vertrauen? Es 
hat das Verſchwinden des Indianers einige Unruhe 
verurſacht. Ich hoffe, nochmals ſage ich es, Du wirſt 
in Deiner Anhänglichkeit, die ich übrigens ehre, die 
Scheidelinie der Pflicht erkennen, und das Vertrauen, 
das in Dich geſetzt wird, nicht mißbrauchen.⸗ | 

Nachdem fie diefe Worte mild, aber ernft und ein- 
dringend gefprochen hatte, entfernte ſie ſich. Das 
Mädchen war in tiefes Nachdenken verſunken geftan- 
den, über die ſeltſamen Worte ſinnend. Die myſte⸗ 
riöſe und plötzliche Entweichung der vier Indianer 
hatte wirklich am Bayou und in der Umgegend einige 
Unruhe verurſacht, und die Frau des Oberſten war 
erſucht worden, wo möglich die Veranlaſſung dieſes 


— BE EEE m Sue ma > tea u. 2 














—d9 173 & 


Unſichtbarwerdens des gefährlichen — aus 
| feiner Pflegetochter herauszubringen. Ihr BO 

verfichtlicher Ton war jedoch ein hinläng li her Ben ei, 
* ſie In Mitwiſſenſchaft habe, was au 






daß die Wilden, im Falle fie wirklich eiiönd Beind- 
felige3 im, Schilde führten, ihr ihre Abfichten Fund 
! gethan haben würden. Bald verfehmolz auch diefe 
Kleine Beſorgniß in der großen Angelegenheit, die nun 
Alle ausfchlieglich zu befchäftigen anfing. und i im der 
man alles Uebrige vergaß. Sp lange nämlich die 
beiden Compagnien unter dem Befehle des Capitain 
Percy noch am Bayou waren, ſchien man noch immer 
beruhigt. Sp unbedeutend die Anzahl der zurückge— 
bliebenen Milizen war, ſo hatte doch der Umſtand 
ihrer Nichteinberufung der Umgegend ein gewiſſes 
Gefühl von Sicherheit, von Vertrauen eingeflößt, 
das num durch die plötzliche Ordre zum Abmarſche 
ſehr erſchüttert worden war. Es war eine fieberiſche 
Aufregung eingetreten, eine krampfhafte Spannung, 
die die Gemüther immer heftiger dann ergreift, wenn 
der Schauplatz der Gefahr entfernt und ſo der düſtern 

Phantaſie mehr Spielraum zu trüben Bildern ge— 





—9 174 — 


er „ir ? Art ſchaudernder ei ſich 
xniger an den sas 


ausfo⸗ ſchenden ſtarren Mienen, dem häu⸗ * 
m * en — und 







gen ne einen eines Dampfbontes und dem bangen 

Berfehlingen der Zeitungen, deren — geheime, | 
nißvolle Kürze nie peinlicher ward. Auch ER. 
Familie war von’ diefen fieberiſchen Sc nicht 
verfehont geblieben, und wenn durch das rege Still⸗ 
leben, das auf der Pflanzung herrſchte, die düſtere 
Folie weniger ſtark hindurchſchimmerte, ſo war dieſes 
nicht ſo ſehr einem Mangel an Theilnahme oder Ge⸗ 
fühl, als vielmehr der Selbſtverldugnung der alle 
digen Frau zuzuſchreiben, die als Mutter und Ge- 
bieterin dem Saufe voritand. Unſere Gatten und 
Söhne,“ ſyrach ſie zu ihren Töchtern und, Ks Ä 
„kämpfen für uns und unſer Land. Uns hat die 
Natur eine nicht minder ehrenvolle Berti 
gewiefen, die — durch Häusliche Thätigkeit die Keräfte 
unferer Männer und Söhne in den Stand — * 
ihrer großen Beſtimmung Genüge zu leiſten; die wür- 


* 



















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a STE 
ER; ne a 


—— — 


—+ 15 — 


digfte Deunahme, die das Weib äußern kann. Es 
geziemt dem freien Weibe nicht, fich von G Empfindungen 
überwältigen zu laffen ; dein es ift nicht niedergedruckt 
durch das erſchütternde Phantom eines übermůthigen 
Tyrannen, der ihre Lieben von ihrem Buſen reißt 
und einem dunkeln Verhängniffe zuſtößt; es kennt die 
Gefahr und die Noͤthwendigkeit, ihr zu begegnen 


Aber ungeachtet dieſer männlich ſtarken Gründe 






wurde die Prüfung auch für ſie allmählig zu ſchwer, 


und ſonderbarer Weiſe ſuchte ſie bei unſerem liebenden 
Naturkinde Troſt und Ermunterung. Jeden Tag, 
jede Stunde fühlte ſie ſich mehr und mehr angezogen, 
und der beiderſeitige Anklang von Schmerz und Ent⸗ 
behrung ſchien ſie nun wirklich zu einem Gliede der 
Familie zu einigen. So verlief eine Woche. 


Es war an einem ſonnigen Mittage, daß Roſa 
am Baydu in ſinnender Betrachtung ſtand, dem Ge- 
ſange der in Cottonpreſſe arbeitenden Neger zuhor⸗ 
chend, wie ſie ihr eindringend wehmüthiges Talla⸗i— 
hoe herüber tönen ließen. Es iſt ein ergreifend me— 
lancholiſcher Geſang, wie er in ſeinen tiefen Baßtö— 
nen und dem klagenden Tenor in langen Cadenzen 


—9 176 &— 


an das Ohr ſchlägt. Allmahlig verſtunmten die 
Stimmen eine nach der andern, dann erhoben ſie ſich 
wieder, und ein Chor von vierundzwanzig Männern 
brach in den ſchönen Negergefang Bulla⸗tai aus. 
Auch dieſer war verklungen. Roſa ftand aber noch 


immer, ohne zu bemerken, wie die * mit ihren 


Töchtern herantrat. 


„Weißt Du, liebe Roſa,“ ſprach fie, „daß baſer 


Schmerz, dem Du Dich überläßt, ſelbſtiſch iſt, daß 
wir uns nie ganz einer Wehmuth — dürfen, 
die unſere Kräfte aufzehrt?“ 

Es iſt nicht Schmerz, Mutter; es iſt etwas ganz 
Anderes. Etwas Großes, etwas Wichtiges, das Dir 
Roſa zu verkünden hat.“ 


„Etwas Großes;“ ſprach die Dame, die aufmerk- 


fam wurde; denn die Züge des Flaren idealen Ge— 
fichtes der Sprecherin fehienen außerordentlich bewegt. 
„Ja,“ ſprach fie, mes ift eine wichtige Stunde diefe, 


in der viel entfehieden wird. Der gute Gott wird fie 


tröftend für Dich werden laſſen; Mutter, er ift gut 
und milde. Sey auch Du es, Mutter! ich bitte Dich.“ 

„Wie kann ich es, liebe Roſa;“ ſprach die * 
Dame. 





Kir. NT 


—hH 177 


„Du Fannft es. Sey milde gegen das arme Weib, 
deren Mann imGefängniffe ſchmachtet. Die Stunde, 
in der Roſa Dich bittet, ift wichtig. Gewähre ihr, 
fo wird. fie Die jagen — “ 

„Und was wird Roſa fagen?u fragte bie Oberftin 
das finnend horchende Mädchen. „Deine Bitte ift 
gewährt; ich will die Bürgfchaft übernehmen. « 

Das Kind drückte die Hand der Dame freudig an 
den Bufen. „Roſa dankt Dir, theure Mutter!« 
ſprach fie mit Hoheit. „Dafür will fie Dir etwas 
fagen. In diefer Stunde fehlagen die Eurigen die 
Schlacht;“ flüfterte fie leife, aber beftimmt. 

Mutter und Töchter Lächelten ungläubig. 

„Kommt,“ ſprach fie; „hier Hören wir nichts.“ 
Sie eilte voran an das untere, ſüdliche Ende des 
Parfes, ftellte die drei Damen in einen Halbzirkel, 
und beugte ſich dann in der Richtung des Luftzuges. 

Es war dieſen Morgen ein ungemein dichter Nebel 
über der ganzen Gegend gelegen. Gegen Mittag je— 
doch fing ein ſtarker Südwind an vom Strome herauf⸗ 
zumwehen, und die Kraft der Sonne, die felbft Januar- 
sage in dieſem Lande zu fo herrlich milden Erfihei- 
nungen macht, hatte allmählig die Atmofphäre in 

Der Legitime. III | 12 





eine’ zitternd elaftifche Bewegung — den 
fernen Pflanzungen her waren noch einige Chöre ber 
“Neger zu hören. Allmählig ſchwiegen w 

und die Natur ſchien mit den armen Soma in 

Feierſtunde zu halten. 

„Ich höre nichts,“ ſprach die — „als Fr 
Windzug, “ feßte Virgine hinzu; „und das knarrende 
Gekrächze der alten Bidi,“ meinte Gabriele. 

„Ihr habt nicht in dem ſchweigenden ie Wig 


/ 













wam am Natchez gelebt, « lächelte Mofa. Sie hor 
wieder und fihauerte dann zufammen. „Das * | 
fürchterliche Schüſſe.“ R 4 
„Hörſt Du wirklich etwas?“ riefen bie drei er- * 
blaſſenden Damen. 
„Gewiß, ich höre jeden Schuß, viele hie, fünf- 





zehn, zwanzig auf einmal. Jeder ‚gleicht dem ent- 
fernten Rollen des Donners. u vr 

„Es tft nicht möglich, meinte die Oberftin. * 4 
m ur an Kerl Rasen —* der, 4 


die Ufer liegen offen.“ 
„Ich Eomme fo eben vom — r 
junge Copeland mit einer leichten Verbeugung 


a * 
„a FL · 
4 


— 179 er 


fonderbarer Vorfall: die beiden Indianer, die wir 


ſeit der Entweichung des Alten in Haft zu fehen ge 


nöthigt \ waren, brachen plöglich los; aber ftatt zu 
entfliehen, ftehen fie nun am Ufer, die wunderlichften 


Verzerrungen fehneidend. Ich glaube, die Leute Der R : 


etwas.“ 

„Es iſt die Schlacht, liebe Mutter. — liebe 
Mutter! Virginie und Gabriele! zu Ochtitlan, und 
mein Bruder wird dem armen Manne ſeine Freiheit 
verkünden.“ 

„So ſey es denn,“ ſprach die Oberſtin, die — 
von der natürlichen Beweglichkeit des Mädchens hin⸗ 
geriſſen fühlte. „Miſter Copeland gehen Sie zu 
Squire Brown, und ſagen Sie ihm, daß wir Bürg⸗ 
ſchaft für Madiedo ftehen. “ 

Der junge Mann jah die Frau verwundert an. 

„Gehe, gehe, lieber Bruder!“ trieb ihn Mofa vor⸗ 


waärts, „und komme dann.““ 


„Sehr gerne, Siſſi;“ ſprach Diefer, der raſch den 
Weg zum Städtchen einſchlug, während die Damen 
dem Strome zueilten. "Schon von weiten erblickten 


ſie die Indianer, umgeben von einer Gruppe von 
Männern, Weibern und Kindern. Einer derſelben 


Gen ; Ph 


i 





180 ⸗ 
lag in dem Winkel der Erdzunge, die hier durch dns 


aus dem Miſſiſippi tretende Bayou gebildet wird, 
auf dem Boden, während der Andere die Neugierigen, 


x irn 
— 


die mehr und mehr herbeikamen, in einen Halbzirkel 


prönete. Ein leiſes, kaum merkbares Sauſeln kam 
vom Süden herauf, das aber bei Weitem von dem 
Rauſchen der Wogen übertäubt wurde. Allmãhlig 
hatte das ſonderbare ſtumme Schauſpiel eine bedeu— 


tende Anzahl von Menſchen angezogen. Als die In⸗ 


dianer Roſen erſahen, ſprangen ſie mit der lebhafte— 
ſten Freude auf ſie zu und ſprachen einige Worte im 
Pawneedialekte, mit der Gluth der höchſten Leiden- 
haft. Ihr ganzes Wefen Hatte eine Eriegerifche Wuth 
angenommen. 

„Es ift die Schlacht," ſprach Diele. „Die Cu⸗ 
manchees hören fie deutlich. Sie fagen, es ift eine 
ſchreckliche Schlacht, die die Meißen fihlagen. Viele 


taufend große und Fleine Feuerſchlünde ſpeien ihre 


eifernen und bleiernen Kugeln aus.“ 

Der Indianer warf fih auf den Boden und gab 
Zeichen. 

„Sie ftehen noch immer auf demfelben Orte,“ 
ſprach fie. „Nun brüllen die Feuerſchlünde weniger. 4 


— * Be 2 


1 


—9 181 — 


„Nun brülen fie ftärfer;“ rief fie nach einer Weile, 

Nun zittert die Erde. Zwanzig der. großen Beuer- 
ſchlünde brüllen auf einmal.“ 

„Gott ſegne Sie, Madame!“ rief plöblich eine 
Stimme hinter ihnen. Es war der Spanier oder 
Mexicaner Madiedo, alias Benito, mit feinem Weibe. 

Die Oberſtin winkte ihnen Stillſchweigen zu und 
deutete auf Roſen. „Danken Sie es Dieſer;“ ſprach 
ſie leiſe. 

Der Mann faßte ſie einige Augenblicke ins Auge, 
und ſein ſprachloſes Erſtaunen ſchien ihm die Worte 
auf der Zunge zu feſſeln. „Um Gotteswillen, Wer 
ſind Sie Miß? um Vergebung?“ 

„Roſa;“ ſprach das Mädchen verwundert. 

„Roſa!“ erwiederte der Mann. „Mein Gott, wie 
fie leibt und lebt. Unbegreiflich!“ rief er. 

Die Indianer waren während dieſes Zweigefpräches 
ungebuldig geworden. Der auf dem Boden Legende 
hatte ſich aufgerichtet und ftand gleichgültig, ohne 
ferner feine Beobachtungen fortzufeßen. Das .Ge- 
prä, obwohl leiſe geführt, Hatte es ihnen unmög⸗ 
lich gemacht, etwas weiter zu hören. 

„Die Schlacht, Madame und meine fchönen Miffes, u 

\ 


—ı > >— — 
rief ein junger Mann in * engliſch vDſthierhum— 
form, ‚aber mit dem knarrenden irifehen ialekte, „bei 
St. Patrif! Wer das fagt, muß die Ohren eines 
Midas Haben. Wiſſen Sie, meine ſchönen Damen, 


daß wir auf einem ihrer Dampfſchiffe volle achtzehn 


Stunden brauchten, und fie gehen wie die beſten eng⸗ 
liſchen Poſtpferde. Eine ſchöne Erfindung, Madame, 
die Ihnen Ehre macht.“ 

Die Oberftin jah den dreiften jungen Mann ver- 
wundert unwillig an. 

„Lieutenant Connaught!“ Sprach der junge Cope— 
and, „wollen Sie fo gefällig feyn, mir aufein Wort 
zu folgen?“ 

„Ein andermal,“ rief der Irländer, der fich recht 
wohl zu befinden fehien, obgleich ihm alle Damen den 
Rücken gewendet hatten. „Diefe Wilden,“ fuhr er 
fort, „haben übrigens ein feines Gehör, und es ift 
zehn gegen eind zu wetten, daß wir Gelbiefer Zeit die 


Hauptftadt genommen haben und die Unftigen auf 


dem Hermarfche find. In diefem Falle, meine Da— 
men, können Sie fich auf den Schuß Lieutenant Eon- 
naughts verlaffen. Darf ich fo frei feyn, Ihnen mei- 





9 
4 
\ 
3 


—, 183 ⸗— 
nen Arm anzubieten, ſhöne — Inge er zu 
Virginien. * u 

Statt der jungen Dame bot ihm Mifter Copeland 
den ſeinigen an, und ohne ein Wort weiter zu ver- 
lieren, 309 er ihn-einer Gruppe kriegsgefangener Of⸗ 
fiziere zu, die mehr beſcheiden in einiger Entfernung 
am Stromesufer ſtanden. 

So wie der Irländer entfernt war, warf ſich der 
Cumanchee wieder zur Erde, und gab neuerdings 
denſelben regelmäßigen Bericht von der Schlacht durch 
Zeichen, zuweilen wisperte er Roſen einige Worte zu, 
die ſie dann der Oberſtin und der verſammelten Menge 
mittheilte. Die Umſtehenden ſtanden ſtarr in athem— 
loſer Stille. Jeden Augenblick mehrte ſich die Menge; 
ſie kamen auf den Zehen geſchlichen, und gingen, 
kamen wieder und ſtanden, Alles um ſich her vergef- 
fend. Stunden waren fo verftrihen, die Sonne ſank 
bereits hinter die weftlichen Wälder, und noch ftanden 
Alle verfammelt. Plöglich fuhr der Indianer zufam- 
men und fprang mit allen — des Ent- 
ſetzens auf. 

„Es war ein ſchrecklicher Donner zu rief Roſa. 

Wieder warf er ſich zur Erde, lag noch eine Viertel⸗ 


— 


— 


ſtunde, und ſtand dann — auf. Beide Wine 
nahmen Abſchied von Roſa und folgten — 
die fie ihrer Haft zuführte. ar 
„Madame!“ ſprach der Wirth Madiedo die Ober⸗ 
ſtin an, als Dieſe nun mit ihren Töchtern und Roſa 


den. Sehmörg betrat. „Darfich Sieum einen Augen⸗ 


blick Gehör bitten?“ 
„Nicht heute, Monfieur Madiedo ;fprach die Dame. 


„Nur zehn, nur fünf Minuten. Es betrifft die 


junge Dame;“ auf Roſa deutend. 
„Kommen Sie denn i in einer halben Stunde. 


Sechs unddreißigſtes Kapitel. 


Vierzig Schillinge wollt' ich darum geben, 
wenn ich mein Buch mit Liedern und Sonneten 
bier hätte. — Nun Simpel, wo haft Du ge— 
ſteckt? Ich muß mir wohl felbft aufwarten! 

Shafespeare. 


Grabesftile herrfchte am folgenden Morgen im 


Speifefaale des Gafthofes zum Bayou Sarah, wo 
fi die Gäfte fo eben zum Frühſtücke niederließen, als 
der Donnerruf „ein Dampfſchiff!“ erſchallte. Die 





— a , 





— 185 — 

Seffel flogen nun in jeder Richtung aus einander, und 
Alle ftrömten todtenbleich zur Thüre hinaus auf das 
Stromufer zu. Nur vier junge Männer, die ihre 
reichen goldftrogenden rothen Uniformen als englifche 
Dffiziere bezeichneten, blieben mit unferem Mid ſhip⸗ 
man ganz gemächlich an der vollbeſetzten Tafel ſitzen. 

„Da gehen ſie, die glorreichen Pankees;⸗ lachte 
Capitain Murray. 

„Sind bloß drei darunter, die Uebrigen ſind * 
franzöſiſchen und deutſchen Spargelwächterz“ ent— 
gegnete Lieutenant Forbes. 

Dieſe Spargelwächter, wie fie der. launige Eng⸗ 
länder nannte, waren die Bewohner des Städtchens, 
die feit dem Abmarfch der waffenfähigen Mannſchaft 
in ein Corps quasi Muncipalgarden, zur Aufrecht- 
haltung der öffentlichen Ordnung, vereinigt worden 
waren, und unter denen fich auch die Herren Gieb 
und Prenzlau befanden, die fih, im Vorbeigehen fey 
es gejagt, auf die Ehre, an der. allgemeinen Landes— 
vertheidigung Antheil zu nehmen, die ihnen vor 
ihren weniger reſpektablen Landesmännern, den 
Herren Merks und Stock, zu Theil wurde, nicht 
wenig einbildeten, und ihre frühern Meinungen über 


— 


on 
die bei uns herrſchende Unordnung sine aufge 
geben hatten. 
„Langweilige Kerle,“ rief Capitain — 
der. „Unausſtehlich langweilige Kerle, dieſe Yan- 


kees,«“ verſicherte er nochmals, eine Quail anfaſſend, 
und die Bruſt von beiden Seiten mit anatomiſcher 


Genauigkeit ablöſend. „Wenn das Thierchen hier,“ 
betheuerte er, mein wenig mehr gebraten, ſtatt ge— 


röſtet wäre, bei Jove! Longs Hotel könnte nichts 


derlei aufweiſen.“ 

„Ich glaube denn doch, unſere Aetſu 
Haunches ſind zarter,“ verſetzte Lieutenant Devon, 
der, den Vorzug ſeiner landsmänniſchen Hirſchziemer 
a priori erkennend, nichts deſto weniger dem ameri- 
kaniſchen die Ehre eines tiefen Einſchnittes in die 
Mitte anthat. 

„Vergebung,“ entgegnete der Capitain Murray 


„Ich Ipreche von Nebhühnern oder Quails, wie fie 


bier genannt werden, will aber vom Ihrigen jpäter 
verfuchen. 
„Weiß nicht,“ fiel Lieutenant Forbes ein, der e8 


gleichfalls mit dem Hirfehziemer hielt, „aber das will 
ih Euch jagen, Gentlemen, daß mein Magen von 








u | 
— 
J 


—H 1897 &— * 


der verdammten Salzſäure ſo ausgetrocknet war, daß 


er Sauerampfer angenommen hätte.“ Er ſah ſich 
etwas vorſichtig nach allen Seiten um. „Verdammt! 
vier Monate Salzkur. Hol' mich der Henker, wenn 
dieſe Kerle nicht verdienen, alle ſammt und ſonders 
gehängt zu werden. Da kommen wir herüber aus 
der belle France und dem glühenden Spanien, in der 
Hoffnung, die Tagediebe werden Raifon haben und 
fih in ihr 2008 ergeben, und da find wir num dieſe 
ſechs Wochen eingepreßt zwiſchen See und Sümpfen, 
ohne auch nur fo viel wie ein Haus gefehen zu haben. 
Nicht vorwärts, nicht rückwärts, und nichts als 
Pökel⸗ und Salzfleifeh, und Kartoffeln vom vorlegten 
Jahre, die wie Madeira bereit3 dreimal die Fahrt 
nach Dftindien gemacht Haben. Aufwärter ich danke 
für ein Glas Madeira. — Hol mich der — auch Fein 
Aufwärter hier.“ 

„Und glauben Sie,“ ſprach Lieutenant Connaught 
zu unferem Midfhipman, „daß die Gaudiebe und 
auch nur eine frifihe Kartoffel zukommen ließen? 


Wenn wir eine Guinee für eine gegeben hätten, fo 


wäre Feines ihrer verdammten Ungethüme, die fie 


Archen oder Blatböte heißen, binabgefommen. Ge— 


% 


—H 188 — 


meine Seelen! gar nichts von dem ritterlichen Geifte | 


der Spanier und Franzofen. Ich verfichere Ste, Mifter 
Hodges, felbft in Frankreich waren wir die Hähne 
in-den Körben. Nur fehade, die armen Teufel hatten 


nichts zu geben, als ihre Weiber und ihre Mädchen.“ 


„Bei Iove! Meine liebliche Donna Iſabella y Yrun, 
y Caldevai, y Madagascar, y Balthaſar, der Teufel 
weiß — “ lachte Lieutenant Devon. 


„Genug, genug,“ fielen Alle lachend ein, ze 


haben mehr Titel al3 Dollars. u 
„Wollte jedoch, ich hätte fie hier, Die rad Iſa⸗ 
bella;⸗ meinte Lieutenant Devon. 


„Würde Ihnen nichts REN die puritaniſchen 


Danfees erlauben Einem derlei Zeitvertreib nicht;“ 


verſicherte ihn Lieutenant Forbes. | — 


„Danke Ihnen nun,“ fiel Capitain Murray ein, 
„für einen Schnitt Ihres Sirfchziemerd. Aber, was 
haben Sie doch mit dem herrlichen Geſchöpfe ge— 
macht ?u 


„Pah! fie Capitain Richlh⸗ für eine — 
ächter Havannahs überlaſſen;“ erwiederte ihm der 


Lieutenant ganz gelaſſen, indem er ihm ein Stück vom 
Hirſchziemer ſchnitt und reichte. „Der behielt ſie bis 


ee ee u ch 





— 


480 — 


er in Oporto einſchiffte; dann ließ er ſie dem alten 


Caballero zuruͤck, der ſie noch haben muß, wenn fie 
ihre ſchönen Sünden nicht in einem ihrer jungfräu⸗ 
lichen Behälter abbüßt.“ 

„Da!“ lachte Bapitain Murray, „mit den Donnas 
und Condefjas und Senoras trieben wir ed doch wirf- 
Yich zu bunt! Aber, wiffen Sie,“ fuhr er zu unferem 
Seefadeten gewendet fort, „daß wir alle Urfache ha— 
ben, mit Ihrer Flotte oder vielmehr mit Ihren Com— 
pagnons unzufrieden zu ſeyn? Anftatt und Zufuhren 
zu bringen, gingen fie nach Jamaica und Vießen fich 
von den NYankees wegkapern. Ueberhaupt, Ihr Her⸗ 
zen, in diefem Kriege habt Ihr wahrlich nicht viel 
Ehre eingelegt, die Java weg, der Macedonian weg, 
ein halbes Dutzend Fregatten mehr; es darf fich Fein 
föniglicher Zweiundfünfziger mehr fehen Tafjen.“ 

„Sch glaube, wir ftehen fo ziemlich al pari,“ ent- 
gegnete ihm unfer Midfhipman, defjen esprit du 
Corps die Anspielung ein wenig verdroß. 

„Gewiß, Mifter Hodges,“ verficherte ihn Lieute⸗ 
nant Devon, „wir wollen die Ehre der koͤniglichen 
Waffen retten, ſie ſollen Rache haben für die Frech— 
heit, die ſich dieſe gemeinen Tagdiebe herausgenom⸗ 


KERLE EB et in 


* 





*. 
* 


men. Ei) ich glaube, ſie hätten fie alles Ernſtes ge: 
bangen, ohne Rückſicht auf die blaue Uniform.u 

„Gerade fo, wie fie Major Andre ohne Rückſicht 
auf die rothe hingen;“ entgegnete ihm unſer Mid⸗ 
ſhipman. 

„Das iſt ſchon ſo lange her,“ lachte der — 
„daß es bald nicht mehr wahr ſeyn wird. Aber 
Scherz bei Seite, Miſter Hodges, es wäre doch keine * 
ſo ganz unebene Sache geweſen. Ein beneidenswer⸗ 
ther Tod. Hören Sie nur, wenn wir ins Gras bei— 
Sen, und diefe Grobiane legen es immer zuerft auf die 
goldenen Epaulettes an, fo kräht Fein Hahn um uns. 
Aber Sie wären von Tom und Goleridge befungen, 
und allen Damen betrauert worden. Hof mich der 
Henker! Mit ſechs Pence, und mehr. koſtet der Stri 
nicht, Unſterblichkeit zu erringen, iſt wahrlich keine 
Kleinigkeit. Ihre Gebeine würden, wie die des ſeligen 
Andre, ausgegraben und in der Weiikinferabigl 
canoniftrt worden ſeyn, eine: marmorne Tafel mit 
goldenen Buchſtaben darüber, ae Jämes 
Hodges Esq. 4 FR er 

Damn, die Weſtminſterabten * Ihre Poſſen⸗ 
reißerei dazu,“ rief der Midſhipman, dem der Scherz, 


— 10 e— 















* 
— 
— 11 — 


den man fich auf feine Koften zu erlauben beliebte, 
allmählig zu bunt wurde. » | 

„Nein, Gentlemen, ich verfichere Euch,“ ſprach 
Gapitain Murray, wich kann es begreifen, wie unfe= 
rem Freunde Miſter Hodges nicht ſo ganz wohl zu 
Muth ſeyn mochte. Uebrigens famen Sie doch mit 

heiler Haut davon, und Sie mögen froh ſeyn; in 
+ Europa würde man fich freilich jo etwas mit einem 
brittiſchen Offizier nicht erlauben, aber da haben wir 
es mit gefügigen Souverainen zu thun, und die Völ⸗ 
fer kommen in feine Rechnung, aber dieſe Flegel“ 

„Alles und Alles zufammengenommen,“ fiel ihm 
Lisutenant Forbes ein, „verfichere ich Sie, e8 ift Fein 
jo übles Ding, Amerikaner zu ſeyn, und wahrlich, 
wäre ich Fein englifcher Gentleman, io wollte ih ein 
freier Amerikaner ſeyn.“ 

„Seyd verſichert „a° meinte unfer Midſ Hiyman, 
wenn Ihr noch acht Tage hier feyd, ſo werdet Ihr 
recht ſehr Nefpekt befommen. Zwei Lektionen habt 
Ihr ſchon.“ 

„Ab, Eonnaught, das ift ein — * Sie, 

lachte Lieutenant Devon. „Wie fagte der Junge? er 
it, glaub ich, Capitain der Spargelwächter. Be— 


S 


912 &— 


haltet den Narren einftweilen bei Euch, und wenn er 
es nochmals wagt, Damen zu infultiven, werden wir 
ihm einen andern Ort anweiſen.“ | 

„Und ih werde Demjenigen, der es wagt, die Un- 
gefehliffenheit diefes groben Yankee zu wiederholen, 
gleichfalls einen Ort anweifen;“ vief der hitzige Ir— 
Yänder. „Bei St. Patrik! das willich.“ 

„Pah! da habt Ihr den Sprudelkopf,“ fiel Capi⸗ 
tain Murray beſchwichtigend ein. „Schade, daß wir 
keine Piſtolen bei uns haben, er ſchöſſe ſich wahrlich 
nach dem herrlichen Dejeuner, ohne die Verdauung 
abzuwarten.“ 

„Nein, galant,“ meinte Lieutenant Devon, „ſind 
ſie nun einmal ſicher nicht. Da ſitzen wir bereits an 
die ſechs Tage. Anfangs dachte ich ſelbſt, unſere 
Gefangenſchaft dürfte kein ſo großes Unglück vn 
Mir find die Erften und haben freie Wahl. u * 

„Und die Mädchen reich;“ fielen ihm die Andern ein. 


A 








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ie 


„Eben deßwegen aber jtolz wie der Teufel; kü- 


mert fich Keine um und. Und wir find doch wahrlich 
feine üblen Kerls;“ meinte er, fich wohlgefällig be— 
ſehend. ⸗ 


„Wir müſſen ung rächen;“ fielen Alle ein. 





—91B — 


„Gentlemen!“ verficherte Capitain Murray, nich | 


habe die Ehre zu verkünden, daß ich ein vortreffliches 


Frühſtück vollendet habe, und nun zur Verdauung 


verboten, ſeit uns der puritaniſche Wirth die Karten 
fo sans ſagon ins Feuer geworfen.“ 
„Was läßt ſich nun thun, das die Danfeeleute 


verdrießt?“ 


Unſere vier Kriegsgefangenen erirugen, wie unſere 


Leſer erſehen, ihr hartes Loos mit gerade ſo vieler 
Gelaſſenheit, als Britten gewöhnlich an Tag zu legen 


pflegen, wenn ſie für ihre leiblichen Bedürfniſſe ge— 
ſorgt wiſſen und dabei die Freiheit genießen, ihrer 
Zunge freien Spielraum laſſen zu dürfen; eine Frei— 
beit, die fie vielleicht noch beſſer zu ſchätzen gewußt 
haben würden, menn die Apathie der Danfees, wie 


‚fie meinten, für. ihre gefelligen Vorzüge mehr Em- 
| yfänglichfeit geäußert hätte. Die war jedoch nicht u 
der Fall gewefen, und unfere fünf Cavaliere ſahen 
ſich auf ihren Gafthof und allenfallfige Spaziergänge 


beichränft, ohne die mindefte Ausficht zu einer jener 
intereffanten liaisons, die ihnen ihre frühern Cam— 


pagnen jo intereffant gemacht hatten. Uebrigens fihien 


Der Reaitime. II. ' 13 


was anfangen? Ecarté und rouge et noir ſind 


* 





—H 19 — 






ihr Ungehaltenfegn auf die ungeregelten militäriſ 
Bewegungen diefer Nankees, die fo ganz o hne Com— 
plimente mit nicht mehr als fechs zehnhundert Mann 
auf ein Corps von achttauſend ſogenannter brittiſcher 
Veteranen losgingen, und beinahe zwei Compagnien 
der königlichen Grenadiere von dem Hauptkorps ab⸗ 


ſchnitten und auf gute Nankeemanier erbeuteten — 


doch nicht ſo ganz von Herzen zu kommen; im Gegen⸗ 
theile, es däuchte ſelbſt unſerm Midſhipman die 
Gleichgültigkeit dieſer ſeiner martialiſchen Landsleute 
gegen die leicht an den Amerikanern zu verdienenden 
Lorbeern zu weit zu gehen. Dieſe Gleichgültigkeit 


hatte auch Vieles dazu beigetragen, unſerm jungen 


Mann nach der doppelt glücklich überſtandenen Criſis 
wieder zu ſeiner Geneſung, das heißt zur Rückkehr 
ſeines Verſtandes, zu helfen, und er fing an allmäh⸗ 
lig zu begreifen, daß der Schandfleck ſeiner Greurfion 


aus dem Fenfter der Mistreß Blunt vieleicht doch 


nicht ganz England erröthen machen dürfte, auch daß 


die ſogenannten Nankees nichts weniger als unmenſch⸗ 


liche Halbwilde waren, obgleich ſie in ſeinen Lebensüber⸗ 
druß einzuſtimmen nicht für gut fanden. Zwar war 
er nicht ungeneigt, die Suspendirung ſeines Prozeſſes 





ar 


aan 195 — n 
auf Rechnung eines heilſamen Schreckens vor der 
Rache feiner Landsleute zu ſetzen, und damit das 
generöſe Anerbieten des jungen Copeland, das ihn 
in Stand geſetzt hatte, ſeine Garderobe zu reformi⸗ 
ren, in Einklang zu bringen; aber es waren ihm 
wieder Zweifel aufgeftiegen, und diefe hatten für ihn 


wenigſtens das Erfprießliche, daß Fein bedenklicher 


Rückfall in fein voriges Uebel ftatt fand, und er weit 
gemäßigter von einem Lande umd deffen Bewohnern 
zu denken anfing, als er wahrfcheinlich in feinem 
Reben je zuvor gethan; eine Verhaltungslinie, der er 
zufünftig um jo mehr fich zu folgen befliß, als er zu 
finden glaubte, daß fie ihn im feinem Verkehre mit 
den ihm nun allmählig furchtbar gewordenen Ameri⸗ 
kanern am weiteften führe. | 

„Der Nebel ift verſchwunden,“ bemerkte Lieutenant 
Devon, der mit feinen Kriegsgefährten fich unter- 
defien von der Tafel erhoben und zum Fenſter ge 
treten war. 

„Die Sonne bricht hervor wie an einem Londoner 
Maitage,“ fete Lieutenant Forbes hinzu. „Schade, 
daß das herrliche Rand nicht brittifch iſt.“ 

13* 


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— 196 Fe 
„Wird Hoffentlich: ‚bald —— yem 
nant Devon, „die Hauptftadt ift bei —— 
— Wollen wir auf die Bluffs?“ RR 
„Die Bluffs;“ lachten Alle. „Fürwahr, dieſe 
NMankees werden noch ein eigenes Engliſch erfinden; 
doch halt, da kommt eines ihrer wirklich prachtvollen 
Dampfſchiffe herauf.“ 
„Wohlan, vielleicht etwas Neues. Habt Ihr be- 
merkt, wie fie bleich wurden und Reißaus nahmen; 
ein gutes Borbedeutungszeichen V re Lieutenant 


Devon. ER 2 
Und mit dieſen Worten feßten fich and Helden 
in Bewegung. F 


Der Donner der Kanonen ließ ſich vom Dampf— 
ſchiffe Miſſouri hören, die Flagge der Staaten vom 
Hinterkaſtelle wehend. Das ganze Dampfſchiff wim— 
melte von rothen Uniformen. Als es einlief, trat 
Lieutenant Parker aus dem Schiffe, nach ihm ein 


Zug uniformirter Milizen und brittiſcher kriegsge⸗ 


fangener Offiziere und Soldaten. 


„Major Warden!«“ riefen die fünf Briten, „Was 


iſt das?“ 
„Aufs Haupt geſchlagen, Sir Edward, alle Ge— 





17 ⸗— 


nerale, beinahe alle Oberoffiziere todt oder tödtlich 


verwundet; Zweitauſend geblieben, der Ueberreſt 


in vollemRückzuge; “ ſprach der kriegsgefangene, ver— 
wundete Major leiſe pi | 
„Da gibt es Avancements;“ tft fie Lieutenant 
Devon. 

Der amerikanifhe Lieutenant warf dem Britten 
einen Blick der tiefften Verachtung zu, und fiel dann 
ſchweigend feiner Harrenden Mutter und feinen Schwer 
ftern in die Arme. ; 

„Ich bringe pie Siegesbotfchaft, rief er der 
verfammelten Menge zu, „die gerechte Sache hat 
triumphirt.“ 

Die gerechte Rache hatte wirklich triumphirt, wie 
ſelbſt die glänzendſte Einbildungskraft nicht herrlicher 
hätte wünſchen können. Ein ſchönes, mit allen Kriegs— 
bedürfniſſen reichlich ausgerüſtetes, von Siegen trun⸗ 
kenes Heer geübter Veteranen, die im zehnjährigen 
Kampfe mit den tapferſten Truppen der alten Welt 
den Sieg an ihre Fahnen gefeſſelt hatten, war von 
kaum der Hälfte freier Männer ſo völlig aufs Haupt 
geſchlagen worden, daß es ſelbſt das Feld zu halten 
nicht mehr im Stande war. Nie war toller Ueber— 


— 188 — 


muth ſchärfer beftraft worden, als durch dieſen letzten 
Schlag, der den ſtolzen Feind zu einer Zeit traf. 
er bereits den Frieden zu — J 
funden hatte. | 

Kein Jubel, fein Frohlocken war jeboch unter der 
verſammelten, größtentheils aus Frauen und Kindern 
beſtehenden Menge zu hören. Als aber der Lieute— 
nant mit ſeinen Gefährten die Nachricht umſtändlicher 
vorgetragen hatte, gingen Alle ſchweigend, ohne vor— 
herige Abrede getroffen zu haben, dem Tempel des 
Höchften zu, um ihm ihren Dank für einen Sieg dar- 
zubringen, der um fo herrlicher war, als'er dem Lande 
nur wenige Opfer Eoftete. 

Wir überlaffen fte und die Landfehaft ihren freudig 
frommen Gefühlen, um dem merfwürdigen Manne 
auf ſeinem Zuge nachzuſehen, der in einem Zeitpunkte 
beſchloſſen, wo west trüben Schickſals Härtefter Schlag 
ihn fo fürchterlich ai; durch die Dazwiſchen⸗ 
funft der „Weißen“ verzögert, aber nicht aufges 
geben worden war. | 








—t 19 &— 


re Kapitel, 


” Gorch! was wimmert im graufigen Thale wort? 


Sit’ der Specht? Nein, nein, — Iſt's tie Whip- 
poorwill? Nein, nein. —Ift’s die Narhteule? Nein, 
nein. — Es ift ter Miko, der das Grab feines Ba- 
ters mit feinem Blute düngt. 

Muscogee Wehklage. 


Es würde eben ſo überflüſſig als unintereſſant 
ſeyn, den Urſachen nachgrübeln zu wollen, die den 
alten Häuptling veranlaßten, das Bayon in einem 
Zeitpunkte zu verlafjen, der, indem er den gegen ihn 
erhobenen Befchuldigungen von geheimen Umtrieben 
einen Anſchein von mehr als Wahrſcheinlichkeit ver— 
lieh, ihn neuerdings dem Argwohne feiner vermeint— 
lichen Unterdrücker bloß ſtellen mußte. In ſeinem 
wilden, ſtarren Sinne und ſeiner Apathie achtete er 
wahrſcheinlich weder der einen noch der Andern und, 
getrieben durch das große Gebot des Geiſtes ſeines 
Vaters, ergriff er die erſte Gelegenheit, feinen ver⸗ 
meintlichen Feinden zu entgehen, die, obwohl fie 
gropmüthig für feinen Unterhalt geforgt, doch in 
feiner Meinung wieder Feine Gelegenheit verfaumt 
hatten, ihm alle die Kränfungen zuzufügen, die ihr 





Uebermutb nur erfinnen fonnte, und die feine un- 
glückfelige Gonfequenz einem eben ſo planmäßig feind⸗ 
ſeligen Syſteme ihrerſeits zuſchrieb, als er ſelbſt ſein 
ganzes Leben hindurch beobachtet hatte. — Noch im- 
mer fah er die Amerikaner durch das trüb gehäffige 
Medium feiner eigenen Phantafte, und diefe Blind- 
heit Tieß ihm in allen den zufälligen Aeußerungen der. 
Meißen, in ihren geringfügigften Handlungen, die 
eben jo nur auf Einen Punkt berechnete Handlungds 
weife ſehen, welche er fich in feinem Leben zum Leit— 
ftern genommen hatte; ein Wahn, der bei jeiner ab⸗ 
gefehiedenen Lebensweiſe und verfehlofjenen Gemüths— 
art wohl verzeihlich, aber auch nothwendig eine nie 
verfiegende Duelle immermwährender Kränfungen und. 
Feindfeligfeiten werden mupte. Hatte nun auch ſei— 
nem finftern Stolze die Aufmerkſamkeit wohl gethan, 
die ihm vor feinem Sohne von den Weißen mider- 
fuhr, fo war ihm hinwiederum die Geringſchätzung, 
mit der er behandelt wurde, wie ein nagender Wurm 
an feiner Seele gehangen. Schon der Befehl, auf 
den großen Krieger der Weißen, der fein Volk bei⸗ 
nahe vertilgt hatte, zu harren, war ihm fürchterlich ; 
geweſen. Es waren Viele gekommen, ihn zu fehen, 





NN, — 2 ae a a u N an — 
— 


201 ⸗ 


wie man allenfalls ein reißendes Thier, das endlich 
eingefangen iſt, ſieht, und die Art, wie er ſich bei: 
diefen Befuchen benahm, zeigte wirklich wenig Unter- 
ſchied zwifchen einem eingeſperrten Naubthier und 
dem Könige der Oconees. Unſere Lefer werden fich- 
hoffentlich den Charakter diefes merfwürdigen Manz, 
ned, der bei einer ungemeinen Seelenhöhe auch wie— 
der entjegliche Tiefen hatte, im Auge behalten haben, 
um und weitere Bemerkungen überflüffig zu machen. 

Die Tradition feiner Stammesgenoffen nun hat 
uns feinen geheimnißvollen Zug vom Bayou ums 
ftändlich aufbewahrt, und indem wir ihr getreu folz 
gen, verſetzen wir und an feine Seite in die Urwäl- 
der des heutigen Staates Miſſiſippi, oberhalb Nat= 
chez, an welcher Stadt ihn fein Weg vorbeigeführt 
hatte. ’ 


Acht Tage waren feit feinem Verſchwinden vom 
dem Bayou verflofien, aber noch. hatte er mit den 
Seinigen fein Wort gefprochen. Tag für Tag war 
er vorwärts geeilt, raftlos und nimmer ruhend, ver— 


ſchloſſen, finfter und brütend, feine Begleiter ihm 


folgend, wie Hunde ihren Herren, ohne einen Laut 


” ; Be u ac — 


202 &— 
von ſich zu geben. — Das Wild des Waldes hatte 
ihnen zur Nahrung gedient, die gefrorne Erde zur 
Lagerſtätte, ihre Wolldecken zu Betten. Sie hatten 
ſorgfältig die Wohnungen der Weißen vermieden 
und waren ohne Hinderniſſe am vierzehnten Tage 
sach ihrem Aufbruche im Angeſichte eines jener un— 
geheuern Fichtenwälder angelangt, die ſich von der 
ſüdlichſten Kette der Appalachen hinüberſtrecken gegen 
den Staat Miſſiſippi. Je näher der Häuptling die— 
ſen Wäldern kam, deſto freier, ſagt die Tradition, 
wurde feine Seele, deſto heiterer fein Auge, deſto zuver⸗ 
fichtticher feine Miene. Ein Gefühl son Wehmuth 
und Freude, von bangem Schmerze und froher Sehn- 
fucht trieb ihn vorwärts zum Lande feiner Kindheit, 
feiner Mannbarfeit, dem er den Rücken zu wenden 
gezwungen worden war, das ihn verftoßen hatte. 
Und, ald er in der Nähe des Fluſſes ankam, an 
deſſen jenfeitigem Ufer die Fichtenwälder feiner. Hei⸗ 
math empor ftarrten, da wurde feine Seele groß, 


und die ganze Kraft der vorigen Tage lebte in ihm . 


wieder auf und er hob ſchweigend feine Arme und 
deutete hinüber — und leiſe und feierlich fehritt er 
über die leichte Eisdecke des Fluffes. — Und' als er 


—t 03 ⸗— 


am jenfeitigen Ufer angelangt war, warf er fich zur 
Erde und blieb eine lange Weile regungs⸗ und be⸗ 
wegungslos liegen. Der Wind hob ſeine grauen 
Haare, daß ſie empor ſtanden, wie das vom Froſte 
verfengte Gras, der kalte, rauhe Nordwind war ihm 
das Säufeln der Geifter feiner Väter, das zu ihm 
ſprach, deſſen Stimme er verftand , und dem er wie— 
der Antwort gab. Ningend mit fich felbft und fei= 
nem Jammer, ftöhnte er und brach endlich in Die 
Worte aus: 

n&rde! die du gefehen haft den Sohn von ihm, 
der dem Sohne des großen Sheyah Leben gab — 
Tofeah grüßt dich! Der Herr deiner endlofen Wäl- 
der, war er geboren, der Mifo eines großen Volkes, 
war er gewählt. — Ein Flüchtling, ſteht er nun auf 
deiner Gränze, ein Auswürfling, ein Fremdling Dir 
und den Gräbern feiner Väter. Großer Geift! 
Warum haft Du dieß gethan? BZahllofe Sonnen 
hindurch hat der Miko mit den Seinigen an den 
Ufern feines Fluſſes gejagt, ein mächtiges Volk hat 
er beberrfeht, warum mußte Tokeah in die meite 
Nacht der Wildniß? Warum mußte er dem Lande 
feiner Väter den Nürken Eehren? Warum muß er 


a rs 
— 


und das Andenken von * verſchwinden von deiner 


Erde? Sprich, großer Geift! Gieb Tokeah NR: 
Zeichen, daß er deinen Willen erkenne! / iger: 
Der flehende Greis ſah auf das weite Simmels- 
zelt mit jehnfüchtigem Blicke. — Es war mit Wok 
fen überzogen, der Nordwind heulte durch den Wald. 
— Sein Angeficht wurde düſter und verzagt. — 
Wieder ſank er zur Erde. Ein kalter Fieberfroſt rüt⸗ 
telte ihn. m 
„Großer Geift! vergib,“ murmelte er. „Deine 
Stirn ift umwölkt und Dein Auge ſieht düfter auf 
Tokeah, weil er wie ein zagendes Kind redet.u 

Er erhob fih nun, und indem er feine Gefährten 
zu fich winkte, danfte er zuerft dem Cumanchee⸗ 
Häuptling für feine getreue Liebe und eröffnete ihnen 
dann die Urſache ſeines tauſend Meilen langen Zuges 
in DM Worten: — 

„Sieben Sommer find verflofien, feit der Miko 
der Deoneed dem Land feinen Rücken geivendet, wo 
jeine Voreltern ihre Wigwans hatten. Zweimal feit 
dieſer Zeit hat er den endlofen Fluß überſetzt, allein 
und von feinem Auge gefehen, um an den Gräbern 
feiner Väter zu liegen. Gleich— dem reißenden Pan⸗ 














72 i * 
* 

—H9 205 — 

“ 


ther ward, er gejagt, gleich dem Hungrigen Wolfe 


ward ihm von den Weißen auf feiner Fährte nachge= 
ſetzt; es iſt nun zum letztenmale, daß fein Fuß auf 
dem Lande fteht, wo feine Väter gelebt haben. In 
der zweiten Nacht nach der, die ihm Alles geraubt 
hatte, ‚das feinem Auge theuer war, als fein Haupt 
ſchlaflos und verzweifelnd nicht ruhen, ſeine Augen 
ſich nicht ſchließen konnten, in derſelben Nacht er- 
ſchien ihm der Geift feines Vaters, der in den grü- 
nen Wiefen wohnt. Tokeah Min bange in feinem 
Herzen, und dem Geiſte feines Vaters war auch 
bang. „Geh!“ jo fprah er — „geh! zu meinem 
Grabe und ſammle die Gebeine Desjenigen, der Dir 
Leben gegeben hat, und Derjenigen,. die Dich geſäugt | 
hat; nimm fie aus ihrer düftern Wohnung und von 
der entheiligten Erde Derer, die fte verachten! Laß 
fie in demfelben Grunde ruhen, wo mein Sohn und 
fein Volk ruhen werden und begrabe fie unter den 
Gebeinen der rothen Männer. Fürchte Dich nicht, 
fie aus ihrem Grabe zu nehmen! Der Fluch wird 
Dich nicht treffen.“ Tokeah erhob fih von feinem 
Lager, fuhr der Greis fort, als der Geiſt ihm fo 
flüfterte ; feine Seele war traurig. Wieder legte er 





— 206 e— 


fih auf das Lager. „Die Sufe des Roſſes, der 
Pflug der Weißen,“ ſprach wieder der Geiſt feines 
Vaters, „find über den. Todeshügel gegangen, wo 
der Vater Tokeah's begraben liegt, eine kurze Zeit 
und ſeine Gebeine werden zerſtreut ſeyn über die 
Erde und von den Winden weggeführt werden.“ — 
„El Sol!“ Sprach der Greis, nun zu ſeinem Sohne 
gewendet, „Tokeah muß thun, was ihn der Geiſt 
ſeines Vaters geheißen hat. Er’ muß die Gebeine 

ſeines Vaters nehmen, daß ſie friedlich ruhen mögen. 
Er muß den Häuptling der Cumanchees während drei 
Sonnen verlaſſen, und in das Thal gehen, wo fein 
Bater begraben liegt." — 

Der junge Mexikaner horchte — auf die 
Worte des alten Mannes. 

„Hat der Geiſt des Vaters dem Miko zugeflüſtert ?“ 
fragte er mit ſtarker, dumpfer Stimme. 

„Zweimal hat er deutlich geſprochen.“ 

„Dann muß er ſeiner Stimme gehorchen. Groß 
iſt,“ ſprach er, und ein unwillkürlicher Schauder 
durchzuckte ihn — „groß und ſchrecklich iſt der Fluch, 
der Jene trifft, die die Gebeine aus ihrer Ruhe reißen. 
— Ihr Volk wendet ſich ſchaudernd, und ihre Na= 


—9 207 &— 


men find verflucht von Geſchlecht zu Geſchlecht; aber 
wenn ber Vater gefprochen hat, dann muß der Sohn 
gehorchen. El Sol will mit feinem Vater gehen.“ 

„El Sol,“ erwiederte der Greis kopffchüttelnd, 
„iſt der Sohn des Miko und ſeinem Herzen ſehr 
theuer, er hat das Blut Tokeah's in ſeinen Armen 
gehabt; aber ſein Auge darf den entheiligten Hügel 
nicht ſehen, unter dem fein Vater begraben iſt.“ 

„El Sol wird nieht auf die Schande feines Va— 
ter8 fchauen; aber er wird dem Miko folgen und 
will ferne von dem Grabeshügel Sheyahs warten, 
bis der Miko zurückkömmt. 

Der alte Mann gab ſchweigend feine Einwilligung, 
und der Heine Zug bewegte ſich gegen Often. Mit 
dem Anbruche des zweiten Tages befanden fie. ſich 
am Fuße eines Berges, hinter welchem die Flächen 
Georgiens ſich unabſehbar gegen das atlantiſche Meer 
hinabdehnen. Der alte Mann hatte im feierlichen 
Ernſt den Berg erſtiegen. „Sieht mein Sohn,“ 
ſprach er, als fie auf dem Gipfel angefommen wa⸗ 
ren von dem fie eine ferne Ausſicht auf die wald- 
bekränzten, nur bie und da durch Reif verfilberten 
Hügel hatten — „ſieht mein Sohn jene hohen Hü— 


NT RE ERNEUT 109 12007, EERAEN 
DV. Bar ol a AN 
2 ee + 


ad, die ſich i in einer Kette — E— und deren 
Füße ſich immerdar in dem glänzenden Sttome wa- 
fhen? Sie find noch in Nebel gefleidet; hinter die- 
fen ift das Thal, wo die Gebeine * Vaters 
Tokeah's ruhen.“ — 
„Mein Vater mag dann — “sprach & Sol. 
Nein, mein Sohn,“ verſetzte der alte Mann. 
„Als der Leib des Vaters Tokeah's tief gelegt ward, 
da fprach der große Prophet feines Volkes den Fluch 
über Denjenigen aus, der feine Gebeine an das glän- | 
zende Licht der Sonne bringen und. vor Schaam er- 
bleichen machen würde. Das Licht des Himmels darf 
fie nie wieder fehen; der finftern Nacht wurden fie 
übergeben, in der finftern Nacht müffen fte aus ihrem 
Dunfel gehoben werden. Tokeah will warten, bis 
die glänzende Kugel Hinter der Welt iſt.“ | 
Er ſprach nun mit den Oconees, und Dieſe ent- 
fernten fich, kamen aber nach einer Weile zurück, mit 
Rinde beladen. Sie fegten ſich mit dem alten Manne 
nieder und fingen an, dieſe in die Form eines klei⸗ 
nen Sarges zuſammen zu nähen, deſſen Ins und 
Außenfeiten fte mit den Fellen von Hirſchen die fi fie 
den Tag zuvor erfegt hatten, beffeideten, Ein Strahl 








Ge 


—d 209 ⸗— 
von Zufriedenheit überzog das erftorbene Geficht 
des Greifes, als er den Sarg beendigt ſah. Er hef- 
tete an die beiden Ende einen breiten Riemen. 

„In der Rinde Deiner Geburtswälder und im 
Gewande derfelben Hirſche, die Du gejagt haft, ſollſt 
Du ruhen, Gebein meines Vaters,“ ſprach er. 

Und dann legte er ſich zur Ruhe. Als die Nacht her— 
angebrochen war, ſtand er auf, nahm den Sarg an ſeine 
Bruſt, und winkte den beiden Oconees, ihm zufolgen. 

Es war Mitternacht, als die drei Indianer im 
Thale ankamen. Der volle Mond war bisher Durch 
einen Fichten Saum Teichter filberner Wolken geflogen. 
und ſank num in eine bleifarbige graue Schneewolke. 
Die Indianer bewegten fich im tiefften Stillfehweigen, 
längs den Ufern des Stromes, unter den blätter= . 
Iofen Wallnußbäumen fort. Ein leichter Schauder 
überfiel den armen Dann, al3 er durch die wohl- 
befannten Wälder feines Geburtsfandes ſich ftahl; 
er blickte auf, ftarr und ſcheu und furchtſam, als um- 
ſchwebten ihn die Geifter feiner Väter. Er horchte, als 
hörte er ihre Stimme. Je weiter er in das Thal ein- 
drang, defto beflügelter wurden feine Schritte. Ein 
entfernter Laut fehlug an feine Ohren. — Es war 

Der Legitime, m. | 14 


—9 210 &— 


Hundegebell. „Geift meines Vaters,“ ftöhnte u, >» 


bie Weißen find Deinem Grabe nahe. u.— Er rannte 
nun, er flog dem Grabeshügel zu Die rohe Ein- 
zäunung eines Wälſchkornfeldes umgab die Stätte — 
die Fiebliche Nacht der Wildniß war verfehmunden, 
— Stengel von Wälſchkorn und Hülfen mit Stödfen 
lagen auf dem Boden zerftreut umher. Die Bäume 
ftanden blätterlos und abgeftorben ; ihre zum Theil 


zindelofen weißen Stämme jtarrten tie in Grab- 


tücher gehüllte Rieſen in das zuckende Antlitz des 
Wilden. „Geiſt meines Vaters!“ riefen; / Geiſt mei⸗ 
ned Vaters!“ jammerte ex in unſäglichem Sihmerze. 
„Wo find die Gebeine, die Deine Stärke ausmachten 
und von denen die Gebeine Tokeah's find? Das Erd⸗ 
reih ringd um die Bäume, deren Fable, im blafjen 
Mondlichte zum Himmel emporftrebende.Aefte die Ver⸗ 
wüftung. anzuffagen fehienen, war durch den Pflug 
aufgeriſſen. Der Greis fiel bewußtlos zur Erde. 
Seine Gefährten ſprangen herbei, ihn antguitun 
„Hinweg! weg,“ murmelte er mit dumpfer Stimme. 
— „Hinweg von dem Grunde, wo ein — 
begraben liegt! Tokeah will ſeine Gebeine allein aus⸗ 
graben.“ 











—H 211 &— % 


Und mit feinen Händen grub er nun den halb ge- 
frornen Boden auf. Der Kiefel’ fehnitt in feine er— 
ftarrten Palmen, das Blut floß von Fingern und 
aus den Nägeln, die Haut fiel in Feen von feinen 
Händen; aber feine Eile, als befürchtete er, Jemand 
würde ihm feines Schatzes berauben, nahm mit fei- 
nen Wunden zu und er bohrte, Bis er die ganze 
Mafje Erde aufgeworfen und die Meberbleibfel feines 
Vaters gefammelt hatte. Das erfte und einzige Mal 
in feinem Leben fhluchzte er laut und vergoß heiße 
Tränen. Dann rannte er zum Grabe feiner Mutter. 
Det Pflug war hier tiefer eingedrungen. Nur wenige 
Zolle Erde bedeckten noch ihre Gebeine. Mit unfäg- 
lichem Schmerze legte er diefe zu denen feines Vaters. 
Der Mond goß fein volles Licht auf den Wilden, als 
er auf der gefrorenen Erde vor dem Sarge lag: 

„Geiſt meines Vaters!“ ftöhnte er, „Du haft 
wahr geſprochen. Die Hufe der Thiere der Weißen 
find über Deinen Grabhügel gegangen. Sie haben 


ihn flach getreten. Sieh herab von Deiner Wohnung. 


Der Sohn hat gethan, was Du ihm geboten haft. 


Er wird Deine Meberrefte nun dahin nehmen, wo 


feine — grabſchänderiſche Hand ſie ſtören, wo 
14* 





- — 212 ⸗— 

ſeine eigenen Gebeine ruhen ſollen. Er will ſie unter 
feinem Volke begraben. Geiſt meines Vaters! bitte 
den großen Geift, daß er auf feine Kinder mit mil- 
dem Antlitz fehe, daß Du einft wieder ihrer hat 
Dich freuen mögeft. Dein Sohn ift gleich einer a 
moderten Eiche. Viele Stürme haben ſeine Kraft 
gebrochen, ſeine Aeſte ſind zerſchellt, ſein Geiſt ſeufzt. 
— Geiſt meines Vaters! wenn Du das Antlitz des 
großen Geiſtes ſiehſt, bitte ihn für Deinen ar 
jeine Kinder !u 

Das Humdegebelle ließ ſich de hören De 

„Ich höre die Stimme des Vorläufers der Feinde 
meines Gefchlöchtes. Lebe wohl, Vater⸗ — Mutter- 
land! Lebt wohl, ihr Bäume, in deren Schatten 
Tokeah fo oft ſich gefühlt hat, während des heißen 
Sommers, — mo er gerubt hat nach der langen 
Jagd. — Lebe wohl, Strom! wo er feine Glieder 
fo oft erfrifcht, wo er das Nuder zuerft gehoben. — 
Lebt wohl, ihr Hügel, auf welchen jein Vater zuerſt 
feine ſchwachen Arme ——— hat, den Bogen zu 
ſpannen!“ EN 

Der Mond goß feine Silberftrahlen wieder hinter 





— 213 


dem — Flaume von Wolfen hervor. Das Ge⸗ 
belfe ward zum Drittenmale gehört. —— 
„Großer Geiſt!“ bat er, „Du haſt mit hellen Anz 
gen auf die Thaten des Kindes gejehen. Deffne die 
Ohren feiner Brüder, auf da fie die Worte hören, ' 
die er ihnen fagen wird. | 
Er jtand fodann auf, und nachdem er den Riemen“ 
um feinen Hals gelegt, nahm er den Sarg an feine 
Bruft und Fehrte zurück zu den Cumanchees. Den 
beiden Oconees winkte er, und Diefe entfernten ſich 
in verſchiedenen Richtungen. i 
„Der Geift meines Vaters Hat wahr BERG u 
redete er feinen Sohn an. „Der Pflug ift über den 
Grabhügel gegangen, der feine Gebeine einſchloß. 
Der Hügel felbft ift zertreten, verfehtwunden. « 
„Tokeah hat wie ein frommer Sohn, wie ein 
großer Mifo gethan,“ eriwiederte der junge Mann. 
— „Aber die Cumanchees und Pawnees und Die 
Deoneed find verwaist, der Pfad, den Tokeah und 
El Sol zu gehen haben, iſt lange — der weißen 
Roſe wird bange ſeyn.“ Er hielt plötzlich inne. 
Der alte Häuptling warf einen forſchenden Blick 
auf ihn und ſprach dann: „Die rothen Manner wiſ⸗ 


* 


4 





8 


—dH 214 &— 
E 


- fen, daß Tokeah auf dem Pfabe ift, das Gebot des 
großen Geiftes zu erfüllen. — Aber mein Sohn hat 
etwas auf dem Herzen, er muß feine Zunge Töfen. a 

El Sol ſchwieg jedoch und fie feßten fich zu ihrem 
Mahle Als fie diefes eingenommen, traten fie ihren 
Rückweg an. Es war jedoch nicht derfelbe Weg, den 
fie gefommen waren; ihre gegenwärtige Richtung 
Yag mehr füdöftlich. Der junge Häuptling fehien un= 
geduldig zu werden. Schweigend, jedoch mit der den 
Indianern eigenthümlichen Selbftverläugnung, folgte 
er dem greifen Hauptlinge durch eine Landſchaft, die 
von der, durch welche fie bisher gekommen waren, 
. gänzlich verfehieden war. Gewächſe, Bäume, das 
Erdreich, die zerftreuten Pflanzungen, die ihnen auf— 
fließen, felbt die Zäune um die Gärten an den Häu- 
fern waren verfchieden. Sie bemerften an dieſen 
Zäunen häufig die Gerippe von Thieren, die dem 
Mexikaner fremd zu feyn ſchienen; lange fürdhter- 
liche Gerippe mit ungeheuern Rachen und Zähnen, 
die Einen noch immer grinfend anblicdten, al3 woll- 
ten fie die Wanderer verfchlingen. Ste waren in Ala⸗ 
bama, mo die häufigen Aigatoren gewöhnlich von 
den Pflanzern als eine Art Trophäen an den Zaum 


—d 2156 


. an einander. gereibt werben, fo wie wir die Adler 
und andere Raubvögel an unfern Scheunen . als 
Warnungszeichen für die Hühnerdiebe heften. Ihre 
Schritte wurden nun mit jeder Stunde jorgfamer. 
Sie vermieden nicht nur ängftlich die Wohnungen 
der Weißen, fondern auch jede zufällige Begegnung 
derfelben; durch die dunfelften Wälder, die unzu- 
gänglichften Dickichte, die wegloſeſten Sümpfe ging 
ihr gefahrvoller Weg ſchnell und mit einer Sicher⸗ 
heit, die die Gefahr wittert und ihr inſtinktartig zu 
entrinnen weiß. Endlich, nach einem Marſche von 
mehreren Tagen, langten fie in einem weiten, tiefen 
Thale an, das, von mäßigen Hügeln umſchloſſen, in 
der abgefhiedenften Verborgenheit lag. Der alte 
Mann fegte feinen Sarg auf die Erde, winfte feinem 
Sohne zu bleiben, und verließ feine beiden Begleiter. 

Nah einer Weile wurde ein durchdringend langes 
Pfeifen gehört, fo fehneidend, fo gellend, Haß die Nacht- 
eulen zu Hunderten in ein lang fchallendes Gelächter 
ausbrachen — dann erfolgte eine tiefe Stille. Wieder 
erfhallte das Pfeifen, von einem ohr= und herzzer⸗ 
reißenden Tone begleitet, der weder von Thieren 
noch Menſchen herzurühren ſchien, und wieder er= 


en Sal DS a 


“folgte eine lange Stille. Ein drittes Mal ertönte 


dieſes Pfeifen, ſchneidender und durchdringender als 


zuvor, und nun war es, als ob aus der Ferne ein 


Geziſch und Gemiſch von Tönen und Stimmen ver— 


nehmbar würde, ſo klagend, ſo heulend, wie das 
Geheul des Wolfes, wenn er in Langen, ſchmerz⸗ 
lichen Todesmartern ſich wälgt. Bald darauf erſchien 


der alte Mann und ſetzte ſich ſchweigend an die Seite 


feines Sohnes. 


Achtunddreißigſtes Kapitel. 


Sie alle antworten eines Lauts, 
Man ſey im Fallen, brauche Geld, man fönne 
Nicht wie man wolle. 

Goͤthe. 


Mit einem Male wurde e8 helle. Noth und wild 
fladfernde Flammen fehlugen durch das Gebüfche und 
erleuchteten die graufige Waldesnacht. Aus den ver- 
ſchiedenen Zugängen kamen eine Menge Geſtal⸗ 


ten trotend auf die beiden Häuptlinge zu, neigten | 


ihre Häupter, Freuzten ihre Hände ‚auf der Bruft, 
und ließen fich dann ohne ein Wort zu reden am Ra- 


- 





4 





—$ 217 &— 


fen auf die gewöhnliche Art nieder. Ihre Anzahl war 

„ bereit auf fünfzig geftiegen ; aber fie mehrte fich mit 
jeder Minute, fo daß fte ſich endlich auf mehrere 
Hunderte belaufen mochte. Die Meiſten der wilden 
Ankömmlinge waren in ihre Wolldecken gehüllt, un— 
ter denen ſie das Jagthhemd und den Wampumgürtel 
mit der Lendenbedeckung trugen. Viele aber hatten 
bereits Fragmente amerikaniſcher Kleidung, obwohl 
in ſo bunter Miſchung, daß ſie, bei Tage und in 
weniger ſchauerlichen Umgebungen geſehen, leicht 
Lachen Hätten erregen können. So hatten Einige 
Beinkleider, aber weder Schuhe noch Strümpfe. An- 
dere hatten Hüte, auf deren Kronen bleierne Bilder 
in dem breiten blechernen Bande ftafen, wieder An= 
dere hatten Röcke ohne Beinkleider, oder Welten 
ohne eine andere Bekleidung, das Jagdhemde und 
die Wolldecke ausgenommen. Nur Wenige waren 
ganz in das amerifanifche Koſtüm gefleidet. Auch in 
der Art, wie fie fich den beiden Häuptlingen nahten, 
war, etwas ganz Eigenthümliches. Es fehien, als ob fie 
mit Widerwillen herankämen ; ihre wilden, und durch 
den unmäßigen Genuß des Feuerwaſſers halb ver- 
troefneten Geftchtszüge gaben weder Freude no 


— 48 e⸗— 


Theilnahme zu erkennen, eher eine gewiſſe Scheu, 


einen unwillkürlichen, halb unterdrückten Schauder. 


Der alte Mann war geſenkten Hauptes in der Stel⸗ 
lung fißen geblieben, die er eingenommen hatte. Als 
er endlich feine Augen auffchlug und fein Blick über 


die verfammelte Menge hingleitete, ftarrten ihn die 
MWilden mit einem fo glogend gleichgültigen Aus— 


drudfe an, als wären fte mit Entſetzen beim Anblicke 
ihres frühern Häuptlings erfüllt. Da wurde feine 
Miene ſchmerzhaft düfter, und ein bittere, beinahe 
höhnifches Kacheln verzog feinen Mund. Ein altlicher, 
aber ganz nach amerifanifcher Weiſe gefleideter Dann, 
von einer ind Kupferroth ſchillernden Geſichtsfarbe, 
trat keck vor den alten Häuptling, ſah ihn eine Weile 
höhniſch lächelnd an, und ſeine Kienfackel in die Erde 
ſtoßend, ſetzte er ſich unter die Vorderſten im Halb⸗ 
kreiſe. „Joſeph, der. Oconee,“ murmelten Alle — 
und dann erfolgte wieder eine lange Pauſe. 

Die Wilden hatten ſämmtlich ihre Kienfackeln in 


die Erde geftekt, und der Wiederfchein des roth im 


ihre grimmigen Geftchter fchlagenden Lichtes gab der 
Berfammlung einen Ausdrud, der wild pittoredf ge- 
wefen wäre, wenn nicht die übel angebrachten Frag— 





—d 219 &— 
mente amerikaniſcher Kleidung diefen Eindruck mie 
gefagt ins Lächerliche verzerrt hätten. 

„Sind meine Brüder verfammelt, um die Stimme 
Eines zu hören, deſſen Auge fie lange nicht mehr ges 
fehen hat?“ fragte der Miko. 2. 

„Sie find es,“ ſprach ein alter Mann, „ die Mus— 
cogees find weit gekommen, um die Worte des großen 
Miko zu hören, und ihre Ohren find offen, und eh 
Arme ausgeſtreckt. u 

„Die Männer der Muscogeed haben die Toma— 
hawks begraben,“ rief der Häuptling Iofeph heftig. 


— „Sie haben beim großen Geiſt gefehtworen, “ fegte 


er mit einer zänkiſch gellenden Stimme Hinzu. 

&3 entftand ein Gemurmel, das eben fo wohl Bei- 
fall als Mißbilligung bedeuten konnte. 

„Mein Geruch ſpürt den Athem eines Verräthers, 
den Sohn eines Weißen und einer betrogenen Squaw, 
der Tochter eines Häuptlings der Muscogees:“ 9 
der Miko. 

Es erhob fich wieder das Gemurmel ded Unmillens. 

„Mein Athen,“ erwiederte der Halfblood *) Jo— 





*) Halbblütig — von einer Weißen und einem Indianer, 
oder umgekehrt, abftammenp. 


— 





9 


ſeph giftig, „ſpürt den Athem eines Wolfes, den die 
Heerde der Seinigen vertrieben, weil ex fie den Jü- 
gern in die Schlingen geführt; Joſeph,“ ſetzte er 
triumphirend hinzu, „iſt geboren von dem Blute ro⸗ 
ther und weißer Eltern. Sein Vater war ein Weißer, 
feine Mutter war die Tochter der Schweiter des Miko 
Tokeah. Hat er aber, gleich Dieſem, den rothen 
Männern das lange Meſſer der Weißen in den Nacken 
geſetzt? Nein, er hat es abgewehrt von ihrer Bruft. 
Er bat gejagt mit ihnen, er hat den Tomahawk er- 
hoben mit ihnen gegen die Cherofees und die Coe— 
taws der jechd Nationen.“ 

Er hielt inne und fah die Umberfigenden forſchend 
an. J 

„Wenn meine Rede meinen Brüdern gefällt, jo 
will ich fortfahren; wenn fie. aber ihre Ohren vers 
ſchließen, jo weiß der Häuptling Jofeph feine Zunge 
zu halten.« . _.* — 

Ein alter Wilder unterbrach ihn. „Er hat ſich 
wie der rothe Hund in ſeine Höhle geflüchtet, als die 
Muscogees die Art gegen die Weißen erhoben. Er 
hat den Späher der Weißen gemacht. u 

„Und feinen Brüdern den Frieden gebracht,“ fiel 


— mM — 


der Halfblood dem Sprecher keck ein. „Wäre Iofeph 
nicht gewefen, wo wären jeßt die Mußcogees? Sie 
wären von der Erde vertilgt.“ | 

„Beſſer,“ fagte ein Zweiter, „fie wären defafln 
im blutigen Felde, als von ihren eigenen Brüdern | 
verrathen zu werden. « 

Der Miko hatte dieſe verſchiedenen Ausbrüche der 
Ungeduld, die fo ſehr der. bei einer Verſammlung 
bhergebrachten Sitte zuwider liefen, mit mehr Stau— 
nen ald Unwillen angehört. 

„Und fehen die Augen Tokeah's,/ fo FIN er end⸗ 
lich, „wirklich die Muscogees, die großen Muscogees, 
deren größter Häuptling fein Bater und er gewefen? 
Die Muscogees, die den Weißen noch fürchterlich 
waren, als bereit3 alle rothen Stämme diesfeits des 
endlofen Fluſſes verſchwunden oder halb vertilgt wa— 
ven? Ja!“ rief er mit fehmerzlicher Betonung, „es 
find wirklich die Muscogees, aber nicht die Musco— 
gees des Miko Sheyah und Tofeah, e8 find Männer 
mit rothen und röthlichen Gefichtern, aber in den 
Gewändern der Weißen. Hört, rothe Männer, die 
legten Worte Tokeah's, und füllt feine Ohren nicht 
mit Squaws⸗ Gezänfe. — Männer der Muscogees! 


Mr. a re Kt 





— 22 — 


Den Eure Augen neben Tokeah ſehen, va 
Sol, der größte Häuptling der Cumanchees.⸗ 


Es erhob ſich ſofort eine Anzahl der — die 
ſich dem j jungen Merikaner näherten, um ihn zu be⸗ 
grüßen, indem fie ihm die Palme, ihrer Hand 






gegenſtreckten; die Uebrigen blieben murrend ſitzen 
„Der Miko der Oconees,«“ Sprach der Halfblood 
Joſeph, „hat fich von feinem Volke losgeriffen. Er 
ift in die falzige Wildniß jenſeits des endlofen Stro— 
med gegangen. Warum hat ihn fein Weg wieder 
bieher gebracht? Seine Zunge ift wie das Wafler 
des Deonee, das fich bereitö mit dem großen Salzſee 
vermiſcht hat. Sie iſt bitter, ſcharf und giftig. Wol- 
len meine Brüder fie hören, und das Gift in ihre Her— 
zen aufnehmen 24 8 
Es entftand wieder ein heftiges Gemurmel. 
„Wollen meine Brüder ihn hören und die Stirn‘ 
der Weißen umwölken?“ fehrie der Halfblood. „Er, 
der die Leichen der Ihrigen geſäet hat wie Wälſchkorn, 
er Vebt noch, feine Krieger find mit ihm. Er ift nicht 
viele Tagreifen von den Wigwams der Muscogees. 
„Hugh!“ ertönte es aus den Reihen mit einem 
furchtbaren Geheule, während Andere in ein lautes 





| 423 ⸗— 
Miteren ausbrachen. Mehrere fehienen dem Sprecher 
beizupflichten, Diele hatten jedoch ihre Augen auf 
den Mifo gerichtet, der Falt und anſcheinend une 
wegt ſaß. a 
„Der Sohn eines Weißen,“ hub er eb an, 
„bat wahr gefprochen. Die Zunge Tokeah's ift bit⸗ 
ter; fie ift nicht geläufiger geworden, ſeit er vor 
zwanzig Jahren in eben diefem Thale zu den Seini- 
gen geſprochen. Sie ift Kitterer geworden; Denn 
feine Augen haben Vieles gefehen, feine Ohren Vie— 
les gehört, das feine Seele betrübt. Sie haben ge- 
fehen, wie fein Volt fih wie Hunde von ihren fal- 
ſchen Brüdern an rothe Männer — an Brüder hegen 
ließ.“ Bei diejen Worten blies er in feine geballte 
Fauſt, die er zugleich öffnete und vorwarf. „Seine 
Augen Haben gefehen, wie rothe Männer gegen ihre 
rothen Brüder den Tomahawk erhoben haben, weil 
die falſchen Weißen e8 jo gewollt haben, die dann 
der Thoren fpotteten, die fich einander die Meſſer in 
die Bruft fließen. Seine Augen haben geſehen, wie 
falſche Brüder fih in die Wigwams der Weißen ger 
fehlichen, und von ihnen viele Dollars erhielten, und 
damit die rothen Männer betrunfen machten , und 


N er FC 7 I > 
J — ——— 


wu 
als fie ſich im Kothe berummwälgten, aha. 
Ohren flüfterten, das Land ihrer Vaͤter den Weißen 


zu verkaufen. Sie haben es geſehen, wie fie, wäh- 


vend der Miko auf feinem Zuge gegen die Choctaws 


der ſechs Nationen geweſen, gegen die der Tomahawk 


wider ſeinen Willen erhoben worden, wie ſie ſein 
Land den Weißen verkauften. Sie haben es geſehen, 
und die Dollars, die er dafür empfangen ſollte. Aber 
er hat ſie mit dem Fuße weggeſtoßen. Seine Oh— 
ren,“ fuhr er fort, „haben gehört, wie ſich die ge— 
blendeten, rothen Männer anhetzen jießen, die To— 
mahawks zu erheben gegen die Weißen, als es zu 
ſpät war, und ſie ſo in die Falle gingen. Sie ſind 
geſchlagen worden in blutigen Schlachten, und viele 
Sommer werden verlaufen, ehe die rothen Männer 
werden wagen dürfen, wieder ihre Tomahawks gegen 
die Unterdrücker zu erheben. Aber höret, rothe Män— 
ner der Muscogees!“ fuhr er fort, und feine Stimme 
606 ſich — „die Weißen haben die rothen Mä 

durch ihre heuergewehre und langen Meſſer J 
drückt. Ihrer ſind Wenige, aber dieſe Wenige ſind 
noch den Weißen zu Viele. Hört, rothe Männer ! 
die Weißen haben viefe Gifte. Sie haben das Feuer⸗ 


2 
—4 
| 





| 
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wafjer, das langſam tödtet. Sie haben ihre weißen 
Späher, die fie unter Die rothen Männer fenden und 
die ihren Squaws und Töchtern Fieber find, weil fie | 
eine zartere Haut haben; fie haben aber auch ver= 
rätherifche Zungen unter den rothen Männern, viele 
verrätherifihe Zungen. Sie find Häuptlinge gewor— 
den, dieſe verrätherifchen Zungen. Sie haben die 

" Dollars genommen, die der Miko mit den Füßen 
weggejtoßen hat, Sie ziehen mit meinem Volke. Sie 
wohnen auf feinem Lande. Sie reden mit feiner 
Zunge. Aber fie reden mit einer Doppelzunge, weil 
ſie Doppeltes Blut haben. Kennen meine Brüder | 
diefe Männer 24 Sein Blick. fiel durchbohrend auf 
den Häuptling Joſeph. 

Diefer war in unruhiger, unbändiger Wuth, und 
nur durch die Seinigen bisher vom Ausbruche derſel⸗ 
ben zurückgehalten worden. 

⸗Männer der Muscogees!“ ſchrie er aufſpringend 
‚mit kreiſchender Stimme. — Ich ſage nichts mehr, als 
her große Krieger der Weißen (ebt noch — der verbann- 
te, der vertriebene Tokeah flüftert Euch in die Ohren.’ 
Ihr mögt ihn hören, und feine Worte werden Euch 
führen, wohin er getrieben wurde, in die Salzwuſte. A 


Der Resitime. ID. 
8 913 


— 6 — 

Der alte Mann hatte, nachdem, er gefprochen, fein 
Haupt auf die Bruft gefenkt. Er hob es num und 
warf.auf den Sprecher einen mitleidig verächtlichen 
Blick. „Hat Tokeah,“ jo frug er, „das Kriegsge— 
fchrei erhoben? Sat er feinen Brüdern in die Ohren 
geflüftert, es zu erheben? Was Tokeah gewollt hat, 
wiffen die rothen Männer. Sie verfchlofien ihre Oh— 


ren. Sie hörten feine Stimme nicht. Tokeah war in 


feinem Herzen betrübt, als feine Ohren e8 vernah- 
men. Er war ferne von ihnen. Er hat aber. eine 
Kette gefehlungen, die auch für fie glänzen wird — 
der große Häuptling der Cumanchees wird fie als 
feine Brüder, als feine Söhne aufnehmen. Tokeah 
ift gefommen, fein Volk nochmals zu ſehen. Er ift 
durch die Wigwams der Weißen gegangen. Sie zit- 
tern vor den vielen Kriegern des Vaters der Cana— 
das, die gekommen find, zahlreich wie die Bäume des 


* 


Waldes in großen Canoes, und mit brüllenden | 


— | 


Feuerſchlünden.“ 

Die Wilden wurden plötzlich fi "und * den 
Häuptling forſchend an. Ihre Augen begannen wild 
zu rollen, und das dumpfe Flüſtern, das nun in den 





* 


J 


MM. 


Reihen umberlief, bewies, daß der Alte eine Saite 
berührt hatte, die gewaltig i in ihrem Innern erflang. 

„Und was befiehlt uns der große Miko zu thun?“ 

„Der Miko iſt gekommen auf dem Pfade des Frie— 
dens,“ verſetzte Dieſer ausweichend. „Die Seinigen - 
find ferne. Seine Brüder haben ſeit vielen Sommern 
feine Stimme nicht gehört. Sie haben ſich andere 
Häuptlinge gegeben — fie müffen Diefen gehorchen. « 

Er jah bei diefen Worten die Wilden forfehend 
an und horchte auf das Gemurmel, das nun ent- 
ftand. 

„Seine Augen jehen nicht mehr. Muscogees;u 
fuhr er fort. „Sie fehen verkleidete rothe Männer, 
die ſich mit den weggeworfenen Gewändern der Wei- 
‚Ben behangen, die fich de Wampums ihrer Väter 
Thamen, und deren die Weißen fpotten. — Sein 
Herz fügt ihm, daß unter den engen Röcken der 
Weißen auch ihre falſchen Herzen ſchlagen, und daß 
feine Worte in die Ohren feiner und ihrer Feinde 
geflüftert werden. Der Miko hat fein Volk verlaffen, 
als der Giftzahn in ihre Eingeweide zu fehlagen an- 
gefangen; das Gift hat um ſich gegriffen — ex fieht 
nichts mehr als eiternde Wunden. Er fieht Häupt— 

15* 





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— ———— iR — 


— 


— 228 — 


linge in den Gewändern der Weißen, Krieger in des 
nen der Weißen und der Muscogees ſein Herz iſt 
traurig. u 

„Der Miko der Oconees ift ein weifer Häuptling. u 
ſprach Einer der älteſten Wilden. „In ihm rollt das 
Blut vieler Mikos. Die Männer der Muscogees 
wollen ſeine Stimme hören. Sie ſind viele Sonnen 
weit gekommen, um dem Späherauge der Weißen zu 
entgehen. Sollen ſie umſonſt gekommen feyn 2a 

„Die Muscogees find weife,“ ſprach der Miko mit 
einer ironifehen Betonung und einem bittern ſpötti— 
fchen Lächeln. „Sie haben die Boten der Weißen 
getäufcht, aber fie haben ihre Späher mitgebracht. 
Ein Thor Spricht zweimal,“ fuhr er fort — „der 
Miko ift gekommen, um von feinem Volke auf immer 
Abfchied zu nehmen. « 

„Dann bat der Miko einen weiten Weg gemacht; 
den er fich. Hätte erfparen können, u verjeßte ein zweiter 
jüngerer Wilder. „Die Muscogees wollen Ruhe, 
der Mifo gibt nimmer Ruhe.“ 

„Ja,“ erwiederte Diefer, „mein Bruder hat wahr 
gefprochen; der Miko ift unruhig, fo wie der freie, | 
wilde Büffel es ift, der die Seinigen von den Jägern 


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* 


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in die Hürde getrieben fieht. Die Weißen geben den 
rothen Männern Brieden, weil ſie bedrängt find von 
den Kriegern des großen Vaters der Canadas. Wenn 
aber die rothen Röcke abgezogen ſeyn werden, dann 
mögen die armen Muscogeed die Sommer zählen, 
die fie noch auf ihrem Lande leben werden. Es mwer- 
den derer nicht viele jeyn. Männer der Muscogees! 
Ihr habt die Stimme Eures großen Alteften Häupt— 
lings nicht gehört. Ihr habt fein Blut verftoßen. 

Ihr Habt die Quelle in ihrem Urfprunge getrübt, 
dad Blut Eurer Häuptlinge mit dem unreinen Feuer- 
wafjerfehlamm der Weißen vermengt. — Es wird 
nie mehr rein werden. Eure Häuptlinge füllen ihre 
Säde mit Dollars. Sie handeln mit fehwarzen 
Männern, und Faufen fte, ihre Felder zu pflügen. 
Muscogees! der Mifo hat mit dem Geifte feines 
Vaters gefprochen. u. 

Alle horchten hoch auf. 

„Und Diefer will feine Gebeine nicht ferner unter 
einem entarteten Volke laſſen, unter einem Volke, 
das fein Blut verrathen.“ | 

„Hugh!“ ertönte e8 abermals mit einem graufen- 
haften —. 


— 230 — 


x Pe Si, u sprach der alte Mann, —— 
bote feines Vaters Folge geleiſtet. Er iſt gekommen, 
um ſeine Gebeine im freien Lande der großen Cu— 
manchees zu begraben.“ Er hob nun den Deckel vom 
Sarge weg, um den die Wilden ſich heulend * 
drängten. 

„Der Miko,“ nahm Einer der alten Indianer das 
Wort, „iſt ein großer, ein hoher Häuptling; — hat 
hm der große Sheyah zugeflüftert, feine Gebeine von 
den Muscogees zu holen?“ | 

„Er hat es;“ ſprach der Mio. ö 

„Hugh!“ ertönte es abermals aus der tiefften 
Bruft jümmtlicher Wilden, die nun heulend Durch 
einander rannten. 

nDer Mio ift gefommen,“ fprach der Greid, vum 
das Gebot feines Vaters zu erfüllen. Die rothen 
Männer können ihn nicht mehr halten.: Aber fie mö— 
gen fommen in die ſchönen Gefilde der Cumanchees. 
Tofeah und fein Sohn, der große El Sol, werden 
ihnen die Hand öffnen.“ 

Und mit dieſen Worten erhob er ſich und verließ 
die verſammelte Menge, ohne ſie auch nur eines fer⸗ 
nern Blickes zu würdigen. Ein tobendes Geheul 





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— 31 ⸗— & 


ſchallte ihm noch eine Weile nach, das ſich init 
in den Bergflüften verlor. y 

Die beiden Häuptlinge ſchlugen 4 mit * 
Oconees, die ſich wieder zu ihnen geſellt hatten, den 
Weg zum Miſſiſippi ein. 

Was eigentlich die Urſache dieſer ſonderbaren gu 
ſammenkunft geweſen, läßt ſich ſchwer beſtimmen. 
In der Natur des alten Häuptlings lag jener uner- 
gründliche Doppelfinn, den der Wilde überhaupt in 
einem fo hoben Grade beſitzt, daß er Jahre Yang 
die größten Entwürfe mit einem undurchdringlichen 
Schleier verhüllen kann, in einem außerordentlichen 
Grade. — Und wenn ihn das Geheiß feines Vaters, 
wie er meinte, oder richtiger zu Tprechen, fein Traum 
zu dem weiten Zuge veranlagt hatte, jo ſcheint es 
eben fo gewiß, daß er diefem allmählig einen zweiten, 
Endzweck dann unterfchob, ald er am Bayou mit der 
vermeintlichen Verlegenheit ſeiner Feinde näher be— 
kannt wurde. Ob es ein letzter Verſuch geweſen, 
ſein Volk zum Ergreifen der Waffen gegen den Feind 
zu bewegen, oder ob er dieſes bloß ausholen wollte, 
um auf alle möglichen Falle bereit zu jeyn, darüber 
ſchweigt fowohl die Tradition als die geſchichtliche 


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mn 
Urfunde. Sp wie er es nun faud hatte er jeden 
Verſuch für immer aufgegeben. Die Politik der Een- 
tralregierung, oder vielmehr das allmählige Annä— 
bern der Amerikaner, hatte nämlich während feines 
langen Exils eines jener Mittel ausgefunden, wo⸗ 
durch ſowohl wilde als civiliſirte, aber noch im Zu— 
ſtande der politiſchen Kindheit befindliche Völker auf 
dem ſicherſten und ſchnellſten Wege entnationaliſirt 
und gebändigt werden — Zwiſchenheirathen — 
durch die der Einfluß der vornehmſten Häuptlinge 
allmählig auf die ſogenannten Halfbloods über— 
ging, die, dem amerikaniſchen Intereſſe näher ver— 
wandt, das übrige Volk in dieſes zu ziehen wuß— 
ten. Es war dieſes um ſo leichter gelungen, als die 
bedeutenden Jahresgehalte, die den Indianern für 
ihre Ländereien ausbezahlt wurden, eine Menge jun⸗ 
ger. Abenteurer veranlaßten, die Kupferfarbe der 
Töchter der Häuptlinge zu überfehen, um fich jo in 
ein Befisthum einzuniften, das noch angiehender 
durch den bedeutenden Einfluß wurde, den fie durch 
folche Seirathen unter den Wilden gewannen. Durch 
eine folche Heirath war auch der Mifo, wie wir be— 
reitö wiffen, um fein Land und um feinen Einfluß 





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— 1333 &— 


gebracht worden, und es war natürlich, daß, als 
diefe Politik häufiger befolgt wurde, die Kluft zwi⸗ 
ſchen ihm und dem Volke immer mehr zunahm. Mebri- 
gens bieibt diefer Verſuch ſowohl, als das ganze _ 
Lehen des gefchichtlichen Mannes immer merfwirdig, 
und vielleicht mehr fo, als felbft die größeren, aber 
unbandig wilderen Kampfe eines Philipp, Logan, 
Teeumfeh und aller jener Männer, deren Niefenfee- 
len die Herrſchaft die ſes Landes ihren weißen Fein⸗ 
den durch mehr als ein Jahrhundert ftreitig machten. 
Die beiden Häuptlinge, fagt die Tradition, eilten 
nun, fo viel e8 die Erſchöpfung des alten Mannes 
zuließ, dem Bayou zu. Jedoch ſchon am folgenden 
Morgen bemerften fie, nicht ohne Unruhe, Spuren 
von Mocaſſins, die kurz vor ihrer Ankunft hinter- 
laffen worden waren. Je weiter fie vorwärts eilten, 
defto mehr leuchtete ihnen die Gewißheit ein, daß 
Muscogees vor ihnen denfelben Weg gegangen was 
ren. Der Miko ſchien weniger ängftlich, aber der 
junge Häuptling wurde mehr und mehr beforgt. Mit 
der gewohnten Selbftverläugnung jedoch ſchwieg er. 
Als fte aber am fechsten Tage nach ihrem Aufbruche 
vom Talk oder der Zufammenkunft fich fo eben an 


* 


— 234 ⸗— * 
demſelben Plate zur Nachtruhe niedergelaſſen hatten, 
den die Späher nicht viele Stunden zuvor eingenommen, 
konnte El Sol feiner Zunge nicht Länger mehr gebieten. 

„Der Miko hat gethan, ufprach er, „wie ein from⸗ 
mer Sohn, als er das Gebot ſeines Vaters erfüllte; 
aber er hat nicht wie ein kluger Häuptling gehandelt, 
als er zu ſeinem Volke ſprach; er hat der kochenden 
Gluth, die an ſeinem Herzen nagt, gehorcht. Der 
Miko ſollte dieß nicht gethan haben, wenn er ſeinen 
Fuß unter die Weißen ſetzen will.“ 

„Sind die rothen Männer deßhalb weniger Kin— 
der des Miko?“ fragte Dieſer, „weil ſie ſeine Stimme 
zu hören verſchmähen?“ 

„War es die Stimme eines Vaters, die aus To— 
keah zu den Muscogees ſprach?“ fragte El Sol be— 
deutſam. — 

Der Miko ſchwieg. 

„El Sol iſt ein Häuptling,“ fuhr der Cumanchee 
fort, „ſein Herz hat noch immer die Wunde nicht 
vergeſſen, die die Weißen ihm ſchlugen, als ſie ſeinen 
Vater tödteten; aber er iſt ein Vater vieler Kinder. 
Könnte er allein die That an den Weißen rächen, er 
würde es thun: aber es würde das Blut feiner Brü— 





—d 235 9 


der Foften. Er überläßt die Rache Wacondah, und 
Yebt für fein Volk. Der Mifo muß dieß auch) thun. 
- Wenn die Weißen erfahren,“ fuhr er nach einer 
Pauſe fort, „daß der Miko feinem Volke in die Ob- 
ren geflüſtert hat,“ — fein Blick fiel auf die von den 
Indianern hinterlafjenen Spuren, werden fie ihre 
Stirn runzeln — vielleicht, “ feßte er hinzu, „werden 
fie das Pfand behalten,“ fein Blick fiel auf die Erde 
— „das ihnen der Miko Hinterlaffen hat.“ Die 
legten Worte fprach er leiſe, beinahe furchtfam. 

„Die weiße Roſe ift die Tochter des Mifo. Er hat 
Biber- uud Bärenfelle für fie gegeben. Er würde 
fie den Weißen nicht laffen, wenn fie viele taufend 
Dollars geben würden.“ Das Herz des jungen 
Häuptlings fehlug hörbar lauter. 

„Mein Sohn muß feine Zunge löfen,“ ſprach J 
alte Mann. „Er weiß, daß ſein Vater ihn ſehr liebt. 

„Waeondah,“ ſprach der Cumanchee mit kaum 
hörbarer Stimme, „hat die Tochter des Miko zu ſich 
genommen.“ Er ſtockte, ſeine Wangen glühten, ſeine 
ganze Geſtalt zitterte. 

„Roſa iſt die Tochter des Miko. El Sol,“ rief 
der Alte, „wird wieder der Sohn Tokeah's werden. » 


„Mein DBater !u mehr vermochte der junge Mann 
nicht zu fprechen. Uber er fiel dem Alten bewegt an 
die Bruft, und indem er auffprang und ihn beinahe 
unwiderſtehlich mit ftch fortriß, verrieth ſich die un⸗ 
fägliche Kiebe, die den jungen Wilden erfafit hatte. 

Sie eilten nun raſch und unaufhaltfam dem Bayou 
zu, wo fie nach Verlauf mehrerer Tage * — * 
dere Unfälle anlangten. 

„Sieht mein Vater?“ rief der Cumanchee aus, als 


ſie an der Höhe der Bluffs ſtanden und über die 
prachtvolle Niederung und den Strom blickten. „Wohl 


mußte Tofeah in feinem Kampfe unterliegen, — möge 
er num glücklich feinen Feinden entgehen!a — Eine 
Weile ftanden die Beiden wie angewurzelt, und dann 
ſchlichen fie ſich langſam und düſter der Thalniede- 
rung zu. 


Uennunddreißigſtes Kapitel. 


Hier kommt der Britte. Laßt feinen Empfang 
fo feyn, wie er für einen Herrn Eurer Bildung ge- 
gen einen Fremden feines Standes geziemt. 

Shafespeare. 


Es war ein herrlicher, obgleich für die beiden Wil- 
den niederfchlagender Anblick, der fich ihnen darbot. 





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— 37 


Die Natur hatte ſich in der Zwiſchenzeit mit je— 
ner prachtvollen Ueppigkeit entfaltet, die in dieſem 
Lande ſchon im erſten Frühlingsmonate alle die Pracht 
und Schönheit zeigt, die mehr nördlich erſt einige 
Monate ſpäter hervortritt. Aus den hell- und dun— 
kelgrünen Baumgruppen tauchten unzählige Pflan⸗ 
zungen und Landhäuſer auf, die das Auge in weiter 
Ferne an den beiden Ufern des Stromes erblicken 
konnte. Alles war Blüthe und Grün, und hinten 
her, in blauer Ferne, wogten die Wälder des weſt— 
lichen Ufers, die die Pflanzungen gleich ungeheuern, 
immer grünen Wällen beſchützten. Den hehrſten An— 


blick jedoch gewährte der majeſtätiſche Strom, von 


herrlichen Landhäuſern begürtet, fo majeftätifch da— 
Hinfließend, als jey er zum Gebieter der Welt erko— 
ven; auf feinen Wellen ſchaukelten hundert Heine und 
große Fahrzeuge, die Taufende von Meilen herab- 
famen, oder nun dem Bayou zufiefen, um das ſchöne 
Schaufpiel zu fehen, das die Ankunft der Milizen 


darbot. Es war nämlich nicht lange nach der Sie— 


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| 


gesbotſchaft die, nicht minder erfreuliche, vom Ab— 
ſchluſſe des Friedens im Staate angelangt, ſo daß 
der wichtige Sieg, der erfochten worden, kurz vor 


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a — 
Abſchluß des Friedens erkämpft worden war. Der 
größte Theil der Landesvertheidiger war bereits nach 
Hauſe gekehrt, der Ueberreſt kam nun ſo eben in 


einem Dampfſchiffe den Stromberauf, ſchon von weis 
tem von einem: taufendftimmigen vurrah ihrer ver- 


fammelten Waffenbrüder begrüßt, die nun in ihrem 
vollen Waffenſchmucke gekommen waren, um ihre 


Mitbürger zu empfangen. Alle hatten ſich nun auf 
eigene Koſten uniformirt, und, ihr cher feſter 
Marſch und ihre ſichere militäriſche Haltung verrieth 
nichts mehr von jener Unbeholfenheit, die wir früher 
zu bemerken häufig Gelegenheit hatten. Als das 
Dampfſchiff in das Bayou eingelaufen, wurde es 
von einem tauſendſtimmigen Willkommen begrüßt. 
Die Milizen formirten ſich, ſo wie ſie landeten, in 
Reihe und Glied; dann folgten die Damen, begleitet 
von den Offizieren. Unter dieſen die Frau des Ober— 
ften mit ihren Töchtern und Roſa, begleitet won dem’ 
Dberften, feinem Sohne und dem Major Eopeland. 
So wie die Offiziere vorgetreten waren, trat eine De⸗ 
putation der ſo eben gelandeten Milizen vor, und 
Einer derſelben hielt eine Anrede, und nachdem er im 
Namen und im Auftrage ſeiner Mitbürger den 





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139 


fämmtlichen Offizieren für die Thätigfeit, Klugheit . 
und Sorgfalt, die fie während diefer Eritifchen Epoche 
an den Tag gelegt hatten, gedankt, verficherte er fie 
zugleich, daß er von ſeinen Mitbürgern beauftragt 
ſey, ihnen zu bedeuten, daß fie fich des in fie geſetzten 
Vertrauens vollkommen würdig bewiefen hätten. 
‚Der Oberfte erwiederte diefe Anrede in demfelben 
würdevollen Tone, indem er feinen Mitbürgeen im 


"Namen der Offiziere für das Vertrauen dankte, das 


fie ihm und feinen Mitbefehlshabern geſchenkt hatten, 
und fie zugleich bat, nun, da fie in ihren häuslichen 
Kreis und zum bürgerlichen Leben zurückkehrten, fie 
auch ferner in ihrer Achtung und ihrem Vertrauen zu 
behalten. 

Es war eine kurze, prunflofe, aber hochſt würde⸗ 
volle Scene. Die hohe Achtung, der Anſtand, der 


ſich hier zwiſchen zeitherig Befehlenden und Gehor— 





[7 
K 


— 


chenden, die nun wieder in ihre vorige bürgerliche 
Gleichheit zurückkehrten, ſo männlich kräftig äußerte, 
war ſo unverkennbar und charakteriſtiſch hervorge— 
treten, daß eine Zeit lang nach dem Auftritte eine 
tiefe Stille herrſchte. Auf einmal erſchallte jedoch 





ber Ruf: „Major Gopeland !u — 1 ke 
Kehlen. —— 

Der Major, der iin mit den — 

ſtanden war, auch, im Vorbeigehen ſey es bemerkt, in 

einer glänzenden Uniform mit dreieckigem Federhute 
ſtak, die ihn einem in einen ledernen Sad eingenäh— 
ten Elephanten nicht unähnlich darſtellte, trat nun 
vor, jedoch nicht ohne Gefahr, mit feinem Deg: 
einige Verlegenheit zu kommen. * | 

„Mitbürger! !a Sprach er, „mein Bataillon ift zwar 
fhon zu Haufe, und die Bürger werden fich ihre 
Ruhe wohl ſchmecken laſſen; da Ihr mir aber die _ 
Ehre anthut, meine Meinung nochmals hören zu 
wollen, jo ſage ich: Wir haben als Offiziere unfere - 
Pflicht und Schuldigkeit gethan. Ihr habt aber mehr 
gethan. Ehre fey Euch deßhalb von Kindern und — 
Kindeskindern! Ehre,“ rief der bewegte Mann, fer 
nen Federhut abnehmend und hoch ſchwenkend, „Ehre a 
ſey Euch! Und ſollte der Letzte von Euch in Noth 
ſeyn, oder Beiſtand brauchen, ſo kommt zum alten, 
Squire Copeland; denn den Major wollen wi 
weilen an den Nagel hängen.“ — 

„Ein Hurrah dem Major Copeland!“ erſchallte N 


ir nz 











4 M 8 


es nun neunmal hinter einander jo Fräftig, daß der, 


Donner der Kanonen vom Dampfboote und die 
Trommeln übertäubt wurden. 

Hiebei ließ es jedoch unſer Major, der feine Po- 
pularität nicht nur zu gewinnen, fondern auch zu er= 
halten wußte, nicht bewenden, ſondern vortretend, 
drückte er nun jedem Einzelnen die Hand, plauderte 
einige Worte, und 309 fo von Mann zu Mann, Je 
den bei jeinem Namen begrüßend,, durch die Reihen. 

„Holla!“ vief er plötzlich, als er an den Flügel- 
mann- gekommen war, und mit feinem Falkenblicke 


hinüber auf eine Gruppe feitwärts ftehender engli- 


jeher Offiziere fehweifte, Die nicht ohne Ueberraſchung 
dem würdevollen Schaufpiele zugefehen hatten. „Hol⸗ 
Ya, Kinder! da fehen meine Augen einen alten Be⸗ 
kannten.“ Und mit diefen Worten flieg er auf die 
Gruppe der Britten'zu, nicht ohne Gefahr, dag ihm 
fein drittes Bein, nämlich der Degen, einen Ebu 
ſpiele. 

„Gentlemen!“ ſprach er —“ ned RR, mid, 
Euch hier zu fehen. Lapt Euch's wohl behagen bei 
und. Ihr ſeyd gerne fo gefehen; doch habt Ihr da 

‚einen Jungen unter Euch, deſſen längere Bekannt— 
Der Legitime. IN. 16 





* 


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ſchaft ich noch für eine Weile Inden möcte. — J 
junge, haſt Du Luſt, mit r mir 
ſas zu gehen? Heute biſt Du J mir Saft 
Oberſten Parker. gina Die aber in Acht, es oh 
eine Schaar da, die gefährfichere Schüſſe thut 
Kanonen und Kartätſchen · 
Die extempore Anrede galt unſerem widſhiyman 
James Hodges, der raſch die Hank: des Majors er⸗ 
faßt hatte, und ſie herzlich drückte. 
„Sehr gerne, Major,“ vief der * Züng- | 
ling. — 
Die Offiziere hatten den —— hen * 
umringt, um ihm ihre Achtung zu bezeugen. Er 
drückte Jedem die Hand ; md ſprach darin, mit em N, 
ihm eigenthümlichen ſchlauen Lächeln: —* Re 
„Gentlemen, Ihr habt Eure — J 


„Und ‚Sie, Major,“ tiefen. im die Offiziere zu, : 




















„mehr ala Ihre Schuldigkeit. tn . Br * a 

„Ah bah,“ erwiederte Sir, "Da i * we yo 4 
wenn man fo ungebetene ‚Säfte im Pelz fih ha 
ſchauen, wie man ſie wieder wegbri gt. Aber viß — 
Ihr was, Gentlemen, Ihr zieht: vor acht Tagen noch & 


nicht ab; Wer von Euch Luft hat, be ) a Tag 


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# 5 


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2. zum alten Sauire Copeland auf feine Pflanzung zu 








einer Bärenjagd zu kommen, ift herzlich willfommen. # 
„Major!“ riefen Alle, „das Anerbieten iſt ſo 


lockend, daß Keiner refüſiren wird. u 


„Topp, Ihr ſeyd Alle willkommen; ; Ihr Habt Alle 
Platz, auf meiner Pflanzung nämlich; im Stadt⸗ 
hauſe geht's enge her, wie der Junge da weiß. Ihr 
kommt doch auch, Oberſt Wedding ?« | 

„Mit dent größten Vergnügen ;“ verfeßte ihm der 
Baronet. | 
. » Morgen oder heute noch Fommt der General en 
Chef, und übermorgen geht Ihr alſo mit mir. Doch 
nun verzeiht, dieſen Jungen Springinsfeld * 
ich uch.“ 


Und mit dieſen Worten griff er an — gut, | 
und nahm Abfchied von den mit der Ausficht —* die 


Bärenjagd hoch entzückten Britten. 

„Doch Hört, Major Copeland, “Tief der Midſhip⸗ 
man, wie kommen doch dieſe ſaubern Zeiſige in Euer 
ſo wohl geordnetes Gemeindeweſen ? kant, Be 

Er deutete auf einen Zug von Männern, die fich 


Hinter den Damen längs dem —— dem Seädt- 


Sen zugefligen. 


16* 


24 — 
„Welche meinſt Du?«“ rief Diefer. ee 
„Sp wahr ich lebe, das find die Seeräuber. u 
„PBah!a verfeßte der Major in einiger Berk n 
heit, „Du ſiehſt wieder einmal verkehrt:“ und ob 


ihm Zeit zu geben, den Nachzüglern einen zweiten. 


Blick zugufenden, zog er ihn den Damen zu. 

| „Mistreß Parker!“ ſprach er, „erlaubt mir, Euch 
einen Jungen da aufzuführen, einen fo wackern Jun— 
gen, verfichere ich Euch, als je in feinen eigenen 


Schuhen ftand, und der wahrlich. mehr reelles Blut 


im Eleinen dinger hat, als ein Pferd ſchwemmen 
könnte. Und da, mein lieber Engel, „rief er * 
zu, „Ihr ſeyd ohnedem alte Bekannte.“ 

„Miſter Hodges,“ ſprach Dieſe mit einem leichten 
Erröthen, „es iſt lange Zeit, daß ich Sie ia mehr 
gefehen. « 

„Miß Roſa!“ vief der verwirrte Jüngling® 

„3a, ich glaube, die Miß Roſa mußt Du bald 


aufgeben. Sie haben ihr einen andern Namen ir— 





jr 
* 


11 


gendwo im Mexicanerlande gefunden, und — doch 


nun gehſt Du mit uns, und da Mistreß Parker ſchon ſo 
gütig iſt, und meiner Zudringlichkeit nichts abſchla— 
gen kann, ſo bleibſt Du bei mir in Haft. Haben ge— 


hört von Deinen Heldenthaten. Wie war es mit der 
Mistreß Blum ?u | 

Aber Squire,“ ſchalt ihn Virginie, „Sie find 
doch wirklich ein Erzbarbar.“ 

Der Jüngling erröthete bis über die Ohren. 

„Nein, Major Copeland,“ ſprach die Oberſtin, 
„Sie müſſen Ihrem und unſerem Gaſt nicht ſo arg 
mitſpielen, ſonſt verbittern Sie ihm unſer Haus, ehe 
wir noch die Schwelle erreichen.“ 

„Glaubt das nicht!“ rief Dieſer, „er iſt 4 
ſo blöde, verſichere Euch, und er hat es bewieſen, 
aber er hat ſein dem Indianer gegebenes Ehrenwort 
wie ein Ehrenmann gehalten und Eurem Pompey 
das Leben gerettet, wie ein tüchtiger, wackerer Junge. 
Und übermorgen geht er mit mir, und Roſa, Du 
kommſt doch auch na, wenn Mistreß Se Dich 
holt?“ 

„Da wirft Du Wunder ſehen, liebe Roſa,«“ lachte 
Virginie. „Sie find liebe Narren, die guten Leute 
in Opeloufas, mit ihren Kornhusking und Hopſeſa!“ 

„Mein Plagegeift mir wieder auf der Ferſe?“ rief 
der Major; aber ich habe Mittel und Wege, ihn 
zu Paaren zu treiben.“ 





„Nun, ii fen Frieden, uifhene 


darum; meinte. irginie. 

„Um ihn in einer Viertelſtunde wieher ke 

„Es geht nun in der Welt nicht anders; entgege 
nete die Miß mit einem Eomifchen Seufzer. 

Die Familie war fo unter Scherzen und Lachen 
mit ihren Gäften im Landhaufe des Oberften ange- 
fommen, wo Diefer unſern Midſhipman mit den 
Worten begrüßte: 

„Sie ſind hier zu Hauſe, lieber Miſter 
und je länger Sie und das Vergnügen Ihrer Gegen- 
wart fehenfen wollen, defto mehr ſoll e8 ung freuen. 
Ihr Breund wird Ihnen übrigens ald Beifpiel an 
die Dand gehen, wie man ohne Zwang bei ung ver- 
fahrt!“ : 

„Ja, das will ich,4 Sprach der Major, „und e8 
Euch zu beweifen, will ich mich ſogleich aus der ver⸗ 
dammten Jacke mit Gold und Schnüren, und dem 
Federhute, den ich bald rechts, bald links aufſetze, 
herausthun. Stelle Dir nur vor, Junge, da haben 

ſie mich in einen ſolchen Sack hineingethan, ſo knapp, 
ſo enge, daß ich hundert Stoßſeufzer iu einer Minute 
vorbringe. Koſtet mich die Lapalie da dreihundert 


9 7 ⸗ 


| Dollars; Hätte damit einem —— Jungen auf die 


Beine und zu einem Stücke Landes derhelfen können; 
aber ſie wollten es nicht anders. Wohl! wenn ich 
nach Hauſe komme, will ich mich meinen dreißig Ne⸗ 
gern zeigen, die werden nicht wenig ſchauen. Wohl! 


und fo Gott will, bleibft Du dann eine ſchöne Meile 


bei ung.“ 
„Und der Donnerer ?« fragte der Britte. 
„Wird auch ohne Dich flott werden. Deine Gar- 


riere ift ohnedem fo ziemlich vorüber. Ich glaube, 


Du thäteft am beften, Du hingeft Dein a, * 
an den Nagel.“ 

„Wollen jehen;“ lachte der Britte. 

„Und nun, meine Damen, überlaſſe ich Ihnen 
das Jüngelchen, um mich wenigſtens für ein paar 
Stunden bis zum Valle in eine weniger militärifehe 
Garderobe zu werfen. 

„Mifter Hodges, u fprach der Oberft, „Sie 4 
das Herz des Majors auf eine Weiſe gewonnen, die 
Ihnen ſehr erfreulich ſeyn darf.“ | 

„Fürwahr, Oberft, fo fehmeichelhaft mir diefes ift, 
fo weiß ich doch wirklich nicht, wie es damit zuging. « 

„Es ehrt Sie. Sie werden einen der würdigſten 





— 8 &— 
Männer in unferem Stanterfennen lernen, der un- 
gemein viel für fein County und fein Land gethan hat. u 

„Doch Mifter Hogdes,“ fiel ihm die Oberſtin ein, 
„auch Sie müſſen ſich ein wenig zu unferem Balle 
vorbereiten; denn da Sie nicht mit den Waffen in der. 
Hand gefangen wurden, ſo behandeln wir Sie als 
Einen der Unſrigen. Mein Sohn, Lieutenant Parker, 
iſt ohnedem von Ihrer Größe, und Sie werden ſich 
am beſten mit ihm verſtehen.“ 

In dem Augenblicke trat der Lieutenant ein. Er 
begrüßte den Britten herzlich ‚ und die beiden jungen 
Männer Wlenen an einander Gefallen zu finden. 
Der ſchnelle Wechſel in ſeinem Glücksſterne, der ihn 
aus einer verlaſſenen Zielſcheibe des Spottes plötz⸗ 
lich zum Gegenſtande der herzlichſten Theilnahme in 
einem Hauſe gemacht, deſſen fürſtlichen Reichthum er 
mit Staunen bemerkte, hatte den jungen Mann wie— 
der in ſeine volle, frohe, heitere Stimmung verſetzt, 
die unſer Squire Copeland ganz richtig deutete, als 
er nun in ſeine gewöhnliche Serna metamorphor⸗ 
ſirt eintrat. 

„Nicht wahr, Herzensjunge!“ rief er, „hier läßt 
ſich's leben. Aber wenn Du uns näher kennen lernſt, 


—H 29 &— 


* 
wirſt Du finden, daß wir ſo gut zu leben wiſſen, wie 
Eure Herzoge und Marquife und Earls. Siehft Du, 
Junge, bei Euch find bloß ein paar taufend Familien 
Herren im Lande, bei uns eine Million. Alle Haben 
wir. — fo wie einſt unfere Voreltern, die Normanen, 
das alte England — fo unfer Land erobert, nur mit 
dent Unterjchiede, daß Ihr Eure Ueberwundenen 
‚triebt, Eure Felder zu pflügen und fie zu einer Art 
‚Sklaven machte, und wir unfere durch den Pflug 
gemachten Groberungen auch mit dem Schwerte zu 
behaupten wiſſen. Hab’ ich Dir's nicht gefagt, daß 
wir Euch ledern werden? Sey froh, daß Du nicht 
dabei warſt. Hätteſt Du die Unſrigen geſehen! Nein, 
mir ſelbſt wurde das Blut in den Adern kalt. Höre, 
wie Mauern ſtanden ſie, als die Eurigen anrückten, 
und gerade als ob ſie auf Hirſchböcke anlegten. 
Du konnteſt ſie hören, wie ſie ſich zuriefen: ich nehme 
den Flügelmann gerade an der Naſe; John, ich den 
daneben ins rechte Auge; Iſaak, ich den Dritten ins 
linke, und ſo ging es fort durch Reihe und Glied, 
und ſo wie ſie ſprachen, ſo thaten ſie, und jeder 
Schuß ſtreckte ſeinen Mann zu Boden, und dann 
nahmen ſie kaltblütig ein friſch geladenes Gewehr 


a > { * 
vom Hintermann und thaten wie 45 
Angriff der Eurigen fielen an die taufend Mann, und 
Eure Commandirenden mit ihnen. Da liefen die ar- 
men Narren, fo wie eine Heerde Schaafe, die ihren 





Führer verloren. Sieh, die Unſrigen wären ſchon 


nicht gelaufen, wenn zehn Generale gefallen wären, 
weil Jeder ſich ſo gut wie der General ſelbſt dünkt. 
Beim zweiten Angriff, unter den Befehlen irgend 
eines Sir Richard, oder Peter oder Paul — die ar- 
men Wichte dauerten mich, es ift auch eine verfluchte 
Sache, fih jo auf's Gebot eines rappelköpfiſchen, 
hohen, gebietenden Narren zum Todtſchießen für ſechs 
Penee binftellen müfjen — ließen fie wieder an die 
fünfhundert Mann, hatten wieder ihren Comman— 
direnden weggeſchoſſen. Ein Generallientenant war 
noch übrig, und der Fam num auch, um fich feinen 


Theil zu holen, fammelte die Flüchtlinge und Fam 


zum Dritten Male. Und ließ wieder an die Fünf- 
hundert am Plage, und er felbft blieb liegen; dann 


freilich Tiefen die Eurigen, al8 ob ihnen die Schuhe 


fohlen brennten; aber dag Wiederfommen vergaßen 
fie. Hatten alle ihre Generale und Oberoffiziere meg- 
gefchoflen; haben aber doch ihre Schuldigfeit ge- 





— * 





— 251 — 


than. uUebrigens, Junge, ſind wir noch die Alten, 
und obgleich dem General die Ehre des Sleges zu- 


kömmt, ımd er num Sieger von New — beißt, . fo 


haben wir ihm doch nichts gefchenkt. Sieh, bei Euch 
hätte man ihm auf Koften der Nation eine Schen- 
fung gemacht, und er wäre halb vergüttert worden; 
wir haben ihm, gleich nachdem die Nachricht vom 
geihlofienen Frieden anfam, den Prozeß gemacht 
und feine Conftitutionsverlegung büßen machen. 
Und was glaubft Du, daß gefchehen it? Je nun, 
er Fam mit einer Geldbuße von zmeitaufend Dollars 
davon. Das ift eine Warnung für unfere zeitweili- 
gen Machthaber, die ihnen vom Volke zum Beſten 
anvertraute Gewalt nicht zu mißbrauchen, und Bür— 
ger nicht zu behandeln, als wenn fie Neger wären. 
Schadet ihm nichts. Siehft Du, fo müffen Männer 
über ihre Freiheit wachen. « 

Wir glauben faum nöthig zu haben, unfern Leſern 
die Thatſache zu beſtätigen, die der Squire ſo eben 
erzählte und die, wie wir wiſſen, genau dahin ging, 
daß der berühmte Sieger wirklich zu dieſer Geldſtrafe 
wegen Verletzung der Habeas corpus acte während 





—d 352 — 


feines Oberbefehls verurtheilt —— ia EBOR: 
der er fich auch willig unterzog. | 

Der junge Britte hatte den legten Theil * Rede 
unſeres Squire nicht ohne Verwunderung angehört; 
denn obwohl in einem vergleichungsweiſe freien Lande 
geboren und erzogen, war ihm doch der außerordent⸗ 
‚Lich republikaniſche Starrſinn, der einer ſolchen Verur⸗ 
theilung unter dieſen Umſtänden zu Grunde lag, 
eine neue Erſcheinung. 

„Major,“ lachte er, „wenn Ihre Eure großen Män- 
ner fo behandelt, dann ift’s in bei Euch Fein zu 
feyn. 4 

„Nein, lieber Junge,“ —— der — ; 
„wir achten unfere großen Männer fo gut wie Ihr, 
ja noch mehr; aber bei ung hat der Kleinfte Gelegen- 
heit, groß zu werden. Sieh, der Öeneralwar ein armer 
Schluder, fo wie ich; aber verftehft Du, bei ung gibt _ 
es Leute, fo gut wie in der alten Welt, die hoch 
hinaus und ihre Mitbürger zu Neitpferden machen 
wollen, auf die fie nur Sattel und Zaum zulegen 
brauchen, um zur Oberherrſchaft und Tyrannei zu 
galoppiren. Laß es ihnen einmal hingehen, und fie 
werden es ein zweites Mal verfuchen. 4 





% 


— 33 &— 

„Ich weite, Major,“ lachte ihm der Britte zu, 
„Ihr wußtet die Sache Hüger anzufangen, fo wie 
ich fehe, jo habt Ihr Eure guten Männer von Ope— 
louſas ziemlich ftarf im Garne. 

„Glaubſt Du, Junge?“ ſprach der Squire. „So 
wenig verfichere ich Dich, daß der erfte Fehltritt in 
einem gewiſſen kitzlichen Punkte, ein Hinneigen zum 
Föderalismus zum Beifpiele, mich um meinen ganzen 
Eredit bringen würde. Bei uns ift Verftellung un— 
möglich, lieber Junge; aber ich will Dir fagen, ein 
offener Kopf, ein reines, für das Wohl feiner Mit⸗ 
bürger warmes Herz thut viel. Sieh, ich bin drei 
Jahre in Opelouſas. Seit dieſer Zeit hatte ich an 
die fünfzig junge, tüchtige Bürger angeftebelt, und 
ihnen zu Land und Haus und Hof verholfen, und 
auf die Teichtefte Weife. Als ich herab Fam, kaufte 
ich nämlich an fünfzehntaufend Acer ſchönen Landes. 
Wenn ich num fo einen ordentlichen Burfchen fah, der 
bei mir oder im County anflopfte, da fragte ich nicht, 
wie fehwer er ſey, jondern ſchaute ihm ins Geficht, 
und war er ein ehrlicher Junge, jo gab ich ihm einz, 
zwei= oder dreihundert Acker und eben fo viele Dol- 
lars obendrein, und fo gedieh ich und er auch. Ach 


habe an die Fünfzig Dr Sie find Alle ver- 
heirathet und ordentliche Bürger, und werden reich 
und das Land auch. Siehſt Du, wie 
fluß gewann?“ 

Der Jüngling drückte dem wackern Manne der 
gerade und ungekünſtelt, aber maͤnnlich gen — 
jede Stunde weitſchweifiger, aber auch vorthe 
zeigte, herzlich die Hand. Gr war vom eehfefigen: 
Squire beim Knopfe feitgehalten worden, und Beide 








befanden fich ſchon einiges. Zeit allein im Drawing' 


room, ehe e8 von Diejem bemerkt wurde. 

„Holla!“ vief er auf einmal, „die haben Alle 
Reißaus genommen, und da jteht eben, er ſah we 
Fenfter, „die Oberftin und ſchwatzt Sonderbar! 
Wer ift der. Wicht, wenn ich nicht itre, Derſelbe der 
Dich jungen Springingfeld aus der Preſſe holtesu Und 
mit diefen Worten verließ er die —— und trat an 


die Sprechenden. "m. im," * EN | 
»Darf ich?u fragte er Die Sberfinft * —— 


„Wir wollten Sie fo eben rufen,“ eh. Die 
„Mifter Barker ift unten .am Bayou, um mit dem 
Comité Anordnungen zum Empfang des Generals 





F 
en 








zu treffen. Monſieur Madiedo hat die verdächtigen 
Säfte wieder aufgenommen. u | | 

„Ihr habt Euch wacker im · Punkte mit Roſa be⸗ 
nommen,“ ſprach der Major zum Wirth, „und fo 
bezeugt, daß das Gute bei Euch überwiegt. Was 
Ihr nun zu thun habt, will ich Euch ſagen. Die 
verdächtigen Marodeurs müſſen weg, ſo bald als 
möglich; wir. können ſie jedoch nicht zwingen, denn 
es ift eim freies Land; jo lange fte hier bleiben wol⸗ 
len, mögen ſie; nur müſſen wir genaue Kundſchaft 
von ihrem Thun und Treiben haben.“ 

„Die jol Ihnen werden, Herr Major.u “ 

„Das iſt Alles, was wir brauchen. So lange fie 
hier find, werden wir forgen, daß an dreißig Mann 
noch⸗ unter Waffen bleiben... Und nun wögt Ihr 
gehen.“⸗ 

Roh, Gern — verſetzte der Wirth, der 
ſich verbeugte und, nachdem, er über das Bayou geſetzt 
hatte; raſch ſeinem Estaminet oder der —* zum 
SÜRREREINEN zu ging. A Re de 








Vierzigſtes Kapitel. 4 


. Mit einem Wort, Hänge Die nicht fo fehr 

an mid; ich bin ja Dein Galgen nicht. Seh, 

ein kurzes Mefjer und ein tüchtiger Haufen. 
2 © Hakan eäre. 


Wie bei unferem erſten Beſuche, jo faßen dieſelben 


drei Perſonen in derſelben Ede, von wo aus Mon- 
ſteur Madiedo, alias Benito, zu dem gefährlichen 
Liebesdienſte vermocht worden war. Es war vielleicht 
bemerkenswerth, daß — ungeachtet der zahlreichen 
Menſchenmenge, die von allen Seiten dem Bayou 
zugeftrömt war, fo daß felbft die nächften Pflanzun- 
gen ſich herbeifaffen mußten, einen Theil‘ der heim- 
gefehrten Milizen für die Nacht: unterzubringen — 
in diefer Schenke, unfere Marodeurs ausgenommen, 
auch nicht ein einziger Gaft zu fehen war, fo daß 
Monfteur_Benito für feine allzu große. Gefälligkeit 
wirklich hart beftraft zu werden fehlen. Er ertrug 
jedoch diefen ſtillſchweigenden Ausdruck der äffent- 
lichen Verachtung mit vieler Refignation; auch war 
fein Verhältniß zu feinen Gäften gegenwärtig ganz 

anderer Art, und er hatte ihnen gegenüber eine weit 








—d 357 > 


zuverfichtlichere Haltung angenommen. Als er in die 
Stube eingetreten, mo [eine Frau an dem Schent- 
tifche befchäftigt war, Tegte er feine Hände auf den 
Rücken und fehritt gemächlich auf und ab. So oft er 


am Fenſter ankam, warf er einen Blick auf die 


zahlreichen Gruppen von Männern, die vor den übri— 
gen Häuſern in einbrechender Dämmerung ſtanden, 


unm dann kopfſchüttelnd feinen Spaziergang fortzu- 


ſetzen. | | 

„Ja,« vief er endlich, als er abermals einen Blick 
durch das Fenfter geworfen, „das danfe ih Euch: 
fie nun da mit Weib und Kind, und mag verhun- 
gern, umd meinen Wein und Cognac felbft ausfaufen, 
damit er mir nicht: ſauer werde. 4 

»Wollen Dir helfen, Benito, obwohl Dein Bor- 
deaur ganz erbarmlich ift,“ ſprach Einerraus dem 
Kleeblatte. „Es lebe unfer Generalpardon. « 

Der Wirth gab dem Sprecher Feine Antwort, _ 
wandte fih aber zu dem Manne, den wir bei feinem 
erften Auftritte am Bayou als Bermummten bezeichnet 
haben, und der noch immer eine ſchwarze Binde um 
feine Stirne und das linfe Auge trug. 2 

„Ich fage Euch,“ Sprach er, „mit Eurem Pardon 

Der Legitime. II. 17 





WB 5 


bat es gute Wege, und Ihr habt ihn ** 
* bei a, ei ‚eher r Son ui 1J em. 







Staaten safe Ihr nun einmal ni 
wenn Ihr, wie Mogsahen, hußfertige Thr 
nein. u — a6 

Das ſehe ich nur zu deutlich,“ ei der Ver⸗ 


mummte zähneknirſchend. „Wahrlich, wenn ich —F 


gewußt hätte — 


rind was denn?“ fragte der Wirth. Was ” 
erlangt habt, ift aller Ehren werth. Ihr werdet doch 


nicht wollen, daß fie Euch Aemter und Würden geben ?« 
„Hol' der Teufel ihre Aemter, ich wollte lieber —“ 
nWoht!a fuhr der Mirth fort, Ihr habt Euch 

ein fü chönes Vermögen zuſammen gebeutet Ihr könnt 

Eure Tage in Ruhe leben.“ | 
„Ja,“ vief der Vermummte, „es war der fönfe 


Tag meines Lebens, eine herrliche Rache, eine Rache, 


fo göttlihh! daß es mir nur leid thut, daß ich ſie nicht 


theifen konnte. Wären nur taufend unjerer Braven 
zugegen N als wir dieſe Krämerſeelen jagten. 


Möge mich — verdammen, es war ein ſchöner Tag. u 
„Ihr habt Euch gut benommen ;« ſprach der Wi 


* 











259 ⸗— 


Der Vermummte ſah ihn verächtlich an, „Benito, 
aus. Deinem Munde mein Lob hören zu müſſen! 
Spare Deine Zunge, ich bitte Dich, oder — Teufel 
und Kölle! — Jeder Sergeant, jeder Corporal wurde 
in ihren Zeitungen geprieſen; nur ihn, der vielleicht 
mehr zum Siege beitrug, als zehn ihrer Compag— 
nien, nur ihn mit feinen dreißig Braven vergaß man.“ 

„Undank ift der Welt Lohn,“ verſetzte Benito, 
nwenn die Citrone ausgedrückt iſt, wirft man die 
Schale weg. Sie heißen ſich im Scherz Souveräne, 
aber fte haben im Ernſte alle die Kalte Herzloſigkeit 
und vornehme ni, als wenn fte — wirklich 
wären.“ ' 

„Als ich geftern um meine Aufwartung machen a J 
dürfen bat, wurde ich durch die Hinterthüre des Hau⸗ 
ſes, den Stall, eingelaſſen. Lafitte, ſprach er, was 
Ihr gethan habt, verdient Anerkennung. Ihr habt 
einen Theil Eurer Verbrechen gut gemacht. Wir 
wollen das Uebrige vergeſſen; nur müßt Ihr das 
Land räumen, deſſen Sicherheit Ihr zu ſehr verletzt 
habt, um dieſe jemals vergeſſen zu machen. Und 
zum Danke für Alles warf er mir einen elenden Pad 
Banknoten von dreitaufend Dollars zu m. 

17% 


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„Das übrigens immer eine nicht zu verachtende 


Er Summe ift, mit der allein ſchon Ihr Euch in Mexico 


recht ſchön ctabliren könnt, u verſetzte der Wirth. 

„Und: das ift auch das Einzige, was Ihr thun könnt. 

Vielleicht ſehen wir uns da wieder. Hier gedeihen 
wir einmal nicht. Sie laſſen uns nicht einmal wie 
die Hefen ſetzen, fie werfen ung beim Spundloche aus. 
„Wäre ich klüger geweſen, und hätte den Pater Hi⸗ 
dalgo mit ſeinen Muſikanten beim Teufel gelaſſen, 
ſo ſäße ich auch im Trockenen. Alles iſt Narrheit. 
Es iſt Niemand geſcheidt in der Welt als dieſe Re— 
publikaner. Die allein leben für ſich. Wir Meri- 
kaner, Franzoſen, Spanier, und wie fie Alle heißen, 
wenn ich's jo recht um und um betrachte, find nur 


halbe Menſchen; denn die andere Hälfte gehört nicht 


ung.“ 

„3a,“ Sprach der Vermummte, wenn man fich jo 
an die vierzig Jahre in der Welt herumgetummelt 
hat, wird's Einem allmählig klar. Hier lernt man 


ächte Philoſophie. Hier weiß man vernünftig zu 


leben. Ich habe während der acht Wochen meines 
Hierſeyns mehr- gelernt, als mein ganzes übriges 


Leben. Was nützt es jedoch; nun ich einſehe nd mir 


x 


— 


ee 
F 


— 261 ⸗— 


vornehme, weist mar mir wieder Die Thüre. Teufel 
und Hölle! fie haben einen Sieg gewonnen, deſſen 
ſich Napoleon nicht ſchöner rühmen Eonnte, und feine 
Muskel ihrer Geftchter ift verzogen; gerade als ob es 
feyn müßte, und nun Ben fie wieder ruhig an ihren 
Pflug.“ 

„Und das bleibt auch Euch übrig, # verſetzte der 
Wirth, „da Ihr denn doch einmal Euer wüftes Leben 
aufzugeben feft entfehloffen feyd. + 

„Wirth!“ rief eine Stimme durch die Thüre herein. 

„Da bin ich,“ antwortete Benito, der dem Rufe 
folgte, und aus der Stube trat. 

„Ich habe Gäfte befommen,“ vief ex mit vieler 
Zufriedenheit; „aber ich weiß; nicht, ob ſie ſich ge- 
rade zu Euch ſchicken. Es find alte Bekannte von 
Euch.“ Er flüfterte dem Bermummten etwas in die 
Ohren. 

„Alle Teufel! Wirklich?« rief Diefer. 

„Wollt Ihr Euch’ auf einen Augenblick zurück⸗ 
ziehen?“ fragte der Wirth. 

„Pah, wollen fie ſehen. Wir find ja in einem 
freien Sande, heißt es.“ 


EL ALT TEENS RE EEE — — — e 
* * 





— ⸗—— 

Indem trat ein Sergeant ein, dem die Indiar 
in Begleitung zweier Milizen folgten. ka. 7 

„Sie haben fih zwar freiwillig geftellt, u Müerte 
Der Sergeant dem Wirthe zur, naber Ihr müßt ge⸗ 
wiſſermaßen für ſie haften; ohnedem ſind die beiden 
Cumanchees gleichfalls hier.“ 

„Sorgt für nichts,“ verſicherte ihnen der Wirth; 
wir wollen fie wie unfere Augäpfel bewachen und 
bewahren. Wache wäre — würde nur F 
wohn erregen.“ 

Inzwiſchen hatte ſich — alte Miko Awas be⸗ 
fremdet in der dunkeln, von zwei Talglichtern küm— 
merlich erhellten Stube umgeſehen, deren Aermlichkeit 
ihm aufzufallen fehien. Ein bitteres Lächeln umkreiste 
feinen Mund, als er die weiß übertünchten Wände, 
die armfeligen Teppiche und die Eichenholzſeſſel und 
Tiſche überſah. „Sieht El Sol,“ murmelte er dem 
jungen Cumanchee zu, „wie die Herzen der Weißen 
kalt geworden find. Als die Indianer zuerft kamen, 
führten fie fie in ein Foftbares Wigwam. Hier u 

Der Cumanchee hatte nicht minder aufmerffam in 
der Stube umhergeſehen, als fein durchdringender 
Blick in die Ecke fiel, wo die drei Ausländer ſaßen. 








—) 2363 — 


Plotzlich fingen feine Augen am Feuer zu ſpruhen, ſeine 
Nafenlöcher ſchwollen wie die Nüſtern eines Roſſes, 
er begann zu ſchnauben und, in die grimmigſte Wuth 


ausbrechend, fuhr er auf den Tiſch zu, hinter welchem 


die drei Ausländer faßen. 
„Hat,“ fo fprach er mit einer Donnerftimme, „hat 


die Schlinge der Cumanchees und die Lanze der Paw⸗ 


nees deßhalb des Diebes geſchont, damit Diefer mit 
feinem giftigen Athem abermals das Geſicht des un⸗ 
glücklichen Vaters vergifte, dem er die Tochter und 
die Seinigen geraubt? Und indem er nach dem Dolche 
griff, würde er auf Lafitte losgeſtürzt ſeyn, wenn 
ihm nicht die Milizen in die Arme gefallen wären. 

„Im Namen des Geſetzes, Ruhe!“ ſprach der Ser- 
geant, „oder ich führe wi augenblicklich in's Ge—⸗ 
fängniß.“ 

„Mein Sohn,“ ſprach * Mito bedeutſam, „wir 
find im Wigwan der Weißen. « 

Der Seeräuber, denn Diefer war es, wie unfere 
Lefer entnommen haben werden, hatte, während der 
Wilde den Dolch zuekte, mit vieler Kaftblütigkeit fein 
Glas ausgetrunken. 

„Mag ich erſchoſſen ſeyn, “ flüſterte Einer der Mi- 


SE a se 


Du 1 a Fre a ea IE Te RE a Al BEAT an un ee 
i er * 


— 26 — 


lizen ſeinen Gefaͤhrten zu, „wenn biefeh: Man nit I 
mehr Faltes Blut in feinen Adern hat, als alle Ali- : 


gatgren im Broadfivgmp zufammen genommen.“ 
„Das ift auch das Befte, was er hat. Er fehneidet 
Euch mit demfelben Gleichmuthe die Kehle ab. Kennt 
Ihr ihn?u & 
„Werde ihn doch.. Für jest ift ihm feine Zeche ab⸗ 
geſchrieben, befümmt er aber wieder etwas 8 die 
Kreide, dann hängt er doch.“ — 
Lafitte, ohne irgend Einem der An efi aden | 
dere Aufmerkfamkeit zu fehenfen, goß ſich wieder fin 
Glas voll und tranf ruhig fort, als die Thüre aber- 
mals aufging und die beiden Gumanchees herein und 
auf den jungen Häuptling zufprangen. Ri Kind, 





das den Armen der Mutter entriffen und nach einerlan- 


gen Abweſenheit wied r zur ückgegeben wird, kann mit 


ausgebreiteten Mutterarme eilen, 
als die beiden Wilben 9 die de3 jungen: Cumanchee. 

Die drei Wilden waren wirkliche Kinder geworden. 
Sie fielen ſich einander in die Arme, ſie umſchlangen 
ſich, ſie beſahen, ſie betaſteten ſich, als mißtrauten 
ſie ihren Augen, ſie ſchienen ihres Entzückens nimmer 
ein Ende zu finden. Als dieſes ſo eine Weile gewährt 






we % 








— 5 


hatte, traten die Beiden von ihrem Häuptlinge zurück, 
kreuzten ihre Arme auf der Bruſt und ſtanden eine 
lange Weile in ehrfurchtsvoller Stellung vor ihm, der 
ſeinerſeits eine hohe, gebieteriſche Miene angenommen 
hatte. Mit Hoheit hörte er ihren Bericht und ihre 
Schickſale während jeiner Abweſenheit. Aber bald 
verwandelte fich diefe in heftigere Symptome, die 
bald Schmerz, bald Wuth, wieder Scham und Zorn 
im ungemein ſchnellen Mienenjpiele ausdrücken. Auf 
einmal brach er in einen Lauten Schmerzensruf aus; 
feine Arme fielen ftraff an feine Seite, und als ſchämte 
er ſich vor den Anweſenden, trat er mit den beiden 
Cumanchees aus der Stube. 

Das Geſpräch der Indianer war im Pawneedialekte 
geführt worden und hatte die Aufmerkſamkeit Aller 
jehr erxegt; denn es mußte offenbar etwas Befonde- 
res ſeyn, das die Seelen dieſer an Selbſtverläugnung 
ſo ſehr gewohnten Menſchen ſo außerordentlich be⸗ 
wegen konnte. Auch der Miko war es; aber in feinen 
ſtarren Zügen war bloß ein bitteres Lächeln zu be⸗ 
merken. Als die Milizen ſahen, daß ſie vergeblich 
nach Aufklärung warteten, entfernten fie ftch. 

Der Miko hatte fi ich in der Ecke des Feuerplatzes 


nn RE a aa lade > A Na 9 En Fe te ia a re 


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miedergelafſen, * ſaß eine geraume Zeit, ohne irgend 
ein Merkmal von Leben: von fih zu geben; dann be> 
gann er fein Haupt zu erheben, und fein Blick fiel 
auf den Seeräuber, der noch in jeiner Ecke ſaß, wandte 
ſich jedoch immer wieder mit Abſcheu von ihm. & 
fehien, al3 ob dem alten Manne eine Anwandlung 
von Neugierde ankäme, zu wiſſen, was ſeinen Feind 
hieher gebracht habe, und daß nur Stolz und Scheu 
ihn vom erſten Schritte zur Annäherung zurückhalte. 

Der Seeräuber brach endlich das Eis, indem er 
aufftand und an den Miko hertrat. 

„So finden wir und denn wieder, Mike, ſprach 


er nicht ohne Theilnahme, vum drei Monate älter, 


weifer, aber nicht glücklicher. Wo find die Zeiten, 
wo wir jo friedlich beifammen ſaßen im Wigwam 
am Natchez?“ Er ſprach die letzten Worte mit einer 
jo fehmerzlichen Betonung, daß der Indianer * 


forſchend anſah. 


„Ja, Miko, wenn a Sr damals ie jo troßig | 


von Euch gewiefen hättet, und ich fein ſolcher Narr 
geweſen wäre, eines Mädchens — Alles auf das 
Spiel zu ſetzen — — Ja, Miko, ich meinte es gut. 
Wir hätten ein glückliches Leben führen Fönnen. Wir 


PZ * 











Pi a ee en en * 


— — 


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‚hätten eine hertliche Golonie gegründet, fein Feind in 
der Welt hätte und etwas anhaben dürfen. Es war 
ein fehöner Traum.“ i | 

Der alte Mann ſchwieg noch immer. „Wie fommt 
es,“ fragte er endlich mit fichtlichem Widerftreben, 
„daß Der, auf den der große Vater der Weißen einen ' 
Preis von ſo vielen Dollars gefegt hat, fich num in 
ihren Wigwams fehen laßt 
„Erinnert Ihr Euch, Miko, jenes Morgens, als 
ich Euch im Council-Wigwam fagte, Kafitte würde 
Euch vertheidigen? Ihr braucht Euch nicht zu fürch— 
ten? Mifo, hättet Ihr damals auf meine Stimme 
gehört, wäre Alles beffer gewefen. Schon damals 
war der Plan reif, der mich mit der Welt verfühnen 
follte. Hilft nun aber Alles’ nichts. « 

„Und der Häuptling der Salzſee ift ein Freund der 
Meißen?“ fragte der Indianer. 

„Sp wie man Freund jeyn Tann,“ verjeßte Der 
Seeräuber bitter lachend, „wenn man einen Dienft 
erwieſen hat, der zu groß ift, um bezahlt zu werden. 
Sie haben mir gnädigft erlaubt, ihre Kanonen zu 
bedienen, und mich der Gefahr, verftünmtelt "oder 
todtgefchoflen zu werden, fo an die fieben Stunden 


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bloß zu ſtellen; dafür habe ich nun eine Art Pardon 
und die huldreiche Weiſung, mich ſo Ion: - 
nen zu paden, als möglich.“ k 





Die Rolle, die der Seeräuber geſpielt, iſt ER 3 


fannt, um einer Erläuterung zu bedürfen. Weniger 
bekannt dürfte es jedoch ſeyn, daß die Geſinnungen 
dieſes ſeltſamen Abenteurers wirklich mit den hier ge— 
äußerten übereinſtimmten. 

„Und der Häuptling der Salzſee iſt zu den Wein 
gegangen, um mit ihnen den Tomahamf gegen bie 
Söhne’ des Vaters der Canadas zu erheben? fragte 
der Indianer gefpannt. 

„Ich komme fo eben von der Affaire herauf. Die 
Weißen haben einen glänzenden Sieg davon getragen. « 

„Und er bat die große Schlacht der Meißen mit- 
geichlagen?“ fragte der Indianer beinahe ängftlich. 

„Ja,“ eriwiederte der Seeräuber mit demſelben ver: 


zweifelt bittern Hohnlachen, „und dafür hat er die 
Erlaubniß erhalten oder vielmehr den guten Rath, 


das Land fo bald als möglich zu räumen.“ 

Der Indianer, der feine Gefühle bisher gewaltſam 
unterdrückt Hatte, war num nicht länger im Stande, 
dem furchtbaren Kampfe, der in feinem Innern tobte, 








260 ⸗⸗ 


zu gebieten. Seine Bruft bob fih, als drohte es 


ihn zu erſticken. Seine Augen rollten, als wären fie . 


von einem innern Feinde im Kreiſe getrieben. Seine 
Hände auf fein Geftcht fehlagend, ftöhnte er Yaut und 
fiel dann bewußtlos über den Sarg hin. 

„Miko!“ jchrie der Seeräuber, der herbei fprang 
und den bewegungslofen Mann wieder aufrichtete. 
„Miko, was iſt dieß?“ | 

Der alte Mann blickte ftier um fich her. „Geiſter 
meiner Deonees! Geift meiner Tochter! ich habe Euch 
Süuhnopfer bringen wollen; der Dieb hat Euch und 
mich betrogen. Nein!“ rief er ſchmerzlich, „die Weißen 
haben mich betrogen.“ 

„Häuptling!“ ſprach der Wirth auf den gedeckten 
Tiſch weiſend, „eßt und. trinkt, und ſchlagt Euch das 
Uebrige aus dem Sinne. Trinkt! je mehr, deſto 
beffer, es gebt auf Koften der Regierung. u 

Der Indianer nahm das dargebotene Glas an, 
trank e8 aus umd bedeutete dem Wirth, es wieder zu 
füllen. Wieder ftürzte er es hinab und wieder wurde e8 
gefüllt. Er wiederholte den Zug ein drittes, ein vier- 
tes, fünftes und fechstes Mal und anf dann bewußt⸗ 
los am Boden hin. 






Ift doch bei alle dem * 
ſprach Benito. — Sn Si 

„Ein König wilft Du fügen, ſprach de 
räuber ernft. „Gin Legitimer mit fo edlem 2 J 
als je in den Adern Eines gefloſſen. Bean Duden | 
hunderttaufendften Theil feiner Leiden e ‘ 
teft, wäreft Du längſt im Tollhauſe — ober. — 
Galgen vermodert.“ Er ſah auf den 
verſchränkten Armen herab. „Schaffe ihn n 
Schmerzlichite fteht ihm noch bevor." 2 "u 

„Doch horch, was iſt das? Neun Eh von 
einem Dampfſchiſſe. Ein neunmaliges Hurrah. Der 
General en Chef iſt angekommen. Gute Nacht, Milo, 
morgen wirft Du mehr hören. “ uut 








w 





ERBEN Kapites a 


Geht ins Gericht Mr nal J 
Sünder ſind wir Alle. Fake 
Sha bea e.. 5. 
rt 
Das Rollen der Trommeln — RR 
den Morgen das Zufammentreten der Dam 
als die Indianer durch die dichten Reiben der Milizen 


Y 
% 











€ 
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dem Gafthofe zu geführt wurde, wo der Obergeneral 


fein Abfteigequartier genommen; hatte Im Corridor, 


der zu dem Saale führte, den wir bereit’ jo ‚vielen 


Beftimmungen gewidmet geſehen haben, ftand ein 


sahlreiches Offiziers-Corps in glänzend reichen Uni- i 
formen, welches die fo eben aus dem Saale fommenden 
brittiſchen Offiziere freundlich begrüßte. „Die India⸗ 
ner,“ rief eine Stimme, ** vor!“ Sie tra⸗ 
ten ein. 35, 

Sp eben erhob fich ein langer, a aber kraft⸗ 
voll gebauter, ältlicher Mann von einem Armfeffel, 
auf defien einer Lehne ſich ein Kiffen befand, auf dem 
fein linker, in einer Schlinge: getragener Arm geruht 
hatte. Seine Züge waren feharf gezeichnet, ſtark her— 
vortretend und deuteten auf fejte, unerſchütterliche 
Kühe. Das fühne blaue Auge, in tiefen Augenhöhlen 
funfelnd, verrieth ein Feuer, das weder Alter noch 
körperliche Leiden geſchwächt hatten. Sein Gang war 
langſam, aber würdevoll. Er trug die Generals- 


- uniform des höchſten Grades in den Staaten, unter 
einem braunen Ueberrocke. Säbel und Federhullagen 


auf einem Seitentiſche. Sein ſcharfer Blick fiel, als 
die Indianer eintraten, auf jeden — mit einem 


* 


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Lo» TURN a te —— RR —— rn 
Det, — 
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Ausdrucke, der die Wilden durthhuſchauen fin. — 
Nach einer Eurzen Baufe ließ er ſich wieder auf den | 
Armſeſſel nieder und nickte den in zu 
nehmen. sa 
„Tokeah!“ ſprach der Major Gopelanb: ‚She 
fteht vor dem kommandirenden General, dem großen 
Krieger, der ie Muscogees und die Söh de 
Vaters der Canadas in vielen und‘ — Shiahen 
geſchlagen hat, dem Bevollmächtigten des PF 
Vaters der rothen Männer.“ Ä 
Die Indianer fahen nach diefer eiwas ——* 
aber hier ganz zweckmäßigen Aufführung den General 
betroffen an; und ihr Haupt neigend, ſtreckten die 
Palmen ihrer Hände vor. 
„Tokeah, der letzte Miko der Oconees,“ A va 
Diefer, „iſt mit feinem Sohne er Sol, dem mia J F 
gen Häuptlinge, der Cumanchees ‚gefommen, ihre 1 
Hände in Frieden und Freundſchaft ausg ſtreckt.“ 
„Tokeah, Miko der Oconees!“/ wiederholte det 
General kopfſchüttelnd. „Wir Haben Vieles, m zu 
Biete bon diefem Tokeah ae Und dieſer junge 
Mann hier?“ u — e 
„It EI Sol, der junge Häuptling der Cumanchees— un 























—) 273 — 


Der General jah den jungen Mann mit einem sinn? 
weniger mißtrauifchen Blicke an. Ä 

„Sagt dem Häuptlinge, er ſey willfommen i in den 
MWigwams feiner weißen Brüder. 

Nachdem der Miko diefes verdolmetjcht hatte, fegte 
der junge: Cumanchee feine Nechte an die Bruft und 
neigte ſein Haupt. 

Beide Häuptlinge bewieſen viel Ruhe ‚und ſelbſt 
Anftand in ihrer Haltung. Sie verzogen Feine Miene, 
und ihre Augen in achtungssoller Aufmerkffamfeit auf 
den ‚General gerichtet, warteten fie auf Die weitere 
Einleitung des fogenannten Talks oder der Zufammen- 
funft. Der, General feinerfeits fehlen den Wilden 
volle Gelegenheit geben zu wollen, ſich ganz in ihrer 
ſententiöſen Manier auszufprechen. 

na Tokeah,“ ſprach er nach einer Paufe, wäh— 
vend welcher er inne gehalten hatte, um den Indianern 
Zeit zugeben, ſich zu faffen. „Wir haben von Euch) 
gehört, aber wir wollen das Gefchehene in dem Strom 
der Vergefienheit begraben.“ 

»Der Miko würde von den Weißen ferne, olhlichen 
J ſeyn;“ ſprach der Indianer. „Er weiß, daß er ein 

Dorn in Ihren Augen iſt. Er iſt von Ihnen auf 
Der Legitime. III. 18 


— m 


ſeinem Pfade aufgehalten worben, ben et geganı ä 
um das Gebot ded großen: Geiſtes z u erfüttn.u* € 
deutete auf den Sarg, den er rn * — 
men hatte. 
Der General ſchůttelte wieber hot haue un 1 
ſollte Tofeah nicht fo tief hinab nad Alabama 
gangen feyn; der Oconee und das heilige Feld⸗ 
Muscogees ſind weit von letzterem.“ * 
Der alte Häuptling ſah den General Betroffen: an. 
„Tokeah! Tokeah!“ ſprach Diefer. „Es mag —* 
gehen für dießmal. Aber ſo ſchlau Ihr auch Gure 
Anſchläge macht, wir blicken fie durch / 
„Tokeah hat die Fußſtapfen der Mo ſins auf 
ſeinem Wege gefehen; er wußte, daß feine Feinde dem J 
großen Vater in die Ohren flüſtern würden; er mußte : 
noch zu feinem Volke fprechen. Wenn mein Bater 
den Talk Tokeahs gehört hätte, würde er feine Stirn 
nicht’ rungen. Der Miko wird jetzt dahin gehen, mo 
ihn die Weißen nichtmehr fehen werden. Die Aerte 
der weißen Männer machen einen ‚großen u in \ 
den Ohren Tokeahs ⸗ —1 
„Weiß der große Pater von dieſem?“ TR der 4 
General. 














— 5 — 


Die Männer der Dconees Haben feit fieben Som⸗ 
mern auf den Jagdgründen der Mexicos gewohnt. 
Sie wollen wieder zurüd, wohin die Pflugſchar und 
die Haden der Weißen ihnen nicht folgen werden.⸗ 

„Und der alte Tokeah hat das gute Land ſeiner 


Däter verlaſſen, und iſt in ein ſchlechtes gezogen, wo 


ihm die Mufcheln und Schalen die Füße ierj@neihen 
werden?“ 

„Wenn die rothen Männer ein ſchönes Weib Haben, 
das für ſie nicht Eochen und ihre Jagdhemde machen 


will, jo fenden fie es zurück zu ihrem Vater, und 


nehmen ein haͤßliches Weib, das thut, was ſie brau⸗ 
chen. Tokeah hat im Lande ſeiner Väter gelebt, und 
unter den Weißen mit ſeinem Volke. Wenn ihre 
Pferde und ihr Vieh über ihre Grenzen gingen, durfte 
er nicht gehen, um ſie einzufangen, und wenn er es 
that, fo warfen fie ihn in ein finſteres Wigwam oder 


ſchoßen auf ihn aus ihren Feuergewehren; aber wenn 


das Vieh der rothen Männer über die Grenzen der 
Weißen ging, ſo nahmen ſie es, und wenn die rothen 
Männer zürnten, nahmen ſie auch ihr Leben Dazu, 
Tokeah Eonnte nicht mehr unter. ſolchen Menſchen 


leben. « 
18* 


a RE ET EINE Se VOR TER ER E 





Hweben 4 fragte der General, 3 die rot 
ner nicht auch böſe Brüder ·· 
„Die rothen Männer ſtrafen oe — 
fuhr der Indianer grollend fort — mund fie treiben F 
ſie in die Wildniß; — aber die weißen Männer thei- | 
len das bon den rothen Geftohlene. Es ift weit zum 
großen Vater, und er hört nicht das Aufen feiner 
rothen Kinder, und die Zunge feiner Boten *) iſt fehr 
gekrümmt. Tokeah will deßwegen gehen, wo er die 
Weißen nimmer. ſehen wird.” AN 
„Das heißt zu den Cumanchees, um mit * die 
Kette zu ergänzen, die ſein unruhiger Geiſt mit ſeinen 
Brüdern und und zerriſſen hat?“ verſehte der Ge⸗ 
neral, der, weit entfernt durch die grollend werdende 
Sprache des Indianers beleidigt zu werden, fortfuhr: 
„Es ift fein Zweifel, daß bie rothen Männer in ge- 
wiſſen Punkten son ung gefitten haben; aber fie Ha- 
ben nicht mehr von und ald wir von ihnen erduldet. 
Doch wir wollen und können ums hiefüber nicht in N 
Brörterungen einlaffen. Nur follte Tokeah einfehen, f 
daß wir die Stärkeren — und Herren des Landes find. 
Mir fonnten Tokeah fein Land nehmen; denn es war 





BR, ® 


5° 








*) Agenten der Vereinigten Staaten. 


uns durch das Recht des Krieges verfallen. Wir 
haben es ihm abgefauft, ihn als freien Mann, als 
Bruder behandelt.“ 

» Der große Geiſt,“ ſprach der Indianer, 

„hat ſehr große Spinnen in dem Lande gemacht, wo 
der Miko lebte, und eine derſelben tödtet einen kleinen 
Bogel: Diefe Spinnen ſagten zu den Vögeln: „Seht, 
wir wollen Euch allein und in Frieden Iafien, und 
nicht mit Euch brechen; aber Ihr dürft auch nicht un- 
fere Netze zerreißen.“ Die armen Vögel blieben in 
ihren Neftern, und faßen da für eine lange Weile. 
Hunger trieb fie endlich heraus; als fie aber auf- 
fliegen wollten, fanden ſich ale Wälder mit den Neben 
der Spinnen überzogen, und die armen Vögel fielen 
in die Schlingen, und wurden von den giftigen Spin= 
nen aufgefreſſen, und ihr Blut ausgefaugt, und fie 
mußten eines langſamen Todes ſterben. Die rothen 
Männer ſind die armen Vögel, die Weißen die 
Spinnen. Ihrer Stämme waren viele. Sie ſind 
verſchwunden vom Angeſichte der Erde. Sie ftarben, 
Viele durch die langen Meffer der Weißen, noch mehr 
aber durch ihre Lift und ihr Feuerwaſſer. T oleah 
will weit von m gehen.” 








8 


¶ Das mögt Spethun, — beſten dün 

werden Euch keine Hinderniſſe in den — 
geofe Geiſt,“ fuhr der Indianer fort, „bat 
den endloſen Strom rinnen gemacht, von wo der 
Schnee fällt, gegen das Land zu, wo die Sonne Heiß 4 } 
ſcheint. Er hat den rothen und weißen Männern 
ueberfluß an Land gegeben, aber die weißen,“ fuhr 4— 
er klagend fort, find nie zufrieden, fie greifen immer 
weiter, und ſtrecken ihre Hand aus nach dem, wasden 
sothen Männern gehört, und nehmen jeden Sommer — 
mehr von dem Lande Dieſer.“ 

„Die Weißen haben das Land der rothen ii 
gekauft; es ift deßhalb ihr rechtmäßiges — u 
verfeßte der General. h 

„Sie haben die rothen Männer mit Feuerwaſſer 
betrunken gemacht, und fie dann um ihr Land bes 
trogen,“ entgegnete der ftarrfinnige Indianer. 

„Tokeah,“ ſprach der General mit jener Ruhe, die 
den Indianer, eben weil er fie zu einem gewiſſen 
Grade beſitzt, am ſchnellſten aus feiner Faſſung bringt, 
„der große Geift hat die Erde für die weißen umd 
rothen Männer gemacht, daß fie fie pflügen und be- 
bauen, und von ihren Früchten leben mögen; er hat 






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J 


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* 


No — 


ſie aber nit zu einem Jagdgrunde gemacht, daß einige 
Hundert rothe Männer im faulen Dafeyn einen Raum 
einnehmen, auf dem Millionen glücklich leben und 
gedeihen fönnen. Wenn Ihr die Ländereien, die Ihr 
noch habt, und die noch immer ſo groß ſind, wie 
manches Königreich der alten Welt, wo mehrere Mil⸗ 
lionen glücklich leben und gedeihen können; wenn Ihr. 
diefe Ländereien beurbaren wollt, jo könnt Ihr reis 
cher, glücklicher feyn, als irgend eine gleiche Anzahl 
Bürger der vereinten Staaten; ‚wenn Ihr Häuptlinge 
aber das Geld, das Ihr von ung als. Sahresgehalte 
für Euer abgetretened Land erhaltet, unter Euch ver= 
theikt und Eurem Volke höchſtens ein paar Dollars 
zum Vertrinken hinwerft — dann aber fie Darben 
laſſet; — wenn Ihr fie jo — ftatt Euch ihrer anzu= 
nehmen, und unfere menjchenfreundlihen Bemühun- 
gen, fie der Gultur zu gewinnen, zu unterftügen — 
zum Auswurfe herabwürdigt, und fie zwingt, an 
den Thüren unferer Bürger ihr Brod zu betteln, und 
fih in unferem Straßenkothe herumzuwälzen: dann 
müßt Ihr es diefen Bürgern nicht verargen, wenn 
ſie folcher Geſellſchaft überdrüffig werden. Ich kenne 
Euch, Häuptlinge; Ihr ſeyd ſolche Blutfauger der 





”= 3% 
— 
Eurigen, als es der — * ber alten R e 
Welt nur ſeyn kann.“ | “ i — 
„Tokeah hat die Dollars mit Süßen 
erwiederte der Indianer. 
ZIch kenne auch Cuch, Toten, ini hab/ die he⸗ 
naueſten ndigungen eingezogen.“ Doch On 
Euch * Alter ,“ fuhr der General fort: „Was 
thun wohl die Creeks oder, wie Ihr Euch nennt, die 
Miuscogees, wenn ihnen ein rother Späher der Ehe 
rofees in die Hand fällt, der während fie mit Diefen 
in Srieden Ieben, zu den Choctaws eilt, um den ſechs 
Nationen in die Ohren zu flüftern, die Tomahawks 
zu erheben, und über die Muscogees —— ſo 
wie der Panther über das Rind herfällt/ ⸗/ 
Der Indianer ſchwieg betroffen: r 
„Sie nehmen‘ feinen Skalp. Nicht wahr? Pr 
Tofenh damals mit rache- und wuthſchnaubendem 
Herzen hinauf zu den Shawneeſe ging, da wurde ihm 
ſein Land von ſeinem eigenen Volke verkauft, das 
müde war, ſeinen ewigen Unruheſtiftereien länger 
Vorſchub zu leiſten, und den unverſöhnlichen Häuptling 
aus ihrer Mitte weg wollte. Wir fonnten Euch als 
Spion, als Aufwiegler, den Prozeß machen, und 






* 


NY; gr 4 er Haan 











281 
Eure eigenen Männer würden Eure Henker geworden 
feyn. Wir thaten es nicht. Wir benahmen Euch die 
Gelegenheit, fürder fchadlich zu werden, und ließen 
Euch gehen. Wenn Ihr das Geld wegftießt, das Euch 
für das Land bezahlt wurde, war. es Euer Fehler; 
für das, was Ihr damals thatet, hattet Ihr den Tod 
verdient. Das Schickſal der rothen Männer,“ fuhr 
der General würdevoll fort, „iſt hart in vieler Hinſicht, 
aber es iſt nicht unvermeidlich; die Barbarei muß 
im Kampfe mit der Aufklärung immer weichen, ſo 
wie die Nacht dem Tage weicht; aber Ihr habt die 
Mittel in der Hand, an dieſe Aufklärung Euch anzu— 
fchließen und in unfer bürgerliches Leben einzutreten. 
Wollt Ihr diefes jedoch nicht, und zieht Ihr vor, ſtatt 
genchteter Bürger wilde Legitime zu feyn, fo müßt 
Ir mit dem Schickſale nicht hadern, das Euch wie 
Spielwerkzeuge wegwirft, nachdem Ihr Eure nächt- 
liche Bahn durchlaufen ſeyd.“ | 
Die Wahrheit der eindringenden und and Erha- 
bene grenzenden Sprache des Generald hatte den 
Indianer plöglich zum Schweigen gebracht. 
„Tokeah,“ hob der General wieder nach einer langen 
Baufe an, „wir haben, wie gefagt, nichts gegen Euren 





Entſchluß, zu gehen, und ich * die notthigen Befele 
in meiner Militärdiviſion hinterlaſſen, daß 
Offiziere Euch ungehindert ziehen laſſen. Ehe dieſes 
jedoch geſchieht, müßt Ihr una noch über Einen Punkt 
Aufklärung geben. Eure verfehiedenen Stämme find 
zwar von und gewiffermaßen als Völker betrachtet, 
in deren innere Angelegenheiten wir ung nicht mengen, 
und denen wir felbft das Necht laſſen, unter einander 
Krieg zu führen, aber unjere obervormundjchaftliche 
Bergünftigung dehnt fich nicht fo meit aus, Euch) das 
Recht zu geben, über unfere friedlichen Mitbürger 
berzufallen, und Euch unfere Kinder zugueignen, 
nachdem Ihr ihre Eltern graufam gemordet.« 

Der alte Mann borchte hoch, auf. 

„Tokeah hat die Tochter eines weißen Vaters und 
einer weißen Mutter zu und gebracht. Er hat fie als 
fein Kind betrachtet. Wie ift er zu der jungen Dame 
gefommen, die er die weiße Roſe vn fragte der 
General. en — 

Der Indianer fuhr plötzlich auf. Er ſah bald den 
General, bald den Squire Copeland an. Sein Mund 
zuckte, und nachdem: er EI Sol etwas in die Ohren 
geflüftert hatte, erwiederte er: ee 





Die weiße Rofe ift die Tochter des Miko. Er hat 
viele Biber- und Bärenfelle für fie gegeben. Sie mar 
feine Tochter, bald nachdem * das Licht der Welt er⸗ 
blickte.“ 

„Wie kam ſie aber in Eure Hände?“ fragte der 
General nochmals. 

„Tokeah hat ſie den rothen Männern der Choctaws 
der ſechs Dörfer, die am endloſen Fluſſe wohnen, 
abgenommen. Wäre fein Arm nicht gewefen, fo wäre 
ihr Gehirn ſchon viele Sommer an dem Baume ver⸗ 
trocknet, an den ſie die Hand eines Bi ſchmet⸗ 
tern wollte.“ 

„Auch dieß beantwortet nicht die Frage,“ entgeg⸗ 
nete der General. „Wie kam die junge Dame aber 
in Eure Gewalt?“ 

„Der große Bater,u verſetzte der Indianer aus— 
weichend, what eine große Schlacht gewonnen, in der 
feiner Feinde Viele geblieben find. Gehören die Beute 
und die Gefangenen nicht ihm und den Seinigen?« 

„Ich will Euch fpäter auf die Frage antivorten,« 
bedeutete ihm der General. „Die junge Dame ift 
die Tochter weißer Eltern — Fein Chortam — Tokeah!⸗ 


NT N ER 
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ee * er — 
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— Er 





ſprach der General drnft —— 
hiemit auf, mir reine Wahrheit zu fagen. u 

Des Häuptling Augen begegneten dem durchboh⸗ 
venden Blick des Generald, waren aber np 
Stande, diefen auszuhalten. —— 

„Der große Vater ift gerecht,“ ſprach er, „er wird) 
dem alten Tofeah nicht die Blume rauben, die er viele 
Sommer gewartet und die die einzige Freude feiner 
Augen ift, die fein gehört und — 4 er ſprach *8 
tern Worte leiſe und mit hohler Stimme. 

„Euch ſoll Recht widerfahren,“ ſprach der Ge— 
neral; „aber zuerſt müßt Ihr Eure —— auf 
dieſe junge Dame erweiſen. u 
„Tokeah beſitzt die weiße Roſe vierzehn Sommer,“ 
antwortete der Indianer etwas zuverfichtlich; wer hat 
fie aus den Händen der Muscogees geretlet, als Diefe 
fie an einen Baumftamm fchleudern wollten. « 

„Fahrt fort," fprach der General. 

„Tokeah will reden und fein großer Vater wird 
hören. Vierzehn Sommer und Winter find verfloffen, 
feit der Mifo der Oconees mit feinem Volke bie 30% 
mahamfs gegen die Choctaws der ſechs Dörfer er- 
hoben. Sein Herz war mit den Choctaws; allein 





5 a 


die —* wollten das Ariegsgeſchrei erheben, 
und er zog gegen die ſechs Nationen. Es war in der 
zehnten Nacht, ſeit der Tomahawk ausgegraben war, 
daß der Miko in der Nähe: des oberften Dorfes feiner 
Feinde lag, der Stunde martend, wo feine Veinde 
ſchlafen würden, als auf einmal feine Ohren den 
Kriegsruf der Seinigen, die zu ſpähen ausgegangen 
waren, hörten. Er flog den Seinigen zu; aber ehe 
er ankam, hatten ſie hre Feinde bereits in die Flucht 
gejagt und er kam gerade, um zu ſehen, wie ſie den 
Gefangenen die Skalpe abzogen. Es waren vier 
weiße Männer und drei ‚Weiber darunter. Eines 
dieſer Weiber war jehr zart und fehr jung, und hatte 
die weiße Roſe in ihren Armen, die fie noch fefthielt, 
als ihr Kopf bereit3 gefpalten war. Der Mifo war 
zu fpät gekommen, um dem zarten Weibe das Leben 
zu retten; aber er hörte das Wimmern des Kindes, 
als der Bater Mi⸗li⸗machs es an einen Baum ſchleu⸗ 
dern wollte, und er riß es ihm aus den Händen und 
brachte es zu dem weißen Zwiſchenhändler,“ bei die⸗ 
fen Worten ſah er den Squire Copeland an, „und 
er gab viele Felle für die Milch, die ſein Weib der 
weißen Roſe gab. Der Miko,“ fuhr er fort, „hat 


Er A RE NEN F RE Fa u, rt 
a ee N an augen 





nr. 7 ⸗·⸗· 

noch Alles, was * * als er e on 
rettete.” ⸗ oe 2x 
Der General blickte bei dieſen Worten den Inbianer 2 
feharf an, der ſtockte und inne hielt. a 

„Tokeah mug Alles, was er. von feinem Pflege- 
Tinde hat, vorzeigen,“ bedeutete ihm der General; 
„ed ift wichtig und unerläßlich, um n der Wahrheit auf 





den Grund zu kommen.“ mb 
Der Alte winkte jofort einem der Diners, der 
fehnell den Saal verließ. * 


Während-der Pauſe, die nun eintrat, ‚näherte ſich 
ein Sremder dem General und handigte ihm ein Pa— 
pier ein, das Diefer aufmerkfam las und dann auf 
das neben dem Armſeſſel ftehende Seitentifehchen legte. 

Der Oconee war mit dem Bündel gelommen, und 
der General übergab e8 dem ie. ” Squire 
Gopeland. \ R —— Pe 

„Da ift die Kette,“ rief Diefer;iei ein golbenes Kett⸗ 
chen von der bekannten feinen merikaniſchen Arbeit 
vorzeigend, „und dad Medaillen iſt noch datau ⸗ 
mit den Buchſtaben I. C. Ru 

„Das nämliche,“ bemerkte der Fremde, „das J 
dene in dem Afftdavit befehrieben finden werden. 

















—d 87 06 
Der Tauf- und Familiennamen des Kindes. Die 
Kleidung konnte nicht fo genau befchrieben werden, 
da der Bater bei der Jammerſcene nicht zugegen war, 
und die Diener, männliche — * als weibliche, um⸗ 
kamen.“ 

Die Kleidung des Kindes war ziemlich gealtet, 
Die Brüffeler Spigen an dem Hemdchen waren gelb 
geworden, das Pelzchen war ganz zernagt, auch das 
Uebrige war verlegen und morſch. 

Der Indianer hat zwar das Kind auf eine Weife 
in ſeine Gewalt befommen, die, jo fchrecklich fte auch 
ſeyn mag, feine Rechte gewiffermaßen nach unfern 
Gefegen begründet, natürlich fo Lange der Vater feine 
Anfprüche nicht geltend macht, jedoch nach diefen Be- 
weiſen zu jehließen, kann fein Zweifel mehr obwal- 
Ien, dapıdie junge Dame, die weiße Roſe genannt, 
eine und dieſelbe mit dem in diefem Papiere angege- 
benen Kinde fey, und daß ſie ihrem Vater zurückge⸗ 
geben werden müſſe, ſobald er ſie anſpricht, und ſo— 
bald er die Forderungen des Indianers für Verköſti⸗ 


gung und Pflege befriedigt hat.“ 


„Kein Zweifel, Euer Excellenz,“ erwiederte der 
Fremde, „und der ſehr edle Vater der jungen Dame, 





28 


| deffen Gefchäftsführer in Veracruz ich ſeyn 
Ehre habe, wird gerne zehnfach vergelten, u 





nach fo langem Jammer und Suchen wieder zum Be⸗ 


fie feines einziggeliebten Kindes verhelfen kann. Ich 

habe Vollmacht ſchon feit dreizehn Jahren in dieſer 

Hinſicht.“ Er wies eine zweite Schrift vor. — } 
Die Teilnahme der Anwefenden an: dem Schid- 


fale des interefjanten Kindes fing num an, ſich laut 
auszuſprechen; die Meinng der ſämmtlichen, im 


Saale befindlichen Offiziere, worunter auch mehrere 


angeſehene Rechtsgelehrte und Staatsbeamte waren, 
ging dahin, daß unter obwaltenden Umſtänden das 


Kind nicht wieder den Wilden ausgeliefert werden, 
ſondern einſtweilen in der Obhut des Major Cope⸗ 
land oder Oberſten Barfer verbleiben jolle, bis die 
Anfprüche dee Indianer auf ——— aus⸗ 
geglichen ſeyen. 
Dieſe waren in einer Spannung geftanben,, die 
jeden Augenblick heftiger wurde und gegen ihre ſon⸗ 
ſtige Apathie ſehr kontraſtirte. Sie ſchienen ſo viel 


verſtanden zu haben, daß es ſich um Roſa Handle; & 
da fie aber von der Unterhaltung der Anweſenden 


wenig oder nicht3 verftanden, vwerrieth ſich ihre Un— 


F 




















* —d 289 a 


gewißheit nur in einer fieberifchen Unruhe, die be= 
fonderd am alten Manne auffiel. 

„KLokeah,“ ſprach der General, „Ihr feyd hiemit 
entlaſſen — Eure Pflegetochter bleibt vorläufig hier. 
Es fteht Euch jedoch frei, Eure Rechte auf fie und 
vorzüglich auf Entſchädigung für die an fie gewandte 
Pflege bei unfern Gerichten geltend zu machen. Bis 
dahin bleibt fie in der Obhut, Die ihr von dieſen be— 
ftimmt werden wird. « | 

Der Indiane:, der von der Rede des Generals 
nichts begriff, langte mach dem Päckchen. 

„Wie gefagt, das bleibt hier,“ bedeutete ihm der 
General nochmals. „Ihr jeht hier mehrere Rechts— 
gelehrte, die Alle der Meinung find, daß die Tochter 
ihrem Vater wiedergegeben werden folle. « 

„Die weißen Männer find gerecht;“ vief der In- 
dianer, „die Zunge des großen Vaters ſpricht wie 
die Zunge eines großen Kriegers.“ 

„Ihr ſeyd übrigens frei,“ ſchloß der General, 
„Eure Schritte zu thun, und ſo lange Ihr hier zu 
verweilen gedenkt, wird für Euch geſorgt werden,“ 

Er winfte nun den Indianern ihre Entlafjung ; m 

Der Legitime. MM. 19 


En NN 







a Dieſe entfernten fih, nachdem je ihm auf die 
gewöhnliche Weife ihre Ehrfurcht: bezeigt Hatten. 
„Nun babe ich Eurem Willen fo recht: getfamdu — — N 
fragte der General unfern — De 7 j 
"Das habt Ihr;«“ verft cherte ihn * 
ſegne Euch dafür.“ 
„Eure Zufriedenheit iſt mir viel werth;⸗ nnd 
der General, der fich wieder niederließ und einige 
Depeſchen unterzeichnete, die er einem feiner Adju · 
tanten reichte. „Und nun gibt es noch etwas?“ fragte 
er lächelnd. — | 
„Ihr wißt, die Bürger find — en bre ° 
Achtung zu bezeugen, und warten nut auf um. 
das Manveubre zu beginnen; dann —8— —* liches 
Gaſtmahl und Ball. a 
„Ich bitte End, verfehont ER in der Ge 
neral: Sch denke, wir De der Mandeuvres q ge 4 
nug.“ — 1 
„Für dießmal können wir es Euch nt ht. erfafen,“ 
ſprach der Squire, „außer Ihr verſagt ie, Er ſah J \ 
ihm bei dieſen Worten forfehend an. % 2 —A 3 
Der General zeigte auf feinen zerfihmekte ı Arm. 
‚ »Ölaubt mir, wenn man zwei voth Blei 













— 


—$ 291 & 


ſtecken hat, dann ift es wahrlich nicht Zeit, an Ma— 


noeuvres, Bälle und Gaftmahle zu denken.“ 

„Die Bürger werben es kaum glauben, daß Ihr 
diefer Wunde halber verfagtet. Sie werden e8 einer 
andern zujchreiben. « 

Der General fah den Sprecher betroffen an. 

„Thut wie Ihr wollt,“ fuhr Diefer Leife fort. 


„Eines laßt Euch jedoch jagen. Der Volksſouverain 


ift im: feiner Etikette der Eiglichfte, den es gibt, das 
wißt Ihr. Ihr habt große Dinge gethan; aber das 
Größte, was Euch mehr Achtung, als Eure Siege 


erwarb, ift, daß Ihr gutwillig Euren Nacken beugtet 


und; Eure Strafe wie ein Mann aushieltet.u ⸗ 
„Hang Euch,“ entgegnete der General lachend. 
„Die Ereolen, an denen mir nichts gelegen ift, haben 
mir Bälle gegeben und mich befranzt, und. die Unfti= 
gen, für die ich mein Blut vergoß und mir einen ſie— 
chen Körper holte, laſſen mich zum Danfe zweitau⸗ 
jend Dollars Strafe bezahlen, und hätte ich das Geld 
nicht, ſo ſäße ich vielleicht im Loche. Auch re — 


‚wollten die Creolen bezahlen.“ 


„Ihr thatet wohl, daß Ihr ſie nicht zahlen — | | 
flüfterte ihm der Squire zu. „Uebrigens, General, 
* 19* 





Mm ie ®. 






nehmt mir es nicht Übel. Aber es mar ein wenig z 
viel Eifer und heißes Blut in Euch, eine kleine N b 
kühlung kann nicht ſchaden. Nun aber, da Alles gut 
abgelaufen ift, ſeyd Ihr unfer, Mann. Wollt Ihr 
bleiben und unſre Achtungsbezeugungen annehmen 
— die, Ihr wißt e8, wir eben nicht jehr freigebig 
verfehwenden — oder nicht ?« 

„Sch bleibe,“ ſprach der General, dem Squire die 
Hand drüdend, „obwohl Ihr ein wahres Toryneſt 
hier habt, und wenn ich nicht irre, das öffentliche 
Gaſtmahl in eben dem Saale gehalten werden ſoll, 
wo man mich als einen Tyrannen verdammt hat.“ 


„Alles zu feiner Zeit,“ ſprach der Squire. „Aber 
nun geſtehe ich Euch, es freut mich, daß Ihr bleibt 


und die Probe ausgehalten habt. Wäret Ihr gegan- 


gen, eben diefe Torys hätten fich ihre Haut voll ge- | 


Yacht. Nein, General, man muß feinen Feinden zu 
begegnen wifjen.« — Und mit diefen Worten drück— 
ten ftch Beide nochmals die Sand und der Squire 
entfernte fih. „Doch, Holla,“ rief er, nochmals zu⸗ 
rückkehrend: „Das Manoeuvre fängt doch vor einer 


Stunde noch nicht an? Ich bin ſo eben zu meiner us 


Pflegetochter berufen, die ihrem wilden Pflegevater 


* 





— 93 — . 


einen Beſuch abftatten will. Er geht — ab, hör 
ich — deſto beſſer.“ 

Und mit dieſen Worten verließ er den Saal, um 
ſich zu ſeinem Pflegekinde zu begeben, das ſo eben mit 
der Familie des Oberſten angekommen war, um das 
Manoeuvre und die darauf folgenden Feſtlichkeiten 
durch ihre Gegenwart zu verherrlichen. 


Zweiundvierzigſtes Kapitel. 


Euch zu beſuchen, iſt die Dame 
Valeria gekommen. 
Shakespeare. 


„And nun, liebes Kind,” ſprach er, „ſtehe ich Dir 
zu Dienften. Einen Vater hätteft Du nun, ‚Gott ſey 
Dank. Wollte Gott, wir könnten Daſſelbe auch von 
der Mutter ſagen. Der Wilde hat aber keine Schuld 
an ihrem Tode, und obgleih Wilder, — was Du 
nun thun wirft, ehrt Dich. Doch halt, wo ift unfer 
Midſhipman. Ah, da iſt er. Willſt Du mit, Ser- 
zendjunge, von einem alten Bekannten Abſchied zu 
nehmen?“ | 

„Und ein gejcheidter Vater muß diefer Dein Pa 





£ 
* — 94 





auch noch feyn,“ fuhr der Squire zu Roſen gewend 
fort: „ich ſehe es ſchon daraus, daß er eine Million 
Dollars in unſern Banken niedergelegt hat. Schau, 
Junge,“ wandte er fich zum Seefadeten, „fo kommen 
fie nach und nach Alle zu und. Bisher hattet Ihr 
das meifte Vertrauen! nun aber fängt es bei Euch 
zu happern an, und fie legen ihr Geld hübſch bei ung 
nieder. Ia, aber Roſa, liebes Kind,“ wandte er ſich 
wieder zu Diefer, „ftehft Du mit dem Beitungsarlis 
fel, der Dein Eleined Herzchen fo aufgerüttelt hat, 
der ift num hinüber nach Vera-Cruz mit Madiedo 
zum Commifjär Deines Vaters gewandert, und hat 
aller Wege fein Gutes gethan. Der Wicht von Zei- 
tungsfehreiber hat zwar, ftatt reine Wahrheit ein- 
zufchenfen, ‚feine Zeitungsfloskeln fubftituirt; aber 
im Ganzen hatte er jo Unrecht nicht, obwohl Dir der 
Spaß gar nicht behagte. Aber Dir geht e8 in diefem 
Punkte noch wie gewiffen Völkern, die die liebe Preß⸗ 
freiheit auch ganz barbarifch undelifat finden. Haft 
mir aber ganz aus dem Herzen gefprochen,, liebes 
Kind, und obwohl Dein wilder Miko ein wenig ım- 
reputirlich logirt ift, fo gibt e8 doch wieder dälle, wo 

ein Befuch in einem folchen Haufe zu größerer Ehre 





3 gereicht, als im drawing room ded weißen Hauſes 
zu figen, das uns die Rothröcke verbrannt haben. 
Alfo Deine Luft, unter den Wilden zu wohnen, « 
lachte er recht Herzlich, „ift Dir fo ziemlich vergangen? 
Glaub's gerne, .mein Kind; es läßt ſich zur Noth 
auch unter ‚den Wilden leben, ſo wie von Haferku⸗ 
chen; aber beſſer iſt beſſer, und wir haben es am 
beſten. Glaub mir's, liebes Kind, wenn Du ſechs 
Monate unter uns gelebt haben wirft, und Du wür- 
deſt auf den Hof des erſten Königs verſetzt, wirſt Du 
Dich bald wieder in unſer glücklich frohes und einzig 
und allein aufgeklärtes Bürgerleben zurüdwünfchen. 
In den erften Wochen mag Dir jo Manches an und 
nicht gefallen haben; aber wir find wie das Achte, 
gejunde Noftbeef und Kernbrod; je langer man da= 
von ißt, deſto beſſer und lieblicher ſchmeckt es Sieh, 
bei Euch,“ fuhr er zum Midſhipman gewendet fort, 
„habt Ihr auch etwas unſerm freien Leben Aehn— 
liches. Bei Euch find die Lord& und Gentlemen jo 
frei wie wir; aber ‚die Uebrigen find arme Narren, 

‚ die von Freiheit reden wie der Blinde von der Farbe. 
Iſt aber natürlich bei Euch. Ihr habt das Land, 
oder vielmehr Euere und unſere Vorfahren haben 





ed von den Angelfachfen und den. alten Britteit er- 
obert, und die herrſchenden Familien haben fi in 
die beflegten armen Teufel wie in das liebe Vieh ge- 
theilt, und find noch zu dato Herren. Wir haben um- 
ſere Eroberungen von ein paar hunderttauſend In— 
dianern gemacht und mit unſerm Pfluge, und die 
Erſtern ſind verſchwunden durch eigene Schuld, 
letzte Eroberung macht und Alle, die nämlich arbei- 
ten wollen, zu unabhängigen Männern die in die 
Angelegenheiten ihres Landes mit reden können und 
ſo llen. Sieh, als ich nur noch mit den Meinigen fünf- 
zig Dollar hatte, war ich juft fo frei als jetzt, da 
ich über hunderttauſend verfügen kann. Iſt aber Alles 
ehrlich erworben, durch Feine Genieftreiche, nur auf 
gewöhnlichem Wege. u 

Und unter dem Schluß diefer Rede waren fie an 
der Thüre des Estaments zum ——— ange⸗ 
kommen. 

Sie fanden die beiden —— mit ie Ge⸗ 


fährten auf die gewöhnliche Weiſe am Boden der Gaſt⸗ 


ſtube ſitzend, in der ſie ſich allein befanden. El Sol | 
war bei ihrem Eintritte aufgeftanden und ihnen einige 
Schritte entgegen getreten; Roſen bei der Hand neh— 





mend, führte er fie zu einem Site, von dem fie jedoch 
auf den Miko zueilte und ihn kindlich umſchlang. 
Dieſer ſah ſie kalt und forſchend an. 

„Miko,“ ſprach der Squire, „Eure vorige Pflege 
tochter, Miß Rofa, ift gefommen, von Euch Abfchied 
zu nehmen, da Ihr num einmal gehen wollt, und Cuh 
zu danken für alles Gute, das Ihr ihr erzeigt habt. 
Uebrigens werdet Ihr den Preis ſelbſt beftimmen, 
der Euch als Koftenerfag für geleiftete Sorgfalt und 
Pflege gebührt. « 

„Tokeah, 4 eriwiederte der Indianer, der natürlich 
von den Worten des Squire nur wenig verftand, 
indem er zugleich einen ledernen Beutel aus feinem 
Wampumgürtel 309, „wird gerne bezahlen, was der 
weiße Häuptling fordern wird, für Speife und Tranf, 
die er der weißen Roſe gegeben hat.“ 

„Ihr ſeyd im Irrthum,“ verfeßte der Squire, „und 
Euch gebührt Bezahlung. Eigentlich hätte dieß vor 
eine Jury gehört, aber fordert, und ich ftehe Euch 
dafür, daß Alles, was billig und gerecht iſt, bezahlt 
werden wird.“ 

„Der weiße Häuptling,“ ſprach der — 
„mag nehmen, jo viel er will.“ 





29 ⸗ 


„Ich fage Euch, nicht Ihr, wir m zahlen;⸗ 
verſetzte der Squire. I: Eee 
„Hat meine Tochter von ihrem Milchvater Abſchied 
genommen?“ fragte der Indianer Roſen, die während 
der letzten Meden des Wilden ängftlich zu werben. 
ſchien. „Roſe muß nun vom Wigwam der Weißen 
ſich trennen; der Pfad iſt lang, den der Miko zu 
wandeln hat. Er ift der Weißen fehr müde.u 
„Und muß der Miko gehen?“ fragte Roſa. „O 
Vater meiner Canondah, bleibe doch; die Weißen 
werden Dich ald Bruder lieben,“ 
Der Indianer jah fie erftaunt an. „Wie,“ fuhr 
er heraus, „wie meint Roſa dieß? die Bee: Die 
giftigen Weißen, Tokeah als ihren Bruder Lieben? 
Hat die weiße Roſe? — “ Gr fah fie mißtrauiſch 
finfter an. „Die weiße Roſe,“ auf die MWollderke deu: 
tend, „wird finden, was fie braucht. Tokeah ift der ; 
Weißen fehr müde; er will gehen.“ u 
„Miko!“ Sprach fie etwas furchtfam, denn es war | 
nun Far, daß Diefer noch immer im’ Mißverftand 
über die Abftcht ihres Kummers fey, „Roſa ift ge— 
fommen, Dich zu bitten, noch einige Zeit bei den 














1299 — 


Meißen zu bleiben; aber wenn Du gehen. se fo 
will fie —“ 

„Der Miko ift der Vater feines Volkes ;u ſprach 
Dieſer, „es ruft ihn, er muß gehen, und Roſe iſt 
ſeine Tochter und die Roſe der Oconees, ſie wird die 
Roſe der Cumanchees ſeyn, die Squaw eines großen 
Häuptlings;“ ſprach der Indianer. 

Das Kind trat erröthend und halb unwillig zurück. 
„Miko,“ ſprach fie, „Du biſt der theure Vater mei— 
ner Canondah, der mein Leben gerettet und erhalten, 
ich danke Dir kindlich; aber Miko, Deine Verfügung 
kann ich, darf ich,“ ſie zitterte und trat noch einen 
Schritt zurück, „nicht annehmen. Ich gehöre nicht 
mehr Dir, ich gehöre meinem Vater, meinem lange 
beweinten Vater.“ 

„Roſa ſpricht wahr, ſie gehört ihrem Vater,“ fuhr 
der noch nicht aus ſeinem Irrthum geriſſene Miko 
fort, „die Füße meiner Tochter ſind ſchwach; aber 
ſie wird im Canoe ſitzen, bis ſie in den Wigwams 
der Pawnees ankömmt, und Fl haben der Roſſe 
viele. 4 

„Bei Gott!“ rief der Squire, „hier ift ein Irr⸗ 
thum, der Indianer gedenkt Roſen mitzunehmen. 


— N de ne a N —— z E27 
% I TR VE ILTOR ES RER 





„Herzensjunge,“ ſprach er zu dem Jünglinge, weile 
ſo ſchnell als möglich zum Oberſten Parker, und 
bringe und einen Zug Männer. Vor den langen 
Bajonneten haben fie allein Reſpekt. Roſa, liebes 
Kind, Halt inne, der Wilde fieht mir ganz wild und 
unheimlich aus,“ flüfterte er dem Mädchen zu. 
Wirklich war in dem Wilden eine eben fo plöß- 
liche, nur dem fchärfiten Auge bemerfbare Verände— 
rung vorgegangen. Es fihien, als ob auch er ahne, 
daß ihm Roſa entriſſen werden könne. Seine ſtarre, 
lebloſe, düſtere Miene war einer Unruhe gewichen, 
die den Major beſorgt werden Tief. | 
. nDie weiße Roſe,“ ſprach er nach einer Weile, ei- 
nen langen forfchenden Blick auf fie werfend, nift 
eine fromme Tochter; fie wird für ihren BR das 
MWildpret kochen.“ 2 “ 
„Gerne wollte ich dieß für den Water meiner Ca— 
nondah thun;“ ſprach fie noch immer verſchüchtert, 
„allein ein größeres Gebot ruft, theurer Vater. Va— 
ter meiner Canondah! Roſa ift gefommen, um von 
Dir Abschied zu nehmen.u ° AN 
Der Indianer horchte Hoch auf. | | 
„Ih kann Dir nicht folgen; aber mein Bater 














— 


A 
* 


301 &— 
wird Dir hundertfältig vergelten, was Du an ſeiner 
Tochter gethan haſt.“ 

„Wie meint meine Tochter dieß,“ fragte der Wilde, 
der ſie noch immer nicht ganz verſtand. 

„Miko,“ ſprach das Mädchen, „der Vater, der mir 
das Leben gegeben hat, iſt wieder gefunden. Roſa 
muß zu ihm eilen; denn er hat ſie ſeit vierzehn er 
ren beweint, gefucht. « 

„Tokeah hat Roſen das Leben gegeben; er hat fie 
dem Arme des Vaters Mislismachs entriffen, er * 
Felle für die Milch bezahlt.“ 

„Aber Roja hat noch einen andern Vater, der ihr 
näher ſteht, den ihr der große Geift gegeben, der ihr 
das Leben gegeben hat; zu Diefem muf fie gehen. 
Ih muß Dich verlafjen, Miko;“ fprach fie mit etwas 


mehr Entſchloſſenheit. 


Der Indianer jah das Mädchen mit einem Blicke 
an, in dem fich die Hölle in ihren unteriten Tiefen 
zu malen anfing. Die Schuppen waren endlich von 
feinen Augen gefallen; aber jelbft in diefem Augen- 
blicke verließ ihn feine fürchterliche Kalte nicht, ob— 
wohl ſich der entfeglihe Sturm, der num in feinem 





* — 302 — 


Innern zu toben begann, bereits graufenbaft in ei 
nem Barbenmwechfel und Dienenfpiele zeigte. 
„Miko,“ ſprach der Squire, der nicht ohne Ban⸗ 
gigkeit dieſe furchtbaren Symptome tief verſchloſſener, 
aber nun bald ausbrechender Wuth bemerkte. „Miko, 
Ihr habt gehört, was Euch der große Krieger ie 
hat?“ ». 

Der Indianer würdigte ihn Feines. Budes; —* 
ganzer Körper fing fieberiſch zu zucken an, ſeine Hand 
fuhr nach dem Schlachtmeſſer, dann ſah er wieder | 
auf Roſen mit einem Blide, jo. durchbohrend, daß 2 
der Squire entjegt an ihre Seite jprang. Zur Ver⸗ 9— 
wunderung des Majors hatte das Mädchen alle ehe 4 
Entſchloſſenheit/ ja eine Art Sopeit erlangt. 

„Miko,“ Sprach fee, „ihre Arme, aus um | 
im Begriffe auf F age — 
uſ⸗ — a: * a, | 

„Wie fpricht meine e Koltente fuhr. der Indianer Er 
auf, der noch nicht feirten Ohren zu trauen bien. 
„Tokeah ift nicht ihr Vater? - Sie will,“ und feine F 
Stimme nahm einen ſo unnatürlich pfeifenden Ton 4 
an, daß. der Fr und feine Frau fehreiend BER... 


or r.. 








AM 2 ED u En x 
1 BE A a 


—d 303 &— . 


bereinftürzten, „fie will,“ brach er endlich aus, „dem 
Miko nicht folgen?“ ‘ Ä 

„Sie kann m ;“ ſprach fie mit ungemeiner Feftig- 
feit. 

„Halt, BE ſo lieb Dir Dein Leben ift, — u 
rief der Squire, „und fieh mir in das Gefiht; in Dir 
Eocht wieder der Teufel. « 

„Meine Tochter,“ ſprach der Wilde, ohne Diefen 


einer Antwort zu würdigen, „ſagt, fie hat einen an- 
dern Vater gefunden ?“ 
* da, Vater meiner Canondah!“ flüſterte fie. 


„Und fie will bei den Weißen bleiben?“ 

' „Rofa muß.‘ u 4 \ 

„Und Rofa, “fuhr er in Genie höffgeinend 
Falten Tone fort, „will den Miko verlaſſen? Ihn 
# allein auf den weiten Pfad gehen laſſen?“ 

Und indem er diefe Worte anfcheinend auf die ru- 
higſte Weiſe ausſprach, Hatte er die Riemen des Sar- 
ges über feinen Kopf gezogen, fprang mit. einem 
Satze auf feine Beine und auf Roſen zu, und fie in 
J ſeine Arme aufraffend, ſtürzte er zurück in die Ecke 
an die Thüre de Seitengemadhs‘, daß die Scheiben 
Wa des Glasfenſters in taufend Stücke brachen. 








® _ 304 e | 
„Und glaubt die weiße Schlange, der Miko iſt ein 
Narr?“ ſchrie er mit zornfunkelnden Augen, das 
Mädchen in ſeinem linken Arme haltend, während 
der rechte das Schlachtmeffer ſchwang. 
„Miko!“ rief der junge Häuptling, der bisher 
fchweigend und theilnahmlos gefeflen, aber nun, ente 
feßt über den unbeſchreiblich furchtbaren Ausbruch 
der Wuth, aufgefprungen und dem Miko nachgeeilt 
war. | ' a 
„Und glaubt die weiße Schlange,“ rief der rafende 
Milde mit einer. pfeifend höhniſchen Stimme, und 
der Schaum ftand ihm am Mumde, „glaubt die weiße 
Schlange, der Miko habe ſie gefüttert, und Felle 
für ſie bezahlt, und ſie zur Blume gezogen für die 
Weißen, die giftigen Weißen, die er —— Er 
ſpie mit Abſcheu aus. 
„Beim allmächtigen Gott, halt! en fegb * 
des Todes, wenn dem Kinde etwas zu Leide geſchieht,“ 
rief der Squire, der einen Stuhl erfaßt, und ſich mit 
Gewalt den Weg zu ihr bahnen wollte, jedo q 
den Cumanchees und Oconees zurückgeſtoßen aim, ; 
Deßwegen wollte alſo die weiße Schlange zudem. 4 
Weißen,“ rief er: „Weiß mein Sohn, daß die vr j 


Pe 
on 
’ 


- 


* —9— 








la nt ae — — 


—H 305 — 


Roſe ihren Water verrathen, an die Weißen verra- 


then?u rief er dem Cumanchee zu. „Will die weiße 
Schlange ihrem Vater folgen?“ fehrie der ſchäumende 
Wilde. 
„Ich kann nicht;« ſprach fte, meines Vaters, mei⸗— 
nes weißen Vaters Stimme ruft.“ 
Ein Blick des tödtlichſten Haſſes durchzuckte den 
Wilden für einen Augenblick, während er das ſchöne, 
halb ohnmächtige Kind in feinen Armen hielt. 
„Tokeah will die weiße Roſe den Weißen Yaffen;* 
rief er giftig lachend, indem fein Schlachtmeſſer zuckend 
nach ihrem Bufen fuhr. * 
„Um Gotteswillen! er mordet ſie,“ ſchrie der Ma= 


jor, der nun wie raſend durch die Indianer brach; 


doch der junge Mericaner war ihm in dieſem ent— 


ſcheidenden Augenblick zuvorgekommen. Mit einem 
Satz zwiſchen die niederfahrende Hand des Wilden 


und fein Schlachtopfer ſpringend, riß er Rofen aus 


den Armen Tokeahs und ſchleuderte ihm mit zorn⸗ 







— blitzenden Augen in die Thüre hinein, daß ſte i in 
Bu Stücke flog. 


„Tokah iſt wahrhaftig eine wilde Rabe, rief er 


| it Abſcheu, „der vergißt, daß er ein Häuptling fei= 
r j Der Legitime. IIL 20 





— 306 — 


ned Volkes, ein Vater ift,; der Schande auf bi Na⸗ 
men der rothen Männer bringt. El Sol mt ſich 
eines ſolchen Vaters.“ Re 9 
Dieſe Worte, im Pawneedialekte — hat⸗ 
ten eine unbeſchreibliche Wirkung auf den Wilden. 
Er hatte ſich aufgerichtet, ſank aber wieder wie leb⸗ 
108 zufammen. EI Sol fprang zu ihm und richtete 
ihn auf. 
Die Milizen waren unterdeſſen angekommen und 
traten mit aufgepflanztem Bajonnet ein. { 
⸗Sollen wir den Indianer ing Setängnif fügren?« 
fragte Lieutenant Barker. 
- Der Major ftand noch immer ſprachlos im — 
Nachdenken ſeine beiden Arme um Roſa geſchlungen. 
„Lieutenant Parker,“ ſprach er, „nehmen Sie 
einſtweilen Roſen; der Allmächtige ſelbſt hat ſie be⸗ | 
ſchützt, und uns geziemt es nicht, Rache zu nehmen. 
Aber Tokeah!“ redete er Dieſen an⸗ — er num 
an den noch immer am Boden fiegenden er⸗ 
antrat und ihn mit beiden Händen erfaßte J an 
die Wand richtete, „Tokeah, Du haft Dein aim} 
nach unferen Gefegen verwirkt, und der Strang wäre y 
Deine gelindefte Strafe; doch gehe nun, und zwar f 






| 


1 





—) 307 — 
in diefer Stunde. Nicht und geziemt e8, an einem ſo 
entmenfchten Wefen, wie Du, Gerechtigkeit zu üben. 
Sey Deiner eigenen Strafe überlafjen.“ 
Roſa hing noch halb leblos in den Armen des 
Squire. Nun jedoch blickte ſie um ſich und erhob 
ſich dann. „Er war mein Vater, mein unglücklicher 
Vater;“ flehte ſie, und auf ihn zueilend, ſchlang ſie 


ihre beiden Arme um ihn. „DVater meiner Canon⸗ 


dah!“ bat fie, „Roſa würde Dich nimmer verlaffen, 
aber e8 ruft die Stimme ihres Vaters; wirft Du 
Deiner geweſenen Tochter verzeihen?“ 

Der Indianer gab keinen Laut von ſich. 

Sie ſah ihn eine Weile mit thränenden Augen an, 
dann wandte fie ſich zu El Sol, und ſich ſittſam ehr- 
furchtsvoll verneigend, nahm fie Abſchied und ent— 
fernte ſich mit ihren Begleitern. 

Der junge Häuptling war wie träumend noch ge- 
ſtanden, als der Major mit Roſen und den Milizen 
ſchon weit von dem Estaminet waren. Plötzlich kam 
er jedoch nachgeſprungen, und ſich vor Roſa ſtellend, 
faßte er ihre Hände, drückte ſie an ſeinen Buſen, und 
neigte ſein Haupt ſo wehmüthig, daß Alle ſprachlos 
ſtanden. „El Sol,“ flüſterte er ihr mit kaum hör— 

20* 


ns 
a 






barer Stimme zu, „hat Roſen gejehen er 
nie wieder vergeffen.“ Und dann wandie er 
ohne fie oder Jemanden anzubliten. 

„Fürwahr,“ fprach der Squire: Bar 2 
Tränen vergofien der edle Wilde.u 


Dreiundvierzigſtes Kapitel. 


Im Indianerland ſteht On —* Stein, 





Unten Frümmt fi ve J ilde | 
"Toapperlieh. P 


Eine Stunde darauf verliefen die Indianer das 


ee in demfelben Canoe, in dem fie gefommen 
waren. Sie fuhren den Miſſiſippi hinauf, und ſchoſ⸗ 
> fen dann in die Mündung des Redrivers hinein, auf 


dem fie ihre Fahrt fortjegten. Am zehnten Tagenah 
ihrer Abfahrt befanden fie fich, immer aufwärts ſtei⸗ | 
gend, auf der Hochebene, mo. die weftlichen Grenzen 
von Pouiftana und Arkanfas mit den öftlichen Meri- 

cos zufammenftoßen. Vor ihnen Yagen die noch im- 
mer mit Schnee bedeckten Häupter der Ozarkgebirge, 








& 


jenſeits welcher ungeheure Steppen ſich gegen die Fel⸗ 
ſengebirge oder Rockymountains dehnen. Die Sonne 
ſank ſo eben hinter die Schneeberge als ſie an dem 


weſtlichen Ende des langen T afelfelſens landeten, der, 


‚wie. bekannt, am linken Ufer des rothen Fluſſes wall- 
artig, einem ungeheuern Würfel gleich, emporfteigt. 
Als fte ihe Gange verlaffen hatten, gingen fie einem 


Felſen zu, der fich unfern dem Ufer in der öden Salz— 


fteppe erhebt, und in deffen Mitte ſich eine Grotte be- 
findet, einem gemauerten Gewölbe nicht unähnlich. 


Da ſchlugen fie ihr Nachtquartier auf. Diefer Felſen 


bildet Die imaginäre Grenzlinie, Die die Pawnees des 
Toyaskftammes, die Conſas und die Dfagen für ihre 
Jagdreviere fich gefeßt haben. Der junge Häuptling 
befahl den Seinigen, ein Feuer anzuzünden; denn 
der alte Mann, aus dem heißen Clima Louiſianas 
gekommen, Zitterte vor Kälte. Nachdem fie ihr ſpar— 
james Nachtmahl eingenommen hatten, ſtreckte ſich 


der alte Häuptling mit ſeinen Oconees vor dem Feuer 


nieder und entſchlief. El Sol horchte noch einer Le— 
gende, die Einer ſeiner Cumanchees erzählte, als ein 
ferner Laut an feine Ohren ſchlug. Die drei Krieger 
ſprangen zugleich auf ihre Füße, und ftreeften ihre 


| e gi 30 " — * 
Rote in ic Bei sog 
an ihre Ohren brachte. ie TORE — nr} 
" Hundel⸗ murmelte der junge Cumanchee, wfle 
knurren gegen einen Feind, der ihnen eine Wunde 


ſchlug, wenn'e3 in feiner Macht ftand, fie zu vernich⸗ 











fen; und indem er die drei Schläfer aufmeckte, flog 


er dem Ufer zu, wo fie das Gange gelafien hatten. 


Er winfte Dem Miko und ſeinen Oconees einzuſteigen, 


während er ſelbſt mit ſeinen Cumanchees an dem 
ſchmalen, laͤngs dem Waſſer ſich hinabwindenden 
Rande fortfihlih. Das Canoe war ungefähr eine 
halbe Meile den Strom hinabgeglitten, als e8 hielt 
und der junge Häuptling mit feinen beiden Gefähr- 
ten einftieg, nachdem fie zuvor mehrere Aeſte und 
Zweige de3 aus den Felſenritzen aufgefchoflenen Ge— 
büfches abgebrochen hatten. Sie fuhren den Strom 


bis zum Ende des Tafelfelfens hinab, wo der junge 


Cumanchee den alten. Häuptling Yieß, und fich mit 
den übrigen Wilden Yängs dem Felfen der Steppe 


zufehlich. Cine Truppe von zwanzig bis fünfundzwan⸗ 


zig Pferden hielt am Fuße des Felfens. Einige der 
Wilden waren abgefeffen und unterfuchten die Lager- 
ftätte, die unfere Indianer kurz zuvor inne hatten, 





” 
nn. — 


* 
rs 1 

— 311 — 

und Inden fie die aus der. et führenden du Suffte- 
pfen im Monblichte auf der Erde fort£riechend ‚maßen 
und serfolgten, war es zweifelhaft, ob es wirklich 
Menſchen oder Amphibien waren, bie im nächtlichen 
Zeitvertreibe fich aus den wäfferigen Tiefen an das 
Land geſtohlen hatten. Die Hälfte der Wilden Hi 
noch immer auf ihren Pferden. 

Der junge Häuptling hatte mit der gefpannteften 
Aufmerkjamteit jede Bewegung feiner Beinde beob- 
achtet, und ſein Ohr an den Felfen haltend, ftand er 
wie eine Marmorftatue, Auf einmal jedoch winfte 
er feinen Gefährten, und die fünf Indianer Erochen 
num mit ſolcher Sicherheit und Behendigfeit Durch die 
Sakzfteppe an die zurückgebliebenen Wilden heran, 
dag auch das geübteſte Ohr nicht das leiſeſte Geräuſch 
zu vernehmen im Stande geweſen wäre. Bloß eine 
ſanfte Wellenhöhe trennte fie noch von ihren Beinden. 
EL Sol horchte; einzelne Laute fehlugen im Zuge des 
ſcharfen Nordweftwindes an fein Ohr. Eine Weile 
bielt er, dann richtete er fich auf feine Kniee, ſah hin— 
auf zur filbernen Mondſcheibe, die mum- aus einer 
Schneeiwolfe trat und die dunfeln Geftalten der Wil- 
den in ihren: sollen Umrifje erfennen ließ. Langfam 





a 

* Re" 
* 312 — 
ſeinen Stutzer richtend, gab er ſeinen Gefährten ein 
Zeichen, und im nächſten Augenblicke ſtürzten fünf 
Wilde zu Boden. Ein fürchterliches Geheul ſchallte 
durch die Lüfte. Schnell, wie der Blitz, war der 
Mexicaner auf die entſetzten Feinde herangeſtürzt, 
die mit einem zweiten fürchterlichen Geheul davon— 
ſprengten. Nur der außerordentlichen Behendigkeit 
des jungen Häuptlings und ſeiner Cumanchees konnte 
es gelingen, ein halbes Dutzend der halbwilden Rofſe 
zu fangen. Sp fehnell jedoch waren ihre Bewegun— 
gen gewejen, daß die Zügel oder vielmehr Stricke der 
Pferde beinahe aus den Händen ihrer Feinde in die 
ihrigen fielen ; ‚die übrigen Thiere baumten ſich ent» 
ſetzt, wieherten nochmals und brachen dann in die 
weite wüſte Nacht der Steppe. 

Die Cumanchees waren auf die Rücken der erbeu— 
teten Pferde gefprungen und rafch dem Ufer zu ge— 
ſprengt. Sie hatten aber kaum ihr Canoe beftiegen, 
‚ Ihre Pferde im Strome nach ſich ziehend, als die Ku— 
geln und Pfeile ihrer nachjegenden Feinde um ihre 
Ohren zu pfeifen und zu ſchwirren begammen. 

„Will mein Sohn dem Miko verfprechen, ein gu= 
ter Dater der Oconees zu ſeyn?“ fragte der alte 














— 313 — 
KHauptling mit. einer hohlen Stimme, während noch 
immer einzelne Kugeln an ihnen worüberpfiffen. 

„Ein Vater und ein Bruder,“ verſetzte der Cu— 
manchee. „Aber warum diefe Frage, mein Vater? 
Mein Vater wird ſich lange mit feinen Kindern | 
freuen !u | 

„Will EI Sol es bei dem großen Geifte veripre- 
chen?“ wiederholte der alte Mann dringender und 
in einem röchelnd hohlen Tone. 

„Er will es,“ erwiederte der junge Däuptling. 

„Will er verjprechen, Tokeah und feinen Vater 
inmitten der Gräber feines Volkes zu begraben? der 
großen Cumanchees zu begraben ?« 

„Er will; ſprach EI Sol unwillkürlich ſchaudernd. 

„Sie werden ſeinen und ſeines Vaters Leib denn 
nicht verſpotten können,“ ſtöhnte er; „aber es iſt der 
Wille des großen Geiſtes, daß Tokeah die Länder 
der Cumanchees nicht ſehen ſoll; er iſt verdammt, 
auf dem Lande der Weißen zu ſterben.“ 

Er röchelte, murmelte noch einige abgebrochene 
Worte in die Ohren feiner Oconees, die in das wil- 
defte Schmerzensgeheul ausbrachen, und El Sol um— 
fing ihn, der in Todeszuckungen noch Erampfhaft den 


N 3 — 
NE 
* 





Er | 
Sarg auf feine Bruft drückte. Allmäh gt 
feine Arme, und er fiel entſeelt in das &: mi | 
Eine Kugel hatte ihn zwifchen Nacken und Hals durs 
bohrt. Das Leben war gewichen. Der junge Haupt 
ling warf fi in ſtummem Schmerze auf die Leiche. 
Das Canoe war fehon lange an dem jenfeitigen Ufer, 
und noch immer Yag er bewußtlos über den Körper 
hingeftresft, bis ihm endlich das leiſe Flüſtern feinee 
Getreuen auf die Gefahr aufmerkſam machte; dann Ss | 
lud er den Körper auf feine Schultern, Tegte ihn über 
den Rücken des, Pferdes, fprang ſelbſt darauf, und 
309 jo mit feinen trauernden Gefährten dem Wig⸗ 
wam der Pawnees des Toyaskſtammes zu, wo ſie 
am folgenden Tage, unter dem erſchütternden Todes⸗ 
geſange der Wilden, ihren Einzug hielten. 










—2 315 ⸗— 






Poſtſeript. | 
3 Wir finden in mehreren Zeitungen des Staates, 
im welchem dieſe Begebenheiten fich zugettagen, und. 
namentlich in der Countyzeitung von Opeloufas, eine 

2 Randgloſſe unter dem Artikel Verehelichungen, die 

® den Leſern dieſer Blätter nicht ganz unwerth als Zu⸗ 
“ gabe erfeheinen dürfte, und die wir deßhalb ganz fo 

} geben, wie wir fie finden. Sie lautet: 


Marriages. 


Have been united in the bonds of wedlock by 
the Revd. Jesaiah Simpkins this Thursday (viz the 
43 of March 1816) the most amiable et accom- 
plished Miss Mary Copeland, daughter of the Ho- 
norable John Copeland of the same County et of 
- Mistress Juditha, to Master James Hodges, for- 
merly of the R. B. N. now of Hodges-Seat in the 
same State. 








Wörtlich überfegt: 
Berehelihungen. 
Wurden vereinigt durch die Bande ver ( 
dem ehrmwürdigen Iefaja Simpfins, heute ® 
ftag den 13. März 1816, die ſehr lebens 
und hochgebildete Miß Maria Copeland, ‚Tor ter. de 
ſehr achtbaren John Copeland aus Berfeben 6 — 
ſchaft und der Fran Juditha, und der H er F Jakob 
Hodges, früher von der königlich britiiſchen I 


gegenwärtig o von Hodges⸗Sitz in ine S 










— 
— 
— 








Gefammelte Werke 


von 


Charles Sealsfield. 


— — 


Vierter Theil, 


— — 


Der Virey und die Ariſtokraten. 
* 


Erſter Theil. 


—-0-> 


Stuttgart. 
Berlag der 3. B. Metzler'ſchen Buchhandlung. 
1845. 














+ 


" 5 | | er 
Der virey — 


und 


die Ariſtokraten, 


oder 44 
Merito im | Jahr 1812. 
een 
Shartes Sealsfield 


* 





In drei Theilen. 





—— 
Dritte durchgeſehene Auflage. J 


—8> 
LA. ; % 


Stuttgart. 
Berlag der J. B. Metzler'ſchen Buchhandlung. 


1845. J 


Bis we 


4 y " J 
— 


— 








ae 


Vorwort des Herausgebers 
zur erften Auflage. 





Die Grundzüge des vorliegenden Buches, das wir Bilder 
des öffentlichen und häuslichen Lebens in Mexiko in der an= 
gegebenen Periode nennen möchten, find während eines Be- 
ſuches des Heren Berfaffers in Mexiko niedergefchrieben 
worden. 

Die meiften Skizzen wurden in dem Lande felbft entworfen, 
fo wie die Charaktere größtentheils nach der Natur gezeich- 
net find; mehrere lernte der Herr Verfaſſer perfünlich kennen. 
Die gefchichtlichen Partien find theils aus mündlichen Ueber⸗ 
lieferungen bewährter Perfonen, theils aus dem offiziellen 
Blatte der damaligen Periode genommen, Fernere Quellen 
anzugeben, hält der Herr Verfafler für überflüffig, da ex 
feine Aufgabe zu liefern im Sinne hatte, und Daher Reche Ar 
fchaft abzulegen weder für nöthig, noch angemeflen Hält, 

Unterdefien wird der, einiger Beurtheilung fühige Lefer 
fehr bald die tief gefchichtliche philofophifche Betonung des 
Buches herausfinden, durch deffen Andeutungen ihm vielleicht 
erſt Mehreres in den Gefchichtswerfen eines Robinfon, 
Mier, Zavala über diefes Land klar werben dürfte. 

Die Noten und Erklärungen find durchgängig vom Her: 


ausgeber , fo wie mehrere der Capitel-Motto's; ri find 
Der Virey. L 





— 6 — 


theils aus ſchriftlich⸗brieflichen Grin des ie 
Berfaffers, theils aus den beften Werfen, die über diefes 
Land exiftiren, entnommen. Die fpanifchen Ausdrücke wur⸗ 
den auf den ausdrücklichen Wunſch des Herrn Verfaſſers 
beibehalten, theils „um dem Buche fein mexikaniſches Co— 
lorit nicht zu fchwächen,“ theils weil das noch auf einer 
fehr untergeordneten Stufe der Givilifation ſte— 
hende Bolf von Mexiko mit feinen Ausdrücken 
Begriffe verbindet, die der vielhöher ftehenden 
deutfhen Nation wohldurd Umfchreibung, aber 
nicht Leicht oder nur felten durch eine al 
ung, verfinnlicht werden können.“ 

Dbwohl übrigens diefes Buch für alle Riaffenberbürger- 
lichen Gefellfchaft gefchrieben ift, fo glauben wir doch, um 
Niemandes Erwartungen zu täuſchen, beifügen zu müſſen, 
daß nur der Höher Gebildete, oder der mit de tgeſchicht⸗ 
lichen Gange dieſes merkwürdigen Reiches bel annt werden 
Mollende, wahren und hohen Genuß fchöpfen wird; aber 
die Großartigkeit des Gegenftandes, die auferorbeiilic 
fräftige, durchaus mit dem Gegentande vertraute Behand: 
lungsweife, der unbererhenbare Einfluß, den diefes Land 
früher oder fpäter, gewiß aber in nicht fehr entfernten Zeit, 
auf die Schiekfale der übrigen Welt üben wird und muß, 
laſſen den Herausgeber hoffen, nicht umfonft den Blick des 
Publiftums auf eine literarifche Erſcheinung gerichtet zu 
haben, deren veeller Merth deſſen Urtheile —— an⸗ 
heimgeſtellt wird. 


Den 6. Auguſt 1834. 





— BIrEn Pc: EN Y 


BR. —4 


Ginleitung 


„Der erſte Schimmer Mexiko's, der und bei der 
Annaherung an fein merfwürdiges Geftade ind Auge 
glänzt, erregt in uns eine feltfame Miſchung von 
widerſprechenden Empfindungen. u — — — — — 

„Der leichte Baltimore⸗Schooner windet und kämpft 
ſich mühſam durch die zornigen Wogen, die eine halbe 
Stunde zuvor von einem raſenden Squall aufgerüttelt 
worden. Die Höhe, auf der er ſich befindet, iſt 200Br. 
und 9592, noch wenigſtens 60 Meilen vom Lande. 
Nichts iſt zu ſehen als der Waſſerſpiegel und das 
blau und grau ſchattirte Himmelsgezelt, auf dem fich 
einzelne Gewitterwolfen, von Fichten Punkten um— 
geben, hingelagert haben. Einer dieſer Tichteren 
Punkte ſteht unverrücdt Süd-⸗Südweſt vor unferm 
Blicke, während die andern in der ſchaukelnden, ſchwer 
arbeitenden Bewegung des Schiffes ewig wechſeln. 
Er wird bald fichter, dald dunkler, er glänzt num wie 


2 


EN Bei a. ur 
H Dh eb RER 


— 8 — 


ein Pharus in ſtockfinſterer Nacht, wieder tritt er in 
den Hintergrund gleich der verſchüchtert erbleichenden 
Jungfrau. Unſere und unſerer Umgebung Blicke ſind 
ſtarr auf dieſen Punkt gerichtet, deſſen Farbenſpiel 
jeden Augenblick wechſelt, um den die Wolken 
mit jeder Sekunde phantaſtiſcher, magiſcher tanzen. 
Nun umfangen ſie ſeinen Nacken, wie der Schleier 
ſich um das Geſicht der züchtigen Jungfrau legt; wie— 
der verſchwinden ſie, und das rieſige Bild tritt bald 
glänzend hehr in den Vordergrund — bald verſchämt 
zart in den Hintergrund, hängt nun als Rieſenſtern in 
dem Himmel über einem undurhdringlichen Wolfen- 
fehleier, der den ganzen Rand des Horizonts einnimmt, 
bald fteigt er über diefen als Feuerfäule herauf aus 
dem magischen, dunfeln, Taufende von Meilen langen 
Sockel. Noch iſt das Gewölk über den Himmel zer- 
ſtreut, und der Sockel liegt am blauen Wolkenrande 
unbeweglich, und ſo weit das Auge reicht, eine todte 
Maſſe, zwiſchen Himmel und Waſſer. Sie zieht ſich 
in Schlangenlinien von Norden nach Süden, in dunkel⸗ 
blau, grau und grün, mit einem rothen Saume über 
ihrem Scheitel. — Es iſt die Stunde der Morgen⸗ 
dämmerung, und Ihr ſeyd der Einladung des Capi⸗ 
tains gefolgt, der ſchweigend mit den übrigen Ges 
fährten auf dem ſchräg abſchüſſigen, engen Verdecke 
fteht. Selbft der Matrofe vergißt einen Augenblid 
Schlaf und Hängematte und ftarrt auf den erwähnten 
Punkt in-fprachlofer Erwartung. Auf einmal ver⸗ 
ſchwindet der dunkle grau blaue Schleier, der um den 


a Me 3 1) FE BE, RT er Yan 
ya * 
4 
N’ i 


—9- 


Gürtel und Nacken diefes magischen Rieſenpunktes 
wogt, Die Schlangenlinien des Wolkenrandes des 
ungeheuren Sockels werden glänzend roth, und indem 
das Auge mit Verwunderung dem prachtvollen Far— 
benmechfel zufteht, ftrahlt der Bunkt über dem Wolfen- 
jhleier auf einmal in überirdifcher Glorie im die 
Himmel hinein, er wird zur riefigen, ungeheuer flam= 
menden Pyramide, die im leuchtenden Beuer vor unfern 
Blicken auflodert, eine Maſſe gediegenen Silbers, des 
reinften Goldes, mit Milliarden von Brillanten, 
Nubinen und Smaragden beſetzt. — Es ift der Dri- 
zava, der, von der aus dem Ozeane auffteigenden 
Sonne beleuchtet, aus feinem Wolkenſchleier hervor— 
tritt, den ein buen norte von feinem Nacken gelüftet, 
und der nun Eure Seelen in Bewunderung und An= 
betung verfeßtz denn die Poefie des Simmels und der 
Erde hat fich vereinigt, um Euch den herrlichften, den 
größten aller Genüffe zu geben, wie ihn Euer Auge 
nie gefhaut hat, nie fehauen wird. — Ihr wendet 
Euch für einen Augenblit, um Cuerm Gemüth 
Erholung zu geben, von diefem herrlichften und 
größten aller Genüffe, und wie Ihr’ wieder Euern 
Blick dem Naturwunder zuwerfet, fo ift e8 verſchwun⸗ 
den, ein grauer Nebel aus den Gewäſſern aufgeftiegen 
und unter feinen wäfferigen Zittigen fliegt Ihr der 
Küfte zu. Der Nebel erhebt fih, und der Stirn in 
Wolken gehüllt, tritt Euch abermals entgegen, aber 
nur fein Haupt ragt Über diefe hervor — zu feinen: 
Füßen jeht Ihr den langen Gebirgsfaum der Cordil⸗ 


V 


— — 


leren, und vor Euch die öde, baum= und ſtrauchloſe 
Sandmwüfte, an deren Rand Veracruz Euch entgegen⸗ 
ſchimmert, ein glänzend weißer Punkt, der * wie 
Ihr näher kommt, Euch unwillkürlich an die über— 
tünchten Gräber der Schrift mahnt.“ — 

„Mit dieſen Vorgefühlen betretet — die Sem 


R Mexiko's.“ 


„Der erſte Schritt auf mexikaniſchem Boden über⸗ 
zeugt Euch, daß dieſes Land eine ſchwere, eine tödtliche 
Criſis überſtanden, daß es ſich aus diefer Criſis noch 
nicht erholt hat, und noch lange nicht erholen wird. 
Es ſind die Nachwehen einer Krankheit, die, wie die 
ſeines ſchrecklichen vomito prieto, noch Jahre lang 
den Körper in Siechthum ſchmachten laſſen, ihn viel⸗ 
leicht nie verlaſſen. Man glaubt in einer ſo eben durch 
eine Feuersbrunſt zerſtörten Stadt zu ſeyn, deren 
unglückliche Einwohner noch ſo ſehr von Schreck und 
Entſetzen betäubt ſind, daß ſie an das Aufräumen 
gar nicht denken; oder auf einem Dreimaſter, der in 
einer Reihe von Stürmen Ruder, Segel, Maſte, den 
beſten Theil ſeiner Schiffsoffiziere und alle ſeine Lebens⸗ 
mittel verloren, und auf dem alle Bande des Gehor- 
fams gelöst find, wo brutale Gewalt allein Gefeß 
ift. Alles zeugt hier von der peinlichen Auflöfung 
aller gefellfchaftlichen Bande, von einer Zerftörung, 
einem Bürgerfriege, der, mit giftigem, tödtlichem 





— 1 


Haſſe geführt, nichts verfchont hat, IR 7 
u. m Werke." — 


„Dieſe Eindrücke und ein gewiſſes Grauen begleiten 
uns noch mehrere Stunden, nachdem wir das glänzend 
troftlofe Beracruz bereits verlaffen und ung durch die, 
Sandhügel hindurch gemüht, die zwiſchen diefer Stadt 
und den ärmlichen ſechs Hütten, Santa Fé genannt, 
unfere Geduld jo jehr in Anfpruch nehmen. — Hinter 
diefen jedoch zeigen ſich Lichtpunfkte. Dafen in dem 
Sand- und Sumpfmeere, vom herrlichiten Grün, 
dem glänzendften Roth, dem lieblichſten Blau — An— 
klänge von dem Lande, wo, mit den Worten eines 


| — Dichters zu reden: 


— — — die Citronen blühn, 
im dunfeln Laub die Golvorangen glühn — 


fommen uns entgegen. Wildniffe von Palmenz, 
Drangen-, Citronen- und Bananen-Baumen, mit 
Myriaden von Blumen behangen und Schlingpflanzen 
ummoben, unterbrechen die Sandebenen da, wo ein 
Bach oder eine Duelle Nahrung gibt. Wilde Kür- 


biſſe und zahliofe Convolvulus-Blüthen bilden das 


Dach der wunderbaren Aue. Es tritt gleichfam der 
Kampf zwifchen dem Prinzip des Guten und des 
Böſen, zwifchen Leben und Verwefung, und anſchau— 
lich vor Augen. Es fommt ung vor, fo wie wir von 
Bajada einen Blick rückwärts werfen, als fähen wir 
diejes merkwürdige Land hervortreten aus den Meeres- 


er 


wogen, müde, matt und erfehöpft von der ——* 
Anſtrengung, die ihm dieſes gefoftet, binfinfen auf 
den Sand, unfähig, ſich weiter zu ſchleppen, erſt nach 
einer mehrſtündigen Ruhe einen neuen Anſatz ne m. 











weiter fehleichen, wieder Tiegen bleiben, wieder = > 


ftehen, aber allmählig feine vorige Kraft ger nen, 
die zur Wildheit ausartet, ſo wie e8 weiter fehreite AM 
„Jenſeits der prachtvollen Puente del Rey*), der 
ſchönſten Mexiko's, beginnt das Land einen wunder- 
bar grandidfen Charakter anzunehmen. Der Dichter, 
indem er fang: ' ”. 


„Kennft du den Berg und feinen Wolfenfteg, 
Das Maulthier ſucht im Nebel feinen Weg, 
In Höhlen wohnt ver Drachen alte Brut 
Es ftürzt der Fels, und über ihn die Fluth“ — 
ſcheint die Belfenftraße zwifchen Puente del Rey und 
Perote vor Augen gehabt zu haben, auf der zu jeder 
Stunde des Tages das Maulthier in langen Reihen 
hinan flimmt, feinen Weg juchend im Nebel, jo wie 
es auf die eifige Höhe von Perote hinan fteigt.* 


„Mexiko ift nicht ein ſchönes Land in dem Sinne, 
wie wir ung ein ſolches gewöhnlich denken, wenigitend 
nicht von diefer Seite gefehen oder betreten. Es find 
nicht Fieblich grünende Fluren, die das Auge erfrifchen, 
nicht wogende Felder, nicht fanft dahin riefelnde 
Quellen oder majejtätifche Ströme, die wir fehauen; 





*) Königsbrüdfe. 


—2 









EI. 


— 13 ⸗— 


das Auge erblickt nur ungeheuere, fehauerliche Felfen- 
maffen, gräuliche Klüfte, entfegliche Abgründe, die 
aus den furchtbarften Höhen in die Tiefen des Erd— 
balles hineingähnen, und aus denen der Donner der 
Katarrakte heraufbrüllt wie Schlachtendonner. Die. 
Natur tragt hier den Charakter des wildeften Stolzes, 
der bizarrften, furhtbarften Kraft, und wieder einer 
unbefchreiblich trägen Indolenz. Es iſt diefes Land 
die Poeſie der weitlichen Hemiſphäre, das poetifchite 
Land der Erde. Selten einer jener fanfteren Heber- 
gange, im denen fich die profaifchere Natur in andern 
Ländern fo jehr gefällt, nur Spuren gemaltfamer 
Revolutionen und fehnell auf einander folgender Ka= 
taftrophen, haufig nicht mehr als einen Steinwurf 
vom einander entfernt, bei jedem Schritte Spuren 
der gewaltfamften Umwälzungen, der unnatürlichften 
Kämpfe.“ 

„Aber auch mit jedem Schritte, den wir in das 
Innere dieſes merkwürdigen Landes thun, mit jedem 
Felſenblocke, den wir hinan klimmen, werden uns auch 
die Schickſale deſſelben, ſein räthſelhaftes Verhängniß, 
klarer, begreiflicher; der Zuſammenhang der phyſiſchen 
und moraliſchen Geſtaltung deſſelben erſcheint uns 


deutlicher. Wir ſehen, wie die Natur ſo rieſenartig, 
ſo groß, fo ſcharf, fo bizarr, fo energiſch und hin— 


wiederum jo zurücftoßend, flach, träge und gemein, 
dem Menfchen die Bahn gezeigt hat, ibm Vorbild 
geworden tft, ihn mit fortgerifien hat zu Erſchütte— 
rungen, die die grellſte Phantafie vergeblich in ihrer 


w 





—+ 14 


ganzen Schrecklichkeit zu malen fich Saite; ® 
denn ſo wie dieſes Land von der rieſigen Hand der 
Natur gleichſam in einer ihrer höhnende Launen i in 
Trümmer hingeworfen, aus denen ſich ein, obwohl 
noch immer chaotiſch ausſehendes Ganze geftaltet,. 

ift auch feine moralifche Geftaltung oder vielmehr. Die 
feiner bürgerlichen Geſellſchaft, gleichen Schritt ges 
gangen. Keine jener Harmonifchen, vernunftgemäßen 


Entwickelungen, die unfer Stolz und zugleich Bürgen 


unferer fortfchreitenden Vervollkommnung find. Nur 
Spuren von unerträglicher Unterdrückung vohen 


Kämpfen und graufamen Eroberungen, denen ein 


noch graufamerer Despotismus folgte, der mieder 


durch eine eben jo graufame Revolution geſtürzt " 


werden beftimmt iſt.“ 
„Und Doch, wie der denfende Naturforfcher in bie 


phyſiſchen Revolution Zufammenhang erfihaut, jo 


findet auch der ruhige Beſchauer in den moralifchen 
Umwälzungen Urjache und Wirkung heraus, und vor 
feinem Blicke geftaltet ſich allmählig das Chaos zum 
Ganzen und zum Einklang.“ 


„Noch aber iſt Alles Chaos, Berftörung, Der 


worrenheit, moralifcher Schutt und Trümmer. 
„les was beftanden,: ift über den Haufen ge— 
worfen, vernichtet, zerbrochen oder Fümmerlich zu— 
fammengefügt, um beim erften Windftoße wieder über 
den Haufen geworfen zu werden. Denn nicht bloß 


\ 4 








SE ladet „2 ee BER Ze 


—d 15 — 


eine dreihundertjährige Regierung, auch die: gejell- 
fchaftliche Form, die fie begründet, ift gebrochen; der 
Glaube, die Religion, Alles ift gebrochen; Alles 
nennt fich frei, und Alles fteht fich feindfelig gegen- 
über. Millionen von Indianern, dem Buchftaben des 
Geſetzes nach frei, in der That aber die Sclaven Jeder— 
mann; ein Adel, der feine Titel verloren, aber feine 
Majorate beibehalten und auf diefen der unumfchränfte 
Gebieter von Hunderttauſenden feiner jogenannten 
Mitbürger ift; eine herrſchende Kirche ohne Hirten; 
eine Religion, die die Dreieinigfeit lehrt, und ein Volk, 
das an feinen Gott oder an die Götzen der alten Az— 
tefen glaubt; der wüthendfte Fanatismus und der eckel⸗ 
baftefte Atheismus; eine notionale Repräfentation und 
Schaaren militärifcher Diktatoren und Tyrannen, von 
denen e8 fich der Geringfte zur Schande rechnen würde, 
den gegebenen Geſetzen zu gehorchen. Mit einem Worte, 
die zügelloſeſte Breiheit, die, phantaftifeh wild auf- 
gefchoflen, noch viele Phafen durchzugehen haben wird, 
ebe fie ftch zur gefeglichen Freiheit geftaltet.“ 

„Sie wird fich aber geftalten; den die Elemente des 
Guten find auch hier zahlreich und fräftig, obwohl 
der Sauerteig der verdorbenften debauchirten Civili— 
fation, die je ein Land vergiftet, tief eingedrungen 
und lange fehmerzliche Krankheiten verurfachen wird. * 

„Bisher ift diefes Volk fich noch immer jelbft ein 
Räthſel; es ift noch nicht zum Bewußtfeyn, zur Bes 
-urtheilung feiner felbft gefommen, noch nicht erwacht 
aus dem langen Taumel, in welchen es die plößliche 










Erlangung feiner Freiheit geworfen. Es iſt die 
ſchichte dieſer Freiheit mehr: einem | ca m 

als der Wirklichkeit. Es fehlängeln ſich Lich 
dureh ihr Labyrinth; aber das Ganze erfcheint 
“Labyrinth. —— weiß noch immer nicht, 
zur Freiheit gekommen. Es wurde von ihr überraſcht, 
ohne daß es Biete erkämpft, verdient hätte, Ein ein⸗ 
ziger Tag hat fie ihm verfchafft, für rie ee If Jahre 
vergeblich ſein Blut vergoſſen, vergeblich jefämpft 
hatte; denn es war unterlegen in jeinem Brei = 






rafchte fie folches, wie das Kind am Nenjahrbtage Mr: 
überraſcht wird. Was es im eilfjährigen Kampf nicht 
zu erringen vermochte, brach auf einmal herein, ſo 
unvermuthet, ſo plötzlich, daß alle Gemüther berauſcht J 
wurden und es noch immer ſind. Es iſt eine Art 
wilden, wüſten Freiheitsrauſches, der noch im 
herrſcht, der die Gemüther noch immer nicht zur — * 
ſinnung kommen läßt, und der bei allen Volkskla 
mehr oder weniger zu verſpüren iſt, ausgenommen 
den vormaligen Gebietern diejes Landed.u ! 
„Es ift ein feltfames Gefühl, das ung bei dem 
Anblicke diefer Menfchen befchleicht, dieſer Fremdlinge, 
die wie abgeſchiedene Geiſter der Vorwelt noch immer 
als Geſpenſter umher wandeln, gleichſam das Böſe zu 
ſchauen, das ſie geſtiftet, ſich zu weiden an der Eu— 
meniden-Saat, die fie geſäet Haben. Man ſieht fie 
düſter und wieder hohnlachend um ihre Lieblingsplätze 
und Städte herum wandeln; denn unerachtet des Vers 


EEG Ey 





* 
— 





— 11 


bannungsgefeßes find ihrer zwifchen zehn= und fünf- 
zehntaufend noch im Lande, gefettet an dieſes durch 
ihre Berbindungen mit Eingebornen, oder durch die 
Schäße, die fie den Eingeweiden der Erde anvertraut 
und zu heben nicht Zeit noch Gelegenheit hatten.“ 

„Sie wandeln nun um diefe DVerfterfe herum, wie 
unfere Indianer um die Gräber ihrer Väter. Sie find 
lebende Klagelieder vergangener Herrlichkeit, von Kei— 
nem bedauert, ſelbſt nicht bemitleidet. « 

„Das Land hat fie ausgeftoßen, von fich geworfen, 
als Feinde und Eindringlinge, die fich von feinem Blute 
preihundert Jahre hindurch genährt und doch Fremd— 
Yinge im Lande geblieben find. Sie haften an diefem, 


‚mie der Schiffshauptmann der Letzte am Wradfe 


haftet. Und, feltfam! derfelbe Spanier, der düftern 
Blickes, verfchloffener Miene, in feinen braunen 
Mantel gehüllt, um feine Lieblingsftadt Xalappa in 
den Gärten diefes irdischen Paradieſes herum fehleicht, 
son Jedermann verabſcheut, obgleich geduldet, er hofft‘ 
auf die Rückkehr feiner Gewalt noch immer, hofft ſich 
wieder im Blute der Merikaner zu füttigen, gefteht 
es, verhehlt e8 nicht. Er hat nichts gelernt in den 
acht Jahren, die feit dem 21. Februar 1821 verfloſſen 
find, nichts verlernt. Nur Ein dunkler Punkt ſchwebt 
ihm in der ganzen langen Periode vor Augen, die 
DVerrätherei Iturbided. Hätte Apodoafa diefem Itur— 
bide fein Zutrauen nicht geſchenkt, meint er, würde er 
Mexiko noch immer fein nennen. Wie der Hund, der 
wüthend und blind über den Stein, der ihn getroffen 





9 18 — 


herſtürzt, und nicht den Schleuderer, der ihn geworfen, 
fo zerfleifcht er das Andenken diefes Mannes, nicht 
einfehend, daß er bloß das Werkzeug war in gewal⸗ 
tigeren Händen, beſtimmt, die morſche Form 
brechen, und daß dieſes Werkzeug — 
ſobald es feine Beſtimmung erreicht hatte.“ 

„Der Haß des Mexikaners gegen dieſe Spanier ift 
unbeſchreiblich, er geht ins Unglaubliche er iſt jo 
ungeheuer, wie die Uebel, die ſie ihm zugefügt haben; 
er iſt gegenwärtig, nächſt der Spielſucht, die einzige 
Leidenſchaft, die in ſeiner Apathie zuweilen aufblitzt. 
Er iſt furchtbar und wird ihm ſo lange inne wohnen, 
als die Erinnerung an die ausgeſtandenen Leiden, 
das Schmerzgefühl der Wunden, die ihm geſchlagen 
worden; und die Wahrheit zu geſtehen, werden dieſe 
noch lange Zeit, vielleicht noch Jahrhunderte eitern. 
Geheilt werden ſie ſchwerlich je.“ ae 


Aus des Verfaſſers merifanifchem Tagebuche br a * 
feines Beſuches 1828. * 











— 
Be 


> A 


ee — 


Erſtes Kapitel. 


Kund ift’s, ſollt's mindeftend feyn, daß man in allen 
Ländern, wo ſich's Volk katholiſch nennt, 
Sechs Wochen, eh’ vie Oſterglocken fehallen, 
Zu jeder Art von wildem Jubel rennt, 
Und eh’ man beichtet, möcht’ in Neu verfallen 
— Gleichviel zu weldem Stand man fich befennt — 
Durch Tanz und Trunf und Feſtſchmaus und Masken 
Und Sonft’ged, was mit Geld fich läßt foreiren. 

* Beppo. 


Die Siefta war vorüber; die tiefe Stille, in welche 
die zweiftündige Mittagsruhe die ganze Hauptſtadt 
Neus-Spaniend wie begraben hatte, war auf einmal 
einem tobenden Geſumſe gewichen, das, aus den obern 
Borftädten hereinbrechend, und einem nicht minderto= 
benden Lärmen von den untern her begegnend, bald 


über der ganzen Hauptſtadt in einem fo furchtbaren 


Schwall von Tönen aufftieg, daß ihre unzähligen 
Gallinazos *) Meilen weit dadurch verfcheucht wurden. 





*) Aasgeier; fie fchwärmen ii. alla in und um die 


- Städte Mexiko's. 


Taufende ihrer —E Sohn fich von ihren * 
gerſtätten, den Porticis der Kirchen, Häuſer und Pa⸗ 
läſte, oder tanzten, mit den bunteſten Mummereien 
behangen, aus dem Parian*) hervor, um das Car⸗ 
neval in jener raſenden Luſt zu feiern, mit der die 
katholiſchen Völker ſich für die drückenden Entbeh— 
rungen des Jahres ſchadlos zu halten pflegen. Hier 
ſah man einen rieſigen Tenatero **) im ungeheuern ſpa⸗ 
niſchen Generalshute und der Sergeantenjacke, Scep⸗ 
ter und Weltkugel in der einen Sand, in der andern 
ein Kreuz von Pappe, ftolz einherfchreiten, den Gr- 
löfer von Atolnico ***) vorftellend; ihm zur Seite 
eine Schaar von Indianern, Zambos und MeftizenT), 
in Apoftel, Jünger, jüdiſche Priefter und Weiber 


metamorphoftrt, vor dem göttlichen Meifter unzüch- 
tige Tanze und Sprünge aufführen; daneben Adam: 
und Eva, vom Engel mit flammendem Schwerte aus - 





*) Der Bazar auf dem Hauptplatze Mexiko's. 


**) Sin Erzträger; fie tragen 250 Pfund mit Leichtigkeit 


mehrere hundert Stufen hinan, und find grwipaen —— 
von ſehr ſtarkem Körperbau. 
***) Siehe Note I. am Ende dieſes Bandes. 
+) Siehe Note I. 





dem Paradiefe getrieben, das von einer Gruppe von 
Mefen dargeftelt wurde, die dad damalige Eden, 
wie es auf unfern Pfennigbildern repräafentirt wird, 
nicht übel vorftellten. An einem dritten Orte ließ ſich 
der Dios Padre *) herab, felbft den Reigen anzufüh— 
ven, zu dem die heilige Cäcilia, mit einer ſpaniſchen 
Raute verfehen, den Gangafo **) produeirte, während 
wieder das kleine Jeſuskindlein auf feiner Flucht nah 
Aegypten, einen gewaltigen Eſel reitend, Ströme 
Waſſers in die offenen Fenſter und den Vorübergehen⸗ 
den in die Geſichter ſpritzte. Dazwiſchen Schaaren 
von Leperos ***), Stutzern und elegant herausge- 
pußten Mädchen und Weibern, die fich in dieſem 
Schwarm von Indianern wie Sumpflilien im giftig 
ſchmutzigen Morafte ausnahmen; dann wieder Hun⸗ 
derte von Raketen, die ungeachtet des hellen Tages— 





*) Gott Bater. 

**) Der durch die Nafe gezogene Geſang, den die Guitarre 
begleitet; jo unmelodifch er auch ift, wird dazu gewöhnlich ge= 
tanzt. 

***) Auch Guachinangss oder Saragates genannt, (buchftäb- 
lich Ausfägige,) werden jene Unglüclichen geheißen, die zu Tau—⸗ 
fenden in der Stadt und den Vorſtädten Mexiko's dach- und fach- 
los haufen. (Siehe Note I. I.) 


Der Virey. I. 3 





—ı 2 ⸗— 





zur. — Freude der ——— — u ee in 

res Toben überging, fo wie einer der fer; 1 Schwär- 
mer zwiſchen einem Mirador*) oder unter die pe 
ten Damenföpfe, die von den Geländern herab wink⸗ 
ten, einfuhr. Ueberall die tollſte, wildeſte Freude; 





aber eine Freude eigener Art, ſo raſend auf einmal — 


ausgebrochen, ſo grell und plötzlich nach der Todten⸗ 
ſtille, die noch wenige Minuteg zuvor. geherrſcht Ba 
Auge und Ohr befremdet und —— die en Tau⸗ 
ſenden von Bacchanten und Bacchantinnen zuſah und. 
zuhorchte, die,. wie aus der Erde gewachſen, eine 
Miſchung von Phyſiognomien darboten, ſo chaotiſch, 
ſo ſchroff und bizarr und feindſelig ſich begegnend, 
wie fie auf der Erde nicht mehr geſehen werden kön⸗ 
nen! Ueppige Mulatinnen mit derben Zambos, Ino- 
chig hagere Indianer mit der gefülligeren Meftizin, 
ftattliche Greolen mit Alta atras, und darunter wie 
der Geftchter, Die zu Feiner befannten Race oder Abart 
des lieben Menfehengefehlechtes zu gehören ſhieen | 








*) Die vergitterten Balcone, mit deneir die Häuſer Merito's 
geziert find. _ Bi 


— 5 


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—) 3 — 


trieben und drängten fih um — und zu jenen heili= 
gen Faftnachtsfpielen, autos sacramentales genannt, 


in welchen die ſüdlichen Völker befanntlich eine eigene - 


Art von Rache an derfelben Religion nehmen, nach 
deren Gebräuchen fie menige Stunden zuvor. das 
böchfte Wefen verehrt; von denen aber nur fehr We— 
nige jenen myfteriöfen Sinn Fannten, den bie raffi- 
nirten, wenn gleich nicht aufgeklärtern, europäiſchen 


Völker ihren tollen Mummereien unterzulegen pfle= * 


gen.. Einige derfelben fehienen jedoch eine tiefere Be— 
deutung auszusprechen, und darunter Eine, Die wir 


um das merifanifche Volksleben auch von dieſer Seite 


kennen zu lernen, und näher befehen wollen. 

Es war eine Gruppe von zwölf Perfonen, bie, 
phantaftifch in die verſchiedenen Coſtüme der India= 
nerftämme des Landes gekleidet, einen fogenantıten 
Carro *) jo mahlerifh umgaben, dag man wohl jah, 


fie folgten der Leitung eines berechnenden Kopfes. * 


Die Indianer waren in Trauer und bewegten ſich als 
Leidtragend um dieſen Wagen, auf dem zwei Ge⸗ 


ſtalten ſich befanden, die das Attribut des Gräßlichen 





*),Ein zweirädriger Wagen. 
; 3* 


— 4 — 


und Komifchen fo feltfam in ihrem Aufzuge vereinig- 
ten, daß das Auge neugierig und ſchaudernd zugleich 
auf diefe fonderbaren Geftalten blickte, von Denen die 
Eine ausgeſtreckt auf dem Wagen lag: ein blutend 
verſtümmelter Torſo, aus deſſen Bruſt und abgehaue⸗ 
nen Arm= und Schenkelſtumpfen das Blut noch im⸗ 
mer tröpfelnd herabfiel, welches wieder von einem | 
zweiten Gefolge jpanifcher Verlarvter mit Gier aufs 
geleckt wurde. Noch fehien Leben in ihm, denn er 
ftöhnte und gab hohle Töne von fich, und mühte fih 
vergebens ab, das Ungeheuer, das, gleich einem Vam⸗ 
pyr, fih auf ihm niedergelaffen und feine Tigerflauen 
in feine Bruft eingefehlagen, abzufchütteln. Diefes 
obenan fißende Ungeheuer war eben fo feltfam an- 
zuſchauen. Es hatte das finftere Geficht eines wohl- 
genährten Dominikanermönchs, deffen Kutte es auch 
trug; auf der einen Seite hatte es eine brennende 
Tadel, auf der andern einen belfenden Hund; fein 
Haupt bedeckte eine Eupferne Gieffanne, die wahr- 
Tcheinlich das Helmfubftitut des Nitterd der Mancha 
sorftellen follte. Ueber diefen Helm ragten ein paar 
Flügel hinaus, nicht unähnlich denjenigen, die Die _ 
fruchtbare Phantafie alter Wappenfünftler dem Vogel _ 





—d 2 — 


Greif gegeben; der Nüden endigte im Schwanze des 
mexikanischen Wolfes Coyote, fo wie wieder dem Ca— 
guar die Taten angehörten, mit denen er den Torfo 
furchtbar zerfleifchte. 

Diefer fonderbare Speftafelaufzug hatte ſich die 
Tacubaſtraße herauf ‚in die Sant Agoftingaffe, von 
diefer in die Plateria, und aus, diefer wieder in bie 
Adlergaffe gezogen, und ſich endlich dem Stadtviertel 
Trespanna zugewandt, wo er vor dem Hotel gleichen 
Namens hielt. 

Die Haufen von Indianern, Meftizen und der far= 
bigen Bevölkerung waren allmälig durch Hunderte 
von Greolen verftärft worden, während der ftolgere 
Spanier mißtrauiſch aus den Fenſtern feines wohl. 
verwahrten Haufe dem fonderbaren Gaufelfpiele zu= 
ſah, um das nun Taufende von Zambos, Creolen, 
Indianern und Meſtizen einen Kranz bildeten, ſo ma— 
leriſch, eine Miſchung von Köpfen und Phyſiogno— 
mien, ſo chaotiſch, und eine Mannigfaltigkeit von 
glänzenden Prachtaufzügen und den ekelhafteſten Lum— 
pen ſo nahe an einander gereiht, wie ſie nur wieder 
in die ſem Lande geſehen werben kann. 





260 a 


Unter den veichften Mangaer), die * ER 
ahpegögen, war ein junger Mann, deſſen Geſicht 
ſchwer errathen ließ, welcher Race es angehörte. Es 
hatte alle Farben des Regenbogens/ die ſich auf der 
knapp anliegenden Seitenmasfe fo blendend natlir- 
lich darftellten, dag man in Verſuchung Fam, dieſes 
Farben ſpiel für Natur zu halten. Er war aus der 
Fonda **) von Trespanna heraus auf. die Straße 
getanzt, hatte ſich einigemal flüchtig vorfichtig umge⸗ 
ſehen, und ſich dann durch die Schaaren dem Gaukel⸗ 
aufzuge zu gedrängt und gewunden. Es war et 
Eigenes in der Art des jungen Stutzers denn e ein 
ſolcher konnte er, feiner reichen Kleidung nach, ge- 
nannt werden, das ihm ſchnell Platz verſchaffte. 
„Närriſche Leute! hirnloſe Leute! ſchweiniſche Hau⸗ 
fen! Was rennt, was drängt, was lauft Ihr? Was 
ſeyd Ihr gekommen zu ſchauen, zu ſehen? Wißt Ihr 
nicht, daß das Sehen verboten iſt, beſonders das 
helle Sehen?“ 
Der Ton des Stutzers, ſeine plötzliche orſenmn 








*) Der Mantel eines Mexikaners. 
*), Ein Gajthof erften Nanges. 











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und das tecke Originelle ſeines Weſens, im Gegen⸗ 
ſatze zu dem ſcheuen Benehmen der übrigen Creolen 
die ſich vorſichtig dem Wagen näherten, ihn einige 
Augenblicke mißtrauiſch betrachteten, und dann fich 
ſchnell zurückzogen, um in ſicherer Ferne des Weitern 
zu harren, hatten nicht verfehlt, die allgemeine Neu—⸗ 
- gierde auf ihn zu lenken. 

„Wohl denn, Volk son Mexiko oder Anahuac*), 
wenn Ihr jo Euch lieber nennen hört, das heißt Az- 
tefen, und Tenochfen, und Dtomiten **), und Me— 
ſtizen, und Zambos, und Altra atras, und Blancos, 
die der Teufel,“ flüſterte er leiſer, „ganz oder wenig⸗ 
ſtens zum zwanzigſten Theile holen mag. #**) 

„Bravo!“ riefen Hunderte von Meftizen und Zam- 
608, denen die letzten Worte des Stutzers auf einmal 


I 





*) Der eigentliche Name des einſtmaligen Kaiſerthums. 
**) Agtefen, Tenochken, wurden die alten Merifaner genannt. 

Otomiten ift ein zahleeicher zweiter Hauptftamm Mexiko's. Die 
Sprachen der Azteken und Otomiten find die verbreitetften, und 
zeichnen fich die eine durch ihre Härte, die andere durch ihre 
Meichheit aus. 

***) Man nahm an, daß die Spanier, die Gehieter des Lan- 
des, den zwanzigſten Theil feiner weißen Bevölkerung, das heißt: 
ungefähr 60,000 Seelen, ausmachten. 


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über fein politifches Glaubensbekenntniß Licht gege⸗ 
ben hatten. „Bravo escuchate!* *) ertönte es wie— 
der und wieder. | 
Mährend diefes Bravorufens hatte fich der Mann 
tanzend und wieder windend durch die Haufen zum 
Popanze hin Plab gemacht, den er aufmerffam be— 
trachtete. | 
„Alſo Ihr möchtet gerne wiſſen?“ vief ex wieder. 
„Wiffet Ihr aber, daß eben diefes Wiffen verboten 
ift? Ei, aber fehauen möchtet Ihr, denn das Schauen 
ift nicht verboten, und wenn Ihr Feine Mulos **) 
feyd, fo mögt Ihr auch ſehen, helle ſehen!“ 
„Wenn wir aber Mulos find?“ rief eine Stimme. 
„Dann will ich Euer Ariero ***) ſeyn,“ Tachte der 
Stußer, der um das Schauftück mittlerweile herums 
getanzt war. „Alſo Mulos jeyd Ihr!“ rief er auf- 
bliefend; „Madre de Dios!}) Das feyd Ihr ja ſchon 
gewefen alle Tage Eures Lebens, ſeit namlich der 
finftere Gachupin da — er deutete auf das Ungeheuer 





*) Hört! * 
**) Maulthiere; das gewöhnliche Laſtthier in Mexiko. 
**x) Maulthiertreiber; ein ſehr zahlreiches Gewerbe. 
) Mutter Gottes. 





— 29 — 
halb Mönch, halb Thier — das arme Ding, das 
Einige Anahuac, Andere Mexicotl*), wieder Andere 
Guauhtomozin **) nennen, zu feiner Lagerſtätte er- 
foren. Arme Mulos, und wieder Mulos! Ihr jeyd 


J wie mein armer Sancho, der nichts will als Bier, 


und wieder Bier, und nochmals Bier ***). Arme 
Mulos!“ | | 

„Arme Mulos!“ feufzten Hunderte unwillkürlich, 
wechſelsweiſe das blutige Ungeheuer und wieder den 
Sprecher anftarrend. 

Auf einmal hob der Stußer die Kutte des Unge— 
heuerd, und der vom Rumpfe getrennte Kopf des 
blutigen Torfo Fam zum Vorſchein. Es waren in- 
dianifche Züge, von einer Meifterhand jo natürlich) 
dargeftellt, daß Hunderte yon Stimmen mit einem 
Male riefen: „Guauhtomozin!“ 

„Guauhtomozin!“ ſchallte es dumpf von Munde 
zu Munde, während der Pregonero7) (dieſen Namen 





*) Der merifanifche Kriegsgott. 
**) Der Teste amerifanifche Regent. 
***) Sollte eigentlich Pulque heißen ; denn Bier war damals 
in Merifo, und ift noch heute wenig befannt. 
+) Wörtlich überſetzt: Ausrufer, 





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hatte der Stußer bereit von der Menge e 
fortfuhr, den Schleier von dem ſeltſamen Aufzuge 
lüften. 5 Re 

„Seht, hier find feine Klauen am tiefſten einge⸗ 
hackt; es iſt Guanaxuato und Guadalaxara!“ ſprach 
der Pregonero, und die Menge ſchauderte wiedet 
„Es iſt Tio Gachupin,“ lachte er auf einmal, fir 
dem Abſatze herumwendend, „Tio Suhayin,®), der 
das Spiel, das er vor nicht, ganz dreihundert Jahren 
mit dem armen Guauhtomozin — — Nein, es iſt 
Guauhtomozin's Geiſt!“ rief er, „der erſchienen, 
blutend und um Rache ſchreiend.“ 

So viel war nun dem Haufen glinahlis Klar ge⸗ 
worden, daß der Spektakelaufzug eine tiefe, ja ge⸗ 
fährliche, politifche Bedeutung habe. Die Menge hatte 4 
ſchnell zugenommen; die flachen Blumendächer, Die 
Miradors der nahen und entfernten Häu uſer waren 








*) Vetter Gachupin. Gachupin ift ein — Wort, 
deſſen Bedeutung eben fo wenig erklärbar iſt, als die der Be 
nennung Yankee. Die Spanier behaupten, es bedeute einen 
Helden zu Pferde; die Indianer und Kaften — einen Dieb: Es 
wird allgemein als ein Schimpfname betrachtet, mit dem man 
vorzüglich die Spanier und die ihnen anhäugenden Creolen be— 
zeichnet. 





un, 


mit unzähligen Köpfen angefült. Es herrſchte eine 
tiefe Stille, die nur vom Geflüfter der Neugierde 


oder dem Gemurmel des Schauders unterbrochen 
würde, welches der Judianer mit einem fo eigenthüm⸗ 
lichen Tone von ſich gibt, wenn ihm jene theuern, fo 

tief im Herzen ruhenden Erinnerungen an die Ge⸗ 


walt und Herrſchaft feiner Vorfahren durch Zufall 


ausgepreßt werden. Auf einmal rief es: „Vigilan- 
cia! Vigilancia !* *) von einem fernen Mirador her- 
ab. „Vigilancia!* ſchallte es von Mund zu Munde. 
„Vigilaneia!‘ rief der Pregonero; „Gracias Senoras - 
y Senores!“*) Yachte er, duckte fich und verſchwand. 
In wenigen Augenblicken war vom gräßlichen Sinn- 
bilde Meriko's felbſt keine Spur mehr vorhanden, 
und als endlich die beiden Alguazils mit ihren Stä- 
ben fih Bahn gebrochen hatten, regnete es Feen 
von Pappendeckeln und Trümmer gebrochenen Holzes 





9 Wechſaneit! Habt Acht! 

*) Dank, gnädige Herren und Herrſchaften! Senor, gleich— 
bedeutend mit dem franzöfifchen Seigneur, fpricht jeder weiße 
und auch Schwarze Merifaner an, fo armfelig er übrigens auch 
feyn mag. Senora, gnädige Frau. Senoria, Herrfchaft, Herr- 
lichkeit. Diefer letztere Titel wird nur Perfonen gegeben, die 
Oberftenrang haben. 





—h 32 &— 


auf ihre verhaßten Häupter; die Menge ſelbſt war, _ 
gleich einer Woge, durch einen gewaltigen Fels ge- 
borften, auf allen Seiten ausgerifjen, und brach 
großentheil® in den Gafthof ein, vor dem die Scene 
ſelbſt ftattgefunden hatte. 

Dieſer Gafthof, der erſte Mexiko's zur Zeit, in die 
unfere Epifode fallt, war, jo wie heutzutage, der Ver⸗ 
einigungspunkt der hohen und niedrigen Welt der 
Hauptftadt, das heißt des größten Reichthums und 
der efelhafteften Blöße, die nur gedacht werden kön— 


nen. Die untern Gefchoße nahmen eine Art Bazar 


ein, in denen Waaren mexikaniſcher Fabrikate zum 
Berfauf ausgeboten wurden; die obern Säle waren. 
zur Bewirthung der Gäſte beftimmt, und mit einer 
Pracht ausmeublirt, die auffallend mit diefen Gäften 
felbft contraftirte. 

Im erften diefer Säle ftand ein großer, langer 
Tiſch, einer Billardtafel ähnlich, auf. dem Kaufen 
Sifberd Tagen, die Taufende von Pinftern betragen 
mochten, während die Garderobe der ringsum fißen- 
den oder ftehenden Spieler um eben fo viele Pfennige 
zu theuer bezahlt gewefen wäre. Außer den Worten 
Senor und Senora war faum ein Laut zu hören; 


. 


—H 3 — 


aber dafür ſprachen ihre giftig feurigen Blicke deſto 
vernehmlicher, und ein Grimm war in ihren Augen 
zu leſen, der jeden Augenblick in Mord und Todtfehlag 
ausbrechen zu wollen fehien. 

Der zweite Saal war, wo möglich, von einer noch 
häßlicheren Klafje von Menfchen angefüllt, die lie— 
gend, ftehend, hockend, auf allen Vieren, in Stelluns 
gen hingeſtreckt waren, die nicht befehrieben, viel we— 
niger gefehen werden mögen; zum Theile befchäftigt, 
ihre und ihrer Kinder Köpfe von jenen Anwohnern 
zu reinigen, die der ganze Reichthum diefer Klaffe zu 
ſeyn pflegen ; eine Befchäftigung, der fie fich mit einer 
Sorgfalt überliegen, als wenn diefe zur Feier des 
dia de fiesto *) gehört hätte. 

Ein dritter Saal war den Chocolade- und San- 
garee **)-Trinfern gewidmet, die ihre Gläfer und Be- 
her mit einer Behaglichkeit Yeerten, die in der efel- 
haften Nacktheit und Armuth ihrer Umgebungen noch 
einen eigenen Reiz zu finden fehien; denn zwifchen 
Stühlen, Bänfen und Tifchen lagen und krümmten 





*) Fefttag. 
**) Ein Getränk, aus Zuder, Zitronen, Wale, Rum imd 
Gewürz bereitet. 














ſich die Elenden, Leperos genannt, gleichwie ı 
dungsmittel, das ſämmtliche Klaſſen Mexikos 
menhielt; und wieder zogen ein: reich geklei 

nier, Spanierinnen 23 Greolen, die ng 


mädchen, die froh und üppig einhertangten R ebd 
und Käftchen tragend, und „Piazza po 
Senoras! ‘“) ſchreiend, hintendrein die En 
die diefem Gefchrei mit ihren Säbeln un X 
den nöthigen Nachdruck gaben. * 

„Carracco! que bella y cara compania!“ ner 
auf einmal diefelbe Stimme, die wir unten auf de P 
Straße als den Ausleger der gefährlichen Faffnachte- | 
pofle gehört haben, und die num Pin | 
feiner Larve nach zu fehließen, angehörte, der in ein | 
ganz neuen Anzug in den Saal trat, die Geſellſche 













*) Platz für unſere gnädige- Frauen! 
**) Cortejo, lieg Corteho, Cavaliere serviente. F 
**œ)y) Verdammt! welch cine ſchöne und liebliche Ge 
) Caballero, Cavalier. Jeder von ſpaniſchem Blute ab⸗ 
ſtammende Merikaner macht auf dieſe Benennung Anſpruch. 








“ 





En — 35 &— 


milt jenen flüchtigen Blicken meffend, mit denen der 
“ Hohe Wüftling eine untergeordnete Klafje von Men- 
sehen zu muftern gewohnt ift. „Carracco! a la Bo- 
Bi nanza!“*) rief er, an den langen Tifeh tretend und 
J eine Rolle Piaſter auf eine Karte werfend, die im 
niachſten Augenblicke auch ſchon gewonnen hatte. 
„Bravo, bravissimo! Doble!‘“ ſchrie er. 
F Der Stutzer hatte wieder gewonnen und die Sum— 
me, fo beträchtlich fie auch war, ohne eine Miene zu 
J verziehen, auf die frifche Karte geworfen. | 
Ki „Treple!“ fehrie er, als fie wieder gewonnen: 
‚„Quadruple!‘ ein viertesmal, und mit dieſem legten 
lüc falle warf ihm auch der Banquier ſeine ganze 
n Baarſchaft mit den Worten: „Maledito gato!“ Hin, 
und erhob ſich von feinem Site mit einem Blicke, fo 
grimmig, daß man hätte glauben ſollen, es müffe 
den nächften Augenblick Mord und Todtfchlag erfol- 
gen. ‚Wider alles Erwarten jedoch nahm der Mann 
ſeine zwei Realen, die er in den Ohren ſtecken gehabt, 
rief den Kellner, hielt —* — die beiden Silberſtücke 








ry Holle! zum Glück! Bonanza bedeutet aber vorzüglich 
wi Glück in Bergwerksunternehmungen. 


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vor die Augen, und — auf das eine: bed, 
feierlich: „Cigarros!“ und auf dad andere: „Arguar- * 
diente de cana!“*) und nachdem er ſo über fein. 
Geld disponirt, ſchlug er, in Erwartung ‚der beiden | 
Labſale, feine Manga mit jo vieler Kunſtfertigkeit 
über die Schulter, daß der Zipfel der andern Hälfte 
zugleich bis zu der Hüfte herab verlängert wurde, 
und es ſo einiger Aufmerkfamkeit bedurfte, zu ger 
wahren, daß einer der beiden Schenkel gänzlich des 
nöthigen Artikels, Beinfleider genannt, ermangelte. | 
„Senoras ySenores! ala Bonanza!‘ **) rief nun 
der glückliche Eroberer der Schäße feines Vorfahren, 
indem er gleichermaßen zwei Realen *æx) aus einem 
bejondern Beutelchen herausnahm, und ‚einen in in jedes 
Ohr fteckte, welche Handlung er mit dem Beiden des 
Kreuzes begleitete. 
„Plazza Gavillas!‘“ +) rief es auf einmal ie, | 
„Plazza por las Senoras!“ und mit diefem Aufe trat 
















) Num (aus Zuderrohr). ; 
**) Kommen Sie Damen und Herren, zum Glücke. | 
**) Neal, ver achte Theil eines Piaſters, wird, das Glück 
feſtzuhalten, den Spielern in die Ohren geſteckt. J 
+) Platz, Pöbel! Mit dieſem Namen werden vl die 7 
Nebellen bezeichnet. | 





ein Zug fpanifcher Soldaten mit ihren oder Anderer 
Weibern ein. “ 

Sie waren auf eine Weiſe herausgeputzt, um die 
ſie manche unſerer vornehmen Damen beneidet haben 
dürfte, ſo wenig der Schnitt ihrer Kleidung dies auch 
verdiente, Vor jeder dieſer Spanierinnen ſchritten 
drei Mulattomädchen mit loſe anliegenden Seiden- 
röckchen, die ihnen bis zu den Knieen reichten, und 
fo locker und lockend anlagen, daß Bufen und der 
ganze Leib ohne Mühe zu erfehen waren; die Haare 
in goldfadige Nebe gewunden; an den Armen Span— 
gen von gleichem Metalle. Das Erfte diefer Mädchen 
trug ‚ein offenes Käftchen mit Cigarren, aus dem 
mwechfelweife die Dame und ihr Cortejo fich zuhalfen ; 
das Zweite ein Körbchen mit Zuckerwerk, dem gleich- 
fans Häufig zugefprochen wurde, und die Dritte die 
Geldbörſe. 

„Plazza!“ erſchallte es wieder, und die Begleiter 
der Damen, wohlbeftallte Unterpffiziere der fpanifchen 
Truppen, ſchwangen ihre Rohrſtöcke und Säbel, daß 
Indianer und Meftizen und Zambos wie gemäht von 
Bänken und Stühlen purzelten. 

Der Birey. I. 4 


— 8 


' „Carracco! que quiere ‚deghi usted?" 9 rief 
unſer neue Banquier, der ſich auf feinen Sit, nieder 
gelafien hatte, auf einmal auffpringend. = todos 
Bastos y bastas de todo el mondo“ — 


Er ſprach dieſe Worte ſo drohend, und Tine Ger 


ſtikulation war ſo echt mexikaniſch, daß drei der Ser— 
geanten mit einemmale auf ihn zuſprangen. 

„Gojo, que quieris rn EP ©: 

Gojo!“ rief dev Merifaner gleichfalls „und dabei 
fuhr feine Hand unter Die Manga, und die Bewegung 
war jo fehnell von den fämmtlichen ‚weißen, ſchwar⸗ 
zen, braunen und grünen Phyſiognomien nachgeahmt 
worden, daß die drei Sergeanten nebſt ihren Damen 
mit einemmale zurückprallten. Nur die Vierte hatte 
ſich in der Nähe des Tiſches gehalten und ſchwang 
nun die Karten, die Geſellſchaft zum Spiele ein— 
ladend. | 

Diefe Einladung hatte auch einen. unbegreiflich 





*) Alle Teufel, was wollen Sie damit fagen? 

**) Ym aller Kuittel ver Welt willen! Die ſpaniſchen Kar— 
ten heißen oros, espadas, copas und bastos. Diele letzteren 
ftellen Knittel, und figürlich jene Symbole vor, die mit unferen 
Hirſchgeweihen gleiche Bedeutung haben. 

***) Hund, was foll dieß bedeuten? 














ſchnellen Erfolg. Diefelben Menfchen, die fo eben 
Partei auf Leben und Tod für ihren Landsmann ge- 
nommen hatten, — denn dieß verrieth das myfteriöfe 
Langen unter die Mangas — erfahen kaum, in 
weſſen Sand fich die Zauberblätter befanden, als fie 
auch wie mit Einer Stimme riefen: . 
„Por el amor! Va usted con Dios Senor!“*) 
„Va usted con cien mil demonios Senor !“* **) 
brülften die Spanier. Hi? 
Der junge Mann ſah abwechfelnd feine armen 
Landsleute, dann wieder die Spanier an; dann, wie 
ergriffen von der fonderbar originellen Höflichkeit und 
Grobheit Beider, lachte er laut auf, packte pfeifend 
feine eroberte Beute zufammen und räumte den Saal. 
Seine Wanderung durch die anftoßenden Säle 
ſchien einige Zeit hindurch eine abſichtsloſe zu ſeyn; 
er ftolzirte durch den einen, ftieß bier mit einem Be— 
fannten auf ein Glas Aguardiente an, nippte einem 
Andern aus dem Chofoladebecher, half einem Dritten 
feine Sangaree leeren, und fehleuderte fo eine Weile 





*) Um der Liebe Gottes! Gehen Eure Herrlichfeit mit Gott. 
**) Gehen Sie mit allen hunderttaufend Tenfeln, gnädiger 
Herr! 

4 * 


+0 


herum, bis er ſich endlich in —E— — Saal 


verlor, wo er an die Flügelthüre trat, die verſchloſ⸗ 
ſen war, und an die er mit den SEE 


„Ave Maria purissima!‘ J 


Sie wurde aufgethan. | Bee. 

„Sine pecado concebeda,‘‘ **) fügte er hinzu. 
„Por el amor de Dios No fineza, no piedad!***) 
Können Sie nicht fagen: „Sine pecado concebeda 
Senores?“ 


u Bweites Kapitel. 
Verdades dire en camisa. 


Poco menes que desnuda. 
Quevedo. 


Die Geſellſchaft des Saales war von der fo ebi 


beſchriebenen vortheilhaft verſchieden; ſie beſtand aus 


beiläufig fünf und zwanzig jungen — die, 





9 Gegrüßet ſeyeſt Du, reinſte Maria! — der gewöhnliche 
Gruß der in ein Zimmer Tretenden. 
**) Ohne Sünde empfangen! — die Antwort darauf. 
***) Um der Liebe Gottes willen! Feine Frömmigkeit, Feine 
Artigkeit mehr zu finden. 











3 Dre: du Sa ae Pa RE 


— 4 > | 
re Ammtlich in die reiche Tracht des Landes gekleidet, 
Mangas verfehwenderifh mit Sammt, Seide und 
‚Gold verbrämt, Jacken mit Otterfellen ausgeſchla— 
gen und gleichfalls mit Gold verbrämt, und die 
übrige Kleidung von entfprechend Eoftbaren Materia= 
lien hatten. Das fpige, feine Hohnlächeln, mit dem 
fie den Eindringling mufterten, und ihre vornehm 
gleichgültigen Blicke auf die Goldhaufen, die den Tiſch 
bedeckten, verriethen geübte Sazardipieler, oder, was 
in Mexiko daffelbe fagen will, Edelleute vom höch— 
ften Range. Der Saal war Eoftbar meublirt, Tifche 
und Seſſel vom feinften Holze und reich vergoldet, 
Vorhänge, Eſtrada's, Luftres nach der neueften 
Fagçon. 

„Sechszehn machen einen Dublon,“ *) ſprach der 
junge Mann, der, nichts weniger als verſchüchtert 
durch den vornehm geringſchätzigen Empfang nun 
zum Tiſche trat und eine Rolle von ſo vielen Pia—⸗ 
fern auf eine der Karten ſetzte. 

‚No pueden,“**) erwiederte der Banquier, der 





*) Ein ſpan. Dublom ift gleich ſechszehn Silberpiaftern. 
**) Können nicht. 


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mit feiner hölzernen Hand das — gering 
zurückwies. * 

„No,pueden,“ ſprachen in 1 dempldensinofige 
Tone die Kavaliere, „una sociedad;con fuero“ 9). 

„Una sociedad con fuero ?“ wiederholte der Mann 
kopfſchüttelnd. „Allen, Reſpekt vor. Fueros, Nota 
bene, wenn fie refpeftirt werden. Wiſſen Sie aber, 
Senores, daß unfer Fuero älter ift ?« 

„Dein Buero älter, Gato? Yu #*) — Einer der 
Edelleute gedehnt. 

„Ei, gewiß iſt es älter, und gerade ſo alt, als die 
Madre Eecleſia ***) zum Narren geworden iſt.“ 

„Die Madre Eccleſia zum Narren geworden? 
Gato, wie meinft Du dieß?“ 

„Ei, zum Narren geworden; fie fraß nämlich fo 
viele Narrheit, daß fie ganz zum Narren geworden 
ift, wie Sie fehen können, wenn Sie auf die Gaffe 
ſchauen wollen. Juft fo, wie die Madre Patria}) 





*) Eine Gefellfchaft mit einem Privilegium, geichloflene » 
Geſellſchaft. 
**) Gato heißt Katze, figürlich Spitzbube. 
*x*) Mutterkirche. 
) Madre Patria nennt ver Mexikaner Spanien. — Mutter- 
fand. 








9 3 9 | 


fo viel merifanifches Blut uhren; daß fie ganz 
blutdürſtig geworben ift.u 

Die jungen Kavaliere wurden auf einmal aufmerf- 
ſam. „Paz Senor! Va usted con Dios,*) und möge 
Ihnen der Alguazil Fein Geleit in die Cordelada gez, 
ben,“ Sprach der Banquier. 

„Paz wollen Sie, Ruhe wollen Sie ? Sie N AROR 
fie nicht finden, nicht mehr in Meriko finden! — 
Ruhe wollen Sie?“ wiederholte er ſchwärmeriſch, 
feurig, „Sie werden fie jo wenig finden, als Pedrillo. 
Keine Ruh, feine Ruh’, Feine Ruh' beit Tag und 
Nacht; Nichts das ihm Vergnügen macht.“ Und 
mit diefen Worten brach er auf einmal in die wunder⸗ 
ſchön Yaunige Arie Pedrillo's aus, die er mit einem 
Feuer und einem Aufſchwunge abjang, daß die Ka— 
valiere den Mann mit offenen Mäulern anftarrten. 

Zugleich waren im neben anftoßenden Saale eine 
Guitarre und Gaftagnetten eingefallen, die den Ge⸗ 
fang regelmäßig begleiteten. 

War es der Reiz der Ueberraſchung, oder das 
Driginelle in der Weife des Sängers, der das Bruch— 





*) Ruhe, mein Onädiger! Gehen Sie mit Gott. 


Maine FR ar Ei 0 


— Mm 


ftüf aus dem Meiſterwerke des berühmten und. — 
zur Ehre des Creoliſchen Geſchmackes ſey — 
— in Mexiko hoch beliebten Tonſetzers ſo unvergle 
lich a limprovista gegeben hatte, Die Kapaliere J 
‚gen wie von einem elektriſchen Funken berührt auf, 
und zwanzig Dublonen —— ihm mit einemmale in 
die Manga. FT: 
„Encora!-Encora!“ riefen Alle. % 
„Senorias!“ ſprach der Banquier, der allein mür⸗ 
riſch gehorcht hatte und nun unſerem Aventurier näher 
trat, „ich warne Sie, Senorias! Ich erkenne in dem 
Caballero“ — er ſprach das Wort in einem ſpitzig 
wegwerfenden Tone — „denſelben Gentilhombre, *) 
dem die Alguazils ſo eben auf den Ferſen waren, und 
der uns dieſe ungebetenen Herren ſehr leicht auf den 
Hals bringen dürfte!“ Be * 
„Biſt Du ß Gato, der den Alguazils die Naſe 
gedreht?“ vief en Mehrere. 
Doch der junge Mann hatte ſtatt aller. Antwort 
mit dem Fuße geftampft, und, als wäre diefed Stam— 
pfen ein Zauberfchlag, jo öffneten fich zwei Blügel- 








*) Gentleman, aber in einem ironifchen Einne. 











{+5 


thüren, gegenüber denjenigen, durch die er gekommen, 
und heraus traten vier Geftalten, “die , fleifehfarben 
feidene Masken auf den Gefichtern und eben ſolche 
‚Kleider auf dem Leibe, zwei herrliche, "aber etwas 
üppige Tänzerpanre bildeten. 

„Senioras, por el amor de Dios!‘“ warnte, bat, 
flehte und drohte der Banquier. 

Mit den vier Tänzern waren zwei Begleiter mit 
Guitarren gefonimen, die fie nun anfchlugen. Dieſes 
entfchied. Die Kavaliere, im Anſchauen der üppigen 
Umriſſe der herrlichen zwei Mädchengeftalten verfun- 
fen, ſahen und hörten nichts mehr vom Bangquier, 
der haftig und mürriſch feine Geldhaufen zuſammen 

fcharrte, fie in einen Kaften padte und den Saal 
verließ, als wenn der Feind ihm auf den Ferfen nach- 
folgte. * 

Die Guitarren hatten geklungen, die Tänzer ſich in 
Bewegung geſetzt, die Caſtagnetten knackten darein, 
und nun führten die zwei Paare einen Tanz auf, den 
der ſtärkſte Pinſel vergeblich in ſeinem raſenden Lie— 
besentzücken zu ſchildern verſuchen würde. Jede Be— 
wegung war reine Natur, Hingebung, hinſchmelzende 





— 16 — 
Luft. Sie begannen mit dem Bolero, *) und gingen, 
durch ein raſches Stampfen mit dem Fuße und ein 
Wirbeln der Arme in den Fandango ber. Alles war 
Wolluſt, üppig glühende Wolluſt, aber nicht jene grobe 
Wolluſt, unter der gewöhnliche Fandangotänzer ihre 
Ungeſchicklichkeit zu verbergen pflegen. Die höchſte 
Poeſie dieſes zugleich üppigen und zarten Tanzes 
ſtellte ſich in jeder Bewegung jo unnachahmlich er- 
greifend dar, daß die Kavaliere in ſprachloſem Ent- 
zücken mit Yauten Ah's und Oh's! vorfprangen, den 
aufgeregten Sturm tobenderXeidenfchaft zu beſchwich⸗ 
tigen. — Sie prallten, als wäre der Blitz vor ihnen 
in den Boden gefchlagen, zurück. Ein widrig geftöhn- 
te8 Brr! tönte aus der hintern Ecke des Saales, und 
unterbrach. plöglich und graufam ihre Zauberbilder. 
Sie wandten ſich nochmals nach dem Gegenftande, 
der fie fo plößlich zurückgefcheucht, und gewahrten 
eine Geftalt, die das Erftaunen unferer Lefer kaum 
minder erregen dürfte, als fte e8 bei den jungen Ka= 
valieren gethan. Tr 





*) Ein dem Fandango ähnlicher Nationaltanz. Die Bewegun— 
gen find rascher. 





47 e— 


Auf einer Ottomane, die im Hintertheile des Saa- 
les fich längs der Wand hinzog, lag halb und ſaß 
bald eine Geftalt, deren Anzug einen Moslem bezeich- 
nete, und zwar einen Moslem des höchiten Ranges. 
Sein Kleid war grün, fein Turban gleichfalls; in 
dieſem Letztern glänzte ein Gefchmeide funfelnder Edel- 
ſteine, das Alles übertraf, was in Meriko diefer Art 
bisher noch gefehen worden war. Dafür aber waren 
die Züge des Moslems wieder die zurückftoßendften, 
die gedacht werden Fonnten. Eine niedrig zurückge⸗ 
bogene Stirne, mit blau grauen, ſtieren, gläſernen, 
und doch tückiſch lauernden Augen, in denen Treu— 
Iofigfeit und Graufamfeit ihren Sit aufgefehlagen zu 
haben fehienen. Zwiſchen der Stirne und diefen Aus 
gen neigte fich eine lange Nafe raubthierartig zu einer 
Dberlippe herab, der Gefräßigfeit angeboren fchien, 
während die Unterfippe in äußerſter Erfehlaffung nie- 
derhing; die Kinnladen diefes häßlichen Geſichtes wa— 
ren vieredfig und lang, der Mund groß. Leber das 
Ganze war ein Eolorit ausgegoffen, das ganz den 
tückifch falfchen und mwiderlichen Zügen des Geftchtes 
entfprach und feiner Farbe angehörte. 


* 
48 ⸗—— 

„Por el amor de Dios!“ *) ſchrieen unſere Kava⸗ 
liere nun wirklich erſchreckt. Por el amor! Was 
ſoll das? Was hat dieß zu bedeuten?“ 

Sie naͤherten ſich wieder furchtſam En 
Geftalt und ſchraken wieder zurüd, als wenn in Die- 
fer Figur ein böfer Zauber läge. | 

Neben ihr Enieten zwei andere Moslems, der Gine | 
in einem blendend weißen, der Andere in einem grü- 
nen Türban. Sie hatten ihre Hände auf die Bruft 
gefaltet, und ihre Geftchter berührten beinahe den 
Teppich. 

„Brr!“ ftöhnte der Moslem, fich verdrießlich auf 
der Ottomane dehnend, in einem Tone, der mehr dem 
Grunzen eines Borſtenthieres, als einer Menſchen⸗ 
ſtimme glich. Beide Moslems prallten auf die Seite, 
und erhoben ſich ehrfurchtsvoll, einen Schritt zurüd- 
tretend, ohne die Kavaliere auch nur eines Blickes zu 
würdigen. 

Die Neuheit diefer jonderbaren Scene ſchien Die 
jo jehr außer Faſſung gebracht zu haben, dag auch 
fein Einziger ein Wort zu fprechen wagte. 





*) Um Gottes Liebe willen. 





—) 19 ⸗ 

' „Zil ullah !* ſprach derWeißbeturbante, „Zilullah! 
Seine Hoheit haben wieder gefprochen. Geſprochen, 
aber wie viel gefprochen?“ ſetzte er troſtlos hinzu. 
„Ben Haddi würde heute gern bloßen Fußes die 
Walfahrt beginnen —“ | 

„Und Bultfhere,“ fiel ihm der Andere ein, „den 
ſchwarzen Stein von Ararat füffen —“ 

„Wenn,“ begann der Erftere wieder, „Seine Ho— 
heit von diefem Uebel hergeftellt würde. Zil ullah! 
Drei Tage haben Ihre Hoheit weder von der Bohne 
son Mecca gefoftet, noch von dem glorreichen Safte, 
der die Gläubigen ſchon bei Lebzeiten in das Para— 
dies verſetzt —“ 

NO von dem Safte,“ fiel der Andere ein, „den 
und Shiras in fo reiner Süfe liefert; noch Haben 
die Hoheit die janften Liebfofungen der holden Zu— 
leima, noch die feurigen der rafchen Fatima begehrt, 
feit drei Tagen nicht begehrt. Was fol Alles dieß?“ 

„Es find Unverdaufichfeiten,“ ſprach der Grün- 
beturbante. 

„Regierungsſorgen,“ erwiederte der mit dem wei— 
Ben Turban, „wir müſſen ihn zerftreuen. Es find 


— 


— 50 — 


frifhe Almas *) und Odalisfen angefommen. 
müſſen ihn zerftreuen. Pi N 


Er näherte fich fofort dem quaft eatife Beni ie 
war der hohe Rang, den der figende Moslem vor⸗ 


ftellen follte, und nachdem er fich zur Erde geworfen, 


trug er die Bitte vor. Es folgte wieder ein Grungen, 
das wie Zuftimmung gelten konnte, worauf fich der 
Vezier freudig erhob, einen Schritt zurück trat, drei- 
mal mit dem Fuße vernehmlich, doch nicht zu heftig, 
ftampfte, und dann. mit feinem Gefährten in die Ecke 
trat, um der kommenden Dinge zu harren. 

Zur Berwunderung unferer Kavaliere öffneten ſich 
wieder die Flügelthüren, und vier Tänzerpaare tra— 


ten ein in fo glänzend prachtvollem Koftum, als 


ſelbſt dasjenige der Moslemin verdunfelte. Ihnen 
folgten vier rabenfchwarze Geftalten, von denen die 
zwei Erſteren die ſpaniſch morifche Guitarre trugen, 


die Dritte das oftindifche Tomton **) und die Vierte 


die perfifche Flöte. 
Eine Weile ftanden die acht Figuren in — 





*) Türkiſche Tänzerinnen. 
**) Die oftindische Trommel. 





se ee ed 1 a 





—5— 


vollem Karren, als wieder ein Brr fich hören ließ, und 
der Kopf des Moslem, den wir befchrieben, ſich erhob, 
um das neue Schaufpiel feines Blickes zu würdigen. 

Ein Adagio der Öuitarre, in welches das Tomtom 
wie das entfernte Rollen des Donners einfiel, all- 
mählig ftärfer und ftärfer werdend, eröffnete den 
Tanz. Dann fielen die Caftagnetten anfangs ein= 
zeln knackend ein, und endlich erhob fich der Flöte 
fanfter Ton, das Ganze zur Harmonie verbindend. 
Gerade fo hatten ſich die Tänzer geformt ; anfcheinend 
Eunftlo8. und ganz Natur, verſchmolzen fte allmählig 
in. die fhönfte, üppigfte Tänzergruppe, mit ihren 
bunten Schleiern Regenbogen bildend, hinter welchen 
die ſchwellenden Geftalten wie Houris hervorläcel- 
ten. Aller Blicke waren bloß auf den befchriebenen 
Moslem gerichtet. Bald ging das Adagio in das 
Allegro über, die Bewegungen der Tänzer wurden 
rajcher, ihre Geberdenfprache Tebendiger, das Spiel 
ihrer Glieder üppiger, wollüftiger ; mit jedem Gaftag- 
nettenknacke wurden ſie feuriger, verlangender; Aller 
Blicke, Aller Bewegungen jehienen nur auf den 
Kalifen gerichtet zu jeyn, die Eines Paares ausge⸗ 
nommen. Es war die zarteſte der vier Mädchenge— 


— 
* 


{42 ur i 

falten, die, von einem Perferfrieger verfolgt, 

im Tanze zu entfliehen ftrebte. Bewund iderr ngsr yürd 
Yösten fich dieſe zwei Geftalten aus der ri van 
um eine Weile ihr eigenes Spiel zu v lger Di 
Fliehende glitt fo ſchnell, und ihte Beweg 1 ge waren. 
fo eigenthümfich zart und reizend, daß der Kalif 4 
reremale die Augen weit öffnete (aut ftöhnt 
Bei jeder ſolchen Bewegung fehlen ber Sihmerz pe % 
armen Perſers bis zur Verzweiflung zu fteigen, und 










ein lautes Bravo entfuhr den ſämmtlichen Kavalie⸗ 


ren; nur den Kalif ſchien dieſe Kunſt der Sinnes⸗ 
luſt ungerührt zu laſſen. Einigemale ſtierten ſeine 
Augen, und es ſchoß ein Strahl des Verlangens 
daraus hervor; aber ſchnell verſiegte wieder der ſchwach 
auflodernde Funke, den felbft des Perfers Triumph 
über die nur ſchwach widerftehende Geliebte, nicht 
wieder aufregen zu können fehten. Das Ganze war 
jo finnenfigelnd, daß Keiner unſerer Kavaliere es 
länger auszuhalten vermochte, und Alle mit glühen- 
den Gefichtern der Thüre zuftürzten. * * 

„Brr,“ ſtöhnte er wieder mit derſelben kreiſchend 
grunzenden Stimme. „Und Ihr nennt das Zeitver⸗ 
treib, was wir tauſend und abermal tauſendmale ge- 





— 53 — 


ſehen haben? Ein Holländer könnte auswachſen wie 
feine Zwiebel. Beim Barte des Propheten!“ rief er 
heftiger. „Vezier, jo wir heute feinen Schlaf, und 
morgen feinen Appetit haben, jo haft Du die Schnur, 
und Deine Almas ſtecken auf Pfählen.“ 

Der Vezier ftand ſprachlos ob diefer Drohung, der 
Emir mit weit aufgefperrtem Munde, die Tänzer und 
Tänzerinnen wie angezaubert feft gebannt in derfelben 
Stellung, in der fie waren, als die Donnerworte 
gefprochen wurden; Eine der Bajaderen hielt ihr Füß⸗ 
chen in wagrechter Lage, ſo daß die Zehenſpitze i in 
den offenen Mund ihres Tänzers zu ruhen Fam; eine 
Zweite hatte in der Verzweiflung den ihrigen in der 
Falte des Gewandes des Emirs verloren, der, vor 
Schmerz aufs und abrennend, fie nun auf dem ihr noch 
gebliebenen Fuße mittanzen ließ; Alle drückten Schrecken 
und Entjegen fo unvergleichlich natürlich aus, daß 
der Kalif auf einmal ind lauteſte Gelächter ausbrach. 

„Beim Barte des Propheten!“ rief er mit demſelben 
widerlichen Gelächter: „Wir haben große Luft Dir den 
Kopf, Vezir, wirklich abſchlagen zu laſſen, um diefe 
Scene nochmals, und mo möglich in verftärkter Natür- 
Yichkeit, zu genießen.“ 

Der Virey. 1. 5 





u Pen: Ss 43 — 
„Allah Akhar!““ *) tiefen Vezier ur d ( n 
ng und Tänzerinnen. Und Alle brach 
Lobpreiſungen der Gnade Allahs aus, der große 
Wunder durch feine Sklaven gethan, und ein te Lad hen 
hervorgebracht, das die Hoheit erquickt hatte. A 

Dieſer einftimmige Beweis von — er 
fehlen dem Kalifen wohlgefällig zu ſeyn &r nickte, 
und der Emir, durch dieſes Beifalls chen aufge⸗ 
muntert, wagte es näher zu treten. 

„Wir wollten nur unmaßgeblich;⸗ hob er an 

„Beim Barte des Propheten! unterbrach, ihn der 
Kalif: „Wir wiſſen, was Du ſagen willſt Wir 
brauchen den Vezier, ſo wie wir Blutigel brauchen, 
um angeſetzt zu werden, wo überreiches oder verdor⸗ 
benes Blut vorhanden. Ich habe gedroht, Einem die⸗ k 
fer unnüßen Tänzer — — Was meinft Du, ers | 
würde fie Springen machen ?« 

„Verzeihung, Hoheit! würde fie ſicherlich erlahmen; 
vielmehr einem Schwein aus dem ge: Volk ge⸗ 
nannt, — — A 

„Ober Einem, der Zechinen befigt;“ ſchaltete der 













*) Gott ift grof. 


— — 


— 55 — 
Bu ein: "Die Schatzkammer Deiner Hoheit iſt 
ſehr leer, und dieſe Almas ſind arm wie Kirchen⸗ 
mäuſe der Giaours, und nützliche Diener des Staates.“ 
„Beim Barte des Propheten, Du ſagſt recht, ſie 
ſind nützliche Diener des Staats;“ bekräftigte der 


Kalif, ſeinen Unterleib ſtreichend, „und ſie mögen y> 


unferer Hulden und Gnaden verſichert ſeyn. Laſſe 
alſo einem paar Dutzend aus einem der Beſeſtans die 
Köpfe abſchlagen, und ihre Zechinen dieſen armen 
Teufeln zur Hälfte zu Theil werden.“ 

Ein leiſes Tappen an der Thüre ſchien — 
um Einlaß zu bitten. Der Vezier hatte ſie geöffnet, 
und kam mit der Nachricht zurück, daß der Ober⸗ 


Emir die Gnade einer Audienz begehre. 


„Wieder Regierungsſorgen, und nichts: als Re— 
gierungsforgenzu brummte der Kalif, und ließ das 
Haupt ſinken wie zur Ueberlegung; dann hob er es 
mürriſch und ſprach: „Es ſey, wir wollen den geiſt⸗ 
lichen Oberhirten unferes Neiches empfangen. Ent- 
fernt Euch ſchnell und tretet ab; denn nicht geziemt 
es fih, daf wir den Ausleger des Korans in derlei 
fleifchlicher Gefellfehaft empfangen.“ 

Tänzer und Muftker traten nun in den Sinter- 

5* 


— 56 ⸗— 
grund, fehoben die Kavaliere gleichfalls in dieſen zu⸗ 
rück, und erwarteten mit gefalteten Händen den Ober⸗ 
Emir, der gleich darauf geſenkten Hauptes herein kam 
und, nachdem er vor den Kalifen getreten, mit ae 
Gefichte den Teppich berührte. 

„Entledige Did) Deiner Worte, maßen wir fo eben 
in Hohen Regierungsangelegenheiten begriffen gewe— 
fen; auch der Zuftand diefes unferes Leibes — u 

„Bismallah !‘“ *) fprach der hohe Priefter zum Höch- 
ften der Moslemin: „Wir Haben Gebete ausgefchrieen, 
ausrufen laſſen von allen Tempelzinnen; befohlen, 
daß die Gläubigen fih mit Staub beftreuen. Mir 
haben Männer aufgenommen, die heilige Wallfahrt 
zu thun, und den fehwarzen Stein von Ararat zu 
füfjen, um diefes- körperliche Vebelbefinden Deiner 
Hoheit — u 

„Du haft wohlgethan, Ober-Emir;“ ſprach der 
Kalif. 

„Licht der Welt, das mehr denn die Sonne dur 
feinen Glanz erhellt,“ fuhr der Ober-Emir fort, „wir 
haben auch in Anbetracht des großen Uebels, das 





*) Im Namen des Herr. Anfangsworte der Kapitel des 
Korans. 








— 37 ⸗— 


dem Reiche erwachjen mürde durch Diefes Uebelbefinden 
Deines Leibes, in dem Buche, das uns ftatt aller 
Weisheit der Giaours dient, nachgeſchlagen, und 
darinnen gefunden, daß Harun al Rashid von einem 


ähnlichen Vebelbefinden heimgefucht ward, welches 


Uebelbefinden er fich ohne Zweifel durch übermäßige 
Anftvengung in Erfüllung feiner Serrfcherpflichten 
zugezogen — 4 

n Halte ein, Ober⸗Emir!⸗ donnerte ihm der Kalif 
zu: „Halte ein, und wäge Deine Worte, bevor Du 
redeſt. Herrſcherpflichten ſagſt Du? Herrſcherpflich— 
ten? Wer hat Pflichten? Gewürm, ſolches wie Du, 
das wir aus dem Staube gehoben haben, bat Pflich— 
ten; wir aber haben weder mit folchem Gewürm, noch 
mit Pflichten etwas ‚zu thun; wir, der Vikar des 
Propheten. Unfer Vergnügen ift Euere Micht, und 
unſer Wille iſt Euer Gebot.“ | 

„Ohne Zweifel, ohne Zweifel, Licht der Wert!« 
verbeſſerte fich der Ober⸗Emir. „Dein unteriwürfiger 
Sklave wollte jagen, Vergnügen. Wohl, als Harun 
al Rashid fich in ähnlichen Betrübniffen befand, 
"welche er fich zweifelhaft zugezogen durch übermäßige 
Anftrengungen in Vergnügungen — — 4 






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= Nail 
— J * a 
A 
x SE. 


Sklave,⸗ brach her Kalif BIENEN ſpot 
—— unſer, ſagend, daß Harun al Ras id, a nf 
glorreicher Vorfahr, ſich übernommen F Habe in Ver⸗ 
gnügungen, fo darauf anfpielend, daß u ung Ä 
übernommen haben? Werfen wir unsnicht täglich 
neunmal Neunmale, das Angeſicht gegen Mekka ge⸗ 
kehrt, zur Erde? Haben wir nicht noch geſtern an 
zwaänzigmal unſern Namen unterſchrieben, verdam— 
mend diejenigen ungläubigen, räudigen Hunde zum 
Tode, die gottesläſterlich von ung, dem Vikar des 
Propheten, geſprochen, und im Quartier 
gegen unſere geheiligte Perſon geläſtert hab 1, 
— was fagten die Hunde? — Haben wir nicht Be⸗ 
fehl ertheilt zu hüngen, zu ſpießen, zu vertilgen wie 
ſchäblicheg Gewürm alle Diejenigen, die da zweifeln, 
bebenten "der überhaupt denken? Haben wir nicht 
dieſen Befehl überall verkünden Yaffen zu des Pro- 
pheten und unſeres eigenen Namens größerer Ehre?“ | 
Der Kalif hielt inne. Auf einmal wandte er fich zum 
mir: „Und nun fage an, was Harun al Rashid, 
unfer glorreicher Vorfahr, gethan, wenn er von Trüb- 
jalen, gleich ung, heimgefucht worden!“ Be 
„Bismallah !““ begann der Priefter: „Wenn Harım 








al — betrübt rs in — Art, wie es Deine 
Hoheit iſt, ſo hat er mit dem Buche, welches wir mit 
uns gebracht und aus dem, wenn es Deiner a 
beliebt, Du erjehen kannſt und ſelbſt fejen - — —— 
„Wicht, elender Wicht!⸗ brauste der Kalif wieder | 
auf, und warf einen Blid der tiefften Verachtung 
auf, den Sprecher und fein Buch: „Warum halten 
wir Dich und Deines Gleichen, wenn es nicht iſt, 
Dasjenige für uns zu thun, was ſelbſt zu thun unter 
unſerer Würde wäre? und iſt Leſen von Büchern 
nicht. unter unſerer Würde? und enthalten Bücher 
nicht die Geſinnungen von Böſewichtern, da ſie über 
Dinge reden, welche ſie nichts angehen, und die auf 
alle mögliche Weiſe zu vertilgen wir uns vorgenom⸗ 
men und Befehl gegeben haben! Haben wir nicht 
die Seidenjchnur zu reichen befohlen allen Denjenigen, 
von welchen verlautet, Daß fie derlei Bücher nicht 
bloß fchreiben, fondern nur leſen? Haben wir es 
nicht zur Bedingung unſeres Wohlgefallens gemacht 
für alle unſere Getreuen, nicht zu leſen, nicht den 
Kopf mit Dingen zu beſchweren, die Böſewichter Auf⸗ 
klärung heißen, und welche nur dazu taugt, ihnen 
die Köpfe zu verwirren? Haben wir nicht deßhalb 






0 


auedrůcllch eine Schar von Müfiggängern an fen 
Hof genommen, von denen Du das O er] ya | 
‚und die ftatt unferes ganzen, Volkes leſen und denlen 
müſſen und ſollen?“ ——— 
„Und warum ſollte das Licht * — ſrach | 
der Oßer-Emir, „Er, den alle Weisheit unter der 
Sonne erhellt — — 4 | 
Der Kalif fah wohlgefällig auf: „Beim Barte des 
Propheten! Du haft, ein wahres Wort gefprochen. 
Nebel würde es dem Imaum al Moslemin *) anfte- 
hen, zu leſen, und ſich um die Geſinnungen * Ge⸗ 
danken von Euch Gewürm zu bekümmern. Doch 
laſſe uns hören, was unſer glorreicher Vorfahr ge⸗ 
than, wenn er in einer ähnlichen Betrübniß geweſen.“ 
Der Ober-Emir, der auf den Knien gelegen, rich— 
tete ſich nun zur Hälfte auf und ſprach: | 
„O Dut der Du allen Völkern als Die Wonne der 
Seele gegeben bift, wie foll ich meine Bewunderung 
hinlänglich ausdrücken, um Deine hohen Gienſhat 
ten würdig zu preiſen — — 4 
„Halt ein einen Augenblick, Ober-Emir 34 fiel ihm 
der Kalif ein. „Du ſollſt und mußt wiſſen, daß uns an 








*) Haupt der Gläubigen. 





— 1 — 


Deinem Preifen und Deiner Erfenntniß unferer guten 
und hohen Eigenschaften nichts gelegen it, und daß 
Dein Preiſen ftinkt in unferer Nafe und übel klingt hi 
in unfern Ohren, und gang und gar werthlos iſt. 
Unterwürfigkeit und blinden Gehorſam fordern wir, 
das iſt Alles, was wir brauchen. Es geziemt ſich 
nicht für ſolches Gewürm, das wir aus dem Staube 
gehoben und wieder in den Staub zurückwerfen kön— 
nen, zu und aufzublicken, mit dem Vorhaben, unfere 
guten Eigenſchaften auszufpähen, bei fothaner Aus- 
ſpähung leicht auch — — “ Der Kalif wollte wahr- 
feheinlich fagen, unfere böfe Eigenſchaften, — hielt 
aber inne. \ 

„Du ſollſt,“ fuhr er fich verbeffernd fort, „zu ung 
aufblicken, wie Du zur Sonne aufbliekeft, in der Du 
weder Gutes noch Böſes, Schädfiches noch Unſchäd⸗ 
liches ſiehſt, die Du nur fühlſt in ihren Wirkungen, 
Segnungen, Zerſtörungen; fo ſollſt Du zu uns empor⸗ 
blicken. Und nun fahre fort uns zu ſagen, was Harun 
al Rashid gethan, wenn er in ſolchen Trübſalen 
| befangen, in welchen wir gegenwärtig find. « 

„Allah Akbar! Harun al Rashid, wenn behaftet 
mit dem Hebel, über das Deine Hoheit klagt, hatte 





en 
die Gewohnheit, ſich in allerlei T 
den, als da find die der Kaufe 
‚Seeleute ı EI SR | 
„air wiffen, “fiel ihm der Kau ein, „und ob⸗ 
wohl wir fehr geneigt find, unferm ghorreichen 9 Vor⸗ 
fahren in Allem nachzuahmen, wenn dieſes zu 
viel Anftrengung unfern Geiſt und Körper a fügt, 
jo zweifeln wir doc, ob hegenwärng En — 
Wiſſe, A fuhr er, in einem leiſern Tone fort, „daß 
zwar Harun al Rashid unſer Borfaße, daß aber 
unfer hochherrliches Blut, Dank jey es der Duint- 
effenz unferer Borfahren, immer reiner, geiftiger, — 
ſelbſt als das Haruns al Rashid, geworden. Wir 
können uns daher unmöglich herablaſſen, Harun al 
Rashid nachzuahmen in dieſem Punkte. Wie,“ hob 
er wieder an, „wir ſollten uns herablaſſen, unter 
die ſchweiniſchen Kaufen, Volk genannt, und. zu | 
mengen, und unfere Geruchönerven durch ihren Ziwie- 
bel⸗ und Knoblauchgeſtank beleidigen — dieſes 
Aggregat von Unflat!“ 
„Aber um Deine Hoheit zur Duinteffeng, alle Ri 
Defien, was rein geiftig und Hoch ift, zu machen, 
muß da das Volk, oder wie wir es nennen, der 




















— 63 — 


RE nicht Aggregat des Unflats wer⸗ 


den? Steht es nicht im Koran, daß der Menſch einen 


Funfen des göttlichen Geiftes habe? aber fteht 8 


nicht auch im dem Buche, in dem die Erfahrungen 
Harun al Rashid aufgezeichnet find, daß der Führer 


der. Gläubigen, der Vikar des Propheten, die Funken. 


wie in eine Sonne ſammele?“ 

Wahr ſprichſt Du;“ verfeßte der Kalifz „wir 
haben alles Geiſtige und alle Materie aus unſerm 
Volke * ausgeſogen, und zur Quinteſſenz in uns 


ſelbſt umgewandelt, daß unfer Volk nun ganz und 


gar Schweine find.“ 

„Zi Ullah'“ rief der Ober⸗Emir, deſſen Blicke 
ſich zur Thüre wandten. 

„Und nicht nur deßhalb,“ fuhr * Kalif fort, der 
ſich durch dieſe Bewegung nicht ſtören ließ, „fondern 
auch weil uns unſer Bruder auf dieſes Schloß, das 
Einem ſeiner erleuchtetſten Getreuen gehört, verſetzt, 
und uns mit aller Fürſorge umgeben, können wir dem 
Beiſpiel Harun al Rashid nicht Folge leiſten.“ 

„Es wundert mich doch,“ flüſterte der Emir in der 
Ecke dem Vezier zu, „daß die Hoheit, die, unter uns ge— 
ſagt, die lügenhafteſte Hoheit iſt, die je über die Gläu⸗ 


BE a: SE he VL, 2. Ye 





— 64 e 


bigen geherrſcht, ſolchen Abſcheu vor den ſchweiniſchen 
Haufen hat, ſie, die ſich mit allen liederlichen Dirnen 
in den Straßenwinkeln und an Brunnenecken ——* 
gewälzt.“ 
„Hush!“ warnte der Emir, Du, Dein 
Genick jey von ir fennft Du die Launen eines 
Kalifen ſo wenig — — “ 
„Nein,“ beſchloß der Kalif, „wir wollen ein dem | 
Bropheten mwohlgefülligeres Werk thun, und zwar 
wollen wir beginnen, mit eignen Händen das zwölfte 
Unterröckchen für die Mutter deffelben zu Tage zu 
fördern, auf daß fie mit jedem Monate wechjeln kann.“ 
Schon mehrere Male war an den Flügelthüren 
des Haupteinganges zum Saale ein Geflüfter zu hören 
geweſen, das die Anmwefenheit von Horchern verrieth: 
ein Umftand, der die Hälfe der kecken Repräfentanten 
des Kalifats in Gefahr bringen Eonnte. Ohne fich jedoch 
durch Diefe Anzeichen von Spürhunden ftören zu Taf 
jen, hatten die Moslemins fortgefahren ihre Rollen zu 
fpielen, und der Kalif erhob fich mit all der Würde und 
ftoifchen Hoheit eines morgenländifchen Beherrfchers, 
jeinen beiſtehenden Dienern nochmals verfündend, 
wie er Großes thun, und das zmwölfte Unterröckchen 





ie ) 


65 


mit eigener Hand für die Mutter des Bropheten fer= 
tigen wolle. So war der Zug zur Thüre gefihritten ; 
als Einer der Kavaliere aus dem Erftarren, in wel- 
ches Alle diefer merkwürdige Auftritt verſetzt Hatte, 
erwachend, plöglich auffprang, dem Kalifen ins Ge— 
ficht ftierte, und mit den Worten „Por el amor de 
Dios! Fernando el Rey!“*) wieder zurückprallte, 
nochmals vorlief und, Halto traidor**) fehreiend, den 
Kalifen zu erfafien ſtrebte. Selbit in dieſem gefähr- 
lichen Momente vergaß Diefer die angenommene 
Würde nicht. Einen Blick hoher Geringſchätzung 
warf er auf den Jüngling, und ſchritt dann zu der 
Thüre hinaus, während der riefige Emir den Creolen 
erfaßte, wie eine. Feder aufhob und, „ihn weit in den 
Salon zurückfchleudernd, die Thüre zuwarf. 

Noch ftanden die ſämmtlichen Kavaliere in Schrecken 
und Staunen verfunfen, als die andern Flügelthüren 
krachend aufgerifjen wurden, und mehrere Alguazild 
hereinftürzten, wüthende Blicke in dem Saale umher 
warfen, und als fie die Gegenftände ihres Suchens 





*) Um Ootteswillen! Ferdinand der König. 
**), Halt Verräther! 





—H 66 8 Be — 





nicht ſahen, unter lauten Flüchen ind Verwünſchun— 
gen durch die zweite Thüre rannten, dürch welche die 
ſeltſamen Akteurs verſchwunden waren/ und weiter 
von Saal zu Saal, laut ſchreiend: Tiendo te traid i 
Tiendo, tiendo vos traidores. *) Im w ithei 
Aundlaufe waren fie wieder in den Saal gefon n m 
wo die Edelleute, ſprachlos und bewegungslos noch 
immer ſtanden. 

„Todos diablos!“*) ſchrie Einer der Be { 
zum Fenfter gerannt war: „Sie find inden Patio**) 
hinab, acht Varas***) hinab; Demonio!*“F) brülfte 
er mit einer Wuth, die ihm den — aus dem 
Munde trieb. j 

„Und. Ihr, Saballeros !u ++) ſhnaubte er RR 
Kavaliere .an, denen diefe Scene nun erft vollends 
die Bedeutung der beifbiellos kecken Pasquinade fund 











**) Ich halte dich, ich habe euch Verraͤther. a RL, * 
*) Alle Teufel! — — 

**) Hofraum. 

*) Mexrikaniſche Elle. | 
+) Teufel! ein etwas gelinderer Fluch als Diablo. 


7) Hier wird es im farfaftifchen Sinne gebraucht, ſo wie 
dieß häufig der Fall ift. 





# 





— 7 — 


gethan, und die athemlos, bleich und zitternd ſtanden. 


„Und Ihr, Caballeros!“ jehrie er mit ‚gellender- 
‚Stimme, „bat e8 Euch beliebt, mit dem geheiligten - 


Namen der Majeftät Euern Spott zu treiben?“ 


„Don Battijta, bei unferer Ehre! Wir nö: 


nicht, wir wußten nit ne 

„Bei unferer- Ehre, donnerte ein zweiter Häſcher, 
* „Ihr ſollt es bezahlen, bezahlen mit Euern Köpfen, 
Hunde von Greolen. 4 

„Don Jago!“ riefen die empörten Kavaliere dro— 
hend. „Uuf unſere Ehre — — 4 

„Auf unfere Ehre,“ überfchrie fie der Wguazil, 
wären wir Birey — — 4 

„Was nicht ift, kann ia werden! Ihr feyd ei ge= 
borner Gachupin,“ ſchrie Einer der Kavaliere mit 
bitterem Spotte. | 

„Wir find ein Spanier, und Ihr ſeyd nur elende 


Creolen; -elende, elende Ereolen; y basta!‘‘*).. 





Seclbſt die Geduld des Schafes Hat ihre Gränzen, 
und fo auch die unferer Creolen. Die Kavaliere 
ſprangen Alle auf einmal wie rafend auf den Alguazil 








*) Und das iſt genug. 


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— 68 


108; doch Diefer hatte den Ausbruch des Sturmes vor⸗ | 
geſehen, und war mit Einem Sage zur Thüre hinaus. E 
Hunderte von Creolen der Mittelklaffen, Meftigen, 
Zambos und Spanier hatten ſich vor | der T | reg 
ſammelt, und ſtanden, ohne jedoch für die sine oder 
die andere Partei auch nur ein Wort zu —* 
Unſere Kavaliere ſelbſt ſtarrten ſich noch — 
an, und dann, als entſetzten ſie ſich vor 


Geſtalten, verſchwanden ſie haſtig —* ale Am 









„Da gehen fte, die glorreihen Sprößlinge des 
verdorbenften Blutes, das in Mexiko rinnt, fünf oder 
ſechs ausgenommen,“ flüſterte zwei Minuten nach 
dieſem Auftritte derſelbe Pedrillo, den wir der Rollen — 
ſo viele ſpielen geſehen haben, und der, bereits wieder 
ins Unkenntliche — vor dem Thore des 
Hotels ftand. — 

„Thut mit dieſem adelichen Blute,“ fuhr er brum⸗ 
mend fort, „was Ihr wollt, kitzelt ſie, wie Ihr wollt; 
wenn. es nicht eine Tänzerin ift, fo Hilft Alles nicht." 

„Bit Du des Teufels!“ entgegnete ihm fein Ge⸗ 
fährte, „Dich da herzuſtellen, kaum zwei Minuten nach⸗ 





a vi we. Per 
\ : 7 
« 
— 69 — 


dem Du der Nobilitad *) und den Alguazils eine 
forche Nafe gedreht? Bei meiner Seele, ich jehe Dich 
noch, ehe das Jahr um vier Wochen Alter ift, auf 
der Veracruz⸗ Esplanade **) dem Verdugo zum Ka- 
ballito dienen. ***) 

„Pah! Eure Alguazils, elende Kerls! zu Inqui— 
ſitions⸗Famillars 7) gut genug; aber zur höhern 
Spionerie — ja, wären e8 Franzoſen, das find Dir 
Kerls! In Kuba kannſt Du ihrer fehen; aber dieſe 
Spanier müſſen erft ein Vierteljahrhundert ‚abgerich- 
tet werden. Wollen auf die Plazza. Iſt hohe Zeit.“ 

Und mit diefen Worten fehritten die Beiden recht 
gemächtich der Plazza ee Tr) zu. 3 

*) Hoher Adel. | * 

*) Der Richtplatß von Mexikoo. 


+) Dem Verdugo zum Kaballito dienen. Verdugo iſt der 
Henker, Kaballito das Pfervchen ; in Mexiko werden jene.Berg- 





‘ Teute fo geheißen, auf deren mit Sätteln verfehenen Rücken 


Mineros und Sotomineros (Beamte) die Schachte hinab- 
und auffteigen. Da nun bei den Hinrichtungen in Meriko 
der Scharfrichter fih dem Gehängten auf die Schulter fegt 
fo ift das Sprichwort „dem Verdugo zum Kaballito dienen“ 
mit „gehängt werden“ gleichbedeutend. u. 

+) Ein Häfcher, Spion. * 

jr) Der Hauptplatz von Mexiko, den der Palaſt des Viee⸗ 
königs und die Kathedrale mit andern Prachtgebäuden zieren 





Der Virey. I. 6 





— 0 — 





Zum mindeften bie Strafe J Be 


Erfahren, obgleich du nur —— | 
Pania. . . Niehab ich vein Geheiß 
Mit größ’rer Luft erfüllt, als jeßt.. . 


Byron. “ 
Meriko ift eine jener Städte, ‚die weniger du j e 
Pracht und Menge ihrer. Batäfte und öffenllichen 
Denkmäler, als durch ihre Lage, dem Blicke des ſie 
Betretenden imponiren und u— werden. 
Dieſe Lage ſelbſt hat wieder, an ſich genommen, fehr 
wenig Vortheilhaftes; ein bizarrer Geſchmack und 
. eine eigenfinnige Laune hat den Regierungsſitz eines 
ungeheuern Reiches, jo ganz allen Regeln einer wei⸗ 
fen Politik und ſelbſt des gefunden Menſchenverſtandes 
entgegen, jo vorſätzlich in einen Sumpfboden und in 
die Nähe mehrerer gefährlicher Seen hineingezwängt, 
um abgefchloffen von aller Wert alljährlich der Ge- 
fahr einer Ueberſchwemmung und früher oder fpäter 
der Zerftörung preisgegeben zu werden, daß nur der 
unbefchreibliche Heiz der Umgebungen mit diefen grel- 
len Uebelftänden einigermaßen verföhnen fann. Wirf- 


z 


— 71 — 


lich übertreffen aber dieſe Umgebungen auch Alles, 
was an Grandioſem je geſehen oder gedacht werden 
mag. Es erhebt ſich nämlich die Stadt, nördlich vom 
See Chaleo und weſtlich vom Tezcuco — und den 
obern Seen, in Form eines Parallelogrames, das 
von geradlinigen Straßen durchſchnitten wird. Die 
Häufer diefer Straßen würden wir. niedrig nennen, 
da fie fich nicht haufig über. ein Stockwerk erheben ; 
aber diefer einförmige Anblick wird reichlich ſowohl 
durch ihre Farbenmannigfaltigkeit, ihre glänzend⸗ 
geſchmackvollen Balkone, die prachtvollen Blumen- 
garten auf den Terrafiendächern, vorzüglich aber durch 
die Großartigkeit der vielen Regierungspaläſte and 
öffentlichen Gebäude und zahlreichen Kirchen gehoben, 
und fo der Eindruck der, Regelmäßigkeit und Einfach— 
heit in's Impoſante geſteigert. Was jedoch Mexiko 
den Vorrang vor jeder andern Binnenland-Hauptftadt 
zufichert, find ihre einzig prachtvollen Umgebungen, 
oder vielmehr Gontrafte. Die großen Waſſermaſſen 
der fünf Seen, die diefe Stadt im Süden, Often und 
Norden umglänzen, die herrlichen Sruchtgärten, mit 
allen europäifchen und tropifchen Früchten und Blu— 
men duftend, find nicht malerifcher, als die rauhen, 
6* 





-n=- | 
nadten, von aller Vegetation entblößten Vorphyr⸗ 
und Baſaltgebirge, die dieſe Stadt in der Entfernung 
von fünfzehn bis zwanzig Meilen, und doch ſcheinbar 
ſo nahe umgeben, daß das Auge keinen Zwiſchenraum 
zwiſchen den Häuſerreihen und den Felſenklüften ſieht. 
Die außerordentliche Reinheit der Atmoſphäre wäh— 
rend der trockenen Jahreszeit bringt namlich die Fel— 
fenketten des Tenochtitlan⸗Thales *) und jelbft Die 
entfernteren ſchneebedeckten Rieſenkuppen des Itztac⸗ 
cihuatl und Popocapetetl **) dem Auge fo nahe, daß 
fie allem Gefegen der Optik zu fpotten fiheint, und 
einen Contraſt bildet fo prachtvoll exotiſch, daß fich 
der Beſchauer in eine neue Welt hineingezaubert 
glaubt. 


Die Sonne neigte ſich bereits zum — als 
die beiden waghalſigen Abenteuerer, ſchlendernd durch 


* 





*) Die alte Benennung des Thales von Mexiko von den 
Tenochken. 

**) Die Kuppen dieſer ehemals feuerſpeienden Berge, von 
denen der erſte über 15,000, der andere über 17,600 Fuß über 
der Meeresfläche ſich erheben, ragen auf allen Seiten über die 
das Thal umgebenden Baſaltgebirge hervor. 


m 


—3- 


mehrere Straßen, in der obern San Ngoftinogafje 
anlangten, um in die Plazza Mayor einzulenfen. Ein 
gewaltiger. Lichtftrom, der die ganze fehnurgerade, 
meilenlange Straße plöglich aufhellte, blendete ihre 
Augen, indem er die ganze Öftliche Reihe der Häuſer 
in taufend phantaftifchen Geftalten vor ihren Blicken 
ſchwirren ließ, während die wetliche bereit3 in die 
Dämmerung hinübergraute. Die grünen, gelben, 
blaßrothen, lichtblauen und wieder al fresco bemal- 
ten, oder mit Borzellain überffeideten Häufer fihienen 
in den gitternden Strahlen der Abendfonne eben ſo— 
wohl zu tanzen, als die bunten Haufen, die laͤrmend 
und tobend aus den untern Theilen der Stadt herauf- 
fchwärmten; Ströme von Wohlgerüchen, die aus den 
taufend Blumenvafen und den Gärten der Dächer ſich 
in der Abendluft entwickelten, ſteigerten den Sinnen⸗ 
rauſch zur Betäubung. Von dem äußerſten Ende der 
Strafe her funkelten in der Abendſonne die glänzen— 
den Porphyrmaſſen der Gebirge Tenochtitlans her- 
über und fchloffen ſich gewiſſermaßen an die Häuſer— 
reihen gleich ungeheuern Wällen glühenden Erzes an, 
das im Guſſe fortfehwilt. Verne her glänzte der 
Itztaccihuatl, mit feinem ſchneebedeckten Haupte einen 


* 


—— 


Sttom von Licht über die ungeheuern Por srmaffen 
gießend, die zu feinen Füßen liegen. Die: bendfonne 
Hatte num dieſen Scheidepunft der Grängberge Tenoch- 
titlans berührt und die entzückende Scenerie hervor⸗ 
gebracht. Die beiden Wanderer ſtanden in ſprach— 
loſem Anblicke verloren. 


„Carracco!“ rief Pedrillo endlich, und ſeine Bruſt 


ſchwoll ſichtlich von jenem tiefen Entzücken, mit dem 
der Südländer die herrlichen Naturſcenen ſeines Lan⸗ 
des fühlt: „Carraco! que bella y hermosa nuestra 
Ciudad! el gefe de todo el mundo. Ah, Mexico 
por siempre!“ 9 

„Ah, que bella y hermosa!“ fhottete fein Ge- 
fahrte, indem er auf die zerlumpten Volkshaufen deu- 
tete, die, untermengt mit reich gefleideten Männern 
und Damen, nun ftärfer und ftärfer in die Plaza 
zu ftrömen anfingen, unter Diefen ein zahfeeicher 


Schwarm von Indianern, die vom Berarruzthore 


herabfamen, und bei deren Erfcheinen unfer Pedrillo 
mit den Zähnen knirſchte, und dann, - gleichfam als 
wäre er nicht fähig, den eckelhaften Anblick zu er- 





*) Alle Teufel! Wie fchön, wie herrlich ift unfere Stadt, 
das Haupt der ganzen Melt! Meriko fir immer! 


4 


— 5 
tragen, jeinen Gefährten anfaßte und ihn mit fich der 
Plazza zu fortrip. 


Der Indianer, deren Anblist unfern Pedrillo fo 
ſehr aus feinen Träumen geſchüttelt, mochten einige 
Taufend feyn, meiftens alte Männer, Weiber und 
Kinder. Ihr troftlofes Wefen verrieth herbe Drang— 
fale, gänzliche Ermattung und eine Yange, mühevolle 
Manderung, Die Weiber hatten wenig mehr am 
Leibe, ald Feen von ſchwarzen, groben Wolldecken, 
in deren Löcher ſie die Köpfe gefteckt hatten, fo daß 
die Nefte flackernd um ihre haͤßlichen, nackten, ver- 
dorrten Leiber hingen. Auf ihren Rüden hockten die 
Säuglinge, während die ertachfeneren Kinder ganz 
nackt neben den Müttern einher Viefen und fih an 
ihren Lumpen fefthielten. Die Männer hatten Beben 
von Magueyleinwand *) oder auch, jogenannte Pa— 
nos **) um ihre, Lenden, ſonſt aber Feine Kleidung, 





*) Magueyleinwand wird von den beiden Species ver 
Quetzlotichtli- Aloe gewoben. Bei Zubereitung der Fäden ver- 
führt man wie beim Hanf oder Flache. Die Blätter werden 
ins Wafler gelegt, in der Sonne getrocknet und dann ge— 
brochen. 


**) Ein grober Zeug, in Zacateras verfertigt. 


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— 6 — » 
und ihre firaff über die Geſichter herabhängenden 
Haare gaben ihnen einen ungemein verſtört ⸗ 


lichen Ausdruck. Kaum daß ſie mehr aufeeät; zu leben 
vermochte, ftolperten fie der Plazza zu, gleich einer 
Heerde übertriebenen Viehes; nur ihre düſter und 
tückiſch umherſchielenden Blicke verriethen noch jene 
Ungebeugtheit und jenen tief verſteckten indianiſchen 
Grimm, den weder körperliche noch geiſtige Leiden 
ganz zu überwältigen vermögen. Als ſie auf dem 
Platze angekommen waren, lagerten fie ſich — ein 
elender und beinahe ſcheußlicher Knäuel. Ein düſteres | 
Gemurn sl ausgenommen, war Fein Laut von ihnen 

zu hören, und die prachtwollen Kirchen und Paläſte 

de3 herrlichen Plages waren nicht im Stande, ihnen 

auch nur einen Blick abzugewinnen. Die Haufen 
Leperos, Meſtizen, Mulatten und Creolen, die ſchwär— 
mend auf⸗ und niederwogten, hatten ſich ſcheu vor 
dem unſäglichen Elende der Schaar zurückgezogen, die, 
einem Schwarme Heuſchrecken nicht unähnlich, eben 
ſo unerwartet eingefallen, und gleich dieſem bereits 
Spuren ihres eckelhaften Daſeyns in den vergiftenden 
Ausdünſtungen und Unrathe zurückzulaſſen begannen. 
Die Glocken von den Thürmen der Domkirche hatten 


— 7 


ſechs geſchlagen; beim letzten Schlage fielen die Ave— 
Maria⸗Glocken der ganzen Stadt ein. Tauſende ent- 
blößten ihre Häupter und murmelten ihr Abendgebet, 
fo daß der ungeheure Lärm plöglich in eine Grabes- 
ftille, und eben fo ſchnell wieder in das lauteſte Tofen 
überging. Der letzte Glockenſchlag war noch nicht 
ganz verflungen, als auch ein Trupp Uhlanen aus 
dem linken Flügel des viceföniglichen Palaſtes hervor 
trabte, umd nicht minder mechaniſch inftinftartig an 
die Indianer anfprengte, als Diefe gekommen waren. 
Ohne einen Laut von ſich zu geben, brachen die Reiter 
auf den Knäuel ein, Treibern gleich, die ihre gewich⸗ 
tigen Knittel auf den Rücken der zoͤgernden Thiere 
ſpielen laſſen, und mit einem kaum ſchnellern Er— 
folge. Erſt als die Uhlanen in die vorderſten Reihen 
eingedrungen waren, fing der Knäuel an ſich zu be— 


wegen, doch ſo langſam, daß bereits mehrere Weiber 


und Kinder niedergeritten und von den Hufen der 
Pferde zertreten waren, ehe ſich die Uebrigen zu regen 
anfingen. Nur zuweilen entfuhren dem Haufen ſchnei— 
dend heulende Töne, dem Pfeifen des Orkans durch 
die Taue und Segelwerke vergleichbar. Kläglich war 
es übrigens anzufehen, wie einzelne Weiber die zucken— 





—H 78 Ze | | 
den Leichname ihrer Kinder unter den Pferdehufen 
hervorzerrten, fte mit aufgeriffenen Augen anftierten, 
mehr Orang-Outangs in ihrem höchften Schmerze, 
als Menſchen Ähnlich, und dann mit Klagelauten, 
die wenig von denen diefer Thiere verfchieden 4 
in die Straßen einbrachen. m 

Das Ganze bot ein feltfames Schaufpiel dar. Wie 
vom Winde hergeblafen, waren die Indianer erſchie— 
nen, und mit nicht minderer Schnelligkeit hatte die 
unfichtbare Gewalt ihre Werkzeuge herbeigeführt, fie 
wieder zu.vertreiben. Die übrigen Volkshaufen waren 
in jener Gefühltofigkeit ftehen geblieben, welche Men ⸗ 
ſchen eigenthümlich iſt, die an derlei Scenen gewohnt | 
find. Nur Wenige hatten fich in die noch immer offene 
Kathedral⸗ und San. Brancescofirche geflüchtet, aus 
denen fie, nachdem die Ruhe hergeftellt, wieder zum 
Vorſchein kamen. | Ey 





— —— —— — 


„Was Teufel hat das zu bedeuten?“ fragte unſer | 
Pedrillo, der, fein Cigarro rauchend, ganz gemüth- 
lich der unmenfehlichen Treibjagd zugeſehen hatte. 


— 79 


„Sure Gachupins find doch ſonſt, was man fagt, 
väterlich gefinnt gegen die gente irrazionale?« *) 
„Sp, jo," verfebte Pedro; „doch Dieje da haben 
etwas auf der Kreide, wie Du fo eben hören magſt.“ 
Bin Alguazil ſchrie eine Urt Proffamation der 
Menge vor, die er zur Ruhe aufforderte. 
„Ruhe! Ruhe! Volk von Mexiko!“ rief der Beamte; 


Ruhe, welche da iſt des Mexikaners erſte Prlicht, 


und Eure beſonders, die Ihr unter dem Schutze des 
Auges Sr. katholiſchen Majeſtät ſteht, welches da 
iſt unſer allergnädigſter Herr, der Virey, der beſchützt, 
und ſieht, und bewacht die Ruheliebenden, und ver— 
dirbt die Gottloſen und Widerſpenſtigen mit Feuer 
und Schwert, fo wie Ihr an den Gavecillas von Zi— 
tacuaro **) gefehen habt. Die Gerechtigkeit verfolgt 





*) Unvernünftiges Bolf wurden und werden die Indianer 


- noch immer von den weißen Merifanern geheißen. 


**) Die Spanische Negierung nannte und behandelte durch— 
gängig die Infurgenten nie anders, als wie den niebrigften 
Pöbel, gavilla oder gavecillas. Zitacuaro liegt 40 Stunden 
weftlich von Mexiko und wurde vom jpanifchen General Porlier 
eingenommen, dem Boden gleich gemacht, die Einwohner 
vertilgt oder vertrieben, und der Sit der Regierung nach) 
Marabativ verlegt, weil da eine Infurgenten-Regierungsjunta 
von D. Raynon gebildet worden und die Einwohner Wider- 
ftand geleiftet hatten. 





— 0 — 
die Ruheſtörer, wo fie fich zeigen. Viva Su Mages- 


tad Fernando VII. y el Excellentissimb Senor, 


nuestro Virey! Viva! Viva!“ * 

Einige Spanier verfuchten das Viva nadhguei 
ſchen, wurden jedoch von einem tobenden Muera l 
übertäubt, das tauſend Kehlen zugleich brüllten. Die 
Öffentliche Stimmung fing an, ſich ſchnell für die un- 
glücklichen Einwohner von Zitacuaro zu erklären. 

„Arme Teufel!“ ſchrie Einer, wich glaube, diefe 
Gente irrazionale wären genug beftraft worden, als 
der Obermeßger ihre Stadt niederbrannte, ihre? efber 
verwäüftete, ihre Baume umbieb, die Männer alle 





fehlachtete und die Weiber und Kinder mit einem 


Zettel wegſchickte. Mit dem können ſie ſich wärmen 

ſtatt der Wolldecke.“ x 
„Man jagt fie von Zitacuaro,“ ſchrie ein Zweiter, 

nach Guanaxuato, von Guanaruato nach Vallado— 


+ 


Id, von Valladolid nach Puebla, von Puebla nach 


Sombrerete. Uberall dezimirt man ſie, und ſo be— 


kommt man Ruhe; das iſt Euer Indulto.“**) 





*) Es lebe Ce. Majeftät Ferdinand VII. und Se. Ex⸗ 
cellenz unſer gnädiger Vicekönig! Er lebe hoch! NN 
**) Amneſtie. 


En EEE, F 


— 81 — 


„In Guanaruato,“ brülfte ein Dritter, „haben 

fie Ruhe auf einmal gemacht; vierzgehntaufend Män- 
ner, Weiber und Mädchen und Kinder an einem Tage 
gefchlachtet. Das. muß ein Treffen für die Gallinazos 
und Coyotes gemwefen ſeyn!“ 
Doch als wollte die unfichtbare Macht, die jo eben 
dieſen gräßlichen Beleg ihrer unbegrängt ſchrecklichen 
Gewalt der Menge geliefert, dieſe feinen Augenblic 
zu gefährlichen Nachdenken kommen Laffen eröffnete 
ſich fofort eine neue Scene. "Die Uhlanenhatten ſich 
nämlich kaum an den verfchiedenen Zugängen der 
Plazza und des vieeföniglichen Palaſtes aufgeftellt, als 
ſich die Thore des letztern öffneten, und ein Zug von 
Männern herausfihritt, der die allgemeine Aufmerf- 
famfeit mit einemmale feffelte. 

Es waren ihrer vierundzwangig; ihrem Aeußern 
nach zu ſchließen Zwittergeſchöpfe, zwifchen Leibgar— 
diften und Hausdienern die Mitte haltend. Sie hatten 
gewaltige, aufgeftülpte Hüte, reich mit Goldtreſſen 
beſetzt und einem ſilbernen Schilde verſehen, ein golde— 
nes Kaſtell mit drei Thürmen im rothen, und einem 
gekrönten Löwen im ſilbernen Felde. Ihre Uniformen 
beſtanden aus einer rothen Jacke, mit einer Menge 





— 2 


filberner Knöpfe beſetzt, eben folchen Beinkleidern, 
gleichfalls mit Goldtreſſen und ſilbernen Knöpfen 
längs den Hüften bis zu den Knieen verziert; ihre 
Bottinas oder Kamafchen, von braunem Leder, waren 
hinten offen. Als Waffen hatten fie einen kurzen 
Degen und einen langen Spieß oder Hellebarde. Die 
Uniform ihres Anführerd unterfihied ſich bloß Durch 
größere Feinheit und -reichere Verzierung. Statt der 
Hellebarde trug er einen Commandoftab mit goldenen 
Knopfe, dem eines Regimentstambours nicht unähn- 
lich; auch fein Marſch glich dem eines ſolchen Würde- 
trägers, indem er, den rechten Fuß ſchnell vorwer⸗ 
fend, die Zehe einen Augenblick balancirte, und 
dann eben fo gravitätiſch den linken nachfandte. Diefe 
Bewegung, von der größten Hälfte der Truppe nach— 
geahmt, verurfachte unter der gaffenden Menge ein 
lautes Gelächter. ° . 


„Elende Rebellen! Pöbel, den die Hölle bald ve 


ſchlingen möge!“ brummte der Gapitain der vice⸗ 
Eöniglichen Leibgarde oder Mabardieros; denn nicht 
geringer war die Charge des Anführers dieſer vier- 
undzwanzig Trabanten, der, ohne die Lachenden eines 
Blickes zu würdigen, ſo weit vorſchritt, bis er ſich 


—) 83 — 


beinahe der Neiterftatue Karls IV. mitten auf dem 
Plage genähert hatte. Das Gelächter war immer 
ftärfer geworden; vergebens, daß einige Spanier, 
deren Faftilianifcher Stolz fich durch den wirklich lächer⸗ 
lichen Aufmarsch gekränkt fühlte, dem einher traben- 
den Gapitain zuriefen; er marſchirte fort, gefolgt von 
feinen Truppen, deren eine Hälfte im militärifchen 
Schritte nachkam, während die Andern, Truthühnern 
gleich, die gedrechfelten a ihres Befehls⸗ 
habers nachäfften. 

„Misericordia! madre de Dis!“ rief er auf ein= 
mal, als er, vor der Statue ſchwenkend, den Marjch 
der Kleinen Truppe in feiner ganzen lächerlichen Gra— 
vität überſah. „Por el amor! Hat jemals ein Ca- 
pitano de los Alabardieros de su Excellenza el 
Virey graciosissimo de Nueva Espana — hat jemals 
ein Gapitain der Hellebardiere Sr. Ercellenz des aller= 
gnädigften Vicekönigs von Neufpanien fo etwas ge— 
fehen? Senores, por el amor de Dios! Meine ‚gnä- 
digen Herren, um der Liebe Gottes willen! Wenn 
Sie nun Se. Ercellenz unfer Allergnädigiter, oder 
Se. Ereellenz unfer Allfertapferftier — — Alle 
Teufel! Wer hat Euch geheißen, den Parademarſch 


a 





—) #5 
Eures Capitains nachzuahmen? 


Heilige Jungfrau! da habt Se es, 
Dragones 9 den — 









der © Abenden Uber das waren a ( 
jeßt ift e8 ein bloßer Schatten. Dama 
unſere Reglamentos +) vier Wochen vor | je 
manos. Geſtern wurden mir die O are 
und zehn ſolcher Schlingel, und jet tet 
Folgen “ # 
„Mexiko Kümmert ſich einen Teufel um 16 und 
Sure Trabanten, fehr ehrenfefter- Herr,u tief ‚eine | 
Stimme ang dem air „Wünſcht Curen — 


— 55* a 4 





2 J er y 

*) Dragoner. * a 
**) Buchftäblich Handkuß, wusbeir die Hoftat And Soirbe 
des ſpaniſch königlichen und mexikaniſch vice iglichen 
genannt, weil an dieſen der hohe Adel, die Beintihtei 
Deamten zum Handkuſſe zugeläffen wurden. _ —— 
++, Anſtand, Artigkeit. — 
7) Reglement Verhaltungsbefehl ST. 







— 8 


gones Glück zu ihrem — Feldzuge; ; ihre Ka⸗ 


meraden würden viel darum geben, wären fie hier. 


Der Capitän der Leibtrabanten warf einem ftolgen, 
finftern Blick auf den Sprecher, ſchüttelte das Haupt 
und marjehirte in einem weniger gezierten Schritte 
dem Portale des Palaſtes zu, vor welchem ex feine 
Leute zwei Mann hoch aufmarſchiren ließ, und dann, 
feinen Commandojtab ſchwenkend, J a 
befehl von fich gab: 

„Vigilaneia amigos! Habt Acht, Freunde; das 
ift num der fünfgehnte Beſamanos-Tag, den unfer 
allergnä ädigſter Herr und Gebieter ſeit achtzehn Mo— 
naten hält, und es ift Eure verfluchte Pflicht und 
Schuldigkeit, Vigilancia an den Tag zu legen. Vi- 
gilancia ſage ich! hört Ihr? Vigilaneia! denn die 
Gavecilla ift Heute to, und vor ihrem Lärm kann 
man fein eigenes Wort nicht verftehen. Vigilancia 
denn! Wenn der Arzobispo *) kommt, fo wißt Ihr, 
was zu thun; wenn Se. Excellenz, der Allertapferfte, 
der Sieger von Alculco, von Marfil, von Ealdes 





+) Erzbifchof. 
Der Virey. J. 7 


ron *) — obwohl Diefer eigentlich den Alabardierss 
nichts zu befehlen hat; da er aber die Gayecillas mit 


der Jungfrau und aller Heiligen Sm in bie Sölte 
gefandt, — fo wird ihm Fein rechtglaubig er Spanie 
die Honra **) verſagen. Mit Einem Worte / och⸗ 
dieſelben werden empfangen wie Höchſtdieſelben der 
Virey feldft, Paukenſchlag und Präfentation. Iſt es 
ein Oidor, verſtehen Sie, meine Herren! jo wird 
präfentirt. Ein Oidor *4*8) iſt aus ſo gutem Fang 
Yifchen Geblüte, als Einer, und, mag ſeyn, e e 

rer Edelmann als der König fetbft. u Bei * 
Worten nahm der Mann den Hut / ab. „Kommt ein 
Rath der Junta del Hacienda Real ), ein Intendant, 
ein Präfident oder Rath des Conſulado +4), fo wird 











*)7 "General Galega, ‚ver für diefen Testen großen Sieg 
über Hidalgo in den Grafenjtand erhoben wurde. 
**) Die Ehre. 
*x*x) Mitglied des höchften Gerichtshofes von Mertfo, Aus 
diencia genannt, hatte zugleich die Funktionen eines kontro— 
livenden Staatsrathes. Die Vorrechte der Glieder waren jehr 


bedeutend, fie durften aber nicht Eingeborene des Landes eier 


lichen, auch ‚Feine liegenden Befigungen erwerben. 

+) Finanzkammer. 

+) Das Handlungstribunal beftand ganz aus Spaniern mit 
fehr wenigen Ausnahmen. Es hatte — den Handel 
des Landes für ſich. 








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‚gleichfalls präſentirt. Iſt es ein Regidor *), ein Al- 


kalde **) oder Einer de los Cabildos ***), und ift er 


ein Spanier, jo wird gleichfalls präfentirt. Iſt er 
ein Criollo, ſo ift er geehrt, zu viel geehrt, wenn Ihr 
das Gewehr anzieht. Was nun die Creolen con ti- 


tulo de Castilla}) betrifft, jo will es ſich zwar 


nicht geziemen, daß geborene Spanier derlei Menſchen 


. »&hrenbezeugungen offeriren; allein wir haben Winke 


erhalten, verſteht Ihr, Winke, und man hat Urſache 
ſie zu ſchonen, obwohl fie im Grunde nicht mehr 
Schonung verdienen, als die gente irrazionale, die 
unfere tapfern Cameradoes jo eben wie wilde Büffel 
von der Plazza gehetzt. Ei, die Criollos! ſie ſind 
es, aber — — 4 ! * , 

Die Testen Worte verſchluckte der Capitano auf 
feiner eilfertigen Netirade in das Palaftthor ; denn 
wohl fünfzehn Stilette waren, von unfihtbaren Hän— 
den gejehleudert, ihm in der einbrechenden Finfternif 
auf das Haupt, Bruft und Schenkel geflogen, und 





*) Maire.- 
**) Alderman, Rathöherr. 
**;x) Heißen geiftliche und weltliche Gorporationen, Dom— 
Fapitel, Stadträthe. 
+) Adelspiplom. 
7» 


8 


bloß die underhältmißmaßige Entfernung ſelbſt bat 
fein Leben gerettet. De 

‚In feiner wüthenden Promenade meins: des 
Thorweges wurde er plötzlich durch ein lautes Lachen 
und ein gellendes „Escuchate‘ unterbrochen. 

„Escuchate hombres y mugieres de Mexico!‘‘*) 
fehrie eine Stimme, die wieder unferem Pedrillo an= 
‚gehörte. „Hört, vorzüglich Ihr Creolen, was diefer 
Kriegsheld in Friedenszeiten für ein Reglamento 


gibt. Die Creolen, fagt er, müſſe man noch einft- 


weilen jehonen, Se. Ereellenz, der Virey, habe 


Winke zu ihren Gunften fallen laſſen, obwohl fie jo 


wenig Schonung verdienen, als Die gente irrazionale, 
die von den Lanceros **) jo eben von ber Plaza ge⸗ 
trieben — u 

‚‚Mueran los Gachupinos!‘‘ ***) brülften zwangig, 
hundert und dann taufend Stimmen in ang 
Chorus. 

„Diablo! Hombres de Demonio!“ f) ſchrie der 





*), Hört, Ihr Männer und Weiber von Meriko. 
**) Lanzenreiter, Uhlanen. 
***) Tod den Gachupins (den Spaniern). 

7) Teufel, Teufelsmenfchen. 





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Capitain, deſſen panifcher Schrerfen ſich mittlerweile 
gelegt hatte. „Que dices!“*) ſchrie er, aus dem Thore 
ſpringend. „Uno grito!“ **) Aufruhr, Rebellion! 
Bei der heiligen Jungfrau, Aufruhr vor Sonn Naſe 
Sr. Excellenz!“ — 


Der Spanier der untern Stände hat), bei einer an— 
geborenen Gravität und einem ernft trockenen Stolze, 
wieder eine Originalität oder vielmehr Simplicität, 
die Folge feiner DVereinzelung und Abgeſchiedenheit 


von den übrigen Nationen, die den Ausbrüchen feines 


Stolzes und Unwillens einen um fo drolligern An— 
ſtrich verleiht, al3 feine Sprache unterwürfig und 
Enechtifeh, und wieder Hochtrabend und pompös, mit 
feinem häufig nicht3 weniger als impofanten Aeußern 
im grellſten Widerfpruche fteht. Der grimmige Ca— 
pitain daher, weit entfernt das Toben durch fein Ge— 
ſchrei zu befchwichtigen, veranlaßte ein um fo lauteres 
Gebrülle von Mueran los Gachupinos, das Häufig 
von einem fehallenden Gelächter begleitet war, in 
welches Teßtere auch der Offizier der vor dem Palaft- 





*) Was fagft Du? 
**) Aufruf zur Rebellion. 





— 0 


thore ſtationirten Uhlanen ah Der Zorn 
unſeres Helden wandte fih fofort auf die nah 
Gegenftand, und mit einer Stimme, Halb erftie 
Wuth, fprang er auf den Offizier los; doch ſchneu 
ſich wendend ſtand er ſtille, und den Creolen vom 
Kopfe zu den Füßen meſſend, murmelte er ein Picaro 
Criollo*), und dann, als halte er es unter feiner 
Würde, an einen Creolen ein Wort zu — zog 
er ſich wieder zurück. * 





Viertes Kapitel. 


Ein köſtlich Pröbchen wohl von Menſchen! Gut. 
Sein Blut wallt auf, und wenn’s ein wenig fleußt, 
Kühlt es fein Fieber. 
Byron. 
„Was meinft Du, wird der Viento de Miftecen **) 
lange anhalten?“ fragte eine tiefe Baßſtimme, als das 
Gelächter nachgelaffen hatte. 
„Lange anhalten!“ erwiederte der Gefragte, ein 








*) Elender Greole. 
*) Mifterca- Wind, ſüdöſtlicher Wind, der von Oaxaca und 
Acapuleo herauf Fommt; er ift trocken und brennend. . 





— 1 — 

Evangelifta, d. h. Straßenfekretär, nach der Feder zu 
fehließen, die in der Dunkelheit noch hinter feinen Oh— 
ren ſteckend zu erjehen war, und dem offenen Wamfe, 
in dem eine Nolle Bapier logirte, und darunter das 
Tintenfaß, ein Baummwollenflöcfchen in Tinte getaucht 
das.an einem, Orte beherbergt war, wo es vermuth= 
lich Fein rechtgläubiger Nichtmerifaner gefucht haben 

dürfte, im Nabelloche nämlich. „Lange anhalten? « 
wiederholte der Straßenfefretär, „das weiß ich nicht.“ 

„Sp will ich es Dir jagen ;“ fiel Pedrillo ein, „juft 
jo lange, bis der Chalco und Tezcuco *) trocken ge= 
Vegt und wieder angefüllt werden. « 

„Der Tezeuco trocken gelegt und wieder —— 
Amigo?u**) verſetzte der Evangeliſt. „Hör, das 
geht über meine Vernunft.“ 

„Glaubs gerne, mein Gnädiger;“ erwiederte Pe— 
drillo, „trocken gelegt und wieder angefüllt, ſage ich. 
Weißt Du nicht, Haß der Viento de Miſtecca juſt fo 
dürr, verdorrt, verdorrend und verjengend ankömmt, 
wie unſere dürren hungrigen Gachupinos, wenn fie 





*) Die Meriko zunächit gelegenen Seeen, von denen der 
eine füßes, der andere falziges Wafler hat. 
*) Freund. 





an " 
aus der Madre Patria Serüßertommen; { aß er 
zur, Aber laßt⸗ wie — armen Nexiko, mit 
deffen Blute ſie ſich m äften? Ei, der Viento de Mi⸗ 
ſtecea wird ihnen zur Ader laſſen. * sa 
kommen!⸗ u 

„Bravo! Bravo!‘ riefen die Unfiefenten: aa 
cuomo uno libro selado!“ *) — 

„Was ſagt der Hund von einem Zambor⸗ rief 


nun ein Mann mit hohem ſpitzigen Hute, auf dem 


eine blütrothe Kokarde prangte. „Was fagt Er?u 
fehrie der Häfcher der Polizei, indem er ftch dem Haus 
fen zugudrängen fuchte, und mit feinem Amtsſtabe 
links und recht3 drein ſchlug. 

„Der Viento de Miſtecca ift gut zur Aderlaß,“ 


wiederholte der kühne Pedrillo. „Möge er bad 


kommen!“ 
„Halt! halt!“ rief nun der Alguazil, der aus 


Leibeskräften ſich Bahn zu machen bemühte. Die 


dichte Volksmaſſe hatte jedoch fehnell einen undurch— 
dringlichen Phalanx gebildet, der Sprecher ſelbſt ſich 


geduckt, und in der einbrechenden Finfterniß unficht- 





*) Er fpricht wie ein geftempeltes Buch, ein Kalender. 









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er — ERDE OLD NER U 


—H 93 — 


\ bar gemacht. Die Uhlanen, die vor — Valaſt 
hielten, bildeten mittlerweile eine Angriffsfolonne, 
und machten Miene, den Wguazil zu unterftügen. ö 

»Rugerteniente*) Pablo!“ rief wieder Pedrillo. 
„Ihr thätet beſſer, Ihr ginget nach Scufartt); 
Oberſt Soto dürfte Euch brauchen.“ 

Der Alguazil horchte einen Augenblick; dann ſprang 
er wieder auf den Haufen zu: „Te tiendo! Te ti- 
endo!***) Diefer da in der Tunica, er ift Derfelbe, 
der Se. Majeftat — “ 

„Ich denke, Alguazit,“ mahnte * Offtzer der 
die drohende Bewegung der Menge aufmerkſam be- 
obachtet hatte, wich denke, Ihr ließet den armen Teufel 
ſchreien; es ift nicht der erfte und wird nicht der letzte 
Grito ſeyn, und es liegt nicht viel daran, ob Einer 
mehr oder weniger in der Cordelada P) liegt.“ 

„Senor Lugerteniente,“ drohte der Alguazil; 
„wohlverehrter Herr Lieutenant! Sie waren ſchnell, 








*) Lieutenant. 
**) Eine Stadt, dreißig Stunden ſüdweſtlich von Mexiko 
gelegen, wo Oberſt Soto von Morelos geſchlagen wurde. 
**x) Ich habe Dich. 
+) Eines der drei Hauptgefängniſſe in Mexiko. 





— 4 


als es den armen Gente irragionale von Zitacuaro 
galt. Sie find ein Creole, ich warne Sie.“ 

Und mit diefen Worten drang er mit aller Gewalt 
auf den Knäuel ein. Diefer ftand noch immer als 
undurhdringliche Maſſe; eine Bewegung aber, die 
gleichzeitig unter den Mangas Statt fand, machte 
‚ die Reiter augenfcheinlich ftugen. Nicht fo den Al— 
guazil, der wie rafend um fich fehlug. 

„Venid Senor!*) Kommen Sie, mein gnädiger 
Herr!“ ſprach eine tiefe Stimme. 

Der Knäuel öffnete fih und ließ den Alguazil ein, 
ſchloß fich jedoch, als die Reiter andrangen, gleich 
der Meereswoge, die ihr Opfer verfehlungen. Alle 
hatten die Stilete gezogen. Einige Augenblicke herrſchte 
eine bange Stille; auf einmal hörte man, die MWorte: 





„Jesu, Maria y Jose!‘ **) und dann ein Stöhnen 


und Nöcheln. 

‚„Mueran las Gavecillas! Tod den Rebellen!“ 
ſchrie nun der Offizier, und die Reiter hieben ein; 
doch der Haufe Hatte ſich mit einer unbegreiflichen 
Schnelligkeit getheilt; mehrere Pferde ftürzten, und, 





*) Kommen Euer Gnaden. 
**) Jeſus, Maria und Sofeph! 








—) 5 — 


zu Vergrößerung der allgemeinen Berwirrung, brach 
ein plößlicher Lichtftrom aus den Thoren des Pala- 
ftes, der für einige Augenblicke Roſſe und Reiter er— 
blindete. Es waren kurze Angenblide, aber hinrei⸗ 
chend, dieſen Theil des Platzes gänzlich von den 
Haufen zu reinigen. Der Alguazil, zwei Uhlanen 
und eben ſo viele Pferde waren als Opfer gefallen; 
der Haufe hatte ſich unter der großen Maſſe der auf 
dem Platze auf⸗ und niederwogenden Menge verloren, 
die nun ſelbſt ſchnell heran drang, und ihre nichts 
weniger als friedlichen Abſichten durch laute „Mueras 
und Abajos con los Gachupinos‘‘ fund that. Ein 
allgemeiner Aufftand fehien auf dem Punkte auszu— 
brechen. 

Auf einmal wurde der Wirbel von Trommeln ge 
hört, in deren Rollen eine rauſchend prachtvolle Ja— 
nitſcharenmuſik einfiel; zugleich ſprühten ſechszig Pech⸗ 
pfannen längs der ungeheuren Fronte des Palaſtes 
ihre grellen Flammen durch die Menge. Der plöß- 


liche Strom von Licht und Tönen hatte eine unbe- 


greiflich fchnelle Wirkung auf den Haufen der Tau— 
fende. Alle Gedanken an Aufruhr waren verſchwunden. 
Ein taufendftimmiges „Viva, Viva!“ erjchallte, und 


kaum hatte die Bande die erften Akkorde der Ouver⸗ 
ture, Clemenza de Tito, eröffnet, ‚als die Taufende 
und abermals Taufende in den fröhlichften Jubel 
ausbrachen. Unzählige Tänzergruppen bildeten ſich 
mit einemmale, und die ganze Plaza mar ein fröh⸗ 
liches Gewimmel der lebensfrohen Menge geworden. 
Die tiefe Finſterniß im ganzen ungeheuern Vierecke 


war zugleich wie durch einen Zauberfchlag in Tages— 


helle verwandelt, denn Taufende von Lampen ſchim⸗ 
merten von den Blumengärten der Dächer und goßen 
über die ftattlich mafftven Tempel, Bette und Häu⸗ 
fer einen Lichtftrom, der Die geoßeitigdn Bauwerke 
ind Niefenmäßige erhöhte. Reich gefleidete Spanier 
und Creolen, zerfumpte Leperos, Mulattinnen und 
halbnackte Indianer, Zambos und liederliche Dirnen, 


Alles vereinigte ſich im Bolero, Fandango und Cha= 


rave. *) Und gleichſam um das Ganze noch charakte— 
riftifcher Darzuftellen, hatten ſich zahlreiche Reiter⸗ 


ſchaaren von Dragonern und Uhlanen mitten durch 
die Haufen einen Weg gebahnt, und fehlogen num die. 


ganze Maffe in einen ungehzuern Rahmen ein, fo 





*) Von diefen drei Tänzen iſt der letztere der beliebteſte in 
Mexiko und kann als Nationaltanz betrachtet werden. 


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das Bild eines despotiſch beherrſchten Staates ver- 
ſinnlichend, wo die Maſſen durch die eiſerne Hand 
der oberſten Gewalt und ihrer Helfershelfer zu Freud 
und Leid getrieben und in Schranken gehalten werden. 


„Ihr ſcheint die allgemeine Freude nicht zu theilen;“ 
wisperte ein ältlicher Indianer unferem Abenteurer 
zu, deffen außerordentliche Beweglichkeit, während 
der ſo eben beſchriebenen tumultuarifchen Auftritte, 
plöglich einem unverholenen Mißmuth gewichen war. 

Der junge Mann drehte fich auf einem Abſatze um, 
und kehrte dem Sprecher den Rücken. „Ei, diefe 
Luſtigkeit ift ganz einzig,“ fuhr der Indianer fort, 
„fo wie wir ein einziges Volk find. — Meiner Seele! 
immer am Juftigften, wenn wir am tüchtigften ge— 
zaust werben.“ 

Der junge Mann warf dem Sprecher einen Blick 
rücklings zu, und verfanf dann in fein voriges 
Schweigen. 

„Jeder het ſeinen Ahuttzote l⸗ Amgo!— *) fuhr 





*) Seder hat feine Ahuigote, Freund! ein indianifches 
Sprichwort. Ahuitzote beveutet fo viel als Feind, feindliches 
Geſchick. 





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der Indianer fort, „und Ihr“ Hattet ihrer viele. 
Glaub’ es gerne, daß Euch das Geklingel da Eonträr 
gekommen ift; der Baden war aber ein wenig fehlecht 
gefponnen, deghalb ift er jo ſchnell zerriffen.“ 

„Welchen Faden meint Ihr, Tatli?« *) verfeßte 
nun der. junge Mann mit einer Leifen, hohlen Stimme. 

„Einen blutrothen mit einem ara. und blauen 
Ende.“ 

„Diablo!“ zifchelte Pedrillo: „Nun ſehe ich wohl, 
- Men ich vor mir habe. Glaubt mir, %8 hilft aller 
Wege nichts. Thut was Ihr wollt. Da hatten wir 
ſie am Anſatze zu einem herrlichen Motino; aber da 
kommen ein Dutzend Hautbois und Klarinetten und 
Pfeifen, und Alles iſt beim Teufel.“ 

„Ja, wenn der Alguazil die königliche Armee ges 
weſen wäre,“ brummte der Iudianer. | 

„Wie meint Ihr?“ fragte Pedrillo, dem —— 
näher an den Leib rückend. 

Der junge Mann hatte, während er ſo ſprach, 
den Indianer allmählig dem Sockel der Reiterſtatue 
Karls IV. zugezogen. „Das Loſungswort!“ ziſchelte 





*) Vater. 





= —* | » 
—I 9 — 
er dem Indianer zu, indem feine rechte Hand zugleich 
hinter die Manga fiel. 2 

„Sachte, Amigo,“ Lächelte Dieſer; med war ein 
Meifterftreih, wie Du den Alguazil zum Still- 
fehweigen brachteftz Feine Pinte Blut gefloffen, und 
der Gahupin jo maufetodt, Du hatteft ein drei 
ſchneidiges Stilletto, vermuthe ih? Aber wir find 
fein Alguazil.“ 

„Noch nicht, « flüfterte der junge Mann; „ſollſt e8 
aber werden; und bei diefen Worten jaß dem In- 
dianer auch der Dolch am Leibe, doch eben jo ſchnell 
fanf feine Sand. „Alle Teufel, Wer hätte dem 
General V.“ | | 

„Hisht,“ ſprach der Indianer. „Wir haben Euer 
Treiben gefeben. Ci, wenn Masqueraden und ein 
paar Erdolchungen Mexiko retten könnten, da wäret 
Ihr die Leute; aber zum Zugreifen — — Komme num 
und höre.“ Er mwisperte ihm einige Worte in die 
Ohren. | 

„Madre ‘de Dios!“ rief-der junge Mann, „und 
- Mexiko fteht noch? Kommt! jede Minute mag e8 für 
immer verlieren.“ Beide eilten fehnell durch das 
Getümmel. ; 


> 100 &— 







Mitten unter dem fröhlichen Gewimmel und der 
raufchend prachtvollen Muſik ſah man anfangs ein⸗ j 
zelne, dann ganze Reihen von zwei⸗, vie and. geh- 
ſpännigen Kutſchen herannahen. Die ſond 
Kopfzierathen der Pferde und Maulahiete denn mt 
diefer Iegtern Thiergattung, war-die Mehrzahl ge | 
Kutſchen befpannt, und ihr ſchweres häufig maſſiv 
ſilbernes Geſchirr, entſprach ganz den Kutſchen ſelbſt, 
von denen die meiſten eine Art lederner lakirter, 
glänzender Kaſten mit einer Unzahl vergoldeter 
Schnörkel waren, deren Seiten, mit Bildern in halbe ’ J— 
und ſelbſt ganzer Lebensgröße bemalt, die Thate N der 
erſten ſpaniſchen Eroberer oder irgend einen Heiligen 
darftellten. — Die meiften derjelben waren ohne 
Springfedern und, auf der bloßen Achfe ruhend, ver- 
urfachte ihre Ankunft ein Gepolter, das die Muſik 
der beiden Negimentsbanden vor dem» Balajtthore 
und im Schloßhofe übertäubte. Beinahe ade Hatten 
Vorläufer, nebit einer Suite, die aus farbigen, reich 
gekleideten männlichen und weiblichen: Mulatten und 
Negern beftand, welche vor-und zu beiden Seiten der 
Wagen einhergingen. In jedem diefer Wagen faßen 
zwifchen vier und ſechs Perfonen, die, je nachdem fie 















— 11 ⸗— 
zus herrſchenden Klaſſe der Spanier oder der be— 
herrſchten der Creolen gehörten, in das offene Balaft- 
thor einfuhren, oder vor dieſem abzufteigen genöthigt 
waren. Als wollten fich jedoch diefe Lebtern für diefe 
Zurücdfegung in den Augen ded Volkes durch einen 
defto auffallendern Pomp rächen, ging ihr Abfteigen 
wieder mit einem Prunfe vor fich, der eben fo fehr 
ihren Reichthum als deſſen ungefehickte Anwendung 
verrieth. Die Wagenthüren wurden nämlich ſtets zu 
gleicher Zeit von mehreren reich und phantaftifch ge- 
kleideten Negern und Negermädchen auf beiden Sei⸗ 
ten geöffnet, die männlichen und weiblichen Herrſchaf⸗ 
ter ſtiegen zu den zwei verſchiedenen Thüren her— 
aus, und ſchritten dann, unter dem Vortritte ihrer 
ſchwarzen Dienerſchaft, dem Thore zu, wo die Letz⸗ 
tern, nach einer formellen Verbeugung, ſich wandten 
und zu dem Wagen zurückkehrten. Selbſt der Poöbel 
fehien den Vebelftand der hier fo unpafjend angebrach- 
ten Schauftellung, im Gegenſatze mit dem einfachern 
und würdevollern Aufzuge der verhaßten Spanier, zu 
fühlen, und bei einem jedesmaligen ſolchen Abſteigen 
erhob ſich ein Gemurmel, das die allgemeine Unzu— 


friedenheit deutlich beurkundete. „Muchacho! Barra- 


Der Virey. I. { 8 





—H 10 &— 


cho I“ *) Be bg —* —2 e 








folgten —— RER ww ein * nth im 
fiche Weife vom Volke empfangen. =. w ’ * 

Auf einmal erſchallte es von dem äuferften En 
des Platzes El terribile Gachupin !* ***) und 
leichte, geſchmackvoll gebaute Carroſſe, von vier te 
zen Andalufiern gezogen, rollte durch die aufgeftellten 
Reiterſchaaren, ihr zur Seite mehrere Adjutanten und 
Ordonnanzen. Die Bande ſchlug ‚einen‘ herrlichen: 
Triumphmarſch an, die Reiter ſenkten ihre Schwer⸗ 
ter, während das Volk beinahe ſchaudernd dem wei, 
nachfah, wie er in den Schloßhof rollte, gleich ala ob 
in feinem Innern ein unheilvolles Element verborgen 
wäre. 

Ein zweiter Wagen folgte von der entgegengeſetz⸗ 
ten Seite, von ſechs phantaftifch geſchmückten Maul- 
thieren gezogen, langſam und feierlich ; voran zwei \ 











\ 


*) Einfaltspinfel, Trunkenbold. Letzteres ift der — 
Schimpfname, der gegeben werden kann. 
**) Tod! und — Nieder mit ihm. | 
**) El terribile Gachupin, der fehredffiche iz Don 
Salleja, fpäter Graf von Calderon. 





— 





—4103 &— 


roth gekleidete Laufer, und zu beiden Seiten ein halbes 
Dutzend ſchwarzer Diener. Der Wagen wurde mit 
dem Nufe: „Viva la vierge de Guadeloupe! Abajo 
con la vierge delos remedios!‘ *) empfangen. Der 
Inſaß de8 Wagens hielt jegnend feine Hand zum lin⸗ 
fen und wieder zum rechten Wagenfenjter. heraus; 
aber. jede feiner Segnungen veranlaßte nur ein um 


ſo lauteres Gebrülle, das wohl zehn Minuten anhielt, 


und erſt ſchwächer wurde, als ein neuer Wagen dem 
müßigen Pöbel neue Nahrung brachte. 

„Tierra templada!“**) brüllte es wieder von dem 
äußerften Ende der Plazza herüber, und brach dann 
in einen einftimmigen, wüthenden Schrei aus, der 
wie Sturmesgeheul die Luft erfüllte, 

Ein eleganter zweifpänniger Landau im neueften 
englifchen Gefchmade war durch die Uhlanen- und 
Dragonerfpaliere herangefommen, mit bloß einem 
einzigen, aber geſchmackvoll gefleideten Diener. Der 
Magen hielt, unter dem Portale; aber mehrere Do⸗ 


*) Es lebe die Jungfrau von Guadeloupe! Nieder mit 
der Jungfrau der Gnaden! (Siehe Note am Ende des drit— 
ten Bandes.) 

**) Die gemäßigte Zone. 


8* 





—H 104 ⸗— 


meftifen eikten aus dem Thore heraus und führten 
ihn in den Thorweg des Palaftesein. 

Ein zweiter im gewöhnlichen antiken Style war 
gleichfalls herangefommen, deſſen Bürde jedoch, eine 
ältliche Dame und ein blühender Jüngling, vor dem 
Thore entladen wurde. 

„Superbo, brillante hombre!‘ *) brüllten die 
Haufen dem jungen Greolen zu, von einem „Bivau 
begleitet, das eben jo ſchnell durch ein „Callate, el 
Ninon de la tierra fria!“ **) befchwichtigt wurde. 

Diefe Symptome des Hffentlichen Beifalls und Un— 
muth3 fehienen von dem Jünglinge auf eine eben night 
fehr beifallige Weife aufgenommen zu werden; jein 
Blick gleitete vornehm über die Menge, und dann, 
fein Haupt ftolz aufwerfend, verſchwand er mit der 
Dame zwifchen den Thoren. » 

„Senor Battifta!a wandte fih der Capitain der 
Hellebardierer an den Alguazil, der an den Thoren 
Poſto gefaßt, und zugleich die Aufgabe zu haben 
fchien, die Neuerungen des Pöbels über die verſchie⸗ 
denen Ankömmlinge zu notiren — „Senor Battiſta!“ 





*) Stolger, prächtiger Menſch. 
**) Schweigt, es iſt der Liebling der Falten Zone. 


Fr in 3 3 I. 


—9 105 &- 


Was hat es für eine Bewandtniß mit diefem Conde 
de San Jago, *) der doch, fo viel ich weiß, auch nur 
ein Creole ift? Möchte doch wiſſen, aus welchem 
Holze der gefchnigt ift, daß er die Ehre eines gebore- 
nen Spaniers genießt ?« 

„Aus einem Holze, Senor Capitano,“ verfeßte der 
Alguazil mit einem vielfagenden Blide, „das, zum 
Glücke Altfpaniens, nicht häufiger in diefem Lande‘ 
wächst, als der arbol de las manitos!“ **) 

„Das ift weife aber dunkel gefprochen, Senor 
Battifta,“ erwiederte der Capitano, eine Prife neh— 
mend. N 

„Hören Sie, Senpr Gapitano, 4 wisperte der Al= 
guazil, „hören Sie fie Tierra templada brüllen ?“ 

Der Lärm nahm immer mehr zu; Vivas und 
Mueras rollten wie ein Lauffeuer die Plazza hindurch. 





*) ©rafen von Santago. i 
**) Cheirostemon platanefolium, der berühmte Hand— 
baum. Seine Blüthe ift eine prachtvolle rothe Blume, in Form 
einer Tulpe und, näher betrachtet, einer Hand, mit einwärts 
gefriimmten Fingern. Es find bloß drei Baume in Merifo 
vorhanden: der Mutterbaum in den Bergen von Tolueca und 
zwei Sprößlinge im botanifchen arten des vireföniglichen 


Balaftes. 


a —— HEN 
[2 . I 


— 16 | 

Eine rauhe Stimme fehrie: „bie Tierra templada ift 
zum Gachupin geworden!“ Eine andere brüllte: 
„Viva tierra templada!“ und „Viva terra tem- 
- plada!‘‘ brüllten Tauſende nad. Ä | 

„Hören Sie ſie,“ murmelte der Alguazil, „dieſe 
verdammten Gavillas! So find fte: fie treiben nichts, 
fie thun nichts, fie arbeiten nichts, fie beten’ nicht, fie 
foften uns jeden Tag Taufende, damit wir nur Ruhe 
haben; und brechen fie los, fo brülft der Jorullo *) 
nicht ſtärker, als fie e8 thun. Glücklicherweiſe Yaffen 
fie e8 jedoch beim Brülfen bewenden. Heute aber 
weht ein ſchlimmer Wind; gebe die heilige Jungfrau, 
daß er bald worühergehe! Arch Haben die Hunde ihr 
Rothwälſch; das iſt eine neue Erfeheinung, eine ge 
fährliche Erſcheinung, fage ich Ihnen. Die Tierra 
templada, die gemäßigte Zone, tft der Conde; ſo 
viel ift richtig, weder warm noch Falt, wie der Aal, 
der im Chalco gefangen, Salz= und Süßwaſſer ver- 
trägt, und fich Frümmt, und ihnen einen Arm und, 
mag feyn, ein Bein bricht, wenn fie ihn in den Chi— 





*) Ein fenerfpeiender Berg, der im verfloffenen Jahrhin— 
derte entſtanden und wieder vergangen. 





—9 107 ⸗— 


nampas,*) im Erbfen- oder Frijolofelde **) fangen. 
‚Wir hatten in Merifo Ruhe, felbft al8 der verdammte 
Hidalgo von Guaximalpa ***) herabfam; heute je= 
doch ift der Teufel los.“ — Und mit diefen Worten 
verlor fich der Hafcher im Innern des Palaftes. 


Fünftes Kapitel. 


Mein Sig hier war bisher ein Thron. 
Foscari. 


Wie unfere Lefer bereit3 vernommen haben, fo 
galten die fo eben befchriebenen pompöſen Vorberei- 
tungen einem jener glänzenden Hofzirfel, die in mo— 
narchifchen Staaten eihgeführt find, theils um dem 
Herrſcher die Huldigung darzubringen, die einer von 





*) Die fogenannten ſchwimmenden Gärten, die aber, gegen- 
wärtig Eleine Gartenſtücke, von Indianern bebaut, in der — 
des Sees liegen. 

**) Bohnenfeld. 
***) Guaximalpa, eine große Hacienda, Landgut, 5 Meilen 
von Mexiko. Hivalgo hatte fein Hauptquartier vafelbft aufge- 
ſchlagen. 


—9 108 &— 


Gottes Gnaden erhöhten Perſon in den Augen loya⸗ * 
ler Unterthanen geziemend erſcheint, theils auch die 
dem Throne zunächſt ſtehenden Umgebungen durch 
ihre Theilnahme an dieſer Huldigung feſter an das 
Intereſſe deſſelben zu knüpfen, und durch vereinte 
Pracht dem Haufen die Idee göttlicher Erhabenheit 
deſto eindringlicher vor Augen zu bringen. Wenig- 
ſtens dürfte das die Urſache ſeyn, warum dieſer, in 
barbariſchen Zeiten entſtandenen und bis auf unſere 
Zeiten fortgeführten Art von Repräſentation der 
Volksmajeſtät — die, obwohl aus verſchiedenen 
Gründen und in beſcheidener Form auch bei und Ein- 
gang gefunden — in monarhifchen Staaten: eine fo 
große Bedeutfamfeit beigelegt wird. 

Es ift vielleicht für den Fünftigen Beftand ſo man— 
cher der gegenwärtig in Glanz beftehenden Dynaſtien 
des alten Europas eine eben jo unglüdliche als cha— 
rafteriftifche Eigenheit, daß ftch nicht nur die ganze | 
Stantsmafchine, fondern auch die bürgerliche Geſell⸗ 
ſchaft ſelbſt, um den Herrſcher, als um ihre Sonne, 
dreht, und die große Maffe des Volkes als eine Art 
Nullen, die die Hauptzahl wohl vergrößern, für ſich 
aber als gehaltlos verachtet werden, von jeder per=' 








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—H 109 &— 


jönlichen Berührung mit diefem Herrſcher gänzlich 
ausgeſchloſſen ift. Wie viel an diefer Ausſchließung 
das heut zu Tage gewiſſermaßen zur Ueberreife ge- 
langte Prinzip der Legitimität Schuld fey, wollen 
wir hier nicht beftimmen, obwohl wir auf der andern 
Seite nicht umhin können, zu geftehen, daß in dieſen, 
fonft vielleicht nicht unglücklichen Ländern eben durch 
diefe artifiziele und gewiffermaßen mit dem Gepräge 
der Divinität bezeichneten Rangunterfchiede eine folche 
Abſonderung nothiwendig geworden ift. Die neueften 
Greignifje, indem fie in einem großen transatlanti— 
ſchen Staate den Zutritt zu einem gefrönten Haupte 
etwas mwohlfeiler gemacht und fo den Schleier gelüf- h 
tet, der diefe ſich jo Hoch ftelfenden Menfchen bisher 
dem Auge der Deffentlichkeit entzogen, haben auch 
die Qualen errathen laſſen, die aus einem größern 
Bedürfniß von Popularität für fie entfteben, und zus 
gleich das Entfegen nicht undeutlich gezeigt, von dem 
diefe durch Gottes Gnaden fich eingefegt wähnenden 
WMonarchen bei jeder Berührung mit dem ungewa— 
fehenen großen Haufen durchdrungen feyn mögen. 
Bekanntlich hat es das Mutterland des unglück— 
lichen Merifo in diefem Zweige legitimer Wiffenfehaft 





9 110 &— 


durch feine innige Verbindung und Nachahmung der 


römiſchen Hierarchie am weiteften gebracht, und der 
Erfolg, den eine folche Gleichſtellung *) des irdifchen 
Monarchen und Höchften Weſens im eigenen Lande 
batte, war ohne Zweifel eine der nächſten Veran— 
lafjungen gewejen, daß der Herricher, der dieſes Syſtem 
des ſpaniſchen Hofſtaates in ſeinen ererbten Ländern 
begründet, es in möglichſt größter Vollkommenheit 
auch auf Mexiko in der Art ausdehnte, daß es 
ſo zu ſagen die Grundlage der dieſem Lande gegebe— 
nen Regierungsform wurde. Bereits im Jahre 1530 
wurde diefes Repräſentationsſyſtem mit einer Pracht 
eingeführt, die den Hof des merikanifchen Vicekönigs 
mit den glänzendften der alten Welt wetteifern machte, 
und wenn eine trügliche Botitif e8 zu erheifchen ſchien, 
dem eroberten Lande zu imponiren und ihm die Macht 


des zweitaufend Stunden entfernten Herrſchers durch 


feinen Abglanz zu verfinnlichen, jo boten die unge- 


geheuern Reichthümer, die durch den Schweiß eines 





*) Das Prädikat Se. Majeftät wird in Spanien und Merifo 
fowohl dem Könige, als auch der confeerirten Hoftie — in wel- 
her die Katholiken bekanntlich den lebendigen Gott anbeten — 
beigelegt. £ 


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4 66 
N 


—9 11 — 


beftegten Sklavenvolkes in die Hände der erften Spa- | 
nier glitten, eben fo leicht die Mittel, dieſe Abftcht 
ohne feheinbaren Nachtheil des Mutterlandes durch- 
zuführen. Noch heut zu Tage ftaunen wir billig über 
die ungeheure Verſchwendung und den Glanz, der dieſe 
Vicekönige Mexiko's in den erften Sahrhumderten nach 
der Eroberung und zu einer Zeit umgab, wo die 
Stätten, auf denen gegenwärtig unfere großen See— 
ftadte den Handel der Welt zu leiten anfangen, noch 
undurhöringliche Wildnig waren. — Zwar hatten 
fich dieſe Neichthümer im Verlaufe der Zeit gemin- 
dert, oder vielmehr ihre Ausbeute war in vegelmäfii- 
gere Kanäle geleitet worden; allmahlig waren fie 
aus den Händen foldatifcher Wüftlinge in die gieri= 
ger Beamten und angefefjener Creolen übergegangen ; 
die Pracht der Hauptftadt und der Glanz des vice- 
Eöniglichen Safftaates hatten jedoch dabei nichts ge— 
Yitten, da die Spanische Politik es für rathlich gefun- 
den hatte, diefe Letzteren, obwohl fte fie als bloße 
Stieffinder betrachtete, an den Herrlichfeiten des Sa— 
trapenhofes um jo mehr Antheil nehmen zu Yaffen, 
als diefer durch ſchwere Geldfummen erfauft werden 
mußte, und zugleich eine Bürgfchaft für die Fünftige 





—öH 112 &— 


Treue der Courfähigen wurde. Die Adelsdiplome, 
titulos de Castilla, die zur unerläßlichen Bedingung 
des Eintritts in diefe Zirfel gemacht wurden, waren 
fein unmwichtiger Beitrag zur Privatchatoulle der ka— 
tholifhen, allmählig Armer gewordenen PMajeftät, 
und, abgefehen von den großen Summen, die auf 
diefe Weife in den königlichen Privatſchatz floffen, 
wurden diefer Hofftaat und diefe Hofzirkel die Mittel, 
das Land allmahlig in jene abfolute Abhangigkeit zu 
bringen, welche das Lieblingsfuften der heutigen Re— 
gierungsfunft ift. Der reiche merifanifche Adel hatte 
in diefen Hofzirfeln nicht nur Gelegenheit, feine Reich- 
thümer auf eine dem privilegirten Sandelöftande von 
Cadix vortheilhafte Weife zu verſchwenden; die Cen—⸗ 
tralifirung des Adels um den Hof des Satrapen war 


auch der Bindungsfaden geworden, dieſen inniger an 


das königliche Intereffe zu Enüpfen, indem er Gelegen- 
heit gab, die verfehiedenen Nüancen der Unzufrieden- 


beit zu bewachen, Mißvergnügen im Keime zu er 
fticfen, die Ueberrefte felbftftändig politifchen Gefühls 


durch eine galante Debaucherie zu vertilgen und durch 
jene, Ariftofraten fo füßen und unentbehrlichen In- 
triguen alle Fäden der bürgerlichen Gefellfehaft ſpie— 





—9 113 &— 


lend in der Hand zu behalten. — So war diefer Hof- 
ſtaat, urfprünglich eine halb barbarifche Schauftellung 
| roher, feudaler Pracht, wie in den alten europätfchen 
Ländern, das Mittel geworden, das Land feiter an 
feine Serrfcher dadurch zu knüpfen, daß der vorneh— 
mere Theil der Bürger in die Gefellfchaft feines Re— 
präfentanten gezogen, und jo mit dem Herrſchenden 
felbft in nähere Verbindung gebracht wurde. Die 
Folgen diefer Politik waren ſehr befriedigend für die 
fpanifche Serrfchaft geweſen, und es dürfte noch heute 
ſchwer zu entfcheiden ſeyn, ob die lange Ruhe, die 
drei Jahrhunderte hindurch in diefen unfäglich gedrück— 
ten Ländern felbft dann nicht unterbrochen worden, 
als das Mutterland im langen und blutigen Erbfolge 
frieg begriffen war, und die innige Anhänglichfeit, 
mit der der merifanifche Adel noch gegenwärtig an 
Spanien hängt, nicht einzig und allein diefem Reprä— 
ſentativſyſtem zugufchreiben fey; wenigftens verrieth der 
Eifer, mit dem, wie wir gefehen haben, Hunderte von 
Familien ſich zu diefer grande soirde drängten, ein 
Intereffe an der Ehre des viceföniglichen Hofſtaates, 
das ‚ auf die Patrioten übergetragen, das Schickſal 





—$ 114 &— 


der Königlichen Regierung Kald voihen —* x 
dürfte. | et 

Der Palaft, in dem dieſe Hofeour — ur, 
und dem feither die ehrenvollere Beſtimmung zu Aeit 
geworden, die oberften Behörden einer freien Re— 
publif in feinen Mauern zu vereinigen, war ganz 
geeignet, den Repräfentanten eines mächtigen Herr- 
ſchers mit den höchften Landesſtellen und. einen glän⸗ 
zenden Adel innerhalb feiner Säle aufzunehmen. Er 
nimmt die ganze Südſeite des prachtvollen Platzes, 
Plazza mayor genannt, ein, und erhebt fich in jenem 
gediegenen, aber. etwas fehwerfälligen Style, den wir 
an fpanifchen Bauwerken häufig bemerfen, und der, 
obgleich weniger kühn als der römifche, den Eindruck 
abfoluter Derrjeherwürde einem unwiſſenden aber 
finnlichen Volke vor Augen zu bringen durch jeine 
Ehrfurcht gebietenden Maſſen vielleicht geeigneter feyn 
dürfte, als ſelbſt die clajfifchen Formen des erftern. 
Mehrere Thore führen in feine weiten, inneren Höfe 
und zur gewölbten Säulenhalle, die um einen pracht= 
vollen Hofgarten läuft. Eine breite Doppelflucht von 
Treppen führte in die Staatszimmer de3 mächtigften 
Satrapen der neuern Zeiten, die, al3 follte die Natur 


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—$9 115 — 


feiner Gewalt recht auffallend dem Gintretenden vor 


die Sinne gebracht werden, zum Theil über den ſchau— 


derhaften Gefängniffen der Staatöverbrecher erbaut 


waren. Die Thorwege und die Säulenhalle wimmelte 


von -Schaaren reich gefleideter Hofdiener, Leibgardi— 
ften und Livreebedienten, mit Wachtpoften vermifcht, 
die an die Staatstreppen hinan fanden, und an die 
ſich eine zweite Schaar noch reicher gefleideter Haus— 
offiziere  anfchlofien, die zum Theil einen weiten 
Vorſaal einnahmen, oder vorden Klügelthüren de Au⸗ 
dienzſaales gerichtet jtanden. Gruppen von Adjutan- 
ten und Dffigieren aller Grade und Waffen’ bildeten 
jene malerifche Mifehung, die vielleicht mehr als der 
glänzende Hof felbft geeignet ift, das Bild höchſter 
Gewalt recht imponirend vor Augen zu bringen. 
Zwei reich gefleidete Höflinge bewachten den Eingang, 
und überlieferten die zum —5 immer 
dem Ceremonienmeiſter. 

Der große und hohe Audienzſaal, die untere Säfte 
mit Eſteras, die obere mit glänzenden Teppichen be 
legt, war in jenem alterthümlichen Gefchmade ver- 
ziert, der eine lange beftandene und feſt begründete 


Herrſchaft andeutet. An den Wänden glängten un— 









en ern 
geheure Trumeaus, abwechſelnd m langen Reihe 
von Wappenſchildern, die die obſoleten 2 iſp cüche der 
verſchiedenen Herrſcherfamilien des ani 
beinahe alle Länder des Erdbodens — — 


reiche, obwohl etwas verblichene Draperie vom Bun“ 


pur und hineftfchem Atlas, mit Gold verbraͤmt, zog 
ſich oberhalb dieſer den Wänden entlang zu ‚einem 


Thronhimmel, unter dem ſechs Stufen Hoch ein ſchwer⸗ ⸗ 


fälliger vergoldeter Armſeſſel mit hoher Lehne ſtand, 
auf dem die Attribute der königlichen Würde: lagen. 
Zu beiden Seiten dieſes Thronfißes, drei Stufen niedri⸗ 
ger, befanden ſich zwei andere Seſſel auf Eſtradas, 

und darüber gleichfalls Baldachine, obwohl um Vie⸗ 
les einfacher. Eine dritte Stufe hatte wieder mehrere 
Site, jedoch ohne Baldachin. Ale waren mit Eoft- 
baren, aber einigermaßen gealterten Fußteppichen be= 
deckt; zwei Reihen vor Seffeln zu beiden Seiten des 
Salons vollendeten die Einrichtung. Das Ganze im 
ſchwerfällig alterthümlichen Geſchmacke des verflofje- 


nen Jahrhunderts, unterſtützt jedoch von einer gedie⸗ F 


genen Pracht und einer glänzenden Beleuchtung, 
brachte eine impofante Wirkung hervor. 
Sp wie der Erzbifchof eingetreten, erhoben ſich 


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— 117 ⸗— 


fammtliche Anweſende und verneigten ſich. Während 
der geiftliche Würdenträger zu den Stufen des Thro— 
nes vorſchritt, Hffneten fich die obern Flügelthüren, 
und ein prachtvoll glänzender Zug trat von Diefer 


Seite ein. An feiner Spige befand ſich der Satrap, 


dem königliche Gunft oder vielmehr Intrigue das 
Wohl und Wehe des reichften Königreiches der neuen. 
Welt mit fieben Millionen feiner Bewohner zur unums 
ſchränkten Dispofition überliefert hatte. Es war Diefes 
ein fein gebildeter Mann mittlerer Größe. Der Ober— 
theil feines Gefichtes hatte nichts Ausgezeichnetes; der 
untere war jedoch merfwürdiger, wenn nicht gefälfiger. 
Ein rundes Kinn, um das von Zeit zu Zeit ein an— 
genehmes Lächeln jpielte, gab ihm einen Ausdrud 
von Zufriedenheit, obwohl feine Miene fich wieder jo . 
ſüßlich verzog, als ihm einen tückiſch grauſam wol⸗ 
lüſtigen Zug verlieh, der durch ein zeitweiliges Blin⸗ 
zeln noch vermehrt wurde. Doch hatte dieſer Mann 
jede Fiber wieder ſo ſehr in ſeiner Gewalt, daß jeder 
Augenblick auch ein anderes Geſicht zeigte. Er trug 
die Feldmarſchallsuniform Spaniens mit dem großen 
Bande des Ordens Carls II. Die Weiſe, wie er 


den Erzbifchof empfing, verrieth jene feheinbar hohe 
Der Virey. L 9 


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— 118 6 

Ehrfurcht, mit der kluge Stäntömänmer Biegen 
Stüßen zeitlicher Gewalt vor den Augen ber 
zu ehren verftehen,, wenn fie gleich von dem: (ebenen 
Prinzip der Religion wenig "pder gar nicht. durch⸗ 
drungen ſind. Seine Verbeugung war beinahe demü⸗ 
thig, und der ſchärfſte Beobachter dürfte vergeblich i 
einen Zug von Spott in dem Gefichte des Satrapen * 


geſucht haben, der auf mehreren ſeines Gefolges nicht 


undeutlich zu leſen war. Andererſeits ſchien der geift- 
liche Würdenträger ſich vollkommen ſeines hohen 
Ranges bewußt, und es war an ihm nichts von jener 
affektirten Demuth zu jpüren, die wir an den Vorſte⸗ 
hern dieſer Kirche in Ländern zu bemerken Gelegen⸗ 
heit haben, wo ihre Autorität auf unſichern Pfeilern 
ſchwankt; eine gewiſſe Verlegenheit allenfalls ausge⸗ 
nommen, die dem Geſichte einen finſtern Ausdruck 
verlieh, und die vielleicht dem Pereat zuzuſchreiben 
war, das der Schutzpatronin ſeines Geburtslandes 
und jo ihm ſelbſt von dem Pöbel gebracht worden. 
Das tieffte Schweigen herrſchte während der Uns 
terhaltung der beiden Würdenträger, an der bloß no 
Eine Berfon unmittelbaren Antheil nahm, und zwar 
eine, die nicht minder merkwürdig in der Geſchichte 


u 





—9 119 — 


dieſes unglücklichen Landes, als abftoßend in ihrem. 
Aeußern erſchien; eine ftarfe, hagere Geftalt, von mus- 
Ffulöfem Körperbau, mit einem finftern, abſchrecken⸗ 
den Geftchte, und einem Paar kohlſchwarzer, ver= 
glaster, ftierer Augen, die, unter den bufchig graus 
ſchwarzen Augentwimpern hervorglogend, dem Manne 
etwas Gräßliches verliehen. Es war eine Art Sa- 
tandgeficht, doch ohne deſſen Geift, vielmehr eine Mi- 
ſchung von Bigotterie, Dummheit und Graufamfeit, 
die zugleich Ekel erregten. 

Als die beiden Würdenträger und der General- 
Gapitain, denn dieß war die hohe Charge des fo eben 
befchriebenen Militärs, die Unterhaltung lange ge— 
nug ausgedehnt hatten, um den Anweſenden gewiffer- 
maßen das innige Verhältniß zwifchen Staat, Kirche 
und dem Schwerte bemerkbar zu machen, traten fie 
vor die Stufen des Tihrones, um einen Zug von Da— 
men zu empfangen, die Durch die nämlichen Thüren 
eingetreten, durch welche auch der Satrap gekommen 
war, und die fich nach einer kurzen Unterhaltung zue 
Linken des Thronhimmels auf der erften —9— auf⸗ 
ſtellten. 

Der Sypanier beſitzt eine natürliche, ihm angeborne 

9* 


— 190 — 

1 deren lundlage, Selbſtgefühl und National- 
ſtolz, ihn vorzüglich zum Repräſentiren eignen, ob⸗ 
wohl beide wieder in der neuern Zeit ſehr gelitten 
haben. So ſehr der ſchaͤrfere Beobachter jene geiſt⸗ 
reich schönen Phyfiognomien vermißt haben dürfte, - 
die bei ähnlichen Beranlaffungen in unferem oder dem 
ung verwandten Mutterlande das Auge eben ſowohl, 

als den Berftand, anfprechen, indem fie durch ihre 
ruhige, innere Würde und Bejonnenheit eine gewiſſer⸗ 
maßen intuitive Beſchauung des freien Mannes er- 
lauben; fo fehr dürfte andrerfeits fein Intereffe durch 
den Anblick einer Verfammlung aufgeregt worden 
ſeyn, in der gewifjermaßen die ganze Macht und Ener- 
gie eined mächtigen Staates concentrirt war, und 
deren grelle, barſche Gefichter als Abdruck der außer= 
ordentlichiten Regierung gelten Eonnten, die je in 
einem Lande gewüthet hat. Die Spanier waren beiz 
nahe durchgängig Heine verbuttete Geftalten, mit 
ſchwarzbraunen oder olivengrünen,, verzerrten, hoch— 
müthigen Gefichtern, funfelnden Fleinen Nattenaugen, 
und Zügen, in denen die jugendlichen Leidenſchaften 
nur auögetobt zu haben fehienen, um ihre Hefen mit 
den härteren und haffenswürdigern des grauen Alters 





— 





— — BE ann La a Da ER * * ir * 


—9 1231 & 


zu vermiſchen. In der Art, wie fie ſich dem Satrapen 
näherten, lag etwas ſervil Niedertraͤchtiges und wie⸗ 
der abſtoßend widrig Arrogantes. Sie kamen in der 
ehrfurchtsvollſten Stellung heran; aber in dieſer ge- 
heuchelten Ehrfurcht lag wieder ein Sohnlächeln, das 
deutlich verrieth, ihre Suldigung gelte dem Abglanz 
der Majeſtät nur inſoferne, als dieſe ihre eigenen 
Plane unterſtützte, und daß ſie tief fühlten, ſie be— 
fänden ſich in einem Lande, auf deſſen unbeſchränkte 
Beherrſchung ſie einzig und allein Anſpruch hätten, 
obgleich ſie in ihrem eigenen Lande Sklaven waren. 
Aengſtlich und beinahe furchtſam, mit einem leeren 
nichtsſagenden, ariſtokratiſchen Lächeln und kriechen— 
den Bücklingen kamen die Creolen heran, voll ſüßen 
Schauers bei ihrer Annäherung zur höchſten Perſon⸗ 
nage wagten ſie es kaum aufzutreten, und die un— 
nennbare Seligkeit, die ihre Geſichter überftrahlte, 
jo wie ein Wort vom Satrapen ihnen gu Theil wurde, 
war um ſo widerlicher, als der unverfennbare Hohn 
ihrer Borganger den Commentar zu diefer Hofwonne 


bildete. Sp gewiß e8 ift, daß eine fefte männliche 


Haltung das Gemüth wohl anfpricht, indem fie 
der Ausdruck perſönlicher Freiheit und Sicherheit 


| me 
wird, eben jo bewirft die entgegengefeßte ‚Eriechende 
Darftellungdes innern Menfchen wiederjene Aengſtlich⸗ 
feit und Unbehaglichfeit, die fich eben jo unwillkür— 


lich in Verachtung Desjenigen ummwandelt, der diefe 
in und bervorzubringen die DVeranlaffung war. Es 
bedurfte wirklich nur eines Augenblickes, um dem 
aufmerkſamen Menſchenkenner einen anſchaulichen 


Begriff von der Natur der Herrſchaft zu geben, unter 
welcher dieſes Land ſeufzte und ihn über die Urſachen 
aufzuklären, die nahe an ſieben Millionen Creolen, 


Indianer und Kaſten unter der Botmaͤßigkeit von 


einer verhältnißmäßig geringen Anzahl von Spaniern 
erhalten konnten. Er 
Abgeſehen jedoch von diefen höhern Betrachtungen 
gewährte die Berfammlung einen glänzenden Anblisk. 
Die reichen Uniformen der Generale und hohen 
Staatsbeamten, unter denen fich Die malerifche Amts— 
tracht der Oidores mit ihren fehwarzen Seidemän- 


telm und goldenen Ketten auszeichnete; die. farbigen . 


Gewänder der hohen Geiftlichkeit, mit den vielfi 


prachtvollen Uniformen der verfihiedenen Beamten 


und der antiken und reichen Tracht mehrerer Greolen, 
mit den reichern Anzügen der Damen, boten ein En- 





) 








—H 13 ⸗— 


jemble dar, welches der mächtigfte Autokrat kaum 
glänzender an feinem Hofe aufweifen Fonnte, und. def- 
ſen Wirfung durch ein geheimnigvolles Etwas, das 
durch das Ganze hindurchfchimmerte, eher vermehrt 
als vermindert"wurde. 

Nachdem die Borjtellung der Herren auf der rech⸗ 
ten Seite des Saales vor ſich gegangen, waren ſie 
auf die linke geführt worden, ‚mo fie zum Handkuſſe 
der Gemahlin des alter ego des Königs zugelaffen, 
die Damen aber mit einer Umarmung oder ‚einem 
mehr oder weniger verbindlichen Knickſe empfangen 
wurden, um nach einer kürzern oder längern Unter⸗ 
haltung, die wieder eine größere oder mindere Wohl⸗ 
gewogenheit andeuten ſollte, eben ſo entlaſſen zu 


werden. 


Derſelbe Stolz von Seiten der Spanierinnen: doch 
ſchien bei den creoliſchen Frauen die Eiferſucht gegen 
ihre Nebenbuhlerinnen weit charakteriſtiſcher hervor- 
treten zu wollen, als diefes von Seite ihrer Ehemän— 

©: gemejen war. Auch in ihrem Putze 
hatten fich die zwei ſchönen Hälften einander fo zu fagen 
feindfelig gegenüber geftellt, und während die Spa- 
nierinnen in die Nobe ihres Landes gefleidet waren, 


ner 


—d 124 — 


hatten die Greolinnen die Toilette des Volkes, wel- 
ches die Regierung ihres Mutterlandes über den Hau- 
fen geworfen und ihren Regenten in Gefangenfchaft 
hielt, vorgezogen, obwohl diefer Vorzug von unfern 
Schönen um fo weniger beneidet worden ſeyn dürfte, 
als ihre Mufter noch dem verflofenen Jahrhunderte 
angehörten. Unter den jüngern-Damen gab e8 un— 
gemein herrliche Geftalten, und der zart gebräunte 
Teint und das Liebe glühende Auge verriethen auch 
unter den mißftaltenden Anzügen die Sprößlinge des 
glühenden Andaluftens und des ftolzen Gaftiliens. 

Die Sonne jedoch, um welche fich der ganze Kreis 
bewegte, war der Satrape, und der Spanier jelbit 
ſchien die ihm angeborne Galanterie für den Augen— 
blick vergeſſen zu haben, um dem Nepräfentanten 
Eöniglicher Majeftät und fo fich felbft die höchſt * 
liche Huldigung darzubringen. 

Nichts konnte aber auch der würdevollen Anmuth 
gleich kommen, mit welcher dieſe Perſonnage ſeine 
Regentenrolle ſpielte. Auch den Zagendſten Be er 
ermuthigen zu wollen durch freundliche Milde, die 
recht angelegentlich aufzufordern ſchien, fich behaglich 
in feiner Nähe zu fühlen. Allen wußte der Mann 

















— 185 — 


etwas Verbindliches zu jagen; Doch war dieje feine 
Freundlichkeit wieder jehr veränderlich; bei Einigen 
ſchien fie mehr in's Vertrauliche übergehen zu wol- 
Yen, während bei Andern mieder die Amtsmiene oder 
gnädige Serablaffung vorherrichte. Die Geläufigkeit, 
mit der er die verfchiedenartigften Fragen gleichſam 
im Vorbeigehen, und doch zugleich jo angelegentlich 


an Feden richtete, war bewundernswerth. Ginige 


diefer Fragen bezogen ſich auf das gute Ausſehen der 
Befragten, umd das Vergnügen, das er empfand, 
einen jo getreuen Diener feines Herrn in jo vollkom— 
menem Wohlſeyn zu fehen; Andere auf Samilien- 
verhältniffe, in welchen der hohe Mann bis zu einem 
gewiffen Punkte bewandert ſchien; noch andere auf 
das Fach, dem der Befragte vorſtand; alle aber 
waren in jener oberflächlich gefälligen Manier vorge— 
bracht, die gewiſſermaßen den Fragenden als über 
tiefere Kenntniß des von ihm berührten Gegenſtan— 


des erhaben darſtellen ſollten. Mehreremale fand es 
die hohe Perſonnage auch für dienlich, Worte leiſer 
zu ſprechen, die hinlängliche Inhaltsſchwere hatten, 


dem Angeredeten das Blut in das olivenfarbige Ges 


— 16 &— 


ſicht zu jagen, ohne daß ſie dem Salraben mir als 
ein gnädiges Lächeln gekoſtet hätten. 

Die Stimme des Camarerio-Mayor, der u, 
kömmlinge verfündete, brachte endlich in dem Geftchte 
de3 gefehmeidigen Hofmannes eine Art Stillſtand 





hervor, und feine Muskeln zueften zum Erftenmale 


in dem augenbficklichen, und wie es ſchien ſchweren 


Kampfe, den e8 ihn Eoftete, fie in das vorige Kran 


zu glätten. 


Sechstes Kapitel. 


AL dieſer eitle Brunf ift frevler Schimpf, 

Der um fo tiefer nur dieß Herz verwundet, 

Indem er IN ala Gegengift hinreicht. 
(+ Byron. 


Es waren die ziwei Creolen, die mit der Dame in 


den Ießten zwei Wagen angefommen waren. Der 


Erfte, der unter dem Namen Conde de San Jago 


angekündigt wurde, war ein Mann mittlerer Größe, 
von feinem, jehmächtigem Gtiederbaue; fein’ Alter 


mochte zwifchen vierzig und fünfzig ſeyn, obwohl ein 
unverfennbarer Zug von Gram ihm das Ausjehen 


ER Re 





— 127 0 — 


von vielleicht fünf Jahren mehr gab; feine Geftchts- 
j züge waren fein und edel, mit den feharf marfirten 
Umriſſen, welche die Nachkommen der römiſchen Na— 
tion charakteriſiren; ſein Auge durchdringend und 
| klar; jein fefter Tritt und feine beftimmte Haltung 
| beurfundeten Gelafjenheit und hohe innere Würde; 
fein Anzug war nach dem neuejten, damals in Eu— 
ropa herrſchenden Geſchmacke; ein einfach ſchwarzer 
Tuchrock, eben ſolche Beinkleider, ſeidene Strümpfe 
und Schuhe. Indem er ſich den Stufen des Thrones 
h näherte, glitt jein Blick ruhig und achtungsvoll über 
die Verfammlung hin, von der Mehrere, ihren freund- 
lich aufwallenden Geſichtszügen nach zu ſchließen, eben 
ſo angenehm als wohlthuend überrajcht wurden. 

} Sein Begleiter war noch jehr jung, und konnte 
kaum das achtzehnte Jahr überſchritten haben; eine 
unverkennbare Familienähnlichkeit bezeichnete ihn als 
| einen nahen Verwandten. Ein ſchwarzer Lockenkopf, 
j ine breite, offene Stirne mit herrlichen Braunen und 
ir in Baar Augen, fo prachtvoll, fo glühend, daß die 
weibliche Hälfte der Aſſemblee unwillkührlich in das 
6 eflüfter: „O que brillantes estrellas!“*) ausbrach. 



















— — 


Welch glänzende Sterne! 


7 


ſie fich tief und ftanden einige Sekunden. Inte 


von zuteauficher Freundlichkeit angenommen, und kin 





Sant gebräunte Wangen mit eine fein een 


römischen Nafe gaben dem jugendlichen Gefihte einen. 
Ausdruck von anmuthiger Männlichkeit, ‚deren ſich 


der ſtolze Jüngling vollkommen bewußt zu ſeyn ſchien. 
ALS die Beiden von dem Camarerio⸗Mayor*) vor 
die Stufen des Throne geführt waren, verbeugten 





voller Erwartung. 
Das Geficht des Vicekönigs —— * Ausdruet 












Auge ruhte wohlgefällig lächelnd auf Beiden. 
„Der Conde de San Jago iſt willkommen!“ ſprach 
er mit einer tiefern Verbeugung, als er bisher, den 
Erzbiſchof ausgenommen, noch zu machen für gut be⸗ 
funden hatte. „Der Carneval hat endlich bewirkt, 
worauf wir, trotz unſerer freundlichen Zumuthungen, 
fo lange vergebens gehofft haben.“ Bi 
‚»&ure Greellenz geruhen, einer Urſache zuzufi h e 
ben, die fehwerlih für uns Veranlaſſung werden 
konnte,“ erwiederte der Conde. „Wir find gekon 
men,“ jeßte er im beftimmtern Tone Hinzu, „um dem 





*) Oberfammerbherr. 


— 129 — 


| erlauchten Repräfentanten der Majeftät unfere Ehr⸗ 
furcht zu bezeugen und uns dem Born der Gnade zu 
* dem Mexiko ſo Vieles verdankt.“ 
„Und dem Schutze der Mutter de los remedios,“ 
murmelte der Erzbiſchof, ohne jedoch in die Rede ſelbſt 
einzufallen. 
„Und dem guten ſpaniſchen Schwerte,“ fügte der - 
General⸗Capitain etwas Lauter hinzu. 
Wir Haben den Troft der gerechten Sache und des 
Beiſtandes des Allerhöchſten und der Jungfrau, die 
die Stütze Spaniens iſt,“ bemerkte der Vicekönig in 
> einem Tone, der unwillkürlich einen ſpöttiſchen Nach⸗ 
klang von ſich gab. „Und dieſer junge Kavalier?“ 
| fragte er mit einem fremden Blicke auf den Jüngling, 
n der dem Grafen zur Seite ftand. 

Diefer, im höchften Grade, wie es ſchien überrafcht, 
erröthete und gerieth dermaßen in Verlegenheit, daß 
er wirr und ſcheu um ſich und dann zu Boden blickte. 
M „Euer Excellenz unterthänigit aufzumarten, der 
i Sohn unſers Goufin, Don Senor Sebaſtiano,“ 
ſprach der Conde mit einem Blicke, der nicht minder 
befremdet bald auf dem Vicekönige, wieder auf dem 
Jüngling rubte. 








5 





4 















— 130 &— 
Die hohe Perfonnage hatte gleichfalls ihre 8: 
verloren, die fie erft wieder gewann, als ( 
des General-Gapitains hörbar wurde. 
Diefer hatte fein ftieres Auge forſchend pi 
Jüngling gerichtet, den er mit einem ref il > m 
fterte, das allenfalls ein Werbeoffizier einem N 
wachjenen Rekruten ſchenken dürfte, und dann fich E 
zum Vicekönig gewandt, dem er einige Worte: fl 
fterte. Aus der Unterhaltung, die zwiſchen en bei⸗ 
den Dignitairen ſich entſponnen, waren a 
abgebrochenen Säge zu vernehmen: 4 
zwanzig beigefellen, die —— mit den ger 
heiligten Mußeftunden Sr. Majeftät ihren 5 
treiben,“ und das „furchtbar! furchtbar!“ das dem 
Satrapen in demfelben Teifen Tone entfuhr; dann 
wurden ihre Stimmen abermals zum unverſtändl 
Geziſche. wu | 
Der Conde war während des kurzen, aber einiger 
maßen peinlichen Ziwifchenfpieles ruhig en . | 
jein Auge abwechfelnd auf den Vicekönig und d 
General-Gapitain gerichtet, als der- Erſtere, — * " 
Hälfte an ihn, zur andern — Generaf-@ apit 
wendend, ſprach: | 

























—> Bl & 


„Wir waren ohnedem gewillet, Sr. Herrlichkeit 
dem Conde Jago einen Beweis von Wohlwollen zu 
geben, der den hohen Fueros *), deren fich feine hohe 
| Familie erfreut, angemefjener feyn dürfte, als Euer 
Excellenz gütiger Vorſchlag —“ 
De General-Gapitain erwiederte: 
Wir find fo frei, zu bemerken, Excellenza, daß auf 
2 Fueros i in unferer Lage Nüskficht zu nehmen dem In⸗ 
N tereffe unſeres allergnädigften Herrn, den die heilige: 
n Jungfrau jhügen möge, nicht anders als hinderlich 
ſeyn könne. Se. geheiligte Majeſtät haben ſie gege— 
ben, und nehmen ſie wieder, und zu Letzterm ſind wir 
bevollmächtigt, wenn immer der — Sr. Majeſtät 
es erheiſcht.“ 
Euer Ercellenz Bemerkungen;⸗ verſetzte der Vice⸗ 
könig, „find eben jo wahr als richtig, und wir wür- 
den nicht anjtehen, wenn der Dienft Sr. Majeftät —“ 
„Der Herr hat ed gegeben, der Herr hat e8 genom⸗ 
min,“ fiel der Erzbiſchof ein. | 


— 





) Privilegien. Jeder Stand hatte ſeine Fueros: der Militär— 
ſtand, die Geiſtlichkeit, die Conſulado, die Miliz ꝛe. Eines 
dieſer Privilegien beſtand in der eigenen Gerichtsbarkeit des 

reſpeetiven Standes. 





Ye 


- 


0 "Wir kennen inter hi * | 
lenz gütig zu bemerken belleben ist oe er Cu “ 








Es erheiſchte⸗ — * — 
dem geiſtlichen Dignitair Zeit gegeben I 
Bode einzuſchalten; ; nallein ©. Ere l mh io * d 






dien iſt und ſeit — geweſen — 

„Euer Excellenz kennen Ihre Vollmachten, 
ſetzte der General⸗Capitain; aber meine Meinung 
ift, zuerſt vein Werk ums dann Milde, | > viel Sie 
wollen. Vai 











etwas heftig ein, * ber * de Guerre 


eihiene 1 böksheigen,, eins t [ 
„Wir haben einen En eingeſch 





4* 
*) Oberſtes Kriegstollegium. + 
**) Klugheit und Vorſicht. 


* 
Er 


SE 
EN 


913 &— 


Conde, als das Intereffe unſers allergnädigften Herrn 
und Gebieters, vereinen wird.a 

‚Und nachdem er diefe Worte in einem etwas Tau- 
tern, und zwar jenem beftimmten, obwohl immer 
noch verſöhnenden Tone gefprochen, der Widerrede 
eben ſo unnütz, als unſchicklich machen folte, vers 
beugte ex ſich etwas Leichter und Fälter gegen den Gra- 


fen, als e3 beim Empfange der Fall gewefen. 


Letzterer, nachdem er auf diefe myfteriöfe Weife 
abgefertigt worden war, wich mit feinem Neffen von 
den Stufen des Thrones zurück, während der Sa- 
trape, in Begleitung des Erzbiſchofes, des General 
Gapitains und feines Gefolges, ihren erhabenen 
Standpunkt ‚ebenfalls verließen, um gleihfam den 
versehiedenen Berfonen eine Art —— abzu⸗ 
ſtatten. 

So ſteif —* formell der letzte Empfang geendet 
hatte, ſo freundlich, gefällig und herablaſſend wurde 


nun wieder der Repräſentant der, abſoluten Gewalt; 


ja, es ſchien, als ob dieſer mit Verſtellungsgabe ſo 
ſehr ausgerüſtete Mann ſeine höchſte Kraft aufböte, 
um feine Rolle einem grüclügen Ende entgegenzu= 


| führen. 


Der Virey. L * 10 


—d 134 — “5 


„Wir haben,» fprady er mit-der freundlichſten 
Miene und dem heiterften Lächeln zu unferem Grafen, 
als er endlich in feiner Tour zu Diefem herabgelangt _ 
war: „und eine kleine Mühe und ſelbſt einen Fleinen 

Zwiſt Ihretwegen zugezogen, theurer Conde, die, wie 
Sie erſehen haben, uns ſchiefen Bemerkungen aus⸗ 
geſetzt; allein dieſe ſollen uns nicht abhalten, der 
Stimme unſeres Herzens, die für ee — 
ſpricht, zu folgen. « * 

Ein vielſagender Blick, ein freundliches Nicken be⸗ 
gleitete dieſe huldreich geheimnißvolle Zuſicherung, 
und dann ſchritt der Mann weiter. 

Der Graf hatte kein Wort geſprochen, und wäh— 
rend er ſich vor dem weltlichen Gewalthaber ver— 
beugte, trat der Geiſtliche heran. 

Das Erſcheinen dieſes Prieſters konnte würdevoll 
genannt werden; das maleriſche violetfarbige Seiden⸗ 
gewand, welches in weiten Falten ſeine hohe, dünne 
Geſtalt umfloß, und deſſen Schleppe von einem reich⸗ 3 
gekleideten Pagen getragen, gab ſeinem Ehrfurcht ge 
bietenden Wefen etwas Antikes, das jedoch, wie ge— 
fagt, wieder durch eine gewiſſe Verlegenheit geſtört 
wurde, die ihn ſelbſt während der langen Aufwartung 














— 135 — 


nicht ganz verlaffen hatte. Er trug um feinen Hals | 
eine goldene Kette von der feinften merifanifchen Ar⸗ 
beit, die in einem mit Juwelen bef etzten Kreuze endigte, 
das auf die Bruſt zu liegen kam. 

Auy bien!“ *) redete ex den Conde mit einer et⸗ 
was finſtern Freundlichkeit an; „Muy bien! Alles 
mit der heiligen Jungfrau angefangen. Sie verleiht 
ihren Beiſtand nicht bloß durch Fürbitte, ſondern, 
wie die allein ſeligmachende Kirche ausdrücklich lehrt, 
auch aus eigener Machtvollkommenheit, weßhalb ſie 
billig de los remedios genannt wird. Si, si, Se- 
nor!“ *) jprach er nach diefer gottfelig ſeyn ſollen⸗ 
den Auseinanderfegung des Schußverhältniffes feiner 
Batronin: „Wir felbft wollen das allerheiligfte Meß⸗ 
opfer in unferer Kapelle darbringen; e8 ift zwar eine 
halbe Stunde früher, als wir gewohnt find — “ 

„Beso a Vmd la manos!“ Ich Füffe die Hande 
meines gnädigften Herrn Erzbifchofes, « erwiederte 
der Graf etwas troden; „aber Perdon Illustrissima 
Senoria, ***) wenn ich meine Unwiſſenheit über die 





*) Sehr wohl! 
**) Ya, ja, mein Önädiger. 
+) Mergebung, erlauchte Herrlichkeit. 


10* 


— 136 — 


Beranlaffung dieſet Hohen Gnade. u erfennen 
geben muß. “ 


Die Verlegenheit des geiſtlichen pn 


flieg um ein Bedeutendes bei diefen Worten. » „Se⸗ 
noria,“ erwiederte er finſter, „werden die Veranlaſ⸗ 


ſung unfehlbar ſeiner Zeit kennen lernen, und wir, 
wie geſagt, eine Collectam pro peregrinante,*) 
für Ihren Neffen namlich, zu machen und bewogen. 
finden, der morgen früh um ſechs Uhr nach — 





Sr. Excellenz unſerem gnädigſten Vicekönig vo⸗ 
werden wird.“ 








„Eine Reiſe nach der Madre Patria, nach Spa⸗ 


nien? Und mein Neffe!“ fuhr der Conde heraus im 


Tone des höchſten Erſtaunens und mit einem Bid. 


in dem fich ein empörtes Gemüth deutlich verriet. 


Der Erzbiſchof fehlen nicht minder erftaunt über 
diefe Wahrzeichen des gräflichen Unwillens; fein fin- 
fterer Blick fiel einen Augenblic — * auf 


den Conde. 


„Se. Excellenz unſer gnädigſter Virey,“ fubrer 7 





*) Ein Gebet für einen Neifenden. 





—{+1371- 


verweifend fort, „haben mit Sochdero eigenem Munde 
uns eröffnet, wie Don Manuel abgehen werde, und 
uns zugleich erfucht, Befehle wegen des allerheifigften 
Meßopfers, das Derfelbe noch vor feinem Abgange 
Hören wird, zu erlaſſen. Wir haben uns jedoch be— 
wogen gefunden, Don Joſe Conde de San. Jago 
einen Beweis unferer ganz befondern Werthſchätzung 
infofern zu geben, als wir felbft das befagte aller- 
heiligfte Meßopfer und Collectam pro peregrinante 
/ der Mutter de los remedios darzubringen gedenfen.” 

" Und mit diefen Worten ließ der Priefter fein Haupt 
mit einem plößlich abgemeffenen Nude ſinken, daß 
das fpige Kinn auf die Bruft zu liegen fam und, 
es mit einem eben fo abgemefienen Nude zurück— 
‚werfend, fehritt er mit devot artoganter Gravität 
weiter. 

Allmählig war in dem Audienzfaale ein Gemurmel 
hörbar geworden, das, fo viele Mühe man ſich auch 
gab, es zu unterdrücken, auf eben ſo inhaltsſchwere, 
wenn nicht unangenehmere Mittheilungen von Seiten 
des Satrapen ſchließen ließ, als diejenigen waren, die 
dem Conde zu Theil geworden. Das Gemurmel 
fchien immer lauter werden zu wollen, als auch die 











Stimme de Vicekönigs ſich ſtärket erhob, wi u 


eine T odesſtille eintrat. Seine Worte * bi } * 


Creolen gerichtet, deſſen Gegenvorſtellung an etn a 
lauter geweſen waren, als die ſpaniſche Etiquett 
ſolchen Gelegenheiten zu aa Mm gut Befunden 
hatte. 

„Don Garcia!“ ſprach er, „es ſollten uns leid thun, 
wenn wir uns getäuſcht hätten, und, wo wir einen 
loyalen Verehrer des Willens Sr. geheiligten Maje⸗ 
ſtät unſers allergnädigſten Herrn und, Gebieters ; zu 
ſehen glaubten, der nicht anſtehen würde, Gut und 
Blut für feinen angebeteten Monarchen zu opfern, 
— einen räfonnirenden Unzufriedenen. wahrnehmen 
follten — « 

„Von den Lehren ded fegerifchen Giberalen Windes, 
der, Pro dolor! in diefem unglücklichen Neiche nur 
zu fehr zu wehen anfängt, umbergetrieben, « * der 
Erzbiſchof ein. 

„Nein, nein, Excellenza,“ fuhr der Satrape, zum 
General-Gapitain gewendet, fort, der finſter und 
drohend den armen Creolen maß; „ich verſichere Sie, 
Don Gareia iſt ein zu loyales Glied der mexikaniſchen 
Nobilitad, um nicht die unangenehmen Folgen zu 








A a 


wi 
—dH 139 > 


gewahren, die der leiſeſte Widerſpruch um ſo mehr 
in einem Zeitpunfte haben müßte, ald wir, Sr. Ma— 
jeftat loyale Diener, feſt entfchlofjen find, das An— 
ſehen der von Allerhöchftderfelben uns allerhuldreichſt 
übertragenen Gewalt in feinem ganzen Umfange auf- 
recht zu erhalten, und fo diefes Königreich wieder in 
den Zuftand zurüd zu bringen, ein würdiger Gegen- 
ftand der Gnade unſers Deren zu werden. « 

&3 war bei diefem höfiſchen Amtstone wieder fo 
viel ſüß Schmeichelndes, oder vielmehr perfid Kofetti- 
rended.in den Worten des Satrapen, daß die Augen 
der meiften Creolen mit einer Art fieberifch peinlicher 
Spannung an dent Sprecher hingen. | 

„Excellentiſſimo Senor,“ ſprach der Greole, an 
den die Anrede gerichtet, die aber fo laut gefprochen 
worden war, daß Alle Leicht einfehen konnten, fie 
gelte ihnen ebenfowohl: „&reellentiffimg Senor!“ 
wiederholte der zuckende und bebende Creole mit Halb 
erftichter Stimme, „nur Eine Gnade gewähren Sie 
dem Vater, deffen Sohn fo plöglich, unverſchuldet 
aus den Armen feiner Familie geriffen wird. Bas 
bat Sfidor verbrochen?«“ 

„Der getreue Unterthan forfeht nicht, räſonnirt nicht, 


* uo — 


er gehorcht,“ ſprach der General mit ſta 
| ſcher Stimme. TH 

Eine Todesftille erfolgte auf if ot in em 
ganzen Saale; nur ein leiſes, Faum merkbares Knir- 
fehen mit den Zähnen, verrieth den heißen Ingeimm 
der gedemüthigten Creolen. Doch tagte es Keiner 
auch nur ein Wort zu entgegnen. 

„Wir find der Hoffnung,“ fuhr der Satraye fort, 
„St. geheiligten Majeftät allergetreuefte Unterthanen 
diefes Königreiches werden fortfahren, fie der Aller- 
höchſten Gnaden würdig zu crhaum vie Se. Maje⸗ 
ſtät durch Ihre allerloyalſten 
Diener, die durchlauchtigſten Conn zum Andenken 










der durch Ihre geheiligten Waffen ſowohl in der 
Madre Patria, als in diefem Königreiche , erfochtenen 


Siege, und namentlich der Eroberung von Badajoz, 
Ihren allerunterthänigiten Getreuen angedeihen zu 
laſſen allerhuldreichſt geruhet haben. Und es iſt mit 
dem größten Vergnügen,“ fuhr der Satrape, mit 


feinem füßeften Lächeln fort, „daß wir den Großen 


dieſes Königreichs eröffnen, daß die erwähnten aller- 
huldreichſten Gnadenbeweife Sr. geheiligten Ma- 
jeftät im Königreiche bereits angelangt und des 





—— De Br Er = = — * — ee cn 2 














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AM — 


glücklichen Zeitpunktes harren, wo das Allerhöchſte 
Namensfeſt unſeres angebeteten Monarchen und ge— 
ſtatten wird, über dieſe allerhuldreichſten Merkmale 


Allerhöchſtdero Gnade, nad Allerhöchſtdero gnädig- 


fter Willensmeinung, allerunterthänigft gehorfamft 
zu verfügen. « 
Sp niederträchtig, unmännlich und ſelbſt abſurd 


ſolche Redensarten in unſerer männlich freien ameri— 


Fanifchen Sprache Elingen, jo zwar, daß es gewiffer- 
maßen unmöglich feheint, fie wiederzugeben, und fo 
fehr fie ficherlich das Gelächter und die Verachtung 
jedes Gebildeten in unjerem und dem Mutterlande 
erregen müßten, fo ift doch befanntlich dieſe, die 
Menſchheit entehrende Sprache in allen Ländern des 
despotifch beherrſchten Kontinents von Europa fo 
fehr Mode geworden, daß fie da gewiſſermaßen zum 
guten Tone und zur Bildung gehört, und erft jegt eine 
der politifchen Aufklärung etwas weiter vorgerückte 
Nation fich derfelben zu fehämen anfängt. Diefer Wort- 
ſchwall, der jede Anrede an einen Monarchen oder 
felbft eine bloße Erwähnung Defjelben begleitet, ift 
übrigens wohl berechnet, und Feines der geringfügig- 
ften Mittel, die Berftandesfräfte der armen loyalen 


* 


ur ⸗ 


Unterthanen dergeſtalt zu umwölken, daß ſie gewiſſer⸗ 
maßen nichts Menſchliches mehr, ſondern nur Ueber⸗ 
irdiſches an ihrem Herrſcher zu ſehen wähnen. 

Der Satrape, nachdem er folhergeftalt das nun 
dem Lande zu Theil gewordene Heil verfü 1 ‚ 
überfah nochmals mit einem gnädigen Lächeln die 
glänzende Verfammlung, und wandte ſich dann zu 
den Damen. Die anweſenden Spanier brachen in 
ein abgemefjenes, mäßig lautes Viva Su Magestad 
sacratissima Fernando VI. *) aus, in welches Bi- 
vat mehrere Creolen einftimmten, die gleichjam um 
dem viceföniglichen Gedächtniß bei Verleihung der 
Gnadenbezeugungen nicht zu entichlüpfen, ſich in 
demuthsvoller Haſt vorgedrängt hatten. Der Satrap 
lächelte Dieſen gnädig zu, überſah die Uebrigen mit 
etwas ſtolzerem Blicke, und nachdem der hohe Mann, 
eben ſo formell als gnädig, von den geiſtlichen und 
weltlichen Würdeträgern Abſchied genommen, ent— 
fernte er ſich unter dem Vortritte ſeines Hofperſonales 
auf dieſelbe Weiſe, wie er gekommen war. 

Der letzte Abſchnitt dieſes Hofzirkels hatte einen 








*) Es lebe Se. geheiligte Majeſtät, Ferdinaud der VIL 








— 113 ⸗⸗ 


gemifchten Charakter von fo empörender Kerzlofigfeit 
und Heimtücke, ſüßlicher SHoldfeligfeit und hohn— 
lächelnder Grauſamkeit; die Umgebungen, der finſtere 
Soldat mit ſeinem Gefolge von Generalen, der fromm 
tückiſche Erzbiſchof mit der kaum minder furchtbaren 
Ideenaſſociation von Autos da fe, verliehen den Wor⸗ 
ten, fo eckelhaft Eriechend fie auch waren, ‚eine jo 
furchtbare Deutung, daß die Meiften der armen Ereo- 
len fehaudernd dem Manne nachblickten, der die bit- 
terften Demüthigungen und herzzerreigendften Gewalt- 
ftreiche auf eine ſolche Weife vorbringen fonnte. Eine 
lange Weile nach der Entfernung des Vicekönigs 
herrſchte noch Todesftille im ganzen großen Saale; 
die Greolen fahen ſich an, wie Menſchen, die plöglich 
aus dem Schlafe aufmachen und erft allmahlig wieder 
zum Bewußtſeyn zurüdfehren. Als wäre aber jede 
Aeußerung durch eine unftchtbare Gewalt unterfagt, 
fo erjtarben die Worte auf ihren Zungen. Kein Laut 
war zu vernehmen; nur ein dumpfes, zifehendes Ge- 
flüfter, das, als wäre e8 noch zu gefährlich, ſchnell 
abgebrochen wurde, um durch eine Sprache erfeßt zu 
werden, in der es die ſüdlichen Völker in Folge des 
auf ihnen laftenden Druckes bekanntlich fo weit ge— 


* —— ei a 





— 

bracht haben. Wirklich ſchienen ſich die Anweſenden 
in dieſer eben ſo beſtimmt und deutlich verftändigen 
zu können, als wenn fie ſich ihre Ideen durch Worte 
mitgetbeilt hätten. Ihre Blicke waren fehnell und 
fprechend, und ſo raſch folgten nun die Verſtändi— 
gungen dieſer Augen- und Geberdenſprache, daß ein 


plötzlich Eintretender ſich in einer Verſammlung auf⸗ 


geregter Taubſtummen geglaubt haben würde. Nicht 
weniger lebhaft war die Augenfpracdhe der Damen, 
deren Mantillas ſich nun mit den heftigern Geberden 
der Männer vereinigten, um ein Schaufpiel aufzu- 
führen, das mur in einem fpanifchen Lande wieder 
‚gefehen werden Eann. | 

Diefe Beweglichkeit der Schleier und Fächer, dieſe 
glänzenden, rollenden und wieder Liebe ſchmachtenden 
Flammenblicke, die Unmuth, Verachtung, Zorn und 
die heftigften Leidenfchaften zu. ſprühen jehienen, fie 


wechſelten fo pfeilſchnell auf den Gefichtern mit den, - 


fanftern der Liebe und Annäherung, daß die ganze 


Aſſemblee, fichtlich felbft von Diefer innen Kraftäußes 
rung ergriffen, nicht länger im Stande war, ihre 


Empfindungen zu verbergen, und wie getrieben aus 
dem Saale zu drängen begann. Unfer Graf allein 


RE A EEE u Bi —— 





in nal nn nn nn 








— 15 ⸗ 


war ruhig geftanden; die Meiften der anweſenden 
Creolen hatten fih um ihn gefammelt, ihn forfchend 
angeblickt, und waren wieder weiter gefehritten, um 
Andern Plag zu machen. Auf einmal jedoch fihien 
auch er feine Haltung zu verlieren, feine Augen dreh— 
ten fich Tichtlich in den Höhlen, und fein Blick, auf 
Einen Punkt gerichtet, begann ao und VRR zu 
werden. | 

Unter dem: Site des — auf der erſten 
Stufe, wo die Gemahlin des Satrapen noch immer 
Abſchied von den Damen nahm, ſtand eine junge 
ſtolze Dame; ihr erhabener Standpunft verrieth einen 
hohen Rang, ‚das höhniſche Lächeln, mit dem fie die 
herannahenden Greolinnen begrüßte, verſchmolz wie— 
der in den fehmachtendften Blick, jo wie ihr Auge auf). 
einen entferntern Gegenftand im Saale hinabglitt. 
Auch ſie fehlen den Conde prüfend zu meſſen; doch 
wandte ſich ihr Flammenblick unwillkürlich wieder 
und wieder auf den entferntern und, wie es fchien, 
begünftigten Gegenftand. Die Vicefönigin hatte nun 
von ſämmtlichen Damen Abſchied genommen; noch 
einen Blick warf die ftolze Schönheit herüber, und 
dann wandte fie fih. Mit ihr der Graf. 





un 

„Tip! theuerfter Tio!“ mit diefen Wi e 
Don Manuel, ſein — gr und ur 
heran. 

Eine Wolfe hatte ſich über der Stirn des sn. 
gelagert. Er fah den Jüngling mit einen wehmüthi= 
gen ernften Lächeln an, ergriff dann die Sand feines 
Nachbarn, und verlieh den Saal. 

Noch trat Einer der Camarerios vor, zu verkün— 
den, daß Ihre Ereellenzen und Se. erzbifchöfliche 
Gnaden das Theater mit ihrem Bejuche beehren 
würden. Und nachdem Alle jo den ftinfehweigenden 
Befehl empfangen hatten, ſich gleichfalls dahin zu 
begeben, zogen fte fih aus dem Audienzfanle zurück, 

Wir ſelbſt, in der Vorausfegung, unfere Lefer 
dürften einftweilen- an dieſem Probeſtück der vice⸗ 
königlichen Herrlichkeit zur Genüge haben, verlaſſen 
die hohe Aſſemblee, um den Faden unferer Erzählung 





in einer etwas weniger ſchwindlichten Höhe fortzufegen. 


k 





— 1 — 


Siebentes Kapitel. 


Mein Elend wett’ ich um ein Dutzend Nadeln, 

Das fie vom Staat fi unterhalten werben, 

Bor einem Wechfel thut das Jedermann. 

Shafespeare. 
Gegen Süden lauft die Hauptſtadt Mexiko's in 
den fogenannten Paseo, nuevo, einen öffentlichen 
Spaziergang, aus, beftehend in zwei breiten Alleen, 
die wieder in der Straße von Tacubaya endigen. 
Spwohl die beiden öffentlichen Spaziergänge, als 
die Stragen, find begränzt von einer lachenden Land— 
ſchaft herrlicher Gärten, in denen die tropifchen Er— 
zeugnifje der heißen Zone mit den Blüthen und Früch— 
ten @uropas verfchmelzen, um abwechjelnd einen 
ewigen Frühling und Herbſt darzuftellen. Tauſende 
von. Pfirfich-, Kirfhen- und Apfel- und Orangen 
und Gitronenbäumen bilden einen prachtvollen Frucht- 
wald, der bis zum Porphyrfelſen von Capultepec 9 





*) Das Schloß von Capultepec, einer, Feſtung ähnlicher 
denn einem Schloſſe, auf dem Felſenhügel gleichen Namens, 
vom Vicekönige Galvez erbaut. Im Garten deſſelben Schloſ— 
ſes befinden ſich die ſogenannten Monteezouma-Cypreſſen; 
eine derſelben mißt 41 Fuß im Durchmeſſer. 

















[u r 
mit feinem Föniglichen Schloffe un nen fa oe; 
Cypreſſen, reicht. Von dieſem Standy 
das Thal von Tenochtitlan bekanntermaße am e | 
züefendften und grandioſeſten dar, mit, alle — en h 
Seen und Gärten, Maisfeldern und Fruqh | 
jeinen Domen und Kuppeln, feinen, Balı 
vierzig Städten und Städtchen, feinen un 
Weilern, Dörfern und Villas, alle Kekrängt im Str 
den und Südoften von den hohen Tendehtit —* ergen 
und bewacht von den Rieſenkuppen des gotnc 
und Popocatepetl. * 
Die Stille, die in dieſem lachenden ‚Reiche erſch B 
bloß des Abends und, Morgens von den zu Markt 
fommenden * Bu — * 





getragen, daß mehrere der angefepenften. Bam 
diefen Punkt zu ihren Stadtwohnungen 
hatten.- Unter dieſen Villas, und zwar denje igen, 
die ſich näher dem Chalcofee zu aus den fie umgeben⸗ 


— icli al udn 


—d 149 > 


den Hainen von Frucht und Waldbäumen erheben, 


zeichnete fich ein einfach ſymmetriſches Gebäude mit 
zwei Eleinen Slügeln durch eine ruhig beitere und an= 
muthige Lage unter bejchatteten Ulmen und Pappeln 
aus. Es hatte zwei Stockwerke, die ein flaches Dach 
bedeckte, von dem bereits die VBorboten des Frühlings, 
die merikanifche Flora, mit ihrem reichen glänzenden 
Gefolge Belt genommen hatte. Das Innere des 
Haufes entfprach ganz dem geſchmackvollen Aeußern. 
Sin Haus- oder vielmehr Hofgarten mit-einem plät- 
ſchernden Springbrunnen, umgeben von der Veran- 
dah oder Säulenhalle, aus der man indie Staats- 
zimmer im obern Stockwerke gelangte, die, beinahe 
durchgängig al fresco ausgemalt, vielleicht von un— 
ferem Geſchmack zu einfach befunden worden jeyn 
dürften, obwohl wieder einzelne Geräthfchaften Spu— 
ren gediegenen Neichthumes wahrnehmen ließen. In 
dem Hauſe ſelbſt herrſchte eine tiefe, ‚beinahe unheim= 
liche Stille, die kaum vermuthen ließ, daß eine Schaar 
Diener anwefend war, die der reichite Ariftofrat der 
großbrittannifchen Infeln für alle Zwecke perſönlicher 
Bequemlichkeit mehr als zureichend gefunden haben 
würde. Sie waren zum Theil aus der creolifchen, 
Der Virey. L 411 


a ee See 5 Ban DER a A rn 
; Ri RE en 


—d 150 &— 


zum Theil aus der farbigen  Booölterung dee Landes 


genommen, und hatten in ihrem ganzen ſer 
Ernſt und jene Beſonnenheit, die wir an de 


dienern häufig bemerken, und die ein ſehr gelindes 


Verhältniß zwiſchen Befehlenden und * 
urkunden. Mehrere waren in der Sala mit Borfeh- 
rungen zum Empfang von Gäſten beſchäftig 4 Linige 
bereiteten die Eſteras auf dem Marmorfußboi en ar 
Andere ordneten Reihen von Sophas und | 








längs den Wänden; ein drittes Paar brachte einen ” 
ungeheuern Fupfernen Keſſel, mehr einem tragbaren 


Kamine Ahnlih, und mit glühenden Kohlen ange- 


fült, den fogenannten Brafjero oder Kohlenkeſſel; 


wieder Andere ſtellten Tabourets in die Ecke des Saa- 
les, auf welche zierliche Glaskäſten mit ſilbernen 
Standbildern zu ſtehen kamen, die von einem Blumen⸗ 
ſtrauße mit ſilbernen Armleuchtern flankirt wurden. 


Dieſe Figuren ſtellten die Schutzheiligen Mexikos vor, 


und zwar den Erlöſer von Atolnico, die Madonna de 
los remedios, die Vierge de Guadeloupe, und, den 


San Felippo. de Jesus, einen mexikaniſchen Hrieſter, 


dem die ſpaniſche Politik das Heiligendiplom bei der 
römiſchen Curie auszuwirken ſich herabgelaſſen hatte. 





















—9 151 ⸗— 


Dieſe Vorkehrungen wurden unter der Oberleitung 
eines alten ehrwürdig ausfehenden Mannes getroffen, 
der, ein Sammtbarett auf dem Haupte, ein langes 
ſpaniſches Rohr mit goldenem Knopfe in der Hand, 
als Mayor domo oder Oberhofmeiſter gravitaͤtiſch 
im Saale auf⸗ und abſchritt. 

„Muy bien — fo iſts recht,“ ſprach ex. „In die 
linke Ede, gegenüber dem Erlöfer von Atolnico; da 
gehört ſie hin, daß ſie Jedem in die Augen falle. 
Werden ſie brauchen. Zwei friſche Wachskerzen, 
Mattheo,“ bedeutete er einem andern Diener! „Was 
fol denn das, Itztlan?“ brummte er einer kupferfar— — 
bigen Apollogeſtalt zu, einem Oaxaca⸗Indianer, der 
zwei Stümpchen Wachslichter vor dem Bilde der Ma— 
donna de los remedios, der Schußpatronin der Spas 
nier, aufgeftellt hatte. „Was fol das, Istlan?“ 
fprach er im verweifenden Tone, und einer Miene, die 
einiges Mißtrauen verrieth, ftch aber ſchnell wieder 
aufheiterte. „Höre,“ fuhr er fort, „Dein Wille mag 
gut patriotifch ſeyn, und weder Se. Herrlichkeit, ber 
Conde, noch wir, der Mayor domo feines gräflichen 
Haufes, haben etwas einzuwenden, wenn Du der 
Jungfrau de los remedios die Cortez in Deiner 
417 





—9 152 & 


Stube verweigerft: aber hier, verftehft Du, find wir 
in der Sala Sr. Herrlichkeit, wo ein Quentchen Klug- 
heit mehr werth ift, als ein Pfund guter Wille mit 
Dummheit verfeßt. Stecke frifche Warhslichter an; 
denn jollten Gachupins kommen, ihre Nafen fpüren 
fein in diefem Punkte, und Sr. Herrlichkeit Haus ſoll 
ihnen feine Gelegenheit zum Obrenblafen geben. Ei, 
und Hann hat die Madonna de los remedios um uns 
noch immer friſche Wachskerzen verdient, obgleich, 
Dios! wenn fo etwas noch vor fünf Jahren gehört 
worden wäre, ich feft und ficherlich glaube, ganz Me- 
xiko würde vor Schreden geftorben feyn; aber die 
heilige Jungfrau Hat fich auch übernommen. Junge, 
ich ſage Dir, der Tezecuco *) ift Fein Viertel Vara 
geftiegen, und wieder gefallen, und Wer hat es ge- 
than? die Jungfrau de los remedios. So wie die 
Gitacion **) eine Woche ausblieb, Wer wurde ge— 

*) Das Anfchwellen des Fluſſes Guautitlan in der regnichten 
Jahreszeit verurfacht das Steigen des Waflers im See von 
Zumpango, der fich mit dem von San Chriſtoval vereinigt; beide 
fprengen die Dämme, welche fie von dem Tezecuco trennen, und 
die Gewäſſer ver Iegteren werden. fo in die Hauptftadt zurückge— 
drängt, der fie bereits mehrere Male gänzliche Zerftörung drohen. 


**) Gftacion de las aguas, periodifche Negenzeit, fängt im 
Juni, Späteftens Juli an, und dauert drei bis vier Monate. 





4 


J 
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—2 153 & 


plagt, dia y noche, Tag und Nacht, mit Bußgängen 
und Prozefftonen? Wieder die Jungfrau de los re- 
medios. Und bei der legten Hungersnoth, wo die 
Fanega *) Mais zwanzig Piafter und eine Tortilla 
einen Real foftete, wurden die, armen gente irrazio- 
nale jo verblüfft, daß fie ganz vergaßen, daß eine 
Vierge de Guadeloupe vor der Nafe, vor der Puerta 
de Beracruz **), ift. Wohl mochte die de los reme- 
dios ihr als die größere erfcheinen, da alle ihre Ver— 
ehrer vollauf hatten, während die armen Anbeter der 
Guadeloupe wie Mofhettos im Ianuarfrofte dahin 
ftarben. « 

Unſere Leſer dürften allenfall3 über den Gegen 
ftand, der den frommen Eifer unfere8 Mayor domo 


erregt, im Zweifel ſeyn, und es ift daher billig, ihnen 


bemerklich zu machen, daß diefer Fein anderer war, 
als die Barteilichfeit de8 wunderthätigen Gnadenbil- 
des der Madonna de los remedios, der Schußpatro= 
nin der Spanier, die, wie die mit der Gefchichte dieſes 


*) Ein Getreisemaß, ein und ein halbes Bufhel, 135 bis 
4140 Pfund. 

**) Weraeruge Thor, durch das die Straße zum Wallfahrtsort 
der fogenannten Jungfrau von Guadeloupe führt. 





—4154 &— 
—* 


Landes naher Vertrauten wiſſen werden, zu vielfäl⸗ 
tigen Reibungen Veranlaſſung gab, indem die Spa- 
nier ihr alle glücklichen Ereigniſſe zuſchreiben, zur 
offenbaren Zurückſetzung der mexikaniſchen Madonna 
de Guadeloupe, die, als nur von einem Indianer ge⸗ 
funden und überdieß kupferrother Hautfarbe, natür⸗ 
lich in den Augen der rechtgläubigen Spanier als we— 
nig beſſer denn eine Indianerin ſelbſt angeſehen wurde. 
Daß die beiden Marias zugleich die Repräfentantin- 
nen der beiden. Parteien geworden waren, die fich 
nun im blutigen Kampfe gegenüberftanden,- und als 
ſolche fih alle die Berwünfchungen und Schmähun- 
gen, mit denen Parteihäupter in der Negel von ihren 
Gegnern beehrt werden, gefallen laſſen mußten, war 
bloß die natürliche, Folge eines - Aberglaubens, der 
längft jeden Funken gefunden Dienfchenwerftandes in 
diefem Punkte erftickt Hatte. 

Der Indianer hatte unterdefien, obwohl mit ſicht⸗ 
lichem Mißmuthe, zwei friſche Wachskerzen aufge— 
ſteckt: eine Verrichtung, die er mit dem frommen 
Wunſche begleitete, daß Mexitli*) der Jungfrau de 





*) Der Kriegsgott der alten Mexikaner. 





—d 155 ⸗— 


los remedios und allen den Ihrigen recht bald den 
Kopf zerſchmettern möge, welchen chriſtlichen Wunſch 
er jedoch mehr zu brummen als laut zu ſagen für gut 
befand. 

„Aber ‚u brach er endlich aus, „wenn nur Die 
Jungfrau de Guadeloupe fich auch ein wenig mehr 
rühren wollte. Sie ſcheint jedoch zu ſchlafen, ärger 
als eine thörichte Schildkröte.“ | 

„Das weiß ich wieder nicht, Itztlan,“ bemerkte der 
Mayor domo, eine gewaltige Prife nehmend. 


„Aber Itztlan weiß es;“ verſetzte der Indianer. © 


„Er weiß es, daß fie den verdammten Gachupins 
hilft und geholfen hat, jeit der Zeit, wo der tückiſche 
Raubmörder, den ſie Marquis *) nennen, in Mexiko 
eingedrungen, und wo ſie den Unſrigen Sand in die 
Augen geſtreut.“ 

„Ich fürchte, das thut fie noch immer, Itztlan;“ 
bemerkte der Mayor domo mit einer Miene, die, bei 
einer reichlichen Doſis Simplizität, eine wenigſtens 
eben fo reiche Mutterwitzes wahrnehmen Vie. 





*) Gortez wird ftetS mit dem Namen des großen Marquis, 
oder Marquis allein bezeichnet. 





156 ey h r 

„Wahrend die von Guadeloupe die unſrigen ſitzen 
läßt,“ brummte Itztlan, „dann ſoll es uns wundern, 
wenn Mexiko mit allen ſeinen gewonnenen Schlachten 
zuletzt doch wieder dem Gachupin in den ver 
führt. u 
„Es ift leider ſchon darinnen, und zwar ganz und 
gar;“ verſetzte der Mayor domo. „Aber immer. 
bleibt es ein harter Punkt, Itztlan. Damen, weißt 
Du, find fo wetterwendifch in ihren Saunen, als fie 
in ihrem Putze find; aber zum Glücke haben fie in 
dem himmlifchen Hofſtaate drei vernünftige Schieds⸗ 
richter: den Dios Patre, Dios Hijo und Dios Espi- 
ritu Santo, *) und Diefe werden der Senora ſchon 
allenfalls den Kopf zurecht ſetzen.“ 

„Verdad, Verdad,‘* fiel da8 ganze Corps der Die 
nerfchaft ein; denn wie leicht zu erachten, ſo hatte die 
interefjante Discufffon über den Hofſtaat des Him— 
mels, den fte ſich allenfalld al pari mit dem Sr. Er- 
cellenz des Vicekönigs dachten, Ale zu aufmerffamen 
Zuhörern gehabt. 

„Und doch,“ hob Itztlan wieder an, „hätte die 





*) Gott Vater, Sohn und heiliger Geift. 





—$ 157 &— 


Jungfrau de Guadeloupe immer etwas mehr für die 
Unfrigen thun können.“ 

„Itztlan!“ Sprach der Mayor domo. 

„Maestro !*‘ erwiederte der Indianer. 

„Se. Herrlichkeit, der Conde, nicht wahr, find ein 


gütiger und gnädiger Herr, der Dich fehr liebt, und - 


alle die Seinigen? Aber obgleich er alle feine Neger 
freigegeben auf feinen Haciendas und für fie. noch im= 
mer forgt — Diejenigen nämlich, Die nicht zu den 
Patrioten übergelaufen — glaubt Du wohl, er 
würde ihnen Alles gewähren, was fie in ihrer Dumme 
heit verlangen könnten 24 

„No— se‘ *) verfeßte der Indianer Fopfichüttelnd. 
„So viel weiß Ibtlan aber, daß von diefen zwei 
Madres de Dios, ich wette zehn blanfe Thaler, die 
rothe fich übertölpeln läßt. Gi, die weiße hat des 
Schalfes zu viel —“ 

»Du irrſt, Itztlan,“ verfeßte Mayor domo, eine 
frifehe Prife nehmend; „Du irrft, maßen Du zwei 
Mütter Gotted annimmt, da e8 in der That und 
Wahrheit doch nur Eine gibt.“ 





*) Weiß nicht. 


RR. 

Der Indianer mit den übrigen Zuhörern, denen 
ihr Schußverhältniß zu den beiden Madonnas de 
los remedios und de Guadeloupe’ bereit zu däm- 
mern angefangen hatte, und die ſich nun durch die 
‚Worte des Moyor domo auf einmal wieder in die 
abjolutefte Finſterniß zurüsfgeworfen fühlten, ſchrieen 
mit einer Stimme: „Todos diablos! no mas que 
una Vierge!‘‘*) a | 

„Itztlan,“ fprach der Mayor domo, „haſt Du nie 
den — den — den Virey,«“ ſtieß er endlich mit einer 

Art Schauder und Abſcheu heraus — „haft Du ihn 
nie gefeben? Nein,” rief erfich befinnend, und gleich- 
am froh, einen Ausweg gefunden zu haben, „mein, 
ich meine nicht den gegenwärtigen, den vorigen meine 


ich — Iturrigaray meine ich, der mar doch noch ein 


Mann.u 

Der Indianer und die Uebrigen fehauderten bei den 
erften Worten des Mayor domo gleichfalls zuſammen. 
nDie Schlange,“ ftieß der Indianer mit einem Grimme 


heraus, der feine tiefen Kehlentöne im hohen Saale. 


wiederhallen machte. „Die: Schlange, wiederholte 





*) Alle Teufel! nur Eine Mutter Gottes. 





a in 











—$ 159 &— 


er und feine vollenden Augen fprühten Flammen, 
„die das Indulto auf allen Kirchenthüren ankleben, 
und dann die Indianer von Zitacnaro, von Iſtla, 
von Sombrerete, von — mit Weibern, Mädchen und 
Kindern in ihren Däufern einfperren und verbrennen 
‘ließ. Maldito sea el nombre!“*) Der Indianer 
rannte zähneknirſchend im Saale umber. 

„Wehe, Wehe!“ fprach der Mayor domo. „Wehe, 
Wehe! Der Mann hat mehr Blut verrätherifcher 
Weiſe vergoſſen, als den Teczuco füllen würde. Nein, 

ich meine Iturrigaray; Den mein! ich;“ wiederholte 
‚der Mayor domo befänftigend. 

Der Indianer wurde ruhiger und nickte. „Hab' 

ihn geſehen,“ fprach er, „zweimal; als er von Ga- 
pultepec herabfam; hätte ihn beinahe nicht erfannt ; 
ſah juft aus, wie unfer Einer auch. Und dann jah 
ihn Istlan nochmals, als er auf der Plazza mayor 
“mitten unter feinen Dragones und Lanzeros war. 
‚Stroßte aber von Gold und hatte ein breited Band 
auf der Bruft und einen dreiedfigen Hut; war aus- 
zufehen wie unfer Erlöfer von Atolnico. 





*) Verflucht ſey fein Name. 





—9 160 &— 


„Kurz,“ ſprach der Mayor domo, „der Virey auf 
der Plaza war eine ganz verfehiedene Perſon von 
dem Virey von Capultepec.“ | 

Der Indianer nickte. | % 

„Und doch wieder nur Eine und, diefelbe Perſon! 
Und nicht wahr, Itztlan? Du würdeſt Dich eher und 
mit größerer Zuverficht an den Virey von Capulte- 
pec gewendet haben, als an den auf der Plazza 
mayor?“ 

„Itztlan braucht den Virey nicht, und Anahuae 
braucht die Gachupins nicht;“ verfeßte der Indianer. 


Wohl wahr, Istlan. Wir brauchen auch die | 


Coyotes weder auf unfern Haciendas de eria, noch 
denen y labor *), die ung die Schaafe wegfreffen, und 
in Veracruz brauchen fie das Vomito **) nicht, und 
doch haben wir beide. Wohl,“ ſchloß nun der Mayor 
domo, der jo hinlänglich für den Capaeitäts-Meridian 
feiner Zuhörer vorgearbeitet zu haben glauben mochte. 


„Sp wie der Virey von Gapultepec von dem auf der 


Plazza eine en und —* wieder nur Eine 





*) Landgüter, auf denen Viehzucht und Ackerbau zugleich ge= 
trieben wird. 
*) Das Erbrechen. Die legte Grife im gelben Fieber. 








—H 16 — 


und diefelbe Perfon ift, jo ift auch die Jungfrau von 

Guadeloupe von der de los remedios eine verſchie— 

dene, und doch wieder nur Eine und diefelbe Perfon. 

Wenn fie namlich ihre Toilette als Jungfrau de los 

remedios für die Gachupius macht, und fteif und 

ftarr, in ihrer ganzen Pracht und von ihrem Hofſtaat 

umringt, den Gachupins Audienz gibt, und ſtolz auf 
die armen Indianer herabfieht, jo ift fie eine ganz 

verfchiedene Berfon von der Jungfrau de Guadeloupe, ® 
die ſich nur im ſchlichten Hauskleid zeigt, und den In— 

dianern Audienz gibt, und ihnen zu gefallen rothe 

Farbe wie die Duenna*) und Camarero**) auflegt, 

und doch wieder nur Eine und diefelbe Perſon.“ 

Der Mayor domo, nach diefer dDogmatifchen Er— 
klärung, die, im Vorbeigehen ſey es bemerkt, gegen— 
über den horriblen Legenden der Prieſter der mexika— 
nischen Kirche noch erträglich genannt werden Fonnte, 
war aufgeftanden und zur Wanduhr getrippelt, die 
er bedenklich und Angftlich anfah. Ein leichter Schau- 
der durchzuckte feine halb verwitterte Geftalt; und es 


*) Gouvernante. 
**) Rammerfrau. 





— i62⸗ 


war erſichtlich, daß er ſich bloß deßhalb foltiefin die 
Angelegenheiten des himmliſchen Hofſtaates verwickelt 
hatte, um trüber Ahnungen los zu werden. = U, 
Gr fröftelte zufammen: „Ci, Wer die friſche Luft 
unferes Guautla Amilpas oder, ‚noch beffer, Daraı i 
oder Valle Santiago hätte! — Jeſu Maria! min 
wird jo bange/ — — | — en 
„Don Anſelmo!“ riefen ſämmtliche Diener; be 
jorgt an ihn heran tretend; was fehlt Euch/ = 
„Was mir fehlt?“ erwiederte der alte Mann. 
„Ei, was fehlt unferem armen, prächtigen Conde | 
Carlos? Wißt Ihr es? Armer Narr! Was das 
Entwürfe waren noch vor acht⸗ Tagen; wie er vor 
die ganze Notabilitad hintreten wollte, fie auffordern, 
zum Virey zu gehen und ihm fein ſchändliches Be⸗ 
tragen gegen- Merifo vorzubalten. Seht ihn jegt an, 
juft wie ein Hund, der im Schinderfacke gewefen. E8 
iſt auf unfern Haciendag arg genug, und man hat‘ 
fich der Horden hungriger Häfcher zu erwehren; aber 
bier, Jeſu Maria !u | 
„Seht nur einmal Diego an,“ fiel ein zweiter Diez 
ner ein. „Auf der Hacienda fängt er einen Coyote 








im Laufe; hier gebt er herum, als ob er den gejtri= 
Ä gen Tag juchte.” 
Weiß nicht,“ brummte Itztlan. „Itztlan i Me⸗ 
xiko nie fo dämiſch vorgekommen. Es ſchnürt Itztlan 
die Kehle zuſammen. Itztlan fürchtet ſich nicht; aber 
alle Leute find bleich und zittern und wiſpern.“ 
; „Und das bringt auch über Deine Eifenfeele ein 
Fröſteln?“ ſprach der-Mayor domo. „Glaub' «8 
gerne; man müßte, son Granit feyn, um das auszu⸗ 
halten. Hier ſind nur die Gavilla und unſere Peini— 
ger froh; alles übrige wie fterbend oder todt. Jeſu 
Marin, und der Conde noch nicht zurück! und Car— 
los umd Federigo auch nicht! Habe ihnen doch auf-- 
getragen, von dem Gange der Beſamanos Nachricht 
zu bringen. Was wird da wieder aus— und A 
fponnen werden?” 
Der alte Mann fröftelte wieder zufammen. „Gi, 
wäre es meinem Willen nachgegangen, fo wären wir 
unten in Guautla Amilpas oder Daxaca geblieben. 
> Die frohe Botfchaft, die und wegen des Ninon ge— 
bracht wurde, war nicht der Mühe werth. Ci, und 
; wie ſechs Monate Den verändert haben! Man fagt, 
wifperte er leiſe, zer fey zum Gachupin geworden. # 


44 


— am 


„Dann möge erin die flebzehnte Hölle — 
ren!“ brummten die Diener alle 

„Wer ſpricht gegen Don Manuel, Sk Steffen uns 
ſeres Seren?“ fehraf der Mayor domo auf, ſich über 
die Stirne fahrend. „Ei, er ift der ei ch 
Gachupin, diefer Manuel, und ihm ift Mexiko 






yr 


w 





mehr als eine Waffer angefüllte, ausgebeuteteSchacht. u > 


„Und Wer konnte Conde Jago, den Stolz von Me- 
ax en, ‚oingen, J 





xiko, die Blume der Blancos*) in O 
nach Tenochtitlan zu kommen?“ fragte 4 { 






Der Mayor domo fhüttelte das Haupt. BF | 


e3 iſt ſchwer für den Gaballito, den Minero oder 
Soto-Minero abzumwerfen, der feft auf feinem Rüden 4 


ſitzt; und wirft er ihn ab, ſo ſtürzt er ms Su 
ſelbſt in die tiefe Schacht hinab. Wird immer Arger, 
Itztlan,“ fuhr er fort. „Ich habe die Galvez, die 
Buccarellis, die Revillagigedos, die Afanzas, die 


Iturrigarays gefehen; harte, ftolze Männer, die den 


Popocacepetl mit einem Fuße flach zu treten fich ſtark 


2 
r 





genug dünften, ſtolz, wie Lucifer; aber doch waren * 





*) Meiße, werden ſchlechtweg die Spanier und Creolen ge— 
nannt. 


———— 
— 
a —— 


2 





“u wen 
es Spanier — Schrot und Korn; aber 
dieſer — —“ der alte Mann faltete feine Hände. 

nDiefer Vanegas,“ fuhr er ftiller fort; „dieſer Ä 
Danegas, in der franzöftichen Schule aufgewachfen, 
unter ihren Peitſchenhieben, der Schule aller Perfidie 


und Lafter. Sie fagen, er habe ſelbſt die Armeen der 


Gachupins bei Cuenca und Almonacid an die 


| keteriſchen Joſephinos *) verkauft. Jeſu Maria! und 


was der Mann in Mexiko gethan hat, das, glaubt 
mir Kinder, ift noch nie erhört worden, und Alles 
mit honigſüßer Zunge. Es fchreit zum Simmel um 


/ Race. Und doch, wenn diefe Schlange zu St. Peter 


kommt, ich.glaube, ſie überredet 20 fie in den Him⸗ 
mel ten. Ein Schurke, wer danchnoq darin⸗ 
nen bleibt. 

„Jeſu Maria!⸗ ſeufzte * Mann, indem er zu⸗ 
gleich das Kreuz ſchlug, und dann ſeinen Daumen 
küßte. 





) Anhänger Joſeph Bonapartes. 





Der Virey. J. 12, 








Achtes ee S 


Es freut mich wenig 
Zu melden dieß; doch was ich fag, ift wahr. 


Grm ea 
Der-alte Mann wurde in feinen düftern Ausbrü⸗ 
chen durch das Läuten der Glocke an der Pforte, und 
den darauf folgenden Eintritt eines jungen Mannes 
im mexikaniſchen Coſtüme unterbrochen; der mehr in 
den Saal ſtürzte ald trat. In der Haft war ihm ein 
Theil der Manga, und mit diefer ein leichter Bündel 
und eine Larvesentfallen. Der Jüngling haſchte 
ſchnell darnach, und, raſch auf den Braſſero zutretend, 
warf er den Bündel Larve ins Feuer. 
„Wohl gethan, Don Pinto,“ ſprach der Mayor 
domo, der dem verftörten Jüngling kopfſchüttelnd zu= 
geſehen hatte. „Wiſſen wir nun doch, wozu dieſe 
Braſſeros, die uns der Gachupin mit allem ſeinem 
Trödel gleichfalls auf den Hals gebracht, obgleich ſie 
zu nichts nütze ſind, als ſich die Zehen zu verbrennen, 
wiſſen wir doch, wozu ſie gut ſind; wo hätte ſonſt 
Don Pinto einen Feuerheerd für ſeine Narrheits— 
kappen gefunden? Nimm es heraus, Jago,“ ſprach 





° * Er * * = 


— ee 


er zu Einem der Diener; ve ift Gold daran, und a. 
Pinto wird defjen nie zu viel Haben.“ 

„Laßt e8! laßt es!“ rief der Züngling, heftig einen 
feiner Spornen auf den Fnifternden halb verbrannten 
Anzug ſetzend. 

„Wie e8 Euch beliebt, Don Pinto,“ Sprach der 
Mayor domo. „Nur wollte ich Eu bedeutet haben, 
Senor, daf wenn Ihr Narrenftreiche treibt, Ihr das 
Narrengewand da laffen mögt, wo Ihr fie getrieben. # 

„San Jago noch nicht zurück?“ fragte der Süngling 
gahnend. A 

„Wer?“ fragte der Mayor domo mit. allen Zeichen 
der Verachtung. „Wer? San Jago? Wen meint 
Don Pinto damit?“ 

„Den Gonde,“ verfegte der Jüngling, ſich nach— 
faffig in das Sopha mwerfend. „Die Herrlichkeit bei 
unfern Serrfchaften wird, fage ich Dir Alter, bald 
ihr Ende haben. Ei, ich — Dinge geſehen, Zeichen, 
die da ärger ſind, als die Zeichen, von denen unſere 
Padres ſich den Mund ſo voll nehmen, wenn ſie einem 
armen Caballero die Hölle recht heiß machen wollen, 
Zeichen, von denen ſich Merifo noch vor vierund- 

12* 





168 æ 


‚zwanzig Stunden, ‚eben ſo wenig als Deine Philo ſo⸗ 
yhie haͤtte teäumen laſſen. “ Me 

Der alte Mayor domo und jeine Mubiener ſahen 
den jungen Wüſtling ſtarr an; denn als ſolchen be— 
zeichnete ihn das hohle Auge, der dunkle violetfarbige 
Ring und das bronzfarbige Geſicht, in dem nächt- 
liche Ausfchweifungen tiefe Spuren zurückgelaſſen 
hatten. | 

„Philoſophie, Don Pinto!“ verfegte der Mayor 
domo;, endlich. tiefer Athem holend. „Se. Herrlichkeit 
Don: Iofe Eonde de San Jago find ein viejo Chri- 
stiano, ein alter Chrift, und wir, Gott jey Dank, 
find ein guter Chrift, und haben Feine Philoſophie 
und wollen feine Bhilofophie haben. Was wir haben, 
genügt und auf unferer Reiſe durch dieſes Thränen— 
thal, und hoffentlich dort drüben. — Der alte Mann 
faltete die Hände, indem er wechſelweiſe die Madon- 
nen und Standbilder anfah. „Wir vertrauen auf die 
heilige, unfehlbare Kirche. 

„&i, und auf den König,“ verjegte der Jüngling 
fpottend. | 

„Auch auf den König, Her * Mayor domo ein. 
„Aber er iſt zweitauſend Stunden von ſeinen Unter— 





TE, * 





169 — 


thanen, oder vielmehr den Unterthanen ſeiner Unter⸗ 
thanen,“ ſetzte er leiſer Hinzu, „den weniger als Unter 
thanen feiner Unterthanen. — Mein Gott, was ift 
aus dem armen Mexiko geworden ?« | | 
„Was aus Mexiko geworden ift,“ erwiederte dee 
MWüftling lachend. „Carracco! das Fonntet Ihr vor . 
der Fonda Trafpanna gefehen haben. Ein blutig 
verftümmelter Leichnam, der zerfebt und zerfreffen 
auf einem Schubfarren fortgezerrt wird. Aha Yu Yachte 
er, „Ihr fpißt Eure Ohren, und wohl mögt Ihr; 
denn während Ihr hier fißt, gehen draußen Dinge 
vor — Dinge! — — Alle Teufel! rief er auffprin- 
gend, und raſch und ſcheu zum Fenfter laufend, „aber 
die Eiudad füngt ſich zu rühren an, wenn gleich ſeine 
Guachinangos und Nobilitad und gente irrazionale 
eine fühllofe Race find. Ei, das war ein Auto sacra- 


mentale.‘ 


„Das ift fo me fiel der Mayor domo 
mit Verachtung ein; „Autos sacramentales, Prozef- 
fion, Nafeten, und der Erlöſer von Atolnico mie ein 
Madrider Mayo *) herausgeputzt.“ 


— 





*) Stußer. 





— 
„Dießmal gab es andere Dinge zu ſchauen,“ ent⸗ 
gegnete ihm der Jüngling etwas ernſter. „Einer dieſer 
Mayos hatte ein verdammt ſchlechtes Lager, und ʒwar 
auf einem Schubkarren; es war eine Ladung, die für 
zehntauſend Mulos zu fehmer geweſen ſeyn dürfte.« 
„Es war der geröftete Quauhtomozin,“ fuhr der 
Müftling, unheimlich Yachend, fort, „der auf den 
Schubkarren ausgeſtreckt lag, juft fo wie Ihr ihn auf 
dem Bilde in der Malerafademie jehen fonntet, AS 
deſſen DVerfertigung der arme Olla mit einem Fı — 
und Halseiſen belohnt worden, nur mit dem Unter— 
ſchiede, daß der Leichnam genau die Geftalt des un— 
glücklichen Mexiko ſelbſt hatte. Seine rechte verftüm- 
melte Hand ftelte Yucatan und Veracruz vor; feine 
Linke, von zahllofem Gewürme angefreffen, Puebla 
und Oaxaka. Auf dem Leibe, der mit Valladolid und 
Meriko bezeichnet war, ſaß ein Vampyr; um die 
Schenkel, die Guadalaxara, Zacatecas und San 
Louis Potoſi*) bildeten, zerrte und riß ſih ein wüthen⸗ 
der Caguar. u 








*) Intendanzen oder Provinzen, in die befanntlich das damalige 
Königreich Neufpanien eingetheilt war, und die feit ihrer Unab- 
hängigfeitserflärung die vereinigten Staaten von Mexiko bilden. 





k 


— 11 — 
ve 


„Und alles das habt Ihr geſehen?“ fragte der 
Mayor domo kopfſchüttelnd. 

„Konntet es leſen, wenn Ihr nämlich Ute 
verfteht. « 

„Don Pinto! hört und feht weniger, wenn es Euch 
beliebt; denn vieles Sehen und Hören macht Augen- 


‚und Ohrenweh, jagt unfer Sprichwort. Laßt fie fi 
abmühen,“ fprach er, fich zu den Dienern wendend, 


„da eine Flamme hervorbringen zu wollen, wo faum 
Rauch zu haben ift. Gi, wir kennen Mexiko, diefe 
Giterbeule yon Gachupin-Verderbniß und merifani- 


ſchen Gefhtwüren. Zum Plündern, zum Boleros- 


und Charavetanzen, zum Pasquillsmachen, ja, da 
find fie.gut; aber Der ift ein Narr, der feinen Kopf 
für dieſes Gefindel in die Schlinge bringt. Die Ga- 
villa ift alle im Solde und Brode der Polizei. — — 
Federigo, was and fragte er auf einmal er= 
ſchrocken. 

Maestro Anſelmo! Cosmo, Pablo, Alonzo, to- 
dos diablos!“ jehrie Federigo, der athemlos in den 
Saal gerannt kam. „Wißt Ihr, daß die junge No- 
bilitad aus Mexiko zur Armee vermiefen ift? Fünf 
und zwanzig Gaballeros find ſchneller in die Hülſen 








* R 
von fünf und zwanzig — gekrochen, 
der Seidewurm aus feinem Cocon ſich — Se. 


Ercellenz, es es iſt ſicher, haben 9 jungen, hohen, 


Adel allergnädigſt zu Zielſcheiben für die ketzeriſchen 
Rebellen zu verwenden beſchloſſen. / 
„Jeſu Maria y Iofe!a riefen fammtliche Diener. 
„Und was das Schönfte ift,“ rief der Berichter- 
ſtatter, „die guten Caballeros, die doch, wie Ihr 
wißt, die Nebellen wie die fieben Todfünden haſſen, 


kamen zu ihren Lugertenientesſtellen, wie der Pilatus 
ins Credo. Es fol eine Art-Kacara*) feyn, eine 


Traveftie, welcher der junge Adel beizumohnen ſich 
erfühnt hat, die Se. Excellenz zu diefem plötzlichen, 
gnädigen Entſchluſſe veranlaßt; ein Pero **) von 
einem Mauren — Kalifen, ſoll die Perſon unſeres 


allergnädigſten Herrn und Königs zum. Sprechen 


nachgeahmt haben. « 


„Jeſu Maria y Joſe!“ riefen nun — ig Stim⸗ 


men; denn der größte Theil der zahlreichen Diener: 
ſchaft war natürlicher Weife berbeigeeilt, um feinen 


Antheil an den inhaltfchweren Neuigkeiten abzuholen. | 





*) Eine Satyre', Poſſe. 
*) Hund, Schimpfnamen, den Mauren gegeben. 


— 





— 173 — 


Aber Mexilo iſt auch dafür um eine gewichtige 
Kenntnif reicher geworden, u fuhr der Bericterflater | 
fort, mund der legte Lepero weiß nun, daß Fer⸗ 
nando VII., der gute Sohn, auf dem Schlofe wo er 
haust — was denft Ihr wohl? je nun = Unter 
röckchen für Madonna de los remedios ſtickt.“ | 

„Jeſu Maria!“ feufzte der Mayor domo, „Eine 
Pasquinade auf Se. Majeftät! Eine Pabquinade 
auf Se. Majeftät! Ich ſah mit meinen ‚eigenen Aus 
gen, wie Don · Silva gehängt wurde, well er ſich bei⸗ 
fallen ließ, den Kopf auf die linke Seite zu neigen, 
wie Se. Ercellenz der Virey Galvez zu thun gewohnt 
waren, und Don Cosmo, der in den Kerkern der 


Cordelada erdroſſelt wurde, weil er ſagte, ©e. Maje⸗ 


ſtät ſey juſt ein Menſch wie er auch, und es ſey Narr⸗ 
heit zu glauben, ſie haben für ihn im Himmel auch 
einen Thron aufgerichtet /· 

4 „Nombre Santo de Dios, que quiere dicer 
eo“ *) fchrie nun ein neuer Ankömmling, der nicht 
2 weniger verwirrt und erfehroefen in den Saat ftürzte 
= „Don Manuel — —u 





7%) Heiliger Name Gottes. Was will denn ag wieder ſagen? 
$ Was will denn dieß bedeuten? 





—H 174 — 5 


„Was iſts mit Don Manuel?u riefen Ale er⸗ 
ſchrocken. A 

„Iſt in die Madre Patria verwiefen; * den 
um ſechs Uhr auf Befehl des Vicefönigs i in die Madre 
Patria ab.“ 

„Jeſu Maria!“ riefen wieder ſämmtliche — 
„Don Senor Manuel, der Neffe feiner Herrlichkeit, 
unfer Nino*), in die Madre Patria? Jeſu Maria! 
was hat das zu bedeuten?“ wiederholten fie, ſich mit 
großen Augen anſtarrend noch immer ungewiß, was 
aus der ſonderbaren Botſchaft zu machen. 

„In die Madre Patria?“ wiederholte der Mayor 
domo fopfjchüttelnd. * : | 

„So fagte mir der Camarerio ©r. Ürrelleng ber 
fräftigte der Dienet, der die Nachricht gebracht hatte, | 
„daß nämlich feine Ereellenz aus übergroßer Huld 
für den Erben Sr. Herrlichkeit, des Conde, befchlofjen 
haben, Diefen in die Madre Patria abzufenden.u ·“ 

„In die Madre Patria?“ murmelte der Mayor 
domo noch) immer. „Sr. Excellenz übergroße Huld? 











*) Die zävtliche Benennung, mit der in Merifo das jüngfte 
Kind des Haufes bezeichnet wird; und ift es ein Mädchen Nina. 
Es bedeutet fo viel als: das geliebte Kind, das zarte Kin. ; 








— 15 ⸗— 


Ja vor fünf oder zehn Jahren, da würden wir eine 
folhe Gnade mit ſchwerem Golde bezahlt Haben; 
aber jegt! — Gott und die heilige Jungfrau allein 
wiffen, was dahinter ſteckt! — 4 Der Alte verftummte 
plöglich. 

„Stille! die Nina; ftille, ftille, leiſe, ftille! die 


Nina,“ rief es von allen Seiten, und die Diener 


wichen ehrfurchtsvoll zurück, um einer Dame Plab 
zu machen, die, zur Hälfte verfchleiert, durch die obern 
Flügelthüren in den Saal getreten. Sie war noch 
jung, mehr Kind als Jungfrau. Ihr ſchönes Fafta- 
nienbraunes Haar wallte in langen Locken über einen 
Theil des Dalfes, während‘ der andere durch die Man— 
tilla *) verhüllt war. Sie trug eine prachtvolle Robe 
von chamoisfarbigem chineſiſchem Atlas, darüber die 
wunderliebliche Basquina, **) die ihr bis zu den 
Knien reichte, und die Juwelen, die an ihrem Haupte, 
Halſe und Armen ſchimmerten, würden dem Braut- 


ſchmucke einer Königin nicht Unehre gemacht haben, 





*) Der Schleier, ver, am Scheitel unter dem Kamme bes . 


feftigt, iiber Geficht und Schultern fällt. 
) Das mit feidenen Franſen beſetzte feidene Unterfleio , das 
über die Robe geworfen wird. 


— 





begrüßt. — war, nicht paſſender —* werden 
konnte. * 

„Wer ſpricht von Don Manuel? Wo iſt er, Kin⸗ 
der?“ fragte fie mit einer noch findlichen Silber⸗ 
ſtimme. „Um der Madre*) willen, Anſelmo!“ rief 
fie heftiger, als die Diener ſchwiegen, fich Betroffen 
anfahen und ſtockten; »Anfelmo, Cosmo, dederigo! 4 
Wo iſt er? Federigo, Du haſt ihn geſehen? ſage — 
Mutter Jeſu! Vier und zwanzig Stunden in Mexiko, 
und ihn noch nicht gefehen! Jeſu Maria y Joſe! jo 
forich doch, Federigo! Noch nie bift Du fo harthörig 1 
verſtockt geweſen?“ | 

„Er ſoll in die Madre Patria, auf X Berater. j 
Ercellenz,“ ſprach Federigo. 4 

„Muchacho!“ riefen Alte; B— —9— 3 
jagt e8? Du ſagſt es!“ \ 

„Jeſu Maria y Joſe! in die Madre Patria! Don 2 
Manuel in die Madre Patria! Tia! Tia! er ſoll in 2 


Me 
; 
BE 
; 

3 
















*) Nerftcht fi, Madre de Dios oder gracia, "Mutter 
Gottes oder der Gnaden. 


r 


— IR er 


die Madre Patria,“ ſchluchzte ſie, indem ſie auf eine 
ältliche Frau zurannte und ſie heftig bei der Hand 
faßte; doch ſprang ſie ſogleich wieder zurück, und, auf 
den Bedienten zueilend, erfaßte ſie ſeine beiden Hände! 
„Federigo! um der fünf Wunden willen! Federigo! 
Sprichſt Du auch wahr? Sprich, ich beſchwöre 
Dich !u \ 

„Nina! Nina!“ riefen nun männliche und weib— 
liche Diener, über die SHeftigfeit des Lieblings des 
Hauſes erſchreckt. 

„Wo iſt der Conde?“ ſchrie wieder ein friſcher 
Ankömmling, der ſtürmiſch die Treppen heraufge— 
rannt und in den Saal geſtürzt war. „Der Conde 
noch nicht hier?“ | 

»Der Conde? Wo ift er? wo ift er?“ riefen Ale. 

nDie Beſaomnos iſt vorüber!“ ſchrie der Diener: 
nich Habe ihn am Palaſtthore verlaſſen; er ift im 

im Theater. Jefu Maria, der Conde!“ 
| „Jeſu Maria, der Conde!“ heulten Alle, und mit 
diefen Worten ftürzte der ganze Troß die Ing hin⸗ 





ab, zum Hausthore hinaus, 


Ein wilder wüfter Lärm erſchallte aus der Stadt 
herüber, begleitet von zeitweiligen Flinten- und Ka= 





—H 178 — 






— 


nonenſchüſſen, die dem Chaos von er 
tönenden Stimmen zum Refrain bienten. 2 llle wa 
wie im Sturme zum Hausthore Hinausgeflogen, men’ 
nach der Mayor domo, fo fehnell feine — 
Füße es zuließen. 

Ein ſcharfer ſüdweſtlicher Windſtoß, der durch die 
Tacubayaſchluchten heraufkam, machte den alten 
Diener plöglich halten. Ihm zur Linfen lag Mexiko, 
mit einem lichtrothen Nebelflor überfaumt, der fih 
über die Stadt gleich einem feurigen Schleier hin= 
lagerte; zur Nechten brüllte der Donner ſüdweſtlich 
herauf, und die Blige fuhren zudend und ſchauerlich 
den Itztaccihuatl herab, dejjen ſchneeige Koppe auf- 
leuchtete wie ein feuriger Drache, wenn er fich zur 
Wuth peitſcht ; dann entfuhr den finjtern Wolfen 
wieder ein Donnerfchlag, fo fürchterlich durch das 
Gebirge hinbrüllend, daß die Erde bebte; die Blige 
warfen ihr grelles Licht über die ganzen ungeheuern 
Felſenmaſſen des Gürtels von Tenochtitlan, leckten 
endlich das Thal, und erglänzten und erftarben in 
. den Waſſerflächen des Tezeuco und Chalco. \ 

„Jeſu Maria!“ ftöhnte der alte Mann; „was ift 2 
das wieder? Jeſu! Das Gemitter Fommt yon Puebla # | 








2 at a a DE FEN N Dunarlariahet, v9 6 


n — 179 — 


und geht über den Itztaccihuatl: das bedeutet Drang⸗ 
ſal, Drangſal! Und die Blitze lecken Mexiko, und 
ſchon meine Mutter ſelig ſ agte mir, daß das Jammer 
und Elend bedeute; und der Lärm wird immer ärger! 
Jeſu Maria! auch von Tacubaya kömmt es herauf!“ 
Der alte Mann ſtarrte in die finſtere Nacht 
hinaus. 
Gt, da liegt es, das alte Mexiko, „murmelte er, 
fo ſtolz, jo herrlich, als ob fein Fall nicht auch fom- 


men wirde, und der des verruchten Spanierd, der 


Jeſu Marin im Munde und Belzebub im Herzen hat.“ 

„Mondſüchtig, Don Anſelmo?“ fragte eine Stim- 
me, „und ohne Baret und Amtsftab? Fürwahr, da 
ſteht Mexiko nicht mehr lange! Wer hat je fo etwas 
gehört ?u 

Der Mayor domo fühlte nach feinem Haupte, nad) 

° feinem Stabe, und wandte fih dann zu dem Sprecher, 
den er verdächtig maß. Es war ein junger, ftarfer 
Mann, der, einen Indianer am Arme, aus der Ul— 
- menlaube herangefchlichen war. | 

„Der Conde Jago no * zu Säuferu fragte 
der Fremde. 





un. 
„Ob er es iſt ode nicht, 2 migo!“ erf 
‚Mayor domo, der auf einmal. eine Faſſu gin 
erlangt hatte, wird Euch wenig £ü m er 1, be 
„Vielleicht Ser mehr, als Ihr gut Au- 
ſelmo!“ — | 
„Wer bit Du? was win Du? woher RER Sn? i 
Gehe mit Deinem heiligen Schußengel und lebe tau— 
jend Jahre, Freund!“ vief der Mayor domo, der, 
wieder Ängftlich wurde und fich ſchnell zum Thore zu- 
rückzog, wohin ihm der verdächtige Nachtwandler mit | 
feinem Gefährten gefolgt war... m 00000 
„Jeſu Maria! das iſt Jago, unſer geweſene Jago!“ 
kreiſchte er auf einmal, unſer Ariero, und nun Einer 
der Gavecillas! Fort mit Dir! ob in den Himmel 
oder bie Hölle, iſt gleichviel!“ rief der alte Mann, der- 
ſich, fo ſchnell als er vermochte, innerhalb des — 
zurückgezogen hatte. J— 
Doch der Fremdling war ſchneller geweſen; mit 2 
Einem Satze war er zwiſchen dem alten Manne und 
dem zufallenden Hausthore; mit einem zweiten ſchob 3 N 
er den alten Mann auf die Seite; dann, den Indianer % 
erfafiend, riß er Diefen mit fich fort in den Thorweg, 3 3 













* 





—9 181 ⸗— 


— Beide verſchwanden Wwiſchen den Säulen der 
Verandah. *) 
„Jeſu Maria! das iſt Jago! Jago! Jago! Um 


Gotteswillen!Rebellen! Diebe! Räuber! Mörder!“ 


ſchrie nun der Mann aus Leibeskräften, durch die 
Verandah die Treppen hinan eilend. „Jeſu Maria! 
Wir ſind Alle des Todes, wenn — — Pedro! Pablo! 
Alonzo! todos diablos! — Gott verzeih mir Die 
ſchwere Sünde!“ betete der Mann wieder, indem er 
fich Ereuzigte und dann den Daumen küßte. 

„Alle Teufel! Maestro Anſelmo, was ‚gibts? was 
treibt Ihr?“ rief Don Pinto, der über die Treppe 
herabtanzte und den Mann verwundert anfah. „Aha! 
Meriko hat Euch endlich aus Eurem Gleichgewicht 
gebracht. Höre, Alter! feit den vier und zwanzig 
legten Stunden habe ich eine Aroba**) meines theuern 
Fleiſches verloren. Adios! Adios!“ rief der Wüftling. 

Der alte Mann hofte tief Athem, wie Einer, dem 


eine ſchwere Laſt von der Bruft genommen wird, 





. ** 4 
ne 


*) Der Säulengang oder die um den Hofraum oder Gar- 


ten herumlaufende Iufiige, vergitterte Halle. Sie ift in allen 


bejjern jpanijchen Käufern, vorzüglich aber Villa's zu finden. 
**) Sin Gewicht von 25 Pfund. x 


Der Virey. I. 13 


182 ⸗— 


Gehe Du, — er, ER Halte den 


alten Anfelmo lieber für einen Narren, als dap Du 


. Deine Nafe dahin ſteckſt, wo fie und. len das Le— 
benslicht ausblafen könnte. Ei, das wäre Waffer, 





auf feine Mühle, zu wiffen, daß zwei Rebellen ſich in * 


unſerm Hauſe verborgen haben. Zwar ſpricht er 





lichkeit. Wer feinen Beutel füllt und ih: 
verforgt, hat ihn. Und nun muß Maestro Anſelm 

der Mayor domo, Sr. Herrlichkeit, noch Porter ſeynz 
Dieſer auch fort.“ 3 


Das Raſſeln eines Wagens unterbrach den * | 


ängftigten Alten. An zwanzig. Diener Famen vor 
und hinter dieſem gefprungen, rifjen Die MWagenthüren 
auf, hoben den Grafen heraus, und trugen ihn im 
Triumphe auf ihren Armen durch den Thorweg über 
die Treppen in den Saal. 

„Dios sea labado!“*) fihrie der Mayor domo, 
ftieren, halb verwilderten Blickes die Hände des Gras 


fen erfafiend. „Dios sea labado!‘‘ rief er wieder, 


feinen Gebieter abermals und abermals umfafjend. 





*) ©ott ſey gelobt! 


troß dem ärgften Patrioten; aber es iſt pure Lieder⸗ 
ı mit — 





ee A Ka Ban BE 
it —— — 


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7 = 


in den Saal gerannt kam. 


1 
Anſeindi⸗ ſprach Diefer, ERS. gibt es? Iſt 
etwas hier vorgefallen ?“ 
Conde!“ rief Dieſer; „Conde!“ ſchluchzte er. ‚lim 
Gotteswillen! eilen, laufen Sie aus dieſem Hauſe!“ 
Anſelmo! u rief Dieſer erftaunt: „Was * 


Du? Was ift Div?u 


Der alte Mann wurde in den Ausbrüchen ſeiner 
Angſt durch die junge Dame unterbrochen, die nun 


Heuntes Kapitel. 


. So voller Phantafien 
Iſt Liebe, daß nur fie phantaftiich ift. 
Shafespeare. 
„Tio!“*) rief das entzückend ſchöne Kind, das 
nun, den Schleier weit zurücigeworfen, durch die, 
obere Saalthüre hereinftürzte und dem Grafen in un= 


fäglichem Schmerze an den Hals flog, mehrere weib- 


liche Dienerinnen hinter ihr drein: „Tio! Tio!“ rief 





*) Onkel, Better; fcherzweife werden haufig auch Bauern 
und Fuhrlente jo begrüßt. 


13% 


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er? a 


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—, 194 e— « 


ſie, und ihre — Locken rollten wild u 


den herrlichften Alabaſternacken, der ſich je ü über einen 


„weiblichen Buſen erhob; „Tio! Tio! por el amor de 


‘ Dios! Por la santissima madre! Tio! Tio!“‘ *) 
rief fie, ihn fefter umfohlingend, daß Perlen- und 


Diamantenbänder von dem Halfe und den Armen 
brachen und auf die Eſtera rollten, „O mio Tio! 
mio amigo, mio Padre, mio corazon!‘‘ **) 

„Nina!“ bat der Graf mit bebend zärtlicher Stim- 
me, fich liebevoll über das herrliche Gefchöpf herab- 
neigend, „Nina, mea Nina! que,es este ?‘‘ ***) 
 „Tio! Tio!“ tief fie wieder, ungeftümer ſchluch— 
zend, indem fie feinen Hals fahren ließ, feine Hände 
erfaßte, und ihm wie wahnftnnig in die Augen ftierte. 
„Es verdad?“ fr) flüfterte te leiſe, al3 wäre fte vor 
dem Tone ihrer eigenen Stimme erſchrocken. „Per- 
dito por siempre?‘“* Tr) ftöhnte fie aus hohler Bruft: 
„Dedischada Elvira!“ 77) 





*) Um ver Liebe Gottes, ver auepeHREB ROM Sungfrau 
willen ! 


**) D mein Oheim, mein Vater, mein Hai. 

+) Nina, meine Nina’ was iſt es? was fehlt Dir? 
+) Sit es wahr? 

1) Verloren auf ewig? 

+rH) Unglüdliche Elvira! 


* — 15 


- Der Conde wandte fein — in ſprachloſem 
Scömerz. weg. | ir ur 
„Perdito por siempre! Verloren auf.ewig! auf 
ewig!“ rief fie wild, und mit. einem Riſſe war der .; 
Schleier von ihrem Haupte, die noch übrigen Ge ! 
fehmeide vom Halfe, Armen und Haupte — das herr= ’ 
che Gefchöpf tobte in feiner Fieblich wilden Naferei. 
„Nina!“ rief der Graf im fanft verweiſenden Tone, 
„Nina, faſſe Dich, Gräfin Elvira, faffe Dich!“ rief 
er ftärfer, fie in feine Arme ſchließend. — | 
‚Sie warf fich wieder an feinen Hals, ſah ihn ſtarr 9 
an; dann ließ ſie einen Arm ſinken, ihr Köpfchen } 
fing an fich zu neigen, ihre Geftalt ſenkte ftch, jo daß 
die Finger der einen Hand die Eftera berührten; nur. 
die andere hielt ftch um den Hals des Grafen krampf— 
haft verfehlungen. W 
Das herrliche Gefchöpf hing reizend in —— 
Jammer um den Nacken des Conde. Ihr dunfel= gi 
blaues, jeelenvolles Auge nun halb gefchloffen, num 
wieder troftlos zum Grafen aufblickend; ihre Geftalt 
Veicht, Yuftig, elaftifch; ihre Hände, als wenn fie von 
Alabafter geformt wären, Die eine noch immer um 
den Hals des Grafen geſchlungen, -die andere Die 


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486 


Eſtera berührend — das wunderliebliche Weſen konnte 


kaum mehr als dreizehn Jahre zählen; aber in dieſem 
zarten, jugendlichen Buſen wohnte bereits die ſüße 
Empfindung mit aller Stärke ſüdlicher Gluth. Wie 
ſie ſo hinabhing, hatten ihre Frauen einen Kreis um 
ſie gebildet, der Mayor domo mit derſelben Delika⸗ 
teſſe die ſämmtliche Dienerſchaft zurückgeſchoben, der 
Conde ſie in ſeine Arme erfaßt und, unterſtützt von 
ihren Dienerinnen, ſie in eines der anſtoßenden Ge— 
mächer getragen, wo er ſie auf eine Ottomane nieder— 
ließ. Das holde Geſchöpf ließ Alles mit ſich geſchehen; 
erſt als ſie auf dem Sopha halb lag, halb ſaß, rief 
ſie ſchluchzend, ihre thränenſchweren Augen auf den 
Conde gerichtet: „Tio!“ 

„Nina!“ antwortete Dieſer. 

„O, ich wußte es!“ lispelte fie in jener ſüßen, un— 
endlich reizenden Vergeſſenheit der Töchter ihres Lan— 
des: „Nina wußte es! Sie liebt ihn; er iſt ihr 
Corazon *), ſie ſein Eſtrella **), die —— 
ihrer Hoffnung.“ 





*) Herz. 
*+) Stern. 


a N — all. RE, 
— * & ** 


— 197 28 

„Wen liebt er? Wen Tiebt fie? Wer iſt ihr Co— 
razon?«“ fragte haftig der Graf. 

Sie blickte feheu auf. „Tiol Tio! Was habe ich, 
gejagt? Das Geheimniß ſeiner Liebe verrathen, ſei— 
ner Liebe? Unglückliche!“ flüſterte ſie ſich ſchaudernd 
zu; wer liebt Dich nicht mebr, und Du, Du vun 
ihn verrathen ?« 

„Wen liebt er?“ rief der Graf heftiger: „Nina, 
um Gotteswillen! Wen liebt er? Sage! 

Das Mädchen blickte ihn erſchrocken an, und, als 
wäre fie: von einem Fieberfehauer ergriffen, rief fie, - 
am ganzen Körper zitternd: „Nein, nein, Elvira 
will ihn nicht verrathen! Er liebtfie! Santa Vierge! 
Seine Liebe felbft ift Verrath!“ murmelte fie Teifer. 

„Ich weiß, Wen er liebt; ich weiß, Wer ihn liebt, 
fprach der Graf, der wechjelmeife zur Condeſſa her— 
angetreten und wieder ungeftum im Kabinette aufs 
und abgefchritten war. „Ruhig, Nina! Ruhig, Con— 
defia! Tochter meines theuerften Freundes! — Thor 
und Elender!“ fuhr er mit unterdrücter Stimme 
fort, „da feine Hoffnungen fußen wollen, mo Meri- 
ko's Fluch anhebt und endigt! — Nein, Elvira,“ 
fprach er, ſich ſtolz erhebend, „die Herrliche Tochter 


18 — 

eines der edelften Merikaner fol nur einen Mexikaner 
glücklich machen! Nina, ruhig! ich bitte Dich! So 
er Deiner würdig ift, fo foll ihn Die die Macht der 
Hölle jelbft nicht entreißen; hat er aber Mexiko ver- 
rathen, hat er ſich mit den unverföhnlichen Feinden 
Mexiko's zu feinem Verderben in's Bündniß begeben, 
— dann, dann wird,“ rief er mit heftiger Stimme, 
„ihn auch Condeſſa Elvira zu verachten wiſſen!“ 

Der Graf hatte in der heftigen Bewegung die 
Hand des Mädchens erfaßt; fie ſah ihn mit thranen- 
fehweren Augen an. 

„Verachten?“ ſprach fte leife; „verachten ?“ wie— 


derholte ſie das Köpfchen ſchüttelnd. „So magſt Du’ 


den Popocatepetl verachten, weil er ſein Haupt ſtolz 
über die Berge Tenochtitlans erhebt? Manuel ver— 


achten, den Erſten der Söhne Mexiko's? Unglückliche 


Elvira! Wenn Du dieß könnteſt, wie müßte Dein 
Herz für alles Edle, Große, Ritterliche erſtorben ſeyn! 
Beweinen will ihn Elvira, beweinen!“ ſchluchzte ſie, 
mit ihren langen Locken ſpielend, deren künſtliches 
Gerölle ſie erfaßte und mit einem Schnitte vom herr— 
lichen Koyfe trennte. 

„Nina!“ rief der Graf böfe.. 





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—H 189 &— 


Sie hörte nicht, fie fah nicht. Sie bemerkte nicht, 
daß ein Indianer in das Zimmer getreten war, der, 
zwifchen fie und den Grafen fehreitend, die Hand des 
Letztern erfaßte. 

Der Eonde, erftaunt über diefe Erſcheinung, war 
einen Schritt zurückgetreten. | 

„Gott ſegne Euch, Conde San Jago, für die 


Worte, die Ihr ſo eben geſprochen,“ ſagte der In— 


dianer mit einer ernſten, feierlichen Stimme; „Gott 
ſegne Euch mit ſeinem ſtärkſten Segen!“ 

„Wer biſt Du, Tatli?“ fragte der überraſchte 
Conde mit einigem Unwillen und in heftigem Tone. 

Eine zweite Geſtalt trat aus demſelben verborge— 
nen Gemache. 

„Jago!“ rief der Conde im Tone des höchſten Er— 
ſtaunens, „Jago, und Du wagſt es — —“ 

„Nach Mexiko zu kommen, Conde,“ ſprach Jago mit 
Würde, „und daß ich es wage, bürgt Euch für den 
hohen Preis, den wir auf Euch ſetzen; doch, wir ha— 
ben Feine Minute Zeit,“ und mit dieſen Worten nahm 
er von dem Kopfe des Indianers die Perücke von lan— 
gen, ftraffen, indianifchen Haaren, hob die Larve von 
feinem Geſichte weg, und zeigte dem Grafen in dem 


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—9 10 — 


Indianer einen alten, aber äußerſt würdevollen Dann, 
defien feuriger Flammenblict mit dem tiefen, wehmü= 
thigen Ernſt des Geftchtes eine der ihönften Phy⸗ 
ſiognomien bildete. 

Der Graf trat zwei Schritte zurück: „Mor—!« 

„Ja,“ jprach der Greis, „der bin ich; gekommen, 
um Gonde Jago im Namen des unglüsklichen Mes 
xiko um feinen Beiftand, feinen Rath), feine Hülfe zu 
bitten.“ 

Der Graf fah den Greifen jprachlos an. 

„Und wo ift Hermann Carlos?«*) rief die Con—⸗ 
deſſa, die auffprang, einen Leuchter vom Tiſch riß 
und die beiden Geftalten beleuchtete, dann, ſich auf 
die Stirne fihlagend, wie im Traume murmelte: 
„Santa Vierge, yo soy distratta! Elvira distratta!**) 
Ihn verachten ?« Tispelte fie, im Kabinette rafıh auf- 
und abrennend und ungedufdig den filbernen Leuchter 
auf den Tiſch fehleudernd: „Ihn aus dem Herzen 
reißen? Arme Thörin, das Fannft Du nicht; aber 
beten, beten kannſt Du für ihn!“ Und indem fie die— 


7 
‚‚ 





*) Bruder. ü 
**) Heilige Sungfrau, ich babe meinen Berftand verloren! 
Elvira ift wahnfinnig ! 


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— 14 ⸗— 


fes ſprach, eilte fte einem Fußſchemel zu, über dem 
eine Madonna von gediegenem Golde ftand, über 
der Figur eine Lampe von gleichem Metalle; das 
Bild an ihren Bufen drückend, rief fie: „Läſtere nicht, 
Tio! Läſtre ihm nicht!“ und dann verſchmolz ihre 
Stimme in das füge Flüſtern der innigften, vertrauend= 
ſten Andacht zur Tröfterin merikanifcher Herzen. 

} Es wurden draußen Fußtritte hörbar. Der Graf 
x ßte die beiden Männer, riß die Thüre des ver- 
borgenen Kabinettes auf und jchob fie raſch hinein. 
Säfte! 4 yerfündete der Gentilhombre *) des Gra— 
fe ‚ der, gefolgt von der Duenna, in das Kabinett 
—* „Ihre Herrlichkeiten die Grafen Fagoagos, 
Iſtlas, Irun, die Marquiſe Moncada, Gomez, 
Iguala.“ 

h „Die Condeſſa,“ bedeutete ihn der Graf, „wird 
die Honneurs des Haufes machen, fobald fie ihre An— 
d cht verrichtet.“ 

3 Die Gräfin betete noch eine Weile; ; dann ftand fie 
N f und folgte, Lieblicher noch durch den Anflug von 
€ Pe den beiden Dienern in den Befuchfaal. 
























“ * 
Be 


Behntes Kapitel. 


Graf war er, konnte tanzen, mufgize, — 

Sprach gut franzoſiſch, doch toskaniſch ſchlecht; 

Denn Wenige der Wälſchen nur ſtudiren 

Die Sprache ver Etrusker rein und ächt. 

Beppo. 4 

Wir ſind in unſerm glücklichen Lande abſoluter 

Freiheit nicht ſolche blinde Götzendiener einer imagi⸗ 

nären ungezähmten Gleichheit, um die Vortheile, die 

eine würdige Geburt gewährt, zu verachten, oder in 

das Pöbelgeſchrei einzuſtimmen, das Menſchen des J 

halb verdammt, weil fie der Zufall bei dieferK f 

ftigt hat. Auch bei ung gilt e8 etwas, von wird use 
Aeltern abzuftammen, die durch Kraft ihres Willeng, 

durch Tätigkeit und Talente ihres Baterlandes Ruhn 

oder Wohl gegründet haben; — und gegen fo he 

Vorzüge gleichgültig zu ſeyn, verräth, wenn nich 

einen rohen, doch rauhen Sinn, um den wir Ni - 

manden beneiden. Aber indem wir fo dem Ariſto— 

fraten, den der Zufall bei feiner Geburt begür tigt, 

Gerechtigkeit widerfahren laſſen, gebt unfere Vor⸗ 

liebe wieder nicht ſo weit, die Anmaßungen dieſe 


















| — 19 — 


Glückskinder auf die Beherrſchung ihrer Mitbürger 
‚ mit gleicher Nachficht zu behandeln, und wenn wir 
bei Männern, die ſich im Dienfte des Gemeinweſens 
| Einfluß erworben haben, es begreiflich finden, daß 
fie fuchen, die erworbenen Vortheile auf ihre Kinder 
zu vererben, ſo finden wir es eben ſo natürlich, daß 
der geſunde Sinn dieſer Mitbürger ſich gegen eine 
ſolche Vererbung des Einfluſſes ſträube und An— 
maßungen zurückweiſe, die ſich auf Erblichkeit und 
nicht auf perſönliche Tüchtigkeit oder Tugenden grün- 
den. Solche Anmaßungen im Keime zu erſticken, 
fordert Pflicht eben fo wohl als die geſunde Staats— 
j politif ‚eines freien Volkes, weil nichts leichter wu— 
i dert: und fieh im Boden einer freien Verfaſſung feft- 
ſetzt, ald Gewalt. — Und in diefen tief gefühlten bei- 
| derfeitigen Bedürfniffen Fiegt der Same jenes fangen 
nie rubhenden Kampfes, der zwiſchen der ſogenannten 
Ariſtokratie und Demokratie unter verſchiedenen Na⸗ 
mien und Formen auch bei uns ſeit Entſtehung un— 
" ferer Republik beftanden hat, und der nie endigen 
wird. Gegen das Beftehen einer folchen Ariftofratie 
A der Geburt, des Vermögens, der Talente, und die 
Sucht, ihre Fortdauer zu vererben und zu befeftigen, 





De FERNEN 









N — 
eifern zu wollen, verräth eben ſo fh 4 
ſchaft mit den Triebfedern des men ei Herzens, 
als den Beftandtheilen und Bebingsingen der Eriſtenz 
einer freien bürgerlichen Gefellfehaft, die, wenn wohl 
geordnet, immer dem Talente und der Vetriebſamkeit 
den nöthigen Spielraum, Glücksgüter und Einfluß 
auf das Gemeinweſen zu erwerben, darbietet und 
darbieten fol. Wir würden diefe Ariftofeatie eine 
natürliche nennen, ein nothwendiges und in vieler 
Hinftcht auch heilfames Uebel und ganz verſchied 
von jenen Ariſtokratien der alten Welt, mit denen 
wir, zum Glücke, in unſerm freien Lande nichts zu 
thun haben, und die jene heftigen Kämpfe ja a 
die noch heutiges Tages nicht beendigt find und wahr 
fcheinlich. nie beendigt werden dürften. Es find dieje 
Nachläſſe jenes barbarifchen Mittelalters, in welchen 
die Negenten ſich als Lehnträger des höchſten Wefent 
zu betrachten angefangen, und in ſolcher Eigenſchaft 
über ihre Völker mit der unumſchränkten WINE in 
einer rohen Machtvolffommenheit dDisponirend, ie⸗ 
ſelben nach Gefallen unter jene Günſtlinge verthei 
ten, die ihnen zur Ausbreitung oder Befeſtigung 
ihrer Herrſchaft förderlich waren. Sp entſtand ie 



















u I I 
ER % 5 


— 15 — 

Ariftofratie, die wir unter dem Namen des feudalen 
Adels Fennen; urfprünglich bloße Beamte der Krone, 
über einen Diftrift, eine Stadt oder ein Schloß gefeßt, 
die fie für die Krone zu bewachen, oder von ihr zur 
Nutznießung hatten, und die fie beim häufigen Wech— 
ſel der Dynaftien allmählig zu erblichen Beftsthümern 
in der Art verwandelten, daß fie ihre Untergebenen 
oder Bafallen eben jo wohl als disponibles Eigen 
thum betrachteten, als die Viehheerden, die ſie befaßen. 

Es gehört natürlich nicht in den Bereich unferer 
Geſchichte, die Rechte dieſes Adels zu unterſuchen, 
oder auf den Kampf eingehen zu wollen, den die 
Behauptung dieſer Rechte mit den vorgerückten Be— 
dürfniſſen der Menſchheit. verurſacht hat. So un— 
gerecht die Anmaßungen den Gedrückten erſcheinen 
mögen, ſo können wir, die auf neutralem Grunde 
ſtehen, doch nicht umhin, zu geſtehen, daß die An— 
ſprüche dieſer Art Ariſtokraten ſich zum Theile auch 
wieder auf wirkliche Beſitztitel gründen, die ihre Vor— 
fahren Jahrhunderte hindurch unbeſtritten genoſſen, 
und die Mißbrauch und ein veränderter Zeitgeiſt wohl 
mit den Bedürfniſſen dieſes Zeitgeiſtes in Einklang 
zu bringen, aber geradehin zu entreißen ſchwerlich 


9 1% &— 


das Necht geben dürfte, da ein folches ger alt ame 
Entreißen die Auflöſung der bürgerlichen Geſellſchaft 
ſelbſt und den Ruin derſelben En na 
ziehen müßte. » 1 — 
Aber es gibt eine dritte Ariſtokratie in — Dr 
ten, die weniger achtungswerth, als die bei uns be⸗ | 
ftehende, oder der feudale und. auf. wirkliche Beſitz⸗ 
thümer gegründete Adel, eine ſo zu ſagen artificielle 
Ariſtokratie genannt werden könnte, eine Art Quaſi⸗ 
Adel, der, mit der allmähligen Ausbildung des Legi⸗ 
timitätsſyſtems entſtanden, gewiſſermaßen Surrogat 
des feudalen Adels geworden; der ſogenannte Brief⸗ 
oder Diplom-Adel, eine Klaſſe bevorrechteter Bürger, 
die ſich häufig durch niederträchtig entehrende Dienſte 
die perſönliche Gunſt des Herrſchers erworben, oder, 
im Beſitze eines großen Vermögens, ſich dieſe artifi⸗ 
cielle Standeserhöhung erkauft und ſo über die übrige 4 
bürgerliche Geſellſchaft erhoben, in Bezug auf ihre 
Perſonen und- häufig auch auf ihr Bermögen eine 
privilegirte Kafte bilden. > ; re 
Wenn ſchon der Erwerb. eines großen en Vermögens 4 
an ſich ſelbſt mit mehr oder weniger Nachtheilen füt hi 
das Gemeinwefen verbunden ift, deffen Gleichgewicht 









—9 117 & 


immer mehr oder weniger durch eine ſolche Uebervor—⸗ 
theilung geftört wird, jo werden dieſe Nachtheile noch 
in's Umendliche gefteigert durch Bevorrechtung diefer 
ohnehin bereits auf Unfoften ihrer Mitbürgerkaſſen 
bevorrechteten Klaſſe. Diefe unfinnige Staatsmarime 
ift jedoch in den gealterten Monarchien der alten Welt, 
in Folge des Verſchwindens des feudalen Adels, Hof— 
und Staat3politif geworden, der die neuen Ariſtokra⸗ 
tien dieſer Staaten und, wir müſſen Hinzufügen, auch 
Mexiko's bekanntlich ihre Entftehung verdanken, wie 
die mit der Gefhichte dieſes Landes einigermaßen 
Bekannten mwiffen werden. Bon dem fogenannten 
feudalen Adel, das heißt den Abkömmlingen der erften 
Eroberer, die zur Belohnung für ihre Dienfte repar- 
timentos *) erhalten hatten, waren nur wenige Fa— 
milien mehr im Lande übrig geblieben. Die meiften 
waren ausgeftorben, oder hatten fich bei dem allmäh— 
lig graffer werdenden Büreau=sDespotismus der von 
dem Mutterlande herübergefandten Beamten in das— 
felbe zurückgezogen, wo ihre Kinder wenigjtend die 
Rechte geborner Spanier genofen. Mit ihrem Ver— 





*) Kronlehei. 
Der Virey. J. 14 


> 


SED) ERSTE A anal —— 
3 * * “ J wa. ' 6 
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— 198 e 


ſchwinden war das einzige Gut, zu deſſen * 






in Mexiko fie mitgewirkt hatten, die Mumiet 
‚heit der Städte — dem Mufter der ſpaniſchen Städte e⸗ 
ordnung nachgebildet — gleichfalls untergegangen. 
Der ſpaniſche Hof, der in demſelben Grade erfüch- 
tiger auf feine Gewalt geworden, als fein kriegeri⸗ 
ſcher Geiſt erſtorben war, hatte es ʒweckmäßiger 
befunden, die öffentliche Gewalt in Neuſpanien ganz 
in ſeinen belegirten Werkzeugen zu concentriren, und 


eifrig darauf hinarbeitend, die letzten Spuren des 
öffentlichen Lebens, als die Ausübung der höchſten 


Gewalt hemmend, zu verwiſchen, hatte man die 
Städtefreiheit in Mexiko gänzlich aufgehoben und die 
Corregidor⸗ und Alkaldeſtellen durch Öffentlichen Ber- 
kauf den reichern Creolenfamilien in die Hände geſpielt, 
die ſich durch dieſe Titel um ſo glücklicher fühlten, 
als ſie die Ehre eines Amtes hatten, ohne mit deſſen 





Bürde beläſtigt zu ſeyn. Da dieſelbe unglückſelige 


Regierung ſtatt der größtentheils eingezogenen Kron⸗ 
lehen die ſogenannten Mayorasgos *) eingeführt, und 





*) Majorate. Das Recht, fie zu errichten, wurde nur dem 
hohen Adel ertheilt. Sie beftanden aus ungeheuern Landftrichen 
und find feit 1824 aufgehoben. 








EEK GEBETE ENG 


—19 
das Recht, jolche zu errichten, gleichfalls mit unge⸗ 


heuern Summen bezahlt werden mußte, ſo war die 


ganze künſtliche europäiſche Ariſtokratie auch auf Me— 
xiko übertragen, nur mit dem Unterſchiede, daß dieſer 
Titeladel nicht wie in Europa zu Staatsämtern An— 


ſpruch gab, ſondern ganz nominell war. 


Aber der Einfluß, den dieſer nominelle Adel auf 
die bürgerliche Geſellſchaft des Landes äußerte, war 
deshalb nicht weniger verderblich geweſen. Durch 
ihn vorzüglich hatte ſich das merkwürdige, in der Ge— 
ſchichte der Welt unerhörte Schauſpiel geſtaltet, daß 
eine bürgerliche Geſellſchaft von nahe an ſieben Mil— 
lionen Seelen beinahe dreihundert Jahre in Unmün— 
digkeit von einem mehrere tauſend Stunden entfern- 
ten Hofe gehalten wurde, zu deffen Glanz fie doch feit 
Jahrhunderten mehr als alle übrigen Theile der 
Monarchie beigetragen hatte; und daß fie, was noch 
auffallender ift, zufrieden und ſtolz auf dieſe Bevog⸗ 
tung war; daß fie in Kaften eingetheilt, durch Pris 
vilegten und Rangunterſchiede von einander gehalten, 
und doch im abfoluteften Sklavenzuftande verblieb. 
Sp hatte man in Mexiko einen hohen Adel, Grafen 
und Marquife, die Enkel der alten Eroberer und 

14* 


20 &— 


Söhne von Beamten und ſelbſt Abenteurern, die 
durch glückliche Bergmerksfpefulationen in den Beſitz 
eines plößlich großen Vermögens gefonmen waren; 
man hatte einen Mitteladel, zu dem fich jeder weiß 


geborne Sohn eined Spanierd oder Creolen rechnete, 


. einen Quaſi-Adel, der durch ein Diplom der Au— 
dienein erlangt und gewöhnlich dem farbigen Ehr— 
geize zu Theil wurde, und endlich die elenden Kaſten 
mit ihren Abftufungen und Mifchlingen, und die noch 
elendere Rage der Indianer. Dan hatte ſo Rangunter- 
fchiede, Kleidungsunterfchiede, Unterfchiede in Allem. 
NurimFoche, das auf Allen Laftete,war Fein Unterfchied. 


Alle krochen vor dem Spanier; aber für diefe Unter- ' 


würfigfeit durfte der hochadelige Creole ungefcheut 
dem bloßen Gaballero oder Sidalgo *) auf den Naden 
treten, der Saballero den Quateroon oder Quinte— 
roon mißhandeln, und Diefer wieder den Indianer 


zum Thiere berabmwürdigen. Wir wollen, um dieſe 
furchtbare Hierarchie anfchaulicher zu machen, unjere 





*) Das Wort Hidalgo wird in Meriko weniger gehört als 
Saballero, Gavalier. Jeder Creole nennt ſich einen Gaballero. 


Todo Blanco es Caballero , lautet das mexikaniſche Sprich- 
wort. 





*7 
— u N EEE EB 


—H 201 — 


Leſer in die Geſelſſchaft einiger Notabilitäten ainfüh— 
ren, die, wie ſie gehört haben, ſo eben angemeldet 
wurden. Sieben derſelben waren unter dem Vor— 
tritte des Mayor domo und einer zahlreichen Diener— 
ſchaft die Staatstreppe hinan in den Saal eingeführt | 
worden, wo fie mit aller Grandezza der fpanifchen 
Etiquette empfangen wurden. 


Der VBorderfte diefes Zuges war ein ſchwammiges 
Männchen, mit gehäbigem Unterleibe, gepuderten 
Haaren und zierlichem, ſchwarz feidenem Saarbeutel. 
Er brachte zuerft Feuchend feinen reich geftickten Frack 
a la Louis-Quinze in die gehörige Richtung, glättete 
die zerfnitterten Spigen der Hemdärmel t richtete den 
furzen fteifen Kragen und die langen Schöße in Orb» 
nung, abjuftirte den kurzen Staatödegen mit ftählere 
nem Öriffe, und ftöhnte dann, fich neugierig umfehend: 

„Ah, Maestro Anſelmo! Se. Herrlichkeit der 
Conde nicht Hier? Ah Maestro! brennen vor Ver⸗ 
langen, Demſelben unſere Attention zue fügen. a, 





Maestro Anfelmo ?« u 


„Vuestra Senoria;“ werfegte der Mayor domo, 
fich tief bückend. 





202 — 

„Ah, Maestro Anfelmp!“ ftöhnte der Marquis 
fort, „Ihr ſeyd noch immer * Alte; aber, Santiſ⸗ 
ſima Madre! werdet Ihr es Zlauben, daß, als wir 
aus unſerer Loge traten, Einer jener Gavecillas 
uns heranrannte, ſchreiend: Moncada! Moncada! 
alter Moncada! So hieß er uns, Maestro Anſelmo,⸗ 
klagte der zahnloſe Marquis und ſeine erdfahlen Lip⸗ 
pen zitterten; „ſo hieß er uns,“ fuhr er fort, „die 
wir doch von Sr. Excellenz ſelbſt nie anders ar 
Vuestra Senoria begrüßt werden. « 

„And wie anderd, Graciofiffima Senoria ?u ver- 
jeßte der_Mayor doma mit pflichtſchuldigem E⸗ 
ſtaunen. 

„Ei, Maestro Anſelmo! Ihr ſeyd noch aus der 
alten Schule; aber dieſe ewigen Gritos und Pro— 
nunciamentos und Motinos*) haben die guten. alten 
Zeiten ganz verdorben. 

„Ah,“ fiel ein zweiter Marquis ein, der im blut- 
rothen T et zu Ehren der fpanifchen National= 





*) Verfchiedene Arten des Aufruhre. Grito, wie oben be— 
merkt, beventet dem Aufruf zum Aufruhr, Pronunciamento 
die Erklärung der Infurgenten, und Motino den Aufftand 
felbft. 








—d9 203 06 


farbe prangte, „ah, aber ©e. Excellenz der Aller⸗ 
gnädigſte haben doch mit Hochdero eigenem Munde 
huldreich verſichert, daß dieſe Gritos und Motinos 
jetzt ihr Ende haben ſollen, und Se. Excellenz der 
Allertapferite Haben gleichfalls bei allen Heiligen zu 
betheuern geruht, daß in ſechs Monaten fein Nebelle 
mehr den Boden Neufpaniens befudeln ſolle.“ 
„Bitte um Vergebung, Euer Gnaden,“ ſprach ein 
alter Gonde, „aber wir erlauben uns eine unterthä— 
nige Bemerkung um fo mehr, als diefe von äußerfter 
Importanz ift. Euer Gnaden Herrlichkeit fagten 
nämlich: Se. Excellenz der Allergnädigfte, wo doch 
das Prädikat Allergnädigfter blos der Magestad zu= 
kommt.“ | 
„Sp fommen wir de pregonero a verdugo, *) 
von den Federn auf's Stroh, “4 fiel der Mayor domo 
ein, der nicht ohne Unwillen den Edelleuten zugehört 
hatte. „Ab, Senorias, unfer Sprichwort jagt: Aun 
falto el roba par desollar; fie haben dem Thiere, das 
heißt der Rebellion, noch nicht die Haut über den 


4 





*) Buchſtäblich: vom Ausrufer zum Henker. 


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20 


Kopf gezogen und ich fürchte⸗ ſie wird m uns ab- 
gezogen werden. u Biden 
Es ift eine merfwürdige Gigenheun des Cyan, 
daß er bei allem feinem Stolze und feiner Härte 
der dem Hausdiener eine Familiarität erlaubt, Pr 
ſelbſt in unferm Lande, wo der Diener fo fehr auf _ 
Gleichheit Anspruch macht, auffallen würde. Diefes 
vertrauliche Verhältniß zwifchen Befehlenden und Ge= 
horchenden ift noch weit auffallender bei feinen ameri⸗ 
kaniſchen Nachkommen, den ſeine großen, leicht er⸗ 
worbenen Reichthümer vielleicht veranlaßten, die 
Zahl ſeiner Domeſtiken ſo ſehr zu vermehren, daß ſie 
mehr dem Troſſe eines Kronvaſallen aus den Zeiten 
Ferdinands und Iſabellens, als der Dienerſchaft eines 
Neuadelichen gleicht. Auch das Verhältniß zwiſchen 
Befehlenden und Gehorchenden hat mehr von der | 
franfen Offenheit des Knappen, als der bezahlten. | 
Dienftbefliffenheit unferer Miethlinge, und, gleich den % & 
Knappen des alten Nittertfums, beſitzt der Creo en⸗ 
diener ale Würde und allen männlichen Ernf 
fer bloß noch in Romanen Tebenden Menfchenklafl 
Unter der zahlreichen Dienerſchaft eines merikaniſche 
Haushalters nimmt natürlich der Mayor domo de 


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— 205 &— 


eriten Rang ein, und das Vertrauen, dad eine ſolche 
Stelle beurfundet, gibt ihm häufig eine gewichtige 
Stimme nicht bloß in der Familie, jondern im gan— 
zen Abel, um ſo mehr, als die Mayores domo, in 
eine Gilde vereinigt, ſich bedeutender Privilegien er— 
freuen, und als die Häupter der Dienerſchaft des 
ſämmtlichen Adels die Angelegenheiten deſſelben 


leiten. 


Der Mayor domo daher, weit entfernt, ie jeine 
Einreden Befremden zu erregen, war, jo wie er den 
Mund öffnete, der MWortführer der hochadelichen Sie- 
ben geworden, die, vielleicht froh, ihren einigermaßen 
dürftigen Gedanfenvorrath durch neue Jdeen aufzu- 
frifchen, fich nun ſämmtlich an ihn wandten.“ 

„Ei, Anſelmo iſt ein geſchickter alter Kauz,“ be⸗ 
merkte der Conde Irun; eine Bemerkung, welche die 
Uebrigen zu bekräftigen nicht ermangelten. 

„Si, si, Senorias,“ fuhr der Mayor domo in dem⸗ 
felben ehrfurhtsvollen Tone fort: „wir Haben nun 
den Tezeneo ſiebenzig Male fteigen und wieder fallen 
gefehen, aber in dieſen fiebenzig Jahren unferes Le= 
bens nicht fo viele Lügen gehört, ald in den legten _ 
ae" Monaten. Gi, lefen Sie, — Herr⸗ 


in 


nie Aal 





—9 206 ⸗— 


fehaften, die Gazetta, die einzige, deren ſich Mexiko 
erfreut — Jeſus und Joſe! Acht und achtzig mal, 
genau gezahlt, find num bereits die Nebellen vernich- 
tet, und acht und achtzig mal find fie immer wieder 
von den Todten auferftanden. Ich fage, Senores, 
der alte Anfelmo jagt ed, das alte ſpaniſche Sprich- 
wort meint wohl: No Espannol mentira, *) aber 
das neuere fagt: Dejar en el dintero.**) Ei, und 
Se. Ereellenz find nur zu Elug für Meriko.u 

Die Worte des Mayor domo hatten die alten Mar- 
quife zu einer langen Pauſe gebracht. 

„Und,“ fragte der Gonde de Iſtla, „was glaubt 
nun Maestro Anſelmo?“ — 

„Alles, was die Kirche zu glauben gebietet,“ wrech 
der alte Mann mit einem einfältigen und wieder 
ſchlauen Blinzeln, „und das iſt hinlänglich. Wie 
ſollte der arme Anſelmo auch anders, da ſo viele er— 
lauchte Herrſchaften ſelbſt glauben und geſchehen feyn 
laſſen müſſen, daß ihnen ihre — | 











*) Kein Spanier lügt. ; 
*x) Buchfräblich: im Dintenfaife es laffen; die Sud fü für 


fich behalten. 
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—9 207 — 


Söhne vor der Nafe weggenommen und in die Armee 
gefteeft und vor den Feind gefchiekt werden. « 

Jeſu Maria!“ riefen ſämmtliche Cavaliere, „ſo 
iſt es denn wahr, was man ſich allenthalben zu— 
flüſtert?“ | 

„Und Senorias wifjen das nicht?“ vief der Mayor 
domo erjtaunt aus. | 

„Und glaubt Ihr wirflih,“ fragte der Marquis 
Moncada, „daß die Rebellen es wagen werden, auf 
die Söhne der höchſten merikanifchen Nobilitad zu 
ſchießen?“ 

„Jeſus Maria! Was ſollten fie anders?“ verſetzte 
der Mayor domo, dem die naive Frage doch einiger— 
maßen zu bunt vorfam. 

„Sachte, jachte, Maestro Anfelmo !“ Sprach der 
alte Marquis: Ihr ohne Zweifel ſeyd nicht fo fehr 
von Ehrfurcht für unfere Hochadelichen Familien durch- 
drungen, da Ihr einigermaßen der Geſellſchaft des 
hohen Adels täglich, ja ftündlich zu genießen gewür- 
diget werdet; aber die Gavecillas, die unfere Per— 
fonen nur von ferne fohauen, Diefe, jollten wir billig 
meinen, würden von einem heiligen Schauer ergriffen 
werden.“ _ 


— | 

Der alte Mayor domo war ungeduldig geworden. 
„Und werden ſie,“ fragte ex mit einiger Heftigkeit, 
„von einem heiligen Schauer ergriffen, wenn fie die 
ſpaniſchen Generale und Oberften todtſchießen? und 
waren Hidalgo und feine Patrioten von einem heili- 


gen Schauer ergriffen worden, als fte in Guana= 


xuato*) Reich und Arm über die Klinge ſpringen 
ließen?“ 


Dieſes Argument entſchied. Der BERN und 


jeine Compairs ftierten den Mayor domo mit einem 
geifterartigen Grinfen an. „Aber Anfelmo ‚u-xief er 
— „Jeſu Maria! der Mann ſpricht wahr; aber An— 
ſelmo!“ und er trippelte im Saale herum. „Laſſe, 
nein, laſſe nicht; fogleich wollen wir zum Virey — 
ja zum Virey — Jefu! Wenn wir noch an die Lei- 
den gedenken, die und Ge. Excellenz, der Virey 
Galvez, verurfachte, ald es Ihnen Seifiet, das Lager 
bei Tacubaya zu halten. Senorias wien Mine 
Oberfter in der Miliz. Jeſu Maria 9 Iofe! Wenn 
wir noch daran gedenken, rüttelt e8 und wie Fieber— 
froft. Wir waren drei Wochen Frank vor — 








*) Lies Guanajuado. 


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—) 209 &— 


Denken Sie fih, Senprias! fünf volle Stunden 
mußten wir zu Pferde fiben, und Keiner von unferem 
Servidumbre *) durfte fich und nähern, um über un— 
jere Berfon den Sonnenſchirm zu halten. Und die 
vielen taufend Gewehre, die alle mit Pulver geladen 
und mit Bajonetten bejpießt waren; jeden Augenblick 
waren wir in Gefahr, eines möchte zerplagen. Und 
ftechen ‚u fragte der alte Marquis fehr naiv, „pie 
Rebellen auch mit Bajonetten, und jehießen fie mit 
Pulver?u 

„Und mit Blei,“ verfeßte der Mayor domo troden. 

„Jeſu! Jeſu!“ ftöhnte er wieder und mit ihm die 
Uebrigen. „Ia, Ereifchte er, „das kommt Alles von 
der Aufklärung und den Neuerungen. Seit der Zeit, 
wo Se. Excellenz der Virey Revillagigedo **) nafe- 
weis genug waren, dem Volke klar und bündig vor 
Augen zu legen, wie e8 nur in der Ciudad Merifo 
allein hundertmal ftärker an Zahl jey, als unfere 
gnädigen Gebieter. Ei, diefe unglückjelige Volks— 





*) Dienerichaft. 

++) Diefe Volkszählung wurde im Jahre 1790 unternommen 
und der Virefönig, einer der wenigen rechtlichen Männer, 
die diefe hohe Stelle bekleideten, ſehr deßwegen getabelt. 


ek Br * Kr CP Ve ON TREE 
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—, 210 ⸗— 0 


zählung! fagt ja fehon die heilige Schrift, daß Don 
David dafür von Gott beftraft wurde; nicht wahr, 
Senorias?“ fragte der über feine Schriftgelehrfam- 
feit felbft erftaunte Marquis feine Mit-Cavaliere. — 

„Und dann feit der Zeit,“ fiel der Mayor domo 
ein, „wo man das ganze Meriko zwang, durch Bril- 
Yen zu fehen. — — Gi, Senores, die zweitaufend 
Kitten Brillen, die das Cadirer Conſulado von den 
Holländern erhandelt, und weßhalb wir, und unfere 
unbehosten und unbefchuhten Indianer, auf Anord⸗ 
nung Sr. Greellenz des Virey, Brillen bei hoher 
Strafe tragen mußten; Sengriad! wenn man das 
Rolf mit Gewalt zwingt, helle zu fehen, dann muß 
man fich die Folgen gefallen laſſen.“ 

Es entjtand wieder eine Paufe. Die komiſch ab- 
furde Thatſache, daß wirklich ein Volk von mehreren 
Millionen Menfchen gezwungen worden war, Brillen 


zu tragen, weil ein derfei Artifel, von der priviles 


girten Kafte der Cadirer Kaufleute erhandelt, ſonſt 


zu verliegen gedroht hätte, hatte die. Gavaliere in 


ihren Klagen über die Folgen der Aufklärung ganz 
aus dem Concepte gebracht. gen 






nn In UL. 





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* 


—— 


Eilftes Kapitel. 


So mancher Mißvergnügte war im Land, 
Die Macht verwünſchend, die tyranniſch band. 
Lara. 

Ein neuer Ankömmling, der unter dem Namen 
Donna Senora Sebajtiana Anna Mier-y T-n und dem 
Zufaße ‚„‚venida de su Exzellenza‘‘“*) angefündigt 
wurde, gab ihrem Sinnen auf einmal eine andere 
Richtung. 

Die Dame war reich, aber nichts weniger als ge- 
ſchmackvoll, in eine Menge jeidener Röcke von den 
grellſten Farben gekleidet, die ihrem untern Seyn 
einen Umfang gaben, der mit der platten, bretternen 
und übel arrangirten Taille nicht3 weniger als lieb⸗ 
lich eontraftirte. Die unmäßig hohen Abſätze ihrer 
Schuhe verliehen ihrem Gange überdiep etwas Wat- 
ſchelndes, fo daß ihr die Unterftügung des Cortejo, 
der mit ihr eintrat, wirklich zum Bedürfniß wurde, 
Diefer Cortejo war ein Mann von ftarfem Körper- 
bau, aber unangenehmen, ja widrigen Gefichts- 





*) Von ©r. Ereellenz angefommen. 


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⁊ — 212 a h 





zügen, mit einem ungemeinen Beſtreben, freundlich 


zu feheinen: eine Mifchung von höfifcher Abgeſchliffen⸗ 
heit und ſoldatiſcher Rauhheit, in ſteter greller Be— 


weglichkeit. Man ſah es dem Manne beim erſten 
Blicke an, daß er von einem raſtloſen Ehrgeize ge⸗ 
peitſcht wurde. Er trug die Uniform eines Staabs⸗ 
offtziers der königlich mexikaniſchen Truppen, Seine 
Schutzbefohlene, indem ſie den Saal hinauf ſchritt, 
hielt zwei ſeidene Stricke oder Schnüre, die an ihrem 
Gürtel befeſtigt waren, wohlgefällig zwiſchen ihren 
Fingern. An denſelben waren eine Menge Knoten, 
die Embleme der verſchiedenen Eroberungen, die das 
ſchöne Gefchlecht von Mexiko, wenn die chronique 
scandaleuse wahr fpricht, auf diefe Weife zur Schau 
zu tragen ſich nicht entblödet. Sie war augenfcheinlich 
mit wichtigen Nachrichten beladen, da fie, ohne die 
etwas umftindlichen Eintrittceremopnien zu durch— 
geben, ſchon an der Thüre den Gavalieren zurief: 


„Ah, Senores! Senores! So müſſen denn wir, die 


Donna Sebaſtiana, die Taube ſeyn, die die Freuden- 
botſchaft überbringt.“ 

Die Dame, nachdem ſie geſprochen, ſchien ſich auf 
einmal zu beſinnen, und trippelte zur jungen Condeſſa 


HERE. 


hinauf, die fo eben mit ihrem Gefolge weiblicher 
Dienerinnen eingetreten war, umarmte fie, und ent- 
Vedigte fich dann ihrer wichtigen Botfchaft in folgen- | 


den Worten: 


„Ah, Senorias! Senorias! Ah, meine Herr 
ſchaften!“ flüfterte fie, indem fie die Augen in füßer 


Entzückung verdrehte. „Ah, Senorias,“ wiederholte 


ſie zu den Kavalieren, die nun alle herbeigeeilt waren, 


um ſo viel als möglich in ihre Nähe zu gelangen. 
„Wiſſen Sie nun, was jene gnädig huldreichen Worte, 


die Se. Ercellenz füllen zu laſſen gnädigft geruhten — 


Wiſſen Sie auh? — O! Se. Ereellenz find ein aller= 
hiebfter, göttlicher Herr. Stellen fte fich vor,“ rief 
fie wichtig, „Sie haben die Vorhänge ihrer Loge 


‚ beim legten Akte ganz herabgelaffen; und Iturrigeray, 


der vulgäre, Liberäle. Iturrigeray, wiſſen Sie noch, 


‘er behielt fie immer oben, man Eonnte feine Cigarre 


rauchen. 4 

Damit unfern Lefern die Worte der Dame begreif- 
lich werden mögen, jo müſſen wir bemerken, daß das 
ſchöne Gefchlecht Mexikos feiner Lieblingsunterhal- 
tung des Cigarrenrauchens auch im Theater eifrig 


dann oblag, wenn die höchfte Standesperfon gnadig 
Der Virey. IL. 5 


—d 214 & 


geruhte, die Vorhänge ihrer Loge herabzulaſſen; eine 
Sitte, die gewöhnlich während des Zuiſhenalies 
ſtattfand. —JJ 


„Ja, Se. Excellenz ſagten,“ fuhr die Damefort— 


„Ah, Senorias!“ rief fie, mit ihrem Fächer wedelnd, 
nah, Senprias! — Nicht wahr, die Condeſſa Ruhl 
war ganz hocant? Ah, Senorias,“ aber der Sinn 
der divinen Worte: „Es ift bereit3 angekommen, das 
Eönigliche Paquet, verfiegelt mit dem — — 
ſiegel.“ — 

„Mit dem großen — u seten bir Siben⸗ 
männer ein. 

„Um am Namenstage Sr., geheiligten Majeftät 
geöffnet zu werden. « — 

„Geöffnet zu werden!“ kreiſchten die Kavaliere. 

„Se. Ereellenz haben uns ja dieſes bereits huld- 
reich zu eröffnen geruht,“ bemerkte der Conde Irun 
wichtig. 

„Ah, Se, Ercellenz, Se. Excellenz!“ wisperte die 


Sengra mit einer geheimnißvollen Miene.: „Aber _ 


wiffen auch meine Herrſchaften, wiffen Sie auch? — 
Ah, Senorias! Glückliche Nobilitad, deren Treue 


— 45 — 


von Sr. Majeftät auf eine fo eelatante Weife RER 
wird!“ 


„Honorirt wird!“ kreiſchten und ſchluchzten die ' 


Edelleute. 

Fünfundzwanzig!“ platzte die Donna heraus, 
num nicht länger im Stande, die Bürde ihres Geheim- 
nifjes zu tragen. 

„Fünfundzwanzig!“ fehrieen die ſieben Edelleute. 

„Fünfundzwanzig!“ überſchrie ſie die triumphirende 
Donna, „worunter vier Großkreuze. Die Camareria 
Ihrer Excellenz haben es mir unter dem Siegel der 
Verſchwiegenheit geoffenbaret.“ 

„Fünfundzwanzig,“ ſchrieen und kreiſchten und 
ſchluchzten die armen ſieben Kavaliere, und dann 
brachen ſie in einen Jubel aus, der es wirklich zweifel⸗ 
haft machte, ob ſie nicht Alle den Verſtand verloren 
hatten. Sie rauſchten in ihren ſeidenen Röcken an 
einander heran, umarmten ſich, küßten ſich auf die 
gravitätiſchſte Weiſe, wünſchten ſich und Mexiko Glück, 


trippelten auf die Dame und die junge Condeſſa zu, | 


umarmten Diefe, und wieder ſich untereinander, „fünfs 

undzwanzig und vier Großkreuze“ heulend ; felbft der 

Mayor domo wurde umarınt, und einem Pagen, der 
15* 


er Er Br 
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—H 216 — 


eingetreten war, um die Armleuchter vor den Schuß- 
patronen und Schußpatroninnen anzuzünden, wider- 
fuhr die gleiche Ehre. In ihrem Entzücken hatte die 
Geſellſchaft nicht bemerkt, daß der Graf mit mehreren 
Kavalieren eingetreten und, nicht wenig befremdet 
über die jeltfame Scene, eine Weile fprachlos da⸗ 
geſtanden war. Erſt als der Mayor domo ſeinen 
Herrn ankündete, ermannten ſich die armen Kavaliere, 
und Alle eilten auf ihn zu: „ Fünfundzwanzig, wor⸗ 
unter vier Großkreuze,“ jauchzend. * 

Die feinen Geſichtszüge des Weltmannes, weit 
entfernt, Spott oder Hohn blicken zu laſſen, ſchienen 
wieder eben ſo wenig die Freude oder Ueberraſchung 
ſeiner Gäſte zu theilen. Dieſes mochte auch der Fall 
mit Mehreren der Eheleute feyn, die mit ihm ges 
fommen waren. | 

„Die Ehre,“ ſprach er, indem er fich ringsumher 
verneigte, „die unſerem armen Hauſe widerfährt, den 
hohen Adel eben ſo unvermuthet, als herablaſſend, 
in dieſer ſpäten Stunde in unſern Mauern zu ſchen, 
iſt ſo überraſchend — — u 

„Conde!“ ſprach der Marquis, der unter dem 
zitel von Moncada aufgeführt war, „Conde!“ 


—9 17 — 


verſicherte er gravitätifch, „es macht Epoche in der 
Geſchichte a. rünfunbgigi | worunter vier 
Großfreuge — —“ 

„Bei der Mutter des lebendigen Gottes! jo macht 
es;“ ſprach Einer der Begleiter des Conde, im höch-. 
ften Unmillen. „Wirklich macht e8 Epoche in der 
Geſchichte Mexiko's, zu hören, wie fieben Hochadelige 
Mexiko's vor Freuden umberfpringen, daß fünfund- 
zwanzig unferer Söhne wie gemeine” gente irrazio- 
nale. zufammen gefangen und zur Armee ahgefanb 
werden. 4 

„Aber, Madre de Dios! tu viefen unfere fieben, Edel⸗ 
leute, höchlich verblüfft. „Aber, Madre de Dios!“ 

Es traten mehr und mehr Gäjte ein. 

»Der fehr edle Marquis de Grijalva irren,” Sprach 
der Graf, „in fofern Sie glauben, daß unfere Com— 
pairs fich über die gewaltfame Entreifung eines uns 
ferer wichtigften Fueros freuen, vermöge deſſen unfere 
Söhne, und vorzüglich unfere Eritgeborenen, als 
Mayprasgoherren vom Militärdienfte befreit find. 
Ihre Ueberraſchung ift mehr loyal, indem fte fich über 
die Huld Sr. Majeftät äußert, die dieſem Lande fünf- 


h, a a N 
Sa y NR a} nk 
” 


218 ⸗— 


undzwanzig Klein- und Großkreuze des Königlichen 
Ordens Carls II. verliehen hat.“ f 

„Que los llevan todos los Demonios de los diez 
y siete infiernos‘“*) fuhr der Marquis heraus. 
„Und wiffen Sie, Senores, was diefe Groß- und 
Kleinkrenze Mexiko Eoften? Ci, fie Foften ihm be— 
reit3 hundertundfünfzigtaufend feiner fleißtgften Ein- 
wohner, und hundert Millionen Escudos *). Sie ko— 
ften und unfere Balencianas, unfere Barrancos, unfere 
Beta negras**). Mexiko ift eine Wüfte, Puebla eine 
Wüſte, Valladolid eine Wüſte, Queretaro, San Louis 
Botofi eine Wüfte; das ganze Land in Aufruhr: Seno⸗ 
res; ich bürge Ihnen nicht dafür,“ fuhr der hißige 
alte Landedelmann fort, „daß Sie, die fo entzückt 
find über die Eönigliche Huld, von der übrigens Fer— 
nandos geheiligte Majeftät eben fo wenig wiſſen mag, 
als unfer Stiefel — — 4 

„Jeſu Maria y Joſe! er läftert, er Läftert!a ſchrieen 
Mehrere der Grafen und Marquis. 





*) So mögen fie alle Teufel ver. fiebzehn Höllen holen; 
llevan wird ausgefprochen: Ijevan. 

*) Biafter.. J 

**) Die berühmten Erzgänge von Guanaxuato, Bolanos und 
Sombrereto. 


en 


— 219 &— 


„Den Teufel auch läſtert er, « fuhr der Higige alte 
Greole fort. „Se. Majeſtät figen im Schloffe Balen- 


say irgendiwo in Panama und wiffen den Teufel, was 


in Spanien, und noch weniger, was in Mexiko vor- 
geht, und dann fagen wir, der Marquis von Gri— 
jalva fagt e8, daß wir ſehr in Zweifel find, ob Sie, 
Senores, bis zum Namenstage Sr. Majeftät auch 
noch einen ganzen No haben werden, um die könig— 
lichen Decorationen in einem gefunden Knopfloche 
Platz nehmen zu laſſen.“ 

Die Heftigkeit des Sprechers hatte die fieben Edel- 
Yeute mit einem Schauer erfüllt, der dem eines from— 
men gläubigen Katholiken vergleichbar jeyn dürfte, 
welcher einen verruchten Keßer auf fein Idol mit Art 
und Schwert zuhauen fieht. Sie zogen ftch insge— 
ſammt ſcheu zurüf. | 

„Wir können uns nicht verhehlen,“ fiel nun der 
Sonde ein, der inzwifchen mit den Empfange Der 
angefommenen Befucher befchäftigt geweſen war, 
„daß, ſo ſehr wir die allerhöchſte Gnade in Bezug 
auf die fünfundzwanzig Ordensverleihungen zu ſchätzen 
wiſſen, eine werkthätigere Hülfe um ſo nothwendiger 
ſeyn dürfte, als ohne dieſe der Ruin des Landes uns 


* 


2* 


220 — 


ausweichlich iſt. Im Thale von Cuernavaca gingen 
die vorletzte Nacht einundzwanzig Zuckerpflanzungen 
in Rauch und Flammen auf, und, wie wir leider Ur⸗ 
ſache haben zu vermuthen, auf Geheiß unſerer Gebieter.“ 

Der feine Weltmann, der Achtung für die Winde 
und Gnade des Negenten mit Schonung der Vor⸗ 
urtheile und Schwächen ſeiner Compairs jo gefchiekt 
zu verbinden wußte, hatte, indem er zugleich über die 
Urheber der Drangfale des Landes einen bittern Tadel 
ausſprach, ſchnell Anklang gefunden. 

„Jeſu Maria!“ rief Einer der Sieben, „Und und 
bringt unfer Ariero Nachricht, daß unfere Hacienda 
de Trigo*) San Francisco im Bario rein auöges 
plündert — 4 , 

„And unfere Neal bei Sombrereto — — 
fiel ein Zweiter ein — 

„Und alles Maſchinenwerk an — Shehhten 
an der Valenciana verbrannt und vernichtet,“ klagte 
ein Dritter. 

„Jeden Tag mehren ſich unſere Drangſale,“ jam— 





5) Land gut, zum Ackerbau eingerichtet, zum Unterſchiede von 
Hacienda de benefieio, das zum Bergwerfswefen einges 


richtet ift. 





—H 21 ⸗ 
merte der Vierte; „und felbft der heutige dia de fiesto, 
fonft nur beftimmt, Jubel zu verbreiten, hat die ganze 
Stadt mit Schrecken erfüllt. Man hegt die armen 
Indianer arger, als die Eoyotes. 

„Es find Nebellen, und zwar die Nebellen von 
Itzceuhar;“ bemerkte der Major, der als Cortejo der 
Donna gefommen war. 

„Denen man jedoch die Amneftie bei dem dreieinigen 
Gotte zugefichert, von allen Kanzeln verkündet hat, 

ſprach der Graf mit ſtarker, feierlicher Stimme. „Don 
Agoſtino Iturbido! Es war Ihre Escadron, die ſich 
dieſe überflüſſige Grauſamkeit im Angeſichte Meriko’s 
zu Schulden kommen ließ.“ | 

„Hohe Befehle, erlauchter Graf;“ erwiederte der 
Major mit einem tückiſchen Lächeln. 

„Wir haben nichts gegen Befehle zu erwiedern, 
wir, deren Schuldigkeit es ift, zu gehorchen;“ ſprach 
der Graf. „Aber wenn wir,“ und er jah den Major 
mit feinem durchdringendften Blicke an, „um von uns 
fern Gebietern ein gnädiges Lächeln zu erlangen, 


unſer Land noch unglücklicher machen wollen, a8 


unſere Gebieter — und wahrlich, wir thun es, — 
dann dürfte die Zeit bald kommen, wo Dieſe uns 


ah 





m — 


ſelbſt ftatt der —*— Indianer in bie Svoeadien | 


\jenden werden. 

„Es verdad!‘“ riefen mehrere Sri, von der 
Wahrheit getroffen. „Der Anfang dazu ift bereits 
gemacht, und unfer älteftes Privilegium ift uns heute 
entrifjen. Man fendet unfere Erfigeborenen zu der 
Armee, ohne es auch nur der Mühe werth zu halten, 
ung zu jagen — 4 

„Das wollen wir,“ ſprach eine hell Elingende, aber 
harte Stimme, die einem jungen Manne angehörte, 
der, in der linken Hand ein verfiegeltes Packet, in der 
rechten ein Augenglas, die Gefelichaft gemächlich 


vornehm mufternd in den Saal getreten und fich dem. 


Grafen genähert hatte. Er war von vornehmer Ge— 
ftalt, Yeicht und gewandt, hatte jedoch in feinen Blicken 
etwas vom Baftlisfen. Als er die Creolen flüchtig 


überfehen und vornehm leicht begrüßt hatte, übergab 


er dem Conde mit einer tiefern Verbeugung und den 
Morten: „der Wille Sr. Excellenz,“ das Packet. 


„Wir wiſſen doch nichts im Palaſte, daß Se. Herr⸗ 


lichkeit eine Tertullia in Ihrem Haufe haben, « be⸗ 


merkte der Höfling lächelnd während der Todten— 


ſtille, die ſein Eintritt verurſacht hatte. „Doch haben 





tee — 


—H 223 — 


fih Se. Herrlichkeit vieleicht nicht der hohen Re— 


gierungs-Entfehliefung erinnert, in Folge welher" 


feine Zufammenkunft, was immer für einer Art, ohne 
‚die ausdrückliche Genehmigung von Sr. Ereellenz in 
Mexiko ftattfinden folle. 

„Wir Haben von einem folchen Erlaſſe gehört,“ 
verfeßte der Graf, „und würden nicht ermangelt ha⸗ 
ben, demjelben Bolge zu leijten. Doch, wie Don 
Ruxy Gomez fehen, fo ift e8 ein bloßer Willkommens⸗ 
bejuch Ihrer Herrlichfeiten, die und die Ehre ange- 
than haben, uns zu unferer Ankunft in Mexiko Glück 
zu wünſchen.“ Der Graf hatte feine Worte mit einer 
Verbeugung an die Eheleute begleitet. | 

„Sr. Herrlichkeit zu Ihrer Ankunft in Mexiko 
Glück zu wünschen, * fielen mehrere Kavaliere mit jener 
Ideenübereinſtimmung ein, die wir an den hoben 
Gliedern der Ariftofratie haufig nach einem erquick— 
lichen Diner bemerken, wenn die volle Befchäftigung 
der VBerdauungswerfzeuge es unräathlich macht, ihre 
Verrichtungen Durch ftörende Geiftesanftrengung zu 
hemmen. 

Se. Herrlichkeit find ſehr glücklich in der Achtung 
i Ihrer Compairs,“ meinte.der Höfling, „die jedoch, 


— u 


die Wahrheit zu geſtehen, eine fttfame € Stunde zu 
ihren Achtungsbezeugungen gewählt haben.“ 

„Wenn Don Ruy Gomez der Meinung find“ — 
fielen zehn Edelleute erfehrorfen ein — 


„Wir leben in Zeiten, Senor, wo fich jeltfamere 


Dinge zutragen — 4 bemerkte der Graf, der während- 
dem das Siegel des Packets aufgebrochen hatte. 
„Es ift für Euer Herrlichkeit Privateinfichtz“ be— 


deutete ihm der Höfling mit einiger Saft, und nicht. 


ohne Mißbilligung. 

„Perdon denn,“ verſetzte * Sraf, „doch finde 
ich bloß die Neifepaffe unferes Neffen Don Manuel 
und den Befehl, der ihn morgen früh in die Madre 
Batria abjendet; ob als Gefangener oder Berwiefener, 
weiß die heilige Jungfrau und Se. Ercellenz allein —“ 

„Was immer die Befehle Sr. Ercellenz feyn mö— 


gen,“ verfeßte der Privatfefretär wichtig, „fo werden 
Eure Herrlichkeit wohl thun, ſich ganz Hochdero Willen 


zu fügen, der, wie Sie wiffen, immer fehr gnädige 


Nücfihten für das erlauchte Haus Conde Sen 


hatte. « 


Der ſchneidend bitter hohnlächelnde Son indem 


die ganze Unterhaltung vom Privatfefretär des Sa— 











—, 25 ⸗— 


trapen angefangen und fortgeführt worden war, 
eontraftirte jeltfam mit dem höfifchen, abgemeffenen 
und zierlichen Worten, die er zu ftellen wußte. 

„Wir find ganz son der Gnade Se. Ercellenz gegen 
unfer armes Haus durchdrungen, #entgegnete der Eon 
de, „obwohl wir diefe Heberrafchung nicht vermuthet 
hatten. Zwar ift Dom Manuel nicht unfer Sohn. 
Mir felbft ftehen einfam,“ fuhr er mit einer weichen 
Stimme fort, „aber wir fühlen als Vater. Es ſcheint 
jedoch, unſer Neffe habe die Aufmerkſamkeit und ſelbſt 
die Gunſt Sr. Excellenz ſehr ſchnell und in hohem 
Grade zu erwerben das Glück gehabt. Es überraſcht 
uns dieſes einigermaßen.“ 

Dieſe Worte, im verbindlichſten Tone ausgeſpro⸗ 
chen, ſchienen nun wieder den Höfling verlegen zu 
machen, der den Grafen forſchend anſah. 

„Eben ſo,“ fiel der Marquis Grijalva ein, „als 
wir für die Aufmerkſamkeit Sr. Excellenz verbunden 
ſind, die ſo unerwartet geruhet, unfere Söhne mit 
dem porte-Epee zu beehren. « 

„Es ift traurig, Don Ruy Gomez,“ * ein 
Zweiter an, „daß die Fueros unſeres Adels ung ſelbſt 
in unferem Blute nicht ſchützen können; Don Ruy 





* 
; — 6 — 
‚Gomez find die rechte Hand Er. Excellenz, und wenn 
Deroſelben Fürſprache — 4 ri: 


Mehrere Kavaliere drängten fich fofort um die 
wichtige Perfonage, die eine entfprechend protegivende 
Miene anzunehmen begann, die aber Durch eine plöß- 
lich finftere Wolfe wieder verfcheucht wurde. 

„Und ift es wirflih Sr. geheiligten Majeitäat 
Mille ?u fragte der Marquis Grijalva; „iſt e8 wirf- 
lich fein Wille, daß die Erſtgeborenen des megikani- 
ſchen Adels ihrer Privilegien verluftig geben ſ ) h 
Wir haben,“ fuhr der derbe, aber etwas ſimple Gonde . 
fort, „ein altes Buch, in dem es gedruckt ſteht, daß, 
wenn ein Edelmann ſich vor dem Justicia de derecho 
einſchrieb, und ſo Sicherheit gab, daß er vor ſeinen 
Richtern erſcheinen würde, dieſer jetras inhibitorias | 
gab, welche ihn vor aller Gewaltthätigkeit an nei and 
Gütern ſchützten, bis er förmlich nach den Gefetzen oder 
Privilegien gerichtet war. Wurde der Juſticia oder ei⸗ 
ner feiner Lieutenants für irgend’einen folchen Verhaf⸗ 
teten um Hülfe angeſprochen, fo fertigte er die Manife- 3 
stacion aus, das heißt:.er nahm den Gefangenen in 3 
feine Obhut, und fand e8 ſich, daß er wider die Burros | E 











—9 9 — 


oder ohne fürmlichen Rechtszuſtand verhaftet war, fo 
ſetzte er ihn in Freiheit. Auch fagt daſſelbe Buch —*) 

Der Sprecher, der, wie er fich nach Landjunfer- 
MWeife naiv ausdrückte, ein Buch hatte, in dem diefe 
alten Privilegien ftanden, die wirklich für Spanien 
bis zum Jahre 1519 eriftirten, hielt in feiner Erpo— 
fition plöglich inne. Der Geheimfefretär hatte ihn 
nämlich mit einem Blicke angefehen, jo höhniſch und 
böswillig, daß der alte Geſetzforſcher ganz aus ber 
Faſſung Fam. 

„Und haben Euer Kerrlichkeit, u fragte der Höfling, 
indem er den Sprecher hohnlachend vom Kopfe zu 
den Füßen maß, „wirklich ein folches Buch ? Wahr- 
fcheinfich in Kalbsleder eingebunden?“ fuhr er nach 
einer Baufe mit demſelben Hohne fort. „Als Ant- 
wort auf Ihr Buch wollen wir Euer Gnaden jagen, 
dag Ihre Söhne ihrer Fueros verluftig worden find, 
weil fie fich deren durch ein disloyales Betragen un= 
würdig gemacht haben. Danken Sie es der Milde 
Sr. Excellenz, daß Hochdieſelben, aus Rückſicht für 
die Treue der Väter, das Verbrechen der Söhne nicht 





*) Die ſpaniſche Habeas⸗Corpusakte. Sie wurde von Carl I. 
(als römischer Kaifer Carl V.) aufgehoben. 


ſchärfer heimgeſucht RR ala uch e e Strafe, 
die,” jeßte er Hinzu, „ſelbſt ſpaniſche B 08 f 
eine Belohnung angejehen haben. | Wahrli 
Yiere, Die fich erfrechten, Pasquille gege n die llig 
Perſon Sr. Majeſtät anzuhören, find febr hu Toyo! 
Sie werden es geftehen, "durch ein goldene Porte- 
epee beitraft. 







Die Urſache des Gewaltferittes, der. vier er | 


zwanzig Söhne der erften Samilien ihrer Privilegien 


beraubte, und fie zwang, die Waffen wider ihren 


Willen zu ergreifen, war jomit an das Tageslicht 
gekommen. Die Gavaliere, die von dem Schickſale 
ihrer Söhne während der Cour und des darauf fol- 
genden Theaters nichts, oder bloß dunkle Gerüchte 
und die oben erwähnten myfteriöfen Infinuntionen 
de3 Satrapen vernommen, und erft jebt Aufklärung 
über die Urfache erhielten, die ihre Söhne, ohne daß 


fie gehört oder zur Verantwortung gezogen worden 
wären, verdammte, unter einem blutdürftig rohen 
Manne zu dienten, wurden fo gänzlich durch die Worte 
des Höflings eingejchlichtert, daß auch Fein Gingiger 


etwas zu eriwiedern verfuchte. 
„Ihre Söhne, Senores,“ fuhr der Geheimfefretär 





9 29 — 


mit paniſcher Grandezza und Schonungsloſigkeit fort, 
„werden unter dem unüberwindlichſten Helden, der 
die Rebellen bei Aeulco, bei Marfil und an der Brücke 
von Calderon vernichtet, der von Sr. Majeſtät jelbft 
hochgeehrt find, unter dieſem Helden werden fie die 
Zucht und die loyalen Gefinnungen lernen, die fie im 
Verkehre mitrebelliichen Gavecilla's vergefl en zu haben 
ſcheinen. ⸗ 

„Wenn,“ ſprach der Conde, „die Mayorasgo— 
herren, unſere erlauchten Compairs, ſich jo weit ver- 
geſſen haben, Pasquille auf Sr. Majeſtät geheiligte 
Perſon anzuhören, dann können wir fie bloß der be— 
fannten Milde Sr. Excellenz anempfehlen und von 
ihrem väterlichen Derzen Milderung ihres Schickſals 
erflehen. Se. Excellenz werden jedoch vielleicht Gnade 
für Recht angedeihen laſſen, in Anbetracht, daß dieſe 
Anſchließung unferer Söhne an die königlichen Trup— 
penforps die Nebellen noch mehr in ihren Grimme 
gegen den Adel beftärken müſſe, defjen loyale Treue 
ohnedem bereit3 der Opfer fo viele gebracht, und der 
yon Freund und Feind fo bitter heimgefucht worden ift.“ 

„Die Rebellen," bemerkte der Geheimſekretär, „ha— 
ben nach unferm geringen Ermefjen den hohen Adel 

Der Virey. L | 46 


—H 30 &— 
nicht graufamer heimgefucht, oder fi) gegen ihn mehr 
erfrecht, als fie e8 gegen die. unveräuferlichen Rechte 
Sr. Majeftät felbft gethan haben, und wenn der hohe 
Adel Opfer gebracht hat, fo ſollte, nach unſerm ge⸗ 
ringen Ermeſſen, Derfelbe, weit entfernt dieſes zu 
bedauern, vielmehr in diefen Opfern gloriren, da fie 
mit dazu dienen, der geheiligten Majeftät einen Be— 
weis feiner unbegrängten Treue zu liefern. Oder wie 


würde Sonde Denjenigen nennen, der in einem folchen 


Kampfe Schonung von den Rebellen hoffen oder er= 
bitten, oder Nebenrückfichten geltend machen würde 94 

„Don Ruy Gomez gibt und eine Erklärung, 4 ver— 
jeßte der Gonde, „die eben jo loyal als richtig ift. Was 
und und unfere Compairs betrifft, jo ftehen unſere 
Güter, unfer Blut Sr. Majeftät ganz zu Dienften, 
und wir find eben fo weit entfernt, Schonung von 
den Rebellen zu erwarten als anzufuchen. Aber Don 
Ruy Gomez wird bemerken, daß Staatsklugheit eben 
jo jehr erfordert, dag man die Kräfte der Getreuen 
ſchone, als die des Feindes vermindere, und daß Sr. 
Majeſtät Intereſſe weit mehr gefördert werben dürfte, 
wenn Diejenigen, deren Grundſätze anerkanntermaßen 


a da un 3 r £ —— —* — 
— A 0 


—, 331 ⸗— 


loyal find, auch in den Stand gefeßt werden, die Re— 
gierung zu unterftügen. « 

»Die Regierung zu unterftügen ?« wicherhokte der 
Geheimjefretär mit dem bitterften Hohne; „die Re— 
gterung zu unterftügen ?” fprach er mit wegwerfender 
Verachtung. „Wir haben immer geglaubt und find 
immer gelehrt worden, dag Se. Majeftät der unum— 
ſchränkte Gebieter in allen ihren Landen und über 
alle ihre Untertbanen und deren Güter find, Nie— 
manden Rechenſchaft zu geben jehuldig, als Gott 
und ihrem Beichtvater. Wahrlih! es ift uns jehr 
befremdend, bier eine ganz neue Xehre aufgefteltt zu 
hören. 

„Niemand zweifelt daran,“ fiel der Marquis Gri- 
jaloa ein, „daß Se. Majeftät unumſchränkter Gebieter 
unferer Habe und unfjeres Lebens find; aber wo 
nichts ift, jagt unfer Sprichwort, da hat des Königs 
Majeftat felbit das Necht verloren, und wenn unfere 
gnädigen Gebieter noch eine Weile auf diefe Art _ 
haufen, dann wird des Königs geheiligte Majeftät 
ihr Recht bald verloren haben. + 

„Das ift ein Grito! Aufruhr! Rebellion!“ ſchrie 
der Geheimſekretär, im höchſten Zorne erglühend. 

16* 


232 — 


„Uno grito! Rebellion!“ ſchrie ihm der Major 
und zehn Edelleute nach, und im Augenblicke herrſchte 
ein Tumult im Saale, der, bei der außerordentlichen | 
Beweglichkeit der Gavaliere, beinahe in Thätlichkeiten 
auszubrechen drohte. Mehrere Tiefen ängſtlich im 
Saale umher, „uno grito, Jesu Maria!‘“ ſchreiend. 

„Wir haben zu viel yon den Gefinnungen Ihrer 
Herrlichfeiten gehört,“ ſprach der Geheimfekretär mit 
Yauter, erhobener Stimme, vum und nicht veranlapt 
zu finden, Ihnen im Namen Sr. Ercellenz anzudeu- 
ten, augenblicklich die Caſa Sr. Herrlichkeit zu räu— 
men und®fich fofort nach Haufe zu begeben.“ 

Diefe fonderbare Weifung, an mehr denn zwanzig 
Glieder des erften Adels von Mexiko in feiner eige- 
nen Hauptjtadt gegeben, war nicht ſobald ausgefpro= 
chen, als auch die Mehrzahl ſchon Anftalten machte, 
derfelben mit aller nur möglichen Haft Folge zu lei= 
ften. In unausfprechlicher Angft rannten diefe armen 
Gavaliere nach der Thüre, und fingen an nach ihren 
Hüten und Mangas zu ſchreien. 

„Wenn Se. Excellenz,“ fprach der Conde, „Don 
Ruy Gomez zu dieſem Befehle ermächtigt haben, dann 
müſſen die Cavaliere gehorchen, denn der Wille Sr. 


233 ⸗— 


Excellenz, gleichviel ob gerecht oder ungerecht, ift Ge⸗ 
ſetz im Lande. Wenn jedoch Don Ruy Gomez aus 
eigener Machtvollkommenheit den unſchuldigen Be— 
weis von Achtung, den unſere Compairs uns zu 
geben für gut befunden — —“ 

„Bemühen Sie ſich nicht, Senor Conde,“ unter- 
brach ihn der Geheimſchreiber mit einem ſchnöden 
Seitenblicke; „was wir gethan, werden wir auch zu 
verantworten wiſſen.“ 

Mehr denn zehn Cavaliere hatten ſich nun an die 
Thüre gedrängt, wurden jedoch in ihrem Eifer, dem 
verbrecherifch Liberalen Saale zu entfliehen, durch) 
einen ſtaubbedeckten, fehmeißtriefenden Mann in 
brauner Jade und rothfammtner Wefte und braunen 
Lederfamafchen, aufgehalten, der in ftürmifcher Eile, 
von mehreren Dienern eingeführt, in den Saal 
drang, und dem Grafen ein verfiegelted Schreiben 
überreichte. Diefer riß das ſchmutzige Couvert weg, 
überflog das Papier, und wandte ſich dann mit dem⸗ 
ſelben marmornen Ausdrucke im Geſichte zum Ge— 
heimſekretär, dem er einige Zeilen zu leſen gab. 

Der junge Höfling war augenſcheinlich in der 
großen Hofkunſt noch nicht ſeit langer Zeit einge— 


a 
) YET 


—234 — 


weiht; denn das vorige Sohnlächeln war wie ein 


Aprilſonnenſtrahl vor dem wieder hereinbrechenden 


Nebel verſchwunden, ſein Geſicht nahm einen feierlich 
ehrfurchtsvollen Ausdruck, ſein ganzes Benehmen 
einen Anſtand an, von dem früher auch nicht die lei⸗ 
ſeſte Spur zu vermerken geweſen. 

„Jeſu Maria! Was iſt's? Was gibt's?“ ſchrieen 
nun die Cavaliere, die mit athemloſer Spannung dieſe 
Symptome einer veränderten Gemüthsſtimmung im 
Geſichte des Herrendieners geleſen hatten. 


„Sie werden es hören, Senorias,“ wandte ſich 


der Conde mit derſelben ehrfurchtsvollen Gelaſſenheit 


an ſie, „wenn Sie ſich bis zu unſerer Rückkehr ges 


dulden wollen, gegen die nun hoffentlich Don Ruy 
Gomez nichts ferner einzuwenden haben wird. Se— 
norias!“ fuhr er mit erhöhter Stimme fort, „die 
Nachrichten, die uns unſer Correo ſo eben gebracht, 
find von einer ſolchen Wichtigkeit, daß wir nicht um- 
bin fönnen, fogleich zu Sr. Excellenz zu eilen, um 
jelbe Hochdenfelben zur hohen Einficht vorzulegen, 


wobei wir Se. Herrlichkeit den Marquis Grijalva 


erfuchen, ung zu begleiten, und wenn eg, wandte.er 
fich zum Geheimfchreiber, „von einem ſpaniſchen Hi— 


N 


# 


dalgo nicht zu viele Herablaſſung ift, einen Sit im 
Magen eined armen merikanifchen Grafen anzuneh- 


men, fo bieten wir diefen Don Ruy Gomez ehrfurcht3= 


vol an.“ 

Kein Zug von Spott oder Hohn zeigte fich bei 
diefen Worten in den Mienen de8 Grafen, und es 
blieb zweifelhaft, ob jeine Einladung nicht mit der 
überreichlichen Demuth eines Greolen, gegenüber fei= 
nem ſpaniſchen Gebieter, auögefprochen war. Der 
Geheimfekretär fihien fie wenigftend ganz in diefem 
Sinne zu verftehen. 

„Wir nehmen,“ fprach er ſtockend, obwohl mit 
aller ſpaniſchan Grandezza, „das Anerbieten Sr. Herr⸗ 
lipfeit des Conde San Jago an.“ 

Die Beiden entfernten fich unter dem Vortritte des 
Mayor domo und mehrerer Diener, und bald darauf 
verfündete das Raſſeln einer Kutfche ihre Abfahrt. 


— 


J 


I FR 1 $ EL ME 
—— 


26 — 


Bwölftes Kapitel. 
Die Hölle iſt ledig 
Und alle Teufel hier. 
Shaflspeare. 
Noch war die Gefellichaft über die plößliche Ver- 
wandlung des Geheimfefretärs, und den eben fo un- 
erwarteten, als der fehuldigen Ehrfurcht zumiderlau- 
fenden Beſuch Eines ihrer Glieder bei der höchſten 
- Berfon des Königreiches in bangen Bermuthungen 
und Zweifeln befangen, die bei den näheren Freun— 
den des Grafen in die ängftlichiten Beſorgniſſe über 
das Gewagte des unerhörten Schrittes übergingen, 


als ein furchtbar gellendes Gehbeul, das aus taufend 
Kehlen auf einmal hervorzubrechen fehien, ſo gewal⸗ 


tig an die Fenſter des Haufes anſchlug, daß die Scheis 


ben zitternd erflangen. Das Geheul, ſchrill und gel- 


Yend, rollte wie in einem mächtig langen gezogenen 
Stoße durch die Lüfte, und prallte aus der großen 


Entfernung wie in einem Focus an das Gebäude, 


bielt eine Weile an, erftarb und brach von neuem los, 
tobender als zuvor: dann lief e3 wie ein Lauffeuer 


— 237 & 


die Gebirge Tenochtitlans hinan, mo e8, in eim furcht⸗ 
bares Echo von taufend und abermals taufend Stim- 
men vereinigt, über das ganze Thal hinüber rote. 

Ein allgemeines Entfegen hatte fich der Zurückge— 
bliebenen bemächtigt. | 

„Ya escampa yllevan guijarras !‘*) ſpraäch der. 
Mayor domo, deffen bleich braunes Geficht eine plötz⸗ 
liche Röthe überflogen hatte. — „Nun ift der Teufel 
198, daS bedeutet etwas mehr als das tolle Lärmen 
der Leperos drüben in Mexiko; das fommt von den 
Klüften Tenochtitlans und den Schluchten Tacubayas 
herüber. Patiencia Senores!“ berubigte er die im— 
mer ängſtlicher umher trippelnden, und wieder furcht- 
ſam horchenden Creolen; Pedro, Cosmo und Hiero- 
nymo laufet hinauf gegen Gapultepec! und Itztlan, 
fomm ber, Junge!” — 

Und mit dieſen Worten öffnete der alte Mann die 
Fenſter, und ſah in die Nacht hinaus. Es war eine 
ſternenhelle Nacht. Von Itztaccihuatl fuhr zuweilen 
ein greller Lichtſtrom, von einem dumpfen Donner 





*) Buchſtäblich: Endlich ergießt ch der Himmel und es rege 
net Kiefelfteine. 


— 38 > 
begleitet, herüber und rollte über das Thal hin, ı ' 





dann fiel das Geheul und Gebrülle der unſichtharen | 


Menge jo majeftätifch ein, daß es für einen Augen- 


blick ſchien, als vereinige ſich der Donner des Him⸗ 


mels mit der Stimme des Volkes, um im nächtlichen 
Schrecken ihre Allgewalt zu verfünden. * 

„Der Itztaccihuatl,“ ſprach der Mayor domo, un⸗ 
gemein feierlich, „der raſet heute, und ich brauche es 
Ihro Herrlichkeiten nicht erſt zu ſagen, daß dieſes Un— 
glück und Jammer für Mexiko bedeutet. Die Gave— 
eillas find Hinter Capultepec, und fie brüllen von der 
Tacubaya-Straße herüber und ziehen fich gegen 
Buenvista hinauf. — — Sa, ja, es find Die Gente 
irrazionale, fie toben, und wenn Die anfangen 
zu toben, dann Gnade Gott Mexiko. — Ei, fie wit- 
tern auf, und fie wittern weit; auf fünfzig Meilen 
fpüren fie was vorgeht.“ | 

„Jeſu Maria!“ riefen die geängſtigten Edelleute 
wieder. 


„Gi, die Indianer,“ fuhr der alte Mayor domo . 


fort; „fie haben freilich Eeine Gazetta, feine Correos; 
aber fie wiffen befjer was. vorgeht, als die Ercellenza 
im Palafte, und wenn ihrer noch zehn mehr darin- 





⸗ 
ie Me — 





a ——— 


17 
Un, 


— 39 — 


nen wären, und ich wette — Itztlan kann ung über 
ihr Gebrüll befjer Auskunft geben, als es morgen die 
AUügenhafte Gazetta thun wird. Itztlan,“ wandte er 
ſich zu dem Indianer — „was bebeutet das Geheul?“ 

„Die Gachupins werden es morgen erfahren,“ er— 
wiederte der Indianer trocken. 

„Jeſu Maria!“ riefen wieder zehn Stimmen. 

„Hisht, Senorias! Kennen Ihro Herrlichkeiten die 
rothe Natur ſo wenig, daß ſie durch Lamentationen 
herausbringen wollen, was er, wenn er es vermeiden 
kann, nicht von ſich geben wird? Patiencia, Seno— 
rias! und bringen Sie mir den Indianer nicht aus 
ſeinem guten Willen.“ 

Dieſer hatte abermals aufmerkſam gehorcht. Er 
wandte ſich plötzlich, und wie es ſchien mißmuthig. 
„Die Patrioten werden Mexiko noch viele Tage nicht 
ſehen,“ murmelte er zwiſchen den Zähnen, und dann 
entfernte er ſich. | ? 

Das Geheul näherte fih auf einigen Punkten, und 
dann ging es in ein wirres Geſchrei über, das der 
Billa immer näher kam. Ein Haufe der Schreier war 
bis auf taufend Schritte angekommen, und brüllte 
mit furchtbarem Geheule: „„Mueran los gachupinos! 


mw 


Viva Morellos nuestro libertador"y se 3 
de Cuautla Amilpas!“*) Gleich darauf vaffelte es 
anı Sausthore. Die ganze Villa gerieth in Aufruhr. 

„Jeſu Maria, 108 Gavecillas — die Rebellen!“ 
ſchrieen mehrere Stimmen. 


Der Schreden unferer armen Kavaliere he 


den höchften Grad bei dieſer furchtbaren Nachricht. 
Sie Tiefen zitternd und zagend im Saale umber, „los 
- Gavecillas“ heulend und freufchend. Mitten unter 
ihnen der Mayor domo, fie ermahnend, bittend, be⸗ 
ſchwörend, ihre Würde nicht ſo ſehr zu vergeſſen. 
Alles vergebens — „Paz Senorias!“ ſchrie der alte 
Mann endlich in Verzweiflung. 

„Paz, Senorias!“ fehrie er ftärfer; doch Die ge- 
ängftigten Creolen hörten die Stimme des Dieners 
nicht. In ihrem Schrecken hatten fich Einige vor den 
Schugheiligen niedergeworfen, Andere rannten zähnes 


Elappernd im Saale herum, wieder Andere fitähten 
fih Hinter den Dienern und rn den Dane: zu 


verbergen. 





*) Tod den Gachupinos (Spanier). Es lebe Motels fe 
DBefreier, ver Sieger von Suautla Amilpas. 4 





; 
q 
f 


er ch 





— MM 


+ n Der Conde!“ rief endlich der Mayor domo in der 
höchften Tonleiter feiner heißer gellenden Stimme. 
„Der Gonde, Senorias!“ | 

„Der Conde — wo tft er — der Conde?“ riefen 


Alle. 


„Gegangen,“ erwiederte der. Mayor domo, „um 


‚mit Sr. Excellenz zu fprechen, und die Gaverillas ſo— 


gleich zu verjagen.“ 

Und gleich geſchreckten Kindern, denen ihre Amme 
die Zuficherung ertheilt, daß ihr Bapa ſogleich wie 
der kommen werde, um das Nachtgeſpenſt zu ver— 
treiben, fingen unſere Grafen und Marquis an ſich 
allmälig zu beruhigen, und der Mayor domo, nach— 
dem er ſo die ſchwachen Geiſteskräfte ihrer Herrlich— 
keiten glücklich auf einen Punkt concentrirt, der fie 
für einige Zeit zu befchäftigen verfprach, ergriff nun 
feinen Amtsftab, um die Diener zu ordnen, die mit 


Erfriſchungen ankamen. 


»Don Agoftino Iturbide, Por el amor:de Dios 
— Wo ift Don Iturbide?“ fehrieen BR Jeſu 
Maria, auch Der iſt weg!“ 

Der Major hatte fi) während deö Tumultes aus 
dem Saale gefshlichen, wobei ihm. der Mayor domo 


120 


und fjümmtliche Diener mit Blicken —— die, 
zum Wenigſten geſagt, für den Mann — ſchmei⸗ 
chelhaft waren. # 

„Laſſen Sie Den, Senorias,“ A der Greis 
ungemein ernft und mit einem Nachklange der tiefften 
Verachtung. „Sie verlieren nichts an diefem Don 
Iturbide, fo groß und ſtark er ift. Wollte Gott, er 
ginge, und recht weit von Merifo; — * Sie es 
mir.“ 

„Anſelmo, was iſt Div wieder?“ fragten Mehrere. 

„Vienga tiempo, vienga consejo,“ ſprach der 
Mayor domo feierlih. „Kommt Zeit, fommt Rath.“ 
Unfer Sprichwort fagt: A picaro, picaro y medio. 
Mit einem Schurken ſey ein Spitzbube und ein halber 
drüber, und Senorias, Don Agoftino ift der Mann 
darnach. Vienga tiempo, vienga consejo;“* ſchloß 
er, worauf er feine Dienerfchaft ordnete, die num, 
zwei Mann hoch, die mannigfaltigiten Erfriſchungen h 
und Getränke in filbernen Geſchirren auftrug. 4 

Der Klang Friegerifcher Inftrumente, der durch die 
Benfter drang, unterbrach auf einmal die Stille, die 





eingetreten war. ” 4 j 
Es war die herrliche Janitſcharenmuſik der Regie 











— 243 ⸗— 


menter de la Reina und del principe de Paz,*) 
die fich nun auf der Strafe näherten, die durch den 
Paseo nuevo Capultepec vorbei nach Tacubaya hin- 
aufzieht. Der ergreifende Anklang der Friegerifchen 
Muſik brachte bei den Cavalieren ganz diejelbe Zau— 
ber ähnliche Wirfung hervor, die wir früher an der 
fogenannten Gavilla'zu bemerken Gelegenheit hatten. 
Der raſche Aufmarſch einer zahlreichen Cavallerie 
wurde zugleich hörbar, und diefe verfeßte die Gefell- 
ichaft eben fo plößlich als unerwartet in die entgegen- 
geſetzten Ertreme. Die athemloſe Stile, die bei. dem 
erſten Trompetenſtoße geherrſcht hatte, wich allmalig 
Ausrufungen des Entzückens; die Gavaliere began- 
nen regelmäßig den Takt zur Muſik mit ihren Hän— 
den und Füßen zu fchlagen, und vergoffen wieder 
Freudenthränen, umarmten fich wieder und trippel- 
ten im Saale herum gleich Schiffbrüchigen, die dem 
offenen Wellengrabe durch ein herannahendes Segel 
entriffen. werden, und ftießen jubelnd mit ihren Glä- 
fern auf das Verderben der Patrioten an. Je länger 
der Zug währte, defto ungenirter und ungeſtümer 





*) Der Königin und des Friedensfürſten. 


+ 





wurde ihre Freude, und ſelbſt ihr Muth fing an zu 
erwachen, und dieſelben Patrioten, deren bloße Er— 
wähnung ſie noch eine halbe Stunde zuvor in pani⸗ 
ſchen Schreck verfegt hatte, wurden num Gegenftand 
des beifendften Wites und einiger recht artigen bon- 
mots. Auf die Gavallerie waren mehrere Infanterie- 
Pegimenter und ein ziemlich bedeutender Artillerie⸗ 
Train gefolgt, die, im hellen Fackelſchein vorbei defi⸗ 
Virend, wirklich ein anziehend Eriegerifches Nachtſtück 
darjtellten. Gin lautes Vaya vmd con Dios y con 
la Vierge folgte den Truppen von Seiten der Cava⸗ 
liere, ein brummendes Vaya vmd con eien mil De- 
monios von Seiten der Diener. # 

Als der letzte Pferdehuf verklungen war, wurde 
das Raffeln eines Wagens gehört, und ehe noch die 
entzückten Creolen aus ihrem kriegeriſchen Enthuſias⸗ 
mus erwachten, ſtand der Conde San Jago wieder 
unter ihnen. ; 





225 & 


Dreizehntes Kapitel. 


Bon folden Sachen fpricht ſich's beffer drinnen, 


Meint er. 
Beppo. 


„Dios sea labado!“ fchrieen unfere armen Cava⸗ 
liere, mit einer Energie, die beinahe Herzlichkeit und 
Manneskraft verrieth; doch ſich eben fo ſchnell ver 
beſſernd, hielten ſie in ihrem haſtigen Drängen an 
und ſahen dem Grafen ſtarr und forſchend in's Ge— 
ſicht. Auch kein Zug hatte ſich im Geſichte des feinen 
Weltmannes verändert, und mit der feinen Gelafjen- 
beit, die den wahren Ariftofraten charafterifirt, be— 
grüßte er zuerft-feine Gäfte und ſprach dann: 

„Perdon, Senorias, dag Nothwendigkeit und 
zwang, Ihre Herrlichkeiten in einem Augenblice zu 
verlafien, und unfern Beſuch bei Sr. Excellenz auf 
eine Weife zu verlängern, die im gegenwärtigen kri— 
tifchen Zeitpunfte Sie vielleicht in einige Unruhe vers 
ſetzt haben dürfte.“ 

Zwei Dinge ſchienen in der Nede des beſonnenen 
Edelmannes aufzufallen. Die Entfehuldigung des 

Der Virey. 1. 17 





26 
Beſuches bei der Excellenz und das Bedauern, daß 
die Verlängerung dieſes Beſuches ihnen — den Ca⸗ 
valieren — einige Unruhe verurſacht haben dürfte. 
Die Gleichſtellung des Adels mit der höchſten Perſon 
im Königreiche, die gewiſſermaßen in ſeinen Worten 
lag, hatte für mexikaniſche Cavaliere etwas ſo Eige— 
nes, daß ſie ſich ſprachlos anſtarrten. 

„Ah! Senorias dachten wahrſcheinlich, Se. Ex— 
cellenz dürfte und vielleicht ein Zimmerchen in dem 
Hospital de San Salvador *) anweiſen haben laſ⸗ 
fen, weil unſere Zunge in Gegenwart des Geheim- 
Sekretärs etwas rauh geweſen.“ 

„Bei, meiner Seele!“ fuhr der Marquis 2 
„vor achtzehn Monaten dürfte ſo etwas arrivirt ſeyn! 
Aber die Zeiten ändern ſich, und der alte Grijalva 
weiß ſo gut, woher der Wind bläst, als der beſte 
gallo de viento.**) Meiner Seele,“ rief er noch— 
mald treuherzig aus, wich glaube, Se. Ereellenz 
würde noch vor achtzehn Monaten denjenigen Cava⸗ 
lier in ihre beliebten Infernellos haben einſperren 
laſſen, der es gewagt hätte, nach Mitternacht eine 





Irrenhaus in Merifo. 
Wetterhahn. 








er 


47 — 


Audienz nadzufuhen; aber jo Gott will, fo wird bie | * 


arme Nobilitad Mexiko's noch im Preiſe ſteigen. 

Nach den offenen Mäulern, mit denen die Mehr⸗ 
zahl den Marquis anhörte, fehien fie wirklich nicht 
ungeneigt, diefen nächtlichen Beſuch als eine halbe 
Heldenthat anzufehen. „Und Se. Excellenz?“ frage 
ten endlich Mehrere in höchfter Spannung. 

»Waren mit der zweiten Excellenz, dem General- 
Gapitain, zwanzig Generalen und ſämmtlichen Oido— 
res noch in Gonfejo, wie es hieß, aber in — 
zu ſagen bei der Tertullia.“ 

„Aber Dias! die Etiquette verbietet ja Sr. Excel— 
leng —“ fielen Mehrere ein. 

„Eine Tertullia oder ein Diner zu geben;“ ergänzte 


der Marquis. 


„S» ift e8, Senores ! und eben der Umftand, daß 


‚Se. Excellenz gibt, wo fie früher bloß zu nehmen ge=' 


wohnt waren, beftimmt mich zu glauben, daß dieſem 
Lande eine große Veränderung bevorfteht, Ah Se- 
nores! Se. Excellenz machen fich wohlfeiler. Zwar 
war die Tertullia bei ©r. Greellenz Schwägerin, der 
königlichen Ifabelle, wie fie genannt wird, und Se. 
Excellenz waren geneigt, befremdet vornehm 
17 * 


auf, und herabzuſchauen; aber es foftete dem Gonde 


nur ein Wort, und Se. Excellenz wurde ganz Finezza; 


weiter wurden Diefelben jo ergriffen und bewegt, daß 
fie olivengrün und braunſchwarz ausjahen, und zit- 
terten. wie ein Schlagaal, und Se. Errellenz, der 


General-Gapitano, Fluchten wie ein Ariero und kreuz⸗ 


ten fih wie ein Badre von San Francisco; Alles 
in einer und derfelben Minute.“ 
Die Schilderung der Gemüthsbewegung der beiden 


Excellenzen fehien den Cavalieren wohl zu thun, fie. 


horchten in außerfter Spannung ihren Worten. 

„Und Se. Ercellenz haben wirklich ihre gewohnte 
Contenance verloren ?+ fragten endlich Mehrere er— 
ftaunt. : 

„Totaliter!“ flel der Marquis Grijalva ein. „Se. 
Ereellenz liefen dermaßen bewegt in ihrem Kabinette 
auf und ab, daf die ganze Tertullia in Unordnung 
gegieth, und Se. Excellenz, der General-Kapitano, 
in’8 Kabinett geftürzt kamen, ohne auch nur von 
einem Camarerio eingeführt zu werden, und als fie 
die Urfache unfered Befuches erfuhren, ſchworen fie 
wie der befte Lancero; dafür Füßten aber Se. Ers 


eellenz auch wenigftens fünfzigmal ihre Daumen und 


—9 219 &— | m 
ſchlugen bei jedem Fluche zweimal das Kreuz. Se. 
Ercellenz find ein ſehr guter Chrift; aber Gott gnabe 
den armen Patrioten, die Urfache find, daß ©. Er⸗ 
cellenz von der Kered-Bouteille weg mußten. 

„Ihre Excellenzen,“ bemerkte der Conde, „haben 
das Intereffe der Öffentlichen Ordnung und Gr. ge- 
beiligten Majeftät zu fehr am Herzen, um nicht durch 
die Kühnheit der Rebellen, die es nun zum zweiten 
Male wagen, mit Heeresmacht vor die — — 
zu rücken, alterirt zu werden.“ Mn 

„Und wir glauben,“ fiel ihm der Marquis wieder 
ein, „daß Se. Ereellenz ſich wegen des Intereffes 
Sr. Majeſtät eben fo wenig den Hals abreifen wer= 
den, als fie diefes in der Madre Patria gethan, wo 
fie eine Schlacht nach der andern an die Franceſados 
und felbft Pepe *) verloren; aber verftehen Sie, 
Senores, Se. Excellenz haben ſich anheiſchig gemacht, 
zwei Millionen Escudos für die Mühe zu bezahlen, 
das hartnäckige Mexiko zu regieren, und nebft diefen 
zwei Millionen Escudos dürften Ihre Excellenz noch 





*) Die Franzoſen. Pepe, Diminutiv von Joſe, wurde König | 
Joſeph genannt. 


* 


— 


200 e— 


während der fünfjährigen Dauer ihres Biregnato*) 


gunodigſt geſonnen ſeyn, andere zwei Millionen für 


ſich ſelbſt auf die Seite zu legen, und verſtehen Sie, 
Senores, eine ſo gute Melkkuh auch die Jungfrau 
von Guadeloupe iſt, es wird verdammt ſchwer hal- 
ten, vier Millionen Escudos aus ihr heraus zu 
bringen, zwei nämlich für die allerdurchlauchtigſten 
Cortez und zwei für die hohe Excellenz.“ 

Die Art und Weife, in welcher die Verhältniſſe 


der Jungfrau von Guadeloupe oder, eigentlich zu reden, 


des Vicekönigs, mit Mexiko in Verbindung gebracht 
wurden, dürfte einigermaßen das religiöfe Gefühl 
unferer nichtfatholifihen Leſer beleidigen, war aber 
wieder weit entfernt, unfern frommen Gavalieren zu 
mißfallen.: Im Gegentheile, fie bewirkte eine unges 
mein heitere Stimmung, und Bravos über Bravos 
verriethen, daß der derbe Marquis allgemein Anklang 
gefunden hatte. 

„Jetzt kriechen Sochdiefelben zum Kreuze, aber zu 
ſpät;“ fuhr Diefer fort. „Wir waren auf einmal 
die beften Breunde, und Hochdiefelben zwangen und 





J 
) Vicekönigthums. 


IE Wr 
* N) 


— 31 &— 


ſogar, neben ſich und, der General-Kapitanos-Errel- * 
lenz Platz zu nehmen; eine Gnade, die, ſo viel wir 


wiſſen, noch keinem armen Mexikaner zu BR ge 


worden ift.“ * 
„Perdon,“ fiel der Marquis de Moncada ein; 
aber Eure Herrlichkeit vergefien Ao 87, wo unfer 
hochfeliger Herr Vater die hohe Ehre hatten, von 
Sr. Excellenz gnädigſt eingeladen zu werden, fi 
auf demfelben roth fammetnen Sopha niederzulaffen, 
welches wir befanntlich nach Sr. Excellenz Abgang 
als Denkmal viceföniglicher Huld in unfern Beſitz zu 
bringen und in unferm Befuchfaale aufzuftellen jo 
glücklich waren, wie unfere Bamiliendofumente aus— 
weifen. Unfer Hochfeliger Herr Vater beliebten die- 
jer hohen Gnade um fo häufiger zu erwähnen, als 
ihm das unbegreifliche Mißgeſchick paſſirte, fih auf 
den hoch begünftigten Schooßhund Ihrer Excellenz 
niederzulafien, und von denenfelben in den Sit ge⸗ 
a zu werden. Ä 
„Wahr,“ fprach der Marquis, „wobei Se. Er- 
cellenz gnädigft Ihrem hochfeligen Seren Vater zu 
bedeuten gerubten, fich zu allen Teufeln zu ſcheren.“ 
Die interefiante Aufzählung der dem Haufe Mon= 


— 


” 


th 52 — 


cada widerfahrnen Gnabenbezeugungen drohte. meh⸗ 
rere ähnliche nach fich zu ziehen, nach den lebhaften 
Debatten zu fehliegen, zu denen fie unter der Mehr- 
zahl der Cavaliere Veranlaffung gab. Der Eonde 
fehnitt diefe, zum Mißbehagen der Debattirenden, mit 
feiner Einrede ab. 


„Senorias!“ fprach er. „Unfere Lage ift fo ei 


tiſch, unfere Stellung feit einiger Zeit fo unficher ge— 
worden, daß es und wirffich die höchſte Zeit feheint, 
derfelben einige Augenblicke um fo mehr zu ſchenken, 
als es vielleicht morgen fehon zu fpät feyn dürfte, 
uns ruhig zu befprechen.« 

„Sonde! Jefu Maria! Was fol das — be⸗ 
deuten?“ 

„Senorias,“ ſprach Dieſer, „haben ja noch nicht 
die Urfache gehört, die und veranlaßte, Se. Exeel- 
lenz in diefer fpaten Stunde unfern Beſuch abzu— 
ftatten. ” 

„Jeſu Marin!“ riefen wieder die Edelleute. 

„Wir können und nicht verhehlen,“ fubr Diefer 
fort, „daß die Negierung, ja die ganze Eriftenz des 


Staates fehr bedroht ift, und mit diefer unfere eigene. 


—H 33 — 

Unfer Correo *) hat und von Guautla Amilpas Nach⸗ 
richt gebracht, — die der Regierung wurden fämmt- 
lich von den Rebellen aufgefangen und erſchoſſen — 
daß Bravo mit dreitauſend Gavecillas in Cuautla 
eingerückt, daß General Muſitu auf's Haupt geſchla— 
gen, Oberſt Soto mit feinem Corps vernichtet, daß 
Morellos, nachdem er eine bedeutende Heeresmacht 
vor Acapulco zurücgelaffen, in der Nähe der Haupt⸗ 
ftadt ängefommen, um fich mit den übrigen Rebellen— 
häuptern zu vereinigen, daß Vittoria, Cos und Rai— 
non ſich gleichfalls mit ihren Armeecorps gegen die 
- Hauptftadt wenden, kurz, daß ſich eine Maffe von 
fünfzehn= bis zwanzigtauſend Rebellen kaum zwanzig 
Stunden von Mexiko concentrirt, die feſt entſchloſſen 
ſcheinen, das Ende der verrſchaft ne herbei⸗ 
zuführen.“ 

„Jeſu Maria!“ riefen die Kavaliere nich: 

Der Gonde hielt eine Weile inne. — „Was der 
hohe Adel,“ fuhr er fort, „von ſolchen Menfchen, wie 
die Bravo's, die Vincente Guereros, die Galeanas 





*) Courier. 





— 3 — 


und Raynons, die Ofournos, zu erwarten babe, wer⸗ 
den meine Herrſchaften ohne viele Mühe einſehen.“ 
„Jeſu Maria!“ riefen die Edefleute. 
„Se. Ereellenz haben willkürlich, grauſam eines 
der-erften Privilegien des hohen Adels vernichtet, ins 
dem fie unfere Söhne zwangen, wider ihren Willen 
die Waffen zu ergreifen; aber Senorias, nach un- 
ferm Ermefjen dürfte bei alle dem jetzt kaum die Zeit 
ſeyn, über verletzte Privilegien zu klagen, wo unſere 
ganze Eriftenz auf dem Spiele fteht, und in diefer 
Rückſicht haben wir uns bewogen gefunden, ver- 
trauend auf Ihre Weisheit und Ihren Patriotismus, 
einen vorläufigen Schritt zu thun, der ohne Zweifel 
von Ihrer Einficht gebilligt werden wird. Wir haben 
namlich auf die dringlichen Vorftellungen Sr. Excel⸗ 
lenz ung bewogen gefunden, Derfelben ein Darlehen 
von Seite des Adels zuzuftchern, und unfererfeit | 
den Anfang mit hunderttaufend Escudos gemacht. 
Sie, Seniorad, werden um fo mehr wifjen, was in 4 
diefer Angelegenheit zu thun ift, als die hufdreichen 
Gnadenbeweife Sr. Majeftät keinen würdigern Ca- 
valieren zu Theil werden können, als den hohen 








: ee 


—) 35 — 


Männern, die bereitd jo Vieles zur Wiederherftel- 
lung der Ruhe und Ordnung gethan haben.“ 

Es würde ſchwer ſeyn, das Mienenfpiel der Cava— 
liere während diefer Rede zu fehildern; bei jedem 
Satze waren auch andere Phyfiognomien zum Vor— 
fehein gekommen. Anfangs war offenbar Verwun⸗— 
derung über die Kühnheit des Grafen, der in einem 
ſolchen Tone von der Ereellenz zu ſprechen wagte, 
vorherrſchend; dann wurde ihr Blick lauernd, gleich 
dem des Raubthieres, das ſich anſchickt, ſeine Beute 
im Sprunge zu haſchen; wieder wurde ihre Miene 
ausforfchend, wie die des Gerichtöyorfigerd. Zuwei— 
len Keuchteten ihre Augen freudeftrahlend auf, und 
bei Erwähnung der Ordenskreuze verklärte ein frohes 
Lächeln ihre Züge; ein leiſes Geflüfter trat an die 
Stelle diefes ftummen Mienenfpieles, und e8 war 
ſichtlich, daß fie ſich Alle verftändigten. Wie mit 
einem Afforde näherten fie fich dem Grafen und nahe 

men einen eben fo fehnellen als ängftlichen Wbfchied. 
Drei ältliche Herren, die wir ald Grafen auffüh- 
ren gehört haben, waren mit dem Marquis de Gri- 
jalva und zwei Jünglingen allein zurüd geblieben; 


’ u 
—H 256 &— 

Alle fahen den ſich Entfernenden im höchſten Erftau- 

nen nad). 

„Alle Teufel!“ Tachte der Diarquis, „Habt Ihr je 
fo etwas gefehen? Ganz Mexiko in Flammen, von. 
ihren Käufern und Haciendas eines nach dem andern 
ihnen über die Köpfe zufammengebrannt, ihre Berg 
werfe verdorben, und kaum hören die alten Efel von 
den Ordenskreuzen, jo laufen fie wie befeflen, um 
morgen fich die Beine abzuzappeln und bei irgend 
einer Samareria Zutritt zu erhalten und ihre legten 
hunderttaufend Duros an den Mann zu bringen.“ 

„Sehr möglich,“ verfegte der Conde. 

„Ich finde e8 fogar natürlich,“ bemerkte der Graf 
Iſtla, „nach dem erleuchteten Beifpiele, das ihnen 
Conde de San Jago gegeben. Fürwahr! Eure 
Herrlichkeit — er wandte fich mit einiger Empfind⸗ 
lichkeit an den Grafen — „müffen ganz befondere 
Urfachen gehabt haben, eben jeßt eine Regierung zu 
unterftügen, die und ärger als die Gaveeillas ſelbſt | 
behandelt.“ | } 

„Wir haben bloß unfere Pflicht als Toyaler Unter- 
than erfüllt. 


— 37 — 


Der Conde Iſtla war heftig im Saale auf> und 
abgerannt. 

„Und beforgen Euer Herrlichkeit nicht, daß unfer 
ſo deeidirtes Anfchließen an die Gachupind in diefer 
Krifis und vollends den Gnadenftoß geben müffe, 
fans Morellos und die Patrioten die Oberhand er- 
langen ſollten?“ 

„Unſer fo deeidirtes Anſchließen an die Gachu— 
pins 24 fragte der Conde mit einem Blicke, der ver— 
rieth, daß beide Grafen ein diplomatiſches Spiel trie= 
ben. „Unſer Anfchliegen an die Gachupins,“ wieder- 
holte er mit einer ftärfern Betonung: „Und bleibt 
Ioyalen Unterthanen eine andere Wahl übrig, als 
ſich an Diejenigen anzufchließen, die Se. Majeftät zu 
Stellvertretern Ihres fouverainen Willens, zu Exe— 
eutoren Ihrer königlichen Defrete und zugefandt 
| haben? Doch Conde Iftla,“ fuhr er, zum Grafen 
gewendet, fort, der zweifelnd den Kopf fehüttelte, 
„mag fich-vollfommen beruhigen. Was wir von den 
Batrioten gefagt haben, fagen wir zwar noch, und 
Morellos ift in vieler Hinficht gefährlicher als Hi— 
dalgo; aber der Cura von Dolores, obgleich unfähig, 
ein Commando zu führen, war unbeftrittener Gene⸗ 


Ei; 268 ⸗ 
raliſſimus von hundert und zehntaufend Indianern; 


Morellos hat mit fünfzig Parteigängern zu thun. a 
„Die ftch ihm jedoch Alle unterworfen haben.“ 


„Um fich feinem Oberbefehle eben fo fehnell wieder. 


zu entziehen. Conde Iſtla Fennt das merikaniſche 
Volk zu gut, um zu erwarten, daß ein Vincente 


Guerero und ein Vittoria, ein Bravo und ein Rai— 


non lange an demfelben Pfluge ziehen werden. Was 
den Nector betrifft, Senores,“ er wandte fich zu den 
Uebrigen, „jo kennen Sie ihn; aber wir zweifeln, daß 
feine. geiftliche Gelehrfamfeit Hinreichen wird, einen 
Desperado, der eben fo leicht die Revolution für 
Megelagerung aufgeben dürfte, einen Ariero, der 
wüſte Lieder brüllt, einen ränkeſüchtigen Advokaten 


und einen verſchmitzten Escribano zur Geſetzlichkeit 


und Ordnung zu führen.“ 
„Wenn jedoch Callaja geſchlagen wird ?« bemerkte 
der Conde Iſtla. 
„Sp zieht er ſich nach Mexiko zurück, das wider 


ſtehen wird, trotz dem, daß es Feine Wälle und Thore 
hat. Und dieſelben Leperos, die heute für Morellos 


brüllten, werden daſſelbe gegen ihn thun, wenn ihnen 
die Regierung Pulque und Tortillas gibt, ſo wie ſie 








N 


—) 39 — 
beute gethan hat. Ja, Senores,“ fuhr er fort, „wir 
waren heute auf sulfanifchem Boden, und wären die 
Patrioten vier Sthden fpäter ausgebrochen, fo dürfte 
es ſchlimm um die Gahupind und und geftanden 
haben. Zwanzigtaufend Duros und einige Flinten- 
und Kartätfchenfalven haben die Ruhe wieder herge- 
ftellt, und wenn Sie ſich jest in die Tacubaftraße 
‚bemühen, ſo werden Sie Morellos eben jo viele 
Pereats gebracht hören, als Sie ihm vor zwei Stun- 
den Vivats zurufen hören Fonnten. — Doch, was 
wollen Sie, Conde,“ fuhr er in fehärferm Tone fort: 
„Neutral bleiben, oder fich zu den Nebellen hinnei= 
gen? Glauben Sie, daß ſelbſt der hochgeborne Eonde 
Iſtla als Pair behandelt werden würde vom letzten 
Patriotenchef, der num an der Spiße von zweitauſend 
Machettos *) fteht? Die Rebellion hat die Formen 
zerrifien, Gonde, und die gefelfchaftliche Ordnung 
jelbit ift bloß eine Form. Die rohen Maſſen find 
allein übrig geblieben, und in diefe follen auch wir 


geworfen werden — das ift der Wunfch der Nebel- 
Venhäupter. « 


Be 





— 


+) Das lange Meffer, das die Merifaner der untern Stände 
durchgängig führen. | 


\ 


Der beftimmte und abgefchloffene Ton, in welchem 
diefe letzten Worte gefprochen wurden, fehlen den 
Wunſch auszudrücken, einer fernekn Erörterung die⸗ 
ſes Gegenſtandes überhoben zu ſeyn, und die drei 
Grafen, die dieſen Wink — — 
und fuhren ab. 
Der Conde hatte ihnen einen fange Bid nadge 





worfen und ſetzte ſich dann, augenſcheinlich erſchöpft von 


den Anſtrengungen der Nacht, auf eines der Sopha. 

Seine Miene, die bisher ruhig, ja kalt geweſen, hellte 
ſich allmälig auf, und die Züge des edlen Geſichtes 
ſchienen klarer und beſtimmter hervortreten zu wollen, 


nachdem die feindſeligeren Berührungen, zu denen 


offenbar die legten drei Cavaliere gehört hatten, ges 


wichen waren. Gemifjermaßen fehien die ausgezeich-- 
nete Kafte, die in der Gefchichte diefes Landes eine jo 


merfwürdige Rolle innerhalb der legten zwanzig 
Jahre gefpielt hat, nun die vielen Hüllen, deren fie 
fich bediente, allmahlig abwerfen und in ihrer wah- 


ven Geftalt hervortreten zu wollen. Nur drei Perfo- . 


nen waren nebft dem Grafen zurücgeblieben; aber 
in diefen Dreien fihien das Wefen der merikanifchen 
Ariftofratie gewiſſermaßen perfonificirt zu feyn. Nebft 


ra ia ah a nn 














—H Hl 

dem Marquis Grijalva waren noch zwei junge Män⸗ 
ner, oder ‚vielmehr Jünglinge, anweſend, von denen 
der Jüngere eine jener Phyſiognomien genannt wer⸗ 
den Eonnte, die man nicht ohne hohes Intereſſe ſehen 
mag. Es waren die feinften Züge, die ſich je in 
einem ariftofratifehen Gefichte jpiegelten ; ein ſanftes 
und zugleich durchdringendes blaues Auge, das feine 
Abſtammung von leoniſchem Adel verrieth; eine fein 
geformte griechifche Nafe, mit jener gefälligen Bie— 
gung, die dem Gefichte einen Ausdruck von einer mehr 
als gewöhnlichen Dofis Weltklugheit gab, der aber 
wieder durch die verführerifche Anmuth des Mundes 
und des ganzen Gefichtes gemildert wurde. Die auf- 
- fallende Aehnlichkeit mit der jungen Dame, die wir 
bereitöfennen gelernt haben, bezeichnete ihn als ihren 
Bruder. 

Der Mayor domo hatte feinen Amtsſtab erhoben, 
auf welches Zeichen die Diener die Erfrifehungen auf 
fleinen Tafeln vor die Gäſte hinſetzten und dann den 
Saal raumten. 

„Ja, es ift gewiß,“ ſprach der Gonde, „der heutige 
Tag hätte leicht der letzte der Herrſchaft Spaniens 
ſeyn Eönnen. — 50 — 

Der Virey. I. 418 


— 32 ⸗ 
„Wollte Gott, er ‚wäre es geweſen!“ — 
Marquis. * 


„Perdon! Es wäre * unſer letzter heweſen. 
Die Gavecillas, wären ſie vier Stunden ſpäter aus⸗ 
gebrochen, hätten Alles über den Haufen geworfen. 
Nein, Grijalva! Wir kennen nicht die Kunſt zu re⸗ 
gieren, Ze: fehwere Kunft, wenn man fie nicht 

gelernt hat; wir würden auf eben die yo in bie 
Hände. eines verſchmitzten Abenteurers | fall 1, 
alle die Nationen, die zu frühe — sehen 
Das große Wort: „Lerne Dich ſelbſt kennen⸗ or 





Nationen eben ſowohl, als einzelnen Menfehen, ‚und 


wenn wir e8 geradezu herausfagen wollen, ſo ſind 
uns die Spanier nothwendig, um unſern Pöbel, un⸗ 
ſere halbwilden Indianer und wilderen Kaſten im 


Zaume zu halten. u * 
„Iſt das Dein Ernſt, San Jago?“ fragte F 
Marquis. 


„Mein vollkommener Ernſt,“ ſprach der Conde 


„Wer follte die Regierung des Landes übernehmen, | 


im Falle die Spanier verjagt würden? Der Priefter 
Morellos? — Vittoria? — Bravo? — Cos? — 


a U EN ng SE, 





— 263 &— 


Wer hat Anfehen genug, um den zügellofen Saufen 
in Schranfen zu halten ?« 

„Wir folten glauben, Eonde de San dago ——* 
verfeßte der Marquis. 

„Und wo ift die bewaffnete Macht, bie Conde de 
San Jagos Anjehen aufrecht erhalten würde?“ fragte 
der Conde. „Vergiß nicht, Marquis, daß wir, der 
hohe Adel, dem eigentlich die Regierung des Landes 
zuſteht, auch nicht einmal ein Regiment zu unſerer 
Dispoſition haben; daß die Regierung ung ſorgfältig 


von der Armee entfernt gehalten und bloß den Mit- 


telabel angeftellt hat; daß die Patrioten, für fich 
ſelbſt ſorgend, keinerdings geneigt ſeyn werden, die 


Früchte ihrer Siege, wenn ſie ſolche ja erfechten, uns 


zu Füßen zu legen; daß wir hülflos daſtehen, Tang- 
ſam daher vorfchreiten, uns feldft erft die Waffen 
fehmieden müfjen, um unfere Rechte zu vertheidigen, 
und daß, fo lange wir nicht gerüftet find, unfer In— 
tereffe e8 fordert, und an Spanien anzufihließen. 

„Und wann wird die Zeit kommen, wo wir ge⸗ 
rüſtet ſeyn werden?“ fragten Alle. 

„Der Grundſtein iſt durch die Betiſe gelegt, die 
der Vicekönig heute durch die Abſendung unſerer 

18 ® 


“®, 
| 7 

— 4 
Söhne gemacht hat. Daß diefe gewaltthätige Ordre 
alle die Früchte trage, die Pflege gedeihen machen 
kann, dafür müſſen wir ſorgen. Es find die Iturbi— 
des, die Santa Annas, die Barraxis in der Armee; 
ed ift hohe Zeit, daß der hohe Adel auch feine Wort- 
führer in derfelben habe.“ 

Der alte Diarquis fuhr plöglich wie aus einem 
Traume auf. „Alſo defwegen hörteft Du die In- 
finuation des DVirey nicht, als er. ſich erbot, ſeine 
Ordre zurückzunehmen?“ fragte er mit aufleuchtendem 
Geſichte. 

„Almagro und Carlos,“ enige der Conde 
ausweichend zu den jungen Kavalieren, „Ihr ſeyd 
beordert, Euch morgen oder vielmehr ſchon heute an 
die königlichen Truppen anzufchließen. Gerne würde 
ich Euch das Loos erſpart haben, das edle Kriegs⸗ 
handwerk unter dem blutdürftigen Metzger Calleja zu 
erlernen; allein — — 4 

Die drei Kavaliere ſprangen auf, und die gefüllten 
Gläſer hoch empor hebend, riefen fie mit ftürmifcher 
Begeifterung: „Viva !u - 

Der Graf war feinerjeits aufg und ſließ | 
mit ihnen an. Kein Wort wurde bei diefer merke 








268 = 
würdigen Geſundheit geſprochen. Nur ihre Blicke 
verriethen, daß Alle ſich verſtanden. | 

„Ja,“ Sprach der Conde, als die Drei ſich wilder 
gefett hatten, „auf Euch beruht die Hoffnung Me— 
xiko's. Das gegenwärtige Gefchlecht ift verloren und 
verdorben. Was diefe Nacht gefäet hat, müßt Ihr 
wachfen machen. Stufenweife erhebt fih das Ge- 
bäude, das den Menfchen zur Wohnung dient; eben 
fo langſam bildet fich die Form, die wir bürgerliche 
Gefellfehaft nennen. Wer fie bildet, hat das Recht, 
fie zu lenken. Laffen wir ung den Vorrang von den 
Patrioten abgewinnen, jo müffen wir und unter fie 
beugen. — Zerftören wir die alte Form, ehe die neue 
vollendet ift, fo begräbt uns das einftürgende Ge— 
baude unter feinen Trümmern. Einen Schritt haben 
wir gethan — die Waffengewalt in unfere Hände zu 
befommen — — u | | 

Die abgebrochenen Worte des Grafen wurden von 
den drei vertrauten Breunden mit athemloſem Still- 
fehweigen angehört. Indem die tief gelegten Plane, 
die in der Bruft diefes merfwürdigen Mannes ſchlum— 
merten, fich fo allmählig enthüllten, fonnte man auch 
zugleich darin den eigentlichen Keim des Grundrifjes 


| | MM, 1 
Be... 266 er | 
bemerken, den feine Partei ſich i in Biefem menhwinbi 
gen Kampfe als Leitftern vorgezeichnet hatte. 


Der Graf hielt inne, und fe fi über et, 
und wie aus einem Traume erwachend/ fragte er— 


„Manuel noch nicht hier? Und Ihr habt ihn geſehen, | 
Almagro und Carlos? 

„Nicht, feit wir die Fonda — verfegten 
die beiden Kavaliere. | 

„Dad war ni con prudencia, ni con sagacidad ;“ 
drohte der Gonde, fanft vermweifend. „Und Feine 
Spur von den Urhebern?« | 

Keine," Sprach Conde Carlos. „Mir fihiene ed wie 
ein Traum, wären die Folgen nicht jo ganz a limpro- 
vista gefommen. Ich habe wirklich nie etwas Vol— 
lendeteres gefehen, Tio! jelbft die Juwelen, die der 
QuasisKalif trug, waren echt. Ich glaubte den grofen | 
Rubin der Moncadas und den eirunden Diamanten 
Ruys zu bemerken. Sie wifjen, Tip, was unſer Lieb⸗ 
ling ſagt: 


Der Mann, des Inneres leer iſt von Muſik, 
Gerührt nicht wird vom Einklang füßer Töne — 


„Und die Muſik war ergreifend, die Wahrheit der 
Darftelung fo unübertrefflich, daß man Barbar hätte 
ſeyn müffen — — 4 








—9 47 


DOer Graf fchüttelte mehr und "mehr das Haupt, 
und zog die Glocke. 

„Anſelmo!“ ſprach er zum eintretenden > 
domo. „Einige Polizones haben fich mit der Ma— 
jeftät und ung einen groben Scherz erlaubt, Der ſehr 
ſchlimme Folgen haben kann. — Was denkſt Du?u 

„Daß wir fie ausfindig machen müffen. ‚Morgen 
Abend, fo Gott will; wollen wir auch mehr wiffen. « 

Der Mayor domo entfernte fich wieder. 

Es iſt ein gefährliches Spiel, dieſes Spiel mit 
der Majeftät,“ fuhr der Graf fort, ald der Diener 
den Saal verlafien hatte. „Es ijt mit ihr, wie mit 
der Religion, oder. vielmehr dem Aberglauben, der 
da Gott dahinter wähnt, wo bloß Holz und Flitter- 
ftaat ift; aber ziehen wir den Schleier weg und zeigen 
dem Pöbel fein Idol im feiner Nacktheit, jo haben 
wir ihm mit der Enttäuſchung nicht den Wahn allein, 
fondern den: Glauben ſelbſt geraubt; wir geben ihm 
nicht Freiheit, jondern Zügellofigfeit. Reißen wir 
den moralifchen Schleier weg, der die Perſon des 
Negenten dem Pöbel als geheiligt darfielt, ohne zu— 
vor Gefeglichkeit und Aufklärung fubftituirt zu haben, 
fo rufen wir einen Haufen Verruchter auf und an, die 


a —* —— * —43 O a et nur un 2 


— 208 


fein Geſet achten. Der Regent, was immer feine 
Fehler ſeyn mögen, iſt in monarchiſchen Staaten eine 
moraliſche Perſon, der Achtung gebührt, ſelbſt wenn 
das Individuum derſelben unwerth ſeyn ſollte — 
„Und iſt die geheiligte Majeſtät Fernandos wirk⸗ 
lich der nichtswürdige Charakter, als welcher er —u 
„Er ift es,“ ſprach der Graf leiſer — „die lieder⸗ 
lichſte Bedientenſeele, die je durch niederträchtig nichts⸗ 
würdige Kammerdiener und Prieſter verdorben wurde, 
wenn,“ ſetzte er etwas leiſer hinzu, „an einem Blute 
etwas zu verderben iſt, das ſeit Jahrhunderten nicht 
mehr Blut, ſondern verdorbene Giftjauche iſt; aber 
nichts deſto weniger, Senorias, ift er König,das 
Haupt der bürgerlichen Geſellſchaft, und der Stütz⸗ 
punkt, die Krone des Adels, der Ableiter, der die 
Blitze der Volksſtürme auf ſich zieht und unſchadlich 
in die Tiefe leitet. Reißt ihn weg, und das erſte 


Volksungewitter begräbt Euch unter Eurem eignen 


Schutte. — Und ſich auf dieſe Weiſe an feiner eignen 


Exiſtenz zu verſündigen, iſt mehr als Verbrechen — 


iſt Dummheit.“ | 
Der Conde ſank wieder in feine vorige Düfterheit 


— 





\ 





269 — 


zurück. Die Glocke ſchlug zwei, die Kavalierenahmen 
Abſchied; nur der Jüngfte war allein zurückgeblieben. 
Der Graf erfaßte feine Sand und begab * mit 
in ein entferntes Gemach. 

„Für Dich, Carlos,“ ſprach er, als fie in de 
angelangt waren, „haben wir eine Gapitaingftelle 
im Regimente Callejas felbft zugefichert erhalten. 
Unfer.Mayor domo hat bereits für Deine Equipirung 
die nöthigen Anweiſungen erhalten. Du ſollſt in 
drei Stunden nach Puebla und Jalappa, um von da 
einen Transport nach Veracruz hinab zu führen, der 
uns ſelbſt einigermaßen intereffirt. Sollte Dir ein 
Zufall auf dem Marfche aufſtoßen, und ich befürchte, 
ed dürfte der Ball feyn, fo- “ Gr übergab dem 
Jüngling eine Kleine ungefchlachte Figur, nicht größer 
als eine Wallnuß; eine verborgene Springfeder, Die 
er berührte, öffnete die Frage in zwei Hälften, und 
zeigte ein Blatt, auf dem die Worte: „Securidad, | 
Morelos ‚“ gefchrieben waren. 

„Morelos!“ rief der junge Sonde im höcften Er⸗ 
ſtaunen. 

„Leiſer, Carlos,“ warnte der Conde. „Er iſt ein 
wackerer Mann, obgleich er unglücklich enden muß. 


No ⸗— 
Wollte Gott, Mexiko hätte Mehrere ſeines Gleichen. 
Bewahre, was Du empfangen haſt, auf den Fall 
der äußerſten Noth. Wenn Du zurücktehrſt, werde 
ich noch in Mexiko ſeyn.“ 

Der Mayor domo trat wieder ein. 

Alle Vorbereitungen zur Reiſe Don Manuels 
getroffen?“ fragte der Graf. 

„Und ſo geht er denn wirklich?“ fragte der alte 
Diener befümmert. 

Der Graf fuhr ſich mit der Hand über die ER 
und fah den Diener einen Augenblick mit einem weh⸗ 
müthigen Blicke an; dann fich erhebend, begab er ſich 
mit dem jungen Grafen unter dem ‚Vortritte des 
Mayor domo in die anftoßende Hauskapelle, wo die 
fümmtliche Dienerfchaft verfammelt war. Ein india= 
nifcher Priefter ſprach das Abendgebet, worauf fich 
der größte Theil der Dienerfchaft zur Ruhe begab. 

In diefem Augenblick hörte man den rafchen Ga— 
Iopp eines Pferdes, das den. Paseo nuevo herab- 
fprengte; bald darauf wurde die Glocke angezogen, 
und rafche Fußtritte naherten fich dem Gemache, wo— 
Hin fich die beiden Grafen zurückgezogen hatten. 








—9 271 — 


Dierzehntes Bapitel. 


In Deinem geben ift ein böfer Punkt, 
Schwarz angemerkt, verdammt im Buch des Himmels. 
Shakespeare. 

&3 war der Jüngling, den wir bereits im Audienz= 
fanle des Vicekönigs als Neffen des Conde kennen 
gelernt haben; er trat in ſtürmiſcher Haſt ein, ſein 
Anzug noch von dem fehnellen Nitte in Unordnung, 
feine Wangen mit einer Biebergluth übergoflen, das 
Bild eines herrlichen, aber zugleich übermüthig adels— 
folgen jungen Greolen, ganz Beuer und Flamme und 
jugendliche Tollkühnheit. Wie der Jüngling fo ein= 
drang, und dann plößlich wie feſt gewurzelt da ftand, 
ihm gegenüber der nicht minder intereffante Conde 
Garlos, fiel der Blick des Grafen mwechfelfeitig von 
dem Einen auf den Andern, und ein ſchwerer Kampf 
fhien ihn für einige Minuten unfähig zu machen, 
auch nur ein Wort hervorzubringen. Es waren zwei 
vollfommene Gontrafte, dieje beiden Jünglinge: der 
Eine mit feinem unbefiegbaren Stolz im feurigen 
Auge, das die Pöbelwelt zum Kampfe herauszu- 


— 12 — 
fordern jehien, der Andere mit den ruhig garten und 
doch wieder männlichen Zügen des int, eftuellen Ge⸗ 
ſichtes, die nur Sanftmuth und Wohlwollen ver- 
riethen, aber. in der edel gewölbten Stine, der fein 
gebogenen Nafe und den kaum merklich, wie zum 
Spotte verzogenen Lippen ein gewiſſes Etwas ver⸗— 
fündigten, dem nur der Sabre zehn mehr fehlten, um 
ſpielend eine Welt in Wirklichkeit zu gewinnen, bie 
Jener Im tobenden Kampfe zu re nicht 
feftzuhalten fähig fhien. EEE * — 
„Ein ſchöner Traum!“ unterbrach endlic der & 
das Stillſchweigen. „Gin fhöner Traum!“ feufzte 
er, ſich mit der Hand über die Stirn fahrend. „Wir 
haben ihn viele Jahre geträumt, dieſen Traum, 
Manuel! — wird er wohl in Erfüllung gehen ?“ 
„Und diefer Traum, theurer ri Tio? 24 fragte. Don 
Manuel. * — | 
„Mexiko, das wie der Phönix in Flammen a 
lodert, aus diefer Flamme erftehend, erftehend J 
ſeine inwohnende Kraft, ſein eigenes Blut.“ 
„Dann war es ein Traum, Tio! — ein bloßer 
Traum, ſo wie der Vogel Phoͤnir ſelbſt ein Traum 
war! 








—) 273 — 


Ein schöner Dichterstraum,“ ſprach der Graf; 
‚unter dem aber eine herrliche Wahrheit liegt.“ 

„Wenn es Mexiko gilt,“ verſetzte der Jüngling 
bitter, „fo ſchwindet das Herrliche, und nur das Nied— 
rige, Gemeine bleibt. « 

„Manuel!“ jprach der Graf mit einem forfchenden 
Blick. — „Dieß waren nicht Deine Gefinnungen no 
vor ſechs Monaten, ald Du unfere Hacienda ver- 
liegeft; das arme Merifo war damals noch fo glüd- 
Tich, etwas höher in Deinen Hoffnungen und Deiner 
Achtung zu ftehen. — Was hat es jo tief herab- 
geſetzt ?“ | | 

„Und Sie fragen, gnädigſter Onkel?“ rief der 
Jüngling bitter. „Sie fragen, nach der Erfahrung 
der letzten zwölf Monate? D Land der Schande! das 
tollkühn genug iſt, an ſeinen Ketten zu ſchütteln, aber 
zu feige, fie zu zerbrechen, das fich in fte ſchmieden läßt, 
mit feinen Millionen viehiſcher Indianer und viehi— 

ſcherer Meſtizen, ſchmieden von wenigen taufend 
Spaniern — — 4 ö | 

„Räftere Dein DBaterland nicht,“ fuhr der Graf 
ftrenge auf. — „Schande der Zunge, die die Scham 
ihrer Mutter aufdeckt. Daß Meriko ift, was e8 ift, elend, 


& 
— 27 e— 


verachtet, felbft von der verachtetften, verächtlichten 
Nation, — wem verbanft es diefes, als eben diefer 
Nation?“ 


„Sich ſelbſt verdankt es feine Schande,“ her ihm 


der Jüngling eben fo heftig ein. „Sich felbft und 
feiner Niederträchtigfeit, mit welcher der ftolgefte 


Greole dem Lebten der Spanier die Füße leckt; der 


Niederträchtigfeit, mit welcher der Edelſte Meriko’s 
fein Land verräth, wenn er ein Kreuzchen in fein 


Knopfloch erhalt; dieſer Niederträchtigkeit. verdankt 


Mexiko was es ift.“ 


„Wirklich?“ fragte der Eonde. „Und wenn diefer 


niederträchtige Sklave dennoch endlich feine Ketten 
zu ſchwer findet, und wenn er feine blutrünſtigen 
Arme und Schenkel ſchüttelt, und wenn er dieſe Ketten 


bricht, und mit ihren Trümmern ſeine Tyrannen er⸗ 
ſchlägt, und ſich lieber wieder ne als fefjeln 


laßt? 2u 


faner,“ ſprach der Jüngling mit der bitterften Ver— 


achtung. „Sklave bleibt er fo jehr, daß, wenn er. 


A 


„Sp bleibt er ein Sklave, ein elender, niedriger 
Sklave, in deffen Körper fein Tropfen edlen Blutes 
rolt. Sklave bleibt er, weniger ald Sklave — Meri- | 


rn 


— 75 — 


. Hunderttaufende ftark ift, er vor einem Regimente 
feiner Zuchtmeifter zu Paaren friecht, "oder ausein⸗ 


ander ftaubt wie Spreu vor dem Winde. « | 
„Deine Worte find bitter,“ verfeßte der Conde.— 
„Gib acht, Manuel, daß ihr Stachel nicht auf Dih 
zurückprallt. — Aber was iſt,“ fuhr er mit erhöhter 
Stimme fort, „Derjenige, der, geboren in dieſem 
Sklavenlande, vom Schieffale berufen, die Ehre def- 
felben zu wahren, e8 im grauenvollen Todeskampfe 
verläßt? Statt das Sklavenvaterland gegen feine 
Tyrannen zu vertheidigen, einem Phantom nachjagt, 
das ihm eine treulofe Phantafte vorgefpiegelt ?« 
„Wenn mein gnäadiger Onkel Gehorfam gegen die 
Befehle des erlauchten Repräfentanten der geheiligten 
Majeftät mit einem fo jehimpflihen Worte ald De- 
fertion bezeichnet,” ſprach der junge Don ſtolz, „dann 
geftehe ich mich derfelben ſchuldig; aber zugleich gebe 


| ich mein Ehrenwort, daß ich die Schande diefer De- 


fertion nicht für die höchfte von Mexiko angebotene 
Ehre vertaufchen würde. « 

„Neffe;“ ſprach der Grafin einem’ Tone, der ver- 
tieth, daß er überfatt der: Ausbrüche diefes ungere- 
gelten Stolzes feg. „Wir müffen ung verftändigen; _ 


— 276 — 


denn die Zeit eilt, und Dein Entſchluß muß nun be⸗ 
ſtimmen, ob mi Länger das Vergnügen haben follen, 
uns Deiner Gegenwart zu erfreuen. Se. Ereellenz, « 

fuhr er fort, „haben in Folge einer Eleinen Unvor⸗ 
ſichtigkeit, deren fich der junge hohe Adel in dem Gaft- 
hofe Traspanna dadurch ſchuldig gemacht hat, daf 
er ftaatöverbrecherifche, gegen die geheiligte Perſon 
Sr. Majeftät gerichtete Pasquille angehört, denfel- 
ben zur Armee abgefandt; in Betracht jedoch, daß 
derſelbe Adel mehr überraſcht und mit dem verruchten 
Vorhaben der Pasquillanten unbekannt, ſich des 
Verbrechens laesae majestatis nicht vorſätzlich ſchul⸗ 
dig gemacht, demſelben Offtzierspatente ausfolgen 
zu laſſen geruhet, und unſerm Neffen, Don Manuel, 
als Beweis befonderer Berücfichtigung, die Erlaub⸗ 
niß ertheilt, in die Madre Patria zu —— um da⸗ 
ſelbſt durch loyale Dienſte im Heere der Kämpfer zur 
Wiederherſtellung des Thrones Sr. Majeſtät den 
Flecken auszuwiſchen, den er auf ſeinen Namen ge— 


laden, in welcher Hinſicht Sie Dir das Capitains- 


patent auszuwirken gnädig verheißen haben.“ 
„Eine Strafe,“ fiel der Jüngling begeiftert ein, 
ndie ich für das höchfte Ziel meiner Wünſche erkenne. 


N 


— 27 — 


Tio! Tio!“ Er trat ſtürmiſch auf den Grafen zu, 
welcher einen Schritt zurück wich. 

„Vor noch fünf Jahren,“ ſprach der Letztere, " würde 
eine ſolche Berückſichtigung wirklich wünfchenswerth 
für einen merifanifchen Edelmann gewefen feyn, und 
dieß um fo mehr, als die Politik unferer Oberherren 
es nicht für räthlich fand, daß ein Merifaner je fehe, 
daß andere Länder beffer vegiert werden, als fein 
eigenes; aber die Umſtände haben fich geändert, und 
wir haben alle Urfache zu glauben, daß das, was 
Gnade feyn fol, irgend einen unheilfhwangern Plan 
gegen unfer Haus und ung jelbft verberge. * 

„O Tio!“ rief der Jüngling feurig, „o Tio, wüß- 
ten Sie, wie hoch der Virey die Tugenden Euer 
Gnaden verehrt.“ 

„Der Virey unſere Tugenden verehren?“ entgeg- 
nete der Conde kalt. „Und, wie es ſcheint, im Bei— 
ſeyn unſeres Neffen,“ fuhr er mit einem Blicke auf 
Diefen fort, „den er noch vor wenigen Stunden nicht 
zu fennen ſchien.“ Er holte einige Male tiefen Athem 
und ging im Kabinette auf und ab. „Wir haben Be- 
weife von diefer Verehrung,“ fuhr er fort, wald wir 
‚aus der Befamanos nach Haufe fuhren, Beweife, die 

Der Virey. J. 19 


u me . 


‚ung wahrſcheinlich des Bergnügens Seat ie: 
BR, —— vber Eigen, der Unfrigen je 






dumbre und einige Anhängtichkeit de⸗ ——— 
Mexiko Sr. Excellenz gnädiges Wohlwollen vereitelt 


hätten. Wir haben jedoch,“ fuhr er ungemein ruhig 
fort, „noch nicht geendet. Se. Excellenz, durch ſpe⸗ 
zielle Gründe veranlaßt, haben den, etwas gewalt⸗ 
ſamen Entſchluß, der uns von unſerem nächſte Bluts “= 
verwandten trennen follte, aufgegeben, und es ie‘ 
freigeftelt, nach Spanien a oder im ' Vater- 
lande zu: verbleiben. « | 

Der Jüngling erbleichte. Eine lange Weile „se 
ohne daß Einer der Beiden ein Wort gewechfelt hatte; 
endlich fprang er, im fichtbaren Kampfe und beinahe 
außer fich, auf den Grafen zu. | 

„Tio! theuerſter Tip!“ rief er mit ſtürmiſcher Un- 
geduld, „ich muß fort! ich muß! D, die Furien peit- 
fhen mich aus dieſem Mexiko, diefem entfeglichen 
Mexiko! O Spanien!“ rief er mit-der vollen Be— 
geifterung eines glühend fühlichen Gemüthes, „du 
Land der Helden, du Wiege alles Großen und Edlen, 
du Mufter der Loyalität und Ritterlichkeit, das fih 






n” 


9.279 — 


„erhoben, um im furchtbaren, großen Kampfe das an⸗ 
geſtammte Land geheiligter Majeſtät, verrätheriſcher 
Weiſe vom Feinde geſtohlen, aus den Klauen des 
Kronenräubers zu retten! Er, die Zierde der Könige, 
in ſchmählicher Gefangenſchaft! Nein! Tauſende ha— 
ben ſich erhoben, um die Eindringlinge zu vertilgen; 
der Donner brüllt über den atlantiſchen Ocean her— 
über; er ruft: Manuel muß ſeinem Rufe gehorchen!“ 

Der Graf hatte dieſen Pathos, den der Jüngling 
in einer forrespondirend theatralifchen Stellung des 
klamirte, mit ungemeiner Ruhe angehört, nur zus 
weilen fräufelten jich feine Lippen in jenes ſarkaſtiſche 
Lächeln, das derlei Albernheiten dem Aufgeklärten 
auch wider feinen Willen abzwingen. 

„Und ist es bloß der Donner der Kanonen, der Dich 
ruft? feine andere Stimme, die vom Tenochtitlanthale 
Dich fortjendet?“ fragte der Graf mit demjelben ruhi⸗ 
gen Lächeln um jeine Lippen. 

Der Jüngling erröthete und ſtockte. 

„Und wird das Schickſal Deine Entwürfe ver—⸗ 
wirklichen?“ fragte der Graf weiter: „Iſt das Spas 
nien wirklich Deiner Sympathien würdig? Iſt e8 
wirklich das glänzende Gebilde, das Dir Deine Phans 

19 ® 


tafie vormalt? dieſer gefangene König wirklich der | 
edle, leidende Held, den Du Dir träumft? das Land 
der Öonfalvos, der Hernandez, noch immer der Sam- 
melplatz alle Heldenmuthes? — Armer Junge!“ 
brach der Graf ab, hob jedoch wieder nach einer Hlei- 
nen Weile an: „Das Land der Cordovas, der Cor—⸗ 
tez, iſt unter dem verſengenden, verdorrenden Hauch 
der Prieſter und Königstyrannei eine baumloſe Wüſte 
geworden, von Landſtreichern, Räubern, Bettlern 
und faulen Mönchen angefüllt, und von einem Volke 
bewohnt, das, ſtatt zu arbeiten, ſich ſeine Nahrung 
vor den Pforten der Klöſter holt, — dieſes Dein 
Heldenvolk hat nicht einmal das Verdienſt, unter 
eigenen Fahnen zu fechten; es iſt das ſchmählich be— 
zahlte Gold der Ingleſe, das dieſe Bettlernation auf- 
gerüttelt und in ihrem ſtupiden Enthuſiasmus wach 
erhält. u 

„Läftern Sie das Vaterland meiner Mutternicht!« 
fehrie der Jüngling, yon Zorn überwältigt. 

"Bloß Deiner Mutter?“ fragte der Conde. 

Der Don errötbete. 

„Und in diefes Land, diefes Paradies von Bertfern 
und Mönchen willft Du gehen? Deinem flehenden, 


— 331 &— 


bedrängten Vaterlande den Rücken kehren in der 
Stunde ſeiner Noth, ſeiner Todesangſt? Was wird 
dieſes Vaterland dazu ſagen?“ 

„Manuel verachtet dieſes Vaterland;“ verſetzte an 
- der übermüthige Jüngling. 

„Das ift genug;“ Sprach der Conde, plötzlich auf- 
ftehend. „Das Blut Deiner Wange ift aufrichtiger, 
als Deine Zunge. Behalte jedoch Dein Geheimnig 
für Did; felbft fragen wollen wir Dich nicht, wo 
Du in diefen legten Stunden gewefen, obwohl unfere 
Freundſchaft vieleicht einige Aufmerkſamkeit verdient 
hätte, Wir haben jedoch der Freiheit fo wenig übrig 
gelaffen, daß e8 graufam wäre, einander die dürftigen 
Broſamen, die noch übrig find, verfümmern zu wollen. 
Aber Don Manuel!“ fuhr er fort, und feine Stimme 
wurde ungemein ernſt, „indem wir Div Deine Freiheit 
hiemit unbefchranft laffen, und und des fügen Troſtes 
berauben, uns eine freundliche Stüße unferer Ent- 
würfe, einen achtungsvollen Pfleger unferer Plane, 
einen gefühlvollen Mitbürger mit offenem Herzen für 
die Drangfale feines Vaterlandes zu erhalten, fteht 
es unferer Freiheit nicht minder zu, ung vor den Fol- 
gen Deines Entjehluffes zu bewahren. Nicht wir 


Bw 


u 


wollen Deine Freiheit beſchränken; aber eben fo wenig 
wollen wir zugeben, daß Du die unfere beſchränkſt.⸗ 
Der Jüngling ſah den Grafen ſtarr an. 

„Beh denn mit Gott,“ ſprach Diefer. „Deines 
Vaters Diener werden Dich begleiten, und wir für 
die Mittel forgen, Dich mit dem Deiner Familie ge- 
bührenden Anftande in die Madre Patria einzuführen. 
Aber weiter geziemt es fich nicht, daß wir gehen. 
Derjenige, der, fih über fein Vaterland und feine 


Blutsverwandten erhaben fühlend, zum Schwager 


eined Virey ſich emporzufehwingen gedenkt, würde ſich | 
wahrſcheinlich zu ftolz fühlen, um von einem arm- 
feligen merifanifchen Conde fürder Unterftügung zu 
beifchen. « 

Der Jüngling ftand wie eine Bildfaule — fein 


bleiches Geficht auf den Boden geheftet, war er keines 


Wortes mächtig, 

„Du haft nicht bloß mit Deinem Ontel,« ve 
Diefer fort, „Du haft mit dem edelften Gefchöpfe, das 
innerhalb der Meere Mexikos das Tageslicht erblickt 
— dem Stolze unferes Landes — Dein herzlofes 
Spiel getrieben. Gleich dem verfehmisten Sohne 
Iſaks verläffeft Du Deine Heimath, um in einem 





& 


. 
— 283 — 


fremden Lande den Phantomen Deines ſelbſtſüchtigen 


Ehrgeizes nachzulaufen.“ 
„Mani!“ rief eine ſchluchzende Stimme, und die 


liebliche Condeſſa ſchwankte zur Thüre herein, ihr 


thränenſchweres Antlitz in die Mantilla verhüllt, 
bebend und zitternd, ihre verweinten Augen weh— 
müthig auf den Jüngling geheftet. Ihre ſtockend 
ſchluchzende Stimme vermochte bloß abgeriſſene Laute 
hervorzubringen. Unſchlüſſig ſchwankend, ihre Hände 


kindlich auf dem Buſen gefaltet, ſchluchzte fie „Mani! 
Mani!“ wie ein nahender Engel aus höheren Sphä— 
ren. „Mani! fo willſt Du ung und unſer armes be⸗ 


drängtes Mexiko verlaſſen? Mani, um der fünf 


Wunden! der heiligen Jungfrau willen! Mani! 


Mani! O gedenkſt Du noch jenes feierlichen Schwu— 
res, den Deine Zunge vor nicht ſechs Monden auf 
der Höhe von Oaxaca im Angeſichte Gottes und der 
beiden Ozeane ausſprach, des feierlichen Schwures, 
Du würdeſt ganz Mexikaner ſeyn? Und Du willſt 
Mexiko verlaſſen? Mani! Mani!“ 

Der Jüngling ſtand ſprachlos. 

„Mani!“ bat fie, ihre Hände ihm bittend entgegen— 
ſtreckend, „Mani bleibe bei Tio! Bleibe in unferem 


* 


* 8; 





armen bedrängten Derifo! Bleibe!“ ce fie. bee: 


* Arme faltend. 


Das leichte Rauſchen, das ihr — 
wand verurſachte, ſchreckte den Jüngling plötzlich aus 
ſeinen Träumen. Er blickte ſie einen Augenblick ſtarr 
an, und ſtürzte dann mit den Worte; „Fort von 
hier!“ aus dem Kabinette. “ 

„Einen Neffen haben wir verloren!“ drach der 
Conde mit ſchmerzerſtickter Stimme. „Einen. Sohn 
und eine Tochter haben wir noch. Das iſt der Fluch * 
des Despotismus. Er entzweit uns mit unſern Lieben, 
mit ung ſelbſt, dem Glauben, der Hoffnung, der Liebe, 

A dios Kinder!“ Er füßte Beide, und entfernte ſich 
dann. 


Fünfzehntes Kapitel, 


— D Du! 
Berverblicher ald Hunger, Peſt und Meere! 
Schau die betrübte Bürde dieſes Bettes; 
Das it Dein Wer. 
Shafespeare. 


Die Gloden von den Kirchthürmen hatten mittler= 
weile fünf gefchlagen, und der Morgen graute von 


m 28 6 
| Oſten herüber: Anfangs ein fieberrother Punkt am 
Itztaccihuatl, der wieder in matte chaotiſche Dunfel- 
heit verglomm, wieder auftauchte und vom Grün- 
rothen ins Afchfarbige, von diefem ind Dunfelbraune, 


und vom Dunkelbraunen ins Blaßgoldene ſchillernd, 


das Auftauchen der Sonne aus dem Ozean verkün— 
dete. Noch war es dunkel am Himmel, aber es war 
eine eigene Dunfelheit; Fein Wölkchen befleckte das 
reine Himmelszelt; die wenigen noch ſichtbaren Sterne 
ſchienen zu zittern in der Morgenfriſche, und erbleich— 
ten, während hinab gegen den Popocatepetl die rothen 

Streifen ſeines ſchneeigen Hauptes gleich feurigen 
Flaggen ſich um ſeine hehren Krater legten. Dann 
begann ein mattes blaſſes Licht zuerſt über die Koppen 
der Tenochtitlan⸗Gebirge herüber zu brechen, und im 
Zwielichte tauchten fie auf, eine nach der andern; aber 
die Stadt lag noch in Finſterniß und Schlaf begraben, 
und nichts unterbrach die Todtenſtille, als das Vigi— 
lanzia der Schildwachen und das Raſſeln der Todten— 
karren, welche die in der Nacht entſchlummerten Le— 
peros in ihre enge Wohnung oder die Hauptwachen 
abführten. Es war eine eigene Stille, dieſe Stille 
der Tauſende, dieſes Todtenleben, bewacht von den 


286 ⸗ 


Wächtern des ertödteten Despotismus. Am Se 
Chalco und feinem Kanale fing es dann am ſich zu 


regen, und Hunderte von Canoes flogen im Schatten 


der weichenden Nacht über den mehr und mehr er⸗ 


glänzenden Waflerfpiegel dem engen Kanale zu, bes 
gleitet von dem Morgengefange der Indianerinnen 


und den Guitarrentönen ihrer Männer. » 
„Jeſu Maria und alle Heiligen, halb fünf Uhr!« 
jammerte der Mayor Domo, der eben vom rechten 


Flügel gefommen war, ihm nach mehrere meibliche 
Diener, die auf den Zehen einhertrippelten, Schrecken 
auf ihren Geftchtern. „Halb fünf Uhr!“ jammerte 
der alte Diener, „noch eine Stunde — horch die 
Glocke von der Kathedralfirche — die Stunde, in der 
der Erzbifchof Die Meſſe anſagte, iſt ja noch nicht 
gekommen. Wird er gehen?“ 


„Er iſt ſchon gegangen, aber nicht zur Meſſe;“ | 
flüfterte Don Pinto dem alten Manne in die Ohren. 
„Zum Teufel mit Deiner alten Weiberfrömmigfeit.a 

„Geſpenſt der Pacht und der Hölle! Alle guten 
Seifter Toben Gott den Herrn; “ Freifchte der Mayor } 
domo, der zurückiehaudernd an den Conde ftieß, wel⸗ 
cher, in ſeinen Schlafrock gehüllt, vorüber in den 3 


ee 








rechten Flügel zu den Gemächern der jungen Condeſſa 
ſchritt. 

„Gott und alle Heiligen!“ wehklagte der alte Mann 
ſeinem Herrn. „Sie liegt noch immer in Ohnmacht, 
unbewußt alles deſſen, was um fie her vorgeht;⸗ 
und er faltete feine Hände zufammen. 

Der Graf trat in das Kabinett, und die Vorhänge . 
des Bettes öffnend, fehaute er mit befümmertem Blicke 
auf das Engelögebilde, das, weißer denn die Linnen, 
die e8 verhüllten, da Tag! ob fehlummernd oder ver⸗ 
blichen, würde beim erften Anblick ſchwer zu errathen 
gewefen jeyn. 

Gleich einer Alabafterftatue von griechifcher Sand 
gemeifelt, lag fie hingegoſſen, eine Bifton ohne Athen, 
ohne Bewegung. Erſt nach langen Zwifchenräumen 
öffneten fich ihre bleichen Lippen, zitterten einige Se— 
funden leblos und unwillkürlich, wie die Blätter vom 
Hauche des Windes gerüttelt, und ſchloßen ſich wieder 
fo willenlos, wie diefe zur Erde fallen. | 

„Sp dauert es jetzt ſchon gefihlagene zwei Stun— 
den; “ wisperte Sancheca, die Doncella *) der jungen 





*) Kammermädchen. 


nen 3. 
— ‚+ NEL 
J > 
* 


— 


Condeſſa, indem ſie ſich über das Engelsgeſicht hin⸗ 


bog und den kalten Schweiß von der Stirne küßte. 
„Zuweilen,“ murmelte die Duenna mit Thränen 


im Auge, „ſchaudert fie auf, zittert, dann fchlägt fie. 


die Augen auf und ftarrt und — als ob ſie ein 
Geſpenſt ſähe. Sie ſpricht auch mit ſich ſelbſt. Eile, 


eile glänzendes Segel, eile, führe ihn hinweg, leichtes 
ſilbernes Segel vom unglückſeligen Mexiko zur Bahn 
des Ruhmes, lispelte fte im befehlenden Ton, und | 
dann fpreitete fie die Arme aus, als wollte fie Jemanden. 


aus den Klauen eines Ungethümes erretten. Wieder 
betet fie, warnt vor den Gachupins; felbft verwünſcht 
hat fie die Gachupins. Heilige Jungfrau! mic) wun— 


dert nur, wo fie die Verwünſchungen gelernt hat. 4 


Der Engel konnte ſonſt nichts als beten.“ — 


„Gerade als Anſelmo uns verließ, “.fiel Sancheca 


wieder ein, „erhob ſie ſich, und ging mit geſchloſſenen 
Augen im Zimmer umher, ergriff den Armleuchter 
und fuchte in allen Eden. Sie ftarrte und Alle an, 


als ob fie uns nie gejehen hätte, und dann ftieß fie 
den Armleuchter wieder weg, Freuzte ihre Händchen 
auf dem Bufen, und bat.fo flehentlich, ein Stein hätte 
fich ihrer erbarmen mögen. Aber fie konnte diefe An— 


. 








—d 39 ⸗— 


ſtrengung nicht aushalten, und wäre gejunfen und 


gefallen, hätten wir fie nicht aufgefangen. * 

„Du haft vergejfen,“ rief Bettina, ein zweites 
Kammermädchen, „was ſie fprach, als fie fo im Ka— 
binette umherſuchte. Ja,“ fagte fie, über dieſe Felſen 


und Klippen muß er hinab ins Bereich des tückiſchen 


Vomito, und Jeſu Maria! die See, die ſtürmiſche 


See mit ihren Alles verſchlingenden Wogen!“ 


Der Graf, eine Thräne im Auge, bog ſich über 
die Schlummernde hin. 

„Nina! Nina! Wollen wir nicht für den Unglück— 
lichen, der uns verläßt, beten?“ 

Sie hörte nicht, ſie gab keine Antwort. 

„Nina! Nina!“ bat er wieder. 

Ein entfernter Trompetenftoß, der den Paseo herab 


ſchmetterte, Vieß fich im Kabinette Hören. Die Augen 
"der ohnmächtig Schlummernden öffneten fich. 


„Nina!“ bat der Conde wieder im zärtlich väter— 
lichen Tone, „Nina, wollen wir nicht für den Unglüd- 


lichen beten, der uns verläßt?“ 


Auf einmal öffnete fie die Augen, blickte ftier und 
ſtarr um fich, ſchüttelte das Lockenköpfchen, fehaute 
den Grafen wie verwundert an, ftredfte ihre Arme 














Tr 


uns. und ihn um den Hals faſſend, 
por siempre perdito.“ — 
Ein zweiter Trompetenſtoß ſchme 
Paseo nuevo herüber. Ein ſtarkes Detad 
goner, mit einem Stabsoffizier an der. 5: Ü 
und ein Jüngling in reicher Uniform ſpr 
Pferde. ä n Re ir 
Sogleich war eine BEN heftige Sms, Sie Dan 3 
Manuels, zu hören, Der wie rafend ſchrie: „Fort! 
um's Teufelswillen! Fort, oder ich a 
auf dem Plage!“ " | i 

„Jeſu Maria! ftöhnte der Mayor dome: nei 1 
Belzebubs, ohne Meſſe, ohne Biaticum, ohne Beichte. u 

Selbſt die rohen Dragoner ſchauderten ob der Hef⸗ \ 
tigkeit des Jünglings, und bekreuzten ſich mit einem 
Entſetzen, das dem jungen Edelmanne vollends feine 
Befinnung zu en NO: che ein Wort w 2 





*) Nicht für ewig verloren. 


—H 291 — 


ſten -Ölieder an, in wenigen Minuten war Alles 


zwifchen dem Laubwerke der Bäume verfehwunden. 
Der Graf mit dem jungen Conde hatten. ſprachlos 
den Enteilenden nachgejehen. 

„Was ſoll das?“ ſprach der Erftere endlich zum 
jungen Conde, der. noch immer verftört bald durchs 
Fenſter, bald auf das Bette der Condeſſa ftierte: es 
iſt noch eine halbe Stunde vor ſechs.“ 

„Wir haben plöglich Drdre zum fchleunigften Auf- 
bruche erhalten. Die Gavecillas zeigen fich vom Mas» 
linche herab bis zur Barranca von Juanes, und be= 
drohen unfere Kommunikation mit Puebla; die von 
Kalapa und Veracruz iſt bereits unterbrochen.“ 

„Das iſt eine ſchlimme und wieder eine tröſtliche 
Nachricht,“ ſprach der Graf in tiefem Nachdenken, 
„eine ſehr ſchlimme und eine ſehr tröſtliche Nachricht. 
Fürchte für die Nina nichts, Carlos!“ fuhr er mit be— 

wegter Stimme fort, und ſein Blick fiel wieder auf 
die Leidende; ; „fo ſehr find unſere häuslichen Leiden 
mit denen unfereö Volkes verwoben, daß nur Die 
gänzliche Genefung des legtern unfern Sammer vol- 
lends heben kann. Ja, theurer Carlos! das Leiden 
Deiner Schwefter ift mir nun Labfal geworden; denn 


x . 





e wendet meinen wahnftnnigen —* weni; \ 
einige Zeit von dem Elende meines — ab; J 
es iſt Zerſtreuung.“ J J 
„Gott! was find wir für Menſchen, die hier noch 
Zerftreuung ſuchen müſſen. Hermanna Cloira!a*) 
flüſterte er der jungen Gräfin zu, auf die er zueilte 
und ihr einen Kuß auf die Lippen drückte. | 
Das lieblihe Kind Hffnete wieder die Augen und # 
ſah den Bruder mit einem troſtlos wehmüthigen Blicke . 
an. „Ayde mi,‘ **) lispelte fte; „Ay de mi,‘ wieder⸗ 
holte fie, und fehaudernd, wie gerüttelt vom Fieber- | 
frofte, jehrack fie wieder zufammen. „Perdona mia 
estrella,“ bat fie, „Perdon Hermanno!‘‘***) umd 
dann hob fie ihre Hände bittend und entſchlummerte. 4— 
„Jeſu Maria!“ rief der junge Graf, „und - ſoll 1 
gehen und fie verlaffen?« “ 
„Fürchte nicht für fie,“ ſprach der Gonde; van E 
ihrer baldigen Genefung zu zweifeln, wäre an ihr | 
Zartfinn verzweifeln. Das Leiden unferes Volkes if . 
fo groß, daß fie ihr eigenes darüber vergeffen wird.“ 








*) Schweiter Elvira. 
+) Mehe mir! 
***) Vergebung meinem Sterne! Vergebung, en £ 


— 293 — 


Und mit diefen Worten füßten ſich Beide; ber 
junge Graf eilte aus dem Saale dem Detachement 
der Dragoner nad). 


Sechszehntes Kapitel. 


Sollten unfere Lejer zu finden glauben, daß wir gar 
zu langweilig werden, jo mögen fie verfihert jeyn, daß 
wir unfere ganz bejondere Gründe haben. 

Brittiſcher Ejfaytit. 

Mir würden ung faum wundern, wenn unjere Les 
jer die bisher gejchilderten Scenen mehr ala Aus— 
brüche einer krankhaften Phantaſie befächelten, die in 
ober Luft Zerrbilder darftellt, die nirgends als in 
ihren ausjchweifenden Träumen ihr flüchtiges Da— 
jeyn haben. — Für uns, deren geſellſchaftliche In— 
jtitutionen fi) jo naturgemäß und Human entwidelt, 
deren Gejeglichkeit in Folge diefer rationelen Ent— 
widelung fo feſt begründet und allgemein ift, wo der 
Aermfte jo wie der Reichſte jeine angebornen Rechte 
und die unter feiner Mitwirkung feſtgeſetzten Be 
ichränfungen eben jo genau fennt und männlich feſt— 


hält, al8 fie von feinen Vorfahren erfämpft und ver- 
Der Virey. I. | 20 


— 294 — 
theidigt worden, für unfer ernſt politifches Wirken 
und Leben dürfte es ſchwer ſeyn, ein fo tolles Ge— 
wirre raſenden Uebermuthes und ftupider Feigheit, 
kraſſen Despotismus und frecher Zügellofigfeit, un- 
erträglicher Anmaßung und niedriger Preisgebung 


der heiligiten angebornen Rechte auch nur möglich zu 


denfen; denn es gehört wirklich die Vereinigung all 
der Uebel dazu, die dem Menjchen feine Würde rau- 
ben und ihn allmählig zu wenig mehr denn einem 
Thiere herabwürdigen, um jolde Charaktere und 
Scenen zu verwirklichen; eine Vereinigung, die wir, 
troß aller Klagen, auch nicht im entferntejten zu dul⸗ 
den hatten. Nein, fo drücend auch die Anmaßungen 


waren, über welche die Väter der neuen Freiheit, und 
wir mögen fühn behaupten, der Wiedergeburt des 


Menſchengeſchlechts, zu Hagen hatten, jo waren fie 
doc noch wahre Wohlthaten im Vergleiche mit den 
fürchterlichen Uebeln, die das Nachbarland jeit Jahr= 
hunderten erduldet hat. Uebel, die aber, die Wahr 


heit zu geftehen, auch zu den unfere Vorfahren bür⸗ 
denden Laſten ganz in demjelben Folgenverhäliniffe 


ſtanden, welche die friedlich ruhige Befignahme eines 
unwirthbaren, von Niemanden rechtmäßig angejpro- 


— nn 5 * 
TEE a bi anni an u, 


Ze u ud 


— 295 — 


chenen Bodens, und hinmwiederum die Eroberungen 
eines Cortez oder Pizarro nothwendig nach ſich ziehen 
mußten. 

Wenn ruhig friedliche und freiheitsftolze, auf ihre 
angebornen Rechte eiferjüchtige, und durch politische 
oder religiöje Verfolgungen in ihrem Vaterlande be= 
drängte Bürger diefem den Rüden fehren, um in 
einer Taujende von Meilen entfernten Wildniß die 
in ihrem Baterlande angefochtenen Rechte ungekränkt 
zu genießen; wenn fie und ihre Nachfolger und deren 
Kinder und Kindesfinder unter fteten Kämpfen mit 
wilden Thieren und wildern Menjchen diefe Wildniß 
beurbaren; wenn fid) unter ihren raftlofen Händen 
blühende Fluren, wohnliche Site und reihe Städte 
erheben; wenn diefe Bürger durch Gejeklichfeit, 
Fleiß und Fortjchreiten in Aufklärung und den bür— 
gerlihen Künften allmählig zu Staaten anwadjen, 
die, ſtark im Bewußtſeyn ihrer Kraft, ſich jehnen, 
ſich ſelbſt Gefege zu geben, ftatt diefe vom entfernten 
Mutterlande zu empfangen, die Früchte ihres Fleißes, 
die Erfparnifje ihrer Weiber und Kinder zum Beten 
des eignen Landes zu verwenden, jtatt fie einer ver= 
ſchwenderiſchen fernen Ariſtokratie zu tpöriöten nim« 

20 


— 296 — 
mer endenden Entwürfen und Kriegen in den Schooß 
zu werfen; wenn ſolche Bürger und zwar die edel- 
ſten, die gewiſſenhafteſten, die einſichtsvollſten, ſelbſt 
Hand ans Werk legen, und ſich zuerſt in die Breſche 
ſtellen, und ihren Willen zur That werden laſſen, 
und ſich erheben, um für ihre angebornen Rechte zu 
kämpfen: dann werden dieſe Staaten und der Kampf 


für ihre Rechte, dieſe bürgerliche Geſellſchaft und die 


Revolution, durch welche ſie ſich vom Mutterlande 
losreißen, ganz anders beſchaffen ſeyn, als die eines 
Volkes, das, durch einen Haufen ſitten- und geſetz— 
loſer Abenteurer plötzlich über den Haufen geworfen, 
Jahrhunderte in einer unerhörten Dienſtbarkeit ge- 
ſchmachtet und, nachdem es Jahrhunderte geſchmach— 
tet, endlich losbricht, nicht um angeborne Rechte, von 


denen es feinen Begriff Hat, wieder zu erlangen, jon- 
dern — jeinen Rachedurſt zu befriedigen. I dem 


erjten Falle ift es die zur bürgerlichen Freiheit aufer— 
zogene Gejelliehaft, die Mündigwerdung des jungen 


Mannes, der in feine bürgerliche Rechte eintritt, und 
diefe mit männlichem Geifte, warmem Herzen und 4— 
kaltem Verſtande zu verfechten weiß; im andern iſt — 
es das Entſpringen des gefangenen Tigers, der den 











— 297 — 


in feinem Eijenfäfige lange verhaltenen Grimm auf 
eine blutige Weife zu befriedigen vom Inſtinkte ge= 
trieben wird. Das eine Beijpiel haben die Ver— 
einigten Staaten aufgejtellt, daS andere Mexiko. 
Gefunfen unter den mwüthenden Angriffen eines 
verzweifelten Abenteurers, feiner Religion, feiner 
Bildung, jeiner Herrjcher, feiner edeljten Männer, 
jeiner Tempel, ſelbſt feiner Gefchichte beraubt, war 
das ganze Land, nachdem es in die Hände der Spa— 
nier zu fallen das Unglüd gehabt, aus einem blü- 
hend jelbftftändigen Staate eine ungeheure Domaine, 
— feine Bewohner eine disponible Horde geworden, 
der man noch eine Wohlthat zu erweiſen glaubte, 
wenn man fie, zu Hunderten, zu Taufenden, wie das 
Vieh an eine wüfte Soldatesfa vertheilte. Ihres 
Eigenthumes, ihrer Weder, zum Theile jelbjt ihrer 
Weiber und Kinder beraubt, heerdenweife in die Berg- 
werfe getrieben, oder zum Lafttragen über unweg— 
ſame Gebirge verdammt, war. die Geſchichte dieſes 
beiſpiellos gemißhandelten Volkes drei Jahrhunderte 
hindurch ein fortwährendes Gemälde der unmenſch— 
lichſten Bedrückung geweſen, dem ſelbſt die zu ſeinem 
Beſten gegebenen Geſetze dadurch, daß fie gewiſſen— 





| 
Iofen Beamten zur Vollziehung anvertraut waren, zu | 
unheilbarem Krebsſchaden wurden. In ihre Dörfer 
eingebannt, aus denen fie nur gerifjen wurden, um 


ihren Beinigern zu fröhnen, hatten fie im ftumpfen 


Dahinbrüten Alles verloren, wa8 den Menjchen ala 
ſolchen bezeichnet; nur das Gefühl ihrer Entwürdiz 
gung, die Erinnerung an die ausgeftandenen Leiden, 
und ein injtinktartiges, düfteres Sehnen nad) bluti= 
ger Rache waren geblieben. — 

In dieſen wenigen Zeilen iſt die Geſchichte von * 





Fünftheilen der Bewohner Mexiko's und der gleich 4 


unglücklichen, gleich verwahrlosten und noch mehr 
verwilderten und verachteten Geſchöpfe — der Kaften 
— enthalten, — Sprößlinge einer thierifchen Ver⸗ 4 
miſchung der Eroberer und ihrer Nachfolger und 2 
Sklaven mit den Eingebornen — mit all dem an- 3 


ſcheinenden Stumpffinne, all der wirklichen Apathie J 
der rothen Race, all der Zucht- und Geſetzloſigkeit — 


der weißen Väter, in eine Welt hinausgeſtoßen, die 
fie al8 ehrlos brandmarkte, alles Eigentums bes 


taubte, verdammte zu den niedrigjten Arbeiten, ein N 


fteter Gegenftand der Furcht und des Abjcheues der M 
bejjern Klafjen, weil fie nichts zu verlieren, in einer an 





— .299 — 


Staatsummwälzung Alles zu gewinnen hatten. So 
waren die Elemente einer Bevölferung befchaffen, die 
nun durch den Kreißlauf der Dinge zum Kampfe für 
ihre Unabhängigkeit in die Bahn zu treten gleichſam 
bei den Haaren herbeigezogen werden jollte, gleich 
dem Gladiator, der mit der lebten Kraft der Ver— 
zweiflung die Feſſeln von den blutrünftigen Gliedern 
briht und, um dem Serfer zu entipringen, jeine 
Rettung nur in dem Untergange jeiner Unterdrüder 
judt: — 

Dreihundert Jahre hatte Mexiko Monarchen ge= 
horcht, die e8 nie gejehen, ohne aud) nur den Gedan- 
fen eines Abfalles zu hegen. Zwar hatte der Geift 
der Freiheit, durch die Vereinten Staaten ins Leben 
gerufen, auch in Mexiko Anklang gefunden; aber 
dieſer Anklang war verhallt, und ein namenlofes 
Sehnen war Alles, was übrig geblieben war. Das 
planmäßige Unterdrückungsſyſtem des Spaniers hatte 
jeden höhern Aufſchwung erdrüdt; der Adel hatte 
fi) ganz an die Regierung angejchlofjen, die Mittel= 
flafjen waren gefolgt, das Volk mußte diefem Bei— 
jpiele folgen. Es herrſchte Ruhe, jelbjt lange nach— 
dem in den jüdlichen Kolonien bereits der Aufſtand 


u ; 
ausgebrodhen war; diefe Ruhe war felbft nicht un⸗ 


terbrochen worden, als die Nachricht von der gewalt⸗ 4 


ſamen Befignahme der Hauptftadt des Mutterlandes 4 
durch feine Erbfeinde und der grauſamen Metzelei 
in derſelben eingetroffen.*) Das entrüſtete Mexiko, 


weit entfernt, bie günftige Gelegenheit zu benußen, | 


feine Unabängigfeit zu erklären, beeilte ſich vielmehr, 
die fprechendften Beweife feiner Sympathie für die 
gekränkte Ehre des Mutterlandes zu geben, und all- g 
enthalben ertönten Verwünſchungen gegen den ge 


mwaltthätigen Machthaber, der den wenig gefannten 4 


Herricher jo heimtüdifch aus feinem Erbreiche gelockt 
und in jtrenger Haft gefangen hielt. Die Kriegser- 
Härung der oberften Junta gegen denjelben Macht— 
haber war mit- lauten Beifalle aufgenommen wor- 
den, und Alles beftrebte fi), werkthätig jeinen En- 


thuſiasmus zu bezeugen, als ein königliches Dekret “ 
anlangte, das Mexiko befahl, den Bruder defjelben E 
fremden Machthabers als Regenten anzuerkennen, der — 
feinen legitimen Fürſten jo widerrechtlich entführtpatte, 


Ein augenſcheinlicherer Beweis von Unwürdigkeit — 





*) Mürats, Mat 1808. 





— 301 — 


zu herrſchen konnte wohl nie und nirgends einem 
Volke jo deutlich vor Augen gelegt werden, als e8 in 
diejem königlichen Defrete geſchah. Loyalität war 
diefem Volke gewifjermaßen zum Glaubensartifel ges 
worden; aber jo wie der blinde Glaube dem abſo— 
Iutejten Unglauben weicht, wenn der Blindgläubige 
plößlich aus ſeinem Wahne geriſſen wird, ſo war 
auch von dem Volke Mexiko's durch dieſe königliche 
Niederträchtigkeit auf einmal alle Loyalität gewichen. 
Gegen den angeſtammten Monarchen ſich zu em— 
pören, würde den Mexikanern ſchwerlich je einge— 
fallen ſeyn; aber von eben dieſem Monarchen auf 
eine ſo ſchmähliche Weiſe weggeworfen zu werden, 
war eine um ſo ſchmerzlicher gefühlte Kränkung, als 
das Land, bei aller ſeiner Herabwürdigung, dieſe 
letzte Herabwürdigung noch nicht erfahren hatte. 
Der Unwille über dieſe königliche Zumuthung war 
allgemein, und das Dekret wurde einſtimmig und 
öffentlich verbrannt. Mit gerechter Entrüſtung ge— 
wahrte jedoch daſſelbe Volk, daß gerade Diejenigen, 
die ſich ihrer Loyalität und Anhänglichkeit an die 
fönigliche Berfon und ihr Haus am meiſten gerühmt 
hatten, die Erften gewejen waren, die ihre Treue auf 























— 302 — 
den neuen Herrſcher übertragen hatten. Alle 
rungsbeamte, beinahe alle Spanier, hatten eili 
ſtalten getroffen, das Land dem neuen Herrſcher 
überantworten, ohne auch nur zu fragen, ob es au 
wolle. Ein Einziger hatte einen ehrenvolleren Aı 
weg eingeſchlagen — Zturrigaray, ber Vicelön 
Den feigen und niederträchtig verſchmitzten Charak— 
ſeines gefangenen Gebieters wohl kennend, hatte 
den Plan gefaßt, demſelben Mexiko, dem MWunfe 
feiner Bevölferung gemäß, zu erhalten. Eine Junt 
zuſammengeſetzt aus Spaniern und den angefehenft 
Merifanern, follte eine Volfgrepräfentation bilden, 
die bis zur Ankunft beftimmterer Befehle aus Euro 
das Land vor allen gewaltjamen Erſchütterungen b 
wahren jollte. Der Entwurf hatte den Beifall all 
gutgefinnten Mexikaner erhalten. Alle jahen 
Frohlocken dem Zeitpunkte entgegen, wo endlich 
ſie in den öffentlichen Angelegenheiten ihres Lan 
mitſprechen ſollten. Der Jubel war allgemein; ab 
mitten unter dieſem Jubel, mitten unter dieſen 
bereitungen zur Ausführung des Entwurfes m 
Urheber des Planes, der Vicefönig felbft, von jei 
eigenen Sandaleuten in feinem Pallafte überfallen 


— 308 — 


mit feiner Familie verhaftet, nad) dem Seehafen von 
Beracruz abgeführt und als Staatsgefangener nad 
Spanien eingejifft. 

Dem ſchwächſten Verftande war e8 durch dieſe Ge— 
waltthaten ar gemorden, daß jo lange der Spanier 
herriche, der Mexikaner unbedingt Sklave bleiben 
müſſe; daß er nie hoffen dürfe, an der Verwaltung 
feines Landes Antheil zu nehmen, und daß an Jturti= 
garay bloß deßhalb der unerhörte, geſetzloſe Gewalt- 
ſtreich verübt worden war, weil er den Weg zur all⸗ 
mähligen Emancipirung der Greolen bahnen zu wol« 
Yen fi) unterfangen Hatte. | 

Hatte des Herrſchers niederträchtige Refignation 
feiner angebornen Nechte der Legitimität in den Au« 
gen des Volkes den Stab gebrochen, jo hatte dieſer 
Gewaltſtreich es nicht minder mit der Herrſchaft der 
Spanier gethan. Von dieſem Augenblicke an begann 
der Entſchluß zu wurzeln, ſich der Spanier auf jede 
nur mögliche Weiſe zu entledigen. Eine Verſchwö— 
rung war die unmittelbare Folge, zu der fi an 
hundert der angejehenften Mexikaner mit mehreren 
Hunderten aus den Mittelflaffen und dem Militär 
vereinigten, mit dem fejten Vorſatze, das ſchandbare 


- Mi a 
Joch abzufchütteln, — als wieder die Verrätherei S 
Eines der Verſchwornen, der die Verbündeten in der 
Beichte verrieth, den Ausbruch derjelben zwar nit 
bereitelte, aber bejchleunigte. | 

Es war um neun Uhr Abends am 15. September 
1810 gemwejen, al3 Don Ignacio Allende y Unzaga, 


Gapitain im königlichen Regimente de la reina, von Bi 


Gueretaro fommend, in die Wohnung des Pfarrers E 
von Dolores, Padre Hidalgo, jtürzte, mit der Nach⸗ 2 
richt, daß diejelbe Verſchwörung, die Mexiko von der 3 
verhaßten Herrſchaft der Spanier befreien jollte, ent- 
det, und daß der Befehl erlafjen ſei, die Verſchwor— 
nen todt oder lebendig einzubringen. — Den ſichern 
Untergang vor Augen, berathichlagten die beiden Ber 
ſchwornen eine. Stunde, und traten dann unter ihre J 
Freunde, den feſten Entſchluß verkündend, ihr Leben 


an die Freiheit des Vaterlandes zu ſetzen. Zwei BE 
Offiziere, die Lieutenants Abaſalo y Bellera und © 
Aldama, mit einem Haufen Luftiger Mufitanten, 
Tiſch- und Hausgenofjen des Eura, vereinigten fi) 2 
mit den Aufrührern, und mit diefen, dreizehnan 


der Zahl, beginnt die große mexikaniſche E 
Revolution. Be 





— 305 — 


Während Hidalgo, ein Eruzifig in der Linken, 
ein Piſtol in der Rechten, auf das Gefängniß og» 
ftürzt und die Verbrecher. befreit, dringt Allende mit 
den Hebrigen in die Häufer der Spanier, zwingt fie, 
ihr Silber und baares Geld auszuliefern, und dann 
mitdem Gefchrei: „Vivalaindependencia y muera 
el mal gubernio!‘‘*) ftürmten Alle in die Straßen 
bon Dolores. Die ganze indianijche Bevölkerung 
ſchließt fih an den geliebten Cura an; in wenigen 
Stunden ift der Haufe der Empdrer auf einige Tau— 
jend geftiegen, wozu auf dem Zuge nach Miguel el 
Grande achthundert Rekruten vom Regimente des 
Gapitains ftoßen. Unaufhaltfam vordringend, wirft 
fi) die Yosgelafjene Rotte mit den Worten: „Tod den 
Gachupins!“ auf San Filippe; in drei Tagen fteigt 
fie auf zwanzigtaufend; zu Zelaya angelangt, ſchließt 
ſich ein mexikaniſches Infanterieregiment mit einem 
Theile des Kavallerieregiment3 del prineipe an ſie 
an. Weiter fortſchwellend, wirft fie fi), unter dem 
teten Rufe: „Tod den Gachupins!“ auf Guanaxuato, 
die reichjte Stadt Mexiko's, wo eine dritte Truppen 





) Es lebe die Freiheit! Nieder mit ber fchlechten Regies 
sung! (buchftäblich: es fterbe die fchlechte Regierung!) 


me 


abtheilung fich zu ihr ſchlägt. Won allen Seiten 
ſtrömen num die Indianer herbei, und bie Horde 
wächst auf fünfzigtaufend an. In Guanazuato ; 
wird die fefte Alhondega*) im Sturm genommen, 
die ſämmtlichen Spanier und Creolen, die ſich mit 
ihren Schäßen dahin geflüchtet, niedergemadht; über R 
fünf Millionen harte Piafter fallen den Aufrührern ° 
als Beute in die Hände. Der Fall dieſer Stadt zieht E 
eine ungeheuere Menge Indianer aus allen Theilen B 
des Reiches herbei; die Horde fteigt auf achtzigtau— a 
jend Mann, mworunter aber faum viertaufend Ge— — 
wehre ſind. Unaufhaltſam drängt ſie über Vallado— 3 
lid nad) Mexiko vor, wirft den Oberften Trugillo J 
bei Las Cruces über den Haufen, und zieht am 31. BE 
Dftober die Hügel von Santa Fe herab, die Haupt- B 
jtadt des Königreiches im Angefichte, in deren Mauern 2 
dreißigtaujend Leperos nur des Zeichens zum An 
griffe harren, um den Kampf innerhalb der Stadt zu Fi 
beginnen. Bloß zmweitaufend Linientruppen find zur 

Vertheidigung der Hauptftadt vorhanden; Calleja, — 
der Oberfeldherr, iſt hundert Stunden von Mexilo; 





*) Alhondega de granaditas, ein Getreidemagazin. 





J 


J— 


— 307 — 


ein anderer Obergeneral, der Graf von Cadena, 
ſechzig; der Rüden ift gleichfall3 von den Patrioten 
aufgeregt; auf der Straße von Tlalnepatla rüct ein 
Patriotenchef zur Unterftüung Hidalgo’3 heran; der 
Vicekönig trifft bereit3 Anftalten zum Abzuge nad) 
Beracruz; das Schickſal von Mexiko ift, allem An— 
ſcheine nah, feiner Entſcheidung nahe — ein rajcher 
Angriff, und die Herrſchaft der Indianer ift wieder 
bergeftellt. Aber am folgenden Tage zieht ſich Hi- 
dalgo mit jeinem hundert und zehntaufend Mann 
ftarfen Schwarme zurüd; Mexiko ift gerettet; aber 
die Leidensgejchichte der Patrioten fängt nun an. 

Am 7. November bei Alculco von dem vereinigt 
jpanifch=creolifchen Heere geſchlagen, trifft bald darauf 
Allende bei Marfil ein gleiches Loos, und eine dritte 
Schlacht bei Calderon entſcheidet dag Schickſal des 
erſten Feldzuges, deſſen Urheber, Hidalgo, mit fünf— 
zig ſeiner Gefährten bald darauf, verrätheriſcher 
Weiſe bei Acalito gefangen genommen, mit ſeinem 
Leben büßt. 

Der erſte Aufzug des revolutionären Dramas war 
beendigt, ſechs Monate nachdem der blutige Vorhang 
aufgezogen worden war; aber die Brandfackel, weit 


— 08 | 
entfernt, mit dem alle des Führers verlöfcht zu fi 
hatte fi) nur getheilt, um in zahllojen Flammen das 
ganze Reich deſto ficherer im allgemeinen Brande aufe | 
fodern zu machen. Taufende Derjenigen, die fihnon 
den Schladhtfeldern von Aculco, Marfil und Calde⸗ 
ron gerettet hatten, durchzogen nun die Intendanzen, 
einen Vertilgungskrieg beginnend, der langſam, ber 
ſicher, die unverſöhnlichen Tyrannen aufreiben joe, | 
Die meiften diefer Haufen waren von Prieftern, % Ad⸗ 
vokaten oder Abenteurern befehligt, die ohne Bil- 
dung, bloß durch ihren Haß gegen die Gachupins 
ausgezeichnet, ohne Plan oder Uebereinſtimmung 
handelten. Noch hatten ſich nur Wenige von der 
beſſern Klaſſe der Creolen an die Aufrührer ange— 
ſchloſſen; im eigentlichen Sinne des Wortes waren 
es noch immer bloß die Indianer und Kaften, dieder 
Gefammtbildung und dem Eigenthume des Landes 
gegenüberftanden, und die Herrſchaft der Spanier, 
obwohl erſchüttert, hatte an den Creolen ſelbſt ihre 
ſtärkſte Stüße gefunden. ' 

Diefe, obwohl verhältnigmäßig weniger gedrückt 
als die Indianer und Kaſten, hatten ſich mehr jo ge— 
fühlt, weil fie aufgeflärter, ihre Rechte, wenn nit 















— 309 — 


deutlicher erfannten, doch lebhafter ahnten, als die 
ftumpffinnige, bloß durch Rachedurſt angetriebene, 
rothe und gemijchte Race. Kinder von Vätern, die 
Spanier waren und als jolche mit jouveräner Ver— 
achtung auf Alles, was Creole hieß, ja ſelbſt auf 
ihre eigenen, in Mexiko erzeugten Kinder, herabjahen, 
hatten Diefe, jo zu jagen, den Haß gegen die Spanier 
mit der Muttermilch eingefogen. Weit entfernt, die 
Rechteihrer Bäter nach) dem Buchſtaben der königlichen 
Verordnungen zu genießen, waren Tie jchon durch ihre 
Geburt in dem zinsbaren Lande in den Volfshaufen 
zurüdgejtoßen, um durch immer wieder und wieder ic) 
erneuernde Schaaren gieriger und hochmüthiger Be— 
amten, die in Lumpen famen und mit Hunderttaujen= 
den das Land verließen, außgejogen zu werden. Im 
Beſitze der ſchönſten Ländereien undihrer unermeßlichen 
unterirdiichen Reichthümer, hatte jelbjt Beſitzthum bei 
ihnen feinen Reiz verloren; denn des Spaniers Will- 
für fannte fein Eigenthumsrecht, und er war im Na— 
men feines königlichen Meiſters der unumjchränfte 
Herr alles Eigenthums. Ein ſolcher Zujtand hatte 
mit der ſchmerzlichſten Erbitterung endlich den Wunſch 


nad) Befreiung von * ſchamloſen — all⸗ 
Der Virey. J. 


— 310 — 


gemein erregt, und durch die Verſchwörung waren 
auch alle Anftalten dazu getroffen gemejen. Sie 
jollte, wie gejagt, an Einem Tage über ganz Merifo 
ausbrechen, und unmittelbar jollten Creolen an die 
Stelle der zur Verhaftung beftimmten, ſpaniſchen 


Regierungsbeamten treten, die Seehäfen zugleich ber 
jeßt werden, und jo durch Abjchneidung jeder Unter- 
ftüßung von dem benachbarten Cuba die Föniglihe 


Regierung gewifjermaßen in ihrem eigenen Nebe ge= 
fangen und erftictt werden. An dem erwähnten un- 
glücklichen Verrathe eines Prieſters jcheiterte der 
ganze Plan, und Hidalgo, zu tief verwidelt, um 
feinem unvermeidlihen Schiejale zu entgehen, hatte 
den Ausbruch der Revolution bejehleunigt und, auf 
die Creolen, die ſich großentheild aus der Schlinge 
gezogen, erbittert, mit jeinen Indianern einen Ver— 
tilgungsfrieg begonnen, der Beide, Spanier und 
Creolen, gleich feindfelig behandelte. 

Diejer furhtbare Mißgriff, der nun Spanier und 
Ereolen gleich hart traf, hatte das Schidjal des Auf- 
ſtandes jelbjt entichieden, und die Creolen gezwungen, 


gegen ihren Willen fi) an diefelben Spanier anzu= 


ſchließen, zu deren Verderben fie jelbjt den erjten 


A &, 
Rei. = air 


— 51 — 


Grundftein gelegt hatten. Es mar vorzüglich durch 
ihre Mitwirkung gejchehen, daß die drei Schlachten 
gegen die Rebellen gewonnen worden waren; allein 
die Spanier, weit entfernt für diefe Mitwirkung 
dankbar zu jeyn, fahen in der ganzen Creolen-Be- 
völferung nur die mißgünftigen Rebellen, die in der 
Ausführung ihrer Pläne gejcheitert waren. 

Ueber einen Aufſtand erbittert, der ihrem Könige 
jeine Suprematie, und ihnen jelbft die Ausbeutung des 
reichſten Landes der Erde zu entreißen gedroht hatte, 
fingen fie an, darauf hin zu arbeiten, fich nicht nur 
der Rebellen jelbjt auf alle mögliche Weiſe zu ent- 
ledigen, fondern auch der Möglichkeit einer künftigen 
Empörung auf eben die Art vorzubeugen, wie unfere 
Bienenjäger den Stichen der wilden Schwärme vor— 
beugen, deren Honig fie ſich ungejtört zuzueignen im 
Sinne haben, fie nämlid) mit euer und der Art zu 
vertilgen. Vierundzwanzig große und Heine Städte 
mit zahllojen Dörfern waren in den achtzehn Mona— 
ten des Krieges bereit3 von den Spaniern von Grund 
und Boden aus zerjtört, ihre Bevölkerung ohne Un— 
terſchied vertilgt worden, aus feiner andern Urjache, 
als weil fie die Injurgenten vorzugsweiſe begünjtigt 

21* 


— 312 — 


hatten. Noch nicht zufrieden mit den Hundert- 
“taufenden, die Feuer und Schwert gefreſſen, hatten 
fi die blinden Legitimitätsdiener nicht entblödet, 
im Namen des dreieinigen Gotte8 und der heiligen 
Jungfrau die feierlichite Amnejtie dur) den Mund 
der Kirche zu verfünden, um die leichtgläubigen Elen— 
den, die diefen VBerficherungen trauten, ohne Erbar- 
men zu bertilgen. Eine jo entjeßliche Treuloſigkeit 
Yieß natürlich feine Möglichkeit einer Wiederausſöh— 
nung mehr zu, und die plößliche Wendung, Die der 
Gang der Revolution zu gleicher Zeit zu nehmen 
anfing, ſchien endlich die ganze Bevölkerung gegen 
dieſe elenden Tyrannen vereinigen zu wollen. 
Unter den Abenteurern, die, Ruhm oder Beute 
juchend oder von Haß gegen die Unterdrüder ange— 
trieben, fich zu Hidalgo auf feinem Triumphzuge von 
Guanaxuato nad) Mexiko gedrängt hatten, war aud) 
jein Jugendfreund und Schulgefährte Padre Morellos, 
Rector Cura*), von Nucupetaro geweſen. Bon dem 
Generaliffimus Hidalgo brüderlich aufgenommen, 


hatte er von Diefem den Auftrag erhalten, die jüd- 





*) Der Pfarrer; weltgeiftlichen Standes beißen fie Nec- 
tores Curas, die Kloftergeiftlichen Padres Curas. 


ER ENTE TREE 


— 33 — 


mweitlichen Provinzen des Königreiches in Aufitand 
zu verfegen. Mit diefem gefährlichen Auftrage aus— 
gerüftet, hatte ſich der fechzigjährige Priefter, bloß 
von fünf Anhängern begleitet, in die Intendanzen 
feiner neuen Militärdivifion begeben, war in Pe— 
talan auf zwanzig Neger geſtoßen, die er durch das 
Verſprechen der Treiheit ihm zu folgen bewog, und 
bald darauf von mehreren Creolen mit ihrem An— 
hange verjtärft worden. 
Ungleich feinem Vorgänger, fing diefer Priefter 
den Krieg im Kleinen, nad Art jener Guerillas 
an, die im Mutterlande die Kraft des Yeindes jo 
wirffam gebrochen hatten. Allmählig die Sphäre 
jeiner kriegeriſchen Thätigfeit erweiternd, hatte er 
mehrere nicht unbedeutende Siege über die ſpaniſchen 
Generale in einem ſechszehnmonatlichen Heinen Kriege 
davon getragen. Das Gerücht ſchilderte ihn ala 
einen ernjten Mann, ganz das Gegentheil vom 
leichtſinnig raſchen Hidalgo, begabt mit einem durch— 
dringenden Verſtande, von tadellofen Sitten und 
weit liberalern Anfichten, als man fie von einem 
mexikaniſchen Priefter und feiner beſchränkten Er— 
ziehung hätte erwarten follen; der Einfluß, den er 


wen 


auf die Indianer ausübte, follte ans Unglaubliche | 


. gränzen. Diefer Mann nun war an demjelben dia 


de fiesto, an welchem unſere Gefchichte beginnt, 


an der Spibe einer Heinen Armee in der Nähe von 
Mexiko angekommen; die bedeutendften Chefs der 
Patriotencorps, unter denen Vittoria, Guerero, Bra= 
vo, Ofjourno, hatten ſich feinen Befehlen unter- 
worfen, und das moraliſche Webergewicht feines 
Namens Ichien endlich bewirken zu wollen, woran 
e3 jeit dem Tode Hidalgos gefehlt hatte, Weberein- 


flimmung in den Kriegsoperationen der Patrioten 


und eine Disciplin unter den Truppen, die dem 
Lande Bertrauen einflößen konnte. 

Auf diefen Mann nun begann Mexiko die Augen 
ſehnſuchtsvoll zu richten. Er oder Keiner, das war 
der allgemeine Glaube, konnte das Land befreien. 
Taufende von Creolen hatten fich bereit an ihn an- 
geiehloffen, und Taufende waren auf dem Punkte, 
dieſem Beifpiele zu folgen. Der Enthufiasmus nahın 
ſtündlich zu, und felbft der gewiſſe Tod, der Jeden 
traf, der auch nur Wünſche für Mexiko laut werden 


ließ, konnte die Aufregung unter der jüngern creoli=. 


ſchen Bevölkerung nicht ftillen. Die reifere Mehrzahl 


* 4 
RE —F — BE 


— 835 — 


ſchwankte jedoch noch immer unentjchloffen. Gänzlich 
in der Gewalt der Spanier, denen fie ih, um Schuß 
por den wüthenden Horden Hidalgos zu finden, in 
die Hände liefern mußten, und argwöhnifch von Dies 
fen bewacht, fehlte e8 ihnen eben fo fehr an der Kraft, 
ih ihren Tyrannen zu entziehen, als am Willen, 
ih an die neuen Befreier anzuschließen. Der miß- 
lungene Verſuch Hidalgos hatte ihr Vertrauen auf 
die Möglichkeit einer Befreiung erfchüttert, die Grau— 
jamfeiten der Indianer gegen ihre Brüder ihre Be— 
geilterung eingejchüchtert. Noch gellte ihnen das 
Wuth- und Rachegeſchrei der Indianer in die Ohren. 
Würde Morellos auch im Stande ſeyn, Calleja die 
Spitze zu bieten, gegen den Hidalgo und Allende mit 
ihren Hundertaufenden das Feld bei jedem Zuſam— 
mentreffen verloren hatten? jelbjt im Falle eines 
Sieges im Stande ſeyn, Kriegszucht und Ordnung 
unter den zufammengelaufenen Schaaren aufrecht zu 
erhalten? Würden die Abenteurer, von denen Die 
meiften Abtheilungen des Patriotenheeres befehligt 
waren, nicht vielmehr ihren Sieg benüßen, um das 
unglückliche Land mit allen Schrednifien, die einen 
zuchtloſen, ſiegtrunkenen Rebellenhaufen begleiten, 


Se 


heimfuchen? Solches waren die Fragen, die ſich 
Tauſenden der einſichtsvollern Bürger, nicht nur der 
Hauptjtadt, jondern des Landes aufdrängten, und 


ihre Thatkraft in dem Augenblicde hemmten, wo dieje 


zur Bertreibung der Spanier in Wirkſamkeit treten 
jollte. Alle haßten die Spanier bitter und blutig. 
Alle hatten gelitten, und litten noch immer von den 
unerträgliden Anmaßungen und der Geſetzloſigkeit 
diejer bigotten nimmer fatten Eindringlinge; aber 
diefe Eindringlinge hatten troß ihrer Geſetzloſigkeit 
Ordnung gehandhabt, deren Werth nun in der all= 
gemeinen Zerrüttung jo fühlbar geworden war, Die 
perjönliche Sicherheit und die Rechte des Eigenthums, 
wenn aud) häufig verlegt, waren doch nie jo en gros 
über den Haufen geworfen worden. Hatten diefe 
Gründe jhon auf die Gefinnungen und das Betra- 
gen der Mehrzahl der bemittelten Mittelklaſſen be= 
deutenden Einfluß geäußert, jo mußten fie eg noch 
weit mehr bei der am meilten bevorrechteten Kaſte, 
dem hohen Adel, der bei einem Umjturze der Ord— 


nung natürlich am meiften zu verlieren hatte. Meh- 
tere dieſer Familien bildeten, wie gejagt, eine Muni⸗ 


zipal-Nriftofratie, die beſonders über die Indianer 


— * * u 
ne EL 25 1 Er Mal un 2 


— 317 — 


und die mit ihnen verwandten Kaſten eine fehr 
drüdende Herrſchaft ausübte, die Revolution, die 
nit nur diefer drüdenden, ganz eigenthümlich 
Ihändlichen Herrſchaft ein Ende zu machen, fondern 
fie au) in die Klaſſe der übrigen Bürger zu werfen, 
und was bejonders jehredlich für fie war, ihnen ihre 
Adelsdiplome und Ordensdecorationen zu entreißen 
drohte, für die fie jo große Summen aufgewandt 
hatten, und auf die fie, gleich den raffinirten höhern 
Ständen des europäijchen Feſtlandes, einen unend— 
lichen Werth jegten, mußte fie daher nothwendig mit 
Schrecken erfüllen und ihnen das Ende der Herrſchaft 
des Spanier3 als ihr eigenes darftellen. Daß diefe 
Borjtellungen verzweifelte Anjtrenaungen von Seiten 
des Adels bewirkten, die ſpaniſche Herrſchaft um 
jeden Preis aufrecht zu erhalten, war um jo natür= 
licher, als feine beſchränkte Erziehung ihn ganz in 
die Hände diefer Herrjchaft gegeben hatte. Wenn 
jedoch dieſe Vorurtheile gegen die Revolution unter 
der Mehrzahl des hohen Adels herrjchend waren, 
und es wäre eitel, die Thatfache zu läugnen, jo kön— 
nen wir auf der andern Seite nicht umhin zu ge- 
ftehen, daß es wieder Männer unter diefer hohen 


— 318 — 


betitelten Ariftofratie gab, die den Stand der Dinge 
aus einem weit höhern, für fie und ihr Land ehren- 
volferen Gefichtspunfte auffaßten. Eigenthum und 
vorzüglich Grundeigenthum ift, was auch Ultralibe— 
raliamus dagegen Jagen mag, eine Baſis, deren So— 
lidität auch dem ſchwächſten Verſtande einen Halt 
gibt, den der geijtreichere Eigenthumsloſe vergeblich 
anſpricht. Es liegt etwas Zähes, aber zugleich auch 
etwas Pofitives im Grundeigenthum, das jeinen Be— 
jiger gemwifjermaßen zwingt, unabhängig bon feiner 
Perjönlichen Vorliebe und feinen Vorurtheilen, das 
Wohl des Landes zu berüdjichtigen, in dem fein 


Eigenthum liegt. So wahrhaft abjurd daher auch 


das Benehmen der Mehrzahl diefer Hochadelichen im 
Anfange der Revolution geweſen, jo kindiſch lächer— 
lich ihre Vorliebe für die werthloſen Auszeichnungen 
ihres königlichen Gebieters, ſo hatte es wieder unter 
ihnen Männer gegeben, die die Lage ihres Landes 
richtiger beurtheilten, und ungeachtet des ſervilen 
Kleides, das ſie trugen, für die Freiheit ihres Landes 


größere Opfer gebracht hatten, als die glühendſten, 
lauteften und ungeftümften Fteiheitshelden je gethan. 
Unter Diefen hatte fich der Edelmann, mit dem wir 


— rn 
——— 


— 319 — 


bereit3 unfere Lejer befannt gemacht haben, befonders 
ausgezeichnet. Yamilienverhältniffe hatten ihm den 
jeltenen Borzug verichafft, feine Jugend in der Madre 
Patria und den civilifirtern Ländern der alten Welt 
zuzubringen, und ihm fo Gelegenheit gegeben, jene 
Erfahrungen zu fammeln, die nöthig find, um eine 
unabhängig richtige Anficht der Verhältniſſe feines 
eigenen Landes zu faſſen. Bon der Natur mit einem 
durchdringenden Berjtande begabt, hatten die Demü- 
thigungen, die er fi) von dem ſtolzen Spanier im 
Mutterlande bloß deßhalb hatte gefallen laſſen 
müſſen, weil er ein geborener Merifaner war, ihm 
frühzeitig jenen tiefen Abjcheu gegen die Bedrücker 
eingeflößt, den nur wieder derjelbe reife und gebil- 
dete Berftand genugfam zu meiftern im Stande war. 
Die Eindrüde, die er im gejelligen Leben der aufge— 
Härteften Völfer Europas und der Aufgeflärtejten 
jeineg eigenen Welttheil8 empfangen, hatte er tief in 
feinen Bufen niedergelegt und in die Einſamkeit ſei— 
ner weitläufigen Befißungen mitgenommen, two fie 
ihm Nahrung in feinen trüben Stunden und Leit- 
jtern in feinem häuslichen und öffentlichen Leben 
wurden. So war allmählig ein eben jo fejter als 


— 320 — 


umſichtiger Charakter entjtanden, der jedoch, unge- 

- achtet feiner Umfichtigkeit und Klugheit, faum für die 
Länge dem Argwohn der Beherricher des Landes ent 
gangen jeyn dürfte, wenn nicht ein herbes Loos, das 
jein Yamilienglüd kurz nad feiner Rückkehr aus 
Europa zertrtümmert, dadurch, daß es ihn zum 
Gegenftand einer allgemeinen Sympathie erhob, wie- 
der beigetragen hätte, dem ſpaniſchen Mißtrauen eine 
andere Richtung zu geben. Er jelbjt hatte ſich feit 
diefem Schlage gänzlich) von der Welt zurüdigezogen, 
ganz und allein in der Beförderung des MWohles 
jeiner nächften Umgebungen und zahlreichen Angehö- 
rigen Troft und Erholung ſuchend. Aber ungeachtet 
diefer Zurücigezogenheit hatte fich jein Einfluß zu— 
jehends und auf eine Weiſe vergrößert, die jelbjt die 
Aufmerkſamkeit des Mutterlandes auf fich zu ziehen 
begonnen hatte. Diefer Einfluß wieder, weit ent- 
fernt, in feiner Perfönlichfeit Herborzutreten, war 
vielmehr in der fejtern Haltung des Adels und der 
ihm zunächft ftehenden bürgerlichen Klafjen bemeri- 
bar geworden. Es lag etwas Geheimnißvolles in 
dieſem Einfluffe, ſo wie in der Art, wie er ihn geltend 
machte. Gleich dem befonnen, ruhig feften See- 





— 321 — 


manne, der jeden Windhauch kennt und jedes Wölk— 
hen zu Haflifiziren weiß, ſchien jein durchdringender 
Blick Schon lange vor dem Ausbruche der Revolution 
feine Maßregeln getroffen zu haben, um dem kom— 
menden Sturm zu begegnen. Das Gerücht ging, 
daß er die Hauptveranlafjung gewejen, die Mehrere 
de3 mexikanischen Adels bewogen, ſich an Iturrigaray 
anzufchließen. Er jelbft war bei diejer großen poli— 
tiſchen Maßregel nicht bejonders herborgetreten. Als 
jedoch der Plan fich wirklich zu einem günftigen Re— 
jultate neigte, hatte ex ſich gemäßigt und feſt für den- 
jelben erflärt, als das einzige Mittel, jein Volk und 
Land aus dem herabwürdigenden Zuftande zu reißen, 
und mit der Art und Weife, fich jelbjt zu beherrjchen, 
ſtufenweiſe vertrauter zu machen, jo Hand in Hand 
mit den ſpaniſchen Behörden fortzufchreiten, big 
günftige Verhältniſſe e8 erlauben würden, den Ver— 
band zwiſchen beiden Ländern gänzlich aufzulöfen. 
Merkwürdig genug erklärte fich jedoch derfelbe aufs 
geflärte Geift gegen eine plöhliche Freiheitserflärung, 
und zwar jo bejtimmt, daß eine bedeutende An— 
zahl ihm wieder ihr Vertrauen zu entziehen anfing. 
Vielleicht, daß er, die Schwächen diejes Volkes ein- 


— 352 — 


ſehend, die Unmöglichkeit vorausfah, die Freiheit, . 


ſelbſt wenn fie erlangt würde, zu bewahren. Seine 


Gefinnungen theilten die einflußreichften und auf⸗ 


geklärteſten Mitglieder deſſelben Hohen Adels und 


der höheren Bürgerflaffen. Doc als Diefe, empört 
über den jchnöden Gemwaltftreich, der den beliebten 


Vicekönig jo verrätherifch gefangen aus dem Lande 


entführte, zum offenen Bruche Anftalt machten, z0g 


ſich der vorfichtige Ariftofrat wieder in feine vorige 
ſcheinbare Unthätigfeit zurück, aus der er fi auch 
durch die nachher wirklich ausgebrochene Revolution 
nicht bringen ließ. Unterdeſſen wollten die heller 
Sehenden, ungeachtet dieſes ſcheinbaren Rüczuges 


bon der politiichen Laufbahn, deutliche Spuren feiner 


fortwährenden Thätigfeit bemerkt haben, und wirk— 
ih waren Symptome einer ſolchen im ganzen 


Lande zu fühlen, die um fo auffallender wurden, 


als die Bedeutjamfeit der Hülfsmittel, die dieſem 


unfichtbaren Agenten zu Gebote jtanden, und Die 


Wirkſamkeit derjelben, alle Verſuche der Behörde,’ 
fie zu entdecken oder ihnen auf die Spur zu fommen, 
auf eine Weife vereitelte, die diefe in die größte 
Beforgniß verjehte. Das ganze Land war in der 


BB Ball Ds ee TR Da a a a FE rt 


— 323 — 


That duch diefe unfichtbaren Agenten in feinen Ge— 
ſinnungen und Anfichten revoltirt worden, und jo 
ſicher wirkte der ausgeftreute Same des Haſſes gegen 
die Spanier, daß, ohne den unglüdlichen Verrath, 
wahrſcheinlich Mexiko ohne bejonders hartnädigen 
Kanpf in die Hände der Creolen übergegangen wäre. 
Die Urheber dieſer moraliſchen Revolution blieben 
jedoch in geheimnißvolle Dunfelheit gehüllt, und unfer 
Graf ſchloß fi mit dem ganzen Adel offenbar an die 
fönigliche Regierung an. Der neue Vicekönig, der 
Nachfolger des unglüdlichen Jturrigarray, der mitt- 
Verweile die Zügel derjelben übernommen, hatte mit 
zahlreihen Belohnungen, Orden und Titeln für die 
Werkzeuge, die feinem Vorgänger einen vicefönig- 
lichen Stuhl und Freiheit geraubt, auch) eine bedeu- 
tende Anzahl Berdammungs- und Todesurtheile 
mitgebracht. Aber obwohl das Stigma des Libera- 
lismus auch) den Conde San Jago ftark befleckt, fo 
hatte fich doch die neue Excellenz mehr als beeilt, ihn 
mit Beweijen von Freundſchaft und Vertrauen zu 
überhäufen, die eben jo jehr die Verwunderung der 
Uneingeweihten, als das zufriedene Lächeln der Wif- 
jenden, erregten. Andere Vorfälle hatten ſich wieder 


— men | 
ereignet, die das gute Verhältniß zwiſchen den beiden 
Gewaltigen zu zerjtören drohten, und unter diejen 


der Machtſpruch, der den Neffen des Ariftofraten in 


die Madre Partia verwies. Welches die eigentliche 
Beranlaffung zu diefem Cabinetsftreiche geweſen, 
dürfte der Verfolg der Gejchichte lehren, zu der wir 
nad) diefer etwas langen, aber zur Verftändigung 
unferer Leſer vielleicht eben nicht überflüjfigen Skizze 
der damaligen Berhältnifje Mexikos wiederkehren. 


Noten des erften Bandes. 


Il. Den Erlöſer von Atolnico vorftellend. 
Die Kapelle des Grlöfers von Atolnico befindet ſich auf 
dem Gipfel eines ziemlich fteilen und Hohen Berges, zwe 
und eine halbe Stunde von Miguel el Grande. Auf dem 
Hochaltar ſteht man die Standbilder des Erlöfers, der 
Jungfrau Maria, Magdalenens u. |. w. von gediegenem 


Silber, mit Rubinen und Smaragden befegt. Links befin 


det fich eine Neihe von nicht weniger als dreißig Altären 
“mit Standbildern in Lebensgröße, Säulen, Kreuzen, Leuch— 
tern, alle 'von demfelben Metalle. Die Summen, die hier 
jährlich geopfert werden, betragen weit über hunderttaufend 
Piafter. Der Urfprung diefes MWallfahrtsortes ift merf- 
würdig. Im der Mitte des vorigen Jahrhunderts trieb ein 
Strafenräuber, Namens Lohra, fein Wefen in der Cor: 
dillera auf eine fo furchtbare Weife, daß die Regierung, 
nicht im Stande feiner Meifter zu werden, ihn einen Ge: 
neralpardon für feine Vergehungen und die oberfte Richter— 
ftelle in einem der drei Haupfgefängniffe Mexiko's mit 
einem jährlichen Gehalt von taufend Dollars anbot. Der 
Mann nahm die Stelle an, bemächtigte fich feiner Genof- 
fen, fing fie zu Hunderten auf und befreite wirklich das 


Der Virey. J. 22 





5 | ame 8 


Land von diefer Geißel. Als Nentet Richter — 
hatte er unumſchränkte Gewalt über Leben und Tod. “ * 
ließ vorzüglich die Schmuggler zu Dutzenden aufhängen, 
wenn ſie nicht den Gewinn mit ihm theilen wollten. Bm 
den ungeheuern Reichthümern, die er auf diefe Weiſe zu⸗ 
ſammenbrachte, baute ex die Kirche von Atolnico, die er 
mit mehreren der daſelbſt befindlichen ſilbernen Standbil⸗ 
der ausſtattete. 

II. Ihm zur Seite eine — von — | 
nern, Zambos und Meftizen. Der Sohn eines 
Weißen und einer Weißen, feyen fie im Land oder in Weite 
indien geboren, heißt Greole, die Tochter Creolin. Der x 
Sohn oder die Tochter eines Weipen, Creolen oder Sure: % 
päers von einer Indianerin wird. Meitize, Meſtizin oder 
auch Metis genannt. Die Farbe eines ſolchen vermiſchten Bi 
| Sprößlings it vöthlich transparent, die Hände und Füge 
flein, die Augen aber noch immer fchief. Sie find Tann J 
Charakters als die Mulatten. 58 

Mulatten ſtammen von weißen Vätern ib Neger: R 
müttern ab; die Farbe ift bronce. Chinos oder Zambos — 
werden die von Negermännern und Indianerweibern Ab⸗ — 
ſtammenden genannt. Sie ſind dunkel ſchwarz-braun. Zam⸗ 
bos prietos werden die von einem Neger und — 
Zamba Abſtammenden genannt. 

Quateroon iſt das Kind eines Weißen und ‚einer 
Mulattin, Duinteroon das Kind eines Weißen. und 
einer Quateroon; vermifcht fich die Quinteroon nochmals De 
mit einem Weißen, fo wird der Sprößling ganz weiß. 

Alta atras, Sprünge rückwaͤrts nennt man, wenn ſich 
eine weißere Berfon mit einem dunkler farbichten Manne 


x 













| 2 327 
vermifcht. Alle diefe farbichten Abkömmlinge werden zu⸗ 
ſammen die Kaſten genannt, z. B. der Kaſte der Quinte— 
roons, dev Meſtizen ꝛc. Reinen Urſprungs find bloß die 
Gachupins (die Spanier), ihre Söhne und Töchter, die 
Creolen, die Indianer und die Neger. 

Es Lebe die Jungfrau von Guadeloupe! 
Nieder mit der Jungfrau der Ganden! Das 
Bild der Jungfrau von Guadeloupe ift in ihrer pracht- 
vollen Kiche, zwei Stunden von Merifo, aufgeftellt. Es 
it ein auf grobem Agave-Baſt gemaltes fehlechtes Bild, 
das bald nach der Sroberung erſchien, und zwar auf 
einem benachbarten öden Hügel, wo es zuerit einen Ins 
dianer durch eine himmlifche Muſik entzückte, die die Engel 
um dafielbe herum aufführten. Der Indianer erzählte die: 
jes Wunder dem Erzbifchof, der es aber nicht glauben 
wollte. Ein zweites Mal ging der Indianer bei dem mu— 
fietrenden Bilde vorüber, und da fand er es mitten unter 
einem Hanfen Nofen ; wieder befahl es ihm, zum Erzbifchof 
zu gehen. Der Erzbifchof wurde turch diefes zweite Wunz 
der auf einmal gläubig, und begrüßte das Bild mit dem 
Titel: Unfere Dame von Guadeloupe. Eine Kapelle wurde 
errichtet, und da der Wunder immer mehr wurden, fo 
wurde es endlich zur Schugpatronin von Mexiko erhoben, 
und zwar da die Gefichtsfarbe der Madonna von gebräuns 
tem Golorit ift, zur Batronin der Eingebornen. 

Die Jungfrau der Önaden, Vierge de los re- 
medios. Ihre Kirche liegt nordweftlich von Merifo, und 
das Bild wurde von einem Soldaten des Cortez gefunden und 
zeigte ſich leivdenfchaftlich für die Spanier eingenommen. 
So ſchwebte es während der Schlacht yon Otumba vor den 






























 Solpaten von — her und re — 
in die Augen. Bei andern Schlachten wurde J 
gemein mit den. Indianern. Zur Dankbarkeit $ 
eine Kapelle errichtet. Aber auf einmal — 
Bild zum unſäglichen Leidweſen der Spanier. Nad 
halben Jahre entdeckte endlich ein Indianer, der, u 
dem Corazon einer Agave zu gelangen, die Blatter 
ſchnitt, das Bild mitten zwiſchen dem Stamme um 
Blättern. Es wurde fofort im Triumph hexbeigeholt 
fo dankbar bewies es fich für die ihm bewiefene Aufmen 
famfeit, daß es fogleich nad) einer langen Dürre einen fia 
fen Regen fandte. Für die unzähligen Wunder, Die ei 
zum Vortheile ver Spanier verrichtete, erhoben fie Diefe zu 
ihrer Schußpatronin und übergaben ihr den Befehl ihrer 

Heere. Sie jtritt fehr tapfer gegen die Jungfrau 
Guadeloupe, die wieder von den Merifanern zu ihrer K ie 
oberftin erhoben ward. Als nämlich Hidalgo, nachden 
die Fahne des Aufruhrs .aufgepflanzt, von dem, Erzbife 
erfommunicirt wurde und in Gefahr ftand, von allen feinen 
Indianern und Anhängern auf einmal verlaffen zu werden, &% 
fiel es ihm glücklicherweiſe bei, ſich und die Seinigen unter 

den Schug der Jungfrau von Guadeloupe zu ftellen. Cine 

ungeheure Fahne wurde fofort verfertigt mit dem Side 
der Jungfrau; diefe wurde als Generalfeldmarfchallin 
elamirt, ihr ein Gehalt angewiefen und ihr Gehorfam vers 
fprochen. Sie bezog ihren ah: wirklich volle rn | 
Sabre, bis 1824. R 















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Sealsfield, Charles (pseud.) 














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