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Full text of "Gesammelte Werke"

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Gelammelte Werke 


des Grafen 


Adolf Iriedrid von Schack. 
In fehs Bänden. 


atit dem Bilönifle des Verfallers. 


Dierter Band. 


Fotosblätter. — Die Plejaden. — Weihgefünge. 





Stuttgart. 
Derlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung, 


1885, 


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Deu von Gebrüder Kröner in Stuttgart. 


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Cotosblätter. 
J. Vermiſchte Gedichte. 


Bor einem Fenſter. 
Todtenklage \ 
An Elijabeth v. K. 
Macht der Liebe 

Um Strande . : 
Un die Prinzejfin ©. . 
Luftgebilve 

Die Schwäne 

Sm Sturm 
Herbitwonne . 

Die Ahnenbilvder 
Morgentraum 2 
Weihe des Schmerzes . 
Sm Garten zu ®.-. 
Das Waldthal . 
Abendgang 

Mitternacht 

Sm Mär -. ... 


Der Grieche im Norden 


Das Zauberſchloß . 
Am Fuß der Alpen 
Gebet des Künftlers 


— — 


Ewige Jugend 

Nach dem Gewitter 

An den Kukuk 

Nachruf 

An den —— 

Bei Muſik 

Unſterbliches Glück. 

An meinem Geburtstage . 

Un meinem Geburtstage (30 Jahre ſpäter) 
Der längſte Tag a rn 
Die längſte Nacht 

Am Mittelmeer . 

In der Krankheit 

Novemberabend . 

Der Seeadler 

Karls des Fünften letzte —— 
Aller-SeelenNadt . 


II. Verwehte Blätter. 
Erites Bud . 


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III. Ans fremden Ländern. 


Dolores : 
Verbrannte Briefe . 
nes 

Anhannisnadit 

König Holger 

Am Guadalquivir . 

In Granada 

Auf dem Libanon . 

Bei Troja 

Homer . Me 
SrDeinBl.- u. rate 
Morgen in Athen . 

Am Parnaf . ; : 
Frühling in —— 


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Auf dem Thurm des Seraßfind. . » 114 

IV. Vermwehte Blätter, 

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V. Kampf und Sieg. 

Am Grabe Friedrichs des Zweiten. 141 
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— VI — 


Auf dem Friedhof 

Der neue Tempel 

Am Meer . 

Verifles . 

Blumenwelt 
Was kommt daher auf — Bahn 
Sn Olympia — 
Heimkehr 

Dante 

Sternennacht 

Neujahr . 

Die Sibylle von Tibur . 
Amerifa . SUR 
Römiſche Veite . 

Die Götter . 

Eolumbus 

Aetna 

Frühlingswonne 

Der Tod des Apoſtels 
Wolfram von — 
Urania 

Zoroaſter 

Ode 

Neue Geneſis 

Das geſprengte Grab 

Der erſte Mai. 
Sonnenaufgang 

Die Märtyrer . 

Gruß an das Morgenland 2 
Die lebte Stunde . 


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€ Had, Gef. Werte. IV 








I. Vermiſchte Gedichte. 


Vor einem Fenſter. 


Bleich am Himmel ſteht der Mond; 
In das Fenſter zu dem Zimmer, 
Wo ich ehedem gewohnt, 

Zittert geiſterhaft ſein Schimmer, 
Und zurück glaub' ich zu ſchaun 

Zu den lang verſunknen Jahren, 
Als mir noch die Locken braun, 
Friſch die Lebensgeiſter waren. 


Alles drinnen wie bekannt! 

Dort der Seſſel vor dem Pulte 
Und die Spieluhr an der Wand, 
Die mich oft in Schlummer lullte; 
Dort bei einer Kerze Licht, 
Bücher vor ihm aufgeſchlagen, 
Sitzt ein Jüngling; ſein Geſicht 
Iſt wie meins in frühen Tagen. 


Sage mir, mein Schattenbild, 
Du voll Luſt, wie ich voll Trauer: 
Glaubt dein Drang, der nie geſtillt, 
Noch an ew'ge Lebensdauer? 


Be 


Bei Holianten, Nachtgefell, 
DBrütend bis zur Morgenftunde 
Mühſt du dich, der Weisheit Quell 
Auszuſchöpfen bis zum runde? 


Schwingen deinem Geifte wohl 
Willſt du weben durch dein Yernen, 
Denkſt zu fliegen an den Pol 

Zu des Himmels fernften Sternen, 
Träumſt in jugendlichen Muth, 
Großes einjt zu thun auf Erden — 
Aber Kraft und Wangengluth 

D wie bald fie ſchwinden werden! 


Geh’ und jchlag’ die Bücher zu! 
Sieh hernieder, wo ich ftehe! 

Du bift ich, und ich bin du, 

Nur gebeugt von Gram und Wehe; 
Bitter an den Yippen Elebt 

Mir des Yebensbechers Hefe, 

Und, wie heiß ich auch gejtrebt, 


Yabt fein Kranz die glühnde Schläfe. 


Was ich baute, jah zeritört 

Ich zu Boden wieder rolle; 

In der Yuft ift ungehört 

Meiner Worte Klang verichollen, 
Und bevor mein Volk, mein Yand 
Noch erkannten, wen fie hatten, 
Unbetrauert, ungenannt 

Werd’ ich gingehn zu den Schatten. 


Vodtenklage. 


An den Hängen, die in Eis 
Tiefbegraben jtarrten, 

Schmüden Krofus, gelb und weiß, 
Beilhen ſchon den Garten; 
Blätter hängt das junge Jahr 

An die fahlen Aeite, 

Und es fehrt der Wanderjtaar 
Zum verlafinen Nefte. 


Fa, im Glanz, der über Thal 
- Und Gebirg ergofjen, 

Allen al ein Freudenjaal 
Ward die Welt erjchlofien, 

Nur aus meinen Herzen weicht 
Nicht der Gram, der ftete, 
Still an meiner Seite jchleicht 
Er durch blühnde Beete. 


Seit ein Wiegenlied uns Zwei 
In den Schlaf gejungen, 
Schweſter, hat in jedem Mai 

Mich dein Arm umschlungen, 
Schrittſt du hier mit mir am Bad) 
Durch die blum’ge Wiefe; 

Nun zum erjten Male, ach! 

Fehlſt du mir, Elife! 


In der dumpfen Stube lang, 
Winterlich umnachtet, 

Nach der erſten Lerche Sang 
Hatteſt du geſchmachtet. 


SEIEN De 


Endlich hell durch mildre Yuft 
Scholl er dir entgegen, 

Da, Geliebte, in die Gruft 
Mußteſt dur dich legen. 


Nicht im jungen Sonnenlicht 

AU das Grünen, Blühen, 

Und der Fichten Sprofjen nicht, 
Die wie Fadeln glühen, 

Nicht, Durchbligt vom Morgenvoth, 
Die beperlten Aueı, 

Gönnte div der Mörder Tod 

Noch einmal zu jchauen. 


Wohl in einem Jenſeits gern, 

Wie zu höhern Räumen 

Hin du ſchwebſt von Stern zu Stern, 
Möcht ich dich mir träumen; 

Doch umfonft! mein Geiſt muß matt 
Seine Schwingen jenfen; 

Su der finftern Todesſtatt 

Kann ich nur Dich denken. 


Dort zu div hinunter nun 

Dringt fein Hauch von Yenze. 
Dleich zu deinen Häupten vuhn 
Die verwelften Kränze, 

Und ein blaffer Lichtſtrahl ftreicht 
Nur mit Dämmerhelle 

Yängs der Wände, falt und feucht, 
Dur die Grabfapelle. 


Dft im Traume, grambetäubt, 
Zwiſchen Steingebrödel 

Heb’ ich, moderdujtumftäubt, 
Deines Sarges Dedel. 


ED DER 


Sieh! da ſchläfſt nach kurzem Sein 
Du den Schlaf, den langen, 

Und ein matter, ei’ger Schein 
Spielt um deine Wangen. 


Und von den Atomen jchon, 
Die in Staub zerfallen, 

Hör’ ich einen leifen Ton 
Durch die Stille hallen; 

D zu dir nimm mich hinab 
Aus dem Weltgedränge, 

Daß mit deinem bald im Grab 
Sich mein Staub vermenge! 


An Sliſabekh v. K. 


In deiner Seele milden Lichte 

Iſt mir der Frühling aufgeblüht, 
Gereift find meine erften Früchte 
Allein von ihrem Strahl durchglüht. 


ALS fih von Staub empor zu ringen 

Mein Geift oc matt die Flügel fchlug, 

Liehft du ihm, Freundin, Kraft der Schwingen 
Und ſpornteſt ihn zu fühnem Flug. 


Die Sehnjucht, die zu lichtern Räumen 
Sich aufſchwingt aus dem dunklen Hier, 
Der Seele Rausch in hohen Träumen 
AS Yebensmitgift gabft du mir. 


BERN 


Mit mir auf allen meinen Wegen 
Hogit du als Schußgeift ungefehn, 
Und deiner Lippen milden Segen 

Fühlt' ih) um meine Stirne wehn. 


Bei Nacht zu meinen Augenliven 

Hat fih im Traum dein Bild gejentt, 
Dis es das Herz mit ftillen Frieden 
Zum Ueberfließen mir getränft. 


Für Alles, was du mir gegeben, 

Wo wär’ ein Danf, der nicht zu Klein? 
Bon einem vollen ganzen Yeben 

Die Ernte dacht’ ich dir zu mweihn. 


Kun, da du ſankſt zum frühen Grabe, 
Am falten Marmor hingefniet 

Hab’ ich für dich nicht andre Gabe, 
Als Thränen und dies arme Yied. 


acht der Liebe. 


Wie einen Stern, der im Verſinken, 

Seh' ich im Auge, gramumflort, 

Nur matt noch deine Seele blinken, 

Vom ſcharfen Todespfeil durchbohrt. 

Ich kenn' ihn, ach! den Schmerz, den herben; 
Wenn in dem Winterfroſt der Welt 

Das Herz erſtarrt, und vor dem Sterben 
Das Leben ſchon in Trümmer fällt. 


Se 


Und, wie einft vor den Tempelmanern, 
Den Säulen, die auf Sunium 

Um die verlornen Götter trauern, 
Dft fteh’ ich vor dir, wehmuthitummt. 


Doch eine Macht ift, Weib, o glaub’ es, 
Die aus Berzweiflungsqual den Geiſt, 
Aus Tod und aus der Nacht des Staubes 
Empor in alle Himmel reißt. 


Durch Yiebe fteigt aus den Ruinen 
Das Yeben, daS in Trümmern lag, 
Und leuchtet, morgenglanzbejchtenen, 
Entgegen einem neuen Tag. 


Am Hfrande. 


Um Strand, von Floden Schaumes überthaut, 

Lieg' ich geſtreckt in duft'ges Haidekraut. 

Ich ſchaue, wie die Fluth in Grün und Gold 

Und Purpur wechſelnd mir zu Füßen rollt, 

Und mir ans Ohr tönt in der Wogen Schwall 
Geliebter Stimmen Widerhall. 


Fern durch der ſchaumbekrönten Wellen Tanz, 

Was ſchimmert weiß im Mittagsſonnenglanz? 

Ein Segel iſts; und noch ein andres blinkt, 

Indeß die Fluth ſich hebt und wieder ſinkt. 

Sie nahn! ſie nahn! die Fahrt geht küſtenwärts! 
Was klopfſt du, ungeſtümes Herz? 


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Hoffnungen werden, die ich faſt vergaß, 
Bon Neuem wach; was ich vordem bejaß, 
Die Theuern all, die ich verlor, das Glüd, 
Die erjte Yiebe, fehren jie zurück? — — 
Ah! in die Ferne ſchwinden, fichtbar „kaum, 
Die Segel hin am Himmelsſaum. 


An die Prinzeffin €. 


Du lächelft hold beim Morgengruße, 
Als ob fein Gram auf Erden jei; 
Holdlächelnd ſchwebſt mit leichten Fuße 
Du Abends mir im Tanz vorbei. 


Und doch — die Schwermuth ahnen Alle, 
Die hin durch deine Seele fchleicht, 

Denn friih den Schwamm voll bittrer Galle 
Hat dir die arge Welt gereicht. 


An Herzen, die verzweifelnd brachen, 
Yag deines, bis zum Tod betrübt; 
So viel die Menfchen dir verſprachen, 
Trug haben fie an dir verübt. 


Co laß die falihe Maske finfen 

Und nimm den Feftfranz aus dem Haar; 
Mag fih das laute Yeben schminken, 

Die Einfamkeit ift ewig wahr. 


Gleich gilt vor ihr des Armen Kammer, 
Das prahtgeihmiücte Fürſtenhaus. — 
Seh’ denn, und weine deinen Jammer 
Im dunfeln Stübchen einfam aus. 


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Fuftgebilde. 


Wo ver Abend das Himmelsblau 
Tränft mit goldenem Sonnenlicht, 
Seht der Wolfen Kreijen und Wallen, 
Wie fie Terraffen und vagende Hallen 
Thürmen, dann wieder der luftige Bau 
In fih zuſammenbricht. 


Alpengipfel, leuchtend von Schnee, 

Steigen empor und ſtürzen herab; 

Wieder dann Thürme mit funkelnden Spitzen, 
Schlöſſer, die weithin im Spätroth blitzen; 
Plötzlich zertrümmert ſinkt Alles jäh 

Nieder ins Sonnengrab. 


Hoffnungen, Träume von Liebe und Glück, 
Die ihr die Seele gaukelnd umſchwebt, 
Gleich der Wolken bunten Geſtalten, 
Immer wechſelnd, doch immer die alten, 
Steigt ihr empor und ſinkt zurück, 

Bis man mit euch uns begräbt. 


Die Hcdwäne. 


Die ihr vor mir, ſchöne Schwäne, 
Auf der Wogen Fluth euch wiegt, 
Silbern ſchimmert eur Gefieder, 
Dod in eurer Bruft der Yieder 
Süßer Quell, den der Hellene 
Oft gepriefen, ift verfiegt. 


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Einjt am Strome des Kayiter, 

Wo die Sonne heller tagt 

Und der göttlichen Gejchwiiter 
Tempel zwijchen Myrten ragt, 
Yıeblich tönten eure Stimmen 

Zu der Mufen Saitenfpiel, 

Wenn des Frühroths erſtes Glimmen 
Durch die Cedernwipfel fiel. 

Hin mit Steigen und mit Schwellen 
Glitt eur Hymnus auf den Wellen, 
Sel'ge Lieblinge Apolls! 

Horch! und an den Flußgeſtaden 
Ringsum von der Oreaden 

Lippen wie Gebethauch quolls. 

Und die Luft begann zu ſtrahlen; 
Hallend that ſich auf das Thor, 
Und auf goldenen Sandalen 

Trat der ſchöne Gott hervor! 


Nun verbannt, ihr Südbewohner, 
Unter unſer Wolfengrau, 

Fern dent Yande der Joner 
Und dem felgen Himmelblau, 
Ach! verlort ihr ſelbſt die jchöne 
Mitgift der Natur, die Töne! 
Um eur Theuerjtes betrogen, 
Wie jo ftill ihr auf den Wogen, 
Yautlos eure Kreife zieht! 

Bei dem feuchten Nebelfchauer 
Ningt, zu lindern eure Trauer, 
Sid) aus eurer Bruſt fein Lied. 


Selig ift, wen des Geſanges 
Troft ein milder Gott verlich! 
Ob ihm Weh das Herz zerwühle, 


Ob es juble — der Gefühle 
Jedes wird ihm ſüßen Klanges 
Auf dem Mund zur Melodie. 
Aber wehe, wenn das jchnöde 
Schickſal ihm fein Beſtes vaubt! 
Sn des Dajeins Winteröde 
Steht er mit gebeugtem Haupt; 
Und die Freude, die wie ftummer 
Gram an feiner Seele nagt, 
Gäb' er gerne für den Kummer, 
Den er fonft im Lied geflagt! 


Im Hfurm. 


Wagt' ich mid) von des Lebens Strand 

Zu weit hinaus? In Dunkel jhwand 
Des Tages legter Schimmer, 

Nur hier und da hinunter gießt 

Ein Blis, der durch die Wolfen jchießt, 
Sein zadiges Geflimmer. 


Bis auf des Meeres ſchwarzen Grund 
Hinab reift ung der Wogenjchlund, 

Dann wieder auf den Wellen 
Wirt himmelwärts der Sturm das Schiff; 
Ein Stoß nur, und am Felſenriff 

Des Caps muß es zerjchellen. 


Auch du, zu dem als Kind empor 
An meines Baterhaufes Thor 
Ich ſchon in Andacht ſchaute, 


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Verhüllſt du dich in Finfterniß, 


9 


J 


Stern, auf den ich ſiegsgewiß 
Des Lebens Hoffnung baute? 


Du hörteſt meinen Seelenſchwur, 


Daß nicht auf Erden meine Spur 


Im Wind verwehen ſolle, 


Und gabſt mir Muth auf meinem Gang 
Und Kraft, wenn ich empor mich rang 


Vom Staub der niedern Scholle. 


Strahl auf! Ich fände Ruhe nicht 
Dort unten, wenn ich Luft und Licht 


Zu früh verlaſſen müßte, 


Noch iſt mein Tagwerk nicht vollbracht, 
O führ' zurück durch Sturm und Nacht 


Mich an des Lebens Küſte! 


Herbſtwonne. 


Leuchtende Oktobertage, 

Deren Hauch den Wald durchzieht, 
Holder tönt mir eure Klage 

Als des Frühlings frohſtes Lied! 


Loſe an den Wipfeln hangend 
Trennen in dem milden Weſt, 

Gelb und roth und golden prangend, 
Sich die Blätter vom Geäſt. 


Alle, alle endlich müſſen 

Fallen; die der Wind nicht brach, 
Vor der Sonne warmen Küſſen 
Sinken ſie den andern nach. 


Se — 


Und die wilden Roſen jenfen, 
Während fie mit heißem Duft 
Einmal no die Lüfte tränfen, 
Blatt auf Blatt fih in die Gruft. 


Seit der Oſten roth erglühte 

Dis zur Zeit des Abendwehns, 
Schmwelg’ ich hier mit Yaub und Blüthe 
In der Wonne des Vergehns. 


Die Ahnenbilder. 


Aus dem altergrauen Rahmen 
Blickt ihr fremd auf mich herab, 
Und ins Aug' euch mit Vertrauen 
Wie ein Sohn nicht kann ich ſchauen; 
Nichts mit euch ja als den Namen 
Theil' ich und dereinſt das Grab. 


Still am väterlichen Herde, 

An die Scholle feſtgebannt, 

Lebtet ihr im Kreis, dem engen, 
Kanntet nicht das wilde Drängen, 
Das mich über dieſe Erde 
Ruhlos trieb von Land zu Land. 


Nicht der Nächte bleiche Qualen, 
Wenn der Geiſt in Fieberhaſt 
Sucht ein Traumbild zu erreichen, 
Doch es weichen ſieht und weichen, 
Bis es in des Morgens Strahlen 
Wie ein Meteor erblaßt. 


— ———— 


Ob des Enkels Thun und Trachten 
Schütteln ſeh' ich euch das Haupt; 
Früh ſchon hat es ihn inmitten 
Der Verwandten nicht gelitten; 
Nicht gedacht, ſo wie ſie dachten, 
Hat er, noch. wie fie geglaubt. 


Werth der Mühn ſchien ihm nur Eines — 
Durch ein Werk, von ihm vollbracht, 

In der Menfchen Angedenfen 

Seinen Namen einzujenfen, 

Daß er fernhin lichten Scheine 

Strahle durch der Zeiten Nacht. 


Alpengipfel, nie erſtiegen, 

Lockten ihn zu ſich empor, 

Doch, kaum daß er fie erflommen, 
Höher, morgenlihtumglommen, 
Sah er andre Firnen liegen, 

Und ein Abgrund war davor. 


Aus des Abends fernjten Meeren, 
Bon des Dftens Purpurſaum 

Dacht’ er heim den Schaß zu bringen; 
Do vergebens war jein Ringen, 
Und, im Auge heiße Zähren, 

Sagt er fih: es war ein Traum. 


Bald den Särgen feiner Väter 
Wird nun feiner eingereiht, 
Und, wie in der Jahre Rollen 
Eure Namen längjt verjchollen, 
Nur um ein’ge Tage fpäter 
Dedt auch ihn DVergefienheit. 


ER ge 


WHorgentraum. 


Henn müde von nächtlihem Wachen 

Die Wimper mir finft beim Morgenroth, 
So freundlid) in deinem Nachen 

Mich wiegt du, Schlummer, holder Pilot! 


Empor aus der Tiefe leife 

Wallt e8 zum Ohr mir wie Feengejang, 
Und um mich tönende Kreife 

Schlagen die Wellen bei jedem Klang. 


Mit Duft von Blüthen beladen, 

Die nicht von diefer Erde find, 

Herweht von fernen Geftaden 

Mir um die Stirn ein fäufelnder Wind. 


Und vor mir die Sonnenpalme, 

Die aus den Wogen auf Feljen ragt, 
Grüßt vaufchend im Morgenpjalme 

Das Picht, wie e3 höher und höher tagt. 


Hinein! In das himmliſche Feuer 

Führe hinein mich, trauter Pilot, 

Und erzittert die Hand dir am Steuer, 

So Ien® e3 dein Zwillingsbruder, der Tod! 


Deihe des Hdimerzes. 


Schon meinen Spielgenofien hieß ih Träumer, 
Denn wie ein Bruder engverwandt von je, 


Fühlt' ich, o Schmerz, du tiefer, allgeheimer, 
Mich dir und deinem dunfeln Web. 


Shad, Geſ. Werke. IV. 2 


— 


Wenn lachend über mir des Lebens blauer 

Lichthimmel hängt, mich Scherz und Luſt umhallt, 

Doch ſtets zu dir in deine ernſte Trauer 
Zurückgezogen werd' ich bald. 


In mich mit langen durſt'gen Zügen ſauge 

Ich deinen Odem, während ſo vertraut 

Und wie aus Weltalltiefen doch, dein Auge, 
Das große, dunkel auf mich ſchaut. 


Da fühl' ich: aus dem düſtern Reich dort unten 

Nur kommt die Weihe in des Menſchen Bruſt, 

Und matt und ſchal erſcheint mit ihren bunten 
Trugbildern mir der Erde Luſt. 


Im Garten zu db... 


Daß ich ſo euch, all ihr trauten 
Plätze, wiederfinden muß! 

Wohl noch mit bekannten Lauten 
Murmelt der geſchwätz'ge Fluß, 
Wohl die Knoſpen bricht der Flieder 
Wie in jenem ſel'gen Jahr, — 
Doch nie Frühling wird es wieder 
Wie es damals Frühling war. 


Nie mehr aus dem Grün der Linden 
Lacht und duftet ſo der Mai, 

Nie wie damals in den Winden 
Hallt des Kukuks froher Schrei, 


BR — 


Nie fo an den Feljenhängen 
Flammt der Fichtenjprofien Roth; 
Hier in allen Yaubengängen 
Hingejchritten iſt der Tod. 


Derer, die mir theuer waren, 

Keinen findet mehr mein Blid, 

Mit gehäuften Sram von Jahren 
Kehr' ich noch allein zurüd, 

Und rings, wie mit Geifterzungen, 
Aus dem Yaub, dem Waſſerfall 
Tönt von Stimmen, lang verflungen, 
An mein Ohr der Widerhall. 


Auf den Najen, die verwildern, 
Sucht mein Auge thränenjchmwer 
Nach der Götter Marmorbildern, 
Welche einft, olympiſch-hehr, 

Bon den Piedeftalen fchauten ; 
Nun von Neiieln überdedt 

Yiegen fie und wilden Rauten, 
Auf den Boden hingeftredt. 


Dit, halb hoffend und halb zage, 
Wenn des Morgens Roth fich zeigt, 
Den’ ich, dag der alten Tage 
Einer neu im Dften fteigt, 

Hoc und höher ſchwingt der reine 
Slanz am Himmel fi) empor, 

Aber bald mit blafjem Scheine 
Stirbt er hin in Nebelflor. 


Und erjchredt, wohin ich jchreite, 
Fahr’ ich auf bei jeden Zritt; 
Schatten jchleichen mir zur Seite 
Dur die Öartengänge mit, 


BR: U 


Sigen bei mir auf den Bänten, 
Flüſtern Worte mir ins Ohr — — 
D hinweg! ih mags nicht denken, 
Was ich hatt! und nun verlor! 


Das Waldthal. 


Wie ſüß in div, o Waldeseinjanteit, 

Mein Thal, wo durch die grünen Blätterwogen 
Der Menfchheit bange Sorge nie gezogen, 
Hab’ ich verträumt die Sommerzeit! 


Der Schleier war von der Natur, der Bann, 2 
Der fie von mir getrennt, hinweggenommen, 
So freundlich blickte fie mich mit den frommen, 
Den jeelenvollen Augen an. 


Was tiefgeheim in ihrem Innern lag, 
Ließ fie mich leſen in den trauten Zügen 
Und lehrte mich in Menfchenlaute fügen, 
Was fie im Blätterliſpeln ſprach. 


Sie hat mir Frieden in das Herz geflößt, 
Antwort gegeben mir auf alle Fragen, 

Die angftvoll lang ich in der Bruft getragen, 
Und jedes Räthſel mir gelöst. 


Bon dir verbannt nun, ſel'ger Zufluchtsort, 

Seh’ ich ihr neun ums Haupt den Schleier wallen, 
Und was te fpricht iſt ein verworrnes Lallen; 
Ich ſuch' umfonft das Yölungswort. 


RE. 


Hbendgang. 


In der Schlucht bein Abenddänmern 
Schreit' ich durch den düſtern Wald. 
Stille ringsum in den Zweigen, 

tur daß leife durch das Schweigen 
Bon den fernen Eifenhänmern 

An mein Ohr ein Pochen jchallt. 


Und auf vielverfchlungnen Wegen 
Des Gedanfens irrt mein Geift, 
Sinnt dem Räthjel nach, dem alten, 
Welcher Macht geheimes Walten 
Binftern Zielen ung entgegen 

Durch Geburt und Sterben reißt. 


D der Menfch mit jenem Wollen 
Wie er ringt und wie ev ftrebt! 
Seine Wünſche unermeffen; 

Dann zu ewigen Bergeffen 

Ruht er unter Falten Schollen, 
Gleich als hätt’ er nie gelebt! 


Und die Seele fühl’ ich ſchwanken 
Unter jchwerer Zweifel Wucht; 
Wieder aus der Feljenenge 

Winden fi) ans Yicht die Gänge; 
Doch, o Abgrund der Gedanken, 
Führt ein Pfad aus deiner Schlucht? 


Nitternadt. 


Tiefmitternacht; mid iſt durchs Yaubgejchling 
Der legte Hänfling in fein Neſt geflogen; 
Schlaftrunfen hängt der nächt'ge Schmetterling 
Am Kelche der Viole Feitgejogen. 


Und die Natur, in Schweigen tief verjenkt, 
Scheint auf ihr dunkles Selbft fich zu befinnen; 
Die Duelle, draus fie alles Leben tränft, 
Hörſt du aus den verborgen Klüften rinnen. 


D Naht, zu deinem Heiligiten das Thor, 
Wohin fein Blick noch fiel der Frechen Sterne, 
Sit hier; doch drang je Einer weiter vor, 
Hinab zu deinem allgeheimen Kerne? 


Wie manches Mal jhon dag ich dich beichwur: 
Noch tiefer laß das Dunkel um mic nachten! 
Den großen Schat des Yebens, der Natur, 
Sch weiß, birgſt du in deinen düſtern Schachten. 


Und dichter, Dichter um mich quoll und brach 
Die Finfterniß aus nie erfchöpften Bromen; 
Ich ahnte, aufgeichloffen vor mir lag 

Dein Heiligthum voll unbefannter Wonnen, 


Stumm, athemlos ſtarrt' ich, wie fejtgebannt, 
Noch in den wundervollen Abgrund nieder — 
Da wards im Oſten hell, und Alles jchwand 
Allmählig in das laute Tagslicht wieder. 


u 


Im März. 


Did) vor allen Monden preiſ' ich, 
Fürſt des Jahres, heil'ger März, 

Wenn den Banden, ſtarr und eiſig, 
Sich entringt der Erde Herz! 


Noch iſt Schlaf auf ſie gebreitet, 
Aber leiſe, ſichtbar kaum, 

Ueber ihre Züge gleitet 

Schon vom nahen Lenz ein Traum. 


Und ſie regt ſich; aus den Kammern, 
Wo es ſtockend lang geruht, 

Fluthet durch gebrochne Klammern 
Wiederum ihr Lebensblut. 


Und des Donners erſten Schlägen, 
Der den Frühlingschor beginnt, 
Und dem Wetterſturm entgegen 
Jauchzt der Sonne Lieblingskind. 


Da, wie Eis im Frühlingswinde, 
In dem großen Werdehauch 
Schmilzt des Froſtes ſtarre Rinde 
Tief in unſerm Herzen auch. 


Sprudelnd mit den Erdenflüſſen, 
Mit der Gletſcherſtröme Fluth, 

Bricht in mächtigen Entſchlüſſen 
Neu hervor der Lebensmuth. 


Und der lang, ein Schlafbetäubter, 
Dagelegen, wieder kreist 

Um der Alpen Rieſenhäupter 

Mit den Adlern nun der Geiſt. 


re = 


Daß er hoch und höher ringe 
Und, durchglüht von deinem Kuß, 
Ganz fein Lebenswerk vollbringe, 
Sei mit ihm, o Öentus! 


Der Grieche im Morden. 
(An Buonaventura Genelli.) 


Gerne glaub’ ich an die Mythe, 
Freund, daß aus der Nymphen Schaar 
Im Gefolg’ der Amphitrite 

Eine deine Mutter war, 

Daß am Klippenftrand von Delos, 
Bald in Grotten, meerumfchäumt, 
Bald auf Halden, ewig jchneelos, 
Du die Kinderzeit verträumt. 


Dort auf eines Felshangs Rajen 
Lagſt du bei der Fluth Geroll, 
Wenn das Mufchelhörner-Blafen 
Der Tritonen vor dir fholl 

Und der Nereiden Lachen, 

Die in des Pofeidon Zug 

Auf gezäumten Meeresdrachen 
Hin und her die Woge ſchlug. 


In den immer lauen Yüften, 
Drin ihr Haupt die Palme wiegt, 
Hat um Bruft dir und um Hüften 
Keine Hülle fich geichmiegt; 


Aber welcher Damon war es, 
Welches böfen Gottes Fluch), 
Der an unfer unwirthbares, 
Eif’ges Ufer dich verichlug ? 


Aus den Nebeln, drin wir fiechen, 
Ward von dir feitdem die Flucht 
Nah dem Sonnenland der Griechen 
ort und fort umſonſt geſucht, 

Und der du vordem im Süden 
Blühteft, den Olympiern gleich, 
Nun in unſerm Froft mit müden 
Gliedern welkſt du Frank und bleich. 


Nein! Nicht jo im Winterfleide 
Kaure fort am Flammenherd! 

Nimm den Tranf hier, theurer Heide, 
Drin des Südens Feuer gährt! 
Selbft ihn durch die Purpurwogen 
Bracht' ich dir von Hellas her, 

Wo er feine Gluth gejogen 

Aus der Sonne des Homer. 


Trinf, den Froft des Blut zu thauen; 
Und, verflärt in lauterm Glanz, 
Wieder dir zu Häupten blauen 

Wird der Himmel Griechenlands. 

Auf den Hügeln, auf den Hängen 
Liegt des Herbites goldner Schein, 
Und bei jubelnden Geſängen 

Keltern Jünglinge den Wein. 


Und, umbraust von wuthentbrannter 
Thyrſusſchwinger Evne, 

Naht mit dem Gejpann der Panther 
Selbſt der Sohn der Semele, 


Ran TB 


Satyın folgen mit den Schläuchen, 
Faune, trippelnd auf den Zehn, 
Und, voll füßen Weins, mit Keuchen 
Schleppt ſich hinterdrein Silen. 


Polyphem läßt ſeine Lämmer 
An des Weſtens Ocean, 

Der Cyklope ſein Gehämmer 
In der Werkſtatt des Vulkan; 
Ihrer Jeder drängt zur Kelter 
Sich heran in wildem Lauf, 
Fängt die Güſſe ſaftgeſchwellter 
Trauben mit den Lippen auf. 


Und der Jubel braust gedoppelt; 
Aus dem Kreis der Andern tritt 
Menſch und Roß in eins gekoppelt, 
Ein Centaur im Taumelſchritt, 

Und zu dir, ein halb Bezechter, 
Spricht er: Alter Freund, ſo ſtumm? 
Ein homeriſches Gelächter 

Laß doch hören wiederum! 


Ja, der Sorgen trüben Heerrauch, 
Drin dein Leben welkt und dorrt, 
Mein Genelli, ob dich ſchwer auch 
Deutjchland kränkte, ſcheuch' ihn fort! 
Die Olympier felber grämen 

Sich, daß jo dein Pinjel vubt; 
Drunten irren, blafje Schemen, 

Sie um des Kocytus Fluth. 


Ah! das Naß der Griechenreben 
Weckt fie furz nur, halb zum Sein; 
Dich, e8 ihnen ganz zu geben, 
Flehn fie an; die Macht ift dein. 


— NE. 


Auf! all deine Yebensgeifter 
Sammle, von dem Trank durchglüht, 
Daß durch dich, geliebter Meifter, 
Neu die Götterwelt erblüht! 


Das Zauberſchloß. 


Ich weiß ein Schloß, das hoch auf Klippen ragt; 
Bon Adlern ift jein Zinnendach unflogen 

Und wirft den Morgenglanz, lang eh es tagt, 
Schon weithin auf die blauen Meereswogen; 

Im Traum hab’ ich, o meines Herzens Braut, 
Uns Beiden diefen Wonneſitz erbaut. 


Dort in den Gärten jchmweifen wir umher 

Und jehen von den hängenden Terrafien 

Zu Füßen uns den Himmel und das Meer 

In Liebesſchauern bald, gleich uns, erblafjen, 
Bald jo wie wir, mern Mund am Munde ruht, 
Hoc aufglühn in des Abends Purpurgluth. 


Und o! die jonn’gen Halden an der Stluft, 

Die Grotten, die zu ſel'gem Schlummer laden, 
Indeſſen meerhauchfeuchter Miyrtenduft 
Emporwallt von den hallenden Geſtaden, 

Und durch die Brandung, die am Feljen dröhnt, 
Das Wonneftainmeln unfrer Herzen tönt. 


BE 


Am Fuß der Xlpen. 


Keu klimmt der Frühling auf die Höhn, 

Die Gletfher auf den Firnen krachen, 

Und die Yawine läßt der Föhn 

Zu ihrer Sommerluft erwachen; 

Der Donner ihres Sturzes hallt 

Durh Thal und Schluhten hin von Spalt zu Spalt. 


Bon Wipfel wirft der Fichtenbaum 

Die Eifesdede, die geborften, 

Froh fliegen nah) dem Wintertraum 

Die Adler auf von ihren Horften, 

Und mit dem Gießbach thalmärts wälzt 

Der Schnee jich, den die Frühlingsionne jchmelzt. 


Wohl fonft zu euch ins reinre Blau, 

Ihr Alpen, an den Felfenfteilen 

Klomm id) empor, in Almenthau 

Des Lebens Wunden auszuheilen, 

Dod der ich war, bin ich nicht mehr; 

Was ruft ihr mid) und macht das Herz mir jchwer? 


Gebet des Künftlers. 


Neidvollen Blickes 

Empor zu euch ſchau' ich, 
Ihr hohen Unſterblichen, 
Die ihr auf Himmelsgipfeln, 
Einſiedler des Ruhmes, 

Im ewigen Lichte wohnt, 


BEE 2, 


Und von den ftrahlenden Sceiteln 
Geſchlechter auf Gefchlechter der Menjchen 
Mit eurer Werke Glanz erleuchtet! 


Weh dem Armen hier unten, 

Dem, gleich euch zu den heiligen Höhen zu klimmen 
In die Seele der Trieb gepflanzt ift, 
Aber zu ſchwach die Kraft! 

Ewig ihm vor dem Geifte fchwebt 

Die himmliſche Schönheit, 

Die er in Formen bannen mödte; 
Doch nicht der Prometheusfunfe 
Glimmt in der Bruft ihm, 

Daß er daS marmorentftiegene Bild 
Mit Schöpfergluth bejeele. 

In jeder Frühe 

Schwanfen Schrittes eilt er zur Werfitatt, 
Und im Hoffen und Zweifel und Zagen 
Bittert fein Herz, 

Während die Hand den Meißel führt; 
Aber jtarr bleibt der Stein; 

Statt daß er des Göttervaters Antlit 
In olympifcher Hoheit 

Ihm entfteigen jähe, 

Bliden verzerrte Züge 

Wie zum Hohn ihm entgegen. 

Da ſinkt ihm ermattet die Hand; 

Und jeufzend all Derer gedenft er, 
Die, wie er, geftrebt und gerungen — 
Und ruhmlos ing Grab gejunfen. 
Ueber ich hin die Schaaren 

Der Erlejenen fieht er ziehen, 

Der Götterfühne, 

Die, von des Genius Flügeln getragen, 
Zu den jonnigen Gipfeln eilen; 


Br 


Aber um ihn hoch und höher 

Schmillt der Strom 

Des niederen Erdentreibens 

Und will hinweg ihn reißen von dem Altar, 
An dem er fruchtlos geopfert. 


O blickt mild auf ihn herab, ihr Unfterblichen! 
Gießt Muth und Kraft ihm ins Herz, 
Daß er ausharre im heiligen Amte. 
Einen Strahl eures Geiftes 

Sendet hernieder zu ihm 

Und laßt, ob auch jpät, 

Ein Werk, nur eines, ihm gelingen, 
Das ein Denkmal auf Erden ihm jet, 
Auf daß er nicht gleich den andern 
Kindern des Staubes 

In den Wirbeln des Lebens 

Spurlos verſchwinde, 

Und deffen, was er war, nicht Alles 
Das gierige Grab verfchlinge! 


Fwige Dugend. 


Schön wars, al3 aus dem Miorgenroth 
Mein Yeben anhub aufzuftrahlen, 

Und mir die Luft in vollen Schalen 
Die reichjten ihrer Spenden bot; 

Doch nicht die Jugend, fchnell verweht 
Und bleichend mit den braunen Haaren, 
Ich preife die, die nie vergeht 

Und fchöner aufblüht mit den Jahren. 


— li — 


Das Götterbild, dag immerdar 
Ich feierte mit Hymnenſange, 

Ste ſchütz' es, daß e3 ewig prange 
Auf meines Herzens Weihaltar, 
Und meine Peter jtimme fie, 

Daß alles Herrliche und Schöne 
In voller jel’ger Harmonie, 

Aus ihren Saiten widertöne! 


Sie trage aufwärts meinen Geift, 
Auf daß er hoch und höher ringe, 
Sp wie in Jugendfraft die Schwinge 
Den alten Aar nad) oben reißt; 

Er ſchwebe, himmelsluftgewiegt, 
Indeß, vom Yichtglanz ungeblendet, 
Er auf die Welt, die unten liegt, 
Die Sonnenblide niederjendet. 


Häuft dann des Alters Wintertag 

Den legten Schnee auf meine Yoden, 

Nicht jchreden mich die weißen Flocken, 
Sch weiß, ein neuer Lenz folgt nad); 

Und heller noch, als da ich jung, 

Wie Abendroth der Alpen Firne, 
Umleuchte mir Begeifterung, 

Wenn fie zum Grab fich neigt, die Stirne. 


Gedrückt hat jo der Genius 

Dem einumdachtzigjähr’gen reife, 
Dem hehren Sophofles, noch leije 
Auf Stirn und Mund den Weihefuß; 
Und, während er im Morgenlicht 
Sein Opfer bracht' am Muſenherde, 
Noch auf den Lippen ein Gedicht, 
Ward er entrückt von dieſer Erde. 


Dad) dem Gewitter. 


Nun zerreißt des Wetters Dad, 
Matt verhallt das Sturmgetofe, 
Durd die Riſſe nad) und nad) 
Blidt das Blau, das jchleierloje; 
Und wie fi der Sternenvaum 
Aufthut bis ans Weltenende, 
Falten an der Wolfen Saum 
Engel zum Gebet die Hände. 


Und hernieder wallt ein Ton 

Bon der Sonnen Feierreigen, 

Die jeit Emwigfeiten ſchon 

Droben finfen oder fteigen, 

Reißt nah Sturm und Wettergroll 
Aufwärts, aufwärts meine Seele, 
Daß fie einftimmt andachtsvoll 

In die himmlischen Choräle. 


An den Kukuk. 


Stimme, die im Frühlingswinde 
Fernher durch das Yaubgrün hallt, 
Tönt dein Ruf, wie einft dem Kinde, 
Neu mir aus dem Buchenwald? 


Sahre, mehr als du dem Knaben, 
Muntrer Vogel, prophezeit, 

Sind jeitdem verrollt; begraben 
Liegt die goldne Fugendzeit. 


Hin die erjte zauberiiche 
Dämmerhelle vor dent Tag, 
Als der Thau in Morgenfriiche 
Auf des Yebens Blüthen lag, 


Hin der Rauſch, als himmelwärts mir 
In der Jugend erſtem Stolz 

Sid) die Seele hob, das Herz mir 
An geliebten Bliden ſchmolz! 


Du indeß, Unjterblich-Froher, 

Haft in deiner Waldesluſt 

Nichts von Trauer, nichts von hoher 
Hoffnungen Berblühn gewußt. 


Neu dir feimt, wenn es gefallen, 
Mai für Mai das Yaub empor, 
Und durch grüne Blätterhallen 

Schweifſt dur fröhlich wie zuvor. 


Juble fort in deinen Hainen, 
Während, nie mehr zu erjtehn, 
Unfer Glück und unjre fleinen 
Yeben in den Wind verwehn! 


Nachruf. 


Läſſeſt du allein mich ſo, 
Der ich manchen Abend froh 
Hier mit dir geſeſſen? 
Deiner längſt zum Zwiegeſpräch 
Harr' ich; und hierher den Weg 
Haſt du nun vergeſſen? 

Schack, Eeſ. Werke. IV. 3 


ER ao En 


Unten rauſcht wie jonft der Rhein, 
In dem Glaſe blinkt der Wein, 
Daß mein Karl ihn trinke, 

Und ich lauſch' und lauſche bang, 
Ob ich höre feinen Gang, 

Ob ſich vegt die Klinke. 


D die Zeit, wie froh fie war, 
Als fo wie ein Blüthenpaar, 
Einem Zweig entjprofien, 

Hier des Lebens ſüßem Mai, 
Knoſpend, duftend unſre zwei 
Seelen ſich erſchloſſen. 


Hier im ſchönen Seelenrauſch 
Bei der Reden Wechſeltauſch 
Ihn zum Freund gewann ich; 
Jedes Wort, das ihm entquoll, 
Schien mir tiefer Weisheit voll, 
Lang darüber ſann ich. 


Eh mit erſtem Schein der Tag 
Durch das Rebengitter brach, 
Kam er mich zu wecken, 

Und bei Lerchen-Morgenſang 
Schritten wir den Rhein entlang 
Durch die Weißdornhecken; 


Sahen über Wieſengrün 

Fernhin alte Burgen glühn 

Auf den Felſenſpitzen, 

Und die Thäler, feucht von Thau, 


Nach und nach durchs Dämmergrau 


Hell im Frühlicht blitzen. 


ie Sees 


ee 


Dann, wenn in des Yernens Drang 
Einer mit dent Andern vang 

Um den Sieg im Wiffen, 

Stets von ihm mir, ob ich heiß 
Auch geworben um den Preis, 
Sah ich ihn entriffen. 


Ihm mit Staunen blidt’ ich nach; 
Dod, wenn mir die Kraft gebradh, 
Um ihm nachzuringen, 

Dacht' ich bang: genug! genug! 
Brechen müſſen bei dem Flug 
Endlich jeine Schwingen. 


Und es fam wie ich gedacht; 
Um fein friihes Grab bei Nacht 
Flattert die Phaläne; 

Wo fo oft er bei mir jaß, 
Bleib’ ich einfanm, und ing Glas 
Rieſelt eine Thräne. 


An den Worgenſtern. 


Von Allen, die am Himmel ſind, 
Wie dich lieb' ich nicht Einen, 
Mein Auge hängt wie da ich Kind 
An deinem Glanz, dem reinen. 


Noch träumend liegt der junge Tag 
Auf den begrünten Matten 

Und blickt, die Augen reibend, zag 
Durch die gebrochnen Schatten. 


Ze 


Aufſchwingt zu div im Frühgeſang 
Mit Schnellen Flügeljchlägen 
Die Lerche fih, und Glockenklang 
Hallt feiernd div entgegen. 


Und wie im Morgenlicht erwacht 
Die Ströme, Fluren blinfen,- 
Seh’ ich des Lebens lange Nacht | 
Fern hinter mir verfinfen. 


Ber Auſik. 


er bift du, deffen Odem auf den Wogen 
Der Töne mir entgegen quillt? 
Entzüdungen, die nicht won dieſer Erde, 
Wehn leife mic) aus ihnen an; ich werde 
Hinunter an das bleiche Meer gezogen, 
Das zwifchen hier und drüben jchwillt. 


u EEE VO 


Mich führt ein Weib, verhüllt mit weißem Schleier, 
In ihren Kahn; von dannen trägt 

Der Windeshaudh uns auf dem Wellenjpiele, 

Das ſich melodiſch bricht am Kiele y 

Und tönend bei den Klängen ihrer Yeier ; 
Stets weitre, weitre Kreiſe Schlägt. 


Ein Yispeln hallt um mich von Geifterjtimmten, 
Und Yaute, die ich nie gefannt, 

Und Murmeln hör’ ich ungejehner Quellen; — 

Dann legt fich große Stille auf die Wellen, 

Drauf weiße, wunderbare Blüthen ſchwimmen, 
Nie Boten von dem Fenſeitsſtrand. 





RN 


In eine Schale, während ſüßes Beben 
Bom Haupt zum Fuße mich durchichleicht, 
Schöpft von den blafjen Wellen die Verhüllte 
Und bietet mir zum Trank die vandgefüllte; 
Mir ftodt der Athemzug; iſts Tod, iſts Yeben, 
Was fie mir in dem Kelche reicht? 


Anferblides Glück. 


Lichter Schon werden die Neben der Yaube, 
Drunter im Yenz wir, im Herbfte geruht, 
Und, die wir reifen gefehen, die Traube 

Strömt auf die Kelter die goldene Fluth. 


Bald als Wein in feurigen Wogen 
Siegen wird fie die Gluth des Auguft, 
Die fie am flammenden Mittag gejogen, 
Uns beim Decemberfroft in die Bruft. 


So um Verlornes wie follten wir Klagen? 
Immer vom Yiede der Nachtigall 

Tönt aus den wonnigen Junitagen 

Uns in der Seele der Wipderhall. 


Singen Alle zu Grab, die ung theuer — 
Bon der Viebe, die wir geliebt, 

Ewig erfüllt ung das wärmende Feuer, 
Ob auch das Yeben zu Ajche zerftiebt! 


Un meinen Geburtstage, 


(In der Jugend.) 


Der junge Tag läßt Thal und Höhn 
Im Abglanz feines Yächelns glimmen; 
Bon allen Seiten ſchallt Getön 

Der Heerden, die an Feljen Flimmen; 
Die goldnen Sommerfävden jchwinmen 
Wie Boote durch der Lüfte Meer, 

Es tönt gleich taufend Liebesſtimmen 

Der Vögel Zwitichern um mich her. 


Dort unten fließt der alte Rhein, 
Ich ſehe muntre Kinder fpielen, 

Ich jeh’ im heiten Sonnenschein 

Die Blüthen am den jchlanfen Stielen 
Gejchaufelt von des Windes Flügel; 
Doch ich mag nimmer fröhlich jein 
Und ſchaue vom bemoosten Hügel 
Mit triibem Blid ins Yand hinein. 


Wie ruht’ ich einft jo fanft und tief, 
Eh zu des Ervdenlebens Kummer, 
Mich diefer Tag ins Dajein rief! 

Das Nichtjein ift der beſte Schlummter! 
Wer bift du, namenlojes Wejen, 

Das mich gewedt, als ich ihn jchlief? 
Wer ift der Bittende gemefen ? 

Wer reichte dir den Vollmachtsbrief? 


Noch ſchwebt vor meinen Geiſt ein Bild 
Aus meinen frühften Kindertagen, 

Als mich die Mutter engelmild 

An ihrer lieben Bruft getragen; 


Sie ließ den Lebensquell mic ſaugen 
Der aus dem Mutterbufen quillt, 
Und fang, und ſah mir in die Augen, 
Bis fie den MWeinenden geftillt. 


Sie jah mich tief und tiefer an, 
Und traur’ger wurden ihre Yieder, 
Und eine heiße Thräne rann 

Auf das geliebte Kind hernieder; 
Sie hatte wohl zu tief gejehen 

Und ahnt im findlichen Geficht 
Schon all die Yeiden und die Wehen, 
Bor denen jebt mein Herz zerbricht. 


Der Sommer flieht, der Herbit beginnt! 
Schon finfen matte Schmetterlinge 

Und Blätter fterbend in den Wind, 

Die Schwalbe prüft zum Flug die Schwinge, 
Und bange zittertS durch die Neifer, 

Wie fie der fältre Hauch durchrinnt, 

Und flüftern Hör’ ichs Leif’ und leifer: 

Komm fehlafen, armes müdes Kind! 


An meinem Geburtstage. 
(Dreißig Jahre jpäter.) 


Und jo folgt das Jahr dem Jahre, 
Und mit ſchwarzem Flor behängt 
Steht gerüftet ſchon die Bahre, 
Die im leten mic empfängt. 


— 0— 


Tiefer in des Lebens Blüthe 
Nagt ſich täglich ein der Wurm, 
Und die Gluth, die in mir glühte, 
Stirbt erlöſchend hin im Sturm. 


Hin mit jedem Tage ſchwindet 
Etwas, das mir theuer war, 

Und der Augen Stern erblindet 
Und zu Grau erbleicht mein Haar. 


Mag das Eis der Bäche thauen 
Und ihr Neſt an meinem Dach 
Wiederum die Schwalbe bauen, 
Nie mein Herz mehr ſingt ſie wach. 


Durch des Frühlings Glanz und Prangen 
Fühl' ich nur den Grabduft wehn 

Derer, die dahingegangen, 

Und gleich ihnen muß ich gehn! 


Der längſte Tag. 


Tag der Sommerſonnenwende, 
Schönſter in der Brüder Schaar, 
Seines Segens reichſte Spende 
Häuft durch dich auf uns das Jahr. 


Alle deine goldnen Stunden 

Zu genießen, voll und ganz, 

Früh dem Schlummer ſchon entwunden 
Hab' ich mich beim Sternenglanz. 


EA —— 


Sah die Dämmernebel brechen, 
Als jein Thor der Oſt erſchloß, 
Und dein Licht in Flammenbächen 
Auf die Erde niederfloß; 


Sah, wie ſie in durſt'gen Zügen 
Schlürfte von dem reinen Trank, 
Bis in ſeligem Genügen 

Sie in Mittagsträume ſank. 


Hoch mit dir am Himmelsbogen 
Iſt auf deiner lichten Bahn 
Meine Seele hingezogen 

Ueber Berg und Ocean. 


Und in ſich, bis tief, tiefinnen 
Sie geſättigt war von Gluth, 
Ließ in vollem Strom ſie rinnen 
Deiner Strahlen heil'ge Fluth. 


Noch im Sinken lange, lange 
Leuchteteſt du, goldner Tag; 
Lang noch nach dem Untergange 
Glühe mir im Herzen nach! 


Die längſte Nadit. 


Bon des längjten Tages Helle 
War mir no) der Sinn beitridt, 
Gern an feines Yichtes Duelle 
Hätt’ ich ewig mich erquidt. 


Dod die Nächte wurden länger 
Und das Dunkel ftieg und ftieg; 
Engre Kreife, immer enger 

509 die Sonne, matt und jiedh. 


Selbjt der Himmel ſchien zu trauern, 
Daß die Strahlenpracht verglüht, 
Und inmitten finftrer Mauern 

Mich verbarg ich lebensmüd. 


Nun wie anderd Alles! nicht mehr 
Sehn’ ich mir zurüd den Tag, 
Da allhin, ein wallend Yichtmeer, 
Sonnenglanz auf Erden lag. 


Schöner nun zu taufend Malen 
Unter jchneebededtem Dad) 

Slänzt von zweier Augen Strahlen 
Mir dies nächtliche Gemad). 


Weich hält mich ein Arm umwunden, 
Und zwei Lippen flüftern jacht: 

Mit den dunfeln, dunfeln Stunden 
Sei gejegnet, längjte Nacht! 


Am Mittelmeer. 


Hinunter in die Miyrtenjchlucht 

Stürzt ſich zerflatternd die Cascade, 

Es rauscht das Meer von Bucht zu Bucht 
Entlang der zadigen Geftade, 


Und Höhle tönt und Feljenjpalt 
Bon Yispeln feiner Wellenzungen; 
Im Herzen murmelts mir und hallt 
Bon wonnigen Erinnerungen. 


Strahlend in Negenbogenglanz, 

Grün, golden und mit Silberflanme, 
Hinhüpft des Yichtes Zittertanz 

Bon Wellenfamm zu Wellenfamme 
Und wiegt um Klippen, jchaumbejprist, 
Sich funfelnd auf dem Wogenichlage. 
Im Herzen leuchtets mir und blist 
Bon der Erinmrung jel’ger Tage. 


In der Krankheit. 


Nicht kann ich Shaun den Lieblichen April, 

Wie reinre Yuft fih um die Erde breitet 

Und übers Antlıg jhon ein Traum ihr gleitet 
Des Frühlings, der erwachen will. 


Der du dich leuchtend ob der Erde wiegit 

Und hoch und höher dort den Himmel vötheit, 

D Morgen, daß du mir die Schwingen bötejt 
Und mich enipor vom Lager tritgft! 


Dann hört’ ich, wie mit lautem Wogenjchlag 

Das Meer an allen Ufern rauſcht' und riefe 

Und aus den Buchten, aus des Abgrunds Tiefe 
Entgegenjubelte dem Tag. 


a mE 


Einmal noch jäh’ ich über Thälergrün 

Der Berge Häupter roſig ſich verklären 

Und hochauf von der Gletſcher Eisaltären 
Die Morgen-Opferfener glühn. 


Bergebens! Tauſendfach, indeß das Yicht 

Du trägft von Weltgeftad’ zu Weltgeftape, 

Sinft ja das Yeben hin auf deinem Pfade — 
Was machts, ob meins zufammenbricht? 


Dft noch, wie deine hohe Bahn du ziebit, 

Wirſt du die Yänder und die Meere weden, 

Doch mich nicht, wenn mid) dunfle Schollen deden 
Und über mir der NRafen jprießt. 


Novpemberabend. 


Ein Hauch des Grabes ſchien von Blatt zu Blatt, 
Von Aſt zu Aeſten träg zu wallen; 

Das letzte Laub nur klammerte noch matt 
Sich an die Zweige vor dem Fallen. 


Vom Nebel des Novembers kalt umtrieft, 
Der rings auf Hügeln lag und Mooren, 
Hinſchritt ich, in Erinnerung vertieft 
An all das Glück, das ich verloren. 


Der Jugend Hoffnungen und Träume deckt 
Für immerdar die Nacht der Grüfte, 

Und meine Seele bebt zurück erſchreckt, 
Wenn ich den Leichenſchleier lüfte. 


u. 


Dahin, wie meines Geiftes fühner Flug, 
hr, die im Arm ihr einft mic vuhtet! 

An Wunden, die euch früh das Schickſal fchlug, 
Um mic, vor mir feid ihr verblutet! 


Der einſam ich zurückgeblieben bin, 

Nun ftürmen fühl’ ichs rauh und rauher, 
Und meines Yebens Blätter finfen Hin, 

Die legten in des Herbftes Schauer. 


Ich dacht‘ es; hinter Wolfen, trüb’ und jchwer, 
Sah ich das Abendlicht verglimmen, 

Und leife trug der Wind vom Friedhof her 
Mir an das Ohr der Todten Stimmen. 


Der Heeadler. 


Mob, König der Yüfte, für deinen Flug 
Der Sturm dir die Schwingen, die weißen, 
Daß fie geihwind, wie ein Athemzug, 
Bom Meer gen Himmel dich reißen? 

Hat dir die Sonne das Auge gefeit, 

Daß du nicht dDroben erblindeft, 

Wenn du in blauer Unendlichkeit 

Dem Sehrohr jelber entjchwindeit? 


Hoch, hoch, wo der Alpen mächtigite Piks 
In Dämmernebel verihiwinden, 

Hinunter ſpähſt dur leuchtenden Blicks 

Zu des Weltall3 gähnenden Schlünden; 

Und ſiehſt von deiner himmlischen Wacht 
Jenſeits von dev Erde Gränzen 

Den Tag, der Abend nicht fennt noch Nacht, 
Den unvergänglichen, glänzen. 


er Ber 


Wenn wirbelnd daher das Gemitter jauft 

Und aus unterftem Dceane 

Die Fluth aufpeiticht, daß fie himmelan brauft, 
Wiegſt du dich auf dem Drfane; 
Was, ob in den Wellen, zu Bergen gethirmt, 
Auch ganze Flotten verfinfen, 

Du jubelft, wo es am wildeften jtürmt, 

Der Windsbraut Ddem zu trinfen. 


Das Frühroth bleibt, daS purpurnen Saum 
Aufiteigt ob Meeren und Yändern, 

Matt hinter dir, Beherricher des Raums, 
Zurüd an den Himmelsrändern; 

Ans Nordcap hörteft du wilden Schlags 

Ber Nacht die Wogen noch branden 

Und grüßeft den Strahl des werdenden Tags 
Schon hoch vom Gipfel der Anden. 


Wie dir — o lang verjunfene Zeit! — 
Einft wollte zu ihren Flügen 

Des Raumes weite Unendlichkeit 

Kaum meiner Seele genügen; 

Nun ſeufzt fie, gebeugt vom niederen Joch, 
In des Yebens finfterer Enge; 

Ah! daß fie nur einmal jubelnd noch 

In den leuchtenden Aether fich ſchwänge! 


In durjtigen Zügen, voll und ſtark, 

Die Luft des Himmels zu jchlürfen, 

Hinab zu der Schöpfung entlegenfter Mark 
Die Blide ſenden zu dürfen — 

D Adler! dir neid' ich den jeligen Tod, 
Der dir dort oben bereitet, 

Wenn die ewige Sonne ihr glühendes Noth 
Um die brechenden Schwingen dir breitet. 


Karls des Fünften leßte Stunde. 


Hallt um mich, ihr Sterbegloden! 
Mönde, reiht das Crucifix! 

Wie die Athemzüge jtoden, 

Sinft die Wucht des Mißgeſchicks; 
Yang genug auf Erden büß’ ich, 
Wanfend an dem Pilgeritab, 

AS den erften Raftort grüß’ ich 
Wandermüde nun das Grab! 


Schon als Knabe, da die bleiche 
Mutter weinend mich umjchlang, 
Sie, die an des Vaters Yeiche 
Wahnfinnvoll die Hände vang, 
Irrt' ich mit ihr Jahr’ um Jahre 
Durch) die Welt im Trauerzug, 
eben mir die Todtenbahre, 

Die den blaſſen Bater trug. 


Ziemte mir, dem Unglüdsjohne — 
Früh ſchon war ich todeskrank — 
Mir von jenem Reich die Krone, 
Dem die Sonne nie verjanf? 
War ic) würdig, daß in Aachen 
Bei des großen Karl Gebein 

Jene ſchwarzen Wähler jprachen: 
Diejer Karl joll Kaifer ſein? 


Immer noch vor meinen Sinnen 
Schwebt der ungeheure Tag, 

Da in Worms auf morſchen Zinnen 
Sonnengleich die Zufunft lag; 


ee N 


Feder Blick jah hoffnungstrunken 
Zu ihr auf, dem Vicht erwacht, 
Ich allein, in mich verjunfen, 
Starrte in die alte Nacht. 


Unbekannte Rufe jtiegen 

An mein Ohr mit fremden Klang; 
Neue Fahnen jah ich fliegen, 

Die ein neuer Glaube jhwang; 
Rauſchen zwiichen ihren Falten 
Hört’ ich eine junge Beit, 

Aber finftre Nachtgeftalten 
Geißelten mich in den Streit. 


D die Banner wohl zertreten, 

Nicht bezwingen Fonnt’ ich fie, 

Und der Klang der Siegsdrommeten 
Scholl wie Trauermelodie, 

Und das Auge mußt’ ich jenfen 

Bor dem hingeftürzten Aar — 

Soll ih noch an Mühlberg denken, 
Denken noch an Billalar? 


Horch! durch dieſe Glockenklänge, 
Seufzerſchwer, im Trauerchor, 
Tönen mir die Grabgeſänge 
Meiner Völker an das Ohr. 

Zu der Welt, die ich beſeſſen, 
Schweift das Auge mir hinab, 
Wie ſie weithin, unermeſſen 
Liegt, ein rieſenhaftes Grab! 


Fern, vom letzten Strahl beſchienen, 
Dämmert mir das deutſche Reich; 
Schon auf ſtürzende Ruinen 

Sinkt die Nacht, dem Tode gleich; 


ZEUG 


Matte Stimmen hör’ ich, lallend 
Bon vergangner, großer Zeit, 
Doch der Ölodenruf, verhallend, 
Trägt fie in die Ewigteit. 


Näher mir auf wirrem Schutte 
Steht ein florumhüllter Thron, 
Und ein König in der Kutte — 
Ich erkenne meinen Sohn — 
Zählt die leichennollen Särge, 
Die, der feine Reiche lenkt, 
Jener herzogliche Scherge 

In den großen Friedhof ſenkt. 


_ Spanien, wirf fie hin, die Yanze, 
Da dein legter Ritter fiel! 
Sterbend zittert die Romanze 
Auf den legten Saitenjpiel! 
Statt der Pieder num, der frohen, 
Füllt dich dumpfer Kettenflang, 
Und der Scheiterhaufen Yohen 
Yeuchtet deinem Untergang. 


Aber fernehin im Weiten 

Seh' ih Küften, friſch und grün, 
Mit den Morgenthausgenäßten 
Fluren aus dem Meer erblühn; 
Und ein Kiel mit jegelpollen 
Maften naht dem ſchönen Strand, 
Und die- Anfer hör’ ich rollen, 
Und die Schiffer rufen: Yand! 


Fa, das Schiff der Menfchheit ſteuert 
Zu dem Port der jungen Welt, 
Wo das Leben ſich erneuert, 
Und das Dunkel fih erhellt. 
Schad, Ge. Werke. IV. R 4 


BE ae 


Doch für mich und dieje alte, 
Die mit mir zu Tode geht, 
Kun der Ölodenton verhallte, 
Mönche! ſprecht ein Grabgebet! 


Aller-Heelen-Nadit. 


Der Tag verglomm mit blafjem gelbem Streife, 
Einfam war ich zum Thor hinausgegangen 
Auf Pfaden weiß vom erjten Winterreife. 


Und wie um mic in des Novembers Schauer 
Die legten welfen Blätter niederjtoben, 
Berhüllte meine Seele fih in Trauer. 


Der Lieben all, die ich verloren hatte, 
Dacht' ih und hub verfunfen in Erinnrung, 
Bon Jedes Grabe noch einmal die Platte. 


Sp, nit der Stunden achtend, wie ſie jchwanden, 
War ich verirrt zu einem Plag gekommen, 
Auf welchem nie zuvor mein Fuß gejtanden. 


Um mich erglänzten bleic) im Mondesſtrahle, 
Mit friſchem Kranze jedes Kreuz umwunden, 
Reihn hinter Reihen, ernſte Todtenmale. 


Geſang ertönte aus der Grabkapelle, | 
Die in der Mitte ftand, und durch die Fenfter 
Slomm vom Altar der Lichter matte Helle. 


Langſam herab vom Thurm erflang Geläute; 
Zwölf Schläge that die Uhr, und bangen Herzens 
Sagt’ ih mir: Aller-Seelen-Nacht ift heute, 


Da, wenns vom Thurme Mitternacht erfchollen, 
Sieht, wer auf einen Friedhof fich verirrte, 
Die Theuern, die ihn bald verlaffen wollen. 


Und Schon im bleichen Mondftrahl drei Geftalten 
Gewahrt' ich auch, die längs der Grabdenfmale 
Im Feiergange zur Kapelle wallten. 


Zur Seite wollt’ ich weichen, angjtbeflonmen ; 
Doch mußte feftgebannt am Wege jtehen 
Und jah fie näher, immer näher kommen. 


Der Bordern glühten jugendlic die Wangen, 
Sp wie in Bajäs Bucht die Meereswellen, 
Wenn fie im Nofenlicht des Oſtens prangen. 


Sie war e3, die mir leicht jedwede Mühe 
Und jeden Kampf gemacht und jedes Wagen 
In meines Lebens goldner Morgenfrühe. 


Sie ſchritt mit mir im Yenz durch grüne Auen 
Und ließ, wenn jchwer des Herbites Nebel mwallteı, 
Mich ſchon des neuen Frühlings Sonne jehauen. 


Als Spiel hat mir durd) fie Gefahr gegolten, 
Und lächelnd blickt’ ich auf die Wetterwolten 
Des Schidjals, die zu meinen Füßen grollten. 


Ich vang, berauſcht von ihrem Athemzuge, 
Mid aus dem niedern Staub empor und folgte 
Dem Adler nach auf feinem fühnften Fluge. 


Und num, du fchönfter Saft beim Yebenzfeite, 
Rief ih, o Jugend, willft du mich verlafjen? 
Und nimmſt vom Dafein mit dir fort das Beſte! 


BE a 


Doch achtlos ſah ich fie von dannen fchreiten; 
Drauf, wehmuthsvoll ihr nachſchaund, hört’ ich Töne, 
Wie Windeshauch durch AeolSharfenfaiten. 


Und zu mir trat mit rüdgejchlagnem Schleier, 
Das dunkle Auge von Begeiftrung glühend, 
Die Zweite, in der Nechten eine Yeier. 


Auch du, Öejpielin meiner Knabenjahre, 
Nief ich, des Jünglings Lehrerin und Freundin, 
Willſt fliehn? o was bleibt dann mir als die Bahre! 


ie mehr die heil’ge Flamme willft du zünden 
Auf dem Altare meines Herzens? nie mehr 
Durch meine Pippen Seherworte fünden ? 


Nie ferner zu der Vorwelt grauen Tagen 
Und über Raum und Zeit hinweg die Seele 
Dir zu der fernen Zufunft Wundern tragen? 


Soll ohne Sinn fortan der Sterne Reigen, 
Der ewige, zu meinen Häupten freifen, 
Und die Natur, zu Stein erftarıt, mir ſchweigen? 


Wenn du mic fliehft, und früher Herbftreif ſchnöde 
Verwelken läßt den Frühling meiner Seele, 
Was bleibt mir in des Yebens Winteröde? — 


Sie ſchritt zur Grabfapelle fort; mir hingen 
In dunkler Trauer lang an ihr die Blide, 
Und fern hört’ ich ihr Saitenfpiel verklingen. - 


Die Dritte fam, von milden Glanz ummoben; 
Ein Hauch des Yenzes ſchien um fie zu mwehen, 
Bor dem die falten Nebel rings zerftoben. 


Mit tiefen, feelenvollen Augen jchaute 
Sie lang mic) an; mir war, als ob im ihnen 
Der ganze mwolfenlofe Himmel blante. 


Und du auch, Sprach ich, willft mir treulos werden, 
Du Hüterin an der geweihten Quelle, 
Draus Alles fließt, was göttlich ift auf Erden ? 


Dich in der Seele ahnungspoller Stille 
Früh fühlt’ ich, wie des Morgens Nahn die Roſe 
Schon fühlt, eh fie noch brach die Knoſpenhülle. 


Und als du famft, al3 du die Engel-Holvde 
Mir in den Arm geführt, wie glomm und ftrahlte 
Um mic das Yeben auf im Morgengolve, 


Wie jenfte jih auf uns in Duft und Blüthen 
Ein Lenz, der nicht von diefer Welt, hernieder, 
ALS ihre Lippen an den meinen glühten! 


Und ift mit feinen erſten Wonnejtunden 
Mit jeinen Roſen, jeinen Nachtigallen 
Auch jener Mai der Yiebe hingefchwunden, 


So weich’ doch du nicht, Fürſtin meines Yebens! 
Schon wenn ichs denke, zittert durch die Seele 
Mir Todesahnung fchauervollen Beben. 


Ich ſprachs; mir war als ob fie, mein nicht achtend, 
Bon dannen jchreite; da janf tiefes Dunkel 
Auf meine Augen, finfter mic) umnachtend. 


Beſinnungslos lang lag ich; als daS matte 
Auglid ich wieder hob, fand ich amı Boden 
Mich hingeſtreckt auf eine Grabesplatte. 


Erblaßt im Kicchlein war der Kerzen Schimmer, 
Doch die Geftalt, die ich geſchieden wähnte, 
Stand, wie zupor, zur Seite mir noch immer. 


Mein, nicht diejelbe ſah ich mehr; ihr Schatten, 
Nur wars gewejen, welchen meine Blide, 
Ich ahnt es wohl, zuvor gejehen hatten. 


Ste glich) an Hoheit und an Himmelsmilde 
Dem Urbild aller Göttinnen und Frauen, 
Dem ewigen, auf des Urbiners Bilde. 


Ins Antlig Schaut’ ich bange nur der Hehren 
Und mehr und mehr jah, als ich aufwärts blicte, 
Ich fie zu Himmelsglorie jich verflären. 


Sie ſprach: Nicht jene, die im Sinnentriebe 
Die Adern flopfen läßt, die Herzen jchlagen, 
Ich bin die ewige, die reine Liebe. 


em meinen Yebensodem in die Seele 
Ich hauche, überreich mag er fich preifen: 
Und ob auch alles Andere ihm fehle, 


Die Menschheit Lehr’ ich an die Bruft ihn drüden, 
In Liebe alles Yebende umfaſſen 
Und ſelber ſo beglückt ſein im Beglücken. 


Drum zage nicht, wenn in dem wüſten Treiben 
Der Welt du einſam daſtehſt und verlaſſen! 
Ich will dir bis zum Schluß der Zeiten bleiben. 


II. Verwehte Blätter. 
Erſtes Bud). 


L. 


Ihr Yerchen, jehüttelt den Thau von der Bruft! 
Fliegt auf aus Furche und grünender Saat, 
Hoc über der höchſten Berge Grat 
Schwingt euch empor in jubelnder Luſt 
Und jauchzt es in alle Yande hinein: 

Sie tft mein! 


Flammt auf, ihr Alpen, golden und roth! 

Bon Zade zu Zade und Feljenrand 

Laßt ſchießen die Strahlen, bis hoc der Brand 
Bon Gletihern und Eisaltären lobt, 

Und leuchtetS in alle Yande hinein: 

Ste iſt mein! 


9 
ir 


Lang verfchollne Wonnen kehren, 
Oedes Herz, in dich zurüd; 
Aber wirds dich nicht verzehren, 
Diefes neue Piebesglüd ? 


REES 


Selig lodernd, wie getroffen 
Bon des Himmels Wetterjtrahl, 
In Derzagen und in Hoffen 
Brennft du, und in füßer Dual. 


Diefes jubelnde Vergehen, 
Wenn das Ich ing Du verfinft 
Und in heißem Athemmehen 
Tödtliches Entzücken trinkt, 


Bangen Zweifels muß ich fragen, 
Ob es Segen oder Fluch; 

O, um alles das zu tragen, 

Biſt du, Herz, auch ſtark genug? 


Ss 
‘ 


Süß find die Yaute all, in denen 
Die Liebe traute Zwiejprach hält. 
Süß ift das Wort, das zwifchen Thränen 
Und Lächeln flüchtig ihr entfällt, 


Und ſüß der Schwur auch), der glei) Zweigen 
Zmei Leben ineinander flicht; 

Doc füher noch der Yippen Schweigen, 

Wenn Seele nur mit Seele Spricht. 


Schön find, doch kalt die Himmelsfterne, 
Die Gaben farg, die fie verleihn; 

Für einen deiner Dlide gerne 
Hingeb’ ich ihren goldnen Schein! 


Getrennt, jo daß wir ewig darben, 
Nur führen fie im Sahreslauf 

Den Herbft mit feinen Aehrengarben, 
Des Frühlings Blüthenpradht herauf. 


Doc deine Augen — o, der Segen 
Des ganzen Jahrs quillt überreich 
Aus ihnen ſtets als milder Regen, 
Die Blüthe und die Frucht zugleich! 


[>11 


Wie jollten wir geheim fie halten, 
Die Seligfeit, die ung erfüllt? 
Nein, bis im jeine tiefiten Falten 
Sei Allen unſer Herz enthüllt! 


Wenn Zwei in Liebe fich gefunden, 
Seht Jubel hin durch die Natur, 

In längern mwonnevollen Stunden 
Yegt fi der Tag auf Wald und Flur. 


Selbft aus der Eiche morſchem Stamme, 
Die ein Jahrtaufend überlebt, 

Steigt neu des Wipfels grüne Flamme 
Und rauſcht von Jugendluſt durchbebt. 


Zu höherm Glanz und Dufte brechen 
Die Knoſpen auf beim Glück der Zwei, 
Und ſüßer vaufcht es in den Dächen, 
Und veicher blüht und glänzt der Mai. 


6. 


In deines Auges klare Quelle 
Taucht ſich mein Geiſt wie in ein Bad; 
Die Welt ſtrahlt ihm in reinrer Helle, 
Wenn er in ihr vom Staub geklärt jich hat. 


Er ſchwebt dahin mit Lichter Schwinge, 
Als ob erftanden aus dem Grab; 
Durhfichtig werden ihm die Dinge, 
Bis auf den tiefiten Grund Schaut er hinab. 


Was vor Jahrtauſenden gewejen, 
Wie was in Zufunft unfer harrt, 
Kann er in einem Blide leſen, 

Und Alles doch iſt holde Gegenwart! 


T; 


Dein Aug’ ift Schwarz wie die Sturmesnacht, 
Wenn Wolfen den Himmel durchjagen; 

Ich blick hinein in die wilde Pracht 

Und fühl’ ein ſchwindelndes Jagen; 

Dann wieder wie aus der Unendlichkeit quillt 
Ein Glanz hervor, der das Bangen jtillt. 


u a. 22 


Dein Aug’ iſt ſchwarz, ift Schwarz wie der Tod; 
Oft nur mit heimlichem Grauen, 

Das mich in die Tiefe zu veigen droht, 
Bermag ich hinein zu ſchauen; 

Und Wonnen doch ſchauern aus ihm mid au, 
Die nie ih geahnt, noch faſſen kann. 


8. 


Schon an den Hollunderhecken 
Wagen aus den Tagverſtecken 
Sich die Dämmerfalter vor, 
Flattern ſcheu noch und verftohlen 
Um der Pilten, der Biolen, 

Der Syringen Blüthenflor. 


Fern beginnt es zu gewittern, 
Durch die Yüfte geht ein Zittern, 
Eh herein der Sturmmwind bricht, 
Und vor deiner Thüre lange 
Wart' ich ſchon im Miyrtengange, 
Doch die Klinke vegt fih nicht. 


D! was läſſeſt du mich harren? 
Mädchen, rührt div nichts den ftarren, 
Kalt in fi verichlofinen Sinn? 

An den Lılten, den Syringen 

Flattert mit den Schmetterlingen 
Angftvoll meine Seele hin. 


Während des Spätroths Strahlen blaß 
Hinter dem Walde verglimmen, 

Welch ein Rauſchen und Regen rings! 
In den Blättern des Yaubgefchlings 
Auf den Wiejen, von Thau ſchon naß, 
Hörſt du die flüfternden Stimmen? 


In den Lüften wie Yispeln wehts, 
Stammelt und raunt in den Bächen, 
Murmelt im Strom empor aus der Kluft; 
Alle die Blätter, die Wellen, die Luft, 
Etwas, aber vergebens jtets, 

Ringen fie auszufprechen. 


Nimm die Yaute! Was jene nur 

Matt und gebrochen lallen, 

Leih' ihm aus deiner Seele das Wort, 
Und mit deiner im vollen Akkord 

Yaß die Stimmen von Wald und Flur 
Aus den Saiten erichallen. 


10. 


Duftendes Geisblatt, fteige 

Höher empor, daß Aſt mit Aſt, 
Ranke mit Ranke ſich dicht verzweige 
Zu der Liebe Sommerpalaft! 


Süß iſts, wie wir zufammen 

Nuhen unter dem wogenden Grün 
Und des Yaubes jmaragvene Flammen 
Uns zur Seite, zu Häupten jprühn. 


En a 


Aber Dichter umd dichter 

Schließ um uns ji) das Dlättergevant, 
Immer noch) fpielen zitternde Yichter 
Zu ung herab auf die Raſenbank. 


Zeugen der Wonne dürfen, 

Wenn in der Yaube wir Nachts zu mein 
Mund von Munde den Odem uns fchlürfen, 
Selbjt die fchweigenden Sterne nicht fein! 


Fr, 


In deinem Blick ſich ewig jonnen, 
Wohl wär’ es Himmelsfeligfeit; 
Allein auch mit dem Mindern ſchon 
Zufrieden ſei der Erdenſohn! 

Denn in der Liebe großen Wonnen 
Wird Glück fogar das Trennungsleid! 


Glück nenn’ ichs, wenn im Abſchiedsharme 
Die Stimme flüftert: noch einntal! 

Und aneinander wiederum 

Die Yippen zittern freudeftunm, 

Bis langjam fich der Arm dem Arme 
Entwindet in des Scheidens Dual; 


Und Glüd dann, wenn ein theurer Nanıe, 
Der Nofegleich, die einfan blüht, 

Mit Duft des Fernjeins Dede füllt, 

Bis fih das Weh in Seufzern jtillt, 

Und heißer nad) dem Trennungsgrame 
Der Kuß des Wiederfehens glüht. 


Auf ſchwankem Kahn ins Ungewiſſe 
Irrt' ich durchs wildempörte Meer, 
Da glomm durch Wetterwolkenriſſe 
Ein blauer Schein von oben her. 


Und nach und nach zerrann in hellen 
Lichtglanz das Dunkel über mir, 
Ans Ufer trugen mich die Wellen 
In leiſem Windeshauch zu dir. 


Mag deiner Augen ſel'ger Himmel, 
Der rettend mich dem Sturmesgraun 
Entriſſen hat, dem Weltgetümmel, 
Nun ewig mir zu Häupten blaun! 


All die Gedanken und Gefühle, 

Die ſich im Herzen mir gehäuft, 
Wenn nach des Julitages Schwüle 
Der erſte Thau herabgeträuft 

Und zu mir aus dem Lindengange 
Der Duft herſtob im Abendwehn, 
Im Herzen wahrt' ich ſtill fie lange, 
Allen ich wußte nicht, für wen. 


Was ich empfand, wenn mir zu Häupten 
Der große Sternenhimmel hing, 

Und itbern Mund der jchlafbetäubten 
Natur nur leifes Murmeln ging, 


— — 


Was bei der Lerchen Frühgeſängen, 
Wenn rein die Frühlingslüfte blaun, 
Es wollte mir den Buſen ſprengen, 
Doch Keinem mocht' ich es vertraun. 


Seit ih did fand — o Heil dem Tage! — 
Erſt fteigt aus meines Herzens Gruft 

Der Mitternächte jtumme Klage 

Mit der begrabnen Yenze Duft; 

Und all der Sommermorgen Wonnen, 

Der goldnen Abenditunden Luft, 

Koch glühnd im Strahl verfunfner Sonnen 
Ausſtröm' ich nun in deine Bruft! 


14. 


Schon rauſcht der Herbit durchs Waldgezweig, 
Und Eiche, Buche, Yinde 

Streun ihre Blätter, gelb und bleich, 

In die Oftobermwinde. 


Doch eine Buche, die ſich kühn 

Hebt aus der andern Kreife, 

Dleibt jeit dem erften Yenzhauc grün 
Bis zu des Winters Eife. 


ALS Margarethens Namenszug 

Ich eingrub ihrem Stamme, 

So ftolz aus ihr zum Himmel ſchlug 
Des Wipfels grüne Flamme. 


= ee 


och lange wenn, des Herbites Raub, 
Der andern Blätter fallen, 

Debt von der Elfen Tanz ihr Yaub, 
Dem Lied der Nacdhtigallen. 


Und bei der Bögel Mielodie, 
Der Geiſter frohem Reigen 
Webt ſüße Yiebesträume fie 
In immer grünen Zweigen. 


15. 


Wenn unjre Herzen aneinander fchlagen, 

Jedwedem Schickſalsſturme biet’ ich Stand, 

Doc fern von dir befüllt mich banges Zagen, 
Ein Kleinmuth, den ich nie gefannt. 


Ich denke tieferfchredt: wenn fie nicht wäre, 
Wenn auf der Welt verfchwunden ihre Spur, 
Wie trüg’ ich nur die gränzenloſe Yeere, 

Den großen Riß in der Natur? 


Daun ift mir, alles Yeben ſäh' ich fiechen; 

Ein Heerraud, drin das Grün des Frühlings dorrt, 

Scheint durch den Himmel tödtend hinzufviechen ; 
Angftvoll, dich ſuchend, ſtürz' ich fort. 


Da bift du, bift du! Und, wie wilde Ranfen — 
Den Baum umklammern, feft mit Herz und Geift 
Umschling’ ich dich, Gefühlen und Gedanken; 

Iſt Einer, der dich mir entreißt? 


16. 


O rede fort! Wie Weihgefänge 

Tönt deine Stimme mir ans Ohr; 
Was herrlich in der Welt der Klänge, 
Eint fih in ihr zum vollen Chor, 


In ihr der Plauderton der Duelle, 
Der Feljengrotten Widerhall 

Mit dem Gebraus der Wafferfälle, 
Dem Frühlingslied der Nachtigall, 


In ihr mit mächt'gem Waldesraufchen 
Der Lenzluft erſter Athenzug; — 
Ihr eine Stunde ſtumm zu laujchen, 
Sit für das Leben Glück genug. 


ui 
Diefe Ader, die gejchlängelt 
Neben deinen Brauen rinnt, 
Welch Geheimniß fehrieb die Liebe 
Auf die Schläfe dir, mein Kind? 


Zeichen find e3 einer Sprache, 
Welche feine Zunge jpricht; 

Und mie viel ich forſch' und jpähe, 
Ihren Sinn doch Faß’ ich nicht. 


Wohl in Yauten, die im Traum du 

Leiſe flüfterft, unbewußt, 

Ningt fich Halb des Räthſels Yöfung 

Ahnungsvoll aus deiner Bruft. 
Schack, Geſ. Werke. IV. 5 


De 


Aber erſt, wenn Herz an Herz wir, 
Yippenpaar an Yippenpaar, 

Feſt umfchlungen ruhn, wird ganz uns 
Das Geheimnig offenbar. 


18. 


Breit’ über mein Haupt dein jchwarzes Haar, 
Neig’ zu mir dein Angeficht! 

Da ſtrömt in die Seele jo hell und klar 
Mir deiner Augen Licht. 


Sch will nicht droben der Sonne Pracht, 
Noch der Sterne leuchtenden Kranz, 

Ich will nur deiner Locken Nacht 

Und deiner Blicke Glanz. 


19. 


Wilde Blumen dir zu pflüden, 
Duftende von friſchem Thau, 
Ueber wilde Bergesrüden 

Streif’ ich jeit dem Morgengrau. 


Tief im Waldesgrund auf feuchten 
Mooren die VBergißmeinnicht, 

Die wie Sterne einfam leuchten, 

Wo fein Strahl durchs Dunkel bricht: 


BIRD 


Auf der Alpen fteilfter Spige 
Die Öenziane, blaugeaugt, 

Und die Roſe, die dem Blitze 
Seine Flammengluth entjaugt: 


Und die Blumengloden-Ranfen, 
Welche bei des Sturms Gebraus 
Tönend hin und wieder ſchwanken — 
Alle wind’ ich dir zum Strauß. 


Dann fie, Theure! div zu bieten 
Wieder eil’ ich niederwärts; 

Nimm fie! aus den wilden Blüthen 
Duftet div mein wildes Herz. 


20. 


Kommt, Libellen, Schmetterlinge! 
Goldig, roth und blau von Schwinge, 
Wiegt euch in der Sommerluft. 

Hin von Kelch zu Kelche gaufelt, 
Windgefchaufelt, 

Um mic her im Blüthenduft. 


Seid die Seelen ihr von Stunden, 
Die mir ſüß dahingefhwunden? 
Wie ihr aus der Gruft euch hebt, 
Alle kenn’ ich fie, die holden, 
Welche golden 

Dich in jel’ger Zeit umfchwebt. 


Stunden im geliebten Armen 
Einft verträumt, indeß von warmen 


Be 


Lippen mich der Hauch umquoll, 
Und zu mir wie Himmelslieder 
Sanft hernieder 

Eine füße Stimme jcholl. 


Wie ihr leicht, ihr flügeljchnellen 
Schmetterlinge und Yibellen, 

Um mich ſchwebt im Morgenſchein, 
Selber aus des Grabes Banden 
Schon erjtanden 

Glaub’ ich, jo wie ihr, zu fein. 


21. 


Auf den Wellen wiegt ji) das Boot, 
Die zum Schlummer fich legen 

Und im verglimmenden Abendroth 
Leiſ' und leifer fich vegen. 


Su der Fluthen fryftallenem Schoof 
Zwiſchen Storallengeäfte 

Dämmert Gemäuer, umvanft von Moos, 
Langverſunkner Paläfte, 


Und, wie fie, mag unter uns weit 
Leben und Erde verfinfen, 
Während wir lange Seligfeit 
Yippe von Yippe trinken, 


Sligernde Wellen nah und fern, 
Slüfternd im Traum und lachend, 
Oben der Liebe heiliger Stern, 
Unfere Wonne bewachend! 


ut 


22. 


Koch träumt’ ich von den Alpenwanderungen, 
Wo ich mit den Lawinen Zwieſprach hielt, 
Bon Rofen, die hoch ob dem Thale 

Der Morgen grüßt mit erſtem Strahle, 

Und von der Ceder, ſturmgeſchwungen, 

Die tändelnd mit dem Blite fpielt. 


Dod nun von Ceder wie von Alpenroje 
Berftummen muß in meinem Yied der Preis, 
Seit ich im Thale dich, das zarte 
Märzveilchen, holverblüht, gewahrte, 

Das ftill fi birgt im niedern Mooſe 

Und nichts vom eignen Dufte weiß. 


23. 


Seitdem dein Aug’ in meines jchaute 
Und Liebe, wie vom Himmel her, 
Aus ihm auf mich herniederthaute, 
Was böte mir die Erde mehr? 


Ihr Beſtes hat fie mir gegeben, 
Und von des Herzens ftillem Glück 
Ward übervoll mein ganzes Yeben 
Durch jenen einen Augenblid. 


Schleich’, Geſang, mit leifen Tritten, 
Schleich” an der Geliebten Pfühl! 
Dir vertrau’ ich, feinem Dritten, 
AU mein innerftes Gefühl. 


Meine Lieder all, auf denen 

Friſch noch Liegt des Herzens Thau, 
Blinkend von der Liebe Thränen, 
Dringe hin der thenern Frau! 


Trag’ zu ihr, was mir an Früchten 
In der Seele je gedieh; 

Goldnen Aepfeln gleich am lichten 
Weihnachtsbaum umleucht' es fie! 


Auf der Yautentöne Wellen, 

Die ſich ſuchen, die fich fliehn, 
Gligernd laß dahin den hellen 
Schein durch ihre Träume ziehn, 


Bis dem Schimmer und dem Klange 
Ihre Seele Antwort giebt, 

Und ein Roth auf ihrer Wange 
Mir verräth, daß fie mich liebt. 


25. 


Ich kenne dich in jedem Pochen 
Des Herzens, das an meines jhlug, 
In jedem Wort, das du gejprocdhen, 
In jedem Blick, in jedem Zug. 


Die Stirn, der Hals, drum leichten Falles 
Sic jchlingt das ſchwarze Yodenhaar, 
Allgegenwärtig lebt das Alles 

Vor meiner Seele immerdar. 


Und doch bei jeden Wiederjehen 
Befällt mich wunderbare Scheu; 
Ich kann nicht faſſen, nicht verftehen, 
Daß du jo fremd mir fcheinft, jo neu. 


Durch Züge, die ich ſonſt nicht ſchaute, 
Durh Töne, nie gehört vom Ohr, 
Wird mählig dann das Altvertraute 
Mir lieblicher noch als zuvor. 


So bringt der Frühling feine Lieder 
Und Blüthen uns erſt nah und nad), 
Und fchöner jeden Morgen wieder 
Ihn jehn wir als am frühern Tag. 


26. 


Früh auf deinem Angefichte 

Nuht mein Auge, faum erwacht; 
Yang noch aus dem Abendlichte 
Strömf es Glanz in meine Nacht. 


Sit ein höhres Glück? Jch gleite, 
Wie in fanftbewegtem Kahn, 
Nun dahin an deiner Seite 
Auf des Yebens Wogenbahn. 


Br; — 


Und am Steuer leicht den Nachen 
Yeitend durch den Wellenſchaum, 
Führft du mid) vom Traum ins Wachen 
Und vom Wachen in den Traum, 


27. 


Dein Mund, vollathmend heiß an meinem Munde — 
Dein Herz mit hohen Schlag an meins gepreßt, 
Wie weihſt du jede flüchtige Sefunde 

Des Tages mir zum Yiebesfeft! 


Und dann die heil’gen, wonnemüden Nächte, 
Das Schwelgen Arm in Arm und Bruft an Bruft! 
Mikgönnen nicht dem fterblichen Gejchlechte 

Die Götter ſolche Himmelsluft? 


Fa, dent’ ich Alles, was du mir gegeben 

Und noch mir giebft, jo fürcht’ ich ihren Neid; 

Yeicht zudt ihr Blitzſtrahl nieder auf ein Yeben, 
Das allzu voll von Geligfeit. 


28. 


Dich ahnte meine Seele lange, 
Bevor mein Auge dich gejehn, 
Und jeligsfüße Schauer bange 
Fühlt' ich durch all mein Wefen gehn. 


BET) — 


Ich jog von unbekannten Blüthen 
Den Duft, der mir entgegenquoll, 
Und nie erblidte Sterne glühten 
Zu Häupten mir geheimnigvoll. 


Doch immer fah ich deinen Schatten 
Nur trübe wie durch Nebelflor, 

Dein Antlis ſchien daraus in matten, 
Gebrochnen Zügen nur hervor. 


Und als der Schleier nun gefunfen, 

Der dich) vor mir verhüllt — vergieb, 
Wenn lang ic) fprachlos und wie trunfen, 
Betäubt von all dem Glücke blieb! 


29. 


Längſt ſchwand ihr Wagen in die Weite, 
Doch jedem Worte, dag fie fprad, 

Wie dem Gefang die Harfenfaite, 

toch zittert meine Seele nad). 


Die Blüthen zwifchen Myrtenheden, 
Des Springquell3 ſüße Melodie, 

Der plätfchernd fällt ins Marmorbeden, 
Bon ihr nur duften, flingen fie. 


Und durch die Nachtluft dringt das Wallen 
Bon Athemzügen her zu mir; 

Am Brunnen ruht beim Tropfenfallen 

Der Yiebe Gott und träumt von ihr. 


30. 


Stumm liegt die träumende Natur; 
Wozu die große Stille brechen? 
Das Herz laß mit dem Herzen nur, 
Da3 Auge mit dem Auge fprechen! 


Spricht Blüthe fo mit Blüthe nicht 

An des Jasminſtrauchs duft'gen Zweigen? 
Sp Stern zum Stern mit goldnem Licht 
Nicht in der Sommernächte Schweigen? 


Das ift die Sprache, mweltenalt, 
Die lang die Liebe ſchon geſprochen, 
Eh fie den erften Yaut gelallt; 
In Worten fpridht fie nur gebrochen. 


31. 


Fliegt, durch die zitternden Neben 
Ins Stübchen, ihr Töne, fliegt, 
Wo hinter den Gitterftäben 

Die Kleine ſchlummernd Liegt! 


Schon beim Klange der Saiten 
Negt fi die Schläferin; 
Liebliche Träume gleiten 

Fühlt fie durch Seele und Sinn! 


Web’ aus tönenden Majchen, 

Webe ein Neb, mein Lied, 

Im Schlummer ihr Herz zu hafchen, 
Das wachend ſcheu vor mir flieht. 


— 


Länger mit Lachen und Necken 
Höhnen mich ſoll es nicht mehr; 
Wo es ſich mag verſtecken, 
Fang' es und bring's mir her. 


Nicht zürnen wird ſie dem Diebe, 
Der es geraubt über Nacht, 
Wenn aus Träumen der Liebe 
Beim Morgenroth ſie erwacht. 


32. 


Wenn mich dein Arm umſchlungen hält, 
An deinen meine Lippen hängen, 

Dringt fernher nur der Lärm der Welt 
Noch an mein Ohr mit matten Klängen. 


Herab aus deinen Augen thaut 

Ein Glanz, den meine kaum ertragen, 
Tiefklar, wie wenn der Himmel blaut 
An wolkenloſen Junitagen. 


Die Wimpern ſenk' ich vor dem Licht; 
Erſt nach und nach in ganzer Fülle, 
Wie es kein Erdenſchatten bricht, 
Kann ich es ſchauen, ohne Hille. 


Doch zweifelnd frag’ ich: muß mein Blid 
Nicht für die niedre Welt erblinden? 

D werd’ ih noch den Pfad zuriid 

In das verlafine Leben finden? 


33. 


Wozu noch, Mädchen, ſoll es frommen, 
Daß du vor mir Verſtellung übſt? 
Heiß froh das neue Glück willkommen 
Und ſag es offen, daß du liebſt! 


An deines Buſens höherm Schwellen, 
Dem Wangenroth, das kommt und geht, 
Ward dein Geheimniß von den Quellen, 
Den Blumengeiſtern längſt erſpäht. 


Die Wogen murmelns in den Grotten, 
Es flüſterts leis der Abendwind, 

Wo du vorbeigehſt, hörſt dus ſpotten: 
Wir wiſſen es ſeit lange, Kind! 


34. 


Ihr fragt, was ewig aufs Neue 
Zu ihr zurück mich zieht: 

Iſts ihres Auges Bläue? 

Der Lippe Zauberlied? 


Fragt, wer dem Schmetterlinge 
Den Weg um die Roſe weist, 
Daß er mit flatternder Schwinge 
Den duftenden Kelch umkreist! 


Fragt, wer die brandende Welle 
Den Meerpfad kennen lehrt, 
Daß ſtets zu der Uferſtelle, 
Der theuern, ſie wiederkehrt! 


Bi Je 


Wie's in den Sternen gejchrieben, 
Werden fie unbewußt 

Zur Rofe, zur Küfte getrieben, 
Und ich an ihre Bruft. 


3. 


Komm, daß wir diefe Stunde Arm in Arme 
Zur feligften des Yebens weihn! 

Vergeſſen joll die Welt mit ihrem Harme 
Im Bollgenuß der Yiebe fein! 


Fernab ift die Vergangenheit verjunfen; 
Und, ob ein Tag dereinft ung trennt, 

Nicht den!’ ichs, während meine Seele trunfen 
Im Kuß auf deinem Munde brennt. 


Berwehn, in der Gefühle Sturm gebrochen, 
Mag auf den Yippen uns das Wort, 

Die Pulfe do, die aneinander pochen, 
Die beiden Herzen reden fort. 


Und wird das finjtre Thor vor ung erjchlojjen: 
Wie jcheuten wir den legten Pfad, 

Die wir in einer Stunde jo genofjen, 
Was Herrlichftes das Leben hat? 


| 
1 
02) 
| 


96. 
Ein Zauber ift dein: in den Waſſerfall, 
Adele, ihn haft dur gelegt, 
Daß aus der Wogen ftürzendem Schwall 
Bon deiner Stimme den Widerhall 
Der Wind entgegen mir trägt. 


Rings ahn' ich dich, in der Feljenkluft, 

Auf den fonnigen Halden am Meer; 

Dein Odem, vermengt mit der Myrten Duft, 
Ummeht im Hauche der Sommerluft 

Die Stirne mir wonnejchwer. 


Die plätichernden Wellen am Uferſaum 
Im dämmernden Mondenfchein, 

Die Blätter des Waldes, die hörbar faum 
Sich) regen im mitternädhtlihen Traum, 
Sie jprechen von dir allein. 


om 
Ol, 


Wie über ftarren, winterfahlen 

Gefilden, die noch Schnee bededt, 

Der Frühling hängt mit milden Strahlen, 
Bis er fie neu zum Leben wedt: 
Gebritet über meiner Seele 

Hat deine jo mit Schöpfungsmacht; 

Nun neu entgegen div, Adele, 

Ringt fie fih aus der Todesnacht. 


% 


EU TE 


Ich fühle, wie ein leiſes Thauen 

In ihr die Winterbande jprengt, 

Wie fnofpend fie fi auf zum blauen 
Pichthimmel deiner Augen drängt; 

Bald blüht fie auf durch Eis und Floden 
Noch vor der erften Lerche Sang, 

Und alle ihre Matengloden 

Begrüßen di mit Duft und Klang. 


38. 


Wenn mid du von der Yiebe Wonnen, 
Und janft did Schlummer überfliegt, 
Entzückt fühl’ ich dein warnes Leben 
An meins in jedem Tropfen beben, 
Der durch die Adern hingeronnen 

In leichter Wallung fich ergteßt! 


Des Auges blaue Strahlenkreije 
Berbivgt die Wimper meinem Blick; 
Doch dämmernd durch die zarte Hitlle 
Wie Mondglanz quillt des Lichtes File, 
Und deine Pippen murmeln leije 

Im Traume noch von unſerm Glück. 


3% 


Dir in das Auge nur zu bliden, 
Adele, hatt’ ich lang gezagt; 

Auf deine Hand die Yippe drüden, 
Das kühnſte wars, was ich gewagt. 


ee 


Da goß die gottgefandte Stunde 

Vom Himmel her ins Herz mir Muth, 
Daß heiß mein Mund auf deinem Munde 
Im erſten heil’gen Kuß geruht. 


Gebrochen war das Reich des Truges, 
Wie Seele in die Seele ſank 

Und langen, vollen Athemzuges 

Vom Strom des ew'gen Lebens trank. 


Und als die Blicke wir erhoben, 

O! ſtrahlend, wie wir nie ſie ſahn, 
Zog da durchs tiefe Nachtblau droben 
Welt neben Welt die lichte Bahn. 


40. 


Laß uns fliehn, die rings Bewachten, 
Vor des Lichtes frechem Schein! 
Deiner Lippen ſüßes Schmachten 

Iſt für mich, nur mich allein. 


Selbſt der Sterne dreiſten Strahlen 
Hab’ ich oft gegrollt bei Nacht, 
Wie fie halb das Glüd mir ftahlen, 
Das du ganz mir zugedacht. 


In das Dickicht fomm, wo Eiche 
Sich mit Eiche dicht verjchlingt, 
Und des Lichtes letzte bleiche 

Helle faum durchs Laubwerk dringt. 


EG 


In der Wafjerjtürze Braufen, 

Die gefchwellt der Wetterguß, 

Sn der Wipfel dunklem Saufen — 
Dort verhalle unfer Kuß! 


N 


41. 


Dft, wenn wir ruhen Mund an Mund 

Und meine Adern an die deinen pochen, 

Nach innen laufch’ ich plöglich till; 

Ich fühle, wie aus unfrer Seele Grund 

Ein Wort, noch nie auf Erden ausgeſprochen, 
Empor ſich ringen will. 


D! der Natur Geheimniß ruht 

Und alles Yebens in dem Wort bejchlojien, 
Dod matt bisher noch iſts verhallt. 
Höher aufflammen laß der Küſſe Gluth, 
Daß es zuletzt, in vollen Klang ergofien, 
Bon unfern Lippen wallt! 


42. 


Zu ihr! das Segel, ihr Winde, baufcht 

Und laßt e8 ans Ufer fliegen! 

Schon hat fie, ich weiß, an den Thüren gelaufcht, 
Ob Alle im Schlummer Liegen. 


Sie tritt aus der Pforte, und Blüthenraud) 

Weht ihr von den Beeten entgegen; 

Die Nachtigall auf dent Granatenftraud) 

Begrüßt fie mit jchmetternden Schlägen. 
Shad, Geſ. Werke, IV. 6 


Hinab in den Garten nun! Ringsum 

Iſt das Yicht an den Fenftern verglommen, 
Und fie jpäht in die Ferne erwartungsitumm, 
Ihr Blick nur fragt: wird er fommen? 


Er kommt, er kommt! — Schon zünden zum Fejt 
Veuchtfäfer die blinfenden Kerzen, 

Ans Ufer führt mich behende der Weſt 

Und es flopft das Herz am Herzen. 


43. 


Spätherbit wars; mit bunten Farben, 
In der Sonne mattem Strahl 
Schmücdten um mic, eh fie jtarben, 
Sich die Blätter noch einmal. 


Und Novemberftürme wehten 

Sie herab von Baum und Straud); 
Bon den wüften Gartenbeeten 
Duoll3 empor wie Moderhaud). 


Alles ſchien um mich im Alter, 
Welk wie ich und fiech zu fein, 

Und ich ſpann mich mit den Faltern 
Schon zum Winterfchlummer ein. 


Da heran zu mir gefchritten, 
Wie ich ſaß in meinem ram, 
Plötzlich kams mit leifen Tritten, 
Die das Herz entzüidt vernahm. 


nr 


Und ein Wehn begann, das lauen 
Fittigs mir die Stirne ſchlug, 
Und ich fühlte, Frau der Frauen, 
Deiner Seele Athemzug. 


Ueber mir in leichte Flocken 
Löſte ſich das Nebelgrau, 
Und ich ſah dir ſüß-erſchrocken 
In der Augen Himmelblau. 


Sieh! nun frühlingsgrüne Yauben 
Wölbt die Yiebe für ung Zwei! 

Konnt’ ichs ahnen, konnt’ ichs glauben, 
Nach dem Herbite jold ein Mai! 


44. 


Fern auseinander reißt uns Beide 
Des Sturmes ungejtimes Wehn; 
Wohl ſag' ich mir, indem ich jcheide, 
Es ift für ung fein Wiederfehn. 


Doc) einmal noch in deines fluthe 

Mein ganzes Sein in heißem Kuß; 
Schwer ſei die jhwindende Minute 
Uns von der Liebe Vollgenuß! 


Und grollen laß ung nicht dem Looje, 
Daß eilend unfer Glück entflieht! 
Nur darum duftet jo die Roſe, 

Weil fie denn Tod entgegen blüht. 


II. Aus fremden Ländern. 


Dolores. 


Diefer fliegt die Sommerſchwalbe; 
Bor dem Wetter zuden matt, 
Längs der Uferbäume, falbe 

Blitze hin von Blatt zu Dlatt. 


Und, aus tauſend Kelchen jtäubend, 
Wallt der Nachtviolen Duft, 
Der Jasmine, finnbetäubend, 
Durch die athemjchwere Yuft. 


O, ich fühl's! Mein Herz umjtriden 
Will noch mächtiger als je 

Das verzehrende Entzücden 

Bon zuvor, das jelge Weh; 


Fühle, daß in Geift und Sinnen 
Neu der alte Raujc mir gährt, 
Wie, da du mir, Weib! tiefinnen 
An des Lebens Mark gezehrt. 


er Ka rel 


Iſt der Arm noch nicht vermodert, 
Der fich heiß um meinen wand ? 

Nicht der Lippen Gluth verlodert, 
Die auf meinen oft gebrannt? 


Wieder deine ſchwarzen Augen 

Seh’ ich flammen über mir; 

Aus dem Grab, mein Blut zu jaugen, 
Steigft dur nächtlich als Vampyr. 


Verbrannke Briefe, 


Dank dir, daß dur den Trug mir befannt hait! 
Daß, die ic) fchrieb mit des Herzens Blut, 
Du die Briefe zurück mir gejandt haft! 

Nun mit allen hinein in die Gluth! 


Frei aufathmen werd’ ich aufs Neue, 
Wenn fie verlodert find wie mein Wahn 
Und die Schwüre ew’ger Treue, 

Die du im bremmenden Kuß mir gethan. 


Aber um die du, o Weib, mich betrogen, 

Alle die Stunden, al3 ich) vom Mund 

Dir verzehrende Wonne gejogen, 

Während dein Herz jchon gebrochen den Bund, 


Ale, wo ich dir am Buſen gelegen, 
Erd’ und Himmel um dich vergaß 
Und nur an deiner Pulſe Echlägen 
Meine ſchwindenden Tage maß, 


Ba 


Sage! kannſt du fie wieder mir geben; 
Mußt du nicht zittern, wenn ich zurüd 
Heiſche ein halbes verjchwendetes Yeben, 
Das du um Frieden betrogen und Glüd? 


Dres. 


Mädchen, deiner Stimme Lachen, 
Deiner Wangen Nofenlicht, 

Seis im Schlummer, feis im Wachen, 
Andres traum’ und dent ich nicht. 


Dei der Kaftagnetten Schmettern, 
Deiner Dlide feuchtem Glanz 

Beb' ich, gleich des Yorbeers Blättern, 
Drunter du dich ſchwingſt im Tanz. 


Yänger iſts mir nicht geheuer, 
Zauber mußt du üben, Kind, 
Daß das Blut wie jengend Feuer 
Wild mir durch die Adern vinnt. 


Ya, miv ahnt, bei deiner Amme, 
Die als Here Allen gilt, 

Hältit du nädhtlih in die Flamme 
Meines Herzens wächlern Bild. 


In der Bruft dann banges Klopfen 
Fühl' ich, Gluth wie fiedend Erz; 
Ach! geichmolzen fließt in Tropfen 
Auf den Herd mein armes Herz! 


—— 


Dohannisnacht. 


Der ſel'ge Abend, als inmitten 
Bekränzter Nachen wir im Kahn 
Hin an Sevillas Gärten glitten 
Auf ſanft bewegter Wellen Bahn! 


Hell leuchteten die Ufer alle 

Bon der Fohannisfener Glanz, 

Es jchwang beim Caftagnettenjchalle 
Die Menge fi) im muntern Tanz. 


Aufftiegen flatternde Raketen, 
Nüdjtrahlend in des Stromes Fluth, 
Und ſchoſſen durch den jternbefäten 
Lichthimmel hin mit dunkler Gluth. 


Doc ſüßer wars, als fern dem Feſte 
Ans Ufer uns die Barfe trug, 
Und über uns der grünen Aeſte 
Geheime Nacht zufammenjchlug. 


Erjt dort, wo dämmernd aus den Zweigen 
Der Schimmer der Limonen quoll, 
Erſchloß in Dunkel und in Schweigen 
Sich unſre Wonne ganz und voll, 


D, daß es oft noch fo uns nachte! 
Doc jest auch laß uns dankbar jein 
Und, weil er ung fo treu bewachte, 
Dem Täufer eine Kerze weihn. 


HB as 


König Holger. 


Wenn ich befeligt Tag auf Tage 
Gebannt in deine Nähe bin, 
Dolores, fonımt miv oft die Sage 
Bon König Holger in den Sim. 


Nach Süden durd) der Stürme Wüthen 
Verſchlagen, fern von Iſenland, 

Sah er erftaunt fih unter Blüthen 

An Avalons begrüntem Strand. 


Und große goldne Früchte lachten 

Auf ihn herab von dunklem Aft, 

Und Jungfraun führten den Erwachten 
In ihrer Königin Palaft. 


Entgegen trat im Marmorſaale 
Morgane hold dem Nordlandjohn, 
Bot Wein ihm in fryftallner Schale 
Und lud ihn zu fi) auf den Thron. 


Er blidte aufwärts ſüß erjchroden 
In ihrer Augen Himmelsglanz; 
Hernieder glitt auf feine Yoden 
Aus ihrer Hand ein Blumenfranz; 


Und fern dem Yande feiner Ahnen, 
Wo wild die Nordjeewoge jhäunt, 
Hat König Holger bei Morganen 
Fortan Jahrhunderte verträunt. 


a ar 


An Guadalguivir. 


Wo bift du, Wunderbau der Dmajaden, 

Az-Zahra, zauberiſch am Silberfaden 

Des rauſchenden Guadalquivir gedehnt? 

Braut Abderrahmans, in der Schattenkühle 

Des Mandelhaines auf die Roſenpfühle 
Der Uferhügel hingelehnt? 


Wo ſind die Feſte unter Myrtenlauben 

Bei Brunnenrieſeln und Gegirr der Tauben, 

Bei Lampenglühn und buntem Wimpelflug, 

Wenn auf dem Strom, in den kryſtallnen Tiefen 

Die Lorbeerſchatten ſpaltend, den Chalifen 
Die ſchimmernde Galeere trug? 


Wo deine Gärten längs des Uferrandes, 

In denen mit den Feen des Abendlandes 

Arabiens Peri ſich beſprach, 

Wenn auf den blüthenduftigen Terraſſen 

Boll weißer ſchimmernder Kiosks im blaſſen 
Lichtſchein der Sternenhimmel lag? 


Und du, o Stadt der hochgewölbten Dome, 

Milchſtraßengleich mit deinem Häuſerſtrome 

Auf deinen Erdenhimmel hingeſtreckt, 

Fanal der Gläubigen, des Wiſſens Leuchte, 

Die hellen Strahls zuerſt das Dunkel ſcheuchte, 
Das lang und tief die Welt bedeckt: 


O Cordova! wo find' ich deine Dichter, 

Wo deine Schönen, glänzend wie die Lichter, 

Die vom Serai der Nacht herniederſehn? 

Wo ſie, die mit dem Ruhm des Einig-Einen 

Zum Himmel ragten aus den Cederhainen, 
Die Halbmondkuppeln der Moſcheen? 


— 


Geſtürzt ſind deine goldnen Minarete! 
Der Iſan ſchweigt! Nie mehr, wenn die Drommete 
Die Gläubigen ermahnt zum heil'gen Kampf, 
Entſtrömt das Heer der turbanbunten Mohren 
Im ehrnen Harniſch deinen hundert Thoren 

Bei Allahruf und Roßgeſtampf. 


Einſam inmitten deiner Trümmer ragen 

Die Pfeiler, die das hehre Dach getragen, 

Ein wipfelreicher Marmorwald; 

Erloſchen aber iſt der Lampen Menge, 

Nie mehr wallt Allah durch die Säulengänge, 
Draus kein Gebet zu ihm mehr ſchallt; 


Ein neuer Glaube füllt die Tempelhallen 

Des Islam nun, die Stein auf Stein zerfallen, 
Mit Orgelklang und Weihrauchqualm; 

Bald ſtirbt auch er; des Hochaltars Gepränge 
Deckt mählig Staub, und matt wie Grabgeſänge 
Verklingt der letzte Chriſtenpſalm. 


In Granada. 


Wie oft mit ihr vom Winterherde, 

Wenn außen kalt die Flocke fiel, 

Träumt' ich mich nach dem Lenz der Erde, 
Dem grünen Hochthal am Genil. 


Da durch der Mondnacht Dämmerhelle 
Zu der Alhambra Zackenthor 

Trug ſie beim hellen Klang der Schelle 
Das Saumthier neben mir empor. 


N IE 2 


Wir ruhten in den Zauberhallen, 
Wo einfam nun der Brunnen vanfjcht, 
Und mit des Weftens Nachtigallen 
Die Peri Bagdads Worte taufht, 


Und unten aus der Schlucht der Miyrten 
Stob mit der wilden Sträuche Duft 

Zu ung das nächt'ge Lied der Hirten 
Empor durch die beraufchte Luft. 


Es war ein Traum; nicht nad) dem Süden, 
Zu fernern Küſten brad) fie auf, 

Und meiter trug allein mih Müden 

Des Yebenzftromes ivrer Yauf. 


Nun ſpielt um mic auf weißen Platten 
Sm Löwenhof der Mondenjchein; 

Allein er wirft nur einen Schatten, 
Nur meinen auf den Marmorftein. 


Huf dem Libanon. 


O führte nie das Segel mid, davon, 

Und dag ich, wie die jüngft verträumten Nächte, 
Der andern viele, heil’ger Libanon, 

Sanft unter deinen Cedern nod) verbrächte! 


Kein Dunft umfing der Klaren Luft Kryſtall, 
Ein reinres Licht war durch fie Hingequollen; 
Ich fühlte unter mir den Erdenball 
Entgegen einem ſchönern Morgen vollen, 


NEE an 


Schon jhien des neuen Tages Dämmerung 
Um deine Patriarchenſtirn zu gleiten; 

Selbft ward ich mit der Erde wieder jung 
Und lebte in den Wundern grauer Heiten. 


Vor mir, wie Stimmen aus der frühen Welt, 
Scholl es empor vom Grunde der Gifterne, 
Und hoch herab vom blauen Himmelszelt 
Erzählten goldne Märchen mir die Sterne. 


Der Vroja. 


Kun aus der Urwelt trüben Dämmerungen, 
In die vor Menfhenblid und Tageslicht 
Did die Jahrtaufende hinabgejchlungen, 
Auffteigft dur wieder; nein, du jelber nicht — 
Bon jenem Troja, das Homer bejungen, 
Begraben in Ruinen, Shit auf Schicht, 
Iſt, zu Atomen von der Beit zerrieben, 

Ein Aſchenreſt allein zurücgeblieben. 


Gethürmt, jeitdem am vaufchenden Sfamander 
Des Priam ftolzer Königsbau gevagt, 

Hier haben jich die Reiche auf einander; 

Das eine brödelte, zu Staub zernagt, 

Dem andern nad, und jchon als Alexander 
Am Orabeshügel des Achill geklagt, 
Berfunfen in das triimmerüberfäte 

Blachfeld längſt warft du unter andre Städte. 


Die hwarze Spur von Qualm und Flammenbrand 
Nur findet, daß die Sage feine Yüge 

Bon dem verheerten Ilion, das hier ftand; 
Dazwiſchen liegen Spangen, Thränenfrüge, 


ee Ne 


Goldreife, die der Kön’ge Haupt umfpannt, 
Zerſtückt fie all’; und halberlofchne Züge 

Auf ehrnen Opferjchalen, die zerbracen, 

Noch ftammeln ftumm in lang verflungnen Sprachen, 


Doch unten tiefer, wo fich ſelbſt zum bleichen 
Zwielicht die Nacht empor nicht ringen fann, 
Ahn’ ich den Staub von ganzer Völfer Leichen, 
Und wie Verweſungsduft haucht es mich an 
Bon Königen, die fein Erinnrungszeichen 

Auf Erden ließen; eh dein Tag begann, 
Berflungen war ſelbſt in der Sagen Munde 
Bon ihnen und von ihrem Reich die Kunde. 


Wer mag, wie tief die Gräber reichen, wiſſen? 
Wär’ uns zu Füßen eine Riefenkluft 

Hinab bis in der Erde Herz gerilien, 

Wir fähen eine ungeheure Gruft, 

Und noch bis aus den tiefiten Finfternifien 
Entgegen quöll' uns feuchte Grabesluft 

Und Moderdunft der jtummen unzählbaren 
Geichlehter, die vor uns auf Erden waren. 


Mir ift, als hört! ich durch verſchollne Tage, 
Den ſchwarzen Abgrund namenlofer Zeiten, 
Die Keiner fennt, mit leifem Flügelfchlage 
Den Tod hin ob der Bölfer Häuptern gleiten, 
As ſchöll' ans Ohr mir ihre Sterbeflage, 
Wie fie im Trauerzug vorüberjchreiten 

Und in das dunkle Reich, die weiten Hallen, 
Die Allen aufgethan, hinunterwallen. 


Und ob die Zufunft zu Gigantenjahren 
Anſchwellen mag, der alte Kreislauf bleibt, 
Der ruhelos auf Wiegen und auf Bahren 
Hinauf, hinunter alles Yeben treibt, 


I ee 


Bis jelbjt mit allen feinen Wefenjchaaren 
Das Erdenrund in blaffen Dunft zerjtäubt, 
Daß wieder fich der Nebel, im Erfalten, 
Zum Wohnplag forme neuer Staubgeftalten. 


Homer. 


Vergeſſen hat die alte Erde nun 

Selbſt deinen Staub, erhabner Blinder! 
Zu viel ſind der Geſchlechter ihrer Kinder, 
Die drunten ſchon begraben ruhn. 


Oed liegt Jonien; vergebens ſucht 
Mit Wellen, welche träge ſchleichen, 
Dein Meles durch den Schutt von ſo viel Reichen 
Den Weg zur nahen Meeresbucht. 


Doch, wie das Morgenlicht den Sipylus 
Bekrönt mit goldnem Strahlenkranze, 
Umleuchtet in der ew'gen Jugend Glanze 
Noch dieſes Land dein Genius. 


Ja ſelber auf den Trümmern deiner Welt 
Und den zerbröckelten Gebeinen 

Der Völker weilſt du noch in Idas Hainen, 
Auf Ilions weitem Todtenfeld; 


Und her zu dir vom fernſten Erdenſaum, 
Jenſeits vom Land der Läſtrygonen, 

Wo Nebel dir noch barg die Erdenzonen, 
Triebs mich durch ſalz'ger Wogen Schaum. 


Erzähle miv von des Peliden Wuth, 
Bon Priams Gram an Heftor3 Yeiche! 
Bon Circes Zauber, wie die Yiftenveiche 
Odyſſeus zu dem Becher lud! 


Und während mir ing Grab — gedankt div jeis! — 
Die drei Jahrtauſende verfinfen, 

Laß mich die Puft der Erdenfrühe trinten, 

In der dur athmeft, heil'ger Greis! 


In Delphi. 


Umblüht von Aloe und Yorbeerrojen 
Hängt noch der Tempel über blum’ger Schlucht, 
Wo in der Abgrundtiefe ſich mit Tojen 

Der Bergftrom wälzt in jäher Flucht. 


Im Heiligthun, geweiht dem Sonnengotte, 

Schwanft windbewegt der wilde Myrtenſtrauch, 

Allein von Neuem aus der Pythia Örotte 
Steigt auf der lang verfiegte Rauch. 


Die eiſ'gen Winterftürme jind geflohen, 

Gebrochen ift des alten Fluches Banı, 

Sie kehren wieder, die Unjterblih-Hohen, 
Und Eros jchwebt beihwingt voran. 


Schon zum Altare durch die Tempelthüren 

Seh’ ich die Opfernden in Feittracht zieh, 

Und Prieſter weiße Opferjtiere führen: 
Komm! laß ung mit den Frommen fnien! 


Morgen in Akhen. 


Bift dus, und bringft vom Yande des Homer, 

D Eos, uns den neuen Morgen her, 

Auf den wir lang vergebens harrten ? 

Schon auf die Wellen jprüht vom Himmelsvand 
Ein roſ'ger Schimmer hin und läßt am Strand 
Die Berghöhn glühn, die Felfenwarten. 


Die Erde, lang wie Dantes Trauerjtadt 
Ein Sitz des Wehes, ift der Buße fatt, 
Der Kreuze und der Hochgerichte; 

Und jcheuchen joll die Sonne Griechenlands 
Des Mittelalters grauſen Todtentanz 

Mit ihrem reinen Himmelslichte. 


Im Frühglanz, jiehe, der fih vom Hymett 
Herniederjenft zu des Ilyſſus Bett, 
Aufleuchtet Shen dem Göttervater 

Der Tempeljäulenwald, und erjten Blicks 
Grüßt Helios der Athene Bild, die Pnyr 
Und Erechtheum und Theater. 


Und fanfter Schauer geht durch die Natur; 
Aus Grotten dur den dämmernden Azur 
Weiß jchimmern der Najaden Glieder; 

Im Pintenhain am Duell Kallirrhoe 
Anhebt die Nachtigall in ſüßem Weh 

Ihr Slagelied um Itys wieder. 


Neu fchliege nun fih das Gymnaſium auf, 
Daß fi im Diskuswurf, im Kampf, im Yauf 
Zu Sünglingskraft der Knabe ftähle, 


N —— 


Am Marmorbild, das auf ihn niederfieht, 
Und an des Homeriden ew'gem Lied 
Empor ſich ranfe feine Seele! 


Durch Afademos’ Delwald, wie zuvor, 

Mag Arm in Arm, im Haar den Kranz von Rohr, 
Der Jüngling mit dem Füngling wandeln, 

Und Platos Lehre nähre feinen Geift, 

Bis ihn hinaus das ernfte Yeben reift, 

ALS Mann zu wirken und zu handeln. 


Erblühn, von finftrer Jahre Schladen rein, 
Wird auf der Erde fo ein ſchönres Sein; 

Und, bricht das Irdiſche zufammen, 

In ſchwarzem Grabe modre der Barbar, 

Wie follten wirs? Was fterblih an uns war, 
Auflodern mags in heil’gen Flammen! 


Am Varnaß. 


Noch lebft du, jhöner Gott des Lichts! Ob auch 
Dein letter Tempel längft zerfallen 
Und nie mehr bei der Lyderflöten Hauch 
Sn Delphi fromme Chöre fallen; 
Noch flammen Hellas’ Felshöhn dir, Apoll, 
Bei jedem Frühroth als Altäre, 
Noch donnern bei Korinth mit Fluthgeroll 
Den Hymnüs dir die beiden Meere. 


Und wen, von höherm Drang entflammt, das Herz 
Hinausftrebt aus der Zeiten Enge 
Zu dir, fo wie die Blume fonnenwärtz, 
D König ewiger Gefänge, 

Shad, Gef. Werke IV. 


I 


— N 


Das Antlig wendet er; nach Öriechenland 
Führft du ihn heim in wachen Träumen 
Und Läffeft ihm am Munde, voll zum Rand, 

Der Dichtung Götterbecher ſchäumen. 


Nicht drängen Blätter ſich im Wald jo dicht, 
Die vom Geäft der Herbitwind wehte, 

Wie drunten, Trümmerſchicht auf Trümmerſchicht, 
Berichollene Hellenenjtädte; 

Hinweggeſchwemmt hat der Barbaren Fluth 
Das Volk der Griechen von der Erde, 

Ein neu Gefchlecht entfacht die Opfergluth 
Auf eines neuen Gottes Herde. 


Doch wenn mein Blid vom Hange des Parnaf 
Dahinſchweift längs der Felſen Fuße, 

Wo hier und da aus Schutt von Tempeln blaß 
Aufragt ein hagres Bild der Buße, 

Dft fernher hör’ ich deiner Leier Klang, 
Und hell beginnt die Yuft zu jtrahlen; 

Du nahft, ambrofifh Duften quillt beim Gang 
Bon deinen goldenen Sandalen. 


Und fortgenommen von Gebirg und Alur 
Sit der Verödung Fluch, und wieder, 

Bon dumpfen Alpdrud frei, Schlägt die Natur 
Empor die ſchweren Augenlider, 

Und Tempeldächer bliden marmorweiß 
Dur) Yorbeerwipfel und Platanen, 

Und durch die Zweige hin vaufcht dir zum Preis 
Der Schall von feitlichen Päanen. 


En, mag ein neuer Gothenſturm Ruin 
Der Welt von heute auc) beveiten, 

Lächelnd, in ew’ger Jugend Hin durch ihır, 
Gott des Gefanges, wirst du fchreiten; 


N — 


Wie Strahlen ſchon vor Morgen nad) und nach 
Mit Licht der Berge Haupt verklären, 

Spielt um die Stirne dir der junge Tag, 
Wenn wieder dich die Menjchen ehren. 


Frühling in Griechenland. 


Nun zieht in die Fluthen der Schiffer den Kiel; 

Heim kehren die zwitſchernden Schwalben vom Nil 
Zu ihren geliebten Cykladen, 

Und jauchzend, erwacht aus dem Wintertraum, 

Durchflattert die Möve den ſpritzenden Schaum 
An allen den Inſelgeſtaden. 


Am duft'gen Hymettus von Neuem umſummt 
Der Chor der Bienen, der lange verſtummt, 
Des Ginſters goldene Blüthen, 
Und es wacht in der milderen Nacht des April 
Am Bach im Geſtäude von Asphodill 
Der Hirt, um die Heerde zu hüten. 


O Hellas! ruhn, der Jahrtauſende Raub, 
Auch deine Tempel in Trümmer und Staub 
Der Völkerſtürme gebettet, 
Dich hat aus dem leuchtenden Morgen der Welt 
Dein Genius, ein unſterblicher Held, 
Zu uns herübergerettet. 


Noch ſingt den ewigen Siegespäan 
An Salamis' Ufern der Ocean 
Mit der Wogen melodiſchen Lippen, 
Und, brauſend um des Themiſtokles Grab, 
Erweckt er das Echo von Cap zu Cap 
Weithin an den Inſeln und Klippen. 


— IT 


Hoch über Afiens Berge heran 

Führt Helios der ftrahleuden Roſſe Geſpann 
Und grüßt fein liebftes der Yänder; 

Auf Hügeln wird e8, auf Fluren wad); 

Im Myrtengebüſch, am ftürzenden Bad 
Was ſchimmern jo weiß die Gewänder? 


Die Jungfraun find es, die heiligen neun, 
Die auf Erden die Saat des Schönen verjtreun, 
Die Trägeriunen der Yeier; 
Neu laffen die Thäler fie blühen, die Höhn, 
Und fingen zu bebender Saiten Getön 
Der hohen Unjterblichen Feier. 


Nicht ift geftorben der alte Ban; 

Entichlafen auf grünendem Wiefenplan 
Nur war er, von Ulmen bejchattet, 

Und bei der Syrinx erfterbendem Ton 

Auch ſenkten das Haupt, befränzt mit Mohn, 
Die anderen Götter ermattet. 


Nachtvüftre Dämonen umklammerten falt, 
Wie der Alp in die Bruft des Schläfers fich Frallt, 
Der Menschen geängftete Seelen, 
Und fie träumten, anjtatt vom lichten Parnaß, 
Bon blutenden Heiligen, Teichenblaß, 
Bon Kreuzen und Marterpfählen. 


Doc als die Naht und der Winter entfloh, 
Aufſchlugen den Blick fie und lächelten froh 
In des Himmels ſelige Bläue, 
Und mit den Fluven, den Strömen, dem Hain 
Erwachten im goldenen Frühlingsjchein 
Die hohen Diympier aufs Neue. 


— 101 — 


Und verfinfen im raſtlos fluthenden Schwall 
Der Zeit auch die anderen Götter all, 
Die Kirchen und die Moſcheen, 
Sie haben fich, ihr jeit der Kindheit vertraut, 
Im Herzen der Menjchheit den Tempel gebaut 
Und fünnen mit ihr nur vergehen! 


In den Mpenninen. 


Unter grüner Eichen Aeften 

Und der Pinien dunklen Kronen, 
In den ewigen Paläjten 

Der Natur hier laß uns wohnen. 
Und, wo zwiſchen Yorbeerrofen, 
Zwiſchen wilden Erdbeerbäumen 
Thalhinab die Bäche toſen, 
Einſam, weltvergeſſen träumen. 


Einen Kranz von Lotos ſchlingen 
Wollen wir in unſre Locken, 

Und ums Haupt uns duftend klingen 
Sollen ſeine Blüthenglocken, 
Während beim Geſumm der Bienen, 
Bei dem Schall der Hirtenpfeifen, 
Wir der düſtern Apenninen 
Felſenwildniſſe durchſtreifen. 


Bald der Wipfel mächt'gem Brauſen 
Und dem Lispeln, all dem Regen 
Lauſchen wir, bald in den Pauſen 
Unfrer eignen Herzen Schlägen, 


Und mit hohem Klopfen jollen 
Sie einander Kunde geben, 

Wie wir, für die Welt verjchollen, 
Einer nur dem Andern leben. 


Aurelia. 
F 


Geflohn hab' ich die gelbe Tiber, 

Und dich, o Weib, das mich betrog, 

Als Liebe mir, ein glühend Fieber, 
Am Mark des Lebens ſog. 


Doch, ob uns Himmelsweiten trennen, 

Noch klopft mein Herz mit wildem Schlag, 

Und heiß die Wange fühl' ich brennen, 
Wie an dem Scheidetag. 


Der ſchwarzen Augen ſengend Feuer — 

Wollüſtig wallt durch Geiſt und Sinn 

Mir noch von ihm ein immer neuer 
Gluthſtrom entnervend hin. 


Und, fliehend auf entlegnen Meeren, 

Fleh' ich umſonſt die Sterne an, 

Die unbarmherz'gen, mic zu lehren, 
Wie ich vergeffen kann. 


182) 


Fort rollt mein Schiff zum fernen Weſten, 
Doch läßt dein Bann mich nicht entfliehn, 
Und hält mich feſt in den Paläſten, 

Den Gärten auf dem Palatin. 


Auf Schutt, bedeckt mit ſchwarzem Staube, 
Ziehts mich durch rankendes Geſchling 
Hin zu der dunklen Myrtenlaube, 

Wo mich dein Arm ſo oft umfing. 


Mein heißes Haupt in dumpfem Brüten 
Lehnt ſich auf einen Säulenknauf, 

Und um mich ſteigt, mit Duft der Blüthen, 
Der Moderhauch aus Gräbern auf. 


Am Himmel durch die wetterſchwere 
Nachtluft wälzt ſich ein Wolkenzug, 
Und ſchrillend flattert her vom Meere 
Ein Mövenſchwarm in haſt'gem Flug. 


Da regt ſichs in den Myrtenzweigen; 
Herab von ihrem Piedeſtal 

Seh' ich der Venus Bild ſich neigen; 
Die Luft durchzuckt ein Wetterſtrahl. 


Dich, dich erkenn' ich bei dem Lichte, 
Und langſam legt ſich, furchtbar Weib, 
Wie ſtarr den Blick ich auf dich richte, 
Dein Marmorarım um meinen Leib. 


Fliehn will ich, doch auf meine Stirne 
Drüdft du den Mund, zum Herzen jäh 
Schießt mir das Blut, und im Gehirne 
Fühl' ich ein tödtlich ſüßes Weh. 


— 104 — 


Der Athem ſtockt mir, im Erwachen 
Fahr’ ich entjeßt vom Pfühl empor, 
Und dumpf erfchallt der Bretter Krachen, 
Der Wogen Donner an mein Ohr. 


In der Dilla. 


Nach Fahren, die mir trüb geſchwunden, 
Neu trat ich in das Gartenthor, 

Und wieder ftiegen jel’ge Stunden, 

Hier ſüß genofjen, mir empor. 


Kun öde und mit Spinngemebe 
Die Hausaltane überdeckt! 
Zerfallen des Geländers Stäbe, 
Der Pfad in Unkraut tief verjtedt! 


Ich warf am Teich bei der Cypreſſe 
Mich nieder an den morjchen Stamnt, 
Wo neben mix in Yeichenbläffe 

Der Mond auf gelben Wellen ſchwamm; 


Und während an des Fenfters Gittern 
Mir feitgebannt das Auge hing, 
Hört’ ich, wie ein unheimlich Zittern 
Entlang die öden Mauern ging. 


Auf den Balkon jah ih Sie treten, 
Ihr Schleier wehnd in Abendluft, 
Und rings quoll von den Oartenbeeten 
Entgegen ihr ein matter Duft. 


—, Alla 


Halb wieder jtieg aus der Fontaine 
Der lang verfiegte Waſſerſtrahl; — 
Ich fühlte, wie ſich eine Thräne 
Aus meinem Auge bebend jtahl. 


Bald wieder Alles todt; mir jtarrten 
Die Blide noch zum Fenfter bang, 
Als in den wüſt-verfallnen Garten 
Des Morgens fahler Schimmer drang. 


Einft Sit von Wonnen ohne Öleichen, 
Zum öden Friedhof ward er nun! 
Warum, mein Herz, noch über Yeichen 
Nahtwandeln? — Geh’ auch du, zu ruhn! 


Fontana Vrevi. 


Früh ſchon hab’ ich, faft mod) Knabe, 
Meine Lippen ſo wie jetzt, 

Quelle Trevi, an der Labe 

Deiner reinen Fluth genetzt. 


Und von deinem Zaubertranke 

An die ew'ge Stadt gebannt, 

Jahr für Jahr, der Sehnſuchtkranke 
Zog ich an den Tiberſtrand, 


Saß auf bröckelndem Geſteine, 

Wo Metellas Aſche ruht, 
Schweifte in Egerias Haine, 
Schlürfte, Quell, von deiner Fluth 


—.: 4106 = 


Und auf mich, da der Albaner 
Berge wieder por mir blauı, 
Seh’ ich nun al3 ernften Mahner 
Ceſtius' Denkſtein niederjchaun. 


Seis! Muß ich zum letzten Male 
Schöpfen aus dem Trevi-Strom, 
Noch die randgefüllte Schale 
Weih' ich dem geliebten Rom. 


Denezia. 


Am Strand der Inſel, wo Venedigs Todte 
Auf ftillem Friedhof bei einander ruhen, 
Gelandet war ich jüngjt im leichten Boote. 


Dort, wo ich feit dem Frühling oft gejejlen, 
Nun blinften weiß im Reife des November 
Zu Häupten mir die mächt'gen Grabcypreſſen. 


Ringsum, gemeißelt auf die Marmorplatten, 
Entgegen ſchauten mir die Züge derer, 
Die drumter fich im Staub gebettet hatten. 


Und denfend an Venedigs große Tage 
Späht’ ih, ob nicht ein Stein der Yoredano, 
Piſani, Barbarigo Namen trage. 


Bergebens! Die Gefchlehter find verjchollen, 
Die Kön’ge einft befiegt; ihr Ruhm lebt einzig 
Noch in verftanbter Pergamente Rollen. 


SEHR — 


So finnend neben einem Yeicheufteine 
Yehnt’ ich, indeffen am den höchſten Alpen 
Der Tag erlofh mit letztem blaffen Scheine. 


Da fan der Sohn des Gondoliers gejprungen: 
Schnell! Schwer wird jonft die Heimfahrt. Tiefer Nebel 
Hält ſchon im Süden Stadt und Meer umpchlungen. 


Er zog mich in die Gondel mit der Rechten, 
Und zu den Audern griffen Sohn und Vater, 
Daß fie zurück mic nad) Venedig bräcten. 


Still war das Meer; doc graue Nebel wallten 
In langem Zuge rings heran und legten 
Auf die Lagune fih in ſchweren Falten. 


Die Deivden thaten fräft’ge Nupderjchläge ; 
Yang fuhren wir; allein nicht Stadt noch Ufer 
Erſchien; das Boot glitt langjam hin und träge. 


Da vor uns ferne her erjchollen Stimmen, 
Gejang, im Nachthauch fluthend, drang ans Ohr mir, 
Und Yichter ſah ich durch das Dunkel glimmen. 


Und uns entgegen aus dem Nebelflove 
Schwamm eine Barfe; tief verhüllte Männer, 
In Händen Fadeln, jangen drin im Chore. 


Inmitten war als wie zur DTodtenfeier 
Ein Katafalf gebaut, und auf ihm ruhte 
Ein hohes Weib, umwallt von jchwarzen Schleier. 


Wohl kannt' ich fie, die bligend von Juwelen 
In Prachtgewanden ich auf manchem Bilde 
Geſehen in des Dogenjchloffes Sälen. 


= 


Ein matter Schimmter jpielte um das bleiche 
Geſicht der Todten, ihr zu Füßen lagen 
Die Banner drei befiegter Königreiche. 


An meiner Seite janf aufs Knie der Knabe; 
Doch ernft die Hände faltend, ſprach mein Schiffer: 
Benezia ifts, fie führen fie zu Grabe. 


Die Glocken des Gampanile. 


Auf Kuppel und auf Mauerkranz 
San Marcos ruht noch Sonnenglanz; 
Doch zu der Marmorbilder Fuß 

Und auf des Plages weiße Platten 
Hinbreitet fi) der Abendichatten ; 
Indeſſen janft der Engelgruß 

Bom Campanile niederwallt 

Und auf und nieder flügelleicht 

Der Taubenſchwarm die Luft durchjtreicht. 
Empor zum Suppelfveuze bald 

Sid ſchwingen fie im zad’gen Flug, 
Bald daß aufs Evangelienbuch 

Des Heiligen fie niederfinfen, 

Daß in. des Abends letztem Strahle 
Sic) jonnend, aus der Weihefchale, 
Die feine Nechte hält, fie trinken. 


Die ſchlanken Säulenreihn entlang 
Durch der Arkaden Yaubengang 
Wogt vor Venedigs alten Dom 
Im Feftgewühl des Bolfes Strom. 
Zu eng faft jeheint der Raum, der meite; 


— 109 — 


Und wie ich mit den Andern fchreite, 
Der wechſelnden Geſchlechter all 

Den! ich, die bei der Glocken Schall 
Bordem wie ich hier hingeſchritten. 
Der Schleier, der vor unferm Geiſt 
Vorzeit und Zukunft dedt, zerreißt. 
Bor ſechs Jahrhunderten inmitten 
Bon ungeheurem Volksgedränge 

Steh ich; um mich im Pejtgepränge 
Erglänzt von wehenden Standarten 
Der Platz gleich einem Frühlingsgarten. 
Durch Sammt und Seide, farbenbunt, 
Giebt ſich Venedigs Adel kund, 

Und weiße Federbüſche zieren 

Die Häupter ſelbſt den Gondolieren; 
An Fenſter, auf Balkon und Dach 
Drängt ſich die Menge tauſendfach. 
Hin durch die Schaaren geht ein Toſen, 
Nach der Piazzetta neugiervoll 

Starrt jedes Auge; horch, Geroll 
Von Ankern! Jubel der Matroſen 
Schallt wolkenauf her vom Kanal. 
Gereiht iſt weithin vom Palaſt 

Des Dogen bis zum Arſenal 

Und zum Rialto Maſt an Maſt. 

Der Siege und des Ruhmes ſatt, 
Aus der erſtürmten Kaiſerſtadt 

Kehrt Dandolo, der hehre Greis, 
Zurück in ſeiner Ritter Kreis. 

Es folgt in Waffen und in Wehr 
Mit Beute von zerſtörten Reichen 

In hundert Schiffen ihm das Heer; 
Im Morgenlichte ſchimmert weiß 

Auf Aller Bruſt des Kreuzes Zeichen, 
Der Glanz der Waffen und der Speere 


= 10, = 


Hüpft von Galeere zu Öaleere. 

Kun grüßt mit lautem Glodenfpiele 
Die Kehrenden der Campanile, 

Das Haupt entblößen alle jte 

Bein Klang der theuern Melodie. 

Und ſchon, um für des Zugs Öelingen 
Dem Heil’gen feinen Dank zu bringen, 
Vom Bord tritt an des Führers Hand 
Der blinde Doge an das Yand. 

Dort harıt der große Rath auf ih, 
Und einen Purpur-Baldachin 

Auf feinem Haupte haltend jchreiten 
Zehn Senatoren ihm zur Seiten, 

Bis bei des Volkes Jubelrufen: 

„Heil, Heil dem Dogen Dandolo!“ 

Er aufwärts jteigt die Tempeljtufen, 
Die Ritter folgen heimkehrfroh, 

Und aus den Schiffen Mann fir Mann 
Wogt dichtgedrängt das Heer heran; 
Auf Fahnen, flatternd vor dem Zuge, 
Hinfchwebt im ſtolzen Stegesfluge 

Des heil’gen Marcus Flügellen. 

Beim Glanz der Helme, Yanzenjpigen, 
Der Panzer und der Schilde Dligen 
Geblendet ſenkt der Blick ſich ſcheu. 
Nun fluthend durch des Tempels Thor 
Erſchallt der Prieſter Feierchor; 

Dort dankt beim Klang der hohen Mette 
Der Doge an geweihter Stätte 

Dem Herren, der geſtürzt durch ihn 
Den Kaiſerthron des Conſtantin. 

Doch außen von dem Platz der Landung 
Was wogt heran wie Meeresbrandung? 
Das Viergeſpann von ehrnen Roſſen, 
Von des Lyſippus Hand gegoſſen, 


ae 7 4 BEE 


Das hoc) hernieder auf Byzanz 
Gefunfelt in der Sonne Ölanz, 
Herführt es in Venedigs Port 

Ein Rieſenſchiff an jeinem Bord. 
Durchs Volk, das ſich in Haufen ballt, 
Dann wieder auseinander wallt, 
Getragen auf Gefangner Rüden 

Wird nun die Gruppe der Coloſſe; 
Den Dom San Marcos joll fie ſchmücken. 
Vorüber an des Dogen Schloffe 

Zum Tempelthor jind fie gelangt, 

Und oben tritt auf den Altan, 

Der reih im Schmuck von Fahnen prangt, 
Der Doge hin, fie zu empfahn. 

Empor bis wo fie jtehen jollen, 
Gewunden werden fie an Rollen, 

Und von den Dächern und Terrafien 
Tönt Jubel dichter Menſchenmaſſen, 
Wie oben von des Doms Ejtrade 

Die ehrnen Griechenrenner kühn 

Hinab auf Stadt und Meergeftade 

Das Feuer ihrer Nüftern ſprühn. — — 


Der Yärm verſtummt, das Bild entweicht, 
Des Abends tiefe Dämmrung legt ſich 
Rings um mich her, ein Ton kaum vegt jich. 
Hin übern Platz nur ſelten jchleicht 
Noch eine ſchwankende Geitalt! 

Herab vom Campanile hallt 

In matten Klängen Örabgeläut — 

Das ift nicht gejtern, ijt nicht heut; 

Ich fühle, daß zufünft’ge Zeiten 

Mir um das Haupt den Echleier breiten. 
Zur Seite ſchimmern blaß im Licht 

Des Mondes, der durch Wolfen bricht, 


— 12 — 


Halb Hingeftürzte Säulenreihn. 

Noch aufrecht fteht die große Halle, 
Doch chleicht voran dem nahen Falle 
Ein leifes Kniſtern durchs Geftein. 

Der Marcusdom liegt in Ruinen; 

Mit dem Gewölbe über ihnen 

Nagt in der Mitte noch der Chor 

Aus Trümmern und aus Schutt empor, 
Und niederichaut in ernfter Trauer 

Der große Chriftus von der Mauer. 
In Staub find, der den Boden deckt, 
Die Heil'genbilder Hingejtredt. 

Ich Ichreite weiter fort zum Strand, 
Doch finde den Palaft nicht mehr; 

Nur eine Wildniß allumber 

Sit die Piazzetta, wo er ftand, 

Boll Neffeln, die im Windhauch ſchwanken; 
Gehemmt wird mir der Schritt von Nanten, 
Die ſich um meine Füße fchlingen. 

Am Boden mit gebrodhnen Schwingen 
Zertrümmtert liegt dein Yöwe da, 
Unjel’ge Stadt der Adria! 

Geringelt um den Hals in langen 
Windungen find ihm wilde Schlangen. 
Mein Tritt hallt dumpf auf Steinen hin 
Und Gräberplatten, halbverfunfen, 

Die mit der Emo, Vendramin, 

Der Barbarigo Namen prunfen. 
Hinklimmend über Säulenftüce 

Gelang' ih an die große Brüde 

Und ſchaue nieder auf die Fluth, 

Die reglos mir zu Füßen ruht. 

Ich lauſche in die Ferne bang: 

Kein Ruderſchlag, fein Fifcherfang ; 
Berhallt ift das Geläut, ringsum 


So wie in Gräbern Alles ſtumm. 
Leck liegt, mit Waſſer angefüllt, 

Nur eine Gondel noch am Pfahle, 
Und zu den Seiten am Kanale, 

In blaſſe Nebel eingehüllt, 

Reihn ſich die morſchen Mauerreſte 
Der Kirchen und der Prachtpaläſte. 
Von ihrer Steine Sturz tönt leiſe 
Zum Ohre mir der Widerhall, 

Ich ſeh' im Mondenlicht, wie Kreiſe 
Das Waſſer zieht bei ihrem Fall. 
Herüber da vom Redentore 

Dringt Meßgeläute mir zum Ohre, 
Ein Requiem, vernehmbar kaum 
Von einem Geiſterchor geſungen. 
Nochmals hebt lallend, wie im Traum, 
Der Glockenthurm die ehrnen Zungen. 
Doch plötzlich ſeh' ich, wie er wankt; 
Die Quadern löſen ſich, er ſchwankt, 
Der Boden längs der Riva zittert; 
Die Häufer, Kirchen, die vermwittert 
Am Ufer dajtehn wie Sfelette, 
Berfinken ins Yagunenbette. 

Und an dem öden Inſelſtrand, 

Wo ehedem Benedig ftand, 

Ragt nur noch hie und da ein Thor, 
Ein Bogen aus der Fluth empor. 


Das find die Bilder und Gefichte, 
Die, wenn mich in des Abends Lichte 
Ummogt Benedigs buntes Leben, 
Beim Klang der Gloden mich umfchmeben. 


Shad, Geſ. Werke. IV. 8 


—- 11 — 


Auf den Thurm des Heraskiers. 


Welch Braufen um mich her? Mir ift, ala wehte 
Ein Schöpfungsodem durch die Welt, 

Da unten fich die Kaiſerin der Städte 
Im eriten Tagesftrahl erhellt. 


Herein durchs Klippenthor der Symplejaden 
Melodiſch ſauſt der Bosporus 

Und giebt, aufjhäumend an den Felsgejtaden, 
Zwei Welten feinen Wogenkuß. 


Die Morgenmwinde jagen Segelboote 
Heran vom blauen Hellespont; 

Fern ftrahlt das Schneehaupt des Olymp, vom Nothe 
Des nahen Pichtgeftirns bejonnt; 


Und hoch und höher leuchten auf die Done, 
Und weiße Minarete glühn, 

Friedhöfe, Brunnen, mächt'ge Hippodrome 
Aus dunfelndem Cypreſſengrün. 


Doch über all der Pracht mit trüben Blicke 
Seh’ ih am Horizonte ſchon 

Die düftre Wetterwolfe der Gejchide, 
Schwer von der Zufunft Schreden, drohn; 


Ya, jeh’ auf hochbeichäumten Wogenpfaden 
Im weltverheerenden Drfan, 

Mit Bligen und mit Wirbelwind beladen, 
Die Flotten aller Yänder nahn. 


Schlahtdonner und Gekrach und Flammenziichen, 
Wenn Tod die Feuerjchlünde jpein, 

Wird bald gen Himmel fchallen, und dazwischen 
Bon Sterbenden das Jammerſchrein. 


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ie bleich dort durch des Morgens Purpurdämpfe 
Der Halbmond über Stambul blinkt! 
O Zeit der Wehen und der Todeskrämpfe, 
Bevor er ganz hinunterfinft! 





IV. Verwehte Blätter. 


Bweites Bud). 


I, 


Einft glänzte am Himmel droben 
Ein Stern jo hell, jo rein; 

Oft hab’ ic) den Blick erhoben 
Zu jeinem goldenen Schein. 


Wenn ich ihm mein Sehnen vertraute, 
Mein Hoffen und meine Qual, 

Troft und Entzüden thaute 

Auf mich hernieder fein Strahl. 


Wo blieb er? Suchend am Himmel 
Schmweift mein Auge umher; 

In all der Sterne Gewimmiel 

Find’ ich den einen nicht mehr! 


189) 


Heb’, o hebe die Hülle nie 

Bon den modernden Eärgen, 
Die in der Seele begraben find! 
Ruhen, bis dein Leben verrinnt, 
Mögen die Todten alle, die jie 
Drunten dem Tagslicht bergen. 


Weh dir, wenn du den Dedel hubſt! 
Hin durch dein Inneres ſchleichen 

Wird bis tief in ſein Mark ein Graun, 
Wenn ſie dir ſtarr in das Antlitz ſchaun, 
Alle die Freuden, die du begrubſt, 

Aller der Hoffnungen Leichen. 


* 
Js 


Wenn mitternächtig auf den Gaſſen 
Des Tages legter Lärm verhallt, 
Weil ich allein in deinem Zimmer 
Und jehe, wie des Mondes Schimmer 
Zu all den Plägen, num verlafien, 
Mit blaffem Dämmerjcheine wallt. 


Ein leifes Zittern schleicht, ein Beben 
Hin an den Wänden, bang und ſtumm; 
Der Roſenſtrauch, den du begofjen, 
Strömt Duft aus Kelchen, neu erſchloſſen, 
Und träumend hinter ſeinen Stäben 

Regt ſich der Zeiſig wiederum. 


— 18 — 


Im Strahl des Mondes tönt mit matten, 
Gebrochnen Klängen das Klavier; 

In Wonne halb und halb in Trauer 
Zieht durch die Saiten hin ein Schauer — 
Ich fühle, aus dem Rei) der Schatten, 
Adele, iſts ein Gruß von dir! 


4, 


Giebt e8 noch neuen Gram für mich, 

Seitdem ich fie verloren habe? 

Wohl manches Mal noch überjchleicht 

Mich ein Gefühl, das neuem Kummer gleicht; 
Dann will ich zu ihr eilen, 

Bei ihr die Wunde auszubeilen; 

Doch plötlich ſag' ich mir: fie liegt im Grabe, 
Und in dem alten ftirbt der neue Schmerz. 


Fit eine Freude noch für mid, 

Seitdem ich fie verloren habe? 

Wohl hier und da no, halb mir unbewußt, 
Regt fih ein froh Gefühl in meiner Bruſt; 
Dann will ich zu ihr eilen, 

Sie joll- mit miv die Freude theilen; 

Doch plöglich jag’ ich mir: fie liegt im Grabe, 
Und fühle größer noch den alten Schmerz. 


Was fliegt das Schiff, was lenkt das Steuer 
Den Kiel durch dunfelblaue See? 

Ah! zu der Einen, die mir thener, 

Trägt mich der Wellen feine je! 


Klar, aus des Oſtens Purpurquelle, 

Strömt auf das Meer des Frühroths Gluth, 
Und jubelnd in der goldnen Helle 

Berauſcht ſich die beſchäumte Fluth. 


Und Inſeln, duft'ge Küſten ſchwimmen 
An mir vorbei im Morgenwehn, 

Und zwiſchen Palmenhainen glimmen 
Die goldnen Kuppeln von Moſcheen. 


Doch ob ſich mir mit lichten Thoren 
Der Orient erſchließen mag, 

Zu ihr zurück, die ich verloren, 
Blick' ich in den geſunknen Tag. 


Fern dort bei Sturm und Blättertreiben 
Blinft weiß ein Grabftein durch die Nacht; 
Da jchläft fie unter dunfeln Eiben 

Den Schlaf, aus dem fie nie erwacht. 


6. 
Wieder jchreit’ ic) längs des Stromes, 
Wo uns, wenn mit ihr ich ging, 
Trunfen an des Himmelsdomes 
Abendglanz das Auge hing. 


> > la = 


Da bei Gloden-Spätgeläute, 

Das in wilden Melodien 

Durch das Laub ſcholl, überftreute 
Uns mit Blüthen der Jasmin; 


Und die Abendnebel rauchten 
Golden aus der Felſenkluft; 
Zwiſchen unſre Küſſe hauchten 
Wilde Roſen ihren Duft. 


Stumm iſt nun der Klang der Glocken, 
Längſt der Blumen Duft verweht, 

Und des Stromes Wellen ſtocken, 

Wo mein Fuß vorübergeht; 


Auf zum dunkel-abendrothen 
Himmel blid’ ich trauerbang: 
Denn der Schatten einer Todten 
Geht mit mir das Thal entlang. 


Welch ein Schimmern rings und Yeuchten ! 
Funkelnd in des Morgens Strahl 
Sprühn die Tropfen von den feuchten 
Zweigen nieder in das Thal. 


Licht auf den beeisten Spigen, 

Licht ſelbſt tief im Abgrundſchacht! 
Ach! durch all das Strahlen, Blitzen 
Trag' ich einſam meine Nacht. 


——— 





— 21 — 


Die Nacht ift ſchaurig und finfter, 

Der Friedhof mit weißen Floden beftreut; 
Hernieder vom alten Münſter 

Im Winde wallt der Glocken Geläut. 


Sie alle, die oft mir erflungen, 

Wie tönen mir ihre Stimmen vertraut; 
Die hat mich in Schlaf gejungen, 

Und die mich gewedt mit dem erften Yaut. 


Und unter den fteinernen Platten 
Quillt es hervor wie Yeichenduft; 
Sefhwundener Stunden Schatten 
Entſchweben bei den Klängen der Gruft. 


Erröthend, dann neu ſich entfärbend, 
Bon ſel'ger Zeit mir flüjtern fie; 
Um ihre Yippen hallt jterbend 
Berichollener Lieder Melodie. 


Bon weißen Rojen ummunden 

Sind ihre Stirnen; fie reißen ſie ab 
Und zeigen mir blutende Wunden — 
Ich finfe bebend hin auf ein Grab. 


Hernieder durch jtäubende Floden 
Bricht matt des Mondes blafjer Glanz, 
Und fort beim Schalle der Glocken 
Wallt mir zu Häupten der Geiſtertanz. 


Am Tage bang und herzbeflommen 
Schreit' ich dahin auf ödem Pfad, 

Dis, wenn fein dreiftes Licht verglommen, 
Die vielerjehnte Stunde naht. 


Sie, die im Tod mich nicht vergefien, 
Auf furz dann darf ich wiederjehn; 
Herüber von den Grab-Epprefien 
Schmebt fie zu mir im Abendwehn. 


Bon ihrem Athemzug, den vemen, 
Umhaucht fühl' ich mich wiederum; 
Site drückt die Yippen auf die meinen, 
Und Seele hängt an Seele ftumm. 


Wie mahnend in mem Auge jieht fie, 
Legt ihre Hand in meine matt, 

Und Leis zu ſich hinab mich zieht fie 
In ihre dunkle Grabesftatt. 


Und wo ic) nad) des Lebens Streite 
Ruhn joll im ftillen Friedenshaus, 

Dort unten träum’ ich ihr zur Seite 
Den Traum des Todes ſchon voraus. 


10, 


Das mir jonft jo froh erflungen, 
Deinem Liede o! warım 

In den grünen Dämmerungen 
Lauſch' ich jest jo tranerjtumm? 


= 93 — 


Schwer von Wonnen, num gefchwunden, 


Holde Sängerin der Nacht, 
Mahnt es mic an jene Stunden, 
Die ich jelig hier durchwacht. 


Wieder nun wallt von den Beeten 
DBlüthenodem durch die Luft, 
Doch von frühern, längjt verwehten 
Lenzen ift es nur der Duft; 


Und Erinnerungen fluthen 

Auf der Töne Strom heran, 

Ah! mir will das Herz verbluten 
In des Piedes ſüßem Bann. 


Antwort einſt mit frohem Pochen 
Gab es ihm, o Nachtigall; 

Doch in Herzen, die gebrochen, 
Traurig tönt ſein Widerhall! 


Ringsum nun wird es ſtille, 
Indeß der Tag verſinkt 

Und froh im Gras die Grille 
Den Thau der Dämmrung trinkt. 


Aufſteigt die Nacht im Weſten, 
Sie athmet hörbar kaum 

Und wiegt von Aſt zu Aeſten 
Den Wald in Schlaf und Traum. 


a 


Den Bögeln, wie jie brüten, 
Drüdt fie die Augen zu 

Und lullt im Thal die Blüthen, 
Die Aehren all in Ruh). 


Komm, Mutter Nacht, und lege 
Die Hand aufs Herz mir mild, 
Daß fie die wilden Schläge 
Dem Ruhelofen ftillt! 


12. 


So find’ ich wieder dich nach Jahren 
Und jehe wiederum die Zeit, 
ALS ſchuldlos wir und glüdlic) waren, 
Erftehen, doch im Sterbekleid. 


Wie matt dahin durch deine Nechte 
Das Blau der welfen Ader jchleicht! 
Wie hat der Gram durchweinter Nächte 
Das ſchöne Antlitz div gebleicht! 


Wozu die alte Yiebe weden? 

Entfteigen würde, jchattenbleich, 

Nur ihr. Gefpenft, um uns zu jchreden, 
Sie felber nicht, dem Todtenreich. 


Für immer fei es denn gejchieden, 
Wie wir für immer ausgeliebt! 

Im Tode ſuch', wie ich, den Frieden, 
Den uns das Yeben nimmer giebt. 


13. 


Der Landmann geht zu feiern, 
Bon Sonnengluth verjengt, 
Die janft mit feinen Schletern 
Der Abend num verhängt: 

Es huſcht durch laub’ge Aeſte 
Der Hänfling heim zum Neſte, 
Wo auf den warmen Eiern 
Sein Weibchen ihn empfängt. 


Schon ruht in ſüßer Zelle 

Die Biene arbeitmatt, 

Zum Schlaf ſtreckt die Libelle 
Sich auf das Lindenblatt; 

Ins Dörfchen fehrt der Mäher, 
Und nah ſchon glänzt und näher 
Das Lämpchen ihm, das helle, 
Bon feiner Yagerftatt. 


Nicht fehlt die Ankerkette 

Dem miüden Nudersmann, 

Dem Rehe nicht fein Bette 

In Buchwald oder Tann, 

Und nicht die Schlucht dem Winde, 
In der er Ruhe finde; 

Wo aber ift die Stätte, 

Darauf ich ruhen kann? 


14. 


Auf morgen mir ein Wiederjehen 
Verhießeſt du mit legtem Wort; 

Da rig des Schickſals Sturmeswehen 
Di unerbittlich von mir fort. 





Umſonſt durchforſcht' ich Yänder, Städte, 
Wo deine Spur auf Erden jet; 

Statt deiner zog, jo viel ich jpähte, 
Die fremde, falte Welt vorbei. 


Bon Orte trieb es mi zu Drte, 
An alle Häufer klopft' ich an, 
Dod immer wurde mir die Pforte 
Bon fremden Händen aufgethan. 


Und ob zum fernjten der Geſtade 
Wir jchweifen über Yand und Meer, 
Nicht einer führt der Erdenpfade 
Mich zu dir hin, did) zu mir her. 


15. 


Nach des Frühlings blühenden Glück 

Und des Herbftes ftrogenden Garben 

Nun Felder, kalt vom November bereift; 
Durch Nebel und ftäubende Floden ſchweift 
Mein Blick in dämmernde Fernen zurück 
Zu Wonnen, die lang erftarben. 


— — 


Nach des Morgens thauigem Glühn 

Und des Mittags leuchtendem Strahle 

Nun Nacht und des Mondes eiſiger Schein; 
In Mitte des Friedhofs ſteh' ich allein 
Und kränze mit dunklem Cypreſſengrün 
Verwitternde Todtenmale. 


16. 


Noch, die Zweige überdedend, 
Herbftlaub, das nicht weichen will! 
Und jchon neue Knoſpen wedend 
Naht der Fröhliche April. 


Seine Wipfel ihm entgegen 
Frendejchauernd wirft der Wald; 
Nur in meiner Bruft fein Regen! 
Alles ftarr und winterfalt! 


Wenn bei Nachtigallenichmettern 
Wieder grünt das junge Yaub, 
Stumm mit den gewelften Blättern 
Sinft mein Leben in den Staub. 


Ir. 
Fremd ging ich ſonſt an dir vorüber; 
Froh lachte mir der Yebenstag; 


Ich floh den Gram, der wie eim trüber 
Nachtichatten auf der Stirn dir lag. 


Bi, 1 


Berftummt an Gräbern, über Leichen 
Seitdem ijt meiner Lippen Scherz; 
Yaß uns die Hand einander reichen! 
Dein Bruder bin ih num im Schmerz, 


1 


Rn 


Getroft! der Weg war heiß und lang, 
Allein der Abend kommt; 

Geſorgt ift, jet darum nicht bang, 
Für Alles was dir frommt. 


Die Schatten werden länger jchon 
Und fühlre Lüfte wehn; 

Vom Thurme halt der Glode Ton 
Und mahnt zum Schlafengehn. 


Bald thut fi div das Nafthaus auf, 
In dem für Alle Raum; 

Da labt dich nad) den Tageslauf 
Ein Schlummer ohne Traum. 


1% 


In der Schlucht hat jchon zu dichten 
Haufen fi) das Yaub gethürmt, 
Während neu der Herbftwind Schichten 
Welfer Blätter niederjtürmt. 


Aber durch das Sturimgetoje 
Und den Moderdunft der Kluft 
Haucht noch einfam eine Roſe 
Ihres Kelches ſüßen Duft. 


u 


Liebe! aus begrabnen Jahren 
In mein Leben, längjt verdorrt, 
Hauchjt du deine wunderbaren 
Milden Düfte fort und fort. 


20. 


Wenn flüchtig wir einander nahten, 

War deine Rede jchen und farg; 

Durch nichts ward mir der Schat verrathen, 
Den deine Seele ftill verbarg. 


Erſt kurz, eh unter ſchwarzer Hille 
Sie dich im Tempel aufgebahrt, 
Hat fih in ganzer Yiebesfülle 
Dein Schönes Herz mir offenbart. 


Empor jhlug da im dunfelrothen 
Lichtglanz die lang verhaltne Gluth, 
Doch ſchon auch in das Weich der Todten 
Trug dich hinab die dunkle Fluth. 


Nun neu im wilden Weltgetriebe 
Steh’ ich verlaffen, wie ich ftand, 
Und ſuch' umfonft ein Herz voll Liebe 
Wie deins, das ich zu ſpät erfannt. 


21. 


Deine blafjen, blafjen Wangen, 

O des Himmels Purpurlicht 

In des Frühroths erjtem Prangen 

Däucht fo ſchön wie fie mir nicht. 
Shad, Ge. Werke IV. 9 


— 10 — 


Hier und da noch durch die weißen 
Spielt ein röthlich-matter Strahl, 
Dann dem Grab fie zu entreißen 
Ningt das Yeben noch einmal, 


Doch erloſchen jchnell, vergangen 
Sit das flücht’ge Roſenroth; 
Deine blafjen, blafjen Wangen 
?oden mid zu füßem Tod. 


22. 


Mein Herz ift ſtumm, mein Herz ift kalt, 
Erſtarrt in des Winters Eife; 

Bismeilen in feiner Tiefe nur wallt 

Und zittert und regt fich3 leife. 


Dann ifts, al3 ob ein mildes Thaun 
Die Dede des Froftes brede; 

Durch grünende Wälder, blühende Aun 
Murmeln von Neuem die Bäche. 


Und Hörnerflang, von Blatt zu Blatt 

Im Frühlingswinde getragen, 

Dringt aus den Schluchten ans Ohr mir matt, 
Wie ein Ruf aus feligen Tagen. 


Doch das alternde Herz wird jung nicht mehr, 
Das Echo fterbenden Schalles 

Tönt ferner, immer ferner her, 

Und wieder erftarrt liegt Alles, 


23. 


Nacht ruht auf dem Geift mir düfter und ſchwül, 
Ich fühl ein Braujen im Hirn; 

O neig’ dich herab auf meinen Prühl 

Und leg’ mir die Hand auf die Stirn! 

Nur fie, die liebe, die weiße Hand 

Bermag mir zu lindern den Fieberbrand. 


Das mwallt von ihr nieder wie Frühthau mild, 
Wie Weit, der um Blüthen fost, 

Es legt fih der Sturm, ob noch jo wild, 
Der mir im Haupte getoSt, 

Und meine Seele blidt klar wie zuvor 

In deiner Augen Himmel empor. 


24. 


Berhängt dein Fenfter, dein Stübchen leer, 
Und du in die Weite gezogen! 

Was joll mir der Mai in den Gärten umber, 
Und des Kornfelds Wallen und Wogen? 


Ich wünfche den eifigen Januar 
Zurüd, und die Nächte, die langen, 
Als mich ummallte dein Yocdenhaar, 
Mich deine Arte umfchlangen. 


Da ſchritt ich über den Dröhnenden Eee 

Zu dir und dem harrenden Glücke, 

Und wieder von dannen durd Sturm und Schnee 
Auf des Eiſes fliegender Brüde. 


— ur 


Dir wußte das Herz vom Frojte nicht, 
Noch den nächtlichen Finfterniffen: 

Es ftrahlte von deiner Augen Licht 
Und glühte von deinen Küffen. 


Sp oft in mein Aug’, o Kleine, 

Von deinen Bliden ein Yichtitrahl Fällt, 
Wird wieder von Frühlingsicheine 

Die erftorbne Seele mir janft erhellt. 


Ein Beben und Sproffen und Keimen, 
Wie auf der Flur bei des Oſtwinds Wehn, 
Deginnt in ihren geheimen 

Srabfammern, ein Werden und Auferitehn. 


Bei Nachtigallengejchmeiter 

Negt Knoſp' an Knoſpe, die aufblühn will, 
Im Kelche die zarten Blätter; 

Dann wieder Alles öde und ftill. 


Und ach! wenn der wonnige Schauer 
Berflogen, der mich flüchtig durchrann, 
Bleibt mir im Herzen nur Trauer, 

Daß ich wie fonft nicht mehr lieben Fanır. 


26. 


Nun ziehen die Wolfen durchs lichtere Blau, 
An grünen Halmen zittert der Thau; 


— 13 — 


Bon Blumen fchillert der Naien bunt 
In der fröhlichen Winde Wehen, 

Und die Primel fteigt aus dem Wiejengrund, 
Um den leuchtenden Himmel zu jehen. 


Mit Drofielgefang und Wachtelfchlag, 
Wie umfängſt du mic) wonnig, jtrahlender Tag! 
Doch wo ift die Stimme, die einft mich rief, 
Und die Hand, die meine gedrücdt, 
Und wo das Auge, jo blau, jo tief, 
Das einjt in meines geblidt? 


27. 


Berftummt, ihr fröhlichen Gejänge 
Bon Liebesluſt und Yebensglüd! 

Wie in Auinen, tiefzerfallen, 

Die Abendwinde widerhallen, 

Dumpf tönt ihr nur als Trauerflänge 
Aus meinem Herzen noch zurück. 


Berjunfen liegt, in fernen Weiten, 

Die Welt, in der ich glücklich war, 

Und hauptverhüllte Schatten tragen 

Mir Bilder her aus alten Tagen, 

Und fchluchzen in den Schall der Saiten: 
Dahin, dahın für immerdar! 


Im braujfenden Sturz hinab in die Schlünde 

Wie jubeln die Bäche, vom Eije frei! 

Wie hallt im Winde durch Schluchten und Gründe 
Das Alpenhorn und des Hirten Schalmei! 


Heimfehrt durch des Himmels lichtere Bläue 
Bon Süden der wandernden Vögel Schaar, 
Und jeder findet den Zweig aufs Neue, 

Auf dem er geniftet im lebten Jahr. 


Und bei der Lieder fröhlihem Scalle 

Aufgrünt und blüht und duftet der Daun — 
Ich kenn' euch, ihr Stimmen, ich kenn' euch alle; 
Mir ift, al3 erwacht’ ich aus düſterem Traum. 


Komm, Jugend, fomm Liebe! Was lapt ihr mic) harren? 
Zum Herzen, das einjt fo froh, jo fühn, 

ehrt wieder zurüd, dem winterlich ſtarren, 

Und laßt es von Neuem duften und glühn! 


Der mich geboren, zweiter Auguft, 
Deiner thauigen Dämmerung Luſt, 
Könnt’ ich je fie verfäumen ? 

Eh noch ein Lichtjtvahl die Yerche wedt, 
Auf dem Hügel lieg’ ich geftredt 

Unter den jchlummernden Bäumen; 


— 13%. — 


Höre den Bad) im Morgenwind 

Pallen wie ein erwachendes Kind, 

Und das frohe Gejchmetter 

AU der gefiederten Sänger umher, 

Mie fie mit Flügeln, von Thau noch ſchwer, 
Huſchen durch zitternde Blätter. 


Und in der Frühe fänfelndem Hauch 

Alle die munteren Geifter auch 

Fühl ich im Herzen erwachen; 

Wie, wenn die Stunde des Yernens vorbei, 
Knaben fich jagen mit Jubelgejchret, 
Tummeln fie fi und lachen, 


Weden zum Singen die Vögel im Neft, 
Schütteln miv Aepfel herab für das Felt, 
Nüffe vom Hafelgeftäude — 

Zweiter Auguft, du, dev mich gebar, 
Immer verjünge von Jahr zu Jahr 

So mir der Kindheit Freude! 


30. 


Während mit den Sternenaugen 
Ueber uns der Himmel wacht; 
Oeffne deinen duft'gen Kelch mir, 
Heil'ge Wunderblume, Nacht! 


Wonne, der zerſtreuten Seele, 
Die der Tag verwirrt, zu groß, 
Himmliſches Entzücken ſtrömt mir 
Tief aus deinem Blätterſchooß. 


— 136 — 


Bon dem Duft, der unergründlic) 
Aus dem Weltenabgrund quillt, 
Mehr, o mehr noch laß mich jchlürfen, 
Bis der Durſt mir ganz geftillt! 


Wenn das Morgenlicht in feur’gen 
Funken auf die Erde ftäubt, 
Saugend noch an deinem Selche 
Häng’ ich ſelig, ſüßbetäubt. 


31: 


Noch find die Hähne alle ſtumm, 

Und fchwer liegt auf den Augenliven 
Mir nod) der Schlaf der Nacht; warum 
Weckt ihr fo überfrüh den Mitden? 


Kaum um den Himmelsrand fpielt fern 
Ein Schein, al3 ob die Dämmrung graute, 
Schlaftrunfen grüßt den Morgenftern 

Die Lerche mit dem erften Yaute. 


Und matt im Dften hebt der Tag 

Sich halb empor vom Wolfenfaume, 
Dann auf den Pfühl, auf dem es lag, 
Sinft nen fein Haupt zurüd zum Traume. 


Drüd’ mir die Augen wieder zur! 
Fern von dem lauten Yebensjchwarme, 
Allmutter Nacht, vergönne du 

Mir lang’ noch Naft in deinen Arme! 


32. 


Ob auch mein Abend längſt begonnen, 
Doch oft, Hellleuchtend wie zuvor, 
Noch fteigen lang verfunfne Sonnen 
Vor meinem trüben Blick empor. 


Dann ift mir, wieder herrlich glänze 
Die Welt, wie ich fie einft gejehn; 
Den Athem lang verblühter Yenze 
Fühl' ich durch meine Seele wehn. 


Kühl vaufchts in feiner Wipfel Blättern, 
Entgegen quillt miv Blüthenduft, 

Und lang geſtorbne Yerchen jchmettern 
Bon Neuen hoch in blauer Yuft. 


O jubelt fort! Sanft auf dem Pfühle 
Yaßt mich entjchlummern beim Geſang, 
Der in des Sonnenaufgangs Kühle 
Am Himmel meiner Kindheit flang! 


Ums Haupt der alten Bergesriejen 
Spielt noch der erfte Morgenftrahl 
Und gleitet, auf dem Nauch der Wiefen 
Hinzittend, nieder in das Thal. 


Leis beben von den Athemzügen 

Der Schlafenden die Lüfte noch; 

Noch ruht der Stier, bevor zum Pflügen 
Der Adersmann ihn fehirrt ans Jod). 


— 138 — 


O mwedt zu jeinem Werk voll Mühe 
Den Tag aus feinem Schlummer nicht! 
Umfang’ uns lang noch, jel’ge Frühe, 
Mit Morgenluft und Morgenlicht! 


34. 


Schon lagern über den Mooren 
Die Nebel des Abends ſchwer; 
Kaum zittert ein Strahl verloren 
Dur der Dünfte wallendes Meer. 


Die Blätter, die Blüthen fiechen 
Im falten Oktoberhauch, 

Und giftige Lüfte kriechen 
Verheerend von Strauch zu Strauch. 


Doch ich träume von grünenden Matten 
Und Wieſen, mit Thau beſprengt, 
Darüber an felſigen Platten 

Die Roſe der Alpen hängt, 


Von Gipfeln mit eiſiger Firne, 
Die hoch in den Himmel ragt 
Und den Morgen auf ihrer Stirne 
Schon trägt, bevor er noch tagt. 


Wer je ſich an deiner Quelle 
Den Durſt, o Liebe, geſtillt, 
Von ewiger Morgenhelle 
Iſt ihm die Seele erfüllt. 


35. 


Dahin der Jugend Wonnen, 
Und felbjt ihr fühes Weh 
Zerſtoben und zerronnen 
Die Frühlings-Blüthenjchnee. 


Nicht jauchzt mehr zu den Sternen 
Mein Herz wie jonjt empor; 

Es ftarrt in öde Fernen 

Nach dem, was e3 verlor. 


Nicht mehr in Schmerz zu biuten 
Vermags, wie einjt es that, 

ALS es die rothen Fluthen 
Erlabten wie ein Bad. 


Nur wenn in holdem Sinnen 
Dein Auge auf mir ruht, 
Wohl regt fih noch tief-innen 
In ihm die alte Gluth. 


Hoc Flopfend dann entgegen 
Pocht es dem jungen Glüd — 
Doch finft mit matten Schlägen 
Dald nen in fich zurück. 


36. 
Wie war mir jo beflommen, 
Als ih im Fenfter lag! 
Ich ſah, er war gefommen, 
Der erſte Wintertag. 


— 10 — 


In blafjem, grauem Etreife 
Zog Heerraudh ob dem Moor, 
Weit angehaudht vom Reife 
Erglänzte Halm und Rohr. 


Ein Fink fang auf der Linde 
Beim halbgeftürzten Neft, 
Welk bebten noh im Winde 
Die Blätter am Geäft. 


Erft in der Abendipäte 
Erftarb die Stimme matt — 
Der eiſ'ge Nordwind mehte 
Herab das letzte Blatt. 





V. Kampf und Sieg. 


Am Grabe Trriedridis des Zweiten. 
1864. 


Aus Palermos Blüthenfülle, die mit Duft den Sinn 
betäubt, 

Aus dem Strahlenglanz, der blendend über Meer und 
Gärten ftäubt, 

In die Gräberhalle flücht' ich, fern dem lärmerfillten 
Tag, 

Dir den Todtenfranz zu winden um den dunkeln 
Sarfophag, 

Mächt’ger, der um ein Jahrtaufend Deiner Zeit du 
ſchrittſt voran, 

Deſſen Riejennamen bebend nur der Deutjche ſtammeln 
fann! 

Laß im diefer heil’gen Stille, wo du, alles Wandels 
bar, 

Nicht den Tag und nicht die Nacht fennft, nicht das Fit 
und nicht das War, 

Laß mich denfen, wie von Deutſchlands Kaiſerthrone 
ſchickſalsvoll 

Einſt gebietend durch die Länder deines Wortes Donner 


ſcholl, 


ee 


Denken, wie vom Nord» zum Südmeer durch dein 
unermeßnes Neid) 

Du den Adler Ruhm, den fühnen, einem Edelfalken 
gleich, 

Auf der ftarfen Fauſt getragen und gejpornt von Flug 
zu Flug, 

Bis die Schwinge, Alles wagend, ihn in Sonnenferne 


trug! 

Um dich her mit Schild und Yanze, al3 ein eijenfejter 
Wall, 

Neihten fih die Ervdenfürften, Jeder deines Throns 
Bafall, 


Und, das Werk der Nacht zerftörend, für des Priefters 
Bannfluch taub, 

Tratſt du, die ihn dreifach krönte, die Tiare in den 
Staub, 

Während an dein ehrnes Deutjchland du das jonn’ge 
Morgenland 

Und des Südens heitre Küften bandeft mit gemwalt’ger 
Hand. — 

Aber weh! die hehren Bilder, wer verhüllt fie meinen 
Blick? 

Neuen, immer neuen Wechſel bringt das rollende Geſchick, 

Und durch ſiebenhundert Jahre ſeh' ich wie im Traum— 
geſicht 

Finſtrer ſtets den Himmel kreiſen mit erloſchnem 
Sternenlicht, 

Seh' dein Reich in Trümmer ſinken, daß, zerbröckelt 
und zernagt, 

Selten noch ein halbgebrochner Pfeiler aus dem Schutte 
ragt; 

Weithin geht durch ſeine Zinnen, ſeinen Wall der Riß 
hindurch, 

Und am Boden liegt die ſtarke, liegt die heil'ge Völker— 
burg. 


— 13 — 


Trauernd iiber deinem Yande hat der Genius fich ver- 


hüllt, 

Bon den eignen Söhnen wurde feiner Schande Maaß 
erfüllt; 

Seine Yenfer in Verblendung denfen nicht der Zeit, 
die war, 

ALS ſich herrfchend über Alle ihwang der doppelhäupt’ge 
Yar, 

Nicht fein Volk, daß ihm der Kaiſer, was dem Schiffer 
der Pilot, 

Ohne ihn auf ſtürm'ſchem Meere finkt es ſelbſt im leden 
Dont. 

Nun verzagend ftehn fie Alle, da der Boden kracht und 
wanft, 


Wilder tobt un fie die Woge und der Compaß trügt 
und ſchwankt; 
Doc) vergebens rollt der Donner mahnend über ihrem 


Haupt, 

In den jähen Abgrund ftürzen fie ſich felber finn- 
beraubt. 

So dein Yand, erhabner Kaifer! morſch ift Alles drin 
und hohl, 

In der Zeiten Wirbelftrömen treibt es ohne Stern 
und Pol. 


Wohl dir, daß dein Auge nimmer haut dies deutjche 
Sammerbild! 

Möge Trauerflor umhüllen dein berühmtes Wappenſchild! 

Um dich her im Traume magft du deine Heldenſöhne ftehn 

Und die Schatten der vergangnen großen Tage gleiten 

” ſehn, 

Doch kein Laut des Lebens dringe, Herrlicher, zu dir 
herab, 

Als das Rauſchen deiner Fahnen, wie ſie wehen um 
dein Grab. 


— 14 — 





iu 


Die Kaifergruft in Speyer. 


2” 


Wie öde trauert dieſe heil’ge Welt 

Im zweifelhaften Schein der Tageshelle, 
Die dämmernd dur die Bogenfenfter fällt 
Und zitternd jchleiht um Altar und Stapelle. 


Bisweilen nur, unheimlich wie im Traum, 
Scheint fich der Tempel wunderfam zu regen, 
Ein innres Athmen den geweihten Raum 
Mit geifterhaftem Leben zu bewegen. 


ann hört man dur die Stille dumpf und ſchwer 
erloren einzle Glockenklänge hallen, 

Wie vor dem Sturme auf ein jchweigend Meer 
Die Tropfen der Gemitterwolfe fallen. 


D 
2 
V 


Ein bleiches Weib, ein Geiſt vom Ehedem, 
Wallt durch den Dom; gelöst find ihre Haare, 
Halb von der Stirne janf das Diadem, 

Ein Trauerkleid umfliegt die Wunderbare. 


Gebrochnen Schrittes wanft fie hin; fie blickt 
Die Kaifer-Särge an mit ſtummem Harme 

- Und hebt mit „Klagerufen, halb erftidt, 

Um Rache flehend himmelwärts die Arme. 


Da aus der Orgel bricht ein mächt'ger Schall, 
Ein Sterbefeufzer, ihrer Bruft entquollen, 

Der bei der Säulengänge Widerhall 

Durch das Gewölbe jchleicht mit dumpfem Rollen, 





Und von den Riejenflang erbebt das Licht 
Der Pampen, die auf den Altären ſchimmern, 
Daß geifterhaft wohin es zitternd bricht 

Die Kreuze und die Peichenfteine flimmern. 





a ti 


In dichtern Tropfen aus den Pfeifen träufts, 
Und durd die Hallen jchweben dunkle Schatten, 
| Und zwifchendrein vernimmt man das Geſeufz 
Der Todten unter ihren Marmorplatten. 


Bald wieder Alles ftille wie zuvor! 

Kings Naht und Schweigen in den öden Mauern; 
Nur Kreuze, eingehüllt in ſchwarzen Flor, 

Und Heil’ge, die in ihren Nifchen trauern. 


Die Hohenſtaufenkrone. 


Noch rauſchen deine Eichenforſte 

Von unſrer Väter Heldenthum, 

Um deiner Felſenburgen Horſte 
Schwebt einſam noch der Adler Ruhm; 
Es glüht von ſeinen kühnen Flügen 
Die Kunde noch in Flammenzügen 

An manchem Denkmal, halb vermorſcht: 
Doch über den Ruinenhaufen 

Nach dir, o Land der Hohenſtaufen, 
Nach dir hab' ich umſonſt geforſcht. 


In ſchweren Kerkerbanden liegſt du, 
Germania, Weib im Trauerkleid; 
Gramvoll die müde Stirne wiegſt du 
In Träumen der vergangnen Zeit! 
Es ſpotten dein die rohen Schergen, 
Wie deine Thräne zu den Särgen 
Des Gatten und der Söhne träuft, 
Und roſtig ruht am Sarkophage 
Ein Schwert, nach dem in ſtummer Klage 
Bisweilen deine Rechte greift. 

Schack, Geſ. Werke IV. 10 





Be 


D Zeit, mit ihm ins Grab geftiegen, 
Als, deinem Friederich vermählt, 

Du deine Tage nach den Siegen, 
Die er für dich erftritt, gezählt! 

ALS fih vom Rhein zum Hellesponte 
Die Welt in deinem Ruhme jonnte, 
Und dein Panter mit ftolzem Flug 
Im alten Wunderland der Träume, 
Im Orient, die Purpurjäume 

Des fernften Morgenhimmels jchlug! 


Wo ift das Zeichen, das gemeihte, 

An dem das Erdenſchickſal hing, 

Die Krone, die den Kaiſer feite, 

Mit ihrem goldnen Zauberring ? 

Wo das Geflecht, das göttlich ſchöne, 
Die hehren Töchter und die Söhne, 
An deiner Mutterbruft gefäugt ? 

Ah! Antwort giebt der ftille Sammer, 
Der tiefer in der Todtenfammer 

Dein Antlig auf die Erde beugt. 


Doch traue, Weib, den alten Sagen, 
Bon unfern Vätern gern geglaubt! 
Es liegt dort, wo die Alpen vagen, 
Ein himmelnahes Bergeshaupt; 
Kings klaffen mit jahrtaufendalten 
Schneefeldern ungeheure Spalten, 
Kein Wanderer drang je hindurch, 
Und auf der höchiten, fteilften Spitze 
Hebt ſich die Nachbarin der Blike, 
Der Stürme Braut, die Kronenburg. 


— — 


Als Manfred fiel, der heldenkühne, 
In Benevent auf blut'gem Feld, 

Als auf Neapels Henkerbühne 
Hinſank der junge Kaiſerheld, 

Da trug von dem verwaisten Throne 
Ein Aar die Hohenftaufenfrone 

Zu jenem Alpenfchloffe fort — 

Es blühn und welfen die Gejchlechter, 
Doch Geifter ſchirmen, treue Wächter, 
Bis heut des deutjchen Reiches Hort. 


Einft aber wird ein Held erjtehen, 

Bon edlem deutjchem Stamm ein Sproß, 
Auf den der. Herr im Sturmesmwehen 
Den Athem jeiner Weihe goß; 

53 ftrahlt fein Haupt im Morgenglanze, 
Befreiung bligt auf feiner Yanze, 

In feinem Banner raufht der Sieg, 
Und mit den Winfen feiner Brauen 
Lenkt durch der Schlachten Wettergrauen, 
Wie feinen Sklaven, er den Krieg. 


Bor ihm vergeht die Macht der Böſen, 
In ſich zerbricht der alte Bann; 

Das deutjche Kleinod einzulöjen 
Stürmt er die Kronenburg hinan; 
Und fteh! die Eisgewölbe brechen, 

Sie löſen fi) zu Gletſcherbächen, 
Schneebrüden ftürzen donnernd nad), 
Und, hoch) die Alpenhäupter zündend, 
Ein neues Exrdenjahr verfündend, 

Hebt ftrahlend fi der junge Tag. 


— 1485 — 


Hernieder dann aus den Ruinen, 

Die theure Krone in der Hand, 
Steigt bei dem Donner der Yawinen 
Der Kaifer in fein deutſches Yand; 
Ihn feiern die Drommetenftöße, 

Der auf das Haupt der alten Größe 
Den Kranz der jungen Freiheit drückt, 
Ihm prangt die Flamme der Altäre 
Und ihm die lautre Freudenzähre, 
Die jedes deutjche Auge ſchmückt. 


Dir findet, Weib, der Klang der Gloden 
Das Nahen des erjehnten Herrn, 
Entgegen ftrahlt von feinen Locken 

Die Krone dir als Morgenftern ; 

Und über dir und dem Befreier, 

Als Zeuge bei der heil’gen Feier, 

Die allen deinen Sammer jühnt, 

Rauſcht ftolz wie einft die deutjche Eiche, 
Die mit dem neu erftandnen Reiche 

Der Ewigkeit entgegengrünt. 


Die ſchwarze Schaar. 


Mit dunkeln Tſchakos Alle und Todtenköpfen drauf 
Eilten bei Hörnerſchalle ſie nach dem Zelte zu Hauf. 
Und ehe ſie drinnen waren, rief freundlich der Herzog 


ſchon: 


„Gegrüßt, ihr ſchwarzen Huſaren! gegrüßt, meine Rache— 


legion!“ 





— 149 — 


Die Braven hieß er fich jegen: „Achtſam eur Ohr mir 
geliehn! 

Mir jendete diefen Feen der Kaifer eben aus Wien; 

Mehr liebt ev auf Bällen das Tanzen als Waffentanz 
in der Schlacht, 

Drum hat er bei Znaym mit den Franzen jegt feinen 
Frieden gemacht. 


Damit ich ihn unterfchreibe, ſchickt er den Wiſch miv nun; 
Er denkt wohl, mit einem Weibe, wie er eins, hab’ er 
ß zu thun; 
Doch daß man Schurfe mic heiße, daß Schande mid) 
treffen mag, 
Wenn ic) das Dlatt nicht zerreiße! da liege, verfluchter 
Bertrag!” 


Er riefs, und zerriffen ftoben umher die Stücke Bapier, 

Jubelnden Auf erhoben Gemeiner und Offizier; 

Er aber: „Mein Blut fühl’ ich fieden und Gluth auf den 
Wangen mir lohn, 

Sobald ich höre von Frieden mit dem Unhold Napoleon. 


Den Bater mir hat ex erichlagen, mein Braunfchweig 
mir gevaubt, 

Nicht mochte mein Weib das tragen, früh ſank ihr 
blühendes Haupt; 

Dann über dem Grab meiner Pieben jah ich von den 
Alpen zum Meer, 

Bon Höllengeiftern getrieben, hinjagen jein wüthendes 


Heer. 


Wie jchreit noch aus Dörfern und Städten zum Himmel 
um Wache der Brand, 

Wie hat dich der Wüthrich zertreten, mein deutſches 
Vaterland, 


— 150 — 


Wie deine Söhne geſchändet, betrogen, verführt, entzweit, 
Bis ſie einander verblendet würgten im mördriſchen 


Streit! 

Deine Fürſten, die ſtolzen Schildhalter von Kaiſer und 
Reich, 

Wie iſt ihre Größe geſchmolzen, wie ward ihre Ehre ſo 
bleich! 


Vom fremden Unterdrücker nahmen zu Lehn ſie den Thron 
Und preiſen ihn Weltbeglücker, indeß ſie zermalmt ſein 
Hohn. 


Doch ich will das Haupt nicht bücken, bevor ich es leg' 
in die Gruft; 

Fort! fort! ſonſt wird mich erſticken die deutſche Kerkerluft; 

Hindurch uns zu ſchlagen zum Meere, ihr Freunde, führ' 
ich euch an, 

Und fall' ich, ſo fall' ich mit Ehre als deutſcher Fürſt 
und Mann!“ 


Alſo der kühne Welfe; und rings auf ſein Aufgebot 

Erſcholl es: „daß Gott uns helfe, wir folgen dir bis 
zum Tod!“ 

Die Hand ihm zu küſſen drängte ſich Jäger heran und 
Huſar 

Und hurtig von dannen ſprengte der Herzog mit ſeiner 
Schaar. 


Im Sturme vorwärts brauſend auf ſchäumenden Roſſen 
gings; 

Kaum waren ſie ihrer tauſend und der Feind unzählbar 
rings, 

Doch ob ſtärker ums Hundertfache, ſcheu ließ er ſie ziehn 
fürbaß: 

„Weh, weh, das Corps der Rache, die ſchwarze Legion 
iſt das!“ 


—'151 — 


Stach aber Einen der Sigel, fie zu hemmen auf ihrer 


Fahrt, 
Bald hat er in dem Scharmützel die welfiſche Kraft ge— 
wahrt! 


Denen, die heim geblieben, wenn er im Kampf nicht fiel, 
Wußt' er von deutſchen Hieben hinfort zu erzählen viel. 


Auf, Halberſtadt zu erſtürmen! erſchallts aus des Her— 
zogs Mund. 

Erzſpeiend von Mauern und Thürmen kracht der Kanonen 
Schlund; 

Aber den Flammen entgegen, die den Tod auf ſie ſprühn, 

Dem ziſchenden Kugelregen werfen die Schwarzen ſich 

kühn. 


Der Führer ſtürmt, der kecke, den Andern voran zum 
Thor, 

Unter ihm ſinkt ſein Schecke, zu Fuße dann dringt er vor; 

Schon iſt eine Breſche geſchoſſen, er wirft ſich der Erſte 


hinein: 
„Sieg oder Tod, ihr Genoſſen!“ tönts durch der Seinen 
Reihn. 


Genommen Wälle und Schanzen, erobert Halberſtadt! 

Die weſtphäliſchen Schranzen ſenken die Arme matt, 

Aus Fenſtern wehen Schleier und jubelnde Bürger ſtreun 

Blumen auf den Befreier: „Heil, Enkel Heinrichs des 
Zeun !” 


Zum Meer auf offenen Wegen zieht weiter das Fleine 
Heer; 

Die Straßen ihm zu verlegen wagen die Wälſchen nicht 
mebr; 


— 12 — 


Nur schen, wie den Yömwen die Füchje, umſchleichen fies 
noch fortan, 

Als ob Jeder zum Niefen wüchſe, geht Furcht den 
Schwarzen voran. 


Don Felfen zu ihren Füßen bald jahn fie der Flut) 


| Geroll, 

Aus dem es wie Freundes-Grüßen den Freien entgegen— 
ſcholl. 

„Nun, meine Kampfgeſellen, hinweg vom geknechteten 
Strand 


Ueber die freien Wellen ins freie Engelland! 


Einſt an die Küſten der Väter heimträgt uns der hurtige 

Ihr Feiglinge und Verräther, verloren dann euer Spiel! 

Der Feinde giftiger Heerrauch wird, wo wir nahen, ver— 
gehn, 

Und Freiheit, ein friſcher Meerhauch, hin über Deutſch— 
land wehn!“ 


Die Bildfänle Karls des Großen. 


Steigft du aus der Gruft, Exrhabner? 
Bon der Erdengeifter Haft 

Hat dein abgrumdtief-begrabner 
Heldenleib fich aufgerafft ? 


Wo did) band des klugen Zwerges 
Leisgeraunter Zauberſpruch, 

In der Kluft des Odenberges 
Schlummerteſt du lang genug; 





| 
} 


— ⸗⸗ 


— 153 — 


Senkteſt auf dem Stuhl von Erze 
Deine Stirne, träumejchwer, 

Und das Licht der Grubenkerze 
Goß ſich flimmernd um dich her, 


Aber als die Friſt verronnen, 
Wie ein Erdſtoß da ericholls, 
In den Erz und Feuerbronnen, 
In den Wafferadern ſchwolls; 


Und beim Auf, der mit dem Stoße 
Schütterte den Erdenball, 

Dröhnte: „Wo ift Karl der Große?“ 
Hundertfach der Widerhall. 


Da erftandeft du, Gewaltiger, 
Sprengteft die granitne Thür; 
Ein Jahrtaufend hing als faltiger 
Mantel um die Schultern dir; 


Und ein fteingewordner Schatte, 
Deine Seele jelber Stein, 
Trittft du auf die Marmorplatte, 
Neu bei deinem Volk zu fein. 


Sprich, was runzelſt du die Brauen? 
Freut das Morgenroth dich nicht, 
Welches deinen deutſchen Gauen 
Hoffuungsreih durch Wolfen bricht? 


Siehſt du nicht mit Stolz das Wappen, 
Das dein ein’ges Deutichland ſchmückt, 

Seit in ſechs und dreißig Yappen i 
Wir dein Burpurkleid zerjtüct ? 


— 14 — 


Nicht den Dom, wo edelmüthigit 
Wir die Fahne abgeftedt, 

Und der Gallierhahn uns gütigft 
Baſilisken-Eier hedt? 


Nicht die Wälder, mo der Gimpel 
Seine Hoffnungslieder pfeift, 

Und der Maftbaum für die Wimpel 
Unfrer deutſchen Flotte reift? 


ein, den Blick verhülle, Mächtiger, 
Nicht für Dich ift diefer Tag! 

Mag ein Schleier dir, ein nächtiger, 
Uns entziehn und unſre Schmad! 


Schlaf’ in dieſem immer wüſteren 
Yeben, das die Nachwelt lebt, 
Kur erwachend, wenn mit düfteren 
Nebeln fie die Nacht begräbt! 


Dann, wenn Donner um dich wettert, 
Wenn der Sturmmwind dich umfliegt, 
Und der Blitz, der jonft zerjchmettert, 
Sich auf deiner Stine wiegt, 


Schau hinab zu deinem Neiche, 
Das ſich weithin, endlos zieht, 
Wie die Gegenwart die bleiche 
Große Borzeit Dämmern fieht! 


Durch die Fläche jchleicht ein Glimmen 


Wie ein blafjes Meteor; 
Fernher tönen dumpfe Stimmen, 
Kaum vernehmbar an dein Ohr. 


> 


——— ———“ 





—- 15 — 


Yauter dann, gleich Geifterrufen, 
Hallt es aus dem Erdenſchooß, 
Wie Geſtampf von ehrnen Hufen 
Dröhnts und wie Drommetenftoß. 


Iſts das MWogen ferner Meere, 

Das an felj’ge Küſten jchlägt? 

Sinds die Schemen deiner Heere, 

Die der Sturmwind peitfcht und fegt? 


Ja, fie fteigen, die Erwachten, 

Aus der Gruft, wo hingeftredt 

Sie den Staub von hundert Schlachten 
Ueber ihren Pfühl gededt. 


Zoderftandne, bleiche Gruppen 
Kahn fie ih im luft'gen Tanz, 
Ihre ehrnen Panzerfchuppen 
Dlinfen matt im Mondenglanz. 


Schleuderer und Bogenjpanner, 
Eiferne von Iſenland, 

Knappen mit dem heil’gen Banner 
Und dem Horne Dlifant, 


Nitter, die der Saracenen, 

Die des Nordmanns Heere jahn, 
Ziehn auf Roſſen, ſchwarz von Mähnen, 
Zu dir her die nächt'ge Bahn. 


Aber du aus dicht fich ballenden 
Nebeln, wie ein Niejengeift, 
Blickſt hernieder zu dem wallenden 
Kriegsvolk, wie es um dich kreift. 


— 16 — 


Da der alten Schladhtluft denkſt du, 

Deine Ader fchwillt vor Zorn, 

Einmal noch die Fahne jchwentit du, — 
Einmal ſtößſt du noch ins Horn! 


Yangjam, weithin tönt der fluthende, 
Schwellende, gewalt'ge Schall — 
So blies Roland, der verblutende, 
In der Schlucht von Ronceval. 


Wild indeß, wie ums verwitternde 
Felſenhaupt ein Wolkenzug, 

Brauſt das Heer um deine zitternde 
Steingeſtalt im Wirbelflug; 


Und wie bei der Töne Rollen 
Donnernd das Getümmel wallt, 
In dem Sturm und Wettergrollen 
Iſt das kleine Jetzt verhallt! 


Die deufſche Mukter. 
1866. 


Das iſt ein Feſt, ein herrliches, heut, 
Kanonengekrach und Glockengeläut 

Und Hallen von Siegesliedern. 

Nein! nein! Reißt ab von den Helmen das Laub 
Und ſtreut auf das Schlachtfeld Aſche und Staub, 
Wo Brüder ſich würgten mit Brüdern! 


Todt Beide, die ich mit Schmerzen gebar, 
Die ſchöner und ſchöner von Jahr zu Jahr 





w — 4 — 1 


Erblühten an meinen Küſſen! 
Gebrochen nun in des Lebens Mai 
Ihr roſiges Haupt! vom heißen Blei 
Die Bruſt den Theuern zerriſſen! 


O hätt ich — das iſts, was am Herzen mir zehrt — 
Das Wort fie nimmer jtammeln gelehrt, 

Das in den Tod fie getrieben! 

Mein, mein die Schuld! mit erhobener Hand 

Gebot ich ihnen, das Vaterland, 

Das deutjche, vor Allem zu lieben. 


Wenn Abends die Zwei mir ſaßen im Schooß, 
Dft ihnen erzählt’ ich von Waterloos, 

Bon Leipzigs herrlichen Schlachten, 

Wie heim aus dem Feld ihr Vater, ihr Ahn 
Sich Ehren für Thaten, die fie gethan, 

Und leuchtende Wunden braten. 


Da flammten die Augen der Knaben in Gluth 

Und liegen mit Stolz des Gatten Blut 

In den Adern der Söhne mic ahnen. 

Was mehr? Die Jünglinge trieb es — fein Halt! — 
Zu Habsburgs Adler den Theobald, 

Den Karl zu den preußiichen Fahnen. 


„Mein Bruder, leb' wohl! Doc bald vereint 
Wehn unfere Banner wider den Feind 

Und jagen ans Meer ihn nach Weiten; 

Für Deutihland, wie uns die Mutter gelehrt, 
Yaß dann, des Ahnen, des Vaters werth, 
Uns fämpfen unter den Beſten.“ 


Und fie träumten noch von vereintem Sieg; 
Wer war es, o wer, der da den Krieg 


— 18 — 


Bon Deutjchen mit Deutfchen entflammte? 
Wohl bebte zurüd die entjeste Natur, 

Doch band an die Fahnen die Zwei ihr Schwur 
Und riß fie ans Werk, das verdammte. 


Die Hölle jauchzte; von Sid und Nord 
Entgegen fich zogen zum Brudermord 
Die Heere mit flingendem Spiele, 

Und, wie ich jammernd am Boden lag, 
Die beiden Söhne bei Nacht und Tag 
Schaut’ ih in dem Schlachtengewühle. 


Und Flammenziſchen und Nädergeroll 

Und Krachen der Feuerfchlünde erjcholl 

Und Sterbender Aechzen und Wimmern; 

Da ſchwand der Dampf, der die Wahlftatt umflort, 
Und blutend lagen die Zwei, durchbohrt, 

Auf Haufen von Leichen und Trümmern. 


D Mutter der Schmerzen! Vom Crucifix 

Des Sohns ſchau her mitleidigen Blicks 

Und dent’, du hatteft nur Einen! 

Yicht gleicht dein Jammer dem meinen; dir quillt 
Die Iindernde Thräne vom Auge mild, 

Ich habe feine zu meinen. 


Und ihr, mit Jubel und Feftluft heut 

Verhöhnt ihr mein Weh? mit Glockengeläut 

Und hallenden Siegesliedern ? — 

Schweigt! ſchweigt! Reißt ab von den Helmen das Yaub 
Und ftreut auf das Schlachtfeld Aſche und Staub, 
Wo Brüder ſich würgten mit Brüdern. 


— 159 — 


Hiegesfeier in Hfraßburg. 


Hallt, Gloden, hallt von Erwins Thurn, 
Und braujen mag der Jubelſturm 

Bon Berg zu Berg, von Strom zu Strome! 
An jedes Ohr die Botichaft tragt: 

In deutjche Yuft nun wieder vagt 

Der herrlichite der deutjchen Dome! 


D 


Der alte Frevel iſt gerächt, 

Der von Geſchlechte zu Geſchlecht 

Uns bittre Schmach vererbt und Schande: 
Hallt Glocken! von des Nordens Meer 
Bis zu den Alpen ruft ſie her, 

Die Söhne aller deutſchen Lande! 


Ja freier, wie gelöst vom Bann, 
Aufathmet Aller Brust; heran 

Durchs Münfterthor jeh’ ich fie wogen, 
Und wie ein himmliſcher Orfan 
Braust Orgelichall, indeß fie nahn, 
An Gurten hin und Strebebogen. 


Und durch die Fenfterroje bricht 

Ein Farbenglanz herein, wie Yicht 

Des Negenbogens nad) Gemittern; 
Allhin bewegt ſichs wunderbar, 

Wie von Altare zu Altar 

Die Strahlen durd) den Tempel zittern. 


Bom Mımd der Cherubim von Stein, 
Die oben längs der Pfeilerreihn 

Und an den Marmorbeden hängen, 
Tönt jchmetternder Drommetenſtoß, 
Als wollt im tiefſten Erdenſchooß 
Der Klang die Grabesriegel ſprengen. 


— 160 — 


Der Beter Jeder finft aufs Knie; 

Und durch der Andern Reihen, fieh! 
Umflungen von den Danfkchorälen, 
Nahn ſich Geftalten jchattengleich; 

Die find nicht aus des Yebens Neid), 
Sie fommen aus dem Yand der Seelen. 


Voran, die Yoden filberweiß, 

In Freundenthränen tritt ein Greis; 

Um ihn erichallt von taufend Zungen — 
Denn Alle haben ihn erfannt — 

Sein Lied vom deutſchen Vaterland; 
Nun ward erfüllt was er gejungen. 


Und rings Fnien fie, die opferfroh 
Auf Yeipzigs Feld, bei Waterloo 

Um Tod fürs Vaterland geworben; 
Yang wurde drüben in der Welt 

Der Seligen ihr Glück vergällt 

Bom Gram, daß fie umfonft geftorben. 


Doch nun, verflärt im Morgenglanz, 
Geſchmückt mit ihrem Siegesfranz 
Und mit der Wunden blut'gen Malen, 
Begrüßen fie den hehren Tag 

Nach langen Nächten dunkler Schmad) 
Und fonnen fich in feinen Strahlen. 


Und hochher vom Gewölb herab, 

Wie von den Engeln, die das Grab 
Auf Golgatha erichloffen fanden, 

Zu Glockenſchall und Orgelflang 

Ertönt ein himmlifcher Gefang: 
Deutjchland ift aus der Gruft erftanden! 


— 161 — 


Wiederfehen von Deutfdiland. 


Hier, wo um mic im Morgenglanz der Alpen Gletſcher 
ſtrahlen, 

Und hinter mir Italien mit ſeinen Goldfruchtthalen, 

Mit ſeiner Myrtenhügel Grün verſchwimmt in duft'ge 
Bläue, 

Schaut freudethränenvoll mein Blick, o Deutſchland, 
dich aufs Neue! 

Oft, aus der Ferne heimgekehrt ans Ufer deines Rheines, 

Wohl dacht' ich, ſchön auf Erden ſei wie du der Länder 
keines, 

Und Raſt nicht ließ mirs, bis ich dich nochmals durch— 
pilgert hatte, 

Von wo das Hochgebirg Tirols ſich ſenkt zur grünen 
Matte, 

Und in der frifchen Thäler Schooß die blauen Seen 
träumen, 

Bis wo an Schleswigs Dünenftrand die Nordjeewogen 
Ihäumen; 

Doch ftolzer heut, als je zuvor, dich darf ich mit dent 
füßen, 

Dem heil’gen Namen Baterland, du theure Heimath, 
grüßen! 

Wenn jonft in alten Burgen nur, wo ranfendes Gewinde 

Der Epheu ſchlingt und fcheu bei Naht am Brunnen 
trinft die Hinde, 

Sch deines Ruhmes Kunden la3 auf grauen Marmor- 
platten, 

Jetzt glorreich ſtehſt du vor mir da, erftanden von den 
Schatten. 


D, nun der mächt'ge Kaiferaar, hinflatternd ob den 
Heeren, 
Zu feinem alten Horfte fehrt, an Siegen reich und Ehren, 
Shad, Ge. Werke. IV. 11 


Wie rollt hochwallend, Adern gleich), wenn ſie zu 
ichnellern Schlägen 
Die Freude treibt, dein deutjcher Rhein voll Jubel ihm 


entgegen! 

Bon den Vogejen bis zum Harz, zum Kreideftrand von 
Rügen 

liegt flammenhell die Botjchaft hin von jeinen Sieges— 

flügen; 

Aus langem, ſchwerem Traum erwacht hebt Straßburgs 
Kathedrale 

Begeiſtert ihr befreites Haupt und tönt im Morgen— 
ſtrahle, 

Und mit der Glocken Feſtgeläut von Strome hin zu 
Strome 


Zujauchzen freudeſtammelnd ihr die hehren Schweſterdome. 

Hochbrauſend mit der Wogen Schlag, die um Arkona 
branden, 

Begrüßt der Oſtſee blaue Fluth das Reich, das neu 
erſtanden; 

Die Alpen jauchzen Antwort ihr mit donnernden Lawinen, 

Und deine Kaiſerpfalzen all und deine Burgruinen 

Und deine Städte altersgrau, des Ruhms erlauchte Wiegen, 

Erglänzen in dem jungen Licht, dem Schutte halb ent— 
ſtiegen. 


Geſühnt iſt was von wälſchem Hohn ſeit Karls von 
Anjou Tagen 

Bis zu dem Corſen-Unhold du, Unſelige, ertragen. 

Zu deinen Todten drunten ſelbſt im kalten feuchten 
Grauen 

Der Gräber rinnt der Troſt hinab wie ſanftes Frühlings— 
thauen, 

Und fie, der Franken-Frevelmuth das ſchöne Herz ge— 
brochen, 

Die heilige Luiſe fühlt neu ihre Pulſe pochen; 





— 18 — 


Bon Thränen um ihr Vaterland noch ſchwer die Augenliver, 

Entjteigt fie ihrem Sarfophag und hebt die Blicke wieder, 

Und jchlürft die junge veine Yuft mit frohem Athemzuge. 

Indeß fie iiber Deutichlands Aun hinwallt in Iuft’gem 
Fluge, 

Schwebt von Apuliens Blüthenſtrand, verklärt im Mor— 
genrothe, 

Der junge Conradin heran, der vielbeweinte Todte, 

Und Manfred führt er an der Hand, des Staufen— 
thrones Erben, 

Den wälſche Tücke ſo wie ihn geriſſen ins Verderben. 

Da, wie die theure Heimath ſie mit ihren burgbekrönten 

Felshöhen ſchauen, lächeln ſanft hernieder die Verſöhnten. 


So mögt ihr unſerm Volk fortan Schutzgeiſter ſein, 


Verklärte, 

Daß es jo groß im Frieden ſei wie mächtig mit dent. 
Schwerte! 

Gleichwie nad) der Gewitternacht durch das zerrifine 
Dunkel 


Der Morgenſtern ſein Licht ergießt mit ſilbernem Gefunkel, 
Auf alle Völker ſtrahle ſo von dem geweihten Schilde, 
Mit dem es Recht und Freiheit ſchützt, ein Glanz von 


Himmelsmilde! 

Den Blick der Zukunft zugewandt, in Thatenkraft der 
Ahnen 

Der Menſchheit ſchreit' es kühn voran auf ihren hohen 
Bahnen, 


Bis unter Palmenwipfeln fie im morgenhellen Yichte 

Aufathmet aus dem Kampfgewühl, dem Angittraum der 
Geſchichte, 

Und nach Jahrtauſenden voll Blut, nach langen düſtern 
Nächten 

Der Liebe ſchöne Genien ihr den Kranz des Sieges flechten. 


— 164 — 


Dtafien. 


Zu ihr, zu der die Öletjcherbäche 
Südwärts hinunterjauchzen, 

Nocd einmal wend ich den Blid. 

Wie unter der nordiſchen Eichen Dom 
Ihre Rieſenſchweſter Germanien, 

So unter Lorbeerwipfeln 

Hält Italien die Siegesfeier. 

Ein magiſcher Ring 

Hat eure Geſchicke, ihr Länder, 

An einander gebunden — 

Zu euerm Unheil, o wie lange! 

Mit ihres Himmels ſchmachtendem Blau, 
Ihrer Goldfruchthaine Duft und Glanz, 
Lockte die Zauberin des Südens 
Deutſchlands Fürften und Völker 

In ihre Armidagärten, 

Daß fie bei Brunnenriejeln 

Unter Myrtengebüſch und leuchtenden Marmorbilvern 
Nicht ihres Reiches und Volks mehr gedachten. 
Dann aus Wollujtträumen der Nacht 
Fuhren fie auf; 

An den eifernen Panzer 

Pochte ihr Herz in Begier, 

Ueber das Land der Götter zur herrichen; 
Es zudte das Schwert aus der Scheide, 
Und hochauf jchlug die Flamme des Kampfes; 
Städte loderten und erjtanden neu 

Zum Rachefrieg aus der Aſche; 

Bon Gift gewürgt 

Sanf der größte der Kaiſer 

Bleich auf den fieberathmenden Boden; 
Selbjt die Bande des Bluts 


— 165 — 


Löſte der Haß, 

Ganze Gefchlechter von Ftaliens Söhnen 
Niederwälzte die mordende Schlacht, 
Und als verhallt der Schwertichlag, 

Der Siegsruf und die Todtenflage, 
Erjchöpft, ohnmächtig lagt ihr beide, 
Ein Hohn und Spott dem Fremden. 


Sei denn, wie einjt zum Berderben, 

Sp nun euch zum Heil, eur Schidfal 
Unauflöslich verbunden, 

Und, wie in einer Sonne Mittagsglanz 
Eur Auferftehungsfeft ihr feiert, 

Sp ſchreitet Arm in Arm 

Der größern Zukunft entgegen. 


Beim Hiegeseinzug in Berlin. 


Steig’ empor, 

Herrlichjte der Sonnen, 

Die über Deutjchland geleuchtet! 

D den Tag, den dur bringft, 

Ganz und voll zu geniegen, 

Sit es genug nicht des Glücks für ein Yeben ? 
Den fterbenden Greis 

Laß das Auge nicht fchliegen, 

Bevor er ihn erblict, 

Und in der Wiege dem Säugling 
Deffne des Geiftes Sehkraft, 

Daß fein Gedanke ihn fafle, 

Und er einft noch den Enfeln finde: 
Ich habe den großen Tag erlebt. 


"7 Bi 


A SE 


Horh! Trommelwirbel 

Und Fall von hunderttaufend Tritten! 
Sie find es, fie nahen, 

Die durch den Donner der Schlachten 
Ueber ftürzender Brüder Yeichen dahin 
Deutſchlands Banner getragen! 

Noch ſcheinen ihre Yanzen 

Bom Wirbelfturm des Kampfes zu zittern. 
Doch Hoch! erjchallt es, Hoch! 

Durch des Volkes wogende Reihen, 
Und mit den Grün des Friedens befränzt 
allen durchs Thor die Siegesfahnen. 
Gen Himmel fladert 

Im Sonnenlichte der Glanz 

Der wogenden Helme und Waffen, 
Wie durch die geſchmückten Straßen 
Der Zug der Krieger ſich wälzt, 

Und Fanfarengejhmetter num 

Und Jubelruf von Millionen; 

Sie fommen, die glorreihen Führer, 
Die Yieblinge des Ruhmes, 

Die noch nach Jahrtauſenden 

In ungeborner Völker 

Gejängen leben werden! 

Aus ihrer Mitte hervor, 

Wie Orion unter den anderen Sternen, 
Leuchtet der Herrliche, 

Der Netter Deutſchlands! 

Laßt Platz für fein Roß, 

Ihr Weiber, die mit euern Kleinen 
Heran ihr euch drängt, 

Um, ſeine Kniee umklammernd, ihm zu danken, 
Daß er euch Haus und Herd 

Vor Schande geſchützt! 

Wohl mehr, als des Krieges Gewühl, 





— 167 — 


Liebt er, Kinder um fich jpielen zu jehen; 

Aber noch einmal heut, zum legten Male, 

Eh zur Pflugſchar das Schwert fich wandelt, 
In feines Heeres Mitte 

Mit den frachenden Feuerſchlünden 

Muß er Zwieſprach' halten, 

Hoch! das find die ehernen Stimmen, 

Er fennt fie, 

Die ihn in zwanzig Siegesschlachten umdonnert, 
Bor denen hundert Beften 

Und ein Reich in Trümmer gejunfen. 

Bon allen Thürmen die Glocken fallen ein, 

D! und weiter, dahin durch den Blumenregen, 
Der von Fenftern und Dächern niederjtäubt, 
Zieht ev — adtlos vorüber an ung, 

Denen an der Wimper die Freudenthräne zittert, 
Mährend die Lippe verſtummt 

Und nur des Herzens Klopfen 

Dank ihm ſtammelt, 

Daß er uns ein Vaterland geichentt. 


AUller-Heelen-Vag 1871. 


Zum Friedhof, wo bei gelber Blätter Fall 
Matt im Novemberlicht die Kreuze glänzen, 
Nun ftrömt das Volk, bei Tranerglodenichall 
Geliebte Gräber zu befränzen, 


War je der Jahre, die geweſen find, 

Sp mördrifch eins wie dies? Mehr Hoffen 
Hat es, als Blätter der Novemberwind, 
Mit gift’gem Todespfeil getroffen. 


— 168. — 


Wie Viele jchleppten matt und todeswund 

Bon Frankreichs blutgedüngten Stätten 

Die Glieder heim, nur um auf deutichem Grund 
Zur legten Ruhe fi zu betten! 


Und neidenswerth noch ihr, die in den Schooß 
Der Heimath ihr gefenft die Euern! 

Wie mandhe Mutter fehnt fich ſchlummerlos 
Nur nach der Aſche ihrer Theuern! 


Der Abend fommt; im Kreiſe um fie her 
Berfammelt hat fie ihre Yieben, 

Doch ftumm blickt fie, das Auge thränenjchwer, 
Auf einen Pla, der leer geblieben. 


Umfonft hofft fie, je von des Sohnes Hand 
Noch werde regen ſich die Klinke, 
Vergebens, daß, gefehrt ins Vaterland, 

Er an das Mutterherz ihr fine. 


Auf ferner Haide ftreiten nun vielleicht 

Um feine Leiche ſich die Raben, 

Der Wind, der falt durch die Vogeſen ſtreicht, 
Hat fie vielleiht in Schnee begraben. 


Doch nein, nicht jo! Verſtumme, Grabgeläut, 
Und hemmt, ihr Mütter, Brüder, Schweitern, 
Den Klagelaut! Vergaß das Fleine Heut 
Sp fchnell ſchon das gewalt’ge Geſtern? 


Denft wie, al3 wär ein Himmel aufgethan, 
Lächelnd zum Bollglanz unfver Siege, 
Empor vom Sterbebett die Greife fahn, 
Die Säuglinge aus ihrer Wiege! 


u 


— 169 — 


Da warfen ſtolz, dem Heldentod geweiht, 
Gleich jener heil’gen Schaar von Theben, 
Die Euern hin ihr niedres Staubeskleid, 
Um in Unfterblichfeit zu leben; 


Glückſelig fie, die, während fie der Sieg 
Umranjchte aus des Banners Falten, 

Der deutihen Sonne, welche glorreich jtieg, 
Ins Antlitz ſchaund, nach jenfeitS wallten. 


Betrügt fie denn durd Klagen, wie zum Hohn, 
Nicht um den Ruhm, ihr theures Erbe, 

Kein, bleibt euch nach den andern nod ein Sohn, 
So lehrt ihn, daß wie fie er jterbe! 


Hinweg mit Seufzern und dem weißen Kranz, 
Mit Threnodien und Trauerjchletern! 
In jedem Auge Freudenthränenglanz 
Soll Deutichland feine Todten feiern! 


An die Franzofen. 


Ihr zürnt, daß wir, mit Naubfrieg überzogen, 
Euch blutend wieder heimgejandt, 

Und deutſche Gaun, um die ihr uns betrogen, 
Entriffen ‚eurer Frevelhand ? 


Fir viele Miſſethat war das die Sühne, 
Und mit mehr Recht habt ihr gebüßt 
Als jener First, den auf der Henferbühne 
Für fremde Schuld ihr fterben ließt. 


— 190 — 


Nicht an die Ströme Bluts, aus deutichen Adern 
Geſchlagen vom Franzojenjchwert, 

Mehr vdächten wir fortan, noch altes Hadern, 
Wenn ihr nicht die Verftocdten wär't. 


Bereint nun follten wir den Feind befriegen, 
Den argen Sohn der Finfterniß, 

Dem eurer Beten Einer von den Zügen 
Die Lügenmaske lachend riß. 


Dod ihr, beraufcht vom Trank des Taumelmeines, 
Der euch jo oft den Sinn bethört, 

Screit Rache, weil wir euch beim Naub des Nheines, 
Dem lang gebrüteten, geftört. 


Wohl, wählt, verbündet mit dem PVatifane, 
Der Menfchheit taufendjähr'gem Fluch, 
Die Fledermaus zum Sinnbild eurer Fahne 

Anstatt des Adlers, den fie trug! 


Laßt Priefter fie mit Segensſprüchen weihen, 
Und — edles Bündniß! — Afrika 

Die Tiger feiner Wüften nach uns ſpeien — 
Wir ftehen fampfgerüftet da; 


Und durch das Nafjeln der Kanonenräder 
Euch rufen wir ins taube Ohr: 

Gezählt die Theuern hat der Unfern Jeder, 
Die durch eur Mordſchwert er verlor. 


Paläfte find in Deutichland nicht noch Hütten, 
Wo nicht die Trauer, hauptverhitllt, 

Umfonft nach einev Stimme laufcht, nah ZTritten, 
Die jonft fie frohen Klangs erfüllt. 


* 





er 


Und, joll nochmals des Krieges Flamme lodern, 
Ein furchtbar Würgen wird es jein; 

A die Erſchlagnen, die in Frankreich modern, 
Sie fümpfen mit in unfern Reihn! 


Sa, einen Todten hat ein Jeder drunten, 
Deß Geift zum Nachewert ihn ftählt 

Und heil das Feuer fprühn läßt von den Yunten 
Und jorgt, daß nicht die Kugel fehlt. 


Sp wißt, eh ihr beginnt das Unerhörte 
Und neu mit Blut die Erde neßt: 
Es ift der eigne Untergang, Bethörte, 
Den auf den einen Wurf ihr ſetzt! 


Denn enden wird der Kampf erſt, ob Millionen 
Bon Leben auch das Schlachtichwert frißt, 
Wenn ausgetilgt im Buche der Nationen 
Der Name der Franzofen ift. 


Zum Neuen Dahr. 
154. 


In Herrlichkeit, wie fie die Welt nicht jah 
Seit grauer Zeit des Alterthumes, 

Mein deutjches Vaterland, ftehjt du nun da 
Auf Sonuenhöhen deines Ruhmes. 


Berderben jchleudert auf den Feind und Tod 
Das Falten deiner mächt’gen Stivne, 

Und doch fpielt milder Glanz um fie, wie Roth 
Des Morgens um der Alpen Firne. 


= IB 


Wohl! um die Schläfe, die der Siegesaar 
Umfreist mit den gewalt’gen Schwingen, 

Magft an des Friedens duftendem Altar 
Du dir der Kränze reichjten jchlingen! 


Ihr, die als ſchönſter Schag der Menſchheit gilt 
Und fie der Geijterwelt verkettet, 

Der heiligen Kunſt in Klang und Wort und Bild 
Ser Hütrin, die fie ſchützt und rettet! 


Schritt nicht die Dichtung durch den Schatten ſchon, 
Den deine Urwald-Eichen warfen, 

Und rauſchten ihre Wipfel nicht beim Ton, 
Dem ehernen, der Bardenharfen ? 


Gedenk', wie dich von früh her, nie verjiegt, 
Der Melodien Strom durdhfluthet, 

Auf dem Beethoven fich, der Schwan, gemwiegt, 
In dem fih Mozarts Herz verblutet ! 


Strahlt nicht al3 heller Miorgenftern der Kunft, 
Der Andern lichter Reigenführer, 

Zu uns aus finftrer Zeiten Nebeldunft 
Herüber der erhabne Dürer? 


Und länger könnte dich, die das bejigt, 
Bethören noch der Tand der Seine? 

Bom eitlen Bildwerf, das der Franke ſchnitzt, 
Auflefen möchtejt du die Späne? 


Nein! aufwärts ſchau, zu jener Riejenwelt, 
Die fich, ein Werk der Feen und Önomen, 

Kur durch ein ew’ges Wunder aufrecht hält, 
Zu Kölns und Straßburgs hohen Domen! 


EEE we, 


— 173 — 


So wie hochauf ihr Wald von Pfeilern jteigt 
Und mit den Aeſten, Nanfen, Neben 

Zur mächt'gen Säulenlaube ſich verzweigt, 
Soll deine Kunſt gen Himmel ftreben. 


Ein hoher Tempel jollft du jelber fein, 
Und, wenn ringsum der Schönheit Blüthen 
Im Sturm des Herbites finfen, noch allein 
Des Geiftes Heiligthiimer hüten. 


Und flieht an andre Küften einft der Tag, 
Der wechſelnde der Weltgeichichte: 

Bergoldend lang auf deinen Zinnen mag 
Er ruhen no mit legtem Lichte! 


So jpielt um die Ruinen Griechenlands 
Noc heut ein Abendroth, als füßte 

Der untergehnden Sonne Scheideglanz 
Des Mäoniden Marmorbüite. 





J 





Die Plejaden 


Gin Gedicht in gehn Gefängen. 


Dritte Nuflage. 


Erfter Geſang. 


Meiner Kindheit holde Spielgefährtin, 
Meiner Jugend Freundin, einmal veich mir, 
Hohe Himmelstochter, noch die Leier! 

Mag die falte Mitwelt mein nicht achten, 
Einft, ich weiß, doc wird mit höhern Schlägen 
Manches Herz bei meinen Yiedern Elopfen, 
Wenn das meine längft ſchon ausgejchlagen. 
Bon der Erde ſchönſtem Frühling laß mic 
Singen, al3 vor Hellas’ Heldenjugend 

Aliens Hochmuth hinfanf und im Yenzhaud) 
Ihres Siegs der Blüthenflor des Schönen 
Sich entfaltet, der in ew'ger Friſche 

Bis zu uns durch zwei Jahrtauſende duftet. 


Bon des Hügels Rand, der an Joniens 
Küften über Ephejus emporragt, 
Sahn zwei Griechen in die Tiefe nieder, 
Wo die Stadt mit ihren Prachtpaläften, 
Mit des Hafens wimpelüberwehten 
Maftenwald ſich dehnte und Dianens 
Tempel in des Morgens Strahlen glänzte. 


Schack, Geſ. Werke. IV. 12 


— 1 


on 


Auf der Steinbanf unter diefer Pinte 
Yaß den jungen Seemann ung erwarten, 
Der ſich geftern freundlich mir gejellte, 
Als, die Schiffe aller Länder mufternd, 
Längs des Meers ich hinſchritt! Zu erzählen 
Weiß er viel von fremder Menfchen Sitten, 
Und, da er des gleichen Wegs zieht, werden 
Uns durch ihn die Stunden jchneller ſchwinden. 


Sp der Eine. Aber jein Gefährte 
Unterbrach ihn: Vorſicht, beſter Kallias! 
Zwanzigjährig biſt du erſt, und Leichtſinn 
Giebt ein alter Spruch in unſerm Sparta 
Euch Athenern Schuld. Ich, den ſie früh ſchon 
Den bedächt'gen Dymas nannten, darf dich 
Mahnen: traue nicht zu früh dem Fremdling! 
Unſer Werk kann anders nicht gedeihen, 

Als wenn tiefgeheim vor Ungeweihten 
Wir es halten. Deiner Worte jedes 
Wäge drum! Wer bürgt, ob jener Jüngling 
Nicht an uns ſich drängt, uns auszuſpähen? 


Kaum noch ſprach ers, und herauf die Straße, 
In Joniens ſchmucker Tracht, geſchritten 
Kam Alkander. Zu den Beiden tretend: 
Seid gegrüßt, ihr Fremdlinge! nahm das Wort er; 
Eine Gunſt des Schickſals muß ichs heißen, 
Daß es zu Begleitern für die Stadien, 
Die mein Epheſus von Sardes trennen, 
Euch mir gönnt. — Den Gruß erwidern Jene, 
Und, dem Meer den Rücken wendend, oſtwärts 
Wandern nun die Drei mit rüſt'gen Schritten 
An des Kayſter ſchilfbekränztem Ufer, 
Ueber dem erlöſchender Hirtenfeuer 
Rauch gekräuſelt durch der Pinien Kronen 


— 179 — 


Aufiteigt. Dämmernd, noch beſäumt von Streifen 
Halbgeſchmolznen Schnees, erhebt der Tmolus 
Fern vor ihnen feine blauen Gipfel, 

Ueber frühlingsgrüne Auen ſchweben 

Kraniche langen Zugs im jonnigen Aether 
Wieder zu den heimathlichen Nejtern; 

Und in Reihn, den Wanderern vorüber, 

Zieht bei muntrer Yieder Schall das Yandvolf. 


Sit wie mein Jonien, ſprach Alkander, 
Noch ein Yand auf Erden? Nach dem Herbite, 
Eh ein Winterfturm den Wald entblättert, 
Schenken ung die Götter hier den Frühling; 
Durch das ganze Jahr in grünen Wipfeln 
Drängt ſich Frucht an Frucht und Blüth' an Blüthe, 
Und ſobald geveift die erſte Ernte, 
Keimt aus jcholligem Boden jchon die zweite: 
Doch ob allen Ueberfluß der Himmel 
Auf jein Pieblingsland herniederjchüttet, 
Unjer Feind, der übermüth'ge Perſer, 
Einzig labt ſich dran. Die reine Yuft jelbit, 
Die um diefe Küften haucht, das Yabjal 
Klarer Quellen in des Latmos Thälern 
Wurde Gift für uns, jeit mit Barbaren 
Wir fie teilen müſſen. 


Schweigend hatten 
Ihm die Beiden zugehört, und plößlich 
Hielt er felber inne; denn des Weges 
Her von Sardes fam ein Schwarm von Kriegern, 
Meder, erzbehelmt, mit Schuppenpanzerı, 
Und Aſſyrer, wucht'ge Eifenfeulen 
In der Rechten. — Das find unſre Herren, 
Fuhr Alfander fort, ‚als fie vorüber; 
Für Satrapen, die Despotenwillkür 


— 180 — 


Ueben und, in Sklavenangft doc) zitternd, 
Sich vor Sufas Herricherthrone beugen, 
Müffen fie dies Volk, das altberühmte, 

In das Joch des ftolzen RXerxes ſchmieden. 
All die Städte, ſonſt der Freiheit Sitze, 
Kolophon, Milet, Erythrae, Smyrna, 

Keine weiß ich, die ſie zu der Knechtſchaft 
Zwingburg ſchnöde nicht verwandelt hätten! 
Als, das Unerträgliche abzuſchütteln — 
Zehn der Jahre ſind es nun — Phocäa 
Mit Milet und Teos ſich verbündet' 

Und der Aufruhr ſeine Banner ſiegreich 
Hin von Stadt zu Städten ſchwang, erblühte 
Schnell im alten Glanz Jonien wieder. 

Im Platanenſchatten am Mäander 
Sammelten ſich aufs Neu die Bundesbrüder, 
Um im ernſten Rath die Landeswohlfahrt 
Zu erwägen und in den Gymnaſien 

Sich zu ſtählen, daß der hohen Ahnen 
Werth ſie würden; doch daher von Oſten 
Strömten, zahllos wie Lokuſtenſchwärme, 
Daß kein Grashalm blieb wo ſie gezogen, 
Der Barbaren Heere. Ihnen ſtemmte 
Todesmuthig ſich Joniens Jugend 

In des Tmolus wald'ger Schlucht entgegen, 
Doch umfonft; jo wie im Herbjt die Halme 
Bor der Fauft des Schnitters fallen, dedten 
Ihrer Leichen lange Reihn der Heimath 
Theuern Grund; vergebens jeine Flotten 
Sandt’ Athen uns beizuftehn; die Mauern 
Bon Milet, die hochgethürmten, brachen 
Bon der Felfen Wucht zermalmt, die Medien 
Wurfgeſchütze fchleuderten; unfre Tempel, 
Unfrer Götter Marmorbilder ſanken 

Unter ihren Keulenjchlägen; Staub nur 





— 181 — 


Wirbelte, wo die hehre Stadt gejtanden. 
Ihre Wohner all, und mit den Eltern 

Sch, der Knabe, fernhin an den Tigris 
Wurden wir geführt in Sflavenfetten. 

In den menfchenleeren Niederungen, 

Wo der gift’ge Hundsftern auf den Mooren 
Peſtqualm brütet, blaß wie Schatten wanften 
Alle bald, von unbarmherz’ger Vögte 
Geißelhieben blutend; fiechen ſah ic) 

Und in Sammer jterben exit die Mutter, 
Dann den greifen Vater — — 


Thränen tropften 
Aus Alkanders Augen, da er aljo 
Sprad. Er ſchwieg. Ihm theilnahmsvoll ins Antlıg 
Blidend, fagte Kallias: Du Armer! 
Wenn das Mitgefühl im Leiden Tröftung 
Bieten kann, jo glaub’! mit dir empfind’ ic) 
In des Herzens Tiefe deinen Kummer. — 
Drauf, fi) wieder faſſend, fagte Jener: 
Mich, der bei den Andern, der Verzweiflung 
Beute, ich verwaist zurüd geblieben, 
Hielt die Kraft der Jugend in dem Frohndienft 
Aufreht, jelbft als in Carmaniens Dede, 
In die Fieberdünfte von verjumpften 
Steppen man uns weiterfchleppte. Endlich 
Schien erfchöpft der Ingrimm unſrer Dränger, 
Und den Wen’gen, die noch nicht zum Hades 
Eingegangen, lösten fie die Bande, 
Daß fie frei zur Heimath wiederfehrten. 
D wie jauchzt’ ich, als aus unmwirthbarer 
Felſenwildniß ich in Lydiens Thäler 
Niederftieg, und goldfandführende Bäche, 
Unter Yorbeerrojen vaufchend, mit mir 
Meerwärt3 wanderten, bi3 Joniens Himmel 


ET 


Dir zu Häupten blaute, und am Ufer 
Dich die Wogen mit den alten Stimmen 
Grüßten, die in ſüßen Schlaf als Kind mich 
Oft gewiegt! — Allein wie anders Alles, 
Als ichs einſt geſchaut! Ein Trümmerhaufe 
Mein Milet! Phocäas, Teos' Straßen 

Wie die Wüſte leer, auf ihrer Häuſer 
Herd im Windeshauch die Diſtel ſchwankend! 
Fern, an Galliens, an Iberiens Küſten 
Waren ihre Bürger a 
Daß ich nicht das Elend fchaute, triebs mich 
In die Ferne fort; nah Memphis ſchifft' ich, 
Zum Goflopeneiland, ja noch jenjeits, 
Wo der alte Himmelsträger Atlas 
Durch des Abendmeeres Nebel dämmert. 
Dann zurüd zu meinen Brädern 3098 mid); 
Aber nur als Leiche deſſen, was es 
Vormals war, fand ich dies Yand, der Götter 
Liebling einft. Nur für den Fremdling feltern 
Unſre Winzer ihre golonen Trauben, 
Nur für ihn fpannt feinen Stier der Yandmann 
Bor den Pflug; Gymnaſien, Hippodrome, 
Wo die Jugend ſonſt zu ehrner Mannheit 
Sich die Sehnen ftählte, ftehn verlafjen, 
Halb zerfallen; Strafen harren deſſen, 
Der fie zu betreten wagt; denn feige 
— einzig will Despotenwillkür 

Sich erziehen, Männer nicht! Geduldet 
Wohl noch wird der Dienſt in unſern Tempeln 
Und der Dionyſien Feier; aber 
Sie auch rauben will man uns, und wenn nicht 
Wider unſre Unterjocher muthvoll 
Bald wir uns erheben, glaubt, als große 
Todtenhalle wird des Mäoniden 
Heimath, als verſchollnen Ruhmes Denkmal 


— 15 — 


Unſrer Ahnen Größe, unjre eigne 
Schande fommenden Zeiten aufbewahren. 


Tollfühn fprihft du — unterbrad ihn Dymas. 
Wenn die Jahre dir dies Fladerfeuer 
Erjt gedämpft, fo wirft du, Freund, erkennen, 
Daß wir Sterbliden uns umſonſt dem Schidjal 
MWiderjegen; ewig wechjelnd freijen 
Seine Speichen, heute dies der Völker, 
Morgen das empor zur Herrichaft hebend; 
Und die feines Rades Yauf verwegen 
Sich entgegen werfen, fie zermalmend 
Nollt es über fie dahin. — Bedenk das! 
Feſt dem Sprecher in das Antlitz blickend 
Nief Altander da: Laß niedre Seelen 
Solde falihe Weisheit preifen! Thorheit 
Dünkt fie mich; noch find der Männer viele 
Und der Jünglinge hier, die für die Freiheit 
Lieber fterben, als in goldnen Ketten 
Bor des RXerxes Herrſcherſtuhl fich beugen. 


Yang war jchweigend an der Beiden Seite 
Kallias gefchritten; da, nicht ferner 
Sic, bezähmend: Ja, laß mich als Bruder 
Did begrüßen! — rief er aus — und glaub’ mir, 
Taufend und noc aber taufend Herzen 
Klopfen in Athen, wie meins in Einklang 
Mit dem deinen. 


Zeichen, daß er ſchweige, 
Gab ihm Dymas und begann aufs Neue 
Zu Alkander: Einzig von Gedichten 
Weiß er; wenn von Ibykus er DVerje 
Herfagt, von Alcäus — alle fennt er — 
Magſt du feiner achten; doch im Weltlauf 


— 14 — 


Iſt ev unerfahrner als ein Knabe. 

Mir, den Sparta mit des Staats Gejchäften 
Dft betraut hat, magft du glauben, daß ich) 
Guten Rath ertheile. Alfo nochmals: 
Unheil werdet ihr aufs Haupt herab eud) 
Ziehen, wenn ihr wider Xerres’ Herrjchaft 
Euch empört; jogar ein Heer Titanen, 
Nichts vermöcht' es gegen feine Allmacht! 


Drauf Akander: Nein! du bift ein Grieche, 
Bift ein Sparter; und ic) jollte glauben, 
Daß du, wie du redeft, denkſt? Vielleicht nur 
Meinft du, in der Perfer Solde wol’ ich) 
Erft euch ausſpähn und euch dann verrathen. 
Wohl! magft wider mi du Argwohn hegen; 
Keinen kenn’ ich wider Hellas’ Söhne! 

Wer ich bin, und daß ihr mir vertraun dürft, 
Kind’ euch diefes Zeichen! — Und ein Plättchen, 
Drauf geheimnißpolle Schrift gegraben, 

Zog er vor aus des Gewandes Falten. 

Kaum hat Dymas es gewahrt, jo reicht er 

Ihm die Rechte: Unfer Bundesbruder, 

Seh’ ich, bift du; allen Göttern dank’ ichs. 

Aber Kallias wirft ungeftüm jich 

An die Bruft ihm, in geftammelte Worte 

Seines Herzens Freudenfturm entladend. 


Noch ftehn fo die Drei; da auf der Straße 
Fernher tönt Geroll von Rädern. Dymas 
Mahnt die Beiden, ſchweigend auf dem Wege 
Ihm zu folgen. Und heran von Djten 
Nahen Reiter, Hohe Yanzen tragend, 

Deren Spitzen goldne Aepfel ſchmücken; 
Dann bejpannt mit zehn nyſäiſchen Roſſen 
Edelfteinbefegt, ein prächt’ger Wagen, 


— 15 — 


Und im Wagen hinter goldnen Gittern 
Sieht man weiße Schleier, wie nad) Perfiens 
Sitte fie der Weiber Haupt verhüllen. 

Bon des Kerres Schwäher, von Dtanes, 
Sinds die Frauen, die der Sommerfühle 
Sih am Meer in Lycien freuen wollen, 
Raunt Alfander. AS der Zug vorüber — 
Diener, weiße Stäbe in den Händen, 
Kappadocier, Hyrlanier, Inder 

Schließen ihn — fortfährt er: Freunde aljo 
Und zu gleichem Biel verbunden find mir. 
Alles ift gerüftet. Wenn in Sardes 

Das Signal wir geben, wird der Freiheit 
Fahne hin dur ganz Jonien flattern; 

Und die Inſeln auch — in Samos, Rhodos 
War ic) jelber jüngjt, für uns zu werben — 
Senden und auf ihren Flotten Beiftand! 


Kallias drauf, und wie die Morgenjonne, 
Wenn fie am Ilyß, aus Frühlingswolfen 
Tretend, auf Pentelifon, Hymettus 
Goldne Yichter freut, fo leuchteten freudig 
Seine Augen: Weiter, als wir hoffien, 

Schon gedieh das Werk; nun rüftig vorwärts! 
Iſt Jonien, aller Yänder jchönfter 

Edelftein, den Händen der Barbaren 

Erſt entriffen: dann wird in Erfüllung 

Gehn, was unſre Weifen, unfve Dichter 

Yang verkündet: die Hellenen alle 

Wird ein mächt’ges Band umſchlingen — alle, 
Die von Aetna her, des Pontus eij’gen 

Ufern und Tarteffus’ jonn’gen Strande 

Zu Olympias hohem Fefte wallen. 

AS ein großes ftarkes Volk die Scepter 
Werden fie der Tyrannen Hand entringen 


— 16 — 


Und zum Heiligthum die Erde wandeln, 
Drin die Kunſt und alles Edle blühe! 


Ihm erwidert ernfte Worte Dymas: 
Daß den Tempeldienft du als Ephebe 
Kaum vollendet, fieht man. Nicht zu träumen 
Gilt es jetzt; zu rüſt'ger Arbeit fordert 
Uns die Zeit. Selbſt wenn die Sklavenketten 
Dies Jonien von ſich geſchüttelt 
Und mit uns ſich wider der Barbaren 
Macht verbündet, alle Sehnen ſpannen 
Müſſen wir, damit im Rieſenkampf wir 
Nicht erliegen. Seit der Perſerkönig, 
Um Athen zu züchtigen für den Beiſtand, 
Den Milet es bot, jein Heergetümmtel 
In das Abendland gefandt, und ſchmachvoll 
Afiens erzgepanzerte Myriaden 
Auf dem Felde Marathon dem Häuflern 
Griechen unterlagen, brütet Rache 
Des Darius Sohn; um Sufa ballt ſich, 
Um Efbatana — der Perjerherrichaft 
Alte Sitze — ſchon ein Kriegsfturm, furchtbar 
Wie noch feiner unferm Hellas drohte. 
Da, mein guter Kallias, fann des Armes 
Stärke, kann der ftraffen Glieder Spannkraft, 
Wie die Zucht Lykurgs in Yacedämon 
Sie die Knaben lehrt, allein ung retten, 
Nicht Athener-Weichlichkeit. 


In Borngluth 
Flammte Kallias auf: Mein Yiebftes jollit du, 
Mein Athen, nicht ſchmähn! Im Kampfe, Prahler, 
Tritt mit mir den Perfern gegenüber, 
Und dir zeigen will ich, wie die Seele, 
Wenn für Hohes glühnd, dem Arme größre 
Kraft verleiht als euer ew’ges Ringen! 





a N 

Ernſt ſprach zum Spartaner drauf Alfander: 
Yaß doch ab, den alten böjen Zwieſpalt, 
Eurer Bäter Erbtheil neu zu ſchüren! 
Und, die Hand ihm reichend, ſagte Kallias: 
Did als meiner Seele Freund erfenn’ ich! 
Dann, ihn abjeits führend, fprach er weiter: 
Mir erzählt von deinem Yebensichidjal 
Halt du, jo vernimm auch du von meinem! 
Heimath iſt Athen mir; ſchon als Knabe 
Hört’ ich von des Vaters Mund der Götter 
Und Heroen Sage. Auf des Kekrops 
Hohe Burg oft jchritt er mit mir, wies mir 
Von des Theſeus Grabe, bis wo dämmernd 
Ajas' Inſel aus den blauen Wellen 
Stieg, die Stätten, welche noch der alten 
Helden Ruhm umſchwebt. Nah Marathon ihm 
Mußt' ich folgen und den heil’gen Todten 
In den Staub ein Opfer giegen. O, da 
Ging ein Schauer hin durch meine Geele; 
Und dereinft fürs Vaterland zu ftreiten 
Dünfte mich der höchſte Preis des Yebens! 
Drauf als Jüngling in des Theron Schule 
Ward ich nad) Korinth gefandt, auf daß er 
Zu der Baufunft Meifter mich erzöge. 
Unter ihm jchuf am Poſeidontempel 
Dort ich, der vom Elippenfteilen Iſthmus 
Auf zwei Meere nieverichaut. Im ſchönen 


Herbitmond dann, wenn bei dem Felt des Weingotts 


Subelnde Schaaren Höhn und Thäler füllten, 
Kehrt' ich nah Athen, und an der Dichter 
Wettjtreit im Theater, an den Hymnen, 

Die Simonides in der entzücdten 

Hörer Kreife jang, hing wonnetrunfen 

Dft mein Ohr. Auch weiter hin durchs theure 
Hellas durft’ ich ftreifen, auf Arfadiens 


a: 01 De — 


Triften ruhn und mir die glühnden Yippen 
Mit der Duelle negen, die in Delphis 
Grotte jprudelt. Weber die Purpurwogen 
Trug der Nahen mich zum heil’gen Delos; 
Und mir war wie der Unfterblichen Einem, 
AS ich hoch, von feinen palmumrauſchten 
Gipfel niederfah. Rings aus den Wellen 
Tauchten all die himmlifchen Cykladen, 

Und auf ihren Feljenhäuptern vagten, 

Aus Oranatenwald und Forbeerdidicht, 

Stolz in alter Dorerpracht der Götter 
Marmortempel. Dft dann, wenn der Opfer 
Weihraud von den Feftaltären aufftieg, 
Wars mir, längs des hallenden Meergeſtades 
Säh’ ih) mit den heil’gen Neun Apollo 
Schreiten, und durch die berauſchten Lüfte 
Töne feiner Yeier Klang ans Ohr mir. 

Aber immer drüdte ein Gedanke 

Mir das Herz: Wenn die Barbaren nohmals 
Ihre Heerfluth wider Hellas wälzen, 

Wird uns ein Miltiades erftehen, 

Uns zu vetten? Und wenn nicht — was ſchmücken 
Wir mit Prachtgebäuden unfre Städte, 

Daß Verwüſtung über ihre Trümmer 

Den Triumphzug halte? Wenn ich aljo 
Dachte, hatt’ ich länger nicht Genüge 

An der Kunſt. In die Paläftra eilt’ ich, 
Mich im ernten Waffenwerk zu üben 

Und die andern Jünglinge zu mahnen, 

Daß zum Kampf fürs Baterland in Muth fie 
Und in Sraft fich ftählten. Oft am Abend, 
Wenn ich finnend auf den Uferflippen 

Saß, erjchollg mir aus der Wogen Brandung 
Wie homerifcher Gefang; und jank dann 
Schlaf auf mic, von Ruhm und fünft’gen Thaten 


© 


EN 


War mein Traum. Da fam zu mir die Kunde, 
Wie Milet, wie Sardes neu fich rüſte, 

Perſiens Joch zu brechen; und ich dachte: 

Wenn Foniens Volk zu feſtem Bunde 

Uns vereint ift, mit ganz Aſien wagen 

Darf den Kampf dann Hellas. — So nicht ferner 
Ließ mir Raft; ich flog an Afiens Küfte, 

Um mit euch zu wirken und zu handeln. — 
Ungeftüm der funfelnden Schlacht entgegen 

Klopft mein Herz. Und nun genug! In Sardes 
Wieder treff’ ich dich; hier aber jcheidet 

Unſer Pfad fih. Jenſeits dort des Waldes, 

An des Hügel Rande liegt das Yandhaus, 

Wo den Zeichen nad, die mir geworden, 

Phanor, der Athener, wohnt. Ein Schreiben 
Meines Vaters hab’ ich ihm zu bringen. 


Drauf Alfander: Wie? zu Phanor gehit du? 
Weißt du auch, daß von Joniens Griechen 
Keiner anders, als Verwünſchung murmelnd, 
Seinen Namen nennt? Berräther heißen 
Alle ihn; denn an des Xerxes Hofe 
Sit er hochgeehrt. Wenn wider Hellas 
Zur Erobrung der Barbarenherricher 
Auszieht, wird er fiher — aljo vaunt man — 
Ihn zu hohem Feldherrnamte füren. 


Schon gewarnt bin ich, erwidert Kallias; 
Und, vertrat’ mir, nicht aus einem Yaute 
Meines Mundes foll er unſre Pläne 
Ahnen. Aber meines Vaters Auftrag 
Zu vollführen, ift ein Pflichtgebot mir. 


Wieder dann zu ihm heran tritt Dymas: 
Freund! das Wort, das ich vorhin gejprochen, 


— 110 


Ich beren’ es. Du, jobald die Sonne 
Dreimal ihren Tageslauf vollendet, 

In der Tmolusihluht vor Sardes’ Weſtthor 
Sei bei uns! PVereint dann mit den Andern 
Wollen, was gejchehn joll, wir berathen. 


Ich gelob’ e3 dir mit diefem Handichlag, 
Sagte Kallias. Und die Rechte Beiden 
Bietend ſchlug den Pfad er ein gen Dften; 
Jene zogen ihres Wegs nad) Sardes. 


weiter Gefang. 


Abwärts führte durch ein grünes Waldthal, 
Wo ein Bach durch Wiejen glitt, die Straße, 
Welche Kallias ſchritt. Die Mittagsfonne 
Brannte heiß vom wolfenlofen Himmel 
Schon hernieder; doch erfrichend weht’ es 
Aus dem fühlen Grunde um des Wandrers 
Stine. Yängs des Uferfchilfs, indefjen 
Weiße Blüthen von der Mandelbäume 
Zweigen auf ihn niederftoben, ging er 
Bis zum Waldesjfaume. Auf der Seele 
Yaftete Eorge jehwer ihm wegen Phanors; 
Und er fann, ob er des Perjerfreundes 
Schwelle ganz nicht miede. In Gedanken 
Tief verjunfen, hatt’ er bald ins Didicht 
Sic) verloren. Immer mächt'ger wölbten 
Taufendjähr’ge Cedern ihre Zweige 


— 11 — 


Ueber ihm, Platanen, Eichen mifchten 

In die dunkle Trauer ihrer Aeſte 

Frisches Yaubgrün, und aus moofigem Boden, 
Wo des Morgens Thau im ewigen Schatten 
Nie verfiegte, hoben Anemonen, 

Krofus, Beilhen ihre duftigen Selche. 

Wie gejchaffen war der Plab für Faune, 

Dei der Tagesgluth die heiße Stivne 

In des Waldgrundg feuchtem Gras zu fühlen, 
Für Dryaden, um, befränzt mit Epheu, 
Durch die Dämmung auf den ſchwanken Halmen 
Ihren Tanz zu fchlingen. Einer Grotte, 
Die von wilden Reben itberranft war, 
Wurde Kallias gewahr und drinnen 

Eines Marmorbildesg — ex erkannte 

Freudig: Artemis, die theure Göttin, 

War es, und nad ihr den Blick in Andacht 
Nichtend ließ er fich auf eine Steinbanf 

An der Höhle Eingang nieder. Fernher 
Tönte Braufen eines Wafferfalles, 

Und aus einer Ceder Wipfelfrone 

Schollen, wie vom Himmel, fanfte Töne: 
Bon des Dunfels jürgen Sängerimen, 

Welche nie verftummen und noch Mittags 
Hier der Mondnacht fanftes Zwielicht finden, 
Schien e3 zu der Göttin Preis ein Hymnus. 


Dem Geflöt der Nachtigallen lauſchend, 
Hauptgejenft ſaß Kallias. Da vernahm ex 
Im Gezweig ein Raufchen, und wie Wallen 
Weißer Schleier blinkt? es durch die Büfche. 
Daß Diana jelbft es fei, in deren 
Heiligthum er frevelnd eingedrungen, 

Der Gedanke zudte hin durchs Haupt ihm. 
Scheu zur Seite wid) er in das Didicht, 


— 19 — 


Und durch) das Geäſt trat eine Jungfrau 
Mit zwei Dienerinnen. Leicht hernieder 
Duoll aus weißer Hülle ihr des Haares 
Dunkle Flut) um Stine und um Naden, 
Und als glitte eine Silberjchlange 

Durch das Gras hin, bligten an den Füßen 
Ihr im Gehen die Sandalen. Langjam 
Trat fie, feierlihen Schritt3 zum Bilde 

In der Grotte, es mit frifchen Blumen 
Kränzend, während ihre Dienerinnen 

Bor der Herricherin des Waldes Weihraud) 
Zündeten. Auf das hehre Marmorantlit 
Heftete lang die Jungfrau im Gebete 

Aug’ und Seele; dann zum Gehen wieder 
Wandte fie den Schritt. Da aus den Büfchen, 
Wo er bang geftanden und zu athmen 
Kaum gewagt, trat Kallias vor. — D Schöne, 
Sprad er in geftammelter Rede, bift du 
Bon den Nymphen diejes Haines eine, 
Dover von des Berges Dreaden, 

Sp vergieb, wenn ich, der Sterbliche, wage, 
Bor dich hinzutreten! Stets den niedern 
Sohn des Staubes drängt es, feine Seele, 
Wie auf den Altar die Opferblumen, 
Dankbar vor die Göttlichen hinzubreiten, 
Die, erhaben über Tod und Schiedjal, 

Shre Huld den Menjchenjühnen gönnen. — 


Ihm, den Blid zu Boden jchlagend, Antwort 
Giebt die Jungfrau: Willft du meiner jpotten, 
Daß die Erdgeborne mit den hohen 
Himmelstöchtern du vergleihjt? Dianen, 
Meiner treuen Schüßerin, ein Opfer 
Täglich bring’ ich hier, und nicht geziemt mir 
Durch Geſpräche diefe heil’ge Stätte 





— 19 — 


Zu entweihen. — Noch, indeß hinweg fie 
Schreitet, ruft der Jüngling: Selig, Holde, 
Iſt der Vater, welcher dich gezeugt hat, 

Iſt die Mutter auch, die Dich geboren! 

Doc nicht Antwort mehr empfangend fieht er 
Sie des Weges, den fie fam, verfchwinden. 


Yange vegungslos ihr nad) jchaut Kallias; 
Und Gefühle, nie zuvor empfunden, 
Strömen hin durchs Herz ihm, wie im Frühling 
Duft der Noje Kelch erfüllt. Noch immer 
Schwebt ihm vor dem Geift die Glanzericheinung; 
Dom Dlymp herab zur Erde fcheint fie 
Ihm geſtiegen, und doch will ihn dünfen, 
Schon gefehn hab’ er die Züge. Wieder 
Dann fi) an des Vaters Auftrag mahnt er 
Und verläßt den Hain. Hinab gen Weiten 
Senft die Sonne fih und ſchüttet goldne 
Schimmer auf die Wipfel und den Bergitrom, 
Der von Fels zu Felfenzade ſchäumend 
Bor ihm niederftürzt. Empor den Abhang 
An den braufenden Wellen klimmend fieht da 
Kallias das Landhaus mit den mächt’gen 
Dorerfäulen, das von fteiler Höhe 
Stolz hevabblidt, vor fi ragen. Diener, 
In der Meder prunfende Tracht gekleidet, 
Liegen fih an Würfelſpiel ergötzend 
In der Pfeilerhalle am Portale. 
Kann e3 fein denn? denft er; meines Vaters 
Jugendfreund, inmitten von Barbaren 
Selbſt Barbar geworden, foll hier weilen? — 
Auf die Frage, ob der Herr des Hauſes 
Phanor jet, wird erft ihm nicht Erwidrung; 
Dann hervor drängt durch der Andern Reihe 
Sich ein alter Sklav' in Griechenfleidung 
Schack, Gef. Warte. IV. 13 


— MM — 


Und ruft freudig: Deine Sprache fündet, 

Daß du ein Athener; folg’ mir! melden 

Dem Gebieter werd’ ich dich. — Sie gingen; 
Und im Säulenhof, der reich mit Afiens 

Pracht geſchmückt war, aber in Apollos 

Ehrnem Standbild auch die Kunſt der Griechen, 
Herrlicher als Ophirs Schäße, zeigte, 

Harrte Kallias. Bald vernimmt er Schritte, 
Und hinein winkt in die tönende Halle 

Ihm der Sklav. Ein Mann, noch braun von Yoden, 
Doch auf tiefgefurchter Stirn des Alters 

Spur ſchon tragend, grüßt ihn freundlichen Lächelns: 
Sei von ganzem Herzen mir willfommen, 

Sohn des Drimakos! Nein, nicht fein Sohn mir 
Scheinſt du; wie ich deine hohe Stirne, 

Deinen Adlerblid und doch den milden 

Zug, der deinen Mund umjpielt, betrachte, 
Glaub’ ich, daß der Fahre Nebel rückwärts 
Wale und mir deines Vaters Antlit 

Selbft entgegenfchaue. Jugendfreund mir 

War er, wie ich feinen theurern kannte. 

Schon als Knaben jahn Gymnaſium, Rennbahn 
Immer uns vereinigt, daß die Andern 

Uns die Dioskuren nannten. Yuftig 

Bom Flyllus zu des Yyfabettus 

Felfenfteile oft auf ſchnaubenden Roſſen 

Jagten wir im Wettſtreit. Drauf im Lager, 
Als wir Jünglinge wurden, mußt' ein Zelt uns 
Beiden Ruhſtatt bieten, und am Morgen 

Bei tyrrheniſcher Erzdrommeten Schmettern 
Stürzten wir vereint zu Kampf und Siegen. 
Faſt zwei Olympiaden ſind geſchwunden, 

Daß ich meinen Drimakos nicht ſchaute, 

Doch von ſeinem Glück kam oft mir Botſchaft, 
Daß kein Wölkchen ſeines Lebens Himmel 


— 19 — 


Trübe. Nun, mein Kallias, viel erzählen 
Solljt du mir von ihm, und lang als Gaitfreund 
Hoff ich dich in meinem Haus zu jehen. 


Stumm, betroffen ftand vor ihm der Jüngling; 
Dann, ein Herz ſich faſſend, jprad er: Kurz nur 
Darf ich bleiben; Schon in nächſter Frühe 
Treibt nad) Sardes mich des Vaters Auftrag. 
Hier empfang’ das Schreiben, das für dich er 
Mir gegeben, und hier noch ein zweites 
Bon Themiftofles! — Aus feinen Händen 
Nimmt die Tafeln Phanor und, indefjen 
Sie fein Auge überfliegt, verrathen 
Seine Züge, wie ihm durch die Seele 
Tieferregend hin der Inhalt zittert. 

Dann: Laodamas! mit lauter Stimme 

Nufend, einem Knaben, der in muntern 
Sprüngen naht, gebietet er: Ein Fußbad 

Heiß die Schaffnerin den Gaſtfreund rüſten, 
Um den Reiſemüden zu erlaben. 

Das Gemach, das nad athenijcher Sitte 
Eingerichtet, wei)’ ihm an als Wohnung, 
Dann, mein Sohn, zur Hausterrafje führ' ihn! 
Seiner harr' ich dort zur Abendmahlzeit. 


An der Hand den Fremdling zog der Knabe 
Mit fich fort und ſprach: Ein Grieche bift du, 
Deine Tracht verräths: o ſei willfommen! 
Mir und meiner Schweiter immer jchafft es 
Freude, wenn "wir der Hellenen einem 
Unter dieſem fremden Volk begegnen. 

Faft vergefjen wir der Griechenfprache; 
Denn, verjenkt in tiefen Trübfinn, wenig 
Redet nur der Vater, und die Sitte 

Gönnt uns nicht, daß mit den alten Sklaven 
Nhaifos wir viel Gefpräche pflegen. 


— 1196; — 


Als er nun allein, gebeut den Dienern 
Phanor, reich die Tafel zu befegen, 
Und die Schreiben aus Athen, die beiden, 
Sinnend in der Rechten haltend, tritt er 
Auf die Hausterrafje, die nad) Weiten 
Db der Tiefe hängt. Die finfende Sonne 
Ueberftrömt indefjen mit der Strahlen 
Glühndſtem Roth vor ihm die Thäler unten, 
Und entlang den leuchtenden Bergeszügen 
Ueber Nebengeländ und vielgewundne 
Bäche jchmweift jein Blid zum Himmelsrande, 
Wo, ein purpurner Streif, die Meerfluth ſchimmert, 
Die fein Heimathland, fein langverlornes 
Hellas birgt. Noch an dem Wellenfaume 
Hängt fein Auge. Da des plaudernden Sohnes 
Stimme hört er; und, von ihm geleitet, 
Aus dem Haus tritt Kallias. Ihm entgegen 
Freundlich jtredt die Rechte Phanor: Nochmals 
Sei mir hochwillkommen! Wenn mein eigner, 
Todtgeglaubter Sohn mir wiederfehrte, 
Freudiger wahrlich) könnt' ich ihn nicht grüßen. 
Doh nun nad) der Wandrung dich zu jtärfen 
Komm! Bereit jteht was mein armes Haus dir 
Bieten fann. — An einer Tafel, die von 
Perſiens Dienern wohl bejtellt mit Speije 
Und mit Tranf ift, muß auf Purpurpoliter 
Sich der Füngling ihm zur Seite betten. 
Dort, gehäuft in filberglänzenden Schalen, 
Prangt des Frühlings Yieblingskind, die jchöne 
Walderdbeere, die mit würz'gem Dufte, 
Und mit leuchtendem Roth der Dreaden 
Sinn beftridt. Dort in kryſtallnen Flaſchen 
Perlen Weine, auf den Hügeln Smyrnas, 
An der Grotte des Homer gefeltert, 
Neben folchen, die im fernen Oſten 


Ira 


Indiens Sonnengluth in ich gejogen. 

Und indeg am Berghuhn vom Meffogis, 

An der Gazelle zartem, von der Wiifte 
Weihrauch duftendem Fleifche fi) der Gaſtfreund 
Pabt, läßt reichlich in des Bechers Höhlung 
Ihm der Wirth den Saft der Neben fluthen. 
Unterdefjen von Athen und Kallias’ 

Bater reden fie; von jedem Bläschen 

In der Eltern Haus, das zum Piräus 

Und auf Salamis vom Miufenhügel 
Niederihaut, muß Kallias erzählen, 

Ob e3 unverändert noch; und mählig 

Löſen ſich von feinem Geiſt die Sorgen, 

Daß ihm frei vom Mund die Worte ftrömen. 


ALS die Beiden fih vom Mahl erheben, 
Spridt er: Alſo nun, fein altes Unrecht 
Gegen dich bereu’nd, das Volk Athens dich 
Heimruft, hoffen dürfen wir in unfrer 
Mitte wieder dich zu jehn? — Da legt ſich 
Tiefer Ernſt auf Phanors Stirn, und Antwort 
Giebt er: Innig dank’ ich deinem Vater, 
Dank' e3 auch Themiftofles, daß meiner 
Sie in Freundichaft denfen und die Bürger 
Bon Athen vermocht, den alten Achtiprud) 
Mir vom Haupt zu wälzen. Doc der Ladung, 
Heimzufehren, Herz und Sinn verjchließ’ ich. 
Auf das Meer, das heute leije plätjchert, 
Morgen im Orkan des Himmels Säulen 
Wanfen läßt, magjt eher du vertrauen 
Als auf den Beſtand der tollen Menge. 

Wer giebt Bürgjchaft, ob nicht eben Jene, 
Die mich heut in ihre Mitte laden, 

Eh der Mond den Yauf vollendet, wieder 
Mich in die Verbannung jenden? Ja, und 


Bee 


Könnten fie das Unrecht auch vergüten, 

Das an mir verübt ward, nie vermögen 

Sie zu fühnen, was an meinem Freunde, 
Meinem Waffenbruder fie verbrochen, 

An Miltiades! Auf ihrer jpätften 

Enfel Stirnen wird es noch als Schandfled 
Brennen, daß den Sieger Marathons fie, 

Dem fie ihre, ihrer Kinder Freiheit 

Und des DVaterlandes Rettung danften, 
Jammervoll im Kerfer fterben ließen. 

Nur der Tod hat vor dem Henferjchwerte 

Ihn geihüst, wie mich die Flucht. Auf faljches 
Zeugniß — nein, nicht Zeugnig, auf Verdacht nur, 
Dit dem Freund hätt’ ich Verrath gejponnen — 
Sandte Bosheit, im Verein mit Irrſinn, 
Häfcher wider mich. Noch von den Wunden 
DBlutend, denen an des Feldheren Seite 

Ich die Bruft geboten, mit dem Weibe 

Und den Kindern übers herbftourchftürmte 
Meer, von Inſel Hin zu Inſel floh ich; 

Wie gefheuchtes Wild aus jeder Freiftatt, 

Die und Zuflucht bieten wollte, wurden 

Wir vertrieben. Auf der graufen Irrfahrt 
Fand den Tod mein Weib. Mit Sohn und Tochter 
In des Perjerreiches erjtem Hafen 

Darg ich endlich mich, und von den Feinden, 
Deren Heeresreihen ich gebrochen, 

Ward miv Schug vor meines eignen Yandes 
Söhnen. Huldvoll nahm an feinen Hof mic) 
König Kerres auf, als wär’ ich Freund ihm 
Und Verwandter. Daß ich ein Verſtoßner, 
Heimathlofer war, vergefjen hätt’ er 

Mich es laffen, wären die Gedanken 

Mach der fernen Baterjtadt nicht immer 

Mir zuricdgeeilt. Wie auch vermächte 


IR 


Je ein Herz fi) von den trauten Stätten, 

Wo es einft in Luft und Leid gejchlagen, 
Loszureißen? Mir zum Sommerfig gab 

Xerxes dieſes Yandhaus, das mir werther 

AS in Suſa mein Palaft; von hier aus 
leitet oft mein Blik zum Saum des Meeres, 
Und auf feinen Wogen jchweift die Geele 
Trauernd mir nach) Hellas. Ach! was darf ich 
Seiner nicht in Freude denfen? Sorge 

Nagt am Herzen mir und bange Ahnung, 
Weil dur Zwiſt von Stamm mit Stamm die Griechen 
Sich den eignen Untergang bereiten, 

Während innerhalb der Städte Zwiejpalt 
Witthet, und ein Haupt des Volks des andern 
Sturz heiſcht, hadert Megara mit Theben, 
Winihen Sparta und Athen einander 

In den Staub zu beugen. Als die Heere 
Aſiens uns zu zermalmen drohten, 

Ward uns von den Griechen Beiftand? Nein, fie 
Standen thatlos um uns her, des Scaufpiels 
Harrend, wie, gleich Löwen in der Grube, 

Wir der Feinde Yanzen unterlägen. 

So, da Feder auf des Andern Unheil 

Sinnt, baun die Hellenen jelbjt die Zwingburg, 
Die, vom Iſthmus hoch ob beiden Meeren 
Nagend, bald ganz Griechenland in Knechtſchaft 
Halten wird. 


- Er jchwieg, zu Boden jtarrend. 
Kallias, der lang nicht Antwort finden 
Konnte, unterbrad) zulegt die Stille: 
Um Miltiades’ Geſchick und deines 
Hab’ ich Thränen ſchon gemeint als Knabe, 
Und die Zorngluth wider eure Feinde 
Yoderte höher auf, je mehr zum Jüngling 


Ich erwuchs. Doc mit den alten Sünden, 
Glaub’ mir, hat das Volk Athens gebrochen! 
Freie Bürger, die zum Wohl von Allen 
Eintrachtvoll zufammenmirfen, wirſt du 
Finden; auch der alte Geift des Haders 
Zwiſchen Staat und Staat ift im Erlöjchen; 
Und wenn ein Eroberer wider Hellas 

Sich des Zugs vermäße, Alle würden 
Gegen ihn fich ſchaaren. Alſo fehre 

In das Vaterland, das neugeborne! 

Nicht die Stadt blog am Ilyſſusufer, 

Nein, ganz Hellas darfit du heut jo nennen! 
Freudig wirds dich im Triumph empfangen. 


Ihm erwidert ernjt, doc freundlich Phanor: 
Wolfenlos erjcheint dem Blick der Jugend 
Wohl der Himmel, wo de8 Mannes Auge 
Streifen fieht, die neue Stürme fünden. 
Aber wär’ es auch, wie dur berichteft, 

Nie doch könnt' ich in die Heimath fehren. 
Dankbarkeit für reich empfangne Wohlthat 
Feffelt mic an dieſes Yandes Herrjcher. 
Fir die viele Huld, die aus des Herzens 
Eignem Antrieb RXerxes mir erwiejen, 

Hat er nur verlangt, daß ich gelobte, 

Al jein Freund an feinem Hof zu leben; 
Und jelbft diefen Sommerfig vergönnt er 
Meinem Wunſch, wenn nur die Wintermonde 
Ich in Suſa ihm zur Seite weile. — 

Nie, ich ſchwör' es, brech’ ich mein Gelübde. 


Alſo er; und nicht auf Kallias’ Antwort 
Wartend zu Laodamas, dent Knaben, 
Sprad er: Deine Schweiter ruf’ herbei mir, 
Daß den Gaftfreund fie willfomment heiße. 


Schon verjunfen war die Weltenleuchte. 
Nur noch um des Yatmos höchſten Gipfel 
Spielt’ ein Schimmer ihrer legten Strahlen, 
Während unten auf die Nebgelände 
Und die Haine tief fih Schatten legte 
Und der Stern der Aphrodite zitternd 
Durch das Zwielicht glomm. Auf die Terrafje 
Trat die Tochter Phanors, und mit freud'gem 
Schreck erkannte Kallias die Jungfrau, 
Die zuvor der Artemis geopfert. 
Komm, Arete! — jo fie bei der Nechten 
Faffend jprach der Vater — Grüße Kallias, 
Sohn des Drimafos! — Auf fie die Blicke 
Heftet, jüßen Bangens voll, der Jüngling; 
Doc, verwirrt und ftammelnd, ſpricht Arete: 
Kallias, Sohn des Drimakos! iſts möglich? — 
— Nun, was haft du? Kind! fragt fie der Vater. 
Und Arete fpricht zulest: Gedenkſt du, 
Bater! nicht, daß Kallias bei Olympia 
Füngft im Disfuswurfe, wie im Ringkampf, 
Sih des Delbaums heil’gen Zweig erjtritten? 
Dir erzählt, jobald ich hörte, hab’ ichs! 
Fliegt dur) ganz Jonien doc) und Hellas 
Ruhmvoll hin, von Mund zu Mund, fein Name! 


Wadrer Kallias, alſo du, ſprach Phanor — 
Dein Erröthen zeigt es — haft errungen, 
Was umfonft ich einjt mit meines Willens 
Boller Kraft exftrebt? Ein höhrer Preis ſchien 
Damals mir ein Blatt des heil’gen Baumes, 
Als die Kronen aller Erdenfön’ge 
Und als alles Gold in Kröjus’ Schaghaus. 
Meinen Drimakos fünnt’ ich beneiden, 

Daß er folden Sohn erzeugt! Nur weil mir 
Tribe Sorgen auf dem Geifte laften, 


— 202 — 


Deines Sieges dacht’ ich nicht; ſonſt hätt’ ich 
Meinen Glückwunsch dir jogleich geboten. 


Drauf der Jüngling, während auf Areten 
Ihm das Auge ruhte: Wie Erinnerung 
Eines ſchönen Traums aus früher Jugend 
Dämmernd ftiegs empor in meinem Geifte, 
Als vorhin ih in Dianens Haine, 

Holde Jungfrau, dich erblidte! Du wohl 
Kannſt Gedächtniß nicht der Zeit bewahren; 
Kaum erwacht dem Yeben blühteft damals 

Du entgegen. Doc in deiner Eltern 

Haufe ſah ich deiner Kindheit erftes 

Knospen: früh hinweg mich Knaben brachte 
Dann der Bater nad) Korinth, und nie mehr 
Schaut’ ich dich; doch fonnt’ ich ahnen, daß jo 
Neizuoll diefe Knospe ſich erſchloſſen? 


Schüchtern drauf zum Jüngling ſpricht Arete: 
Daß du ein Athener, augenblicklich 
Hab' ich das erkannt an deiner Rede. 
So erzähle von der theuern Stadt mir! 
— als Kind verließ ich ſie; doch immer 
Wandelt noch durch ihre Säulengänge 
Meine Seele, denkt wie auf der Pallas 
Alte Burg am Feſt der Athenäen 
Mich die Eltern durch die wogende Menge 
Führten, oder wie an der Nymphengrotte 
Ich Narciſſen auf der Wieſe pflückte, 
Während in der Pinie mir zu Häupten 
Der Cicaden Chorlied ſcholl und neben 
Mir der Schwall des heil'gen Waſſers rauſchte. 
Schön wohl iſt Jonien; aber wem ſich 
Am Ilhyſſusſtrand zuerſt das Auge 





Ein ; 


— 208 — 


Aufihloß, aus der Seligen Oefilden 
Wird’ er noch zu ihm zurück fich jehnen. 


Neih und voll fließt von des Jünglings Yippen 
Da das Wort. Des Bolfs lauthallendes Treiben 
Auf der Agora und dann die Stille 
Schildert er, wenn fi um einen Redner 
Alle ſchaaren, ſchildert wie der Ringplatz 
Am Kephiffos von dem Nuhmeswettftreit 
Muthiger Jünglinge weithin tönt; wie fernher 
Zum Piräus auf bewimpelten Kielen 
Heim die Kaufherrn Tyrus’ Purpur bringen, 
Vließe Sinopes und goldne Aepfel 
Aus den Zaubergärten, die der alte 
Hesperus mit feinen Töchtern hütet. 

Alle, ruft er, die der Erde Wunder 

Sahen, fünden, daß der Städte feine 

Mit Athen an Herrlichkeit ſich meſſe. 

Auf den grünen Fluven, wo Poſeidons 
Köftliches Geſchenk, die edlen Noffe, 

Weiden, drängt ih, von Kallivvhoes Duelle 
Bis Kolonos Prachtbau neben Prachtbau; 
Ragen aus Platanen-Didicht Tempel 

Und Odeen; und zwifchen Dorerjänlen 
Heben reizender noch die jüngern Schwejtern 
Aus Jonien ihre Häupter. Prächtig 

Ueber alle fteigt dev Stolz der Welt auf, 
Das Dlympion; und aus Sikyons Werkitatt 
Ziehn, in Marmor leuchtend, lebend, athmend 
Die Unfterblichen in die Heiligtümer, 

Die der Bürger Andacht ihnen baute. 


D von Allem hört’ ich, unterbrach ihn 
Da Arete; aber ſag' mir: ift es 
Wahr, was von der Dionyfien Feier 


— 204 — 


Mir berichtet ward? Zu herrlich dünkt michs, 
Daß ichs glauben könnte. Dies Theater, 
Reihen über Neihn gethürmt, hinaus auf 
Attikas blühnde Aun, Kolonos' Delwald 

Und des Meeres duft’ge Inſeln ſchauend, 

Auf den Stufen Haupt an Haupt ein ganzes 
Volk gedrängt, fi) an dent hohen Werke, 
Das die Mufe ihrem Yiebling eingab, 

Sinn und Herz zu laben — — 


O, nod) größer, 
Fällt ins Wort ihr Kallias, noch erhabner, 
Als erzählt dir worden, ift das Schaufpiel; 
Aus Eleufis fam ein gottgeliebter 
Dichter ung — nein! Dichter nicht, Propheten 
Nennen muß ic ihn. Mit feines Geiftes 
Odem hat der Sehergott Apollon 
Ihn erfüllt; der Sohn Euphorions ift er: 
Aeſchylos. Wohl manchem prächt'gen Chorlied 
Seit des Thespis’ Tagen hat die Scene 
Widerhallt; allein vor jeinen Rhythmen 
Matt verftummt es, wie des Zephyrs Säufeln 
Bor des Wetterſturms gewalt’gem Braufen, 
Der in einem hehren Klang die Töne 
All' heranträgt, die in des Frühlings Seele 
Schlummern. — Die Geheimniffe des Lebens 
Und des Todes find ihm fund; der Erde 
Tieffte Gräber fennt er wie des Himmels 
Höchfte Sterne. Wenn das Opfer aufloht 
Und im heilgen Naufche die Choreuten, 
Den Altar umwandelnd, feine Hymnen 
Singen — dunkle Schauer durch den Geift dir 
Fühlft du wehn, wie bei der Eleufinten 
Allgeheimer Peter; feine Geſtalten, 
Auf Kothurnen hochherichreitend, Alles 


u AR 


Was nur fhnell verjchwindend über die Erde 
Hinfchwebt, was als Traum in deinem Innern 
Als Gefühl und Ahnung dämmernd auffteigt, 
Tritt in ihnen, unvergänglichen Yebens 

Boll, vor dih! Der Nacht uralte Töchter 
Tauchen vor dir aus dem dunfeln Weiche 
Drunten; und wenn zwijchen der Vorwelt Helden 
In des Olympos Herrlichkeit die Götter 

Du ſich mengen fiehjt, unsterblich jelber 

Dünkſt du dich wie fie! — — 


An feine Lippen 
War in Yaujchen fejtgebannt Arete, 
Da er alſo fprad. Er wollte weiter 
Reden; doch Laodamas, der Knabe, 
Eine Yeier bringend, unterbrad) ihn: 
Schweſter, ſiehſt du nicht, wie wieder düſter 
Bor fih hin der Vater ftarrt? Den Trübfinn, 
Der, du weißt e3, fein fich oft bemeiftert, 
Kannft du einzig durch Geſang verfcheuchen. — 
Und Arete fang, indeß der Yeier 
Saiten unter ihrer Nechten bebten, 
Bon Stefihoros, Siciliens Sänger, 
Eine Ode. Wenn im Ennathale 
Schwer von Hirtenflötenflang der Wejtwind 
Ueber Blüthen fäufelt, gleicher Wohllaut 
Mag es fein. Die Athemzüge hemmend 
Lauſchte Kallias dem Lied der Jungfrau, 
Und fein Herz verlor fich in fein eignes 
Klopfen. Bei dem Vater unterdefjen, 
Der im Seſſel ruhte, ftand der Knabe, 
Ihm Tiebfofend, und die trübe Wolfe 
Wich allmählig von des Brütenden Stirne. 
ALS der Tochter Lied verflang, erhob fich 
Phanor: Schon am Stand der Nachtgeftirne 


— 206 — 


Seh’ ich, dag es Schlummerszeit. Als Gajtfreund 
Weile lang noch unter meinem Dache, 

Werther Kallias! — Wie dem Wandersmanne, 
Wenn aus ſanftem Traume von der Heimath 
Ihn ein Feuer-Lärmruf plötzlich aufjchredt, 
Alſo war dem Jüngling bei den Worten: 

Daß die Pflicht ihn binde, ſchon am nächſten 
Tage zu den Freunden aufzubrechen, 

Mahnt er ſich, und hin durch alle Fibern 
Weiter zittert bang ihm der Gedanke. 

Doch verwirrte Laute nur zur Antwort 

Kann er ſtammeln. Noch im Gehn ihm wünſchend, 
Daß ein milder Schlummer ihn erquicke, 
Schreitet fort mit Sohn und Tochter Phanor. 
Drauf, geführt von NRhaifos, dem Sklaven, 
Sucht die Ruhſtatt Kallias. Doc wie foll ihm 
Schlaf aufs Auge niederthauen? — Yang noch 
Wird vom Sturme ftreitender Gedanken 

Und Gefühle Hin und her die Seele 

Ihm geworfen. Hier der Trieb des Herzens, 
Der in dieſem Haufe ihn zurüdhält, 

Dort fein Griechenland, in deſſen Dieniten 

Er gefommen, um Joniens Bölfer, 

Die befreiten, ihm zu Bundsgenofjen 

Wider Perfiens Uebermacht zu werben. 

— Phanor und die Tochter, wenn der Aufjtand 
Ausbricht, ſchwer gefährdet! Welch ein Irrſal! 
Kann ein Gott jelbjt aus dem Yabyrinthe 

Ihm den Ausweg mweifen? — — Da er aljo 
Angftvoll nachſinnt und hinaus durchs Fenſter 
Ihm der Blid ins tiefe Nachtblau gleitet, 
Sieht ex feiner Kindheit Yieblingsfterne, 

Die Plejaden, wie fie durch des Oſtens 

Dunft empor am Horizonte jteigen; 

Und: Ihr glückverheißenden Lichter, ruft er, 





— au — 


Ihr, nach denen der Schiffer durch den Himmel 
Forſchend jpäht und erſt die Anker lichtet, 
Wenn er euch, ihr fieben göttlichen Schweitern, 
Nach des Winters Stürmen euren Neigen 

Neu beginnen fieht — wie durch Drfane 

Und durch Meeresftrudel ihr zum fichern 

Hafen ihn geleitet, jo jeid mir auch 

Auf dem tiefumdunfelten Pfad des Yebens 
Führerinnen zum erjehnten Ziele! 


Dritter Geſang. 


Schlaf vermochte Kallias auf dem Yager 
Nicht zu finden; wenn die übermüden 
Augen furz fich ſchloſſen, immer wach doc) 
Zwiſchen Zweifel, Furcht und Hoffen ward ihm 
In der Bruft das Herz umhergeſchleudert. 
Als mit erſtem matten Streif das Frühroth 
Durch das Fenfter glomm, vom Pfühl erjtand er, 
Um in ernjten Sinnen zum Entfchluß fich 
Aufzuringen. Wie der junge Adler 
Nach der finjtern Neumondnacht am Morgen 
Aus dem ſturmgewiegten Horft fi) muthig 
In den leuchtenden Himmel aufſchwingt, alfo 
Hob fich bei dem höher fteigenden Lichte 
Aus dem nächt'gen Zwieſpalt feine Seele. 
Treulos nicht dem hohen Auf zu werden, 
Der ihn von Athen hierher entboten, 
Sic, gelobt ev. Daß die güt’gen Götter 


Na r 


Zu dem lodenden Glück in Phanors Nähe 
Ihm die Rückkehr gönnen, heiß erfleht ex 
Es von ihrer Huld — wo nicht, ein Opfer 
Fordern darf Athen von feinem Sohne. 


Sein Gemach verlafjend ſetzt der Füngling, 
Mit dem Wanderftabe jchon gerüftet, 
Sich auf eine Steinbanf vor der Wohnung. 
Yang dort finnt er, wie e8 ihm gelinge, 
Die Gefahr von Phanor und den Seinen 
Abzumwenden, die bei der Jonier 
Aufitand ihn bedroht. 


Indeß jein Auge 
Nach dem Haine hinjchweift, wo Arete 
Geſtern er zum erften Mal erblidt hat, 
Ziehen duft'ge Morgennebel aufwärts 
Durch die grünenden Zweige der Cypreſſen, 
Die vom Thal empor zum Hügel klimmen; 
Und wo fie geſchwunden, bligen Tropfen 
Thaus im Frühlicht an den zitternden Aeſten. 
Plöglih unten an des Haines Saume 
Sieht er drei Geftalten treten; hoch auf 
Schlägt jein Herz, wie näher fie und näher 
Auf dem Steilpfad fommen; ja, Arete 
Iſt es mit den beiden Dienerinnen. 


Ihr entgegen, halb hinab den Abhang 
Schreitet Kallias, feinen Gruß ihr bietend 
Und ihr fündend, wie des Vaters Auftrag 
Ihn zu fcheiden zwinge. — Sit denn Aufſchub 
Möglich nicht? erwidert ihm die Jungfrau; 
Der Atheneriprache traute Paute 
Hätt' ich gern von deinen Pippen länger 
Noch vernommen. — Drauf zu ihr der Jüngling: 








— 209 — 


Alſo wenn die leitenden Schiejalsiterne 

Mir hierher die Wiederfunft verftatten, 
Sprechen wirft ein freundlich Wort bei Phanor 
Du für mich, daß unter feinem Dache 

Er mir Einkehr gönne? — Meines Wortes 
Nicht bedarfs, erwidert ihm die Jungfrau. 
Db der PVaterftadt durch fchweren Undanf 
Ihrer Bürger auch entfremdet, wife! 

Stet3 Athener blieb ev noch im Herzen. 
Deshalb nur von Xerres diefes Yandhaus 
Hat er fi zum Sommerſitz erbeten, 

Weil er näher hier dem Yand der Griechen. 
Und oft jeh’ ich ſehnſuchtsvoll die Blicke 

An des Meeres blaffen Saum ihn heften, 
Das ihn von der fernen Heimath fcheidet. 
Kehre bald zurüd drum! Feucht jein Auge 
Sah ich werden, als von deinem Vater, 

Bon Themiftofles dur Sprachit, und ficher 
Leicht gelingen wird es dir, das böje 

Unfraut Groll aus feiner Bruft zu reißen. 

O ſchon klopft mein Herz in Findifcher Freude, 
Wenn ich denfe, wie du von Olympia 

Uns erzählen wirjt; wer könnt' es beſſer 
Auch als du, der jelber du den Siegskranz 
Dir errungen? — Bon den goldnen Adlern, 
Die mit bligenden Flügeln bei der Spiele 
Anfang von der Rennbahn fich erheben, 
Möcht' ich hören, von den Biergefpannen 
Hierong, und don den donnernden Wagen. — 


Abends, unterbrach fie Kallias, gönnft dur 
Bon Corinna ung die göttlichen Lieder 
Und von Ibykos, dem Mufenliebling. 
Glaub’! der Töne jeder, die dur geftern 
Sangit, hat um mein Herz wie eine Majche 
Shad, Gef. Werfe. IV. 14 


— 210 — 


Sic, gelegt und hält im diefem Landhaus 
Es zurüd, auch wenn ich ferne weile, 


Alſo redend find die Zwei des Abhangs 
Reſt emporgeflommen, und vereint, noch 
Mannichfahe Worte taufchend, wandeln 
Hin fie durch des Gartens Yorbeergänge, 
Während Wohlgeruch der Myrtenbüſche 
Und der Wälder Murmeln aus den Thälern 
In des Frühlings Wehn zu ihnen auffteigt. 
Leichte Nöthe, wie fie an des Fremdlings 
Seite wandelt, überfliegt Aretens 
Wangen oft; der halberſchloßnen Roſe 
Gleicht fie, die den Morgen fchon, bevor er 
Anbricht, ſchauernd fühlt. An ihrem Antlitz 
Feftgefogen hingen Kallias’ Blide, 

Und erihroden fuhr er auf, als Phanors 
Stimme er vernahm, der aus dem Haufe 
Tretend ſprach: Schon mit dem Wanderftabe 
In der Rechten, junger Freund, dich find’ ich? 
Aber jcheiden darfjt du nicht, mein Kallias, 
Ehe du mir Wiederfehr verſprochen. 

Geh, Arete, die du meines Haufes 

Seit der Mutter Tode walteſt! Sagen 

Soll nit Drimakos, ich hätte Färglich 
Seinem Sohne Gaſtfreundſchaft erwiefen. 


Eilends ging die Jungfrau. Phanor aber 
Sprad zu Kallias: Nicht in dein Geheimniß 
Dräng’ ich mich; doch meinem alten Freunde 
Schuld’ ichs, dich zu warnen. Biel Athener 
Streifen hier durchs Yand, um zur Empörung 
Seine Wohner aufzuftacheln. Kamſt aud) 
Du zu gleichem Zweck, jo wiſſe: eher 
Kann der Strohhalm über den Orkan ſich 


— 211 — 


Sieg verjprechen als Joniens Bölfer, 

Selbft wenn alle fi zum feften Bunde 
Einten, über Perfien. Aber fuche 

Solden Bund im Yand der Träume! Smyrna 
Neidet Ephefus die blühnde Schiffahrt 

Und wird jubeln, wenn des Feindes Rache 
Mit dem Schutte feiner Prachtpaläfte 

Seinen Hafen füllt. Priene, Teos, 

Sardes lauern eine auf der andern 
Untergang. Nun dent’, des Xerres Heere, 
Zahllos wie des Mittelmeeres Wogen, 

Wenn fie Boreas zum Sturm aufgeißelt, 
Auf euch niederbraufend — wahrlich, Nettung 
Magſt du für die Berggazelle hoffen, 

Wenn ein Rudel Wölfe auf fie einbricht, 
Nicht für euch! — 


In fich verſunken hatte 
Kallias faum fein Ohr geliehn der Rede, 
AS mit einer Amphora Arete 
Wiederkam. Laodamas, ihr Bruder, 
Und der Sflave Rhaifos, in Händen 
Wohlgefüllte Schalen tragend, folgten. 
Honig aus dem fchöngehenfelten Kruge, 
Brod und Milch bot ihrem Gaft die Jungfrau. 
Aber in des nahen Abjchieds Bangen 
Nur zum Scheine führte zu den Yippen 
Kallias von der Koft. — Wohl mit dem Honig, 
Den die Bienen aus des Hymettus Blüthen 
Euch bereiten, mißt fich nicht der unfre, 
Sagte Phanor. Plöglic) aufgerafft da, 
Um die Qual zu fürzen, feinem Wirth beut 
Kallias Dank; allein der Schmerz der bald’gen 
Trennung läßt die Stimme ihm erzittern, 
Wie er jpricht: Hoch fteht bereit3 die Sonne; 


— 2122 — 


Und noch groß ift meine Tagereiſe. 

Alſo ftammelnd und mit geſenkter Wimper 
An Arete feinen Gruß entbietend 
Schreitet er des Weges fort nad) Sardes. 


Pang noch fieht, wie er von dannen wandelt, 
Ihm die Jungfrau nad); daß von Gefahren 
Er bedroht fei, bange fchleicht Die Sorge 
Ihr durchs Herz dahin und läßt es beben, 
Sp wie vor dem Sturm im Wald die Blätter 
In des nahen Donner Ahnung zittern. 
Kallias’ Pfad führt über grüne Hügel 
Unter Pinien hin, auf deren Wipfeln, 

Fackeln gleich, die jungen Zapfen leuchten, 
Unter Pfirfihbäumen, die mit weißen 
Blüthen ihn beftreun. Mit haftigen Schritten 
Eilt er vorwärts, daß im Wanderfturme 

Er fein Herz betäube. In den Bächen, 

Die vom Berghang raufchen, nur Aretens 
Namen hört er: jubelnd in den Himmel 
Tragen ihn die Lerchen, welche um ihn 

Aus der Neder jungen Saaten fteigen. 


Mit des Willens ganzer Kraft fih mahnend, 
Seines Werks nicht und der harrenden Freunde 
Zu vergeffen, fommt an einem Dörfchen 
Er vorüber, draus mit Weherufen, 

Tliegenden Haares, Kinder an den Briten, 
Weiber ihm entgegenftürzen: Hilf uns, 

Der von unferm Stamm du bift, ein Grieche! 
Bon den Perjern wurden unſre Männer, 
Unfre Söhne fortgefchleppt in Ketten, 

Weil der Zins, den der Satrap gefordert, 
Unerſchwinglich! Ohne unjre Nährer 

Sind dem Hungertod mit unjern Kleinen 


— 213 — 


Wir nun preisgegeben. Laß, o Jüngling, 
Laß dich unſer Jammerſchickſal rühren! 

Was er kann, um ihre Noth zu lindern, 
Giebt den Unglückſel'gen Kallias; aber 

Bald von dannen treibt ihn der Gedanke, 
Durch des ganzen Volks Erhebung werde 
Schutz vor der Barbaren Willkür Allen 
Werden. Nach und nach gen Weſten tiefer 
Lenkt der Sonnengott ſchon ſeine goldnen 
Roſſe, und ein Purpurwolkenvorhang 

Wallt am Himmelsthor, durch das hinunter 
Er in Amphitrites kühle Wohnung 

Ziehn will. Im die wildzerrißnen Schluchten, 
Die der alte Tmolus meerwärts fendet, 

Tritt der Jüngling. Zwiſchen bliggejpaltnen 
Stämmen ſchäumend wälzt fi) der Paftolus 
Neben ihm dahin durch Felſentrümmer, 

Und Gefahren, wenn der Fuß ihm glitte, 
Drohn ihm auf dem Pfade; drum zur Nachtraft 
Unter einer Terebinthe Wipfel 

Will er die ermüdeten Glieder ftreden. 

Da erichallen eines Jagdhorns Klänge 

An fein Ohr; laut, immer lauter jchmetternd, 
Angftvoll, al3 ob Hülfe fie erflehten, 

Tönen fie. Er folgt dem Schall, und vor fich, 
Um des Felfens Ede biegend, jchaut er 

Einen Hirſch, der vom Geſchoß getroffen 

Das Geftein mit feinem Blute röthet. — 
Neun ertönt ein Hornftoß — fieh! und unten 
In der Schludt, von einer Eiche Zweigen 
Halb verdedt, am Boden liegt ein Perjer, 
Der, im Kampfe mit zwei Mordgefellen 
Ueberwältigt, mit der legten Kraft noch 
Wider fie das Schwert züdt. In des Sturmminds 
Eile, doc beforgt, daß ihn den Argen 


— 214 — 


Nicht jein Tritt verräth, heran ftürzt Kallias, 
Bohrt, zu Häupten des Bedrängten ftehend, 
In des einen Mörderd Bruft des Dolches 
Schneid’gen Stahl und reißt den Hingefunfnen 
Auf vom Boden. Al3 der andre todt nun 
Den Genoſſen fieht, und drohnd die Beiden 
Gegen ihn fi) wenden, vor fie nieder 

Kniet er gnadeflehnd — da eben zeigt fich 
Eine Schaar Gewaffneter. Vom Felspfad, 
Ihre Panzermafchen in des Abends 

Strahl wie eines Baches Silberwellen 
Gligernd, fteigen abwärts in die Schlucht fie 
Und, dem Perſer nahend, werfen alle 

Sich vor ihm zu Boden. Seinem Winf nad 
Legen fie den Frevler drauf in Bande 

Und beginnen, an des Stromes Ufer, 

Der die Schlucht durchbrauſt, ein Zelt zu fchlagen. 
Aber fo zu Kallias fpricht der Perfer: 
Wackrer Grieche, dem ich meine Nettung 
Schulde, was ich bin und was ich habe, 

Böt' ich dir, könnt' ich dadurch dir danken; 
Doch ich weiß, in dem Vollbrachten einzig 
Suchen Edle ihrer That Belohnung. 


Kallias drauf: Die Götter, die mir huldvoll 
Seit der Kindheit waren, zeigten neu mir 
Ihre Gunft, da ich vor diefer Schurfen 
Hand dich fchügen durfte. Ihnen danke! 

Wie ers fpricht, erbleicht und wanft er plöglich; 
Eine Wunde Hlafft an feinem Halfe, 

Wo des Mörder Dolch, bevor er hinjanf, 
Ihn getroffen hat. Ins Belt ihn leiten 

Und auf Polfter betten läßt der Perſer. 


Bald in Fiebergluth erlifcht dem Jüngling 
Die Befinnung; Nächte lang und Tage 


— 215 — 


Auf dem Yager liegt er da bewußtlos. 

Aber unter Jenes treuer Pflege 

Endlich lächelt er dem Licht genefend 

Neu entgegen. Wie ihm die Erinnrung 

Des DVergangnen fehrt, der Freunde denkt er, 
Die feit lang in Sardes ihn erwarten, 

Und will ungefäumt von dannen eilen; 

Doch zu bleiben nöthigt ihn der Perſer, 

Dis er ganz geheilt. Sodann am Abend, 
Eh’ er ihn entläßt, die Hand ihm reichend 
Spricht zu ihm er: Wifje, wen dem Tode 
Du entriffen! Narbazanes bin ich, 

Den nah Ephefus, daß jene Stadt ich 

ALS Satrap verwalte, König Xerres 

Sendet. Beim Berfolgen eines Wildes 
Allzuweit von meinen Dienern hatt’ ich 
Mic hinweggewagt, und jene Frevler 
Nüsten meine Unvorfiht. Nun aber 

Komm, mein Freund, daß wir das Nachtmahl halten! 


In ein andres Zelt, mit Purpurdeden, 
Gold und Edelfteinen prangend, traten 
Ein die Beiden; Yömenfelle waren 
Auf den ftein’gen Boden hingebreitet, 
Und auf filbernen Seffel ihm zur Seite 
Sich zu jeßen, lud den Griechenjüngling 
Narbazanes, während indische Sklaven 
Wein in die kryſtallnen Becher jchenkten. 
Nun, mein Freund, warum fo düjter? ſprach er; 
Beim begeifternden Klange der Pokale 
Laß nach unferm Brauch den Bruderbund ung 
Schließen! Hoc verehr' ich die Hellenen. 
Daß doch alle Griechen mit den Perjern 
Sich zu einem mächt'gen Bolf vereinten, 
Wie die Meder jchon und die Afiyrer, 


— 216 — 


Fa, die Bölfer all’ vom eij’gen Thracien 
Fern big zu den Sonnenaufgangsländern. 
Läßt ein höhres Glüd für Hellas’ Söhne 
Sich erfinnen, al3 dem hochgemalt’gen 
Xerxes Kriegsgefolge und im Frieden 
Ehrendienft zu leiten? Nie gejehen 

Hat die Erde noch ein Neich wie feines! 
Bor dem Glanze feines Throns geblendet 
Senft das Auge fich, des Himmels Sterne 
Ehr, als feine Heere magſt du zählen. 

Soll ich feiner Königsſtädte Pracht dir, 
Babylon mit feinen hängenden Gärten, 

Und Efbatana, und Paſargadä, 

Und des Memnon Burg, das hehre Sufa 
Schildern? Schildern dir, wie ſich von Gränze 
Hin zu Gränze feiner unermefinen 

Staaten breite Straßen ziehn, gen Himmel 
Auf der Riejenberge Staffeln Elimmend, 
Dann in Abgrundnaht hinunterftürzend? — 


Fremd nicht, unterbrach ihn Kallias, ift mir 
Was du jagft; doch mögen Aſiens Männer 
Willig einem König Frohndienft leiten, 

Jedes Griechen höchſtes Gut ift Freiheit, 

Sie die Lebensluft, in der er athmet, 

Und das Wort „Tyrann“ erregt ihm Abjchen, 

Mehr als Tod und Peſt. Im Staub der Rennbahn 
Nadt um eines Delblatt3 Preis zu ringen 

Iſt ihm größrer Ruhm, al3 wenn ein König 

Seine Sklavendienfte ihm mit Kröfus’ 

Schätzen lohnte. 


Wieder dann der Perfer: 
Ueber den Geſchmack ift nicht zu ftreiten. 
Doch um Eines, Freund, da ich euch wohl will, 





— 27 — 


Bitt' ich euch: in eurem ungezähmten 

Stolz vermeßt euch nicht zu hoch; wenn nochmals 
So wie früher, al3 ihr der Milefier 

Aufſtand fchürtet, ihr des großen Königs 
Ingrimm reizt, glaubt mir, Verderben einzig 
Euch bereitet ihr. Nur des Mardonius 
Ungeſchick und Vorwitz hat verjchuldet, 

Daß bei Marathon wir weichen mußten. 

Aber nöthigt ihr zum zweiten Male 

Uns zum Kampf, mit Trauer muß ich denlen 
Was dann euer Yoo3; jo wie die Sturmfluth, 
Nächtlich auf ein Thal fich nieverwälzend, 
Stadt und Dorf zerftört, daß nicht die Stätte 
Kennbar wo fie jtanden, aljo würden 

Xerxes' Heere auf das arme Hellas 

Sich, ergießen. 


Und in Macht erftehend, 
Wie ihr nie geahnt — fo fällt ins Wort ihm 
Kallias — würden wir zu Land, zu Meere, 
Ob auch Einer gegen eurer Hundert, 
In die Flucht die wimmelnden Bölferfchaaren 
Jagen, die eur Aſien nad) uns außfpeit; 
Staunen folltet dann ihr, wie ein Grieche 
Mehr gilt als ein Heer jtumpffinn’ger Sklaven. 


Ihm erwidert lächelnd Narbazanes: 
Nicht erhige Dich, nein wadrer Kallias! 
Schon vernommen haft du: Frieden, Eintracht 
Zwiſchen euch und ihm wünjcht König Xerres. 
Stoßt denn nit die Hand zurüd, die Er euch) 
Bietet, welchem Sterne, Mond und Sonne 
Selber Ehrfurcht zollen! Blickt auf uns aud, 
Seine Diener, nicht voll Hochmuth nieder, 
Deren Ahnen jchon Satrapen waren, 


— 218, — 


Eh’ der Name Hellas nod genannt ward! 
Alt, das merfe! wie der gipfelfteile 
Kaukaſus, des Lichtgotts heil’ger Wohnfig, 
Iſt dies Sonnenreich, von König Dſchemſchid 
In der Zeiten Anbeginn gegründet, 

Und die Großen, die um feinen Thron fich 
Reihen, find von Götterſtamm entjproffen. 
An des Zeltes Wänden dort die Bilder 
Schau’, aus denen unſrer Helden Thaten 
Slanzvoll dir entgegenleuchten; Ruſtem, 
Den gewalt’gen fieh dort, meinen Ahnherrn, 
Wie er ganze Heere mit der Keule 
Niedermetiert! Dort Isfendiars Schlachten, 
Der des Ahriman, des finftern, Nachtreich 
Und die Herrjcherburg von Turan ftürzte, 
Dort Kai Chosrus Welteroberungszüge! 


Während zu der Zeltwand bunten Gruppen 
Kallias’ Auge ſchweift, in goldnen Schalen 
Dringen Diener, was an föftlichen Speifen 
Meer und Land, Gebirg und Thäler bieten, 
Und zum Mahl des Gaftes Becher fleißig 
Füllend weiter redet Narbazanes: 

Eingeftehen, Freund, ich denke, wirft du, 
Unrecht habt ihr, wenn ihr uns Barbaren 
Sceltet. Eins zum mindeften, die Kochfunft, 
Wohl verftehn wir, und was man von Spartas 
Schwarzer Suppe mir berichtet, macht mich 
Eben lüftern nicht, um ihretwillen 

Perfien mit Hellas zu vertaufchen. 

Sonderlich auf meinen Koch vermag ich 
Stolz zu fein; ein Meifterftüc in feiner 
Kunft, ein ftaunenswerthes, hat er unlängft 
Mir gezeigt; vernimm! Als in Gedrofiens 
Wüſte, taufend Meilen weit vom Meere, 


* 


— 219 — 


Ih in Pflichten meines Amtes weilte, 

Und mit Wurzeln jener ftein’gen Dede 

Oder wilder Ejel Fleiih die Tafel 

Nur bejtellt mir ward, befiel mid Trübfinn, 
Und daß ich an Yeib und Seele fiechte, 
Wurden meine Diener inne. Yange 

Hatt’ ich jo geihmachtet, da auf einmal 
Mittags ward mir bei Drommetenftößen 
Eine Schüfjel vorgejegt, bei deren 

Anblick ſchon Entzüden mich durchſtrömte. 
Kaum den Augen traut' ich: ja, ein Seefiſch 
War es, jener köſtlichen Muränen 

Eine, die, der Stolz von Lyciens Küſte, 
Manchmal mich gelockt an jenes Ufer. 

Neu erfüllte, als ich ſie genoſſen, 

Kraft und Lebensmuth mich, und den wackern 
Koch, um ihn mit einem Ehrenkleide 

Zu beſchenken, ließ ich vor mich treten; 
Sag', du Trefflicher, welch ein Wunderthäter 
Biſt du, daß in tauſend Meilen Ferne 

Von der Küſte dieſen Meerbewohner 

Du mir vorgeſetzt? — Da auf den Boden 
Warf er ſich und ſtammelte: Mein Gebieter! 
Wenn ich ſchuldig bin, laß mich enthaupten; 
Doch geſtehen muß ich: eine Rübe 

War es, die mit Brühen und mit Würzen 
So ich zugerichtet, daß als Seefiſch 

Sie dir galt. Falls ich geſündigt habe, 
Hat der Wunſch allein mich, deinen Trübſinn 
Zu verſcheuchen, zu der Schuld verleitet. 
Aber ich, um ſeine Meiſterſchaft ihn 
Preiſend, ſchenkt' ein zweites Ehrenkleid ihm. 


Lächeln bei des Narbazanes Rede 
Mußte Kallias, und mit heitrer Zwieſprach 


— 20 — 


Schloß das Mahl. Am nächften Morgen Abjchied 
Nimmt von feinem Wirth der Füngling; redend 
Stehen vor dem Zelte noch die Beiden, 

AB am Bergabhang ein Zug von Reitern, 
Sih um eine Sänfte reihend, fichtbar 

Wird. Norane, meine Schwefter, iſt es, 

Die in Ephefus mit mir den Sommer 

Zu verleben ich gebeten habe. 

Früh ſchon Wittwe, da dem Sohn des Kerres 
Sie nur furz vermählt war, ift fie worden; 
In ihr einfan Leben in Eiltcien 

Wollt’ ich einen Wechfel gerne bringen. — 
Alfo Narbazanes; und der Sänfte, 

Schon den Zelten nah, entjteigt in ftolzem 
Schritt ein Weib von föniglichem Anjehn. 

Sei gegrüßt, mein Bruder! Das Verlangen 
Dich zu fehen ließ mir Raſt nicht; früher 
Komm’ ich hierher, al3 du dachteſt. — Staunend, 
Während jo fie ſprach, blickt ihr ing Antlig, 
Deſſen Schleier janft der Wind gelüftet, 
Kallias. Schreden wie vor einer Gottheit 
Füllte ihm das Herz bei ihrem Anblid‘; 

Für den niedern Sohn de3 Staubes allzu 
Hehr war ihre Schönheit. — Diefen Griechen, 
Sagte Narbazanes, mußt du preifen, 

Daß du deinen Bruder noch, Roxane, 

Bei den Lebenden trifft; vor Mörderdolchen, 
Schon auf meine Bruft gezüct, gevettet 

Hat er mich. — Und Danfesworte, freundlich, 
Aber doc von majeftätischen Klange, 

Als ob der Olympierinnen eine 

Spräche, richtet Jene an den Jüngling. 

Drauf zu ihm der Perfer: Gern dich ſäh' ich 
Noch bei mir in Ephefus zu Gafte. 

Komm mit ung! E3 foll dir nicht an Kurzweil 


— 21 — 


Fehlen. Tags Gazellen, wilde Eber 

In den Bergen jagen wir; am Abend 

Aber foll die prangende Galeere 

Mit Roranen auf dem Meer ung wiegen. — 
Ihm erwidert Kallias: Den Perjern 

Gleich der eitlen Luft der Jagd zu fröhnen, 
Sich auf weiche Polfter hinzubetten, 

Ziemt nit dem Hellenen. Strenge Pflichten 
Nufen mich nad) Sardes; aber fliehn dann 
Will ich Aſiens weiche Yuft und üpp’ge 
Sitten und mir am Ilyß im Ningfampf 
Neu zum Männerftreit die Glieder härten, 
Die bei euch Schon halb erjchlafften. — Yächelnd 
Sprach Norane: Stolz ift deine Rede, 

Als ob du bei Marathon geftritten! 

Aber. nicht um ſolchen Stolz dir groll’ ich, 
Jüngling, da mit deines Armes ehrner 
Stärke du die Mörder hingejchmettert. 
Seinem Retter bot, ihm nochmals danfend, 
Einen Siegelving darauf der Perjer, 

Der mit prächt’gem Chryjolith geſchmückt war 
Und mit feines Namens Zug. Dies Kleinod, 
Sprach er, trag’ zu meinen Angedenfen, 

Und wenn je am Hof des großen Königs 
Ich dir nügen, jemals dir in Drangfal 
Helfer jein kann, zähl auf meinen Beiftand! 


Und hinweg fchritt Kallias. Wie betäubt noch 
War er von des Weibes Schönheit; immer 
Hallt im Ohr ihm ihre Stimme, mächtig 
Und doch Lieblich wie des Meeres Rauschen, 
Wenns im Mittagstraum im fchatt’ger Grotten 
Dämmerung wallt. Bald aber tritt von Neuem 
Ihm in unvermwelften Reiz Arete 
Vor die Seele; kann die hohe Lilie, 


— 22 — 


Stolz in üpp’ger Gärten Mitte prangend, 

Sich der duftenden Roſe mefjen, die fich 

Tief im Thalgrund birgt? So wieder ſchweift ihm 
Der Gedanke nah dem Landhaus Phanors, 

Und zurück möcht’ er die Schritte lenken; 

Doch dann mahnt er fich: der Pflicht genüg’ erft! 
Wenn dem Baterlande du der eignen 

Bruft verwegnen Trieb geopfert, werden 

Nach vollbrachtem Werk den Wunfch des Herzens 
Gnädig dir die Himmlifchen gewähren. 


Ueber wilde Bergeshänge, ſpärlich 
Mit Lentisfgefträuch bewachjen, führte 
Hin fein Pfad, und arme Fiegenhirten 
Boten Nachts ihm ihrer Hütten Obdach. 
Um des dritten Tages Mitte fah er 
Fernher, von des Tmolus Riejfengipfel 
Ueberragt, das fünigliche Sardes 
Ihm entgegenleuchten. Gruppen Perfer 
Flohn des Wegs mit Weibern und mit Kindern, 
Und er ahnte, abgejchüttelt habe 
Schon Joniens Bolf das Joch der Fremden. 
Höher ftieg, wie ihn der Schritt beflügelt 
Vorwärts trug, die alte Burg des Kröſus 
Por ihm auf, erhoben Säulenhallen, 
Tempel und Baläfte ihre Zinnen 
Aus dem weiten Häufermeer. Zur Seite 
Bor dem Thore jah er Zelt an Belt fich, 
Ueberwallt von bunten Wimpeln, reihen — 
Und noch neue Pfähle, um das Yager 
Zu vollenden, fehlugen emfige Sklaven. 
Dichte Schaaren, all’ in Tracht der Griechen, 
MWogten hin und her; und von der Männer 
Einem ließ Bericht fich des Gejchehnen 
Kallias geben. Bei dem erſten Aufe: 





9) 
ea 


Freiheit! hoch Jonien! hatten alle 

Wohner griechifchen Bluts in Lydiens Hauptſtadt 
Sich erhoben, und nach kurzem Schwertſchlag 
Waren aus dem Trugwahn ihrer Allmacht 
Aufgeſchreckt hinweggeflohn die Perſer. 


Nah auf einen Hügel, wo die Menge 
Haupt an Haupt ſich drängte, klomm der Jüngling. 
Einen Greis, ſchneeweiß von Locken, ſah er 
In der- Mitte; athemloſe Stille 
War um ihn, und während Alt und Jung ihm 
Lauſchte, ſprach er: Einen Achtzigjähr’gen, 
Meine Brüder, hört, der auf der Erde 
Bielen Wandel ſchon gefhaut! Der Menfchen 
Drei Geſchlechter jah er um ſich aufblühn 
Und hinab zum dunfeln Hades fteigen. 
Wider meine Warnung, allzu frühe 
Seid ihr gegen Afiens mächt'gen König 
Aufgeftanden. Noch der andern Städte 
Beiftand ift euch ficher nicht; fein Zeichen 
Giebt euch fund, dag Samos’ Fürft zu Hülfe 
Seine Flotte hierher fenden werde. 
Drum jo mehr ift noth, daß eilends Boten 
Wir an Myos', Kolophons, Prienes 
Bürger, an der Inſeln Herrſcher ſchicken. 
Nur wenn fie mit uns zu feſtem Bunde 
Sic) vereinigt haben, ift uns Hoffnung, 
Daß Hinfort wir, nad) der Väter Satung, 
Wieder freie, glücdliche Tage leben. 
Laßt ſogleich uns denn die Sendlinge wählen! 
Und bis ganz Jonien, ein ſtarker 
Unzerbrechlicher Wall, dem Feinde trogend 
Sich entgegenftemmen fann, im Ringkampf 
Stählt euch und im Yanzenwurf und Schwertichlag 
Für die Männerihlacht! Vor Allem aber 


— 224 — 


Macht euch werth, ein freies Volk zu heißen! — 
Durch Gerechtigkeit und Maß den Berfern 
Zeigt, daß ihr von edlem Griechenftanme! 
Den, der euh in Waffen gegenüber 

Tritt, nicht Unbewehrte treffe eure 

Nahe! So vor Allem heifcht die Ehre 
Eures Namens, daß dem greifen Phanor, 
Der des Xerres Liebling, feine Unbill 
Widerfahre; unfern hier, ihr wißt es, 

Weilt er, und in eriter Wallung fünnte 

Sich euer Zorn an ihm vergreifen; aber 
Mögt ihr auch al3 unfrer Feinde Freund ihn 
Hafjen, ſchwört mir nimmer zu vergefien, 
Daß er mit Miltiades des Sieges 

Ruhm bei Marathon getheilt hat. Heilig 
Sei euch jedes Haar auf feinem Haupte! 


Wie im Pinienwald bei Epivdaurus, 
Wenn ein Lufthauch her vom Meere jäufelt, 
Erſt ein Zweig ſich regt, dann Aft auf Aft zu 
Schwingen anhebt, bis ein mächt'ges Braufen 
Durch den Hain geht, jo von Mund zu Munde 
Allumher erfcholl e8: hoch Machaon, 
Hoch der Edle vom Ilhſſusufer, 
Defien Haupt die Weisheit fi) zum Site 
Auserwählt! — Und den verlangten Eid ihm 
Leifteten Alle mit erhobner Nechten. 


Durch die Neihn fich drängend drauf fpricht Kallias 
Zu Machaon: Wackrer! Dir im Namen 
Von Athen Dank ſag' ich, daß du alſo 
Seines ſchwergeprüften Sohns dich annimmſt. 
Dann mit lautrer Stimme, Allen hörbar, 
Fährt er fort: Die Kekropsſtadt entbietet 
Euch, Fonier, ihre Segenswiünfche! 





— 225 — 


Hergeſendet, um zum Widerſtand euch 
Wider Perſien zu ermuth'gen, hat ſie 

Mich, und freudig nun die ſchon Befreiten 
Kann ich grüßen. Nehmt in eure Reihen 
Mich als Kämpfer auf und laßt mich Zeuge 
Sein, wie ernſte, feſte Freundſchaftsbande 
Sich um euch und unſer Hellas ſchlingen. 
Dort, wo in der Altis heil'gem Haine, 

Am Alpheusufer eure Väter 

Mit den unſern um den Siegspreis rangen, 
Stehen eure, ſtehen aller Griechen 

Laren. O vergönntens die Olympier, 

Daß fie alle, die wie fturmverjchlagne 
Schiffer an entlegner Meere Küften 
Hingebannt find, die al3 Inſelwohner 
Losgeriſſen von der Mutter Erde 

Auf des Dceanes Fluthen treiben, 

Daß jie all’ als große Volksgemeinde, 
Erzgepanzert, ihrer Götter Tempel, 

Ihre Freiheit vor den Perfern jchirmten! 


Yauter Jubel ſcholl bei feiner Nede, 
Und in Foniens Namen hieg Machaon 
Ihn willfommen. Aus der Andern Mitte 
Traten Zwei fodann hervor, Alfander 
Und der Sparter Dymas, feines erften 
Wandertags Gefährten: Bift dus endlich? 


Ihnen fündete Kallias was gejchehen, 
Auf die faum geheilte Wunde deutend; 
Und Alfander unter feurigem Willfomm 
Sanf ihm in die Arme: Freunde laß uns 
Für das Leben bleiben! Aber Dymas 
Unterbrach die Beiden: nicht zum Schwärmen 
Shad, Gef. Werke. IV. 15 


— 226 — 


Iſt die Zeit jest; kommt zur Waffenübung! 
Bald in ernftem Kampf follt ihr erproben, 
Ob ihr in Athen, ob in Fonien 

Speere werfen fünnt wie wir in Sparta. 


Vierter Gefang. 


Seit dem Tage, da zu weitrer Wandrung 
Kallias aufgebrochen, denft Arete 
An den Fremdling nur. ft in ihr einjam 
Leben unter dem Barbarenvolfe 
Doc) fein Öriechenjüngling noch getreten; 
Und der erfte nun, den fie erblidt hat, 
War Dlympias allgepriejner Sieger. 
Nicht wie jonjt mehr beim gewohnten Opfer 
Kann fie, feit er fern ift, ihre Göttin 
Feiern; immer mengt des Holden Name 
Sich in ihr Gebet, mit feiner Stimme 
Spricht zu ihr die Einfamfeit; der Luft gleich, 
Die, wenn lang der Leier Ton verhallt ift, 
Immer noch den füßen Klängen nachbebt, 
Zittert vor Erinnrung an den Fernen 
Ihre Seele. Jeden Morgen fragt fie: 
Wird er mwiederfehren? — Doch die Nacht nur 
Führt ihn ihr zurüd im Traumgefichte. 


Unterdeffen in noch tiefern Trübſinn 
Als zuvor ift Phanor hingefunfen. 


— 227 — 


Nicht des Sohnes muntre Knabenſpiele 
Können feinem Brüten ihn entreißen, 

Nicht Alcäus’ noch Prarillas Yieder, 

Seine Pieblinge ſonſt. Dft lange Stunden 
An des Meeres bleihen Saum die Augen 
Heftend fit er ftumm auf der Terraffe, 

Und vergebens faßt Laodamas ihn 

An der Hand: Komm, Bater, um zu jehauen, 
Wie mein Arm weithin den Disfus fchleudert, 
Wie mid Nhaifos den Bogen jpannen 

Und des fichern Pfeilmurfs Kunſt gelehrt hat. 


Einft des Morgens trat zu ihm Arete: 
Sieh! im Frühroth des Apollo Standbild 
In der Halle ſchon mit Hyacinthen, 

Die dem Gott vor allen Blumen theuer, 
Haben wir befränzt. Sein heil’ger Tag ift 
Heute, und du haft ſeit zarter Kindheit 

Uns gelehrt, ihn feftlich zu begehen. 

Laß umfonjt nicht länger auf dich warten! 
Fhrer Ladung folgend tritt der Vater 

In die Halle, grüßt den Gott voll Ehrfurdt 
Und ftreut Weihrauch in die Opferflamme, 
Die der Sklave Ahaifos mit Reiſern 

Emfig nährt. Indeß von einer Rolle 

Lieſt Yaodamas des Homeriden 

Hymnus auf den Pythontödter, Yetos 

Sohn, dem all die Meeresufer heilig 

Und die Inſeln und die Feljenwarten 

Längs der purpurnen Fluth. Heil Helios! 
Hochhin wandelnd über der Berge Gipfel 
Schleudert er ins Herz der Nacht, des Abgrunds 
Tieffte Höhlen, feine tödtenden Pfeile, 

Diefe Welt mit feiner Strahlenfülle 

In ein Gewand von goldnem Lichte Eleidend! 


— 283 — 


Nach der Feier einfam mit Arete 
Dieb der Vater. Schweigend ihr zur Geite 
Saß er ernſt; dann nahm das Wort er: Schöne 
Jugendzeit, als mic an diefem Tage 
Mit der Fünglinge Feftchor vom Piräus 
Das befränzte Schiff zum heil’gen Delos 
Führte, daß auf den Altar des Gottes 
Wir die Weihgefchenfe niederlegten, 
Die Athen ihm fandte! Wie voll Andacht 
Sang ich da das Preislied auf Apollon. 
O wie blühte um mich her die Erde 
Einem Tempelhaine gleih! Da tönten 
Aus des hochaufraufchenden Meeres Wogen 
Mir der Nereiden Reigenchöre; 
Pans, des fchlummernden, Athemziüge hört’ ich 
Aus dem Uferichilfee Doch geſchwunden 
Iſt mir jener Glaube. Seit mir Perfiens 
Magier Zoroafters ernſte Yehre 
Kündeten, feit im Bild der ew’gen Sonne 
Ich den Urgott fie, den Einen, höchften, 
Alles Lichts und Lebens Duelle, ehren 
Und, anftatt in engen Tempelhallen, 
Ihre Opfer auf der Berge Spigen 
Leuchten fah, ift jene Göttermelt mir 
Eingeftürzt; nur für der Kinder Seelen 
Bon den Dichtern jcheint fie mir erfonnen. 
Als ic) vor dem Marmorbilde Weihraud) 
Streute, hat das Herz nicht, hat Gewohnheit 
Einzig mir die Hand gelenft. Und dennoch, 
Wie in Hellas immer meine Seele 
Weilt, gedenk' ich auch der Zeit mit Sehnſucht, 
Da des Mäoniven holde Fabeln 
Meinem Knabengeift noch Wahrheit däuchten. 


— 29 — 


Bater, — fällt ihm in das Wort Arete — 
Konnte dich die Fremde fo beivren? 
Glaub’, unfterblich weilen die Olympter 
Unter uns! Nicht in dem grellen Lichte, 
Das für heilig hält der Perſer Irrwahn, 
Lebt das Himmlische; nein, wie in der Jris 
Sich der einen Sonne Strahlen brechen, 
Iſts in buntem Farbenfpiel, das Yeben 
Uns verſchönernd, durch die Welt ergoffen. 
Selig oft von jeinen Athemzügen 
Fühl' ich mich bewegt, wenn aus des Oſtens 
Goldnen Wolken Phöbus’ Yeiertöne 
Schallen und aus Thälern, Strömen, Grotten 
Durch die laufchenden Yüfte leifer Stimmen 
Echo fluthet. Im den duftigen Nebeln 
Seh’ ich dann dahin die Götter fchreiten 
Sp wie einft al3 Kind, wenn mic die Mutter 
Auf des Ilyſſus Krokuswieſe führte. 


Glücklich preis’ ich Dich, daß du den alten 
Wahn dir noch bewahrt haft! — fagte Phanor: — 
Immer lebt mir noch der Wunjc im Herzen, 
Daß, wenn erjt Yaodamas zum Jüngling 
Aufgeblüht, mit ihm du in die Heimath 
Eifeft, wo dich der Verwandten viele 
Froh willkommen heißen werden, wo dir 
Glück vielleicht an eines Gatten Seite 
Lächelt. Kallias, meines Jugendfreundes 
Sohn — aus -jeinen Bliden, feinen Worten 
Schließ' ichs — fand an dir fein Wohlgefallen, 
Und das Roth, das dir bei ſeines Namens 
Nennung übers Antlig fliegt, verräth mir 
Dein Gefühl. Am Tag, als dich die Mutter 
Mir geſchenkt, ſprach Drimakos zu mir ſchon: 
Schön wär's, wenn dereinſt durch unſre Kinder, 


u 


Die vereinten, uns ein neuer Frühling 
Blühte! Wohl! willkommen wird’ ich8 heißen, 
Daß fein Sohn heim nach Athen dich führte. 


Nimmer — fiel ihm in das Wort Arete — 
immer laß ich, Vater, in der Fremde 
Did allein! Doc an der Deinen Seite 
Ueber Meer zieh’ fort ins theure Hellas! 
Kannſt du Schönres denken, al3 nad) langer 
Irrfahrt wie Odyſſeus heimzufehren? 
AU die trauten Pläße neu zu grüßen, 
Wo du mit Miltiades gewandelt, 
Und zu jehen, wie Athen in Wohlfahrt 
Und in Freiheit immer herrlicher aufblüht ? 


Ihr erwidert Phanor: Mächtig hat mir 
Kallias die Sehnſucht nad) der Heimath 
Angefaht — allein entfagen muß ic. 

Nie mehr, daß nicht meine Herzenswunde 
Heißer blute, fprich von ſolchem Plan mir! 
Wenn nicht jchon die Dankbarkeit mich bände, 
Unauflöslich fnüpfte für das Leben 

An den Herriher Perfiens mich mein Eidſchwur. 


Eben jpricht ers; da herangejprungen 
Kommt Yaodamas: Ein Zug von Reitern 
Naht des Wegs von Sardes; Große ficher 
Sinds von RXerxes' Hof; in ihrer Mitte 
Tragen Diener eine prächt'ge Sänfte. — 
Bor das Yandhaus tretend ſchaute Phanor, 
Wie des Zuges Führer aus dem Gattel, 
Während Sklaven ihm den Bügel hielten, 
Sich herabſchwang. Narbazanes! rief er 
Ihm entgegen; und der Fremdling folgt ihm 
Mit den andern Großen in die Halle, 





— 231 — 


Ehrfurchtsvoll fi) vor dem Griechen neigend 
Sprad dann Narbazanes: Beugt die Kniee, 
Huld’gend, Freunde, vor dem Hocherlauchten, 
Den der Weltgebieter zum PVertrauten 

Sich erwählt hat. Ormuzd' Yiebling, Xerxes, 
Der des Himmels Sterne al3 Tiara 

Sich ums Haupt flicht, jendet, edler Phanor, 
Seinen Gruß dir und, gefügt aus Indiens 
Zunfelndften Rubinen, feines Namens 
Heilige Züge! Ein Gefchent empfängft du 
Hier, wies feinem noch der Erdgebornen 

Je zu Theil gemorden. 


Und dem Griechen 
Boten, vor ihm auf den Staub des Bodens 
Ihre Stirnen prefjend, junge Sklaven 
Eine fandelholzgejchniste Tafel, 
Drauf in dunfelm Purpurglanz des Herrfchers 
Edelſteingeſchmückter Name blitte. 


Weiter ſprach der Perjer: Seines Herzens 
Stimme will der Kön’ge König länger 
Schweigen nicht gebieten. Jahre dünken 
Ihn die Monde, die du feinem Hofe 
Ferne weilft. Drum des Gebieterd Wunfc div 
Soll ich fünden, daß zu ihm nad) Suſa 
Du fofort zurückeilſt. Wicht'ge Dinge 
Hat er mit dem Freunde zu berathen — 
Fa, dem Freund, jo nannt' er dich! Erhebe 
Stolz dein Haupt; uns aber günne, daß mir 
Uns im Lichte deiner Stine fonnen! 


Schnell gefaßt und nach des Morgenlandes 
Sitte auf der Bruft die Hände freuzend, 
Sagte Phanor: Schon der Wunjch des hohen 


— 232 — 


Herrfchers ift Befehl, und ich gehorche. 
Dann den Botjchaftbringer fammt den Großen 
Lud er, unter feinem Dad ala Gäfte 

Bis zu feinem Aufbruch zu verweilen. 
Aber Narbazanes ſprach: Die edlen 
Perfer hier ſammt hundert Yanzenträgern 
Werden als Gefolg’ mit dir nad) Sufa 
Ziehen. Mir jedoch Liegt ob, noch heute 
Zum Satrapenfige, den der große 

König mir beftimmt, mic) zu begeben. 
Mit der Schwefter, welche außen wartet, 
Muß ich Ephefus vor Nacht erreichen, 
Um das Kriegspolf jener Gegend fehleunig 
Wider die Empörung aufzubieten, 

Die aufs neu in Sardes ausgebrochen. 
Dorther jend’ ich Diefe dir in Kurzem. 
Du indeffen rüfte dich zur Reife! 


Als fie fort, zur Tochter eilte Phanor, 
Und in düftrer Trauer gab er fund ihr, 
Wie mit ihm fie das geliebte Yandhaus 
Laſſen müſſe. Bei der Kunde fprachlos 
Blieb Arete lang, und auch der Vater 
Barg in Schweigen feiner Bruft Gefühle. 
Endlich fi) ermannend: Keine Wahl bleibt, 
Sagt’ er: weife, wer der Schiejalsfügung 
Ohne Murren fi) ergiebt! Für eins noch 
Laß mich forgen! Wiederkehr verſprochen 
Hat mir Kallias; auf das nächſte Frühjahr, 
Wenn wir diefes Yandhaus neu beziehen, 
Kann ich jest ihn laden nur. Nach Sardes 
Mag mein Griechenjflan mit diefer Botjchaft 
Gehen und zugleich den Jüngling warnen, 
Daß er fern fi den Joniern halte, 

Die in neuem hoffnungslofen Aufjtand 





— 28 — 


Sich erhoben; meines Jugendfreundes 

Cohn möcht’ ich vor drohenden Unheil jchügen! — 
Bater, ja — fällt ihm ins Wort die Tochter — 
Schleunig ſende Rhaifos! — Was weiter 

Sie der Lippe nicht zu jagen gönnte, 

Wohl errieth es Phanor. Selbſt den Sflaven 
Ruft fie dann, und ſchon in nächjter Frühe 

Eilt der treue Rhaikos nad) Sardes. 


Wenig Tage drauf, von Perfiens Großen 
Angeführt, mit Roſſen, Dromedaren 
Und Gefolg von Yanzenträgern nahte 
Her von Ephefus die Karawane, 
Und dahin gen Sufa mit den Sindern 
Zog des Wegs der Grieche, trauernde Blide 
Dft noch) nad) dem Meeresſaume jendend, 
Bis er in den Dunft der Ferne hinfchwand. 


So durd Aſiens unermeßne Yänder, 
Durh der Wüfte fluthende Sandeswogen 
Zu des Sonnenlandes Fran Gränzen 
Waren fie gefommen. Geis, daß Mittags, 
Wenn herab auf fie ein fengendes Gluthmeer 
Wallte, fie an den Eifternen ruhten, 

Sei es, daß die Nacht zu ihren Häupten 
An des Himmels dunfelblaue Wölbung 
Ihre em’gen Wegesleuchten hängte, 
Stumm in fi) verjunfen blieb der Bater, 
Stumm die Tochter; und vergebens juchte 
Plaudernd, wie die murmelnde Bergesquelle, 
Ihren Gram Laodamas zu fcheuchen. 
Endlich jahn auf feinen beiden Hügeln 
Sie vor fi) das fünigliche Sufa 

Ragen, Feftungsthürme, breite Wälle 
Und Paläſte, hoch aus Viltengärten, 


u 


Ihre ſtolzen Säulendächer hebend. 

Bei der Kunde von der Karawane 

Nahn find, feinen Liebling zu empfangen, 
Ausgerüdt des Herrſchers Ehrenwachen. 
Demuthvoll die Yanzen jenfend, deren 

Spiten mit der Granate Goldfrucht prangen, 
Stehn fie zu des Weges beiden Seiten, 
Während über des Choafpes Wogen, 

Der ſich wirbelnd in der Tiefe hinwälzt, 

Zu der Riefenftadt der Zug emporfteigt. 

Bor den Kommenden thut mit ehrnen Flügeln 
Weit das Thor fih auf, und durch die breiten 
Feſtgeſchmückten Straßen giebt von Zinnen 
Und von menjchenwimmelnden Dächern freud’ger 
Auf des Volkes ihnen das Geleite; 
Myrtenlaub und Palmenzmweige jtreuen 
Jubelnde Schaaren hin zu ihren Füßen, 

Bis der Pradtpalaft, umringt von blühnden 
Gartenhainen, den für feinen Günftling 

Xerres baun ließ, die Ermüdeten aufnimmt, 


In die Fraungemächer, wo nad) Perfieng 
Brauche Indiſche Mädchen fie bedienen, 
Birgt Arete fih mit ihrer Trauer. 

Aber Phanor, von des Weges Mühjal 

Sich ermannend, folgt alsbald der Yadung, 
Bor des Herrfchers Throne zu erfcheinen; 
Und auf diamantbefäten Roſſe, 

Mit Gefolge von Trabanten, veitet 

Er dem Luftfchloß in den Zagros-Bergen 
Zu, wo RXerxes fi der Sommerfühle 

Freut. Ein immergrüner Wald am Abhang 
Nimmt ihn auf, und dichtverfchlungne Zweige 
MWölben ihm zu Häupten mächt’ge Dome. 
Als der Hain fich lichtet, hoch hernieder 





— 235 — 


Bor ihm braust vom Feljen des Kaprotas 
Silberfluth. Als ob das Licht von Ormuzd' 
Neinem Himmel fi in Tropfen löſe, 
Unaufhaltfam rinnen die fryftallnen 

Wellen aus der blendenden Höhe nieder, 
Stürzen taumelnd in die jchwindlige Tiefe 
Und entjprühn in weißem Wirbeljchaume 
Wiederum dem Abgrund, an der Pinien, 

An der taufendjährigen Cypreſſen 

Wipfel bligende Flocken hängend. Ningsher 
Im melodiſchen Sturme brechen neue 
Ströme aus den Felſen vor und jauchzen 
Mit im jubelnden Getümmel. Aber 

Oben hoch, wo auf dem feuchten Staube 
Regenbogen windgewiegt ſich ſchaukeln, 

Wie von Geiſtern in der Luft getragen, 
Schwebt in hehrem Sonnenglanz des Königs 
Luſthaus, der auf ragenden Terraſſen 

Dort, in hängender Gärten ew'ger Friſche, 
Seine Weltreich-Pläne ſinnt. Von ferne, 
Während über den donnernden Abgrund aufwärts 
Ihn das Roß auf hochgewölbten Brücken 
Trägt, ſieht Phanor ſchon des Prachtbaus goldne 
Kuppeln auf den lotosknaufgeſchmückten 
Säulen ihm entgegenleuchten. Oben 

Bieten Sklaven knieend ihm den Nacken, 

Als er aus den Bügeln ſteigt, und weiter 
Führen Diener ihn durch lange Gänge 
Längs geflügelter Stiere Marmorbildern. 
Eine Halle folgt, wo die „Getreuen“ — 
Achtzigjähr'ge Greiſe all mit weißen 
Wallenden Bärten — Wache halten; endlich 
Oeffnen ſich des Thronſaals Silberthore. 
Dort auf hohem, purpurüberhängtem 

Thron, den mit Juwelen überſtreute 


—:,256 — 


Pfeiler tragen, ruht der Herr der Erde, 

Auf der Stirn die bligende Tiare. 

An den Stufen aber reihn des Reiches 
Würdenträger fich, des Feuerdienftes 
DOberpriefter. Eben ihm zu Füßen 

Knien des fernen Aethiopenlandes 
Abgefandte, Huld’gung ihm zu leiften. 

Dod dem Kommenden, faum daß er eintritt, 
Schreitet Xerre8 zum Begruß entgegen 

Und gebeut ihm, nächſt dem Thron zu figen; 
Dann erjt den Tribut der Schwarzen Männer, 
Elfenbein und Ebenholz und Weihraud), 
Nimmt er lächelnd an. Der erfte Höfling 
Meldet weiter: Noch aus Afiens Norden 
Jenſeits von den himmeljpaltenden Bergen, 
Die das Yand der ew’gen Nacht, des Eifes 
Unwirthbare Deden von des Oxus 
Kiederungen trennen, harren Männer, 
Fremd von Antlig und in Thierfellmämmijer 
Tiefverhüllt, den Staub zu deinen Füßen, 
Herr des Weltalls, ehrfurchtsvoll zu küſſen! 
Aber Xerxes winkt: Bis morgen warten 
Mögen fie! Yaßt mich allein mit Phanor! 


ALS fie AU gegangen, zu dem Griechen, 
Ihm die Nechte bietend, fpricht der König: 
Dank dem Mithras fag’ ich, meinem Schüter, 
Daß er dich zurüd mir führt, mein Phanor! 
Ohne dich im wimmelnden Gedränge 
Meiner Höflinge, ohne dich im Yager 
Einfam fühl’ ich mich; denn fein Berather 
Lebt mir, der dir gleich! Feſt wie auf Felſen 
Gründ' ich mein Bertraun auf deine Weisheit, 
Deine Treue. Heut in ernfter Stunde 
Triffft du ein, zu großem Werf bedarf ich 





237 — 


Deiner. Seit Darius, mein erhabner 
Bater, in die Schattenwelt gefchieden, 

Wars, das weißt du, meines Strebens Endziel, 
Frans Macht und unfres Drmuzd Pichtreich 
Bis zu der Erde Gränzen auszudehnen. 
Was mein Ahn Kai Chosru halb vollführte, 
Nahezu gelang mirs; von den Syrien 
Lybiens bis zum ſturmdurchwühlten Pontus 
Iſt der Weſten mein, und huld'gend neigen 
Sich der Scythen Könige am Iſter 

Meiner Macht! — Das übermüth'ge Hellas 
Beut mir Trotz nur, und ſeitdem am Athos 
Meines Vaters Flotte dem Orkane 
Unterlegen, mehr und mehr gewachſen 

Iſt ſein Uebermuth. Die frechen Griechen, 
Wirſt dus glauben? hatten Hohn und Spott nur 
Für die Boten, die mir heim von ihnen 
Erd' und Waſſer als der Unterwerfung 
Zeichen bringen ſollten. Unter allen 

Ihren Städten bläht in eitler Hoffart 

Sich Athen, zu Widerſtand die andern 
Stachelnd; in Jonien — alſo wird mir 
Kunde — hat es neu des Aufruhrs Flamme 
Angeſchürt; allein, bei Ormuzd! beugen 
Will ich es zum tiefſten Staub; und daß mir 
Dieſes Hellas nur als Brücke diene, 

Bis nach Gades, bis an des Herakles 
Säulen meine Herrſchaft zu verbreiten, 
Herberufen hab' ich von den Marken 

Meines Reiches Turans, Indiens Völker, 
Ja, noch jenſeits vom Jaxartes ſolche, 
Deren Namen nie dein Ohr vernommen. 
Wie vom Kaukaſus, wenn vieler Winter 
Schnee auf ſeinem Gipfel ſich gethürmt hat, 
Seine Maſſen in Lawinenſtürzen 


— 2383 — 


Allverheerend auf die Ervdenthäler 
Niederdonnern, alfo über Hellas 
Soll das Kriegsgemitter fich entladen. 


Prüfend in des Freundes Auge blidte 
Xerxes; Antwort aber gab ihm Phanor: 
Herr! die Dankbarkeit für alle Huld, die 
Du auf mich gehäuft, legt mir die Pflicht auf, 
Ueber Alles dein und deines Reiches 
Wohl zu achten; drum, da meines Rathes 
Du begehrit, vernimm ihn: Zu gering nicht 
Achte der Hellenen Macht! nicht Feindjchaft 
Irennt fie mehr wie ehmals. Oder waltet 
Hader no und Haß, beim erjten Angriff 
Der von Perjien droht, wird er vergehen, 
Die im goldnen Morgenftrahl der Nebel 
In Penteles Schludt. Durch alle Stämme 
Wird, die vielzertheilten, eine mächt’ge 
Flamme lodern, drin die alte Zwietracht 
Schmilzt, daß nicht mehr Sparta ift, noch Elis, 
Nicht Korinth, noch Argos. Aber wenn du 
AW die andern auch div unterwürfeft, 

Nie Athen doch, glaub’! wirft du bezwingen; 
Denn ein Sig des Muthes, der an eines 
Alles jest, der Freiheit feſtes Bollwerk 

Iſts geworden, feit auf jener Ebne 

Deines Vaters Heere ihm erlagen, 

Und ehr unter ihrer Mauern Trümmern 
Werden feine Bürger fich begraben, 

ALS fich dir zum Frohndienſt zu bequemen! 


Yächelnd gab zur Antwort ihm der König: 
Daß fie Prahler find weiß ich jeit lange, 
Und bethört hat ihrer Einer, jcheint es, 
Deinen Haren Geift. Was fie als Freiheit 





— 239 — 


Preifen, eben das ift ihr Verderben, 

Und in tollem Rauſche alles Heil’ge, 
Altehrwürd’ge niederreigend jtürzen 

Selbft fie häuptlings in den Untergang fich. 
Wider fie, mit mir verbündet, wirfen 

Des Pififtratus vertriebne Entel, 

Wirken al’ die Sprofjen edler Ahnen, 

Deren angeftammtes Recht — vom Bater 
Auf den Sohn vererbt — jie angetaftet. 
Doch was brauch’ ich Bundsgenofjen? Eines 
Schon der Heere, wie ich hundert auf fie 
Schleudern will, ſchon Baktras fühnes Bergvolk, 
Felshart wie der Boden, dems entſproſſen, 
Reichte hin, dies Völklein zu zermalmen. 


Ihm ermwidert Phanor: Herr erwäge, 
Wenn zu Myriaden, wenn jo zahllos 
Wie der Herbitfturm welfe Blätter, dur auch 
Gegen Weiten deine Völker wälzeſt 
Und, des Hellespontes Meeresenge 
Ueberbrüdend, fie durch Thraciens Schluchten 
In das Herz von Hellas führft, noch immer 
Bor dir fliehen wird der Sieg. Vom Feſtland 
Auf das Meer fich rettend deiner jpotten 
Wird Athen. Bertraut find feine Söhne 
Mit der dunfelblauen Fluth des Aegeus, 
Und von Kindheit auf in ihrem Schooße, 
Wie im Schooß der Mutter, haben alle 
Sie gejpielt. Zertrümmre ihre Häufer, 
Ihre heil’ge Stadt lebt auf den Wogen 
Fort und wird im Kampf mit dir nicht raſten, 
Bis vom Boden Griechenlands den legten 
Deiner Krieger fie vertrieben, und fich 
Prächt'ger, als fie je gewejen, wieder 
Aus dem Schutt die Pallas-Stadt erhoben. 


2 


Sprachs und ſchwieg; jo aber gab ihm Antwort 
Xerxes: Sorglich, daß auf ihrer Seemacht 
Ihre einz’ge Hoffnung ruht, erwog id). 
Sahrelang in allen feinen Thälern 
Hallt der Yibanon drum von der Aexte 
Schlägen, welche jeine Cedern fällen, 

Und in Tyrus’ und in Sidons Häfen 
Wandelt der Phönicier Kunft die Stämme 
Mir zu NRiefenjchiffen um. Die Flotte — 
Nein, nicht Flotte, eine ſturmbeſchwingte 
Menfchenwimmelnde Stadt ift fie — mer fünnte 
Beſſer fie, als du befehl’gen? Jede 

Klippe im Aegeer-Meere fennft du, 

Und wenn im entfefjelten Kriegsorfane 

Du fie wider Hellas führft, wie fchwache 
Halme fniden werden der Athener 

Maſten vor der losgelaſſnen Windsbraut. 

So an deinem eignen Bolfe jchaffe 

Rache dir für die erlittne Unbill — 

Als Satrap ſollſt, als mein zweites Selbſt du 
Ueber Griechenland und feine Inſeln 


Herrchen. 


Wie ers ſprach, erhob fich Xerxes; 
Und des Freundes Widerrede hemmend 
Fuhr er fort: Bei unfrer Freundfchaft, Phanor, 
Heiſch' ich diejen Dienft von dir. Du — du mirft 
Sicher in den Staub Athen mir werfen! 
Noch die Wintermonde mir zur Seite, 
Während Alles ich zur Heerfahrt rüfte, 
Sollft du mweilen; aber wenn das junge 
Fahr mit feinen erjten weißen Blüthen 
Um uns her die Hügel meines Sufa, 
Meiner Lilienftadt, beftreut — aufbrechen 
Laß vereint ung zum Erobrungszuge! 


— 





= — 


Phanor ging mit tieferfchütterter Seele, 
Da, al3 Dank für alle die erwieine 
Wohlthat, Xerxes Soldhes von ihm heiſchte. 


Fünfter Geſang. 


Unterdeg gen Sardes in das Yager 
War Foniens freiheitdurft’ge Jugend 
Bon des Latmos, des Mefjogis Höhen 
Und vom Meerftrand Hingeftrömt. Die Thäler 
Kings, die Bergeshänge mwivderhallten 
Bon der Thatenluft'gen Kriegsgefängen, 
Ihrer Waffen Schall. Zurücgeworfen 
Zu zwei Malen war mit feiner Heerſchaar 
Beffus, Perſiens Satrap in Lydien, 
Bon dem tapfern Häuflein; aber klein nur 
Blieb e8. Krieger hatten einzig Myos, 
Teos, Kolophon gefandt: der andern 
Städte Beiftand und der Samierflotte 
Hilfe ward umfonft erhofft. Bon Dften, 
Drohend wie gemitterfchwere Wolfen, 
Rückte Beſſus da mit neuem, mächt'gem 
Sriegsheer wider fie, den Bogenſchützen 
Parthiens, Paphlagoniens Reiterſchwärmen. 
Schon von einer nahen Warte ſah man 
Weithin unter ihrer Roſſe Hufen 
Wolken Staubs, durchblitzt von ihrer Waffen, 
Ihrer Harniſche Glanz, zum Himmel wirbeln. 
Schack, Ce. Werke. IV. 16 


eg 


Abend ward es; von der Mondesjcheibe 
Wallte Dämmerglanz auf Berg und Ebne 
Nieder, und ſchon flammten einzeln Feuer 
Bor den Zelten auf. Hin durch des Yagers 
Gaffen mit Gemwaffneten, deren Führung 
Ihm vertraut, ſchritt Kallias zu dem Hügel, 
Wo Machaon, den als ihres Werkes 
Lenker Alle ehrten, zur Berathung 
Ihn mit Andern hinbefchieden. Biele 
Fand er dort im Kreife ſchon verjanmelt, 
Und dem Achtzigjähr’gen floß die Rede 
Eben jo vom Mund: Auf uns, uns einzig 
Sind wir num geftellt! Die Hoffnung, daß ung 
Noch von Andern Hülfe fomme, wäre 
Unjrer Feinde ſchlimmſter. Aber mögen 
Die uns feig verlaffen, die in den Städten 
Sich bei Wein und Mahl ergögen! Freud'ger, 
AS fie fich die Stirn mit Rofen fränzen, 
Stürzen wir dem Schlahtgewühl entgegen. 
Nah ift der Entjcheidungstag; jo zahllos 
Wie im Herbft der Wanderpögel Schwärme, 
Wenn ihr Flug die Luft verfinftert, ziehen 
Wider uns der Perſer Heere; doch was 
Zagten wir vor ihrem wogenden Kriegsſchwall, 
Die wir Alle, ehr als daß wir weichen, 

Uns die Bruft mit vothen Todeswunden, 
Bis hinab zum Herzen Haffend, ſchmücken? 
Wer das Erdenkleid als Unterpfand für 
Em’gen Nachruhm in den Staub zu werfen 
Stet3 bereit ift, kann den Sieg gebieten: 
Sei mein Sklav! Und ob er gegen Hundert 
Einer ftehe, aus der Feinde dichtiten 

Reihn vermag er ihn von Xerxes’ Wagen, 
Dem er wie ein gefeffelter Leu durch hundert 
Schlachten nachgefolgt, an fich zu reißen. 


— 43 — 


Sprachs und ſchwieg. Rings aus der Krieger Kreiſe 
Scholl ihm Zuruf laut aus jedem Munde; 
Über Hier voll Siegsvertrauen, dort voll 
Todesahnung. Hoher Greis! nahm Dymas 
Drauf das Wort, in Yacedämon früh jchon, 
Wenn bei Winterfroft wir des Eurotas 
Fluth durchſchwimmen, wenn im Schwertertange, 
Paar an Paar, die Jünglinge fich entgegen 
Schreiten, lernen wir mit Kraft die Glieder 
Stählen, wie mit Mannesmuth die Geele. 

Aber freudig muß ichs mir befennen: 

Hier auch füllt ein Hauch von des Tyrtäus 
Geiſt der Krieger Bruft, daß fie nicht beben, 
Wenn die Möre ihre dunfeln Looſe 
Schüttelt. 


Und von hundert Stimmen tönte 
Durch die Reihn das Lied: Feſt an die Tartſche 
Drängt das muth'ge Herz, wenn ſich des Kampfes 
Blutiges Gewirr erhebt! Der Männer 
Keinem, ſei er auch vom Götterſtamme, 
Ward beſtimmt dem Tode zu entfliehen, 
Und ſüß iſt fürs Vaterland das Sterben, 
Wenn der Tapfre, kühn dem Feind das Antlitz 
Bietend, hinſinkt in den vordern Reihen. 


Als das Lied verſtummte, ſo zu Kallias 
Sprach der Greis: Nah kann der Perſer Angriff 
Sein; drum ehe noch der Berge Gipfel 
Eos röthet, auf des nahen Hügels 
Warte klimm, um nach dem Feind zu ſpähen, 
Und bereit laß Lydiens beſte Roſſe 
Halten, um von ſeiner Regungen jeder 
Uns durch Boten Kunde ſchnell zu ſenden! 


— 24 — 


In fein Belt, dort furze Zeit zu raſten, 
Schritt Machaon; auch die andern Krieger, 
Durch das Yager fich vertheilend, lagen 
Bald in Schlaf verfenkt; der Auf der Wachen 
Einzig ſcholl noch. Aber Kallias jprengte, | 
Nicht den Tag erwartend, nad) dem Higel, 
Und Gedanken bald ans theure Hellas, 
An Arete bald und wieder drauf an 
Kampf und Tod im wilden Schlachtgewühle 
Drängen wechſelnd fich in feiner Seele. 


Auf des Hügels Spitze heißt Alfander, 
Der dort Wacht gehalten, ihn willfommen; } 
Und die Beiden pflegen bei einander 
Sitzend lang noch Zwieſprach von Joniens 
Und von Hellas' Hoffnung. Als die Sterne 
Nach und nach erbleichen, ſo ſpricht Kallias 
Zu dem neugewonnenen Freund: Erfülle 
Einen Wunſch mir: wenn nach dieſem Kampf du 
Mich nicht wiederſiehſt, ſeis daß die Perſer 
Mich hinweggeſchleppt, ſeis daß der Schlachttod 
Mich ereilt, bring’ an des Phanor Tochter 
Dies von mir und thu’ ihr fund, daß treu mein 
Herz ihr immer blieb! 


Er ſprachs und reichte 
Bei der Frühe Schein den Freund ein Täflein, 
Drauf er Worte ſchrieb. Jedweden Dienft dir, 
Fuhr er fort, gelob’ ich, wenns verhängt tft, 
Daß ich lebend, frei das Schlachtfeld Laffe. 


Ihm die Rechte bietend ſprach Alfander: 
Bau’ auf mih! Doch nicht um Gleiches bitten 
Kann ich dich: dem Vaterlande einzig, 

Aber Feinem Weibe noch in Yiebe 





a 


Bin ich zugethan. Allein im Lager 
Harrt man meiner; Freund, ih muß dich laſſen! 


Und von dannen fprengt er, während höher 
Aus der Finfterniß ringsum der Berge 
Spigen tauchen und wie Purpurinfeln 
In der Fluth der Morgennebel Schwimmen. 
Als die Dünfte fchwinden, in der Ebne 
Sieht und auf den Höhen allhin Kallias 
Sich) der Perjer Heergemwimmel dehnen, 

Und fein Bli verirrt fi in der Völker, 
In der Trachten fluthendem Gewühle. 
Siehe! gleich dem Meer im Morgenwinde 
Negen fi die Waffen; von der Roſſe, 

Bon der Reiter ehrnen Schuppenpanzern 
Hüpft ein bligender Lichtſtrahl durch die Yüfte. 
Daß heran zur Schlacht die Feinde rüden, 
Sagt der Wimpeln Flug, die nah und näher 
Flattern. Kallias läßt verhängten Zügels 
Reiter mit der Botjchaft zu Machaon 
Fliegen; eilendS jelbft zu feiner Schaar dann 
Sich gefellt er, fie ins Feld zu führen, 

Und alsbald mit Schmetterton erichallen 

In Joniens Yager die Drommeten. 


Auf dem Schlachtenwagen, den zwei weiße 
Roſſe ziehen, hoch die blinfende Yanze 
Schwingend gab der greife Held Machaon 
Für des Heeres Ordnung die Befehle; 
Und das Fußvolf und die Roffetummler, 
Seinem Wink gehorfam, drängten Schwarm auf 
Schwarm fi durd) das Feld. Bon drüben nahte 
Mit den menſchenmähenden Sichelwagen, - 
Gleich als wär's zum Erntefeſt des Todes, 
Afiens ungeheures Heergemoge; 


246 — 


Seiner Bauten Schall erhebt ſich dröhnend 
Himmelwärts, und al3 die Vorderreihen 

Auf einander treffen, mengt mit Yanze 

Yanze fich, Roß wiehert dicht am Roſſe. 

Auf den Boden feft geftemmt die Füße, 

Mit dem Schild die Bruft gededt, bricht Kallias 
Wie ein Keil ins wirre Knäul der Feinde 
Seinem Häuflein Bahn mit wucht’gem Speere. 
Aechzen von Erjchlagnen, Stegesjubel 

Halt um ihn, und Leichen über Yeichen 
Ihürmen fih. Ein Braufen ringsum war es 
Die im Wald, wenn in des Herbites Sturmwind 
Krachend feine Zweige an einander 

Schlagen. Bor der Meder mächt’ger Steule 
Fiel der Eine hin zermalmt; vom Fangitrid, 
Den die Baktrer jchleuderten, wurden Andre 
Fortgeriffen und vom Dolch der Wilden 

Dann durhbohrt. Dem Meer am Vorgebirge 
Sunium glei, wenn es mit vollenden Wellen 
Um die Klippen ſchäumt, hinauf, hinunter 
Wogt die Schladt; Joniens Krieger brechen 
Durch der Pfeile Flug, die ſauſenden Speere 
Bahn fich, ob auch rechts und links zu Boden 
Sterbende finfen; ihre erznen Schilde 

Klingen von dem Anprall der Geſchoſſe; 

Wo fie vorwärts dringen, wallt ein Blutftront. 
Aber immer neue Feindesfchaaren 

Yichten mählig ihre wanfenden Reihen; 

Nicht Machaon mit der ftrahlenden Yanze 

Sieht man mehr; geftürzt vom Sclachtenwagen 
Sit ex, Sterbende deden haufenweife 

Um ihn her die Erde. Aufrecht ftand noch 
Kallias in der Mitte Hingejunfner ; 

Dann durch einen Speerwurf ward vom Haupte 
Ihm der Helm geriffen. Stürmiſch ſprengte 


——— 


— 47 — 


Wider ihn ein Schwarm von Berjerreitern; 
Dei dem Andrang janf mit flirrender Rüftung 
Er zu Boden, und die Reiter fausten 

Ueber ihn dahin mit Stegesjauchzen. 


Yange dunkel blieb es ihm im Geifte. 
Dann, daß auf ein Roß gebunden itber 
Berg’ und Thäler man am jengenden Mittag 
Wie beim Froft der Nacht hinweg ihn fchleppte, 
Ward gewahr ev. Wieder mwechjelnd ſchwanden, 
stehrten ihm die Sinne. Vorwärts immer, 
Naftlos vorwärts gings; wie viele Tage, 
Nächte? jeine fiebernden Pulſe einzig 
Maßen fie mit ihren wilden Schlägen. 
Todesſtarrheit hatte lang die Sinne 
Ihm gebunden; als fie wiederfehrten, 
Fand er fich in grabestiefem Dunfel. 
Wie er fterbensmatt die Glieder vegte, 
Tönte Kettenrafieln. Nach und nad drauf, 
Daß in finfterm Kerker er gefefielt, 
Ward er fi bewußt. Der glühenvden Yippen 
Durft zu ftillen, ftand ein Wafjerbeden 
Neben ihm. Bisweilen hallte Klivren 
Schwerer Riegel an fein Ohr, und drehen 
Hört’ er fich ein Thor auf ehrnen Angeln. 
Dann auf Augenblide glitt ein matter 
Schimmer durch die Finfterniß; er fchaute 
Eine Geftalt, die iiber ihn fich beugte, 
Drauf verſchwand; gefüllt war neu das Beden, 
Und ein Brod lag ihm zur Seite. Irr ward 
Halb im Wachen, halb im Schlummer hierhin, 
Dorthin ihm der Geift gejagt. ein Hellas, 
Ueberſchwemmt vom Heere der Barbaren, 
Sieht er, fieht Athen zur Trümmerſtätte 
Umgewandelt und im Schutt der Tempel 


ra 


Seiner Götterbilder Pracht begraben; 

Roth von Blut gehn des Kephifjos Wellen; 
In den Winden weht die graue Aſche 

Bon zerftörten Städten, und in öden 
Straßen kämpfen Wölfe mit den Geiern 
Um die Leichen ihrer erwürgten Wohner. 
Aus dem wüſten Graungefichte rettet 

Seine Seele fih in Nacht, wie Nichtfein 
Tief. Doch wieder dann, daß ihn Berzweiflung 
Nicht umdunfle, fenden holde Träume 

Ihm die Götter: in des Morgens Lichte 
Sieht et Pallas ihre ftrahlende Yanze 

Ueber Attifas beglüdte Fluren 

Und der heiligen Stadt Heroengräber, 
Tempel und Altäre jcehügend breiten; 

Bor der Himmliſchen fliehn des Perjerheeres 
Taufend-Taufende; und er jelbit gerettet, 
Der befreiten Heimath Lüfte wieder 
Athmend, wandelt an Aretes Seite 

Durch Kolonos’ immergrüne Waldnadht, 
Wo aus dunfeln Epheus Schattenfühle 
Nachtigallen im Silbertone flöten, 

Dver läßt mit ihr von des Anchesmos 
Delbaumprangendem Hang die Blide fernhin 
Auf die Thefeusftadt, des Olympion Säulen 
Und des Meeres duftige Inſeln gleiten. 


Lange, lange Monde hatte Kallias 
In des Kerkers ewig ftummer Grabnacht 
Keiner Menſchenſtimme Laut vernommen. 
Einſt den Wärter da, an den umſonſt er 
Oft das Wort gerichtet, hört er alſo 
Reden: Jüngling, ſtreng iſt mir geboten, 
Angekettet hier dich zu bewachen; 
Doch mein Herz vermag ich nicht dem Mitleid 


— 249 — 


Zu verfchliegen. Einen Sohn einft hatt’ ich; 
Lebt' er noch, jo wär’ er deines Alters. 

Und an ihn, als dich hierher die Krieger 
Brachten, fand ich mich bei deinem Anblid 
Sp gemahnt, al3 ob er vor mir ftände. 
Daß dein Yeben hier verwelfe fürcht’ ich, 
Wenn du diefen Moderdunft nur athmeft. 
Komm’ denn! jeden Tag auf eine Stunde 
Löſ' ich dir die Fefleln, daß du droben 

Auf dem Dach des Thurmes dich ergeheit. 


Und die Ketten von ihm nehmend führte 
Ihn der Wärter fteile Treppen aufwärts 
In des Tages ungewohnte Helle. 

Auf den Zinnen eines himmelhohen 
Thurmes, der auf fahle Bergesrüden 
Niederichaute, fand fih Kallias. Düftre 
Schlünde, mit des Korkbaums grauen Stämmen 
Spärlich nur bewachlen, gähnten allhin; 
Nur nad einer Seite lag ein Blachfeld, 
Unbebaut und menfchenleerr. Dem Jüngling 
War des Himmels freie Luft zu athmen 
Yabjal ſchon. Zurück von Neuem ward ev 
Ins Berließ gebracht; allein er fonnte 

In der Hoffnung auf den nächſten Tag nun 
Yeichter feine Kerferqualen dulden. 


Als nach bang gezählten Stunden wieder 
Auf dem Dach er ftand, von unten fernher 
Klang e3 wie Gejchmetter von Drommeten 
An fein Ohr; in Paufen nur vom Windſtoß 
Ward der Ton zu ihm emporgetragen. 

In die Tiefe blidend, dichtgefchaarte 
Heeresmafjen, Wolkenjchatten ähnlich, 
Sah er ziehn; durch Wirbel Staubes jagten 


oe 


Reiterſchwärme; von des Fußvolks Tritten 
Hallte dumpf der Boden, daß jein Dröhnen 
Bis nach oben ſcholl. Auf Kallias’ Frage 
Antwort giebt der Wärter, als zum Kerfer 
Er ihn wieder leitet: Unaufhaltjam 

Rückt vom Saum der Erde her, von Aſiens 
Vetter Gränze Kriegsheer hinter Kriegsheer. 
Der erhabne Xerres will das troß’ge 
Griechenland mit allen jeinen Wohnern 
Unterwerfen; und fchon jest, noch eh er 
Selber feine Kriegermyriaden 

Ueber den Hellespont auf luft’ger Brüde 
Führt, die Heergejchwader ſchickt er weſtwärts. 
Sp wie hier ftarrt zwijchen Indiens Bergen 
Und dem Meere Joniens von Waffen 

Alles Land; zu uns ward Narbazanes, 

Der Satrap, mit hunderttaufend Kaſpiern, 
Daß fie in Eilicien überwintern, 

Jüngſt gejandt; er weilt am Meer bei Iſſus 
In dem Schloß Roxanens, feiner Schweiter, 
Die dem Sohn des RXerxes furz vermählt war 
Und am Hof des Königs hoc) geehrt wird. 


Wie ein Blitz, der feine Nacht erhellte, 
Fiel der Name in des Kallias Seele. 
Narbazanes! rief er. — Beim Gedächtniß 
Deines Sohnes fei befhworen, bring’ ihm 
Dies von mir und ſag' ihm: bitten laſſ' ich 
Um des Lebens Beftes ihn, die Freiheit. 
Sieht er diejes Kleinod, das er einft mir 
Neichte, ich bin ficher, er gewährt fie! 


Und den Ring mit prächt’gem Chryjolithe 
Zieht er aus der Bruft; der Wärter nimmt ihn 
Und erwidert: Wohl! an den Satrapen 


— 251 — 


Send’ ich ihn durch meiner Diener treuften. 
Freudig wie dem eignen Sohne, glaub’ mir! 
Würd' ich dir des Kerkers Thore öffnen. 


Dange Stunden, Tage harrt der Jüngling, 
Bon des Thurmes Zinne fpähend, ob nicht 
Staub, fernher aufjteigend, ihm des Boten 
Rückkunft melde. Endlich heim des Weges 
Kommt er mit dev Kunde: den Gefangnen 
Selbft joll ic) vor Narbazanes führen, 

Daß er prüfe, ob er jeine Fefjeln 
Löſen dürfe. — Alfo folg’ mir, Grieche! 


Sechster Geſang. 


Im Geleit Gewaffneter zog Kallias 
Weſtwärts durch Gebirg und Schluchtgewirre, 
Bis am zweiten Abend er des Meeres 
Blauen Spiegel und, auf Klippen thronend, 
Einen Prachtpalaſt gewahrte, deſſen 
Hochgewölbte Kuppeln, Thürme eben 
In der Sonne legten Strahlen glühten. 
Fliegende Treppen führten zu des Schlojjes 
Marmordad empor; auf Faspisjäulen 
Ragten goldne Söller, rings aus Nifchen 
Sahen alter Helden Marmorbilder 
Don den Wänden nieder, und vom Felle, 
Drauf es ruhte, jenkften auf Zerrafien 
Sich Yimonenmwälder bis zum Ufer. 


Aufwärts zu dem Bau, durch hallende Höfe, 
Wo der Goldfiſch durch kryſtallner Teiche 
Zitternde Wellen ſchwimmt, in einen Saal wird 
Kallias geführt, und den Satrapen 
Sieht er, der von einem Purpurdivan 
Sich erhebend ihm entgegenjchreitet: 

Sei gegrüßt, mein junger Freund! es ſchmerzt mich 
So gefefjelt dich vor mir zu jehen. 

Hätteft meiner Warnung du geachtet 

Und dich wider des erhabnen Kerres 

Unbezwingliche Heere nicht vermeffen 

In den Kampf gewagt, die Freiheit hätte 

Keiner dir gefürzt. Allein die Ketten 

Löſ' ich gerne dir; geloben einzig 

Mut du mir zuvor, die Waffen nie mehr 

Wider Perfiens Herricher zu erheben. 


Ihm erwidert, muthig ihm ins Antlig 
Schaund, der Jüngling: Fordre, daß der Götter 
Fluch ih auf mein Haupt herniederrufe, 

Ehr, als daß ich ſolchen Eid dir leifte! 

Nein, der Ketten ſchwerſte Yaft zu tragen 
Soll die Hoffnung Kraft mir leihn, einjt werde 
Meine hohe Schügerin Athene, 

Aus der Haft mich vettend, zu den Meinen 
Heim ins theure Hellas mic) geleiten. 

Mag durchs Kerkerjoh mir dann der Glieder 
Kraft gebrochen, mag mein Haar ergraut fein, 
Do, fo lange noch ein Tropfen Bluts mir 
In den Adern rollt, jo lang ein Schwert noch 
Meine Rechte halten kann, auch werd’ ich 
Wider unfres Yandes Erbfeind fümpfen. 


Narbazanes drauf: Um deine Thorheit 
Thuts mir leid! Zwei Tage noch Bedenkzeit 


— 5 — 


Geb’ ih dir; allein, wenn du bis dahin 
Andern Sinnes nicht geworden, muß ich, 
Wie es mich auch jchmerze, in den Kerker 
Neu dich jchleppen lafjen, und noch jchwerer, 
Daß fie deinen Starrfinn brechen, Jüngling, 
Sollen Eiſenjoche auf dir laften. 


Während jo er fpricht, iſt aus der Halle 
Nebenan Rorane vorgetreten, 
Und auf Kallias die dunfeln Augen, 
Tief wie wolkenloſe Sommernädte, 
Heftend redet fie zum Bruder aljo: 
Diefjem Griehen — muß ich dran dic) mahnen? — 
Dankſt das Leben du, und nun in Ketten 
Sehen fannft du ihn? Daß jolde Gluth ihm 
In der Seele flammt, daß über Alles 
Theuer ihm jein Hellas ift, ich preif’ ihn 
Hoch darum. Tritt näher, edler Jüngling; 
Bon den Armen nehm’ ich dir die Felleln. 


Doch, wie feſtgewurzelt, feinen Schritt thut 
Kallias; jtaunend zu dem hohen Weibe 
Blickt er auf; ihm ift, als ob der Here 
Marmorbild lebendig vom Altare, 
Wo er oft als Knabe ihr geopfert, 
Niederfteige. Lächelnd tritt die Fürftin 
Drauf zu ihm heran und löft die Fefleln 
Mit der lilienweißen Hand. Gejchehen 
Läßt es der.Satrap, doch fpricht voll Ernites: 
Mein Bertraun wirft du nicht täufchen, Grieche, 
Das verbürgt dein Blif mir, den fein Wölkchen 
Falſchheit trübt. Allein vernimm: verjuchteft 
Du mir zu entfliehn, jo würden taujend 
Schwerter wider deine Bruft gezüdt jein. 
Nach zwei Tagen deine Willensmeinung 


gt 


Thu mir fund! Gelobſt du was ich heijche, 
Sp fteht frei der Rückweg dir nad) Hellas; 
Aber mweigerft dus, jo muß ich, Solches 
Heiſcht die Pflicht von mir, dich in der Veſte 
Unterftem Verließ es büßen lafien. 


Bis dahin, fiel ihm ins Wort Norane, 
Sei er denn mein Gaft! Wenn du dem Xerres 
Schuldeft, unfer Heer vor jeines Armes 
Kraft zu ſchützen! ich, als unſern Feind nicht, 
Nur als deines Lebens Netter fenn’ ich 
Ihn. Ihr Sklaven auf! in meines Schlofjes 
Prädtigften Gemächern joll er wohnen; 
Schmückt fie feitlih, um ihn zu empfangen! 


Mildern Tons drauf jagte Narbazanes: 
Nicht vergaß ich, wie ich, wadrer Jüngling, 
Dir verjchuldet bin. Sei weile, wie du 
Tapfer bift! Erfülle, was von dir ich 
In des Königs Namen heifchen mußte, 

Und von Perferdankbarfeit ein Zeugniß 
Sollft du mit dir heim nach Hellas nehmen. 


Keiner Frift, ſprach Kallias, bedarf eg, 
Daß ich mich entfcheide. Seiner Täufchung 
Sieb dich Hin! Wofern du wähnft, ich fünnte 
Meinem befjern Selbjt je untreu werden, 
Sende gleich zurück mich in den Kerker. 


Der Satrap darauf: Die Zeit wirft Wunder, 
Freund! und über Nacht kommt befirer Rath oft. 
Schon zum Untergang neigt fih Orion. 

Geh der Ruhe pflegen jest, und Ormuzd' 
Segen malte über dir! 


Zum Gehen 
Wandt' er fi; zuvor den Saal verlafjen 


— 


Hatte ſchon Roxane, daß ſie Alles 

Zum Empfang des Gaftes ordne. Kallias, 
Bon des Tages Mühſal überwältigt, 

Folgt den Sklaven in die Prachtgemächer 
Und wirft übermüdet fich aufs Yager. 

AS am Tage drauf der Traumgott, der ihn 
Freundlich in fein Hellas heimgeleitet, 

Bon ihm weicht, ift nahe ſchon die Sonne 
Ihrem Mittagsftand. Auf eine Sklavin 
Fällt fein Blid, die unfern feiner Ruhſtatt 
Steht, und tiefvermundert hört er, wie fie 
In Hellenenfprache zu ihm redet: 

Dieſe Prunfgewänder, Fremdling, bringen 
Soll id) dir; nach Iſſus plöglich wurde 
Der Satrap gerufen und fehrt morgen 

Erſt zurüd; doc) meiner hohen Herrin 
Wunſch ifts, daß du bald vor ihr erjcheineft. 


Schnell gefaßt drauf Jener: Griechin bift du 
Und fannft glauben, ein Hellene werde 
Durch Barbarenkleidung fi) entehren ? 
Eile! deiner Herrin melde, anders 
Nimmer al3 in Tracht der Griechen wird’ ich 
Bor fie treten. 


Seiner Weijung folgend 
Geht Erigone; doch, al3 vom Yager 
Er fih faum erhoben, fehrt zurüd fie 
Mit der Meldung: deinen Willen achtet 
Meine Herrin; folge mir zur Stelle. 


Bor ihm jchritt die Sklavin durch des Schlofjes 
Zange Gänge bis in eine Halle, 
Die von Porphyr ftrahlte; Blumenfränze 
Wanden fih um Wlabafterfäulen, 


ee 


Und durch hochgewölbte Bogenfenjter 

Glitt der Blick hinabwärts auf des Ufers 
Schmwellende Hügel, wo aus dunflem Yaubgrün 
Der Granate Purpurfrüchte glängten 

Und Limonen bleich durchs Blätterdidicht 
Dlinften. Hallend auf zu den Altanen 

Stieg der Meerfluth Brandung, die ſich unten 
Mit der Schiffe fernhingleitenden Segeln 

Bis ins Unermeßne dehnte. Kaum war 
Kallias eingetreten, al3 Roxane 

Hold ihn grüßte. Rückgeſchlagen wallte 

Um ihr Haupt der Schleier, und der Yoden 
Schwarze Fluth umdunfelt nachtgleich ihres 
Nadens Marmorglanz. Der Sphinx Aegyptens, 
Die mit ihrer Züge Schönheitzauber 

Schon der Menjchen frühe Welt beftridte, 
War fie gleich an Antlis, und gebannt ſtand 
Sallias, wie fie fprah: Sei, Freund, willfommen ; 
Und als Herr in dieſem Schlojje walte! 

Dein, jo weit das Auge reicht, iſt Alles. 
Diefe Haine, die mit goldnen Früchten 
Prangen, diefe Hügel, wo die Winzer 

Mir der Weine Föftlichjte feltern, nennen 

Did) Gebieter. Als der Herrichaft Zeichen 
Nimm den Ring hier mit der Edelperle, 

Die aus tiefftem Meerjchlund dieſes Golfes 
Taucher mir geholt! Des ganzen Oſtens 
Kön’ge werden den Befig dir neiden. 


Ihr erwidert Kallias: Du verhöhnft mich! 
ALS Gefangner weil’ ich hier, und wieder 
Dald wird mich der düſtre Kerker bergen. 


Frei bift du — fällt ihm ins Wort Roxane — 
Doch mit einem andern Band umfchlingen 


— 257 — 


Will ih dich; nur leicht find feine Maſchen, 
Aber um dein Herz gemwoben werden 

Feſter fie als Erz dich) an mich fetten; 

Nie mehr diefen Wohnfig unfrer Wonne 
Darfit du lafien. 


Doch zu ihr fpricht Jener 
Leuchtenden Blids: Für Baterland und Freiheit 
Kämpft der Grieche; Schmach ihm, wenn die Pflicht er 
Einem Weibe opfert! 


Drauf die Fürftin: 
Nicht jo vajch, Unbändiger! Bernimm mic: 
Eben weil du Grieche bift, zum Liebling 
Meiner Seele hab’ ich dich erforen. 
Früh ſchon ließ Erigone, die Sklavin, 
Mic für der Hellenen Bolf erglühen, 
Und hoch flammte mir das Herz, wenn fie mir 
Bon der Argonauten Zug erzählte, 
Wie der fühne Jaſon von des Dradens 
Wuth das goldne Widderfell erfämpfte; 
Mir erzählte, wie am Strom Sfamander 
Wetterwolkengleich der Krieg fich ballte 
Und durch feine Wirbel die Achäer 
Stürmten, um von Ilions hoher Zinne 
Sich herab den Sieg zu reißen; o wie 
Staunt’ ich, wenn auf donnerndem Schlachtenwagen 
Mit dem flatternden Helmbuſch Diomedes, 
Ajas durch der Troer Reihen brauste; 
Mit bei ihrem Thatenjubel jauchzt' ich, 
Weinte mit bei ihren ZTodtenflagen. 
Groß find Frans Helden, aber größer, 
Herrliher als unjer Ruſtem dünkt mic 
Eur Adill, eur göttlicher Patroflus. 

Schack, Gej, Werke. IV. 17 


— 258 — 


Habe Dank! fällt Kallias ein: vor Freude, 
Daß du der Hellenen Helden preifeft, 
Hebt fich hoch mein Herz. — Dann Jene weiter: 
Und nun ihrer Einen, des Peliden 
Abbild jeh’ ich vor mir — dich, Öeliebter! 
Schon als in Jonien vor des Bruders 
Zelt ich dich erblidte, klopften ftürmifch 
Alle meine Pulſe dir entgegen; 
Doch wie von des Himmels Blitz getroffen 
Stand ich da; drauf, als ich zum Bewußtſein 
Neu erwachte, warft du mir entfchwunden. 
Boten ſchickt' ich fruchtlos Dich zu ſuchen, 
Und in Nacht verhüllte fich mein Yeben. 
Aber Ormuzd hat, der höchfte Yichtgeift, 
Dich mir hergefandt, du junger Sriegsgott, 
Und in Fefleln, ſüß wie fein Gefangner 
Jemals noch fie trug, will ich dich ſchlagen. 
In den Hallen hier, auf den Terrafjen 
Yaß uns ruhn, und bei des Springquell3 Plätjchern 
Unfre Herzen, an einander pochend, 
Holde Zwieſprach halten! Oder unten 
In des Haines dichtverfchlungnen Yauben, 
Wo, wie Mondlicht, durch die ew’ge Dämmrung 
Der Drangen goldner Schimmer zittert, 
Ström’ ich alle meine Herzensmwonne, 
Alle Quellen meines tiefften Weſens 
In das deine, während in Himmelsflammen, 
Wie das heil’ge Feuer über Mithras’ 
Stirn, die Liebe lodernd über unfrem 
Haupt zufammenfchlägt. 


In ihrer Stimme 
War ein lang, der hin durch alle Nerven 
Bebte; ein geheimnißvoller Zauber, 
Ihres dunfeln Auges Gluth entquellend, 


—'1259 — 


Lud zu Schlummer und zu heißen Träumen, 
Die wie Flügel wonnevollen Todes 

Um die Seele wehen. Gleich dem Wandrer, 
Der in eines Waſſerſturzes Wirbel 
Niederftarrt und in den ſchäumenden Abgrund 
Schwindelnd fich hinabgerifjen fühlt, fteht 
Kallias vor der Schönen da; den Boden 
Fühlt er unter feinen Füßen zittern, 

Und ein nie empfundenes Entzüden 

Will hinab in felgen Untergang ihn 

Ziehen. Nicht daß ſchon Hin durch den Saal ſich 
Dämmrung breitet, hat er wahrgenommen. 
Auf den Wink der Fürftin bringen Sklaven 
Eine Tafel, drauf in Silberſchüſſeln 

Alles prangt, was Köftliches die Erde 

Und die Meerfluth beut, das Neſt, das Indiens 
Schmwalben hoch an himmelnahe Feljen 
Hängen, wie der Tiefe köſtliche Mufchel, 

Des Neptun Geſchenk. Auf Purpurpoliter 
Muß der Füngling an der Schönen Seite 
Sigen und, ihm Wein vom Euphrat bietend, 
Der in fryftallner Schale perlt und funfelt, 
Spricht fie: Siehe! der Geftirne Reigen 
Schon führt Anahid herauf. O Füngling, 
Noch nicht ahnt du, welche hohen Wunder 
In des Dunfels Schooß verborgen ruhen, 
Wenn die Nacht mit ihren thauigen Yippen 
Jeden Schein des Tags in Schlaf geküßt hat 
Und allein der Liebe Sonne leuchtet. 

Dann erft wird das Herrlichſte des Lebens 
Uns zu Theil, wenn ſelbſt der dreiften Sterne 
Strahl nicht dur) des Epheus, der Springe 
Blätterneg ſich einftiehlt, unter dem mir 
Schmachtend an geliebtem Bufen ruhen 

Und in heigem Athemzug des Andern 


— 260 — 


Seele in uns ziehn, indeß der Yiebe 

Duft’ger Hauch, in Tropfen Thaues zitternd, 
Sich an unfre Locken hängt, und Ader 

Dit an Ader Hopfend, wie mit Klängen 

Aus dem Chor der Ephären uns beraufcht. Freund, 
Nicht undankbar dürfen wir des hohen 
Drmuzd Huld verfhmähn, der Schon auf Erden 
Der Unfterblichen Glüd uns ſchenkt; des Lebens 
Duell, von dem er jelten einen Tropfen 
Seinen Vieblingen gönnt, hat reich und voll er 
Bor uns ausgegofjen; laß in ihn denn 

Wie in ein feliges Bad ung untertauchen, 

Daß wir neugeboren ihm entjteigen! — 

Der Perfephone, der Schatten bleiche 

Königin, vor deren Yilienbläffe 

Aller irdiſchen Frauen Reize, ob auch 
Roſengleich ihr Antlig blüht, verfchwinden, 
Glich NRorane, wie ihr ſchwarzes Auge 

Auf dem Jüngling ruhnd mit heißen Schauern 
Ihn durchſtrömte. Ihre Worte ftoben 

Wie berauſchender Duft auf ſeine Seele. 

Da zu ihnen trat die Sklavin: Herrin! 

Eben heimgekehrt iſt Narbazanes; 

Mit ihm kommt ein Großer von des RXerxes 
Hof, der eine Botſchaft dir aus Sufa 

Bringt. Sogleich verlangt er dich zu ſprechen; 
Denn jhon in der Frühe auf die Rückkehr 
Soll er fich begeben und zum König 

Antwort, von dir jelbft gejchrieben, tragen. 


Zürnend hebt Rorane fi) vom Site: 
Bin ih Sklavin denn? Entweichen möcht! ich, 
Bis wo mich fein Machtgebot des Kerres 
Mehr erreiht! — Sich dann zu Kallias wendend 
Spricht fie: Weile hier; bald kehr' ich wieder! 


— 6 — 


Und wie feftgewurzelt blieb der Jüngling, 
ALS fie fort war. Sinnentnervend bebten 
Ihre Reden, ihres Auges Strahlen 
In ihm nad. Im Naufch, der geiftumnebelnd 
Ihn beftricte, dacht’ ev: An die Bruft ihr 
Sinfen, ihren wolluftheißen Athem 
Langen Zugs von ihren Lippen jchlürfen, 
Unter ihrem Feuerfuß verglühen, 

Was kann Höheres mir daS Leben bieten ? 
Dort des unterivdifchen Kerkers Grauen, 
Wonnen hier, wie jelber im Elyfium 

Sie die Sel’gen mir beneiden müßten — 

Kann ich ſchwanken? 


Mit ermattenden Gliedern 
Wankt' er aus dem Saale, den Arabien 
Myrrhenrauch betäubenden Dufts durchwallte, 
Auf den Schloßaltan hinaus und warf fich 
Auf die Marmorbanf. In der Gefühle 
Wirbel, in dem Taumel aller Sinne 
Nang er fruchtlos fich zu faſſen. Während 
Um die heiße Stivne ihm die Nachtluft 
Kühlend wehte, hört’ er um die Klippen 
Unter ſich des hochaufraufchenden Meeres 
Brandung, und befannte Stimmen glaubt’ er 
Zu vernehmen. So auf Suniums Felſen 
Scholl ihm ehmals oft der Wogen Braufen 
An das Ohr, wenn er von fünft’gen Thaten 
Einfam auf den Tempelftufen träumte. 
Da das Antlig hebt er, und vom Himmel 
Hochher funfelt der Plejaden Sternbild 
Auf ihn nieder. Dämmernd erft, dann heller, 
Smmer heller in der umbdüfterten Seele 
Steigt ihm die Erinnrung an den Abend 
Wieder auf, al3 zu dem Nuderboote, 


— 262 — 


Das ihn nad) Jonien tragen follte, 

Ihn der Vater führte und beim Abjchied 
Mit erhobner Hand gen Himmel deutend 
Zu ihm ſprach: Zurüd in meine Arme 
Mögen dic die fieben himmlischen Schweitern 
Yeiten, die als ihre Schußgottheiten 

Unfre Schiffer anflehn. Wenn ich droben 
Sie den leuchtenden Reigen ziehen fehe, 
Will ih auf di) nieder der Olympier 
Segen flehen. Aber du, jo oft du 

Sie erblidit, mein Kallias, denk' an Hellas 
Und was du ihm ſchuldeſt! — Wie er aljo 
Dachte, nicht des hehren Ölanzgeftirnes | 
Anblid konnt’ er tragen; jcheu die Wimpern 

Senfend ftand er lang gebeugten Hauptes. 

Aber mehr und mehr ſank von der Seele 

Ihm der Schleier, und fein befjerer Genius 

Hob die Schwingen fiegreich, alle Fäden 

Sprengend, die ihn zu umfpinnen drohten. 

Mit dem Baterlande ſtieg Aretes 

Bild, das theure, auf vor feiner Seele. 

Himmelwärts den Dlid gerichtet rief er: 

Göttlihe Sterne, Yeuchten meines Yebens, 

O vergebt mir und den Sinnbethörten 

Laßt dem lodenden Truge nicht erlegen! 





Noch auf dem Altane jo ſtand Kallias, 
Als er in dem Saal Roranes Stimme 
Hörte. Schnell gefaßt hin vor fie trat er 
Und ſprach ernſt: Daß du den Fremdling freundlich 
Aufnahmft, habe Dank! doch länger meilen 
Darf ih nicht. Du jelber, der die Geele 
Sn Bewunderung für die Heroen 
Der Hellenen flanımt, wie kannſt du wollen, 
Daß ein Sohn von Hellas feines Bolfes 


— 2695 — 


Namen fhände? In den Zaubergärten 

Hier ſollt' ich in Selbftveradhtung leben, 
Während meine Brüder ſich im Wettlauf 

In der Ajiaten Lanzen ftürzen? 

Nimmer! Roth der Scham, wenn ich! nur denke, 
Fühl' ich mir im Angefichte brennen. 


Eben in die Halle, die des Frühroths 
Erſter Schein erhellt, tritt Narbazanes, 
Und zu ihm gefaßt jpricht Kallias: Heut noch 
Laß jogleich zurück mich im die Veſte 
Bringen! Nie dir leift! ich das Gelübde, 
Das du heifcheft. Sind die Glieder drunten 
In des Kerkers Naht mix feftgefchmiedet, 
Frei mitfämpfen in der Griechen Schlachten 
Soll mein Geift do; und mir bleibt die Hoffnung, 
Daß die Götter meine Ketten löfen, 
Daß ich mit dem Schwert der Perſer Heere 
Nievermettern kann. Ya, ſelbſt verhängten 
Mir die dunfeln Mören, nie das Tagslicht 
Mehr zu fchauen, lieber dort im Abgrund 
Will ich fterben, als mit des Verräthers, 
Mit des Feiglings Brandmal auf der Stirne 
Schmachbefleckt durchs Leben Hinzufchreiten. 


Zornig der Satrap drauf: Deines Starrſinns 
Strafe alfo trag! Nicht meines Herzens 
Stimme, nur dem Pflichtgebote darf ich 
Folgen! —. Doppelt ftarfe Eifenfetten, 

Als er trug, an Hände und an Füße 
Legt, ihr Sklaven, ihm! Berittne jollen 
Dann zurüd ihn in den Kerker führen. 


Und auf fein Geheiß heran fchon eilten 
Dienftbeflifjene niit dem klirrenden Erze, 


— 264 — 


Während hauptverhüllt Roxane dalag: 

Bei des Jünglings erften Worten war fie 
Sprachlos auf den Seſſel hingefunfen. 
Rachedurſt verfchmähter Yiebe regte 

Erft in ihrem Buſen fi; doch furz nur; 
Dann, die dunklen Triebe niederfämpfend, 
Feſten Schrittes trat fie hin zu Kallias: 
Staunend auf zu deinem Hochſinn blick' ich, 
Deiner Seelengröße, edler Grieche! 

Alfo ftanden deines Yandes Helden, 

Sp Achill, Batroflus vor dem Geift mir. 
Dich allein der Yebenden werth geachtet 
Hätt’ ich mir Gemahl zu fein und wiirde 
Selig mich wie die Unfterblichen preifen, 
Dürft' ich dein Gefhid an meines knüpfen. 
Doch Entfagung legen mir die Götter 

Auf das Haupt; in Wittwentrauer hüll' ich 
Mich zum zweiten Mal und jchwöre, nie mehr 
Heben werd’ ich von der Stirn den Schleier. 
Aber du — hör’ mein Gelübde, Jüngling! 
Frei zurüd nad) Hellas jollft du fehren. 
Muß mein Bruder, feiner Pflicht gehorchend, 
Di in Ketten halten, wohl fo eil’ ic) 
Selbft zu König Xerres! Edlen Sinnes 
Wird er deiner Feſſeln dich entled’gen. 

Du jedoch — zu Narbazanes wandte 

Sie fi) dann — bei jedem Athemzuge, 

Den du thuft, mußt du nicht denken, daß du 
Diefem Kallias ihn dankſt? Und ihn nun 
Könnteft du im Kerker fchmachten laſſen? 
Nein! ich weiß, dein Herz nicht, der Satrap nur 
Kann das wollen. Ueber allen Pflichten 
Steht des Danks Gebot, vom höchſten Ormuzd 
Uns mit Lichtfchrift in die tieffte Seele 
Eingegraben. Ihm, mein Bruder, folge! 


— 265 — 


Sieb den Griechen frei, und wenn bei König 
Kerres Einer je dich drob verflagte, 

Tritt zu ihm und ſprich: Großherzig zeigte 
Der Hellene ſich; hätt’ ich, des Namens 
Perfer unmwerth, klein mich zeigen dürfen? 


Sinnend jah zu Boden Narbazanes 
Und ſprach dann: Frei bift du, Grieche! Eile 
Zu den Deinen heim; jedoch verbirg dich 
Wie du fannjt vor jedem Menjchenblide! 
Der Jonier Aufftand ift bezwungen; 
Und wenn man al3 Griechen dich erfennte, 
Könnte der Satrap felbft dich nicht retten. 


Kallias vang vergebens auszudrüden, 
Was jein Herz bewegte. Stammeln fonnt’ er 
Einzig: Nicht durch Danfesworte will ich 
Mein Gefühl entweihen! Diefer Rechten 
Drud, die ich als ew’ger Freundfchaft Pfand Euch 
Biete, mag ſtatt meiner reden. Laßt mich 
Ziehen denn, nach Griechenland die Kunde 
Von der Perſer Edelſinn zu tragen! 


Noch des Weges Richtung, wie durch Wälder, 
Schluchten er ihn nach Jonien führe, 
Deutet Narbazanes ihm. Hinweg drauf, 
Als der Tag verglommen, flieht der Jüngling 
Durch des Taurus unwegſame Schlünde; 
Ueber brauſende Ströme hin, auf Brücken, 
Die ihm blitzgefällte Stämme bauen, 
Geht ſein Pfad, und eh des Morgens erſtes 
Dämmern durch den Himmel ſchleicht, verbirgt er 
Sich in Höhlen; erſt die Eule, wenn ſie 
Wieder ſich zu nächt'gem Flug hervorwagt, 
Giebt das Zeichen ihm zu weiterm Fliehen. 


aber — 


Uepp’ge reichbebaute Ebnen breiten 
Sich um ihn; doch fürchtend, daß den Perjern 
Ihn das Schallen feines Tritts verrathe, 
Sucht er öde menfchenleere Haiden. 
Milde Beeren der Geſträuche, Eier, 
Die er aus der Vögel hangenden Nejtern 
Sammelt, find ihm einz’ge Nahrung. Trank beut 
Ihm der ftodenden Quellen bittres Wafjer; 
Ueber Simpfe, wilder Büffel Heimath, 
Und dur immergrüner Eichen Didicht 
Treibt die Flucht ihn irren Schrittes weiter, 
Bis von Neuem fteiles Felsgebirg ihn 
Aufnimmt. Mit dem Fuß aus ihrem Yager 
Dft empor die wilde Schlange fcheuchend, 
Ueber Wurzeln mächt’ger Bäume klimmt ev 
Auf zu wolfennahen Gipfeln oder 
Läßt am Dorngeftrüppe fi) den Abhang 
Niedergleiten. Da, nach) mondenlangem 
Nuhelojem Frrgang, als Dianens \ 
Schönes Nachtgeſtirn durch fein Erbleichen 
Ihn das Picht zu meiden mahnt, erblidt er 
Ferne des Meſſogis blauen Scheitel, 
Und: das ift Jonien! fagt hochflopfend 
Ihm fein Herz. Im eines Waldes dunklen 
Tiefem Schattengrunde, ungeduldig 
Daß es wieder nachte, fich verbirgt er. 
Duftendes Geftäude, wie er nieder 
Auf das Gras fich ſtreckt, wölbt eine Yaube 
Ueber ihm. Erwachender Hirtenflöten 
länge hallen aus den grünen Thälern; 
Horh! und fernher über thauige Wiejen 
Nuft der Kufuf, wie er in der Heimath 
Sn den Schluchten des Pentelifon ihn 
Dft vernommen. Lange dünkt, wie nie nod), 
Ihn der Tag, der ihn in dem Berftede 





FIR 


Feſthält. Aber als in nächt’ges Dunkel 

Drauf des Zwielichts legte Schatten brechen, 
Mit beflügelten Schritten eilt er weiter; 

Und bald neben ihm mit trauten Klängen, 

Wo im Uferfchilfe wilde Schwäne 

Sic) bei jeinem Nahn im Schlummer regen, 
Rauſchen des Kayſter Murmelmellen. 

In der Frühe fern am Himmelsſaume 

Taucht ein fahler grauer Streif, dag Meer auf; 
Doch bevor der Haud von Helios’ Nofjen 
Noch die träumende Fluth bewegt, verbirgt fich 
Wiederum der Füngling. — Nach zwei Nächten 
— Herz, dein ungeftümes Klopfen ftille! — 
Bor des Phanor Wohnung werd’ ich ftehen 
Und ihn finden dort — ihn und Arete! 

Da der Frühling Wälder ſchmückt und Wiefen, 
Muß er Suja längft verlafien haben. 


Alfo Kallias; als die zweite Nacht dann 
Sich herabjenft, fteigen Wetterwolfen, 
Hoch fih thürmend, auf am Himmelsdache. 
Geine Yoden jehüttelt wild der Sturmmwind, 
Blige zuden, und dem Donnerrollen 
Widerhallen dumpf die Bergeswände. 
Aber vorwärts durch des Wetters Toben 
Stürmt der FJüngling; ſchon befannte Pläße 
Glaubt er zu erfennen — fieh! zerrifien 
Eben hat das Wolkendach ein Windſtoß, 
Und der Mond ftrahlt hell herab; bei feinem 
Scheine da gewahrt er Trümmermalfen, 
Halbgeborftne Mauern ftarren düſter 
Ihm entgegen mit gebrochnen Pfeilern 
Und, geſchwärzt von Brand und Rauch, find Steine 
Allumher verſtreut — irr fchweift fein Auge 
Ueber der Zerſtörung grauſes Bild hin. 


Doch hat nicht des Mondes unſtät-flücht'ger 
Schein, von Wolken wieder ſchnell verſchlungen, 
Ihn getäuſcht? Nein, bei der fiebernden Blitze 
Zucken in dem Haufen Schutt erkennt er 
Phöbus' Standbild, das die große Halle 

Einſt geſchmückt hat: das iſt Phanors Landhaus! 
Solche, die ihn als Verräther haften, 

Haben es verwüſtet, und er ſelber 

Mit der Tochter iſt, ein blutend Opfer, 

Ihrer Wuth erlegen! Lautlos nieder 

Sinkt auf einen Haufen Schuttes Kallias, 
Während im Orkan ihm wild die Locken 
Flattern und zu Häupten ihm die Eichen 
Ihre mächt'gen Wipfel krachend ſchwingen. 
Heule, heule fort, gewalt'ger Sturmwind! 
Ueberbrauſe meines Herzens Stürme! 

Nieder wie den blitzgeſpaltnen Stamm dort, 
Der vor deinem Wirbelhauche hinſtürzt, 

Wälze mich und deiner Donnerkeile 
Tödtendſten laß auf mich niederflammen, 

Daß hinab bis in das Mark der Seele 

Er mein Weſen all in Staub verwandle! 


Nicht des Hagels, der das Angeſicht ihm 
Peitſcht, indeß die Windsbraut wild und wilder 
Um ihn rast, hat Kallias Acht; und auch als 
Matt durch dichtgeballte Nebelmaſſen 
Sich der Morgen hebt, die Trauerſtätte 
Läßt er nicht; fein Fühlen und fein Denken 
Scheint erftarrt in eiſ'gem Todesfrofte. 

Erft al3 wieder Tag und Nacht geſchwunden, 
Blist ihm eine Hoffnung auf; vielleicht weilt 
Phanor mit Arete fern in Sufa. 

An den Mauern nur, die er bewohnte, 

Hat geftillt fich feiner Feinde Ingrimm. 





— 19 — 


Unbefümmert, ob man ihn als Griechen 
Kenne, von vorüberwandernden Perjern 
Sudt ev Kunde einzuziehn; doch Alle 
Sagen eins ihm nur: al3 die Empörer, 
Die nicht auf dem Schlachtfeld hingeſunken, 
Sich in Flucht zerjtreuten, hat ein Haufe 
In dies Haus den Fackelbrand geworfen; 
Ob bewohnt e8 war und ob die Wohner 
Bon der Mordbegier’gen Hand gefallen, 
Fragft du uns vergebens. 


In dem Jüngling 
Regt ſich der Gedanke: fort nach Suſa 
Eil' ich, meines Herzens bangen Zweifel 
Zu erſticken; doch des Vaterlandes 
Ernſte Mahnung wieder dann vernimmt er. 
Finſter zieht heran das Kriegsgewitter, 
Sein Athen mit Untergang bedrohend; 
Und die heimathlichen Laren ſoll er 
Schutzlos, ſoll der Muſen Lieblingsſitze, 
All die Tempel und geweihten Stätten 
Vom Barbarenſchwert verwüſten laſſen? 


Hin und her wird ſo die Seele lange 
Angſtvoll ihm geworfen. Endlich rafft er 
Sich empor in mächtigem Entſchluſſe: 

Auf nach Griechenland! Die große Mutter 
Ruft; des Herzens eigenſücht'ger Trieb ſoll 
Mich an ihr nicht zum Verräther machen. 


Und aufs neu in Höhlen ſucht er Zuflucht, 
Nachts verſtohlen an das Ufer ſchleichend, 
Um ein Schiff der Griechen zu erſpähen, 
Das ihn heimwärts trage. Einſt als Abends 
Er in eine Felſengrotte eintritt, 

Hört er drinnen Stimmen — Laute ſind es 


NO 


Der Hellenenjprache; hochauf jubelt 

Bei dem langentbehrten Klang das Herz ihm, 
Und, ſich näher wagend, in der Tiefe 

Sieht bei einer Fadel rothem Strahle 

Er um einen reis, der franf am Boden } 
Daliegt, eine Männerjchaar verjammelt. 
Dann: Machaon! tönt von feinen Lippen. 
Und mit freud’gem Gruß hinab fich beugt er 
Zu dem Hingefunfnen. Matt die Rechte 
Reicht der Greis ihm; auch der Andern Biele, 
Ihn erfennend, heißen ihn willfommen. 

Bon des Aufruhrs Ende, von der Perjer 
Grimm, wie fie auf alle Griechenfreunde 
Fahnden, fie in Kerfer, auf die Nichtjtatt 
Schleppen, geben treulich fie Bericht ihm; 
Aber ihrer Keiner weiß von Phanor. 


Alfo redete dann zu ihnen Kallias: 
Und in diefem Yand der Knechte mögt ihr 
Länger noch der Sklavenfetten Klivren 
Hören? Auf! anftatt in dumpfen Höhlen 
Euch zu bergen, folgt mir! Schon gerüſtet 
Liegt am Strand ein Schiff, das mich nach „Hellas 
Bringen fol. Sp wie gefangnen Aolern, 
Wenn befreit des Himmels reine Yuft fie 
Wieder trinfen, wird euch auf dem Meer fein, 
Auf dem theuern, das mit Mutterarmen 
Seine Slinder, Hellas und Jonien 
Und die Inſeln al’ umfchlingt. Da drüben 
Harren euer jehnfuchtsvoll die Brüder, 
Daß in ernfter Männerſchlacht mit ihnen 
Ihr die Macht des Weltdejpoten brechet. 


Und empor vom Boden vafft Machaon 
Mählig fih: In meine welfen Adern 





a 


Frisches Yebensblut hat deine Nede 

Mir geftrömt. Das achtzigjte der Fahre 
Nach Athen zurüd, wo mir das erite 
Blühte, laß mich tragen! Stählen wird mir 
Pallas, die Beichügerin meiner Jugend, 
Einmal noch den Arm, daß die Barbaren 
Meines Schwertes Wucht empfinden. Aber 
Trifft mic) Tod, die müden Glieder geb’ ich 
roh der heimathlichen Erde wieder. 


Gleich dem Bligftrahl, der geſchwind von Wolfe 
Hin zu Wolfe hüpft beim Wetterdunfel, 
log die Rede durch der Andern Reihen. 
Sünglinge, Männer riefen: Auf, nach Hellas! 
Und von Schwertern, Echilden, Yanzen blinfte, 
Die fie aus der Örottentiefe holten, 
Bald bei Fadelichein die Feljenhalle. 
Aber Kallias mahnte: Vorſicht, Brüder, 
Daß wir uns den Feinden nicht verrathen! 
Wenn die nähjte Nacht die Flügel jchügend 
Um uns breitet, laßt ans Meer uns eilen 
Und in entlegner Bucht das Schiff befteigen. 


Siebenter Geſang. 


Oranervoll, ſeit Phanor fie nad) Sufa 
Heimgeführt, im ftillen Fraungemache 
Weilt Arete, um de3 fernen Freundes 
Schickſal bang, mit dem durch wen’ger Etunden 
Zauber unauflöslich fie ihr ganzes 


— 272 — 


Sein verflochten fühlt. Auch um den Vater 
Drüdt fie Sorge; denn noch tiefre Schwermuth 
Als zuvor in feinem Antlitz liest fie. 

Und fo oft von RXerxes er zurückkehrt, 

Düftrer liegt auf ihm- des Trübſinns Schatten. 
Ein Geheimniß jcheint er zu verbergen; 

Aber, daß er ihr es offenbare, 

Hat fie immer ihn umfonft gebeten. 


In die Gärten nächſt dem Prachtpalaſte, 
Den der König jeinem Freund erbaut hat, 
Flieht fie oft mit ihres Herzens Trauer. 
Stolz erhebt zum ewig blauen Himmel 
Dort des Oſtens Lieblingskind, die Palme, 
Ihrer Blätter majeftätifche Krone 
Ueber Eedernhaine und Cypreſſen, 

Und im dunfeln Wipfellaube leuchtet 

Purpurn der Oranate ſchöner Apfel, 

Während aus den Miyrtenheden Weihrauch 
Durch die trunfne Luft emporwallt. Sprudelnd 
Hier und da gießt in ein Marmorbeden 

Eines Springquell3 flüffiger Kryftall fich, 

Und hernieder zu des Gartens Pfaden 

Senfen rings aus ehren Urnen Yilien, 
Tulipanen, Nojen ihre Kelche. 

Dort, wenn mild des Abends Stern von Weſten 
Kühle durch die brennende Yuft herabthaut, 
Wandelt durch den Yorbeerhain Arete, 

Dei der Quellen Murmeln ihrer Seele 

Sram zu ſtillen. Oder vor des Tages 

Gluth in Fühler Grotten Dämmrung flüchtend 
Bei der Nachtigallen Liede träumt fie 

Don dem Pernen, Theuern. 


Einſt tritt haftig 
Zu ihr hin Yaodamas, ihr Bruder, 


273 — 


Der zum Jüngling nach und nach erblüht iſt: 
Schweſter! ſieh, der langerſehnte Bote 

Iſt zurückgekehrt! Und ſchon auch folgt ihm 
Nhaifos, vom Staub der weiten Wandrung 
Noch bedeckt. Für ihn fein Wort des Willtomms 
Hat die Jungfrau; nur mit der Erwartung 
Starrem Blid ihn ſchaut fie an; und ſchnell auch 
Ihrer Frage fommt zuvor der Sklave, 

Da er fpricht: Gebietrin, all mein Forjchen 
Nach dem Sohn des Drimafos, vergebens 
Ward. Daß er im Kampfe der Jonier 
Mitgeftritten, ward mir fund; doch Keiner 
Weiß, wohin er dann verfchwand, zu jagen. 
Kaum noch fpricht ers, da tritt in den Garten 
Phanor und begrüßt den Rückgekehrten, 

Aber fragt ihn nicht nach feiner Botſchaft; 

In der Tochter angfterfüllten Zügen 

Lieſt er fie. Als er noch tiefbetroffen 

Dafteht, meldet ihm ein Aethiope: 

Eine ganze Schaar gefangner Griechen 

Aus Jonien hat man dur das Stadtthor 
Eben eingebracht. Ich jah fie kommen 

Und vernahm, mie ihrer Einer heifchte, 

Daß man ihn zu dir, Gebieter, führe; 

Einen Auftrag hab’ er dir zu bringen. 

Doch die Krieger riefen: In den Kerker 

Mit den Frechen! Nicht ein Menfchenantlit 
Sehen dürfen fie, wenn nicht der König 
Anders es befiehlt. 


Alsbald zu Xerxes 
Eilte Phanor. Einzig ihm von allen 
Würdenträgern ſeines Reiches gönnte 
Der Monarch, zu jeder Stunde vor ihn 
Hinzutreten. Nacht ſchon wars geworden, 
Schack, Ge. Werke IV. 18 


ur —— 


Und von Naphtha, das in taufend Yampen 
Brannte, ftrahlte gleich) dem Himmelsdome 
Der Palaſt mit feiner Marmortreppen 
Goldnen Baluftraden. In dem Thronfaal 
Hieß der König feinen Freund willfommen; 
Und faum, daß mit den gefeffelten Griechen 
Eine Zwieſprach ihm verftattet werde, 

Hatte Phanor noc gebeten, ala ihm 

Jener lächelnd Antwort gab: Nicht das nur 
Sei gewährt: nein ihnen allen fchenf’ ich 
Freiheit; eins indeß ift die Bedingung: 

Bis zum nächften Mond in meiner Hauptftadt 
Weilen müffen fie — an nichts gebrechen 
Wird es ihnen; bei der großen Heerjchau, 
Wo ic) Hunderttaufende muftern werde, 
Meines ganzen Reichs erleſenſte Streiter, 
Sollen fie die unermefine Kriegsmacht, 

Die ich wider Hellas jchleudre, jehen, 

Nein, nur ftaunend, voll Entfegen ahnen. 

Auf dem Heimweg erft — denn einen Eidſchwur 
Ihnen nehm’ ich ab, daß den Athenern 

Sie Bericht von dem Erblidten bringen — 
Werden fie die ganze Völfermenge 

Shaun, wie fie, von Waffen ftarrend, bligend, 
Eine wandernde Mafje Erz, ans Meer fich 
Wälzt — ein Taufendtheil von ihr genügte, 
Mächtige Reiche aus der Welt zu tilgen. 
Wollen wider mic jodann die Thoren 
Kämpfen, wohl! e3 fer nad) ihrem Willen. 


Ehrerbietig auf der Bruft die Arme 
Kreuzend wollte Phanor fcheiden; aber 
Xerxes hieß ihn bleiben: Deinen Rath mir 
Für den Kriegsplan, hoff’ ich, wirft du gönnen; 
Keiner ift in allen meinen Reichen 


me 


Dir fo werth wie du; als Erſter ſollſt du 
Dei der Heerichau mir zur Seite ftehen. 
Dann zwei Monde noch, und bis nad) Yydien 
Mich begleiteft du, der nahen Salzfluth 
Bon dem Niefenfchiffe, das für dich ich 
Daun ließ, Sflavendienjte zu gebieten 

Und die bejegelten Häufer meiner Flotte, 
Die gethürmten, ftadtzeritörenden Beften 
Wider Griechenland zu führen. Ich dann, 
Wenn ich Thracien im Triumph durchzogen, 
In Athen, das mir befiegt zu Füßen 
Wimmert, dene’ ich wieder dich zu treffen. 


Phanor ging; im Kampfe feiner Seele 
Starb die Antwort ihm. In feine Wohnung 
Noch dieſelbe Nacht zu ſich entbieten 
Ließ er die gefangnen Griechen. Alle, 
Für die unverhofft gewonnene Freiheit 
Danfend, traten vor ihn hin; der Eine 
Aber bat, ein Füngling, daß Gehör er 
Ihm allein gewähre. ALS die Andern 
Fort, beginnt er: Ein Jonier bin ich, 
Und Alkander heiß’ ich; einen Auftrag 
Gab des Drimakos Erzeugter, Kallias, 
Dir für deine Tochter; jo gewähre 
Mir die Gunft, ihn jelber ihr zu bringen. 


Ihm ins Wort fällt Phanor: Und fo lebt er, 
Meines Liebften Freundes Erftgeborner? 
Drauf Alkander: In der Morgenfrühe 
Jenes Schlachttags, der Joniens Hoffnung 
Wohl gefnict hat, doch fie nicht gebrochen, 
Sah ich ihn zulegt; ob er gefangen, 
Ob fir unfer Yand den legten Odem 
Er verhaucht — die ew’gen Götter wiſſens! 


— 2716 — 


Eben war Arete eingetreten, 
Und die Worte, die fie noch vernommen, 
Sanfen eifig, wie auf die Narciffe, 
Die zu früh dem Frühlingshauc vertraute, 
Winterreif, auf ihres Herzens Hoffnung. 
Ihr das Täflein reiht Alkander: Dies hier 
Gab mir Kalliag und ſprach: Areten 
Brings und fag ihr, daß mein Herz ihr treu blieb! 


Stumm vernimmt3 die Jungfrau, und von dannen 
Wankt fie ſchwanken Schritts. Wohl weiß der Vater, 
Keine Tröftung ift in folder Trübfal, 

Heißer macht fie nur die Wunde bluten. 
Drum die Einfamfeit der Tochter gönnt er; 
Aber täglih muß Alfander bei ihm 

Weilen, von Jonien ihm erzählen 

Und vom Sohn des Drimafos. Zu Theil ward, 
Sprad der Jüngling, kurze Zeit das Glück mir 
Der Vereinung nur mit ihm; doch al3 wir 
Uns zuerſt erblidten, ineinander 

Schmolzen unfre Seelen, und mit feinem 
Fühlt' auf immerdar mein eignes Veben 

Ich verflochten. Wenn hinmweggerufen 

Ihn die ewigmwaltenden Götter haben, 
Mehr, als ob den Bruder ich verloren, 

Bin verwaist ich; aber ein Vermächtniß 
Ließ er mir, in dem er felber fortlebt: 
Seine Geiftes Ringen, feur'ges Streben 
Hat er ausgeftrömt in meine Seele, 

Und der Stadt, der all fein Fühlen, Denken 
Salt, will ich mein Leben weihn. Hat eine 
Auf der Erde Helden, Weife, Dichter, 

So wie fie, geboren? it fie Mutter 

Aller Künfte nicht und alles Schönen? 

Hat fie nicht der Freiheit heil’ge Flamme 


— 277 — 


Fort und fort an ihrem Herd gehütet 

Und, wenn kurz auch Tyrannei ſie löſchte, 
Bald fie höher noch aufſtrahlen laſſen? 

Nun, fobald die Mondesfrift verronnen, 

Die mich hier noch bindet, auf des Sturmwinds 
Schwingen eil’ ich, für die Stadt der Städte 
In den Kampf, jeis in den Tod zu gehen. 
D, wenn jeder Grieche jeden Tropfen 
Seines Blut3 zum Pfande macht, daß feiner 
Der Barbaren nur mit einem Hauche 
Seines Odems Hellas’ Luft entweihe, 
Mögen dichter dann heran fie jtürmen 

Als des Wüftenfandes Wirbelmogen, 

Heim nach Afien werden wir fie geißeln! 


Schmweigend hört ihn Phanor, tief im Herzen 
Der Gefühle Strom, der faft die Bruft ihm 
Sprengen will, verbergend, und Alfander 
Redet weiter: Denf! Athen der Perfer 
Beute! Würde Nacht der Barbarei nicht 
Und der Knechtſchaft ſich auf Erden breiten, 
Wenn, geftürzt von der Aſiaten Aexten, 

Die Altäre feiner Götter ſänken? 

Nein! und müßt’ ein ganz Geſchlecht das Schlachtfeld 
Auch mit feinen Knochen überdeden, 

Emig als der Freiheit fihres Bollwerk, 

Feſt auf weiſer Gefege Grundftein vuhend, 

AS des Wilfens und des Schönen Tempel 

Ragen ſoll die hehre Stadt der PBallas! 


Oft noch muß der Jüngling wiederfehren; 
Und nicht jatt wird Phanor ihm zu laufchen, 
Wie von feinen Fahrten er verfiündet, 

Bon Korinth, dem doppelmeerumbrauften 
Iſthmus, wo der Tyrer feinen Purpur 


— 27985 — 


Für der Iberer wollige Vließe austaufcht, 
Und von Argos, der Heroenwiege, 

Bon den Inſeln allen, Delos, Naxos, 
Die, wie Berge bei des Sonnenaufgangs 
Strahlen, von des Genius Feuer leuchten, 
Endlih dann vertraut Aretes Vater 

Ihm fein Lebensſchickſal: wie die Sehnſucht 
Mächtig heim ihm ziehe, doch ein Eidſchwur 
Und die Pflicht des Dankes ihn für immer 
An den Dienft des Perjerfönigs fette. 
Alles Weitre, wie beim Schwur der Treue 
Xerxes von ihm heifche, jeine Flotte 

Selber wider fein Athen zu führen, 

Birgt er in des Herzens tiefjten Dunkel. 


Tage hinter Tagen ſchwinden alfo; 
Und ſchon zu dem hohen Feſt des Drmuzd, 
Das der nächſte mit der Königsheerichau 
Bringen fol, geſchmückt mit Palmenzweigen 
Und mit Teppichen find die Straßen Sufas, 
Da zu Phanor angftvoll und erjchroden 
Tritt Arete. Kind, was ift gejchehen, 
Daß ſo bleich du bift? fragt fie der Vater. 
Und mit Stammeln fpricht fie: In des Morgens 
Thauiger Frifhe mir die heiße Wange 
Nach der ſchlummerloſen Nacht zu fühlen, 
War ih in den Garten früh gegangen. 
Des Choaſpes Murmelmellen Iodten 
Mich, wie fie im Hauch des Dftwinds jpielten, 
Mit den Dienerinnen in den Nachen, 
Und ftromabwärts rudert’ ung ein Sklave. 
Un das Ufer, ung auf blühnder Wiefe 
Unter Silberpappeln zu ergehen, 
Waren wir getreten; aus dem Didicht 
Plöglih da zu mir heran ſchritt Beſſus, 





— 2719 — 


Der Satrap, mit frechem Blid mid) anjchaund. 
Ab mein Auge wandt’ ich, fein nicht achten; 
Aber er, als ich beftürzt zum Strom hin 
Eilte, mich mit dreifter Yiebeswerbung 

Wagt' er zu verfolgen. Aus dem Nachen 
Hört’ ich noch), wie er mir drohend nachrief: 
Was du meigerft weiß ich zu ertrogen. 


Tief betroffen hört es Phanor: Beſſus 
Hier, den ich im fernen Lydien wähnte? 
Einmal jhon auf meinem Landhaus heifcht' er 
Deine Hand von mir: allein gemweigert 
Hab’ ich fie dem Argen. Alle kennen 
Seine Tüde; doc ſtets hinterliftig 
Weiß er Xerres’ Gunft fich zu erhalten. 
Dein Gemach verlaß nicht! von den Sklaven 
Werd’ ich dich vor ihm behüten laſſen. 
Morgen heifcht mich ganz der Dienft beim König. 


Eh’ der große Fefttag anbricht, leuchten 
Heil’ge Feuer ſchon auf allen Bergen, 
Allen Hügeln, hoch ing reine Nachtblau 
Yodernd; und die taufend Thürme Sujas 
Sind zu Brandaltären umgewandelt. 
Auf den Knien liegt ringsumher die Menge. 
Magier ftehen, hauptbefränzt, in weißen 
Wallenden Gewanden vor den Feuern, 
Sort und fort mit Sandelholz die Flammen 
Nährend. Als das Frühroth nun heraufiteigt 
Und die Sonne, die unfterbliche, hehre, 
Glorreich ſich erhebt, im Chorgefange 
Feiern fie die göttliche, alles Lichtes, 
Alles Lebens Duelle: Sei gepriefen, 
Bild des Ormuzd, Spendrin alles Guten! 
Deines Segens unerſchöpfte Fülle 


— 280 — 


Gönn’ auch ferner uns und lehr' die Menfchen 
Kein wie du zu wandeln! Sende ihnen 
Himmlifche Boten, die zu edlen Thaten 

Sie befeuern und in ihre Seelen 

Klarheit gießen! Doch verflucht der Nachtgeift, 
Der Betrüger Ahriman, mit feinem 

Böſen Heer, des Todes und der Sünde 
Bater, der, in Finfternig verfchlungen, 

Seine Frevelthaten brütet! Schütz' ung, 
Himmlifche, vor der Arglift des Verruchten! 


Und die Hunderttaufende, auf den Höhen 
Knieend, heben, wie die Magier aljo 
Beten, zu dem heil’gen Taggeftirne 
Andachtsvoll die Arme und das Antlitz. 


Als die Sonne höher fteigt, aufs ſtolze 
Roß ſchwingt Phanor fich, und hundert Reiter 
Folgen ihm, in Händen goldne Stäbe. 
Weihraud) dampft auf allen Straßen Suſas, 
Wo der Zug vorbeifommt; die Terraffen 
Sind erfüllt von bunten Menjchenichaaren, 
Und den Boden deden Palmenzweige. 


In dem Thale, wo mit träger Strömung 
Des Choafpes gelbe Fluth dahinſchleicht, 
Unabjehbar wogt das Heergedränge. 

Wie des Schiffer Auge fich geblendet 

Senkt, wenn hoch er vom Verdeck herabichaut, 
Und allhin des Meeres Silberwellen 

In der Morgenfonne Strahlen bligen, 

Alſo Phanors Blid, als auf der Panzer 
Blauem Stahl, auf Helmen, Schilden, Speeren 
Und der Sichelwagen blinfenden Klingen 

Fern bis zu des Horizontes Gränzen 


Er den Lichtſtrahl, wie verirrt in all der 
Waffenmenge, hüpfen fieht. Stand nimmt ev 
Bei des Königs Prachtzelt, das auf Säulen 
Yautern Silbers ruht und, mit Demanten 
Ueberftreut, auf Meilenferne funfelt. 

Plöglih durd die Haupt an Haupt gedrängten 
Schaaren geht ein Murmeln hin, ein Zittern, 
Wie durch Aehrenfelder, wenn ein Windftog 
Sie bewegt. Ein Zug von Tartjchenträgern, 
Taufende hinter taufenden, naht; in langen 
Reihen folgen ihm der Hofburg Wächter, 
Tanzenhalter mit gejenften Speeren, 

Auf dem Haupt rubingefhmücdte Helme. 
Sklaven geigeln aus dem Weg die Menge; 
Und von acht nifätfchen weißen Roſſen, 

Die in goldnen Jochen gehn, gezogen 

Kommt des Drmuzd heiliger Schlahtenwagen, — 
Nie darf ihn ein Sterblicher befteigen — 
Drauf in anderm edelfteinbejegten 
Mufchelmagen, über dem der Sonne 

Und des Mondes goldne Bilder ftrahlen, 
Xerxes, in des Königs voller Zierde, 

Mit jumelenbligender Tiare. 

Um ihn veihen ſich des Reiches Erite, 

Und mit ihnen Phanor. Bei der Heerjchau 
Anfang werden vor dem Ervdenherricher 
Dächer, Yeitern zu der Feindesftädte 

Sturm vorbeigemwälzt auf riefigen Rädern; 
Widder, unter deren Anprall frachend 

Ihre Mauern ftürzen; Wurfgejchüge, 

Die gleih Bällen ganze Felſen fchleudern. 
Unter PBeitichenfnall, von braufenden Rennern 
Vortgeriffen, nahn die graufen Thürme, 

Die von Waffen jtarrend, erzgepangert 

Mit der Schwerter fchneidigen Klingen vingshin 


Yeichen jtreuen. Perſiens Reiterjchaaren 
Führt Mardonius, des Königs Schwäher, 
Ihm vorüber; und, indeß der Boden 
Dröhnend unter ihnen zittert, vuft ihm 
Xerxes zu: Wenn ich zur Welterobrung 
Auch nur dich und deine Weiter hätte, 

Alle Völker bis zur Erdengränge 

Würden hin vor eurer Nenner Hufe, 

Mir Gehorfam jchwörend, in den Staub ſich 
Werfen. 


Mit den Wagenfämpfern Lydiens 
Die, in rechter Hand den Bogen, mit der 
Yinfen ihre jchnaubenden Geſpanne 
Stadeln, rückte Gobryas vorüber; 
Mit den pfeilgewaltigen Hyrkaniern 
Artabanus. Braune Steppenjöhne 
Bom Farartes, ungezählte Schwärme, 
Sprengen vorbei auf ihren wiehernden Hengiten, 
Stirn und Bruft vom Mähnenhaar umflattert. 
Ghilans Männerblüthe und das Bergvolf 
Parthiens, eifenfejt wie jeine Felſen, 
Führt Arfames; dann die Schleudrer Myſiens, 
Baktriens gewalt’ge Keulenſchwinger 
Megabazus. Wie er ſie vorbeiziehn 
Läßt, zu Phanor ſo ſpricht Xerxes: Siehe! 
Dieſe da auf meinen Rieſenſchiffen 
Sollſt du wider das vermeſſne Hellas 
Führen, daß mit ihren Keulenſchlägen 
Sie Athen und ſeine Göttertempel, 
Seine Burg zermalmen! Dir vertrau' ich, 
Daß für Marathon du ſo mir Rache 
Schaffen wirſt. Auch Jene, die noch folgen, 
Sollen deinem Heerbefehl gehorchen. 


u 


Und mit ftarrem Blick, ſich ſtumm verneigend, 
Schaute Phanor auf die unermefine 
Heerfluth, die wie eines Bergftroms Wogen 
Wirbelnd noch vorüberzog; die Völfer 
AU des männerreichen Aſiens drängten 
Sid) heran, Chorasmier mit der Fangſchnur, 
Meder, artbewehrt, im Gürtel Dolce, 
Safer, erzbehelmt, mit vunden Schilven; 
Inder auf der Elephanten Rüden; 

Nubier dann in Yeopardenfellen ; 
Und auf Dromedaren Arabiens gelbe 
Söhne, fühn wie ihrer Wirte Yömwen. 


Schon verglomm die Sonne, und am Himmel 
509 die Nacht empor mit ihren Sternen. 
Aber immer noch, wie fie jo zahllos, 
lutheten vorbei die Kriegerjchaaren. 

Da die Oberfeldherrn und die Großen 

Lud zu fi) ins Purpurzelt der König. 
Aethiopenjklaven boten Allen 

Goldne Becher, drin der Wein Foniens 
Schäumte; und zu ihnen jagte Xerxes: 

Wenn ich fo, gleich dem Gewitterſturme, 
Meiner Bölfer Wolfen gegen Weiten 

Treibe, wer wird mir zu trogen wagen ? 

Ehr mit dem Drfane, mit dem Erdftoß, 

Der hinunter ganze Städte, Yänder 

In den Abgrund fchmettert, läßt ſich kämpfen, 
Als mit meiner Macht! — Ihr, meine Wadern, 
Seid mir -längft erprobt als Heereslenfer! 
Heute Phanor no, den edlen Griechen, 

Euch gejell’ ich; wider Hellas ſoll ex 

Meiner Krieger Blüthe übers Meer hin 
Leiten. Tauſend, abertaufend Segel 

Harren ihrer an Joniens Küften, 


Hin zum Land der Griechen fie zu tragen. 
Mit der Feinde Untergang befrachtet 

Sit die Flotte, und zu ihrem Feldherrn 
Heg’ ich das Vertrauen: mit des Drachen 
Mörderiihem Hauch wird er Verderben 
Auf der Hellenen todgeweihte Schaaren 
Schleudern. 


Sprachs; und durch der Großen Reihen 
Scholl der Ruf: Heil dir, erhabner Xerres! 
Heil dir, Ormuzd' Abbild auf der Erde! 
Götterlicht des goldenen Gejchlechtes ! 


Noch bat, ihm auf furz fein Ohr zu leihen, 
Phanor den Gebieter und ſprach alfo: 
Yang des Krieges ſchon entwöhnt empfind' ich, 
Daß ich erſt mich neu im Schlachtenwerfe 
Ueben muß und zu dem Kriegszug ftählen, 
Den du, hoher Herr, mir anvertraun willit. 
Drum verftatte, daß nad) Kappadocien, 
Statt des Merdon, der erfranft, ein Heer ich 
Führe, um des wilden Bergvolfs Aufjtand 
Zu bewält’gen; raſch gelingts, ich denke; 
Und im nächften Mond, noch eh du aufbrichit, 
Wieder fiehft du mich bei deinem Heere. 


Wadrer Phanor, fagte Xerres, doppelt 
Schuld ich Dank dir. Wohl! in jenes Bergland 
Zieh! In Babylon indefjen will ich 
Bor dem Feldzug noch der Ruhe pflegen. 
Dort erwart’ ih dich; und eh das Heerichiff 
Du befteigft, begleiteft du ans Meer mid). 
Phanor ſchied; und in der nächiten Frühe 
Zu Arete fprac er: Sorge quält mic) 
Wegen diefes Beſſus, Kind; denn mächtig, 





380. — 


Wie verwegen ift er! Fern der Hauptjtadt 
Did vor ihm zu bergen heifcht die Vorficht; 
Drum in Kappadociens Felsgebirge 

Will ich zu Imäus, meinem Freund, dich 
Bringen. Grieche und mir ganz ergeben 
Sit er, und fein Weib der Frauen Perle. 
Ruhe ſchaffts mir, wenn bei ihm du Zuflucht 
Findeſt. Mir geboten hat der Herrfcher, 
Des Gebirgs empörte Stämme wieder 

Ihm zu unterwerfen. Drum zum Aufbruch 
Rüſte dich! 


Alsbald mit ftattlichem Kriegsheer 
Zog des Wegs nad) Kappadocien Phanor. 
In des Eflaven Rhaifos Geleite 
Und des Bruders, aber fern den Kriegern 
Und geheim, daß ihre Flucht nicht Einer 
Künden könne, folgt ihm nach Arete, 
Bis fie in der mweltentlegnen Felsihlucht 
Des Imäus Burg empfängt. Nicht lange, 
Und man bracht’ "thr Botjchaft aus dem Bergland, 
In der erften Schlacht mit den Empörern 
Hab’ in ihren dichtften Neihn der Vater 
Tod gejucht und fiegend ihn gefunden. 


Achter Geſang. 


HNun, des blauen Mittelmeeres Becken 
Ueberſchiffend, laßt uns am Piräus 
Landen. In der Morgenſonne Strahlen, 


= 286 — 


Ueber der Dliven Silberwipfel, 

Steigt die Stadt mit ihren Marmorgiebeln 
Bor uns auf, die unjer Aller traute 
Seelenheimath ift, die große Männer, 

Große Thaten, wie der Frühling Blüthen, 
Trieb. — In feines Haufes Säulenhalle, 
Die hinab vom Hang des Muſenhügels 

Auf Athen fchaut, vedet zu Kallifto, 

Seinem Weibe, Drimakos: Gefendet 

Hab’ ich auf die Agora den Sklaven, 

Daß er mir der Volfsverfammlung Anfang 
Kinde. Gleich dann eil' ich Hin; das Schickſal 
Bon Athen, von Griechenland, entjcheiden 
Muß ſichs heut. Zurücgefehrt vom Iſthmus 
Wird Themiftofles uns Kunde geben, 

Was im großen Rathe der Hellenen 

Dort beihloffen ward. — Und immer denfjt du, 
Gab Kallifto Antwort, an die Rüftung 

Für den Krieg nur? Beſſer wäre Frieden. 
Ach, den Sohn, den theuern Kallias, hat uns 
Schon der grimme Ares hingejchlachtet. 

Seit zuerft er aus Jonien Botjchaft 

Dir von Phanor fandte, ward fein Zeichen 
Seine Yebens und; gefallen muß er 

In der Schlacht fein, wo fo viele Griechen 
Schon erlagen. 


Stet3 noch heg' ich Hoffnung, 
Sagte Drimafos, daß er zur Heimath 
Kehre; kann er nicht in Haft der Perſer 
Sein und feine Ketten löfen? Aber, 
Wär es wie du glaubft, laß ſtolz ung denken, 
Daß ruhmwürdig für Athen er Hinfanf, 
Der Barbarenfluth, die wider Hellas 
Sich heranmälzt, durch Joniens Freiheit 





a 


Einen Damm zu fegen. Nicht geziemt es, 
Seiner eignen Trauer nachzuhängen, 

Wo Verderben Allen droht. Gelungen 

Iſts Themiftofles, nad) langem Kampfe 

Auf das Meer die Macht Athens zu bauen, 
Und beim Anblik unjrer Schiffe dürfen 

Stolz wir jagen: it der Griechenftaaten 
Einer gleih an Macht uns? Doch zu Yande 
Und zu See, in unermefinen Schaaren 
Wälzen fi) heran des RXerxes Heere, 

Und ob Theben, ob Korinth, ob Argos 

Zu ung ftehn, noch Keiner fann e3 wiſſen; 

Ya in unjerm Volke jelber werben 

Knechtſinn, Feigheit, Niedertracht den Perſern 
Bundsgenofjen, und zu Unterwerfung — 

Läßt die Schmady fi) denken? — rathen Biele. 


Wie er3 fpricht, den jüngern Sohn gewahrt er, 
Der mit einem Meißel an der Werkftatt 
Thor fich zeigt, und vuft ihm zu: Nun rüfte 
Did, Anthyllos, um mit mir zu gehen! 
Wie? noch immer an dein Marmorbild nur 
Dentft du, wo die Andern deines Alters 
In des Krieges ernften Werk fich üben? — 
Laß ihn! fällt die Mutter ein — vielleicht ja 
Wird der ganze Kriegsjturn noch verhallen, 
Daß mir ruhig diefe Beeren feltern, 
Die fih Schon am fonnigen Felshang bräunen — 


Und die Feigen, die Öranaten ernten, 
Sprad) der Jüngling, näher tretend; fieh, wie 
Köthlih aus dem Yaub bereits fie ſchimmern! 
D! ich hoff's, das ew’ge Yanzenwerfen 
Und der Ringfampf der Paläftren endet 
Bald, zu feiner Kunft zuritdfehrt Jeder, 


288 — 


Und im Herbfte, wenn wir bei der Cymbel, 
Bei der Either Schall das Weinfeſt feiern, 
Unter niederfinfenden Trauben tell’ ich 
Meines Bachus Bild auf. 


Ernſt gab Antwort 
Ihm der Vater: Ob auch zwanzigjährig, 
Noch ein Kind bift du, fo lag mich denken, 
Daß mich Schlimmer Argwohn nicht bejchleiche. 
Deiner Mutter, da fie Weib, vergeb’ ichs. 
Doc erfahren mußt du: wer von Frieden 
Koch zu ſprechen wagt, den Feinden redet 
Er das Wort: D, daß ichs läugnen könnte, 
Diele, Hunderte find in unver Mitte, 
Die beftohen vom Barbarengolde 
Für die Perfer wirken. Wieder Andre, 
Stolz auf ihres Stammes hohen Adel, 
Möchten lieber, als der Macht des Volkes 
Sich zu fügen, ung das Joch der Knechtichaft 
Auf den Naden legen, und die Priefter 
Sind im Bund mit ihnen und die Feigen 
Und die Sendlinge der vertriebnen Fürften. 
Doc) der alte Genius unfres Volkes, 
Der bei Marathon der Meder Hochmuth 
Fällte, wird in junger Kraft erftehen 
Und die Freiheit, ob die Lebenden alle 
Auch der Tod ereilt, den Enkeln retten. 


Eben ſprach ers: da gemefinen Schrittes 
Naht ein Mann mit hochgewölbter Stivne, 


Schliht von Kleidung, durch des Gartens Gänge. 


Freudig ihm entgegeneilend grüßt ihn 
Drimakos, und Jener Sprit: Zu früh wars 
Für die Agora; drum, Freund, zu dir noch 
Macht’ ich diefen Gang. Nachher zufammen 


— 239 — 


Yaß uns gehn, daß von Themiftofles wir 
Hören, ob zu feiten Bunde Hellas’ 
Staaten auf dem Iſthmus ſich geeinigt. 


hm erwidert Drimafos: Zu hoffen 
Wag' ichs nicht; nur Yacedämons find wir 
Sicher und Arfadiens; die Andern ſchwanken; 
Und wenn in ung felbft nicht unjre Stärfe 
Ruht, verloren ift Athen. Doc hier auch 
MWie viel fleine, niedre, läſſ'ge Seelen! 
D daß deines Geiftes doch ein Athen 
Hin durch Alle wehte! Einmal war ich 
Zeuge, Freund, beim Dionyjosfefte, 
Wie durch di der Mufe Himmelsodent 
Alle Herzen im der Begeiftrung reinen 
Flammen glühn ließ. Welche Feierftille 
Ringsumher auf des Theaters Sitzen! 
Wie in Andacht hingen alle Blice 
An der Scene, laufhten Ohr und Seele 
Deinen Chorlied, als die Achilleis 
Dem entzücdten Volk dur botft. 


Ins Wort fiel 

Jener ihm: Freund! Sprich von Anderm! — Aber 
Drimafos fuhr fort: So mögen, wenn du 
Selbft nicht willft, Anthyllos und mein Weib doch 
Mir ein Ohr leihn! Vor dem Geiſt noch fteht mirs 
Lebensvoll, al3 ob ichs eben jchaute, 
Wie der Peleusjohn mit Agamemnon 
Hadernd fern dem ©riechenheer am Meere 
Einſam grollt, und wie die Myrmidonen 
Wider Ilion ihn umfonft zu Hilfe 
Rufen. Siegreich vor fich her jagt Heftor 
Der Hellenen fliehnde Reihn; Patroflus 
Sit erichlagen, und in dumpfen Jammer 

Schack, Geſ. Werke. IV. 19 


En 


Wirft Achill fich auf des Freundes Leiche, 

Und der Chor fingt von dem alten, ew'gen 
Frevelmuth, der Aliens Völker wider 

Hellas ftahhelt: wie von den Barbaren 
Hingewürgt die beiten feiner Söhne 

Sinfen, weil durch Haß und ew'ge Zwietracht 
Selbft den Feinden fie die Waffen jchmieden. 
Bei des Liedes Klang erhebt der Held fich 
Bon dem theuern Todten; dem Atriden 

Der Berfühnung Hand zu bieten jchwört er, 
Und hoc) auf den Schlachtenwagen jchwingt fich 
Der Pelide, brauft hinaus aufs Blachfeld, 
Daß bei feinem Nahn, wie vor des Sturmmwinds 
Hauch zerrifine Wolfen, Trojas Krieger 
Auseinander ftäuben; feine Yanze 

Schmettert Heftor nieder, und vereint nun 
Siegen Hellas’ Heeresführer; Ilions 

Stolze Veſte fällt. — Da ging ein Jubel, 
immer endend, durch der Hörer Reihen; 
Hätten damals Aſiens Bölferhorden 

Bor Athen gejtanden, alle Bürger 

Wären freudig, fiherm Tod entgegen 

In die Schlacht geftürzt. Allein der Menjchen 
Enge Bruft vermag der Götter Odem 

Doch auf Augenblide nur zu faſſen; 

Wieder bald ziehn Eigenfucht und Kleinmuth 
In fie ein und alle nievern Triebe. 

Deine Bruft, mein Neihylus, allein ift 

Ein Altar, auf dem die heil’ge Flamme 

Emig lodert. 


Ihm erwidert Jener: 
Was gemahnſt du mich an Längſtvergeſſnes? 
Traute Freundin meiner Jugendjahre 
War die Dichtung; lang jedoch der ernſten 


— 931 — 


Pflicht des Mannes ift fie nun gewichen. 
Schon als Knabe, wenn ich in Eleufis 

Am Geftade jaß, ging bei der Wogen 
Brandung, die um Heldengräber raufchten, 
Mir die Ahnung auf, nichts Höhres geb’ es, 
ALS fürs heil’ge Vaterland zu fämpfen 

Und zu bluten; wenn bei der Myſterien 
Feier ih dem Zug der Eingemeihten 

Mit den Eltern bis zum Tempeleingang 
Folgte und her vom Altar der Priefter 
Chorgejang ertönte, ſprach mein Bater: 
Nicht gelüftet wurde mir der Schleier 

Bom Geheimniß, das fie drinnen hüten; 
Doch ich weiß und du bewahr’ es: Eins ift 
Aller Weisheit Ziel: die Götter ehren 

Und dem Baterland fein Yeben mweihen! 
Glaube mir, mein Drimafos, die Wunde, 
Die bei Marathon das Schwert der Meder 
In die Bruft mir grub, mit höherm Stolge 
Trag’ ich fie ala all’ die Dichterfränze, 
Welche leicht erregbar mir die Menge 

Um die Stirne wob. Wie dürft’ ich jest nod) 
An der Jugend müß'ge Spiele denfen? 

Nun zu ernfterm Werk, zu größern Schlachten, 
Als da unſre Schwerter auf Mardonius 
Niederflammten, müſſen wir uns rüſten. 


Meinen Sklaven ſeh' ich mwiederfehren — 
Unterbriht ihn Drimafos — zum Gehen 
Fit es Zeit. Begleiten wird mein Sohn und. — 


Und die Beiden mit Anthyllos fchreiten 
Hin des Wegs zur Agora. 


Schon fluthet 
Dichtes Volksgetümmel dort. Verſammelt 


— 22 — 


Bor dem großen Altar der Olympier 

Sind der Stadt Archonten und Prytanen. 
Aufgezogen auf der Rednerbühne 

Iſt die Fahne; aber wirres Toben 

Brauft noch allumher, der Marftgenofjen, 
Kohlenbrenner, Waarenhändler Rufen. 

In der Lärmenden Mitte drängt ſich Einer, 
Und mit lauter Stimme al die andern 
Uebertönt ex, wie er Spricht: Ich ſag' euch, 
Naferei, an Widerftand zu denken, 

Wär es. Aus Bithynien meine Waaren 
Bringend, längs des Strandes alle Yänder, 
Bon der Propontis bis hinab an Lyciens 
Meerbucht, fand ich voll von Perfiend Heeren. 
Was ein Schwert nur trägt im unermefinen 
Afien, ſtürmt in Waffen unaufhaltfam 

Wider uns heran. Am Hellesponte 

Schaut’ ich, wie auf rieſ'ger Eifenbrüde, 

Die von Welttheil fih zu Welttheil hinſpannt, 
Sieben Tage, Nächte lang der Kriegszug 
Nach Europa fi) hinüberwälzte; 

Was zu Roß, zu Fuß, auf Schladhtenwagen 
Und auf niegejehner Ungeheuer 

Nücen, die fie Elephanten nennen, 

Ich in einer Stunde mir vorbeiziehn 

Sah, ſchon war genug, um alle Griechen 

Aus der Welt zu tilgen. Weiter num erft 
An Joniens Küften die Myriaden 
Schmwimmender Paläfte, die bejegelt 

Nur des Windes harren, wider Hellas 

Aſiens ſchäumende Bölferfluth zu tragen! 

Auf dem Meer, um alle fie zu fallen, 

Sit nicht Raum — und gegen fie uns ftemmen 
Sollten wir? — — Er mill noch weiter fprechen; 
Drohend wider ihn dringt da ein Haufe 


u 


Mit Gefchrei heran: Laßt nicht den Schwätzer 
Ferner reden! Seine großen Worte 

Zeigen: ein verfappter Meder ift er! — 
Nein doch) — fo, die Fäufte ballend, rufen 
Andre — von den hochmuthstollen Freunden 
Des Pififtratus ward er gedungen; 

Nicht vergeffen fünnen fie, wie ehmals 

Sie fich hier gebläht in Amt und Anfehn; 
Wieder jollen num zur Macht die Feinde 
Ihnen helfen; in den Staub mit Allen! 


Da, nicht ferne, fchallen Weherufe. 
Dicht um Einen, der, von athemlojem 
Lauf erjchöpft, verworrne Worte ftammelt, 
Drängt die Menge fih; und wie allmählig 
Aus den einzelnen Yauten fi) der Rede 
Sinn erihließt, von Mund zu Munde jchallt es: 
Weh, der Spruch der Götter, den die Pythia 
That, verfündet Untergang uns allen, 
Wenn den Perfern wir zu widerftehen 
Uns vermeffen! Wir mit unfern Weibern, 
Unfern Kindern müfjen, wenn vom Schwerte 
Der Barbaren nicht erjchlagen, hülflos 
ort ins Elend ziehn; verbrannt, verwüſtet 
Wird Athen ein Haufen vauchenden Schuttes 
Werden. Nah Schon find die Abgejandten, 
Die der Seherin Wort aus Delphi bringen; 
Ihnen nur vorausgeeilt ift dieſer. 


Und Beftürzung liegt auf jedem Antlitz. 
Bon den Lippen Bieler ſchallt's: was bleibt ung, 
Als der Ööttermahnung ung zu fügen? 
Erd’ und Waffer al3 der Unterwerfung 
Zeichen müſſen wir den Perjern enden. 


— 294 — 


Aber eine Stimme, weithin hörbar, 
Wird vernommen: Wär’ es felber Wahrheit, 
Was euch Jener fündet, Feiglinge! mwolltet, 
Um euch Leben, Habe, Stadt zu retten, 
Ihr als Sflaven in des Sflavenvolfes 
Joch euch beugen? Aller Güter beftes 
Iſt die Freiheit; und wenn wir fie retten, 
Mag die Stadt in Schutt und Trümmer finfen, 
Mag uns jelber Elend, Tod ereilen, 
Doch das Köftlichfte mit ung zu Grabe 
Nehmen wir. 


Sp Aeſchylus; da ſchmetternd 
Scholl Drommetenklang; hin durchs Gedränge 
Schritt ein Herold: Auf! zur Volfsverfammlung 
"Auf die Pnyxr! Zurückgekehrt vom Iſthmus 
Will Themiſtokles euch Nachricht geben, 
Männer von Athen! was in der Griechen 
Großem Rathe dort beſchloſſen worden. — 


Durchs Gewühl hin bahnten Bogenſchützen 
Den Archonten einen Weg nach oben, 
Und die Menge ſtrömte nach, in Reihen 
Um des Hügels Haupt ſich ſchaarend. Alſo 
Von der Rednerbühne, ernſten Blickes 
Auf die Stadt und ihre Hochburg ſchauend, 
Die ſich vor ihm hin im Halbkreis breitet, 
Dann beginnt Themiſtokles: Athener! 
Kurze Rede ziemt ſich, wo zu Thaten 
Die Gefahr des Vaterlands uns fordert. 
Seit bekannt und ward, daß König Rerxes 
Seine Sklavenvölker al’ in Waffen 
Wider ung zum Kampf mit Geißelhieben 
Treibt, in alle Pänder der Hellenen 
Schickten Boten wir, daß ihre Wohner 





— 29 — 


Sich mit uns zu feſtem Bund vereinten. 

In Korinth, am Heiligthum Poſeidons 
Sollten ſie mit uns Berathung pflegen, 

Wie gemeinſam unſre heimiſchen Laren 

Wir beſchützen. Doch mit Trauer ſag' ichs: 
Wenige der Griechen ſind des Wahlſpruchs 
Unſrer Väter eingedenf: Nur Eines 

Thut jest noth, das Vaterland zu retten! 
Allen königlichen Scepterträgern, 

Den Tyrannen von Thefjaltien, Samos 
Klopft das Herz in Zärtlichkeit für Perfiens 
Herrſcher. Seiner Füße Staub ehr füßten 
Sie, als mit Athen ſich zu verbinden; 
Denn fie wiffen, daß Harmodius’ Dolch hier 
Jedes wartet, der Defpotenmillfür 

Ueben möchte. Doc verräthrifch hält ſich 
Auch die alte Freiheitsfeindin Theben, 

Die, beherrfeht von ihren ahnenftolzen 
Dligarhen, ung Verderben brütet, 

Hält auch Argos, Megara, Platäa — 

Was noch joll ich all die andern nennen? — 
Sich zurüd. Allein, ob nur mit Wen’gen, 
Um fo fefter ward der Bund gefchlofien! 
Für ganz Griechenland mit ung vereinigt 
Stehn Korinth, Arkadien und Sparta, 

Und als Eidgenofjen am Altare 

Des Kronion haben wir gejchworen, 

Bis zum Tod das Vaterland zu ſchützen, 
Weib und Kind, der Götter Heiligthimer 
Und der Ahnen Gräber. Wer aus Feigheit 
Fernbleibt unferm Bunde, nicht Hellene 

Sit er mehr, nicht bei Olhmpias Spielen 
Darf er mit den andern Freien fämpfen; 
Und in Acht verfällt als Hochverräther, 

Wer zu Perfien hält. Wohl uns bewußt find 


— 29% — 


Der Gefahr wir. Alle Bölferichreden 

Aus des Oſtens grauen Fabelreichen, 

Aus den mitternächt’gen Bergen werden 
Xerxes' Heeresfürften auf ung jchleudern; 
Mächtig ung zu rüften, alle Kraft zu 
Spannen, daß für Taufend Einer ftehe, 

Gilt es da. Nach Norden, um Theſſaliens 
Päſſe den Barbaren zu verjperren, 
Aufgebrohen find ſchon die Spartaner; 

Uns indefjen liegt es ob, ein Yandheer 
Abzufenden, dag im Thal von Tempe 

Ihre Rückhut bilde. — Seine Kriegsmacht 
Schidt Korinth, Arkadien uns zum Beiftand. 
Doc der Flotte von Athen vor Allem 

Stolz vertraun wir; mögen ohne Zahl auch 
Des gewalt’gen Perfiens Rieſenſchiffe 

Wider ung herannahn: wie vor ihnen 
Zagten wir, die früh, als mit Gefährten, 
Mit den Wogen wir gejpielt, am Ruder 
Und im Taumerk fletternd zum Gehorjam 
Uns das Meer gewöhnt? Db au) die Luft ſich 
Bon der Wurfgeſchoſſe Hagel ſchwärze, 

Die fie nah) uns fchleudern: in den finftern 
Abgrund werden unfere Trieren, 

Leicht beweglich hin und wieder ſchießend, 
Ihre fhwimmenden Thürme bald begraben! — 
Sp noch ſprach er; rings war Todtenftille. 
Auf drei Männer, die durch) das Gedränge 
Haft’gen Schrittes Bahn fich brachen, plötzlich 
Nichteten Aller Blicke fih. Aus Delphi 
Warens die Gefandten. Hin zu ihnen 

Trat der Redner; und auf der Archonten 
Antlig, wie auf feines legte, da fie 

Ihre Botſchaft hörten, tiefrer Ernſt noch 
Als zuvor ſich. Dann die Rednerbühne 





— 297 — 


Neu betrat Themiftofles: Vernehmt es, 
Männer von Athen; nicht um die Wahrheit 
Will ich euch betrügen: Mit den Perjern 
Sind die Götter wider ung im Bunde, 
Durd den Mund der Seherin verkündet 
Uns Apoll: wenn wir dem Feinde trogen, 
Wird Verwüſtungsſtaub die Stätte deden, 
Wo Athen geftanden. Wohl denn! möge 
Der Diympier Wille fich erfüllen; 

Dod jo lange noch ein Tropfen Blutes 

Hin durch unfre Adern rollt, fo lange 
Unfer Arm noch eine Yanze ſchwingen 
Kann, die Bruft dem Feind entgegenmerfen 
Wollen wir; — ifts uns verhängt zu fallen, 
Noch im Tode, während unfre Knochen 
Mit der lodernden Aiche unſrer Häufer, 
Unfrer Tempel fih vermifchen, werden 

Wir der Freiheit himmlischen Odem trinfen. 


Alfo ſprach er. Feierlihes Schweigen 
War umher: zurück in feines Herzens 
Tiefe drängte Jeder feine Zagniß. 

Und das große Schidjal, das am Himmel 
Ueber Allen aufzog, machte größer 

Auch die Seelen. Lautlos in die Straßen 
Bon Athen vertheilten fi) die Bürger; 

Und in welchen Heerestheil zu treten 

Ihm bejtimmt jei, wie durch Waffenübung 

Er zu ernftem Kampf fich vorbereite, 

Ward dur die Acchonten Jedem Weifung. — 


Zu dem Bater, faum daß ihm zur Seite 
Er die Agora verlaffen, fagte 
So Anthylios: Heute noch den Meißel 
Will ic) mit dem Speer, dem Schild vertaufchen, 


ag 


Daß ich mit dem Yandheer nordwärts ziehe! 
Und voll Freude preift des Sohns Entjchliegung 
Drimafos. Da Beide zu der Wohnung 

An dem Hügel kehren, jtürzt entgegen 

Ihnen, noch in Reiſetracht, ein Jüngling, 
Athemlos und freudeſtrahlend. Vater! 

Ruft er aus; allein die Stimme ſtockt ihm 

In des Jubels Uebermaß, indeß ans 

Herz dem Drimakos er ſinkt. Ja! Kallias 
Iſts, der langverlorne, neugefundne. 


Auch die Mutter, die den Heimgekehrten 
Schon begrüßt hat, tritt heran, von Neuem, 
Stets von Neuem ihn an die Bruſt zu drücken. 
Als des Wiederſehens erſte Wonne 
Dann geſtillt und ſeiner Abenteuer 
Schnell der Sohn gedacht, mit einer Bahre, 
Drauf ein Greis ruht, nahen vom Piräus 
Sklaven. Dieſen auch — ſpricht Kallias — 
Bring' ich euch als Gaſt. Machaon iſt es, 
Führer von Joniens Griechen. Hoch ihn 
Als der Helden edelſten müßt ihr ehren. 
Noch als Greis in unſern Reihn zu kämpfen, 
Kehrt er nach Athen! 


Sie Alle traten, 
Willkomm ihm zu bieten, um die Bahre. 
Doch zurückgeſunken lag Machaon 
Reglos, wie entſchlummert. Dann die Augen 
Oeffnend, halb emporgerichtet ſpricht er: 
Tragt den Abhang mich hinan! Die eigne 
Kraft verſagt mir. Meine Seele möcht' ich 
An dem Anblick weiden. — Ihm nach oben 
Folgten Alle; und der Greis ließ lange 
Hin den Blick auf Stadt und Meer und Inſeln 


— 


— 299 — 


Schweifen, die im Abendlichte glühten. 

Sa, jo rief er, mein Athen, ich jeh’ dich 
Wieder! Noch inmitten der Delbaummälder, 
Deren Zweige meine Wiege fränzten, 

Liegft du da; Kephifjos und Ilyſſos 

Senden noch wie einjt, die Zwillingsbrüder, 
Ihrer Bronnen raftlos quellende Waſſer 
Hin durch deine rofjeprangenden Fluren! 
AU die Tempel grüß’ ich, wo als Knabe 
Ich den Göttern opferte, die Paläftren, 
Drin ich mit den Jünglingen rang: da drüben 
Mein Kolonos, wo in grüner Waldnacdht 
Mit Xenofrates, dem Lehrer, wandelnd 

Ich von jeinen Yippen Weisheit jchlürfte ! 
Theure Stadt, für did im Kampf zu fallen, 
Wollen mir die Himmlischen nicht gönnen: 
Deinen Boden nur betreten jollt’ ich, 

Um zu fterben. Aber ewig möge 

Di die blaugeaugte Pallas ſchützen! 


Aufgerichtet, wie er jo gejprochen, 
Stand Mahaon; doc ermattend plößlich 
Sank er rüdmwärts in des Kallias Arme. 
Seine brechenden Blicke glitten einmal 
Noch auf jein Athen dahin — nur furz noch, 
Und verhaucht hatt! er den legten Odem. 


UNeunter Gefang. 


Haum des Wiederſehns von Kallias haben 
Sich die Eltern noch gefreut, da trauernd, 
Aber ftolz den jüngern Sohn in Waffen 
Sehn fie nach Thefjalten ziehn. Zum großen 
Yagerplage ift bis zum Piräus 
Und BPentelifon das Yand geworden. 

Allhin blisen Lanzen, Helme, Tartjchen, 
Tönt der Panzer und der Schwerter Klirren, 
liegt der Stolz von Attifa, das Streitroß, 
Schnaubend durch den Wirbelftaub. Doc Kallias 
Und der Vater eilen in der Frühe 

An das Meer, um jeder die Triere, 

Die ihm anvertraut, zum Kampf zu rüften 
Und die Ruderer im Werk zu üben. 

Alle Werften find gefüllt mit emj’gen 
Menſchenſchaaren, und von Segeln ſchimmert 
Weit hinaus die See. Die Felsvorjprünge 
A umſchiffen, jede Bucht durchkreuzen, 

Jede Klippe meiden lehren will erſt 
Drimakos den Sohn ſammt den Gefährten, 
Eh des Kampfes großer Tag heranrückt. 


Schon kam Botſchaft, daß gleich Wetterwolken, 
Schwer von Kriegsſturm, Perſiens ungeheure 
Flotte durch des Oſtmeers Wogen nahe; 

Und durch große Opfer aller Götter 
Beiftand auf Athen herabzuflehen 
Unabfehbar drängte ſich die Menge. 





— 3501 — 


Blumenkränze prangten um der Tempel 
Dorerſäulen, und zur heil’gen Höhe 

Der Akropolis in langen Reihen, 

Bei der Flöten und der Eymbeln Schalle 
Ging empor der Feltzug. Vorn die Priefter, 
?ichten wallenden Gewands, in Händen 
MWeihefchalen, dann die Opferdiener 

Mit dem Schlachtbeil; hundert weiße Stiere, 
Die als Hekatombe fallen jollen, 

Folgen nach, und hoch auf prunfenden Wagen 
Jünglinge mit prächt'gen Viergefpannen, 
Greiſe mit Dlivenzweigen, Jungfraun 
Silberbeden und Tripoden tragend. 

Um den Altar reihn ſich die Archonten 

Mit Themiftokles, des Staates erjtem 

Lenker, und herab die Tempelftufen 

Bis zur Stadt das Bolf in Feſtgewändern, 
Kränze auf dem Haupt. Der heil’ge Hymmus 
Hat begonnen; plößlich geht ein Raunen 
Dur die Menge hin, ein angftvoll Flüftern. 
Neben fich hört Kallias Einen fprechen: 

Seht, die Unglüdsboten! — Durch die Reihen, 
Die fich öffnen, jchreiten von des Weges 
Staub bededt noh Männer in Theſſaliens 
Kleidung, und von hundert zitternden Stimmen 
Um fie tönt es: Wenn e3 wahr, es wäre 
Aller Untergang! 


Bor die Archonten, 
Alſo ſprechend, treten die Theffalier: 
Dur dag Thor von Hellas eingedrungen 
Sind die Perfer; ihrem Heere ftemmte 
Sic Leonidas entgegen, Spartas 
König, Tag für Tag auf Yacedämons 
Ganze Kriegsmacht hoffend, daß der Feinde 


— 3502 — 


Andrang er bewält’ge. Nur Dreihundert 
Waren mit ihm, und den mweitern Beiftand 
MWeigerten die tüdifchen Ephoren. 

Sieben Tage, fieben Nächte rückwärts 

In die Engſchlucht trieb das kleine Häuflein 
Perſiens Schaaren; taufend, abertaufend 
Sanfen hin, durchbohrt von Griechenlanzen; 
Und voll Ingrimm von der Feljenhöhe 
Schaute Xerre3 feiner bejten Krieger 
Untergang: voth floß von ihrem Blute 

Feder Bach der Schluht. Im offnen Kampfe, 
Wußt' er wohl, den Durchzug ſich erzwingen 
Konnt’ er nie; geleitet vom Berräther 
Ephialtes — treffe aller Götter 

Fluch ihn! — führt’ er auf geheimen Bergpfad 
Durchs Gebirg drum feiner Bogenſchützen 
Myriaden; und am Morgen waren, 

Sp wie Löwen in der Grube, Spartas 
Helden rings umzingelt. Keine Rettung! 

Da zum Tod fih wie zum Felt zu ſchmücken 
Gab Leonidas Befehl den Tapfern; 

Und, ins Haar fih Blumen windend, jehritten 
Sie bei eines Päans Jubelklängen 

In den legten Kampf. Bon allen Höhen 
log der medifchen Pfeile ehrner Hagel 

Auf fie nieder; doc durch der Gefchoffe 
Nächtige Wolfe noch Berderben trugen 

In der Feinde Neihn fie, biS zevjplittert 
Ihre Yanzen brachen. Sterbend ſanken 
Mann an Mann fie: iiber ihre Leichen 

Wälzt verheerend der Barbaren Fluth ſich 
Gegen Attifa; zerftörte Städte, 

Nauchende Dörfer fünden ihres Weges 

Spur. Durhmwühlt von ihrer Habgier werden 
Alle heil’gen Stätten; Fadelbrände 


— 30 — 


Sn die Tempel und gemweihten Haine 
Schleudern fie. Wenn die Olympier ſelbſt nicht 
Ihrem Frevelzuge Halt gebieten, 

Iſt Athen, ift Griechenland verloren! 


Ernſt, Beftürzung, feierliche Stille 
Yagert, wie die Boten alfo reden, 
Sic auf Alle. Yange, tiefen Sinnens 
Senkt Themiftofles jein Haupt; hin tritt er 
Dann vor den Altar, um vor den Göttern 
Seinen Rathſchluß einmal noch zu prüfen. 
Und zum Volf mit fefter Stimme fpridt er: 
Eins nur bleibt ung, aber in dem einen 
Nettung. Unſre Stadt noch ſchützen wollen, 
Thöricht wär's; am diefer Burg, der Pallas 
Alten Heiligtum, und an den Tempeln 
Bon Athen mag fi der Feinde Ingrimm 
Sätt’gen; unfre Häufer mög’ er fchleifen, 
Daß die Stätte nicht, wo fie geftanden, 
Mehr zu finden. — Doch nicht in den Mauern, 
In den Steinen, die die Zeit verwittert, 
Fit Athen: in unfern Herzen, unfern 
Seelen ungerftörbar fejt gegründet 
Stehts. Hinweg mit uns auf unfre Schiffe 
Nehmen wirs, und ſchützend wird Poſeidon 
Es auf jeiner Wogenfluth empfangen, 
Big mit uns gerettet es ans Ufer 
Steigt, in neuer Herrlichkeit zu blühen. 
Alle denn laßt und das Mindre opfern, 
Um das Köftlichjte zu retten: Freiheit, 
Baterland! Wer Auder oder Yanze 
Führen fann, auf den Trieren ſuch' er 
Seine Heimath; auf der Wogenfluth auch, 
Wie am Hausaltare ung behüten 
Werden unfre Laren. Weibern, Kindern, 


— 3504 — 


Greifen diene Salamis als Zufludt. 
Legt in meine Hand, in der Archonten 
Hand, Athener, denn des Werkes Leitung! 


Zweifelnd vor ſich nieder ftarrten Alle. 
Fragend ſahn fich gegenfeitS ing Antlitz 
Die Archonten; bang geflüfterte Worte 
Einzig wurden laut. Nicht fern ftand Kallias 
Bon Themiftofles, und zu den Männern, 
Die ihm nahe, ſprach er: Welches Zögern? 
Bon den Göttern jelbft kommt diefer Rathſchluß! 
Fa, ich weiß, in ihm allein blüht Heil uns. 
Als vor Monden in der Perfer Haft ich 
Seufzte, und der Kriegslärm ihrer Heere, 
Die fi) donnernd gegen Hellas wälzten, 
Dumpf in meines Kerkers Mauern dröhnte, 
Sandten einen Traum mir die Olympier. 
Bor mir vom Pentele und Hymettus 
Sah ich, einen bligenden Strom von Waffen, 
Auf Athen der Meder Niejenfchaaren 
Niederfluthen; aber erzgepanzert, 
Mit der Yanze auf das Meer Hindeutend, 
Schwebte Kronions blaugeaugte Tochter 
Ueber ihre ſchutzbefohlne Stadt hin. 
Und auf allen Wegen, ihrem Winfe 
Folgend, drängte an das Geegeftade 
Sich das Bolf. Jedoch die hehre Pallas 
Mies, indem fie leuchtend einem Stern glei) 
Ueber die blaue Fluth im Flug dahinglitt, 
Auf die Schiffe ihm den Pfad. — Er jprad) es; 
Und von Mund zu Munde flog die Kunde, 
Muth von Neuem in die Herzen gießend. 
Und Themiftofles erhub die Stimme 
Wiederum: Das Opfer laßt uns enden! 


— 305 — 


In der nächften Frühe dann vollziehn wir 
Was die Schügerin Athens gebietet. 


Neu ertönte von der heil’gen Höhe 
Der Gefang, die Opferhefatombe 
Biel, und während ernjt und groß die Sonne 
Hinter Salamis verfinft, bergabmärts 
Wallt der ſchlummerloſen Nacht entgegen 
Sorgenvoll die Menge. 


Bon Kalliſtos 
Lippen hallt, wie mit dem Sohn der Gatte 
Bei ihr eintritt und fie in der Frühe 
Sich zum Aufbruch rüften, feine Klage. 
Schmweigend ordnet fie die kleine Habe, 
Um das theuerfte mit fi zu nehmen; 
Und als durd das brechende Dunfel Dämmernd 
Sich der Morgen hebt, mit Scheidebliden 
Auf der Wohnung und der Säulenhalle 
Und des Gartens Delbaumdidicht laſſen 
Noch die drei daS Auge ruhn. Des Weges 
Zum Piräus mit den beiden Sklaven 
Und der treuen Dienerin Denone 
Ziehn fie dann. Don dichten Menjchenfchaaren 
Sind bededt die Höhen all’, die Pfade; 
Und die Hände ringend wenden Mütter, 
Kinder oft zurück nach der verlaffnen 
Stadt fi, deren Häufer, Tempel, Haine 
Durch Barbaren-Fadeln nun in Afche 
Sinken jollen. Doc die Fünglinge Schauen 
Und die Männer feften Muthes meermärts 
Auf die neue Heimath, deren Wellen 
Ihnen freud’gen Gruß entgegenraufchen. 


Weithin längs des Ufers ift mit Schiffen 
Ueberjät die Fluth, und leichten Fluges 


Shad, Ge. Werke IV. 20 


— 306 — 


Bei der fallenden Ruder Taft hinüber 

An der Infel Küfte trägt Triere 

Auf Triere die Athenerinnen 

Mit den Säuglingen und den gliedermatten 
Greifen. Zelte werden dort gejchlagen, 
Drunter auf des Bodens hartem Felsgrund 
Sie die Yagerftätte fich bereiten; 

Andre finden Schuß in der Gebirge 
Höhlen. 


Nah dem Strand in eines Fifchers 
Hütte ſucht Kallifto mit Denone 
Zuflucht; Drimafos jedodh und Kallias 
Gleich) den Andern, die zum Kampfe tüchtig, 
Wählen fich als Haus den wogenden Schiffskiel. 


Schredensfunden über Schredensfunden 
Kommen bald, wie im Verwüftungszuge 
Sengend, plündernd die Barbarenheere 
Aus des Nordens Bergen näher rüden, 

Wie fie alles Volk in Ketten werfen 

Und, des Jammers, der Verzweiflung Beute, 
Fort zur Sflavenfrohn in Afiens Wüften 
Schleppen. Flüchtende aus Böotien langen 
An in Salamis. — Wie Nachts ein Bergftrom 
MWetterfturmgefhwollen in die Thäler 
iederbraust und fammt den Hütten ihre 
Wohner in die Wirbelfluth hinabreißt, 

Alfo war ein Schwarm von medifchen Reitern 
Würgend in die Schluchten des Parnafjus 
Eingebroden; nur ein Ajchenhaufe 

Gab den Platz noch fund, wo des Apollo 
Heiligthum in Delphi ſonſt geftanden. 

Und der Tempelſchatz, die Weihgefchente, 

Die Jahrhundertlang der Griechen Andacht 


— MM — 


Am Altar dem Gotte dargeboten, 
Waren zerftreut in alle Winde worden. 


Selten Nachts, wenn er von der Triere 
Dienft fih Ruhe gönnen durfte, weilte 
Kallias bei der Mutter auf der Inſel, 
Tröftung ihr zu bringen. Um Anthyllos, 
Um den jüngern Sohn, voll banger Sorge 
War ihr Herz, der auf dem Weg nach Norden 
Nun vielleicht durchbohrt von Perjerlanzen 
Hingefunfen, fein Gebein am nadten 
Felshang bleichend, jeine Manen ruhlos 
Frrend. Ihren Gram zu mindern juchte 
Kallias: Glaube, fiegreich fehrt er 
Bald zurück! Doch ihm auch ſchwand die Hoffnung 
Nach und nad. Wie vor dem nahen Erdſtoß, 
Eh hinab er in die finftre Tiefe 
Städte reift und blühnde Yänderftreden, 
Leifes Zittern hinfchleicht durch den Boden, 
Liefen Angftgerüchte vor dem Kriegsfturm 
Her. Ein jeder Abend bradte Nachricht, 

Die vom nächt'gen Pfühl den Schlummer ſcheuchte. 
Schon von Waffen der Afiaten, hieß es, 
Starren des Cithäron wald’ge Schluchten; 
Wieder dann: in Attika ſchon bligen 

Ihre Yanzen! Einft da, al3 das Dunkel 
Ueber Salamis hereingebrodhen, 

Zu Kallifto, die mit Sohn und Gatten 

In der Hütte noch Geſpräche pflog, ftürzt 
Tief erfchredt die Dienerin: Am Feftland, 
Auf den Höhen um die Stadt, rings fladert 
Rother Lichtglanz — Wachtfeur der Barbaren 
Müffens fein! — Zum nahen Hügel Kommen 
Auf die Drei. Und weithin vom Hymettus 
Und Pentelifon bis in den Thalgrund 


— 308 — 


Des Kephifios jahen fie den Gluthſchein 
Eich verbreiten. Rings war das Gejtade 
Ueberdedt mit Flücht’gen, die aus Zelten, 
Höhlen, Hütten aufgefheucht voll Jammers 
Nah dem Schredensanblid ftarrten. Yauter 
Bald erichallt der Angftichrei; dann auch meiter 
Unten leuchtet auf, und Flammen fcehlagen 
Ber Kolonos, bei Kallivrhoös Duelle 

Durch das Dunkel; das find Yagerfeuer 
Nicht, Brandfadeln haben die Barbaren 

In des Thejeus Stadt gejchleudert. Züngelnd, 
Hoc und höher lodernd ſchießen Gluthen 
Hin von Dad zu Dächern; Säulen jtürzen 
Und Baläftren in die mächt'ge Lohe; 

Wild empor fid) windend ſchlingt die heiße 
Schlange ihre Ningel um die Tempel 

Der Akropolis, die Marmorgiebel; 

Und al3 endlich nur ein ungeheures 
Slammenmeer noch allhin vom Olympion 
Bis Kolonos und Munychion fluthet, 

Stirbt der Schauenden Wehruf: allzu tief ift 
Für die Klage ſolch Entjegen — jtumm nur 
Dliden alle nad) der Grauenjtätte, 


Kalt und bleich zulett legt ji) der Morgen 
Auf das Schuttfeld und die Aichenhigel 
Der verſchwundnen Stadt. Zu ihrem Tagwerf 
Auf den Schiffen gingen neu die Männer, 
Glücklich fie noch, daß die ernfte Pflicht fie, 
Daß die Uebung für den Kampf ihr Sinnen 
Ganz gefangen nahm. Allein Kallifto, 
Wie des Tages überlange Stunden 
Sie verlaffen in der Hütte weilte, 
Welche Schredgedanfen zogen wechjelnd 
Dur den Geift ihr! Todt ihr Herzensliebling, 





— 59 — 


Ihr Anthyllos! Ihre ſüße Heimath 

Eine Trümmerftatt, und deren Wohner 

Noch vielleicht zu größerm Trauerſchickſal 
Aufgeipart. Als fie in dumpfem Kummer 

So geſeſſen und umfonft am Abend 

Auf des Sohns Beſuch, des Gatten harrte, 
Trat zu ihr die Dienerin Denone: 

Herrin, raff dich auf aus dieſer Trübjal! 

Sie wird enden; von den Göttern ward mir 
Kund. Bernimm! In Gram wie du verfunfen 
In der Schluht von immergrünen Eichen 

Saß ih. Da von ferne durch das Didicht 
Klang ein Schall von Cymbeln und von Flöten. 
Näher kams; und durch die raufchenden Zweige 
Traten tänzelnd furzgehörnte Faune; 

Satyın folgten nach in luſt'gen Eprüngen, 
Nymphen, Eichenfränze um die Stirne, 

In den Händen jchmetternde Krotalen 

Und Banisfen, auf den Pfeifen fingernd, 

Die fie lachend an die Lippen drüdten. 

Wie fie meiner achtlos auf dem Raſen 

Ihren Reigen fchlangen, ihr Geficher 

Hört’ ih. Ans Geftade hin trat Eine; 

Und nad) ihrem Winfe aus den grünen 
Meereswellen tauchten Nereiden, 

Schimmernde Perlen in den Yodenhaaren, 
Cithern in der Rechten; ihnen aber 

Rief die Nymphe zu: Hinüber wieder 

Sollt ihr bald uns zum Piräus führen, 

Rüſtet eure Mujchelnachen; lang nicht 

Währt mehr unfer Bann: in diefem Herbit noch 
Feiern am Ilyſſus wir das Weinfeft! 


Zu Themiftofles auf die Triere 
Ward indellen Kallias berufen. 


—:- 310. — 


Wie du fühn und weiſe deine Mannfchaft 
Leiteft, ſprach zu ihm der Feldherr, hört’ ic). 
Jeden Lufthauch weißt du in dem Segel 
Aufzufangen, und dein Schiff gehordht dir 

Wie ein Nof dem Reiter. Auch beim Opfer 
Auf der Burg an deiner Nede hab’ id) 

Mich erfreut. Noth ift ein Mann wie du mir! 
Drum an meiner Seite dich zu haben 

Wünſch' ih. Den Foniern deines Schiffes 
Werde Theron Führer, der Acharner. 


Kallias folgte willig dem Geheiße. 
Auf des Feldherrn Schiffe nun als Zweiter 
Unter ihm die Mannjchaft der Triere 
Yeitet er. Und immer drohnder ziehen 
Um die Bucht von Salamis des Krieges 
Wetterwolfen fih zufammen. Weithin 
Bon der Perjer Reitern, Wagen, Fußvolk 
Sit erfüllt das Ufer; und herüber 
Auf den Wogen ſchallt von ihren Warten 
Das Geklirr, da3 Rollen ihrer Räder, 
Noßgewieher und des Bodens Dröhnen, 
Der zerftampft von unzählbaren Schaaren 
Dumpf erzittert. Durch die Feljenpforte, 
Die ſich zwifchen Yand und Inſel aufthut, 
Aber fieht man, Maft an Maft fich veihend, 
Unabjehbar der Barbarenjchiffe 
Taufend-Taufende bis zum Himmelsrande 
Sich verbreiten. Eingefeilt, vom Meer aus 
Wie vom Feftland, blieb dem Häuflein Griechen 
Rückzug nicht. Die flüht'gen Frauen, da fie 
Bon der Inſel Klippen auf die Öatten, 
Söhne, Brüder niederblidten, vaunten 
Bange: Wie in der Eyflopenhöhle 
Die Gefährten des Odyſſeus find fie; 





— 311 — 


Einen nad) dem Andern auf die Schlahtbanf 
Wird dies wüth'ge Volk und uns dann jchleppen. 


Mit Korinths, Arkadiens, Sparta Feldherrn 
War Themiftofles Berathung pflegend 
Bis zur Nacht vereint gewejen. Grollend 
Kehrt er auf fein Schiff und fpricht zu Kallias: 
Untergang uns Allen wird dies Zagen 
Bringen. AS ich ernſt zu jchleun’gem Angriff 
Mahnte, jahn Arkadiens, Spartas Führer 
Fragend fih mit Bangen an, und bleicher 
Wurde noch vom Widerſchein des andern 
Jedes Antlis. Uns in fein Verderben, 
Riefen fie, mit ſich hinunterreißen 
Will Athen; beſetzt ſchon von des Feindes 
Heeren iſt der Iſthmus, und der Weg ſteht 
Ihm bis in das Herz der Pelopsinſel 
Offen. Nur noch eine Rettung bleibt uns: 
Durch den Ausgang, den die Perſerflotte 
Bei Munychion noch nicht ſperrt, zu fliehen. 
Mit den Bangenden länger Zeit verlieren 
Wil ih nicht; an König Kerres, Kallias, 
Sollft von mir du eine Botſchaft bringen! 


Behnter Geſang. 


Durch das Nachtgraun ſchifft im leichten Nachen 
Kallias an das Feſtland. Unermeßlich 
Dehnt ſich über Hügel, Thäler, Ebne 


u 


Bor ihm aus der Perjer Riejenlager. 

Gleich al3 breite unterm Sternenhimmel, 
Welcher droben leuchtet, fich ein zweiter 

Auf der Erde, glänzt der Wachtfeur Schimmer 
Und der Yichter. Durch den Mund des Herolds 
Fordert in des Griechenfeldheren Namen 
Kallias, daß man ihn zu König Xerres 
Bringe, und hin durch der Zelte lange 
Reihen leiten Krieger ihn bergaufwärts. 

Daß er Yand und Meer und Heer und Flotte 
Ueberſchaun kann, hat der Herrſcher Afiens 
Auf de3 Bergs Aigaleos felſ'gem Gipfel 

Zelt und Thron für fich errichten Laffen. 
Zwiſchen Yanzenträgern, die zu beiden 

Seiten Wache halten, jchreitet Kallias 

Bor, bis durch das nächt'ge Dunkel blinfend 
Bon dem Zelt auf ihn des Mithras goldnes 
Bild hernieder funfelt. Zu des XKerres 

Thron dann wird er hingeführt; ein Vorhang 
Walt zurüd, und von des Weltgebieters 
Munde jchallt entgegen ihm die Frage: 
Welche Botjchaft fendet mir dein Feldherr, 
Grieche? Willig bin ich, fie zu hören. 


Kund thun — alfo gab ihm Kallias Antwort — 
Yapt durch mich Themiftofles dem Xerxes — 
Und der bift du, denk' ich: — nicht gebieten 
Könn’ er mehr den Griechen; diefe Nacht noch) 
Durch geheime Flucht die offne Meerfluth 
Zu gewinnen dächten fie. Doch eher 
Will er Untergang für die Hellenen, 
AS daß feig fie fliehn. Drum fie zu zwingen 
Denkt er, dir ſich in der Schlacht zu ftellen; 
Laß denn fperren alle Meerespfade! 


— #13. — 


Hochwillkommnes meldeft du, ruft RXerxes. 
— Der Berblendete! So kann er mwähnen, 
Mir im Kampf zu widerftehn? Die Schiffe, 
Die Schon fast entronnen, liefert ſelbſt er 
Mir al3 Beute. — Geh, fag deinem Feldherrn 
Meinen Danf, und du für deine Botjchaft 
Meiner Gnade fer verfichert, Grieche! 


Deine Huld gewähre dem, vief Kallias, 
Der nach ihr begehrt! Nur ein Verlangen 
Heg’ ich: diefe Bruft den Perferpfeilen 
Bietend um mich her der Euern Viele 
Auf des Meeres feuchten Grund zu betten. 


Deiner Jugend, ſagte lächelnd Xerxes, 
Freund, will ich den Uebermuth verzeihen; 
Aber wiſſe: in mein Net gerathen 
Seid ihr — nirgends Zuflucht, noch Entrinnen. 
Und bei Becherflang von meinem Felsthron 
Will ich zufhaun, wie die Meeresmoge 
Eurer Schiffe Trümmer, eure Leichen 
Mir zu Füßen an die Klippen jchleudert. 


Kallias ging; und feinen Plottenführern 
Eilends gab Befehl der Herrſcher Aſiens, 
Dreigetheilt jedweden Pfad des Meeres 
Zu behüten; mit dem Haupt es büßen 
Würden Alle, wenn der Griechen Einer 
Nur entränne. Das Gebot vollftreden 
Jene, Jeder feine Mannſchaft ordnend; 
Wer zu rudern weiß, wer Waffen führen 
Kann, befteigt der Kiele ſchwanke Bretter, 
Und hin von Geſchwader zu Geſchwader 
Tönen dur) die Nacht der Mannschaft Rufe. 


Als ihm fund durch Kallias geworden, 
Daß der Sendung Zwed erreicht jei, jchleunig 
Ließ TIhemiftofles den andern Führern 
Melden: Wir Athener ziehen morgen 
In die Schlacht! Fhr, zwiihen Ruhm und Schande 
Wählt! Allein auch, wenn ihr uns verlafjet, 
Kämpfen mir. 


Kaum noch hat Helios’ weißes 
Roßgeſpann die Meerbucht und die taufend 
Segel drauf erhellt, jo ſchallt von allen 
Borden der Athener jauchzender Kriegsruf, 
Und von Inſelklippen und von Feljen 
Hallt zurüd der Jubel. Der Drommeten 
Schmettern mahnt zum Kampf, und zu dent heil'gen 
Kriegspäan ertönt der Schlag der Ruder. 
Vorwärts, von Themiftofles geleitet, 
Stürmt der rechte Flügel, und die ganze 
Flotte folgt ihm nach; wie des Eurotas 
Weiße Schwäne, wenn im Prühlingsfturme 
Sie die Schwingen breiten, ſchießen Spartas 
Segel über die Wellen; durch der Tuba 
Erzflang dringt von der Arkadier Schiffen 
Geller Hirtenpfeifenton, und hochauf, 
Wie um ihren Iſthmus beider Meere 
Brandung, dröhnt von der Korinther Booten 
Lärmender Kriegsruf. Während hierhin, dorthin 
Flügelfchnell die Fluth der Griechen Kiele 
Sp durchſchneiden, langſam, faſt der eignen 
Wucht erliegend, rüden die Gejchwader 
Perfiens wider fie; gleih Schlangen winden 
Der Athener Boote zwifchen ihnen 
Sic hindurch, die fcharfen Eijenzähne 
In der Ungethüme Seiten bohrend, 
Bald jchlägt Schiff in Schiff den ehrnen Schnabel, 


— — 


Eins das andre in den Abgrund reißend; 
Und hinüber und herüber ſchleudern 
Katapulte ganze Felſenſtücke, 

Rieſ'ge Balken ſchießen auf, die Spitze 
Erzgekrönt, in ihrem Niederſturze 
Schwachem Rohre gleich der Feinde Maſten 
Knickend, das Verdeck in Trümmer brechend. 


Als vom Schlachtenſturm umhergewirbelt 
So die Schiffe aneinander prallten, 
Und umher ein ungeheures Krachen 
Von zerſchmettertem Ruderwerk ertönte, 
Durch der Pfeile Hagel wurde Kallias 
Neben ſich in einem Boot Alkanders, 
Seines Freunds, gewahr, von dem hinweg er 
In Jonien geriſſen worden. 
Doch den kaum Erblickten trifft zermalmend 
Eines Steinblocks ungeheure Felslaſt. 
Weiter fortgetrieben durch die Wogen, 
Die, von Scheiterſtücken voll und Leichen, 
Ihn umkreiſen, dann auf anderm Decke — 
Kann ers glauben? — Rhalkos, den Sklaven, 
Und Yaodamas, den Sohn des Phanor, 
Sieht er rüftig fämpfend. Da vom Maſt her 
Heiſcht Themiftokles: Die Eiſenklammern 
Werft an jenes Perſerſchiff! Zu retten 
Gilts den Aeſchylus, den Stolz von Hellas! 
Alzufühn zum Feindesbord hinüber 
Hat er fih gewagt! — Wie feftgefchmiebet 
An die Attiſche Triere bald war 
Des Artembares, des Mevderfüriten, 
Schiffskoloß, daran fi) von der andern 
Seite ſchon ein Griechenſchiff gedrängt hat, 
Und zum Schlacdhtgefilde, wo mit Keule 
Und mit Schwert fih Mann an Mann befämpften, 


— 316 — 


Wurden die vereinten Borde. Dorthin! 

Ruft aufs neu der Feldherr. Bor den Andern 
Bricht fi) Kallias Bahn durd) das Getümmel, 
Bis wo Aeſchylus allein inmitten 

Eines Haufens Perfer kämpft, und eben 

Eine Stierfopffeule ihm die Stirne 

Zu zerfchmettern droht. Vor Kallias’ Schwerte 
Sinft des Feinds erhobner Arm; die andern 
Griechen übermannen rings die Perjer; 

Nieder ftürzt durchbohrt von Yanzenftichen 
Selbſt Artembares, und in die Reihen 

Der Athenerboote im Triumphe 

Wird fein Schiff gefchleppt. — Dicht, immer dichter 
Ballt indefjen fih die Schlacht; des Meeres 
Tiefe und das Himmelsdad) erzittern 

Bon dem Kampfgewitter; feſt verſtrickt ich 
Schiff mit Schiff, der Kämpfer mit dem Kämpfer; 
Bon der breshenden Ruder, der geborjtnen 
Bretter Krachen und der Untergehnden 
Weherufen hallt die Luft. Der Perfer 

Flotte, fi im engen Sund verjtopfend, 

Kiel am Kiele ſich zerftoßend, brachte 

Selber fih Verderben. In die Fluth ſchlug 
Bord um Bord; Meer war nicht mehr zu jehen; 
Trümmer, Scheiterftüde nur und Leichen 
Wogten um den Strand und um die Klippen. 
Taufendftimmig da erfcholl der Griechen 
Siegesruf; in wilder Fluth entſtürmten 

Der Barbaren Schiffe, die noch Beute 

Nicht dem Feind geworden. Aber ihnen 

Nach mit hurtigen Ruderſchlägen flogen 
Griechenlands Trieren; an die Fliehenden 

Sich wie ihre Schatten heftend riffen 

Sie hinab fie in den feuchten Abgrund. 





— 3 — 


Hoch vom Bord, von wo die Schlachtbefehle 
Er ertheilt, umbraust vom Giegesjauchzen, 
Nief Themiftofles: Die fchnellften Boote 
Nehmt, daß ihr das Eiland dort umzingelt, 
Piytaleia! Dicht bejest mit Perſern 
its, die aus dem Hinterhalt zu fahn uns 
Dadten. Schnell, damit fie nicht entrinnen! — 
Schleunig dem Befehl gehorchten Viele; 

Eid in fleine Boote werfend ringsher 

Nach der Inſel ſchoſſen fie; mit ihnen 
Kallias. Doch aus der Verzweifelnden Mitte 
Flogen Felſenmaſſen, jhmwirrende Pfeile, 

Und ein Wurfgefchoß, mit Macht gejchleudert, 
Stredt’ ihn auf den Boden hin; nur hören 
Konnt’ er noch der Griechen Jubelrufe, 

Wie fie näher drangen, und der Perfer 
Wehgeſchrei, als unter ihrer Schwerter 
Streich der Stolz der edelften Gejchlechter 
Blutend ſank; dann ſchwanden ihm die Sinne. 


Unterdeß von jeinem Feljenthrone 
Seren Blicks ſchaut Xerxes in die Tiefe, 
Wo der Sturm der Schlaht in wilden Wirbeln 
Seines Heeres Hunderttaufende umtrieb. 
Boten jprengten erft mit Siegesfunden 
Ihm heran; dann jubelnd hoch den Becher 
Hub er; doch fein eignes Auge ftrafte 
Bald die Botſchaft Yügen, und nad) unten 
Sandt’ er, jedem Yäffigen Tod zu drohen. 
Aber neue Boten famen: Wehe! 
Deines Reiches Blüthe finft! Zerichmettert 
Liegt auf ödem SKlippenftrand Arfames, 
Mediens Schlachtenfürft; durchbohrt vom Schwertitog 
Treibt auf todgejchwelltem Meer Dadakos, 
Mit des Blutes Strom die Wogen färbend! 


— 318 — 


Jede Welle jchleudert Yeichen deiner 
Tapfern an die Riffe; in der Brandung 
Ruhlos werden fie umhergemirbelt. 

Und al3 nun, aus feiner Allmaht Wahne 
Aürfgeichredt, der Herricher Afiens drunten 
Seiner Flotte prangende Gejchwader 
Allumher die Fluth mit berftender Schiffe 
Scheitern überdeden jah, al3 donnernd 
Ihm zu Füßen an den Strand die Welle 
Trümmer warf und Yeichen, da verzmweifelnd 
Sein Gewand zerriß er, und die Feldheren, 
Seines Reiches Untergang bejammernd, 
Standen flagend um ihn her: Weh! Wehe! 
Deines Volkes Ruhm ift hin, Gebieter! 
Deine ſchwimmende Bretterjtadt, gewalt’ger 
Als Ekbatana und Babylon, jtürzt 
Krahend ein, und in den Abgrund taumelt 
Afiens Heldenjugend! jchleun’ge Flucht nur 
Kann dich retten noch und deines Heeres 
Keft. Berloren bift du, wenn die Brüde, 
Die an Aſien Europa jchmieden 

Sollte, von der Feinde Hand zeritört wird, 
Eh den Hellespont du überjchritten. — 

Sp in haft’ger Flucht, voran der König, 
Wälzten nordwärts zu der Thrafer Bergen 
Ueber Ströme, die in frühem Eife 
Starrten, fih der Perſer Heeresihaaren. 


Kallias, al3 ihm die geſchwundnen Sinne 
Wiederfehrten, fand im Ruderboote 
Sih am Boden liegend. Keine Wunde, 
Nur des Wurfgeſchoſſes Anprall hatt’ ihn 
Hingeftredt. Der Schiffsgefährten Einer, 
Freudig den Erwachenden begrüßend, 
That ihm Meldung: bi8 an Chios' Küften 


— 319 — 


Hätten fie verfolgt die flücht’'gen Meder, 

Und die Beute, die Gefangnen fünne 

Tragen faum der Kiel; nah Salamis nun 
Geh’ es heim. Allmählig taucht Erinnrung 
Auf in dem noch halb Betäubten. Sieg! Sieg! 
Jauchzt jein Herz mit hohem Schlag; zugleich) macht 
Der Gedanke an des Phanor Tochter 

Sein erftarrtes Blut in fchnellrer Wallung 
Durch die Adern rinnen. Aber war e3 
Traum nicht, daß Laodamas er jchaute? 

Und wenn er3 geweſen, blieb die Schmweiter 
In Jonien niht? Dem Boote wünſcht er 
Sturmesſchwingen, daß der Zweifel bald fich 
Löſe. Doc es ſchwebt die Nacht hernieder, 
Und er fieht, wie fern er noch der Heimath: 
Milos’ weiße Marmorflippen werfen 

Bor ihm Schatten auf die hüpfenden Wogen. 
Hurtig über leichtbewegte Meerfluth 

Trägt der Nahen ihn, und von der Stirne 
Nimmt der frifche Oftwind ihm des Fiebers 
Letzte Gluth; der Ruderſchläge Fallen 

Und des Mondes Dämmerlicht, von Welle 
Hin zu Welle glitzernd, will in Schlaf ihn 
Lullen. Aber wenn ſich ſenkt die Wimper, 
Schnell verjagt vom Sturme der Gefühle 
Wieder flieht der Schlummer. In der Frühe 
Als von Oſten her des Helios Roſſe 
Brauſend nahen und, in höhrer Brandung 
Um die Klippen rollend, das beſchäumte 
Meer dem Sonnengott den Hymnus donnert, 
Heben Naxos und das heil'ge Delos 

Ihre lichtbeſtrahlten Dorertempel 

Vor dem Kehrenden. Mit trägen Stunden 
Schleicht ein Tag noch hin; an ihm vorüber 
Schwimmt Aegina; in der ſinkenden Sonne 


Gluth ficht Attifas Gebirg er glorreich 

Sich entgegenfchimmern. Endlich landet 

Durch die purpurne Fluth beim Abendrothe 

Er an Salami’ Geftad’; die Eltern, 

Bang um feinethalb bejorgt, empfangen 
Freudig ihn am Ufer; ihren Armen 

Sucht er ſchnell fi zu entwinden. Sohn, was 
Haft du? fragen fie; doch wirre Worte 
Stammelnd eilt ex fort, ob von Arete 

Ihm nicht Kunde werde. In der Menjchen 
Schwarm tritt ihm durch günft’ge Schiefalsfügung 
Rhalkos entgegen. — Biſt dus, Beiter? — 
Und Arete? — Sp mit freud'gem Gruße 
Giebt der Sklav zur Antwort: Eine Grotte 
Birgt fie mit Paodamas, dem Bruder 
Komm, ich führe did! — Hochklopfenden Herzens 
Folgt ihm Kallias zur nahen Grotte; 

Und fie fteht vor ihm, nun zu der Jungfrau 
Boller Schönheit aufgeblüht, Arete. 

Sprachlos bleiben lang die Zwei; dann ſchüchtern 
Yallt der Füngling abgebrochne Laute. 

Aber Jene hebt zu ihm das Auge 

Bald, bald wieder ſenkt fie es. Die Liebe, 

Die bei wer’ger Worte füßem Tauſche 

Einft als Funke in ihr Herz gefallen, 

Iſt zur mächt'gen Flamme durch die lange 
Trennung nun emporgeloht, der Beiden 

Seelen in einander jchmelzend. Ihre 

Nechte in des neugefundnen Freundes 

Rechte legt die Jungfrau, und wie Ader 

Warn an Aber jchlägt, verräth ihr Klopfen, 
Was die Yippen zagend noch verfchweigen. 

In der diftern, matt vom Fadellichte 

ur erhellten Höhle felig fühlen 

Sich die Liebenden, als ob entrüct fie 





— 321 — 


Diefer Welt auf des Olympos Gipfel 

Der Unfterblichen reine Wonne fchlürften. 
Bald beredter fließt im Wechfeltaufche 

MWort auf Wort. Don feinen Abenteuern 
Erſt muß Kallias Bericht erftatten; 

Und Yaodamas, herangetreten, 

Giebt von feinem und der Schweiter Schidjal 
Nachricht fo: In Kappadociens Bergen 

In dem Schloß des Gaſtfreunds harrten lang wir 
Auf des Vaters Wiederkehr. PVergebens! 
Botihaft fam, daß die Nebellenheere 

Er beftegt, allein, in ihre dichtſten 

Reihn fih ftürzend, felbjt den Tod gefunden. 
Endlih auch von feinen Treuen wurde 

Seine wundenüberdedte Leiche 

Uns gebracht und eine Tafel, drauf er 
Abends vor der Schlacht den legten Willen 
Eingegraben: An Arete jend’ ich 

Meinen Batergruß. Den Flammen geben 
Soll fie mein Gebein und meine Ajche 

Nah Athen heimbringen. Sie geleiten 

Mag mein Sohn, auf den der Götter Segen 
Ich herniederflehe. Ihn umſchweben 

Wird mein Geiſt, wenn er mit Hellas' Heeren 
Auszieht; ſelbſt in ihren Reihn zu kämpfen 
Wehrte mir mein Eidſchwur; vor dem Schickſal, 
Wider Griechenland mein Schwert zu zücken, 
Hat der Tod mich jetzt beſchützt. 


Indeſſen 

Tritt Arete zu dem Aſchenkruge, 

Noch dem Vater eine Thräne weihend, 

Und gerührt ſpricht Kallias: Edler Phanor! 

Trübt dein Tod uns ſo den Siegesjubel? 

Und kann dein Athen, das vielgeliebte, 
Schack, Geſ. Werke. IV. 21 


- m — 


Nie mehr ganz und voll an dir die Unbill 
Sühnen, die verblendet es begangen? 


Weiter dann erzählt Yaodamas: Wir 
Brachen heimlich auf, Die theuern Reſte 
Heimzuführen. Auf verborgnen Wegen, 
Dur) Gebirg’ und unmwegjame Schludten, 
Ueber Moore ging die Flucht und Sümpfe. 
Dennoch hatte Beffus, der Satrap, ung 
Ausgefpäht; als in entlegnem Thale 
Nachts wir ruhten, unverfehens brach er 
Bor, und wie der Habicht auf die Taube 
Auf Arete ftürzt! er. Schon in Armen 
Riß er fie hinweg, zwei Spießgejellen 
Hinter ihm; ich in Verzweiflung fuchte 
Ihm fie zu entwinden. Plötzlich jah ic) 
Blutend rückwärts auf das Roß ihn gleiten: 
In die Bruft gebohrt hatt’ ihm die Schweiter 
Ihren Dolch. Noch Frampfhaft fie umfchlungen 
Hielt der Hingefunfne; aber leicht ihm 
Sie entringend, mit der theuern Beute —_ 
Schwang ic) auf den Nenner mich, und weiter 
Ging mit Rhaifos, der treu zur Geite 
Bei den ganzen Kampfe mir geftanden, 
Weſtwärts unfer Ritt. Bon unfrer Irrfahrt, 
Bis das Meer an Attifas geliebten 
Strand uns trug, erfahren follft du fpäter. 


Kallias drauf: Wohl hallt euch Siegesjubel 
Bei der Wiederfehr entgegen; aber 
Statt der herrlichen Stadt nur öde Gaffen 
Werdet ihr, verwüftete Gärten finden. 
Deiner Väter Wohnung am Muſeion 
Viegt in Trümmern; und fo lange, bis fie 
Aus dem Schutte neu erftanden, wirft du 


— 323 — 


Mit dem Zelt, dem einz’gen Dach, das ich dir 
Dieten fann, zufrieden fein, Arete? 


Kur mit einem Blick und einem Handdruck 
Gab die Jungfrau Antwort ihm; zu voll war 
Shr das Herz. Roth durch den Örotteneingang 
Unterdeffen drang die Morgenhelle, 

Und zu feiner Mutter ihm zu folgen 

Bat Areten Jener: In der Hütte 

Mußt bei ihr du wohnen, bis hinüber 

Nach Athen das Boot uns trägt! Mir aber, 
Waderer Laodamas, den ftolz ich 

Meinen Waffenbruder nenne, gönne, 

Daß mit dir ich diefe Höhle theile! 


Hin am Strand de3 leuchtenden Meeres jchritten 
Dann die Drei; und vor der Fifcherhütte 
Tritt entgegen ihnen Drimafos ſchon 
Mit Kallifto. Botichaft des Gefchehnen 
Bringt den Eltern Kallias, und herzlich) 
Heißen fie den holden Gaſt willfommen, 
In der engen Wohnung neben ihnen 
Ihr die Schlummerftatt beveitend. Sohn! jpricht 
Drimafos, wohl legt fid) dunkle Trauer 
Auf mein Herz, daß zu den Schatten Phanor 
Eingegangen; doch die Götter fchenfen 
Mit dem Schmerz zugleich mir mild die Tröftung, 
Da das Kind des vielgeliebten Freundes 
Sie al3 Tochter in das Haus mir führen. 
Nun in neuem Frühling mag, ihr Theuern, 
Mir durch euch mein alterndes Leben aufblühn. 


Kaum gejprochen hatt’ er jo, der Beiden 
Hände in einander fügend, als ihm 
Sich ein Krieger nahte und ihm winkte, 


— 34 — 


Seinem Wort Gehör zu geben. Eilends 
Ging mit Jenem Drimafos zur Seite 

Und, nachdem er ihn vernommen, wieder 

Zu den Andern ſprach er: Was verhehl! ichs? 
In Theſſalien von der Perjer Lanze 

Wacker kämpfend ift Anthyll gefallen. 


Schmerz ließ ihn verſtummen; auch der Mutter 
Weh war allzutief für Klagerufe; 
Lautlos ſtarrte ſie zu Boden, während 
Ueber Kallias' junges Glück die Trauer 
Ihren Schatten ſenkte. Endlich wieder 
Nahm das Wort der Vater: Schön gefallen 
Iſt er! Früh hinweg von dieſer Erde 
Nehmen ihre Lieblinge die Götter, 
Daß ſie nicht der Jugend, nicht des Glückes 
Welken ſehen. Laß uns denn, Kalliſto, 
Um den Sohn nicht klagen; nein, laß ſtolz uns 
Sein gedenken, daß er, den ich läſſig, 
Thatlos oft geſcholten, ſich ermannt hat 
Und, faſt Knabe, Männerruhm erſtritten! 
Konnten wir dem Vaterland ihn weigern? — 


Und nun in des nächſten Tages Frühe, 
Den die Sonne, über Delos ſteigend, 
Zu der Siegesfeier weiht, nach oben 
Mit den Schaaren jubelnden Volks zum Felshaupt, 
Welches über Meer und Inſeln weithin 
Niederſchaut, laßt uns die Schritte lenken! 
Hin von Mund zu Mund der Schiffer, wie ſie 
Aufwärts klimmen, geht die Rede: Habt ihrs 
Schon vernommen? Glaukos hält, der Meergott, 
Bon Geſtade zu Geſtad', von Inſel 
Hin zu Inſel wieder ſeinen Feſtzug. 
Dieſe Nacht beim Mondlicht ſahen Viele 


— 325 — 


In der Hafenbucht den Fiſchgeſchwänzten 

Im Gefolg von jauchzenden Tritonen, 

Wie er aus der Fluth die jchilfgefrönte 

Stirn erhub und in die Hände klatſchend 

Nief: Nun auf, ihr Schiffer! Spannt die Seile! 
Hebt die Anfer! Um die Maften windet 

Yaub und Blumen, und die Kliele wieder 

Laßt hinaus in die fhäumenden Wogen jchiegen! 
Brei, jo weit Hellenenlaute tönen, 

Iſt der Dcean vom Perjerjoche! 

Bis hinab in feine tiefften Schlünde 

Yacht er mit den ſchießenden Wogenftrudeln 
Ueber der Stolzen Sturz, und aus den Höhlen 
Allumber und von den Feljenflippen 

Widerhallt das Hohngelächter; jauchzend 
Schmüden in der grünen Dämmrung drunten 
Sich die Nereiden mit des Meeres 

Schönſten Perlen, daß in fejtlichem Reigen 

Sie von Strand zu Strande eure Schiffe 
Dur das freie Wellenreich geleiten. 


Jetzt zur Höhe, wo der Blick hinunter 
Auf das Meer mit feinen jel’gen Inſeln 
Und auf Hellas’ vielgezadte Küften 
leitet! Fernhin über Böotiens dunfeln 
Wäldern ragt das Schneehaupt des Parnaffus, 
Ragt der mufenheilige Eithäron, 

Und gen Süden aus den Purpurmellen 
Sehen wir des Pelops Eiland dämmern. 
Unabfehbar, als ob alle Griechen 

Dort verfammelt wären, mogt die Menge 
Auf des Berges lichtbefränztem Scheitel. 
Zum Altar, mit Myrtenlaub ummunden, 
Sit ein Felfenblof gefhmüdt; ſüß duftend 
In den reinen Aether fteigt des Opfers 


— 326 — 


Flamme, während feierlihen Klanges 

Sich der Siegspäan von hunderttaufend 
Lippen hebt, und all die raufchenden Bäche, 
Die von Klippe hin zu Klippe ftürzen, 

Und das Meer mit feinen Wogenzungen 

Ihn im Chor begleiten. Aufgejchichtet 

Iſt um den Altar die Stegesbeute, 

Und gefalbt, im Haare Delzweigkränze, 
Schwingt ein Chor von Jünglingen im Feſttanz 
Bei der Cithern und der Flöten Schalle 

Sid um die Trophäen. Aus des Bolfes 
Mitte tritt bei des Päans Berftummen 
Dann Themiftofles, und bis zum Himmel 
Hallend grüßt ihn donnerndes Jubelrufen: 
Heil Themiftofles! des Baterlandes 

Netter Heil! — Er aber jpridt: Ihr Freunde! 
Mir nicht, jagt den rettenden Göttern einzig 
Dank, daß fie des Himmels fchönfte Gabe 
Uns, den Sieg, geſchenkt! Laßt von der Beute 
Uns das Befte wählen, und die Söhne 

Der Gefallnen mögen in Olympia 

Und in Delphi unfre Weihejpenden, 

Hymnen fingend, den Unfterblichen bieten, 
Daß fie ferner huldvoll auf uns ſchauen! 
Aber Fenen auch, die fämpfend jtarben, 

Mög’ in feinem Herzen jeder Grieche 

Einen Altar weihen, drauf des Dankes 
Flamme lodert! Nicht mit Yorbeer fränzen 
Können wir ihr Grab; auf öder Salzfluth 
Treibt, ein Spiel der Wellen und der Winde, 
Ihr Gebein; allein ein ew'ges Denkmal 

Sei ganz Hellas ihrem Ruhme! Selig 

Ihre Söhne, felig ihre Enfel, 

Die im duft’gen Schatten ihres Sieges 
Wirken nun und ſchaffen fönnen, daß ihr 





— 327 — 


Hellas herrlich, immer herrlicher erblühe! 
Auf, ihr Freunde! Einmal noch im Chore 
Mit des Opfers goldner Yohe walle 

Zu den Olympiern unſer Danf! Dann laßt uns 
Alles rüften! Wenn um die dritte Wache 
Nachts der Fahrwind ſich erhebt, hinüber 
Sollen nad Athen uns die Trieren 

Tragen. Schon die nächte Frühe muß uns 
Bei der Arbeit ſchaun, daß auf den Feldern, 
Die der Perferrofje Huf zertreten, 

Neu der Delbaum grüne und die theure 
Stadt mit der geweihten Burg des Sefrops 
Aus der Afche prächtiger eritehe. 


Als er ſchwieg, auf mächt’gen Flügeln hob ſich 
Abermals der Chorgefang gen Himmel. 
Und hoch vom Altar, genährt mit Myrrhen, 
Stieg das Feuer, während ihren Neigen 
Singend um ihn her die Knaben fchlangen, 
Dann in frohen Gruppen auf der Inſel 
Höhn vertheilte, in den fchattigen Thälern 
Sich die Menge, nun zuerjt ſeit Monden 
Aller Sorge ledig. Arm in Arme, 
Langentbehrter traulicher Geſpräche 
Sic erfreuend, wanderten mit den Freunden 
Freunde; Väter an der Söhne Seite 
Flochten fih im fühlen Waldespidicht, 
Wo beim Platanos die Ulme flüftert, 
Kränze friihen Schilfes in die Locken 
Und ergögten an der Sprudelquellen 
Rande ſich bei Becherflange. Alfo 
Zu den Fünglingen, die um ihn im Sreife 
Sich verfammelt, redete Kallias: Freunde! 
Nun der holde Friede aus der Nechten 
Uns das Schwert nimmt, fehre unfer Jeder 


— — 


Zu dem Werk, zu welchem ihn der Genius 
Ruft! Die hohen Himmelstöchter ſeh' ich 
Lächelnd vor uns her, die Muſen, ſchweben, 
Uns den Weg zu ihrem Lieblingsſitze 

Am Ilyß zu weifen. Quader muß ſich 
Jetzt an Quader fügen, Säul' an Säule, 
Und das Tempeldach, gen Himmel ragend, 
Unſern Dank für das geſchenkte Siegsglück 
Den Unſterblichen bringen. Allen Göttern 
Und Heroen ſollen Heiligthümer 

Wie im Frühling Blüthen aus dem Boden 
Wachſen! Glorreich, alle überragend, 
Steige das olympiſche Haus des Donnrers 
Aus dem Schutt, und hoch von unſrer Felsburg 
Breite unſre hehre Mutter Pallas 
Schützend über uns die ehrne Lanze, 
Während unten Dromos und Paläſtra 
Und Odeon und der Theater Feſtbau 

Aus der Gärten Laubgrün ſich erheben. 
Eure Stirnen kränzt, ihr Dichter! brauſend 
Laßt im Sturme der Begeiſtrung eure 
Saiten tönen und, den Thyrſus ſchwingend, 
Um die Thymele die Chöre ſchreiten! 

In das weiße Felsgeſtein Penteles 
Strömt, ihr Bildner, eurer Seele Feuer, 
Daß zur Fülle himmliſcher Geſtalten 

Er erblühe! Aus den Säulenhallen 
Müſſen ſie, von Niſchen und Altären, 

Der Begeiſtrung Gluth in allen Adern, 
Niederleuchten. Ja, in Siegsdenkmalen 
Soll von Hellas' Ruhme jede Landſchaft, 
Jede Stadt und Inſel zeugen. Keine 
Bergeshöhe ſei, auf der ein Tempel 

Nicht die Götter prieſe; keine Klippe 

Oder Meereswarte, die nicht fernhin 


— 329 — 


Mit der Marmorgiebel Heldengruppen 
Schon den wiederkehrenden Schiffer grüßte. 
Eine Siegesfeier joll e8 werden, 

Die durch die Erinnerung der ſpätſten 
Nachwelt Trauer noch in Jubel wandle! 


Aber al3 die Nacht herabgefunfen, 
Rüften Alle fich zum Aufbruch. Kaum noch 
Hat der Fahrwind um die dritte Wache 
Sich erhoben, als fih Männer, Weiber 
In die Boote drängen und die Kliele 
Durch die hochaufraufchenden Wogen fliegen. 
Kallias lehnt am Borde mit Arete — 
Neben ihr des Baters Ajchenurne — 
Und empor zum Himmel deutend jpricht er 
Zu der Jungfrau: Sieh im reinen Nachtblau 
Die Plejaden dort, die himmlischen Schweitern, 
Die der Pilot als glüdverheißende Zeichen 
Preift. Schon meiner Kindheit Yieblingsfterne 
Waren fie; und als im fernen Yande, 
Bon Gefahr umdroht, bedrängt von Zweifeln, 
Ich ihr mildes Licht gewahrte, fleht’ ich, 
Daß auf tiefumdunfeltem Pfad des Lebens 
Führerinnen zum erjehnten Ziele 
Sie mir feien. Bald dann, al3 Bethörung 
Mich von Vaterland und Pflicht und Treue 
Loszureißen drohte, wet’ ihr Strahl mic 
Aus dem Sinnenraufche! Sieh, durd) Strudel 
Und Orkane haben nun die Holden 
Mich — und dic) an meiner Seite, Theure — 
Ins gerettete Vaterland geleitet! 


Wie ers fagte, glitt auf plätjchernden Wellen 
Uferwärts das Boot ſchon; des Piräus 
Hafen nahm es auf; und vor den Beiden 


— 30 — 


Blühte in dem Rojenliht der Frühe 

Nah und nach mit all den wonnigen Pläßen 
Attifa empor; des Lykabettus 

Gipfel warf den erften Strahl des Morgens 
In das Thal hinab, und fernher hörten 

Sie die Wellen des Ilyſſus rauſchen. 





Weihgefänge 


Dritte Uunflage 





Ber Hürstin 
Caroline won Wittgenstein 


in Rom 


verehrnungsvoll gewidmet. 


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— 


— 





Aufruf. 


Juf! aus unſern Erdennächten, 
Drin du zagend irrſt, verwaist, 
Von den Sorgen, die dich knechten, 
Ringe dich empor, mein Geiſt! 


Arm iſt, wen in ſeinem engen 
Kreis das Ich gefangen hält; 
Aber denen, die ihn ſprengen, 
Blüht und duftet reich die Welt. 


Fühle jenes mächt'ge Ganze, 
Das uns Alle trägt und nährt! 
Sonne dich in ſeinem Glanze, 
Wärme dich an ſeinem Herd! 


Auf der kleinen, matterhellten 
Erde nicht, die jetzt dich bannt, 
In dem großen All der Welten 
Iſt der Menſchheit Vaterland, 


Und die Weſenſchaaren alle, 

Von des Abgrunds tiefſtem Schlund 
Bis zum höchſten Sonnenballe 

Eint ein großer Geiſterbund. 


— 336 — 


$t10S. 


Mag längft der Rauch von Weiheferzen 
Und Opfern zu des legten Gottes Ehre 
Dermweht fein auf dem legten der Altäre, 
Doch aufrecht ftehn in unſern Herzen 

Soll dein Altar bis an der Zeiten Schluß, 
D Liebe, ältfter Genius, 

Erhabener, den ſchon die frühfte 

Menſchheit als höchſten Weltgebieter grüßte! 
Wer wars, als du, der aus des Chaos Wüſte 
Die Elemente fchied, dem Ocean 

Sein Bett wies und den Weltorfan 

In Feſſeln legte, drin er fruchtlos grollte? 
Der Sonnen jeder zeigteft du die Bahn, 
Auf der fie durch den Himmel freifen jollte; 
Und wenn in Wetterfturm und Finfterniß 
Die dunfeln Mächte wiederfehren wollen, 
Zwingt dein Gebot den Donner zu verrollen, 
Die Wolfen theilen fi, durch ihren Riß 
Hernieder lächelft du im felgen Blau, 

Und in des Regenbogen: Pracht 

Strahlt fallend jeder Tropfen Thau. 

Den Frühlingsfhmud ſchenkſt du der Erde wieder 
Und der Libelle ihre Hochzeitstracht, 

Und lehrſt die Nachtigall in weiche Lieder 
Ausftrömen ihres Herzens Luft und Trauer; 
Sehnfüchtig duftet zu Dir auf die Roſe, 
Und athmend fühlt jogar das Seelenloſe 
Bei deiner Nähe ſüße Schauer; 

Wie erft der Menfh! Ein tiefes Schweigen 
Kommt iiber ihn bei deines Hauches Wehn; 
Ein Himmel, den er nie gefannt, 

Fit ihm zu Häupten ausgejpannt, 


— 37 — 


Und große Sternenbilver fieht er fteigen, 
Die noch fein Sterblicher gejehn. 


Wenn du zwei Wejen, Göttlicher, begnadeft, 
Sie fafien faum des Segens Fülle, 
Die du vom Himmel über fie entladeft. 
Auf fie hernieder jenft ſich große Stille; 
Der Eine in den Anderen verloren, 
Fühlt Jeder, wie in einem heil’gen Bad, 
Sein Jh in jenem neugeboren 
Und achtet nicht, was fonft die Erde hat. 
Dom Erpdftoß, von der Reiche Fallen 
Mag um fie her der Donner hallen, 
Sie blicken lähelnd, unter Freudenthränen 
Sn die Abgründe, die vor ihnen gähnen, 
Und während Bruft an Bruft fie finfen 
Und fih im Kuffe Mund vom Munde 
Den Strom des ew’gen Lebens trinken, 
Wird jede fliehende Sekunde 
Für fie zur Emwigfeit der Wonne; 
Bor ihnen finft mit Himmel und mit Sonne 
Die ganze Welt der Sichtbarkeit hinweg, 
Nur ihre Herzen halten Zwiegeſpräch 
Und ftammeln fort von ihrer Seligfeit. 


Ihr hohen Liebenden, gebenebdeit 

Seid ewig ung, die durch der Stürme Wuth 
Ihr umverlöfcht Hintrugt des Herzens Flamme! 
Ob euch der Kampf von Stamm zu Stamme 
Umfluthete mit feinem Meer von Blut, 
Ob Mordbrand um euch wüthete und Peit, 
Zum Jubel ward euch alles Weh. 
D Romeo und Julia! war je 
Ein Kaiferpaar am Thronbefteigungsfeit 
Beglüdt wie ihr an eurem Ehrentage, 

Shad, Ge. Werke IV. 22 


— 338 — 


AS Arm in Arme kranzgefchmücdt 

Ihr zmifchen Schwertern, von den Montague, 
Den Capulet auf eure Bruft gezüdt, 

Zur ew’gen Raſt im Sarfophage 

Euch bettetet! Nur daß diefelbe Platte 

Eur moderndes Gebein beftatte, 

Nicht höhre Seligfeit begehrtet ihr. 

Und du, Francesca, zartes Kind des Po, 
Licht wird der Schwarze Höllenabgrund dir, 
Wenn deine Arme deinen Paolo, 

Den blafjen, blutenden, umklammern 

Und ihm am Mund im langen, langen 
Glühheißen Kuſſe deine Yippen bangen! 
Umher gewirbelt durch die grauſen Schlünde, 
Wo von Verdammten mit dem Kainsmal 
Der Wehruf, das Geächz und Jammern 
Allein der Stürme Heulen unterbricht, 

Gern trägft die Strafe du der füßen Sünde, 
Und für die fieben Himmel nicht 
Bertaufchteft du die Stadt der ew’gen Qual! 


Komm denn, o Liebe, allerhabne! 
Wie jene hohen Fünglinge und Frauen 
Gefeit du haft in Nacht und Todesgrauen, 
Sp auch auf uns in Staubesnaht Begrabne 
Gieß deinen Odem nieder, mächt’ger Geiſt, 
Der du der Seele Grabesbande fprengit 
Und der ermatteten, der längjt 
Berzweifelten die Schwingen leihft, 
Auf denen fie, erjtanden von den Todten, 
Ihr Flug dahin durch alle Himmel reißt! 
Dir heben fi) mit mächt'gen Flügelfchlägen 
Der Menfchheit große Hoffnungen entzegen! 
Zu löfen ihres Dafeins wirren Knoten 
Vermagſt du einzig, Weltbefreierin! 





— 339 — 


Gleich wie der Sonne goldner Strahlenregen 
Die freifenden Geftirne tränft und hin 

Durch die Unendlichkeit von Ball zu Ball 

Sich ſchwingt, bis durch das weite All 

Ein göttlich Feuer brennt und flammt und loht, 
Und ſelbſt im Erdenſchooß ein Morgenroth 
Aufdämmert, draus mit taufend Augen 

Ihr bligend Licht die Edelfteine jaugen, 

AU unfer Fühlen jo und Sein und Denfen 
Mit deinem Glanze ſollſt du tränfen, 

Bis deine reine Gluth allein 

In allen Herzen flammt, in allen Seelen; 
Dann feiern wir das Feft, wo ſchon auf Erden 
Die Menfhen mit den Göttern fi) vermählen; 
Gebrochen ift der alte Fluch; wir werden 

Wie du allmächtig und unfterblich fein! 


Der himmliſche Gaſt. 


Heil dir, himmliſcher Gaſt, 

Der du freundlich dich mir geſellt 
Auf dieſer dunklen Erde! 

Von dir gewaffnet, 

Wagt' ichs, hinauszutreten 

Auf des Lebens Kampfplatz; 
Unſterbliche Freunde, 

Die aus der Jahrhunderte Tiefen 
Mit leuchtenden Augen mich anſahn, 
Haſt du mir herangeführt, 

Daß ihr Odem mich ſtärke 

Zum großen Tagwerk. 

Wollte die Kraft mir ermatten, 


— 340: — 


Dich vief ich, 

Und fern dem haftenden Gewühl 

Im Morgenrothe der. Zeiten 

Unter Aſiens Tempeln 

Mit den Sehern der Vorwelt ließeſt du mic wandeln, 

Trugft mich empor 

Auf Alpengipfel der Schöpfung, 

Wo meine Seele in langen Zügen 

Das Sonnenfeuer tranf., 

In heiligen Nächten 

Erſchloſſeſt du mir den Geift für die Botſchaft, 

Die aus der fernen Unendlichkeit die funfelnden Sterne, 

Die blafien Monde mir fandten, 

Führteft mich hinab ins Reich der Gräber 

Und öffneteft den ſtummen Geſchlechtern, die vor uns 
gemejen, 

Die Lippen, daß fie mir fündeten, 

Wie fie gefämpft und gerungen 

Und glovreich gefallen! 

D weiche nicht von mir, Himmlifcher! 

Weit noch ift der Gang 

Durch brennende Wüften, 

An Abgründen und über Schladhtfelder hin. 

Schreite voran mir mit der wallenden Fahne, 

Daß ich fiegreich ausſtreite den wdifchen Kampf! 


Velkſeele. 


Wenn all die Stimmen der Natur ich höre, 

Des Donners Grollen beim Gewittergraun, 

Das Rauſchen im Geäſt der dunkeln Föhre, 
Der Lenzluft Liſpeln durch die Aun, 





— 341 — 


Wenn meerhinab die Felſenſtröme braufen, 

Der Sturmwind mir Geheimniſſe weltalt, 

Doch ewig jung, vertraut, und in den Paufen 
Die Brandung um die Klippen hallt, 


Wenn unter mir, am Berghang, wo ich klimme, 

Die Shluht vom Sturze der Lawinen dröhnt, 

Oft ift mir dann, der eignen Seele Stimme 
Vernähm' ich, die aus ihnen tönt. 


Schon feit des Lebens erjten Dämmerungen 

Dur allen Wandel der Natur hat fie, 

Sch fühl es, vollen Tones mitgeklungen 
Im Strom der großen Harmonie, 


Und fernher ifts ihr Klang, der mir zum Ohre 

Aus dämmergrauen Zufunftstiefen dringt, 

Wie fie bis an der Zeiten Schluß im Chore 
Mit Erd’ und Meer und Luft erflingt. 


Michel Angelo. 
Nom, 1869. 


Ein Fremdling, wie aus anderm Stern 
Berirrt, hinfchrittft du durch das Yeben; 
Wohl hätteft du den Menjchen gern 

In Liebe warm dich hingegeben, 

Doc nicht vermochten die Pygmäen 

Die Seele des Titanen zu verftehen. 
Wenn in den Stein und in das Erz 
Dein Genius den Götterfunken ſprühte, 
Nicht fühlten fie das große Herz, 

Das in dem Bildwerf klopft' und glühte. 


So, von den Yebenden hinweg 

Früh in das Schattenreich geflohen, 

Mit Göttern hielt dein Geift und mit Heroen 
Und Urweltfehern Zwiegeſpräch. 
Todbleichen Schemen, jhon jahrtaufendalt, 
Neu gabft du Leben und Oeftalt; 

In langen Reihen durch des Hades Thor, 
Bon dir beſchworen, ftiegen fie empor; 
Prophetifch über ihrer Stirne lag 

Mit erftem Schein ein junger Tag, 

Der no der Welt nicht angebrochen, 
Und Worte grub dein Meigelichlag 

In ihre Lippen, die unausgejprochen 

Bis heut auf ihnen ruhen. 


D dich ſehn 
In deiner Werkftatt hätt’ ich mögen, 
AS unter deines Ddems Wehn 
Der Lebenspul3 mit erjtem Negen 
Dahinſchlich durch des Marmors Adern, 
Und aus den Blöcken, aus den Quadern 
Die göttlihen Geſtalten all erblühten, 
Die in dem Steine fi) verborgen — 
So mocht' am erſten Weltenmorgen 
Gott über feiner Schöpfung brüten. 
Da, aus dem großen Schlummer faum erwacht, 
Ringt fich mit den Gigantengliedern 
Die Mutter aller Dinge auf, die Naht — 
Schwer ruht auf ihren Augenlidern 
Ein Traum der Urwelt noch — da jchlägt, 
Wie überm Chaos fie zuerft gethan, 
Aurora ihre Wimpern auf, da regt 
Die dunkle Brut fi, die der Dcean 
In feinem Wogenſchooß, die Erde 
In ihrem finftern Abgrund hegt. 


RE Ne ee en 


— 34353 — 


Eyflopen von Hephäftus’ Flammenherde, 
Geichlechter ohne Kinder, ohne Ahnen, 
Tritonen und Gentauren und Titanen, 

Die ihre Felfenferfer brechen, 

Schaun in das neue Yicht, das fie umwallt, 
Mit Staunen auf, und dumpfes Murmeln hallt 
Berworren, wie die Elemente jprechen, 

Dom Mund der halb noch Schlafbetäubten. 
Hoch, oben hoch zu ihren Häupten 

Weß find die mächtigen Öeftalten, 
Sternbildern gleich von deiner Rieſenhand 
An das Gewölbe hingebannt? 

Die Rollen, die fie in der Rechten halten, 
Seh’ ich bedeckt mit Runenzeichen, 

Die feiner Schrift von Menfchenhänden gleichen; 
D werd vermöchte, fie zu lejen, 

Ihm würde Alles offenbar, 

Und über Trümmern defjen, was geweſen, 
Säh’ er da3 neue Erdenjahr, 

Das fommen wird, am Himmel fteigen! — 
Nächſt den Propheten dort, ihr Yodenhaar 
Im Sturm der Zufunft flatternd, neigen 
Die gotterfüllte Stirne die Sibylien; 

Noch künden Sterblichen fie nicht, 

Was fie geſchaut im himmlischen Geficht; 
Nur faum vernehmbar, wie bei Meeresjtillen 
Die Welle flüftert um des Ufers Klippen, 
Spielt hier und da um ihre Lippen 

Ein matter Yaut; dann wieder Alles ftumm; 
Kund werden foll erſt fommenden Gejchlechtern 
Das heilige Myſterium, 

Das du vertraut den Urmwelttöchtern. 


Auf den Gebilden, hoher Angelo, 
Die du getränft mit deines Herzens Blut, 


—: 344, — 


Hat andachttiefes Schweigen fo, 

Seit deine Hand fie Ichuf, geruht. 

Doch nun ſich über deinem Sarfophag 

Der Staub von drei Jahrhunderten gefammelt, 
Auffteigt am Himmelsrand der Tag, 

Der ihre Lippen öffnet; leisgeftanmelt 

Schon oft, wenn ich an deinen hehren 
Öeftalten hinſchritt Durch den Säulengang, 
Erſcholl mir ihrer Stimmen Klang; 

Her von den Gräbern, den Altären 

Und aus der Öruft der Medicäer 

Ihn Hört’ ich zittern durch den Chorgefang, 
Und in Begeiftrung hob des Horeb Seher 

Die Stirn, umflammt vom Morgenroth. 
Jüngſt in San Siftos heiliger Kapelle 

Saß ich am Trauertag von Chrifti Tod; 

Des Abendlichtes letzte Helle 

Biel durch die Bogenfenfter ſchon 

Und ließ mich noch die Reihn gedrängter Beter, 
Die Cardinäle jhaun, der Kirche Väter, 

Und über ihnen auf dem Thron 

Den fiehen Greis, den Schatten der Gregore, 
Der gern in ew’ge Nacht, wie fie, 

Die Welt begrübe. Schluchzend ſcholl vom Chore 
Herab des Miferere Trauermelodie 

Und wallte, al3 ob ferner Donner rollte, 
Durch das Gewölbe; vor mir grollte 
Gewitterſchwül dein jüngfter Tag, und bang 
Wandt’ ic das Auge von dem zornentflammten 
Weltrichter und den Gottverdammten, 

Wie fie des Abgrunds Schlund verichlang. 
Allmählig auf den Wogen der Choräle 

Glitt mir der Blick, den ich verhüllt vor Graun, 
Zur Wölbung auf, und deine ganze Seele 

Sah ich verflärt von ihr hernieder fchaun. 





— 345 — 


Da ſchwebte über der Gewäſſer Schooß 
Der Schöpfer jelbft, unnahbar groß, 

Und ließ vor feinen Werdehauchen 

Die Weltgebirge aus der Tiefe tauchen 
Und wies den Sonnen und Planeten 

Hin dur den Aether ihre Bahn; 

Die Züge feines Odems mwehten 

Entlang der Wand, ein göttlicher Orkan, 
Um die Sibyllen und Propheten. 

Erhoben hatte Daniel fi) vom Sit 

Nach unten drohnd, und lohen Strahls 
Aus feiner Rechten zudt’ ein Blitz 
Hinunter auf die Pfaffen Baals. 

Die Seiten von Jeſajas' Buch) 

Wurden vom Sturme hin- und hergeblättert, 
Auf feinen Lippen zitterte ein Fluch) 

Gleich) dem, mit dem er Babylon zerichmettert, 
Allein auf feiner Stirne brad) 

Des Zorns Gewölk ſich nach und nad, 
Indeß er fündete: „Site fällt, fie fällt — 
Schon jeh ic ihre Mauern wanfen — 
Die alte Zwingburg der Gedanken, 

Und freier athmet auf die Welt. 

Unter der Gögentempel Staube 

Begraben wird der faljche Glaube, 

Und feiner denft man nur wie einer Peft, 
Bon der man fehaudernd jagt: fie war. 
Schon für der Menſchheit Auferftehungsfeit 
Bekränzen Lieb’ und Freiheit den Altar, 
Und unter eines neuen Gottes Werde 

In neuem Yenz erblüht die Erde,“ 

Er riefs; wie Frühroth auf der Alpen Firne 
Legte fih Himmelsglanz auf feine Stirne; 
Die Schreden ſelbſt des Weltgerichts 
Umfloß ein Schimmer milden Yichts, 


— 346 — 


Und feine Engel mit Pojaunenfchalle 
Und Joel und die Delphica, 
Die Seher und Sibyllen alle 
Berfündeten: der große Tag ift nah! 


Neuer Weltmorgen. 


Nach langer düfterer Nacht 
Mit reinem Sinne laß uns dich grüßen, 
Der dämmernd am Horizont du auffteigit, 
Neuer Morgen der Welt! 


Hinter ung in das Dunkel verfinfe 
Der bange Traum der geängfteten Menjchheit, 
Die Vergangenheit 
Mit ihren Freveln und Thränen! 
Degraben für immer jei 
Eigenſucht, Haß und Furt, 

Die Schlange Heuchelei 

Und der düstere Irrwahn, 

Der fo lange die Seele 

Mit Schredgefpenftern erfüllt hat. 
Liegen nicht unter ung in der Erde, 
Berge über fie hingemälzt, 

Die graufen Geburten der Urwelt 
Mit zermalmten Schuppenpanzern, 
Niefenzähnen und Klauen, 

Den Waffen des ewigen Kampfes 
Bon Wejen mit Wefen? 

Und blüht und duftet über den Gräbern 
Der mißgeftalteten Ungeheuer 

Nicht der himmlische Frühling ? 





— 347 — 


Schwingt feligfingend aus feinem Grün 
Sich nicht die Lerche 

Dem leuchtenden Tag entgegen, 

Nicht ahmend all das Entjegen, 

Das drunten der Abgrund birgt? 


Sp über dem Grabe der dunfeln Vorzeit, 
Dem weiten Todtenfeld der Gejchichte, 
Laß, große Geiftesfonne, 

Einen neuen Menjhenfrühling ſprießen! 
Mit deinen Strahlen 

Wecke die Keime des Göttlichen, 

Die in allem Sein verborgen vuhn, 
Und thaue in unferen Seelen 

Den legten Froft der Nacht, 

Daß der Liebe Odem 

Sie ganz erfülle, 

Und in dem warmen, treibenden Hauch 
Ein Himmelsleben auf Erden erblühe! 


Auffer Erde. 


Für Alles, Alles, was du mir gegeben, 

O Erde, große Mutter, habe Dan! 

Seit ich zuerft die ſüße Milch, das Yeben, 

An deiner Bruft mit Kindeslippe tranf, 

So voll, jo überfhmwänglich war der Segen, 
Der auf mein Haupt wie Frühlingsblüthenvegen 
Aus deinem Füllhorn niederjank. 


Zu Spielgenofjen gaufelnde Libellen 

Und Schmetterlinge gabjt dem Knaben du 
Und flüfterteft mit deinen Plauderquellen 
Und Bächen ſüße Melodien ihm zu, 


— 345 — 


Und bauteft drüber von kryſtallnem Eife 
Die Winterbrüde, über welche leiſe 
Dahin ihn trug der Flügelfchuh. 


Im Kovnfeld haft du zwifchen hohen Aehren 
Die blauen Blumen ihm zur Luft verftedt 
Und tief im Thalesgrund mit Walderbbeeren 
Für ihn den Wiefenteppich überdedt, 

Du ihn gewiegt auf Zweigen deiner Bäume 
Und ihm das Haupt gelullt in füge Träume, 
Wenn er ins duft’ge Heu fich hingeftredt. 


Klomm ich empor auf fteilen Feljenpfaden 

Und ſah den Wolfen nad) mit Sehnfuchtsblid 
Und träumte mir an fremden Weltgeftaden, 

An meitentlegnen, unbefanntes Glück, 

Stets mild den Irrenden aus Höhn und Pernen, 
Der Flügel fich gewünſcht zu andern Sternen, 
Zogſt du an deine Bruft zurüd. 


Und bei dem Regen um mich her, dem Wimmeln 
Der Heinen Welt in Gras und Straud) und Moos 
Bald glüdlicher, al3 in geträumten Himmeln, 
Fühlt' ih mich in der Mutter trautem Schooß 

Und fügte gern im Werden und Vergehen, 

Die Yuft mit ihnen theilend wie die Wehen, 

Mich in der Ephemeren Loos. 


Neigt denn dereinft dem nahen Fall entgegen 
Mein Leben fich, wie welkes Yaub des Hains, 

An deinen Bufen mic zum Schlaf zu legen, 

Wie zagt’ ich nad) dem furzen Traum des Seins? 
Süß ifts, zu ruhn auf deinen dunfeln Pfühlen, 
Dich feſt an fich zu drüden und zu fühlen: 

Wir werden mählig mit dir Eins, 





— 349 — 


Durch deine Adern hin im Werdejtrome, 

Aufs Neue treibt mit mächt’gem Schlag dein Herz 
Dann unſres Wefens brödelnde Atome, 

Daß taufendfältig fie mit Stein und Erz 

Durch deiner Schahte Wundertiefen ſchießen 

Und mit den Blumen deinem Schooß entjprießen 
Im erften milden Hauch des März. 


D Glück! — wer möcht ein andres dafür taufchen — 
Mit dir vereint zu fein und der Natur, 

Mit deinen Quellen durch den Wald zu rauchen 
Und, nur ein Punkt noch hoch im Yuftazur, 

ALS Lerche aus der Tiederreichen Kehle 

Den ganzen Frühlingsjubel deiner Seele 

Zu fünden der erwachten Flur! 


Die Xnadorefen. 


Aus dem Wirrfal des Lebens, 
Des Tages raftlos braufendem ©etriebe, 
Sehnſuchtsvollen Blickes ſchaun wir zurüd 
In die ſelige Stille, 
Wo in der Jahrhunderte dämmernder Frühe 
Unter den Palmen ihr wandelt, 
Indiens heilige Seher! 
O von den Pfaden, 
Auf die ihr es gewieſen, 
Wie verirrt, ihr erſten Lehrer der Menſchheit, 
Hat ſich das unſelige Geſchlecht! 
Wie, von finſteren Trieben geſtachelt, 
Iſt es von Frevel zu Frevel getaumelt, 
Daß zwiſchen euch und uns, 


— 350 — 


Ein großer Strom von Blut und Thränen, 
Die Geſchichte fich wälzt! 

Ueber den düſteren Abgrund 

Wer zeigt uns zu euch den Weg, 

Daß wir unter dem Dlätterdah in Waldnacht 
Ber Gangas Wellenraufchen 

Bon euerm Munde die Weisheit jchlürfen, 
Die ihr im Anfang der Zeiten 

Aus der Himmelsquelle gejchöpft! 

Paufchen laßt uns der Yehre 

Bon dem großen Geiſte, dem ewig einen, 

Der Erd’ und Himmel und Menfchen und Welten 
In eine Wejenheit verfchlingt; 

Bon der Wandrung der Seelen, 

Wie der Geburten fteter Kreislauf 

In Schuld und Sühne 

Sie dur die Welt der Körper dahintreibt, 
Bis fie, befreit von des Endlichen Banden, 
In feliger Ruhe 

Sich dem Urgeiſt einen. 


In euern Kreis, göttliche Siedler, 
Nehmt uns auf, 
Wenn in thaubeperlter Dämmerung 
Ihr mit dem Liede der Veden 
Das Morgenroth grüßt! 
Sprengt über uns am Sühnaltar 
Das Naß des heiligen Stromes, 
Daß die ſündentilgende Fluth 
Die Flecken des Lebens 
Hinweg von uns nehme, 
Und wir neugeboren 
Aus dem Morgen der Welt 
Zurück in unſeren Abend kehren! 





— 351 — 


Da, es ift ein mächt'ges Tagen! 


Ja, es iſt ein mächt’ges Tagen 
Auf der Welt, wie nie zuvor, 
Unfihtbare Schwingen tragen 
Lichtwärts jeden Geift empor. 


Und Gedanken, nie gedacht noch, 
Brechen ſich auf Erden Bahn; 
Da ſelbſt, wo ſich tiefe Nacht noch 
Jüngſt gebreitet, flieht der Wahn. 


Nicht am Fuße der Altäre 

Kniet der Menjch mehr angftbedrängt, 
Seines höhern Glaubens Yehre 

Hat der Tempel Dad gejprengt. 


Und die Götter feiner Kindheit, 
Bilder feines Kleinen Sch, 

Schwanden hin, wie ihm die Blindheit 
Nah und nad) vom Auge wid. 


Aus der Urzeit finfterm Schlunde, 
Den kein Schimmer noch erhellt, 
Dringt zu ihm die Wunderfunde 
Einer ungeahnten Welt. 


Und er fieht durch Jahr-Aeonen, 
Eh der Menjchheit Tag beginnt, 
Weſen ſchon auf Erden wohnen, 
Die von feinem Stamme find. 


Rauh und wild und von dem dumpfen 
Traum der Weltnaht übermannt, 
Lebten noch die Geiſtesſtumpfen 

Un das Dunkel ftarr gebannt. 


— 3592 — 


Haufend in der Höhlen Nächten, 
Menſch mit Menſch in ew'gem Haß, 
Aus der Feinde Schädeln zechten 
Sie der Mern blut’ges Naß. 


Aber auf der Wefenleiter, 

Die vom Thier zum Öotte fteigt, 
Ward vom Weltgeift ihnen meiter, 
Höher ftet3 der Pfad gezeigt. 


Aus der Urmwelt Grauen drangen 
Sie durch Schreden, Mord und Tod 
Aufwärts im jahrtaufendlangen 
Kampf zum großen Morgenroth. 


Ihre Rauheit ward zur Milde, 
Und, gelöjt vom finftern Bann, 
Sah verflärt im Kunftgebilde 
Sie ihr eignes Welen an. 


Aber höher müßt ihr Elimmen, 
Steil noch ift der Weg und weit; 
Hört! euch rufen Geifterftimmen 
Hoch aus der Unendlichkeit, 


Und aus fernfter Himmelsferne, 
Bon der Zufunft lichten Höhn, 
MWinfen wunderbare Sterne, 
Die fein Auge noch gefehn. 


Auf denn, in den flaren Aether, 
Immer aufwärts, bis ihr fühlt, 
Daß er eurer niedern Väter 
Testen Erbfleck von euch fpült. 


EEE EL 


— 4 





— ⸗ 


— 353 — 


Wenn die Sonne ihr erflogen, 
Schon aus höhern Himmeln bricht 
Ueber euch in Strahlenwogen 
Neuer Glanzgeftirne Licht; 


Und den Flug erjt dürft ihr jenfen, 
Wenn am Ziel, das euer harrt, 
Euer Wollen all und Denfen 

Licht wie fie und göttlich) ward. 


Fizian. 


Dir bring' ich der Bewundrung Zoll, 
D größter von Venedigs Söhnen! 
Wie üppig mit dem Flor des Schönen, 
Der deiner Werfftatt reih und voll 
In ew'ger Blüthenpracht des Yenz entquoll, 
Haft du geſchmückt die theure Stadt! 
Die Könige, die Kaifer warben 
Um deine Gunſt, denn ohne deine Farben 
War ihrer Thaten Glorie matt; 
Dich lockte Frankreich, lodte Kon, 
Doch deinem Freiftaat, wie fein Flügelleu, , 
Erhabner Tizian, bliebft du treu, 
Und, ihn zu fetern, eher nicht verfiegte, 
Als mit dem Yeben, deines Schaffens Strom. 
Gleichwie, wenn Abends dich die Gondel wiegte, 
Du unter dir bei Mondesglanz 
Die Wunderftadt, die Siegrin von Byzanz, 
In der Yagune zitternden Kryſtallen 
Sich jpiegeln jahjt mit ihrem Marcusdom 
Und ihren Tempeln, ihren Marmorhallen, 
Shad, Ge. Werke IV. 25 


— 354 — 


So warf, was herrlich war in deiner Zeit, 
Sein Bild in deiner Seele Spiegel; 

Du prägteſt es mit deines Geiſtes Siegel 
Und ſchenkteſt ihm Unſterblichkeit. 

In den Paläſten, in den Dogenſälen, 

Den heitern Loggien über den Canälen, 
An der Capellen und der Kirchen Wänden 
Verſchlangſt du mit der Heiligen Legenden 
Die Fabelwelt der Mythologen 


Zum Kranz, der, leuchtend wie ein Regenbogen, 


Venedig heute noch umſtrahlt. 
Was die Cornari, was die Loredanen 
Vollbrachten unter des St. Marcus Fahnen, 


Den ſpätſten Enkeln bliebs durch dich gemalt, 


Ein Denkmal der erhabnen Ahnen, 


Das fie ermahnt, zur Thatkraft ſich zu ftählen. 


Auf deinen Tafeln ewig ſchauen ſie, 


Wie mit dem Meer die Dogen ſich vermählen, 


Und die Piſani und die Foscari, 

Geführt von Dandolo, dem ernſten Blinden, 
Dem hohen Weib Venezia 

Ums Haupt die Siegeskränze winden. 


Tief in des Menſchen Seele ſah 
Dein Blick das Urbild ſeines Ich; 
Du ſtrafteſt die Natur der Lüge, 
Daß ſeine falſche Maske wich, 
Und zeigteſt ihr die wahren Züge. — 
Wenn durch des Oſtmeers Purpurwogen 
Die Ritter, erzgepanzert, zogen, 
Um über fernen Königreichen 
Des Freiſtaats Banner aufzupflanzen, 
Kühn über Sterbende und Leichen 
Stürzten ſie ſich in die Osmanenlanzen 
Und zagten nicht, ihr Erdenkleid als Pfand 


Bea me 


Für ew'gen Ruhm dahinzugeben; 

Wohl wußten fie, durc deine Hand 

Erftehen würden fie zu neuem Yeben. 

Sp weit das Land, fo weit das Meer 

Bon Denezianerwaffen ftarrte, 

Nuhte dein Auge auf dem Heer 

Und ſchwebte um die flatternde Standarte, 
Big fie zum Sieg die Streiter trug. 

Des Schlachtgefildes fliehnde Gruppen, 

Die Krieger in Galeeren und Schaluppen, 
Wie hin und her der Sturm des Kampfs fie jhlug, 
Du bannteft fie mit deinem Zauberftab, 

Und fieh! gefeit daftand das Schlachtgetüimmel, 
Die Todten fannten ferner nicht das Grab, 
Und zu den Siegern neigten ho) vom Himmel 
Die Engel palmenfchwingend fich herab. 

Für immer durch Cadores Schlucht 

Wälzt fi des Kaiferheeres Flucht, 

Und in Yepantos Feljenbucht 

Treibt fort und fort das Kampfgewitter 

Die Halbmondfahnen und die Maftenfplitter 
In Wirbeln auf der blutgetränften Fluth. 


Durd ein Jahrhundert, hoher Tizian, 
Sp zogſt du leuchtend deine Bahn, 
Der Farben zauberifche Gluth 
Wie ein Gewand um dein Venedig breitend. 
Aufſahn, an div vorüberjchreitend, 
Zu dir in Ehrfurdt drei Gefchledhter. 
Dir danften feine Söhne, feine Töchter 
Ein ſchönres Dafein, als dies ew’ge Werden 
Und Untergehn, das unſer Loos auf Erden. 
Und al3 auch dir des Todesengels Kuß 
Die Lippen nun berührt, die blafjen, 
Doc wollte nicht dein Genius 


— 356 — 


Das herrliche Venedig lafjen. 

Dft no in St. Johann und Paul 

Sieht dich, ummallt vom weißen LYodenhaare, 
Der Fremdling weilen vor dem Hochaltare, 

Bon dem dein heimifches Friaul, 

Aus deinem hehren Bild die Schattenfühle 

Der Alpenländer niederftreut. 

Im Abendlicht oft nach des Tages Schwüle, 
Wenn über den Canal vom Campanile 

Hinwallt des Ave fterbendes Geläut, 

Und nad) und nad) im Glanz der alten Zeiten 
Die Stadt auffteigt, dich fieht er in der Gondel gleiten, 
Wie deine Seele fich des Anblid3 freut. 

Erft wenn die legten Prachtpaläfte 

In die Lagune brödelnd janfen, 

Und um vermorjchte Mauerrefte, 

Die hier und da im Spiel der Wellen ſchwanken. 
Des Meeres Möven frächzend ftreichen, 

Wirft du von der geliebten Stätte weichen. 


Der Wafferfall der Tofa. 


Strömft du vom Himmel nieder, 
Kryſtallene Fluth? 
Iſt es der Aether, 
Der in Tropfen ſilbernen Thaus 
Zur Erde herabrinnt? 
Von Felſen zu Felſen 
Strahlende Brücken und Bogen ſpannend, 
Taumeln die ſchäumenden Wogen 
Dem Abgrund zu, 
Stäuben, tauſendfach gebrochen, 


— 35970 — 


Mit Regenbogenſchimmer 

Wieder empor ins himmlische Blau; 

Und zitternd im blendenden Sonnenglanz 
Wetterleuchten die Yüfte . 

Ueber den hüpfenden Floden des Wirbelihaumg. 
Zu Häupten mir hoch in der Unendlichkeit 
Wie Glanz gefhmwungener Fadeln 

Hin zudt e8 von Gipfel zu Gipfel der Alpen, 
Auf ihren Eisaltären 

Die Abendgluth entzündend, 

Und mächtig lodert empor der Brand, 

Bis ein Schleier wallenden Lichtes 

Die hundert Schneehäupter umhüllt. 

In das Braufen der ftürzenden Waffer, 
Die um mic) und oben und mir zu Füßen 
Sm Donnertaft rollen, 

Vernher ertönt? aus Höhen und Tiefen 
Wie Geifterftiimmendor. 

Aus ihren Angeln gehoben 

Kreist und wogt die Natur, 

Taumelt, vom melodifhen Sturm erfaßt, 
Mit den Kataraften 

Subelnd von Klippe zu Klippe, 

Und meine Seele taucht wie fie 

In die heilige Fluth, 

Sich in reinen Thau des Himmels zu löfen. 


— 358 — 


Der Phönix. 


Seht! das goldene Schwingenpaar 

Weit in die Lifte gebreitet, 

Kommt er geflogen von Oſten her 

Zu dem ragenden Feljen am Meer, 
Wo ihm der Vater den Sterbealtar 
Nahe den Wolfen bereitet. 


— 


Noch ein Tag, und das große Jahr, 
Das er durchlebt, iſt verronnen; 
Schon ermatten fühlt er den Flug, 
Der ihn durch alle Himmel trug; 
Spanne die Flügel, mächtiger Aar, 
Bis du den Gipfel gewonnen! 


Aus der blauen unendlichen Luft 
Hoch ob den Wiegen und Särgen, 
Auf der Völker Erblühn und Vergehn 
Haſt du, Unſterblicher, niedergeſehn — 
Und nun drunten in finſterer Gruft 
Sollte die Tiefe dich bergen? 


Nein, hellſtrahlend wie Morgenroth, 

Um die erſchlaffenden Glieder 

Lodre von Myrrhen und Sandelholz 

Dir das heilige Feuer, und ſtolz 

Schwinge verjüngt aus dem leuchtenden Tod 
In den Himmel dich wieder! 


So auf der Sonne glühenden Herd 
Stürzen im jubelnden Reigen 

Erden ſich und Welten hinab, 

Daß ſie wieder dem lodernden Grab, 
Wenn die Flamme die Schlacke verzehrt, 
Neugeboren entſteigen. 


— 359 — 


Oſterfeſt. 


Chriſt iſt erſtanden, ja iſt erſtanden! 
Erd' und Himmel im Feierchor 
Jauchzen ihm zu, die Meere branden 
Jubelnd an allen Küſten empor, 

Und, ihn grüßend, den großen Befreier, 
Steigt ein Welttag, ein herrlicher, neuer, 
Durch des Morgens leuchtendes Thor. 


Chriſt iſt erſtanden! da ſteht er, der Hehre, 
Wie auf dem Berge ſo ſanft und mild, 

Als er verkündet die heilige Lehre, 

Die uns ewig als Höchſtes gilt; 

Wieder ihm träufen die Worte vom Munde, 
Denen Balſam für jede Wunde, 

Troſt für alle Schmerzen entquillt. 


Prüfend, hinab an die Himmelsränder, 
Schweift ihm der Blick im Kreis umher, 
Bis wo ferne die Abendländer 

Dämmernd entſteigen dem weſtlichen Meer; 
Da, tief dunkelnd wie Wettergrauen, 

Auf die Stirn und über die Brauen 
Legen ſich Wolken des Zorns ihm ſchwer. 


„Der ich gekommen, euch zu erlöſen, 

Euch vom Haß zu befrein und vom Wahn, 
Wurde durch mich die Welt dem Böſen 
Doppelt nun, dreifach unterthan? 

Nein! doch ihr, die ihr Lehrer mich nanntet, 
Die ihr mit Lippen mich heuchelnd bekannutet, 
Sagt, was habt ihr mir das gethan? 


— 360 — 


„Laffet von mir, ihr Zöllner und Schächer, 
Nicht euch kennen will ich; entweicht! 

In der Liebe göttlichen Becher, 

Den ich allen Menfchen gereicht, 

Mifchtet, ihnen den Frieden zu rauben, 
Ihr den giftigen Trank, den Glauben, 
Der durch die Seele verheerend jchleicht! 


„Meine Lehre habt ihr zum Fluche 

Und zur Geißel gemacht für die Welt; 
Nicht erfenn’ ich fie mehr in dem Buche, 
Das ſie für mein Vermächtniß hält, 

Ob e3 mit Zwift und Glaubenshader 
Und mit Haß auch jegliche Ader 

Der entwürdigten Menjchheit gejchwellt. 


„Doch zerreißen will ich die Blätter 
Und zerftören des Wahnes Nacht; 

Eher der Heiden heitere Götter, 

Die ihr in Bann gethan und in Acht, 
Eher Brahma joll man verehren 

Oder Zeus an der Griechen Altären, 
Als den Gögen, zu dem ihr mic) mad. 


„Meinem Worte: „Werdet wie Kinder! 

Eins nur will ich, daß ihr euch Liebt!“ 

Folgt ihm nicht Buddhas Jünger, der Inder, 
Der dem Bruder fein Yestes giebt, 

Treuer al3 ihr, die mit Schwertesftreichen 
Auf Gefilde blutiger Yeichen 

Ihr mein Evangelium jchriebt ? 


„Menſch! dir wäre befjer geweſen, 

Hätteft du Glauben, hättft du Gebet 
Nimmer gefannt und die Schrift nur geleſen, 
Die im Herzen gefchrieben dir fteht! 


—— — 


— 861. — 


Denn die höchfte der Religionen 
ft die Liebe; hört, ihr Nationen, 
Hört, das redet der Paraklet! 


„Nicht mehr an des Gefreuzigten Fuße 

Sollt ihr fnieen entjegenspoll! 

Statt der finfteren Bilder der Buße, 

Denen ängſtlich eur Flehen ericholl, 

Geht, euch duftende Kränze zu holen, 

Daß ihr fie wählt zu des Bundes Symbolen, 
Der euch Alle umſchlingen jol! 


„Haß für immer und Irrwahn laſſend, 
Leidende tröftend, herzensrein, 

Alles Leben mit Liebe umfaſſend, 

Stark im Dulden und mild zum Berzeihn 
Mögt ihr die Stätte für mich bereiten, 
Und bis zum legten Ende der Zeiten 
Wil ich in eurer Mitte fein.“ 


Leben. 


Möge kein Morgen mir erwachen, 
Kein Abend auf mich herniederthauen, 
Daß ich das Leben nicht ſtaunend preiſe, 
Das unausſprechlich herrliche! 


Dieſen Herzſchlag zu fühlen, 
Der das Blut durch die Adern treibt, 
Hier zu ſtehn in des Weltalls Mitte, 
Ewigkeit vor mir und hinter mir, 
Unendlichkeit ringgsum — 


— 3562 — 


Dit der Erde dahin durch den Aether zu vollen, 
Und mit der Sonne um andere Sonnen 
Bis zu der legten, die nirgend ift, 

Welch unergründliches Wunder! 

Da liegt er vor mir 

Mit jeinen wogenden Wäldern und Saaten, 
Der Schöpfung blühender Garten! 

Ueber Berge und Ströme und Meere 

Der Tag und die Naht in ewigen Wechjel 
Ihre Lampen zündend! 

Und all dieſe Stimmen! rauſchen die Wellen nicht, 
Lispeln nicht die Blätter, 

Als wollten ſie ihr Herz mir erſchließen? 
D währten mir endlos, endlos die Jahre, 
Daß ich verftehen lernte ihre Rede, 

Heben die Schleier von all den Geheimnifjen, 
Die hinter den taufend Geftalten der Natur 
Berborgen vuhen! 

So furz diefe Epanne Zeit, 

Um auszujchöpfen den Quell 

Der fprudelnden Yebenswonnen! 

Alles was ſchön und groß 

In der Vorzeit gemejen, 

Was noch in Wunderfülle 

Um mic blüht und duftet, 

Im Geift zu umfaſſen, 

Die ſolls mir gelingen? 

Kommen wird die dunkle Stunde, 

Die hinter mir die Pforten des Lichts 

Für immer jchließt, 

Daß ich nie mehr gentegen kann 

Der Liebe füßen Rauſch, 

Der Freundſchaft hohe Entzüdung, 

Nie mehr die Thräne trodnen, 

Die an des Unglüds Wimper hangt. 


— 3563 — 


Heilig jei mir denn 

Jede Sekunde des Lebens, 

Heilig der leuchtende Tag 

Und die mütterlich forgende Nacht, 
Die mich in ſüßen Träumen 

Neu dem Morgen entgegen wiegt! 


TH. 


Aber auch ihm, dem König der Erde, 
Dem fanften allheilenden Tod, 
Laßt Kränze uns winden! 
Ya durch das Meeresgebraufe der Welt, 
Hinab in deine Stille 
Meinen Gruß dir fend’ ich, 
Milder Retter aus Sturm und Drangſal des Lebens! 
Wen du mit den allumfchlingenden Armen umfängft, 
In weicher Ruhe gebettet 
Schläft er drunten den träumelofen Schlaf, 
Entrüdt dem Strom des ewigen Werdens, 
Der die Menjchen beftandlos und flüchtig 
Wie Schatten über die Erde reißt. 
Nicht der Jugend heiliges Feuer 
Fühlt er im Froft des Alters erlöjchen, 
Nicht Furcht raftlofes Sinnen 
Ueber des Schickſals Räthfel 
Ihm die Stirn. 
D aus dem Fieber des Dafeins, 
Wenn Neid und Haß und Verläumdung 
Den giftigen Tranf uns mischen, 
Wenn der Sieg ruchlofer Gewalt 
Das Herz uns empört, 


— 364 — 


Wie oft ſchauten wir ſehnſuchtsvoll 

Hinab in dein dunkles Reich, 

Wo die ftummen efchlechter und Völker der Erde, 
Ein zahllofes Heer, 

Sich ihr ewiges Lager bereitet! 

Komm denn! mit Flöten- und Cymbelklang 
Di wollen wir feiern, ſüßer Tod, 

Und Blumen auf den Pfad dir treuen! 

Zu dem Kinde, dem fie feit lange 
Sramverhüllten Auges Thränen nachgeweint, 
Führe die Mutter hinunter, 

Zu der Gattin den Öatten, 

Zu dem Freunde den Freund! 

Nicht einer ift von uns Allen, 

Den drunten ein liebendes Herz nicht erwartet, 
Was zögern wir, zu ihm uns zu betten? 

Ein Bollwerk, das die Leiden des Dafeins 
Vergebens umftürmen, 

Sei das Grab für uns und unfere Theuern! 
Wir wiffen, auch) fie, die noch oben betäubt und hülflos 
Im lauten, lärmenden Leben irren, 

Yeiteft dur bald, freundlicher Tod, 

Zu uns herab in die jelige Stille! 


Der Duell des Lichks. 


Wo bift du, Quell des Lebens und des Lichts, 
Du himmlifcher, nad) dem die Seele ſchmachtet? 
Dies Dunkel, das auf Erden uns umnachtet, 
AH! felten nur zu matten Schimmer brichts 
Bor deiner Strahlen einem fi, dann wieder 
Sinft tiefe Finfternig auf uns hernieder. 





— 3565 — 


Nach dir allhin hab’ ich durchforſcht die Welt; 
Ich ſah von dir zerftreute Funken bligen, 
Wenn himmelnaher Alpen Gletſcherſpitzen 
Bor mir aufflanmten, abendglutherhellt, 

Und jchillernd, farbenbunt der Regenbogen 
Sich wiegte auf des Wafferfturzes Wogen. 


Ein Schein von dir wars, der im hohen Raufch 
Der Wonne hin durch meine Seele zückte, 
Wenn ich an meins geliebte Herzen drüdte; 
Und wenn in ſel'ger Küffe Wechjeltaufch 

Mein Mund an Lippen bebte, die mir theuer, 
Glomm zwiſchen ihnen dein geweihtes Feuer. 


Ich ahnte deine Glorie in dem Glanz, 

Der fernher, aus der Menjchheit frühſtem Eden 
Zu uns herleuchtet in dem Yied der Veden 
Und fanft die Marmorftirnen Griechenlands 
Umjpielt und noch als untergehnde Sonne 
Ruht auf San Siftos himmliſcher Madonne. 


Sie fah ich in des Frühlings Farbenpracht 
Aufdämmern und im Zitterlicht der Sterne, 

Sie, wie verirrt aus weiter Weltenferne 

Im Glühwurm fehweifen durch die Sommernadt; 
Aus Edelfteinen quoll durch Felſentrümmer 

Im Erdenfchacht entgegen mir ihr Schimmer. 


Und einen Strahl, der deiner Gluth entftammt, 
Wie Blige durch den Himmel bei Gemittern 
Flüchtig dahin durchs Yeben jah ich zittern, 
Wenn von des Geiftes höherm Trieb entflammt, 
Anftatt um goldnen Staub und Fürftenfronen, 
Um Recht und Freiheit ftritten die Nationen. 


— 366 — 


Doch ſchnell, ach fchnell, jo wie der Sonne Blid 
Durch des Novembermorgens Dämmerungen 
Nur flüchtig bricht, von Nebeldunft verichlungen 
In Dunfel wieder fanf der Glanz zurüd, 

Und düfter breitete die jchwarze Schwinge 

Neu über mich die große Nacht der Dinge. 


D Einmal einen vollen Strahlenguß, 

Nur einmal gönn’ ihn diefer niedern Erde! 
Daß er verflärt in deinem Lichte werde, 
Dürftet und ringt der Menfchheit Genius; 
Und finfen wir in Afche auch zufammen, 
Wir fterben jubelnd in den Flammen! 


In den Savoyiſchen Alpen. 


Verſchwunden iſt die legte Hütte 
Im Dunft der Tiefe meinem Blid, 
Und wieder in der hehren Alpen Mitte 
Weil’ ich auf wolfennahem Bit, 
Wo die Natur im Donner der Yaminen 
Nur mit fich jelber Zwieſprach hält. 
Sch fehe, wie verwitterte Auinen 
Bon einer eingeftürzten Welt, 
Felsmauern, fürchterlich gejpalten, 
Die, an des finftern Abgrunds Hang 
Hinuntergleitend, jchon jahrtaufendlang 
Im Todeskrampf fich feftgeflammert halten; 
Dann Gletſcher, Zack auf Zade aufgethürmt, 
Als ob die Fluth empörter Meere, 
Da eben fie am mildejten geſtürmt, 
Plöglich erftarrt im Frofte wäre — 








EEE TTERUN 


— 867 — 


Und über den von Block zu Block geſpannten 
Schneebogen leuchten ſilberweiß 

Mit Gipfeln von kryſtallnem Eis 

Die ſternennahen Erdgiganten, 

Die nie ein Menſchenauge jung geſchaut 
Und keins je altern ſehen wird. 


Zu meinem Ohre kaum verirrt 
Vom Leben drunten ſich ein Laut. 
Das Brauſen ſelbſt der rieſ'gen Föhren, 
Durch deren hundertjähr'ge Aeſte 
Die Windsbraut ſaust und mit den mächt'gen Chören 
Den jungen Aar in ſeinem Neſte 
In Schlummer wiegt, ift hier verhallt; 
Im Sturz der Ströme aus der Gleticher Spalt, 
Wie fie die Winterfeffeln jprengen, 
Dem Eifesfrahen und dem Rollen 
Der losgelösten Gletſcherſchollen 
Ertönt um mich von Urmeltflängen 
Der Widerhall, und tief und tiefer reißt 
Die Strömung abwärts meinen Geift. 
Nicht unferer, der frühern Erde 
Denk' ich, wie fie, ein feur’ger Ball, 
Vom großen Sonnenflammenherde 
Hinausgejchleudert in das ALL, 
Im Werdefturme nach und nach erfaltet 
Und, einem Mantel gleich, den Dcean, 
Der Steine Schichten um fich faltet. 
Noch Hat fein Blick ſich aufgethan,, 
Um fie zu ſchaun; das Meer, das uferlofe, 
Unendliche, ſchwillt allhin mit Getofe, 
Doch in der Wogen wallenden Kryftallen 
Aufblist, von Heiner Weſen Millionen 
Emporgethürmt durch Jahräonen, 
Der Bau von jhimmernden Korallen; 


— 368 — 


Die mächt'gen Weltgebirge tauchen, 

Bulfane, die aus lohen Sratern rauchen, 

Und Klippen, Inſeln, Yänderzungen 

Aus blauen Meeresdpämmerungen. 

Bald wird das Chaos wirrer Felſenmaſſen 
Fluthend in Abgrundnacht hinabgefchlungen, 
Bald himmelan zu riefigen Terraffen 

Auffteigts in hohen Wellenfchlägen — 

Du fiehft noch von der Urwelt Regen 

Den Felſen eingedrüdt die Spur; 

Und nad) und nach ‘als Pfeiler, Kuppeln, Warten 
Daftehen die zu Stein eritarrten, 

Ein riefig Bollwerk der Natur, 

Das, während bei der Stürme Heulen 

Sid Eis und Schnee auf feine Zinnen legt, 
Auf Dächern, Thürmen und granitnen Säulen 
Des Meeres Mufcheln in die Wolfen trägt. 
Her zu den Alpen ſchwimmen von den Anden, 
Bom Himalaya duch der Wogen Branden 
Auf nun verfiegten Dceanen 

Duftige Roſen und Oenzianen, 

Daß fie die fahlen Scheitel ſchmücken; 

Und übers Meer hin baun fich Luft’ge Brüden, 
Darauf von einem Welttheil in den andern 
Die Arven und die Tannen wandern, 

Die heut noch an Savoyens fteilften Schlünden 
Uns der verfunfnen Welten Dafein künden. 


Bor diejer Emwigfeit von Stein, 
Die mich umftarrt auf allen Seiten, 
Wie jung ift unfer Menfchenfein! 
Mei’ ich zurüd den Strom der Zeiten, 
Someit die Völker ihn jeit Anbeginn 
In der Erinnerung bewahren, 
Wie ſchwindet er mit feinen Jahren, 


— 369 — 


Sahrtaufenden in nichts dahin! 
Wir ftehn noch im Beginn der Weltgeihichte, 
Der Schöpfung erjtgeborne Kinder; 
Mir ift, im erjten Erdenmorgenlichte 
Noch ſäh' ich Aliens Urberg vor mir liegen, 
Bon deſſen Höhn ſüdwärts die Inder, 
Nah Weiten wir herabgejtiegen. 
Fa, Menfch, jet deiner Jugend froh! 
Wie, eh du warſt, Neonen hingeſchwunden, 
Bis fih den Wafferihoog die Erd’ entwunden, 
Das Yıht den Finfterniffen, fo 
Vor dir auf deinem Erdenpfade 
Liegt Fahrmyriade auf Myriade. 
Ueber dem Grab der Welt, die vor dir war, 
Der ftarren, feelenlojen, falten, 
Soll leuchtend in unendlichen Geftalten 
Durch dich ein herrlich Yeben fich entfalten; 
Und, mag verrollen Platos Niejenjahr, 
Nicht eher von dem Ringen darfit du lafien, 
Bis du dein heilig Werf vollbradt; 
Nach dir, ſeit fie im eriten blafjen 
Frühicheine aus dem großen Schlaf erwacht, 
Aufblidte die Natur voll Hoffen. 
Ihr jeelenlojes dunkles Sein 
Sollft du mit der Erkenntniß Strahlen lichten; 
Ausſahn nach dir mit Augen, faum noch offen, 
Die Weſen all, die Reihn hier über Reihn 
Begraben ruhen in der Berge Schichten; 
Die Meere rufen dich, die Ströme, an, 
Daß dır ie löfeft aus dem Bann 
Des düftern Traumfeins, drin fie ſchmachten; 
Die Welt, hinab bis zu den tiefften Schadhten, 
Wo noch des alten Chaos Kräfte gähren, 
Will fich in deines Geiftes Glanz verflären. 
So rüfte dich mit Kraft und Stärke 

Shad, Gef. Werke. IV. 24 


Ser 


Zu deinem großen QTagewerfe; 

Wie nur ein Yand bis heute Gottes ganzes 
Antlig geſchaut in Fülle feines Glanzes, 

Muß jedes Yand ein Hellas werden; 

Nicht bleiben joll ein Pla auf Erden, 

Den nicht ein göttlich Werf geweiht. 

Erſt wenn die Gipfel all, die Thäler 

Daftehn al3 deine Ehrenmäler, 

Hinwerfen darfit du, Menjch, die Sterblichkeit 
Und in der Tage legtem Abendroth 

Zur Raſt eingehn im fel’gen Tod! 

Mag, gleich dem fliegenden Gefpinnjt der Spinnen 
Im Schilf der erjten Uferfeen, 

Dann jeder Bau von Menfchenhand vergehn 
Und diefer Erdball jelbjt in Dunft zerrinnen: 
Ein großes Leben ſtrömt mit mächt'gen Wogen 
Bon Himmelsbogen hin zu Himmelsbogen 

Und läßt die Nebel, die den Raum durchwallen, 
Die flatternden, fich neu zu Welten ballen, 

Wo fi wie hier in Wiegen und auf Bahren 
Geburt und Sterben an einander reiht; 

Doch ob auch fie den andern, die ſchon waren, 
Nachftürzen in das große Grab der Zeit, 

Das Hohe, was dein Geiſt geboren, 

Bleibt in dem Schooß des Em’gen unverloven; 
Hinfluthen wird es mit den Wefenfchaaren 

Bon Stern zu Stern durch die Unendlichkeit. 


Wann kehrft du wieder? 


Wann fehrt dur wieder, 
Den alle Herzen erfehnen, 
Ale Stimmen rufen, 


—— — —⸗ 


— tr — 


Erlöfer der Welten? 

Noch unvollbracht blieb das Werk, 

Dem in weltumfaffender Liebe 

Du dein Leben geweiht. 

Wo ift das Neich des Friedens, 

Das du gründen gewollt? 

Haft du die Macht des Todes gebrochen ? 
Ah! dich felber riß der allmächtige Würger, 
Der König der Erde, 

Hinab in den finfteren Schlund. 

Deiner Verheißung, 

Zu Deren Zeiten, 

Die mit dir auf Erden gewandelt, 

In Wolfen des Himmels werdeſt du wieder fommen, 
Setröfteten fich die deinen, 

Aber zu Grabe ging der Lebenden Gejchlecht, 
Und du famft nicht; 

Deiner Lehre mildes Licht 

Ward zum verheerenden Feuer verwandelt, 
Mit deinen Worten drüdten Henfer 

Das Sflavenbrandmal auf entwürdigte Völker 
Und geigelten fie in den Bruderfampf, 

Mit deinen Worten reichten Priefter 

Den Lechzenden den Schwamm voll bitterer Galle. 
Bergebens an deines Kreuzes Fuß 

Hatte die Menfchheit gefniet, 

Daß das Blut, aus deinen Todeswunden 
Auf ihre Stirne tropfend, 

Das Kainszeichen von ihr nehme. 

Fort und fort währte der alte Fluch, 

Und durh Schuld und Thränen 
Gebrochenen Herzens wankten wir 

Dem bittern Tod entgegen. 

An aller Märtyrer Richtitatt, 

An Arnold Holzſtoß 


— 312 — 


An Brunos Schheiterhaufen 

Haben wir gebetet, 

Daß das Himmelreich komme, 

Doch ihre Aiche verwehte der Wind, 

Und nur finfterer ward um uns die Nacht. 
Mit Dante in alle Kreiſe 

Der Hölle find wir hinabgeftiegen, 

Aber der Wehruf der Verdammten, 

Ewig in den fchwarzen Lüften Freifend, 
War nur matter Widerhall 

Des Erdenjammers. 

Mit Herſchel dahin von Stern zu Stern 
Durch) die furchtbare Unenpdlichkeit 

Sind wir geflogen, 

Doc ftatt des geträumten Himmels 

Nur wüſte Schladen, 

Im ewigen Sturz durchs All hintaumelnd, 
Erblickten wir. 


O ſprenge des Grabes Pforten, 
In dieſe weite, öde Nacht, 
Ein Lichtträger, kehre zurück, 
Mit Allmacht der Liebe 
Dein Werk zu vollführen! 
Palmenſchwingend entgegen 
Dir werden wir ziehen; 
Unſere Seelen lehre 
Nicht Ich mehr kennen noch Du, 
Und von der verklärten Erde 
Ueber alle Himmel hinaus 
Laß deines Geiſtes Odem wehen, 
Die ſtummen, blinden Welten 
Vom Bann des Todes zu löſen, 
Daß ein großes, ſeliges Leben 
Von Sternen zu Sternen walle! 


— 373 — 


Abendfeier. 


Sei mir willkommen, Stunde heil'ger Feier! 

Indeß der Tag im Weſten ſanft verglimmt, 

Harmoniſch bebt der Schöpfung große Leier, 

Als hätte ſie ein Genius geſtimmt, 

Und ſanft dahin durch meiner Seele Saiten 

Fühl' ich den Athemzug des Friedens gleiten. 


Wohlan! zum großen, reichen Freudenfeſte 

Will ich die traute Abendſtille weihn; 

Das Schönſte nur, das Herrlichſte und Beſte, 
Was je mein Herz beglückt, ſoll um mich ſein, 
Ein übervoller Schatz, den, bis ich ſterbe, 

Der Tag dem Tag, das Jahr dem Jahr vererbe. 


Schon gleich dem Kinde, wenn es vor den Lichtern 
Des Weihnachtsbaumes daſteht, ſüß erſchreckt, 

Und bald nach einem goldnen Apfel ſchüchtern 

Die Hand, bald nach dem Perlenhalsband ſtreckt, 
Vor all den Freuden ſteh' ich wie geblendet, 

Die mir des Lebens ſchöner Gott geſpendet. 


Auſſteigen neu die hingeſunknen Sonnen, 

An deren Strahlen mir ein Glück gereift, 
Und jede bringt die halbvergefinen Wonnen 
Mir wieder, die fie über mich gehäuft; 

Bon Neuem fchlingen die geſchwundnen Yenze 
Mir um die Stirne ihre Blumenkränze. 


Ich liege wieder unter duft’gen Blüthen, 
Ein muth’ger Knabe, in der Julinacht 
Und jauchze, während um den Hingefnieten 
Der Eichenwald im Wetterfturme kracht, 


— 314 — 


Und blick' in Andacht bei der Blitze Lohen 
Der Mutter ins Geſicht, der ew’gen, hohen. 


Aufs Neue fühl! ich, wie die ſchöne Zähre 

Der Freundichaft von des Jünglings Wimper tropft, 
Wie hoch bei Diotimas Seherlehre, 

Beim Yiede des Homer das Herz ihm Elopft, 

Wie feine Lippe felgen Bollgenuffes 

An theuern Lippen hängt im Tauſch des Kuffes. 


Der Trieb des Wiffens, der nicht andre Schranken 
ALS jenſeits von den legten Sternen fand, 

Des Herzens fühnes Flammen beim Gedanken 

An Recht und Freiheit und an Vaterland, 

Noch einmal glüht mein ganzes Sein von ihnen 
Hoch auf, jo wie im Abendroth Ruinen. 


Am Mund mir neu, daß jel’gen Raufch ich ſchlürfe, 
Seh’ ich den Wunderkelch der Dichtung blühn ; 

Ich fühle wieder feurige Entwürfe 

Und Drang nad Thaten durch die Seele jprühn; 
D! wurden fie auch unvollbracht begraben, 

Schön nenn’ ich es, fie nur gedacht zu haben. 


Wenn alle Wonnen, die ich je genofjen, 

Mein Geift auf einmal neu ins Dafein vuft, 

Daß einer Nofe gleich, die voll erjchlofien, 

Das eben feinen ganzen Blüthenduft 

Um mich verhaucht — o! kann ein Feſt auf Erden 
Mit dem an Seligfeit verglichen werden? 


Und brennen auch dazwischen alte Wunden, 

Die Schmerzen felbft, nicht miffen will ich fie, 
Durch fie erſt wird der Chor der Wonneftunden 
Zu einer großen, vollen Harmonie, 





— 35 — 


Die, während ſüßen Wehs die Seele blutet, 
Mit hohem Wogenfchlage mich umfluthet. 


Sa, ruf ich fo die dunfeln Trauertage, 

Die bang durchweinten Nächte mir zurüd, 
Zu Jubel wandelt fich mir jede Klage, 

Und einft, wenn müde von des Lebens Glüd, 
Nur Freuden, eine überreiche Habe, 

Nehm' ich als ewigen Befig zu Grabe. 


Hymne. 


Da bin ich, nimm mich hin, erhabne Macht! 
Seitdem zuerſt vor meinem Geiſte 

Sich lichtete der Dinge große Nacht, 

Fühlt' ich, wie deine Schwinge mich umkreiste, 

Und nicht vor Graun, noch Schrecken will ich zagen; 
Ich weiß, ſiegreich hindurch wirſt du mich tragen. 


Aus tiefen Abgrunds öder Finſterniß, 
Allmählig durch der Urzeit Dämmerungen 
Hoch, höher haſt du dich emporgerungen, 
Bis über dir der Weltnacht Dunkel riß, 
Und jubelnd ſich in feſſelloſem Drang 

Das junge Licht durch alle Räume ſchwang. 


Allmächtig waltete dein Lebenshauch, 

Daß wuchernd in der unterird'ſchen Halle 

Der Stein, das Erz aufſchoſſen zum Kryſtalle, 
Und dir entgegen Staude, Baum und Strauch 
Aus Blüthenkelchen ſüße Düfte 

Entſendeten in die berauſchten Lüfte. 


— 376 — 


Durch dich geweckt, erſtand myriadenfach 

Die Thierwelt; jeder Raum von Erd' und Himmel, 
Der Meerabgrund und Wald und Strom und Bach 
Erfüllten ſich mit fröhlichem Gewimmel 

Und ſelbſt der Tropfen Thau mit unſichtbaren 
Millionen vielgeſtalt'ger Weſenſchaaren. 


Doch noch war tiefe Geiſtesnacht; da ſchlug 

Die Seele in des Menſchen Angeſichte 

Das Auge auf mit wunderbarem Lichte 

Und wagte zaghaft ihren erſten Flug 

Auf des Gedankens Schwingen — auf den Thron 
Der Schöpfung hobſt du ihren Lieblingsſohn. 


In ihm, der mit der wilden Thiere Brut 
Gehaust, dem Höhlenbären, der Hyäne, 
Entfachteſt du der Liebe ſchöne Gluth, 
Entlockteſt ihm des Mitleids heil'ge Thräne; 
Der Sprache Wunder lehrteſt du ihn ſtammeln 
Und um den Herd der Sitte ſich verſammeln. 


Mehr, immer mehr ſich ſeiner ſelbſt bewußt, 
Die dumpfen Sinne von der höhern Flamme 
Ließ er durchglühn; ihn nahm die hehre Amme 
Hellas als Säugling an die Bruſt, 

Um mit der Weisheit Milch, den Honigwaben 
Der Dichtkunſt ſeinen Geiſt zu laben. 


Da ſang Homer ſein ew'ges Lied, da quoll, 
Durchathmet von des Phidias Seele, 

Zu Göttern auf der Marmor von Pentele, 
Reich rann der Lebensquell und warm und voll, 
Wie die Natur von ihrem großen Herde 

Ihn nimmer ſonſt geſpendet hat der Erde. 


— 317 — 


Wohl dedte Dunkel wiederum die Welt, 

Die Freiheit barg ihr holdes Antlis jchüchtern; 
Allein mit hoher Geifter Himmelslichtern 

Auch weiter haft du noch die Nacht erhellt 

Und große Thaten, trog der Stürme Wüthen, 

Der Menschheit auf den Pfad geftreut wie Blüthen. 


Strahlt wie ein Morgenftern nicht Heloife 

Aus finftrer Zeit hervor? Schritt ernft und groß 
Nicht Dante feinen Weg zum Paradiefe? 

Und, wo Savonarolas Scheiterſtoß 

Noch jüngst geflammt, erblühte nicht ein Yenz 
Des Wiffens und der Künfte in Florenz? 


Und die des Chaos düjteres Gewirr 

Du zum Geſetz geführt haft und zum Maaße, 
Die Leben ſchuf, wo Alles wüſt und dürr, 
Und, leuchtend wie des Himmels Sonnenftraße, 
Hin durch die Zeiten deinen Pfad gezogen, 
Wie würde, wer fi) dir vertraut, betrogen? 


Empor, empor, um Höhres zu geftalten, 

Durch Nahtgraun und durch Sturm geht deine Bahn: 
Sp magjt du denn, wie wild der Weltorfan 

Auch braust, mit mir nach deinem Willen fchalten, 
Seis zur Vernichtung, ſeis zu neuem Leben, 

Erhabner Geift, dir hab’ ich mid) ergeben! 


— —— 


Licht und Finſterniß. 


Soll nie der Menſch an dem, was groß und ſchön, 
Sich vollen Zuges laben dürfen, 

Nie auf des Lebens heitern Sonnenhöhn 

Die reine Luft der Wahrheit ſchlürfen? 


So ſtolz ſteigt er auf der Erkenntniß Bahn 
Empor zur Freiheit und zum Lichte; 
Schon ſind vor ihm die Pforten aufgethan 
Zu hellern Tagen der Geſchichte, 


Da neu beginnt aus Nacht hervor und Grab 
Das alte finſtre Heer zu wimmeln 

Und wirft das Netz nach ihm, um ihn herab 
Zu ziehn aus allen ſeinen Himmeln. 


Bald hier, bald dort ſchon mit dem Crucifix 
Steigt aus des Mittelalters Schutte 

Ein Nachtgeſell, das Auge ſcheuen Blicks 
Vorſchielend unter ſeiner Kutte. 


Und ihrer mehr, ſtets mehr ausſpeit die Gruft, 
Und langen Zugs in Meßgewanden 

Mit wehnden Fahnen ziehn bei Weihrauchduft 
Von Ort zu Ort die ſchwarzen Banden. 


Ihr, deren Lippe träuft von Acht und Bann, 
Dürft ihr euch deſſen Schüler nennen, 
Ruchloſe, der den Spruch gethan: „Daran, 
Daß ihr euch liebt, will ich euch kennen?“ 


Zu ihm, von ſeines Auges ſanftem Blau 
Verklärt, auflächelten die Kleinen; 
Ihm fehlte nie der Thränen milder Thau, 
Um auch den Sünder zu beweinen. 


— 39 — 


Er brachte, al3 er in den Abgrund ftieg, 
Bergebung, Liebe ſelbſt Verdammten; 

Doc ihr, wann feiertet ihr je den Sieg, 
Als wenn die Scheiterhaufen flammten ? 


Haß ift die Luft, in der ihr lebt, und lud), 
Und von der Rechten, die zum Segen 

Ihr am Altar ausftredt, quillt Blutgerud) 
Uns, wie von Mörderhand, entgegen. 


Fa, jene feid ihr noch — das Kainsmal 
Seh’ ich auf eurer Stirne brennen — 
Die einft ihr der Waldenſer friedlich Thal 
Mit Mord erfüllt und die Cevenuen. 


Und durch Hofiannah und durch Chorgefang 
Auf ich euch in das Ohr, das taube: 
„Der Fluch) der Erde jchon jahrtaufendlang 
Seid ihr und euer finftrer Glaube.“ 


Mir her den heil’gen Kelch, den ihr entweiht! 
Im Namen defjen, den ihr fchändet, 

Des Göttlichen, bring’ ich ein Hoch der Zeit, 
Die euer Reich der Yüge endet. 


Wenn aus den Augen ganz den wüſten Traum 
Der Nacht die Menjchheit fich gerieben, 

Sit auf der Welt nicht ferner für euh Raum 
Ihr lehrt fie haffen, fie will Lieben. 


— 380 — j 


Memnon. 
Luxor, im Januar 1872. 


Auf Leichen und auf Schutt in dieſem Thale 
Hält ſeinen bleichen Hof der Tod; 
Nur wenn die Sonne, hinter Libyens kahle 
Sandhügel ſinkend, ihrer Strahlen Roth 
Hinfluthen läßt um Thebens Trümmermale, 
Glühn Pyramide und Pylon 
Noch einmal auf bei ihrem Scheidegruße. 
Dann, hingeſtreckt an deinem Fuße, 
Geheimnißvoller Götterſohn, 
Traumbild der Urnacht, das, zu Stein geworden, 
koch an des heil'gen Stromes Borden 
In unfern Tag herüberragt, 
Auf die Nuinen, die fich allhin breiten, 
Laſſ' ich den Bli mit deinem Schatten gleiten. 
Bor mir auf der Koloffe Rieſenglieder, 
Die fünf Jahrtauſende zernagt, 
Hin ſprüht das Licht in goldnen Funken, 
Und aus der alten Weltnacht wieder, 
In die fie lang zurücgejunfen, 
Taucht in des Abends Purpurflore 
Empor die Stadt der hundert Thore. 
Aus Grün der Palme und der Terebinthe 
Aufragen ſeh' ich Häuferlabyrinthe 
Und Obelisfen, deren Spiten 
Wie Flammen von Oranit zum Himmel bligen. 
Bedeckt mit räthjelhaften Zeichen, 
Spiegeln fih Tempel in fryftallnen Teichen, 
Drin die geweihte Yotos blüht, 
Und über ihre höchften innen, 
Vom Weltgeheimniß dunkel überglüht, 
Hernieder fchaun Aegypten Wächterinnen, 
Die Sphinre, auf ihr heil’ges Theben. 


Dar. 


— 3831 — 


Zu wimmeln da in allen Säulenſtraßen 
Beginnt es von der Völker frühem Leben, 
Das felbft die ältften Sagen längſt vergaßen; 
Doch plötzlich uberm Wüſtenſaum verglimmt 
Das Licht zu mattem, gelbem Streife 
Und ſpielt ums Haupt der höchſten Flügelgreife 
Mit letztem Strahl — auf Nebeln ſchwimmt 
Der Mond heran, und in des Sandes Wogen, 
Die ringsum mir zu Füßen branden, 

Nur Trümmer noch von Pfeilern, Bogen 
Seh' ich dahingeſtreut gleich dem Skelette 
Von einer Stadt, die hier geſtanden — 
Hernieder auf die große Schädelſtätte 
Senkt ſich die Nacht; um die Altäre 

Der Iſis ſchallen, ſtatt der Prieſterchöre, 
Des Habichts Schreie und der Eulen, 
Und zwiſchen halbgebrochnen Säulen 
Sucht in des Rhamſes Pfeilerſaal 

Ihr Lager die Hyäne. 


Mit dem Strahl 
Des Monds allmählig nieder wallt 
Der Schlummer auf mein Augenlid. 
Doch kurz die Ruhe; wieder bald 
Fühl' ich, wie es empor mich zieht 
Und auf den Pfaden neu, Nachtwandlern gleich, 
Mich hintreibt, die ich Tags durchſchweift. 
Zu Bergeshöhe rings gehäuft 
Liegt Tempelſchutt; oft wie im Todtenreich 
So finſter iſts um mich, dann durch die Spalten 
Von himmelhohen Mauern gleitet bleich 
Ein Schein herab auf rieſige Geſtalten, 
Die Wacht an einer Höhle Eingang halten, 
Und eine Schlange ſeh' ich, die geringelt 
Aus einem Königsgrabe züngelt. 


— 332 — 


Ich fliehe; über mir zuſammen jchlägt 

Das Dunfel nochmals feine Schwingen, 

Und ferneher hör’ ich ein Klingen; 

Yaut, lauter wirds; der Nahtwind trägt 
Gemurmel, Flüche und Geftöhne 

Mir an das Ohr, ein Chaos dumpfer Tüne; 
Matt wieder lichtet fic) die Finfternig 

Und zeigt durch einen Mauerriß 

Mir dichtes Bolfsgewühl; da wogts 

Bon Männern, Jünglingen und Weibern, 
Die unter Drohn des Sflavenvogts, 

Dem Geißelhieb von unbarmherz’gen Treibern, 
Schwerwucht'ge Quadern zu dem Bau 

Bon Pyramiden fchleppen; wie mit Ihau, 
Die Wüſte negen fie mit ihrem Blute 

Und überdeden mit gejunfnen Yeibern 

Albin den Boden, doch die Eiſenruthe 
Zwingt fie, zu neuer Dual fi aufzuraffen. 
Weiter eil' ich; Abgründe Flaffen 

Zur Seite mir und dumpf hinjchleicht 

Durd) fie der Ton von Eteingebrödel, 

Das unter meinen Tritten weicht; 

In Nifchen webt um morfcher Särge Dedel 
Die Spinne noch ihr hangendes Gefpinnit; 
Kein Leben fonft; nur feuchter Grabesschauer 
Wallt um mich her, allgegenmwärtig grinst 
Der Tod aus jedem Spalt der Mauer; 
Dies ift fein Herrſcherſchloß, das gränzenlos 
Mit Kammern, Gängen, vielgewunden, 

Sic hinzieht durch den Erdenſchooß. 
Sahrtaufende find ihm Sekunden, 

Er zählt fie nicht; ob er ein Neid) 
Auslöſcht, ob einen Glühwurm, gilt ihm gleich; 
Was blieb von all den modernden Nationen ? 
Erſt find fie ſelbſt, dann ift ihr Staub vermest, 


— 35 — 


Bis ganze Wejen-Millionen 

In ein Atom fich aufgelöst. 

Bom legten felbft der Pharaonen 

Die Mumie juch’ ich vergebens; 

Die Bilder, die in Farbe oder Stein 

Sich längs der düftern Wände reihn, 

Nur äffen noch den Schein des Lebens; 

Im Mondespämmer, wie fein gelbes 
Streiflicht herabrinnt durch die Spalten des Gemölbes, 
Ablöfen fie fih von der Wand, 

Die Unterjochten und die Sieger; 

Boran, das Scepter in der Hand, 
Sefoftris, der vom heigen Niger 

Bis an den eisumftarrten Hindufufch 

Mit Feindeshblut die Erde wuſch — 

Kein Yand ift, wo nicht Pyramiden ragen, 
Die er gethürmt aus Menfchenfnochen — 
Und Ueberwundene in Eifenjochen 

Folgen ihm nach und Sichelwagen, 

Die ganze Völker niedermähten, 

Und Krieger mit dem Schalle von Drommeten ; 
Und an Altären feiern Priefter 

Mit Hymnenfang den Weltverwüſter. 

Und dicht und dichter mir zu Seiten, 

Wie wenn am Himmel herbftlich die geballten 
Sturmwolken ihre Schwingen breiten, 

Reihn fi) Geftalten an Geftalten — 

Das ift nicht mehr das Volk vom Nil; 

In Trachten aller Völker, aller Zeiten 
Wälzen, .ein ew’ges Einerlei 

Bon Bölfermordgetümmel, Schlachtgewühl, 
Der Menfchen mwechjelnde Gejchlechter 

In Wirbelftrome fich vorbei. 

Ich will entfliehn; da hör’ ih Hohngelächter 
Und einen Auf, rüdhallend an den Mauern: 


— 384 — 


„So wirds bis an den Schluß der Zeiten dauern! 
Laß, Thörichter, die Hoffnung ſchwinden 

Auf Frieden und auf Menjchenglüd!” — 

Und tiefer, immer tiefer winden 


Die Gänge fich; nicht vorwärts kann ich, noch zurück. 


Ein trüber Schleier det mein Auge. 
Ich ftürze hin; mir tft, als jauge 
An meinem Herzen ein Vampyr. 


Da ftreiht ein Wind die Schläfe mir, 
Bon Thau fühl ih die Wange feucht 
Und fchau’ empor; blaß hängt am Himmelsbogen 
Der Mond, deß Falter Strahl an mir gejogen; 
Wie nächt'ge Vögel, plöglich aufgefcheucht, 
Entfliehn die düftern Traumgefichte, 
Und über mir feh’ ich mit erſtem Lichte 
Das Frühroth fih auf Memnons Stirne legen — 
Ein Zittern fchleiht, ein ahnungspolles Negen 
Hin dur den Stein, und von den Lippen quillt 
Dem Gott ein leifer Tonhauch, wie Gebet. 
O töne, töne, heil’ges Bild! 
Kind’ und das Yicht, nach dem jahrtaufendlang 
Gen Dften hoffend du gefpäht, 
Der tiefen, düſtern Weltnacht Ende! 
In durftgen Zügen trinft mein Herz den Klang 
Und grüßt den Morgen andachtsvoll, 
Der an des großen Weltjahrs Sonnenmwende 
Der Menjchheit Frieden bringen joll. 


In der Krankheif. 


Dem Schlummerlofen 
Langſam jchleichen die Stunden; 


— 35 — 


D führt mich hinaus 

In die klare Septembernadt, 

Daß ich wieder ihn jchaue, 

Den Freund meiner Kindheit, den ſchönen Drion, 
Und feinen ftrahlenden Bruder Sirius. 


In jedem Herbit, 
Wenn zuerft durch die Nebel des Oſtens fie ftiegen, 
Ihren Aufgang hab’ ich gegrüßt; 
Wie Genien waren fie mir, 
Die auf dem Ervdenpfad mich geleitet; 
Sie fahen mein Leben aufblühn, 
Und auf das welfende nun 
Soll fanft ihr Glanz herniederthaun. 


Schwer iſts, fich loszureißen 
Von dem heimathlichen Stern, 
Der uns ſo traulich gehegt. 

Doch ſollen wir ewig gebannt ſein 

An den einen unter den vielen, 

Die ſchweigend, leuchtend 

Im unermeſſnen Raume rollen? 

Hört' ich nicht oft 

In ſtillen Weiheſtunden der Seele 

Leishallende Tritte, 

Rauſchen unſichtbarer Quellen 

Und Flüſtern von Geiſterlippen 

Wie Botſchaft aus andern Welten? 

Von dieſem niederen Ball 

Hinauf dann wollt' es mich ziehn 

Zu den hohen unſterblichen Sonnen, 

Dem Lichte des Lichts. 

Und nun ſie zum Aufbruch mahnt, 

Die große Himmelsuhr, 

Die des Menſchen kurzes Leben 
Schack, Geſ. Werke IV. 25 


— 386 — 


Nur als Sekunde zählt, 

Kann ich zagen vor dem Gange 

In das unbekannte Land? 

Mag kein Pfad dort ſein, 

Keine Hand, die mich führt, 

Ich weiß, vorauf mir 

In ungezählten Schaaren 

Sind ſie gezogen, 

Die Weiſen und Guten 

Der Zeit und Vorzeit, 

Und feſt in meiner Seele ſteht der Pol, 
Der ihnen nach den Weg mir weist, 
Daß ich löſche den Durſt 

Nach ewiger Wahrheit, 

Trinke den mächtigen Odem der Liebe, 
Der durch das Weltall weht! 


Atlantis. 


Hoc von den Klippen des Felfengeftades 
An St. Vincent ragendem Cap 

In der Brandung tojenden Hades 
Starr’ ich lange Stunden hinab; 


Sehe mit weißen flatternden Mähnen 

Sich durd die fluthenden Schlünde, die jäh 
Zwiſchen den Wellengebirgen gähnen, 
Tummeln die ſchäumenden Roſſe der See; 


Trinfe die Hauche der freien atlantijchen 
Meerluft, wie fie flügelbefchwingt 

Gleich Mänaden im wilden bacchantischen 
Taumel von Woge zu Woge fpringt. 


* ir 


— 337° — 


Und auf der Brandung herüber aus Weiten, 
D Columbia! von deinem Strand 

Wallt es wie Grüße, dem fchmerzengepreßten, 
Altersmüden Europa gejandt. 


Duftend wie Gräfer deiner Savannen, 
Yeuchtend wie deine Yianenpradt, 

Sugendlich rich wie am Blodhaus die Tannen 
In des Urmalds dämmernder Nacht, 


Bon den Flüffen, den ftrömenden Meeren 
An der Feljengebirge Fuß, 

Bon den wälderwälzenden hehren 
Waflerftürzen ift e8 ein Gruß. 


Yand, wo groß wie Urmeltgedanfen 
Schlummern die nimmer durchfurchten Seen, 
Was der heilende Balfam dem Kranken, 
Sit ung von deinem Ddem ein Wehn! 


Mehr, o mehr noch gieb uns zu trinfen! 
Wie Verſchmachtende dürften wir; 

Mag im Welten die Sonne finfen, 

Einft doc fommt uns der Morgen von dir. 


Eine Stimme der Prophezeiung 
Send’ uns, die das Dunkel zerreißt 
Und Berjüngung, Freiheit, Erneuung 
Uns im Todesfampfe verheißt; 


Freiheit, nicht wie der blutige Marat 
Sie zum Bernichtungsfeuer entfacht, 

- Wie beim Donner des Niagara 
Wafhingtons großer Geift fie gedacht! 


— 38 — 


Freiheit vom Wahne, der ſchon in der Kindheit 
Seine düftere Binde fo dicht 

Um die Augen uns legt, daß in Blindheit 

Wir nicht Schauen das höhere Licht. | 


Geiſt der Zufunft, der in den Andes 
Du mit den ftürzenden Waffern ſchäumſt, 
Unter den Palmen längs des Strandes 
Des Orinocco morgendli träumt, 


Höre, wir rufen dich! müd des Bergangenen 
Deiner harren wir jehnjuchtsvoll, 

Wie des Netter3 die armen Gefangenen, 
Der den Kerker erſchließen joll. 


Wo der Urwald noch feinen Herren, 

ALS den freifenden Adier gekannt, 

In den Prairien, Savannen und Sierren 
Zeig uns das fünftige Vaterland! 


Frei und herrlich, nicht, wie die Ahnen, 
Bleiher Gedanken und Sorgen Knecht, 
Wird in junger Kraft der Titanen 
Dort erwachſen ein neues Gefchledht. 


Und wie die Rieſenwildniſſe drüben 
Am Miffiffippi, jo ftolz und fühn 
Werden die Völker, entrücdt den trüben 
Wolfen Europas, wuchern und blühn. 


An den ftürzenden Katarakten, 

Wenn der Sturm durch die Wipfel weht, 
Bei der rollenden Waſſer Takten 

Lernen fie ftammeln ihr erſtes Gebet, 


W 


— 389 — 


Und ftatt dev Tempel, wo düſtre Phantome 
Bon den Wänden hernieder drohn, 

Wölbt fich der leuchtende Himmel zum Dome 
Ihrer höheren Religion. 


Das neue Dahrkunderf. 


Noch bevor am Himmel dämmernd deine Morgenvöthe 
ſteigt, 

Hat ſich von der Laſt der Jahre müd' ins Grab mein 
Haupt geneigt; 

Doch der Lerche gleich, die, eh' ſie ſich den Oſten röthen 
ſieht, 

Schon dem Tag entgegenjubelt, flattre dir voran mein 
Lied, 

Glorreich herrliches Jahrhundert, das im königlichen Flug 

Reigenführend du dahinſchwebſt vor der Menſchheit 
Siegeszug! 

Ja, Vollender du von Allem, was wir hoffend nur geahnt, 

Dem die Weiſen und die Helden jeder Zeit den Weg 

gebahnt, 

Vor dem Blick mir weicht der Schleier, der noch vor 
der Zukunft ruht, 

Und wie ferne Alpengipfel in des Frühlichts Purpurgluth 

Seh' ich dich und ſeh' die andern, die dir folgen, hellbeſonnt, 

Himmelauf die Scheitel heben an der Zeiten Horizont. 

Weit vor mir in Segensfülle mit der Aernten wogendem 
Gold, 

Mit den üpp'gen Rebgeländen, liegt das Erdgefild entrollt, 

Und von Ueberfluß für Alle ſtrotzt der mütterliche Herd. 

Längſt, des blut'gen Werkes müde, ward zur Sichel jedes 
Schwert, 


— 3% — 


Und mit flatternden Standarten auf der Freiheit Sieges- 
feld 

Wallen rings heran die Völker zu dem Bundesfeft der 
Welt. 

Der geweihte Born des Wiffens, der für Wen’ge ſonſt 
nur quoll, 

Nun in breitem Strom durd alle Yänder fließt er reich 
und voll, 

Und harmonisch alle Herzen ftimmt der Dichtung 
Orpheuslied 

Und die Kunſt, der ew'ge Frühling, der in Farb' und 
Marmor blüht. 

Durch geſprengte Felſen, über ſchwindlige Klüfte hin— 
geſpannt, 

Schlingt um alle Erdenzonen ſich der ehrnen Gleiſe Band, 

Drauf vom Dampf, dem ſchnaubenden Renner, den er in 
ſein Joch geſchirrt, 

Hin von Pol zu Pol mit Sturmes Flug der Menſch 
getragen wird. 

Er, der einſt auf Eichenpfählen, in der Seeen Grund 
gerammt, 

Dem Geſchick, dem grauſen, fluchte, das zum Daſein 
ihn verdammt; 

Nun der Elemente Meiſter, Herrſcher über Zeit und Raum, 

Herrlich ſich erfüllen ſieht er alter Seher Wundertraum, 

Segelt durch den höchſten Aether hin auf luftbeſchwingtem 
Kahn, 

Taucht durch blauer Wogen Zwielicht in den tiefſten Ocean. 

Ihm gehorcht der Blitz als Sklave; in das gränzenloje AU 

Trägt den Blid ihm Frauenhofer auf den Flügeln von 
Kryſtall; 

Durch den Sternennebel dringend, der als Lichtſtrom 
niederträuft, 

Sieht er neue Firmamente tief im funkelnden Raum 
gehäuft, 





— 31 — 


Und hinüber und herüber auf dem ftrahlenfchnellen Weg 

Mit Bewohnern fremder Welten führt er Zeichen- 
Zwiegeſpräch. 

Aber hehrer noch als droben, wo ſich Sonn' an Sonne 
reiht, 

Unergründlich in der Seele ruht ihm die Unendlichkeit. 

Wie aus weitentlegnen Himmeln, nie durchforſcht vom 
Seherohr, 

Steigen der Gedanken große Sternenbilder ihm empor. 

Fernhin ſchweift ſein Adlerauge, jenſeits dieſes engen Jetzt, 

Vom Beginn der Erdendinge bis zum dämmernden Zuletzt; 

Nicht fortan im Unermeſſnen ſteht er rathlos und verwaist, 

Ueber alle Räume breitet herrlich leuchtend ſich ſein Geiſt, 

Und, im Leben wie im Tod ſich ſeiner Ewigkeit bewußt, 

Jeglichem Geſchick entgegen trägt er frei und kühn die 
Bruſt. 

So, wenn welk von vielen Jahren ſeines Daſeins 
Blüthe ſinkt, 

Schreckt ihn nicht des letzten Mahners Kommen, der 
zur Abfahrt winkt. 

Gleich dem meervertrauten Schiffer, dem das Herz voll 
Hoffnung ſchlägt, 

Wenn hinweg zu fernen Inſeln ſeinen Kiel die Woge 
trägt, 

Dieſer Erde Küſten läßt er, während ſanft in ſeinem Boot 

Ihn dahin zu neuen Ufern führt der freundliche Pilot. 


Van. 


Der Alpen Gletſcherbächen gleich, die, hoch von Schnee 
geſchwollen, 
Von Klippe jäh zu Klippe fort im Wogenſturze rollen 


— 32 — 
Und Quellen, Flüffe mit fi ziehnd, fid) in das Thal 


ergießen, 

Sp rauſcht und ſchwillt der Yebensitrom, voll bis zum 
Ueberfließen. 

Den Menschen ſcheint Die Welt zu Elein, zu ftillen ihr 
Dedürfen; 


Sp fern ift feine Hafenbucht, wo fie nicht Anfer würfen, 
Kein Schacht jo abgrundtief, daraus ang Yicht fie die 
verfohlten 
Urmwälder, die jahrtaufendlang begrabenen, nicht holten. 
Wie loht die Gluth und ſchmelzt das Gold aus glikern- 


dem Geäder 

Und treibt mit ihres Odems Hauch, dem Dampf, die 
Eifenräder 

Und jagt, indeß er wirbelnd fteigt, fie Hin auf ehrnen 
Gleiſen, 

Daß, Zeit und Raum beſiegend, ſie die Welt im Flug 
umkreiſen! — 

Nimm hin Br ?eben, ich bin dein! Wie hoch die Fluth 
auch gehe, 

Ich zage nicht por deinen Mühn und nicht vor deinent 
Wehe; 

Du führft die Menjchheit an ihr Ziel durch alle 
Wandelungen, 

Und dem nur winkt der Siegespreis, der tapfer mit— 
gerungen; 


Doc eine Stunde jedes Tags dem drängenden Gewühle, 

Das raſtlos um uns braust und tobt wie eine Riefenmühle, 

Ja eine will ich ihm entfliehn, daß ich in ftiller Weihe 

Der großen Hymme der Natur das Ohr voll Andacht 
leihe. 

Seis an des Meeres Klippenftrand, ſeis hoch auf Berges- 
zinnen, 

Beim Klang der Schöpfungsmelodien, der ew’gen, will 
ich finnen, 


— 


Die von des Himmels höchſtem Grat, den lichten Aether- 


ballen, 

Im Feierſchwung hinab zur Nacht des tiefften Abgrunds 
wallen, 

Dann wieder von des Hänflings Neft, den niedern 
Oinfterzweigen, 

Zur ftolzen Bergesceder auf, dem Horjt des Adlers, 
fteigen. 

Da ſchweigt des Lebens wüſter Lärm; in mächtigem 
Afforde 

Anhebt der Dcean den Palm, gepeitjcht vom wilden 
Norde, 


Und Katarakte fallen ein, die von den Felfen braufen, 
Und Eichenwälder, fturmdurhmwühlt, mit ihrer Aeſte 


Saufen; 
Nachſtammelt ihn des Südens Meer, wo unter Yor- 
beerbäumen 
Am Klippenftrande von Sorrent die Wogen wirbelnd 
Ihäumen; 


Ihn fingt der goldne Orient am Rande der Cifternen, 

Und her von Weiten hallt jein Klang aus bleichen 
Nebelfernen; 

Er fprudelt aus der Urne vor, daraus der Morgen 
fluthet, 

Und zittert um des Tages Grab, der abendlich ver— 
blutet, 

Und Elangreich hin von Welt zu Welt durch alle Himmels— 
bogen 

Schlägt wallend mit dem Strom des Lichts das Ton— 

k meer feine Wogen. 

D! laufhen wir mit Ohr und Geift, wie Töne von 
dem Rohre 

Des ew’gen Pan, erjchallen uns die Klänge all im Chore; 

Da wird in Yifpellauten wie in Sprache der Titanen 

Uns offenbar was Keiner weiß und was doch Alle ahnen; 


— 34 — 


Still ftehen, vegungslos um uns des Zeitenvades Speichen, 

Wir athmen in der Ewigkeit, der heil’gen, immer gleichen, 

Und laſſen ihre Wogenfluth erquidend ung umfpülen, 

Bis wir den Bann des engen Ich don uns genommen 
fühlen 

Und diefen jteten Weſenſchwall, von dem nur Wellenringe 

Wir felber find, verfchwinden fehn im großen Eins der 
Dinge. 

Glücklich, wer in des Urfeins Fluth, der Klaren, hoch— 
begnadet 

Dom dunfeln Roſt der Endlichfeit die Seele rein gebadet! 


Huf dem Friedhof. 


In des Oktober-Abends Späte, 
Wenn ic, o Friedhof, dich betrete, 
Was iſts, das lang an dich mich bannt? 
Selehnt an eine Marmorplatte, 
Seh’ ich das Sonnenlicht, das matte, 
Berglühn am gelben Himmelsrand, 
Indeß die Winde von den Eiben 
Umher die welfen Blätter treiben. 
Einjam entlang den Kreuzen mwallt 
Noch einer Betenden Geftalt, 
Die Kränze um ein Grab gemunden; 
In Dämmerung ift fie bald geſchwunden, 
Und, vor mir Gräber, Stein an Stein, 
Bin mit den Todten ich allein, 


Wie manche ruhen drunten ſchon 
Von denen, die ich heiß geliebt; 
O wer ſie je mir wiedergiebt! 


— 359 — 


Ihr ſüßer Lebenshauch entflohn! 

Wie Klang von Leiern, die zerſplittert, 
Verklungen ihrer Stimme Ton, 

Bei dem mein Herz ſo oft gezittert; 
Die Lippen, mir vor allen theuer, 

Die Hände, deren Druck wie Feuer 
Durch all mein Weſen rann — o nie 
Berühren mehr die meinen ſie! 
Einſam noch ſchreit' ich durch die Welt, 
Die nicht ihr Auge mehr erhellt, 

Doch über meine Stirn auch bald 
Legt ſich der Raſen ſtumm und kalt. 


O finſtrer Abgrund, welcher vor uns gähnt! 
Wer bliebe ſtumm, das Auge unbethränt, 
Wenn die Geſtalten all, die wundervollen, 
Des Seins und Lebens, das uns hier umfing, 
Und alle Freuden, dran die Seele hing, 
Hinſinken, wie auf unſern Sarg die Schollen? — 
Der Herrſcher, dem ſich Alles beugen muß, 
Biſt du, o Tod! Stumm neigt der Genius 
Das ſchöne Haupt vor deiner Mörderhippe; 
Die Farbe bleicht, von deinem Hauch berührt, 
Der Meißel ſinkt, den ſeine Hand geführt, 
Und der Geſang erſtirbt auf ſeiner Lippe. 


Weß Auge durch die Erdendecke dränge, 
Er ſchaute drunten unermeßne Hallen, 
Die doch zu klein faft für der Todten Menge, 
Das Weltall derer, die in Staub zerfallen, 
Reſt eines Weſens jegliches Atom; 
Kön’ge, die einft die halbe Welt beſeſſen, 
Mit ihren Völkern, und wie fie vergeffen, 
Begraben in dem großen Trauerdom; 
In Schutt zerbrödelt jelbft die Ajchenkrüge, 


— 396 — 


Wie das Gebein der Helden und der Weifen, 

Die drin geruht — wer denft3 und fann die Yüge 
Bon Nahruhm glauben und Unfterblichfeit ? 

Seit Anbeginn, jo lang die Jahre Freien, 

Stürzt Alles jäh in die Vergefjenheit. 

Entflieh zu den entlegenften Geftaden, 

In Urwaldnacht, wo jedes Ficht erlifcht, 

Umfonft die Flucht; du eilft auf allen Pfaden 

Zum ſchwarzen Schlund, wo fich dein Staub vermifcht 
Mit dem von ungezählten Myriaden! 


Nichts alfo wäre, das noch bliebe, 
Nachdem der Wange Noth erblaßt? 
Die großen Herzen, die in Yiebe 
Der Menjchheit ganzes Sein umfaßt; 
AU Jene, die zum Seelenbunde 
Sich mir gelobt mit Schwur und Hand, 
Wenn in die fliehende Sefunde 
Wir eine Ewigfeit gebannt; 
Die Geifter, die gedanfenjchnell 
Der ferniten Sterne Nebelftraßen, 
Des Abgrunds tiefſte Nacht durchmaßen: 
Statt an des ew’gen Yichtes Duell 
Den Durft zu löfchen, follten nun 
Im Moder fie dort unten ruhn, 
AS ftumme Kläger wider den, 
Der fie gejchaffen zum Bergehn? 


Nein! finfe, was der Staub gebar, 
Hin auf den weiten Yeichenader ! 
Was groß und hehr auf Erden war 
Kann nicht nach flüchtigem Geflader 
Erlöfchen wie ein Meteor. 

Die Himmelsflamme, gottverwandt, 
Die in der Enpdlichfeit gebrannt, 


ver, ee 


Bi. 


Steigt leuchtend aus der Gruft empor; 
Und jenen nach, die aus den Banden 
Der Körperwelt befreit erſtanden, 

Werd' ich dereinft, vom Durft nach Willen, 
Dom Drang nach Licht emporgeriffen, 
Des dumpfen Sarges Dedel jprengen; 
Die Schleier alle will ich heben, 

Die vor der Schöpfung Wundern hängen, 
Und alle fie, die mich im Yeben 

Getränft mit ihres Odems Wehn, 

Die hohen Geifter wiederjehn! 


Mit deinen Särgen, deinen Wiegen 
Bleib, Heine Erde, drunten liegen! 
Hinauf von diefer Schädelſtäte 
Bi’ ich, wo ſchon die fternbefäte 
Allheil'ge Nacht emporgeftiegen, 

Und ihre unermeßnen Hallen 

Die Emigfeit erſchloſſen hat. 

Wie funfelt dort des Lebens Saat, 
Gleich Lilien, die im Windhauc mallen! 
Mein Baterhaus, aus deffen Thoren 
Sch früh mid) in die Welt verloren, 
O Xetherftadt, glanzvolle Veſte, 

Ihr Sternen-Tempel und Paläfte, 
Wie leuchten eure Lampen wieder 
Bon droben mild zu mir hernieder! 
Milchſtraßen, leicht wie Morgenthau 
Dahingeiprengt ins tiefe Blau, 

Ein’ unermeßner Strom von Sonnen, 
Der dur entlegne Himmel ſchäumt, 
Bis wo, in blaffen Dunft zerronnen, 
Ein All vergeht, ein andres keimt! 
Das Fluthen breiter Strahlenwogen 
Bon Weltenftrand zu Weltenftrand! 


— 38 — 


Die Himmelsbogen Hinter Bogen 
Durch die Unendlichkeit gefpannt! 
Hinauf! Hinauf! zum großen Flug 
Will ich der Seele Schwingen rüften; 
Er rauſcht um mich, der Geifterzug, 
Der von der Schöpfung fernften Küſten 
Zu ihren Sonmnengipfeln zieht; 

Empor mit ihm zu Lichtgeftienen, 

Die nie ein irdiſch Auge fieht! 

Schon wo des Weltalls höchfte Firnen 
Mit morgenrothem Scheitel blinten, 
Seh’ ich fie mir entgegenminfen, 

Die hehren, ftrahlenden Geftalten, 

Die vor mir her durchs Leben mwallten; 
Euch, die Gefchleht ihr auf Gefchlecht 
Erleuchtet, Seher und Propheten, 

Euch Helden, deren Fahnen wehten 
Im Kampf für Freiheit und für Net, 
Und euch, die ihr durch Farb' und Töne 
Dort unten fhon enthält die Schöne, 
In der ihr nun unfterblic wohnt! 
Bon Polen hin zu fernern Polen 
Aufflieg’ ich, um euch einzuholen, 

Und fort zu höhern Geifterreichen, 

Wo eure Strahlen felbft erbleichen, 
Wie vor dem Sonnenglanz der Mond. 


Der neue Vempel. 


Geöffnet ift die große Andachthalle, 
Die unermeßne, die von der Natur 
Erſchaffen ward zum Gotteshaus für Alle. ; 


— 399 — 


Kein Tempel das, wie fie der dumpfe Glaube 
Der Menfchen fich gebaut; die Berge find 
Die Pfeiler feiner hehren Säulenlaube. 


Weihrauch dampft aus der Thäler Silberjchale, 
Und mit des Meeres Wogendonner eint 
Der Stürme Hymmus fich zum Fejtchorale. 


Doc welhem Gott von allen, die al3 wahre 
Die Menfchheit pries, die Hymnen fingen wir 
An dieſes ew’gen Tempels Feſtaltare? 


Iſts jener, der von Sinai hernieder 
Aus Wetterwolfennacht zu Moſes ſprach, 
Und dem auf Zion ſchollen Davids Yieder ? 


Iſts Er, der lichtummoben in die Krippe 
Bon Bethlehem als Kind herunterftieg, 
Des Himmels milde Yehre auf der Lippe? 


Nein, den wir feiern, in dem All der Dinge 
Negt er, verborgen feit der Welt Beginn, 
Hier fanfter und dort ftärfer jeine Schwinge. 


Schon durch das Dämmer-Zwielicht grauer Zeiten, 
Als noch im Kindheitstraum die Menfchheit lag, 
Ihn hören wir mit leifen Tritten jchreiten. 


Ihn ſchauten früh in jeligem Gefichte 
Der Urmelt Seher; trüb bald und bald heil 
Schlang fich fein Weg dahin durch die Gefchichte. 


Wenn Treue Zwei in theuern Liebeseiden, 


An Lippe Yippe, Herz an Herz gepreßt, 
Einander ſchwören, ruht er zwifchen Beiden. 


vr 


Er grüßt uns hold aus Nähen und aus Fernen; 
Und blidt uns aus der Erde Blumen an 
Und droben aus des Himmels ew’gen Sternen. 


Um Meer. 


An deinen Strand, geliebter Ocean, 

Aufnimm den Flüchtling aus dem Weltgedränge! 
D, al3 von fern nur dich die Augen jahn, 

Als deiner Stimme altvertraute Klänge 

Her von der Düne mir der Nordwind trug, 
Wie froh, befreit aus langer dumpfer Enge, 
Dir da mein Herz entgegenfchlug! 


Die jel’gen Sommertage wieder nun 

In Örotten, an dem hallenden Geftade 

Auf meerduftfeuchtem Ginfter will ich ruhn 
Und hoch am Strand die jteilen Klippenpfade 
Hinjchweifen, jo wie ehmals, als zu jäh 
Kein Fels mir war der wildeften Cyflade 
An Aegeus' dunfelblauer See! 


Slorreiches Meer, gleich hehr bift du und groß, 
Wenn, überjchattet von Drangenbäumen, 

Du fhlummernd in den eignen Wunderfchoof 
Berfinkft, wie wenn, gewedt aus deinen Träumen, 
Du donnernd dich in Wafferbergen hebft 

Und ganze Flotten mit den Wogenfhäumen, 

Den ringsum wirbelnden, begräbft. 


Wie leuchtend, purpurroth und blau und grün, 
Heran die jchaumgefrönten Wogen jchmwellen, 
Mit Lachen nen ins Unermeßne fliehn 





⸗ 


— 4041 — 


Und jauchzend in die Tiefe mit den jchnellen 
Meerftrudeln ftürzen! Ihrer Stimmen Schall 
Glaub’ ich zu hören aus den dämmerhellen 
Abgründen und den Höhlen von Kryftall. 


Die ihr dem Knaben ſchon Gefpielen wart, 
Erzählt mir wieder num die alten Sagen, 
Don Argonautenzug und Ophirfahrt, 
Kalypjos Eiland und den Yotophagen, 
Und wie befränzte Schiffe, jchöngefugt, 
Bei Flötenfpiel und Feitlied der Choragen 
Ihr nach dem heil’gen Delos trugt. 


Und weiter laufchen laßt mein Ohr der Mär, 
Die ihr erzählt mit euern taufend Zungen, 
Bon Urmeltftädten, Tempeln hoch und hehr, 
In euern jähen Schlund hinabgejchlungen, 
Bon der Atlantis, die, von eurer Fluth 
Umſpült, tief in den grünen Dämmerungen 
Bei ihren todten Kindern ruht; 


Im Geift dort unten ſeh' ich, wie im Grab 
Berjunfener Fahrtaufende, die Hallen 

Und Zinnen rieſ'ger Bauten, drauf hinab 
Schlingkraut und Moos in dunfeln Flechten wall; 
Und Kronen liegen, Scepter rings verftreut, 

Und drüber raufht_in der Gewäſſer Wallen 

Das große Todtenlied der Zeit. 


Dod du, o Meer, fo jung wie beim Beginn, 
Dem Erdftoß trogend und den Weltorfanen, 
Rollſt fiegreich über Tod und Trümmer hin 
Und die begrabnen Werfe von Titanen, 

Auf deiner Fluth, der alles Sein entjtammt, 
Eisberge mwälzend, oder von Bulfanen 

Mit dunklem Purpur überflanmt. 

Shad, Gef. Werke. IV. 26 


— 4192 — 


Wie blidt aus deinem leuchtenden Azur 
Sie, die unendliche, mit klaren Zügen 

Ins Auge mir, die ewige Natur, 

Aus deren Mutterſchooß wir all’ geftiegen, 
Die alle uns an ihren Brüften hegt 

Und treu, wie die Gebornen in den Wiegen, 
Die Todten in den Särgen pflegt. 


Sp lehre mich, glei wie mit Silberflang 

Die Wellen nad) dem Sturm in dic zerfließgen, 
Wie jauchzend ſich zu jel’gem Untergang 

Die Erdenftröme in dein Bett ergießen, 

Sa Lehr’ mich fo, wenn von des Yebens Wehn 
Und Wonnen müd fi) meine Augen fchliegen, 
roh in das große Al vergehn! 


»erikles. 


Nicht neiden ſoll der Menſch ihr Glüd 
Den Anderen; und doch, ich will befennen, 
Hör’ ich nur deinen Namen nennen, 

D Perikles, umfonft zurüd 

Zu drängen uch’ ich in daS Herz den Neid, 
Wer hat des Lebens Herrlichkeit 

So voll und veich, wie du, genofjen, 

Sp göttlich wer fein Lebenswerk vollbracht ? 


Als Kind, da, aus den erften Schlaf erwadt, 


Dem Lichte deine Augen fich erjchloffen, 

Vom Morgenglanze junger Siege, 

Dem jhönften Frühling, den die Welt gekannt, 
Umleuchtet ſahſt du deine Wiege 





— 4093 — 


Und lächelteft bei der Drommete Ton, 

Die hin durchs Schöne Griechenland 

Die Kunde trug von Marathon. 

Auf Krofusauen, am Slyfiusbett 

Die erften Spiele fpielteft du als Knabe 
Und jagteft in den Schluchten am Hymett 
Den Bienen ab die ſüße Honigwabe, 

Und ſahſt die großen Adler fliegen, 

Und ihnen nach, wie jonnenmwärts 

Sie durch den ftillen Aether ftiegen, 

In hohen Schlägen Flopfte dir das Herz. 
Am Abend in der Halle, wenn der Kreis 
Der Sklaven um den Herd fich drängte, 
Und Kliſthenes, der ernfte Greis, 

Mit Naß der Weihe den Altar beiprengte, 
Trunfenen Ohres von des Vaters Munde 
Sogſt du der Götter, der Heroen Kunde. 
Heran trat durch des Gartens Yorbeergang 
Der Freudenbringer, der Rhapſode: 

Und wie er von Patroflus’ Tode, 

Bom Zorn Achills zur Yeier fang, 
Yeuchtenden Auges ihn umftanden Alle. 
Mit Yaufchern füllte fich die Halle, 

Und leife fchritt durch ihre Reihe 

Ein Greis heran — hochwölbig, majeftätiich 
War feine Stirn, auf der Eleufis’ Weihe 
Zu ruhen ſchien, jein Blid glomm wie prophetiich; — 
Er nahm, der ernfte Aeſchylus, 

Dich auf den Arm, ließ unter dunklen Brauen 
Dich in fein mweltalltiefes Auge jchauen 
Und ſprach: „Mit dir ift Hellas’ Genius!“ 


Dich traf das erſte Morgenroth 
Schon wad bei den Papyrusrollen, 
Am Duell dich labend, den aus vollen 


Br pa 


Trinkſchalen dir die Muſe bot. 

Da fündete dir Herodot 

Die Salamis- und Thermopylen-Thaten, 

Da in des Akademos Yaubengängen 

Mit andern Schülern bald bei Flötenflängen 
Yuftwandelteft, und bald dem Eleaten, 

Dem Zeno, liehft das Ohr du ehrfurchtitumm. | 
Und als du an der Weisheit Herd : 
Den Geift, den dürftenden, genährt, x 
ALS du im Wettlauf durch das Stadium, 

Im Fauft- und Ringfampf dir die Sehnen 

Zu ehrner Jugendkraft gejpannt, 

Trieb mit den Heeren der Hellenen 

Der Thatendrang fürs heil’ge Vaterland 

Hinaus dich in die Männerſchlacht. Dich jahn 
Hoch auf dem Schiff, das Schwert in deiner Fauſt, 
Die Inſeln alle, die der Dcean 

Mit Purpurwogenfluth umbraust; 

Und lächelnd auf dich nieder ſchauten 

Die Götter von den Feljenfpigen, 

Den Tempelhöhen, ihren alten Sitzen, 

Wie auf der Spur der Argonauten 

Durch Kolchis' ewig ſturmdurchwühltes Meer 
Jenſeits der Cyaneen die Fahrt du wagteſt 

Und gleich dem Nordwind vor dir her 

Der Feinde fliehnde Segel jagteſt. 


Den Heimgekehrten in dem Ruhm 
Neunfachen Siegs empfing im Heiligthum 
Der Pallas huldigend Athen; wer war, 
Seitdem das Dioskurenpaar 
Miltiades und Ariſtides 
Nicht anders lebte als im Klang des Liedes, 
Dir aller ſeiner Söhne gleich? 

Aufs Haupt dir drücken konnteſt du die Krone 


— 405 — 


Und jochen an dein Haus von Sohn zu Sohne, 
So wie Pififtratus, das Reich, 

Du aber wieſeſt fort den eitlen Glanz 

Und jchlangft dir um die Stirn der Freiheit Kranz. 
Und als nun neu des goldnen Alter Segen 
Durch dich der Theſeusſtadt gefommen jchien, 
Auf deinen Winf heran auf allen Wegen 
Sahjt du der Künfte Meifter ziehn. 
Neichprangend, wie im Yenz der Mandelhain, 
Sproß aus Penteles Marmorgruben 

Empor ein Blüthenflor von Stein; 

Wo fteil zerflüftet des Anchesmus Fels, 

Des Cekrops Burg aufragt, wo flaren Quells 
Kallivrhoe durch Wiefen rinnt, erhuben 
Theater ſich, Odeen und PBaläftren, 

Und zu der Dorerſäulen Majeftät 

Geſellten ſich die holdern Schweftern, 

Die, von Joniens milder Luft ummeht, 

Zuerft der Schönheit vollen Reiz entfaltet; 
Die Giebel an der Tempel Thoren 

Erhoben jchlanfe Kanephoren, 

In Erz von Polyflet geftaltet, 

Und Phidias und Myron fprühten 

Die Gluth der Seele in des Marmors Adern; 
Yebendig wurden jelbjt der Wände Duadern 
Im Kampfe der Gentauren und Yapithen, 

Und Hoch von ihres Heiligthumes Dad) 

Sah Pallas nieder, ewig mad), 

Um ihre Lieblingsftadt zu hüten. 


Wenn abendlich der Meißel Schlag 
Berftummte, und vom hingefunfnen Tag 
Um Salamis die legten Strahlen glühten, 
D hätt’ ih, Mann der Männer, da 
In deine Halle treten dürfen 


— 406 — 


Und deines Mundes Rede jchlürfen! 

Da maltete mit dir Afpafta, 

Das größte Weib, das Hellas fah, 

Und was geheim an herrlichen Entwürfen 
Du bargit, an ihrer Yiebe Sonnenjchein 
Ließ fies zur goldnen Frucht gedeihn. 

Um euch in jenen Nächten welche Schaar 
Unfterblicher! Dort wie ein Yar, 

Der mid vom Sonnenfluge, ruht 

Der greife Pindar, tief verjenft in Schweigen, 
Doch mählig aus der Trauben Fluth, 

Die ihm Aſpaſia bietet, fteigen 

Ihm neu die Lebensgeifter. Jugendgluth 
Sprüht wieder hin durch feine Züge, 

Und fich zu vüften fcheint, als jet die Bahn 
Dlympias vor ihm aufgethan, 

Sein Geift für neue Fiedesflüge. 

Dann des Sophillos großer Sohn, 

Aus deſſen Chorgefang mit Flötenton 

Die Stimmen von Kolonos’ Nachtigallen, 
Sehnſucht erwedend, ewig jchallen. 

Seitdem er ihrer Melodie 

Zuerst der Rhythmen feelenvolle Tänze 

In Lied und Gegenlied entlieh, 

Erblühten ihm und mwelften fechzig Yenze, 
Und doch finnt er auf neue Siegeskränze. 
An feiner Seite aber, fieh! 

Um Einen, der no Knabe faft, 

Um Ariftophanes, den jüngſten Gaſt, 

Im Kreife find die Yaufchenden verfammelt. 
Leicht hat ihm bei der Rede Wechſeltauſch 
Sein Pieblingsgott den Sinn umftridt mit Rauſch, 
Und trunfnen Uebermuthes ſtammelt 

Er Berfe, die vom Dionyſosfeſte 

Dereinft im Flug der Anapäfte 


— 


— 4017 — 


Von Zeit zu Zeit, von Ort zu Ort 
Hinflattern werden, fpätefte Gejchlechter 
Erquidend noch mit feligem Gelächter. 


Und Allen, was in Klang und Wort, 
In Farben und Geftalten um dich fproßte, 
Du mwarft ihm was der Frühling für die Flur, 
Wenn von Fonien her beim Wehen milder Oſte 
Er kommt im leuchtenden Azur 
Und Knoſp' an Knoſpe die Natur 
Ermwedt mit feinem Strahlenfuß. 

D Tag, als an dent Feft der Athenäen 

Du jtandeft an des heil’gen Delbaums Fuß, 
Und über Parthenon und Propyläen, 
Gefrönt von Pallas’ Erzbild mit der Yanze, 
Dein Auge hin auf deine ganze 

Glorreiche Schöpfung glitt! 

Da leuchtete dir vom Piräus her, 
Gebändigt zwifchen Quadern von Granit, 
Das Maften-überdedte Meer; 

Da dämmerte der reine Aether 

Durch Wipfel von Platanen zu den hehren 
Denfmälern nieder, den Altären, 

An denen dichtgedrängte Beter 

Den Göttern dankten, daß, o großer Vater 
Des Volks! fie ihnen dich gefchenft. 

Des Dichterwettitreit3 Site, die Theater, 
Rennbahnen, wo fein Noß der Jüngling lenkt, 
Gärten, hervorgelodt aus Feljenöden, 

Und Schulen für die Citharöden, 

Für Nedefunft der Agora, 

Das Alles lag vor deinem Auge da, 

Und diefer Blick war deines Lebens Yohn — 
Der große RXerxes jelbjt auf feinem Thron, 
Vor dem die unterjodhte Aſia 


— 408 — 


Endlos ſich breitete mit ihren Reichen, 

Wie durft’ er fi) mit dir vergleichen? 

In dir ſprach eine Stimme: mag die Zeit 
Auch alles Menſchenwerk zertreten, 

Mag über ganzen Bölfern, Yändern, Städten 
Ihr Banner pflanzen die Vergefjenheit, 

Dies mein Athen doc) fann fie nicht vernichten, 
Denn auf die Pfeiler göttliher Gedanken 
Hab’ ichs gebaut, die nimmer wanfen, 

Und, deden Schutt und Trümmerjhichten 
Den legten Stein auch feiner Mauern, 

Im Geift der Menfchen wird e3 ewig dauern. 


Kaum war verraufcht das Athenäenfeft, 
Da aus dem Tartarus mit ſchwarzem Flügel 
Schwang ſich der Todesdämon auf, die Peit. 
Bom Lykabettus bis zum Nymphenhügel 
In langen Reihen durch die Stadt 
Hin wälzte fi) der Zug der Todtenbahren; 
Auch du bald wankteft fiebermatt; 

Den legten noch, die dir geblieben waren, 

Der Freunde drüdteft du die Augen zu 

Und folgteft ohne Zagen, ohne Yeid 

Dem Ruf ins Schattenreich; wohl wußteft du, 
Du trugft in dir die Ewigfeit. 


Hlumenwelt. 


Aus des Frühlings jchwellendem Grün 
Wie mit liebendem Auge 

Blidt ihr zu mir empor, ihr Blumen! 
Dir ift, als ſchaue 


0, 


— 409 — 


Aus eurer Kelche jedem 

Der großen Mutter Seele mic an 

Und ziehe mic, mit janften Schauern 

In ihre Tiefe. 

Ihre füßeften Träume und Gedanken, 
Die, nur halb mir verjtanden, 

Immer neu mich zur Deutung loden, 
Erblid’ ich in euch. 

In eurer regungslofen Stille 

Nicht kennt ihr des fturmbewegten Lebens 
Streben und Ringen, 

Noch der immer getäufchten Hoffnung Dual, 
Die wir Dafein nennen, 

In weiche Ruhe gebettet, 

Nur dem hohen Himmel 

Und den ewig freifenden Lichtern droben, 
Die den Tag und die Nacht herauf 

Für die Sterblichen führen, 

Deffnet ihr euer Herz 

Und zittert jelig, 

Berührt von den göttlichen Strahlen. 

O laßt mich vertraut in eurer Mitte 
ie im Kreis von Gefchwiftern weilen, 
Und lehrt mich, ihr Lieblingskinder der Erde, 
Ein reines, heiliges Yeben 

Führen wie ihr! 


Das kommt daher auf luftiger Bahn. 


Was kommt daher auf luftiger Bahn 

Zu euern Hänpten geflogen? 

Was flüftert tief unten im Deean 

Und fpringt wie der Blitz aus den Wogen? 


— 40, — 


Es ift das Wort, das geflügelte Wort; 

Bon Yande zu Lande, von Drt zu Ort 

Ruft es: ihr Völker, erwacht aus dem Wahn, 
Der euch fo lange betrogen. 


Ihr theiltet der Erde Yeiden und Luſt, 

Den Sonnenfchein und den Regen, 

Ihr habt euch gewärmt an der Gluth des Auguft, 
Gelabt an des Weinmonds Segen; 

Wie denn, erwachjen an einem Herd, 

Zum Bruderfampfe zückt ihr das Schwert? 

Und bald an derjelben Mutter Bruft 

Zur Ruhe doch müßt ihr euch legen! 


Im Himmel die Götter haben, wißt, 

Den ewigen Frieden gejchloffen, 

Satt find fie des Blutes, im fteten Zwiſt 
Bon Völkern mit Völkern vergofien; 

Sp reicht, ihr all’ auf dem Erdenrund, 
Reicht alle die Hand euch zum heiligen Bund, 
Und Buddha höre und Jeſus Chrift 

Den Schwur der Eidesgenofjen! 


Sp lang ihr gehadert, dem ehrnen Gejchid 
Nicht konntet ihr hemmen fein Walten; 

Ein Schleier hing euch um Seele und Blid 
Mit ſchweren düfteren Falten, 

Ihr Ichrittet voll Angft mit verdumpftem Sinn 
Durch Qual und Yeiden zum Tode hin — 
Doch Yiebe [löst der Netze Geftrid, 

Die euch gefangen gehalten. 


Fortan fol nur ein großes Herz 
Im Bufen der Menjchheit jchlagen, 
Ein mächtiger Flügel himmelwärts 
Die Seelen von Allen tragen, 


— 41 — 


Und Alpen und Anden und Pyrenän, 
So viel auf Erden der Berge ftehn, 
Ein Denkmal, dauernder al3 von Erz, 
Sollen dem Bunde fie ragen. 


In Ofympia. 


Das bift du, Heimathitätte höhern Ruhmes, 
ALS jonft die Erde je gekannt? 

Und faum ein Säulenfturz des Heiligthumes, 
Zu dem vom Phafis- und vom Bätisftrand, 
Bon Gades und dem Yand der Argonauten 

Die Griehen al nad ihrem Pharus fchauten, 
Mehr fündet von der Welt, die hier verſchwand. 


Wie find fie nun verftummt, des Pindar Oden! 
Wie ift verflungen der Epheben Chor! 

Um Schutt der Weihaltäre, der Tripoden, 

Im Windeshauche flüftert nur das Rohr, 

Und durch Geftrüpp von Ginfter und von Miyrten 
Hallt ferneher Geſang der Ziegenhirten 

Vom Bergeshange mir ang Dhr. 


D Tag der Tage, Stolz der Olympiade, 

Wenn rings, zu werben um den Delzweigkranz, 
Zum Ringplag an des heil’gen Stroms Gejtade 
Die Kämpfer zogen, und im Morgenglanz 

Bon ihm aufflatterten die goldnen Aare, 

Wie fchwinden alle unſre Yebensjahre 

Bor einem ſolchen Tage Öriechenlands! 


— 42 — 


Wer fi) Helene nennt, ob Küftenwohner 
Des fernen Koldis, ob Siciliens Sohn, 
Hier fühlen Alle, Dorer und Joner, 

Sich als die eine, herrliche Nation, 
Begrüßen froh die heimischen Penaten 

Und ftählen mit den Andern fi zu Thaten 
Bon Salamis und Marathon. 


Erft noch die Roffe von des Meles Wiefen, 
Bom fetten Strand des Afragas gezäumt, 
Dann ein Gebet vor Phidias' Marmorriefen, 
Bon dem als Knabe. Feder ſchon geträumt 
Und fi) gemahnt, wer ihn gefehn nicht habe, 
Der ſuche Ruhe einft umfonft im Grabe, 
Weil er des Lebens Herrlichites verfäumt; 


Zum Kampfe dann! wenn an den Disfobolen 

Die Augen Alle heften, neugier-ſtumm, 

Der Fauftfampf tobt und, wie auf Flügeljohlen, 

Der Läufer hinfaust durch das Stadium, 

Wenn durch der Rennbahn Staub die Wagen fliegen — 
D! Angefihts von Hellas da zu fiegen, 

Zeus gäbe jein Unfterblichjein darum! 


Drauf Jubelruf und Schall von Feitpäanen, 
Berhallend in das heil’ge Abendroth; 
Frohes Gewühl im Haine der Platanen, 
Skolien und Becherflang beim Oaftgebot; 
Aeolier drängen Arm in Arm, Argeier, 
Athener, Sparter fih um Sapphos Yeier 
Und um den Meufenlefer Herodot. 


Und nun? umfonft ſuch' ich die Heldenmale; 
Zermalmt, daß nicht Atom bleibt beim Atom, 
Mit Erzbild und Altar und Weihefchale 
Kronions Tempel fammt dem Hippodrom! 





— 453 — 


Der Boden felbft, darauf er ftand, vernichtet, 
Und durch den Moder grub, der rings gefchichtet, 
Ein neues Bett fich der Alpheusftrom. 


Doc nein! hin auf der Zukunft Särg’ und Wiegen 
In Fernen, welche nie ein Auge ſah, 

Schmweift mir der Geift, und deinem Schutt entjtiegen, 
Slorreihes Thal, von Neuem liegſt du da; 

Sch jehe wunderbar im morgenfrühen 

Lichtglanz den jungen Erdenlenz erblühen; 

Und darf ihm fehlen fein Olympia? 


Wenn in der Freiheit reinem Sonnenlichte 
Der dunkle Fleck der Menſchheit fich verflärt, 
Wenn hell ein neuer Welttag der Geſchichte 
Den Völkern aufgeht, und auf einem Herd 
Die Herzen Aller glühn mit lautrer Flamme, 
Dann wieder denfen fie der großen Amme, 
Die mit der Milch des Schönen fie genährt. 


Was, wenn nicht Hellas fie erzogen hätte, 

Nun wären fie? Die Seele faßt es faum; 

Und neu zu grüßen die geliebte Stätte, 

Wo fie geträumt der Jugend ſchönen Traum, 
Ziehn fie heran vom Sonnenland der Anden, 
Bom Thor des Morgens, Indiens Palmenftranden 
Und von des Nordmeers eiſ'gem Saum. 


Sieh! wie verwandelt dieſes Yand der Todten! 
Bon Wimpeln und von Fahnen, farbenbunt, 
Glänzt dag Alpheus-Thal; fie nahn, die Boten 
Der Bölfer alle auf dem Erdenrund, 

Und, wo zum Feſt font nur Hellenen famen, 
Bei höhrer Feier in der Menfchheit Namen 
Nun Schließen fie den großen Bund. 


— 44 — 


Heimkehr. 


Wieder zu dir, 
Heimathlicher Herd, 
An dem ich als Kind 
In der Geſchwiſter Kreife gefeflen, 
Kehr' ich zurück von langer Irrfahrt! 
Kein Gruß von theuern Lippen 
Mehr tönt mir entgegen; 
Ausgeſchlagen haben die Herzen, 
Die einſt an meines geklopft; 
Nur die Wanduhr ſchlägt fort 
Und zählt mir die ſchwindenden Minuten zu, 
Bis auch mir der Ruf ertönt, 
Hinabzuſteigen ins finſtere Todtenreich. 


Hätt' es nie hinaus mich geriſſen 
In den Taumel der Welt, 
Um mitzuſtreiten im Kampfgetümmel des Lebens! 
Lockend winkte der Siegeskranz, 
Mit haſtenden Schritten ſtürmt' ich 
Entgegen dem geträumten Ziel, 
Doch unerreichbar vor mir zurück 
Wich der grünende Zweig: 
Strauchelnden Fußes, mit fiebernder Stirne 
Sank ich zu Boden, 
Und mir vorbei mit Jubel und Hohngelächter 
In unzählbaren Schaaren 
Wälzte ſich der wilde Heerſchwarm, 
Um Schatten zu haſchen wie id). 


In allen Zonen 
Der völferreichen Erde 
Hab’ ich das Glück geſucht. 


— 45 — 


Dem Yärm der menjchenerfüllten Städte 
Entfliehend, im fernen Dften, 

Wo aus morgenrothem Gewölk 

Der junge Tag geboren wird, 

An der Duelle des Lichts und des Lebens 
Löſchen wollt’ ich der Seele Durft. 
Wiüften hinter Wüften 

Thaten fi) vor mir auf, 

Tage folgten den Nächten, Nächte den Tagen; 
Wenn ich, die Augen von feinem Thau gefühlt, 
Auf dem brennenden Sande geruht, 

Fern über anderen Wüſten fteigend 
Weckte die Sonne mid 

Zu neuem ange der Bein, 

Und nie fam der Morgen, 

Auf den ich gehofft. 

Zu des Abendmeers entlegenftem Geſtade 
Trugen mich die vollenden Wogen. 

An den großen Wafferfällen 

In Urmaldfchatten, 

Dacht' ich, müſſe der Friede wohnen; 
Doch, ob fih neue Himmel 

Zu meinen Häupten jpannten, 

Ueber Gram und Yeiden, 

Der Sterblichen altes Erbtheil, 

Sah ich die Sterne auf- und untergehn 
Und jchon über junger Bölfer Wiege 

Die Sorge ihren Schatten breiten. 


Zu spät hab’ ich erfannt: 
In des Menjchen Seele allein 
Blüht und welkt fein Frühling, 
Sein Glüf und fein Weh 
Ruhen in ihr. 


— 46 — 


Dante, 


Du, immer du! Wohin ich trete 
Auf diefem Boden, den dein Fuß gemeiht, 
Im Weltgewühl der menjchenvollen Städte 
Wie in der Thäler Einjamfeit, 
Erblid’ ih did: in Vallombrojas Schlucht 
Und hinter Gubbios düftern Wällen, 
Und in Alvernias Klofterzellen, 
Wo Frieden du umfonft gefucht. 
Den Bergitrom, zwijchen blitgetroffnen Stämmen 
Sich von der Apenninen Kämmen 
Hinunterwälzend in den Felſenſpalt, 
Die Meerfluth, die um der Maremmen 
Schon halb verfunfne Küften ſchluchzend wallt, 
Haft deiner Seele Sprache du gelehrt, 
Und, wenn durch Pifas Friedhofhallen, 
Wenn dur die Schlöffer, nun zerfallen, 
Wo du dich in Verbannungsgram verzehrt, 
Der Nachtwind ftreicht, trägt er aus ihnen 
Ans Ohr mir deine ewigen Terzinen. 


er a ee EEE 


Mit Erkergaſſen, Zinnenthoren 
Aufjteigt vor mir die Stadt, die dich geboren. 
Der düftre Wall, die erzumftarrten 
Berließe und die Feſtungswarten — 
Iſt das Florenz, der blühnde Garten, 
In dem, veich wie auf Erden nie zupor, 
Die Kunft gedieh und alles Schönen Fler? — 
Kriegsfahnen wehn auf Thürmen und Paläften, 
Und durch die Straßen mwälzt, die blutgenäßten, 
Umleuchtet von dem rothen Schein der Flamme, 
Der Bürgerfampf fih hin. Bei Brudermord 
Und Waffenklirren, ftatt beim Lied der Amme, 





— 47 — 


Erwachteſt dur zum Leben dort. 

Nicht Kinderluft, nicht Elternliebe waren 
Gefährtinnen dir in den Knabenjahren, 

Bon jedem Antlitz ftarrte bla 

Dich Nachbegierde an und Haß, 

Und jchüchtern floh dein Herz und bang 
In ſich zuriick mit feinem Yiebesdrang. 


Einft, da du, Jüngling nod, im Arnothal 
Hinwandelteft durch den Cypreſſengang, 
Sieh melche Helle, die, ein Himmelsſtrahl, 
In deines Innern Nahtgraun drang! 
Beatrix ſchritt, des Portinari Kind, 
An dir vorbei in andrer Mädchen Mitte; 
Leicht Lüftete der Frühlingsmind 
Den Schleier, den fie trug nah Jungfraun-Sitte, 
Und, wie der Miorgenröthe Purpurlicht, 
Sich jhaufelnd in der eignen Glanzesfülle, 
Durch thau’ge Silberwolfen quillt und bricht, 
So wallten durch die leichtgewobne Hülle 
Die Strahlen ihrer Göttlichkeit. 
Du ftandeft mit gejenften Blicken, 
Da ftreifte dich der Saum von ihrem Kleid, 
Und fanften Schauer rann Entzüden 
Durch all dein Sein. AS du, der Feitgebannte, 
Aufjahft, verfhwunden war fie wie ein Traum; 
Doch hehr zu deinen Häupten jtand 
Der Liebe Gott an einer Wolfe Saum 
Und wies ein brennend Herz dir mit der Hand 
Und ſprach: „das ift dein Herz, o Dante!” 


Ein neues Leben, wie im Reich des Lichts, 
Hub für dic an, bejeligt jede Stunde; 
Shad, Ge. Werke IV. 27 


— 48 — 


Nur hie und da von Beatricens Munde 

Ein Wort, ſonſt heifchteft du vom Yeben nichts; 
Verklärt ſchien dir die Erde und geweiht, 
Zurücgefunfen Raum und Zeit, 

Und Ewigkeit die ſchwindende Minute, 

Wenn flüchtig nur ihr Antlig auf dir ruhte. 


Doch furz das Glück; einft dur) das Thor 
Des Domes tratjt du ein zum Beten, 
AS Myrrhendüfte div entgegen mwehten; 
Das Miferere Scholl dir dumpf ans Ohr, 
Und Jungfraun fahft du fnien um einen Sarg. 
Sie winften dir, heranzutreten, 
Es fiel der Dedel, der die Leiche barg, 
Und o! fie wars, die wie ein heil’ger Tag 
Am Himmel deines Yebens aufgegangen; 
Wie Thau auf welfen Yilien, fo lag 
Der legte Schlaf auf ihren bleihen Wangen. 
Yautjammernd ſankſt du auf den Schrein 
Und riefſt: „O Tod! auch mich nun nimm hinab! 
Was gilt mir noch die Welt und alles Eein? 
Mein Weltall finft mit diefem Weib ing Grab.“ — 
Und nieder mit der theuern Yeiche 
Stieg deine Seele zu dem dunfeln Reiche, 
Den weiten, vielgemundnen Hallen, 
Wo auf Gebeinen, die in Staub zerfallen, 
Der Herriher Tod in Allmacht thront. 
Yang hat fie tief in unterivd’scher Kammer 
Bei der Geliebten Staub in ftummenm Jammer 
Und fternenlofer Nacht gewohnt 
Und wurde mit dem Weh vertraut, 
Das, ſeit der Erdentag gegraut, 
Die wechjelnden Gefchlechter, dort begraben, 
Mit fi hinabgenommen haben. 





— 4119 — 


Gern hättft du Beatricens Grabesftätte 
Auch dir zum ew’gen Ruhebette 
Gewählt, allein, bedrängt von wilden Banden, 
Rief dich die Vaterftadt, die theure, 
Daß durch der hochgeſchwollnen Wogen Branden 
Sie deine ftarfe Rechte fteure; 
Und ziemte dir, dem Sohn, ein Nein? 
Kühn durch den Hader der Partein 
Mit dem Panier, das dir die Republik verlieh, 
Schrittſt du in den Palaft der Signorie 
Und bald, der Meute und des Haders fatt, 
Durch dich, der Ordnung und der Freiheit Wächter, 
Freier aufathmete die Stadt; 
Gebändigt fehien der Zwieſpalt der Geſchlechter — 
Jedoch das Haupt der Viper zu zertreten, 
Ein Gott allein hätt’ es vermodt; 
Im Grimm, der fruchtlos lang gekocht, 
Bereinten mit den nahen Städten 
Zu einem Bund die Schwarzen fih und Weißen, 
Did in den Untergang zu reißen. 
Her vom Bargello tönt dag Sturmfignal, 
Der Aufruhr ſchwelgt, indeß dem Flammenzifchen 
Schwertichlag und Mordgeheul fich mifchen, 
Sich jatt an der Zerſtörung Mahl, 
Und fiegreich, als verrast des Kampfes Sturm, 
Weht über halbzerftörte Gaffen 
Der Feinde Banner hoch vom Stadthausthurm. 
Einfam ftehft du, vom feigen Volk verlafjen, 
Das Haus der Alighieri deckt 
Als Haufe Schutt, dran noch die Flamme ledt, 
Bor dir den Boden, und dir in das Herz 
Dringt wie ein Pfeil von glühndem Erz 
Der Spruch: „Dante ift aus Florenz verbannt.“ 


— 220 — 


Hinweg zogft du, die Seele nachtumflort, 
Und jchweifteft ruhelos mit ſchwanken Schritten 
Bon Ort zu Det, den Leib vom Froft zerjchnitten, 
Bom Sommerjonnenpfeil durchbohrt; 

Did, den Geächteten, den Flüchtling Jah 
Der Apennin in jenen Schluhtgewirren 
Dom Mittelmeer bis an die Adria 

Mit wundem Fuße hin und wieder irren. 

D bitter iſts, ein ungebetner Gaft 

Die fremden Treppen auf und niederfteigen, 
Zum frehen Hohn des Höflings fchweigen, 
Der nicht den Adlergeift des Dichters faßt! 
Doch in Florenz harrt dein der Scheiterftoß; 
Was bleibt, als wandern, wandern ohne Raft? 
So, auf der Erde heimathlos, 

Berftogen von den Menfchen und der Zeit, 
Fort triebs dic in die dunfle Ewigfeit, 
Ins Reich der Nacht, das niegefehne Yand. 
Der Abgrund that ſich auf zu deinen Füßen, 
Wo die Verdammten ihre Frevel büßen, 

Und Sündenfreife, Ringe hinter Ringen 

Bis in das Erdenherz hinabgejpannt, 

Sich ins Unendliche verfchlingen. 

Abwärts, der Erfte du der Staubgebornen, 
Stiegft du zur Stadt des ew’gen Wehs; 
Du jahft die Qualen der Berlornen 

Im glühnden Wogenjchwall des Schwefelfees, 
In eisumftarrten Feljenflüften; 

Und beim Geheul, das in den ſchwarzen Yüften, 
Den fonnenlofen, ewig freist, 

Zu immer graufern Finfterniffen 

Bom Wirbelfturm hinabgerifjen, 

Ins Unermeßliche verfinfen wollte, 

Erfaßt vom Schwindel, div der Geift, 

Als noch aus tiefen, tiefern Spalten 





— 2 — 


Verzmweiflungsruf wie ferner Donner grollte, 
Und Schlag von Fäuften, die fich ballten, 
Und das Geächz von unzählbaren 

Bom Reich des Lichts verftoßnen Schaaren 
Im graufen Chore dir entgegenhallten. 

Da durch der Höllenſtröme Tofen 

Dringt janfter Klang; die Melodie 

Der Stimme, o wohl fennft dır fie, 

Die fernher aus dem Gränzenlofen 
Leiszitternd wallt. Geſenkten Angefichts 
Stehſt du, indeffen Ströme Yichts, 
Ertragbar faum den Menjchenfinnen, 

Zur Abgrundtiefe niederrinnen. 

Zu Häupten dir, noch weltenfern, 

Dann nah und näher, lichtummallt, 
Schwebt eine himmlische Geſtalt. 

Sie ift es, deines Lebens Morgenftern, 
Beatrix, num von Erdenftaub und Grab 
Zu Höhn, wohin fein Adler fliegt, erhoben. 
Sie deutet mit dem Lilienſtab, 

Den ihre Rechte jchwingt, nach oben; 

Es weit das Graun, das Neich der Nacht verfinkt, 
Du folgft der Göttlichen, wohin fie winft, 
Zu höherm, immer höherm Glanze; 

Und, fie voran dir mit dem Sternenfranze, 
Auffteigt ihr, Kreife hinter Kreifen, 

Zur Glorie defjen, den die Himmel preijen! 


D fer mit uns, du Erfter in der Reihe 
Unfterblicher, die durch die Zeiten 
Bor uns daher als Fadelträger jchreiten! 
Und fie auch, die aus deinem göttlichen Gedichte 
Als hoher Angelftern auf uns herniederjcheint, 
Beatrir leg’ aufs Haupt uns ihre Weihe! 
Wie nieder zu des Weltalls tiefiten Schlünden 


— 412 — 


Und aufwärts dir ins Paradies 

Den Weg des Portinari Tochter wies, 

Zeigt fo ihr Beiden uns vereint 

Aus diefer Nacht des Jammers und der Sünden 
Den Pfad empor zum ew'gen Lichte! 


Stexnennacht. 


Jene lichtgewebten Globen, 

Sind es Bilder eines Traums? 
Allumher dies Wogen, Wimmeln 
In den Himmeln über Himmeln! 
Wo iſt unten, wo iſt oben 

In der Nacht des ew'gen Raums? 


Wie mit Wirbeln und mit Gähren 
Alles wallt und wogt und kreist, 

Wie mit den Saturnusringen 

Erden ſich um Sonnen ſchwingen, 

Und der Umſchwung mächt'ger Sphären 
Sie um neue Sonnen reißt! 


Was dort, leicht wie Sommerfäden, 
Schwebt, der Nebel weißer Schwall — 
Trägt das klare Rohr der Seher 

Den beſchwingten Blick dir näher, 
Löſen ſiehſt du ihrer jeden 

Sich zu einem neuen All, 


Siehſt zu flatternden Kometen 
Wachſen, was ein Punkt nur war, 


— 23 — 


Siehft gleich taumelnden Mänaden 
Eie zu neuen Weltgejtaden 
Stürzen mit dem fturmvermwehten 
Flammenhellen Yodenhaar. 


D um diefen ungeheuern, 
Uferlojen Dcean! 

Kann die Seele ohne Grauen 
Seine Wogenbrandung ſchauen? 
Findet, um hindurchzuftenern, 
Selbft der Kühnfte je die Bahn? 


Fa! empor aus deinem Zagen! 
Sohn der Erde, werde ſtark! 
Jenſeits jelbft der Nebelfleden 
Im Drion ohne Schreden 

Darf ſich dein Gedanfe wagen 
Zu der Schöpfung fernfter Mark! 


Jene ftarren Schladenmaffen, 
Die des Geiftes Strahlen nie 
Mit dem höhern Licht erhellten! 
Dede, jeelenloje Welten — 

Du, der alle kannſt umfaſſen, 
Fühle größer dich als fie! 


Wie im Schadhte die Kryſtalle, 

Wenn ein Strahl durchs Dunkel bricht, 
So die wüſten Sternenrunde 

In des Raumes Riefenchlunde; 

Höher ftrahlen werden alle 

Erft in deines Geiſtes Licht. 


Und, beraufcht von jeinem lange, 
Bon dem dumpfen Drud befreit, 


— 124 — 


Der fie im äonenlangen 

Bann der Körperwelt befangen, 
Eilen fie im frohern Tanze 
Weiter durch die Ewigkeit. 


Neujahr. 


Komm, erſter Tag im neuen Erdenjahr, 
Du herrlicher, wie keiner noch geweſen, 
Wir harren dein am feſtlichen Altar! 


Weß Geiſt den trüben Schleier je zerriß, 
Der unſer Auge deckt, er ſah von ferne 
Dich dämmern durch der Zeiten Finſterniß. 


Dich rief, wenn in der Schlacht ihm blutig roth 
Die Wunde klaffte, noch der Held im Sterben 
Und ſchloß die Augen ruhiger im Tod. 


Gegrüßt hat dich, ſeit es zuerſt erklang, 
Der Tonkunſt andachtsvolles Saitenbeben 
Und dich der Dichtung ahnender Geſang. 


Und wenn in hellerm Glanze die Natur 
Aufleuchtete aus ihrer dunkeln Hülle, 
Ein Schimmer deines Lichtes war es nur. 


O fomm! wir ſtreun dir Palmen auf den Pfad, 
Dir jauchzt die Welt, es wogt in höhern Wellen 
Entgegen dir des Lebens frische Saat. 


Die Völker all’, beglüct durch dich und frei, 
Geeinigt durch der Liebe fanfte Bande, 
Wirſt du umblühn in ew'gem Erdenmai. 





— 4125 — 


Allein in unſerm dumpfen Yebenstraum 
Bergebens, deinen Aufgang zu gewahren, 
Die Blide richten wir zum Himmelsſaum; 


Nicht aus dem Meere durch des Oſtens Thor, 
Aus unfrer Herzenstiefe einzig fteigjt du, 
Wenn ganz die Liebe fie erfüllt, empor. 


Die Hibnlle von Tibur. 


Der auf Tiburs lachenden Hügeln 
Unter Myrtengebüſch und Weinlaubranfen 
Du des Lebens Wonnen gefchlürft, 
Hinter dir, o Wanderer, laß 
Der Tamburine Geflirr, 

Der Winzer Jubel verhallen, 
Und ernjt, wie zur Tempelfeier, 
Betritt die düſtere Grotte, 

Wo zu des Anio Wogendonner 
Das Eeherwort der Sibylle tönt. 


In grauer Vorzeit, al3 weithin 
Des Stroms wildzadige Ufer 
Noch mwuchernder Urwald dedte, 
Nahte am braufenden Wellenfturze dort 
Apoll der blühenden Jungfrau, 
Und wie des Gottes jonniges Antlit 
Sich ftrahlend zu ihr neigte, 
Schmolz ihr in Liebe das Herz. 
Unter des Lorbeers Schattenfühle 
Schwanden felige Stunden dem Paar. 
„Du, die mir Wonnen gejchenkt, 
Wie nie der Olymp mir geboten, 


— 426 — 


Welchen Wunſch im Herzen du hegit, verkünd' ihn! 
MWillft du mit mir auf dem Sonnenmwagen 

Dahin durch den Himmel braufen, 

Dver, hinab in den Orkus dich jenfend, 

Der alten Nacht Geheimmiffe fchaun ? 

Was du auch wählft — beim Styr geſchworen ſei es — 
Ich mill es gewähren.“ — 

Sinnenden Zweifels blidte Sibylle 

In den tofenden Strom: 

„Nicht euch gleich, ihr Olympier, zu fein begehr’ ich, 
Aber, o Pythiſcher Gott, 

Des Geiftes Sehkraft, 

Um das verhüllte Geſchick zu ſchaun, 

Das über den Staubgebornen waltet, 

Und der Jahre jo viele gieb mir, 

Wie Tropfen dort in den Abgrund ftieben!“ 
„Unglücjelige!“ — rief Apollon — 

„Doc ich ſchwur es beim Styr; 

Unfterblich felbft uns Götter 

Ueberlebjt du, aber tief, 

Wie dort die zeitverwitterten Felfenhäupter, 

Wird das Alter die Stirne dir furchen.“ 


Allein an dem wirbelnden Strom 
Zurück blieb die Jungfrau; 
Dom Auge glitt ihr der Schleier, 
Der des Sterblichen Blick bededt, 
Und im Sturme der Zeiten einſam 
Zwiſchen den bligzerflüfteten Gipfeln mweilend, 
Biel der Geſchicke ſah fie, viel der Gefchlechter 
Ihrem Blick vorübergleiten, 
Reiche an Reichen, aufblühnd und vergehend, 
Mit Todtenmalen die Erde bedecken. 


— 421 — 


Sahrtaufende Schon 
Hatten die Locken ihr gebleicht, 
Sealtert war die Welt, 
In Trümmer fanfen ihre Tempel, 
Und gähnend that ſich der Abgrund auf, 
Um mit den Göttern 
Die Völker zu verjchlingen, 
Die zu ihnen gebetet. 
Auf Blätter da, ringshin vom Winde verweht, 
Tiefernfte Worte ſchrieb die Sibylle: 
„sm Sterben liegt der große Pan; 
Sie ftürzen von ihren goldenen Stühlen, 
AM die Olympier! 
Irr durch die Aetherwüſte 
Taumeln, ihres Führers beraubt, 
Die Sonnenroſſe, 
Zurück in die alte Nacht ſinkt Alles. 
Aber hoffend, ihr Völker, 
Blickt gen Oſten! 
Blaſſe Streifen dämmern am Himmel, 
Einen neuen Welttag kündend; 
Er naht, er naht, der junge Lichtgott, 
Von dem Apoll ein ſchwaches Bild nur geweſen.“ 


Und das verheißne Geſtirn ging auf. 
Im Morgenlande unter den Hirten 
Erwuchs der Wunderknabe; 
Von ſeinem Munde die milde Lehre 
Labte wie Morgenthau die müde Menſchheit, 
Und ſiegreich zog der neue Glaube 
Ins Haus des Donnerers auf dem Capitol. 


Jahrhunderte kamen und gingen, 
Und wieder dunkel wards auf Erden; 
Gefälſcht das heilige Wort der Liebe, 


— 4283 — 


Die lautere Himmelsflamme 

Zu düſterer Gluth des Wahns verwandelt. 
Bange ſchwere Träume 
Träumten die Völker — 

Und nun ſie erwacht, 
Glaubensleeren Herzens ſtehn ſie 
Inmitten zerfallender Tempel, 
Hinſinkender Heiligenbilder. 
Während auf nachtumdunkeltem Pfade 4 
Nach dem Pole ſie ſpähen, dem Angelſtern, 

Der durch das Leben ſie leite, 

Erhebt der Urwelt Seherin 

Von Neuem ihr Haupt. 

Das dunkle Auge von Himmelslicht ſtrahlend, 

In ernten Feierklängen 

Ihr letztes Prophetenwort verkündet ſie: 

„Aufgehn wird die große Sonne, 

Die ſchon im Morgen der Welt 

Durch die Nebel der Fabel gedämmert. 

Gereinigten Herzens, ihr Völker, 

Empfangt den neuen Gott, 

Den alle Geſchlechter erſehnt! 

Was auf dem Olymp in göttlicher Schönheit geblüht, 
Was unter Indiens Palmen 

Wundervolles die Menſchenjugend geträumt, 

War nur ein Gleichniß von ihm. 

Ein rieſiger Tempeldom 

Wird ihm der Himmel ſich wölben, 

Aller Zeiten Weiſe die Prieſter darin! 

Die große Zeit, die alte goldne, 

Bringt er zurück, 

Daß verklärt die Erde fortan, 

Bon allen Gefchwifterfternen beneidet, 

Wie auf Seraphsflügeln 

Die himmlische Bahn dahinwallt.“ 








— 29 — 


Amerika. 


1865. 


Bis her zu ung, die dieſſeits wir der großen Waſſer 
wohnen, 

Wie prächtig flammt dein Lichtftrahl nun, o Pharus der 
Nationen, 

Leitjtern, der den DBerirrten du auf ödem Meerespfade 

Den Weg durd Sturm und Klippen zeigft zum vetten- 
den Geſtade! 

Auf allen Wellen, die von dir herüber leuchtend wogen, 

Kommt neue Jubelkunde num mit Donnerkflang gezogen! 

Wie dich der Weije Griechenlands gefchaut im Seher- 
traume, 

Wie vor Colombos Geifte du entjtiegft dem Meeres- 
ſchaume, 

Neu ſo, der Menſchheit ein Aſyl, ein Pol dem Welt— 
geſchicke, 

Atlantis, langverlornes Land, auftauchſt du unſerm 
Blicke. 

Nicht mehr, wenn fie dich preifen will, muß zitternd 
und reden 

Als ob auf einer Schuld ertappt, die Stimme plöglich 
ſtocken. 

Das Ende jedes Sklavenfrohns, ein gleich Geſetz für Alle, 

Kaum noch gelobteſt dus, ſo weit dein Sternen-Banner 
walle, 

und wie in deiner Wälder Nacht der Funke ſchnell als 
Flamme 

Aufſprühend durch die Wipfel hin von Stamme ſpringt 
zu Stamme, 

Von Herzen ſo zu Herzen flog das Wort, das du 
verkündet, 

Bis alle hochauf loderten, in reiner Gluth entzündet. 


— 430 — 


Bon wo zur Hudſons-Bai hinab die letjcherberge 
ichmelzen, 

Wo fich in den Ontario des Erie Fluthen wälzen, 

Bis wo die üppigen Prairien am Miffiffippi grünen, 

Erhoben deine Söhne fi, die alte Schuld zu fühnen; 

Auf Brücden von Lianen, die fi) über Ströme fpannen, 

Hoch über Adlerberge Hin, durh Schluchten und Sa— 
vannen 

Ging ſiegreich deines Heeres Zug, das Bollwerk zu 
zerſchmettern, 

Das noch der Sklaven Elend barg vor den erſehnten 
Rettern; 

Und Hunderttauſende, befreit vom Joche ihrer Treiber, 

Wie jauchzten ſie den Tapfern Dank, die Männer, 
Kinder, Weiber! 

Wie, Menſchen unter Menſchen nun, ſtatt grimmer 
Pflanzer Knechte, 

Entgegen ihnen ſtreckten ſie die kettenwunde Rechte! 

Zum Segen aller Fluch, und du im Süden wie im 
Norden 

Des Friedens und der Freiheit Sitz, Columbia, geworden, 

Auf deinen Bergen und Prairien bereite du die Stätten, 

Drauf, wenn die alte Welt verſinkt, wir uns im Schiff— 
bruch retten! 

Ja müde des Vergangenen und ſeiner Qualen rüſten 
Die Völker alle ſich zur Fahrt weſtwärts an deine 
Küſten. 

Im Sturme hinter ihnen mag Europas Weh verhallen, 
Wie ſeine Reiche untergehn, wie ſeine Tempel fallen! 
Sie ſehn vor ſich den jungen Tag der kommenden 

Geſchichte 
Um deine Aetherhöhen glühn mit morgenrothem Lichte, 
Und in der Rieſenſtröme Fluth, vom Felſen nieder— 
brauſend, 
Lallt ihnen ſeinen Kindesgruß ein werdendes Jahrtauſend. 


— 41 — 


Wo, von des Menjchen Odem nie durchweht, des forgen- 
matten, 

Die erftgebornen Wälder ftehn mit unentweihten 
Schatten, 

Wird heil’ge Sabbathruhe janft auf fie herniederthauen 

Und Palmen gleich der Hütten Dach umfäufeln, die fie 
bauen. 

Dort in der großen Mutter Arm, an ihrem Bufen 
hangend, 

Blüht auf Geſchlecht Geſchlecht empor, in reinrer Schön— 
heit prangend. 

An deiner Waſſerſtürze Bett, an deinen Urwelt-Seen 

Wird eine junge Menſchheit, groß und frei wie ſie, 
erſtehen 

Und in dem Bade der Natur, der heil'gen, ewig treuen, 

Das jeden Flecken von ihr nimmt, unſterblich ſich erneuen. 

Ihr bieten Wald und Flur und Schlucht, Gebirge ihr 
und Thale 

Den Trank, draus ſie Begeiſtrung ſchöpft, in immer 
voller Schale, 

Und mit der Wunderwelt umher, wo Ranke ſich an Ranke 

Auf zu den Baumgiganten ſchlingt, erhebt ſich ihr Gedanke 

Und wuchert mit dem Wald und wiegt im Sturm der 
Tropenzonen, 

Wenn Donner durch die Zweige hallt, ſich in den 
Wipfelkronen. 

Hinab, wo Rieſenſtämme ſich vorüber an gezackten 

Felsklippen wälzen, ſtürzt ihr Geiſt ſich mit den Katarakten 

Und überfliegt der Anden Haupt, daß er aus fernſtem 

Blaue, 

Wo ſonnennah der Condor ſchwebt, den Erdball überſchaue. 

So, wenn ſchon längſt jenſeits des Meers durch öder 
Schlöſſer Mauern, 

Durch eingeſunkner Dome Dach des Herbſtes Stürme 
ſchauern, 


— 42 — 


Erſchließeſt du, Amerifa, die mächt'gen Tempelhallen, 

Wo fort und fort im Feierchor der Bölfer Hymmen 
Ichallen, 

Und bei der Menjchheit Siegesfeft auf deinen Cordilleren 

Der Opferbrand gen Himmel fteigt hoch von den Eis- 
altären. 


Römiſche Feſte. 


Rom 1864. 


Weitſtrahlend vom Capitole bis zum Salarathor 
Sprüht nun die Girandole in Flammengarben empor, 
Und, wie gleich Meteoren ihr Schimmer die Nacht erhellt, 
Aufleuchtet mit ſeiner Foren verlaßnem Trümmerfeld, 
Mit Tempeln und Aquädukten und Peters Rieſendom 
In breiten, lichtumzuckten Maſſen das ewige Rom. 


Allein, ob Feſte an Feſte die heilige Stadt auch reiht, 
Es ſind nur welke Reſte vergangener Herrlichkeit; 
Wohl wallt nach Sitte der Väter vom Meere zum Apennin 
Das Volk noch zum St. Peter, am Bilde des Heil'gen 

zu knien, 
Es ſieht das Schaugepränge, es hört den Feierchor, 
Doch leer hal Bilder und Klänge vorüber an Aug’ 
und Ohr, 
Erftorben ift der Glaube, erlofchen für immerdar, 
Bon der Jahrhunderte Staube begraben fein Altar; 
Ihn hat der Geift der Welten getroffen mit ſchwerem 
lud, 
Nur als Gejpenft noch jelten entfteigt er dem Leichentuch 
Und feiert in dunfeln Seelen jein Auferjtehungsfeft 
Und baut in finfteren Höhlen bei Spinnen und Eulen 
fein Neft. 


— 


-_— 333 — 


Da klagt er, wie tief erblichen fein Glanz auf Erden fei, 
Und vuft mit Formeln und Sprüchen die Geijter der 
Nacht herbei — — 
Und horch! aus Rise und Spalte ihm jchwören fie 
den Eid, 
Zurüdzuführen die alte, die nächtlich dunkle Zeit, 
Und, hoffend auf der erfehnten Glüdstage Wiederkehr, 
Begierig nach Pfründen und Zehnten, naht wimmelnd 
das jchwarze Heer; 
Sie alle, gejhoren die Schädel, mit Kreuz und Scapulier, 
Rauchfaß und Weihewedel, ſchwingen das Glaubenspanier, 
Und Priefter und Mönch und Nonne falten die Hände 
fromm 
Und rufen: „Erliſch, o Sonne! komm, Reich der Finſterniß, 
komm!“ — 


Doch ſeit in des Lichtes Quelle die Menſchheit getaucht 

den Blick, 

Wie kehrte ſie aus der Helle je in das Dunkel zurück? 

Nicht ſehnt ſich nach ſeiner Blindheit, wem das Auge genas, 

Noch ſie nach ihrer Kindheit, als fromm ſie im Meß— 
buch las, 

Nur mit Entſetzensſchauern denkt ſie zurück an die Nacht 

Der dumpfen Tempelmauern, drin einſt ſie die Tage 
verbracht; 

Dort gleiten Gemordeter Schatten durch die Gänge in 
langem Zug, 

Dort ſteigt von den ſteinernen Platten empor ein Blut— 
geruch, 

Und durch der Orgel Schallen, durch Meſſe und Litanei 

Tönt in den Bogenhallen Gemarterter Wehgeſchrei. 


Was lallen denn hochgeſchwungen die Glocken jahraus, 
jahrein 
Mit den metallenen Zungen die alten Litanein, 
Schack, Gef. Werke, IV. a8 


— 44 — 


Als breite fich über die Yande der Schleiev noch, der 
fie umfing, 

Da an der Hildebrande DBannflüchen ihr Schidfal hing? 

Nein, hebt zu der Sonne die Blide, die ftrahlend anı 
Hinmel fteigt 

Und empor zu beſſerm Geſchicke die Pfade den Sterb- 
lichen zeigt! 

Die Stirne, die Seele badet in des Yichtes himmlischen 
Strom, 

Seht, heller und heller entladet fein Olanz fich über Rom! 

Aus ift der Schlummer, der bleiern lang über der Erde lag, 

Und wollt ihr Feſte feiern, fo ſei es der große Tag, 

ALS gleich) den Marmorgeftalten, die drunten der Schutt 
begrub, 

Wieder die Welt der Alten aus der Gruft ſich erhub, 

Und über das Meer, in den greifen Locken den Yorbeerfranz, 

Die Dichter der Griechen, die Weifen herzogen von 
Byzanz. 

Das Feft der Auferftehung aus Glaubenswahn und Haß, 

Der wahren Öeiftausgehung heiliger Tag ift das. 


Die Söffer. 


Euch ruf' ich, die, von Liebe leer das Herz, 

Wie die Mofchee von Bildern und Figuren, 

Fünfmal am Tag beim Beten eurer Suren 
Das Haupt ihr wendet meffawärts; 


Euch, die den Rächergott vom Sinai 

Ihr noch anfleht in euern Synagogen, 

Und euch, die büßend an der Ganga Wogen 
Ihr kniet in frommer Agonie; 


— 45 — 


Und euch zulegt, die thränentrüben Blicks 

Im Dom der Byzantiner oder Gothen 

Ihr aufftarrt zu dem Bild des heil’gen Todten, 
Der vor euch hängt am Crucifix; 


Ja Alle ruf' ich euch, die noch ihr glaubt 

Was vor FJahrtaufenden die Aelterväter; 

Blickt auf und ſeht: es wölbt ein reinrer Aether 
Sich) ftrahlend über euerm Haupt! 


Sie all’, in deren Dienft ihr durchs Scaffot, 

Durchs Schwert das Blut verjtrömt von Millionen, 

Umfonft noch jucht ihr fie auf ihren Thronen, 
Jehova, Allah, Brahma, Gott. 


Gefiegt hat über fie ein höhrer Geift, 

Der nicht von Haß weiß noch von Anathemen 

Und mit den Sonnen, Erden, Weltſyſtemen 
Sie durch den Himmelsabgrund reißt. 


Zu feinem Dienfte, ihr Nationen, fommt, 

Doc läutert euch zuvor vom Ervenftaube; 

Gebete nicht und nicht das Wahnbild Glaube, 
Kur Yiebe ifts, was vor ihm frommt, 


Columbus. 


Geendet nun das blut'ge Würfelſpiel, 
Das Spanien ſeit dem Sturz der Gothen 
Vom Ebro bis zum Meer und zum Genil 
Mit Sterbenden bedeckt und Todten. 


— 6 — 


Umſchloſſen hält von Thor zu Thoren 

Das Chriftenheer die legte Stadt der Mohren, 
Erlöfchend blinkt der Halbmond des Propheten 
Auf ihren Dächern, ihren Minareten. 

Und unheilfündend irren Muezzin 

Zerrignen Kleides durch den Zacatin. 


Im Chriftenlager unterdeß wie wallt 
Und wogt und fluthet frohes Yeben! 
Bon Munde hin zu Munde hallt 
Der Auf: „Die Stadt hat fich ergeben!“ 
Und Mönche ziehn umher mit Kreuzpanieren, 
Und Jubel hallt in taufendftimm’gen Chor. 


Dort vor dem Zelt, bewacht von Hellbardieren, 
Wer ift der wunderbare Greis, 
Der mit dem weißen Yodenhaar hervor 
Ragt aus der Ritter und der Knappen Kreis? 
Wie droben auf der Sierra Pik 
Die fliehnden Wolfen ihren Schatten breiten, 
So über feine Stirne gleiten 
Gedanken auf Gedanken; ernjt jein Blick, 
ALS hing’ an diefer Stunde fein Gejdid. 
Ein Edelfnecht tritt durch die Zeltwand vor: 
„Die Herrin Iſabel leiht Euch ihr Ohr.“ 
Er folgt; die andern Ritter bleiben 
Und flüftern unter fih: „Der Thor! 
Er wähnt, Gaftilien werd’ ihn unterjchreiben, 
Den tollen, hirnverbrannten Plan, 
Mit dem er England, Portugal, Burgund 
Vergebens heimgefucht: die Erde rund! 
Und Yänder drüben überm Dcean, 
Die er mit feinem VBollmachtsbriefe 
Bald als Gebieter zu betreten glaubt! 
Ei! ſtürzen in die fteile Tiefe, 


— 457 — 


Zerfchmettern wird er fic) das Haupt, 

Der König der geträumten Antipoden!“ 

Roc höhnen fie; da tönt von Edelfnechten 
Der Ruf: „Pla für den Admiral!” 

Und, hoch ein Pergament in feiner Rechten, 
VBortritt Columbus. Wie im Strahl 

Bon Sonnen, die fein Menfchenblik noch fah, 
Das Auge leuchtend fteht er da; 

Sp mocht' Elias auf den Feuerwagen, 
Ezechiel jo Shaun, als Cherubim 

Im Sturm vor Gottes Antlig ihn getragen. 
Erfüllt, erfüllt nun Alles ihm, 

Was ihm der Genius verhieß, 

Der lächelnd bei Orkan und Wetterfrachen 
Schon bei den Jüngling ftand im ſchwanken Nachen 
Und mit der Hand nad) Weften wies; 
Erreicht, um was der Mann geworben, 

Was noch den Greis nicht fterben ließ 

Und aus dem Grab, wär’ er geftorben, 

Ihn neu emporgeriffen hätte! 

In Hohn und Echmad, die er erlitt, 

In allem Yeiden, das wie eine Kette 

Durch vierzig Jahr’ auf jedem Schritt 

Ihm Wunden riß in Herz und Glieder, 

Hat ein Gedanfe Muth ihm, Kraft geliehn: 
Entfteigen joll dem Wogenſchooß durch ihn 
Die früh verlorene Atlantis wieder. 

Auf ihr, wenn ihm der Yebensmuth 

Im Sinfen war, und tödtliches Ermatten 
Durch) feine Glieder ſchlich, im Palmenfchatten 
Hat jeine Seele oft geruht; 

Zu ihr ſeit lang, wenn einer nur der Schiffer 
Sich ihm gefellt, hätt’ ev gewagt die Fahrt; 
Da drüben liegt fie; klar in Zahl und Ziffer 
Bon den Quadranten wards ihm offenbart; 


— 4383 — 


Und wollte, weil verdammt von Petri Stuhle, 
Berhöhnt von Salamancas hoher Schule, 

In Zagen er zufammenbrechen, 

Bald wieder hört’ er eine Stimme ſprechen: 
„Nicht ift der Yänder letztes Thule!“ 

Und bunte Bögel braten, fturmverjchlagen, 
Und Palmenſtämme, von der Fluth getragen, 
Ihm Botſchaft von dem fremden Weltenjtrand. 


Yang noch, die Rolle in der. Hand, 
Dafteht Columbus ſchweigend, wie gebannt; 
Der Augenblid, wo er fein Ziel errungen, 
Hat alles fonft für ihn verfchlungen. 

Erſt al3 des Herolds Ruf ertönt: 

„Für Iſabelle Plat und Ferdinand!“ 

Zur Seite nimmt er feinen Stand. 

Da wirbeln Trommeln; hin durchs Yager dröhnt 
Signalruf; allum wogt3 von Partijanen, 
Helmbüfchen, Mänteln von St. Jago-Rittern 
Und Speeren, die im Sturm des Marjches zittern; 
Und unter wehnden Kreuzesfahnen 

Tritt aus dem Zelt das Königspaar — 
Umher gereiht im purpurnen Talar 

Des Neihes Große — oftwärts blicken Alle, 
Wo hinter ihrer Mauern Zadenmwalle 

Die Mohrenftadt, des Weſtens Sultanin, 
Aufragt aus ihrer Vega üpp’gem Garten. 
Noch auf Alhambra, Albaicin, 

Den Tempeln, Zinnen, Andachhtwarten, 

Sehn fie die halben Monde blinken; 

Da hallt ein Schmetterftoß der Zinken, 

Und von den Thürmen der Mofcheen ſinken 
Des Islams Zeichen; hell im Sonnenftrahl 
Funkelt vom höchſten Minarete 

Das heil'ge Kreuz hinab ing Thal; 


. 


— 439 — 


Te Deum! tönts; fein Feind in Spanien mehr! 
Und Königin und Volf und Heer 
Knieen in Andacht nieder zum Gebete. 


Trauernd indeffen zieht der Mohren 
Unſel'ger legter König Boabdil 
Fern von dem vaufchenden Genil, 
Bon Reich und Thron, die er verloren, 
Ins öde Afrifa hinweg; ein Grab 
Selbft gönnt ihm nicht das Yand, das ihn geboren — 
In langen Reihen jhon hat ſich hinab 
Am Hügel von Padul der Zug gewunden 
Und fchwindet fern am Himmelsfaum; 
Es ift, mit ihm fei wie ein Traum 
Ein ganzes Menfchenalter Hingefhmwunden. 


Columbus fehaute deſſen nichts; 
Berfunfen war um ihn mit Heer und Zelten 
Das Yager; unverwandten Angefichts 
Nah Weiten blickt er, während neue Welten 
Bor ihm erftehen, morgenlichtbeglängt; 
Zu eng ward für die Menjchheit dieſe; 
Da drüben juht ev Himmel, unbegrängt, 
Und neue Erdenparadiefe, 
Wo feines Geiftesdrudes Schwere 
Schon früh der Seele Flügel fnidt, 
Und Sagung nicht, noch Glaubenstehre 
Des Herzens reinen Yaut erftict. 
Zu Wildniffen, zu Thälern dort, den Wiegen 
Einftiger Bölfer will er ziehn, 
Auf Riefengipfeln, nie erftiegen, 
Mit kommenden Gefchlechtern fnien. 
Schon fieht er über feines Schiffes Maſt 
Gejtirne, die er nie gefehn, 
Mit fremden Vichtglanz auf- und untergehn, 


— 40 — 


Indeß Europa hinter ihm verblaßt. 

Laß zittern unter ihm die Planfen, 

Yaß felbft den Pol des Himmels ſchwanken, 
Die Küfte wird dem Drean enttauchen! 
Um feine Stirn mit ſanftem Hauchen 
Schon fühlt er ihren Odem wehn. 


Aekna. 


Der Sturm trieb Wolken ringsumher zuſammen 
Ums Haupt des Donnerberges, drauf ich ſtand. 
Noch tiefe Nacht; zu Füßen mir verſchwammen 
Im jähen Abgrund Inſel, Meer und Land; 

Ein Widerſchein von unterird'ſchen Flammen 
Umſpielte nur den ſchwarzen Kraterrand 

Und wogte zitternd auf den dichtgeballten 
Rauchwirbeln, die dem finſtern Schlund entwallten. 





Hin durch die Tiefe ſchlich ein dumpfes Dröhnen, 
Die Schluchten hallten ihm, die Thäler nach, 
Und Weheruf dazwiſchen hört' ich tönen, 

Halb übertäubt von donnerndem Gekrach; 

Der Mutter Erde Klage ob den Söhnen 
Erkannt' ich wohl und der Giganten Ach, 

Wie, Aetnas Felswucht über ſeinem Haupte, 

Im Abgrund Typhon mit den Brüdern ſchnaubte. 


Und rückwärts durch die Dämmrung heil'ger Sagen 
Blickt' ich in grauende Vergangenheit, 

Bevor dort unten ſie gefeſſelt lagen 

Und Kampf die junge Erde noch entweiht: 


re NEN N 


— Mi — 


Mir war, die goldne Eonne ſäh' ich tagen 

Am Morgenhimmel jener frühen Zeit, 

Und wie dem Licht, das durch die Weltnacht glühte, 
Das Yeben jugendlich entgegenblühte. 


Noch ungebeugt von dunfeln Schiejalsmächten, 
Hob da der Menſch die Stirne fühn und frei; 
Mit milden Tagen, lauen Sternennächten 
Umfing auf Erden ihn ein ew’ger Mai; 

Er wußte nichts von Herren und von Knechten, 
Nicht was die Yeidenfchaft, die Zwietracht jei, 
Nur Viebe war Geſetz und immer gleiche 
Gerechtigkeit in Kronos' altem Reiche. 


Doch ad)! vor Zeus, dem Herrjchbegier-Entbrannten, 
Entfloh der milde Gott zum Erdenjaum, 

Und Glüd und Frieden ſchwand mit den VBerbannten; 
Der Menfchen Yeben ward ein wüfter Traum; 

Im Kampf für fie aufthürmten die Giganten 

Die Weltgebirge durch den Himmelsraum, 

Dann, hingejchmettert, ftürzten in den offnen 
Erdichlund die von des Donners Blitz Öetroffien. 


Dft noch, die Stirn gefurcht von Wetterjtrahlen, 

In FSlammengluth, die zu den Wolfen ledt, 
Aushauchen fie dort unten ihre Qualen, 

Indeſſen tief erniedert, jchuldbefledt 

Das fterbliche Gefchleht mit Todtenmalen 

Der Erde große Schäbelftatt bedeckt, 

Und mwechjelnd Reich auf Reich und Glaub’ auf Glaube 
Begraben wird im allgemeinen Staube. 


Allein von der Gefefjelten Befreiung 
Und von des Welttyrannen legtem Fall 
Ertönt uralter Eeher Prophezeiung 
Dur die Jahrtaufende mit Fubelihall, 


— 442 — 


Wie einft der Fluch fich löſe, die Entzwetung, 
Und herrlich wieder durchs verjüngte AU 
Der Mensch in ew’ger Jugend der Titanen 
Hinjchreiten werde feine hohen Bahnen. 


Dann flamnt, wie Fadel fih an Tadel zündet, 
Bon Herz zu Herzen eine heil’ge Gluth; 

Der Born der Liebe, der, noch unergründet, 
Berborgen in der Wejen Tiefe ruht, 

Quillt hoch empor, und brüderlich verbündet 
Taucht Bolf auf Volk fi in die lautre Flut), 
Nah Schuld und Elend, dem jahrtaufendlangen, 
Des reinern Dafeins Weihe zu empfangen. 





Komm denn, nicht du, die aus Siciliens Meere 
Dort leuchtend fteigt in jugendlicher Pracht, 
Komm, große Öeifterfonne, in der Hehre, 

Wie du zuerſt zertheilt des Chaos Nacht! 

Mit deinem Licht jedwedes Dunkel fläre! 

Laß es hinab zum tiefjten Erdenſchacht 

Und in der Seelen tiefen Abgrund dringen, 
Daß fie erlöst zu dir empor fich ſchwingen! 


Ich rief es, überftrömt vom Strahlenregen, 

Der über Berg und Meer und Inſeln quoll, 

Und, hingefniet, dem großen Tag entgegen 

Stredt’ ich die Arme andadhtvoll, 

Indeſſen Donner in gebrochnen Schlägen 

Prophetiih aus dem Aetnafvater Scholl, 

Und dur den Purpurdampf, der um mich vauchte, - 
Das Weltall glorreih aus dem Dunfel tauchte. 


— 43 — 


Frühlingswonne. 


Geftredt in duftende Gräfer, 
Blühende Stauden über mir nidend, 
Aufſchau' ich trunfenen Blids 
Sn den leuchtenden Frühling, 

Der jauchzend durch alle Räume zieht, 
Droben auf goldenen Wolfen ſich wiegt 
Und unten den tiefften Abgrund 

Mit feinem Athen erfüllt. 


Wie e8 mid umftridt, 
Das quellende, puljende Leben, 
Und in warmen Tropfen 
Auf meine Stirne thaut! 
Wie es fprudelnd aus der Tiefe 
Zu den Wipfeln der Bäume, 
Den Bergeshängen emporjchwillt 
Und wieder in Slataraften 
Sn die Thäler ftürzt! 
Und all dieſes Wimmeln und Regen 
Um nich, über mir! 
In der treibenden Schwüle des Werdens 
Das Sprießen und Wuchern und Ranfen! 
Ein fanfter, jeliger Geift, 
Sorgend und hütend, 
Daß fein rauher Windftoß 
Den brütenden Vogel in feinem ftillen Werke jtöre, 
MWandelt hin durch die Welt, 
Und das Fächeln der lauen Lüfte, 
Die Schauer warmen Yichte, 
Fort und fort vom Himmel niederwallend, 
Löſen den legten Froſt des Winters 
In meiner Bruft. 


— MM — 


Zu dir ausbreit’ ich die Arme, 
Emige Mutter, 
Die du den Adler in jeinem Alpenhorjt 
Mit Morgenluft tränfft 
Und der Biene im Thal 
Den Blumenfelh mit Honig füllt, 
Weite die Bruft mir aus, 
Daß der große Geiſt des Alls 
Sie ganz erfülle! 
Arm und flüchtig, 
Ein Blatt, vom nächſten Winde verweht, 
Iſt unfer Yeben, 
Sp lange in fich beichloffen, 
Aber reich und groß und unfterblich, 
Wenn wir in Liebe 
Alle Wefen umfaffen. 


Der Tod des Xpoflels. 


An des Abendmeeres fernem Saume 
Ragt aus blauer Fluth ein Felfeneiland, 
Haldenreich, durchrauſcht von Sprudelbächen, 
Ueber denen ſich der Eichenwälder 
Wipfelkronen fanft im Meerhauch wiegen 
Und den langen Schatten auf die fliehnden 
Wellen niederftreuen. Auf den Berghöhn 
Spielen Rebe, fchlanfe Antilopen, 
Ungefährdet von der Menfchen Mordgier; 
Denn nichts wiffen von des Jagens graufer 
Luft die Hirten, die nach Väterfitte 
Ueber ihrer Inſel Klippenhänge 





— 45 — 


Hin von Trift zu Trift, von Thal zu Thale 
Mit den Heerden ziehn. 


In Morgenfrühe 
Klimmt ein junges Weib vom höchſten Feljen, 
Der vom Ufer fteil ins Meer hinausvagt, 
Mit den Kindern an den Strand hinunter. 
Droben hat fie an dem Steinaltare 
Nach der frühen Menjchen Brauc der Sonne 
Bon der Heerden befter Milch ein Opfer 
Dargebracht und im Gebet der hohen 
Tageskönigin gedanft, daß wieder 
Nach der langen, wetterjturmdurchtobten 
Neumondnacht fie ihres Lichtes Segen 
Auf die Erde ausftrömt. Fernhin fliehen 
Die zerrißnen Wolfen nun, ermattet 
Ruhn der Winde Flügel, aber hod) nod) 
Mit beihäumten Wogenfänmen brandet 
Uferwärts die Meerfluth. 


Ihrer Hütte 
Schon, zu deren Pforten faft die Wellen 
Ihr den Eingang wehren, naht das Weib fich, 
Da vernimmt fie ihres ältjten Sohnes 
Stimme: „Mutter, hilf!“ Sie folgt dem Rufe, 
Und, um eines Riffes Ede biegend, 
Wird des Knaben fie gewahr, der eben 
Zwiſchen Planfen, die das Meer beveden, 
Eine Laſt emporzuziehn ſich abmüht. 
Hoch au feiner Bruft aufjchlägt die Brandung, 
Und die Kraft entweicht ihm ſchon; doch eilends 
Kommt ihm beizuftehn die Mutter: nun exit 
Faßt fie, was den Fluthen abzuringen 
Er verjuht — em Mann ifts, der mit leßter 
Macht der Arme fih um einen Maftbaum 


— 46 — 


Klammert. Was der Knabe nicht vermochte, 
Der vereinten Kraft gelingts. Die Beiden 
Ziehn den Todtenbleihen an das Ufer, 

Auch die andern Kinder wollen helfen; 

In die Hütte wird der Gaft getragen 

Und auf weiches Seegra3 hingebettet. 

Alle reihn fich jorgend um das Yager, 
Drauf befinnungslos er ruht. Die Kleinen 
Irodnen aus den Yoden ihm die Salzfluth, 
Suchen mit des Mundes warmen Hauchen 
Ihm die ftarren Hände neu zu wärmen, 
Und, zu prüfen ob fein Herz noch Elopfe, 
Yegt die Mutter auf die Bruft die Hand ihm; 
Sit fein Lebensgeiſt entflohen, oder 

In die tiefften Tiefen nur verfunfen? 

Keine Negung mehr in feinen Adern, 
Keinen Athemzug mehr fann fie jpüren. 

Bon der Trift da fehrt, am ſchwülen Mittag 
Auszuruhn, ihr Gatte zu der Hütte 

Und vereint mit ihrer feine Mühe, 

Den Geftrandeten zu retten. Endlich 

Regt er fih: um jeine Augenlider 

Spielt ein Zuden, halb das Haupt erhebt er, 
Aber finft von Neuem hin entfräftet. 

Süße Milch ihm bietend, mahnt vergebens 
Ihn das Weib, mit einem Yabetrunfe 

Sich zu ftärfen. Da zulegt wie frampfhaft 
Fährt er auf, das blafje, tiefgefurchte 
Angefiht vom greifen Yodenhaare 

Wirr ummogt; ins Yeere ftarrt fein Auge, . 
Und ihm von den Lippen ringen mühſam 
Dumpfe Töne fi), gebrochne Yaute, 

Die fih nah und nad in Worte ſammeln: 
„Unbarmherz’ges Meer! wirfjt dur mich mieder 
An des Lebens Küften? AU die Andern, 





— MI — 


Ale Haft du mit den Wogenarmen 

In dein jtilles Reich hinabgezogen; 

Ich nur — nicht den reinen Schooß befleden 
Sollt' ih dir — ward von dir ausgeftoßen! 
D daß ich mich jelber nicht mehr fennen, 

Aus der Welt für immer fchwinden dürfte! 
Feige Seele, was gehorchten fnechtifch, 

As das Grab mir aus dem feuchten Abgrund 
Drunten winfte, dir die matten Arme, 

Um das ſchwanke Holz fich klammernd? Tief dort 
In des Oceans geheimjten Schlünden, 

In der ew’gen Finfterniß, vielleicht mich 
Konnt’ ich vor dem eignen Dafein bergen; 
Nun in dies mein Selbjt zurücdgetrieben, 
Nirgend auf der weiten Erde find’ ich 

Einen Platz jo fern dem Tageslichte, 

Daß ih“ — — 


Und mit den gefreuzten Armen 
Seine Augen dedend, auf das Yager 
Sinft zurück der Fremdling; feiner Worte 
Sinn zu faſſen wiſſen nicht die Hirten, 
Doch der tiefbewegten Seele Sprache 
Rührt auch in den unverftandnen Yauten 
Sie zum Mitleid. Frifche Rebenblätter, 
Um die Gluth des Fiebers ihm zu ftillen, 
Auf die Stirn ihm legen fie, indejjen 
Nur das hohe Klopfen feiner Pulſe 
Noch verfündet, daß er lebt, Dann wieder 
Fährt ex. auf, vor feinen irren Blicken 
Fliehn zur Seite die erjchredten Kinder; 
Und erft leife wallt, dann laut und lauter, 
Wie des Bergftroms Braufen, der durch Klippen 
Bahn fich bricht, von feinem Mund die Rede: 
„Sort und fort nod) dieſes Volfsgetiimmel? 


— 48 — 


Her vom Palatin, vom Quirinale 

Wälzen fi) die jchaubegier'gen Schaaren 
Nach des Nero Gärten in den Circus. 
Nur heran! die Opfer bluten zahllos. 

Zu den Wolfen jteigt der tauſendſtimm'ge 
Jubelruf, dazwiſchen Waffenklivren! 
Gladiatorenheere, ſich zerfleiſchend, 
Löſchen der Arena Staub mit Strömen 

Blutes — nun hinweggeſchleift die Leichen! 
Noch ein größres Feſtſpiel iſt bereitet. 
Wilden Sprunges aus dem offnen Zwinger 
Stürzt ein wüth'ger Stier; das bleiche Mädchen, 
Das an ſeine Hörner mit den Haaren 
Feſtgebunden, hochauf in die Lüfte 

Schleudert er, und, auf der Rennbahn Steine 
Hingeſchmettert, zuckt im Sterbenskrampfe 

Die zerſchellte Märtyrin — nur eine? 

Nein, Geduld! mitleidig iſt der Cäſar, 

Noch Gefährten auf dem Todeswege 

Sendet er ihr nach; horch! Wuthgebrülle 

Von Numidiens Löwen, heiſres Lachen 

Von Hyänen! An den Eiſenſtangen 
Mordbegierig wetzen ſie die Zähne. 

Nun die Gitter auf! all ihre Schrecken 

Speien Libyens Wüſten aus, und Rufe 

Des Entſetzens hallen durch die Sitzreihn, 

Und dazwiſchen feierlichen Klanges 

Tönt Geſang — die Nazarener find es, 

Die zum Tod in Andacht ſich bereiten. 

Langen Zuges treten Männer, Weiber, 
Jungfraun, Greiſe vor die Ungethüme, 

Noch im Sterben Den im Loblied preiſend 
Deſſen reinen Namen meine Lippen 

Nicht mehr nennen dürfen — 





— 49 — 


„Sagt, ihr Freunde, 
Simeon, Timotheus! warum nicht 
Ließt ihr mich, wie fie, zum Tode gehen? 
Als mir Fiebergluth die Sinne vaubte, 
Wider Willen aus dem Kerker ward ich, 
Schon zum Kreuz verdammt, von euch gerettet. 
Aber nein! ich war nicht würdig, Zeugniß 
Für Ihn abzulegen. Jene dürfen 
Nun fein himmliſch mildes Antlig fchauen — 
Wär’ ich vor ihn hingetreten, zornig 
Hätt’ er vor mir abgewandt das Antlig: 
un Weich von mir! ich fenne dich nicht, Paulus!““ 
Weh mir, weh! von je auf meinem Haupte 
Hat ein Bann gelegen. Früh verwaist ſchon, 
Einſam fchritt ich Durch das öde Yeben; 
Niemals, Liebe gebend und empfangend, 
Hat ein Herz an meins gejchlagen, niemals 
Spielten auf den Knien mir holde Kinder, 
Ein verzehrend Feuer glüht’ und raste 
In den Adern mir und trieb mich raftlos 
Dur die Welt dahin, den Sinnverftörten, 
Der ich für der Juden ftarren Glauben 
Erft in blindem Eifer ftritt, in blinderm 
Dann fir meines eignen Geiftes Irrwahn. 
Ah! warum nicht früher jchon nach Patmos 
Führten nich die Sterne? Nicht jo lange 
Hätten Schleier düftrer Hirngefpinnfte 
Dann das Bild des Göttlichen, des Keinen 
Mir verhüllt! Durch feinen liebften Jünger, 
Der ihm in dag tiefe blaue Auge 
Oft gefchaut, wie anders num im flaren 
Sonnenlicht mir vor der Seele fteht er! 
Allen Menfchen Freund, im Leid ihr Tröſter, 
Ihre Sorgen, ihre Freuden theilend, 
Hin durch Galiläas grüne Thäler 
Schack, Geſ. Werke. IV. 239 


— 50 — 


Wandeln ſeh' ich ihn; ein fel’ger Friede 
Dreitet, mo er naht, fi) auf die Erde; 
Und die Kinder heißt er zu ihm kommen, 
Und fie bliden lächelnd in fein janftes 
Angefiht — am See, auf Bergeshöhen 
Drängen fi die Armen, die Bedrüdten 
Um ihn her; daß er fie jegne, heben 
Mütter ihre Kleinen ihm entgegen, 

Und im Kreiſe laufcht das Volk der Rede, 
Die, aus jeinem großen Herzen ftrömend, 
Ihm vom Munde quillt: daß ein Gefeg nur, 
Ein erhabnes, heiliges, die Yiebe, 

Auf der Erde wie im Himmel walten 
Solle, fündet er, und Freudenthränen 
Zittern an der Hörer Wimpern, freier 
Athmen bei dem Wort die Mühbeladnen, 
Und fie jehen durch der Liebe Allmacht, 
Die um alle Weſen ihre fanften 

Bande jchlingt, den alten Fluch der Sünde 
Bon der Erde ſchon hinweggenommen. 
Hoher Meifter! o wenn deine Yehre 
Wahrheit ward, verflärt in ihrem Yichte, 
Wie im Morgenroth die trübe Wolke, 
Hätte fih Natur und Welt und Yeben! 
Doch ich Frevler! Alles dir verwüſtet, 
Dich um deines Lebens Frucht betrogen 
Und die Menſchheit um die goldne Zukunft 
Hab' ich, deren Pforten du geöffnet! 

Wäre nimmer — wohl von einem Dämon 
Wars die Stimme — vor Damascus' Thoren 
Mir zu Häupten jener Ruf erſchollen! 
Schlimmer nun, als da ich deine Jünger 
Marterte, zur Steinigung verdammte, 
Hab' ich dich verfolgt — die ſchlichte Einfalt 
Deines Wortes, faßlich ſelbſt für Kinder 





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KO ri 








— 451 — 


Und doch unergründlich für den Weifen, 
Wie durch meines mwüften Geiftes Träume 
Wurde fie getrübt! Das Unkraut, das ic) 
Zwiſchen deine Saat geftreut, ſchon ſeh' ich 
Wuchernd ſprießen — — 


„Höre mich, Philippus, 
Höre, Titus, meinen legten Willen! 
Schliegt die Schulen meiner falſchen Weisheit, 
Und wenn je auf enern Mund fi) eines 
Meiner Worte jchleichen will, den Pippen 
Gönnt den Athem nicht, es auszufprechen! 
Aber nein! vergebens! Wenn in Flammen 
Alles auch, was meine Hand gefchrieben, 
Loderte, mit ihm erftidt nicht würde 
Meine Lehre; jhon von Yand zu Yande 
Wird der gift'ge Samen hingetragen, 
Und wie Taumelloh in allen Seelen 
Schießt er auf, des Herzens reine Triebe 
In noch ungeborenen Gejchlechtern 
Schon im Keim ertödtend, und in Zmwietracht 
Und in Haß erfüllt fich die Verheißung 
Bon der Liebe neuem Gottesreiche. 
Schon — das ift mein Werf — die dumpfen Tempel, 
Die fie ihrem düftern Glauben bauen, 
Hör’ ich von dem Streit der Nazarener 
Widerhallen. Hader über leere 
Wahngebilde drüdt das Schwert des Mordes 
In der Frepler Hand und läßt des Mitleids 
Sanfte Regungen zu Eis erjtarren. 
Hoher Fürft des Friedens, der du jpradeit: 
„„Lernt von mir, ich bin die Sanftmuth!“ Dieje 
Nennen deine Schüler fih und fnieen 
Demuth heuchelnd vor dich hin, indeR fie 
Did von Neuem freuz’gen. Ja dur Fahre, 


— 42 — 


Durch Fahrhunderte mit Galle, bittrer 
Als auf Golgatha, dic tränfen werden 
Die Nationen. Noch in Sprachen, die erſt 
Auf den Lippen jpäter Menfchenalter 

Leben werden, wird mein falfches Zeugniß 
Ueber dich, von Mund zu Munde gehend, 
Mich bei dir verklagen, wenn Gemaltthat, 
Sleifnerei und Wahnfinn dic) zum Götzen 
Machen und in deinem Namen frevelnd 
Früh die Seele um ihr fchönftes Kleinod, 
Um die heil’ge Himmel3-Mitgift Liebe 
Schon betrügen, bis des Herzens Stimme 
In des Kindes zarter Bruft erftict ift 
Und dein Ebenbild dich nur noch höhnend 
Mit verzerrten Zügen aus ihm anftarrt. 
Doc erſt im Beginnen ift das Unheil; 
Mit den Fahren, wenn die Sohnesjöhne 
Derer, die heut leben, zu Miyriaden 
Angewachſen, wird dem Staube gleich jich 
Weh zu Weh, zu Sammer Jammer häufen, 
Und der Strom von Blut und Thränen jchwellen, 
Der zu deiner Ehre fließt. In deinem 
Namen werden Kerfer, Marterfammern 
Bon Geächz Gequälter widerhallen, 

Wird der Menfch den Menjchen Enechten, pein’gen, 
Würgen; bis zu fernen Weltgeftaden, 

Die der Schooß des Meeres unfern Bliden 
Noch verbirgt, jelbft fehlägt des Unheils Flamme, 
Die bethört zuerft mit meinem Haud) ic) 
Angefacht, und Priefter mit dem Kreuze, 
Dich mit ihren Palmen läfternd, ſtürmen 
Bor entmenfchten NRotten, um der Gnade 
Zeichen über Schutt und Peichenhaufen, 
Eines ganzen Welttheils Schädelftätte, 
Aufzupflanzen — — 


EDLER 


— 45 — 


„Schauer der Berftörung 
Schütteln mein Gebein; er fommt; nah, näher 
Schleicht der Tod heran, vor deinen Nichtftuhl 
Mich zu fchleppen. Herr, Vergebung! Gnade! 
Nein, umfonft mein Flehen! Wohl dem Kriegsfnecht, 
Der den Speer in deine Seite bohrte, 
Dem Iſchariot kannt du vergeben, 
immer mir. Nicht zu dir aufzubliden 
Wag' ih. Auf dem Mund dir, der für Alle 
Sich zum Segnen aufthut, ſchwebt für mich nur, 
Mich allein ein Fluch. Wohin entrinnen? 
Deffne, dunfle Erde, mir das tieffte, 
Schwärzefte der Gräber, daß fein Blick mich 
Mehr erreiche und zu Staub ich jedes 
Theilhen meines Weſens löſe!“ 


Alſo 
Der Apoſtel; Schweigen deckt die Stimme, 
Nur ein Zucken giebt in ſeinen Zügen 
Kunde noch von ſeines Herzens Stürmen. 
Mit geſchloßnen Augen liegt er lange, 
Und daß ihm die letzte Stunde nahe, 
Ahnen ſeine Pfleger. Da noch einmal 
Halb erhebt er ſich; der Abendröthe 
Milder Schein ſpielt um ſein bleiches Antlitz. 
Ueber ihn, um Troſt ihm zuzuſprechen, 
Iſt das Weib gebeugt; ums Lager drängen 
Bang die Kleinen ſich; mit mildem Strahle, 
Wie das Sonnenlicht durch Wetterwolken, 
Dann allmählig klar und klarer leuchtet 
Seine Seele durch der Augen Nachtflor, 
Und es iſt, als breite nach dem Sturme 
Der Verzweiflung noch ein Stern der Hoffnung 
Blaſſen Schimmer auf ſein fliehndes Leben. 
Sanft an ſeine Bruſt die Kinder zieht er 


— 44 — 


Mit der matten Rechten, läßt im langen 
Kuß auf ihren Stirnen feine Lippen 
Nuhen und verhaucht den legten Odem. 


Volfram von Sſchenbach. 


Wolfram! Wolfram! Sängerkönig! Deutſchlands Ehren— 
ſchmuck und Stolz, 

Deſſen Weiſe, tauſendtönig, bald in ſanfte Wehmuth 
ſchmolz, 

Bald wie Läuten von metallnen Glocken in den Himmel 
drang, 

Bald zum Abgrund der Gefallnen ſich als Seraph 
niederſchwang! 


Starker du, gleich Deutſchlands Forſten, zarter ſo wie 
Deutſchlands Fraun, 

Iſt dein altes Grab geborſten, und der Enkel darf dich 
ſchaun? 

Ja du biſts, du biſts, Erlauchter! durch der Jahre 
Wolkenflor 

Quillt und bricht wie ſanftgehauchter Flötenton dein 
Lied hervor! 


Und ein Bild von langverſchwundnen Tagen ſteigt 
herauf mit dir — 

Sieh! ein Saal mit kranzumwundnen Säulen voll von 
Pracht und Zier, 

Und der Landgraf mit dem Hofe, und umher der Sänger— 
kreis, 

Der in Stolle und in Strophe ſtreitet um des Liedes 
Preis! 





— 55 — 


Reimar und der Dfterdinger kämpfen dort und Andre 
viel, 

Heldendichter, Minnefinger, mit Geſang und Saiten— 

i ſpiel; 

Doch dein Lied, mein Eſchenbacher, tönt vor allen ſtark 
und vol, 

Neben ihm ift Alles Schwacher Windhaud neben Sturm— 
geroll. 


Gleih dem Meer, das hin- und herrollt, wogt der 
Jubel, der dic) preist, 

Schon drommetend will der Herold fünden, daß du 
Sieger jeift; 

Da, jo wie die Föhrentangeln in der Wetternacht Getos, 

Bebt die Menge; aus den Angeln reißt das Thor ein 
Windesitoß. 


Rings, als ob die Hölle Klaffte, flammt ein Yichtglanz, 
gelb und fahl, 
Sieh! und eine riefenhafte Nachtgeftalt tritt in den 


Saal, 

Um den Gang des Gaſtes rauſcht es wie von Geifter- 
flügelfchlag, 

Faltig wallt ein aufgebaufchtes Purpurfleid ihm meit- 
hin nad). 


Schwarz das Bruſtwamms, ringelmaſchig, filberweiß 
das Yodenhaar; 

Aus dem Antlig, falb und aſchig, leuchtet matt das 
Augenpaar; 

In dem Arm ihm, aufgefchlagen, ruht ein pergamentnes 
Bud, 

Dod die Rechte, e8 zu tragen, zittert wie von Gottes 
Fluch. 


— 6 — 


Klinfor iſts, der mächt’ge Meifter aus dem fernen 
Ungarland, 

Der dur) Sprüche nächt'ge Geifter aus dem Höllen- 
abgrund bannt; 

Div mit gift’gem Haß VBerdammter, Wolfram, neidet 
er den Sieg, 

Rüfte denn, du Öottentflammter, rüfte dich zum großen 
Krieg! 


Alles flieht; von dicht fich breitenden Wolfen wird der 
Saal erfüllt; 

Einjam ftehen fi) die Streitenden gegenüber, nacht— 
umhüllt, 

Bläulich glimmen einzle Funken durch den Nebelqualm 
und Dampf, 

Und die Erde ſcheint verſunken vor dem Himmels— 
Höllen-Kampf. 


Matt zuerſt hallt Klinſors Harfe, doch bei jedem Saiten— 
ſchwung 

Taucht mit Lachen Larv' an Larve grinſend aus der 
Dämmerung; 

Dumpf und ſchwer wie aus den Trümmern einer ein— 
geſtürzten Welt, 

Tönt gefallner Engel Wimmern von der Teufel Hohn 
durchgellt. 


Dann in immer ſtärkrer Schwingung bebt die Harfe; 
wilder ſtets 
Wogts in ſeltſamer Verſchlingung, wirbelnd ſich im. 
Kreiſe drehts; 
Hell und heller zucken fliegende Blitze durch der Wolken 
Riß, 
Lodernd taucht die unten liegende Hölle aus der 


Finſterniß. 





— 57 — 


Rothe Flammenzungen lecken durch den Rauch, der dicht 
fi ballt; 

Aufwärts fteigen bleihe Schreden, Spufgeftalt an Spuf- 
geftalt; 

Bald den Weheruf von Jammernden hört man, bald 
ein Jubelſchrein, 

Wie die paarweis fi Umflammernden tauchen aus den 
Schlund der Bein. 


Born, jein vothes Banner pflanzend, fampfgerüftet Yu- 
cifer; 

Teufel um ihn hüpfend, tanzend, rufend: „Du bift Gott 
und Herr!“ 

Furien dann, die Geißel ſchwingend, Sünder mit dem 
Slammenmal, 

Und Berlorne, händeringend in dem Wahnfinn em’ger 
Dual. 


Nah und näher ziehn die Rafenden unter Hohn und 
wüſtem Gräul; 

Braust der Yärm der Zinfenblafenden, das Gelächter 
und Geheul; 

Bald wie Donner tönts, wie gellender Angjtruf bald 
und Windespfiff, 

Da die Saiten immer fehwellender rauſchen unter Klin- 
ſors Griff. 


Und zı Wolfram rufts: „Betrogner Narr des Himmelz, 
der du bift, 

Yaß das Breifen von erlogner Seligfeit, die nirgend ift! 

Slaubft du denn, von Gott gedungener Schranze, daß 
er Wort dir hält, 

Deſſen Engelchorzumfungener Herriherfig in Trümmer 
fallt? 


— 8 


„Sieh die Hölle in Empörung und den Himmel fchredens- 
blag! 
Unfer Wirken ift Berftörung, unfre Liebe ift der Haß; 
Schon da wir zum Streit ung waffnen, ftürzt dein Mäch- 
tiger vom Thron, 
Sud’ im Grab denn des Erfchaffnen und des Schöpfers 
deinen Lohn!“ 


Alfo ſie, und finnbetäubender Jubelruf durchhallt den 
Sturm: 

„Komm mit ung, dich fruchtlos fträubender, gottverlaßner 
Menjchenwurm!“ 

Fernher, wo vor dicht ſich Rottenden auch das legte 
Licht erliſcht, 

Hört man durd den Yärm der Spottenden, wie die alte 
Schlange ziicht. 


Aber du, mein Himmelsftreiter, feſt mit ungebeugten 


Haupt, 

Blickſt nach oben friedensheiter, da die Hölle unten 
ſchnaubt; 

Ob zu Füßen dir der wankende Weltbau auch in Trüm— 
mer bricht, 

Deine feſt um Gott ſich rankende Seele zagt und zittert 
nicht. 

Mit der Hand die Saiten ſtreifſt du; leiſe flüſternd 
beben ſie; 

Tiefer dann und ſtärker greifſt du in den Born der 
Harmonie; 

Lauter ſtets in weithin kreiſender Strömung wogt dein 
Harfenklang, 


Und dazu dein Himmel-preiſender, Gott-verkündender 
Geſang. 





— 459 — 


Strahlengüffe, Flammenjchwerter brechen in das Dunkel 
ein, 

Und dur ftehft, ein Glanzverflärter, um das Haupt den 
Heil’genjchein, 

Während nur von fern der Klagenden Wehruf aus der 
Tiefe dringt, 

Und der Yärm der Flügelfchlagenden, die die alte Nacht 
verſchlingt. 


Klinſors Harfe iſt zerſprungen, wankend flieht er aus 
dem Saal, 

Und um dich von tauſend Zungen wallt und fluthet 
der Choral: 

„Held der Liebe, Held der Dichtung, wer, der dich 
befehden mag, 

Nun die Hölle in Vernichtung unter dir zuſammenbrach!“ 


Lang ſchon iſt die Zeit geſchwunden, da du jenen Kampf 
gekämpft, 

Halb verhallt ſind ihre Kunden, ihre Stimmen ſind 
gedämpft; 

Doch durch Jahre und Jahrtauſende, Wolfram, mit 
gewalt'gem Schall, 

Tönt dein Siegeslied, das brauſende, fort in deinem 
Parzival! 


Arania. 


Nacht waltete, ſchweigende Nacht allum 
Im unermeßlichen Raume. 
Wüſt, reglos, wie vom Tode gebannt, 
Meer durcheinander gewirrt und Land, 
Dalag noch die Welt, und blind und ſtumm 
Im mitternächtlichen Traume. 


— 40 — 


Sahrhunderttaufende waren geflohn 
Im Schlafe, dem dumpfen, trägen; 
Durch den Nebel, der allhin, gränzenlos 
Die Höhen erfüllt und des Abgrunds Schooß, 
Drang zitternd da von oben ein Ton, 
Und das Chaos begann fi zu vegen. 


Ton folgt dem Ton, erft leife nur, leis, 
Dann voller und voller erflingend; 

Die erften Yaute im ftummen All, 

Wie ift jo ſüß, jo mächtig ihr Schall! 

Die Nebel zerreißen und mogen, im Kreis 
Bei jedem der Klänge fich fchwingend. 


Und wo fie gewichen, im weißen Gewand 

Auf wallenden Wolfen ſchwebt fie, 
Die Tochter des Himmels; hinter ihr bricht 
Und ftrömt dur) das Dunkel ein feliges Yicht; 
Ihr Auge leuchtet, hoch in der Hand 

Die goldene Yeier erhebt fie. 


Bei ihrer Saiten füßem Oetön 
In die gähnenden Schlünde triefen 
Die Nebel hinab; es jcheidet und trennt 
Sich Element von dem Element, 
Die Lüfte juchen des Aethers Höhn, 
Die Wafjer des Abgrunds Tiefen. 


Empor fteigt auf der himmlischen Bahn 
Die Sonne, den Klängen laufchend, 

Einftimmen auf ihrem Feiergang 

In fie die Sterne mit Sphärengefang, 

Und es braust aus den Ufern der Ocean, 
In Harmonie fich beraufchend. 





— 41 — 


O Mufe, die du aus Chaos und Nacht 
Dahin auf ftrahlenden Gleiſen 
Die Sterne geführt und das Dunkel erhellt, 
Mann wird auc des Geiftes nächtliche Welt 
Durch did in Einklang — dein ift die Macht — 
Mit Sternen und Sonnen freifen? 


Boroafter. 


In früher Zeiten Dämmerferne, 
Zum erften Morgen der Gefchichte 
Schmweift rückwärts mir der Blid. Mit matten Yichte 
Am Himmel blinfen noch die Sterne 
Der großen Weltnaht durch den Wolkenriß, 
Und unten auf den Erdenthalen 
Gebreitet liegt die alte Finfterniß; 
Doch hochauf leuchtet in des Frühroths Strahlen, 
Noch weiß vom Schnee der erften Echöpfungstage, 
Der Götterberg der ältften Menjchenfage. 


Gegrüßt mit meines Herzens beftem Gruße 
Sei mir das Hochland an des Berges Fuße, 
Wo unfres Volkes Wiege ftand; 

Dort am Altare, der vom Brand 

Der reinen Opferflamme raucht, 

Sei du gegrüßt mir, finnender Prophet! 

Das Yodenhaupt vom Morgenwind umhaucht, 
Wie voll Begeiftrung in die goldne Helle 
Schauft du empor und preifeft im Gebet 

Die hohe Tageskönigin, 

Des Lichtes und des Lebens Duelle! 

Mag unten in den Thälern, in den Schlünden, 
Die düfter ihm zu Füßen gähnen, 


— 462 .— 


Bis zu des Nordens eif’gen Deden hin 
Das nächtlich finftre Reich fich dehnen, 
Wo Ahriman, der Firft der Sünden, 
In wilden Haß die VBölferhorden 
Zum Raub aufgeißelt und zum Morden, 
Dich jchredt jein Dunkel nicht, erhabner Seher, 
Den Vichtgeift fiehft du hoch und höher 
Empor am Himmelsdach ſich ſchwingen 
Und tödtend in das Herz der Nacht 
Die Pfeile ſeiner Strahlen dringen. 
Tief, tiefer in der Erde Schacht 
Sucht Ahriman mit ſeinen Schergen 
Vor dem verhaßten Lichte ſich zu bergen, 
Und jubelnd kündeſt du, indeß zur fernſten Mark 
Der Zukunft dir das Auge gleitet, 
Des Gottes Heldengang, der jugendſtark 
Von Siegen hin zu Siegen ſchreitet. 
Ein Welterlöſungsodem wallt und quillt 
Von ihm herab und löst allmächtig 
Den Nachtfroſt der erſtarrten Seelen; 
Bis in des Abgrunds tiefſte Höhlen 
Und zum beeisten Pol, wo mitternächtig 
Die Finfterniß, von Graun erfüllt, 
Bor ihren eignen Schreden ſich verhiüllt, 
Schwingt er fich mit dem Licht; nicht Zuflucht mehr 
Auf Erden bleibt dem dunfeln Heer; 
Aus allen Kiffen, allen Spalten 
Wimmeln hervor die Nadhtgeftalten; 
Ein Frühlingshaud, ein mildes Thauen 
Dringt felbft ins Herz des Ahriman, - 
Und, aufwärts blickend, ſchweben durch die blauen 
Lichträume die Verklärten himmelan. R 


Seit alfo, hoher Ormuzd-Bote, 
Du in der Zeiten Morgenrothe 





— 43 — 


Des Lichtes großen Sieg verfündet, 

Zu Boden fanfen die Altäre, 

Darauf die reinen Feuer du gezündet, 

Weit that mit neuen Völkern, neuen Yändern 
Die Welt fih auf, die enge dich umfing, 

Und jenfeit3 von den Himmel3rändern, 

Wo dir die Sonne auf- und unterging, 

Zog auf beſchäumten Wogenpfaden 

Der Menſch zu neuen Erdgeſtaden. 

Allein wie weit durch die Unendlichkeit 

Der Blick uns jchmweifen mag, des Lichtes Sieg 
Noch jehn wir nirgend, den du prophezeit. 

Ein Weltreih um das andre ftieg 

Durch Mord und Blut und Schlahtgetümmel 
Zur Herrihaft auf und janf zurück zum Staube, 
Und neue, immer neue Götterhimmel 

Erbaute fich der Menjchen Glaube. 

Geftürzt nun nad) einander find fie alle, 

Und in der legten Tempelhalle 

Stirbt auf dem legten Opferherde 

Die heil’ge Gluth, in Qualm erftidt und Dampf, 
Do auf der götterlofen Erde 

Fort rast um ung der alte Kampf. 

D laß, wenn Alles um uns düfter, 

Zum Land, aus welchem unfre Väter ftammen, 
Zurüd laß, ernfter Ormuzd-Priefter, 

Uns fehren in die Erdenfrühe, 

Daß an des heil’gen Feuer Flammen 

In Siegsvertraun.neu unfer Herz erglühe, 
Und fih zum Kampf fürs Lichtreich unfre Seelen 
Wie Frans Sonnenhelden ftählen ! 


Ode. 


Die ihr im ewigen Wandel allein 

Unverſehrt vom Wirbel der Zeit, 

Ueber der Reiche Gräber dahin 
Durch die Jahrtauſende ſchreitet: 


Väter von Allem was groß und hehr, 

Die mit hohen Gedanken ihr, 

Hohen Thaten die Völker entflammt, 
Helden und Dichter und Weiſe! 


Oft, wenn ſchlummerlos mir der Geiſt 

Ueber des Lebens Irrſal ſinnt, 

Durch die ſchweigende Mitternacht 
Eure Tritte vernehm' ich. 


Und aus dämmerndem Nebelgewölk 

Glorreich in der Unſterblichen Glanz 

Seh' ich euch nahen, wie ihr gelebt, 
Wie ihr gekämpft und gelitten. 


Hoch entgegen euch ſchlägt mein Herz, 

Und mein kleiner Kummer verſtummt — 

O wer bin ich, auch nur im Staub 
Eurer Füße zu liegen? 


Schwer von Wucht der Leiden gedrückt, 
Doch nicht wankend im Schickſalsſturm, 
Unvergängliches ſchufet ihr, 

Wenn ich kleinlich verzagte. 


Richtet, ihr Herrlichen, richtet mich auf, 
Lehrt mich, tapfer wie ihr und ſtark 
Ueber des Lebens Wettergewölk 

Hoch die Stirn zu erheben, 





— 45 — 


Daß dereinft, den brechenden Blid 

Feft auf euch geheftet, ich euch 

Nur als Legter in euern Reihn 
Durch die Unendlichkeit folge. 


Neue Geneſis. 


Wo der Ocean tief unten aus dem Erdenabgrund quillt 

Und die Weltnacht in ihr eignes Dunkel träumend ſich 
verhüllt, 

In des Meers verborgnen Gründen regte ſchweigend, 
allgeheim 

Sich im Anbeginn das Leben, aller Weſen erſter Keim, 

Brütete durch Jahr-Aeonen bei der Wogenfluth Geroll, 

Deſſen ewig gleicher Donner dumpf in ſeine Träume ſcholl; 

Da allmählig ragten Klippen, Inſeln aus der Waſſer 
Schooß, 

Und zu wimmeln, ſich zu regen hub es an in Kraut 
und Moos; 

Von den Weſen-Myriaden, die ein Tropfen Thau umſchloß, 

Bis zum Rieſenungethüme, zum gigantiſchen Koloß 

Tauchten neue, immer neue Formen in der Zeiten Lauf 

Aus der großen Lebensquelle nie erſchöpftem Brunnen auf. 

Während bald das Meer emporſchwoll zu der Alpen 
Gipfelrand, 

Bald das Eis des Poles ſtarrte, wo ſonſt Tropengluth 
gebrannt, 
Wechſelnd ſtieg der Leviathan, ſtieg das grauſe Maſtodon, 
Eines übers Grab des andern, auf der Schöpfung 

Herrſcherthron; 
Weſen- über Weſenreihen ſchleuderte ing Nichts der Tod, 
In des Waffers Abgrundhöhlen taumelte der Behemoth 
Shad, Ge. Werke. IV. 30 


— 46 — 


Und im Wirbel der Zerſtörung, der die Schöpfung- 
Säulen brad), 
Wie im Sturze der Titanen folgten ihm die andern nad). 


Sp, bedeckt mit Schicht auf Schiehte, eingefargt ins 

große Nichts 

Drunten lag die alte Schöpfung; da im Glanz des 
jungen Lichts, 

Den ein andrer Welttag jandte, öffneteft du, Menſch, 
den Blid, 

Zu der neuen Erdenherrſchaft auserforen vom Geſchick! 

Yangjam, langjam war dein Wahsthum; doch, indeß in 
graufem Krampf 

Erd’ und Himmel um dich tobten bei der Elemente 
Kampf, 

Stuf an Stufe aus der Wildheit rangft du höher dich 
empor, 

Schrittft aus Nacht und Geiftespumpfheit auf durch der 
Erfenntnig Thor, 

Bis die Dämmrung Lichtglanz wurde und dich jonnen- 
heil umfloß 

Und der Himmel feine ganze Wunderfülle div erichloß 

Und der rollenden Geftirne Aetherbahnen Newton maß 

Und des Weltall tiefgeheimfte Hieroglyphen Darwin las. 

Füngftgeborener der Schöpfung! weit noch vor dir auf- 
gethan 

Sit nad) ferner Zielen, immer fernern div des Ningens 
Bahn; 

Werke, Menſch, noch ſollſt du fchaffen, die fein Sinn 
von heute faßt, - 

Leuchtend, daß vor ihrem Glanze unſer Herrlichites 
erblaßt ; 

Aber, der gebannt du zwiſchen eine Doppel-Ewigfeit 

Bon Vergangenheit und Zufunft ftehft in diefer Spanne 
Zeit, 





— 467 — 


Wie vor dir von ihren Thronen ganze Erdenherrſcher— 
Reihn 

Schon geſunken, alſo wird auch deine Herrſchaft endlich 
ſein; 

Weichen wirſt du andern Weſen, die an Weisheit dich 
und Macht 

Ueberragen, wie du jene, die nun deckt des Abgrunds 
Nacht; 

Herrlich über alles Ahnen ſteigt ein neues Morgenroth 

Dann durch ſie empor auf Erden; klage nicht um deinen 


Tod, 

Nein, ſei ſtolz, Menſch, daß ein größrer noch gekommen 
iſt als du, 

Und nach wohlvollbrachtem Tagwerk ſchließe froh die 
Augen zu! 


Das geſprengte Grab. 


In düſteren Stunden, 
Wenn die Nacht der Seele 
Kein Stern erhellt, 
Unter mir, ein großes Grab, 
Seh' ich die Erde liegen. 
Schwarzen Flügels, 
Der über Länder und Meere 
Den Schatten breitet, 
Schwebt mir zu Häupten der Todesengel 
Durch den Himmelsbogen 
Und legt die Hände auf die Sterne, 
Wie auf die Taſten einer Rieſenorgel, 
Und mit dumpfen, langhinrollenden Klängen 
Hinter dem Trauerſchleier, der ſie verhüllt, 


— 48 — 


Beginnen die Sonnen zu tönen. 

Fernher aus der Unermeßlichkeit 

Hallt die Todtenflage zurüd, 

Und fchluchzend unten fallen die Wogen, 

Die am Geftade fich brechen, 

Die fturmgepeitichten Wälder, 

In das Nequiem ein. 

Ja, begraben liegt 

Im Schöpfungsreich ein Gott, 

Vom dumpfen Stoffe gefangen. 

In finfterer Mitternächte 

Starrem Winterfroft 

Bis ans Herz fchleiht ihm der Tod; 

Aber ganz nicht verfiegt 

Sit der Lebensquell feiner Adern; 

Wenn glorreih durchs Dunfel die Sonne bricht 
Und des Frühlings laue Lüfte fehren, 

Neu beginnen jeine Pulſe zu Elopfen. 

Dann jauchzend dahın 

Durch grünende Fluren 

Braufen die Erdenftröme, r 
Und es fchauern die Wälder vor Luft. M 
Im Spiegel der klaren Seen, 

In den Blüthen der Flur 

Schlägt der Gott die Augen auf; 

Und jein Odem thaut 

In den Seelen der Menſchen den Todesfroft, 
Und der Begeifterung Yohe 

Bricht hervor aus ihren Tiefen. 

Himmliſche Boten 

Mandeln über die Erde, 

Mit feurigen Zungen 

Sein nahes Auferftehen zu fünden; 

Und mächtiger fich regt er und ringt, 

Bon der Bruft hinweg 


— 469 — 


Die drüdende Wucht zu wälzen; 

Allhin zittert die Erde, 

Und es ftürzt, was Jahrtaufende lang geftanden, 
Und neues Dafein entfteigt der Gruft. 


Auf, ihr des Genius Söhne, 
Raſtet nicht in dem Werke! 
Mit Flammenſchwertern 
Schreitet dahin durd die Yande, 
Dem Begrabnen die legten Bande zu löſen, 
Und lehrt die Völfer 
Mit des Geiftes Licht 
Die Erde ſchmücken, 
Daß ſie würdig ſei, 
Den Gott zu empfangen! 


Der erſte Mai. 


Geh auf, o Tag, du herrlichiter im Fahr, 

In Frühlingsſturm und Wetternacht geboren! 
Schon flammt im erften Roth der Bergaltar, 

Und Purpurglanz ftrömt aus des Oſtens Thoren; 
Dich grüßt, aufjubelnd aus der grünen Saat, 
Die Lerche, hoch ins goldne Licht verloren, 

Und Blüthenweihrauh dampft auf deinem Pfad. 


Dem Knaben gleich, wenn vor dem Namenzfeft 

Ihn Ungeduld, die Herrlichkeit zu Schauen, 

Die feiner wartet, Schlaf nicht finden läßt, 

Harrt’ ich auf dich fchon vor dem Morgengrauen 

Und mweihte mich, indeß noch heil Arctur 

Am Himmel glomm, mit Wald und Strom und Auen 
In Andacht für das Hochfeft der Natur. 


— 40 — 


Wie jprudelt ſchwül vom großen Erdenherd 

Die Lebenzfluth empor in taufend Quellen! 
Ningsum ein mächt'ges Werden; wie es gährt 

Und feimt und wimmelt in den heißen Bellen, 
Dann los fich ringt und wuchernd ranft und fprießt 
Und mit den hochbeſchäumten Waflerfällen 

Bon Shludt zu Schludht in grünen Wogen fließt! 


In laub’gen Wipfeln wiegt der Windeshaud) 

Die Vögel auf dem Neft voll warmer Eier 

Und theilt am Felshang, wo der Ginfterftrauch 
Sn Goldglanz prangt, den duft’gen Morgenfchleier, 
Indeſſen oben durch die Nebelichicht, 

Wie Fadeln für des Frühlings Hochzeitfeier, 

Das Flammenroth der Fichtenfproffen bricht. 


Und ftrahlend jteigt empor der Sonnenball! 

Welch Summen rings und Schwirren und Bewegen! 
Libellen, Käfer und die Sänger all 

Des Waldes ftürzen fi dem Licht entgegen, 

Und in dem Thau, der alle Kelche füllt 

Und bligend niederftäubt al goldner Regen, 

Bricht taufendfältig fich der Sonne Bild. 


D Frühling! Götterfind! du Jugendrauſch, 
In dem bejeligt Himmel ſich und Erde 
Bermählen bei der Küffe heißem Tauſch, 

Sei Zeuge! treu gelibt hab’ ich am Herde, 
Dem heil’gen, der Natur mein Priejteramt; 
Im Weftwindfäufeln lauſcht' ich deinem Werde, 
Wie wenn in Wettern du herabgeflammt. 


Ich fpürte deiner Schritte jedem nad 

Und deiner Kräfte tiefgeheimem Walten; 
Im Laubgrün all der Heinen Herzen Schlag, 
AU deiner Blumen Knofpen und Entfalten 


- ut 


PS» 


— 41 — 


Hab’ ich gefühlt und ließ die Melodien, 
Die holden, die durch Berg’ und Thäler halten, 
Geflügelt hin durch meine Seele ziehn. 


Sei denn, der du mit deinem Hauch, o Mai, 
Genährt mich haft feit erſter Jugendfrühe, 

Ein hoher Lehrer mir und Meifter fei, 

Daß Ihaffend ich wie du durchs Leben ziehe 
Und gleich den Fluren, die dein Thau beiprengt, 
Die Erde unter meinem Tritte blühe, 

Knoſpe an Knoſpe, Keim an Keim gedrängt. 


So in dem Segen, den ich um mich fchuf, 

Yaß mich dur Frühling hin und Sommer wallen! 
Und, fommt mein Herbft, hör’ ich des Mahners Auf, 
Der allen Staubgebornen tönt, mir fchallen, 

Auf meiner Ernte noch im Abendlicht, 

Indeſſen reife Früchte um mich fallen, 

Mag mir das Auge ruhen, wenn e3 bricht. 


Honnenanfgang. 


Früh, wenn noch Dunfel auf Erden ruht, 
Treibt3 mich auf ſchwankenden Stegen 
Ueber des Sturzbachs ſchäumende Fluth 
Dem kommenden Morgen entgegen. 

Schon unter mir liegt der Tannenwald; 

Der Hirten rufende Stimmen, 

Der Heerden Geläut von Spalt zu Spalt, 
Wie zu höherer Alpe fie klimmen, 

Sind nach) und nach in der Tiefe verhallt — 
Noch über Klippen ein fteiler Pfad — 

Da ſteh' ich auf vagendem Bergesgrat. 


N 


Ein Schimmer von ferner Dämmerung wallt 
Um die Ränder des Himmels, noch bleich und falt; 
Schlaftrunfen jchütteln im jchweren Traum 
Die Mächte des Dunkels ihr Haupt, wie das Licht 
Sich mählig erhebt am Erdenſaum 
Und die Naht in Schatten zufammenbridt. 

Oben in zitternden Yüften fteht 

Der Stern der Liebe, des Tages Prophet, 
Und mie er mit filberner Strahlenhand 

Den Vorhang hebt von des Dftens Rand, 
Schießt feuriger Schein am Himmel empor 
Und leuchtet und fprüht durch der Wolfen Flor- 
Ueber die Yänder, die Ströme, das Meer, 
Schreitet der Lichtgott herrlich daher; 

Ein Funfeln, ein Flammen, ein Bligen 

Geht durch der Yüfte Haren Kryftall, 

Das die Schlünde zulest und die Höhen all, 
Der Berge eifige Spiten 

Und die Perche, die drüber im Aether ſchwebt, 
In breite Wogen des Lichtes begräbt. 


Du, dem die Erde und Erz und Stein 
In freudigen Pfalmen erklingen, 
Der du im Graſe den Tropfen Thau 
Bergoldeft und hoc) in des Himmels Blau 
Des Adler wallende Schwingen, 
In unfere Seelen auch, Morgen, zieh ein, 
Auf daß dein Hauch die Geifter der Nacht, 
Die düftern, in ihnen verzehre, 
Und bis zu des Lebens geheimften Schadt, 
Der Gedanken verborgenftem Quell, 
AU unfer Weſen ſich fonnenhell 
In dem heiligen Lichte verfläre! 


— 4153 — 


Die Märkyrer. 


Rom 1864, 


Es ift der Tag der Märtyrer; im wogenden Gedränge 
Zu Kirchen und Kapellen wallt die andachtvolle Menge, 
Mit Kränzen reich ummunden find der Glaubenzzeugen 

Grüfte, 
Die Orgel ſchluchzt ihr tiefftes Weh, es wirbeln Weih- 
rauchdüfte, 
Und vor dem heil'gen Vater knien im Rieſendom St. Peter 
Beim Kerzenglanz des Todtenamts die dichtgedrängten 


Beter. 
Ihr theuern Opfer blinder Wuth! an euerm Todten— 
feſte 
Wie trät' auch ich nicht zum Altar und grüßte eure 
Reſte? — 
Aechzend danieder lag die Welt vom Hiebe der 
Scorpionen, 


Mit denen lang das Römerreich gegeißelt die Nationen. 
Der Ströme Blutes ſatt, durch die es von der Inder 


Gränze 

Bis an der Rugier Bernſteinſtrand erkauft die Sieges— 
fränze, 

Nach einem Stern der Nettung fahn die Völfer mit 
Berlangen; 


Und fieh! die junge Sonne war am Jordan aufgegangen. 

Im PBalmenfchatten wandelte, umringt vom Kreis der 
Jünger, 

Der Menfchheit großer Lehrer dort, der Heil- und 
Friedensbringer. 

Warm quoll wie Welterlöſungshauch die Rede ihm vom 
Munde, 

Und der Gedrückten Herz hub hoch ſich bei der Freuden— 
kunde, 


— 44 — 


Frei ſollten alle Menfchen fein von ftarrer Satzung Enge, 

Geeinigt durch der Liebe Band, die alle fie umfchlänge. 

Der neuen Heileslehre da als freudige Befenner 

Todmuth’gen Sinns erftandet ihr, Jünglinge, Jung- 
fraun, Männer, 

Und wandtet, unerjchredt vom Bann tobjüchtiger Cäjaren, 

Euch von den Gögen ihres Wahns zum Gott, dem 
einen, wahren, 

Der Throne und Altäre ftürzt, Reiche und Religionen, 

Bis Freiheit und Gerechtigkeit und Licht auf Erden 
wohnen. 

Euch ſchreckte Marter nicht noch Tod; des Henferbeiles 
Schlägen, 

Dem lohen Holzftoß fehrittet ihr mit freud’gen Muth 
entgegen, 

Und brechend ftrahlte noch eur Blick in Hoffnung auf, 
num werde 

Der Liebe und des Friedens Reich einfehren auf der 
Erde. — 


Da über euerm Grabe ſank die alte Welt zuſammen, 
Wüſt ward das Haus des Donnerers, und aus dem Schutt, 
den Flammen 
Erhob das Kreuz im Siegesglanz fi) auf der Herr- 
Schaft Zinnen. 
Doch ah! der ſchone Hoffnungstraum wie bald mußt' 
er zerrinnen! 
Von Trug und Lüge wie entſtellt ward eures Meiſters 
Lehre! 
Neu hoben ſich dem Götzendienſt, der Tyrannei Altäre, 
Und zitternd beugte ſich der Menſch vor düſtern Hirn— 
geſpinnſten, 
Daraus die eignen Züge ihm verzerrt entgegen grinsten. 
Von lohem Scheiterhaufen bald aufſtieg der Rauch mit 
Qualmen, 


— 45 — 


Und um den Holzitoß fang das Volk zu Gottes Ehre 
Palmen. — 

O Geiſt des Abgrunds, dunkle Macht, die frevelhaften 
Hohnes 

Den Namen Ehrifti dur mißbraucht, des lichten Himmel3- 
johnes, 

Tür jedes Opfer, das der Wuth des Heidenvolf3 gefunfen, 

Haft Taufende du hingewürgt, von milder Blutgier 


trunfen! 
Drum dent ich heut nicht deren mehr, um deren 
Todtenbeine 
In Katakombennacht das Volk ſich drängt bei Fackel— 
ſcheine, 


Ich rufe jene Märtyrer, auf deren bleichen Knochen 

Du ruchlos dir den Thron gebaut; noch ſind ſie un— 
gerochen. 

Die Albigenſer, deren Blut, von frommen Kannibalen 

Vergoſſen, noch um Rache ſchreit in den Provencer 
Thalen, 

Und ſie, die Spanien ſterben ließ, um bei den Glaubensfeſten 

Mit Leibern, wie mit dürrem Holz, die Flammengluth 
zu mäſten. 

Ich rufe Galilei, der zuerſt mit Geiſtertritten 

Bis zu des fernſten Himmelsraums Sternnebeln hin— 
geſchritten, 

Und Bruno, Campanella, die mit leuchtenden Gedanken 

Dem Weltengeiſt auf ſeinem Zug geſprengt die Erden— 
ſchranken. 

Erwählt im Zorne hat fie Gott zu feiner Acht Voll— 
jtredern; 

So weit die Erde du erfüllt mit blut’gen Todtenädern, 

Aus Folterfammer, Kerkernacht, von Nichtfeld und 
Schaffotte 

Aufſteigen ſie zum Kampf mit dir und deiner finſtern 
Rotte 


— 46 — 


Und ziehn heran, ein glorreich Heer, mit Schwertern 
| und mit Yanzen, 
Auf deiner legten Zwingburg Schutt ihr Banner auf- 

zupflangen. 


Gruß an das Morgenland. 


Brich an! Erſchließ vor mir das Strahlenthor 
Zu deinem Wunderreiche, hehrer Morgen! 

In Dunkel liegt das Ufer noch) verborgen, 
Kur dämmernd jteigt ein Feljenhaupt empor 
Und wirft das erſte bleiche Sonnengold 

Aufs Meer, das wogend mir zu Füßen rollt. 


Und klar und flarer, Firnen neben Firnen, 
Erheben Ajiens Berge filberweiß 

Wie Bormeltriefen ihre Gletſcherſtirnen, 
Und jprudelnd ftürzen aus dem em’gen Eis 
Kryſtallne Bäche, hell im Meorgenjcheine, 
Dahin durch taufendjähr’ge Cedernhaine. 


Sei mir gegrüßt! Mit Freudenthränen fliege 
Ich dir, jo wie das Kind der Mutter, zu, 

D Morgenland, der Menjchen große Wiege 
Und ihrer Jugend heitrer Spielplag du, 

Wo auf den Fluren, friſch mit Thau beiprengt, 
Die Götter fih in ihre Reihn gemengt. 


Im Geifte, o wie oft, zu dir entrüdt, 

Hab’ ich bei Nacht geruht an der Eifterne 
Und zu dem erftgebornen Heer der Sterne 
Wie Jemen: Wanderhirt emporgeblidt, 
Indeß mein Herz, das in Gebet verjenkte, 
Sich in der Urmelt hehrem Glauben tränfte. 


en a 0 di tn 


— M — 


Auf Alburs' Höhn, eh fih nah Weit und Süd 
Die Zweige von dem einen Völkerſtamme 
Geſchieden, trat ih Morgenroth-umglüht 

Mit unfern Vätern um die Opferflanme 

Und grüßte, vor den Altar hingefniet, 

Die Sonne mit der Veden heil’gem Lied. 


Ich wanderte in langverjunfnen Reichen 

Mit Völkern, deren Name jelbit veriholl, 

Und ftritt ihn mit, den Kampf, bei dem von Yeichen 
Und Blut Fahrhundert-lang der Oxus ſchwoll, 
Wenn Frans Sonnenhelden mit den düſtern 
Turaniern fämpften, jenen Weltverwüftern. 


Inmitten deiner Trümmer, mächt'ge Glieder 
Zerbrochner Marmorbilder um mich her, 
Weckt' ih die Sphinre, deren Augenlider 
Vom Schlafe von dreitaufend Jahren Schwer, 
Und ftammelnd thaten mit granitnem Mund 
Sie mir der grauen Vorzeit Wunder fund. 


Land, göttliches! nun dich mein Fuß betritt, 
Schallt es um mich gleich Riefenharfenklängen, 
Und alle deine Ströme rauchen mit 

Zu des Valmiki ewigen Gefängen 

Und des Firdufi, und wie Urmeltpjalmen 
Hinbraust e3 durch die Wipfel deiner Palmen. 


Weithin erblid’ ich deine Bergeszüge, 

ALS ob ein ungeheurer Säulengang, 

Ins Gränzenloſe führend, vor mir liege, 
Als wink' es mir von ferne, ihn entlang 
Bis an den dämmernden Beginn der Zeiten, 
Den Morgen der Jahrhunderte zu jchreiten. 


In deine Hallen, heil’ger Drient, 
Nimm mich denn auf! der großen Sonne näher, 


— AS — 


Die ewig wolfenlos dort oben brennt, 
Laß mich wie deine MWeifen, deine Seher 
Durch deiner Götterbilder lange Reihen 
Eingehen zu der legten deiner Weihen. 


Die feßfe Hunde. 


Wenn du mir nahn jollft, du, der Alle fchredt 


Und mit dem Schleier dunkler Trauer 

Bor ihrem Blick die Welt bevdedt, 

Bei Blätterfall nicht in des Herbites Schauer 
Und nicht bei Nacht ein graufiges Skelett, 
Tritt, mic) zu laden, an mein Bett! 

Zur Maienzeit, wenn vor dem fchönen Tage 
Am Himmel leuchtend fteigt das Morgenroth, 
Ber Rofenduft und Nachtigallenjchlage 
Erwarten will ich dich, o Tod! 


Hab’ ich nicht oftmal3 dir vertraut, 
Freundlicher Gott, ins Angeficht gejchaut ? 
Der Stätten jede auf dem Yebenspfade 
Sei heilig mir, wo ich dich traf. 
Allnächtlih, wenn dein Bruder Schlaf 
Bis an der Nacht entlegenftes Geftade 
Dich wiegte auf den Murmelmogen, 

Haft du mic ſanft an deine Bruft gezogen, 
Und regungslos, im Vorgefühl 

Des Schlummers auf den legten Pfühl, 
Ruht' ich von allen Sorgen, aller Mühe, 
Dis neu geftärkt ich in der Frühe 
Emporftieg an des Lebens Sonnenjtrand. 


Wie troftreich dann, wenn mir im Drange 
Des Tagwerks fieberte die Wange, 
Mir zeigteft dur dein Priedensland, 


ir Mc 


— MI 


Gefrönt von unzählbaren blaffen Sternen, 
Und vor mir bis in grängenloje Fernen 
Sah ich mit ihren Friedhoffrängen 

Die meißen Yeichenfteine glänzen. 


Doch o! noch mächt'ger fühlt’ ich, ala im Wehe, 
Im Raufche des Entzüdens deine Nähe. 
Nicht Jener mehr, der ung im dunfeln Nichts 
Zu ew’ger weicher Ruhe bettet, 
Ein Cherub warft du, der zu Weichen neuen Lichts, 
Die Gräber fprengend, uns hinüber rettet. 
Wenn jeines Geiftes ſchöpferiſche Gluth 
Der ſchöne Gott in meine Seele hauchte 
Und eine Welt, die ftumm in ihr geruht, 
Klangvoll empor aus ihrer Tiefe tauchte, 
Dft plötlich bebten meiner Yeier Saiten, 
Dein Ddem, ahnt’ ich wohl, war das! 
Und wenn im Arm ich der Geliebten lag 
Und unjrer Pulfe wonneſchwerer Schlag 
Des Glüdes ſchwindende Minuten maß, 
Did jah ih uns vorübergleiten, 
Und durch die Seele 309 mir leifen Bebens 
Die Ahnung, alles Herrlichite des Yebens 
Erblüh’ in deinem Hauche nur. 
Giltſt dem Profanen du als Weltverwüſter, 
Ich weiß: wohl einen Augenblid legt düſter 
Dein Schatten ſich auf die Natur 
Und Alles hin was Athem holt, 
Doch ſchwindet in den nie erichöpften Strom 
Des Lebens wieder bald wie ein Atom. 
Selbft das Bergehen ift ein Werden; 
Kaum daß ein Brand zu Ajche hier verfohlt, 
Dort flammt er neu empor auf taufend Herden, 
Und, wie in des Novemberfturmes Wüthen 
Die Blätter niederichauern und die Blüthen, 


— 480° — 


Um neu im Frühling zu erftehn, 
Dermelfen in der Winterftürme Hauch, 
Die dur die Himmelsräume wehn, 

Die Sonnen, Erden, Monde aud, 

Doc blühen auf im neuen Mai. 

Drum, dürfen wir das Schidjal jchelten, 
Daß wir den großen Gang der Welten 
Durchs Grab zu jungem Leben gehn? 
Nein! fällt auch) mir das Loos, es fei! 
Und, wenn die ernfte Stunde naht, 

Im Feſtſchmuck will ich dich, o Tod, empfangen, 
Und alles Herrliche fol um mich prangen, 
Was leuchtend mich umftrahlt auf Erden hat. 
Der Jugend hohe Träume und Gefichte, 
Der erften Liebe göttliches Gefühl, 

So friſch wie in des Lebens Morgenlichte, 
Umblühn mir follen fie den Sterbepfühl, 
Indeſſen von der Zufunft Thore 

Vor mir zurüd der Schleier wallt 

Und janft von fernem Geifterchore 

Zu meinem Ohr das Rufen fallt. 

Mir jchweift der Blik in Dämmermeiten 
Bu unbefannten Himmelsräumen, 

Und bei dem Schein verhüllter Sonnen 
Seh’ ich fi) blaffe Meere breiten, 

Die, in der Ferne Dunft zerronnen, 

Um neue Weltgejtade ſchäumen; 

Hinüber denn! die Küfte winkt! 

In bangen, zitternden Minuten 

Hoch gehen zwischen hier und dort die Fluthen, - 
Doc, ob fie über mir zufammenfchlagen, 
Ich zage nicht; um ewige Gedanken 

Felt joll ſich meine Seele ranfen, 

Damit fie mich ang andre Ufer tragen, 
Wenn diefes hinter mir verfinkt. 


Nachwort 
zum vierten Bande. 


Die Plejaden. 


Bei dem Metrum, in welchem dieſes Gedicht ge- 
jhrieben ift und welches gewöhnlich als das der jer- 
bifchen Heldenlieder bezeichnet wird, glauben manche 
Dichter eine Paufe am Ende eines jeden Verſes ein- 
treten lafjen zu müffen, obgleich ſchon Platen fi von 
diefer Regel, als einer zur Monotonie führenden, frei 
gemacht hat. In feinen Abbaffiven fteht jehr häufig das 
Adjektiv am Schluffe des einen Verſes und das dazu 
gehörende Hauptwort am Anfange des folgenden, und 
auch noch auf andere Weife findet oft ein Hinüber— 
greifen des Sinnes von einer Zeile in die andere ftatt. 
Nach meiner Meinung gewinnt dag Metrum hierdurd) 
außerordentlich, ja erhält erft jo Leben und Bewegung, 
und ich habe daher hiervon Gewinn zu ziehen geſucht. 
Eine weitere jehr glücliche Veränderung hat der ge- 
nannte große Meifter dadurd in dies Versmaß gebracht, 
daß er daftylifche Füße zwiſchen die trochäifchen, gleich- 
viel an welcher Stelle, einmifcht. Auch hierin bin ich 

Schal, Geſ. Werke. IV. 31 


— AB 


ihm gefolgt; ich muß aber einräumen, daß meine Fünf- 
füßler in diefer Hinficht Hinter den feinen zurückſtehen. 
Da Platen die Gefege der antifen Metrik auf das 
moderne Maß anmandte, geben fich jeine Daftylen auch 
ſtets ſofort als jolche fund. Bei mir jedoch, der ic) 
mic mit minderer Strenge an die Quantität gebunden 
habe, wird dafjelbe Wort ein Mal _ vv, ein anderes 
Mal dagegen _ — fcandirt. Man fann daher bis- 
weilen vielleicht zweifeln, ob man einen Daftylus oder 
einen Creticus vor ſich habe; allein ich halte dieſen 
Uebeljtand für feinen großen und glaube, daß ein einiger- 
maßen geübter Vorleſer ſehr bald wiſſen wird, wie das 
Wort zu fcandiren ei. 

Ich habe irgendwo in Bezug auf die Plejaden die 
Bemerkung gehört, ein Kenner des Alterthums müſſe 
daran Anftoß nehmen, daß hier eine romantifche Liebe 
in das antife Öriechenland hineingetragen werde. Wenn 
das Wort „romantische Yiebe* einen Sinn haben foll, 
jo muß darunter die Öalanterie und ritterlihe Minne 
des Mittelalters verftanden werden. Hiervon num tft 
in der Liebe des Kalliag und der Arete ficher feine 
Spur. Daß aber Liebe, wahre innige Herzensliebe den 
Griechen fremd geweſen fei, wird Seiner zugeben, der 
mit dem Altertum vertraut ift. Wenn Hämon in der 
Antigone des Sophofles fih aus Verzweiflung über 
den Tod der Öeliebten umbringt, muß er doch wohl 
wahre Liebe empfunden haben. Wären nicht die meiften 
Werke der alten Tragiker untergegangen, jo würden 
wir im ihmen noch manche andere ähnliche Fälle finden. 
Einen nur fpärlichen Erſatz dafür bieten die Yiebes- 
geichichten, die Parthenius aus griechiichen Yogographen 
und Dichtern gezogen hat; aber fie zeigen, welche große 
Rolle die Yiebe bei den alten Hellenen ſpielte. Wenn 
übrigens wirklich die Yiebe bei den Griechen eine von 
wahrer Herzensneigung entblößte, eine nur finnliche ge— 


— 483 — 


wejen wäre, was dreimal geläugnet werden muß, fo 
würde der Dichter nicht nur berechtigt, ſondern auch 
verpflichtet jein, fie bei den Geftalten, die er vorführt, 
durch die höheren Gefühle einer jpäteren Zeit zu adeln. 

Noch über ein anderes mir zu Ohren gefommenes 
Urtheil will ich mich furz ausſprechen. Man hat ge- 
jagt, die Figuren meines Gedichtes ſeien Fdealgeftalten 
Winckelmanns, nicht wirkliche Griechen, und man fünne 
deshalb nicht an fie glauben. Wer weiß nicht, daß jelbft 
die jhönften Epochen der Gejhichte, mit dem falten 
Blicke des Hiftorifers betrachtet, viel von ihrem zaube- 
riſchen Glanze einbüßen! Aber der Dichter, der dieſen 
idealen Glanz zerftörte, würde einen Frevel begehen, 
wie ihn die Maler der BVerfallzeit, die Caravaggio und 
Spagnoletto verübten, als fie in die Darftellungen ver 
alt= und neutejtamentlichen Vorgänge, welche die großen 
Künftler mehr mit dem Lichte der Schönheit umfleidet, 
al3 mit ſcharf harakteriftifchen Zügen ausgeftattet hatten, 
Räuber» und Schinderphyfiognomien einführten. Die 
Geſchichte hat genug Perioden, die in realiftiicher Weife 
gefchildert werden fünnen; die griehifche Welt verjchone 
man mit folchen Experimenten. Der wahre Dichter 
wird ihr den „goldenen Schein der Morgendämmerung “ 
bewahren, in dem fie von früh an in unjeren Seelen 
(ebt, und auch) ihren Geftalten nicht die harten Umriſſe 
der gemeinen Wirklichkeit leihen. Der Profaifer, der 
ſich beſſer von aller Poefie fern halten jollte, für deſſen 
maftige Phantafie nur Figuren, wie fie Jedermann mit 
leichter Mühe nach) dem Leben copiren kann, Nealität 
haben, mag nicht an ſolche Geſtalten glauben, der poetifch 
Gejtimmte wird es gewiß. 


— 44 — 


Weihgefänge. 


Dem Gedichte „der Tod des Apoftel3” füge ich 
Folgendes als Erläuterung bet. 

Mehrere alte Berichte, namentlich der Kanon des 
Muratori, führen eine Reife nad) Weiten, die Baulus 
von Rom aus unternommen, als deſſen legten Lebens— 
aft an, und es ift durchaus nicht unwahrſcheinlich, dag 
er auf den Balearifchen Inſeln oder in Spanien fein 
Ende gefunden. Da meinem Gedichte der Vorwurf ge- 
macht worden ift, es enthalte eine Entjtellung des 
Wirfens und der Yehre dieſes Apoftels, fo führe ich 
bier die Worte an, welche der große Kenner des hrift- 
lichen Alterthums, Paul de Yagarde, in diefer Beziehung 
geſprochen hat: 

„Nur daraus, daß die von Jeſu ſelbſt erwählten 
Fünger, Dank zu gleicher Zeit dem niedrigen, ver— 
fommenen Zuftande des Volkes, aus dem fie hervor- 
gegangen, und der Erhabenheit ihres Meifters, nicht im 
Stande waren, anders al3 nur höchft fümmerlich, ein- 
jeitig, carifivend das große Bild aufzufaffen, das vor 
ihnen geftanden hatte, nur daraus ift es zu erklären, 
daß ein völlig Unberufener Einfluß auf die Kirche er- 
hielt. Paulus — denn er ift diefer Unberufene — der 
vihtige Nahfomme Abrahams, und auch nach jeinem 
Uebertritte Pharifäer vom Scheitel bis zur Sohle, hat 
acht bis zehn Jahre nach Jeſu Tode, nachdem er die 
Kazarener eine Zeitlang nach Kräften verfolgt hatte, 
durch eine PVifion auf der Neife nah Damasfus die 
Ueberzeugung gewonnen, daß er in Jeſu Lehre die 
Wahrheit verfolge. Man kann das piychologijch denk— 
bar finden, und ich bezweifle nicht im Mindeſten, daß 
ein fo fanatifcher Kopf ın Folge einer Hallucination in 
das Gegentheil von dem umſchlug, was er bislang ge- 


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wejen war. Unerhört aber ift, daß hiftorifch gebilvete 
Männer auf diefen Paulus irgend welches Gewicht legen. 
Im erjten Kapitel der Apoftelgefchichte wird als jelbft- 
verftändlich angejehen, daß, wer Apoftel werden wolle, 
mit Jeſu gelebt habe, um jo Zeuge von Jeſu fein zu 
fünnen. Paulus hat Jefum nie gefehen, gefchweige daß 
er mit ihm umgegangen wäre: feine Beziehungen zu 
Jeſus find durch feinen Haß gegen Jeſu Jünger und 
danach durch eine Vifion, gewiß die fchlechteften Quellen 
hiftorifcher Erfenntniß, die e8 giebt, vermittelt worden ..... 
Alles, was Paulus von Jeſu und dem Evangelium 
jagt, hat gar feine Gewähr der Zuerläffigfeit. Denke 
man fich, irgend Jemand, der Gottfrieds von Bouillon 
Leben und Wirken ſchildern und Gottfried politische 
Thätigfeit fortfegen wollte, wäre ähnlich verfahren und 
hätte mit derfelben Offenheit eingeftanden, daß er Gott- 
fried nie gefannt habe, allen Freunden Gottfrieds ge- 
fliffentlich aus dem Wege gegangen fei, und was er von 
Gottfried wiſſe, einer in möglichiter Unabhängigkeit von 
Gottfrieds Genoſſen ausgejponnenen himmlijchen Er- 
Icheinung verdanfe, fo wirde von einem folchen Menjchen 
in irgend einer hiftorifchen Schrift gar nicht die Rede 
jein: er wäre unrettbar der Piychologie verfallen... 
Paulus hat uns das alte Teftament in die Kirche ge- 
bracht, an deſſen Einfluffe das Evangelium, joweit dies 
möglich, zu Grunde gegangen ift: Paulus hat ung mit 
der pharifäifchen Exegeſe beglüdt, die Alles aus Allem 
bemeift, ven Inhalt, der im Terte gefunden werden fol, 
fertig in der Taſche mitbringt und dann ſich vühmt, 
nur dem Worte zu folgen: Paulus hat uns die jüdische 
Dpfertheorie und Alles, was daran hängt, in das Haus 
getragen: die ganze jüdische Anficht von der Gefchichte 
ft und von ihm aufgebunden. Er hat das gethan 
unter den: lebhaften Widerfpruche der Urgemeinde, die, 
jo jitdifch fie war, weniger jüdifch dachte als Paulus, 


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die mwenigftens nicht raffinirten Israelitismus für ein 
von Gott gefandtes Evangelium hielt... Es ift Theo- 
logenlogik zu fagen, obwohl die eigentliche Gemeinde 
des Evangeliums den Paulus als Verderber hapte, ift 
dennoch Paulus der wahre Vertreter des Evangeliums. 
Wenn irgend welche Kirche dieſe Art Yogif weiter treiben 
will, mag fie es thun: Jeder, der von Wilfenjchaft das 
Mindefte weiß, verbittet ſich fie und alle die, welche ihr 
huldigen.“ (Deutſche Schriften von Paul de Yagarde, 
Göttingen 1878, Seite 29 und folgende.) 


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