GESAMMELTE WERKE
VON ARTHUR SCHNITZLER
IN ZWEI ABTEILUNGEN
Erste Abteilung
Die erzählenden Schriften
in vier Bänden
Zweite Abteilung
Die T h ea t er s t ü clic
in fünf Bänden
S. FISCHER/VERLAG/BERLIN
DIE THEATERSTÜCKE
VON ARTHUR SCHNITZLER
VIERTER BAND
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S. FISCHER/VERLAG/BERLIN
Alle Rechte vorbehalten. Den Bühnen und Vereinen gegen-
über Manuskript. Das Recht der Aufführung ist nur von
S. Fischer, Verlag, Berlin W, Bülowstr. 90 zu erwerben.
Copyright by S. Fischer, Verlag, Berlin
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INHALT
Komtesse Mizzi oder Der Familientag (1907) 9
Der junge Medardus (1909) 5^
Das weite Land (1910) 293
KOMTESSE MIZZI
ODER DER FAMILIENTAG
Komödie in einem Akt
PERSONEN
GRAF ARPAD PAZMANDr
MlZZIy Stint TocbUr
EGON FÜRST RAFENSTEIN
LOW LANGHUBER
PHILIPP
PROFESSOR WINDHOFER
WASNER
DER GÄRTNER
DER DIENER
Garten der gräflichen Villa. Hohes Gitter hinten. Tor ungefähr
Mitte, etwas weiter nach rechts. Links vorn die Front der einstöckigen
VilJa^ die einmal ein Jagdschlößchen war, vor i8o Jahren gebaut^
vor 30 Jahren renoviert. Längs des erhöhten Parterres zieht eine
nicht tiefe Terrasse, von der drei breite Stufen in den Garten führen.
Von der Terrasse aus eine offene Glastür in den Salon. Der erste
Stock hat einfache Fenster; über dem ersten Stock ein kleiner^ blumen-
geschmückter Balkon, der zu einer Art von Mansarde gehört. Vor
der Villa Rasenplatz mit Blumenbeeten. Rechts vorn, unter einem
Baum, Gartenbank, Tischchen, Sessel.
GRAF älterer Herr mit grauem Schnurrbart, noch sehr gut atu-
sebend, in Haltung und Gebaren der gewesene Offizier, in Reitanzug,
Reitgerte in der Hand, von rechts. Diener mit ihm.
DIENER. Um wie viel Uhr befehlen heute gräf-
liche Gnaden das Essen?
GRAF, er spricht den ungarisch-deutschen Offiziersjargon.
Zündet sich eben eine große Zigarre an. Um zwei.
DIENER. Und um wie viel Uhr soll eingespannt
sein, gräfliche Gnaden?
KOMTESSE erscheint auf dem Balkon, Palette und Pinsel in
der Hand. Sie ruft hinunter. Guten Morgen, Papa.
GRAF. Grüß' dich Gott, Mizzi.
KOMTESSE. Hast mich wieder einmal allein früh-
stücken lassen, Papa. Wo bist du denn gewesen?
GRAF. Ziemlich weit. Bin über Mauer und
Rodaun hinausgeritten. Es ist wunderschön heut.
Was machst denn du ? Schon bei der Arbeit ? Wird
man bald wieder was anschauen dürfen ?
KOMTESSE. O ja, Papa; aber es sind wieder nichts
als Blumen.
GRAF. Kommt heute nicht der Professor zu dir?
KOMTESSE. Ja, aber erst gegen eins.
GRAF. Na, laß dich nicht stören.
KOMTESSE wirft ihm eine Kußhand zu und verschwindet
in der Mansarde.
GRAF zum Diener. Was wollen S' denn ? Ah so,
wegen dem Einspannen ? Ich fahr' heut nicht mehr
aus. Der Josef kann sich heut einen freien Tag machen.
Oder warten S' einen Moment. Ruft hinauf. Du Mizzi . .
II
KOMTESSE trschtint auf itm Balkon,
GRAF. Entschuldige, daß ich dich noch einmal
stör'. Brauchst du heut vielleicht den Wagen ?
KOMTESSE. Nein, Papa, danke. Ich wüßt' nicht.
. . . Dank' schön. Vtrubtoindit witdtr.
GRAF. Also bleibt's dabei, der Josef kann nach-
mittag machen, was er will. Sie . . . und daß der Franz
den Krampen ordentlich abreibt, wir sind heut ein
bissei feurig gewesen . . . alle zwei.
DIENER ab.
GRAF bat sieb auf dit Bank gtsttMt, nimmt »int Ztitung, iit
auf dtm Tisch litgt, und litst.
GÄRTNER kommt. Guten Morgen, gräfliche Gnaden.
GRAF. Guten Morgen, Peter. Was gibt's denn ?
GÄRTNER. Wenn gräfliche Gnaden erlauben,
die Teerosen hab' ich grad abgeschnitten.
GRAF. Ja warum denn so viel ?
GÄRTNER. Der Strauch ist ganz voll. Es war'
kaum ratsam, gräfliche Gnaden, wenn wir sie länger
am Stock ließen. Wenn gräfliche Gnaden vielleicht
eine Verwendung hätten . . .
GRAF. Hab' keine Verwendung. Na, was schaun
S* denn ? Ich fahr' heut nicht in die Stadt, ich brauch'
kein Bukett. Stecken S' die Blumen einzeln in die
Vasen und Gläser, die drin herumstehen. So v^ie's
jetzt modern ist. Nimmt die Blumen in die Hand und riecht
daran. Scheint nachzusinnen. Halt' da nicht ein Wagen ?
GÄRTNER. Das sind die Rappen von Seiner
Durchlaucht. Ich kenn' sie am Schritt.
GRAF. Also ich dank' Ihnen schön. Gibt ihm die Rosen
zurück.
, DER FÜRST tritt durch das Haupttor ein.
GRAF geht ihm entgegen.
GÄRTNER. Küss' die Hand, Durchlaucht.
FÜRST. Guten Morgen, Peter.
GÄRTNER ab rechts.
FÜRST in lichum Sommeranxug^ schlank^ 55 Jahre, aber ettoas
jünger aussehend. Hat den leichten Diplomatenakzent eines Herren^
der ebensoviel Franstösiscb spricht als Deutsch,
12
GRj^F. Grüß' dich Gott, alter Freund. Wie geht'»,
wie steht's ?
FÜRST. Danke. Prachtvolles Wetter heute.
GRAF offeriert ihm eine Riesenxigarre.
FÜRST. Danke, nicht vor Tisch. Eine von meinen
Zigaretten, wenn du erlaubst. Nimmt eine Zigarette aus seiner
Zigarrentascbe und zündet sie an.
GRAF. Daß du dich wieder einmal um einen um-
schaust. Weißt du überhaupt, wie lang du nicht da
warst ? Drei Wochen.
FÜRST. Blick zur Mansard*. Ist's wirklich schon so lang ?
GRAF. Na was machst dich denn so rar?
FÜRST. Sei nicht bös'. Es ist ja wahr. Und heut
komm' ich eigentUch nur dir adieu sagen.
GRAF. Wie, adieu?
FÜRST. Morgen fahr' ich nämlich fort.
GRAF. Du fährst fort? Wohin denn?
FÜRST. An die See. Und ihr . . . habt ihr noch
nichts vor?
GRAF. Ich hab' noch gar nicht drüber nach-
gedacht . . . das Jahr.
FÜRST. Nun ja, ihr habt es hier heraußen so
wunderschön . . . der Riesenpark! Aber irgend wohin
wirst du ja doch im Sommer reisen.
GRAF. Ich weiß noch nicht. Ist ja alles egal.
FÜRST. Was hast du denn?
GRAF. Lieber alter Freund, bergab geht's.
FÜRST. Wieso? Was sind das für komische Aus-
drücke, Arpad ? Was heißt das „bergab" ?
GRAF. Alt wird man, Egon.
FÜRST. Ja. Aber man gewöhnt's.
GRAF. Was hast du zu reden, du bist um fünf
Jahre jünger.
FÜRST. Um sechs. Aber fünfundfünfzig, das ist
auch nicht mehr der FrühHng des Lebens. Na — man
findet sich drein.
GRAF. Du bist halt immer ein Psycholog gewesen,
alter Freund.
»3
FÜRST. Im übrigen, ich weiß wirklich nicht, was
du willst. Schaust famos aus. Er utxt neb. Wüdtr Blick
zur Matuardt auf, wie manchmal. Pause.
GRAF mit einem Entschluß. Weißt also das Neueste ?
Sie heirat*.
FÜRST. Wer heiratet?
GRAF. Was fragst du denn . . . kannst dir's ja
denken.
FÜRST. Ach so, ich habe nämlich geglaubt, die
Mizzi. Na ja, es war' doch . . . Also die Lolo heiratet ?
GRAF. Ja, die Lolo.
FÜRST. Aber das ist doch eigentUch nicht das
,. Neueste".
GRAF. Wieso?
FÜRST. Das verspricht sie dir doch, oder droht
sie dir, oder wie man sagen soll, seit mindestens drei
Jahren.
GRAF. Seit drei ? Du kannst ruhig sagen seit
zehn. Oder seit achtzehn. Ja, wirklich. Überhaupt
seit die Geschichte angefangen hat mit uns zwei.
Es war ja immer eine fixe Idee von ihr. Wenn ein
honetter Mensch kommt, der um meine Hand an-
hält', so geh ich staute -pede von der Bühne weg. Das
war ihr zweites Wort. Du hast's doch selber auch
ein paarmal von ihr gehört. Und jetzt ist er hak
gekommen, der Erwartete . . . und sie heirat'.
FÜRST. Na, wenn er nur ein honetter Mensch ist.
GRAF. Also Witze! Das ist deine Teilnahme in
einem so ernsten Augenblick!
FÜRST. Na. Legt die Hand auf seinen Arm.
GRAF. Ja, ich versicher' dich, es ist ein ernster
Augenblick. Keine Kleinigkeit, wenn man so beinah
zwanzig Jahr mit einem Wesen quasi gelebt hat,
die besten Jahre mit ihr verbracht, wirklich Freud
und Leid geteilt mit ihr . . . man hat schon über-
haupt nicht mehr gedacht, es könnt' jemals aufhören . .
und da kommt sie eines schönen Tags und sagt: „B'hüt
di' Gott, mein Lieber, nächstens ist Hochzeit . . ."
H
Das ist schon eine verfluchte G'schicht*. Subt auf, gebt
bin und her. Und dabei kann ich ihr*8 nicht einmal
übelnehmen. Weil ich's nämlich so gut versteh*.
Was willst machen!
FÜRST. Du warst immer ein viel zu guter Kerl,
Arpad.
GRAF. Was ist da gut? Warum soll ich's nicht
verstehen? Achtunddreißig hat's bei ihr geschlagen.
Und ihrem Beruf hat sie Valet gesagt. Also daß es
ihr keinen Spaß macht, als pensionierte Ballettänzerin
und als aktive Mätresse vom Grafen Pazmandy weiter
zu existieren, der mit der Zeit natürhch auch ein
alter Esel wird, das muß ihr doch jeder nachfühlen.
Ich war ja darauf vorbereitet. Hab'ihr'sgar nicht übel
genommen, meiner Seel'.
FÜRST. Da seid ihr also in ganz guter Freund-
schaft geschieden ?
GRAF. Natürlich. Sogar ein ganz fideler Ab-
schied ist es gewesen. Meiner Seel'. Ich hab's ja im
Anfang gar nicht gewußt, wie schwer's mir sein wird.
Erst so allmähhch bin ich zum Bewußtsein gekommen.
Es ist schon eine ganz merkwürdige G'schicht' . . .
FÜRST. Was ist denn dran so merkwürdig?
GRAF. Also daß ich dir erzähl': Wie ich von ihr
da herausg'fahrn bin, zum letztenmal, in der vorigen
Wochen bei der Nacht, da ist mir plötzlich, wie soll
ich nur sagen . . . ganz leicht ist mir zu Mut gewesen.
Jetzt bist du ein freier Mann, hab' ich mir gedacht.
Brauchst nicht jeden Abend, den Gott dir geschenkt
hat, in die Mayerhofgassen zu fahren und mit der
Lolo bei Tisch sitzen und plauschen oder auch nur
zuhören. Es war ja manchmal wirklich fad zum Aus-
wachsen. Und mitten in der Nacht wieder nach Haus
fahren und gar noch am End' Rechenschaft ablegen,
wenn's du einmal mit Bekannten im Kasino soupierst,
oder mit deiner Tochter in die Oper gehst, oder in
die Burg. Also was soll ich dir viel erzählen, geradezu
montiert war ich beim Nachhausefahren. Hab' schon
IS
allerlei Pläne im Kopf gehabt . . . o nicht, was du dir
denlut . . . nein, aber reisen, was ich schon längst
hab' tun wollen, nach Afrika oder Indien, als ein freier
Mann . . . das heißt, ich hätt' mein Mäderl mitge-
nommen. Na ja, du lachst, weil ich noch immer
Mäderl sag'.
FÜRST. Fällt mir gar nicht ein. Die Mizzi sieht
wirklich noch aus wie ein junges Mädel, Wie ein ganz
junges. Besonders mit dem Florentiner Strohhut
neulich.
GRAF. Wie ein junges Mädel! Und dabei ist sie
akkurat in einem Alter mit der Lolo. Na, du weißt
ja! Alt werden wir, Egon. Alle. Ja, ja . . . Und ein-
sam. Aber wirklich, im Anfang hab' ich's nicht ge-
merkt. Es ist erst allmählich so über mich gekommen.
Die ersten Tage nach dem Abschiedsfest war's noch
nicht so schlimm. Erst vorgestern und gestern, wie
die Stund' gekommen ist, wo ich sonst gewöhnHch in
die Mayerhof gassen gefahren bin . . . und jetzt, wie
mir der Peter Rosen gebracht hat, für die Lolo selbst-
verständlich, da ist es mir so gewissermaßen klar ge-
worden, daß ich zum zweitenmal in meinem Leben
Witwer geworden bin. Ja, mein Lieber. Und jetzt
ist es für immer. Jetzt kommt die Einsamkeit. Jetzt
ist sie da.
FÜRST. Aber das ist ja lächerlich. Einsamkeit!
GRAF. Sei nicht bös', aber du verstehst das nicht.
Du hast so ganz anders gelebt wie ich. Du hast dich
doch in nichts mehr eingelassen, seit deine arme Frau
gestorben ist vor zehn Jahren. In nichts Ernstes, mein'
ich. Und hast nebstbei noch einen Beruf, gewisser-
maßen.
FÜRST. Wieso denn?
GRAF. Na, Herrenhausmitglied.
FÜRST. Na ja.
GRAF. Und zweimal wärst du ja beinah Minister
geworden.
FÜRST. Beinah...
x6
GRAF, Wer weiß. Vielleicht erwischt's dich einmal
wirklich. Und ich bin jetzt ganz fertig. Hab' mich
vor drei Jahren sogar pensionieren lassen, ich Esel.
FÜRST lächelnd. Dafür bist du jetzt ein ganz freier
Mann. Vollkommen frei. Die Welt steht dir offen.
GRAF. Aber zu nix Lust, alter Freund. Das ist
dieG'schicht'. Nicht einmal ins Kasino bin ich hinein-
gefahren seitdem. Weißt du, was ich g'macht hab'
die letzten Abende ? Da unterm Baum bin ich g'sessen
mit der Mizzi, und Domino haben wir g'spielt.
FÜRST. Na, siehst du, das ist doch keine Einsam-
keit. Wenn man eine Tochter hat, noch dazu ein so
kluges Wesen, mit dem man sich immer so gut ver-
standen hat . . . Was sagt sie denn übrigens dazu, daß
du deine Abende jetzt zu Hause verbringst?
GRAF. Nix. Es ist ja auch früher manchmal vor-
gekommen. Gar nix sagt sie. Was soll sie denn sagen ?
Mir scheint, sie merkt's gar nicht. Glaubst, sie hat was
gewußt von der Lolo ?
FÜRST lacht. Na höre!
GRAF. Na natürlich. Ich weiß ja. Natürlich hat
sie's g'wußt. Aber schHeßlich war ich ja beinah noch
ein junger Mann, wie ihre arme Mutter gestorben ist.
Sie hat mir's doch nicht übelnehmen können.
FÜRST. Das nicht. Leicht. Ahet sie wird es schon
manchmal gespürt haben, daß sie so viel allein ist,
denk' ich mir.
GRAF. Hat sie sich beklagt über mich ? Na, kannst
mir's schon sagen.
FÜRST. Ja, ich bin doch nicht der Vertraute von
der Mizzi. Mir gegenüber hat sie sich natürlich nie
beklagt. Gott, vielleicht hat sie's auch gar nicht so
gespürt. Sie ist ja dieses zurückgezogene, stille Leben
so lange Zeit gewohnt.
GRAF. Ja. Und es ist doch auch ihr Geschmack.
Und dann, bis vor ein paar Jahren ist sie doch ziem-
lich viel in die Welt gegangen. Unter uns, Egon,
noch vor drei Jahren, noch vor zwei, hab' ich fest ge-
Theatentfteke. IV. 3 tj
glaubt, sie wird sich doch entschließen.
FÜRST. Entschließen ? Ach so . . .
GRAF. Wenn du eine Ahnung hättest, was für
Leut' sich noch in der allerletzten Zeit sehr lebhaft
für sie interessiert haben . . .
FÜRST. Das ist sehr begreiflich,
GRAF. Aber sie will nicht. Sie will absolut nicht.
Also ich mein' damit nur, gar so allein kann sie sich
doch nicht gefühlt haben . . . sonst hätt' sie doch,
wo es ihr an Gelegenheit nicht gefehlt hat . . .
FÜRST. Selbstverständlich. Es ist ja ihre freie
Wahl. Und dann hat ja die Mizzi noch diese
andere Ressource, daß sie malt. Das ist grad so wie
bei meiner gottseligen Tant', der Fanny Hohenstein,
die Bücher geschrieben hat bis in ihr höheres Alter
und auch vom Heiraten hat absolut nichts wissen
wollen.
GRAF. Ist schon möglich, daß das so mit den
künstlerischen Bestrebungen zusammenhängt. Ich
denk' überhaupt manchmal, ob nicht alle diese Über-
spanntheiten gewissermaßen psychologisch zusammen-
hängen.
FÜRST. Überspanntheiten ? Man kann doch nicht
sagen, daß die Mizzi überspannt ist.
GRAF. Ja, jetzt hat sich das ganz gegeben. Aber
früher einmal . . .
FÜRST. Ich hab* die Mizzi immer sehr klug und
sehr ruhig gefunden. Wenn jemand Rosen und Vei-
gerln malt, so muß er doch darum noch lange nicht
überspannt sein.
GRAF. Na, du wirst mich doch nicht für so dumm
halten, daß ich mein', wegen der Veigerln und Rosen.
Aber als ganz junges Mädel, wenns du dich erinnern
kannst . . .
FÜRST. Was denn?
GRAF. Na, die G'schicht' damals, wie der Fedor
Wangenheim um sie ang'halten hat.
FÜRST. Gott, daran denkst du noch? Da« ist
i8
doch überhaupt nimmer wahr. Dai ist ja schom acht-
zehn oder zwanzig Jahr her, beinah.
GRAF. Wie sie damals zu den Ursulinerinnen ge-
wollt hat, lieber als daß sie den netten Burschen zum
Mann nimmt, mit mit dem sie schon so gut wie ver-
lobt war. Und auf und davon ist von zu Haus. Das
kann man doch überspannt nennen ?
FÜRST. Wie kommst du denn heut auf diese ur-
alte Geschichte ?
GRAF. Uralt ? Mir ist, wie wenn's im vorigen Jahr
g'wesen war'. Es war grad um die Zeit, wo meine Ge-
schieht' mit der Lolo ang'fangen hat. Wenn man so
zurückdenkt! Wer mir damals vorausg'sagt hätt'!
Weißt du, ang'fangen hat's doch eigentlich wie irgend
ein Abenteuer. Ganz leichtsinnig und verrückt. Ja,
verrückt. Na, ich will mich nicht versündigen, aber
daß meine arme Frau damals schon ein paar Jahre tot
war, das war ein Glück für uns alle. Die Lolo, die war
mein Schicksal. Geliebte und Hausfrau zugleich. Weil
s' nämlich auch so großartig hat kochen können. Und
diese Behaglichkeit bei ihr. Und immer gut aufg'legt
und nie ein böses Wort . . . Na, aus is. Red'n wir nicht
mehr davon. Pause. . . . Aber sag', bleibst du nicht zum
Essen bei uns ? Ich werd' übrigens die Mizzi rufen.
FÜRST ihn xurückbalund. Laß, ich hab' dir noch was
zu sagen. Leicht^ toü bumoriitiscb. Ich muß dich auf
etwas vorbereiten.
GRAF. Wie? Auf was denn?
FÜRST. Ich führ' dir nämlich heut einen jungen
Herrn auf.
GRAF befremdet. Wie, einen jungen Herrn ?
FÜRST. Ja, wenn du nichts dagegen hast.
GRAF. Was soll ich denn dagegen haben? Aber
wer ist es denn?
FÜRST. Mein Sohn, lieber Arpad.
GRAF höchst erstaunt. Wie?
FÜRST. Ja, mein Sohn. Ich wollte doch nicht, eh*
ich wegreise ....
»9
GRAF. Dein Sohn? Du hast einen Sohn!
FÜRST. Ja.
GRAF. Na, da hört sich doch . . . Einen jungen
Herrn hast du, der dein Sohn ist ? Oder vielmehr,
einen Sohn, der ein junger Herr ist ? Wie alt ist er denn ?
FÜRST. Siebzehn Jahre.
GRAF. Siebzehn! Und das sagt er mir erst jetzt!
Nein, Egon . . . Egon ! Ja, sag' mir . . . Siebzehn Jahr
. . . Du! da hat ja deine Frau noch gelebt . . .
FÜRST. Ja. Meine Frau hat damals noch gelebt.
Man wird manchmal in merkwürdige Affären hinein-
gerissen, lieber Arpad.
GRAF. Ja, meiner Seel', das muß schon wahr sein !
FÜRST. Und da hat man eben eines Tages einen
siebzehnjährigen Sohn, mit dem man auf Reisen geht.
GRAF. Also mit ihm fahrst du fort?
FÜRST. Ich bin so frei.
GRAF. Nein, ich kann dir gar nicht sagen . . . also
einen siebzehnjährigen Sohn hat er! . . . Plötzlich reicht
er ihm die Hand und umarmt ihn. Und wenn ich schon
fragen darf . . . die Mutter von deinem Herrn Sohn
. . . vneso . . . weil du schon einmal ang'fangen hast
zu erzählen —
FÜRST. Die Mutter ist längst tot. Ein paar Wochen
nach der Geburt gestorben. Ein blutjunges Geschöpf.
GRAF. Aus dem Volk?
FÜRST. Ja, natürlich. Aber ein scharmantes Wesen.
Na, ich erzähl' dir schon noch einmal ausführlich.
So gut ich mich eben selbst noch daran erinnern
kann. Es war wie ein Traum, die ganze Geschichte.
Wenn der Bub' nicht da wäre . . .
GRAF. Also das sagt er mir jetzt erst! Erst heut,
knapp bevor der Bursch zu Besuch kommt.
FÜRST. Man kann nie wissen, wie so etwas auf-
genommen wird.
GRAF. Aber geh. Aufgenommen! Hast vielleicht
geglaubt . . . Ich bin doch auch ein bißl ein Psycholog.
Und das ist nun ein Freund!
20
FÜRST. Kein Mensch hat es gewußt, kein Mensch
auf der ganzen Welt.
GRAF. Aber mir hättest du's doch sagen können.
Ich versteh's wirklich nicht, daß du . . . Na geh, es ist
wirklich nicht schön.
FÜRST. Ich hab' warten wollen, wie sich der Bursch
entwickelt. Man kann ja nie wissen . . .
GRAF. Na ja, bei so einer gemischten Abstammung.
. . . Aber jetzt scheinst du beruhigt ?
FÜRST. Ja. Er ist ein Prachtkerl.
GRAF umarmt ihn wieder. Also, WO hat er denn bis
jetzt gelebt?
FÜRST. In den ersten Jahren ziemHch weit von
Wien. In Tirol.
GRAF. Bei Bauern?
FÜRST. Bei einem kleinen Gutsbesitzer. Die
ersten Schulen hat er dann in Innsbruck besucht.
Und in den letzten Jahren hab' ich ihn in Krems im
Gymnasium gehabt.
GRAF. Also du hast ihn manchmal besucht?
FÜRST. NatürUch.
GRAF. Und was glaubt er denn eigentlich?
FÜRST. Bis vor wenigen Tagen hat er eben ge-
glaubt, daß er keine Eltern mehr, hat; auch keinen
Vater. Und daß ich ein Freund seines verstorbenen
Vaters gewesen bin.
KOMTESSE auf dem Balkon. Guten Tag, Fürst Egon.
FÜRST. Guten Tag, Mizzi.
GRAF. Na, willst du nicht ein bissei herunter-
kommen ?
KOMTESSE. Wenn man nicht stört . . . Sie ver-
schwindet.
GRAF. Also, was sagen wir denn der Mizzi ?
FÜRST. Ich möcht' das natürlich gern dir über-
lassen. Aber da ich den Buben doch adoptiere und er
wahrscheinlich schon in wenigen Tagen durch einen
Gnadenakt Seiner Majestät meinen Namen tragen
wird . . .
ai
GRAF erstaunt. Wie?
FÜRST. ... ist es wohl das Beste, wir sagen der
Mizzi gleich die Wahrheit.
GRAF. Natürlich, natürlich, warum denn auch
nicht ? Und wo du ihn sogar adoptierst ... Es ist doch
komisch. Eine Tochter, und wenn sie auch eine alte
Schachtel wird, für'n Vater bleibt sie halt doch immer
das kleine Mäderl.
KOMTESSE erscheint. 37 Jahre, noch sehr gut enustbend.
Florentiner Strohhut, weißes Kleid. Sie küßt den Grafen. Dann
reicht sie dem Fürsten die Hand. Nun, wie geht's, Fürst
Egon ? Man sieht Sie so selten.
FÜRST. Danke, Mizzi. Sie sind sehr fleißig?
KOMTESSE. Man malt seine Blümerln.
GRAF. Sei nicht so bescheiden, Mizzi. Neulich,
der Professor Windhofer hat g'sagt, sie soll ruhig
einmal ausstellen. Braucht sich neben der Wiesinger-
Florian nicht zu verstecken.
KOMTESSE. Ja, das ist schon möglich. Aber ich
hab' halt keinen Ehrgeiz.
FÜRST. Fürs Ausstellen bin ich eigentlich auch nicht.
Man ist dann jedem Zeitungsschreiber ausgeliefert.
KOMTESSE. Das sind Herrenhausmitglieder auch.
Wenigstens, wenn sie was reden.
GRAF. Und unsereiner vielleicht nicht? In alles
stecken sie ihre Nasen.
FÜRST. Nun, wie heut die Strömung ist, gibt's
Leute, die schon deswegen auf Ihre Bilder schimpfen
möchten, Mizzi, weil Sie eine Gräfin sind.
GRAF. Da hat er recht.
DIENER kommt. Gräfliche Gnaden werden gebeten,
ans Telephon zu kommen.
GRAF. Wer ist's denn ? Was gibt's denn ?
DIENER. Gräfliche Gnaden möchten sich per-
sönlich zum Apparat bemühen.
GRAF. Du entschuldigst mich einen Moment,
Leise zu ihm. Sag's ihr jetzt, während ich nicht dabei bin.
Ist mir lieber.
21
GRAF ab.
KOMTESSE. Es telephoniert . . . sollte Papa am
Ende schon wieder in neuen Banden sein ? Setzt sieb.
FÜRST. In neuen?
KOMTESSE. Um diese Zeit hat gewöhnlich Lolo
telephoniert. Aber mit Lolo ist es jetzt aus. Das
wisien Sie doch?
FÜRST. Habe es eben erst erfahren.
KOMTESSE. Und was sagen Sie dazu, Fürst Egon ?
Mir tut's ja recht leid. Wenn er jetzt wieder was an-
fängt, fällt er sicher hinein. Und ich fürchte, er fängt
wieder was an. Er ist noch zu jung für seine Jahre.
FÜRST. Ja, ja.
KOMTESSE sieb naeh ihm umwendend. Sie sind übrigens
lang nicht dagewesen.
FÜRST. Sie werden mich nicht sehr vermißt haben
. . . fürchte ich . . . Die Kunst . . . und weiß Gott was
noch . . .
KOMTESSE einfach. Trotzdem ...
FÜRST. Sehr liebenswürdig.
Pause.
KOMTESSE. Warum sind Sie heute so schweig-
sam ? Erzählen Sie doch was. Gibt's gar nichts Neues
in der Welt?
FÜRST als dächte er »uer st nach. Unser Sohn hat maturiert.
KOMTESSE zuckt ganz leicht. Ich hoffe, Sie haben
auch interessantere Neuigkeiten im Vorrat.
FÜRST. Interessantere . . .
KOMTESSE. Oder wenigstens Neuigkeiten, die
mich persönlich mehr angehen als der Lebenslauf
eines mir unbekannten jungen Herrn.
FÜRST. Über wichtigere Etappen in der Lauf-
bahn dieses jungen Herrn glaub' ich mich doch ver-
pflichtet Sie zu unterrichten. Als er gefirmt wurde,
hab' ich mir ja auch erlaubt, Ihnen Mitteilung davon
zu machen. Aber wir brauchen jetzt nicht weiter
davon zu sprechen.
Pause.
n
KOMTESSE. Ist er wenigstens durchgekommen?
FÜRST. Mit Auszeichnung.
KOMTESSE. So scheint sich ja die Rasse zu ver-
bessern.
FÜRST. Das wollen wir beide hoffen.
KOMTESSE. Und jetzt naht wohl auch der große
Moment heran . . .
FÜRST. Was für ein Moment?
KOMTESSE. Erinnern Sie sich denn nicht mehr?
Nach der Matura wollten Sie ihm ja eröffnen, daß Sie
sein Vater sind.
FÜRST. Das hab' ich schon getan.
KOMTESSE. Sie — haben es ihm schon gesagt ?
FÜRST. Ja.
KOMTESSE nach einer Pause, ohne ihn anzusehen. Und
seine Mutter — ist tot . . .
FÜRST. Vorläufig tot.
KOMTESSE. Für immer. Steht auf.
FÜRST. Wie Sie wünschen.
Graf und Diener kommen.
DIENER. Aber gräfliche Gnaden haben dem
Josef doch selbst frei gegeben.
GRAF. Ja, ja, es ist schon gut.
DIENER ab.
KOMTESSE. Was hast du denn, Papa ?
GRAF. Nichts, nichts, mein Kind. Ich müßt'
rasch wohin fahren, und der verflixte Josef ... Sei
nicht bös', Mizzi, aber ich möcht' nur ein paar Worte
mit dem Egon . . . Zu ihm. Also denk' dir, sie hat mich
schon früher angerufen. Die Lolo nämlich. Sie hat
keinen Anschluß gekriegt und jetzt telephoniert mir
die Laura, na, ihr Kammermädel halt, daß sie grad
zu mir herausgefahren ist.
FÜRST. Zu dir, hierher?
GRAF. Ja.
FÜRST. Warum denn?
GRAF. Warum, kann ich mir schon denken. Du
weißt, sie war noch nie in der Villa, selbstverständlich.
und ich hab' ihr immer versprochen, bevor sie heirat*.
darf sie einmal herauskommen, die Villa und den Park
anschauen. Das war ja immer ihre Kränkung, daß
ich sie nicht da heraußen empfangen kann. Na ja,
wegen der Mizzi. Was sie auch eingesehen hat. Und
sie so im geheimen herausbringen einmal, während
die Mizzi nicht zu Haus ist, also auf solche Sachen
hab' ich mich nie eingelassen. Na und da laßt sie mir
telephonieren, übermorgen ist schon die Hochzeit,
und sie ist grad herausgefahren.
FÜRST. Nun, was tut's? Sie kommt doch nicht
als deine Geliebte, vor wem brauchst du dich denn
zu genieren ?
GRAF. Grad heut . . . und jetzt, wo dein Herr
Sohn gleich kommen vnrd.
FÜRST. Vor dem verantwort' ich's.
GRAF. Aber mir, mir paßt's nicht. Ich geh' dem
Wagen entgegen und halt' sie auf. Es macht mich
halt nervös. Entschuldig' mich so lang bei deinem
Herrn Sohn. Adieu Mizzi, bin gleich wieder da.
GRAF ab.
FÜRST. Fräulein Lolo hat sich angesagt, und das
paßt Ihrem Herrn Papa nicht.
KOMTESSE. Wie? Lolo angesagt? Sie kommt
hierher ?
FÜRST. Ihr Papa, Mizzi, hat ihr versprochen, daß
sie sich vor ihrer Hochzeit einmal die Villa anschauen
darf. Und jetzt geht er dem Wagen entgegen, um
sie abzufangen.
KOMTESSE. Wie kindisch. Wie rührend eigent-
Hch. Ich hätte sie gern kennen gelernt. Ist es nicht
zu dumm ? Da hat man einen Vater, der fast die
Hälfte seines Lebens mit einem gewiß sehr sympathi-
schen Geschöpf zubringt . . . und man kommt nicht
dazu — hat nicht das Recht — ihr einmal die Hand
zu drücken. Warum paßt's ihm denn nicht? Daß ich
alles weiß, kann er sich wohl denken.
FÜRST. Gott, er ist eben so. Vielleicht hätte es
»5
ihs auch weniger geniert, wenn er nicht gerade in dieser
Stunde einen anderen Beiuch erwartete . . .
KOMTESSE. Einen andern Besuch?
FÜRST. Den ich so frei war, ihm anzukündigen.
KOMTESSE. Was ist das für ein Besuch?
FÜRST. Unser Sohn.
KOMTESSE. Sind Sie . . . Hierher kommt Ihr
Sohn ?
FÜRST. In einer halben Stunde spätestens wird er
hier sein.
KOMTESSE. Sagen Sie, Fürst ... Sie erlauben
sich wohl einen Spaß mit mir?
FÜRST. Durchaus nicht. Mit einer Verstorbenen
. . . Was denken Sie . . .
KOMTESSE. Es ist wahr ? Er kommt hierher ?
FÜRST. Ja.
KOMTESSE. Sie halten es also offenbar noch immer
für eine Laune von mir, daß ich von dem Buben nichts
wissen will?
FÜRST. Laune . . . ? Nein. Um es so zu bezeichnen
zu dürfen, führen Sie die Sache allerdings zu konse-
quent durch. Wenn man bedenkt, daß Sie es all die
Jahre hindurch über sich gebracht haben, nicht einmal
nach ihm zu fragen . , .
KOMTESSE. Das ist weiter nicht bewunderns-
wert. Ich habe Schwereres über mich gebracht. Da-
mals, wie ich ihn hab' hergeben müssen, acht Tage
nachdem er zur Welt gekommen ist.
FÜRST. Ja, damab blieb Ihnen, blieb uns doch
nichts andres übrig. Was ich damals verfügt habe,
und womit Sie sich doch auch am Ende einverstanden
erklärt haben, das war entschieden das Klügste, was
wir in unserer Situation tun konnten.
KOMTESSE. Klug, das hab* ich nie bezweifelt.
FÜRST. Und nicht nur klug, Mizzi. Sie wissen,
es handelte sich nicht um unser Schicksal allein.
Andre wären vielleicht zugrunde gegangen, wenn
damals die Wahrheit ans Licht gekommen wäre.
Meine Frau mit ihrem leidenden Herzen hätte es
kaum überlebt.
KOMTESSE. Dieses leidende Herz . . .
FÜRST. Und Ihr Vater, Mizzi ... Ihr Vater!
KOMTESSE. Er hätte sich drein gefunden, da
können Sie sich drauf verlassen. Damals hat ja gerade
die Geschichte mit Lolo angefangen. Sonst war' die
Sache auch nicht so glatt gegangen. Sonst hätt' er
sich ein bißchen mehr um mich gekümmert. Ich hätt*
nicht monatelang fortbleiben können, wenn's ihm nicht
grad sehr bequem gewesen wäre. Gefährhch an der
ganzen Sache war nur eins: daß der Fedor Wangen-
heim Sie möglicherweise totgeschossen hätte, lieber
Fürst.
FÜRST. Er mich ? Es hätte sich auch anders fügen
können. Oder glauben Sie an Gottesurteile? Dann
wäre übrigens der Ausgang auch noch fraglich gewesen.
Denn wir armen Sterblichen können ja nie wissen, wie
der da droben über so eine Sache denkt.
KOMTESSE. Im Herrenhaus würden Sie anders
reden, wenn Sie dort je den Mund auf täten.
FÜRST. Möglich. Aber das Wesentliche ist doch,
daß uns alle Ehrlichkeit und Kühnheit damals nicht
das geringste geholfen hätte. Es wäre eine nutzlose
Grausamkeit gewesen gegen Menschen, die uns nahe-
standen. Ein Dispens war' kaum zu erlangen gewesen
— und nebstbei hätte die Fürstin nie in die Scheidung
gewilligt, das wissen Sie so gut wie ich.
KOMTESSE. Als wenn mir an der Heirat das
geringste gelegen wäre.
FÜRST. Oh...
KOMTESSE. Nichts. Das ist Ihnen doch nichts
Neues ? Ich hab's Ihnen doch damals auch gesagt. Sie
ahnen ja nicht, wie ich damals . . . Blick was . . . was
damals aus mir zu machen gewesen wäre. Überallhin
war' ich Ihnen gefolgt, überallhin, auch als Ihre Ge-
liebte. Ich mit unserm Kind. Nach der Schweiz,
nach Amerika. Wir hätten ja schließlich leben können.
*7
wo es uns gepaßt hätte. Und im Herrenhaus hätte
man vielleicht nicht einmal gemerkt, daß Sie ver-
reist sind.
FÜRST. Ja, natürlich hätten wir fliehen und uns
irgendwo im Ausland ansiedeln können . . . Aber daß
Ihnen ein solcher Zustand auf die Dauer angenehm
oder nur erträglich gewesen wäre, das glauben Sie wohl
heute selbst nicht mehr.
KOMTESSE. Heute, nein. Heute kenn* ich Sie
nämlich. Aber damals hab' ich Sie geliebt. Und ich
hätte Sie vielleicht — sehr lang lieben können, wenn
Sie damals nicht zu feig gewesen wären, die Verant-
wortung zu übernehmen, für das, was geschehen ist.
. . . Zu feig, Fürst Egon . . .
FÜRST. Ob das gerade das richtige Wort ist . . .
KOMTESSE. Ja. Ich habe kein anderes. An mir
lag es nicht. Ich war bereit, alles auf mich zu nehmen,
mit Freuden, mit Stolz. Ich war bereit, Mutter zu
sein und mich als Mutter unseres Kindes zu bekennen.
Sie haben es gewußt, Egon! Vor siebzehn Jahren in
dem kleinen Haus im Wald, wo Sie mich versteckt
gehalten haben, hab' ich Ihnen gesagt, daß ich dazu
bereit bin. Aber für Halbheiten war ich nie zu haben.
Ganz hab' ich Mutter sein wollen oder gar nicht. An
dem Tag, an dem ich den Buben hab' hergeben müssen,
war ich auch entschlossen, mich überhaupt nicht um
ihn zu kümmern. Darum find' ich es lächerhch, daß
Sie ihn plötzHch hierher bringen wollen. Wenn Sie
mir einen guten Rat erlauben, gehen Sie ihm auch
entgegen, wie der Papa der Lolo, und fahren mit ihm
wieder nach Haus.
FÜRST. Ich denke nicht daran. Nach allem, was
ich eben von Ihnen wieder habe hören müssen, muß
es wohl dabei bleiben, daß seine Mutter tot ist. Aber
um so mehr muß ich mich seiner annehmen. Er ist
mein Sohn, auch vor der Welt. Ich hab' ihn adoptiert.
KOMTESSE. Sie haben ihn —
FÜRST. Er trägt vielleicht morgen schon meinen
2t
Namen. Ich werde ihn vorstellen, wo es mir behebt.
Natürhch vor allem meinem alten Freund, dem Grafen,
Ihrem Herrn Papa. Wenn es Ihnen unangenehm ist,
den jungen Menschen zu sehen, so wird Ihnen nichts
andres übrig bleiben, als sich für die Dauer seines Be-
suches auf Ihr Zimmer zurückzuziehen.
KOMTESSE. Wenn Sie glauben, daß ich diesen
Ton sehr angebracht finde.
FÜRST. So wenig wie ich Ihre Verstimmung.
KOMTESSE. Verstimmung? Seh' ich verstimmt
aus f Hören Sie . . . Ich erlaube mir nur, Ihren Ein-
fall geschmacklos zu finden. Im übrigen bin ich so gut
gelaunt wie gewöhnUch.
FÜRST. An Ihrer sonstigen guten Laune zweifl'
ich nicht. Nur jetzt . . . Im übrigen ist es mir durchaus
nicht unbekannt, daß Sie es längst verstanden haben, sich
mit Ihrem Schicksal zu versöhnen. Ich habe es ja auch
verstanden, mich in das meine zu fügen, das vielleicht
in seiner Art gerade so schmerzHch war als das Ihre.
KOMTESSE. Wie? In was für ein Schicksal mußten
Sie . . . Es kann doch nicht jeder Minister werden.
Ach so . . . die Bemerkung bezieht sich am Ende darauf,
daß Durchlaucht mir die Ehre erwiesen haben, mich
vor zehn Jahren, nach dem Tode von dero hochseliger
Gemahhn, um meine Hand zu bitten?
FÜRST. Und vor sieben noch einmal, wenn Sie
sich freundlichst erinnern wollen.
KOMTESSE. O ja, ich erinnere mich. An meinem
Gedächtnis zu zweifeln, hab' ich Ihnen niemals An-
laß gegeben.
FÜRST. Und ich hoffe, Mizzi, Sie haben mir nie
zugemutet, daß ich die Absicht hatte, mit meiner
Werbung so irgend etwas zu tun, wie eine Schuld zu
sühnen. Ich habe Sie gebeten, meine Frau zu werden,
weil ich eben die Überzeugung hatte, daß mir das
wahre Glück nur an Ihrer Seite beschieden sein könnte.
KOMTESSE. Das wahre Glück! ... Sie hätten
»ich geirrt.
FÜRST. Das glaub' ich ja selbst, daß ich mich da-
mals geirrt hätte. Vor zehn Jahren war es wohl noch
ru früh. Vor sieben Jahren vielleicht auch noch. Heute
nicht mehr.
KOMTESSE. Auch heute, lieber Fürst. Es ist Ihr
Verhängnis, daß Sie mich niemals gekannt, nie etwas
von mir gewußt haben. Nicht als ich Sie geliebt, nicht
als ich Sie gehaßt habe und nicht einmal die lange Zeit
hindurch, in der Sie mir gleichgültig sind.
FÜRST. Ich habe Sie immer gekannt, Mizzi. Ich
weiß mehr von Ihnen, als Sie wahrscheinlich vermuten.
Es ist mir zum Beispiel durchaus nicht unbekannt,
daß Sie diese siebzehn Jahre auch auf Besseres ver-
wandt haben, als einem Manne nachzuweinen, der
damals vielleicht Ihrer nicht ganz würdig war. Ja,
ich weiß sogar, daß Sie sich darauf kapriziert haben,
nach der Enttäuschung, die Ihnen mit mir begegnet
ist, noch einige andere zu erleben.
K'OMTESSE. Enttäuschungen? Nun, zu Ihrem
Trost kann ich Sie versichern, lieber Fürst, daß auch
recht angenehme darunter waren.
FÜRST. Auch das weiß ich. Würd' ich sonst zu
behaupten wagen, daß ich die Geschichte Ihres Lebens
wirklich kenne?
KOMTESSE. Und bilden Sie sich vielleicht ein,
ich kenne das Ihre nicht? Wünschen Sie, daß ich
Ihnen die Liste Ihrer Geliebten herzähle? Von der
Frau des bulgarischen Attaches 1887 bis zu Fräulein
Therese Gr6dun, wenn sie wirklich so heißt . . . die
zum mindesten dieses Frühjahr noch in Amt und
Würden bei Ihnen stand? Wahrscheinlich weiß ich
sogar mehr als Sie, denn ich weiß beinahe von jeder,
mit wem sie Sie betrogen hat.
FÜRST. Davon erzählen Sie mir aber lieber nichts.
Wenn man solche Dinge nicht selbst entdeckt, hat
man keinen rechten Spaß davon.
Man hört einen Wagen herankommen und stille halten.
FÜRST. Er ist es. Vielleicht wünschen Sie zu ver-
»chwinden, ehe er in den Park tritt. Ich will ihn so-
lange aufhalten.
KOMTESSE. Bemühen Sie sich nicht. Es beliebt
mir zu bleiben. Aber wenn Sie vielleicht glauben,
es regt sich nur das Geringste in mir ... Es ist ein
junger Herr, der meinen Vater besucht. Da ist er ja
schon . . . Stimme des Bluts? Es muß eine Fabel sein.
Ich merke gar nichts, Ueber Fürst.
PHILIPP ist rasch durch das Haupttor hereingetreten. Er ist
siebzehn Jahre alt, schlank, hübsch, elegant, aber nicht gigerlhaft,
von liebenswürdiger, etwas knabenhafter Unverschämtheit; doch
nicht ohne Verlegenheit. Guten Tag. Verbeugt sich vor der
Komtesse,
FÜRST. Guten Morgen, Philipp. Erlauben Sie,
Komtesse, daß ich Ihnen meinen Sohn vorstelle.
Das ist Gräfin Mizzi. Die Tochter meines alten Freun-
des, in dessen Haus du dich befindest.
PHILIPP nimmt die von der Komtesse gebotene Hand und
küßt sie. Kleine Pause.
KOMTESSE. Bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen ?
PHILIPP. Danke, Gräfin. Aüe bleiben suhen.
FÜRST. Du bist mit dem Wagen herausgefahren ?
Könntest ihn zurückschicken, ich hab' ja meinen da.
PHILIPP. Willst du nicht Ueber mit mir zurück-
fahren, Papa? Ich find' nämlich, der Wasner fährt
besser als dein Franz mit den alten Herrschafts-
gäulen.
KOMTESSE. Sie fahren mit dem Wasner?
PHILIPP. Ja.
KOMTESSE. Mit dem Herrn selbst? Wissen Sic
auch, daß das eine große Ehre ist? Der Wasner, der
fährt nicht mit jedem. Vor zwei Jahren hat er noch
den Papa geführt.
PHILIPP. Ah...
FÜRST. Kommst übrigens ein bissei spät, Philipp.
PHILIPP. Ja, ich bitt' sehr um Entschuldigung.
Ich hab' n:iich nämlich verschlafen. Zur Komusse. Wir
waren gestern abends ein paar Kollegen zusammen.
3"
Gräfin wissen vielleicht, daß ich vor vierzehn Tagen
maturiert hab, und da haben wir gestern abend ein
bissei gedraht.
KOMTESSE. Sie scheinen sich ziemlich rasch in
das Wiener Leben gefunden zu haben, Herr . . .
FÜRST. Sagen Sie ihm einfach Philipp, liebe
Mizzi.
KOMTESSE. Bitte, wollen wir uns nicht setzen,
Philipp — Blick zum Fürsten der Papa muß jeden Moment
da sein.
Komtesse und Fürst setzen sich,
PHILIPP noch während er stehen bleibt. Also, wenn ich
;air eine Bemerkung erlauben darf, den Park find' ich
prachtvoll. Er ist bedeutend schöner als unserer.
KOMTESSE. Sie kennen den Ravensteinschen Park ?
PHILIPP. Natürlich, Gräfin. Ich wohn' ja schon
seit drei Tagen im Schloß.
KOMTESSE. Wie?
FÜRST. In der Stadt können sich Gärten eben nicht
so entwickeln, wie da heraußen. Vor hundert Jahren
war unsrer gewiß auch noch viel schöner als heute.
Da ist ja auch unser Schloß noch außerhalb der Stadt
gelegen, v
PHILIPP. Schade, daß man den Leuten erlaubt
hat, ihre Häuser so rund herum um unser Schloß zu
bauen.
KOMTESSE. Wir sind besser dran. Daß sich die
Stadt bis zu uns heraus zieht, das werden wir wohl nicht
mehr erleben.
PHILIPP liebenswürdig. Aber warum denn, Gräfin . . .
KOMTESSE. Vor hundert Jahren war das alles
lioch Jagdgrund. Es grenzt direkt an den Tiergarten.
Sehen Sie da drüben die Mauer, Philipp ? Und unsere
Villa war früher einmal ein Jagdschlössel von der
T. iserin Maria Theresia. Die Sandsteinfigur dort am
l'eich ist auch noch aus der Zeit.
PHILIPP. Und wie alt ist denn eigentlich unser
Schloß, Papa?
3«
FÜRST lächelnd. Unser Schloß, mein Sohn, steht seit
dem siebzehnten Jahrhundert. Ich hab' dir ja das
Zimmer gezeigt, in dem der Kaiser Leopold eine
Nacht geschlafen hat.
PHILIPP. Kaiser Leopold 1643 bis 1705.
KOMTESSE lacht.
PHILIPP. Das ist noch von der Matura her.
Wenn ich einmal so alt sein . . . Unterbricht sich. Pardon !
. . . ich mein' nur — im nächsten Jahr ist das alles ver-
schwitzt. Daß er ein so guter Bekannter von uns war,
der Kaiser Leopold, das hab' ich natürlich noch nicht
gewußt, wie ich die Jahreszahl gelernt hab'.
KOMTESSE. Diese Entdeckung scheint Ihnen ja
riesig viel Spaß zu machen, PhiUpp.
PHILIPP. Entdeckung ... Ja, aufrichtig gestanden,
eine Entdeckung war das eigentHch nicht. Sieht den
Fürsten an.
FÜRST. Red' nur, red' nur.
PHILIPP. Also wissen Sie, Gräfin, ich hab' näm-
lich immer das Gefühl gehabt, daß ich kein gebürtiger
PhiHpp Radeiner bin.
KOMTESSE. Radeiner? Zum Fürsten. Unter diesem
Namen . . . ?
FÜRST. Jawohl.
PHILIPP. Es war mir natürlich sehr angenehm,
wie meine Ahnung bestätigt worden ist; — aber ge-
wußt hab ich's immer. Man ist doch nicht auf den
Kopf gefallen. Auch in der Schule haben's einige ge-
ahnt . . . daß ich . . . Nicht wahr, diese Fabel, Gräfin,
daß der Fürst Ravenstein immer nach Krems fährt,
sich nach den Fortschritten des Sohnes von einem
verstorbenen Freund zu erkundigen, das ist doch ein
bissei romanhaft gewesen, Fünfkreuzerbibliothek . . .
Und für die Schlauem war es ziemUch klar, daß fürst-
liches Blut in meinen Adern braust. Und da ich einer
von den Schlauesten war . . .
KOMTESSE. Es scheint ja wirkHch . . . Was haben
Sie denn für Pläne für die Zukunft, Philipp ?
Tbeatentficke. IV, ) 33
PHILIPP. Im Oktober mach' ich mein Freiwilligen-
jahr bei den SechserJragonern, wo wir Ravensteins
immer dienen. Was dann mit mir g'schieht, ob ich
beim Militär bleib', ob ich Erzbischof werde, mit der
Zeit natürlich . . .
KOMTESSE. Das wäre vielleicht das Richtige.
Die Ravensteins waren immer stark im Glauben.
PHILIPP. Ja, das steht schon in der Weltgeschichte.
Zuerst waren sie katholisch, im Dreißigjährigen Krieg
sind sie protestantisch geworden, dann sind sie wieder
zum Katholizismus übergetreten, aber stark im Glauben
waren sie jederzeit. Es war nur immer ein anderer.
FÜRST. PhiUpp, Philipp!
KOMTESSE. Ja, das ist eben die neue 2^it, Fürst
Egon.
FÜRST. Und das Blut der Mutter.
KOMTESSE. Sie sind sehr fleißig gewesen, erzählt
mir Ihr Papa, haben die Matura mit Auszeichnung
gemacht.
PHILIPP. Das war keine Kunst, Gräfin. Ich
hab' halt ziemlich rasch aufgefaßt. Das ist wahrschein-
lich auch das bürgerliche Blut in mir. Es ist mir noch
zu allerlei Zeit geblieben, was nicht in der Schule vor-
geschrieben war. Ich hab' reiten gelernt und . . .
KOMTESSE. Und?
PHILIPP. Klarinett' blasen.
KOMTESSE lacht. Warum haben Sie gezögert, das
zu sagen ?
PHILIPP. Warum ... na, weil alle Leut' lachen,
wenn ich sag', daß ich Klarinett' blasen lern'. Gräfin
haben doch auch gelacht. Ist das nicht komisch ?
Hat schon je einer gelacht, wenn Gräfin ihm erzählt
haben, daß Sie zum Zeitvertreib malen ?
KOMTESSE. Das wissen Sie auch schon?
PHILIPP. O ja, Durchlaucht ... der Papa hat
mir's erzählt. Und dann hängt doch sogar ein Blumen-
stück, so eine chinesische Vase mit Goldregen und noch
was Violettem im Schloß in meinem Schlafzimmer.
34
KOMTESSE. Flieder wird es sein, das Violette.
PHILIPP. Natürlich Flieder. Ich hab's auch gleich
erkannt. Ist mir nur das Wort nicht eingefallen.
DIENER kommt. Es ist eine Dame da, die den Herrn
Grafen sprechen möchte. Ich habe sie in den Salon
geführt.
KOMTESSE. Eine Dame ? . . . Die Herren ver-
zeihen einen Augenblick.
KOMTESSE ab.
PHILIPP. Also Papa, wenn's nur mehr von mir
abhängt, ich bin einverstanden.
FÜRST. Womit? Was heißt das?
PHILIPP. Mit deiner Wahl bin ich einverstanden.
FÜRST. Bist du verrückt, Bub'?!
PHILIPP. Aber, Papa, du glaubst doch nicht,
daß du mir etvi^as verheimlichen kannst. Das bürger-
liche Blut . . .
FÜRST. Was fällt dir eigentlich ein?
PHILIPP. Schau', Papa, wie du mir erzählt hast,
du möchtest mich vor allem deinem alten Freund
vorstellen, dem Grafen; und der Graf hat eine Tochter
— was ich übrigens schon längst gewußt hab' — da
hab' ich nur ein bissei Angst gehabt, daß sie vielleicht
zu jung sein wird.
FÜRST ärgerlich, muß lachen. Zu jung . . .
PHILIPP. Na, ja, daß du für diese Tochter eine
ge\visse Vorliebe hegst, das war doch zu merken.
Du bist ja förmlich verlegen worden, wenn du von
ihr gesprochen hast. Und dann hast du allerlei von
ihr erzählt, was du mir von einer andern gewiß nicht
erzählt hättest. Was sollen mich denn zum Beispiel
die Bilder von einer x-beliebigen Komtesse inter-
essieren ? Wenn man auch den Flieder durch die Farbe
vom Goldregen unterscheiden kann. Also ich hab*
mir gleich gedacht, du bringst mich nur hierher, um
zu sehen, was sie auf mich für einen Eindruck macht.
Und wie gesagt, meine Angst war nur, daß sie zu jung
sein könnte — für meine Mutter, nicht für deine Frau.
Du dürftest ja noch auf die Jüngste und Schönste
Anspruch machen. Aber jetzt kann ich dir sagen,
Papa, so wie sie ist, ist sie mir ganz recht.
FÜRST. Du bist wirkUch der unverschämteste
Bengel, der mir je vorgekommen ist. Denkst du wirk-
Uch, ich werde dich je fragen, wenn es mir einmal
einfiele . . .
PHILIPP. Nicht grad fragen, Papa . . ., aber zu
einem guten Familienleben gehört doch, daß sich alle
MitgUeder gegenseitig sympathisch sind . . . nicht
wahr — ?
Komtesse und Loh Langbuber kommen.
KOMTESSE. Bitte, Fräulein, spazieren Sie nur
weiter. Meinem Papa täte es gewiß sehr leid, wenn
er Ihren Besuch versäumte. Will vorstellen. Erlauben
Sie . . .
LOW. O, Durchlaucht.
FÜRST. O, Fräulein Pallestri . . .
LOLO. Langhuber, wenn ich bitten darf. Ich
komme nämlich nur dem Herrn Grafen danken, er
hat mir so ein prachtvolles Bukett zu meiner Abschieds-
vorstellung geschickt.
FÜRST steUt vor. Mein Sohn Philipp. Und das ist
Fräulein . . .
LOLO. Charlotte Langhuber.
FÜRST. Bis vor kurzem zu Philipp bekannt unter
dem Namen Pallestri.
PHILIPP. Fräulein Pallestri! Da hab' ich ja längst
das Vergnügen . . .
FÜRST. Wie?
PHILIPP. Fräulein befinden sich nämlich in
meiner Sammlung.
FÜRST. Was . . . was für eine Sammlung hast du
denn?
LOLO. Da muß aber wirklich ein Irrtum sein,
Durchlaucht. Ich kann mich nicht erinnern . . .
PHILIPP. SelbstverständUch können Sie sich nicht
erinnern, Fräulein, denn wie ich Ihr Bild aus der
36
Zeitung herausgeschnitten hab', in Krems, das können
Sie hier natürlich nicht gespürt haben.
LOLO. Gott sei Dank, nein.
PHILIPP. Das ist nämlich ein Sport von uns ge-
wesen im Gymnasium. Wir haben einen gehabt, der
hat sich die Mord- und Unglücksfälle herausgeschnitten.
LOLO. Das muß aber ein schlechter Mensch ge-
wesen sein.
PHILIPP. Und einer, der hat sich die historischen
Persönlichkeiten herausgeschnitten, Nordpolfahrer und
Komponisten und solche Leut', und ich hab' mir die
Damen vom Theater gesammelt. Schaun viel besser
aus. Zweihundertdreizehn, Ich zeig' sie dir einmal,
Papa. Sehr interessant. Eine australische Operetten-
sängerin ist auch drunter.
LOLO. Ich hab' ja gar nicht gewußt, daß Durch-
laucht einen Sohn haben. Und noch dazu einen so
großen.
PHILIPP. Ja, Fräulein, ich hab' bis jetzt im Ver-
borgenen geblüht.
FÜRST. Jetzt besorgst du das aber recht auffällig,
das muß man sagen.
LOLO. Aber lassen Sie ihn, Durchlaucht, ich hab*8
gern, wenn so junge Leute ein bissei vif sind.
PHILIPP. Also Fräulein ziehen sich jetzt im
Privatleben zurück ? Sehrschad'. Grad, wo ich endlich
das Vergnügen haben könnte, Sie auf den Brettern
zu bewundern, welche die Welt bedeuten . . .
LOLO. Sehr scharmant, Durchlaucht, aber leider
hat man keine Zeit, auf die heranwachsende Jugend
zu warten. Und für die gereifteren bin ich halt jetzt
ein etwas zu hoher Jahrgang.
FÜRST. Wie man hört, vermählen Sie sich ja
demnächst, Fräulein ?
LOLO. Ja, ich trete in den heiligen Stand der Ehe.
PHILIPP. Und wer ist denn der GlückUche,
Fräulein, wenn man fragen darf?
LOLO. Wer? Da draußen sitzt er auf dem Bock.
37
KOMTESSE. Wie? Der Kutscher?
LOLO. Aber Gräfin — Kutscher! — Höchstem
wie dei Herr Papa — verzeihn schon — wenn er zu-
fällig einmal seine Braunen selber fährt. Fiaker-
eigentümer ist mein Verlobter, Hausbesitzer und
Bürger von Wien, der »eiber nur auf den Bock steigt,
wenn's ihn halt freut und wenn er für jemanden eine
besondere Wertschätzung hat. Jetzt führt er einen
gewissen Baron Radeiner. Jetzt grad, Gräfin, hat er
ihn zu Ihrem Herrn Papa herausgeführt. Der geht
mir übrigens ab, der Herr Radeiner.
PHILIPP. Erlaube, mich vorzustellen: Baron
Radeiner.
LOLO. Sie, Durchlaucht?
PHILIPP. Ich fahr' überhaupt, seit ich in Wien
bin, nur mit dem Wasner.
LOLO. Unter einem angenommenen Namen,
Durchlaucht. Da kommt man Ihnen auf schöne
G'schichten.
GRAF kommt erhitzt. Guten Tag. Überblickt die Situation.
Ah!
LOLO. Habe die Ehre, Herr Graf. Ich habe näm-
lich so frei sein wollen . . . ich wollte mich bedanken
für das prachtvolle Bukett.
GRAF. Aber bitte, bitte, sehr angenehm.
FÜRST. Lieber alter Freund, also hier ist er, mein
Sohn Philipp.
PHILIPP. Es ist mir eine große Ehre, Herr Graf.
GRAF reicht ihm die Hand. Seien Sie willkommen in
meinem Haus. Betrachten Sie es jederzeit als das
Ihrige. Es scheint, ich brauche nicht mehr bekannt
zu machen.
KOMTESSE. Nein, Papa.
GRAF nicht ohne Verlegenheit. Es ist sehr scharmant
von Ihnen, Fräulein. Sie wissen ja selbst am besten,
wie sehr ich Sie immer bewundert hab'. . . Aber sagen
Sie mir nur, wie sind Sie denn eigentlich heraus-
gekommen ? Ich hab' da nämlich gerade meine Prome-
3«
nade auf der Hauptstraße gemacht, wo alle Wagen
vorbei müssen, und ich hab' Sie gar nicht gesehen.
LOLO. Ja, Herr Graf, was glauben Sie denn! Die
Fiakerzeit ist jetzt vorbei für mich. Ich bin natürlich
mit der Stadtbahn herausgefahren, wie sich's für mich
schickt.
GRAF. So, so . . . Aber wie ich höre, ist doch Ihr
Herr Bräutigam selbst . . .
LOLO. Ja, der hat natürlich feinere Passagiere
wie mich.
PHILIPP. Ich habe nämlich das Vergnügen ge-
habt, mit dem Bräutigam des Fräuleins hier heraus
zu fahren.
GRAF. Sie fahren mit dem Wasner ? Da hört sich
doch alles ... jaja . . . psychologische Zusammen-
hänge. — Ihm offerierend. Zigarre gefällig?
PHILIPP nimmt. Danke sehr.
FÜRST. Aber Philipp! So eine Riesenzigarre vor
dem Frühstück!
GRAF. Ausgezeichnet. Ist das allerg'sündeste.
Sie gefallen mir sehr gut. Wollen wir uns nicht setzen ?
Fürst, Graf, Philipp setzen sich. Komtesse, Loh stehen gan» nahe.
GRAF. Also morgen reisen Sie ab mit dem Papa?
PHILIPP. Ja, Herr Graf. Ich freu' mich schon
kolossal.
GRAF. Bleibts ihr lang weg?
FÜRST. Das hängt von verschiedenen Umständen ab.
PHILIPP. Am ersten Oktober muß ich einrücken.
FÜRST. Und ich werde dann möglicherweise
tiefer in den Süden gehen.
GRAF. Das ist aber das allerneueste. Wohin denn ?
FÜRST. Blick auf Komusse. Ägypten, dann vielleicht
noch in den Sudan, bissei jagen.
KOMTESSE %u LoU. Ich werde Ihnen den Park
zeigen, Fräulein.
LOLO. Ja, der ist prachtvoll. Da kann sich unser-
einer freilich nicht messen.
&i4 kommen nach links vorn.
39
KOMTESSE. Sie haben auch einen Garten beim
Haus?
LOLO. Natürlich. Wir haben ja auch ein Ahnen-
schloß ... in Ottakring. Schon der Urgroßvater vom
Wasner ist Fiaker gewesen. Nein, ist das schön! Wie
da die Blumen herunterhängen. So was werd' ich mir
auch einrichten.
GRAF beunruhigt. Warum absentieren sich die Damen f
KOMTESSE. Laß nur, Papa, ich erkläre dem Fräu-
lein die Fassade von unserm Schlössel.
PHILIPP. Kommen öfters Damen vom Theater
zu Ihnen ins Haus, Herr Graf?
GRAF. Nein, das ist mehr ein Zufall!
Sie spazieren plaudernd in den nicht sichtbaren Teil des Gartens.
KOMTESSE zu Lolo. Wie sonderbar, daß ich heute
zum allererstenmal Gelegenheit habe, Sie zu sprechen,
Fräulein. Ich freue mich sehr.
LOLO mit einem dankbaren Blick. Und ich erst, Gräfin.
Ich kenn' Sie natürlich schon lang vom Sehen. Ich
hab' oft in die Loge hinaufgeschaut.
KOMTESSE. Aber nicht zu mir.
LOLO. Ja, das ist jetzt vorbei.
KOMTESSE. Wissen Sie, Fräulein, daß ich eigent-
lich ein bissei gekränkt bin . . . für ihn.
LOLO. Gekränkt?
KOMTESSE. Es wird ein harter Schlag für ihn
sein. Ich weiß am besten, wie sehr er an Ihnen ge-
hangen ist. Wenn er mir auch nie was erzählt hat.
LOLO. Ja, glauben Sie nicht, Gräfin, daß es mir
auch schwer ankommt ? Aber ich bitt' Sie, Gräfin,
was bleibt einem schließhch übrig? Ich bin auch
nicht mehr die Jüngste, nicht wahr? Und man will
doch endlich in geordnete Verhältnisse kommen.
So lang ich einen Beruf gehabt hab', da hab' ich mir
erlauben können — wie sagt man das nur — freieren
Anschauungen zu huldigen. Es hat gewissermaßen mit
zu meiner Stellung gehört. Aber jetzt, wo ich mich ins
Privatleben zurückzieh', wie schauet denn das aus ?
40
KOMTESSE. Ja, das seh' ich vollkommen ein.
Aber was wird er jetzt anfangen?
LOLO. Vielleicht, daß er doch auch heiratet. Ich
sag' Ihnen, Gräfin, da gibt's noch viele, die sich alle
fünf Finger . . . glauben Sie nicht, Gräfin, daß es
für mich auch ein schwerer Entschluß war?
KOMTESSE. Wissen Sie, was ich manchmal ge-
dacht habe ? Ob er nicht vielleicht die Idee hat, Sic
zu seiner Gattin zu machen?
LOLO. Ja, er hat schon wollen, Gräfin.
KOMTESSE. Wie?
LOLO. Wissen Sie, wann er mich das letzte Mal ge-
fragt hat, Gräfin ? Es sind noch keine vier Wochen her.
KOMTESSE. Und Sie haben Nein gesagt?
LOLO. Ich hab' Nein gesagt. Es hätt' kein' gut ge-
tan. Ich als Frau Gräfin! Können Sie sich das vor-
stellen ? Ich als Ihre Stiefmama, Komtesse . . . Da
hätten wir nicht so gemütlich miteinander plaudern
können wie jetzt.
KOMTESSE. Wenn Sie wüßten, wie sympathisch
Sie mir sind . . .
LOLO. Aber ich will mich nicht besser machen,
als ich bin. Wer weiß, ob ich nicht doch . . .
KOMTESSE. Was denn?
LOLO. Die G'schicht' ist halt die: Ich hab' mich
so wahnsinnig in den Wasner verliebt. Sie werden
doch deswegen nicht schlecht von mir denken ? In
den ganzen achtzehn Jahren hab' ich mir gar nichts
gegen Ihren Herrn Papa vorzuwerfen gehabt. Aber
daß sich mit der Zeit die Leidenschaft ein bissei ab-
kühlt, das ist doch kein Wunder. Und eh' ich gegen
Ihren Herrn Papa . . . nein, nein Gräfin . . . dazu bin
ich Ihrem Herrn Papa doch zu viel Dankbarkeit schul-
dig. Jessas . . .
KOMTESSE. Was ist denn?
LOLO. Dorten steht er und schaut herein
KOMTESSE schaut bin.
WASNER am loT^ lüfut den Zylinder.
LOLO. Is nicht zu dumm, Gräfin, wenn ich ihn
so plötzlich seh', krieg' ich immer Herzklopfen. Ja,
wenn's eine Alte erwischt, da ist es am ärgsten.
KOMTESSE. Alt? Sie nennen sich alt? Wird
kein so großer Unterschied zwischen uns sein.
LOLO. Na ja. Blick.
KOMTESSE. Ich bin siebenunddreißig. Aber
schauen Sie mich nicht so mitleidig an. Es ist keine
Ursache. Absolut keine.
LOLO beruhigt. Man hat ja so allerlei gehört, Komtesse
... ich hab' es natürlich nicht geglaubt. Na, Gott sei
Dank, daß es wahr is. Händedruck.
KOMTESSE. Ich möcht' Ihrem Herrn Bräutigam
gleich gratulieren, wenn Sie erlauben.
LOLO. Nein, so was Scharmantes . . . aber wenn
der Herr Graf . . . vielleicht wär's ihm doch nicht
recht.
KOMTESSE. Liebes Fräulein, ich war immer ge-
wohnt, zu tun, was mir paßt. Beide »um Eingang.
WASNER. Küss' die Hand, Komtesse . . .
Indti sind Graf, Fürst und Philipp nieder zum Vorschein gekommen.
GRAF zum Fürsten. Da schau' hin.
WASNER. Küss' die Hand, Herr Graf, habe die
Ehre, Durchlaucht.
FÜRST ist aufgestanden. Hören Sie, lieber Wasner,
Sie können Ihre Braut gleich in Ihrem Zeugel mit
nach Haus führen, ich nehm' meinen Sohn in meinem
Wagen mit.
WASNER. Der Herr Sohn . . .
PHILIPP. Warum haben Sie mir denn das nicht
gesagt, Wasner, daß Sie verlobt sind ?
WASNER. Durchlaucht sagen einem ja auch
nichts! Herr von Radeiner!!
GRAF zu Lola. Also ich danke nochmals sehr für
Ihren freundUchen Besuch und wünsch' Ihnen das
allerbeste.
LOLO. Ich Ihnen auch, Herr Graf. Im übrigen,
wenn man so eine Tochter hat . . .
4*
KOMTESSE. Es ist schad*, daß wir uns nicht früher
kennen gelernt haben.
LOLO. Gräfin sind wirklich . . .
KOMTESSE. Liebes Fräulein Lolo, also nochmals
alles Gute! Sü umarmt sie.
GRAF h*trofftn, etwas gerührt.
LOLO. Also, Herr Graf, ich danke für den freund-
lichen Empfang — und jetzt adieu!
GRAF. Adieu, Fräulein Langhuber. Seien Sie
glückhch . . . Seien Sie glücklich, Lolo.
LOLO steigt in den Wagen^ der vorgefabren ist.
WASNER auf dem Bock, den Zylinder in der Hand. Sie
fahren weg.
KOMTESSE tankt nach.
GRAF steht in Gedanken.
PHILIPP und FÜRST suben vorn.
PHILIPP. Lieber Papa, ich durchschau' die ganze
Geschichte.
FÜRST. Na?
PHILIPP. Dieses Fräulein Lolo ist die natürUche
Tochter des Grafen, also eine Schwester der Komtesse,
ihre Milchschwester.
FÜRST. Stiefschwester nennt man das. Aber nur
weiter, Diplomat.
PHILIPP. Und sie lieben dich beide, selbstver-
ständHch. Die Komtesse und die Ballettänzerin.
Und diese Heirat zwischen der Balletteuse und dem
VVasner ist dein Werk.
FÜRST. Nur weiter.
PHILIPP. Du, Papa — das fällt mir allerdings
erst in diesem AugenbUck ein!
FÜRST. Was denn?
PHILIPP. Ich weiß nicht, ob ich's sagen darf?
FÜRST. Na, du bist doch sonst nicht so schüchtern.
PHILIPP. Wenn meine Mutter gar nicht tot wäre.
FÜRST. . Hm . . .
PHILIPP. Wenn es meine Mutter wäre, die so-
eben durch diese merkwürdige Verkettung der Um-
43
stände, in demselben Wagen, in dem ich heraus-
gekommen bin, in die Stadt hineinfährt? Wenn e«
meine eigene Mutter wäre, die ich aus der Zeitung
herausgeschnitten habe — ?
FÜRST. Bub', du wirst entschieden Minister,
wenigstens für Ackerbau. — Aber komm, wir müssen
uns jetzt auch empfehlen.
GRAF und KOMTESSE vom Eingang wieder zurück.
FÜRST. Also lieber Freund, jetzt heißt's leider
Abschied nehmen.
GRAF. Aber wollt Ihr nicht dableiben ... es war'
doch wunderschön . . . wenn ihr zum Frühstück . . .
FÜRST. Leider unmöglich. Wir haben eine Ver-
abredung beim Sacher.
GRAF. Das ist aber wirklich schad'. Und jetzt
sieht man sich den ganzen Sommer nicht.
FÜRST. Na, wir sind doch nicht außer der Welt.
GRAF. Und morgen reist ihr schon ab?
FÜRST. Ja.
GRAF. Wohin denn?
FÜRST. An die See, nach Ostende.
GRAF. So, nach Ostende. Da möcht* ich eigentlich
schon lang einmal hingehen.
FÜRST. Es wäre ja sehr nett —
GRAF. Na, was glaubst du, Mizzi, sein wir fesch.
Fahren wir auch nach Ostende.
KOMTESSE. Ich weiß noch nicht. Du kannst ja
jedenfalls, lieber Papa.
PHILIPP. Es war' wirklich scharmant, Gräfin, ich
tat' mich riesig freuen.
KOMTESSE lächelnd. Sie sind sehr liebenswürdig,
PhiUpp. Reicht ihm die Hand.
PHILIPP küßt ihr die Hand.
GRAF zum Fürsten. Es scheint, die Kinder gefallen
sich ganz gut.
FÜRST. Kommt mir auch so vor. Also adieu.
Adieu, liebe Mizzi, adieu, lieber, alter Freund. Dich
hoff ich ja jedenfalls in Ostende wicderzusehea
44
GRAF. Sie wird schon mitkommen. Was Mizzi ?
Schließlich kann man sich auch an der See ein Atelier
mieten. Nicht wahr, Mizzi?
KOMTESSE schweigt.
FÜRST. Also nochmals auf Wiedersehen. Er reicht
beiden die Hand.
PHILIPP küßt der KomUsse nochmals die Hand.
GRAF reicht Philipp die Hand. Es hat mich wirklich
sehr gefreut.
FÜRST, PHILIPP ab. Der Wagen ist vorgefahren, sie
tteigen ein und fahren fort.
Graf, Komtesse kommen nach vorn, setzen sich an den Tisch unter
den Baum, Pause.
GRAF. Merkwürdig ist so ein Tag.
KOMTESSE. Ja, das Leben ist überhaupt merk-
würdig, man vergißt's nur manchmal.
GRAF. Da kannst schon recht haben, Mizzi.
Pause.
KOMTESSE. Weißt du, Papa, du hättest uns wirk-
lich früher miteinander bekannt machen können.
GRAF. Wieso ? Ali, dich und . . .
KOMTESSE. Mich und die Lolo. Eine so liebe
Person.
GRAF. Hat s' dir gefallen ? Na ja, wenn man immer
gleich wüßt'. , . Was soll man machen ? Jetzt ist's halt aus.
KOMTESSE nimmt seine Hand.
GRAF subt auf und küßt sie auf die Stirn. Macht ein paar
Schritu bin und her. Was sagst du übrigens, Mizzi, zu . . .
wie g'fallt dir der Bursch?
KOMTESSE. PhiHpp? Ein bissei frech.
GRAF. Ja, frech, aber fesch. HoffentHch bleibt er
beim Militär. Das ist doch eine vernünftigere Karriere
als Diplomatie. Langsam, aber sicher. Wenn man's er-
lebt, so wird man General. Aber mit der politischen
Karriere . . . Schau' dir den Egon an . . . dreimal war'
er beinah Minister geworden . . . Und wenn er's schon
geworden war' ? Auf und ab. Ja, ja . . . ein bissei einsam
wird's in dem Sommer werden bei uns.
45
KOMTESSE. Du willst doch nach Ostende fahren,
Papa?
GRAF. Ja, sag' . . . möchtest du wirklich nicht mit-
fahren ? Es war' doch wirklich . . . weißt du, ohne dich
. . . Du brauchst mich nicht so anzuschaun, ich weiß
schon, ich hab' mich nicht so viel um dich gekümmert
in den Jahren, als ich eigentUch . . .
KOMTESSE seine Hand nehmend. Aber Papa, du wirst
dich doch nicht entschuldigen ? Ich begreif es voll-
kommen.
GRAF. Na ja! Aber siehst du, ohne dich wird mir
die ganze Reise keine Freud' machen. Und was willst
du denn so allein da heraußen tun ? Den ganzen Tag
malen ?
KOMTESSE. Die Geschichte ist nur die . . . der
Fürst hat um meine Hand angehalten.
GRAF. Wie ? Ist es möglich ? Nein, geh . . . Und
. . . und du hast Nein gesagst ?
KOMTESSE. Ungefähr.
GRAF So.. Na ja... Schließlich, ich hab' dir
nie in was dreingeredet. Wie du meinst . . . Aber
eigentlich weiß ich nicht recht, warum. Ich hab' schon
lang bemerkt, daß er . . . Im Alter würdet ihr nicht
schlecht zusammenpassen. Und was die sonstigen
Verhältnisse anbelangt . . . Sechzig Millionen sind
auch nicht grad zu verachten. Aber wie du meinst.
KOMTESSE scbfoeigt.
GRAF. Oder ist es am Ende wegen des Buben ?
Ich bitt' dich, das war' übertrieben. So was kommt
in den besten Familien vor. Und besonders wo seine
Frau doch immer mit dem Herzen zu tun gehabt hat.
. . . Plötzlich wird man in so eine Affäre hineingerissen,
weiß selbst nicht, wie.
KOMTESSE. Und man läßt dann so eine arme
Person aus dem Volk sitzen und zu Grund gehn.
GRAF. Also bitt' dich, das steht doch nur so in den
Büchern. Was kann denn er dafür ? Diese Frauen-
zimmer sterben ja leider meistens früh. Und wer
46
weiß, wenn sie nicht gestorben war', ob er nicht . .
Das find' ich doch eigentlich sehr hübsch von ihm,
das mit dem Buben. Es gehört doch Courage dazu.
Ich könnt' dir manchen nennen . . Na, reden wir
nicht davon. Also, wenn das das Einzige ist, was gegen
ihn spricht . . . Und übrigens so ein Zusammensein
in Ostende verpflichtet doch zu gar nichts.
KOMTESSE. Das ist schon wahr.
GRAF. Na also. Ich werd' dir was sagen. Du be-
gleitest mich einfach hin. G'fallt's dir, so bleibst du.
Wenn nicht, so fahrst du vielleicht hinüber nach Lon-
don zur Tant' Lori. Ich mein' nur, es hat so gar keinen
Sinn, daß du mich allein fortfahren läßt.
KOMTESSE. Also schön.
GRJF. Wieso?
KOMTESSE. Ich fahr' mit dir, Papa. Aber ohne
jede Verpflichtung. Ganz unverbindlich.
GRJF. Du fahrst mit mir?
KOMTESSE. Ja, Papa.
GRJF. Da bin ich wirklich sehr froh. Ich dank'
dir, Mizzi.
KOMTESSE. Aber dank' mir doch nicht, Papa.
Ich tu's ja gern.
GRJF. Du kannst dir gar nicht vorstellen . . ohne
dich, Mizzi . . . Die Erinnerungen, grad heuer .
Du weißt doch, daß ich im vorigen Jahr mit der Lolo
in der Normandie gewesen bin ?
KOMTESSE. NatürUch weiß ich . .
GRJF. Und im übrigen, was den Egon anbelangt
. . . ohne daß ich dir weiter zureden will . an so
einem fremden Ort lernt man sich manchmal in ein
paar Tagen besser kennen als zu Haus in Jahren.
KOMTESSE. Es ist ja abgemacht, Papa, ich reis'
mit dir. Was das übrige anbelangt, reden wir nicht
davon . . . vorläufig.
GRJF. Also, weißt du was, ich telephonier' gleich
zum Schenker wegen Schlafwagen für übermorgen
oder für morgen.
47
KOMTESSE. So eilig?
GRAF. Na, was hat das für einen Sinn, noch da
herumsitzen, wenn wir einmal entschlossen sind.
Also ich telephonier' . . . Ist's dir recht ?
KOMTESSE. Ja.
GRAF umarmt sie.
PROFESSOR WINDHOFER erscheint im Gartentor.
GRAF. Ah, da kommt ja dein Professor. Hast du
denn heut Stund' ?
KOMTESSE. Ich hab' auch ganz vergessen.
PROFESSOR WINDHOFER, schöner, ettva fünfund-
dreißigj übriger Mann, sehr elegant, grauer Gehrock, blonder Spitx-
bart. Er nimmt beim Eintritt in den Park den Hut ab, kommt nach
vorn. Guten Tag, Gräfin. Guten Tag, Herr Graf.
GRAF. Guten Tag, lieber Professor, wie geht's ?
Sie entschuldigen, ich muß grad telephonieren, weil
wir nämlich abreisen.
PROFESSOR WINDHOFER. Sie reisen ab ? Bitte,
lassen sich Herr Graf nicht stören.
GRAF. Ich seh' Sie wohl noch, lieber Professor.
Ab ins Haus.
PROFESSOR. Sie reisen ab, Gräfin?
KOMTESSE. Ja, nach Ostende.
PROFESSOR. Das ist aber ein ziemlich plötzlicher
Entschluß.
KOMTESSE. Ziemlich. Das ist schon so bei mir.
PROFESSOR. Da wird's ja wohl für heuer mit den
Stunden aus sein ? Schade.
KOMTESSE. Ja, ich werd' auch heute kaum mehr . .
ich fühl' mich ein bißchen abgespannt.
PROFESSOR. So . . . Sie sind auch etwas blaß,
Maria.
KOMTESSE. Finden Sie?
PROFESSOR. Wie lange wollen Sie denn fortbleiben ?
KOMTESSE. Vielleicht bis zum Herbst — vielleicht
bis sehr spät in den Herbst hinein.
PROFESSOR. So werden wir unsere Stunden also
wohl erst im November wieder aufnehmen?
48
KOMTESSE lächelnd. Ich glaube nicht.
PROFESSOR. Sie glauben nicht ? . . . Sehen einander an.
KOMTESSE. Ich glaube nicht . . .
PROFESSOR. Also ... ich bin entlassen, Maria.
KOMTESSE. Wie kann man sich so ausdrücken,
Rudolf? Es ist wirklich nicht sehr nett.
PROFESSOR. Verzeih'. Es ist doch ein bißchen
rascher gekommen, als ich gedacht habe.
KOMTESSE. Besser, als wenn es zu langsam kommt.
Glaubst du nicht ?
PROFESSOR. Ich bin fem davon, dir einen Vor-
wurf zu machen, Kind.
KOMTESSE. Hast auch wirklich keinen Grund.
War's nicht schön ? Reicht ihm die Hand.
PROFESSOR küßt ihr die Hand. Du bist wohl so gut,
mich dem Grafen zu empfehlen.
KOMTESSE. Du gehst gleich . . . ?
PROFESSOR Uicbt. Ist es nicht das Beste?
KOMTESSE nach einer Pause, ihm in die Augen schauend.
Glaub' schon. Sie drücken einander die Hand.
PROFESSOR. Leben Sie wohl, Maria.
KOMTESSE. Leb' wohl . . . Und grüß' mir deine
Frau und die Kinder.
PROFESSOR. Werd's ausrichten, Gräfin. Ab.
KOMTESSE bleibt eine Weile stehen, siebt ihm nach.
GRAF auf der Terrasse. Schon in Ordnung. Morgen
abend Abfahrt 9 Uhr 30, Westbahn. Wo ist denn der
Professor ?
KOMTESSE. Ich hab' ihn fortgeschickt.
GRAF. So ? — Und was glaubst du, wer das Coupi
zwischen meinem und deinem hat . . . Der Egon und
sein Herr Sohn. Das wird eine Überraschung sein.
KOMTESSE. Na . . . riesig. Ab, auch ins Haus.
Vorbang.
Theatentfleke. IV, 4
DER JUNGE MEDJRDUS
Dramatische Historie in einem Forspiel
und fünf Aufzügen
PERSONEN
FRANZISKA KLAHR, BucbbändUrswitm
MEDARDUS, 1 .^ ^. .
AGA<IHE, ]^^'^^-^'^
JAKOB ESCHENBACHER, ihr Buder, SattUrmtisUr
KARL ETZELT, GescbäftsUiUr dtr Buchhandlung
BERGER, DrechsUrmeisUr
FRAU BERGER
ANNA, ihre Tochttr
HERR FÖDERL
FRAU FÖDERL
FRAU GRINZINGER
BRADL, \
SCHREUBLER, \ WUntr Bürger
STIEFLER, I
WACHSHUBER, Delikatesunbändler
FRAU WINKLER
LEOPOLDINE, ibri TocbUr
BERTA
KRIBBLING,
WINTER,
RABENAU,
^iViki^^' \ Studenten, jetzt bei der Landwehr
LiLlßUL 1 ,
BERNBURG,
SCHELLBACHER,
PLANK,
ELISABETH
MARIE
ROSERL
BARGETTI, Hauptmann ]
SCHÖFFMANN, Leutnant \ beider bürgerlichen Müix
DOKTOR JOLSDORF, Leutnant]
BÜDINGER, Amt
DER URALTE HERR
SEINE URENKELIN GRETEL
EIN ELEGANTER HERR
$«
SEINE FRAU
KREUZHJRTINGER, Landmann aus PeUrsdorf
SEINE FRAU
EIN BETTLER JUS ASPERN
EIN TOTENGRÄBER
DER BUCHHANDLERGEHILFE
DIENSTMÄDCHEN BEI KLAHR
EIN KORPORAL DER BÜRGERWACHE
KERKERMEISTER
WIRT IN DER DONAUSCHANKE
DREI GESELLEN ESCHENBACHERS
CHRISTOPHE BERNARD, EHEMALIGER HER-
ZOG VON VALOIS
MARIE HORTENSE, EHEMALIGE HERZOGIN
VON VALOIS
HELENE, '}'^'^»'"'«'
NERINA, Kammermädchen
DER MAROUIS VON VALOIS
DE SO LT EU X
CAILLARD
RENAULT
DAGUSAN
LAFFRATE
DOKTOR ASSALAGNT
DER GENERAL RAPP
TREMBLT, Major
DERUE, Rittmeister
EIN RITTMEISTER DER FRANZÖSISCHEN
GARDE
EIN LEUTNANT DER FRANZÖSISCHEN GARDE
EIN BAYRISCHER LEUTNANT
EIN BATRISCHER KORPORAL
EIN VERTRAUTER DER ÖSTERREICHISCHEN
POLIZEI
EIN MAGISTRATSBEAMTER
WIENER BÜRGER, BÜRGERINNEN UND KIN
DER
53
OFFIZIERE UND MANNSCHAFTEN DER BÜR-
GERLICHEN MILIZ
LANDWEHR
FRANZÖSISCHE GARDISTEN
FRANZÖSISCHE SOLDATEN ANDERER TRUP-
PENGATTUNGEN
ERSTER DIENER \ , . „
ZWEITER DIENER ] *"" """""^ "^ ^'^"
ST. MARSf Adjutant des Marschalls Lannes
EIN FRANZÖSISCHER TROMPETER
Wien 1809
VORSPIEL
Erste Szene
Zimmer im Hause der Bucbbändlerswitwe Franziska Kläbr. Ge-
räumig, bürgerlich, behaglich. Im Hintergrund etwas erhöhter Erker
mit ausgebauchum Ftnster. Blick auf Basteien und Türme der Vor-
stadt. Türe ins Vorzimmer rechts vorn. Andre Tür linke Wand
Mitte. Links hinten in der Ecke Ofen mit Figur. Zwischen Ofen
und Türe Kommode mit Spiegel darüber. Rechte Wand: Spinett,
anschließend Stellage mit Noten und Büchern. Hintere Wand rechu
und links vom Erker je ein hoher Wandschrank. — In der Mitte des
Zimmers großer Tisch, Stühle ringsherum; im Erker Tischchen, ein
Sessel. — Gegen Abend.
AGATHE KLJIIR, i8 Jährt alt, ernstes, etwas blasses
Antlitz, im Erker sitzend, beschäftigt ein Taschentuch zu säumen.
ANNA BERGER um ein Jahr jünger, kleiner, recht lebhaft,
tritt ein, von rechts.
ANNA. Guten Abend, Agathe.
AGATHE. Bist du's, Anna ? Ich freue mich, daß
du kommst.
ANNA. Es ist schönes Wetter draußen, ganz warm
'beinah.
AGATHE. Ich hab' das Fenster offen gehabt bis
jetzt. Rück' den Stuhl zu mir, ich bin bald fertig.
Kommst du von Haus ? Wie geht's Vater und Mutter ?
ANNA hat einen der Stühle näher zu Agathe gerückt und setzt
sich. Vom Vater sehn wir schier nichts den ganzen
Tag. Der ist mehr auf der Straße als zu Haus oder im
Geschäft.
AGATHE lächelnd. Es ist eine gute Zeit für ihn!
Neuigkeiten Stunde für Stunde.
ANNA. Und welche! Die Leute stehn zusammen
und reißen einander die Zeitungsblätter aus der
Hand. Nun heißt es doch wieder, daß wir die Fran-
zosen in vier Wochen vor den Toren haben werden.
AGATHE in der Absicht zu scherzen. . . . Wenn CS dem
Medardus nicht gelingt, sie aufzuhalten . . .
ANNA. Er ist noch nicht daheim?
SS
AGATHE. Nein. Pause.
ANNA. . . . Der Vater sagt, es war nicht so schlimm
vor vier Jahren. Sie sollen sich gar nicht so übel auf-
geführt haben, die Herren Franzosen. — Vier Jahre!
Mir ist's, als war' es viel länger her, und als war' es
eigentlich eine ganz lustige Zeit gewesen. Immer gab's
was zu sehen . . . Die schönen Uniformen ! Erinnerst
du dich noch an die französischen Soldaten mit den
langen Kapuzinerbärten ? Ich glaube, Tag und Nacht
marschierten Regimenter durch die Stadt! Und gar,
wie unser Kaiser zurückkam, das Gedränge und die
vielen Lichter in den Fenstern ! Weißt du noch ? . . .
Freilich waren wir noch Kinder damals. — Arbeit' nur
weiter. Stört dich mein Geplauder ? . . .
AGATHE. O nein, gewiß nicht.
ANNA. Soll ich nicht die Lampe anzünden?
AGATHE. Ich seh' genug, bin auch gleich fertig.
Sieh, Taschentücher für Medardus sind's. Nun wäre
das letzte gesäumt. War höchste Zeit.
ANNA. Wo bleibt er denn so lang?
AGATHE. Weiß man je, wo mein Bruder Medardus
bleibt ?
ANNA. Aber heute müßt' er doch zeitlich zu Hause
sein, dächt' ich, da sie morgen mit Sonnenaufgang fort-
marschieren, alle sechs Bataillone!
AGATHE. Morgen. Und der Medardus hat sich
schon für heute abend eine Kutsche bestellt.
ANNA. Eine Kutsche ? — Für heute abend ? . . .
Fährt die Landwehr per Wagen ins Feld ?
AGATHE. Sie haben noch ein Gelage irgendwo, er
und etliche seiner Kameraden von der Universität, eh'
sie abmarschieren.
ANNA seufzt.
AGATHE. Nicht traurig sein, Annerl! Er %vird
sicher zurückkommen, wenn's Gott will, heil und
gesund, und am Ende gar mit einem Orden auf der
Brust.
ANNA. Ich wollte, er bliebe daheim.
AGA7HE. Da war' er nicht der Medardus, den du
lieb hast.
ANNA. Könnt' er nicht auch in der Stadt mili-
tärischen Dienst versehen ?
AGATHE. Dazu haben wir die Bürgermiliz.
ANNA. Nicht die allein. Von jedem Bataillon
bleiben fünfzig oder mehr zurück in der Stadt.
AGATHE. Ja, die schwächlich sind oder marod.
ANNA. Nein, auch andre, ganz gesunde und kräf-
tige. Zwischen manchen hat das Los entscheiden
müssen. Es wollten ja alle mit ins Feld. Mir hat's der
Vater erzählt, er war heut vormittag zur Parade auf
dem Glacis.
AGATHE. Für den Medardus aber hätte nichts
Besseres kommen können als der Krieg. Zu den Sol-
daten gehört er hin.
ANNA. Warum gerade dorthin ? Hat er nicht sehr
wacker studiert in diesen letzten Jahren?
AGATHE. Recht viel . . . Und alles durcheinander,
wie so seine Art ist.
ANNA. War doch sogar eure Mutter leidlich zu-
frieden mit ihm.
AGATHE. Wenn er nicht gerade andres trieb, was
weder der Mutter recht war, noch dir.
ANNA. Denkst du an EHsabeth ? . . . Das ist längst
vorbei . . .
AGATHE. Ja, das ist freilich vorbei.
ANNA. Sie hat sich auch recht geschwind getröstet,
weißt du nicht ? . . . Sie war seiner nie wert . . .
AGATHE. Nun laß es gut sein, Anna. Es wird dem
Medardus nichts Übles geschehn draußen im Feld.
Ich fühl's!
ANNA. Beruf es nicht, Agathe, beruf es nicht.
AGATHE ernst. Und wenn es anders kommt . . .
Annerl ? Es ist wohl nicht das SchUmmste, jung dahin
zu gehn, und für was Hohes, Heiliges ! Wissen wir denn,
Anna, du und ich, was uns bestimmt sein mag . . . und
andern, die uns lieb sind?
57
ANNA. Ach, Agathe!
AGATHE. Wie leicht kann's geschehn, daß ich
oder du oder sonst wer, der sich so recht geborgen fühlt
und in guter Hut, eher von hinnen muß, als mancher
von denen, die morgen ausziehen.
ANNA. Was ist denn das für ein sonderbares Reden,
Agathe? Du machst mir ja angst! Was gibt's denn,
Agathe, sag' doch. Ist's was mit dem Franz ? . . . Du
sprichst gar nicht von ihm, schon so viele Tage lang.
Und seit Wochen hab' ich ihn bei euch nimmer gesehn.
Ich wollte dich nicht fragen, aber da du dich so seltsam
vernehmen läßt . . .
AGATHE. Wie soll er hierher kommen? Unser
Haus ist ihm verboten, du weißt's ja, bis er nicht als
Werber erscheint in seiner hochgeborenen Eltern Be-
gleitung.
ANNA. Aber ihr seht einander doch insgeheim ? . . .
Du wirst mir's nicht ableugnen ! Sag' doch, was hat
er dir angetan ?
AGATHE. Mein Franz, mir ? Er mir was angetan . . !
Du fragst mich so und willst ihn kennen ?
ANNA. Warum also schaust du so trüb drein?
Wenn er nur in Treuen zu dir hält, so kann euch nichts
Übles geschehn. Mußt eben ein wenig warten. Gott,
das muß ich auch. Und vielleicht vergeblich.
AGATHE. Warten ? wenn's nur das war' !
ANNA. Oder ist's, weil er von so hoher Abkunft ?
Das will ja nicht viel bedeuten. Sein windiger Adel
ist weniger wert als euer gutes Bürgertum.
AGATHE. Windiger Adel ? . . . Als wüßtest du
nicht, daß sein Vater des festen Glaubens ist, ihm ge-
bühre die Krone von Frankreich.
ANNA. Ja, das weiß ich wohl, und wissen alle.
Wissen aber auch alle, daß der Alte ein armer, doppelt
blinder Narr ist, der mit den Seinen jahrelang in
Deutschland von Stadt zu Stadt gezogen ist, überall
des Orts verwiesen wurde, bis ihm hier unser guter
Kaiser ein Asyl gewährte.
5«
AGATHE. Wir leben in einer wilden Zeit, Anna.
Und es könnte wohl auch einmal kommen, daß man
dem Bonaparte seinen Kaisertitel abspricht, wie er
dem Herrn von Valois den Herzogsrang. Und dies ist
und bleibt nun einmal wahr, er stammt aus dem glei-
chen Blut wie der unglückliche König Ludwig, den
«ie in Paris hingerichtet haben.
ANNA. Die Verwandtschaft machte mir bang an
deiner Statt. Es wundern sich manche, daß ihm
der Aufenthalt bei uns noch immer gestattet wird.
Mein Vater meint, es sei auch nur deshalb, weil
er eben ein Narr sei und nichts andres. Hab' ich dir
nicht erzählt, neulich, am vorigen Sonntag war's, ich
spazierte im Prater mit Vater und Mutter, da fuhren
sie an uns vorüber in ihrer alten rumpligen Karosse,
den Kutscher mit der verstaubten silbernen Livree
auf dem Bock. Und weißt du, was die Leute sagten ? .
Da fährt der blinde Narrenherzog . . . Dein süßer
Prinz aber sah zart aus, rot und weiß, wie ein junges
Mädchen.
AGATHE. Und seine Schwester? . . .
ANNA. Oh, die blickte gar stolz drein. Und schön
ist sie!
AGATHE. Ja — stolz und schön!
Jakoh Eubenbacber tritt ein von rechts {fünfzig Jahre, großer, hreit-
scbulteriger Mann, nicht ganz ergrautes, volles Haar. Humoristisch,
gutmütig, nicht ohne Ironie). Agathe. Anna.
ESCHENBACHER. Guten Abend.
AGATHE. Grüß' Gott, Oheim.
ANNA. Guten Abend, Meister Eschenbacher.
ESCHENBACHER. Es plaudert sich wohl gut im
Dunkeln. Stör' ich euch, Kinder?
AGATHE. Was fäUt dir ein, Oheim?
ESCHENBACHER. Die Mutter noch nicht da-
heim ?
AGATHE. Sie muß bald da sein.
ESCHENBACHER. Besorgt wohl noch etliches
für euren Landwehrmann?
59
AGATHE. Ja, auch das. Wie die Leute nun einmal
sind, man kann sich gar nicht verlassen.
ESCHENBACHER. Sei nicht zu streng, Agathe.
Die Handwerksleute haben jetzt alle viel zu tun. Ich
hab' mich auch nur auf eine Stunde frei gemacht. Und
dann gleich wieder zurück in mein Geschäft, wo ich
wohl die halbe Nacht durcharbeiten muß mit meinen
Gesellen.
ANNA. Beim Vater gibt's weniger Arbeit, Meister
Eschenbacher.
ESCHENBACHER. Ja, nach Pfeifenköpfen und
Schachfiguren ist jetzt wohl geringre Nachfrag' als
nach Zaum, Sattelzeug und Peitschen. Und überdies,
wer den Meister nicht daheim findt, schaut gern ein
Haus weiter. Er bat sieb ans Spinett gesetzt und schlägt bei-
läufig einige Tasten an.
AGATHE. Nun wird's aber Zeit, den Tisch zu
decken. Sie müssen doch bald daheim sein, die Mutter
und Medardus. Zum Scbrank, nimmt das Nötige heraus und
beschäftigt sich dann damit^ den Tisch xu decken.
ANNA. Ich will dir Licht machen, Agathe. Zündet
die Hängelampe über dem Tisch an.
AGATHE. Du ißt doch einen Bissen mit uns,
Oheim ?
ESCHENBACHER. Wenn's erlaubt ist. Man
möchte doch auch am Abschiedsschmause teilnehmen.
Nicht ohne Bedeutung. Gibt's sonst neues im Haus, Agathe ?
AGATHE. Nichts, Onkel, nichts.
ANNA. Sie haben sich just so hingesetzt . . . Wollen
Sie uns was vorspielen auf dem Spinett ? Ich habe
Sie so lange nicht gehört, Meister! Wann war's nur
das letztemal . . ? Im verflossenen Winter. Am ersten
Weihnachtsfeiertag. Ich weiß noch.
ESCHENBACHER. Und der Himmel straf mich,
wenn ich seither eine Taste angerührt hab'. Wo soll
unsereins die Zeit dazu hernehmen ? Schlägt ein paar Tasten
an. Übrigens ist es auch ein wenig verstimmt. Hat
wohl schon lange kein junger Prinz darauf gespielt.
ANNA. Merkt man das gleich einem Instrument an ?
ESCHEN BACHER mit tintm Blick auf Agathe. Nicht
eben dem . . . Er spielt.
Frau Franziska Kläbr tritt ein. {Frau von etwas über vierzig^ noch
ziemlich jugendlich aussehend, bestimmt, aber nicht ohne Weichheit,
mit bellen Augen, gleich ihrem Bruder, kommt mit Päckchen, die
sie beiseite legt). Agathe. Anna. Eschenbacber.
FRAU KLAHR. Guten Abend, Bruder. Guten
Abend, Annerl. So, da hätten wir alles. Hilf mir,
Agathe.
AGATHE. Soll das alles in den Tornister hinein ?
FRAU KLÄHR. Zum Teil in das kleine Koffer-
chen, das mit dem Transporte nachkommt.
AGATHE. Hier sind auch die Taschentücher.
FRAU KLAHR. Nun Bruder, warum hörst du zu
•pielen auf?
ESCHENBACHER. Es ist doch eine zu wehmütige
Melodie.
ANNA. Paßt eben recht für die Gelegenheit. Sonst
hätten Sie sie wohl nicht gespielt.
ESCHENBACHER. Warum denn ? Ich kann das
eine so wehmütige Gelegenheit nicht finden, daß ein
junger Held in den Krieg zieht. Meiner Seel', ich
möcht' ihn fast beneiden.
FRAU KLAHR. Du, Jakob ?
ESCHENBACHER. Es ist doch zum mindesten
eine Abwechslung.
FRAU KLAHR. Ja freilich. Du nimmst es so. Ich
hätte mir's denken können.
ESCHEN BACHER sehr gutmütig. Bin dir wohl wieder
nicht patriotisch genug, Schwester? Wenn ich dir
nun sagte, daß mein miUtärisch Gewand frisch auf-
gebügelt ist und der Säbel blank geputzt . . .
FRAU KLAHR. War' Ueber dein Herz bei der
Sache!
ESCHEN BACHER ernst. Es war' schon dabei, wenn
die Menschen so wären, wie's die Sache verlangt . . .
FRAU KLAHR. Wie bist du doch ungerecht,
6i
Jakob! Hast du gehört, daß sich der Georg Käsmann
erschossen hat? Der Schuster vom tiefen Graben.
Weil ihn das Los traf, daß er hätt' müssen daheim
bleiben !
ESCHENBACHER. Ja, es gibt schon solche auch.
Aber ob's eben die klarsten Köpfe sind . . ? Und die
besten Schuhmacher ?
FRAU KLÄHR. Wärst du doch eben mit mir ge-
wesen! das Treiben in den Straßen, Bruder! und die
Begeisterung überall!
ESCHEN BACHER. Ja, ich kenn' welche, die aus
lauter Begeisterung ihre Arbeit stehn und liegen lassen
und überhaupt nur mehr spazieren gehn.
FRAU KLÄHR. Jetzt bin ich grad am Wirts-
haus zur Tabakspfeife vorüber gekommen, da sitzen
viele an den offenen Fenstern bei Bier und Wein . . .
ESCHENBACHER. Das glaub' ich dir aufs Wort.
FRAU KLÄHR. Hör' mich doch weiter. Einer
fing an ein Lied zu singen. Das schöne von Collin.
Weißt du, das sie neulich im Nationaltheater gesungen
haben. „Habsburgs Thron wird dauernd stehn."
ANNA. „Ostreich wird nicht untergehn."
FRAU KLÄHR. Ja, das war es. Und da sind ein
paar Leute draußen stehn geblieben, haben mit-
gesungen, dann immer mehr, am Ende waren's gewiß
über hundert, die sangen alle mit . . . Man muß es
ja durch die halbe Stadt gehört haben. Das war echt,
Bruder. Und nicht mir allein sind die Tränen ge-
kommen.
ESCHEN BACHER. Glaub' schon, daß es echt war.
Ich hab' schon allerlei Echtes erlebt in Wien und von
der verschiedensten Art. Erinnerst du dich noch vor
vier Jahren, wie die Franzosen herangerückt sind und
unser Kaiser Wien verlassen hat ? Wie sie sich damals
das Maul zerrissen haben, deine dynastisch fühlenden
Wiener! Mancher sprach nicht viel besser als ein
Hochverräter. Und dann, wie der Kaiser zurückkam
nach geschlossenem Frieden, — der Jubel, die Illu-
6a
mination, das Glück! War alles echt. Das Getchimpf
gradso wie die Lichter. Und gib nur acht. Kaum
rücken die Franzosen nahe heran . . . stehen in St.
Polten oder Wiener Neustadt, so wird's genau so gehen,
wie's damals gegangen ist. Bürgermeister und Fürst-
Erzbischof werden ihnen demütigst entgegen spa-
zieren und ihnen die Schlüssel der Stadt übergeben;
— und wenn sie hereinmarschieren, wird's ein großes
Geschau' und Getu' geben, gradso wie damals. Jung
und Alt — besonders die Jungen; Herren und Damen,
die Damen besonders — werden entzückt sein von den
tapfern Fremdlingen ; — und wenn wir uns so brav auf-
führen wie damals, kann uns auch wieder die gleiche
hohe Ehre werden, und wir empfangen ein höchst
eigenhändiges Belobigungsschreiben des Kaisers Napo-
leon. Und die guten Leute werden mit offenen Mäu-
lem an den Straßenecken stehn und es lesen und sich
höchlichst geschmeichelt fühlen.
FRAU KLAHR. Wo steht's geschrieben, daß die
Franzosen wiederkommen? Ich glaub' nicht dran.
Hat sich viel geändert seit vier Jahren. Tirol hat sich
frei gemacht. Und in Deutschland draußen soll sich's
nun an manchen Orten regen — Auf eine Bewegung
Escbenbacbers. Sie müssen doch endlich zur Besinnung
kommen . . unsre Brüder draußen! — Die gehören
doch am End' zu uns und nicht zu den Franzosen.
Und bei Ingolstadt haben unsre Truppen standgehalten.
ESCHENBACHER. Gestern hat's noch geheißen,
es war ein Sieg. Standgehalten klingt schon beträcht-
lich bescheidener . . .
AGATHE die indes gefacht bat. Nun ist alles beisammen.
ESCHENBACHER. Fehlt nur der Medardus selber.
FRAU KLAHR. Er will sich wohl nicht viel Zeit
lassen zum Abschied nehmen. Seit heut früh hab' ich
ihn nicht gesehn. Am letztenTag! — Wir werden noch
froh sein müssen, wenn er zur Nacht mit uns speist.
ANNA. Jetzt wird Ihnen wohl auch schwer ums
Herz, Frau Klähr.
63
FRAU KLAHR. Nicht eben leicht, aber schwer
auch nicht. Denn diesmal glaub' ich, ist ei auf dem
rechten Weg. Nun kann er sein unbändig Wesen walten
lassen, und es ist doch nicht ins Leere und Wüste. Zu
Anna. Indes steht Agathe hei Escbenbacher. Und da wir eben
von ihm reden, Annerl, ich an deiner Stelle schlug'
mir eine gewisse Sache endgültig aus dem Kopf.
ANNA. Welche denn?
FRAU KLAHR sehr mild. Du weißt schon, Annerl.
Medardus ist ja doch nicht der rechte Mann für dich,
wenn er überhaupt für eine der rechte ist. Und nun,
da er fortgeht, solltest du dir gleich bewußt werden,
in welcher Art du seiner zu denken hast. Sollst es
spüren und wissen, daß du keinen — Bräutigam ziehn
läßt, sondern einen lieben Spielkameraden aus der
Kinderzeit.
ANNA. Verzeihen Sie, Frau Klähr, aber das ist doch
wohl meine Sache allein. Wenn ich mich sehne, wenn
ich warte, spürt wohl kein andrer mein Leid als ich.
Und noch eins will ich Ihnen sagen, weil ich doch
schon so vorlaut bin. Grad für einen wie es der Me-
dardus ist, trifft sich's gut, daß eine da ist wie ich,
die sich geduldet und bereit ist, ihn aufzunehmen,
wann er auch heimkehrt und woher immer.
FRAU KLAHR. Ach Kind, du redest, wie man
in Büchern redt. Das habt ihr wohl noch von eurem
Komödiespielen, wo du immer die edeln Fräuleins ge-
macht hast und Medardus die kühnen und gefähr-
lichen Rittersleute. — Was ist's denn, was du da spiekt,
Bruder?
ESCHENBACHER am Spinett. Kommt mir just so
aus den Fingern. Weiß selber nicht recht, was es ist.
FRAU KLAHR. Die Melodie, Bruder, die fordert
ein andres Instrument, da wünscht man sich Trommeln
und Pfeifen dazu. Es möchte ja beinahe ein kriege-
rischer Marsch sein.
ESCHENBACHER. Möchte wohl und weiß es
•eiber nicht.
ANNA. Wahrhaftig, Meister Eschenbacher, wenn
ich die Augen schließe, so seh' ich ein ganzes Regiment,
strahlend in Waffen, der Erdboden zittert und dröhnt.
ESCHENBACHER lachend. Und ein gar gewaltiger
Krieger mit Namen Medardus Klähr schreitet voran.
Medardus {tritt ein in der Uniform eines Landwebrmannes, ai Jakre,
schön und frisch). Agathe. Anna. Escbenbacber. Frau Klähr.
MEDARDUS. Guten Abend.
FRAU KLÄHR. Nun, das ist er endHch. Wir
haben schon gemeint, du seist ohne Abschied fort.
MEDARDUS. Mach' mich nicht schlimmer als ich
bin, Mutter. Er nimmt ihre Hand und küßt sie. Grüß' Gott,
Oheim ! Annerl, du auch ? Er streichelt ihre Wange. Nun,
Agathe, wie geht's ? Nimmt sie beim Kopf und küßt sie auf
die Stirn. Doch nicht traurig am End' ? Leist zu ihr.
Nicht um meinetwillen mein' ich natürlich.
FRAU KLÄHR. Schau' nach dem Essen, Agathe.
AGATHE ab, kommt sehr bald wieder herein.
ESCHENBACHER. Du siehst nicht übel aus.
MEDARDUS. Du siehst mich doch heute nicht
zum erstenmal so, Oheim ? Vier Wochen schon steck'
ich in dem Gewand.
ESCHENBACHER. Bist eben tüchtig hinein-
gewachsen in der Zeit.
MEDARDUS. Nun, was glaubt ihr, wer mich bis
ans Haustor begleitete und mir in den Ohren lag, bis
jetzt ? . . . mein Freund Bernburg. Er bot mir weiß
Gott was für Schätze, ich möchte nur tauschen mit
ihm. Er wollte es schon durchsetzen beim Obersten
Steigentesch. Er wollte mitmarschieren an meiner
Statt und ich sollte daheim bleiben. Bei den Depots.
Ich daheim — ! Weiß Gott, wären wir nicht so gut
Freunde, ich hätt' ihn . . .
FRAU KLÄHR. Hast du dir's auch wohl überlegt,
Medardus ?
MEDARDUS. überlegt, Mutter?
FRAU KLÄHR. Frag' dich einmal noch aufs Ge-
wissen, ob's dich ins Feld hinaustreibt mit aller Macht ?
TheatantUcke. IV. $ 65
ESCHENBACHER. Es könnte wohl auch in der
Stadt allerlei zu tun geben.
MEDARDUS. Ich danke bestens, Oheim. Für die
Bürgermiliz fühl' ich mich noch zu jung.
ESCHENBACHER. Wir haben grad so junge, wie
du einer bist. Von meinen Gesellen sind zwei bei den
bürgerlichen Scharfschützen.
MEDARDUS. Habt ihr gehört, daß sich der Schuster
Käsmann erschossen hat, weil ihn das Los traf, dazu-
bleiben ?
ESCHENBACHER. Ja, die Kunde von der Helden-
tat hat uns deine Mutter nach Hause gebracht.
MEDARDUS. Wenn's auch keine Heldentat war,
aber zu versteh n vermag ich's wohl. Wer heute auf
dem Glacis mit dabei war . . .
ANNA. Bei der Parade, nicht wahr? Es muß er-
haben gewesen sein. Der Vater hat davon erzählt.
Auch bei Sankt Stephan war er, als man drin die Fahnen
weihte. Aber in die Kirche kam er nicht hinein.
ESCHENBACHER. Und hat nicht getan wie der
Käsmann ? und sich umgebracht ?
MEDARDUS. Ich aber war in die Kirche hinein-
kommandiert. Ganz vorn bin ich gestanden. Und
habe mit diesen meinen Augen gesehn, wie Ihre
Majestät Höchstselbst die Nägel einschlug in unsre
Fahnen und wie der Fürsterzbischof den Segen sprach
über sie. Wenn ich jemals etwas wie Andacht gefühlt,
in dieser Stunde ist's gewesen, Oheim. Und wie wir dann
zurück sind aufs Glacis unter kriegerischer Musik, und
der Kaiser war dort und der ganze Hof und die Erz-
herzöge alle und wir geschworen haben zu unsem ge-
weihten Fahnen, — da hab' ich noch einen besondern
Schwur . getan, Mutter, tief in mir, einen ganz be-
sondern — im Andenken an unsem Vater, den ich zu
rächen habe.
FRAU KLÄHR. Medardus!
ESCHENBACHER. Alles sehr gut und brav, aber
es wird mancher unter euch gewesen sein, der zu
66
solchem Eitraschwur Anlaß hatte, und vielleicht
bessern als du.
FRAU KLAHR. Einen bessern, Jakob?
MEDARDUS. Warum einen bessern, Oheim ? Weil
mein Vater nicht vor dem Feind gefallen ist? Das
macht die Sache nur schlimmer.
FRAU KLAHR. Medardus hat recht. Beim Him-
mel, ichhätt'es eher verschmerzt, wenn meinem armen
Thomas ein ehrlicher Soldatentod war' beschieden
gewesen draußen im Feld. Aber aufs Glacis beordert
werden, mit der ganzen Bürgergarde — du warst
ja dabei, Bruder, und hast dir's auch gefallen lassen —
um den Kaiser Napoleon zu erwarten und vor ihm
zu paradieren, — vergebHch warten, wie Lakaien, und
dastehn im Schneesturm von sieben abends bis Mitter-
nacht, dann nach Hause geschickt werden und sich
hinlegen und an einem Fieber sterben nach drei
Tagen, — das ist ein erbärmlicher und dummer
Tod.
ESCHENBACHER. Nur die Frage, ob es irgend
einen klugen Tod gibt, solang man noch was Ge-
scheites zu tun hätt' auf der Welt oder auch nur sich
seines Lebens zu freun.
Das Dienstmädchen bringt das Essen.
AGATHE. So, das Essen war' da.
FRAU KLAHR. Setz' dich zu uns, Bruder, und
mach' kein Gesicht, als wolltest du unser spotten. Du
verstehst es ja doch.
MEDARDUS. Ist mein Tornister gepackt und der
Koffer ?
AGATHE. Alles in Ordnung.
FRAU KLAHR. Du bist wohlversorgt, Medardus.
MEDARDUS. Ich glaub's, Mutter. Nimmt ihre Hand
und küßt sie.
Sie sitzen alle um den Tisch.
ESCHENBACHER. Ja, daß ich nicht vergesse.
Auch ich habe mir erlaubt, dir für die Reise etwas
mitzubringen. Hier ein Päckchen Tabak. Es ist eine
5« 67
^te Sorte. Du wirst in Paris keinen bessern zu rauchen
kriegen.
MEDARDUS. Ich dank' dir, Oheim. Wo nur der
Etzelt bleibt ? Ich sprach mit ihm im Laden unten.
Er wollte bald zusperren und heraufkommen.
ESCHENBACHER. Ihr müßtet wohl kaum auf-
schließen jeden Morgen. Ich denke, den Leuten steht
jetzt nicht der Sinn darnach, Bücher zu kaufen.
FRAU KLÄHR. Du irrst, Bruder. Französische
Sprachlehren, Landkarten, Geschichtsbücher, darnach
ist viel Nachfrage. Und der Etzelt führt das Geschäft
so tüchtig und brav. <
ESCHENBACHER. Ich denke mir manchmal,' er
sei etwas zu tiefsinnig und philosophisch angelegt für
einen Handelsmann, und wär's auch für einen mit
Büchern.
MEDARDUS. Du solltest dich nicht lustig machen,
Oheim. Ich kenne jemanden, der Riemen schneidet
und Sattelzeug verfertigt und dabei Kriegsmärsche
spielt auf dem Spinett. Und ich bin recht froh, daß
der Karl hier bleibt bei euch, auf den könnt ihr euch
verlassen in jedem Fall.
ESCHENBACHER. Und daß er in jemanden hier
im Hause verschossen ist, mag auch so übel nicht sein.
Es ist immer ganz gut, wenn die natürUche Verläß-
lichkeit eines Menschen durch besondere Umstände
von Sympathie ihre Kräftigung findet.
MEDARDUS. Es wird spät.
ESCHEN BACHER. Marschiert denn euer Bataillon
schon heute abend ab ?
MEDARDUS. Nein, aber es sind ein paar, die sich
nicht wollen schlafen legen, da der Befehl lautet,
morgen früh um drei an der Nußdorferbrücke an-
zutreten.
ESCHENBACHER. Klug scheint mir das eben
nicht.
MEDARDUS. Nun, morgen kommen wir wohl
noch nicht vor den Feind.
68
ESCHEN BACHER. Morgen nicht, aber früher
als ihr denkt.
MEDARDUS. Geb's Gott! Es läßt sich ja alles
gut an. Das Treffen in Bayern ging glücklich aus, und
die halbe französische Armee schlägt sich noch in
Spanien herum, wo es ihr nicht zum besten gehn soll.
ESCHENBACHER. Wird nicht so schlimm sein,
da Napoleon schon auf dem Wege nach Deutschland
ist.
MEDARDUS. Ist das wahr?
ESCHENBACHER. Wahrer jedenfalls als der Sieg
von Ingolstadt, an dem einige Zweifel gestattet sein
mögen.
MEDARDUS. Nun, ich werde ja bald aUes aus
erster Quelle erfahren. Aber nun ist's wirklich an der
Zeit. Ich will mir Etzelt im Vorbeigehn aus dem
Laden holen und mitnehmen zu dem Abschiedsfest.
Zur Mutter. Rabenau ist dabei und Leibolt. Und unser
Leutnant Kribbling auch und noch manche andre. —
Doch, Agathe, mit dir, die mir gar zu schweigsam ist,
möcht' ich gern noch ein brüderliches Wort reden.
AGATHE. Medardus ? Mit ihm nach vorn.
MEDARDUS. Sieh, Agathe, du bist ja zu gut, dich
zu grämen, um irgendeinen. So müßtest du denken:
Bin ich ihnen zu gering, so sind sie meiner noch weniger
wert. Und Frangois selber auch nicht, da er doch zu
ihnen gehört.
AGATHE. Du darfst ihn schon Franz nennen, wie
du's früher getan. Du weißt, wenn's nach seinem
Willen ginge . . .
MEDARDUS. Hätt' er einen und war' zugleich ein
ehrlicher Mann . . .
AGATHE. Zweifelst du an ihm?
MEDARDUS. Ich weiß nicht, Agathe. Er ist ein
Franzos', und wenn er auch von Kind auf in deutschen
Landen lebt. Und sein Blut ist adelig, wenn er sich
auch von Rechts wegen nicht einen Prinzen heißen
dürfte.
AGATHE. Hat dich doch alles manche Zeitlang
nicht gekümmert. Du hast ihn gern gehabt.
MEDARDUS. Vielleicht ist's darum, daß ich solche
Angst um dich hab', weil er einer ist, den man gern
haben muß . . .
AGATHE. Angst?
MEDARDUS. Agathe, kannst du mir dein Wort
geben —
AGATHE. Was willst du wissen?
MEDARDUS. Daß du ihn nicht wiedergesehen
hast, seit ihm das Haus verboten ist ?
AGATHE schweigt.
MEDARDUS. Ich dacht' es! Agathe, Agathe! —
So schwör mir, daß du ihn nicht wiedersehen wirst!
AGATHE. Auch wenn er als Werber käme ?
MEDARDUS. Es wird nie sein.
AGATHE. Du kannst es nicht wissen.
MEDARDUS. Wirf dich nicht weg, Agathe — wirf
dich nicht weg!
AGATHE. Hab' keine Angst, Medardus ! Das kann
ich dir schwören: Nie, nie bring' ich Schande über
euch — und mich.
MEDARDUS. Beim Andenken unsres Vaters schwör
mir das!
AGATHE. Ich schwör' es dir bei unsers Vaters
Grab.
Berger und seine Frau kommen. {Er bebend, heiter, oberflächlich^
ti* etwas gedrückt im Wesen, manchmal bis zum weinerlichen.)
Agathe. Anna. Eschenbacher. Frau Klähr. Medardus.
BERGER. Guten Abend, liebe Frau Klähr. Oh,
der Meister Eschenbacher! Also wir wollten auch
noch so frei sein, dem jungen Krieger Lebewohl zu
sagen. Na, schon reisefertig und kampfbereit?
MEDARDUS. So leidlich, Herr Berger.
BERGER. Und außerdem haben wir uns noch er-
laubt, für die Beschwerden des Marsches und die
Strapazen des Felddienstes eine Kleinigkeit beizu-
steuern. Hier. Es ist ein vortrefflicher Kräuterschnaps.
70
überreicht ihm die Flasche. Und hier, Mutter gib her,
eben frisch angekommen, die beste italienische Salami.
Herr Wachshuber hat sie uns persönlich wärmstens
anempfohlen. Hält sich wochenlang. Er läßt übrigens
alles mögliche Gute wünschen, der Herr Wachs-
huber . . .
ESCHENBJCHER. Der Wachshuber? Was, Me-
dardus, bei so einer Gelegenheit merkt man erst, wo
man überall Freunde hat.
MEDARDUS. Danke, danke bestens. Wie ich das
noch unterbringen soll, weiß ich wahrhaftig nicht.
FRAU BERGER. Wird schon gehen.
FRAU KLÄHR. VieUeicht was gefällig? Ein Glas
Wein, Herr Berger?
BERGER. Da sag' ich nicht nein.
AGATHE schenkt ihm und seiner Frau Wein ein.
BERGER. Ein Gedräng' ist auf den Straßen. Mit
Müh' und Not, daß wir uns durchgewunden haben.
Was, Mutter ? Vor einer Stund' sind die Gottesheim-
dragoner eingeritten beim Neutor. Um neun geht's
wieder heraus — durchs Kärtnertor. Die Offiziere
machen Rast in der Stadt Frankfurt.
ESCHENBACHER. Darf man fragen, was sie dort
zum Nachtmahl kriegen?
BERGER auf den Scherz eingebend. Ja, alles kann man
nicht wissen, Meister Eschenbacher, haha . . . Na,
es wird ja ernst. In ein paar Tagen ist überhaupt
das ganze Mihtär aus der Stadt fort. Und die Bürger-
schaft übernimmt die Wachposten.
ESCHENBACHER. Haben Sie sich vielleicht auch
gemeldet auf den neuesten Aufruf?
BERGER. Ich? Nein. Ich kann mein Geschäft
nicht im Stich lassen. Zum Umeinandstehn und zur
Soldatenspielerei bin ich nicht zu haben.
FRAU KLÄHR. Es wird vielleicht keine Spielerei
sein.
BERGER. Dann wird das Vaterland auch auf mich
zählen können. Wenn die Franzosen wirklich vor den
71
Toren stehn, wird der Johann Nepomuk Berger wissen,
was er zu tun hat.
MEDARDUS. Na, hoffentlich tritt diese äußerste
Notwendigkeit nicht an Sie heran.
BERGER. Möcht' ich nicht so strikt behaupten,
junger Held. Jedenfalls ist heute der Bürgermeister
und einige Herren vom Magistrat zum General-
kommando beschieden, woselbst über die Verteidigungs-
anstalten beraten wird.
ESCHENBACHER. Woher wissen Sie denn das?
BERGER. Diplomatische Beziehungen, Meister
Eschenbacher, haha, ich weiß noch vielmehr. Morgen
früh werden Sie schon lesen. Neuester Bericht von
der Armee.
FRAU KLAHR. Was denn?
ESCHENBACHER. Ingolstadt war kein Sieg?
BERGER. Sie wissen schon ? Das heißt, das wissen
schon recht viele. Aber auch bei Eckmühl war ein
kleines Gefecht, das ist gleichfalls nicht glücklich aus-
gefallen, leider, leider. Ja, Medardus, wir werden viel
gut zu machen haben.
FRAU KLÄHR. Lustig ist das ja im Grunde nicht.
Währtnd dieser Szene sind Herr ßerger, Frau Berger und Escben-
bacber am Tisch gesessen. Agathe sah xuweilen zum Fenster bin
und bat das Mitgebrachte von Berger in den Tornister gesteckt.
Anna und Medardus standen links.
Franfois, Prinz von Falois, tritt ein. {Zwanzig Jahre, sehr biibscb^
elegant, Degen und Schnallenschuhe.) Agathe. Anna. Eschenbacber.
Frau Kläbr. Medardus. Herr Berger. Frau Berger,
FRANQOIS. Guten Abend. Guten Abend.
BERGER XU seiner Frau. Ah, der Prinz.
Alle scheinen erstaunt.
AGATHE regungslos, itarrt ihm ins Aug$.
MEDARDUS gebt ihm zwei Schritte entgegen.
FRAU KLAHR. Sie?
MEDARDUS. Wir sind erstaunt, Sie wieder zu
sehn!
FRANZ. sehr heiter, weiter ins Zimmer tretend. Und mich
7»
freut nichts mehr, Medardus, als daß ich eben noch
zurecht komme, Ihnen die Hand zum Abschied zu
drücken. Medardus, mein Bruder! Er streckt ihm die
Hand entgegen.
MEDARDUS nimmt sie zögernd. Versteh' ich Sie recht ?
FRANZ. Sollte es so schwer sein ? Frau Klähr, er-
lauben Sie mir, Ihnen die Hand zu küssen, der Mutter
meiner Agathe. Er küßt ihre Hand. Dann zu Agathe, die noch
immer starr dasteht. Agathe, meine Agathe. Er siebt ihr lang
ins Auge, dann nimmt er ihre beiden Hände und küßt sie.
Die übrigen noch etwas betreten, befremdet und bedenklieb. Eine
Pause tritt ein.
FRANZ. Nun, Meister Eschenbacher, werden Sie
uns auf dem Spinett zum Tanz aufspielen bei der
Hochzeit ? Und darf ich Sie, Fräulein Anna, um einen
Walzer bitten ? Wir warten gerne so lange, bis Me-
dardus den verfluchten Napoleon aufs Haupt ge-
schlagen hat und wieder bei uns weilt. Freilich
darf es nicht zu lange dauern.
MEDARDUS. Sie sind so lustig, Prinz.
FRANZ. Fran^ois, wenn ich bitten darf, oder noch
lieber: Franz. Ist das zuviel verlangt?
FRAU KLÄHR. Sie kommen allein, — Franz?
FRANZ. Verzeihen Sie, Frau Klähr. Wie hätt' ich
es bis morgen aufschieben können, Ihnen die glück-
selige Nachricht zu überbringen. Mein Vater und
meine Mutter werden morgen zur Mittagszeit ihre
Aufwartung machen. Sie wären schon heute mit mir
gekommen, wenn nicht ein Vetter unsres Hauses zur
großen Überraschung erschienen wäre, geradenwegs aus
Rußland. Der Marquis — nein, er hätte ja so wenig
das Recht, sich Marquis zu nennen, als ich Prinz —
unser Vetter Bertrand von Valois. Und Nachrichten,
die aus Paris und vom bayrischen Kriegsschauplatz
eintrafen, bestimmten meinen Vater, eine Beratung
abzuhalten mit unsern wenigen Freunden, die in
dieser Stunde stattfindet. Er hält ja solche Beratungen
für unerläßhch, mein armer, unglücklicher Vater.
73
ESCHENBACHER. Setzt er nicht große Hoff-
nungen auf Sie?
FRANZ. Ja, das tut er. Und es ist nicht meine
Sache, ihn aus dem schönen Traum aufzustören, der
in seine dunkeln Tage leuchtet.
FRAU KLAHR. Und Ihr Herr Vater hat ein-
gewilligt, daß Sie die Bürgerstochter Agathe Klähr
zum Weibe nehmen ?
FRANZ. Er hat vielleicht eingesehn, daß es auch
seine ungeheuersten Pläne besser fördert, einen Sohn
zu haben, der ein Bürgermädchen freit, — als
keinen.
MEDARDUS. Hier meine Hand, Franzi Wir
wollen gute Freunde sein, wenn ich wiederkomme.
Karl Etzelt tritt auf {kleiner, blasser Mensch, die eine Schulter etwas
höher, hinkend, mit großen blauen Augen, glatt gestrichenem Haar.
hoher Stirn). Die Vorigen.
MEDARDUS. Bist du endlich da?
ETZELT. Ich habe mich ein wenig verspätet. Siebt
mit einigem Erstaunen die Gruppierung der Gesellschaft.
MEDARDUS. Und jetzt kommst du eben zurecht
— was denkst du, wozu ?
ETZELT beherrscht. Mir ist, als war' es nicht schwer
zu raten. Ich beglückwünsche Sie von Herzen, Fräu-
lein Agathe,
AGATHE. Ich nehm' es von wenigen lieber an als
von Ihnen. Reicht ihm die Hand.
ETZELT reicht auch Frau Klähr und Frangois die Hand,
begrüßt die übrigen.
MEDARDUS. Nun aber, Etzelt, mußt du dich ent-
scheiden, ob du hier bleiben willst, oder mich wenig-
stens ein Stück Weges begleiten.
ETZELT. Gewiß begleit' ich dich, wenn du nichts
dagegen hast. Am hebsten, wenn es ginge, bis zu
deiner ersten Heldentat.
ESCHENBACHER. Das ist einer, der an dich
glaubt, Medardus.
ETZELT. Ja, Meister Eschenbacher, das tu' ich
74
Der da ist nicht verdorben durch Zweifel und Zagen
wie andre, die wir kennen.
ESCHENBACHER. Zweifel und Zagen, lieber
Etzelt, sind der Klugheit ehrliche Kinder. Nur meist
verleugnet, wenn vornehmer Besuch kommt . . .
MEDARDUS. Lebt wohl, alle, lebt wohl. Euch
alle, die ich lieb habe, trag' ich meinem letzten Blick
davon. Und ihr mögt wissen, — wenn es anders
kommen sollte, als wir wünschen, — Mutter, Agathe,
Franz, euch alle, von denen ich nun Abschied nehme,
in jenem Augenblick würd' ich euch wiedersehn. Lebt
wohl, lebt wohl. Ich wende mich nicht mehr um.
Er gebt, Etzelt folgt ihm.
ANNA. Bis zum Haustor will ich doch mit — Ab.
BERGER. Komm, Mutter, wir woUen lieber mit-
gehn, sonst steigt das Annerl am Ende zu ilmi in den
Wagen und geht als Marketenderin mit in den Krieg.
Adio, auf Wiedersehn. Mit seiner Frau ab.
FRAU KLÄHR und ESCHENBACHER zum Fensur
bin, das Frau KJäbr öffnet.
AGATHE fragend, flehend. Franz, Franz . . .
FRANZ. Einen AugenbHck noch, daß sie nichts
merken. Zum Fenster bin. Leben Sie wohl, Medardus.
MEDARDUS' Stimme. Adio, Adio.
FRAU KLÄHR. Medardus! — Er sieht nicht mehr
herauf.
FRANZ wieder zurück.
AGATHE die ihn regungslos envarut bat. Nun ?
FRANZ. Es ist aus.
AGATHE. So hab' ich deinen BUck recht verstanden ?
FRANZ. Ohne Hoffnung aus. Von allem, was ich
erzählt, ist nur das eine wahr, daß der Marquis ge-
kommen ist, doch sind es schon drei Tage her. Und
er kam um meiner Schwester willen. Auch mit der Be-
ratung hat es seine Richtigkeit. Alles übrige hab' ich
gelogen.
AGATHE die sieb auf eitun Stuhl am Tisch bat sinken lassen.
Was ist geschehen?
75
FRANZ. Der Vater war unerbittlich, meine Mutter
ist ohne jede Macht, meine Schwester hat nur Hohn
für mich. Frage nicht weiter. Die Stunde, aus der ich
eben komme, muß vergessen sein, für die, in die wir
gehen. Bist du bereit, Agathe ?
AGATHE. Hier hab' ich eben meinem Bruder ge-
schworen, daß ich niemals Schande über unser
Haus bringen werde. Und mir selber schwur ich es
längst. Ich bin bereit, mein Geliebter!
FRAU KLÄHR noch am Fenster^ wirft einen Blick bin zu
den beiden.
ESCHENBACHER deuut durch ein* Bewegung an, man
solle iie nicht stören.
AGATHE. Mach* ein lustiges Gesicht, ein glück-
liches, küss' mir die Hand. So ist's gut. — Und nun will
ich dich noch eins fragen, mein Franz, mein Geliebter.
Bedenk' es wohl: möchtest du nicht doch Ueber deinem
Vater gehorsam sein ?
FRANZ. Agathe!
AGATHE. Bedenk' es, Franz! Frag' dich noch ein-
mal, ob es dir nicht doch gelingen könnte, das kindische
Ding zu vergessen, das dein war mit Leib und Seele.
Ich nahm' es dir nicht übel, Franz, mein Leben ist
ja doch verwirkt, — aber warum deins ?
Sie sitzen ganz nahe, die Hände ineinander verschlungen,
FRANZ. Das soll dir gleich vergolten werden, daß
du so fragst; und besser, als du verdienst. Denn du
hast Torheit geredet, Agathe; ich aber will klug sein
und dir den sichern Ausweg zeigen aus aller Wirrnis.
AGATHE. Ich seh' ihn, mein Geliebter.
FRANZ. Hör' mich nur an, Agathe. Ich weiß einen,
bei dem du Rettung fändest und Verstehn. Und viel-
leicht mehr als das! — Den braven Jungen mein' ich,
der eben mit deinem Bruder wegging.
AGATHE. Etzelt?
FRANZ. Ja, Etzelt. Sein Blick eben — ! Der ist
dir gut. Überleg' es, Agathe. Du dürftest leben . . .
Du dürftest am Ende sogar glücklich sein ... Er zöge,
76
ja er zöge dein, unser Kind auf — als war' es sein
eigenes.
AGATHE. Franz, Franz . . . ! Daß wir diese heilig-
hohe Stunde mit so kläglichen Worten entweihn. Laß
uns jetzt keiner andern Menschen mehr denken. Jetzt
gibt es nur mehr zwei auf der Welt, dich und
mich.
FRANZ. Agathe, nur mehr wir beide auf der Welt.
AGATHE. Laß uns denken, Franz, wie glückselig
wir waren.
FRANZ. Gewiß waren noch niemals Menschen so
sehg wie wir. Und wie selig sind wir, da uns auch der
Tod nicht trennen wird, nur neu vereinigen . . .
Sie schauen einander beseligt an.
FRANZ. Erinnerst du dich noch. Liebste, der
stillen Auen, nah am Fluß, wo wir zum erstenmal ge-
wußt haben, daß wir für einander geschaffen sind — daß
keins leben kann ohne das andre ?
AGATHE. Ob ich mich erinnere — r
FRANZ. Dort wollen wir es auch zum letzten Male
wissen. Und dann . . . Agathe, — dann . . . uns tragen
lassen und uns sinken lassen — tief, tief.
AGATHE schauert. Weit, weit . . .
FRANZ. Es wird ein wunderschöner Spaziergang
sein. Denke doch, die dunkeln Straßen zuerst, dann
die lange stille Alle, wo wir keiner Menschenseele be-
gegnen werden und dann die geheimnisvolle Au . . .
FRAU KLÄHR. Was reitet dort für ein Regiment
übers Glacis ?
ESCHENBACHER. Das sind wohl die Gottes-
heimer, die in der Stadt Frankfurt zur Nacht gegessen
haben.
Man hört Trommeln und Pfeifen.
FRAU KLAHR. Weiß Gott, wie es kommt. Alles
wird mir zur guten Vorbedeutung. Der schöne Früh-
lingsabend, der Klang der Trommeln und Pfeifen —
Ich bin guten Muts für Medardus und für Agathe . . .
und für unser Land. Ja, mir ist wahrHch, als wären die
77
Tage der Vergeltung nahe. Ach, daß du so starr bleibst,
wenn ich davon rede, Bruder.
ESCHENBACHER. Das Große zu hassen ist mir
nun einmal nicht gegeben, auch wenn ich verspüre,
daß es mich vernichten kann. Und die Kleinen zu
lieben, will mir nicht gelingen, auch wenn mein Ge-
schick mit dem ihren verbunden is
FRANZ. Es ist Zeit.
AGATHE schauert, dann erbebt sie sieb flötzlicb. Laut. So
mild ist die Luft. Gern möcht' ich noch ein Weilchen
ins Freie. Wie denkst du, Mutter, — oben auf der
Bastei noch ein Stündchen spazieren gehn?
FRANZ. Wie das schön wäre!
FRAU KLÄHR. Ich bin müde. Und beinah möcht'
ich vermuten, daß euch an meiner Begleitung nicht
sonderlich viel dürfte gelegen sein.
AGATHE als machte sie einen Scher». Aber allein dürfen
wir doch wohl nicht . . .
FRAU KLÄHR. Nun, geht nur, geht. Aber nicht
länger als ein halbes Stündchen.
AGATHE. Ja, wir wollen drüben auf und ab spa-
zieren, auf der Bastei. Einen Augenblick, Franz, ich
\vill nur mein Tüchel holen. Ab links.
FRANZ. Ach Mutter, wie soll ich Ihnen danken
für das Engelskind!
AGATHE mit Umbängtucb aus ihrem Zimmer^ bleibt an der
Türe stehen.
FRANZ. Ah, da ist sie ja schon. Rasch «u ihr bin. Gib
acht, daß sie ja nichts merken.
AGATHE leise. Sei ganz ruhig. Ah, Mutter, ver-
zeih, — aber ich kann nicht anders. Fällt ihr um den Hah
und küßt sie.
FRAU KLÄHR. Kind . . .
FRANZ. Auf Wiedersehen, Mutter. Auf Wieder-
sehen, Meister Eschenbacher. In einem Stündchen
allerspätestens sind wir wieder da.
Franz und Agathe ab.
Drüben wieder Trommeln und Pfeifen.
78
ESCHENBACHER. Mir ist wahrhaftig, als war'
es hohe Zeit, daß die beiden in Ehren sich verbinden!
FRAU KLÄHR. Glaubst du dran, daß morgen
seine Eltern kommen werden ?
ESCHENBACHER. Wie ein Lügner sieht er eben
nicht aus . . . Doch ich an deiner Stelle würde auf der
Bedingung nicht bestehen . . . Am Ende könnte man
auch ohne ihre Zustimmung — ja gegen sie —
FRAU KLÄHR. Du bleibst doch immer der Alte . .
ESCHENBACHER. Da treten sie aus dem Tor.
Wahrlich, wie Kinder sehn sie aus.
FRAU KLÄHR. So jung, so jung! Zu jung.
ESCHENBACHER. Wie schön ist das. So schweben
nur Zwanzigjährige dahin.
FRAU KLÄHR. Wie das duftet von drüben.
ESCHENBACHER. Ja, und dabei ist's kaum noch
grün. Die Säfte quellen. Was für eine wunderbare
Zeit könnt' es werden.
FRAU KLÄHR. Wird . . . Bruder, wird!
ESCHENBACHER. Hoffen wir.
FRAU KLÄHR. Da spazieren sie über die Stufen
zur Bastei hinauf. Sie toinkt hinab.
ESCHENBACHER. Wie zu einem Fest.
FRAU KLÄHR. So jung, so jung.
Zweite Szene
Kleines Wirtshaus in den Donauauen. Im Hintergrund eine Türe,
rechts und links von der Türe je ein Fenster. — Rechte Wand eine
zweite Türe. Ein längerer Tisch in der Mitte, kleinere Tische ver-
teilt. — Hängende Lampen. — Draußen Wiesen, weiterhin Weiden.
Nacht. An den Tischen Kribbling {Leutnant), Winter, Leibolt,
Schellbacber, Rabenau, Flank, Baumann und etwa sechs andere
Landwebrleute» Elisabeth bei Winter. — Marie bei Baumann. —
Roserl bei Leibolt. Der Wirt geht hin und her. — Erhöhte Stimmung.
PLANK stößt mit verschiedenenan. Dein Wohl, Rabenau,
deins, KribbHng. Ihr sollt leben. Ihr sollt alle leben.
An dem Tisch da sitzen wir doch nie wieder alle bei-
79
sammen. Ihr sollt leben — so lang als möglich. Und
sterben, so vergnügt als möglich!
LEIBOLT sehr frisch und lustig. Haha, habt ihr schon
die Neuigkeit gehört . . . Ein Zeitungsblatt in der Hand, das
ihm eben ein anderer gegeben. Der österreichische Adel hat
seine alten Kanonen von den Schlössern kommen lassen
und sie unserem Kaiser geschenkt ... das Blatt sinken
lassend, damit unsre Artillerie um Gotteswillen nicht
genötigt wäre . . . mit Klistierspritzen ins Feld zu
ziehen . . .
Gelächter,
LEIBOLT. Und auf dem Glacis heuer im Winter
haben uns die Wölfe aufgefressen.
Gelächter.
BAUMANN. Ein Glück, daß sie uns v^rieder aus-
gespien haben, sonst säßen wir nicht da.
RABEN AU. Saublatt. Will es Leibolt entreißen.
LEIBOLT. Laß doch, es ist ja eine Wiener Zeitung.
Sie berichtet nur, was in den Pariser Journalen zu
lesen steht. — Oder meinst du etwa, ich versteh'
französisch ?
BAUMANN. Die Schwindler! Die Schwadro-
neure !
RABEN AU. Die Hunde.
KRIBBLING. Schweigt. So durftet ihr früher
reden, und es war dumm genug! Nun aber ist der
Krieg erklärt und begonnen, das ist just ebenso, wie
wenn zwei auf der Mensur sich gegenüberstehn, da
wird nicht mehr geschimpft, da wird gefochten. Und
den ehrlichen Feind bringt man in aller Höflichkeit um.
RABEN AU. Napoleon ein ehrlicher Feind! . . .
Die Franzosen ehrliche Feinde! . . .
LEIBOLT. Ehrlich oder nicht . , . soll doch ganz
nette Kerle unter ihnen geben — nicht Roserl ? Wie
war's vor vier Jahren ? Bei euch im Haus war ja einer
einquartiert.
ROSERL. Was weiß ich? Damals war ich sechzehn
und hab' ihn, weiß Gott, nicht einmal angesehn.
80
RABEN AU. Donnerwetter, so weiß sie gar nicht,
ob der Vater ihr«8 Kindes einen Schnurrbart gehabt
hat oder nicht.
Gelächter.
ROSERL. Glaubt ihm nicht . . .
SC HELL BACH ER sehr feiner, etwas süßlieber junger Mensch.
Wir wollen was singen, meine Herren. Ein schönes
Lied, wie es sich schickt zum Abschied von unsern
Damen. Ich habe hier ein wunderliebUches Poem mit-
gebracht, das keinen Geringern zum Verfasser hat als
unsern edlen vaterländischen Dichter, den Herrn von
Collin — und das ich so frei war, in Musik zu setzen.
EINIGE. Hoch ColUn!
ANDRE. Hoch Schellbacher!
SCHELLBACHER. Ich werde intonieren, und ihr,
meine teuren Kameraden, stimmt im gegebenen Mo-
mente ein.
EINIGE. Bravo, Schellbacher, laß hören.
SCHELLBACHER beginnt. Jetzt ist es Zeit . . . Er
unterbricht sich. Es ist betitelt „Der Bräutigam". Er singt *):
Jetzt ist es Zeit, die Trommel ruft,
Lieb Mädel, laß mich ziehn.
Die Fahne flattert in der Luft,
Muß zu den Männern hin.
Die andern wiederholen die zwei letzten Zeilen.
SCHELLBACHER.
Muß fort als Wehrmann in das Feld,
Es ist beschworne PfUcht,
Und wer nun Wort und Schwur
nicht hält,
Der bleibt ein feiger Wicht,
Die andern wie oben.
SCHELLBACHER.
Was weinst du dir die Augen aus.
Machst mir das Herz so schwer,
*) Aus den Wehnnannsliedern von Heinrich von Collin, wie
auch die nächstfolgenden Gesänge.
Tbeatarttflcke. IV, C §]
Bald dränge dir der Feind ins Haus,
Eilt' ich nun nicht zur Wehr.
Die andern wie oben.
SCHELLBACHER.
So laß mich ziehn, am Siegesmahl
SoU unsre Hochzeit sein,
Gelächter von einigen.
Bei Pauken und Trompetenschall
Will ich dich, Liebe, frein.
Die andern wie oben.
SCHELLBACHER.
Dann rühmt dich jeder ins Gesicht,
Weil dich ein Held erlas,
Der über seiner Liebe nicht
Des Vaterlands vergaß.
Die andern wie oben. — Gelächter^ Anstoßen^ Bewegung.
ELISABETH blaß^ sehr hübsch, mit einer Lustigkeit, die ihr
nicht ganz von Herzen kommt, «u Winter. Und was für Braut-
geschenk bringst du mir denn heim, Ferdinand?
LEIB0L7. Wirst du nicht froh sein, wenn er sich
selbst heil und gesund nach Haus bringt ?
ELISABETH. Das war' nicht eben viel.
MARIE. Ist auch schon was wert. Schau' dir die
Karohn' an, vorvier Jahren ist ihr Liebster ausgezogen,
und mit graden Ghedern, — jetzt hat sie einen Gatten
mit einem hölzernen Bein.
ROSERL. Hätt' sie ihn nicht genommen. Der-
gleichen Unfälle lösen jedes Band.
LEIBOLT. Brav gesprochen. Nur ist es ein un-
gleicher Vertrag, denn die Unfälle, die euch, ihr guten
Kinder, indes hier zustoßen mögen, lassen sich besser
geheim halten.
BAUMANN. Nicht immer, Freund, nicht immer,
— wissen manche was davon zu erzählen.
WINTER düster. Einen Totenschädel will ich dir
mitbringen, Elisabeth, einen selbstverfertigten fran-
zösischen Totenschädel, aus dem wollen wir dann zur
8a
Willtommfeier trinken, wie weiland die Königin
Rosamunde.
BAUMANN. Ich will splendider sein ... Ich
bringe dir mindestens einen goldenen Pokal mit,
Marie . , . !
RABEN AU. Und ich einer, deren Namen ich vor
euch verschweige, Armbänder, Uhren, seidene Tücher
und Edelsteine. Wir kriegen alles billig — wenn wir
über die Grenze sind.
KRIBBLING. Schämt ihr euch nicht! Gestern
noch wart ihr ehrsame Bürgerssöhne, der Wissenschaft
beflissen und der schönen Künste, wie man wohl sagt,
und nun redet ihr daher wie Räuber, Plünderer und
Wegelagerer. Ihr wollt Akademiker sein ? Schämt
euch! sag' ich.
LEIBOLT. Aber Kribbhng, es sind ja nur Spaße.
KRIBBLING. Üble Spaße, sag' ich euch. Dumme
Jungen seid ihr, die eben nur nicht wissen, was Krieg ist.
PLANK. Hoho.
KRIBBLING. Außer dir natürhch . . . Mein alter
Kamerad, wir standen vor AusterUtz zusammen . . .
RABEN AU. Ihr seid älter als wir . . . Das habt
ihr nun einmal vor!
KRIBBLING. Aber ich will schon acht haben auf
euch, ich bin euer Leutnant, ich will gute Zucht
halten unter euch.
BERNBURG kommt.
LEIBOLT. Bernburg, willkommen. Er wird auch von
den andern begrüßt.
RABEN AU. Bist du von den unsem?
BAUMANN. Hast du am Ende doch noch einen
gefunden, der für dich bei den Depots bleibt ?
BERNBURG. Bisher noch nicht. Aber ich gebe
die Hoffnung nicht auf.
WINTER. Das ist einer, der in der Stadt bleibt,
Elisabeth, der mag dich heute nach Hause geleiten —
soweit es dir beliebt ... So weiß ich wenigstens, wen
ich umzubringen habe, wenn ich wiederkomme!
^ 83
fLANK. He, Bernburg, du hast «o besondere Lust
in den Krieg zu ziehen ? He ? Du hast Lust, dir ein
Bein wegschießen zu lassen ? Oder einen Arm ? Oder
eine Kugel mitten durch die Stirn ? Du hast Lust,
dazuliegen mit blutenden Wunden — , schäumende
Pferde über dich sprengen und dir mit den Hufen in
die Gedärme treten zu lassen ? Hast Lust zu stöhnen,
zu dürsten, zu verzweifeln, — zu warten auf dem
nächtUchen Leichenfeld, bis einer heranschleicht, dir
die Taschen umdreht und aus Gnade die Gurgel ab-
schneidet ? Oder juckt's dich gar, verwundet und
lebendigen Leibes mit den Toten in eine Grube ge-
schmissen zu werden und in ihren Verwesungsdüften
lu krepieren?
RABEN AU. Was spricht der alte Soldat?
PLANK. Ja, ein alter Soldat, das bin ich, wenn
auch erst sechsundzwanzig. Und weiß mehr als ihr.
Und wißt ihr, was euer Geschrei und eure Lustigkeit
und eure Begeisterung im Grunde bedeutet ? Ver-
schlagene Angst, nichts weiter, Höllenangst!
ÜHTube.
BAUMANN. Ist er toll?
PLANK. Glaubt ihr, ich hab' keine ? Was wäre denn
die ganze Courage wert, wenn man nicht Angst hätte.
Gelächter. Mir schlottern die Gebeine, kalter Schweiß
tritt mir auf die Stirn und Haar', in einen Keller möcht*
ich mich verkriechen, in ein Mauseloch . . . wenn ich
dran denke, was mir bevorsteht . . . Er starrt vor sieb bin.
BAUMANN, RABENAU, BERNBURG. Ist er
verrückt ?
KRIBBLING. Laßt ihn, er will euch gruseln
machen . . . merkt ihr denn nicht ? . . . Zu ihm. —
Plank! . . .
BERN BURG. Plank, ich will dir was sagen — bleibe
du daheim für mich, ich will dein Ersatzmann sein.
Leise. Und es gäbe nebstbei ein paar gute Dukaten...
PLANK. He?! Was meint er? Schafft mir den
Schuft vom Leibe 1 Wer von euch hat es gewagt, meine
84
Worte für ernst zu nehmen ? Er soll mir vor die
Klinge . . . Einer nach dem andern. Oder sind Pistolen
gefällig ? . . .
BERN BURG. Wie's behebt, alter Soldat!
KRIBBLING. Derlei wird nach dem ELrieg aus-
getragen, Plank.
PLANK zu Bernburg. Junger Herr, vor vier Jahren
war ich Student wie Sie . . . Und ich bin vor Ulm ge-
standen und vor Austerhtz, die Kugeln haben ge-
pfiffen rund um mich. Einen französischen Obrist-
leutnant hab' ich vom Pferd heruntergehaun und weiß
nicht vne vielen sonst den Garaus gemacht. Und hier
die Narbe — und hier eine, und hier — einer stand ich
gegen ein halb Dutzend, und im Wundfieber träumt'
ich von neuen Schlachten, und so ein junger Hund
wagt zu glauben, ich hätte Angst ?! — Wartet einmal!
Ich vdll euch ein Lied singen, kein süßes, wie Schell-
bacher . . . nichts von Bräutigam und Braut . . . ein
gutes . . . kräftiges . . . wie sich's für uns gehört . . . Er
beginnt mit dröhnender Stimme.
Wir stehn vor Gott,
In der Schlacht, in Not und Tod
Stehn wir vor Gott
O hör' uns, Gott,
Wir schwören:
EINIGE. „Wir schwören".
PLANK Wir halten zur Fahn' in heißer
Schlacht,
Bis es Gottes Gewalt durch uns voll-
bracht,
Wir schwören.
DIE ANDERN. Wir halten zur Fahn in heißer
Schlacht,
Bis es Gottes Gewalt durch uns voll-
bracht.
Wir schwören.
Während der letzten Zeilen sind Medardus und Etsult hereingttrtttn.
Medardus wird von den meisten Anwesenden herzlich begrüßt,
«5
MEDARDUS auf Etsutt weisend au Kribbling, Rabenau und
andern. Das ist mein Freund Karl Etzelt. Ihr habt
wohl nichts dagegen, daß ich ihn mitgebracht habe.
— Du kennst ihn ja, Bernburg?
RABENAU gutmütig zu Etzelt. Sie marschieren aber
nicht mit uns ?
ETZELT. Leider. Sie sehen wohl, Herr, daß ich
nicht eben aus — Bequemlichkeit daheim bleibe.
RABENAU. Nichts für ungut. Jeder dient dem
Vaterland auf seine Weise.
LEIBOLT. Warum kommst du so unbeweibt, Me-
dardus ?
MEDARDUS. Ich hab' alles gern für mich allein.
Ich schenke her, wenn's mir beliebt, aber ich teile
nicht. Und hier scheint mir der Ort nicht, wo man
seines Besitzes sich ungestört freuen könnte.
ELISABETH. Guten Abend, Medardus.
MEDARDUS. Guten Abend, Elisabeth.
ELISABETH. Wie geht's, Medardus ?
MEDARDUS. Danke.
ELISABETH. Was tust du so fremd mit mir? Es
ist nicht so lange her, Medardus, daß wir gute Freunde
waren.
MEDARDUS. Nicht lange ... Du hast es ziemlich
weit gebracht seitdem . . .
ELISABETH. Will es noch weiter bringen. Das
Leben ist so lustig. Ich bin dir dankbar, Medardus.
Ohne dich war' ich wohl noch daheim bei Vater und
Mutter und langweilte mich zu Tod.
MEDARDUS. Wenn kein andrer gekommen war'.
ELISABETH. Glaubst du ?
MEDARDUS. Setz' dich doch wieder an deines
Liebsten Seite ... Er macht gar böse Augen . . .
Zu Winter, den er noch nicht begrüßt bat. Grüß' Gott,
Ferdinand!
WINTER verdrossen. Guten Abend!
MARIE. Guten Abend, Medardus.
MEDARDUS. Oh, auch das Fräulein Marie?
86
MARIE. Man muß wohl nicht fragen, vsde es Ihnen
geht. Es heißt ja, daß Sie verlobt sind ?
MEDARDUS. Mir ist nichts davon bekannt.
SCHELLBACHER. Wie geht's daheim, Medardus ?
Was macht die wunderschöne Schwester, das Fräulein
Agathe ?
MEDARDUS. Danke, sie ist wohl.
MARIE. Ich sah sie neulich. Sie kennt mich wohl
nicht mehr. Oder will mich nicht kennen. Mag auch
sein, weil sie eben in sehr feiner Begleitung war. Ein
bildschöner junger Herr, wahrhaftig. Oder vielleicht
sah sie mich gar nicht, weil es schon dunkel war.
MEDARDUS siebt sie scharf an, dann absichtlich laut. Ich
habe mich so verspätet. Freunde . . . verzeiht mir,
weil eben Verlobung bei uns zu Hause gefeiert wurde.
BERNBURG. Wie?
MEDARDUS. Meine Schwester hat sich verlobt.
Und darum hab' ich mich verspätet.
LEIBOLT. Mit wem denn ? Wenn's erlaubt ist zu
fragen ?
MEDARDUS. Mit einem Herrn von Valois.
RABEN AU. Herr von Valois ? ein Franzos' ?
BERN BURG. Herr von Valois? Der Prinz von
Valois !
MEDARDUS. Es ist kein Prinz. Herr von Valois.
BERN BURG. Doch der Sohn des alten, blinden
Herzogs, der verbannt ist und hier so eine Art Hof
hält, wie man erzählt ? Es kann doch wohl nur
der sein.
MEDARDUS. Ja, sein Vater ist bHnd und alt und
hat auch irgend einmal den Adelstitel besessen, wie
ein paar hunderttausend Leute in Frankreich.
BERN BURG. Was wehrst du dich so ? Die Valois
sind könighchen Bluts — ■ das ist kein Zweifel, und
Napoleons Feinde — wie wir!
MARIE XU Elisabeth. Ich hab's ja gewußt . . .
Flüstern zwischen den Mädchen^ Rabenau und Baumann.
BERNBURG. Wir wollen trinken auf das Wohl
«7
▼on Medardus* schöner Schwester, der Braut des
Prinzen von Valois.
MEDARDUS »ögert.
WINTER bat sieb erboben und sttbt mit dem Glas da. Was
ist dir zu schlecht, der Wein oder die Gesellschaft ?
MEDARDUS sieb ermannend. Ich war nicht gefaßt, hier
soviel Anteil zu finden. Verzeihung nochmals, ich
danke herzlich.
ELISABETH. Auf Agathens Wohl. Leise %u Medardus.
Nicht jeder geht's so gut aus. Sie will mit ibm anstoßen.
MEDARDUS läßt das Glas fallen. Ein andres Glas, Herr
Wirt . . . das da hatte einen Sprung.
RABEN AU. Die Fenster auf! man erstickt ja schier
in dem Raum.
Die Fenster werden aufgemaebt.
SCHELLBACHER. Es ist eine rechte Frühlings-
nacht.
BAUMANN. Hast du nicht ein Frühlingslied vor-
rätig, Schellbacher ? Er singt absiebtUcb falscb, vom Laeben
der andern unterbrochen. O Lenzeshauch, 0 Rosenstrauch,
o Liebesweh, ade, ade.
Geläcbter, Anstoßen^ erböbte Stimmung.
LEIBOLT. Mitternacht ist nah, Freunde, in drei
Stunden geht es auf die Reise.
BERNBURG. Ihr GlückHchen.
KRIBBLING. Hast du dich noch nicht drein-
gefunden, Bernburg?
BERNBURG. Eine Hoffnung bleibt mir, daß ich
doch bald dran muß — so oder so ... Es ist übel ge-
gangen vor Ingolstadt — ist euch das bekannt ?
RABEN AU. Und sein \uge leuchtet, als wär's eine
Freudenbotschaft !
BAU MANN. Nimm dich in acht!
BERN BURG. Ich wollt, meiner Seel', die Fran-
zosen jagten euch zurück bis vor die Basteien. Oder
ihr alle würdet hin und wir andern müßten die Lücke
füllen.
KRIBBLING. Bedenk', was du sprichst, Bernburg.
88
BAUMANN. Nimm dich in acht, Bemburg, aus
lauter Tatendrang deinem Vaterland Böses zu wün-
schen !
BERNBURG. Ich scher' mich den Teufel ums
Vaterland,
RABEN AU, BAUMANN und ANDERE. Ha?
was sagt er?
BERNBURG. Wenn sie heute um mich schickten,
die Franzosen, und böten mir eine Leutnantsstelle an,
da nimm, und drauf und dran . . . holla, sie hätten
mich mit Haut und Haar.
BAU MANN, RABEN AU. Hoho! nimm dich in
acht! —
BERN BURG. Wo ist mein Vaterland ? Dort, wo
sie meine Gaben und meine Kräfte nützen können!
Nicht wo ich zufällig geboren bin.
RABEN AU. Hochverrat sag' ich.
EINIGE um Bernburg nehmen eine drohende Haltung ein.
ETZELT. Lassen Sie ihn doch, meine Herren. Er
meint es so übel nicht.
BAUMANN. Was will der Kleine?
ETZELT. Es muß nur recht verstanden sein. Be-
denken Sie doch, meine Herren ... es gab eine Zeit,
wo jeder, der Lust zum Soldatenhandwerk in sich ver-
spürte, sich werben Ueß und unter jedem beliebigen
Herrn focht — gegen Bezahlung, bald da, bald dort.
Und es gibt Geschichten von tapfern Söldnerführern,
die heut gegen denselben Staat mit der größten Hin
gebung kämpften — in dessen Dienst sie vielleicht
gestern Lohn oder Wunden davongetragen.
LEIB0L1. Damals war der Kampf eine Art
Tournier . . . oder eine Privatsache zwischen zwei
großen Herren. Diesmal heißt's Nation gegen Nation.
Die Deutschen gegen die Franzosen.
E7ZELT. Das hat keineswegs seine Richtigkeit.
Es ist noch kein halbes Jahr her, erinnern Sie sich,
meine Herren, da haben vier deutsche Könige und
dreißig deutsche Fürsten Napoleon in Erfurt gehuldigt.
89
Und auf des Erzherzogs Karl flammenden Ruf hat sich
rings in Deutschland von allen deutschen Völkern
kaum eines erhoben.
KRIBBLING. Tirol!
EINIGE. Tirol!
ETZELT. Ja, das eine, Tirol ... Wo blieben die
andern, wo bleiben sie heute noch?
BAUMANN. O Schmach, Schmach über Deutsch-
land.
KRIBBLING. Es wird sich ändern, Freunde, und
wir werden das unsre dazu getan haben. An Öster-
reichs heiligem Willen wird sich mancher andere ent-
zünden. Denkt an des Erzherzogs Karl Wort: Unsre
Sache ist Deutschlands Sache.
BAUMANN. Bravo, KribbUng.
LEIBOLT. Es lebe Erzherzog Karl!
FIELE. Es lebe Erzherzog Karl ! Unser Generalissi-
mus lebe hoch!
SCHELLBACHER beginnt zu singen; die andern stimmen
allmäblicb ein.
Habsburgs Thron soll dauernd stehn,
Österreich soll nicht untergehn.
Auf, ihr Völker, bildet Heere,
An die Grenze, fort zur Wehre,
Daß dem Kaiser in den Hallen
Siegesjubel einst erschallen.
Große Begeisterung.
ALLE. Es lebe unser Kaiser!
MEDARDUS. Und Tod dem, der schhmmeres ist
als Deutschlands Feind — Tod dem Erniederer und
Verächter der Menschheit, Tod und Vernichtung dem
Bonaparte! . . .
FIELE. Tod dem Bonaparte! Sie stoßen an und zer-
brechen ihre Gläser.
Bewegung, Zurufe, bin und her.
LEIBOLT. Ein Vorschlag, Freunde. Nach Hause
geht wohl keiner mehr von uns. Und wir müssen uns
beizeiten gewöhnen, im Freien zu biwakieren. Ich
lege mich in die Au unter den Sternenhimmel und will
dort meinen letzten, meinen vorläufig letzten Heimats-
schlummer tun . . . Wer vernünftig ist, tue das gleiche. . .
KRIBBLING. Kein übler Einfall, Freunde. Es ist
eine wundervolle warme Nacht, wir werden nicht
immer so gute haben.
BAUMANN. O Lenzeshauch, o Rosenstrauch . . .
FLANK brüUt ihn nieder.
Wir halten zur Fahn' in heißer Schlacht,
Bis es Gottes Gewalt durch uns vollbracht.
Wir schwören.
Einige singen mit, Bewegung, Beginn des Aufbruchs. — Der Wirt
ist gekommen, einige zahlen.
WINTER XU Elisabeth mit einem plötzlichen EnUcbluß.
Komm mit mir, Elisabeth.
ELISABETH. In die Auen? Das würde sich
kaum schicken.
WINTER. Weiter, Elisabeth. Es wäre nicht das
erstemal, daß ein Mädchen ihrem Geliebten ins Feld
folgt.
ELISABETH. Ins Feld?
MARIE. Was vnll er von dir, daß du so erschrickst ?
ELISABETH. Er ist toll geworden. Ich soll mit
ihm in den Krieg.
WINTER. Wenn es der Medardus war, der der-
gleichen von dir verlangte, nimmer fiel's dir ein, es
Tollheit zu nennen. Doch es ist genug. Leb' wohl,
oder leb' übel — wie du willst. Es ist aus. Er geht.
EINIGE ANDERE folgen ihm allmählich.
MEDARDUS ZU Etzelt. Etzelt, leb' wohl. Ich dank'
dir für deine Treu' und deine Freundschaft. Wie
immer es kommen mag, ich weiß, du wirst mich nicht
vergessen.
ETZELT lächelnd. Nein, Medardus, das werd' ich
nicht . . .
MEDARDUS. Und nun hab' ich noch eine Bitte an
dich, wirst du sie mir erfüllen?
ETZELT. Laß hören.
91
MEDARDUS. Wach* über meine Schwester.
ETZELT. Du gibst mir einen sonderbaren Auftrag.
Sollte dir plötzlich entfallen sein, daß sie verlobt ist ?
MEDARDUS. Mir ist bange, Etzelt. So voll Ver-
trauen bin ich von Hause fort — und nun, ich kann
mir nicht helfen, klingen mir Franzens Worte, ja seine
Stimme selbst klingt mir seltsam nach, wie gebrochen.
Wenn er gelogen hätte, Etzelt . . .
ETZELT. Warum willst du das vermuten?
MEDARDUS. Sie haben einander wiedergesehen,
auch da es ihnen verboten war. Lüge ist ihm also nicht
fremd, so wenig wie ihr. Wenn er sich die Gelegenheit
zunutze machen wollte, Etzelt, jetzt — da der Bruder
fort ist . . . Ich will's nicht zu Ende denken. Schwör
mir, Etzelt, schwör mir, daß du deine Augen offen
hältst. Ich weiß, du hast sie lieb, Etzelt, schwör mir,
daß du geradeso als wärst du ihr Bruder . . .
ETZELT. Schweig, Medardus. Deinen Wunsch
— ich kann ihn dir nicht erfüllen. Ich habe kein Recht
dazu.
MEDARDUS. Da ich's dir doch übertrage . . . ?
ETZELT. Wer gab es dir?
MEDARDUS. Etzelt . . .
ETZELT. Ich denke, über die eigene Seele und den
eigenen Leib mag jedes Menschenkind nach Belieben
verfügen. Auch ohne eines Bruders oder eines Pfarrers
Segen.
MEDARDUS. Etzelt, du sprichst von meiner
Schwester. Laß dich von deiner verdammten Philo-
sophie nicht zu weit locken.
ETZELT. Besser zu weit, als auf einen krummen
Weg. Daß heute noch so törichte Sorgen in dir wühlen,
ich hätt' es nicht erwartet. Tu sie ab von dir, Me-
dardus. Mir ist, als müßte einem, der eben auszieht,
das Vaterland zu retten, Größeres am Herzen liegen.
MEDARDUS. Wohin entschlüpfst du mir ? Willst
du mir sagen, du Zweifler und Philosoph, daß dir eben
das als etwas Großes erschiene i Ich glaub' es dir nicht.
9*
Ich glaube, im Tiefsten deiner Seele lachst du über
mich und uns alle.
ETZELT. Du irrst. Ich bewundere euch. Nicht
die bewundere ich, Medardus, die vorangehn, von
leuchtenden BHcken gefolgt, und von der winkenden
Unsterblichkeit gerufen, —vor jenen andern neig' ich
mein Haupt, Medardus, den Hunderttausenden, von
denen auch du einer bist und von denen jeder bereit
ist, namenlos mit tausend andern Namenlosen in ein
frühes Grab zu sinken, — oder aus Müh', Gefahr und
Pein, schlecht belohnt, in die ruhmlose Dämmerung
des Alltags hineinzuschleichen. Einen Frühling säen,
von dem keine Blüten euch zieren und dessen Duft
vielleicht nur über eure Gräber streichen wird, das
scheint mir groß.
Vor den Fenstern draußen beginnende Unruhe, Fackellicbt fällt im
den Hintergrund.
MEDARDUS. So nimm deine Bewunderung zurück,
Etzelt. Die Größe, die du meinst, mir ist sie nicht
eigen. Wer sagte dir, daß ich namenlos untergehn will
mit den andern? Deine Worte leuchten mir grell
in einen Winkel meiner Seele, aus dem ich's bis zu
diesem Augenblick selbst nur zagend flimmern sah.
Ob ich den Frühling schauen werde, den du meinst,
das weiß ich nicht. Doch wenn er mir erscheint, so
will ich mir seinen rötesten Blütenkranz auf die Stirn
drücken.
Winter, Scbellbacber, Leibolt und andere sind fortgegangen.
RA BEN AU. He, Wirt, wir haben noch unsere
Zeche zu zahlen, wo sind Sie denn schon wieder?
BAUMANN. Was gibt's denn da draußen?
Draußen siebt man im flackernden Liebt der Fackeln smei Männer,
die irgend etwas trugen und es nun niedersetzten.
WIRT draußen. Ich komme schon.
RA BEN AU. Was gibt's denn? Was ist das für eine
gewaltige Beleuchtung? Am recbun Fenster.
WIRT draußen. Verzeihung, es gibt, was es, Gott
sei*s geklagt, hier nicht eben selten gibt.
93
BAUMANN, RABEN AU am FensUr.
DU andern im Lauf der nächsten Worte auch bin. Etzelt und Mt'
dardusstebnvorn, werden beide aufmerksam, scheinen aber beide wie
festgebannt und rühren sich nicht.
WIRT erklärend. Hundert Schritt von hier, wie den
Herren bekannt ist, fließt die Donau vorüber, und
wenn sich einer in einer gewissen Entfernung von hier,
etwa dort, wo die Hütten der Fischersleute stehn, ins
Wasser wirft, er muß es nicht gerade selber tun, da
reißt ihn die Strömung in ein paar Minuten ins Schilf
da unten. Das ist wie Amen im Gebet . . . Wir sind's
gewohnt . . . Im vorigen Jahr waren es vierzehn! —
KRIBBLING der jetzt erst zum Fenster kommt. Ein Er-
trunkner.
ELISABETH und MARIE draußen. Zwei.
MEDARDUS und ETZELT sehen einander an.
MEDARDUS bUibt stehen.
ETZiELT entschlossen zum Fenster.
WIRT. Jawohl, ein junges Paar. Und wie es
seheint ein vornehmes Paar. Ja, auch das passiert
manchmal.
PLANK. Laßt uns gehn. Wirt, hier ist Ihr Geld.
Was kümmern uns die kleinen Unglücksfälle. Ihr
werdet andres zu sehen kriegen, Freunde. Er geht.
MEDARDUS ist durch die mittlere Tür hinausgestürzt, jetzt
bleibt sie offenstehen, hat eine Fackel ergriffen, leuchtet den Toten
ins Gesteht. Heiliger Himmel!
KRIBBLING. Was hast du, Medardus?
ETZELT zu den andern. Es ist Seine Schwester.
ELISABETH. Jesus Maria und Josef! . . . Agathe!
MARIE. Und der Bräurigam ? ! . . .
MEDARDUS stürzt berein mit der Fackel. Es kann auch
Wahnsinn sein ... Es kann auch ein Traum sein . . ,
Kennt ihr mich ? . . Bin ich Medardus Klähr ? Redet !
. . . Ihr redet nicht ... So ist es ein Traura . . .Wenn
ihr lebtet, so würdet ihr mir antworten . . . Wach' auf,
Medardus, du schläfst in den Auen. In die fackel starrend.
Die Sonne brennt dir durch die Lider, es wird Tag
9«
EfZELf. Medardus ... Er nimmt Um die Fackel avi
der Hand.
MEDARDUS. Etzelt! Ich träume nicht. Ich
wache! Ich lebe! Und die beiden, die da draußen
liegen, sind tot — und eine ist meine Schwester.
ETZELT. Medardus, fasse dich.
MEDARDUS. He, wo ist der Wirt ? Wollen Sie sie
draußen im Hof liegen lassen ? Herein mit ihnen. E«
ist Platz genug. Herein das edle Brautpaar . . . Wer
grinst da r ... Sie waren verlobt . . . zweifelt einer ? . . .
Ich war dabei, als sie sich verlobten . . . Weiß der
Himmel, was für eine Tollheit sie ins Wasser jagte . . .
Sie waren Braut und Bräutigam. Ich lüge nicht. Daß
sie noch heut Hochzeit machen wollten — das haben sie
mir freilich verschwiegen. Sie wollten sie wohl allein
feiern — und nun bin ich doch geladen . . . Freunde,
Freunde, geht doch, was hält euch noch ? . . . Gäste
genug . . . Etzelt und ich !
KRIBBLING. Medardus!
BERNBURG. Medardus...
MEDARDUS. Bernburg . . . Sieb plötzlich besinnend.
Es ist abgemacht, Bernburg . . . Verzeih, daß ich dir's
früher abschlug . . . aber . . . ich ahnte nicht . . . welche
Kraft deinen Wünschen innewohnte . . . Es sei . . . Rück'
du für mich zum Bataillon ... es könnte sein, daß ich
hier noch was zu tun hätte.
ETZELT. Komm zu dir. Was hättest du hier zu
tun ? Nichts mehr . . .
MEDARDUS vor sieb. Doch, doch . . .
BERN BURG. Ist das dein Ernst, Medardus?
MEDARDUS. Seh' ich dir sehr gelaunt zum Spaßen
aus . . . ?
BERNBURG. Kribbling, läßt es sich überhaupt
noch machen ?
BAUMANN. Ich glaube nicht, daß dies so ohne
weiters . . .
KRIBBLING. Ich nehm's auf mich, beim Bataillons-
kommandanten die Sache zu ordnen , . . Und du, Me-
95
dardus . . . Du meldest dich morgen in der Stadt am
rechten Ort . . .
MEDARDUS. Ich danke dir, Kribbling.
Indes sind die Leichen auf der Bahre hereingetragen worden.
RABEN AU. So ein ersoffener Prinz sieht auch nicht
lieblich aus.
MARIE KU Elisabeth. Hab' ich dir's nicht gesagt ?
Sie werden schon gewußt haben warum.
ELISABETH. Oh!
MEDARDUS deckt die Leichen mit seinem Mantel zu. Geht,
geht, ich bitt' euch, meine Freunde! Schlaft euch
aus. Glück auf den Weg! Nein, reicht mir die Hände
nicht, keiner, keiner , . . Diese Hand hier hat vielleicht
noch irgend was zu besorgen, ehe sie anderer ehrlicher
Männer Hände schütteln darf.
BERNBURG. Ich will dich umarmen, Medardus.
MEDARDUS. Fort, fort, keiner mir in die Nähe . . .
Mir ist, als zöge kein guter Hauch von mir aus . . . Lebt
wohl . . . geht . . .
Alle sind allmählich gegangen.
Elisabeth und Marie stebn draußen und scbaun »um Fenster berein.
WIRT zu Etzelt. Ich laufe zur Gendarmerie. Das
Wachhaus ist zweihundert Schritte von hier. Es
ist nämlich meine Verpflichtung, sofort die Meldung
zu erstatten. Ab.
ETZELT. Medardus!
MEDARDUS. Was willst du?
ETZELT stark. Laß mir alles über . . . Du folge
deinen Kameraden.
MEDARDUS ohne auf ihn zu hören. Sieh Sie an!
diese war ihnen zu gering! und darum mußte sie in
den Tod. Sieh sie an, Etzelt! War sie nicht adeliger
als alle Prinzessinnen der Erde, — und sie war ihnen
zu gering. Warum bist du nicht lieber in die Welt
hinaus, Schwester, mit ihm . . . warum ? . . . Schande ? !
. . . erloschnes Wort. Deine Asche weht in alle Winde
vor diesem Anblick. Hast du gefürchtet, Agathe, ich
hätte dir Böses getan — oder ihm ? Törichte Furcht,
96
Agathe ! Eh* du mir wieder begegnet wärst, hätte mir
ein Traum warnend dieses Bild gezeigt, — und beim
Erwachen hätte mich das' Glück, daß es nur ein Traum
war, — trunken gemacht. Und hätt' ich dich in einem
schlechten Haus gefunden, mit geschminktem Gesicht,
als feile Dirne — wär's nicht Seligkeit gewesen, gegen
jene« Bild, das nun Wahrheit wurde ?
ETZELT. Medardus, noch einmal rat' ich dir, folge
den andern. Was soll dein Kllagen? Es ist nichts als
ein wahnwitzig-ohnmächtiges „Ichglaubesnicht" zum
Himmel aufgeschrien, Agathe wacht nicht wieder auf.
Es muß hingenommen sein.
MEDARDUS. Nimm du es hin! Du kannst e«, ich
nicht. Denn ich, ich, Etzelt, ich war ihr Bruder . . .
Du, Etzelt, hast sie nur geliebt ! Wie wenig ist das ! —
Tollheit, Verlangen, Haß, ein wüstes Sausen auf-
gewühlten Bluts, das wieder ebbt . . . darum wandelt
auch deine Zärtlichkeit sich vor diesem Leichnam,
nach dem die Würmer hungrig sind, in Graun. Darum
flieht dein tiefstes Wesen schon in diesem Augenblick
fort von ihr — und du „verstehst" . . .
ETZELT. Mitstürzen in die Vernichtung oder er-
hobenen Hauptes weitergehn — es gibt keine andre
Antwort auf das Unabänderliche. Fühle, daß hier
alles zu Ende ist, Medardus, und geh.
MEDARDUS. Zu Ende ? Etzelt, ich bleibe. Hier
ist mein Platz. Denn ich weiß, was heut geschah, das
ist ein Anfang, Etzelt — kein Ende.
Vorbang.
llieaUntaclM. IV, 7
ERSTER AUFZUG
Erste Szene
Friedhof. Weit und groß. Mit uablreicben Grabsteinen und Krevmen.
Jenseits der Mauer im Hintergrund Hügelkette^ darüber blaßblauer
Himmel mit weißen Wolken. Zwei breite Wege von rechts und links
führen zu einem offenen Grab vorn Mitte, in dem ein Totengräber
beschäftigt ist. Anfangs nur wenig Leute, allmählich mehr. Zu
Beginn schon sieht man den uralten Herrn, von einem kleinen Mädchen
geführt, zwischen den Grabsteinen auf und ab gehen, Inschriften lesen,
auf die er zuweilen mit seinem Stock deutet. Es kommen eben Herr
Föderl, magerer, etwas ängstlicher Herr von fünfzig, und Frau Föderl,
wohlbeleibt und lebhaft.
HERR FÖDERL. Na siehst du, daß wir noch
zurecht gekommen sind. Beinah die allerersten sind
wir da.
FRAU FÖDERL. So sehn wir's wenigstens in der
Näh'. Können der Frau Klähr Kondolenz erweisen
und hören, was geredt wird.
HERR FÖDERL. Wer soll denn reden bei einer
solchen Leich'. Sie ist ja nicht einmal eingesegnet
worden.
FRAU WINKLER ältere, sehr gut gekUiieU Irrnn mit
ihrer Tochter Leopoldine kommen.
FÖDERL. Guten Tag, Frau von Winkler.
FRAU WINKLER. Guten Morgen.
FRAU FÖDERL. Ja . . . es ist eine traurige
G'schichtM . . .
FRAU WINKLER nickt. Meiner Poldi geht's gar
nah. Sie ist in die Schul' gegangen mit der armen
Agathe . . . und bis in die letzte Zeit manchmal ins
Haus gekommen.
LEOPOLDINE in Tränen aufs Grab weisend. Also da
drinnen, da werden sie beide liegen ?
FÖDERL. Beide?
FRAU FÖDERL zu ihrem Mann. Na, weißt es denm
nicht, ist doch sogar in der Zeitung gestanden . . . ich
hab' dir's doch vorg'lesen beim Kaffee.
9«
FRAU WINKLER. Ja, das ist ihr letzter Wunsch
gewesen. Sie haben Briefe hinterlassen, daß sie im
selben Grab zur Ruhe bestattet zu werden wünschen.
LEOPOLDINE in Tränen. Also da drin werden sie
liegen. Mutter, Mutter .. . Sie faßt ihr» Mutter btim Arm.
W ACHSHUBE R kommt. Junger Mensch von a8 Jahren^
mit ordinärer Eleganz gekleidet. Spricht immer sehr rasch. Fahrige
Bewegungen^ unsute Augen. Jawohl, in solchem engen Räume
endet Lust und Leid. Habe die Ehre, meine Herr-
schaften.
FRAU FÖDERL. Ah, der Herr Wachshuber.
FÖDERL. Mir scheint, Herr Wachshuber, Sie
werden noch bei ihrer eigenen Leich' als Spaßmacher
mitgehn.
WACHSHUBER. Na, hör'n S', Herr Föderl!
Wenn sich einer gebildet ausdrückt bei uns, so halt
»an 's für einen Spaß. Mir ist wirklich nicht zum
Spaßen.
FRAU FÖDERL. Haben Sie s' gekannt?
WACHSHUBER. Na, was denn! Glauben s', unser
G'schäft geht lo, daß ich zu meinem Vergnügen auf
den Friedhof laufen könnt'? Noch am Montag war
die Fräulein Agathe bei uns drin und hat Datteln und
Feigen gekauft und Malagatrauben.
LEOPOLDINE. Ja, die hat sie so gern gegessen.
WACHSHUBER. Alle jungen Fräuleins essen
Malagatrauben gern. Das ist eine eigene Bewandtnis.
FRAU FÖDERL. Haben Sie ihr was angemerkt?
WACHSHUBER. Aber nicht das geringste. Ich
mein' nämhch, daß sie sich was antun will, hab' ich nicht
gemerkt. L*ise. Was andres schon.
FRAU WINKLER siebt ihn streng an.
FÖDERL. E« soll ja niemand eine Ahnung gehabt
haben.
WACHSHUBER. Kein Mensch! So eine Ver-
stellungskunst.
FRAU FÖDERL. Man sollt' es so einem jungea
Mädel nicht zutraun.
99
WACHSHUBER. Zu Haus, yorm Fortgehn, haben
i' g'sagt, sie machen einen Abendspaziergang.
FÖDERL. Ein kurioser Spaziergang — in die Donau.
FRAU FÖDERL. Und is wahr, daß der eigene
Bruder sie herausgefischt hat?
WACHSHUBER. Genau so wird's wohl nicht
g'wesen sein. Er ist halt zufällig unten g'wesen in der
Praterau, beim blauen Walfisch. Dort bringen s' die
Ertrunkenen gewöhnlich hin.
SCHREU BLER dicker^ etwas heiserer Herr, der eben gekommen
ist. Das ist ein angenehmes Wirtshaus, da möcht' man
Stammgast sein.
Begrüßung mit den andern.
WACHSHUBER. In Damengesellschaft war er
unten . . . wie es heißt.
FRAU WINKLER. Ja, das weiß man vom jungen
Klähr.
FRAU FÖDERL. Ist er wirkHch so?
FÖDERL. Ein Lump! . . .
WACHSHUBER. Was die schönen Damen an-
belangt, da ist bald einer ein Lump. Oder es möcht'
gern einer ein Lump sein, trifft's nur nicht ein jeder.
DER URALTE HERR eine Grabscbrift lesend. „Hier
ruhet Ernst Josef Zehetgruber, bürgerUcher Hand-
schuhmacher, verstorben am i6. Feber 1798 im sech-
zigsten Lebensjahre." Es ist merkwürdig, es ist merk-
würdig,
WACHSHUBER. Was ist denn da so merkwürdig,
alter Herr?
DER URALTE HERR. Mit sechzig Jahren! der
arme Zehetgruber.
WACHSHUBER. Haben Sie ihn denn gekannt ?
DER URALTE HERR. Er muß viel versäumt
haben, der Zehetgruber! Mit sechzig Jahren sich da
hineinlegen müssen. Zum Totengräber. Was, das ist nichts
für uns ?
TOTENGRÄBER. Kommen auch amal dran...
Herr Hofrat.
WACHSHUBER. Ein Hofrat ist er . . .
DER URALTE HERR. Noch lang nicht, noch
lang nicht . . .
FRAU GRINZINGER ist eben dazu gekommen, noch %iem-
litb junge Frau mit lebbajten Augen. Wie alt sind denn Sie,
wenn man fragen darf?
WACHSHUBER. Ah, die Frau Grinzinger . . .
kü8s' die Hand. Der Herr Gemahl nicht anwesend ?
DER URALTE HERR. Ich bin dreiundneunzig.
FRAU FÖDERL. Hast gehört . . . dreiundneunzig
ii er.
SCHREUBLER. Was machen S' denn auf dem
Friedhof mit der Kleinen da ? Is Ihnen wer g'storben ?
DER URALTE HERR. Mir sind gar viele schon
g'storben. Zuerst meine Mutter, das ist neunzig Jahr
her. Dann mein Vater — vor siebzig. Dann meine
Frau vor fünfundfünfzig. Dann meine zweite, dai
war aber schon eher eine Gemahlin, vor vierzig. Dann
fünf Söhne und drei Töchter und so ungefähr dreißig
Enkelkinder, Das letzte Enkelkind, das war die Mutter
von der Kleinen. Ist auch schon sieben Jahr her.
Na, und seitdem is Ruh*.
WACHSHUBER gibt der KUinen ein Zuckerl. Da hast
was, Kleine. Sie darf schon, was, Herr Urgroßvater ?
FRAU FÖDERL. Haben S' vielleicht die zwei
jungen Leut' gekannt ?
DER URALTE HERR.. Was denn für junge
Leut' ?
FRAU FÖDERL. Die heut begraben werden. Die
Agathe Klähr von der Buchhändlerswitwe in der
Teinfaltstraße und den Franzosen, Graf soll er g'wesen
sein.
WACHSHUBER. Prinz, wenn's gefällig is, Prinz.
SCHREUBLER. Aber keine Spur! Auch kein Graf
nicht einmal!
DER URALTE HERR. Junge Leut' ? Wie alt sind
sie denn g'wesen ?
WACHSHUBER. Das Mädel war siebzehn. Und
lei
der Prinz, wie alt vsdrd denn der g'wesen sein ... Na,
sagen wir halt zw eiun dz wanzig.
DER URALTE HERR. Siebzehn und zweiund-
zwanzig . . . Na, rechne einmal zusammen, Greterl.
DAS KLEINE MÄDCHEN. Neununddreißig.
DER URALTE HERR. Neununddreißig! — Und
ich bin dreiundneunzig . . . Das ist eine Nummero, was ?
Setzt sieb *uf einen Grabstein. Was hat ihnen denn g'fehlt ?
FRAU GRINZINGER. Nicht« hat ihnen g'fehlt.
Ins Wasser sind sie gegangen.
LEOPOLDINE toetnt.
DER URALTE HERR. Warum sind sie denn ins
Wasser gegangen?
FRAU GRINZINGER. Umgebracht haben sie
sich halt.
DER URALTE HERR. Ah, so was. Haben »ie's
nicht erwarten können. Schaut's an, was ich für eine
Geduld hab'. — Warum haben sie sich denn umge-
bracht ?
WACHSHUBER. Aus Liebe, Herr Urgroßvater,
aus unglücklicher Liebe.
DER URALTE HERR. Aus unglücklicher Liebe?
. . . UnglückUcher Liebe, Aha, weiß schon, weiß
schon.
Einige mnire kommen (iarunUr Brail, ein eilfertiger^ etwas geheim-
nisvoller Mann mit großen Augen).
BRADL. Sie kommen schon.
WACHSHUBER. Jessas, is möglich, sie kommen
schon, die Franzosen ?
BRADL. Wer redt von den Franzosen, die Kondukte
kommen.
FRAU FÖDERL. Er muß halt immer seine Spaße
machen, der Herr Wachshuber.
FRAU GRINZINGER. Meiner Seel', Sie ver-
sündigen sich, das is nicht der Ort.
WACHSHUBER. Aber warum denn ? Alles is ein
Spaß für die Herrschaften ! Wie lang wird's denn noch
dauern, und sie sind wirklich da, die Franzosen.
101
SCHREUBLER. Das war* leider nicht unmöglich
nach den letzten Nachrichten aus Bayern . . . Und wir
erleben's vielleicht noch einmal, daß der Napoleon im
Schönbrunner Garten spazieren geht, gradso wie vor
vier Jahren.
WACHSHUBER. Freilich ist er draußt spazieren
gangen in Schönbrunn, weil er sich nach Wien doch
nicht hereingetraut hat!
BRADL. Ja, vor Ihnen hat er sich g'fürcht.
FÖDERL. Aber das is schon wahr, herin in der
Stadt hat ihn keiner g'sehn.
FRAU GRINZINGER. Manchmal soll er doch
hereingekommen sein, immer bei der Nacht.
WACHSHUBER. Fabeln.
BRADL. Das ist keine Fabel, das b wahr. Ich hab'
ihn selber g'sehn.
WACHSHUBER. Ja, wen man Ihnen für'n
Napoleon wird auf disputiert haben! —
BRADL. Mit zwanzig oder dreißig Offizieren is er
durch die Mariahilferstraßen hereingeritten und dann
durchs Kärntnertor, wie der Teufel.
FÖDERL. Malen Sie ihn nicht an die Wand, den
Teufel ... die Franzosen sind noch weit . . .
BRADL. Wenn s' aber schon die Schanzen aufbaun
im Prater.
FRAU FÖDERL. Das haben s' damals auch getan.
BRADL. Sind auch pünkthch anmarschiert ge-
kommen damals, die Franzosen!
SCHREUBLER. Nur daß man sie dazumal auch
gleich hereingelassen hat!
FÖDERL. Ist doch auch das gescheiteste gewesen.
Sie haben keinem was zuleid 'tan!
FRAU GRINZINGER. Aber diesmal kommen sie
un» nicht herein!
BRADL. Und warum ist denn die Schatzkammer
nach Ungarn fortg'schafft worden ? Und warum ist
denn Befehl gegeben, daß im Stadtgraben die Hütten
und die kleinen Häuser abgebrochen werden ? Und
103
Warum iit denn schon alles hergericht zum Verbrennen
Tön der Franzensbrücken ? !
WACHSHUBER. Und warum ist denn der Herr
Regierungsrat Pichler samt Familie abgereist . . . und
der Baron Klezlein ? . . . Lauter Kunden von mir — ?
FÖDERL. Ist denn das alles wahr?
BRADL. Und auf den Basteien oben, da arbeiten
sie wie nicht gescheit, besonders bei der Nacht.
FÖDERL. Aber davon kann doch keine Red' nicht
sein, daß zu einer wirklichen Verteidigung herg'richl
wird. Was geschah' denn nachher mit uns in Gumpen-
dorf ? Das kann doch dem Kaiser sein Wille nicht sein,
daß wir in der Vorstadt von beiden Seiten zusammen-
gefeuert werden ? Vom Feind und von unsern eigenen
Mitbürgern ?
FRAU FÖDERL. Aber gib Ruh', Föderl, sie sind
ja noch nicht da.
WACHSHUBER. Ein Heldenweib, die Frau Föderl.
Sie können sich gratulieren, Herr Föderl.
FÖDERL. Sie haben gut Spassetteln machen. Sie
wohnen in der Teinfaltstraße, mitten in der Stadt.
Wer gibt's uns denn geschrieben, daß die Franzosen
ihre Wut nicht an uns auslassen, wenn ihr sie nicht
hereinlaßt ?
SCHREUBLER. Ja, auf die Gumpendorfer haben
sie's scharf, die Franzosen.
FRAU GRINZINGER. Ruhe, Ruhe, sie kommen
ja schon.
M*H sübt dit Kondukte sieb nähern.
Ein junges Mädchen, Berta, tritt herzu.
BERTA. Grüß' dich Gott, Poldi . . .
LEOPOLDINE. Grüß' dich Gott, Berta . . .
BERTA. Der eine Zug geht rechts herum, der
andre links. Ganz zugleich werden sie da sein.
LEOPOLDINE. Ich kann's nicht glauben! Ich
kann's nicht glauben ! Ich denk' immer, es ist doch nicht
wahr.
BERTA tritt ganz nak zum Grab. Also da unten . . .
104
wie kalt's da herauskommt . . . Sie ubütult sieb. Sagen
Sie, Herr Totengräber, ist denn da Platz für zwei
Särge ?
TOTENGRÄBER. Platz genug . . .
BERTA. Wie werden S' denn das machen?
TOTENGRÄBER. Wird schon gehn, Fräul'n,
wird schon gehn — mir ist noch keiner aus'kommen.
FRAU WINKLER. Ja, Fräulein Berta . . . Es is
eine Lehre! Eine Lehre is es halt.
Index sind auch Elisabttb und Marie gekommen^ die sieb »iemlieb
abseits halten.
FRAU GRINZINGER. Und wenn s' tausendmal
von Adel sind, ich sag', solche Leut' soUt' man ein-
sperren. Sie sind halt doch nichts besseres als Mörder.
SCHREUBLER. Na, Frau Grinzinger, nicht gar
so scharf. Ich hab' mir sagen lassen, es gehn nicht alle
ins Wasser.
FRAU FÖDERL. Man hätt's nicht müssen so weit
kommen lassen,
WACHSHUBER. Ja, schließlich ein gewisser Unter-
schied muß aufrecht erhalten werden, da kann man
sagen, was man will. Ein Prinz und eine Bürgerliche
... es hätt' nicht gut getan. Ich bitt' Sie, Frau Föderl,
Sie würden sich's auch überlegen, eh' Sie Ihre Tochter . . .
FRAU FÖDERL. Ich hab' keine Tochter, Gott sei
Dank. Nur Sorge und Schand' hat man von ihnen.
DER URALTE HERR liest. AmaHe Zitterbart,
geboren 12. August 1780, gestorben 12. August 1789.
Achtzig bis neunundachtzig . . . wieviel ist das, Greterl ?
DAS KLEINE MÄDCHEN. Neun.
DER URALTE HERR. Die ist gar nur neun Jahr
alt geworden. Sixt, Greterl, brauchst dir nichts ein-
zubilden. Das kann einer jeden passieren. Neun Jahr
und an ihrem Geburtstag' auch noch. Merk' dir's,
Greterl! ....
Man verweist ibn zur Rübe, da die Kondukte scbon ganz nahe sind.
Er verscbtoindet mit Gretel vom Friedhof.
Die beiden Kondukte kommen. Von reebts der eine Sarg von seebs
XO5
Trigtrm g$trag*n, iabinUr gtbu dtr alte Htrmeg, groß und Kblank,
klind, geführt von Assalagny, seinem Amt. Dann die Herzogin,
stattlich, weißhaarig, dann DesolUux, einfach, über vierzig; CaiUard,
etwas eleganter, über zwanzig, zuletzt zwei Lakaien. Von links der
andere Sarg von sechs Trägern getragen; hinter ihm Frau Klähr,
Eschenbacher, Anna Berger, Etzelt und Medardus. Bargetti und
einige andere.
Zutrst Stille, dann Flüstern.
FRAU FÖDERL. Das ist der alte Graf?
WACHSHUBER. Das ist mehr als ein Graf, das
is ein Herzog.
FRAU GRINZINGER. Der is ja bUnd.
SCHREUBLER. Haben S' denn das nicht g'wußt ?
FRAU FÖDERL. Die Mutter, die kann noch gar
nicht alt sein. Nur ganz weiß ist sie halt.
FRAU GRINZINGER. Da kann eines leicht weiß
werden . . . vor Verzweiflung und Reu' . . .
FRAU FÖDERL. Wenn's nicht eine Perücken i».
BRADL. Die kenn' ich ja schon lang.
WACHSHUBER. Sehn Sie, Fräulein Poldi? Der
junge hübsche auf CaiUard deutend das is gewiß auch ein
Prinz.
BERTA. Geh, Poldi, wein' doch nicht.
LEOPOLDINE. Und da in dem Sarg drin soll die
Agathe liegen, mit der wir in die Schul' gegangen sind ?
Und vor acht Tagen is sie noch bei mir oben
g'wesen !
BERTA. Da ist ja auch die Anna Berger. Schlecht
sieht die aus.
FRAU GRINZINGER. Nein, so eine Leich' . . .
Der Sarg des Prinzen wird zuerst in das Grab gesenkt.
ESCHENBACHER zu Frau Klähr. Nur Ruhe, Ruhe . . .
FRAU KLÄHR. Sei getrost, Bruder, ich bin ruhig.
FRAU FÖDERL. Also wirklich ohne Musik und
ohne daß wer was redt.
FRAU GRINZINGER. E« ist, wie wenn sie einen
in eine Gruben hineinwerfen täten.
FÖDERL zu Eschenbacher. Ich kondoliere von Herzen.
ESCHENBACHER. Danke, Herr Föd«rl.
io6
WACHSHUBER. Mein Beileid, Herr Eschenbacher.
Mein Beileid, Frau Klähr.
Der andere Sarg wird in das Grah gesenkt. Stille^ viele schluchzen.
FRAU GRINZINGER. Was sagen S' dazu ? Haben
S' so was schon erlebt? — Von denen, die's angeht,
weint niemand.
HERZOGIN. Wie uns diese Leute ansehn ! Welche
feindseligen Blicke! Mir wird bang.
HERZOG. Es zwang Sie niemand hierher zu
kommen. Auch Helene blieb fern . . . Vielleicht hatte
sie recht.
HERZOGIN. Wohl Ihnen, der diese Bhcke nicht
lieht.
HERZOG. Ich fühle sie. Doch ficht's mich
nicht an.
HERZOGIN. E» zerreißt mir die Brust.
HERZOG. Beherrschen Sie sich.
HERZOGIN. Mir starb ein Sohn.
HERZOG. Mir starb mehr.
Schollen werden auf das Grab geworfen.
ANNA. Meine Agathe, meine gute Agathe . . . Sit
weint.
CAILLARD wirft eine Scholle aufs Grab. Fahr wohl,
Frangois, mein Freund.
DESOLTEUX.^Yihrc wohl, Prinz von Valois, Sohn
meines Herrn.
ETZELT wirft eine Schelle hinab.
MEDARDUS bleibt regungslos.
HERZOGIN wirft eine Scholle hinab, plötzlich schreit sie
wild auf, heinah wie ein Tier brüllend, und wirft sich weinend aufs
Grab.
FRAU GRINZINGER. Jetzt weint sie.
ANDRE. Jetzt weint sie.
FRAU FÖDERL. Jetzt ist's zu spät.
ANDRE. Hätt' sie sich's früher überlegt.
FRAU GRINZINGER. Vom Weinen ist noch
keiner wieder aufgestanden
FRAU FÖDERL, Der Himmel wird sie strafea
107
HERZOGIN. Ich bin ohne Schuld! Ich bin ohne
Schuld! —
Murmtln, Bewegung.
HERZOG von Asidagny geführt, tritt %u Frau Kläbr. Es
geziemt sich, Madame, daß ich mich Ihnen vorstelle.
FRJU KLAHR. Ich kenne Sie.
Die Leute^ sehr erstaunt und neugierig, versuchen in die Nähe %u
drängen^ werden auf der einen Seite von Eschenbacher, auf der andern
von Assalagny fortgedrängt.
HERZOG. Madame, ich beklage das unglückselige
Schicksal Ihrer Tochter nicht weniger als das meines
Sohnes . . .
FRAU KLAHR. Sie beklagen es — ?
MEDARDUS starrt ihn an.
ESCHENBACHER. Ruhig, Schwester.
HERZOG. Ich beklage es, doch ich bereue nichts.
FRAU KLAHR. So wünsch' ich, daß Gott Ihnen
verzeihn möge, ich vermag es nicht.
HERZOG. Ich bedarf keiner Verzeihung von den
Menschen, — und Gott zürnt mir nicht. Er wendet
sich ah.
Die Herzogin bat Heb indes, von Desolteux und CaiUard unterstützt^
erhoben.
FRAU GRINZINGER %u Frau Föderl. Haben Sie
was verstanden ?
FRAU FÖDERL. Von Verzeihung hat er was
g'sagt.
LEOPOLDINE. Jetzt is aus, Berta, jetzt is aus! —
Sie weint.
FRAU WINKLER. Komm, mein Kind!
Die Leute entfernen sich allmählicb.
Herzog, Herzogin, Assalagny, Desolteux, CaiUard, die Lakaien auf
der einen Seite,
FRAU KLAHR. Medardus . . .
BARGETTI. Ihre Mutter ruft Sie, Medardus.
FRAU KLAHR. WiUst du mich nicht nach Hause
führen ?
ESCHENBACHER. Komm, Medardus.
io6
MEDARDUS. Laß mich hier, Mutter.
FRAU KLÄHR siebt ihn an, dann %u Etzelt. Bleiben Sie
bei ihm, Etzelt ?
ETZELT nickt.
Frau Kläbr, die Btrgers^ Escbettbacber, Bargetti ab.
Etzelt. Medardus.
ETZELT. Medardus.
MEDARDUS ohne ihn anxusebn. Was willst du, Etzelt ?
ETZELT. Ich wollte, du könntest weinen.
MEDARDUS. Tränen sind tückisch, sie lösen
steinerne Verzweiflung in weichmütige Trauer auf
und schwemmen den Vorsatz der Rache mit sich
fort.
ETZELT. Treibe deinen Schmerz nicht ins Irre.
Nimm ihn Heber mit dir auf deinen vorgesetzten Weg
als stummen und edeln Gefährten.
MEDARDUS. Wohin mein Weg — ?
ETZELT. Du wirst dich drauf besinnen, wenn wir
jenseits dieser Mauern sind.
MEDARDUS. Wir können uns nicht mehr ver-
stehn, Etzelt ! Deine Sprache ist doch nur aus Worten
gemacht! Er wirft sieb aufs Grab bin.
ETZELT gebt.
MEDARDUS allein. Agathe! Schwester! Geliebte,
hingeopferte Schwester! . . . Kommt ihr nun doch,
elende Tränen ? FHeßt nur . . . fließt . . . Sanft
strömt ihr über meine Seele dahin und nehmet nichts
mit euch fort.
Er liegt der Länge nacb bingestreckt, hinter dem aufgeioorfenen
Hügel links, so daß die von recbts Kommenden ihn anfangs nicht
sehen können.
Helene, die Prinzessin von Valois, und Nerina, ihr Kammermädchen^
kommen von rechts^ von einem Friedhof stoäcbter geleitet, der sie
dann gleich verläßt.
HELENE. Hier also. Sie sUbt sinnend.
NERINA tveint.
HELENE. Du weinst, Nerina?
NERINA. Wie sollt' ich nicht, gnädigste Prinzessin f
109
So jung, so schön, so gütig — und mußte schon so
früh fort aus dieser Welt.
HELENE. Gütig und schön und jung . . . dies alles
war er wohl. Doch nicht für diese Welt geschaffen.
Drum verließ er sie.
NERINA. Prinzessin, es war doch Ihr einziger
Bruder, und Sie liebten ihn sehr. Auch Ihnen tut das
Herz weh, Prinzessin.
HELENE. Ja, das Herz tut mir weh, denn ich steh'
an seinem Grab. Aber wie ich ihn leben sah, hat mei-
nem Herzen noch schhmmer weh getan. Oftmals, da
wir beide noch Kinder waren und miteinander spielten,
hab' ich mir ihn als Jüngling geträumt. Und weißt
du, wie ich ihn vor mir sah ? Den Degen locker in der
Scheide, lachen, wenn Frauen zu seinen Füßen weinten,
und mit leuchtenden Augen in seine große Zukunft
schaun. — Und wie klägUch hat es sich erfüllt! Seine
Freude war, abends im Mondschein spazieren zu
wandeln, sanfte Melodien zu spielen auf dem Spinett —
und am Ende wird er närrisch über das erste hübsche
Gesicht, das ihm begegnet, und vergißt seiner hohen
Sendung Wenn er ihrer jemals gedacht hat . . .
NERINA. Gnädigste Prinzessin, man sagt . . .
HELENE. Was sagt man, Nerina?
NERINA. Das junge Geschöpf wäre von dem
Prinzen in der Hoffnung gewesen . . .
HELENE. U nd was weiter ? Es laufen mehr Kinder
herum, die ihren Vater nicht kennen — und sind mehr
Weiber ins Wasser gegangen, ohne ihre Liebhaber
mitzunehmen.
NERINA. Gewiß hat er sie sehr geliebt.
HELENE. Das ist es eben.
NERINA. Prinzessin, wenn Gefühle in unserer
Macht ständen . . .
HELENE. Ja, du weißt was davon zu erzählen . . .
Stille, Nerina, weine nicht . . . Ich habe sein Grab
gesehn zum ersten- und zum letztenmal — nun wollen
wir gehn — SU nimmt Blumen aus ibrtm GüruL Ruh' in
HO
Frieden, lieber, armer, törichter Bruder. Läßt iü Blumen
dufs Grab sinken.
MEDARDUS der Heb erhoben bat. Nehmen Sie diese
Blumen fort, Prinzessin. Hier ruht nicht Ihr Bruder
allein. Auch eine, deren arme Seele den Duft dieser
Blumen wie den letzten und fürchterlichsten Hohn
in sich tränke, — meine Schwester ruht in diesem Grabe.
HELENE steht ihn an, dann %u Nerina. Die wohl um
einiges sanfter war, wenn sie meinem Bruder so wohl
gefiel. Komm, Nerina.
MEDARDUS. Die Blumen fort, oder ich zertrete
lie.
HELENE nimmt sie auf. Wahrhaftig, dies wäre ein
zu gemeines S(.hi:ksal.
MEDARDUS, Nun sind sie einem würdigeren auf-
bewahrt, — zu verwelken in den hochmütig mörde-
rischen Fingern einer Valois.
DER MARQUIS BERTRAND VON FALOIS
über dreißig, sehr elegant, kommt rasch. Ich dachte Sie hier ZU
finden, Prinzessin. Doch nicht allein, wie ich sehe — ?
MEDARDUS. Ich bin Medardus Klähr.
HELENE. Es ist der Bruder des Mädchens, das
Frangois mit sich in den Tod nahm, und — verbot
mir eben, Blumen auf dies Grab zu legen.
MARQUIS. Mein Name ist Bertrand, Marquis
von Valois. Ich sehe, daß Sie eine Waffe tragen, mein
Herr. Wenn es Ihnen recht ist, werde ich so frei sein,
Sie von jetzt in drei Stunden, das ist genau um die
Mittagszeit, in der Penzinger Au bei dem Forsthaus
xu erwarten.
MEDARDUS. Ich werde zur Stelle sein. Ab.
HELENE. Er verdient, daß Sie ihn züchtigen.
MARQUIS. Sie werden mir das Nähere erzählen,
Prinzessin. Zuerst aber sollen Sie eine Nachricht von
höchster Wichtigkeit erfahren. Dieses Billett kündigt
mir die Ankunft Renaults an.
HELENE. Renault ? . . . wir haben länger als ein
Jahr nichts von ihm gehört.
III
MARQUIS, icn sprach ihn ror einem halben Jahr
in Holland ... Er gab sich mir als einen begeisterten
Anhänger Ihres Vaters zu erkennen.
HELENE, Er verüeß uns als solcher . . . Aber
man hörte nichts mehr von ihm . . . Nichts Be-
stimmtes wenigstens. Was hilft es uns übrigens heute,
daß er wieder da ist. Hätt' es uns jemals geholfen?
MARQUIS. Er kommt aus Paris. Wir werden ja
hören, was für Nachrichten er bringt.
HELENE, die ihre Finger betracbut bat. Hochmütig,
mörderisch nannte er diese Hand . . . Plöt%licb. Töten
Sie den jungen Menschen, der da eben fortging, und
ich will die Ihre sein, Bertrand.
MARQUIS. Helene darf ich Sie zu Ihrem
Herrn Vater geleiten ?
HELENE. Geduld, Herr Marquis! Suchen Sie
Ihre Freunde auf. In drei Stunden müssen Sie mit
ihnen in der Penziger Au sein. Auf Wiedersehen nach-
her. Komm, Nerina. Ab mit ihr.
Zweite Szene
Alter Garten, xu dem Scblößcben gehörig, das der Herzog hewhnt.
Das kleine Scblößcben selbst links recht vernachlässigt, einstöckig.
Breite Stufen führen in den Gartensalon. Rechts vorn ein Boskett,
rückwärts unter Bäumen ein Teich. Verwitterte Sandsteinfiguren.
Rings um das Scblößcben eine Mauer, die durch hohe Bäume größten-
teils gedeckt ist.
Helene und Nerina auf einer Bank.
NERINA. Welch ein Tag, Prinzessin!
HELENE. Er ist noch nicht zu Ende.
NERINA. Gott sei davor, daß er ein schUmmes
Ende nehme für irgendwen.
HELENE. Hast du nicht gehört, was ich dem
Marquis versprach, Nerina? Ich kann mir Männer
denken, auf die solch eine Aussicht nicht ganz ohne
Wirkung bliebe . . . Wie fandest du übrigen«, daß er
aussah . . . ?
III
f^ERINA. Wie einer, den man nicht gleich ins
Tollhaus stecken müßte, — wenn er sich einbildete,
einer so edeln Hand würdig zu sein.
HELENE. Der Marquis, meinst du — ? Er hat
es nicht schwer, gut auszusehn. Diese Gabe bringt
jeder aus dieser Familie mit auf die Welt. Ich meinte
den andern. Wie fandest du den?
NERINA. Wild genug sah er aus. Und bedrohlich
beinah.
HELENE. Wahrhaftig, er hatte einen recht
flammenden BUck . . . und eine fast einwandfreie
Haltung. Ganz natürhch fand ich ja beides nicht.
Aber er fiel wenigstens nicht aus der Rolle. Und er
sieht aus, als wenn er — verstünde den Degen zu
führen.
NERINA. Mir sagte jemand, daß die Studenten
hier bei einem itaUenischen Fechtmeister Unterricht
nehmen.
HELENE. Wahrhaftig, du hast deine Verbindungen
überall.
NERINA. Immerhin, verzeihen Sie, gnädigste
Prinzessin, es bleibt ein lächerlicher Handel. Der
Marquis von Valois und ein Wiener Bürgerssohn! . . .
So sehr ich einen guten Ausgang für beide wünschte
— mir ahnt ja doch, als würde der arme Junge seiner
allzu geliebten Schwester früher folgen müssen, als
ihm heb ist.
HELENE. Du sprichst mir zu Gefallen, Nerina.
Wir wollen nicht zu früh frohlocken, es kann auch
anders kommen. Sie erbebt neb. Wie lang ist's her, daß
wir wieder zu Hause sind?
NERINA. TjViti Stunden kaum, gnädigste Prin-
zessin.
HELENE. Zwei Stunden . . .
NERINA. Welch ein Tag, Prinzessin.
HELENE. Hole die Federbälle, Nerina. Wir
wollen spielen.
NERINA. Jetzt, Prinzessin? Heute!?...
ThMUntSck«, IV, I II J
HELENE. Warum nicht ? Man muß doch irgend-
wie die Zeit hinbringen. Sollen wir seufzen ? Sollen
wir dasitzen und warten ? Es wird nicht anders . . .
Nichts wird anders, ob wir nun Ball spielen oder
klagen . . .
NERINA ab.
Helene, — Desolteux und Assalagny aus dem Hause.
HELENE. Wie haben Sie meinen Vater verlassen,
Doktor Assalagny?
ASSALAGNT. Er hält sich vortrefflich. Ja, über
alle Erwartung gut. Man möchte fast sagen, — wie
einer, der nicht ganz zu fassen vermag, was geschehn
ist. Die Frau Herzogin, Ihre Mutter, Prinzessin, faßt
es leider ganz . . . Sie ist allein.
HELENE. Ich weiß. Aber es ist mir nicht gegeben,
die Worte zu finden, nach denen es sie in einer solchen
Stunde wohl verlangen möchte. Und schweige ich,
so blickt sie mich angstvoll an, — als verschlösse ich
in mir ein Geheimnis. Meine Gegenwart ist ihr also
von keinem Nutzen . . . Herr Renault ist noch nicht
zur Stelle?
DESOLTEUX. Er wird erwartet, gnädige Prinzessin
Sie erinnern sich seiner noch?
HELENE. Warum sollt' ich nicht? Wir sehen
wahrhaftig nicht gar so viel Leute. Und er gehört
nicht zu den Gewöhnlichen.
ASSALAGNT. Er hat etwas von einem Phantasten
und viel von einem Abenteurer.
DESOLTEUX. Ich wage nicht über ihn zu urteilen.
Er ist immer nur auf wenige Tage am Hofe des Herzogs
von Valois erschienen.
HELENE. Im Hause des Herrn von Valois —
müssen Sie sagen, Desolteux. — Nicht wahr, Doktor
Assalagny ? Und dabei ist es nicht einmal unser Haus . .
Zur Miete wohnen wir hier! . . . wie überall . . .
Wer mag daheim in Frankreich in unserm eigenen
wohnen ?
DESOLTEUX. Hier kommt Caillard.
114
ASSALAGNT. Er ist nach Neuigkeiten auf der
Bastei gewesen.
CaiUard kommt und verbeugt sieb vor der Prinxessin,
Helene. Assalagny, Desolteux.
HELENE. Guten Morgen, Herr Caillard, was
bringen Sie uns ?
DESOLTEUX. Bewahrheitet es sich, daß sich die
Stadt zur Verteidigung bereit macht ?
CAILLARD. Man möchte es beinah glauben. Die
Wehre werden erhöht, Schießscharten eingeschnitten,
Zugbrücken repariert, man sieht auch schon ziemHch
viel Bürger in Uniform herumstolzieren. Aber mir
scheint, sie tun das alles mehr aus Geschäftigkeit,
vielleicht um ihr Gewissen zu beruhigen, als weil sie
die Sache für sonderlich ernst halten. Sie sind so
guter Dinge, als wenn es sich um die Vorbereitungen
zu einem Fest handelte. Es heißt auch, daß ein Teil
der Bürgerschaft eine Bittschrift an den Kaiser Franz
gerichtet hat, die Stadt nicht den Fährlichkeiten
einer Belagerung auszusetzen. Einer der Erzherzöge
soll es befürwortet haben. Ich weiß nicht mehr
welcher.
DESOLTEUX. Und daran, daß das französiche
Heer noch aufzuhalten sein könnte, denken die Leute
gar nicht mehr?
CAILLARD. Ich glaube niemand. Wenn sie auch
den Erzherzog Karl . . . trotz Ingolstadt und Eck-
mühl für einen großen Feldherrn halten. Und um
gleich alles zu berichten, Ausweisungsbefehle an die
in Wien anwesenden Fremden sind bereits in großer
Zahl ergangen.
DESOLTEUX. So ist es wieder einmal an der Zeit,
die Koffer zu packen.
HELENE. Desolteux! — Dem Herzog von Valois
und seiner Begleitung hat der Kaiser von Österreich
selbst vor drei Jahren hier ein Asyl bewilligt. Man
wird ihn nicht daraus vertreiben.
CAILLARD. Das vielleicht nicht — aber im Augen-
8« IIS
blick, da Napoleon vor der Stadt steht, wird das Asfl
für uns zu einer Mausefalle.
ASSALAGNT. Die Gefahr scheint mir nicht groß.
Bonaparte wird das Asylrecht des Herzogs von Valois
nicht antasten.
HELENE. Warum sind Sie davon überzeugt,
Doktor? —
ASSALAGNT. Weil Bonaparte keine seiner Seelen-
kräfte an Unnützes verschwendet. Glicht einmal seine
Furcht.
HELENE. Ich verstehe Sie nicht, Doktor.
ASSALAGNT. Es ist Ihnen gewiß nicht unbekannt,
Prinzessin, daß Bonaparte vor ein paar Jahren einen
englischen Juden nach Warschau geschickt hat, um
dem Grafen von Provence, jetzigen Grafen von Lille,
Geld anzubieten für den endgiltigen Verzicht auf
Frankreichs Krone. Beim Herzog von Valois hat er
nicht einmal das für notwendig gehalten.
DESOLTEUX. Hat er diese Beleidigung nicht
gewagt — !
ASSALAGNT. Ich bitte Sie, Desolteux! Was
würde Bonaparte nicht wagen! ... Er hat einfach, ge-
stehen wir's uns doch ein, die Ansprüche des Herzogs
von Valois niemals ernst genommen. Und er sollte es
heute tun, — heute — da der Herzog selbst zu unserm
tiefsten Schmerz alle seine Ansprüche . . . alle seine
Träume begraben mußte?! Der Herzog von Valois
ist so verehrungswürdig als beklagenswert, und es
schiene mir grausam, auch nur den Gedanken einer
Flucht vor ihm laut werden zu lassen.
HELENE siebt ihn wortlos an und entfernt sieb nacb
rechts.
CAILLARD. Sie sind in Ungnade gefallen, Doktor
Assalagny.
DESOLTEUX. Auch könnten Sie sich in der An-
nahme täuschen, daß der Herzog seine wohlberech-
tigten Ansprüche aufzugeben gedenkt, weil sein Sohn
nicht mehr lebt. Der Marquis von Valois ist hier —
II«
und bewirbt sich um die Hand der jt'rinzessin. Und wir
erwarten Renault.
ASSALAGNr. Politik ist meine Sache nicht. Ich
bin der Arzt eines blinden, kranken Mannes — be-
trachten Sie alles, was ich sage und tue, von diesem
Standpunkt, meine Herren. Ab.
DesolUux. Caillard.
CAILLARD. Ich weiß nicht sicher, ob Bonaparte
Grund hatte, den Herzog von Enghien zu fürchten . . .
Daß er ihn hat erschießen lassen, ist zweifellos . . .
DESOLI EU X. Was wollen Sie damit sagen,
Caillard — ?
CAILLARD. Werden Sie — am Hofe des Herzogs
von Valois bleiben, Desolteux?
DESOLTEUX. Ob ich bleiben werde? Ich habe
vor siebzehn Jahren Frankreich mit dem Herzog ver-
lassen, da er noch ein Mann war und die Welt im Lichte
seiner stolzen Augen vor ihm blühte. Ich war der Ge-
fährte seiner Verzweiflungen und seiner Hoffnungen
bis zum heutigen Tag. In Hamburg, in Kopenhagen,
in Amsterdam war ich an seiner Seite . . . Ich habe
seine Kinder ein Vaterland lieben gelehrt, das sie und
uns alle ausgestoßen hat. — Seit der unglückliche
Sohn des hingerichteten Ludwäg dahin ist, weiß ich,
daß keinem andern die Krone Frankreichs gebührt
als dem Herzog von Valois. — Und Sie fragen mich,
ob ich bleibe ?
CAILLARD. Keinem andern? Sie werden nicht
leugnen, Desolteux, daß man dem Grafen von Lille,
dem Bruder des hingerichteten Königs, mindestens
die gleichen Ansprüche zugestehen muß als — einem
Vetter im dritten Grade?
DESOLTEUX. Der Graf von Lille hat für mich
jedes Recht auf die Krone verwirkt, seit er gegen sein
eigenes Vaterland die Waffen ergriff.
CAILLARD. Er tat es doch nur, um zu seinem
Recht zu gelangen, Desolteux!
DESOLTEUX. Der König, der an lieh selbst
"7
glaubt, wartet, bis sein Land ihn ruft. Wir könnten
dergleichen noch erleben, Caillard!
CAILLARD. Der Prinz von Valois ist tot, Desol-
teui!
DESOLTEUX. Auch in den Töchtern der Valois
fließt königliches Blut.
CAILLARD. Desolteux, wollen Sie wirklich Ihr
Leben lang der Narr eines Narren bleiben?
DESOLTEUX. Caillard! Ruhiger. Warum sind Sie
nicht längst von hier fortgegangen, Caillard?
CAILLARD. Sie fragen? Fran?ois war mein
Freund. Ich hätt' ihn nie verlassen. Aber ich kannt'
ihn, Desolteux! Groß zu sein war er nicht geboren,
doch er war geschaffen Größe zu verstehn. Und ein-
mal wäre der Tag gekommen, an dem wir beide zu-
sammen von hier fortgegangen wären, um im Schatten
eines Größern dem Vaterland zu dienen!
DESOLTEUX. Verstecken Sie sich nicht hinter
einem Toten, Caillard, der Prinz kann Sie nicht mehr
Lügen strafen. Sie sind treulos und jung. — Ich würde
an Ihrer Stelle nicht länger zögern . . . und dem Rufe
meines Herzens folgen.
Renault kommt. Über vierxig. Grau mtlurttr hUiner Knebelbart.
Narbe auf der Stirn. Blitzende Augen, lebkaft, sehr vollendete
Formen, manchmal eine Art von Herzenston, d*r nicht recht glaub-
haft wirkt.
Desolteux. Caillard.
RENAULT. Desolteux, Caillard, meine Freunde,
ist es denn auch wahr ? Händedruck».
DESOLTEUX. Heute morgens, Renault, haben
wir ihn begraben.
RENAULT. Ich kann es gar nicht fassen. Der Prinz
von Valois tot — durch eigene Hand. Und wegen
einer dummen Liebesgeschichte, wie man erzählt. Ihr
hättet besser auf ihn acht geben müssen. Nicht Sie
mein' ich, Desolteux, denn seine Erzieher führt man
ja immer hinters Licht. Aber Sie, Caillard, Sie waren
sein Freund.
ii8
CAILLARD ubr Uicbt. Ich hoffe, Renault, Sie werden
es sich nicht einfallen lassen, irgend jemanden für den
Tod des Prinzen verantworthch zu machen, weder
mich noch einen andern.
RENAULT mit Herzenston. Caillard, ist das die Art
einen Mann zu empfangen, der seit drei Wochen in
keinem Bette schlief, um zu guter Stunde bei seinen
Freunden einzutreffen?
CAILLARD. Eine gute Stunde, bei Gott.
DESOLI EU X. Wann haben Sie Paris verlassen?
RENAULT. Am gleichen Tage wie Bonaparte.
Und bin früher da als er.
CAILLARD. Sie hatten allerdings weniger auf
dem Weg zu tun, Renault.
REN AU LT Uicbt. Ich hoffe nun meinerseits, Caillard,
Sie nehmen wir nicht etwa übel, daß ich nicht unter
den Fahnen — eines korsischen Offiziers fechte.
CAILLARD. Nicht mehr müssen Sie sagen,
Renault. Diese Narbe stammt ja meines Wissens von
Marengo.
RENAULT. Aus einer Zeit, Caillard, da Bonaparte
der kühnste Soldat seines Landes war, nicht sein
Tyrann. SoUte es wirklich notwendig sein das an
dieser Stelle zu erklären ? Oder hat sich der Boden
verwandelt, auf dem ich stehe? Ist dies nicht mehr
der Hof des Herzogs von Valois ?
CAILLARD. Es dürfte nicht schwer sein, ihn vom
Hof des Grafen von Lille zu unterscheiden, den Sie ja
noch besser kennen dürften!
RENA UL T ihn scharf und ruhig betracbuni. Ist es das . . .
üerxog und Dr. Assdagny treten aus dem Gartensaal. Desolteux.
Caillard. Renault.
RENAULT ihm rasch entgegen. Mein Herzog . . .
HERZOG. Die Stimme Renaults! Sein Sie mir
willkommen. Er reicht ihm die Hand.
RENAULT beugt seine Knie und küßt die Hand.
HERZOG. Wer ist außer Ihnen hier anwesend ?
DESOLTEUX. Ich, Herzog.
"9
CAILLARD. Und ich . . .
HERZOG. Und unser Vetter, der Marquis?
DE SO LT EU X. Er fehlt noch.
HERZOG XU tinem Lakaien, itr auf der Stufe itr Terrass$
tuben geblieben ist. Man setze meine Gattin und meine
Tochter von der Anwesenheit des Herrn Renault in
Kenntnis.
LJKJI ab.
HERZOG. Renault, was haben Sie mir zu berichten ?
RENAULT. Nichts, mein Herzog. Denn alles ist
nun sinnlos geworden . . . außer meinem Schmerz.
HELENE kommt. Hier bin ich, mein Vater. Meine
Mutter läßt sich entschuldigen, sie fühlt sich nicht
fähig, irgendeinen Menschen zu sehn, und war es auch
einer, den wir alle willkommen heißen. Sie reicht Renault
die Hand.
RENAULT beugt sein Kni$ und küßt die Hand. Prin-
zessin . . .
HERZOG. Sie kommen aus Paris . . .
RENAULT. Es war mein letzter Aufenthalt,
Herzog. Ich war nur wenige Tage dort. Große Reisen
liegen hinter mir.
HERZOG. Sie waren in Spanien?
RENAULT. Ja, Herr Herzog, und vorher in War-
schau.
HERZOG. Beim Grafen von Lille?
RENAULT. Es schien mir unerläßlich, ihn von
Angesicht zu sehen, um es begreifen zu dürfen, daß
kein vernünftiger Mensch in Frankreich mehr — an
ihn glauben will.
HERZOG. Und Sie begreifen es nun ?
RENAULT. E« war nicht schwer. Die Sache ist
einfach die, daß er selbst aufgehört hat, an sich zu
jlauben. Er hat sich in England ein Schloß gekauft
— lebt nun als eine Art von Landedelmann in Bucking-
ham und wird am Ende, gleiches mit gleichem ver-
geltend, Frankreich vergessen.
HERZOG. Daß Sie in Spanien waren, Renault, ist
IM
uns bekannt. Nun ist es ja aucii dort zu £ncle mit
unsem bourbonischen Vettern. Und der Bruder des
General« Bonaparte ist König von Spanien. — Welche
Welt!
RENAULT. Zum König gemacht von einem, der
sich selber zum Kaiser ernannte. Es wäre eine Scherz-
frage, welcher Titel weniger wert ist.
HERZOG. Wenn es darauf ankäme! — Seine
Truppen sind auch in Spanien siegreich, das bleibt
das WesentUche.
RENAULI. Auf offenem Felde, Herzog, und unter
Opfern, die ungeheuer sind. Aber neben diesem
großen, sozusagen offiziellen Krieg, neben diesen
Schlachten und Belagerungen gibt es auch einen
kleinen, in Engpässen, auf verlorenen Straßen, in
kleinen Dörfern — mit Überfällen aus dem Hinterhalt
und dergleichen, der alles zunichte macht, was im
Feld gewonnen wird. Es ist heute soweit, daß kein
Franzose in Spanien es wagt, sein Haupt zur Ruhe zu
legen, wenn nicht zwei andre vor der Türe Wache
halten. Ungeheuer ist der Haß gegen Bonaparte im
Lande. Sie fühlen, daß niemand Kriegsrecht halten
muß gegen einen, vor dessen Willkür und Tücke
keinerlei Gesetze gelten. Die Welt wird ein Beispiel
sehn, daß ein zweifellos großer Feldherr allmählich
an seinen Siegen verblutet. Spanien ist das Grab von
Bonapartes Glück, es beginnt auch das seines Ruhmes
zu werden. — Und vielleicht hat er selbst es nur so
rasch verlassen, weil er fürchtet, sich persönHch seinem
Ruhm und seinem Glücke zur Seite in dies Grab legen
zu müssen.
HERZOG. Hier lächelt einer!
CAILLARD. Ich war es, Herr Herzog. Ich wage
zu finden, daß uns Herr Renault mit all seinem Geist
für den Mangel an Tatsachen auf die Dauer nicht wird
schadlos halten können.
HERZOG. Caillard, Sie haben keine besondere Zu-
neigung für Herrn Renault.
IZl
CAILLARD. Das ist die Wahrheit, Herzog.
HERZOG. Caillard, Sie haben in diesem Hause
niemals einen andern geliebt als meinen Sohn. Und
mein Sohn ist tot. Niemand wird versuchen, Sie an
einem Orte zurückzuhalten, der Ihnen nun nichts mehr
zu bieten hat als eine traurige Erinnerung.
CAILLARD. Herr Herzog, ich empfange mit Ehr-
erbietung Ihren letzten Befehl. Er gebt.
HERZOG. Weiter, Renault. Sprechen Sie von
Frankreich. Von Paris. Erzählen Sie uns von unsern
Freunden, wenn es noch solche gibt.
RENAULT. Wenn es solche gibt — ? Ich darf wohl
sagen, der Herzog von Valols hat mehr Freunde als
der General Bonaparte.
DESOLI EU X. Der sie niemals hatte! Lakaien oder
Verzückte waren um ihn. Lakaien erheben sich, Ver-
zückte kommen wieder zu Verstand. Nur Freunde
sind treu.
RENAULI. Wenn sie nicht zufällig Verräter sind.
ASSALAGNT. Caillard ist nicht mehr zugegen,
Herr Renault.
RENAULT. Man wird ihn zu finden wissen
HERZOG. Ich verbiete Ihnen, sich um ihn zu
kümmern, Renavilt. Sie haben Wichtigeres zu tun.
Weiter . . . weiter . . .
RENAULT. Herr Herzog, wozu?... Der Prinz
von Valois ist \ tot.
HERZOG. "Sprechen Sie, Renault.
RENAULT. Ich kann nicht. Was ich noch zu sagen
hätte, das ginge an den Prinzen selbst.
HERZOG. Sprechen Sie — als stünde der Prinz
lebendig an meiner Seite.
RENAULT. Es wird klingen wie Hohn.
HERZOG. Sprechen Sie!
RENAULT. Ich kann nicht, Herr Herzog! — Ich
war ja hergesandt, um den Prinzen nach Paris zu holen.
HERZOG. Renault!
HELENE. Er wäre Ihnen nicht gefolgt.
112
RENAULT. Dem Rufe Frankreichs nicht ge-
folgt, Prinzessin ? Er xiebt tinen Brief aus der Brusttoicbe.
Werfen Sie einen Blick her, Prinzessin, sehen Sie die
Unterschriften.
HELENE. Thibeaudeau, Pons de Verdun, Gregois,
der Oberst Mariotti, — das kann alles bedeuten und
nichts. Es sind Grüße und Namen, nicht mehr . . .
RENAULT. Aber welche Namen H
HELENE. Auch Fouch6?
HERZOG. Fouch6 — ?!
ASSALAGNT. Pouche, der Polizeipräsident?
RENAULT. Am Abend meiner Abreise war ich
mit allen diesen zusammen . . .
HERZOG. Was sollte mein Sohn in Paris?
RENAULT. Bereit sein, Herzog.
HERZOG. Sind wir so weit?
RENAULT. Wir sind . . . nein, wir waren es.
HELENE. Bereit ... ich verstehe Sie nicht, Herr
Renault, es ist ein Wort . . . „bereit" . . .
RENAULT. Der Prinz von Valois sollte bereit sein
für den Fall, daß dem General Bonaparte auf seinem
Siegeszug etwas Menschliches begegnete.
HELENE. Für den FaU! . . .
ASSALAGNT. Diese Einschränkung ist ein Strich
durch das Ganze.
DESOLTEUX. Es wäre eine traurige Bereitschaft
gewesen.
ASSALAGNT. Und eine etwas langweilige.
RENAULT. Man hält Bonaparte für unverwund-
bar, auch hier . . . wie es scheint.
DESOLTEUX. Er ist unverwundbar, wie alle
Helden, die es vorziehn, nicht in der Schußlinie zu
«tehn.
HELENE. Das ist nicht wahr, Desolteux ... Da
scheint mir das Märchen von der Unverwundbarkeit
noch glaublicher.
RENAULT. Das Märchen ist zu Ende, Prinzessin!
Vor Landshut traf ihn ein Granatsplitter am Fuß.
"3
DESOLTEUX. Wie?!
RENAULT. Und es könnte sich wohl einmal ein
Splitter oder eine Kugel oder irgend sonstwas von
größerer Entschiedenheit finden. Schweigen. Es wird
niemanden hier wundernehmen, daß auch solche Mög-
lichkeiten in Betracht gezogen werden von Leuten,
denen die Zukunft Frankreichs am Herzen liegt. Und
es gibt mehr — viel mehr Leute in Frankreich, die das
Eintreffen einer solchen Möglichkeit ersehnen, als man
hier zu ahnen oder zu hoffen scheint. Ich aber komme
aus Frankreich. Und ich weiß: Frankreich ist müde,
jedes Jahr neue Hunderttausende auf unersättliche
Schlachtfelder zu senden. Es bricht zusammen unter
der Last von so viel Siegen, deren Früchte es niemals
zu kosten bekommt. Es hat Ruhm genug, es will end-
lich den Frieden. Und ich wage ein Wort zu wieder-
holen, das Fouch6 zu mir sprach, ehe ich Paris verließ :
„Lassen Sie den Prinzen von Valois einmal durch die
Straßen von Paris reiten — und in der nächsten Stunde
hat Frankreich, das Frankreich, das zu Hause ist, einen
König. Mögen die draußen ihren Kaiser behalten."
HERZOG. Renault . . .
RENAULT. Wohin gerat' ich . . . Der Kaiser
Napoleon ist auf dem Wege nach Wien — und den
Prinzen von Valois hat man heute begraben. Meine
Anwesenheit muß Ihnen qualvoll sein, Herr Herzog,
— erlauben Sie mir, mich zurückzuziehen.
HERZOG. Nicht so geschwind, Renault . . . Ruhn
Sie sich ein wenig aus, ich werde vielleicht mit Ihnen
noch zu reden haben. Meine Herren, lassen Sie mich
mit der Prinzessin allein.
Renault^ Assalagny und DesolteuM in den Saal.
Herzog. Helene.
HELENE. Vater — ?
HERZOG. Der Marquis von Valois bewirbt sich
um deine Hand, Helene. Kannst du dich entschließen
seine Werbung anzunehmen ?
HELENE siebt ihn lange tm, dann ergreift li* uiiu Hind*.
«H
Du wirst einen Enkel haben, mein Vater, — und wen»
sein Erbteil erobert ist, so will ich es zu verwalten
wissen.
HERZOG. Helene! . . . Und bist bereit in wenigen
Tagen Hochzeit zu halten?
HELENE. Das bin ich.
HERZOG. Und am Hochzeitstag mit deinem
Gatten nach Paris zu reisen?
HELENE. Meinem Gatten zu folgen, sobald e« an
der Zeit ist.
HERZOG. Sobald es an der Zeit ist — ?
HELENE. Es scheint mir vorteilhafter für unsere
Angelegenheit zu sein, wenn ich in der nächsten Zeit
— dem Aufenthalt des General Bonaparte nicht gar
zu fern bin.
HERZOG. Könnt' ich dich in diesem Augenblick
sehn, Helene — so würd' ich mehr wissen — als mir
deine Worte sagen . . .
HELENE. Es gibt nicht mehr zu wissen, — in
diesem Augenblick . . . Umarme mich, Vater.
HERZOG, Lern' ich dich erst heute erkennen,
Helene ?
HELENE. Das Schicksal ist sparsam. Heute hat
man meinen Bruder begraben, vielleicht komm' ich
erst heute zur Welt.
HERZOG. Komme mit mir! Nun wollen wir uns
mehr von Renault erzählen lassen. Nun werd' ich es
anders hören.
HELENE. Verzeih, Vater, die hundert Namen, die
Renault wahrscheinlich aufzählen wird, kümmern mich
wenig. Ich will hier den Marquis erwarten.
HERZOG. Ihm sein Glück verkünden — ?
HELENE. Sein Geschick . . . Vater . . . Sie führt ihn
Hs zur Terrasse und kommt gleich toieder zurück,
HELENE allein. Ein Traum, Assalagny — ? Viel-
leicht . . . Aber wenn ich einen aus dem Schlaf von
einer Krone sprechen höre, und ich vermag sie ihm zu
Raupten zu legen noch eh' er erwacht, war es dann ein
las
Traum? Daß ich sie noch auf deinem Haupt «ehn
könnte, Vater! Oh . . . träume nun ich?
NERINA kommt. Prinzessin . . . ?
HELENE. Ah, unsere Federbälle . . .
NERINA. Ich habe auf der Wiese gewartet.
HELENE. Und der Marquis noch nicht da. Wie
weit ist es von der Penzinger Au hierher?
NERINA. Darauf allein kommt es wohl nicht an.
HELENE. Du glaubst doch nicht ? ! . . . Vielleicht
daß am Wagen ein Rad brach. So kann's am Ende noch
eine Stunde währen. Und mehr! Komm, laß uns
spielen.
Sit beginntn mit den Federbällen %u spielen.
Die Herzogin kommt. Nerina. Helene.
HERZOGIN ruhig. Und heute morgen begruben
sie deinen Bruder.
HELENE. Ja, Mutter, und es ist als war' er hundert
Jahre lang tot und begraben. So rast die Zeit. Oder
so langsam geht sie hin. Ihm ist es gewiß das gleiche,
Mutter, warum nicht auch uns.
HERZOGIN. Es kommen Boten aus Frankreich,
und der Prinz von Valois ist tot. Die Sonne steht am
Himmel, und ein schöner Knabe ist tot. Eine alte
Frau atmet und lebt und schreitet durch einen blühen-
den Garten — und ihr Sohn ist tot. Warum soll ein
junges Mädchen nicht Ball spielen, dem ein Bruder
starb . . ? Sie gebt.
NERINA. Die unglückliche Frau Herzogin . . .
HELENE. Und wenn diese — glücklicher wäre ak
ich — Nerina — ?
NERINA. Der Herr Marquis . . .
Bertrand Marquis von Valois kommt, den rechten Arm in der Schlinge.
Helene. Nerina.
HELENE. Sie sind verwundet?
MARQUIS. Es ist nicht viel — und war doch
genug, daß ich Ihren Auftrag nicht vollenden konnte.
HELENE. Er lebt?
MARQUIS. Meine Hand hatte eben noch Kraft
xi6
genug zu einem Stoß, der daneben ging. Dann sank
sie — und der andere sank zugleich. Aber auch er
ist nur verwundet. Verzeihn Sie, Prinzessin.
DESOLI EU X kommt aus dem Saal. Herr Marquis,
dem Herrn Herzog wäre Ihre Anwesenheit während
der Berichte, die Herr Renault uns gibt, höchst er-
wünscht.
MARQUIS. Ich komme.
HELENE. Grämen Sie sich nicht, Marquis, daß
Sie meinen Auftrag nur halb erfüllt haben, — ich
gedenke trotzdem mein Wort ganz einzulösen.
MARQUIS. Helene...
HELENE. Gehn Sie, Marquis. Sie werden allerlei
Neuigkeiten hören. —
MARQUIS in d«n SaaL
Helene und Nerina,
HELENE. Nerina...
NERINA. Gnädigste Prinzessin . . .
HELENE. Sende . . . nein, sende niemanden, geh
du selbst . . .
NERINA. Wohin soll ich gehn?
HELENE. Du weißt ja, wo die Leute wohnen. Ich
möchte Näheres über das Befinden des Herrn Me-
dardus Klähr erfahren.
NERINA. Prinzessin ...
HELENE. So geh doch!
NERINA. Ich befürchte sehr, Prinzessin, daß ich
den jungen Menschen nicht mehr am Leben an-
treffe. Ein Degenstoß des Herrn Marquis . . . ich
habe mir erlaubt, die Züge des Herrn Marquis näher
zu beobachten ... Es war gewiß nur Bescheiden-
heit, daß er nicht die ganze Wahrheit sprach. Der
Herr Marquis hat so eine rücksichtsvolle Art, die
Worte zu setzen. Ich könnte schwören, daß der arme
Herr Medardus Kllähr in diesem Augenblick schon
tot ist.
HELENE. So leg' ihm die Blumen aufs Kissen, die
seiner armen Schwester zugedacht waren.
"7
NERINA. Und wenn er doch noch lebte i was soll
ich dann mit den Blumen tun ?
HELENE. Das gleiche, Nerina . .
NERINA. Prinzessin . . . ?
HELENE. Geh . . . BtitU nach verubteieiun Seittn tb.
Vorbang.
ZWEHER AUFZUG
Erste Szene
Zimmer bei Klährs wie im ersten Bild des Vorspiels. Im Erker
Anna Berger vor dem Körbeben mit den N absacken. Vorn im Zimmer
Frau Berger, die eben von Frau Klähr Abschied nimmt.
FRAU BERG ER. Also meine Uebe Frau Klähr
Gott tröste Sie! Gott tröste Sie! Man kann halt
nichts andres sagen. Zu Anna. Annerl . . . wir müssen
gehn, es ist Essenszeit.
ANNA. Ich werd' ja doch keinen Bissen herunter-
bringen, Mutter. Laß mich lieber hier, wenn's die
Frau Klähr erlaubt.
FRAU KLÄHR. Solang du wiUst, Annerl.
FRAU BERGER. Da soll ich also wieder einmal
ganz allein bei Tisch sitzen ?
FRAU KLÄHR. Und Ihr Mann?
FRAU BERGER. Daß der zur rechten Zeit zu
Haus sein sollte, das kann ich mir nicht denken, —
wenn er überhaupt kommt. Er könnt' am End' irgend-
eine Neuigkeit um eine halbe Stunde später erfahren
als wer anderer; — das tat' er nicht verschmerzen.
Schon wie wir vom Friedhof heim sind, beim Burgtor
hat er sich verzogen.
FRAU KLÄHR. Lassen Sie sich bald wieder sehen
bei mir heroben ?
FRAU BERGER. Morgen vielleicht, nach der
Kriegsbetstund', schau' ich vorbei. Sind wieder für
drei Tag' welche bei Sankt Stefan angesagt. Also —
Annerl ?
ANNA. Schau' mich doch nur an, Mutter! Ich
bin ja auch ganz verweint, so kann ich gar nicht auf
die Straße.
FRAU KLÄHR. Ich bring' sie Ihnen später selber
nach Haus, Frau Berger! Ich muß ja doch auch für
eine Viertelstund' an die Luft.
FRAU BERG ER. Also, wenn die Frau Klähr so gut
TheatostUcke. IV, 9 I2Q
sein will. — Adieu, Annerl. Grüß' Sie Gott, liebt
Frau Klähr. Drückt ihr einige Male die Hand. Man kann
halt nichts sagen. Gott tröste Sie. Auf Wiedersehen,
Frau Klähr. Ab.
Frau Klähr. Anna.
FRAU KLÄHR langsam ins Zimmer zurück. Was WÜhlst
du denn da herum in den Sachen, Annerl ?
ANNA. Ich möcht' mir halt so gern was zur Er-
innerung behalten. Was darf ich denn ? Da war' der
silberne Fingerhut, der Nadelpolster . . . die Seiden-
spulen . . .
FRAU KLAHR. Was du willst, Annerl.
ANNA. Wenn ich auch im Schrank nachsehn
dürfte. Es muß doch noch mancherlei da sein von
früher. Die goldgestickten Pantoffeln zum Beispiel
— oder das rotseidene FUtterkleid, von damals — wie
wir Komödie gespielt haben. Ach, wie lang ist da«
her . . .
FRAU KLAHR. Nimm dir, was du willst. Alles
meinethalben. Ich bewahre nichts auf. Ich will dir
den ganzen Kram zusammenpacken lassen. Von meinem
Mann hab' ich auch alles verschenkt. Was soll einem
das Zeug? Auj ihre Stirn deutend. Was man nicht da
drin aufbewahrt . . . Und wie gut wär's, wenn man
auch das herschenken könnte ! Aber das ist immer da.
Sollt' nicht sein . . da man ja doch weiterlebt. St«
nimmt aus dem Schrank ein drittes Gedeck und ordnet es auf dem Tisch.
ANNA sie anschauend. Wer SO Sein könnte wie Sie,
Frau Klähr. Sie nehmen's hin, Sie klagen nicht.
Mir aber ist, als könnt' ich nie wieder, auch für eine
Stund' nur, in diesem Leben wieder froh werden.
FRAU KLAHR. Ich deck' auch für dich Annerl,
nicht wahr? Denn wenn man auch keinen Bissen
herunterbringt, zu Mittag muß man halt doch speisen.
So wie man auch manche Stunde geschlafen hat, in
Nächten, da man kein Aug' glaubt zugetan zu haben.
Wir sind schwache Menschen alle und leben weitet
Fatue.
Z50
ANNA. Der Medardus läßt auf sich warten.
FRAU KLÄHR. Wahrhaftig, unsre gewohnte
Mittagszeit ist längst vorbei.
ANNA. Er blieb noch auf dem Friedhof nach uns
allen. Und sah seltsam drein. Und sprach kein Wort.
— Wer weiß, ob er nach Hause kommt zu Tische,
Frau Klähr.
FRAU KLAHR. Ich wollte, er käme gar nicht —
und statt seiner lieber die Nachricht, daß er seinem
Bataillon nachgerückt ist.
ANNA. Nein, das kann Ihr Ernst nicht sein, Frau
Klähr, — jetzt da er Ihr Einziger ist.
FRAU KLÄHR. Ist er denn hier gefeit ? Es wäre
ja vielleicht besser, man hätt' ein rechtes Mutter-
söhnchen, brav und gehorsam, das am Ofen hockt über
den Büchern; aber da mir nun schon einer geschenkt
ist wie der Medardus, den's immer juckt, sein Leben
einzusetzen, so sollt' es wenigstens ein hohes Spiel sein,
bei dem sich auch etwas gewinnen Heße.
Escbenbacber kommt.
ESCHENBACHER. Guten Tag, Franziska. Guten
Tag, Annerl.
ANNA. Guten Tag, Herr Eschenbacher.
FRAU KLÄHR. Was führt dich her zu so un-
gewohnter Stunde ?
ESCHENBACHER. Ich dachte den Medardus
daheim zu treffen.
ANNA. Was ist*s mit ihm? Was wollen Sie von
Medardus, Meister Eschenbacher?
ESCHENBACHER. Unbesorgt, Annerl, ich hab' ihm
nur etwas zu bestellen. Vom Kommando der Bürgermiliz.
FRAU KLÄHR. Was will das von ihm ? Und was
hast du dort zu tun gehabt, Bruder?
ESCHENBACHER. Du hast doch wohl den
neuesten Aufruf gelesen ? Ich hab' mich eben zum
Dienst gemelset.
FRAU KLÄHR. Der Aufruf ging doch an die
Patrioten.
131
ESCHEN BACHER. Mit dem Patriotismus, Schwe-
ster, halt' ich's — wie andre mit der ReUgion. Sie stellen
sich fromm und gläubig an. damit die Schwankenden
nicht ihren einzigen Halt verUeren. Sind vielleicht
die, an denen Gott die meiste Freude hat.
ANNA. Und was will die Bürgermiliz denn von
Medardus f
ESCHENBACHER. Junge Leute von einiger mili-
tärischer Ausbildung stehn hoch im Preis, weil doch
beinah alle mit der Landwehr fortmarschiert sind.
Und so soll, wie etliche andre, auch der Medardus
der Miliz als Offizier zugeteilt werden.
ANNA. Sehn Sie, Frau Klähr, so ist's doch gut,
daß er dageblieben ist.
FRAU KLAHR. Soll er auch die Polizei von den
Franzosen machen ? Und schön Obacht geben, daß
ja keinem von ihnen ein Haar gekrümmt wird, wenn
sie hier herum lungern und krawallieren . . . und uns
arm essen dazu.
ESCHENBACHER. Gemach, Schwester, diesmal
könnt' es anders kommen und ernst werden. Auch
für die Bürgermiliz. Und wenn's doch wieder Spaß
gewesen ist, oder was Schlimmeres, so soll auch meine
Uniform nichts andres gewesen sein als eine Maskerade.
EIZELI sehr eilig. Guten Tag.
FRAU KLÄHR. Was ist denn, Etzelt?
ETZELT. Ich bitte, es ist durchaus kein Grund
zu erschrecken.
ANNA. Der Medardus . . . ?
ETZELT. Er wird sofort hier sein. Es hat sich nur
ein kleiner Unfall ereignet, kein besonders gefährhcher.
FRAU KLÄHR. Etzelt!! Wo ist er?
ETZELT. Er kommt sofort. Nur die Treppe herauf
hilft man ihm ein wenig.
ANNA stürzt hinaus.
FRAU KLÄHR. Etzelt! was ist geschehn?
ETZELT. Eine kleine Verwundung. Ein leichter
Degenstich.
132
1
FRAU KLAHR hinaus.
ESCHENBACHER. Ein DueU?
ETZELT. Ja. Mit einem Verwandten des Herzogs.
Mit dem Marquis von Valois . . . Ein Wortwechsel
auf dem Friedhof . . .
ESCHENBACHER. Der . . . Kindskopf!
ANNA rasch berein. Es kann SO schlimm nicht sein.
Er hält sich aufrecht ... er lächelt . . . Man stützt
ihn nur ein wenig.
ETZELT. Gewiß ist es nicht so ichlimm. Ich sagt*
es ja gleich.
Meiardus herein, gestützt auf den Arzt und auf seine Mutter.
Hinter ihnen kommt das Dienstmädchen.
FRAU KLÄHR. Medardus, Medardus . . .
MEDARDUS. Es ist nichts, Mutter. Du siehst
doch, daß es so gut wie nichts ist.
FRAU KLÄHR. In mein Zimmer! Auf mein Bett
sollst du dich legen.
MEDARDUS. Warum denn? Hier steht das Sofa,
auf dem ich sonst zu schlafen pflege, das wird wohl
genügen. Dies ist mein Arzt, Mutter. Er wird auf s Sofa
gebettet.
ANNA. Medardus!...
ARZT. Nun möchte ich aber sehr um Ruhe ge-
beten haben! Ja, man könnte sagen, Ruhe ist das
einzige, was unser junger Freund für den Augenblick
dringend benötigt.
MEDARDUS. Hört ihr, meine Lieben ? Seid be-
dankt für eure Teilnahme und entfernt euch gefälligst.
Der Laden war lang genug gesperrt, Etzelt.
ETZELT zu Frau Klähr. Ich komme sehr bald wieder.
Ab.
ESCHENBACHER. Und wir woUen uns ins Neben-
zimmer zurückziehen, Annerl.
Anna und Eschenbacher in das Zimmer links.
Frau Klähr. Medardus. Arzt.
FRAU KLÄHR. Wo ist die Wunde?
MEDARDUS liegt mit geschlossenen Augen auf dem Sofa.
133
ARZiT bat den Puls des Medardus gefühlt und kommt mit Frau
Kläbr nach vorn. Nah am Herzen. Schauderhaft nah.
Ja, das ist wahr. So nahe, daß eine etwas größere
Nähe nicht mehr Nähe, sondern das Herz selber,
somit den Tod bedeutet hätte. Und im Augenblick,
da er hinsank, da vermuteten wir alle dergleichen.
Um so mehr, da der Marquis von Valois die üble Ge-
wohnheit haben soll, seine Gegner immer ins Herz,
mitten in den Sitz des Lebens zu treffen. Aber rebus
sie stantibus^ wie die Dinge stehn, kann ich wohl
sagen, darf ich wohl meine Hand ins Feuer legen, daß
nichts mehr zu befürchten ist.
ANNA berein.
FRAU KLÄHR. Was willst du denn?
ANNA an der Tür. Weil CS SO Still war . . . ich hab'
Angst bekommen . . .
MEDARDUS. Mein gutes Annerl! ich bin nicht
tot! Ich habe nicht die geringste Lust zu sterben.
ESCHENBACHER ist auch bereingetreten, nabe zu Me-
dardus bin. So darf man sich wohl mit Beruhigung ent-
fernen. Nun Medardus, sag' : bist du nicht ein rechter
Narr gewesen ?
MEDARDUS. Glaub' nicht.
ESCHENBACHER. Ich will abends wiederkommen.
Hab' dir allerlei zu sagen. Nimmt von den andern Abscbied
und gebt.
FRAU KLAHR xum Ar*t. Sollen vnx ihn nicht doch
ins Bett bringen ?
ARZT. Ach ja, es gibt wohl ein vakantes in diesem
Haus. Ich habe gehört, ich habe gehört ... ein trau-
riger Fall. Ja, es gibt viel Unglück in der Welt. Heute
früh, werte Frau Klähr, starb auch mir ein Kind.
Mein einziges. Und ich selber bracht' ihm die Krank-
heit mit von einem andern Kind, das ich gesund ge-
macht habe. Und dieses Kind, das ich gesund gemacht
habe, hat sechs Geschwister. Ja, er hat Launen, der
da droben. Aber was hilft's, darüber nachzudenken ?
Daher find' ich, der Herr Medardus liege, wo er liegt.
«34
Jaceat übt jacet. Hahaha . . es klingt wie ein Sprich-
wort, indes ich erfand es soeben. Versinkt wieder in Sinnen,
ANNA. Sie werden ihm wohl was aufschreiben,
Herr Doktor.
ARZT. Quod scribendum, scribam . . .
ANNA bringt ihm das Nötige.
ARZ1. Ein Papier, vortrefflich, ein Tintenfaß,
kostbar . . . eine Feder, o herrlich . . . Er schreibt. Dies
hier ein schmerzstillendes, beruhigendes, einschläfern-
des Mittel. Man nehme fünfzehn Tropfen auf Zucker.
Wenn es nicht wirkt, weitere fünfzehn. Man besorge
es in der Apotheke zur heiUgen Dreifaltigkeit. Warum
eben dort, meine Damen ? Weil dieser Apotheker mir
zu Weihnachten zwölf Flaschen Lacrimae Christi ge-
sandt hat. Nun, der Puls ist gut. Man rühre sich
nicht. Junger Held, junger Tor, man liege still, auf
daß es nicht zu sickern beginne, das köstliche, warme
rote Naß, damit es nicht versickere und Jugend und
Leben mit ihm. Jaceat ubi jacet. Ja . . . so entstehn
Weltweisheiten .
FRAU KLÄHR. Gott helfe uns weiter.
ARZT. Gott? Ich fürchte, ich fürchte, verehrte
Frau, dieser Wunsch wird sich als unbestellbar er-
weisen. Sie können von Glück sagen, junger Tor,
junger Held. Eine Linie höher und morgen gibt's
wieder ein Begräbnis. Ich empfehle mich. Ich sehe
abends wieder her. Oh, ich habe nichts andres zu tun
als nach Kranken zu sehn. Wenn Sie wünschen, bleib'
ich auch die ganze Nacht hier. Es war nämlich mein
einziges Kind. Und meine GemahHn, eine junge Dame
voll Anmut und Humor, ist bereits vor einiger Zeit
abgereist . . . Unbekannt wohin. Nun sagen Sie selbst,
was hätt' ich daheim zu tun ? Ach, meine Verehrten,
ich fürchte sehr, daß ich toll werde. Ab mit Anna.
Frau Klähr. Medardus.
MEDARDUS. Ein lusriger Kauz.
FRAU KLÄHR. Tut dir was weh, Medardus?
MEDARDUS. Nichts, Mutter. Ich befinde mich
135
ganz leidlich. Ich hätte wohl gar nicht hinsinken
müssen. Es war auch gar nicht der jämmerliche Stich,
der mich ein wenig um die Besinnung brachte. Ich
glaube eher der Parfüm. Ja wahrhaftig, in einer wahren
Wolke von Parfüm kamen sie daher. Es war ein wohl-
riechendes Duell, meiner Seel'.
FRAU KLÄHR. Medardus, warum hast du das
getan . . .
MEDARDUS. Nun, auch dem Herrn Marquis ist
es nicht sonderlich gegangen. Er hat einen tüchtigen
Stich in dem Arm. Aber was will das besagen.
FRAU KLÄHR. Medardus, warum konntest du
dich nicht fügen in das Unabänderliche . . ,
MEDARDUS. Sich fügen hieße vergessen, Mutter.
Bist du eine — die vergißt, Mutter?
FRAU KLÄHR. Es kommt darauf an, was man
vergessen nennt. Hab' ich euch vorlamentiert alle die
Jahre über, wie schmählich euer Vater hat zugrunde
gehn müssen ? Tief hatt ich meinen Schmerz ver-
schlossen — in einen dunkeln Winkel meiner Seele . . .
hatte mich gar nicht um ihn gekümmert. Jetzt erst darf
er mir wieder herauf ans Tageslicht . . . Denn jetzt
könnt' er ja wieder einen Sinn kriegen. Die Franzosen
marschiren heran, und ich habe einen Sohn, der indes
ein Mann geworden ist.
MEDARDUS. Mutter . . . Mutter . . .
FRAU KLÄHR. StiU Medardus, reden wir von
gewissen Dingen nicht zu früh. Lieg still und werd'
nur gesund. Dann magst du wieder deines sinnlos
hingemordeten Vaters denken. . . .
MEDARDUS. Auch unsere Agathe ward hin-
gemordet ohne Sinn.
FRAU KLÄHR. Was willst du weiter, Medardus ?
Du hast dich doch mit dem Marquis geschlagen —
nun ist es abgetan.
MEDARDUS. Nein, Mutter, das ist es nicht . . .
Und wenn er selbst tot wäre, der Herr Marquis, war'
es damit abgetan ? . . •
136
ANNA von rechts, winkt Frau Kläbr heran.
FRAU KLÄHR. Was gibt's, Annerl
ANNA. Es ist wer da. Eine Dame ist da, die sich
nach Medardus' Befinden erkundigt.
FRAU KLJHR. Sag', es geht ihm besser.
MEDARDUS. Mir war, als hört' ich früher die
Klingel gehn? Wer kam?
FRAU KLÄHR. Sag', daß es gut geht, Anna.
MEDARDUS. Nicht so geschwind. Wer ist da?..
Anna ! Wollt ihr, daß ich selbst . . .
FRAU KLÄHR. Willst du nicht liegen bleiben?
ANNA. Es ist eine Dame da, Medardus, die sich
nach deinem Befinden erkundigt.
MEDARDUS. Nannte sie ihren Namen? Sagte
sie, woher sie kommt? Will sie mich nicht am Ende
selbst sprechen?
ANNA zögernd. Sie fragte wohl, ob sie dich sehen
dürfte, Medardus, aber . . .
MEDARDUS. Ruf sie herein, Anna.
ANNA siebt Frau Kläbr fragend an.
FRAU KLÄHR zu Anna leise. Ist es nicht am Ende
Elisabeth ?
ANNA. O nein. Sie trägt wohl einen Schleier, aber
Elisabeth hätt' ich erkannt.
MEDARDUS. Also...
FRAU KLÄHR. Willst du nicht vernünftig sein,
Medardus . . .
MEDARDUS. Mutter, willst du, daß ich selbst
aufsteh' . . .
FRAU KLÄHR zu Anna. Geh, Kind.
ANNA ab.
FRAU KLÄHR. Medardus, woher kommt diese
Dame . . . ?
MEDARDUS. Ich weiß es nicht.
FRAU KLÄHR. Wem kann denn schon bekannt
sein, daß du verwundet bist ? Du verbirgst mir etwas,
Medardus. Am Ende . . .
MEDARDUS. Ich weiß nicht, Mutter . . .
137
ANNA mit Nerina berein,
NERINA. Guten Abend.
Es ist dunkler geworden,
MEDARDUS. Wer ist's?
Anna und Frau Kläbr links ab,
MEDARDUS, Bitte, wollen Sie nicht näher treten,
Fräulein ? Und möchten Sie nicht den Schleier . . .
NERINA lüftet den SchUier,
MEDARDUS. Sie sind es?
NERINA. Also Sie sind wirklich nicht . . . Ach
Gott, wie dumm ! Das seh' ich ja . . . Wie geht es Ihnen,
Herr Medardus Klähr?
MEDARDUS, Sie fragen mich wohl nicht nur im
eigenen Namen ?
NERINA, Nein, so gut wie gar nicht im eige-
nen. Mein Fräulein, die Prinzessin, läßt sich er-
kundigen.
MEDARDUS. Die Prinzessin — Helene . . . ?
NERINA, Sie befinden sich also leidlich und es
hat keine Gefahr?
MEDARDUS, Keine. Und ich danke der Prin-
zessin ergebenst für die freundhche Teilnahme.
NERINA. Ich will's bestellen. Und wünsche weiter
gute Besserung. Dies ist natürUch nur für mich ge-
sprochen. Und dies hier läßt die Blumen auf seine Brust
fallen sendet Ihnen die Prinzessin. Guten Abend,
Herr Medardus Klähr.
MEDARDUS. Diese Blumen — die Prinzessin!
Bleiben Sie doch . . .
NERINA. Was wünschen Sie denn weiter?
MEDARDUS. Hierher, näher. Faßt ibre Hand. Hören
Sie, wie ist Ihr Name?
NERINA. Nerina...
MEDARDUS. Hören Sie, Mamsell Nerina, können
Sie schweigen ? Und wird das, was ich Ihnen sage, an
die richtige Adresse kommen?
NERINA. Ich weiß nicht . . . ich habe nicht das
Recht ... ich weiß auch nicht an wen . . ,
IS8
MEDARDUS. Bestellen Sie der Prinzessin, daß
ich ihr meinen Dank persönlich zu Füßen legen werde.
NERINA. Sie sind ja toll . . . Oh, verzeihn Sie.
MEDARDUS, Nur höflich, sehr höflich, Mamsell
Nerina. Ich will Ihrem gnädigen Fräulein zum Dank
die Hand küssen — und zwar noch heute abend.
Ja, das will ich.
NERINA. Sie phantasieren, Sie haben Fieber .
MEDARDUS. Ich befinde mich vortreffUch. In
einer Stunde werde ich mich einfinden.
NERINA. Ja, bilden Sie sich denn ein, daß man Sie
empfangen wird?
MEDARDUS. Ich komme. Das übrige wird sich
finden. NatürHch will ich die Prinzessin allein sprechen.
NERINA. Hat man jemals so einen Menschen ge-
sehn ? Sie spaßen, nicht wahr ?
MEDARDUS. Nicht daß ich wüßte.
NERINA. Aber warum red' ich. Sie werden ja
nicht vorgelassen. Geben Sie sich keine Mühe.
MEDARDUS. Ich wette, es gibt eine Gartenpforte.
NERINA. Sie ist verschlossen. Wenn Sie doch
meine Hand losUeßen! Sie wird heute noch fester
verschlossen sein als sonst.
MEDARDUS. Wenn einem das Höflichsein so
schwer gemacht vrird, so wird man wohl die Mauer
überklettern müssen.
NERINA. Eine Mauer wollen Sie überklettern ? ! . .
Und ich, die überzeugt war, hier eine Leiche zu finden
. . . eine Mauer, übrigens woirde man Sie herunter-
schießen.
MEDARDUS. In einer Stunde wird es dunkel
sein. Und im Garten niemand als die Prinzessin.
NERINA. Sie sind toll, vollkommen toll. Ich gehe.
Ich danke Ihnen, daß Sie endUch meine Hand los-
gelassen haben. Man wird dafür sorgen, daß der
Garten bewacht ist . . .
MEDARDUS. Sie werden tun, was Ihnen Ihre
Prinzessin befehlen wird. Und Sie werden vor allem
«39
Ihrem Fräulein bestellen, was ich Ihnen aufgetragen
habe, schönste Nerina. Jetzt aber gehn Sie — und
leise, leise. Es darf niemand hören, daß Sie gehn.
NERINA gebt leUe.
MEDARDUS lauscht, dann spricht er, als wenn sie noch da
wäre, laut. Gewiß, Fräulein . . . vortrefflich. Fräulein . . .
Mit Pausen meinen Dank . . . o bitte . . für sieb daß
nur niemand kommt! Himmel, Himmel! Helene . . .
Prinzessin Helene . . . Ich will mich gleich davon
schleichen. Daß mich nur niemand sieht. Sonst
wird's zu spät. Wieder laut. O nicht gefährlich! . . .
Ein vortrefflicher Arzt ... In drei Tagen . . . wieder für
sieb. Und wenn ich hinstürze und verblute ? . . . Nun,
so ist's eben aus . . . Ihr Blick heute morgens . . . ahnt'
ich's nicht gleich ? . . . Ganz insgeheim schleich' ich mich
zu ihr . . . Aber von ihr fort über die große Treppe
und es ihnen dann ins Gesicht schrein . . . nein, sie
zusammenrufen alle, Herrschaft und Lakaien, noch
in der Nacht, wenn ich sie in meinen Armen habe . . .
fort . . . fort . . . hilf mir Himmel. Nimmt den Degen.
Wieder laut. Ein guter Arzt ... ein vortrefflicher Arzt . . .
Er ist indessen bis zur Tür geschlichen, schließt sie leise und gebt.
Pause. Dunkelheit.
FRAU KLAHR von links. Medardus . . .
ANNA. Er schläft wohl.
FRAU KLJHR. Medardus . . . Mach' Licht, Anna.
Zum Sofa. Medardus . . .
ANNA bat eine Kerze angezündet. Was ist . . . Er ist
nicht da ?
FRAU KLAHR ist hinausgestürzt.
ANNA. Medardus . . .
FRAU KLAHR wieder berein. Fort, fort . . .
ANNA. Er wird auf der Straße zusammenstürzen!
5ie werden ihn tot heraufbringen.
E7ZEL1 kommt.
FRAU KLÄHR. Medardus ist fort, Etzelt . . .
ETZEL7. Fort! . . . wie ist das möglich?!
FRAU KLÄHR. Es war eine Frauensperson da . . .
140
mit der ist er davon. Von wo mag sie kommen ?
Etzelt . . . Vermuten Sie nichts ? Wohin läßt er sich
locken . . . Hier gehn gefährliche Dinge vor. Ich ahn'
es . . . Das ist keines seiner gewöhnlichen leichtfertigen
Abenteuer . . . Das ist . . . Wahnsinn . . . Etzelt . . .
Oder —
EIZELT:. Vielleicht . . . weiß ich ihn zu finden. Ah.
ANNA. Was ahnen Sie, Frau Klähr?
FRAU KLÄHR. Er ist uns verloren, Annerl, so
oder so. Tot oder lebendig — bleibt er uns verloren.
Das ist's, was ich ahne. Weiter nichts.
Tjüoeite Szene
Garten des Herzogs. Gegen Abend. Helene allein auf tiner Bank,
Dagusan, Laffraye kommen.
DAGUSAN. Verzeihn Sie, Prinzessin ... es wurde
uns der Auftrag zuteil, im Garten zu verweilen . . .
HELENE. Mein Vater hat eben eine Unterredung
mit dem Marquis. Ich nehme an, daß sie jetzt un-
gestört sein wollen. Da Dagusan und Laffraye sieb verbeugen
und weitergeben toollen. Bleiben Sie nur, meine Herren
. . . Sie beide waren wohl heute Zeugen bei dem Duell
des Herrn Marquis. Oh . . der Marquis konnte mir
beim besten Willen kein Geheimnis daraus machen . . .
LAFFRAYE. Wenn es erlaubt ist, davon zu reden,
— es war prächtig anzusehn.
HELENE. Das läßt sich denken.
DAGUSAN. Wahrhaftig, Prinzessin, es ist ein Ver-
gnügen, den Marquis jemanden totstechen zu sehn.
Nun bin ich etwa ein halbes dutzendmal dabeigewesen,
und es verUert nicht an Reiz für mich.
HELENE. Diesmal mußten Sie doch auf das Ver-
gnügen verzichten, hör' ich.
DAGUSAN. Zum Teil, Prinzessin. Übrigens muß
man sagen, daß der junge Mann, der die Ehre hatte,
dem Herrn Marquis gegenüberzustehn, ein unseres
Freundes nicht ganz unwürdiger Gegner war.
141
LAFFRATE. Es war ein schöner Kampf, Prin-
zessin . . . Auch der Ort, an dem er stattfand, konnte
nicht besser gewählt sein . . . Ein blumenbedeckter
Wiesenplan, umgeben von frisch belaubten Bäumen,
über all dem ein wunderbarer Frühlingshimmel —
ich werde die Stunde nicht so bald vergessen.
HELENE. Es freut mich, meine Herren, daß Sie
den Tag heute so anregend verbracht haben.
DAGUSAN. Verzeihn Sie, gnädigste Prinzessin,
wir dürfen wohl versichern, daß uns bei alldem der
Schmerz um den Tod Ihres edeln Bruders keinen
Augenblick lang verlassen hat.
LAFFRATE. Für mich bleibt es der schmerz-
lichste Gedanke, daß der Prinz dahingehn mußte,
ohne sein Vaterland wiedergesehn zu haben.
HELENE. Sein Vaterland!... Haben wir eins?
Drei Jahre war ich alt, als wir Frankreich verlassen
mußten. Ist es uns noch ein Vaterland?
LAFFRATE. Daß es auch Ihnen eines ist, Prin-
zessin, werden Sie . . . Sie würden es fühlen, wenn Sie
es wieder sähen. Ich war vor zwei Jahren in Paris,
Prinzessin, das ich nicht gesehn hatte seit meiner
Knabenzeit — ungefähr seit dem Tag, da man meinen
Vater geköpft hat . . .
HELENE. Sie wagten sich nach Paris . . . ?
LAFFRATE. ... In einem kleinen Gasthof stieg
ich ab — als Handlungsreisender namens Dupont,
und machte mich auf die Suche nach dem Haus, in
dem ich mit meinen Eltern gewohnt hatte. Ich wußte
den Namen der Straße nicht mehr, und doch fand ich
mich ohne Umweg hin und erkannte es auf den ersten
Blick. Noch eh' ich es sah, wie zur Vorherverkündigung,
begann mir mein Herz in klopfen ; und als ich es endhch
erbHckte, mußte ich mich eilends wieder davonstehlen,
denn Tränen stürzten mir aus den Augen . . .
DAGUSAN. Welche Schicksale sind über uns ver-
hängt, Prinzessin.
LAFFRATE. Nein, es war nicht gut gehandelt
«4«
gegen uns alle, daß der Prinz die Welt und seine Freunde
verlassen hat. Nun sind unsre Hoffnungen dahin.
Nertna naht sieb zögernd.
HELENE. Du bist's, Nerina? Entschuldigen Sie
mich, meine Herren. Ich hoffe, Sie werden nicht un-
geduldig, der Herzog würde sehr bedauern, Ihren
Besuch versäumt zu haben.
Dagusan und Laffraye nach links hinten ab.
Helene. Nerina.
HELENE scheinbar ohne Erregung. Er lebt . . . ? —
NERINA. Ja.
HELENE. Du gabst ihm die Blumen ? Wie nahm
er es auf . . . ? Was sagte er ? Wie sieht er aus ?
NERINA. Er ist . . . recht blaß — und läßt sich
ehrfurchtsvoll bedanken.
HELENE. Du bist erregt, Nerina. Nicht mit dem
Ausdruck von Angst. Seine Wunde ist doch schwerer?
Oder sollte gar . . .
NERINA. Er lebt, Prinzessin.
HELENE. Aber es besteht wohl einige Gefahr, daß
er sterben vnrd. Heute nacht vielleicht. Du sprachst
die Mutter, den Arzt — ?
NERINA. Ich wage nichts vorherzusagen, Prinzes-
sin. Wenn er aber heute nacht sterben sollte, so furcht'
ich, vrird er das nicht daheim tun, sondern auf dem
Wege hierher, oder vor der Mauer draußen, oder gar
hier im Garten, oder weiß Gott wo.
HELENE. Komm zur Besinnung, Nerina.
NERINA. Ich bin bei Besinnung, Prinzessin. Kurz
und gut: in einer Stunde will er hier sein.
HELENE. Du bist verrückt.
NERINA. Ich nicht. Er vielleicht. Ich hab's ihm
auch gesagt. Aber es hat nichts geholfen.
HELENE. Du hast einen Toten gesehn, und das
hat dich um den Verstand gebracht, Nerina.
NERINA. Daß er nicht tot ist, kann ich ruhig be-
schwören. Aber wenn überdies ich um den Verstand
gekommen bin, so wäre es kein Wunder . . .
HS
HELENE. So sprich doch endlich vernünftig,
Nerina.
NERINA. Prinzessin, Sie wissen alles. Ich fand
den jungen Mann auf dem Sofa liegend, sehr blaß —
aber höchst aufgeräumt. Auch seine Mutter sah ich
und ein hübsches Fräulein, vielleicht seine Braut.
HELENE. Willst du mir über die Famihenverhält-
nisse im Hause Klähr Bericht erstatten?
NERINA. Als man mich allein mit ihm gelassen,
gab ich ihm die Blumen — und ich möchte beinah
glauben, davon wäre er lebendig geworden, selbst,
wenn er wirklich tot dagelegen wäre. Er richtete
sich auf, seine Augen glänzten wunderbar, er dankte
bewegt; — vielmehr er erklärte mir, daß er noch
heute Abend seinen Dank persönlich abstatten werde.
HELENE. Und bildet sich ein, daß ihn die Diener
hereinlassen werden ?
NERINA. Nein. Darum möcht' er lieber durchs
Gartenpförtchen kommen.
HELENE. Das natürHch versperrt sein wird.
NERINA. Auch das gab ich ihm zu bedenken;
worauf . . .
HELENE. Was?
NERINA. Worauf er erklärte, in diesem Fall über
die Mauer klettern zu wollen.
HELENE. Nimm dich in acht, Nerina . . . Denkst
du, weil ich mir manchmal von dir Närrin deine zärt-
lichen Abenteuer erzählen lasse, daß du dir Spaße von
so zweifelhaftem Geschmack gestatten darfst — ? Sag'
mir endUch die Wahrheit. Er ist tot.
NERINA. Gnädigste Prinzessin, wie könnt' ich . . .
Ich schwöre bei der armen Seele des Prinzen . . .
HELENE. Laß meines Bruders Seele aus dem Spiel.
NERINA. Ich schwöre, daß alles, was ich sprach,
die reine Wahrheit ist.
HELENE. Er wird es nicht wagen . . . Sicher sprach
das Fieber aus ihm. Im übrigen, du kamst doch eben
durch die Gartenpforte, hast du sie wieder versperrt?
144
NERINJ. Hier ist der Schlüssel.
HELENE. So. Sie gebt ein faar Schritte nach rücktoärU
und wirft den Schlüssel in den 'Teich. Dies wird genügen.
NERINJ. Oh...
HELENE. Was soU dieser Seufzer bedeuten ? Hast
du CaiUard schon vergessen ? Sind dir auch schon die
Sterbenden gefährlich ? Solltest du vielleicht ein wenig
in eigener Angelegenheit . . . bliebst du verschleiert ?
Hast du dich für deine Herrin ausgegeben ? Dir wäre
ja alles zuzutraun.
NERINJ. Gnädigste Prinzessin, ich habe ihm be-
stellt, was Sie mir auftrugen, und habe Ihnen beetellt,
was er mir auftrug . . . Die Frau Herzogin. Sie ent-
fernt sieb.
Die Herzogin kommt.
HELENE. Mutter...
HERZOGIN. Dein Vater sandte zum zweitenmal
um mich, Helene. Es soll wohl ein Fest geben heute
abend. Weißt du nichts davon ? Sind die Musikanten
schon bestellt f Beeile dich doch, ein andres Kleid zu
nehmen, Helene, ein weißes, seidenes . . . lege deinen
Schmuck an, und mache dich bereit zu tanzen.
HELENE. Mutter...! —
Herxog und Marquis kommen aus dem Saal.
HELENE ihm entgegen. Hier bin ich, Vater.
HERZOG. Ist deine Mutter bei dir?
HERZOGIN. Du hast mich zum zweitenmal rufen
lassen, ich bin hier.
HERZOG. Hortense, der Marquis von Valois, unser
Vetter, erweist uns die Ehre, uns um die Hand unsrer
Tochter zu bitten.
HERZOGIN. Heute ward unser Sohn begraben.
Ich weiß nichts andres.
HERZOG. Ich hab' es so wenig vergessen als du,
Hortense. Doch wir sind nicht von den Glücklichen
und nicht von den Armseligen, die das Recht haben,
sich unfruchtbarer Trauer hinzugeben . . . Glaubst du
Hortense, deine Zustimmung verweigern zu müssen,
TkwuMtMck«. IV, M 145
so wird man aut sie verzichten. Es ist an Helene,
das entscheidende Wort zu sprechen,
HELENE. Es ist, wie mein Vater sagt. Wir haben
kein Recht und keine Zeit zu trauern. Bertrand, ich
bin bereit, Ihre Gattin zu werden.
Die Herzogin gebt.
MARQUIS. Prinzessin . . .
HELENE. Aber wir haben auch keine Zeit, glück-
lich zu sein. Daher verlang' ich, daß Sie sofort nach
unserer Trauung, aus Gründen, die Ihnen bekannt
sind, sich nach Frankreich begeben.
MARQUIS. Allein...?
HELENE. Ich verpflichte mich, Ihnen zu folgen,
— sobald die Zeit gekommen ist.
MARQUIS. Sobald die Zeit gekommen ist — ? —
Und wem soll hierüber die Entscheidung zustehen,
Helene — ?
HELENE. Wenn sie einmal da ist, wird ein Zweifel
nicht möglich sein . . . Und wenn sie niemals kommen
sollte ... — werden wir alle nicht viel Zeit haben —
unsern Hoffnungen nachzuweinen.
MARQUIS. Helene ... ich will versuchen, Ihrer
würdig zu sein! — Neigt neb vor ibr.
HELENE. Hier kommen Ihre Freunde Dagusan
und Laffraye . . . Sie dürfen mich ihnen als Ihre Braut
vorstellen.
Dagusan und Laffraye sind bis zur Terrasse gekommen; bleiben dort
stehen.
HERZOG. Begleitet mich ins Haus, meine Kinder
. . . unsre Gäste sollen gleich erfahren, daß es kein
Totenmahl ist, zu dem sie geladen wurden.
Alle in den Saal.
Pause.
NERINA kommt wieder. Nichts. Ich denke, man kann
ruhig sein. Jetzt kommt er wohl nicht mehr. Viel-
leicht sollte man Nachschau halten, ob er irgendwo
auf dem Wege liegen geblieben ist.
Es klopft an die Gartentür.
146
NERINA atuckt zuttmmen. Um Himmelswillen! Ich
antworte gar nicht. Es könnte ja auch wer andrer
sein. Caillard am Ende . . . ?
Es klopft noch einmal.
NERINA. Wenn es einen nur nicht so ungeduldig
machte. Dabei bring' ich's nicht über mich, mich
fortzurühren.
Es klopft stärker.
NERINA. Wer ist's ? Für sieb. Ach, hätt' ich nur
nicht gefragt.
MEDARDUS von draußen. Ich bin's. Öffnen Sie.
NERINA. Entfernen Sie sich. Und zwar so rasch
als möglich. Diener machen die Runde im Garten.
MEDARDUS. öffnen Sie. Ich bitte Sie darum.
NERINA. Ich öffne nicht. Gehn Sie.
MEDARDUS. Sie wissen, wozu Sie mich zwingen.
NERINA. Ich zwinge Sie nicht. Wir haben keinen
Schlüssel. Der Schlüssel ist fort. Er ist verloren ge-
gangen. Vielleicht finden wir ihn bis morgen wieder.
Gehn Sie, ich bitte Sie Ja, was ist denn das? Ist es
denn möglich ... Sie wollen doch nicht wirklich . . .
Die Steine bröckeln. Geben Sie doch acht. Und man
wird Sie hören. Wenn jemand kommt, sind Sie ver-
loren.
MEDARDUS kommt berübergeklettert. Guten Abend,
Fräulein, guten Abend. Er sinkt bin.
NERINA. So, nun haben wir's. Was tu' ich nur ?
Ich kenn' ihn nicht. Sie mögen ihn finden. Was geht's
mich an. Ein Strolch. Mögen sie ihn hängen. Er mag
hier liegen bleiben.
HELENE kommt von drinnen. Nun, die Dunkelheit
wäre da, Nerina.
NERINA. Ja, gnädigste Prinzessin. Und Herr Me-
dardus Klähr gleichfalls. Hier liegt er. Hier, Prin-
zessin. Er ist ohnmächtig, wie e« scheint.
HELENE. Still...!
Ein Diener kommt mit einer Laterne von rückwärts.
HELENE. Was gibt's denn?
H7
DIENER. Wer da?
HELENE ihm tntgtgen. Ich.
DIENER. Oh, gnädigste Prinzessin . . . Ich hatte
nämlich ein sonderbares Geräusch gehört — es treibt
sich in der letzten Zeit so viel Landstreichervolk herum
in unsrer Gegend — man kann nie wissen. Gestern
wurde da draußen, ganz nah vom Zeughaus, einer an-
gefallen und beraubt.
HELENE. Ein Geräusch haben Sie gehört? Ich
höre auch jetzt welche. Der Wind geht durch die
Zweige, im Teich klingen die Wasser . . . was rauscht
nicht alles in Frühhngsnächten. Oder es war mein
Kleid . . .
DIENER. Das wäre möglich, gnädigste Prinzessin
— aber ich will doch dort drüben noch nachsehen. Ab.
MEDARDUS. Ich danke Ihnen, Prinzessin.
HELENE. Ich würde den Marquis rufen, Herr
Medardus Klähr, wenn ich annehmen dürfte, daß sein
Degen am Abend sicherer träfe als bei Tag. —
MEDARDUS. Sie wissen, warum ich gekommen bin,
Prinzessin. Ich wollte Ihnen meinen Dank zu Füßen
legen . . .
HELENE. Nun ist es geschehen. Leben Sic wohl.
MEDARDUS erfaßt ihre Hand und küßt sie.
HELENE. Oh, die hochmütig-mörderischen Fin-
ger
MEDARDUS. Ich will Sie wiedersehen, Helene.
HELENE. Was fällt Ihnen ein? . . . Gehn Sie!
MEDARDUS. Auf dem gleichen Weg, Prinzessin?
NERINA. Das wäre zu gefährlich.
HELENE. Still, man hört uns. Sie müssen sich
verbergen.
NERINA. Wo ? . . . Der Garten wird durchstreift
. . . Hier kann Herr Medardus nicht bleiben. Dort
geht wieder einer mit der Laterne.
HELENE. So führ' ihn in dein Zimmer, Nerina.
NERINA. In mein Zimmer?
HELENE. Warum nicht ? Caillard ist ja f ort . . .
148
NERINA Uist zu ihr. Gnädigstes Fräulein, um einen
Liebsten trauert man länger als um einen Bruder.
HELENE. Da drin erheben sie sich vom Tisch . . .
NERINA. Ja, ich sehe . . . Aber trotzdem, gnädigste
Prinzessin — in mein Zimmer — ein junger Mann.
HELENE nach eirum langen Blick auf Msdardus. So führ*
ihn in meins!
NERINA. In Ihres, Prinzessin?
HELENE. Und rasch ... da, die Mauer entlang . . .
Sieht euch wer auf dem Weg ... so ist es eben dein
neuester Liebhaber — keiner wird sich wundern.
NERINA. Nun ja . . . Aber wie werden wir ihn
fortbringen. Einmal muß er doch fort — und der
Schlüssel . . .
HELENE. Sobald du herunterkommst, wirst du
Schuhe und Strümpfe ausziehn, in den Teich steigen
und den Schlüssel suchen. Er muß gefunden sein,
bevor die Sonne aufgeht.
Nerina und Medardus ab.
DER MARQUIS tritt aus dem Saal.
HELENE ihm entgegen.
MARQUIS. Sie waren so blaß, Helene, als Sie vom
Mahle aufstanden . . .
HELENE. Die Luft hat mir wohlgetan.
MARQUIS. Helene! . . . meine Braut! . . . meine
GeHebte . . .
HELENE. Nicht so stürmisch, Bertrand ... Sie
vergessen, daß Sie gleich nach der Trauung abzureisen
haben.
MARQUIS. Ich vergesse es nicht. Aber ich be-
denke zugleich, daß bis zu diesem sehr ersehnten Tage
noch einige verstreichen werden . . . und diese sind
unser !
HELENE. Oh . . .
MARQUIS. Mein Leben gehört Ihnen, Helene.
Ich liebe Sie — und ich würde Ihnen noch unbedingter
angehören . . .
HELENE. Oh, mein Vetter, was fällt Ihnen denn
149
ein ? Sie sollen sich in Paris auf etwas zu freuen haben.
Auch furcht' ich, Sie könnten unsere Angelegen-
heiten allzu nachlässig betreiben, wenn man Sie zu
früh belohnte . . .
MARQUIS. Helene...
HELENE. Sie haben mich früher nicht ganz ver-
standen, wie es scheint. — Also hören Sie, Bertrand . . .
Ich will nicht früher einen Sohn zu erwarten haben,
eh' ich sicher bin, daß er bestimmt ist, einmal König
von Frankreich zu werden.
MARQUIS. Helene!
HELENE. Eine Laune vielleicht . . . aber alles ist
von ihrer Erfüllung abhängig — auch was Sie Ihr
Glück nennen . . . und was . . . vielleicht . . . auch
meines sein wird . . . Gute Nacht, Herr Marquis.
Sit gebt.
MARQUIS. Helene! — Helene!
Dritte Szene
Straßenkreunung. Eine Straße läuft vorn an der Rampe. Die andre
gebt von vorn links nacb recbts binten, verläuft »iemlicb schmal
xwiscben Gartenmauern. Im Hintergrund freies Feld. Rechts^ ziem-
lich weit die Front des Zeughauses. — In der Ferne Hügel. Vorn
links an der Ecke ein Meilenstein. Recbts an der Mauer^ etwas
weiter rückwärts, eine bölzerm Bank. — Morgengrauen.
ETZELT (sitzt auf der Bank). Es beginnt mich zu
frösteln . . . Sollt' ich geschlummert haben ? Mir ist
beinahe so . . . Es wird doch besser sein, wieder auf
und ab zu gehn. Er erbebt ticb und gebt in der Straße auf
und ab. Wie lange noch — ? War es nicht doch viel-
leicht ein sträflich Zögern — daß ich nicht auf irgend-
eine Weise versucht habe, mir Einlaß zu verschaffen . . ?
Unsinn . . . Was immer die Sache zu bedeuten hat . . .
das hätte nur von üblen Folgen sein können . . . Nun
wird es sich ja doch bald entscheiden — ob ich die
lächerUchste Figur von einer Schildwache vorstelle,
die jemals ungebeten vor einem Liebesnest auf und
ISO
ab gelaufen ist, oder ob eine höhere Einsicht mich
hier festgebannt hielt.
Escbenbacber in Uniform kommt von rechts vorn^ biegt in die enge
Straße ein^ begegnet Etxelt.
ESCHENBJCHER erstaunt. Etzelt . . .
ETZELT. Sie, Meister Eschenbacher — !
ESCHENBJCHER. Zu so früher Stunde auf?
ETZELT. Nicht früher als Sie, Meister Eschen-
bacher . . . Wohin des Wegs, wenn's zu fragen erlaubt
ist — ?
ESCHENBJCHER. Zum Zeughaus. Ich habe
heute Dienst dort . . . oder vielmehr eine Art Auf-
sicht . . . Wissen Sie denn nicht ? — Gestern Abend
wurde es doch bekannt gemacht: heute werden an die
Bürgerschaft Waffen verteilt.
ETZELT. Glaubt man die Gefahr so dringend?
ESCHENBJCHER. Ob es Gefahr zu nennen ist,
weiß ich noch nicht . . . daß wir nicht lang mehr auf
die Franzosen zu warten haben werden, das steht fest.
Kommen Sie mit, Etzelt. Wenn Sie zur Zeit dort
sind, haben Sie noch die Wahl. Allerlei Waffen gibt's.
Partisanen, Mordäxte, Hellebarden . . .
ETZELT. Und FUnten . . . ?
ESCHENBJCHER. Ein paar verrostete dürften
noch da sein; — was halbwegs brauchbar war, ist frei-
lich längst in guten Händen.
ETZELT. Ich frage nur — was sollen die Leute mit
den Waffen anfangen, die sie nicht einmal gebrauchen
können ?
ESCHENBJCHER. Zum Gebrauch soUen sie
wohl weniger dienen, Etzelt! . . . Aber sie geben doch
Selbstvertrauen . . . und vielleicht auch Mut. Und
wie prächtig wird sich später so ein gefährüch Ding
über der Kommode oder überm Bett ansehn lassen
und bewundern, von Kind und Enkelkind . . . zur
Erinnerung an eine große Zeit . . . Also — auf Wieder-
sehen, Etzelt. — Eine wunderliche Gegend übrigens,
in der Sie hier Ihren Morgenspaziergang machen.
151
ETZELT. Finden Sie ? Es kommt so ein guter Duft
aus den Gärten . . , ringsum. Doch, im Ernst gesprochen.
Wissen Sie nicht, daß Medardus gestern abend plötz-
lich aus dem Haus verschwunden ist?
ESCHENBACHER. Ja, das ist mir bekannt. Eine
verschleierte Dame hat ihn entführt. Ich fand es
lustig genug — der düstern Miene meiner Schwester
zum Trotz. So ein junger Mensch hat eine wunder-
bare Lebenskraft in sich, muß man sagen. Vormittag
begräbt er seine Schwester, erledigt zum Nachtisch
eine ritterliche Angelegenheit, und hat trotz Gram und
Wunden noch Laune übrig für ein zärthch Abenteuer.
ETZELT. Dies letztere ist Vermutung. Es steht
nur fest, daß er verschwunden ist.
ESCHENBACHER. Verschwunden! Das kUngt
doch etwas zu großartig, meinen Sie nicht — ? Er ist
einfach entwischt und schlummert süß, wo junge
Helden eben besser zu schlummern pflegen als daheim.
ETZELT. Könnt' es sich nicht auch anders ver-
halten, Meister Eschenbacher?
ESCHENBACHER. Anders — f Hm! Ein Ge-
heimnis — ? ' Wo sind wir da ? Wem gehört dies
traurige, etwas verfallene Schlößchen, das da durch
die Bäume lugt ?
ETZELT. Wer der Besitzer ist, weiß ich nicht.
Zur Miete wohnt drinnen der Herzog von Valois mit
den Seinen.
ESCHENBACHER. Das macht mir die Sache
nicht viel klarer.
ETZELT. Vielleicht doch, wenn ich Ihnen ver-
rate, daß Medardus gestern abend in dieser Gegend,
wenn nicht gar hinter diesen Mauern selbst, mit einem
Male verschwunden ist, — und daß er gestern morgens
seltsam törichte, vielleicht erhabene Worte von Rache
hören ließ.
ESCHENBACHER. Rache! . . . ja, das ist ein Wort,
so lärmend, daß es wohl seinen eigenen Sinn übertönen
möchte.
152
ETZELT. Es handelt sich hier nicht um das Wort,
sondern um die Sache, Meister Eschenbacher.
ESCHENBJCHER. Doch wohl um das Wort,
Etzelt — wie meistens, glauben Sie nicht ? Und gar
unser Medardus ist einer, der kaum geschaffen ist,
andres zu erleben als den Klang von Worten ... Er
hält ein Frauenzimmer in den Armen . . und ihn um-
säuselt flötenhaft und süß das Wort Liebe ... er fühlt
einmal sein selig oder unseUg Ende nahen — und das
Wort Tod wird ihn umdröhnen wie mit dunkeln
Glocken . . .
ETZELT. Dies mag gelten ... eh' ihm die wahre
Liebe und der sichre Tod erscheinen.
ESCHENBJCHER. Wohin es bei unserm Wirr-
kopf Medardus noch einige Weile haben dürfte . . .
Gehen Sie heber nach Hause, Etzelt. Glauben Sie,
er wird — Ihnen Dank wissen, daß Sie ihm nach-
spionieren ?
ETZELT. Um Dank ist's mir vielleicht nicht so
sehr zu tun.
ESCHENBJCHER. SoUte er Ihnen aber in die
Hände garaten, so erinnern Sie ihn für alle FäUe dran,
daß Kriegsrecht proklamiert ist.
ETZELT. Oh, Meister Eschenbacher, was macht
die Uniform aus Ihnen für einen strengen Herrn.
ESCHENBJCHER. Alles zu seiner Zeit. — Nun ist
Medardus Soldat, und er hat sich — wenn er nicht
krank ist — zum Antritt des Dienstes zu melden . . .
Auf Wiedersehen, Etzelt. Ab.
ETZELT allein. Du kennst ihn ja doch nicht. Eine
Jugend leuchtet dunkelglühend auf — und im Dunst
deiner alternden Jahre siehst du nur ihren trüben
Flackerschein. Auf und ab.
Von links kommt Kr euzhar tinger ^ ein Landmann, und seine Frau.
Sie schleppt ein Bündel, er schiebt einen mit Geräten beladenen
Karren.
FRJU KREUZHJRTINGER. Ich kann nimmer
weiter.
»53
KREUZHART IN GER. Aber Frau, wir sind ja
gleich in der Stadt drin.
FRAU KREUZHARTINGER. Wären wir Ueber
daheim blieben.
E TZ ELT kommt ibtun tntgegen.
KREUZHARTINGER. Einen schönen guten
Morgen.
ETZELT. Guten Morgen.
KREUZHARTINGER. Wenn der Herr so gut
sein möcht' und mir eine Auskunft geben, — wie schaut's
denn drin in Wien aus, kriegt man denn noch ein
Quartier ?
ETZELT. Kann euch nichts Sichres sagen. Müßt
halt in einem Gasthof nachfragen. Kommt ihr von
weit?
KREUZHARTINGER. Aus Petersdorf... Wie
wir fort sind, hat's g'heißen, die Franzosen stehn keine
dreißig Meilen hinter uns.
FRAU KREUZHARTINGER. Ja ... er hat schon
den Wind im G'nick g'spürt . . . Und gar auf unsern
Hof haben sie's abg'sehn, die Franzosen . . . Der Huber
und der Mittelbach, die sind schön zu Haus blieben
. . . Aber wenn man einen Hasenfuß zum Mann hat . . .
KREUZHARTINGER «« Etzdu Ich lass' sie halt
reden . . . Glauben S' nicht, es ist das beste — ?
ETZELT. Ich bin ledig, Herr Vetter . . .
KREUZHARTINGER. Ah so ... Na, der Herr
darf nicht glauben, daß wir die einzigen sind, die vom
Land hereinkommen . . . Überall, wo wir vorbei-
kommen sind, wird 'packt und aufg'laden ... Es ist
halt doch sicherer in der Stadt. Ihr habts doch Mauern
und Kanonen und Soldaten . . . das ist halt gleich ein
andres G'fühl. Komm, Frau, marschieren wir weiter!
Wird sich schon was finden! Adio, ein schön guten
Morgen ... Ab mit der Frau.
Im Garten drüben Vogelzxoiticbern.
ETZELT. Wie unerbitthch und zugleich wie tröst-
lich zieht der Tag seinen festen Rahmen um die
154
Welt . . . Nun möcht* ich beinah glauben, daß all
meine Sorgen Einbildungen waren und weiter nichts. —
Doch scheint mir nicht in diesem harten, grauen
FrühHcht selbst Agathens Tod wie etwas nicht Ge-
schehenes ... ja wie etwas, das nie und nimmer mög-
lich war ? . . . Und ich weiß doch, daß es wahr ist,
grauenvoll wahr . . . und daß die Würmer schon an
der Arbeit sind. Der öde Zauber des Morgens täuscht
am Ende so gut wie die Nacht mit ihren schwim-
menden Schauem.
Medardus aus der Gartenpforte, dt* ticb rasch hinter ihm schließt.
Etzelt.
MEDARDUS. Etzelt ... du . . .
ETZELT. Medardus, du bist es ? Du bist es wirklich ?
MEDARDUS. Du hast hier gewartet, Etzelt?
ETZELT. Ich bin da. Es könnte ja auch Zufall
sein . . • Nimm's, wie es dir behebt.
MEDARDUS. Etzelt, du weißt, woher ich komme.
ETZELT. Ich weiß es nicht. Es kümmert mich auch
nicht im geringsten. Beim Himmel, wir leben nicht
in einer Zeit, wo man sich um dergleichen Eskapaden
sonderHch kümmern könnte. Nur deine Verwundung
gab mir einigen Grund, besorgt zu sein. Dies war
der Anlaß. Nun verzeih mir oder verzeih mir nicht . . .
komm nur nach Haus, Medardus, deine Mutter
ängstigt sich.
MEDARDUS. Meinst du, ich klettere über Mauern
für die Erstbeste, Etzelt ? Oder denkst du, mir stünde
der Sinn nach zärthchen Abenteuern . . . ?
ETZELT. War' ich so hübsch gewachsen wie du,
Medardus, ich heße mir dergleichen wohl auch nicht
entgehn — und hielte nicht Trauer um Entschwun-
dene, die ja doch nicht wiederkommen . . . Ich frage
nicht, komm, Medardus.
Man siebt Leute rückwärts Über den Platx zum Zeugbaus laufen,
zuerst zoenige, dann immer mehr, einige kommen auch durch die
kleine Gasse, in der Etzelt und Medardus stebn. Jet%t kommt Wacbs-
huber eben an beiden vorbei^ einen Morgenstern in der Hand.
155
WACHSHUBER. O Herr Etzelt, guten Morgen.
Der Herr Klähr ist auch schon so früh auf? Na ja,
freilich, wahrscheinlich schon im Dienst. Da schaun
S' her, wissen Sie, was das ist, meine Herren f . . . Das
ist ein sogenannter Morgenstern. Über hundert Jahr
hat er Ferien gehabt. Jetzt iit's Zeit, daß das Dingerl
wieder Arbeit kriegt. Ha! jetzt sollen »' nur kommen,
die Franzosen.
Ein anderer^ »iemlich verdächtig aussehend, eine Hellebarde im Arm^
an Wacbsbuber vorüber^ stößt ihn an.
WACHSHUBER. 0ha, möcht' schön bitten.
Der mit der Hellebarde bedroht ihn scher%hajt.
WACHSHUBER. Was fallt denn Ihnen ein? Ein
Morgenstern und eine Hellebarde, das ist ein ungleicher
Kampf. Da komm' ich nicht auf! Habe die Ehre,
meine Herren. Ab.
ETZELT. Das dumme Volk! Wird ihnen auch da«
zum Spaß ?
MEDARDUS. Was hat das zu bedeuten?
ETZELT. Seit heute morgens steht das Zeughaus
offen, Waffen werden unter das Volk verteilt, die
Franzosen rücken unaufhaltsam näher. Wenn nicht
alles trügt, Medardus, wirst du bald spüren, daß in
dieser aufgewühlten Welt dein kleines Abenteuer
nicht eben viel bedeutet.
MEDARDUS. Ein kleines Abenteuer ? I Weißt du,
woher ich komme? Aus den Armen der Prinzessin
von Valois.
ETZELT. Der . . . Prinzessin . . .
MEDARDUS. Du denkst, ich lüge? Es ist die
Wahrheit, Etzelt!
ETZELT. Schweig doch! Was geht's mich an ? Es
war nicht deine Art sonst, dergleichen auszuschwätzen.
MEDARDUS. Diesmal soll es meine Art sein.
ETZELT. Du bist nicht bei dir, Medardus.
MEDARDUS. Hast du vergessen, was geschah?
Agathe war ihnen zu schlecht, Etzelt, und darum hat
sie sterben müssen! Hast du's vergessen, Etzelt? Ich
156
aicht ! Und « kommt die Stunde, da rahl' ich's ihnen
heim! Die Diener ruf ich zusammen und die Mägde
und schrei' es durch den Flur und lasse den Herzog
rufen und die Herzogin und zerre die Prinzessin aus
dem zerwühlten Bett, nackt über die Treppe . . .
ET ZELT. Wie lang soll ich deinen Fieberphanta-
seien nch zuhören ? Du hast alles geträumt, und deinen
tollen Vorsatz träumst du erst recht. Wärst du wirk-
lich bei der Prinzessin gewesen und hättest dich wirklich
mit so verruchter Absicht getragen — so hättest du
sie ohne Verzug zur Tat gemacht.
MEDARDUS. Es eilt nicht so sehr. Es ist ja ab-
gemacht, daß ich heute nacht wiederkomme, und
morgen und übermorgen, — es ist noch nichts ver-
säumt, — das Leben ist sehr kurz, Etzelt . . . besonders
für mich wird es nicht lang sein ! — Und sie ist schön,
Etzelt, sehr schön, die Prinzessin, warum soll man nicht
ein paar wunderbare Nächte haben . . .
E1ZEL1. Schweig, Medardus! Ich will mir dein
Bild nicht zerstören lassen. Das Fieber sprach aus dir.
Laß mich's weiter glauben. Denn könnt' ich das nicht,
so — verzeih' mir Gott und deine Mutter die Sünde,
so wollt' ich lieber, ich hätte hier vergeblich deiner
gewartet und du wärst meinethalben in den Armen
deiner Prinzessin nie wieder aufgewacht.
MEDARDUS vor neb bin. Kein übler Wunsch, Etzelt,
kein übler.
ETZELT ganx versubend. Medardus . . .
MEDARDUS wie erwacbend. Etzelt . . .
ETZELT. Weißt du, was dir geschehn ist, Medar-
dus?
MEDARDUS. Nein, nein, Etzelt! Du lügst!
ETZELT. Du darfst deinen Fuß nicht wieder hier-
her setzen.
MEDARDUS. Was immer ich von Schuld auf mich
lade, ich bin Manns genug, jede zu begleichen.
ETZELT. Immer nur mit deinem Leben, Medardus.
Gib acht, daß es keine zu schlechte Münze wird, bis
i$7
es zum Zahlen kommt. So schlecht, daß du dich am
Ende schämen müßtest, es hinzuwerfen!
MEDARDUS. Etzelt, hilf mir ! Ich bin verwandelt !
Ich gehöre nicht mehr mir selbst, ich rase durch einen
Traum !
ETZELT. Ich will dir ein Wort hineinrufen, daß
du erwachst. Bonaparte ist auf dem Wege nach Wien
. . . der, den du am meisten gehaßt unter allen Men-
schen, die leben. Hörst du mich, Medardus — Bona-
parte!
MEDARDUS. Einen Schall hör' ich, Etzelt . . .
einen Schall . . .
Medardus und Etzelt ab.
Es kommen wieder Leute mit Waffen^ die meisten geben im Hinter-
grund über den Platz, einige durch die enge Straße. Aus der Garten^
Pforte treten zwei Diener heraus.
ERSTER DIENER. Ja, was gibt's denn eigentlich ?
ZWEITER DIENER. Schau', was die für Waffen
tragen. Was ist denn das für ein Regiment?
ERSTER DIENER. Das sind keine regulären Sol-
daten.
Nerina tritt aus der Gartentüre.
ERSTER DIENER. Guten Morgen, Fräulein
■Nerina. Sehen Sie sich diese sonderbaren Figuren an.
ZWEITER DIENER. Die kommen ja vom Zeug-
haus her.
ERSTER DIENER. Es heißt, sie lassen jetzt auch
die Gefangenen heraus, nur damit sie genug Soldaten
haben.
ZWEITER DIENER. Es war' gut, wenn die Fran-
zosen schon endlich kämen, da gäb's wenigstens wieder
eine Ordnung.
ERSTER DIENER. Ich glaub' doch, daß gestern
so ein Strolch versucht hat, sich in den Garten zu
schleichen . . . Und hat sich halt wieder über die Mauer
davon gemacht.
NERINA. Es wäre wohl möglich. Und daß ich
nicht vergesse! Die Prinzessin wünscht, daß von heute
158
ab beim Eintritt der Dunkelheit die Hunde los sein
sollen.
ERSTER DIENER. Wird besorgt werden, Fräu-
lein Nerina.
NERINA tritt durch die GartenpforU wieder in den Garten
zurück.
Vorhang.
DRITTER AUFZUG
Erste Szene
Die Burgbastei. Eine hohe Mauer, so breit, daß sie den größeren Teil
der Bübn* einnimmt, xiebt von vorne links nach rückwärts rechts. Die
Wehre gegen die Vorstadtseite erhöht, vor ihnen Säcke aufgeschichtet.
Auf der Stadtseite der Bastei, also dem Zuschauerraum xu, ein
scbtcarxgelb gestrichenes Holzgeländer. Dem Hintergrund der Bühne
XU liegt das Burgtor, das geschlossen ist. Vorn rechts zur Bastei
hinauf führt eine steinerne Treppe mit Geländer, die ihrer ganzen
Ausdehnung nach praktikabel ist. Über dem Tor eine erhöhte Schanze,
dort eiru Kanone mit Bedienungsmannschaft {bürgerliche Artillerie) *.
Unten am Tor Eschenbaeber als Hauptmann; er sitxt auf einer Bank,
außer ihm am Tor vier bürgerliche Grenadiere. Jenseits der Bastei
sind die Vorstädte gedacht, zu sehen sind nur etliche Turmspitzen
und eine schtoarze Fahne. Auf der Bastei oben ziemlich lebhafte
Bewegung. Bargetti, Hauptmann der bürgerlichen Scharfschützen,
unterhalb der Schanze. An einzelnen Stellen der Rampe sind bürger-
liche Scharfschützen aufgestellt. Bürgermilitär einzeln und ge-
ordnet in Gruppen kommt bin und wieder; Zivil-Bevölkerung, be-
waffnet und unbewaffnet in wechselnder Gruppierung. Einige,
darunter Berger, mit einer Flinte, aber nicht in Uniform, Bradl,
Scbreubler, Frau Grinzinger stehen an der Rampe der Bastei in
lebhaftem Gespräch.
BERGER gegen die Vorstadt xu. Aber sehn S' denn
nicht, daß sich's bewegt ?
SCHREUBLER. Wo bewegt sich denn was?
*) Für die Aufführung wird folgende Vereinfachung des Bühnen-
bildes vorgeschlagen: Die Bastei zieht gerade über die Bühne, in
einer Höhe Ton etwa 3 m über dem Bühnenniveau. In der Mitte
ist das Burgtor gedacht, die obere Wölbung ist eben noch sichtbar.
Gerade über dem Tor auf der Bastei eine erhöhte Schanze. —
Rechts vom Tor führt eine Stiege zur Bastei. Sie kommt aus der
Tiefe, wo die Straße gedacht ist, etwa zwei, drei Stufen über dem
Bühnenniveau macht sie ein Knie und bildet eine etwas verbreiterte
Plattform. — Manche von den Vorgängen, die im Buch auf die
Straße verlegt sind, werden sich nun auf der Stiege, auf der Platt-
form, eventuell auf der Bastei selbst; manche von den Vorgängen
auf der Bastei werden sich auf der erhöhten Schanze über dem
Burgtor; und einzelne von den Massenszenen der Straße werden
sich vollkommen unsichtbar abspielen, doch so, daß die Stimmen
aus der Tiefe heraufdringen, wo eben die Straße gedacht ist. Die
bei so gestaltetem Bühnenbild notwendigen Änderungen sollen
von Fall zu Fall als Anmerkungen im Text vermerkt sein.
160
BERGER. Dorten, in der Gegend von der Maria-
hilferlinie.
FRJU GRINZINGER. Freilich, wie ein langes
schwarzes Band schaut's aus.
BERGER. Eher noch wie eine Schlange. *« wird
Kavallerie sein.
SCHREUBLER. Ja freihch, die wird dort ohne
Deckung stehn. Die könnt' man ja von uns aus zu-
sammenfeuem. ,
FRAU GRINZINGER. Weil's bei uns schon so
fleißig sind mit dem Feuern . . .
BERGER. Drüben strengen sie sich grad auch nicht
an.
BRADL. Könnt' auch Artillerie sein.
BERGER. Glaub' ich nicht, sie sollen ja ihre Ka-
nonen noch gar nicht da haben. Von Passau her sollen
sie sie kriegen auf der Donau.
Scböffmann, Leutnant der bürgerlichen Grenadiere, tritt xu Bargetti;
begrüßt ibn^ sie bleiben zuerst redend miteinander stehn und gebn
dann auf die Schanze.
FRAU GRINZINGER. Wie leer's da drunten ist!
Man möcht' meinen, alles ist ganz ausgestorben.
BERGER. Sie werden sich's überlegen, auf dem
Glacis spazieren zu gehen. Gestern sind gewiß ein
halbes Dutzend Franzosen von uns aus niedergeschossen
worden. Am Abend sind sie noch dagelegen. Sie
müssen sie bei der Nacht fortgeräumt haben.
FRAU GRINZINGER. Aber heut ist's recht stiU.
Ich weiß gar nicht, worauf wir eigentlich warten!
SCHREUBLER zu Berger, auf dessen Flinte deutend. Na,
Herr Berger, tun S' doch der Frau Grinziger den Ge-
fallen. E« ist ihr nicht lebhaft genug!
Ziemlich entfernt fällt ein Schuß.
BERGER. Wo war denn das ? Bei uns oder drüben ?
SCHREUBLER. Das muß in der Gegend von der
Mölkerbastei gewesen sein . . .
BRADL. Mir scheint — da drüben bei den Stal-
lungen, da spazieren ein paar ganz gemütlich herum —
UMatentOckr*. IV, xt l6l
FRAU GRINZINGER. Meiner SeeP —
BERGER legt an.
DOKTOR JOLSDORF, Leutnant der bürgerlichen Grena-
diere^ kommt eben, legt Berger die Hand auf die Schulter. Sparen
Sie das Pulver, lieber Herr — die da trifft nicht so
weit . . . Und im übrigen zu den andern möchte ich
den Herrschaften raten, sich von hier zu entfernen.
BRADL. Ist's denn g'fährlich, Herr Leutnant?
JOLSDORF. Es kann jeden Augenblick sehr ge-
fährlich werden. Vor ein paar Stunden ist aus den
kaiserlichen Stallungen herübergeschossen worden.
BERGER. Aber getroffen haben sie nicht.
SCHREUBLER. Und aufgehört haben sie bald
wieder.
JOLSDORF. Sie können jeden AugenbUck wieder
anfangen . . . Und dann mit Kanonen . . .
SCHREUBLER. Die Kanonen sollen ja noch in
Passau sein — ?
JOLSDORF. Nicht alle . . . Fort.
FODERL kommt von der Stiege aus berauf, sehr eilig und
aufgeregt. O du mein Gott, o du mein Gott . . .
BERGER. Guten Tag, Herr Föderl, was ist denn?
FÖDERL. O du mein Gott, jetzt bin ich vorgestern
abend in die Stadt herein, hab' dringend mit meinem
Bruder zu reden gehabt, der was Advokat is, und
jetzt kann ich nimmer hinüber zu meiner Frau.
BARGETTI ist dazugetreten. Wenn Sie sich aus-
weisen können, daß Sie drüben wohnen . . . ah . . . der
Herr Föderl. Ihnen kann ich ja einen Passierschein
geben lassen . . . auf Ihre Gefahr natürUch.
SCHREUBLER zu den andern. Aber er hat sich ja
doch zu Fleiß aussperren lassen!
FÖDERL. Einen Passierschein! So! da müßt' ich
ja übers Glacis.
BARGETTI. Einen andern Weg wüßt' ich freilich
nicht.
FÖDERL. Aber das ist doch jetzt eine sehr un-
sichere Passage.
i6a
ßARG£1fI. Ja, eine Garantie könnten wir nicht
übernehmen.
BERGER. Höchstens, wenn sich der Herr Föderl
rielleicht ein weißes Schnupf tüchel auf den Hut steckt.
Gelächter.
FÖDERL. Da werd' ich halt doch lieber noch warten.
BJRGETTI. Ja, es wird schon das beste sein . . . Fort.
FRAU GRINZINGER. Warum haben s' denn
dort eine schwarze Fahne aufgezogen?
BERGER. Das ist ja das Waisenhaus. Und dort am
Universalspital flattert auch eine. Das ist, damit wir
wissen, wohin wir nicht schießen dürfen.
FÖDERL. Herrgott, wenn meine Frau nur so ge-
scheit is und steckt auch eine schwarze Fahne auf
unser Dach.
Man bort Hochrufe hinter der Szene.
BERGER. Ah, die Deutschmeister! Hoch, hoch . .
ANDRE. Hoch!
Eine Kompagnie Deutschmeister-Grenadiere kommt von links nach
rechts über die Basui gezogen^ wird überall mit Hochrufen begrüßt.
BERGER. Das ist noch ein Glück, daß die gestern
eingerückt sind.
FRAU GRINZINGER. Was ist denn das für ein
Regiment ?
BERGER. Das sind die Deutschmeister-Grenadiere
vom Hillerschen Korps. Haben S' denn nicht gehört,
heut mittag auf dem Burghof die Musik spielen ?
BRADL. Jetzt — wenn auch noch der Erzherzog
Karl zu rechter Zeit ankam' . . .!
FÖDERL. Ja, ist denn der noch immer nicht da — ?
Wo steckt er denn ? Das ist ja schrecklich, das hat man
uns doch für ganz sicher versprochen, daß der Erzherzog
Karl kommt und uns rettet . . .
SCHREUBLER. Obacht, Herr Föderl, die Herren
vom BürgermiUtär, die sind jetzt sehr empfindlich!
Wenn die merken, wir verlassen uns nicht auf sie, so
sind sie imstand . . .
BARGETTI auf der Schanze mit Medardus und Schaff mann,
"• 163
Sehn Sie hinter den kaiserlichen Stallungen diese Wolke
von Staub und Dunst Dort haben die Franzosen
offenbar ein Haus abgebrochen. Die Bewegung in der
Gegend ist überhaupt ganz auffallend. Ich vermute,
es dauert nicht mehr lang, so fahren sie ihre Batterien
auf die Anhöhe hinter dem Stallgebäude, wo sie die
beste Deckung haben. Schöffmann . . . tragen Sie
Sorge, daß die Bastei vom Publikum geräumt wird,
vor allem von den Damen. Und Sie, Klähr, melden
beim Hauptmann Mollner am Kärtnertor, was wir
hier beobachtet haben.
Medardus und Schöffmann nach verschiedenen Seiten ab,
FRAU GRINZINGER. Da reiten ja zwei üben
Glacis direkt aufs Tor zu. Warum schießen i' denn
jetzt nicht von uns aus ?
SCHREUBLER. So blutdürstig als wie die Frau
Grinzinger is . . . Sehn S' denn nicht, die haben ja
eine weiße Fahne . . .
Lebhafte Betcegung auf der Bastei^ insbesondere in der Richtung
gegen das Tor zu, später nach vorn, Stadtseite. — Unten in der Stadt
an der Mauer der Bastei*) Wacbshubtr, Stiefler und andere.
STIEFLER. Ich denk' mir, da ist es doch am aller-
sichersten.
WACHSHUBER. Warum versteckst du dich nicht
gleich in den Keller ... so eine Memme. Weißt, wo
ich jetzt hingeh' . . . ? ich geh' direkt auf die Bastei
hinauf. Wer folgt mir? Auf! Vorwärts! Für Kaiser
und Vaterland! Er schwingt seinen Morgenstern.
EINE FRAU XU ihm. Was haben S' denn da?
WACHSHUBER. Wie, das kennen Sie nicht ? Ein
Morgenstern ist das. Das ist eine eigene Bewandtnis.
Das ist das Sicherste, wenn's zum Handgemenge
kommt. Auf die Bastei. Einige mit ihm.
Oben ist die Betcegung lebhafter geworden, viele haben sich bis xu
dem Tor gedrängt und sehen hinab.
EINE STIMME von jenseits der Mauer, sehr laut. Vom
Marschall Lannes, Herzog von Montebello.
*) Bei umgeitaltetcm Bühnenbild: a«i der Stiege.
164
BERGER oben. XU (hn andern. Vom Marschall Lannes . ..
FRAU GRINZINGER. Ist denn das der Mar-
3chaU . . . ? —
Man hört, wie das äußere Tor aufgemacht toird.
Wachshnber und andere vneder herunter.
FÖDERL. Was soll das bedeuten? Jetzt werden'»
am End' Geiseln verlangen ?
BERGER. Mir scheint, meine Herrschaften, das
ist der Beginn der Unterhandlungen.
FRJU GRINZINGER. Was denn für Unterhand-
lungen ? Is denn am End' wieder nix ?
BERGER. Wenn die jetzt bei uns nur keine Dumm-
heiten machen.
BRADL. Wieso denn, wie meinen Sie das?
BERGER. Also ich denk' mir, in ein paar Stunden,
spätestens in der Nacht, wird der Erzherzog Karl mit
der ganzen Armee da sein.
DIE ANDERN. Wie ? Was ? — Die Armee ? — O
Gott, die ist noch weit!
BERGER. Wer sagt denn das ? Die da drüben haben
jedenfalls sichrere Nachrichten als wir. Wir wissen
nämlich nichts, weil wir da eing'sperrt sind, sozusagen
— und da wollen die Franzosen das Prävenire
spielen.
SCHREUBLER. Wissen S' was, Herr Berger, Sie
müßten eigentlich zum Erzherzog in die Burg, daß er
dem Adjutanten nicht aufsitzt.
Das innere Tor öffnet sich, Adjutant St. Mars und Trompeter reiten
herein. Die Wache am Tor salutiert. Der Adjutant und der Trom-
peter werden von zwei bürgerlichen Grenadieren begleiut und reiten
rechts ab*).
fy ACHSHUBE R, der mit einigen andern tuieder auf die
Straße herunter ist**). Was heißt denn das ?
STIEFLER. Was wollen denn die?
EIN BÜRGERLICHER GRENADIER. Sie brin-
*) Bei umgestaltetem Bühnenbild: hört man nur das Öffnen des
Tors und sieht natürlich nicht die Eintretenden.
**) Auf der Stiege.
i6s
g«n eine Meldung vom Marschall Lannes an den Erz-
herzog Maximilian in die Burg.
WACHSHUBER. Was . . . Und ihr laßt so ohne
weiteres die Franzosen in die Stadt herein ?
DER BÜRGERLICHE GRENADIER. Das ist ja
ein Abgesandter. Sehen Sie denn die weiße Fahne nicht ?
WACHSHUBER. A was, Abgesandter, Franzos' is
Franzos'. Da kann eine abgefeimte Bewandtnis da-
hinter stecken.
ESCHEN BACHER tritt plötzlich unter sie*). Was
wird denn hier für ein Unsinn geredet. Man sollte
sich schämen.
WACHSHUBER. Oh, der Eschenbacher, habe die
Ehre, Herr Hauptmann.
ESCHENBACHER wendet sieb ab.
STIEFLER plötzlich. Hoch Kaiser Franz . . .
EINIGE. Hoch Kaiser Franz.
WACHSHUBER. Nieder mit den Franzosen!
EINIGE. Nieder mit den Franzosen!
WACHSHUBER. Jedenfalls wär's interessant zu
erfahren, was die in der Burg ausgerichtet haben.
JFachsbuber, Stiefler und einige andere ab nach rechts**).
Frau Klähr, Anna, Etzelt kommen unten an das Tor ***). Sie tragen
Handkörbe mit Eßwaren und Flaschen.
Begrüßung mit Eschenbacber.
FRAU KLÄHR. Was war denn das für ein Auflauf ?
ESCHENBACHER. Ein Parlamentär vom Mar-
schall Lannes ist an den Erzherzog abgegangen , . .
Wahrscheinlich Aufforderung zur Übergabe.
FRAU KLÄHR. Was denkst du, Jakob?
ESCHEN BACHER. Wenn die Armee heute abend
oder spätestens morgen früh nicht da ist, so kann sich
Wien nicht halten.
FRAU KLÄHR. Und die Hillerschen Regimenter,
die gestern eingerückt sind ?
*) Bei umgestaltetem Bühnenbild : kommt die Stiege heraut
**) Die Stiege herunter verschwindend.
♦**) Bei umgestaltetem Bühnenbild: tonunen dit Stiege herauf.
i66
ESCHENBACHER. Mit den paar tausend Mann
ist uns wenig geholfen.
FRAU KLAHR. Und ihr! ? Ich meine das bürger-
liche MiHtär?
ESCHENBACHER. Wir stehn auf unsenn Posten,
Schwester. Und es haben sich sogar ein paar Dutzend
gemeldet für den recht unwahrscheinlichen Fall, daß
ein Ausfall anbefohlen werden soUte — oder bei allzu
heftiger Kampfeslust gestattet werden müßte. Der
Medardus ist auch unter ihnen.
ANNA. Der Medardus — ?
E1ZEL1. Wahrhaftig — ?
FRAU KLÄHR.. Haben Sie daran gezweifelt,
Etzelt ? Zu Escbenbacber gewendet. Leb' wohl, Jakob. Zu
den andern. Kommt!
ESCHENBACHER. Ihr bringt den Leuten da
oben wieder was Gutes zu essen und zu trinken ? Herr
Etzelt als Kellnerjunge! Was sich das Leben nicht
für Spaße mit uns erlaubt.
ETZELT. Man macht sich nützlich, wie man kann.
ANNA. Darf ich Ihnen nicht auch was anbieten,
Herr Eschenbacher f
ESCHENBACHER. Wir sind zwar leidHch hier
versorgt, aber ein Glas Bier kann nicht schaden.
ANNA schenkt ihm ein. Wohl bekomm's.
ESCHENBACHER. Schönen Dank, Annerl. Be-
merkt die rot-weiße Binde auf ihrem Arm. Was ist denn das ?
ANNA. Ich hab' mich zum Spitaldienst angemeldet.
DER BÜRGERLICHE GRENADIER unten an der
Treppe*) zu Frau Klähr. Bedaure sehr, herunter darf je-
der, hinauf darf niemand mehr . . . besonders keine
Damen.
FRAU KLÄHR. Uns wird's wohl erlaubt sein. W\x
bringen Ihren Kameraden zu essen und zu trinken.
Bitte, nehmen Sie auch was.
GRENADIER sich eine Wurst nehmend. Das ist Wohl
*) Bei umgestaltetem Bühnenbild: auf der Plattform.
167
nicht gegen meine Instruktion, aber der Aufgang ist
strengstens verboten.
ESCHEN BACHER tritt dazu. Es ist meine Schwester,
die Frau Klähr, die auch schon gestern oben war und
heute morgens zu gleichem Zweck. Lassen Sie sie nur
hinauf, auf meine Verantwortung.
GRENADIER. Wenn der Herr Hauptmann be-
fehlen . . .
Etzelt, Frau Kläbr und Anna hinauf.
Indes bat die Bewegung auf der Bastei eben fortgedauert. Eben jetxt
kommt ein elegant gekleidetes Ehepaar von links, hält sich hart an der
Rampe, die Frau versucht über die Brustwehren hinüberzuschaun.
DIE FRAU. Schrecklich, wie sie einem die Aus-
sicht verstellt haben. Komm g'schwind, Franz, von
da hat man einen Ausblick.
JOLSDORF, der eben dastand, macht Platz. Bitte Schön.
Vielleicht stellt sich die gnädige Frau auf den Sack da.
Er ist ihr behilflich.
DIE FRAU. Ich danke recht sehr. Oh, das ist ja
der Doktor Jolsdorf . . .
JOLSDORF. Ja, der bin ich, gnädige Frau! —
DIE FRAU. Hätt' Sie beinah nicht erkannt . . .
Steht Ihnen aber gut, die Uniform! Du, Franz, der
Doktor Jolsdorf. —
DER ELEGANTE HERR. Sehr angenehm! —
DIE FRAU. Du, Franz, ah, das ist aber prachtvoll.
Und jetzt noch die Beleuchtung von der Abend-
sonne! . . .
DER HERR mißmutig, reckt sich den Hals aus. Ja, waS
denn f Ich seh' gar nichts !
DIE FRAU. Aber da drüben! Wie das blitzt!
Ganz weit! Das muß schon bei Hütteldorf sein . . .
JOLSDORF. Das sind wahrscheinlich die Helme
und die Lanzenspitzen von den Kürassieren.
DIE FRAU. Es sieht eigentlich aus wie ein fließen-
des Wasser, aber es werden schon eher die Kürassiere
sein. Freilich man sieht's an der Bewegung. Und da,
gegen Schönbrunn zu ... i
i68
DER HERR. Siehst nicht vielleicht den Napoleoa
auf dem Balkon stehn ? Komm, gehn wir nach Haus.
DIE FRAU ohne sieb um ihn zu kümmern, zu Jolsiorf. Und
da drüben . . . bei den Stallungen . . . was ist denn
das . . . ?
JOLSDORF. Ja, da drüben auf dem Spittelberg,
das sind nämlich Kanonen.
DIE FRAU. Kanonen? Sie sollen doch noch gar
keine Kanonen da haben . . . heißt's.'
JOLSDORF. Das ist ein Irrtum, gnädige Frau, sie
haben grad genug.
DIE FRAU. Kanonen . . .
JOLSDORF. Ja, das kommt in Kriegszeiten vor.
Aber wir haben auch welche.
DER HERR. Da hast es . . . Wären wir abgereist
vorgestern, auch gestern früh wär's noch gegangen.
Jetzt stehn wir da.
DIE FRAU. Kanonen . . .
SCHÖFFMANN kommt, sehr höflich . Ich bitte, sich von
hier zu entfernen. Wirklich, gnädige Frau, es war'
schad' um den schönen Hut.
Er entfernt sich xoieder.
DER HERR. Der muß dich kennen.
DIE FRAU. Ja, wird denn wirklich was g'schehn ?
Ein Flintenschuß.
JOLSDORF. Der war von uns.
Ein zweiter Schuß.
JOLSDORF. Aber der von drüben.
Das Ehrpaar rasch zu der Stiege bin und hinab.
Frau Kläbr, Anna und Etzelt haben indes die Lebensmittel und
Getränke verteilt.
Anna und Etzelt haben sich nach rechts übers Burgtor hinausbegeben
und sind nicht sichtbar.
Frau Kläbr gebt eben von rechts nach links und begegnet Bargetti,
der von der andern Seite kommt.
BARGE11I. Guten Abend, Frau Klähr. Also Sie
haben sich wieder als gütiger Engel erwiesen.
FRAU KLÄHR. Sie tun rein, als wenn ich die
einzige war', Herr Bargetti.
169
BARGE17I. Man hat halt die Empfindung, daß
es keiner so von Herzen kommt. Aber jetzt möcht' ich
Ihnen raten, Frau Klähr, ich könnt' es Ihnen sogar
befehlen, verlassen Sie die Bastei.
FRAU KLAHR. Sie denken, es wird bald Ernst?
BARGETTI. Sehn Sie, Frau Klähr, da drüben auf
dem Dach vom Stallgebäude stehn sechs Kanonen, ich
schwöre, daß sie nicht zum Spaß aufgefahren sind.
FRAU KLÄHR. Was wird nur werden, Herr
Bargetti ?
BARGETTI. Ja — was werden wird . . . ? Selbst
in ruhigem Zeiten pfleg' ich mit dem Prophezeien
vorsichtig zu sein.
Schüsse.
BARGETTI. Auf Wiedersehen, Frau Klähr . . .
hoffentlich . . .
FRAU KLÄHR. Herr Bargetti . . . können Sie
mir vielleicht Auskunft geben . . . steht ein Ausfall
von unserer Seite bevor?
BARGETTI. Es ist kaum möglich, zu wissen, was
im Lauf der nächsten Stunden anbefohlen wird,
und was sich nebenher ohne direkten Befehl ergeben
dürfte.
FRAU KLÄHR. Ich hätte so gern meinen Sohn
noch gesehn. Er hat doch hier seinen Posten.
BARGETTI. Ich hab' ihn mit einer Meldung zum
Kärtnertor geschickt, ich denke, er wird bald wieder
hier sein. Wenn sie vielleicht unterdes hier Platz
nehmen wollen, Frau Klähr. Garantien für Ihre per-
sönHche Sicherheit übernehm' ich aber nicht.
Links vorn auf der Bastei begegnen sieb Anna und Elisabeth.
ANNA. Elisabeth . . . ?
ELISABETH. Ja, ich bin's, kennst du mich noch?
ANNA. Warum sollt' ich dich nicht kennen. Ich
hab' dich erst neuhch gesehn auf dem Friedhof, wie
sie unsre arme Agathe begraben haben.
ELISABETH. Ja, es gibt Mädeln, die nehmen alles
schwer. Ich bin nicht so.
170
MEDARDUS kommt von recbu.
ANNA. Guten Abend, Medardus!
MEDARDUS. Anna! . . . Elisabeth . . . ? Rticbtbeiitn
iit Hand.
ELISABETH. Guten Abend, Medardus!
MEDARDUS. Wohin — ihr zwei?
ELISABETH. Oh, wir gehören nicht zusammen.
Wir haben uns nur zufällig getroffen.
FRAU KLAHR siebt ihn. Medardus!
MEDARDUS. Dort ist meine Mutter! Grüß' euch
Gott. Zu Frau Kläbr nach rückwärts.
ANNA. .Warum bist du so zu mir, EHsabethf Ich
hab' dir nichts getan.
ELISABETH weicber. Wo gehst du denn hin ?
ANNA. Ich geh' in die kaiserliche Winterreitschul',
das ist jetzt ein Spital. Ich hab' mich als Wärterin
gemeldet. Vielleicht gehst du mit mir hin. Ich weiß,
jede wird aufgenommen, die als barmherzige Schwester
sich meldet.
ELISABETH. Willst vieUeicht meine Seele retten ?
Barmherzig bin ich schon, vielleicht mehr als du.
Aber von einer Schwester hab' ich freilich nicht viel.
Grüß' dich Gott, Anna. Rasch ab nach links.
ANNA berunter.
Medardus und Frau Kläbr baben sieb begrüßt^ jetzt tritt eben Bar-
getti zu ibnen.
MEDARDUS. Herr Hauptmann, ich habe beim
Kärntnertor die Meldung laut Befehl erstattet.
BARGETTI. Schön. Indes ist hierher die Nach-
richt gelangt, daß der Marschall Massena mit einer
großen Truppenanzahl sich gegen die Donau zu in
Bewegung gesetzt hat ?
FRAU KLÄHR. Wie — ?! '
BARGETTI. Der Erzherzog Maximilian ist auch
schon gegen den Prater zu gerückt und hat dem General
Oreilly, vne ja schon vorher bestimmt war, das Kom-
mando über die Stadt gegeben . . .
FRAU KLÄHR. Was bedeutet das aUes?
171
BJRGET7I. Wenn nicht ein Wunder geschieht -
den Anfang vom Ende.
FRJU KLAHR. Und was wäre das Wunder?
BJRGETTl. Daß der Erzherzog Karl im Laufe der
nächsten Stunde eintrifft . . .
Escbenbacber^ der während der vorigen Minuten unten am Tor mit
einigen herbeigeeilten bürgerlichen Grenadieren sprach*), eilt die
Stufen zur Bastei hinan, rasch xu Bargetti hin.
ESCHENBACHER. Weißt du, was passiert ist,
Bargetti! Den Trompeter haben sie erschlagen.
BJRGETTI. Wen . . . ? wer . . . ?
ESCHENBACHER. Den Trompeter, der mit dem
Abgesandten des Marschall Lannes vor einer halben
Stunde hier durchs Tor geritten ist! Sie haben ihn
vom Pferd gerissen und erschlagen.
BARGETTI. Ja, um Gottes willen, wer ... ?
ESCHENBACHER. Gesindel. Die Hauptschul-
digen werden nicht herauszubekommen sein. Der
Adjutant selbst . . .
BARGETTI. St. Mars...?
ESCHENBACHER. Ja, St. Mars heißt er, der ist
ihnen entkommen. Beim Kärtnertor haben ihn unsre
Grenadiere herausgehauen, bis dorthin hat ihn der
Pöbel verfolgt.
BARGETTI. Und ist die Botschaft des Marschalls
an den Erzherzog oder vielmehr an den General Oreilly
gelangt ?
ESCHENBACHER. Das ist mir nicht bekannt . . .
Es hätte auch nicht viel zu bedeuten, da sie sich ja
an der Donau jedenfalls schon herumschlagen . . .
Hinter der Szene Geschrei. Nieder mit den Fran-
zosen! Hoch Kaiser Franz! Tod dem Bonaparte I
BARGEtTI. Da scheinen sich einige einen Rausch
angetrunken zu haben . . .
ESCHENBACHER. Einen . . . Mordsrausch viel-
leicht.
*) Bei umgestaltetem Bühnenbild fiUt das fort.
17s
Fon Itnks Wacbibuber^ SuefUr und andrt. iarunUr ubr verdächtig
aussebtndes Volk mit Äxten, Hellebarden, Flinten; Wacbsbuber mit
seinem Morgenstern über die Bast*i.
WACHSHUBER. Vorwärts, Freunde. Hoch Kaiser
Franz! Gut und Blut fürs Vaterland!
BARGETTI. Ruhe!
WACHSHUBER. Hoch unser guter Kaiser Franz!
BARGETTI. Ruhe . . . Ruhe . . .
£5 sind vitr bürgerliche Grenadiere dazugeireten, die sich hinter
Bargetti postieren.
BARGETTI. Es ist jetzt nicht die Zeit und kein
Anlaß, um in so wüster Weise zu lärmen. Es wird
vielleicht eine andre Art für die Bürger Wiens geben,
ihren Patriotismus zu beweisen. Wer auf den Bastein
nichts zu tun hat, verlasse sie.
SIIEFLER. Wir haben Waffen!
BARGETTI. Wenn der Augenblick kommen sollte,
diese Waffen zu benützen, wird der Weg herauf
wieder frei sein.
Murren.
BARGETTI. Noch einmal, man zerstreue sich.
Man zwinge mich nicht zu entschiedenen Maß-
regeln.
WACHSHUBER zu Bargetti, als gebäre er eigentlich nicht
dazu. Sie meinen's ja nicht schlecht. Es ist halt die
Begeisterung, Herr Hauptmann . . .
BARGETTI. Begeistert sein ist leicht! Aber wissen
wofür, das ist die Kunst.
WACHSHUBER. Haha! O guten Abend, Herr
Eschenbacher. Was schaun S' denn das so an — ? . . .
Ja, das ist ein Morgenstern . . .
BARGETTI. Man räume die Bastei! Vorwärts!
Die Grenadiere drängen die Leute zur Stiege bin.
ESCHENBACHER zu Bargetti. Die waren es, die
den Franzosen umgebracht haben!
BARGETTI. Hast du einen bestimmten Verdacht ?
ESCHENBACHER. Gegen einen Einzelnen nicht,
denn jeder für sich wäre ja zu feig — aber gegen alle.
173
Ein KaiufUHicbuß. Gleich dtrtuf tin »weiter. Feuerscbtin. «m
Himnul. L*ute rennen von der Bastei über die Stiege hinunter. Das
bürgerliche Militär eilt auf seine Posten.
Dir uralte Herr und das kleine Mädchen kommen von links über
die Bastei.
URALTER HERR. Also schon wieder sind die
Franzosen da. Was wollen s' denn, Greterl?
Wieder ein Schuß.
DAS KLEINE MADCHEN. Großvater, ich furcht'
mich . . ,
URALTER HERR. Hast g'hört, bum, bum . . .
Aha, das ist der Krieg. Weiß schon, weiß schon. Weiter
mit ihr und ah.
FRAU KLAHR. Um Himmels willen, dort brennt's
ja!
BARGETTI. Ja, das ist mitten in der Stadt.
ESCHENBACHER. Komm, ich bring' dich nach
Haus. Was willst du hier?
FRAU KLÄHR. Und was tu' ich daheim ?
BARGETTI. Sie müssen jetzt fort, Frau Klähr.
FRAU KLAHR. Medardus, leb' wohl!
MEDARDUS. Leb' wohl, Mutter! —
FRAU KLAHR. Ein Wort noch, Medardus! Mir
war in den letzten Tagen, als hätt' ich auch meinen
Sohn verloren. Heute weiß ich wieder, daß ich einen
habe! Und ich kann dich nicht mehr verlieren, wie
immer diese Nacht auch endet. Sie umarmt ihn.
Medardus bleibt starr, sieht ihr nach, wie sie mit Eschenbacher
hinabgeht, setzt sich dann auf einen der Wollsäcke an der Rampe
links vorn.
Unten am Tor und weiterhin Männer und Frauen, sich drängend,
Kum Teil fliehend, der Feuerschein am Himmel wird immer beller.
Wieder ein Schuß.
EINZELNE STIMMEN*). Jesus, Maria und Josef.
Es brennt. — Um Gottes willen, wo soll man denn
da hin. — Halt dich an die Mauer ... — Nach Haus,
nach Haus . . . Wohin denn ? — Es ist ja in keiner
*) Bei umgestaltetem Bühnenbild: StizimieD aus der Tiefe.
Straße sicher ... — Wo brennt's denn ? . . . — Jesus,
Maria und Josef . . .
FÖDERL unter den andern. O du mein Gott, O du
mein Gott . . .
BERGER. Na, ist's Ihnen jetzt lebhaft genug,
Frau Grinzinger?
EINZELNE STIMMEN. Ich geh' in den KeUer . .
Es ist hell wie am Tag . . . Platz, Platz ! ... So lassen
S' einen doch vorbei . . . Jetzt wird's stiller ... Ja,
freilich! stiller! . . . Wo brennt's denn ? . . . Jesus, Maria
und Josef . . .
Die Bühne leert sieb allmählicb.
Oben auf der Bastei ist es nahezu ganz still. — Nur zuweilen eilen
bürgerliche Grenadiere und Schützen vorbei, auch einzelne LeuU in
Zivil.
Etzelt kommt zu Medardus von rechts aus.
Medardus. Etzelt.
ETZE LI" Medardus gewahrend. Medardus!
MEDARDUS. Du, Etzelt —? Was machst du hier
auf der Bastei? Es wird kein guter Aufenthalt sein,
heut nacht.
ETZELT. Wenn's eben darauf ankäme — so scheint's
mir hier sicherer als irgendwo. Die Kugeln fliegen
alle über die Bastei hinweg . . . Laß mich nur bei dir
bleiben, Medardus . . .
MEDARDUS. Wie du willst, Etzelt!
ETZELT setzt sich neben ihn.
Sie schzceigen beide eine kurze Weile, indes dauert die Kanonade fort.
MEDARDUS. Man kann nicht wissen, wie die
Nacht endet, Etzelt. Und da du nun einmal da bist —
so möcht' ich dir was zu bestellen geben . . . wenn
du's annimmst . . .
ETZELT. Zu bestellen — ?
MEDARDUS. An meine Mutter. Sie nahm eben
von mir Abschied — in einer recht sonderbaren Weise
— wie von einem Soldaten . . . Nun ja, das bin ich
wohl . . . aber . . . wie von einer . . . Art Heldcnsohn . .
wollt' mir scheinen . . .
175
ETZELT. Sie weiß wie ich, daß du zu den Frei-
willigen zählst, die für einen möglichen Ausfall sich
gemeldet haben.
MEDARDUS. Darum also — f Und auch du . . .
Etzelt! — Ich bin kein Held, Etzelt . . . kaum ein
Soldat . . . bestell' es meiner Mutter. Ich will kein
erlogenes Andenken hinterlassen . . . Wenn ich unter-
gehn sollte, fürs Vaterland würd' es nicht gewesen
sein . . . Sag's der Mutter ... Es liegt mir daran.
ETZELT. Wenn du den Tod fändest, so war' es
eben doch ein Soldatentod, mögst du ihn auch nur
zu eigener Sühne gesucht haben.
MEDARDUS. Was — hätt' ich zu sühnen, Etzelt ? . .
Warum sollt' ich den Tod suchen ?
ETZELT. Denkst du, ich weiß nicht, Medardus,
daß du seit jener Nacht ... da ich dich aus einer ge-
wissen Gartenpforte kommen sah, keine daheim warst ?
... Es ist nicht schwer zu raten, wo du sie verbracht
hast.
MEDARDUS. So meinst du — ich vergaß meines
Schwures — und darum sucht' ich den Tod — ! ? Du
meinst, in ihren Armen vergaß ich meines Schwurs — ?
Du meinst, ich sah sie wieder seit jener Nacht ? Hätt'
ich sie wiedergesehen, Etzelt, so hätt' ich auch meinen
Schwur gehalten! Aber ich sah sie nicht wieder. Die
Pforte war verschlossen. — Diener streiften innen und
außen an der Mauer, und Hunde heulten durch den
Garten. Sie hatte Furcht vor mir, Etzelt — und ließ
mich nicht mehr ein! Es stand wohl auf meiner Stirn
zu lesen, wessen sie sich von mir zu versehn hatte —
vielleicht haben es ihr gar meine Küsse verraten . . .
Ich bin der Betrogne, der Genarrte, Etzelt — und
morgen ist ihre Hochzeit! Morgen ist ihre Hochzeit,
und ich bin hier so gut wie ein Gefangener . . . Erst,
wenn ein Tor sich öffnet, hab' ich den Weg hinüber
wieder frei . . . hinüber und zu ihr — Darum, Etzelt,
hab' ich mich gemeldet.
ETZEL T bat mit toacbutidtm Entsetzen zugehört. Und fühlst
176
nicht, Medardus, daß, was du vorhast, nicht besser
wäre als Verrat an deinem Vaterland und an deiner
Ehre — ?
MEDARDUS. Nenn's wie du willst. Ehre — Vater-
land . . . leerer Klang für mich — eh' mein Vorsatz
nicht erfüllt ist.
ETZELT. Doch . . . wenn kein Ausfall anbefohlen
wird heute nacht . . . und keiner morgen — ?
MEDARDUS. So müßte man sich eben auf eigne
Faust den Ausgang suchen . . .
ETZELT. Medardus! —
MEDARDUS. Länger als bis morgen kann ich
nicht warten . . . Ich hab 'noch ein Wort mit dem
Herrn Marquis zu reden — oder mit keinem Menschen
auf der Welt mehr . . .
ETZELT. Du bist nicht bei dir, Medardus?
MEDARDUS. Keine Angst, Etzelt! ... Ich glaube
sehr, es wird dazu keiner sonderlichen Tollheit von
meiner Seite bedürfen! Denn, wenn meine Ahnung
nicht trügt, so sind vor Sonnenaufgang alle Tore
offen . . . und der Weg hinüber ist frei, frei für alle !
ETZELT. Medardus — das ist's, was du ahnst?
Das, was du ersehnst ? — Und glaubst noch immer
einem Werk der Rache nachzusinnen ? ! In solche
Tiefen führt nicht der Haß . . . Medardus!
Vier bürgerliche Grenadiere tragen eine Bahre vorbei^ auf der Bar-
getti liegt; der Arzt geht zur Seite.
ETZELT. Ein Verwundeter? Wer ist es?
EIN GRENADIER. Der Hauptmann Bargetti.
MEDARDUS. Wie . . . Geht zur Bahre hin, die indes immer
langsam weiter getragen wird. Herr Bargetti . . . Herr Haupt-
mann.
BARGETTI. Der Titel tut wohl nichts mehr zur
Sache . . . ! Wer spricht zu mir ? Ah, Medardus Klähr.
ARZT ihn erkennend. Medardus Klähr? —
BARGETTI. Reichen Sie mir die Hand. Zu den
Gardisten. Wohin tragt ihr mich denn ? Läßt es sich hier
oben nicht auch sterben ?
ThMtMstUok«. IV, la lyj
DER ARZT. Herr Hauptmann, wenn es an«
Sterben ginge, könnten wir wohl hier bleiben. Aber
Sie sollen gesund werden, darum begleit' ich Sie ins
Lazarett.
BARGETTI. Sie tun Ihre Pflicht. Ich will Sie
nicht daran hindern. Gute Nacht, Medardus, grüßen
Sie Ihre brave Mutter. Man trägt ihn fort.
Das Schießen dauert fort, Granaten fliegen über die Battei in die
Stadt, die Beleuchtung tvird immer greller.
Medardus und Etzelt schweigen eine Weile,
MEDARDUS. Du siehst, Etzelt, es ist nicht weit
her mit der Sicherheit hier oben. Geh nach Hause und
bestelle du Bargettis letzten Gruß. Und sollten wir
uns nicht wiedersehen — so hab' ich dir doch einen
Schmerz erspart. Du wirst mich nicht beweinen!
ETZELT. Ich tu' es schon, Medardus!.. Was
ward aus dir!
MEDARDUS. Es ist nun einmal, wie es ist. Ich
sehe die Feuer leuchten, ich höre den Donner der
Kanonen, Gefallene seh' ich an mir vorübertragen,
mir ist es gleich. In meinem Herzen lodert irgend
etwas gewaltiger als die Flammen dort . . . und es
liegt nicht viel daran, ob du es Liebe nennen willst
oder Haß . . . ich weiß, es wird mich und Helene und
die Welt verzehren. Was tut's ? Wir werden doch
in der gleichen Stunde sterben, die Welt und ich.
ETZELT ah.
UnUn kommen allmählich mehr Leute, fliehend^ drängend^ einzelne
bleiben stehn*).
STIMMEN. Der Trattnerhof brennt. — Das
Kaisersteinische Palais auch. — Die ganze Stadt wird
zusammengeschossen. —
STIEFLER. Morgen früh sind sie herinnen, und
wie's uns dann ergehen wird, heiliger Herrgott . . .
EIN MANN zu seiner Frau. So komm doch, so
komm doch.
*) Bei umgestaltetem Bühnenbild: man hört die Stimmen au«
der Tiefe.
178
FRAU. Nein, nein. Drückt sieb an die Maust.
MANN. So bleib halt, geh' ich allein . . .
FRAU. Die Kinder, die Kinder. Mit ihm ab.
BERGER kommt eben)*. Eine wichtige Nachricht.
STIMMEN. Ruhe . . . Ruhe . . .**)
BERGER. Soeben ist eine Botschaft des Marschalls
ßerthier an den Erzherzog abgegangen! und wissen
Sie, wer sie überbracht hat ? Der Richter von Gumpen-
dorf, der Herr Damböck.
STIMMEN. Eine Botschaft . . . Was für eine Bot-
schaft! — Der Damböck!
BERGER. Es kann sich ja nur um eines handeln! . . .
um die Aufforderung zur Kapitulation!
STIMMEN. Kapitulation?
STIEFLER. Meine Herren, begeben wir uns zu
Sr. Hoheit in die Burg, flehn wir ihn an . . .
STIMMEN. Der Erzherzog ist längst nicht mehr
in der Burg . . . Der General Oreilly hat's Kommando.
Der Erzherzog ist ja an die Donau marschiert mit
unserm ganzen Militär . . . dem Marschall Massen?
entgegen . . . Der Bonaparte selbst soll dabei sein . . .
STIEFLER. Es kann doch der Wille Sr. Majestät
nicht sein, daß seine Haupt- und Residenzstadt, das
herrliche Wien, in so grauenvoller Weise zugrunde geht.
STIMMEN. Und die armen Frauen und Kinder! . .
Sollen sie der Grausamkeit der Eroberer ausgeliefert
werden ? Halten kann sich die Stadt nicht ! . . . Nein
sie kann sich nicht halten . . . Unmöglich . . . Das
wissen die oben gerade so gut wie wir . . . Ein Eigen-
sinn ist es! . . . Ein verfluchter Eigensinn . . . Wenn
nur der Erzherzog Karl da war' . . . Er wird ja kommen . . .
Der ist noch weit! . . . Heut nacht noch kann er da
sein . . .
STIEFLER. Und wenn er schon kommt. Hat er
♦) Bei umgestaltetem Bühnenbild: die Stiege herauf-
kommend.
**) Bei umgestaltetem Bühnenbild: Von xmten kommen Leute
die Stiege bcraui.
M«
179
in Regensburg Prügel kriegt, so wird er hier noch ärgere
kriegen.
STIMMEN. Ruhe . . . Ruhe! . . . Recht hat er! . . .
Ganz recht hat er! . . . In Bayern hat er auch Prügel
gekriegt ! . . . Ein Glück war's, wenn er nicht kam' . . .
Was soll er uns denn helfen! —
STIEFLER. Hinters Licht hat man uns geführt,
meine Herrschaften. Mit Absicht hat man falsche
Gerüchte ausgestreut . . . Mindestens zwei Tage-
märsche weit ist die Armee. Bis sie kommt, ist von
Wien nichts mehr da als die nackten Mauern.
STIMMEN. Und von uns? Und unsre Frauen
und unsre Kinder ? . . . Ich frag' nur, warum laßt man
sie nicht herein, die Franzosen ? . . . Haben sie uns
vor vier Jahren was zuleid getan ? . . . Ganz anständig
haben sie sich aufgeführt . . .
STIEFLER. Aber damals, damals hat man ihnen
halt gleich aufgemacht!
STIMMEN. Ja! Sehr richtig! — da hat man sie
nicht erst bös' gemacht ! . , . Diesmal wird's nimmer so
gut ausgehn . . . Die Franzosen sind honette Leut' . . .
Ein halbes Jahr sind sie bei uns in der Stadt gelegen
. . . Ich hab' selber drei in meinem Haus gehabt . . .
Honette Leut' . . .
STIEFLER. In die Burg . . .
STIMMEN. Zum Erzherzog . . . Aber der General
Oreilly hat ja das Kommando. Wo ist denn der Ge-
neral ? . . . In der Burg. Was geht uns der General
Oreilly an . . . Warum hat uns der Erzherzog Maxi-
milian im Stich lassen . . . Das ist so schon soviel wie
Kapitulation! . . . Kapitulation! . . .
STIEFLER. Die weiße Fahne sollen sie auf der
Bastei aufstecken.
STIMMEN. Ja, die weiße Fahne. Die weiße Fahne!...
Auf die Bastei hinauf . . . Wir wollen nicht massakriert
werden . . . die weiße Fahne . . . Sie eilen zur Stiege*).
*) Bei umgostaltetem Bühnenbild: üe eilen hinauL
i8o
EIN BÜRGERLICHER GRENADIER*). Halt,
Aufgang verboten.
STIEFLER. Lassen S' uns doch hinauf. Wir wollen
zum Kommandanten von der Bastei . . . Wir haben
was Wichtiges oben auszurichten.
STIMMEN. Die weiße Fahne!
DER GRENADIER. Niemand wird hinaufgelassen.
STIMMEN. Die weiße Fahne soll aufgesteckt
werden. Es brennt schon überall . . . Die ganze Stadt
brennt ja nieder!
EINER kommt gerannt. In der Burg liegt Pulver!
Aufschrei der anderen.
DER FORIGE. Grad hab' ich's gehört. Es ist ver-
gessen worden, das Pulver aus der Burg fortzutrans-
portieren.
STIMMEN. Gottverfluchte Schlamperei . . . Ganz
Wien fliegt in die Luft!
Wieder ein Kanonenschuß.
Geschrei.
STIMMEN. Hinauf, es ist die höchste Zeit . . .
Schlagt den Kerl tot . . .
Sie überzcältigen den Grenadier, der zu Boden fällt.
JOLSDORF erscheint oben an der Stiege. Die Stiege ist
sofort zu räumen. Was gibt's da. • Keinen Schritt
weiter! Noch ein Schritt und ich lasse Feuer geben.
STIEFLER. Herr Leutnant, Sie sind ja auch ein
Bürger von Wien, vne wir! Es ist ja eine Botschaft vom
Napoleon beim Erzherzog Maximilian, finden viel-
leicht schon Unterhandlungen statt. Es wird vielleicht
schon in diesem AugenbUck Friede geschlossen.
JOLSDORF. Geben Sie die Stiege frei, meine
Herren !
STIMMEN. Herr Leutnant, die Stadt fliegt in die
Luft! Es Hegt Pulver in der Burg ... Es wird ja schon
parlamentiert . . . Der Erzherzog ist ja schon fort! . . .
Lassen Sie die weiße Fahne aufstecken . . . Die weiße
*) Bei umgestaltetem Bühnenbild: oben.
iSi
Fahne! wir sind alle Bürger von Wien . . . Die weiße
Fahne . . . Uns gehört die Stadt ... Es liegt Pulver
in der Burg . . . unsere Frauen, unsre Kinder . . . Das
kann auch dem Kaiser sein Wille nicht sein . . . Die
weiße Fahne . . .
JO LSDORF. Zurück. Befehle empfangen wir hier
aus der Hofburg, aber nicht von der Straße. Unsre
Pflicht ist, die Bastein zu verteidigen, wir werden sie
erfüllen. Es ist noch nichts verloren! —
STIMMEN. Alles ist verloren! Die Stadt fliegt in
die Luft ... Es brennt an allen Ecken! Der Trattnerhof
brennt! Beim Palffy brennt's ! — Die weiße Fahne! —
JOLSDORF. Wer die weiße Fahne aufziehn ließe
ohne hohen Befehl, wäre ein Hochverräter, ein Schuft.
BERG ER der in der Nähe von Jolsdorf subt. Sehr richtig!
JOLSDORF siebt ibn an, lächelt unwillkürlich; dann:
Räumen Sie die Stiege, zum letztenmal . . . räumen
Sie die Stiege. Er kommandiert den bürgerlichen Scharf schütxen
hinter sich. Legt an.
Die Leute eilen die Stiege binab.
STIMMEN. Das war' gar gut, auf die eigenen Mit-
bürger schießen lassen . . . Zum General . . . Nein,
zum Erzherzog . . . Wie kommen wir zu dem . . . Der
ist ja fort! — Er hat gewußt warum! — In die Burg . . .
Wer hat denn 's Kommando — ! . . . Heiliger Herr-
gott! Die Leute verlieren ticb.
Der uralte Mann und Greterl kommen vorüber.
URALTER MANN. Sixt, Greterl, da drüben das
sind die Feinde, und da herüben das sind die Freunde.
Das ist grad, wie dein kleiner Bruder die Soldaten
g'habt hat, die grünen und die roten, mit denen er
alleweil g'spielt hat,
DAS KLEINE MÄDCHEN weinend. Ich will heim,
Großvater.
JOLSDORF zu ihm bin. Was machen Sie denn da,
alter Mann ? Schaun Sie, daß Sie heimkommen mit
der Kleinen. Es ist kein gutes Wetter heut für alte
Leut' und für junge auch nicht.
182
URALTER MANN. Ah, Sie meinen, wegen dem
bisserl Schießen, ha, mir geschieht nix. Zu Greterl. Bum,
bum, siehst es, das ist der Krieg.
EIN BÜRGERLICHER GRENADIER eilends zu
JoUdorf. Herr Leutnant, beim roten Turm soll eine
weiße Fahne aufgesteckt worden sein.
JOLSDORF. Soll . . . wer sagt denn das ?
GRENADIER. Einer sagt's dem andern ~ so
kommt's über die Bastein zu uns herüber.
JOLSDORF. An uns ist kein Befehl ergangen.
SCHÖFFMANN kommt. Du, Jolsdorf, vom Kärntner-
tor her ist die Meldung gekommen, daß Erzherzog
Maximilian schon über die Donau marschiert ist, daß
er Befehl gegeben hat, die Brücken hinter sich ab-
zubrennen und daß der General Oreilly Vollmacht
hat, die Übergabe und Kapitulation abzuschließen.
JOLSDORF. . Ja, da er das Kommando hat, hat er
natürlich auch die Vollmacht. Aber er hat bisher
keinen Gebrauch davon gemacht. Mit ihm nach rechts.
URALTER MANN. Na, Greterl, was ist denn?
Bist du so müd' ? Na, Greterl, so steh doch auf. Wir
gehn nach Haus. Ich bitt' schön, helfen Sie mir. Zum
eben vorübereilenden Eschenbacher. Das Mäderl ist SO müd', sie
will gar nicht mehr aufstehn.
ESCHENBACHER hat sich niedergebeugt. Ja, um
Himmels willen, das arme Kind ist ja tot.
URALTER HERR verständnislos. Tot . . .
ESCHENBACHER. Ja, sehn S' denn nicht...
Da am Hals ein Granatsplitter . . .
Er bettet das kleine Mädchen auf einen der Säcke.
URALTER HERR. Das kann aber doch nicht so
gefährlich sein . . . Du Greterl . . .
ORDONNANZ DES GENERAL OREILLY kommt
über die Bastei geritten, hält an *). Wer hat hier den Befehl ?
Meldung vom General Oreilly.
♦) Bei umgestaltetem Bühnenbild: er kommt zu Fuß die Stiege
herauf, von zwei bürgerlichen Grenadieren begleitet.
183
£SC//£iV5//CH£i2. Unser Kommandant, der Haupt-
mann Bargetti, ist verwundet — oder tot. Stellt sieb vor.
Hauptmann der bürgerlichen Grenadiere, Eschen-
bacher.
Es sammeln sieb Grenadiere und Scharfscbützen um die Ordonnanz.
ORDONNANZ. Befehl vom General Oreilly, in
Vertretung und im Namen Seiner Kaiserlichen Hoheit
des Erzherzogs Maximilian. Zu den feindlichen Vor-
posten werden von jedem Tor aus zwei Mann gesandt,
mit dem Ersuchen, das Bombardement einzustellen.
Auf den erhöhtesten Punkten der Basteien sind weiße
Fahnen aufzupflanzen. Sie haben verstanden.
ESCHENBJCHER. Jawohl, Herr Adjutant.
ADJUTANT sprengt weiter*).
ESCHENBACHER zu den andern. Ihr habt gehört!
DIE ANDERN. Jawohl, Herr Hauptmann!
ESCHENBACHER. Also pflanzt sie auf da oben,
die weiße Fahne ... sie wird ja zur Hand sein!
Einige fort, die Schanze hinauf. Eschenbacher und Jolsdorf sieben
beisammen.
JOLSDORF. Das hätt' am Ende auch ein paar
Stunden früher sein können!
ESCHENBACHER. Denk' ich mir eben . . .
JOLSDORF. Mit unserm Ausfall war's also nichts . .
ESCHENBACHER. Gute Nacht, Jolsdorf, ich leg'
mich schlafen.
JOLSDORF. Gute Nacht, Herr Hauptmann.
ESCHENBACHER. Nein, nicht Hauptmann —
bürgerhcher Sattlermeister von Wien.
JOLSDORF. Sagen Sie das nicht. Auch jetzt wird
man unserer noch bedürfen.
ESCHENBACHER. Zum Pohzeidienst hab' ich
keine Lust. Grüß' Sie Gott, Heber Doktor Jolsdorf.
Er reicht ihm die Hand und geht die Stiege hinab.
URALTER HERR der neben der Leiche des kleinen GreUrl
sitzt. Tot . . . tot . . . aha, weiß schon.
Die weiße Fahne erscheint über dem Burgtor.
*) Bei umgestaltetem Bühnenbild: wieder hinab.
184
MEDARDUS rechts. Die weiße Fahne! ... die
weiße Fahne . . . Morgen, morgen! . . .
Zweite Szene
Salon im Hause des Herzogs von Valois.
Dagusan aus dem Garten berein, ein beschriebenes Blatt Paper in
der Hand, in dem er liest. Er geht langsam nach vorn und setzt
sich an einen kleinen Tisch.
Laffraye kommt von rechts.
LAFFRATE. Guten Morgen, Dagusan.
DAGUSAN aufblickend. Sie, Laffraye ? . . . Die Feier-
lichkeit ist längst vorbei. Seit einer Stunde ist unser
Freund vermählt . . . Man hat sie vermißt, Laffraye,
nicht ohne Erstaunen vermißt.
LAFFRATE. Ich werde dem Herrn Marquis und
der Frau Marquise meine Entschuldigungen zu Füßen
legen . . . Was studieren Sie da, Dagusan ?
DAGUSAN. Unsern Reiseplan. Meinen vielmehr.
Denn jeder von uns hat einen andern. Erst an der
Grenze treffen wir zusammen.
LAFFRATE. Wenn wir Glück haben.
DAGUSAN. Ja, freilich, das gehört dazu. Sehen
Sie, hier ist die Route verzeichnet. Renault hat die
größte Genauigkeit aufgewandt. Jeder Gasthof steht
da, in dem wir einen Imbiß zu nehmen haben, jedes
Nachtlager, wo wir unser Haupt zur Ruhe legen
dürfen.
LAFFRATE. Ich vermisse nur den Ort, wo wir
festgenommen werden sollen.
DAGUSAN. Sie sind nicht sehr hoffnungsvoll,
Laffraye. Allerdings — der letzte Aufschub war auch
nicht nach meinem Sinn. Aber was wollen Sie, Laff-
raye? Der Marquis hat es sich nun einmal in den
Kopf gesetzt, erst als Ehemann abzureisen.
LAFFRATE. Da er doch heute vor Nacht fort muß
und ohne die Marquise, — was lag ihm an der Feier ?
185
DAGUSAN. Mein Lieber, wir haben keinen Ein-
blick in die Geheimgeschichte dieses Falles. Die geht
uns auch nichts an. Unser Amt ist Treue, Laffraye,
Seit wir uns zugleich mit dem Marquis von dem Grafen
von Provence losgesagt haben — in der Überzeugung,
daß in den Händen dieses unmöglichen Dickwanst die
Sache des Königtums für immer verloren wäre, reisen
wir in der höchst angenehmen Gesellschaft des Marquis
und, wie nicht zu leugnen ist, größtenteils auf seine
Kosten in der Welt herum — und da wir jedenfalls
bereit sind, die Vorteile seines Erfolgs mitzugenießen,
80 müssen wir uns wohl oder übel auch in die Fähriich-
keiten der ganzen Unternehmung schicken.
LAFFRATE. Wissen Sie, daß Wien kapituliert
hat?
DAGUSAN. Ist es schon so weit? Die weißen
Fahnen sieht man ja seit dem frühen Morgen von den
Basteien wehn.
LAFFRATE. Und in aller Frühe hat der Kaiser
Napoleon den Fürsterzbischof von Wien, den Bürger-
meister, den Landmarschall und etliche andre Herren
bei sich empfangen.
DAGUSAN. Woher wissen Sie denn das alles so
genau, Laffraye ?
LAFFRATE. Ich habe die Deputation vor dem
Schlosse Schönbrunn vorfahren gesehn.
DAGUSAN. Sie waren in Schönbrunn? Sie haben
sich da hinausgewagt ?
LAFFRATE. Glauben Sie, hier im Hause des
Herzogs von Valois sind wir sicherer?
DAGUSAN errregt auf und ab. Ah! — Napoleon wird
nichts Eiligeres zu tun haben, als den blinden, alten
Narren verhaften zu lassen.
LAFFRATE. Wenn er wirklich nichts andres ist,
was sind dann wir? Übrigens furcht' ich nicht so
sehr für den Herzog als für den Marquis. Sie können
sich's denken. Oder glauben Sie, daß die Polizei
Napoleons jemals die Spuren des Marquis verloren hat ?
i86
DAGUSAN. Seit Jahren läßt man ihn in Frieden;
— mit gutem Grund. Er ist Privatmann.
LAFFRATE. Er war es vielleicht durch einige
Jahre. Aber seit einer Stunde ist er der Schwiegersohn
des Herzogs von Valois.
DAGUSAN. Was Napoleon unmöglich in diesem
Augenblick schon wissen kann. Und heute abend sind
wir alle in Sicherheit.
LAFFRATE. Sind Sie überzeugt davon?
DAGUSAN. Ja. Renault ist ein Genie, sonst müßt'
er längst gehenkt sein. —
Der Marquis aus dem Garten. Laffraye und Dagusan.
MARQUIS. Guten Morgen, Laffraye. — Haben
Sie Renault heute schon gesprochen?
LAFFRATE. Ich komme eben erst, Herr Marquis,
und bitte um Verzeihung, daß ich . . .
MARQUIS unterbricht ihn. Es ist gut, Laffraye. Sie
waren wohl in der Stadt ?
LAFFRATE. Nein, Herr Marquis. Ich glaube
übrigens nicht, daß die Tore schon geöffnet sind.
MARQUIS. Sie werden sich wohl bald auf tun
müssen, für den Einmarsch der französischen Regi-
menter. Dieser neue Triumph Bonapartes macht
seine kleinen Unglücksfälle in Spanien alle wett.
DAGUSAN. Wer weiß, Herr Marquis. Die Stim-
mung im Lande selbst gegen Napoleon ist schon lange
nicht allzu günstig. Und die neuesten Rekruten-
aushebungen, die er anbefehlen ließ, dürften sie nicht
verbessert haben. Ich wage zu hoffen, Herr Marquis,
immer vorausgesetzt, daß wir hingelangen — wir
werden in der Heimat mehr Freunde finden, als wir
heute ahnen.
MARQUIS. Die sich nur, furcht' ich, nicht so rasch
für uns erklären werden, als wünschenswert sein möchte.
Nun was tut's. Der Glaube an unsre große und
gute Sache wird uns für den Anfang genug sein
müssen.
DAGUSAN. Eine Sache, deren Sieg gewiß ist, —
187
auch wenn nicht alle von uns das Glück haben werden,
ihn mitzufeiern.
MARQUIS. Nicht alle...! — Laffraye, Sie
schweigen beharrlich . . . Ich wünschte Ihre Meinung
zu hören.
LAFFRAYE. Herr Marquis, wie sehr wir von der
Notwendigkeit unserer Unternehmung überzeugt sein
mögen . . . das, was wir im Lauf der nächsten Zeit
daheim zu treiben gedenken, täuschen war uns nicht,
Herr Marquis, es ist ein dunkles und trauriges Geschäft.
MARQUIS. Laffraye...
DAGUSAN. Hören Sie nicht auf Laffraye, Herr
Marquis. Die Luft von Schönbrunn hat ihn ein wenig
wirr im Kopf gemacht.
MARQUIS befremdet. Sie waren in Schönbrunn?
Ruhig. Wie gelangten Sie dahin ?
LAFFRATE. Niemand hat mich gehindert, Herr
Marquis. Die Straßen hinaus sind frei.
MARQUIS. Sie waren wirklich in der Nähe des
Schlosses ?
LAFFRATE. Im Schloßhof, Herr Marquis.
MARQUIS. Sie fanden Einlaß?
LAFFRATE. Der Hof ist nicht abgesperrt. Nur
der Aufgang zu den Gemächern des Kaisers ist be-
wacht. Viele Leute, sogar Frauen und Kinder, sind
gleich mir hinausgewandert, und treiben sich im Hof
herum, mitten unter den französischen Soldaten, alle
in der Erwartung, den Kaiser zu erblicken, wenn er
sich am Fenster zeigen oder zur Parade fahren sollte.
MARQUIS. Das Wiener Volk und die Franzosen
vertragen sich sehr gut, vnt es scheint ?
DAGUSAN. Es soll vor vier Jahren nicht anders
gewesen sein. Nun sind sie gar alte Bekannte . . .
MARQUIS zu dem scbtoeigenden Laffraye. Sie scheinen
ja recht bewegt, Laffraye.
LAFFRATE. Herr Marquis, es ist mir etwas für
meine Lebensumstände nicht Alltägliches begegnet.
Ich habe die Luft meines Vaterlandes geatmet. —
i88
MARQUIS nach Pause. Wer hat die Wache im
Schloß ?
LAFFRATE. Die kaiserliche Garde, Herr Marquis.
Sie macht den vortrefflichsten Eindruck. Man sieht
ihr die Mühen der letzten Wochen nicht an. Von
ihrer Stirne strahlt die heitere Gewohnheit großer Tage.
MARQUIS. Sie wollen mich verlassen, Laffraye.
LAFFRATE. Ich bin hier, Herr Marquis.
MARQUIS. Laffraye, ich möchte wohl wissen, was
Ihnen im Hofe von Schönbrunn durch den Sinn ge-
gangen ist?
LAFFRATE. Ein Gedanke, Herr Marquis, den
auch Sie am gleichen Ort nicht hätten von sich weisen
können: Vor den Kaiser hinzutreten und ihn um die
Gnade zu bitten, als Soldat jenes Frankreich leben und
sterben zu dürfen, das er groß gemacht hat.
DAGUSAN. Laffraye...
MARQUIS. Ruhig, Dagusan! — Sie hätten es doch
tun sollen, Laffraye. Ihre Bitte wäre nicht vergebens
gewesen. Mit wohlfeilen Gnaden von der Art, wie
Sie sie erflehen wollen, haben sich Emporkömmlinge
seit jeher ihre eigene Größe zu beweisen gesucht.
Warum haben Sie es nicht getan, Laffraye?
LAFFRATE. Weil ich Sie zuerst fragen wollte,
Herr Marquis, ob Sie beiteit wären, mich auf diesem
Wege zu begleiten.
MARQUIS. Denken Sie im Ernst, Laffraye, dies
sollte das Ende von zwanzig Jahren der Verbannung
und der Ehre bedeuten ?
LAFFRATE. Des Trotzes vielleicht, Herr Mar-
quis . . .
MARQUIS. Laffraye!
LAFFRATE. Es ist noch Zeit, Herr Marquis!
Dagusan, es ist noch Zeit! —
MARQUIS. Ich sehe die Frau Marquise sich nähern.
Lassen Sie mich mit ihr allein.
Laffraye und Dagusan zur Terrassentüre, wo sie die eben eintretends
Helen* bcgegtun, sie verneigen sieb und geben in den Garten.
189
Marquis. Helene.
HELENE. Sie haben Ihre Freunde verabschiedet,
Bertrand ?
MARQUIS. Es bleibt mir nicht viel Zeit mehr,
Sie zu sprechen, Helene. Um die Mittagsstunde, so
findet Renault es nötig, müssen wir den Bannkreis
dieses Hauses verlassen haben. Bis zum Abend halt'
ich mich verborgen, dann geht es auf eine Reise, deren
Ende zumindest sehr ungewiß ist.
HELENE. Ich habe gehofft, Sie bessern Mutes zu
finden.
MARQUIS. Daß ich leichten Sinnes von Ihnen
scheiden sollte, ist mehr als Sie verlangen können,
Helene . . .
HELENE. Was ist Ihnen, Bertrand? Haben Sie
diese Stunde abgewartet, um von Dingen zu reden,
die abgetan sind ?
MARQUIS. Helene, — ich schwöre Ihnen — wenn
Sie mit mir gingen — Sie würden mir wie eine Schwes-
ter sein. Nicht Ihre Fingerspitzen wagt' ich zu be-
rühren, ehe Sie es mir erlauben.
HELENE ernst. Wozu dies alles ? Sie wissen sehr
wohl, daß es nicht Angst vor Ihnen oder — vor mir
ist, die mich hier zurückhält.
MARQUIS. Das ahn' ich wohl, Helene, so wenig
Sie mir auch von Ihren letzten Absichten zu vertrauen
die Gnade hatten.
HELENE. Wollen Sie mir ein armseüges Wort
auf die Lippen locken ? . . . Auch das kühnste würde
meinen Vorsatz nur beschimpfen. Ehe eine Tat ge-
schehn, mag ihr Name den Menschen erbärmUch
klingen. Erst wenn sie gelang, strahlt ihr Glanz auch
auf den Vorsatz wieder. Senden Sie mir die Nach-
richten, deren ich bedarf, das andre wird sich finden.
MARQUIS. Lag' es an mir allein! . . . Wäre man
seiner Freunde, seines Glückes sicher!
HELENE. Es gibt kein Glück, es gibt nur den Willen,
das Schicksal zu zwingen. Es gibt keine Freunde; —
190
nur den Willen, über Menschen Herr zu sein. Der
Wille ist alles, Bertrand. Nur wenn Ihnen gelingt, was
Sie wollen, werden Sie sich selber glauben dürfen, daß
Sie gewollt haben.
MARQUIS. Wie würd' ich wollen, war' ich Ihrer
Liebe nur gewiß, Helene.
HELENE. Wollen Sie, Bertrand, und ich werde
Sie lieben, wie nie ein Mensch geliebt worden ist.
Lieben wie einen Gott, und Sie brauchen nichts zu
sein als ein Mann. Wenn mir bestimmt ist, die Mutter
eines Königs zu sein, so wird die Stunde, da ich ihn in
Ihren Armen empfange, so erfüllt sein von Seligkeit,
daß Sie auch die Tage der Trennung segnen werden,
durch die Sie wandeln mußten.
Herzog. Assalagny. Deiolteux. Dagusan und Laffrayt aus dem
Garten.
Marquis. Helene.
HERZOG. Mein Sohn, ich komme, Ihnen noch
einmal die Hand zu drücken, eh' Sie uns verlassen. Gott
möge Ihren Weg beschützen. Mehr sag' ich nicht.
Von den Tagen der Zukunft wollen wir in diesem
AugenbHck des Abschieds nicht reden.
DAGUSAN. Es ist kaum nötig, Herr Herzog.
Wenn das Wort Zukunft aufklingt, so erscheint vor
uns allen das gleiche erhabene Bild!
DESOLI EU X. In dieser Stunde, da näher von uns,
als vnr's je erlebten, der Tyrann unsres geliebten Vater-
landes von seinem letzten Siege ausruht, wollen wir
unsre Knie neigen vor dem wahren Herrn Frankreichs.
DAGUSAN. Treue schwören dem Herzog von
Valois und seinen Kindern, eh' wir scheiden.
DESOLI EU X. Ahnherr von künftigen Königen,
wir grüßen dich.
Nur Dagusan und Desolteux neigen sieb. Der Herzog steht erhobenen
Hauptes da.
DIENER tritt ein. Herr Herzog, der General Rapp
bittet um die Ehre, empfangen zu werden.
Groß* Bewegung.
191
ASSALAGNY. Der General Rapp . . .!
LAFFRATE. Der Adjutant Napoleons . . .!
DESOLTEUX. Herr Herzog, empfangen Sie ihn
nicht. Sonst haben Sie den Mann anerkannt, der ihn
sendet.
ASSALAGNT. Das scheint mir nicht richtig . . .
Gerade, wenn der Herr Herzog den General nicht
vorHeße, erkennt er ihn als Adjutanten des Kaisers —
und den General Bonaparte als Kaiser an. Denn was
könnte den Herzog abhalten, einem tapfern Offizier
der französischen Armee Höflichkeit zu erweisen ?
HERZOG. Assalagny hat recht . . . Der General
möge eintreten.
DIENER ab.
LAFFRATE. Herr Marquis, ich beschwöre Sie,
entfernen Sie sich, eh' der General eintritt. Kein
Zweifel, das Ganze richtet sich nur gegen Sie. Denken
Sie an das Los des Herzogs von Enghien.
ASSALAGNT zu Helene. Frau Marquise, in Ihren
Augen, auf Ihren Lippen steht das Schicksal dieses
Hauses.
DESOLTEUX und DA GUS AN stehen beim Herzog.
GENERAL RAPP tritt ein.
HERZOG. Ich begrüße Sie in meinem Hause, Herr
General. Erlauben Sie, daß ich Sie mit den hier An-
wesenden bekannt mache. Meine Tochter Helene,
Marquise von Valois, der Herr Marquis von Valois.
Und hier meine Freunde, — Desolteux, Laffraye, Da-
gusan, der Doktor Assalagny, Renault . . .
DESOLTEUX Uise und rasch. Ist nicht da, Herr
Herzog.
RAPP. Den Herrn, der sich in der letzten Zeit
Renault nannte, viird man hier nicht wiedersehen,
Herr Herzog. Er ist vor wenigen Minuten auf Be-
fehl des Kaisers Napoleon verhaftet worden. Sie
werden nicht ungern hören, Herr Herzog, daß ihm
diese Unannehmlichkeit als Agenten des Grafen von
Provence, jetzigen Grafen von Lille, widerfahren ist,
192
und nicht als einem Freunde Ihres Hauses, der er
übrigens in Wahrheit niemals gewesen ist. Natürlich
komme ich nicht, um Ihnen diese unbedeutende
Neuigkeit mitzuteilen. Meine Aufträge sind anderer
Art. Seine Majestät der Kaiser von Frankreich, der
mich sendet . . .
HERZOG. Herr General, für alle, die hier ver-
sammelt sind, gibt es keinen Kaiser von Frankreich,
sondern nur einen General Bonaparte, wie es einen
General Rapp gibt.
RAPP. Ich zweifle nicht, mit Betonung Herr von
Valois, daß Sie und alle hier Versammelten sich geneigt
finden werden, diese Auffassung einer sorgfältigen
Prüfung zu unterziehen, sobald ich die Ehre gehabt
haben werde, Sie mit dem vollen Inhalt meiner
Sendung bekannt gemacht zu haben . . . Seine Maje-
stät, der Kaiser von Frankreich, so groß als Feldherr
wie als Kenner menschlicher Seelen . . .
Medardus, der zwei Diener, die ihn zurückhalten wollen^ zurück'
stößt, stürzt von rechts herein.
MEDARDUS. Helene!...
HERZOG. Was ist das? Was gibt es hier?
Die andern sind starr. Das Folgende sehr rasch.
MEDARDUS vor HeUne hin. Helene! . . .
MARQUIS. Sind Sie von Sinnen?
ASSALAGNT. Entfernen Sie sich auf der Stelle . .
L ÄFF RATE. Es ist Medardus Klähr! —
HERZOG. Was geschieht hier ? Wer ist gekommen ?
MEDARDUS. Ich bin Medardus Klähr! Diese
hier kennt mich ... ••
MARQUIS. Was wollen Sie hier?
DESOLTEUX. Er ist irrsinnig, offenbar.
HERZOG. Man entferne diesen Menschen! Was
will er hier? Wie konnte man ihn hereinlassen?
MARQUIS. Nun — soll ich vielleicht selbst . . .
Zu den Dienern. Packt ihn doch, in den Narrentunn
mit ihm.
MEDARDUS. Helene!...
TiMaUntflek*. IV, tj f^^
MARQUIS packt ihn an der Brust. Sie wagen!
L ÄFF RATE, DA GUS AN halten den Marquis zurück,
HELENE. Man lasse ihn los ! Fort von ihm ! sag'
ich. Medardus Klähr, kommen Sie zur Besinnung!
Tritt vor ihn hin. Ja, ich bin die Schwester des unglück-
lichen Jünglings, der mit Ihrer Schwester in den Tod
gegangen ist. Auf dem Grab unserer Geschwister
haben wir uns zum erstenmal gesehn. Erinnern Sie sich
nur, Medardus Klähr. Sie wollten mir verbieten,
Blumen auf das Grab zu legen . . . war es nicht so ?
Der Marquis kam dazu und war genötigt, si»h mit
Ihnen zu schlagen. Sie wurden verwundet und lagen
krank. Nicht wahr, Medardus Klähr? Nun scheint
es, daß Fieberträume seltsamer Art Sie noch in die
Tage Ihres Genesens verfolgen. Scheuchen Sie sie
fort, Medardus Klähr. Nehmen Sie alle Kraft zu-
sammen. Keine Klage und kein Zorn weckt die Toten
wieder auf . . . Tragen Sie das schwere Leid, wie ich
es trage — und gehn Sie in Frieden! —
MEDARDUS bUibt stehn.
DIENER wollen ihn wieder ergreifen.
HELENE. Laßt ab von ihm. Er bedarf keines
Geleites . . . Leben Sie wohl, Medardus Klähr.
Medardus sieht sich um, dann bedeckt er seine Augen mit beiden
Händen, wendet sich und geht langsam ab.
RAPP. Frau Marquise, welche bewundernswerte
Macht wohnt in Ihrer Stimme und geht von Ihrem
Blicke aus. Er siebt sie an, sie hält seinen Blick aus.
HERZOG. Ich muß um Entschuldigung bitten,
Herr General ... *
RAPP. Sie scherzen, Herr Herzog! Man kat am
Ende so vielerlei gesehn im Lauf der Jahre, daß die
Erscheinung eines interessanten Verrückten vielleicht
als ein rührender Zwischenfall, keineswegs aber als
ein Geschehnis von irgendwelcher Bedeutung zu
wirken vermag.
HERZOG. Herr General, Sie wurden in Ihrem
Vortrag unterbrochen, vollenden Sie, bitte.
194
RAPP. Ich mache von Ihrer Erlaubnis Gebrauch,
Herr Herzog. Lächelnd. Der Kaiser, so groß als Feld-
herr wie als Kenner menschlicher Seelen, hegt das
Bedenken, daß manche seiner Untertanen, die trotz
längst erlassener Amnestie sich bis zum heutigen Tage
dem Throne und dem Heeresdienst fernhielten, lieber
in ihrem unnützen und gefährlichen Trotz verharren
— als der Mißdeutung sich auslief em wollten, sie triebe
nur Angst zu einer verspäteten und vielleicht nicht
mehr willkommenen Huldigung. Um sie von dieser sehr
begreiflichen, aber unbegründeten Furcht zu befreien,
hat Seine Majestät mich beauftragt, die hier, im Wohn-
hause des ehemaHgen Herzogs von Valois versammelten
Untertanen seines Reiches seiner Gnade zu versichern
und sie für morgen zu der im Schlosse Schönbrunn
stattfindenden Cour einzuladen . . .
HERZOG. Herr General . . .
RAPP. Es bedarf keiner Antwort. Der Kaiser
nimmt keine andre entgegen als das Erscheinen der
hier Versammelten zur festgesetzten Stunde mittags
um zwölf Uhr. Ich habe femer im Auftrag meines
Herrn und Kaisers die Ehre, dem jungen Paare die
allergnädigsten Glückwünsche zu überbringen. Der
Kaiser sieht es als eine besonder« günstige Vorbedeutung
für die Zukunft dieser Verbindung an, daß sie gerade an
dem Tag geschlossen wurde, da die Stadt Wien sich
unter seinen Schutz begeben hat und seine hier an-
wesenden Untertanen zum erstenmal seit langen
Jahren sich nicht mehr in der Fremde befinden. Zum
Zeichen seiner besondem Geneigtheit hat Seine
Majestät mich endlich beauftragt, der Frau Marquise
dieses Perlenhalsband als Hochzeitsgabe zu über-
reichen . . .
HELENE. Das wohl als Abschlagszahlung gelten
soll auf die vorenthaltenen Güter der Herzöge von
Valois . . . ?
RAPP. Abgesehen davon, Frau Marquise, daß diese
Kleinigkeit dafür zu gering wäre: Seine Majestät ver-
»95
W
leiht aus eigenem, aber sie nimmt sich nie heraus,
etwas herzuschenken, was der Nation gehört. Der
Kaiser hat andres zu vergeben, besseres als Güter.
Wertvolleres selbst als die Güter der einstigen Herzöge
von Valois. Und Sie, Herr Marquis, werden vor allen
erfahren, welche Aufgabe Seine Majestät Ihrem Degen
zugedacht hat, der sich bisher nur in Kämpfen ver-
suchen durfte, von denen das Vaterland keinen Nutzen
hatte. — Mein Auftrag ist zu Ende ... Er gebt.
Pause.
HELENE. Warum schweigt Ihr alle? Nichts hat
sich verändert.
ASSALAGNr. Viel, Frau Marquise!
DESOLTEUX. Wir sind schmähUch verraten.
DAGUSAN. Unsere Abreise ist unmöglich. Der
Posten beim nächsten Zollhaus verhaftet uns.
ASSALAGNr. Wenn man denkt, daß Bonaparte
zwischen zwei Schlachten zu solchen Spaßen Zeit und
Laune findet ... so möchte man ihn beinah be-
wundern.
MARQUIS zuLaffraye. DerKaiser . . . weiß von mir!
HERZOG. Laßt mich allein . . . Werft euch alle
dem Kaiser zu Füßen ... Es ist zu Ende mit den
Valois !
HELENE. Vater . . . stärker. Vater! Nichts ist zu
Ende! Ein schlechter Komödiant war da — im Auf-
trag eines bessern, das ist alles . . . Nichts hat sich ver-
ändert . . . Der Marquis wird reisen, wie es bestimmt
war.
MARQUIS. Um Sie nie wieder zu sehen, Helene — ?
HELENE. Und wenn Sie hierbleiben — r Ich
schwöre Ihnen, daß Sie diese Fingerspitzen niemals
berühren werden — wenn Sie heut nachts nicht auf
dem Wege sind.
DAGUSAN. Ich bitte um die Erlaubnis mich zu-
rückzuziehen, Herr Marquis, um den Vorschlag Seiner
Majestät des Kaisers ruhiger Betrachtung zu unter-
ziehen. Er gebt,
196
MARQUIS mit einer Geste des EntJassens, zu Laffray*.
Laffraye . . .
LAFFRATE. Sie haben nicht das Recht, Herr
Marquis, in solcher Stunde mich eines Schwures zu
entbinden, den ich freiwillig geleistet habe. — Wohin
Sie auch gehen mögen, Herr Marquis, mein Weg ist
der Ihre.
MARQUIS. Desolteui — !
DESOLTEUX. Warum diese fragende Miene, Herr
Marquis — ? Ich heiße Desolteux!
MARQUIS zu Desolteux und Laffraye. Ich danke euch,
meine Freunde. — Unser Entschluß bleibt auf-
recht . . . Vor morgen droht uns keinerlei Gefahr . . .
wir haben Zeit zu überlegen . . . und lebendig soll er
uns nicht haben . . .
HELENE zum Herzog. Der Marquis will von dir Ab-
schied nehmen, Vater —
HERZOG. Sie gehen — Bertrand?
MARQUIS. Herr Herzog — zu verlieren ist nichts,
zu gewinnen alles . . . Ich gehe — und Desolteux und
Laffraye mit mir.
HERZOG. Bertrand —
MARQUIS. Leben Sie wohl, Helene . . . da sie ihm
die Hand reichen will. Nein, nicht die Hand . . . nicht einmal
die Fingerspitzen ... Es wäre zu früh . . . Doch ver-
gessen Sie nicht — Helene . . . auch Sie sind zum
Empfang geladen . . . Was werden Sie tun ?
HELENE. Hingehen! . . . Ich muß mir dieses Tier
doch in der Nähe besehen ... — Auf Wiedersehen,
Herr Marquis — irgend einmal . . . Sie gebt. Die andern
bleiben.
Dritte Szene
Die Kläbrscbe Buchhandlung.
Im Hintergrund die geschlossene Ladentür. Rechts und links von
ihr Auslagen mit Büchern. Die Straße ist nicht sichtbar, da so-
wohl über Fenster als Türe die hölzernen Läden herabgelassen sind.
Rtcbu eine Tür«, die in den Torweg führend gedacht toird^ linkt
197
eine Wendeltreppe^ die hinauf %ur Wohnung führt. Vorn rechts ein
Ladentisch^ ziemlich lang. Rechts und links an der Wand hohe
Stellagen mit Büchern.
Etxelt sitzt vor dem Ladentisch und ordnet Bücher. — Ein Gehilfe
steht auf einer Leiter und reiht Bücher ein. — Eine kleine ange-
zündete Öllampe hängt von der Decke herab, überdies fällt einiges
Licht durch ein vergittertes Fenster oberhalb der Ladentüre in den
Raum.
GEHILFE. So, nun wäre alles soweit geordnet.
ETZELT. Die französischen Bücher zur Hand ?
GEHILFE. Jawohl. Voltaire, Montesquieu, Ra-
cine, Corneille . , .
ETZELT. Und die neuesten französischen Romane f
GEHILFE. Stehn unten rechts, Herr Etzelt.
ETZELT sich überzeugend. Es ist gut.
GEHILFE. Darf ich nun fortgehn, Herr Etzelt?
Es kommt ja heut doch niemand mehr. Den Leuten
steht der Sinn nicht danach, Bücher zu kaufen.
ETZELT. Wahrlich nicht. Mehr danach, dem Ein-
marsch der feindlichen Regimenter zuzusehn. Ihnen
wohl auch.
GEHILFE. Ich möchte wohl. Obwohl ich auch
hier durchs Fenster die Helmbüsche wehn und die
Lanzenspitzen glänzen sah.
ETZELT. Das ist freilich nicht genug für ein
patriotisches Gemüt. Also gehn Sie, und sein Sie
morgen zur rechten Zeit wieder da.
GEHILFE. Um neun wird es wohl früh genug sein,
nicht wahr?
ET7.ELT. Warum neun ? Wir öffnen um acht.
GEHILFE. Ich weiß wohl, aber ich würde sehr
bitten, weil ich nämUch morgens gern auf dem Glacis
sein möchte.
ETZELT. Was gibt's denn dort zu sehn ?
GEHILFE. Wissen Sie denn nicht, Herr Etzelt ? Die
ganze Garnison ist kriegsgefangen und muß die Waffen
niederlegen. Das wird ein sehr großartiger Anblick sein.
ETZELT. Erhebend sogar. Ich sehe ein, daß Sie
dabei sein müssen. Na, gehen Sie.
198
GEHILFE. Guten Abend, Herr Etzelt. Ab reebu.
ETZELT gebt zu der fescblosseiun Ladentür und sieht durch
eine Ritze hinaus. Da stehn sie und schaun sich die Augen
aus dem Kopfe. Fehlt nur noch, daß sie „Hoch"
Schrein. Zu einem Regal links, ordnet.
Medardus von rechts. Sieht aus wie ein Scblaftoandelnder und spricht
auch so.
MEDARDUS. Guten Tag, Etzelt.
ETZELT sich umwendend, ohne Unruhe zu zeigen. Ah, du
bist's, Medardus, Guten Abend.
MEDARDUS. Bist du sicher, daß ich es bin? und
nicht etwa mein Gespenst ?
ETZELT. Mir ist noch nie eins erschienen. Du
würdest keine Ausnahme machen, hoff ich, auch wenn
du tot wärst.
MEDARDUS. Du kannst mir also schwören, daß
ich nicht vor ein paar Wochen an einem gewissen
Degenstich gestorben bin ?
ETZELT. Das kann ich. Denn seither hab' ich dich
ethche Male in zweifelloser, wenn auch nicht immer
erfreuhcher Lebendigkeit wiedergesehen.
MEDARDUS. Aber war' es nicht möglich, daß wir
beide gestern auf der Bastei von einer Kugel getroffen
wurden und unsre Seelen durch die Luft fliegen und
träumen ?
ETZELT toird ernster, auf ihn zu, erfaßt seinen Arm. Woher
kommst du, Medardus ?
MEDARDUS. Wenn ich noch am Leben bin,
Etzelt, — von einer Hochzeit, zu der ich nicht ge-
laden war.
ETZELT. Du warst wirklich — ? Du warst — ?
Medardus ! Faßt ihn scharf ins Auge, Und — ? doch was
frag' ich ! Da du nicht geladen warst, so ließ man dich
natürhch nicht ein. Das war leicht vorauszusehn.
Aber nun, hoff ich, ist die Sache abgetan. Jedenfalls
hast du versucht, was du konntest. Mehr bist du
deinem Eigensinn nicht schuldig. Sei froh, daß es
nicht schlimmer geendet. Als du heute früh mit ein-
w
mal verschwunden warst . . , ich war auf Ärgeres ge-
faßt — Beinah hätt' ich dir's gegönnt.
MEDARDUS. Oh, du darfst zufrieden sein, Etzelt.
Oder sollt' es freundschaftlicher Schadenfreude nicht
genug sein, daß einer darauf ausging, den Helden zu
spielen, — und da er endlich auf die Szene tritt, augen-
rollend und mit donnernden Worten geladen bis zum
Rand der Lippen — muß er plötzlich merken, daß er
in ein fertiges Stück geriet, — darin das Schicksal ihm
vorbehielt, den Hanswurst zu agieren ? Ist es nicht
lustig, Etzelt — ? Mir kommt es selber so vor! —
E7ZELT. Hättest du dich so geschwind in die Rolle
gefunden ? Das mache einen andern glauben. In
deinem Auge glänzt es verräterisch. Ich wollte, deine
Prinzessin ginge mit ihrem Herrn Gemahl baldigst
auf Reisen. Auch Hans wurste nahmen schon ein
trauriges Ende.
Frau Kläbr die Wendeltreppe berab.
MEDARDUS. Guten Abend, Mutter.
FRAU KLAHR. Guten Abend. Komm herauf,
Medardus. Ich hab' dein bürgerlich Gewand her-
gerichtet.
MEDARDUS. Mein bürgerlich Gewand — ? —
FRAU KLAHR. Oder wär's dir Ueber in Uniform
und ohne Waffen, wer weiß wie lang, als Kriegsge-
fangener in den Straßen Wiens herumzuspazieren ?
ETZELT. Ist das nicht eine bedenkliche Sache,
Frau Klähr?
FRAU KLÄHR. Medardus wird nicht der einzige
sein. Eben erst habe ich die Frau Grinzinger ge-
sprochen, die hat zweien vom Hillerschen Korps mit
bürgerlichen Anzügen aus ihres Gatten Garderobe
ausgeholfen. Es kann den Franzosen wohl gleich sein,
ob morgen früh ein paar Hundert mehr oder weniger
ihre Waffen hinlegen. Du mußt es eben tragen, Me-
dardus. Es ist darum noch nicht alles zu Ende. Wird
noch lang kein Friede gemacht. Und wer weiß,
ob du nicht noch deinen Teil haben wirst — an dem,
200
was kommt, mein Sohn. Nur rat' ich dir, kein vor-
eilig Wort . . . und besonders nicht vor den Franzosen,
die bei uns einquartiert werden.
ETZELT. Verzeihen Sie, Frau Klähr, sollten Sie
diese Mahnung vor allem nicht an sich selbst richten ?
ESCHEN BACHER in bürgerlicher Kleidung von rechts. E^
lebe Bonaparte! Es lebe Kaiser Napoleon!
FRJU KLÄHR. Jakob . . .
ESCHENBACHER. Ist er nicht ein gnädiger, groß-
mütiger Sieger ? Generalpardon hat er erlassen ! Ja,
was sagt ihr dazu! — Aufgelöst ist die Landwehr,
aber allen ihren Mitgliedern, sofern sie nur rechtzeitig
nach ihren Wohnorten heimkehren, ist ausdrückhch
Pardon bewilligt! —
FRAU KLÄHR. Ich versteh' dich nicht. Pardon . .
den Leuten, die ihrem Eide treu in Diensten des Vater-
lands gekämpft haben? Treibt er den Hohn so weit?
ESCHENBACHER. Hohn? Was fäUt dir ein?
Gnade ist es! — Gnade, Franziska! — Was sprichst
du von Vaterland, Franziska! Es gibt nur ein Vater-
land auf Erden — Frankreich. Nein, nicht Frankreich,
das Reich Napoleons. Und das Reich Napoleons geht
über die ganze Welt. Und darum, wer Waffen erhebt
gegen Napoleon, wo immer es sein mag, ist kein ehr-
hcher Feind, ist ein Hochverräter. So ist das zu ver-
stehn.
FRAU KLÄHR. Woher weißt du denn das vom
Generalpardon ?
ESCHENBACHER. Ist doch schon angeschlagen
im Magistrat. Ich war eben dort, meinen Austritt zu
melden aus der Bürgergarde.
FRAU KLÄHR. Durftest du . . .
ESCHENBACHER. Sollen mich zwingen. Täten
nur alle wie ich!
E1ZELT. Das wäre schlimm, Meister Eschen-
bacher! Da gab' es bald Unruhen in der Stadt!
ESCHENBACHER. Wenn alle täten wie ich, so
müßten die Franzosen zur Aufrechterhaltung der
toi
Ordnung mindestens zwanzigtausend von ihren Leuten
in der Stadt zurücklassen — das könnte die nächste
Schlacht entscheiden. Und die wird nicht lange auf
sich warten lassen. Erzherzog Karl ist nah . . .
FRAU KLAHR. Hörst du, Medardus?
ESCHENBACHER. Was hilft's ihm? — Mit-
kämpfen wird er nicht . . . und keiner von uns . . .
Waffenlos oder mit Waffen — im Dienst oder nicht —
Gefangene sind wir alle.
W ACHSHU BER nachdem er geklopft, tritt von rechts ein
Guten Abend. Wirklich, man sieht beinah gar nichts,
wenn man von draußen hereinkommt. Guten Abend,
Frau Klähr, ah, der Herr Eschenbacher . . . Ah, schon
in Zivil . . . Das ist halt ein Tag, jaja . . .
ETZELT. Was wünschen Sie, Herr Wachshuber?
W ACHSHU BER. Ja so, ich komm' nämUch . . .
selbstverständhch komm' ich als Kunde.
EIZELT:. Sie wollen ein Buch kaufen?
WACHSHUBER. Ah, der Herr Etzelt tut ja rein,
als wemn ich das noch nie getan hätt' . . . Achtzig
Bände hab' ich bei mir zu Haus stehn, freiUch nicht
alle bei Ihnen angeschafft, man kriegt ja manches zu
schenken . . . wenn man nur mehr Zeit hätt' zum
Lesen. Aber Sie erinnern sich vielleicht, Herr Etzelt.
im vorigen Jahr, da hab' ich mir eine Landkarte bei
Ihnen gekauft von Wien und Umgebung . . .
ETZELT. Ja, ja . . .
WACHSHUBER. Nicht wahr? Und auch eine
Erdbeschreibung. Überhaupt Erdbeschreibungen und
Reisen, das ist eine alte Liebhaberei von mir. Und
da möcht' ich so im Vorbeigehn fragen, Herr Etzelt,
ob Sie nicht den berühmten Atlas haben von . . .
von xiebt einen Zettel hervor von Schambel ... ah nein,
Schembel.
ETZELT. Schrämbel meinen Sie, Herr Wachshuber.
WACHSHUBER. Ja natürUch, von Schrämbel. Da
sollen nämlich so ausgezeichnete Karten drin sein, daß
man wirklich eine Übersicht kriegt.
aos
E^ZELT. Er ist rar geworden jetzt, der Schrämbel,
wir haben noch zwei Exemplare . . ,
WACHSHUBER sieb vergessend. Ah, gar zwei . . .
das ist g'scheit.
ET:ZELT. Wollen Sie vielleicht beide kaufen?
WACHSHUBER. Aber, Herr Etzelt, was fang' ich
denn mit zwei Schrämbels an. Das heißt, als Geschenk
könnte man's vielleicht verwenden. — Glauben S'
nicht, Herr Etzelt? Sie können mir gleich beide
Exemplare geben, kriegt eins mein Neffe zum Namens-
tag.
Escbenbacber, der bisher mit Frau Kläbr abseits geredet^ toird auf-
merksam.
ETZELT. Er ist sehr teuer, Herr Wachshuber.
Fünfundzwanzig Gulden das Exemplar.
WACHSHUBER. Donnerwetter, das ist ein bißl
viel.
E1ZEL7. Wird also das eine genügen?
WACHSHUBER. Ah was, wenn schon, ich nehm'
beide.
ETZELT. Beide ... So ... Na, schön, ich werd' sie
Ihnen morgen früh hinüberschicken lassen, Herr Wachs-
huber, eins ist sowieso unten im Magazin.
WACHSHUBER. Aber wozu denn hinüberschicken,
das eine da, das packen S' mir gleich zusammen . . . Da
war' das Geld. Er zählt es auf den Tisch.
ETZELT. So ... Na warten Sie nur, bis der Atlas
daliegt. Er gebt zu einem Regal und sticht.
BERGER von recbu. Guten Abend, meine Herr-
schaften. Na, da wären wir wieder «inmal so weit.
Bei uns daheim haben sich's die Herren schon bequem
gemacht. Ein Rittmeister von den Oudinotschen
Grenadieren und zwei Leutnants. Ganz feine Leut'
soweit, aber unter uns, daß die Annerl jetzt im Spital
schlaft, ist mir Heber. Ich komm' grad von ihr. Steht
ihr gut, die weiße Schürzen und das Hauberl.
FRAU KLÄHR. Hat sie denn schon was zu tun?
Ist die Winterreitschul' denn schon belegt?
203
BERGER. Na, was denn, die Franzosen haben ja
gleich ein paar hundert Marode mitgebracht. Man hört
wieder vorbeimarschieren. Schrecklich, das wird noch die
ganze Nacht so weiter gehn. Und was sagen Sie, Frau
Klähr, wie die Stadt ausschaut ? Der Trattnerhof ist
ganz abgebrannt und beim Palffy brennt's noch . . .
Ja, das war eine Nacht. Bei uns sind auch alle Fenster-
scheiben hin. Aber schön hat's ausgesehn, von der
Bastei aus! Unvergeßlich wird's jedem bleiben, dem's
vergönnt war, da oben zu stehen . .
ESCHENBACHER. Und mitzukämpfen! was ? Aber
tut's Ihnen denn nicht leid, Herr Berger, daß Sie nicht
zum Losfeuern gekommen sind mit Ihrer Flinten — ?
WACHSHUBER der mit siebtbarer Ungeduld dem suchenden
Etzelt zuschaut. Ah, waren auch bewaffnet, Herr Berger.
ESCHENBACHER siebt ihn verächtlich an.
Etzelt bringt jetzt den Atlas, der aus einzelnen Blättern besteht^
und beginnt auf dem Ladentisch vor dem ungeduldigen Wacbsbuber
die Blätter zu zählen und zu prüfen.
FRAU KLJHR zu Berger. Weiß man, wieviel Men-
schenleben die Nacht gekostet hat ?
BERGER. Nicht gar viel, was man so hört. Na, die
meisten, die auf der Straße nichts zu tun gehabt haben,
waren ja doch in den Kellern, wie's Ernst geworden
ist. Aber daß unserm braven Bürgermilitär so wenig
geschehn ist, das zeigt doch, daß der da droben . . .
ESCHENBACHER. Und so weiter . . .
ETZELT. Nur der arme Bargetti.
BERGER. Ja freilich, der hat den Heldentod
sterben müssen, der arme Bargetti. Drei Kinder sind
geblieben, verwitwet war er ja schon lang. Übrigens,
was ich hab' fragen wollen, war noch keine Durch-
suchung bei Ihnen, Herr Etzelt ?
ETZELT. Warum denn grad bei uns ? Er vnll eben
den Atlas in Papier einpacken.
WACHSHUBER. Aber wozu denn, ich nehm's
gleich so mit. Nimmt den Atlas mühselig auf, holt aus seiner
Tasche eiligst einen Sfagat und umwickelt den Band.
J04
BERGER. Ja, natürlich grad bei Ihnen, weil Sie
doch eine Buchhandlung haben und beinah die größte
in der Stadt. — Der weitere Verkauf sämtlicher Land-
karten ist nämhch strengstens verboten,
ETZELT. Ah...
BERGER. Haben S' denn den Anschlag nicht ge-
lesen ?
WACHSHUBER an der Türe. Habe die Ehre. Wiü
sich entfernen.
ESCHENBACHER steht vor der Tür. Nur ein bisserl
Geduld.
BERGER. Für einen Atlas ist sogar ein besonderer
Preis ausgeschrieben. Weil ihn nämlich der franzö-
sische Generalstab so notwendig braucht zu seinen
Operationen. Vierhundert Dukaten fürs Exemplar . . .
ESCHENBACHER. Der Teufel soll mich holen,
wenn das nicht der Atlas vom Schrämbel ist.
BERGER. Mir scheint, Schrämbel, ja, wird schon
stimmen.
WACHSHUBER. Ist nicht mögUch!
ESCHENBACHER. Ha!
WACHSHUBER. Der Atlas von Schrämbel ... das
ist ja . . . das ist ja rein, wie wenn ich in der Lotterie
gewonnen hätt'. Das Geschäft ist gültig, Herr Etzelt.
ETZELT. Haben Sie die Absicht, den Atlas an den
französischen Generalstab zu verkaufen ?
WACHSHUBER. Ha, Sie möchten Heber selbst
das Geschäft machen ? Jetzt ist's zu spät. Höchstens,
wenn Sie mich schön bitten, auf Halbpart.
ETZELT. Das Exemplar bleibt da.
ESCHENBACHER. Sie, Herr Wachshuber, die
Zeiten könnten sich ändern, von heut auf morgen
könnten die Leute, die Landkarten an die Franzosen
verkauft haben, auf Befehl der österreichischen Re-
gierung gehenkt werden.
WACHSHUBER. Jetzt ist der Napoleon der Herr.
Und das Exemplar da gehört mir, und was ich damit
mach', ist meine Sache.
«05
ETZELT. Her mit dem Exemplar.
WACHSHUBER. So, . . . Sie wollen sicli's behal-
ten ? Sie wollen das Geschäft rückgängig machen . . .
Aber wissen Sie auch, daß jeder, der ein Exemplar vom
Schrämbel besitzt und zurückbehält, ohne Gnade und
Barmherzigkeit erschossen wird?
BERGER. Ja, das stimmt, das stimmt.
WACHSHUBER. Weil nämlich da drin die ver-
läßlichsten Karten sind, die's gibt . . .
ESCHENBACHER. Also jetzt ... das ist zu ge-
fährlich für Sie, Wachshuber. Stellen Sie sich vor,
man erwischt Sie damit, eh Sie's verkauft haben, noch
auf dem Weg zum französischen Generalstab. Wer
braucht Ihnen denn das zu glauben, daß Sie so ein braver
Franzos' geworden sind, — besonders Ihnen, der als
österreichischer Patriot so bekannt ist, der noch gestern
mit einem Morgenstern auf der Bastei herumgelaufen
ist . . . und ganz in der Nähe gewesen sein soll, wie
einem gewissen französischen Trompeter ein gewisses
Malheur passiert ist.
WACHSHUBER. Wer war in der Näh' ? Ich habe
nichts gesehn. Ich hab' noch nie keinen Menschen
nicht erschlagen.
ESCHENBACHER. Sie aUein gewiß nicht. Also
her mit dem Schrämbel und dagelassen. Nimmt ihm das
Buch aus der Hand und Ugt ts auf den Ladentisch.
WACHSHUBER. Sie, Sie Mensch, Sie... was
haben Sie denn überhaupt . . . Seit wann sind Sie denn
der Buchhändler.
ESCHENBACHER. Ich bodaure, daß ich meine
Ware nicht bei der Hand hab'. Ich verfertige nämlich
auch Hundspeitschen, Herr Wachshuber . . .
WACHSHUBER. So Hundspeitschen . . . ? So ?
Eeh! ... Ja, Hunde gibt's gar viel, ja . . . Ich pfeif auf
den Atlas ... da haben Sie ihn . . . ich kann meinem
Neffen auch was andres zum Namenstag schenken,
ja! . . . Aber weil Sie früher von meinem Morgenstern
gesprochen haben, ich hab' ihn natürlich schon wieder
206
im Zeughaus abgeliefert. Hier ist die Bestätigung.
Da. Es war' gut, es hielt' sich jeder so nach den Ver-
ordnungen. Habe die Ehre. Entschuldigen die ver-
ursachten Umstände. Ja — mein Geld, mein Geld . . .
Ah, das war' so was . . .
E1ZELT wirft ihm das Geld bin. Da.
ESCHENBJCHER bat indessen die Ladentüre aufgemacht.
Bitte, nur hier heraus, Herr Wachshuber, es muß so-
wieso gelüftet werden.
WACHSHUBER ab.
BERGER. Nein, so ein Mensch, das ist doch nicht
zu glauben.
FRAU KLÄHR. Bruder, du bist zum Küssen. Sie
fällt ihn um den Hals.
ETZELT. Jetzt ist nur die Frage: wohin mit dem
Schrämbel ?
ESCHEN BACHER. Zu mir. Bei euch würde man
ihn suchen.
FRAU KLÄHR. Nein, Jakob, du begibst dich in
zu große Gefahr.
ESCHENBACHER. Bei mir wird man ihn nicht
finden, auch wenn man ihn suchte. Verlaßt euch drauf!
— Kommen Sie, Etzelt, gehn wir ins Magazin, schaun
wir, was es vielleicht sonst noch Verdächtiges gibt.
Die Straße draußen ist beinahe dunkel. Ein Regiment marschiert
wieder vorbei.
EIN RUF IN DER FERNE. Es lebe Kaiser Na-
poleon.
FRAU KLÄHR. Was war das . . . ?
ESCHENBACHER. Nur einer, jetzt ist's wieder
still. Kommen Sie, Etzelt, geschwind.
Etzelt und Eschenbacber durch die Türe rechts ab.
BERGER. Also grüß' Sie Gott, Frau Klähr. Ich
muß heim zu meiner Frau. Ja, jetzt kommt eine
schhmme Zeit. Haben Sie eine Ahnung, was die Fran-
zosen für einen Appetit haben ? Grüß' Gott, Medardus
. . . Beinah hätt' ich vergessen, ich soll Sie grüßen vom
Annerl.
207
MEDARDUS der wäbrend des Vorhergehenden teünahmtlot
dagestanden. Danke, Herr Berger.
BERGER ab.
Medardus. Frau Klähr.
FRAU KLÄHR. Medardus, komm hinauf und sieh,
daß du umgekleidet bist, eh' die Einquartierung
da ist.
MEDARDUS. Ach Mutter, war' ich tot!
FRAU KLAHR. Medardus, du bist mein einziger.
MEDARDUS. Ich verdien' es ja nicht, dein Sohn
zu sein. So viel Schmach ist auf mir, ich sehne mich
zu sterben.
FRAU KLAHR ernst. Medardus! Ich weiß nicht,
was du getan hast, nicht, was dir geschehn ist. Du
lebst ja in Geheimnissen seit Agathens Tod. Aber mir
ist, als ließe sich in diesen Zeiten auch das Leben teuer
verkaufen — wenn es wirklich zu gar nichts mehr zu
brauchen war' — !
Major Trembly und Rittmeister Derue kommen bei der Ladentüre
herein^ geleitet von einem Magistratsbeamten. — Medardus im Dunkel
toird kaum beachtet.
DER BEAMTE. Guten Abend, Frau Klähr. Das
sind die Herren Offiziere, die bei Ihnen wohnen werden.
Gibt ihr einen Zetul. Bitte, wollen Sie sich hier unter-
schreiben.
FRAU KLÄHR unterschreibt rasch.
BEAMTER. Danke. Zu den Herren. Ich bin überzeugt,
Sie werden sich hier zu voller Zufriedenheit befinden.
Ich habe die Ehre. Ab.
MAJOR TREMBLT. Ich bin der Major Trembly
und dies mein Freund, der Rittmeister Derue, der
leider nicht deutsch kann. Wir bedauern Ihnen Un-
gelegenheiten zu verursachen, aber in solchen Zeiten
geht das leider nicht anders.
FRAU KLÄHR. Ihr Zimmer ist bereit, meine
Herren. Bitte mir zu folgen.
Ibn*n voran über die Wendeltreppe. — Major und Oberst folgen ihr,
Medardus. Nerina durch die Ladentür berein.
ao8
NERINA. Sind Sie endlich allein. Eine Stunde
schon streif ich draußen herum.
MEDARDUS. Was wollen Sie hier?
NERINA. Ich komme, Sie wissen ja von wem.
MEDARDUS lacht auf. Läßt sich das Fräulein —
— die Frau Marquise! . . . wieder nach meinem Be-
finden erkundigen ? Ich danke, mir geht's vortreff-
lich. Diesmal sitzt der Stich wohl besser, aber ich
werde auch nicht dran sterben.
NERINA. Sie sollen nicht sterben. Sie sollen mit
mir kommen, man erwartet Sie. Hier lesen Sie, aber
geschwind.
MEDARDUS. Mit dem ganzen Namen unter-
schrieben ?
NERINA. Ja, damit Sie nicht denken, es sei eine
List, oder weiß Gott was. Und Sie möchten, wenn's
Ihnen beliebt, den Brief wohl versiegelt zu Hause
liegen lassen, falls Sie fürchten, daß man Böses mit
Ihnen vorhätte . . .
MEDARDUS. So müßte der Brief ihre Schuld
offenbaren — ?!
NERINA. Ja, das ist wohl ihre Absicht. Aber sie
will nicht schuldig werden, Herr Medardus Klähr —
oder höchstens in einer sehr angenehmen Weise. Der
Marquis ist nämlich abgereist.
MEDARDUS. Heute am Hochzeitstag?
NERINA. Ich schwör' es Ihnen. Es war eine Ehe
zum Schein. Er ist fort. Wie weit er gelangt, das ist
freilich eine andre Frage. Aber kommen Sie nur
endlich.
MEDARDUS. Die Tore werden nachts geschlossen.
NERINA. Es gibt eines, das sich mir auftut . . .
mir und meinem Begleiter.
MEDARDUS. Sind Sie eine Zauberin?
NERINA. Sie ahnen gar nicht, was ich alles für
meine geliebte Herrin tue — und für Sie, Herr Me-
dardus Klähr.
MEDARDUS. Sei's drum ... Ich folge dir ... —
TtaMtacstäck«. IV, 14 200
Nicht etwa — weil ich euch ohne welters g^laubte, dir
und deiner Herrin, nein — nur weil es ein rechter Spaß
ist, auf der Welt zu sein, Nerina — und nicht sonder-
lich ernst wieder abzufahren. Beide ab.
Escbenbacber und Etzelt von recbu mit scbweren Bücbern
ESCHENBACHER. Ich will meine Gesellen holen
— und in der Nacht schleppen wir dann das Ganze
zusammen fort.
ETZELT. Wenn nur auf dem Wege von uns zu
Ihnen nichts passiert.
ESCHENBACHER. Mein Lieber, ganz gefahrlos
ist nun einmal nichts auf der Welt zu solchen Zeiten.
EZELT. Nun, so mag es denn sein! Aber, beim
Himmel, wenn es schlimm ausginge, — ich lasse Sie
nicht allein in der Tinte . . .
ESCHENBACHER. Das war' ein rechter Unsinn.
Das Sterben ist keine Kunst. Am Ende trifft's jeder.
Wer's aber ohne Not tut, und keinem zu Nutzen, nur
um seine Courage zu zeigen, ist kein Held ... ist ein
Narr, Etzelt! Sein Sie übrigens ohne Sorge, wir wollen
diese Scheintoten gut begraben.
ETZELT. Wollte Gott, daß es eine fröhliche Auf-
erstehung werde.
ESCHENBACHER. Und wenn nicht ... Na, —
ich mache kein Testament, Etzelt. — Aber nehmen
Sie's nur als rechtsgültig, Etzelt, den Herrn Wachs-
kuber, den vermach' ich Ihnen . . . Adio, ich hole meine
Gesellen. Er gebt.
Vierte Szene
Zimmer Helenens^ ziemlicb klein. Im Hintergrund ein Balkon, ku
dem die Tür offen siebt. Karge Beleuchtung im Zimmer. Nacht
über dem Garten draußen, dessen Wipfel bis zum Balkon berauf-
ragen.
Helene tritt eben vom Balkon aus ins Zimmer. Ein* Türe wird
geöffnet, und Assalagny tritt ein.
ASSALAGNT nach Verbeugung. Daß ich nach einem
so vielfach bewegten Tag mir noch zu so später Stunde
210
Gehör erbitte, Frau Marquise, wird der dringende
Anlaß entschuldigen.
HELENE nicht scharf. Den zu erfahren ich begierig
bin.
ASSALAGNT. Eine ehrfurchtsvolle Frage vorerst.
Frau Marquise sind fest entschlossen, morgen zur
Cour nach Schönbrunn zu fahren ?
HELENE. Mich das zu fragen, ließen Sie sich zu
solcher Stunde melden, Doktor Assalagny — ?
ASSALAGNT. Darum, — und, vsrenn Sie ent-
schlossen sind, mit Ihnen weiteres zu beraten, Frau
Marquise. Insbesondere welches Verhalten Sie dem
Kaiser gegenüber zu beobachten gedenken.
HELENE höhnisch. Dem Kaiser gegenüber . . .
ASSALAGNT. So wollen wir ihn nennen, Frau
Marquise, um so mehr, da kein Anlaß vorliegt, unter
vier Augen uns in Rollen zu bemühen, die wir ja doch
nur für den Herrn Herzog zu spielen haben. Ihn wollen
wir gewiß weiter in seiner wunderbaren Selbsttäuschung
erhalten; ja diese zu befestigen, rechne ich mit zu den
vornehmsten Pflichten meiner ärztlichen Kunst. Aber
glauben Sie nicht, Frau Marquise, daß es hieße die
Komödie allzuweit treiben, wenn man arme Teufel,
die sich aus Treue, Leidenschaft oder Torheit in ein
wahnwitziges Beginnen stürzten . . . wie in nutzloser
Verschwendung unschuldig verderben ließe ?
HELENE. Ich wußte nicht, Doktor Assalagny, daß
ich Sie als meinen Richter hier zu empfangen hatte.
ASSALAGNT. Als einen Rater, Frau Marquise . . .
nicht als einen Richter. Ernst. In Ihrer Hand, Frau
Marquise, liegen die Schicksale dieses Hauses. Daß Sie
morgen zum Empfang fahren, kann Rettung bedeuten
— für viele — ! Sie dürfen — Sie werden die Ge-
legenheit nicht versäumen, den Kaiser aufzuklären.
Er weiß jedenfalls, daß die zitternden Fäden einer
kindisch-törichten Verschwörung, die zwischen hier
und Paris gesponnen werden, sofort zerreißen würden,
wenn die geheimnisvolle Macht aus dem Spiel genom-
U* 211
men ist, die von dem Namen des Herzogs von Valois
noch immer auszugehn scheint. Darum muß der
Kaiser erfahren, aus Ihrem Mund erfahren, Frau
Marquise, daß der Herzog heute nicht mehr bedeutet
als seinen Namen . . .
HELENE. Soll ihn das milder stimmen ? Da die
Macht dieses Namens nun einmal wirksam ist, Doktor
Assalagny, so könnten wohl auch Leute wie der Herr
Marquis und seine Freunde am rechten Ort und im
rechten Augenblick dem Kaiser gefährlich werden . . .
ASSALAGNT. Und wenn man ihm gefährlich
würde, wie Sie sagen, Frau Marquise ? Wer hätte den
Lohn davon ? Selbst wenn der Herr Marquis und seine
Freunde — um auch diese tollste Laune des Schick-
sals auszudenken — vom Glück begünstigt würden . . .
der Herr Herzog würde seinen Sieg nicht mehr er-
leben.
HELENE. Ich aber lebe . . .
ASSALAGNT. Die Gott bewahren wird, mit der
Erbschaft einer großen Seele auch die eines unseligen
Wahns anzutreten.
HELENE. Sie laufen in Ihren Kreis wieder ein,
Doktor Assalagn^. Wenn unsre Sache triumphiert,
so ist sie ja kein Wahn gewesen.
ASSALAGNT. Auch der Triumph, wenn er käme,
wäre nichts beßres, Frau Marquise, als ein Wahn von
andrer Art. — Sein Gefolge wäre: Neue Sorgen, neue
Gefahren und dabei die Möglichkeit, daß alles Er-
reichte über Nacht wieder zu nichte wird! Und ich
glaube, Frau Marquise, es gibt Aussichten in Nähen
und Fernen, die Ihnen lockender erscheinen sollten
als die auf einen Sarkophag in einer Königsgruft.
HELENE. Sie sind im Geringen so kühn ... als
Sie im Großen vorsichtig sind, Doktor Assalagny!
ASSALAGNT. Ich freue mich immer an der spitzen
Anmut Ihrer Antworten, Frau Marquise. Aber sollten
Sie nicht endlich merken, daß hier einer vor Ihnen
•teht, dem ein wahres Antlitz sich so wenig hinter den
2ia
leichten Schleiern des Witzes als hinter dem drohenden
Visier der Überlegenheit zu verstecken vermag?
HELENE. Und das wahre Antlitz, das Sie zu sehen
glauben ?
ASSALAGNT. Ist ein junges Frauenantlitz, darin
wie in andern sanftem die Sehnsucht nach einem
Frauenglücke schimmert.
HELENE. Glück . . . Was Leute Ihresgleichen
Glück nennen, das mag für andre eben gut genug sein,
die furchtbar leeren Stunden der Erwartung aus-
zufüllen.
ASSALAGNT. Ob sie Erwartung, ob sie Er-
füllung bedeutet, weiß es denn die Stunde selber?
Man könnte einer Krone entgegengeträumt, ja, man
könnte sie errungen haben — und an einem späten Tag
entdecken, daß der reichste Augenblick von allen einer
war, da man in einem Frühlingsgarten nach Schmetter-
lingen haschte. Die schlimmste Art ein Glück zu ver-
säumen ist, CS nicht glauben, da man es erlebt. Ich
wünschte sehr, Frau Marquise, daß Ihnen dergleichen
nicht begegne. Wagen Sie es, die Schönheit der Stunde,
die Ihnen eben bevorsteht, ganz zu empfinden. Ich
weiß, wen Sie erwarten, Frau Marquise!
HELENE. Nun ja — Sie haben ihn gesehn, Doktor
Assalagny, und Sie sind ja einer, der sich berufen
glaubt, Menschen auf den ersten Blick zu erkennen.
Sollte es Ihnen entgangen sein, welcher Art die Ver-
heißungen sind, die aus seinen Augen blitzen ? Ein
Geliebter . . . denken Sie! Mag sein. Doch daß er zu
hassen vermag, scheint mir seines Wesens besserer Teil.
ASSALAGNT. Fürchten Sie nicht, daß diese Worte
Ihrem eigenen Schicksal eher Vorbedeutung sein
könnten, Frau Marquise, als einem andern ?
HELENE. Ich werde darüber nachdenken, wenn
ich allein bin, Doktor Assalagny . . .
ASSALAGNT. Gute Nacht, Frau Marquise. Ergebt.
HELENE. Gute Nacht! —
HELENE allein. Will SO einer tiefer in mich schaun
313
als ich selbst? Glänzte heute morgen in meinen
Blicken andres als meine Seele wußte . . ? Bebte gar
in meiner Stimme die Sehnsucht nach dem Glück, das
der Armselige da mir anpries ? So soll er wenigstens
nicht vergebens hier gewesen sein. Aus dem zweck-
trüben Wirbel seiner Worte schnellt eins empor, dessen
gemeine Weisheit mir nicht verloren sein soll. Die
Stunde des Glücks sei nicht versäumt! Medardus! . . .
Ich will nichts denken als ihn . . . nur ihn . . . und
nichts, als daß diese Stunde ihm gehört . . . Den Duft
dieses Gartens will ich atmen, eintrinken die Stille
dieser Nacht, meine Arme ausbreiten, meinen Gürtel
lösen für den Erwarteten, den Gehebten. Medardus . . .
Ich fühle dein Kommen. Vergangenes und Künftiges
schweigt! Nur die Stunde klingt und rauscht durch
die Nacht. Heilige Stunde, losgelöste, einsame in
der Zeit, du bist mein.
Die Tür öffnet sieb. Medardus herein.
HELENE ihm entgegen. Medardus . . .
MEDARDUS an der Türe sUben bleibend. Hier bin ich.
Was ist Ihre Absicht, Prinzessin ? Steckt der Herr
Marquis hinter dem Vorhang ? Oder denken Sie mich
morgen früh von Ihren Dienern umbringen und im
Park begraben zu lassen ? All das kann ohne die ge-
ringste Gefahr geschehn. Hier ist Ihr Brief. Er wirft
ibn bin.
HELENE. Medardus — ich liebe dich!
MEDARDUS. Oder ist eine mildere Abrechnung
vorgesehn ? Sind Guckfenster in der Decke und ist
das Gesinde bestellt, um seinen Spaß an mir zu haben?
HELENE. Medardus, ich liebe dich . . .
MEDARDUS. Ich bin auf aUes gefaßt. Und es
gibt kein Schicksal, das ein Narr, wie ich es bin, nicht
als ein wohlverdientes hinnehmen müßte!
HELENE. Glaubtest du die Tollheiten alle, so
wärst du nicht da. Ich liebe dich, Medardus. Und
du bist gekommen. Ich hab' es gewußt. Wie werden
wir glücklich sein! . . .
214
MEDARDUS. Glücklich! — Das werden wir nicht
. . . Wir haben zu viel zu vergessen! . . . Du und ich!
— Kein Glück für uns, Helene . . . Rausch . . . Traum
. . . Tod . . . doch kein Glück . . .
HELENE. Die Stunde ist unser, Medardus! —
Ich vergesse was war — und was sein wird ! Du und ich
— und diese Stunde. — Ich weiß nichts andres . . .
Ich liebe dich, Medardus!
Vtrbang.
VIERTER AUFZUG
Erste Szene
Das Zimmer hei Frau Kläbr wie im Vorspiel. — Morgen. — Frau
Kläbr am Mitteltisch eben damit beschäftigt, aus einer Kanne Raffet
in zwei Tassen zu gießen.
DAS DIENSTMÄDCHEN kommt ziemlich abgerissen mit
tiner Semmel in der Hand.
FRAU KLÄHR. Na endHch. — Ja, um Gottes-
willen, wie schaust du denn aus ?
DIENSTMÄDCHEN. Wie soll m^ denn anders
ausschaun, Frau KJähr? Man muß ja froh sein, daß
man überhaupt lebendig aus dem furchtbaren Ge-
dräng' herauskommt. Einen Burschen hat die Wache
abgeführt, weil er's Messer gezogen hat.
FRAU KLÄHR ihr die Semmel aus der Hand nehmend. Und
das ist alles, was du mitbringst — ?
DIENSTMÄDCHEN. Ja! und darum steht man
seit drei Uhr früh dorten und wird am End' so zu-
gericht'! Sie weint.
FRAU KLÄHR. Und was ist denn mit dem Fleisch ?
DIENSTMÄDCHEN. Noch keins da. Vielleicht,
daß sie gegen Mittag was kriegen, meint der Gesell.
Von Ungarn her.
Major Trembly bequem in Bluse, mit verbundenem Kopf aus dem
Nebenzimmer.
TREMBLT. Guten Morgen, Frau Klähr.
FRAU KLÄHR. Guten Morgen, Herr Major. Da
steht Ihr Kaffee, aber ««/ die Semmel das ist alles, was
sonst zu haben war.
DIENSTMÄDCHEN. Und so kommt man zu
Haus . ..\ Ab.
TREMBLT setzt sich an den Tisch. Wir wollen redlich
teilen, Frau Klähr. Bricht die Semmel entzwei.
FRAU KLÄHR. Ich danke. Vor aUem will ich
nach dem Herrn Rittmeister sehn, es ist wohl Zeit, den
Verband zu wechseln.
216
TREMBLT. Bleiben Sie lieber, Frau Klälir. Mein
armer Kamerad schlummert jetzt, sozusagen. Ich
kenne diese Atemzüge, Er hat keine Stunde mehr
zu leben. Lassen wir ihn ruhig hinüberschlummern.
Er trinkt.
FRAU KLAHR verwundert über Iremblys Gelassenheit.
Ich dachte, Sie wären sehr befreundet mit dem Herrn
Rittmeister ?
TREMBLT. War ich auch. Man gewöhnt sich
dran, seine Freunde sterben zu sehen, in unserm
Beruf.
FRJU KLÄHR. Wie viele Schlachten mögen Sie
schon mitgemacht haben?
TREMBLT. Wenn ich alle mitrechne, neunund-
zwanzig. Aber so furchtbar wie diese letzte hab' ich
noch keine gesehn, das ist wahr. Und ich bin doch bei
Jena und AusterUtz dabei gewesen. Ihre Lands-
leute haben sich brav geschlagen — das muß man
sagen. Wenn Napoleon immer solche Gegner gefunden
hätte . . .
FRAU KLÄHR. War' er wohl nicht der große
Feldherr geworden, für den man ihn bis vor acht
Tagen gehalten hat.
TREMBLT. Nicht so, Frau Klähr ... So wüßte
man eben, daß er ein noch größerer ist — als wir heute
wissen.
FRAU KLÄHR. Sind Sie dessen so sicher, Herr
Major . . ? Nun hat er ja doch seinen Meister gefunden.
Der Glaube an seine Unüberwindlichkeit ist vorbei.
TREMBLT. Ihr Erzherzog Karl hat diesmal den
Sieg davongetragen, das ist nicht zu leugnen. Ein
andrer wär's auch nicht imstand gewesen . . . Die Art
ist beinah so selten, denk' ich, wie die Napoleons . . .
Ein Held, liebe Frau Klähr . . . und im rechten Augen-
blick . . .! darauf kommt es wohl an . . . Ich hab' es
mit eigenen Augen gesehn, wie er die Fahne eines
Bataillons ergriff, das schon beträchtlich zu wanken
begonnen hatte, und es mitten in unsre Reihen führte.
«7
Nur glaub' ich, daß dieser Sieg für Sie und Ihre Lands-
ieute teuer erkauft sein wird. Er schiebt die Ent-
scheidung hinaus, das ist alles . . .
FRAU KLAHR. Man wird sehen, Herr Major . . .
Unterbricht sich, lauscht^ als hörte sie von drin etwas.
TREMBLT. Es ist nichts.
FRAU KLÄHR. Wird der Herr Regimentsarzt
nicht bald kommen ?
TREMBLT. Tax so überflüssigen Besuchen hat er
keine Zeit mehr . . . Wir sind beide aus seiner Behand-
lung entlassen.
FRAU KLÄHR. Gibt's denn gar so viel gefähr-
lich Verwundete in der Stadt?
TREMBir. Sie fragen?
FRAU KLÄHR. Man erzählt, daß Ihr Kaiser schon
während der Schlacht den Befehl gegeben habe, alle
tödhch Verwundeten, auch die eigenen, in die Donau
zu werfen.
TREMBLT. Sie sollten nicht alles glauben, was
die Leute erzählen. Und manches Unglaubliche, das
wahr sein mag, besser verstehen. Ich für mein Teil
würde mir nichts andres wünschen. Schade, daß nicht
immer ein Fluß in der Nähe ist.
FRAU KLÄHR. Vielleicht kommt Ihr großer
Kaiser auf den Einfall, daß ein brennender Holzstoß
dieselben Dienste täte.
TREMBLT. Frau Klähr, Sie lassen's doch einiger-
maßen an gerechter Beurteilung dieses Mannes fehlen.
Erbebt sieb. Nun will ich wieder gehen, auf eine Weile
den letzten Schlummer meines Freundes bewachen.
FRAU KLÄHR. Sie müssen mittags zur Parade,
Herr Major . . . ?
TREMBLT. Jawohl, hebe Frau Klähr. Meine
Uniform ist ja wieder vortrefflich instand, wofür ich
auch Ihnen zu danken habe, verehrte Todfeindin. Doch
was ich noch sagen wollte, ist Ihr Herr Sohn zu Hause ?
FRAU KLÄHR. Noch nicht, Herr Major. Oder
nicht mehr. Ich weiß nicht . . .
2l8
TREMBLT. Ihm ist mein armer Freund vielen
Dank schuldig. So viele Stunden saß er drin an seinem
Bett, plauderte mit ihm, las ihm sogar vor in den ersten
Tagen, da es sich noch nicht so zum Schlimmen ge-
wandt hatte. Derue hat ihn wirklich in sein Herz ge-
schlossen. Wenn ich zu früh fort müßte, Frau Klähr,
so bitten Sie Ihren Herrn Sohn in meinem Namen,
bei meinem Freunde zu bleiben, bis — alles vorbei ist.
Herr und Frau Berger kommen,
BERGER. Guten Morgen. O guten Morgen, Herr
Major. Verbindlich. Darf ich mir die Frage erlauben, vfit
sich Ihr tapferer Herr Kamerad befindet ?
TREMBLT. Nicht zum besten, Herr Berger.
BERGER. Schade, schade. Tut mir wirklich sehr
leid. Es wird den Herrn Major vielleicht interessieren^
vor einer halben Stunde ist der Marschall Lannes in
der Hofburg seinen Verwundungen erlegen.
TREMBLT. Man war darauf gefaßt.
BERGER. Das wird Sr. Majestät sehr nahe gehn.
Der Marschall soll ja ein besonderer Liebling Sr. Maje-
stät gewesen sein.
TREMBLT. Er war ein ausgezeichneter General.
BERGER. Ja, das war ein Tag! oder vielmehr zwei
Tage, Herr Major ... da werden noch die Kinder
und Kindeskinder dran denken! Ich weiß nämlich
auch was davon zu erzählen: ich hab' zug'schaut.
TREMBLT. Ja, man sagt, daß wir auf den Türmen
ein sehr aufmerksames Publikum gehabt haben . . .
BERGER. Ich war auf keinem Turm, Herr Major
— ich war bei einem guten Bekannten auf der Mölker-
bastei, der hat mich mit aufs Dach genommen, hat
mir auch sein Fernrohr geliehn. Es gehört freilich
eine gewisse Übung dazu, durch so ein Instrument
was zu sehn. Aber einmal hab' ich ganz deutUch eine
Kavallerieattacke beobachtet, da hat man's blitzen
g'sehn und wirbeln — und alles war Rauch und Staub
. . . und plötzlich war wieder gar nichts da — wi*
wegg'wischt die ganze Abteilung. Ich weiß nicht,
219
waren*s unsrige — oder waren es die werten Feinde . . .
aber wie großartig das ausg'schaut hat ... da haben
Sie keine Ahnung, Herr Major. Verlegen lachend. Das
heißt, entschuldigen, Herr Major . . .
TREMBLT. Von einem Dach aus hab' ich so was
wirklich noch nie gesehn. Adieu, Herr Berger. Guten
Tag, meine Damen. Ab ins Nebenzimmer.
BERGER. Ein sehr umgängücher Herr. Wirklich,
wenn er auch ein Franzos' ist, es freut mich, daß sie
ihm den Schädel nicht ganz eingeschlagen haben. Ob-
zwar — die Folgen zeigen sich manchmal erst später.
FRAU BERGER. Und der andre da drin ? Geht's
dem wirklich so schlecht?
FRJU KLAHR. Ja, es geht zu Ende.
FRAU BERGER. Die bei uns einquartiert waren,
die drei, von denen ist keiner zurückgekommen.
BERGER. Macht nichts, heut kriegen wir schon
wieder neue. Nassauer, heißt's. Ja, man kommt nicht
zur Ruhe, es ist schrecklich. Zu Frau Berger. Hast schon
der Frau Klähr erzählt, daß wir grad in der Reit-
schul' waren bei der Anna — in der Reitschul', haha . . .
das ist jetzt ein ganz neues Wörterbuch, Reitschul'
sagt man und meint Spital, Hofstallung sagt man und
meint Gefängnis, Kapuzinerkirchen sagt man und
meint Wachstuben . . .
FRAU BERGER. Ob man dafür nicht wenigstens
ein andres Lokal hätt' finden können!
FRAU KLÄHR. Wie geht's denn der Anna ? Wie
hält sie denn den Dienst aus ?
BERGER. Wir haben grad nur einen Zipfel von
ihrer weißen Hauben g'sehn. Drei Tag' und drei
Nacht' ist sie nicht aus den Kleidern gekommen. Armes
Mädl! Hat sie das nötig g'habt, frag' ich?
FRAU BERGER. Sie haben ja da eine halbe Semmel
Frau Klähr — wo haben Sie denn die gekriegt?
FRAU KLÄHR. Leicht ist's nicht gewesen. Von
drei Uhr in der Früh' an war die Kathi ang'stellt, und
mit ganz zerfetzten Kleidern ist sie nach Haus ge-
220
kommen. Die hungrigen Augen der Frau Berger bemerkend.
Wollen Sie sie haben ?
FRAU BERGER. Ich will Sie nicht berauben.
FRAU KLÄHR. Nehmen Sie nur, Frau Berger.
FRAU BERGER. Also wenn Sie erlauben, Frau
Klähr ißt die Semmel. Wir haben seit acht Tagen kein
Gebäck im Haus g'habt,
BERGER. Ein Glück, daß unsre Einquartierung
das nicht erlebt hat. Die haben ja nie genug gehabt.
Die warn schön grob geworden, Friede ihrer Asche!
FRAU BERGER. Wissen S', Frau Klähr, das Pfund
Kalbfleisch kostet einen Gulden, wenn man's kriegt.
Geben Sie acht, Hungersnot kommt auch noch. Kein
Wunder, wenn man aus den Kirchen Wachstuben
macht. Und keine Fronleichnamsprozession ist heuer
auch nicht.
BERGER. Es gibt eh' schon Leut', die am Ver-
hungern sind. Die Gefangenen, die unsrigen näm-
lich, die kriegen überhaupt so gut wie nix zum essen.
Viele laufen auf der Straßen herum und betteln. Aber
die, wo sie leider Platz haben zum Einsperren, die
lamentieren, daß man's bis auf die Straßen hört.
Gestern war ja deswegen so ein Auflauf am Spittel-
berg. Haben Sie nichts davon gehört, Frau Klähr?
Der Tischlermeister Teil ist verhaftet worden bei der
Gelegenheit.
FRAU KLÄHR. Ja, davon hab' ich gehört; — aber
warum, weiß ich nicht.
BERGER. Er hat nämlich die Wach' vor den Hof-
stallungen gehabt als Hauptmann von der Bürger-
wache, da ist grad ein französischer Offizier von den
Grenadieren vorbeigekommen, dem hat der Teil die
Leut' nicht energisch und grob genug auseinander-
gejagt, fangt der Offizier an zu schrein und zu schimp-
fen, und endlich, da zieht er gar den Säbel, der freche
Kerl — oha — zieht den Säbel leise gegen die Wache,
gegen unsre Bürgerwache . . . der Teil aber nicht
faul, reißt ihm den Säbel aus der Hand, bricht ihn
221
über seinem Knie mitten entzwei und wirft ihm die
Stücke vor die Fuß' hin. Na, und da haben s' ihn dann
natürlich in Arrest geführt, den Teil. Aber den Offizier
auch. Bitte, was wahr is, is wahr.
Medardus tritt ein.
MEDARDUS. Guten Morgen! Guten Morgen,
Mutter! Er küßt ihr die Hand. Wie geht's dem Ritt-
meister ?
FRAU KLÄHR. Der Major Trembly hält Wache
drin an seinem Sterbebett.
MEDARDUS. Ist es so weit? Ich dacht' es mir
gestern abend. Ich glaube nicht, daß er einen schweren
Tod zu sterben hat. Gestern in seinen Phantasien war
er in der Heimat, bei Frau und Kindern, und dann
schien es ihn immer weiter zurückzutragen — bis
in die eigne Kindheit, — sein Gesicht war auch ganz
heiter, kindlich geradezu. Zu so was Schönem, als
er da geträumt haben muß, würde er kaum wieder
erwacht sein.
BERGER. Sagen Sie, Medardus, haben Sie denn
gar keine Angst, daß Sie wer bei den Franzosen an-
zeigt, — weil Sie doch eigentlich von der Kapitulation
her ein Kriegsgefangener wären ? . . .
MEDARDUS. Ah nein, mir geschieht nichts . . .
da können Sie ganz ruhig sein, Herr Berger.
FRAU BERGER. Das Annerl laßt Sie schön grüßen,
Medardus.
MEDARDUS. Dankeschön. Wie geht's ihr denn ?
FRAU BERGER. Wie's einer Wärterin im Spital
halt gehn kann, die drei Tag' und drei Nacht' kein Äug'
zugetan hat.
MEDARDUS. Das arme Kind! Wie muß ihr da
zumute sein — gar an solch einem schönen Sommer-
tag!
BERGER. Ich sag's ja auch: hat sie's nötig?...
Übrigens von dem schönen Sommertag haben wir alle
nicht viel. Mit Landpartien ist nichts in dem Jahr! . . .
Weiter als bis Hütteldorf dürfen wir ja gar nicht
232
heraus . . . Meine Herrschaften, wir sind im Grund
doch alle Gefangene . . . Schlimme Zeiten ! schlimme
Zeiten! Jetzt soll schon wieder eine neue Zwangs-
anleihe eingehoben werden. Ich frag' nur, woher!?
Wir werden noch alle betteln gehen, sag' ich Ihnen,
Frau Klähr! Und was man so vom Land draußen
hört, plündern tun sie und Häuser anzünden und noch
allerlei — was man vor den Damen gar nicht sagen
kann. Besonders die Portugiesen sollen's arg treiben!
E1ZEL1 berein. Guten Morgen! — Eben höre
ich, daß sie dem Peter Teil freigelassen haben, noch
gestern abend.
BERGER. Ist es möglich?
BERGER. Ich sag's ja, der gute Wille ist nicht zu
verkennen . . . Und der Respekt ! . . . Seit Aspern
wissen sie halt, mit wem sie's zu tun haben! ... Ja,
der Erzherzog Karl — das ist schon einer . . . Wenn
man nur wüßt', worauf er jetzt wart' . . . Also komm
au Frau Berger. — Adieu, Frau Klähr . . . ich muß
noch auf eine halbe Stund' ins G'schäft, und dann
nachschaun, ob sich's die Nassauer vielleicht schon
bequem gemacht haben bei uns. Und später geh' ich
hinaus nach Meidling.
E1ZEL1. Was haben Sie denn in Meidling zu tun,
Herr Berger?
BERGER. Große Parad' heut, Napoleon hält sie
persönlich ab. Hoffentlich seh' ich ihn einmal in
der Näh'.
FRAU KLÄHR. Das wird wohl kaum möglich sein.
BERGER. Warum denn ? Es ist nicht gar so streng
mit der Absperrung. In Schönbrunn draußen, da
stehn die Leut' bis ganz knapp am Wagen, wenn er
einsteigt . . . Und bis auf die Treppe hinauf drängen
«ie sich, wenn er herunterkommt . . . Und bei der
letzten Parade, drei Tag' vor Aspern, war überhaupt
kein Kordon.
FRAU KLÄHR. Muß er sich nicht für gefeit
halten? Oder kennt er seine lieben Wiener so gut?
223
FRAU BERGER. Aber um Gottes willen, Frau
lOähr . . . wenn man Sie da drin hört!
BERGER. Ah, der Major, das ist ein Ehrenmann.
Der zeigt niemanden nicht an. Sonst ging der Medar-
dus nicht so gemütlich als ein freier Zivilist in Wien
spazieren! Habe die Ehre!
FRAU KLÄHR. Ich habe in der Stadt zu tun, ich
geh' gleich mit Ihnen. Zu Medardus. Der Major wird bald
weggehn, er läßt dich bitten, ihn bei seinem Kameraden
abzulösen.
Frau Kläbr, Berger und Frau Berger ab.
Etzelt. Medardus.
ETZELT. Ich muß auch wieder hinunter, nach
dem Geschäft sehn. Leb' wohl, Medardus.
MEDARDUS heiter. Was blickst du mich so von
der Seite an, Etzelt ? Es gibt nichts Verdächtiges und
nichts Geheimnisvolles an mir. Ich bin daheim auf
Erden und ein so simpler Nachbar wie irgendwer.
Glaub' mir, Etzelt, es gab für brave Menschen, wie du
einer bist, nie gelegenere Zeit, sich mit mir zu verstehn.
ETZELT. Ich versteh' dich vielleicht besser als
je, aber es gab eine Zeit, da ich dich mehr liebte,
Medardus.
MEDARDUS. Sonderbarer Mensch, dem in seiner
Freundschaft nur wohl wird, wenn Unbill oder Sorge
sie auf schlimme Proben stellen. Aber ich denke, du
mußt nur ein wenig Geduld haben, Etzelt, denn was
jetzt ist, kann nicht dauern. Das Gestern ist so ferne
wie der Tag, da die Welt erschaffen wurde, das Morgen
ferne wie der Tod, — so ruh' ich in meinem Glück.
Das kann nicht dauern, Etzelt! —
Escbenbacber tritt ein.
ESCHENBACHER. Guten Morgen! Ich habe
eine Neuigkeit zu vermelden, für die — die's etwa
nicht vorher gevnißt hätten.
ETZELT. Eine gute scheint's ja nicht zu sein . . .
ESCHENBACHER. Nicht schlechter als hundert
andre. Den Tischlermeister haben sie erschossen.
224
ETZELT. Den Peter Teil, ist es möglich?
ESCHENBACHER. So hieß er, da er die Stühle
leimte, und auf dem Grabstein wird's wohl nicht anders
stehn. Wenn ich einem die heitre Laune stören sollte
mit der Nachricht, so bitt' ich um Vergebung. Wer
kann, mag weiter an Sommerluft, Wein und Frauen-
zimmern sich erfreun.
ETZELT. Sind Sie nicht falsch berichtet, Herr
Eschenbacher ? Ich weiß es aus guter Quelle, sie haben
ihn freigelassen gestern abend.
ESCHENBACHER. Die Quelle ist gut; nur gleich
daneben fheßt eine andre, die ist noch besser. Heut
früh um fünf haben sie ihn aus dem Bett geschleppt
an die Mauer vom Jesuitenhof hingestellt und er-
schossen. Soeben trug man seinen Leichnam an mir
vorüber; ist die Quelle klar genug?
ETZELT. Warum haben sie das nur getan ? Wenn
er sich auch vergangen, es war mit ein paar Tagen
Arrest zu sühnen.
ESCHENBACHER. Warum? Sie haben die Macht
und lassen sie uns fühlen.
ETZELT. Und fühlen dieser Macht sich selber doch
nicht ganz sicher. Ja, dies scheint mir die tiefere Ur-
sache dieser frevelhaften Willkür. Ich meine, es muß
ihnen bei Aspern doch noch viel schlimmer ergangen
sein, als uns hier bekannt ist!
ESCHENBACHER. Reden Sie lieber nicht von
Aspern, Etzelt. Wir sollten alle wünschen, daß uns
nicht noch ein solcher Sieg beschieden wäre. Er be-
deutete ein paar jammernde Witwen und hungrige
Waisen mehr, — wie es enden muß, wissen wir doch alle.
ETZELT. Sie sehen zu trüb', Meister Eschenbacher.
Ich bin fest überzeugt, daß Österreich nicht mehr
lang allein im Kampfe bleibt. Nur darum zögert der
Erzherzog mit einem neuen Schlag. Weshalb denn
sonst ? Es scheint ja auch, daß Preußen sich endlich
entschlossen hat, mit uns gemeinsame Sache zu machen.
Der Prinz von Oranien soll drüben im Hauptquartier
Tbeatentücke. IV, 15 225
sein. Ich kann mir nun einmal nicht helfen, Meister
Eschenbacher, ich bin voll Hoffnung. Aspern war ein
großer Anfang. Warten wir nur ab. Vielleicht war
der Teil eines der letzten Opfer, das fallen mußte.
ESCHENBACHER. Schreiben Sie's ihm auf den
Grabstein; so wird er süßer träumen! —
Der Gehilfe stürzt atemlos herein.
GEHILFE. Sie sind da, Herr Etzelt — !
E1ZELT. Wer ist da?
GEHILFE. Militär, Herr Etzelt, Hausdurch-
suchung. Verzeihn Sie, Herr Etzelt, aber ich habe
mir wirklich nicht helfen können, ich hab' ihnen die
Schlüssel zum Magazin geben müssen.
ETZELT. Natürlich haben Sie ihnen die Schlüssel
geben müssen. Das tut nichts. Wir haben ja nichts
Verbotenes. Er wechselt einen Blick mit Eschenbacher.
Der bayrische Leutnant Moser tritt ein mit zwei Mann.
ETZELT ihnen rasch entgegen. Bitte um Entschul-
digung, Herr Leutnant, dieser Raum hier gehört
nicht zur Buchhandlung.
LEUTNANT. Ich bedaure sehr, zu inkommodieren,
es ist mir bekannt, daß dies die Privatwohnung der
Buchhändlerswitwe Klähr ist, drum bin ich eben hier,
öffnen Sie die Schränke.
MEDARDUS. Herr Leutnant, meine Mutter ist
nicht anwesend.
LEUTNANT. Das tut nichts zur Sache. Zu den
Soldaten. Die Schränke auf! Und sorgfältig gesucht.
Die Soldaten befolgen den Befehl.
ETZELT. Sie verlieren Ihre Zeit, Herr Leutnant,
wir führen nichts Verbotenes.
LEUTNANT. Das wollen wdr hoffen. Sie sind der
Leiter des Geschäfts f
ETZELT. Ich bin Angestellter, Herr Leutnant.
MEDARDUS. Alle Verantwortung trage ich, Herr
Leutnant, ich bin der Sohn der Frau Klähr.
LEUTNANT. Ganz recht. Wohin führt diese Tür f
Er gebt zur Tür linkt.
226
TREMBLT tritt heraus tn voller Uniform.
LEUTNANT stellt sieb vor. Leutnant Moser, vom
bayrischen Grenadierregiment Nummer zwölf.
TREMBLT. Major Trembly. Was suchen Sie hier,
Herr Leutnant ?
LEUTNANT.' Ich habe Befehl, hier nach ver-
botenen Druckschriften und Landkarten zu vigi*
lieren.
TREMBLY. Hier? Ich halte es nicht für wahr-
scheinlich, daß Sie hier dergleichen finden werden,
insbesondere in meinem Zimmer.
LEUTNANT. Verzeihen Sie, Herr Major, die
Leute wählen manchmal die merkwürdigsten Ver-
stecke. Ich habe strengsten Befehl . . .
TREMBLT. Wenn es Befehl ist, — bitte.
LEUTNANT bleibt an der Tür stebn. Oh, ich werde
leider Ihren Herrn Kameraden stören müssen.
TREMBLT. Das brauchen Sie nicht zu besorgen,
Herr Leutnant.
MEDARDUS. Er ist tot . . . Herr Major?
TREMBLT. Ja. Und ich muß nun zur Parade.
Auf dem Wege werde ich die Meldung vom Tode des
Rittmeisters Derue erstatten. Man wird den Leich-
nam noch heute abholen.
LEUTNANT. Es ist natürlich nur der Form wegen,
aber ich kann es leider nicht unterlassen, wenigsten«
einen Blick ... Ab.
Etzelt und Escbenbacber sprechen nicht miteinander^ stebn ziemlich
entfernt voneinander. Etxelt neben dem eiiun Soldaten^ der d*n
Schrank durchsucht, Eschenbacher im Erker.
TREMBLT XU Medardus. Mein Kamerad hatte viel
Freundschaft für Sie, Herr Klähr. Auch ich bin
Ihnen dankbar, daß Sie ihm manchmal Ihre Zeit ge-
widmet haben. Ich wünsche sehr, — daß diese Sache
keine weitern Folgen für Sie nach sich ziehe. Reicht
ihm die Hand. Ab.
LEUTNANT kommt aus dem Zimmer zurück. Es ist allcS
in Ordnung.
xf» 227
Ein bayrischer Soldat von rechts mit einem großen Buch,
LEUTNANT. Was haben Sie da?
DER SOLDAT legt das Buch auf den Tisch.
ETZELT tritt dazu. Es ist ein historischer Atlas, wie
Herr Leutnant sehn.
LEUTNANT blättert. Ganz recht. So bewandert
sind die Leute natürlich nicht. Die Sache ließe sich
übrigens vielleicht abkürzen. Man wird so sorgfältig
nachsuchen, daß uns gewiß auch kein Blatt entgehn
wird, das Sie im Laden oder im Magazin vorrätig
haben sollten. Also: Es handelt sich ganz besonders
um den Atlas von Schrämbel. Haben Sie ein Exemplar
von diesem Werk ?
ETZELT. Nein, Herr Leutnant.
LEUTNANT. Ihr Nein hilft uns nichts. Da muß
eben weiter gesucht werden.
Ein bayrischer Unteroffizier tritt rechts ein.
UNTEROFFIZIER. Herr Leutnant, ich melde
gehorsamst, die gesuchten Landkarten sind zur Stelle
geschafft.
LEUTNANT. Ah . . . Blick auf Etzelt. Ich wußte es
ja. Es hätte einen bessern Eindruck gemacht . . . Nun,
Sie wollten es nicht anders. Zum Unteroffizier. Wo sind
die Karten . . . ?
UNTEROFFIZIER. Sie liegen im Laden unten,
es sind zwei Exemplare.
LEUTNANT. Sie waren im Magazin ? — Ach
nein, — Sie kommen ja aus dem andern Haus, das uns
angegeben wurde.
UNTEROFFIZIER. Jawohl, Herr Leutnant!
LEUTNANT. Also dort ? — Hätt' ich nicht gedacht.
UNTEROFFIZIER. Die Karten befanden sich
nicht im Hause selbst, Herr Leutnant, sondern in
einem ausgetrockneten Brunnen im Hof des Hauses;
und es waren Steine darauf geschichtet. Drei Gesellen
hab' ich verhaften lassen, der Herr des Hauses selbst
ist flüchtij*.
ESCHENBACHER. Das ist ein Irrtum.
228
FRAU KLAHR kommt rasch von rechts. Was geht hier
vor, was ist geschehn?
ETZELT tritt rasch zu ihr und sagt ihr ein faar Worte.
ESCHENBACHER. Der Herr des Hauses ist nicht
flüchtig; er steht vor Ihnen,
LEUTNANT. Sie sind der Sattlermeister Eschen-
bacher ?
ESCHENBACHER. Ja, so heiß' ich.
ETZELT. Man hat Ihnen einen Possen gespielt,
Meister ! Wie sollen in Ihren Brunnen . . . ?
LEUTNANT. Das wird sich herausstellen. Ich
erkläre Sie für verhaftet, Herr Eschenbacher.
MEVARDUS. Herr Leutnant, Eschenbacher ist
unschuldig. Auch die Buchhandlung hat nicht das
geringste mit der Sache zu tun; ich habe die Karten
schon vor Jahren in mein persönHches Eigentum über-
nommen,
LEUTNANT. Um sie im Brunnen des Herrn
Eschenbacher aufzubewahren. — Herr Eschenbacher
ist ein Verwandter von Ihnen?
FRAU KLAHR. Er ist mein Bruder. Und er ist
unschuldig, besser als unschuldig. Für mich, für uns
hat er sich in diese . . ,
LEUTNANT. Ich bitte nicht .weiter zu reden,
Frau Klähr. Für mich kommt ausschließlich in Be-
tracht, wo diese Exemplare gefunden worden sind.
MEDARDUS. Sie können sich wohl denken, Herr
Leutnant, daß nicht zwei Exemplare des Schrämbel
bei einem Sattlermeister . . ,
LEUTNANT. Oh, es gibt Sammler aUer Art.
MEDARDUS. Ich bin der Schuldige. Verhaften
Sie mich, Herr Leutnant —
FRAU KLÄHR. Uns alle müßten Sie verhaften.
LEUTNANT. Es ist gewiß sehr schön, daß einer
für den andern sich aufopfern möchte. Aber es handelt
sich nicht darum, Märtyrer zu schaffen, sondern darum,
Gerechtigkeit zu üben. Die Gefängnisse hier sind wirk-
lich allzu überfüllt, als daß man auch diejenigen ein-
239
iperren könnte, die sich selbst einer verbotenen Hand-
luBg beschuldigen. Und worauf ich noch besonder?
aufmerksam machen möchte, Herr Eschenbacher würde
keineswegs straflos ausgehn oder auch nur eine mildere
Strafe erleiden, wenn diese Landkarten sich nicht
als sein Eigentum herausstellten. Herr Eschenbacher,
ich bitte.
ESCHENBACHER. Und meine Gesellen haben
Sie auch eingesperrt? Die armen Teufel!
LEUTNANT. Man mußte sie vorläufig in Haft
nehmen, um so mehr als Sie abwesend waren, Herr
Eschenbacher. Vorwärts.
Die beiden Soldaten haben Escbenbacber in die Mitte genommen.
Bewegen sieb mit ihm zur Türe.
MEDARDUS. Herr Leutnant, Sie müssen mich
verhaften, es ist Ihre Pflicht. Ich bin ein Deserteur
der österreichischen Armee.
LEUTNANT. Das heißt, Sie sind ein Gefangener,
der wie so viele hier frei herumgeht und auf eigene
Kosten lebt. Überdies sind Sie unbewaffnet. Ich habe
keinen Anlaß, von Ihrer Selbstanzeige Notiz zu nehmen.
MEDARDUS. Herr Leutnant, der Kaiser, in dessen
Namen und Auftrag Sie hier stehen, ist . . .
LEUTNANT. — in Schönbrunn, Herr Klähr.
Nur keine Torheit! Sie sind der einzige Sohn Ihrer
Mutter.
FRAU KLAHR. Und Sie, Herr Leutnant, selbst
ein Deutscher, Sie geben zu solchem Polizeidienst
sich her ? ! Ja, Napoleon weiß euch nach Verdienst zu
behandeln.
ESCHENBACHER. Schwester, der Herr Leutnant
tut seine Pflicht. Er tut nichts andres, als wir alle tun.
Und deine PfUcht, Medardus, ist es, deiner Mutter
zur Seite zu stehn, sie wird deiner bedürfen! — Lebt
wohl, ihr Guten! Ah mit Leutnant und Soldaten.
FRAU KLÄHR. Sie werden ihn erschießen.
ET ZELT. Ruhe, Frau Klähr, wir müssen überlegen,
was zu tun ist.
230
FRAU KLAHR. Wir haben keine Zeit... Ich
will zum Kaiser.
E7ZELT. Zu Napoleon — ? Was fäUt Ihnen ein,
Frau Klähr?
FRAU KLÄHR. Was gibt es andres? Ich will
hinaus nach Schönbrunn, es wird doch eine Möglich-
keit geben, einen Unschuldigen zu befreien? — Ich
werde den Major Trembly bitten, daß er mich be-
gleitet. Zur Tür link:.
ETZELT. Da drin liegt ein Toter, und der Major
Trembly ist eben fortgegangen, zur Parade.
FRAU KLÄHR. Ich werde ihn suchen. Ich werde
ihn erwarten. Und ihr beide versprecht, daß ihr nichts
unternehmt, eh' ich zurück bin. Nichts! — Es ist
doch nicht möglich, daß Jakob um unsertwillen . . .
Nein — das wäre doch — das kann doch der Himmel
— Ich will mich auf die Knie werfen vor dem Kaiser,
und wenn er gnädig ist, will ich ihm alles, alles ab-
bitten, was ich ihm jemals übles nachgesagt. Ab.
MEDARDUS. Wenn einer das Opfer sein soll, so
müssen sie doch mich annehmen. Sag' doch, Etzelt —
sie müssen doch . , .
ETZELT. Medardus, belüge dich nicht! Du ruhst
ja in deinem Glück! . . . was kümmert dich andrer
Schicksal ?
MEDARDUS. Etzelt...
Xtoeite Szene
Glacit. — Trüber Morgen. — Links, tueit hinten ein größeres Gebäude,
kasernenartig, großes Tor, in den rechten Flügel eingeschnitten eine
klein* Tür, beide praktikabel. — Rechts hinten die Bastei. — Frau4n
mit Einkauf körben, dann einige französische Soldaun passieren
vorüber. Endlich von links eine Bürgerwache, bestehend aus tinem
Korporal und zwei Gardisten.
Von rechts Herr Föderl und Frau Föderl.
FRAU FÖDERL. So muß man halt weiter fragen.
Zu aem Korporal. Ich bitte 8«"iir, ist Ihnen vielleicht be-
251
kannt, in welchem Gefängnis der Eschenbacher unter-
gebracht ist ?
KORPORAL. Eschenbacher . . . ?
FRAU FÖDERL. Der Sattlermeister. Gestern
haben sie ihn verhaftet.
KORPORAL. Warum denn?
HERR FÖDERL. Davon ist uns natürlich nichts
bekannt, nicht das geringste. Es ist vielleicht auch nur
ein Gerücht.
KORPORAL. Was halten S' uns denn dann auf?
Marsch. Ab mit den zwei andern. *
FÖDERL. O Gott, o Gott, wer weiß, was er an-
gestellt hat, der Eschenbacher. — Durch deine Fragerei
können wir noch in die ärgsten Fatalitäten kommen.
Was hast schon davon, wenn du weißt, wo sie ihn ein-
gekastelt haben ... da steht man auf um fünf in der
Früh', rennt in der ganzen Stadt herum . . .
FRAU FÖDERL. Wärst z' Haus gebUeben.
FÖDERL. Ja, wenn ich dich allein lass', haben s*
dich schon längst arretiert — bei deiner Unvorsichtig-
keit.
FRAU FÖDERL. Da kommt der Herr Berger, der
wird sicher was wissen.
BERGER kommt. Gutta. Morgen.
FRAU FÖDERL. Was ist denn mit dem Eschen-
bacher ?
BERGER. Böse G'schicht', böse G'schicht'. Ver-
botene Landkarten haben s' bei ihm g'funden, jetzt
wird ihm der Prozeß g'macht. Kann schhmm für
ihn ausgehn.
FRAU FÖDERL. Wo ist er denn?
BERGER. Unter strengster Bewachung, natürlich,
da drin, in der Gardekasern'. Heißt, wenn er noch dort
ist, man kann ja nicht wissen.
FÖDERL. Wie kommt er denn zu den Landkarten ?
BERGER. Ja, das is . . . ich hab' keine Ahnung.
Wahrscheinlich von früher her. Er hat sich ja immer
sehr für die Geographie interessiert.
232
ETZELT hmmU
BERGER. Na, wissen S* was Neues, Etzelt?
ETZELT. Seit einer Stunde ist der Medardus dort
drin.
BERGER. In der Kaserne?
ETZELT. Ja. Aber heraus kommt er nicht. Viel-
leicht haben sie ihn auch in Haft behalten.
FRJU FÖDERL. Den Medardus Klähr?
BERGER. Ja — warum ist er denn hineingegangen
in die Käsern' ? Das ist doch —
FRJU FÖDERL. Und wo ist die Frau Klähr . . . ?
ETZELT. Die ist gestern mittag fort von Haus
und nicht zurückgekommen.
FRAU FÖDERL. Ja, um Gottes willen, wo ist sie
denn hin?
ETZELT. Nach Schönbrunn ist sie hinaus.
FRAU FÖDERL. Zum Kaiser . . . ?
ETZELT. Was noch aus all dem werden soll, das
weiß der Himmel.
BERGER. Wenn man nur was tun könnt'! Meine
Frau ist noch die g'scheiteste. Die is in die Kirchen
gegangen beten.
FÖDERL. Wie kann man aber nur eine Land-
karten bei sich haben in so einer Zeit.
FRAU FÖDERL. Die arme Frau Klähr.
FÖDERL. Also willst du jetzt nicht nach Haus
kommen ? Man kann ja wirklich nicht wissen, was
g'schieht. Am End' halt man uns noch für Verschworne,
wie wir da beisammen stehn . . .
FRAU FÖDERL. Mach' was du willst, ich bleib' da.
Kreuzhaninger und Frau, ziemlich zerlumpt.
KREUZHART IN GER zu Etzelt. Ein Abgebrannter
tat' schön bitten.
BERGER. Ja, abgebrannt sind wir mehr oder
weniger alle.
KREUZHARTINGER. Seit drei Tagen haben
wir nichts gegessen.
BERGER. So, da haben S' ein Stückel Käs'. Wissen
233
S', Etzelt, ich hab* jetzt immer so was bei mir — wenn
man einmal zum Essen nicht nach Haus kam', man
weiß ja nie.
KREUZHARTINGER. Ich dank' halt recht schön.
ETZELT. Sie müßt' ich doch kennen. Ja, meiner
SeeP, Sie hab' ich ja g'sehn, wie Sie mit Ihrem Karren
in die Stadt hereingefahren sind!
KREUZHARTINGER. Ja, kann schon mögUch
sein, mir ist auch, wie wenn ich den Herrn kennen tat*.
ETZELT. Warum betteln Sie denn da? Warum
gehn S' nicht lieber zurück in Ihre Heimat?
KREUZHARTINGER. Wir sind ja schon daheim
gewesen, nur leider, daß inzwischen unser Haus nieder-
gebrannt worden ist. Is noch ein Glück, daß wir nicht
selber dringesteckt sind.
FRAU KREUZHARTINGER. Aber wir haben
noch ein Geld, ein Geld haben wir noch.
KREUZHARTINGER. Nur, daß wir's leider nicht
finden können. Wir haben's nämhch vergraben gehabt,
zweihundert Schritt weit von unserm Haus. Im Acker.
So genau haben wir's uns ausgeraessen! Und jetzt,
wie vni daheim waren, haben wir nachgegraben, drei
Tag' und drei Nacht'. Und fort war's.
BERGER. Ja, auf das Geld werden Sie kaum was
drauf geliehn kriegen.
FRAU KREUZHARTINGER. Und es glaubt'i uns
niemand, das ist das ärgste. Und wir sind doch ehr-
liche Leut'.
KREUZHARTINGER zu Föderl. Ein Abgebrannter
tat' schön bitten.
Der Korporal mit dm vier Mann und «wischen ihnen zwei Bettel-
leute.
KORPORAL. Heda, gebettelt wird nicht. Aber
zu verdienen gibt's was.
KREUZHARTINGER. Oh, das war' g'scheit.
KORPORAL. Freie Kost den ganzen Tag und ein
paar Glaserl Branntwein.
BERGER. Wo ist denn das ?
234
KORPORAL. Sie können auch mitkommen, wenn
Sie wollen, aber Sie müiien nicht. Der da muß, weil
er gebettelt hat. Vorwärts.
FRAU KREUZHART IN GER. Und ich?
KORPORAL. Für Weiber ist das Geschäft nichts.
Oder wollen S' helfen, Leichen auf den Friedhof
tragen ?
KREUZHART IN GER. Um Gottes wiUen, Leichen
soll ich tragen, das is nichts für mich. Ich tat' schön
um eine andre Arbeit bitten, wo mein Weib dabei
sein kann.
KORPORAL. Ah, für die findt sich schon noch wa«.
Is ja noch ganz sauber.
KREUZHART IN GER %u $einr Frau. Komm, wirst
gleich mitkommen.
Kreuxbartinger mit der Wacbe ab, seine Frau läuft nach der andern
Seite.
BERGER. Es ist eine traurige Zeit. Mein armes
Annerl, wieviel Leut' die jeden Tag sterben sieht. Hat
lie's nötig g'habt . . . ?
ETZELT. Und dazu läßt unsre Bürgerwache sich
gebrauchen. Ist das überhaupt noch miHtärischer
Dienst ?
BERGER. Jetzt müssen sie doch gar immer am
Abend ihre Waffen in den Zeughäusern abgeben.
Und in der Früh', da dürfen sie sich's schön wieder
abholen.
MEDARDUS kommt.
FRAU FÖDERL. Da kommt ja der junge Herr
Klähr.
ETZELT. Nun, — nun — ? — Was gibt's! —
MEDARDUS. Ich weiß nicht mehr als du. Ich
weiß nichts, gar nichts.
ETZELT. Du warst doch drin?
MEDARDUS. Ja, ich war im Kasernenhof, dort
haben sie mich warten lassen, eine Stunde oder zwei
Stunden, kein Mensch hat sich um mich gekümmert,
endHch ist ein Offizier heruntergekommen, sagt, es
»35
sei in der Sache Eschenbacher keinerlei Zeugenschaft
zu vernehmen, und setzt mich einfach wieder vor
die Türe . . .
ETZELT. Was kann das zu bedeuten haben? Was
kann indes geschehen sein?
MEDARDUS. Vielleicht ist er gar nicht mehr —
Vielleicht — Etzelt! — ist schon alles vorbei!
BERGER. Aber was fallt Ihnen ein — ? Sie machen's
doch öffentlich, schon wegen der abschreckenden Wir-
kung. Also . . vorbei — wie Sie sagen, kann'i nicht
sein —
MEDARDUS bauig. Und die Mutter ?
ETZELT. Sie war vor einer Stunde noch nicht
daheim.
MEDARDUS. Unbegreiflich. Wenn sie am Ende
doch verhaftet worden wäre . . .
FRAU FÖDERL. War' alles möghch. Ich möcht»
mich nicht wundern. Sie tun jetzt, was sie wollen,
diese Schurken.
HERR FÖDERL. Um Gottes willen, kannst nicht
das Maul halten.
BERGER. Nur Mut, Medardus. Wer weiß, viel-
leicht kommt die Mutter und bringt die Begnadigung.
Ich sag' immer, so ein Mensch wie der Napoleon
ist unberechenbar. Hab' ich Ihnen schon erzählt, daß
ich ihn gestern gesehn hab* ? Ja, bei der Parad'. Nicht
weiter als . . . na, nicht weiter als die zwei Weiber dort
vorübergehn. Zeigt auf diese. Gleich knapp hinterm
Kordon bin ich g'standen, und hart an dem Kordon
ist er vorübergeritten. Er sieht gar nicht so klein aus,
wie's immer heißt. Ich hab' ihn sogar reden gehört . . .
zu einem Adjutanten, nur leider . . . seinen Akzent
versteh' ich nicht recht ... es ist vielleicht, weil er
doch eigentlich kein gebürtiger Franzos' ist, sondern
aus Korsika . . .
FRAU FÖDERL. Also wie schaut er denn aus?
BERGER. Undurchdringlich. Eisern . . . Wie eine
Reiterstatue, nur daß er sich halt bewegt . . . Eine
236
Ruhe . . . Marmor! Aber ich glaub' ihm die Ruhe nicht.
Inwendig ist er schon aufgeregt. Hat auch allen Grund
dazu. Allen Grund.
ETZELf. Hören Sie, Herr Berger, was sind das
für geheimnisvolle Andeutungen.
BERGER leise zu Etzelt. Also ich hab' Ihnen doch
erzählt, es sind jetzt Nassauer bei uns einquartiert.
Sollten Sie's für möglich halten, daß die davon reden,
es ist ja eigentlich unglaublich, aber wahr ist es doch,
gestern abend haben sie mir's grad heraus gesagt, sie
möchten lieber mit uns als unsre Verbündeten kämpfen
wie auf französischer Seite. So wie ich da zu Ihnen
red', ganz gemütHch, haben sie mir das mitgeteilt
beim Nachtmahl. Das sind doch Anzeichen, nicht?
Da müssen sie doch eine Art von Rückhalt haben.
Das werden doch nicht nur die paar Nassauer sein, die
grad bei mir wohnen, die so denken und sich so zu
reden traun. Und wenn die Nassauer so denken . . .
80 werden die Sachsen und die Bayern . . .
Beritburg in ziemlich zerrissener österreichischer Uniform^ den Arm
in der Binde^ Stock in der Hand.
BERN BURG. Wenn die Herren mir vielleicht
freundhchst mit einem kleinen Darlehen behilflich
sein wollten, am liebsten in Gestalt von Eßwaren.
MEDARDUS. Bernburg . . .!
BERN BURG. Medardus! Ja, so sieht man sich
wieder! Ein sonderbares Schicksal, als Gefangener in
der eigenen Vaterstadt spazieren zu gehn . . . wie ?
Na, du wirst mir wohl auch manches zu erzählen haben,
Medardus — aber vorläufig hab' ich wirklich beträcht-
lichen Hunger. Die verdammten Kerle haben uns
ja aus dem Käfig nur herausgelassen, damit sie uns
nicht füttern müssen.
MEDARDUS. Du weißt, wo wir wohnen. — Geh
dorthin, da findest du hoffentlich irgend was Eßbares
. . . versprechen kann ich dir's nicht . . . Hier hast du
für alle Fälle . . . Gibt ihm Geld.
BERN BURG. Ich danke dir. Begleitest du mich ?
237
Ich fürchte nämlich, ich werde in meinem Aufzug
nicht sehr willkommen sein.
MEDARDUS. Ich kann jetzt nicht mit dir gehen.
BERN BURG. Warum so barsch ? Hast keine Ur-
sach' ! Du solltest doch freundlichst bedenken, daß ich
ja gewissermaßen das Schicksal erlebe, das vom so-
genannten Himmel dir zugedacht war . . . Wenn nicht
deine arme Schwester —
MEDARDUS. Nimm mir's nicht übel, Bernburg,
ich kann jetzt nicht mit dir gehn. Dort drin in der
Käsern' sitzt mein Oheim, der Sattlermeister Eschen-
bacher gefangen. Er wendet sieb ab.
BERN BURG. Willst du vielleicht warten, bis er
herauskommt? Na, es kommt drauf an, was er an-
gestellt hat.
BERGER zu ihm. Verbotene Landkarten hat man
bei ihm gefunden . . . Was glauben Sie . . .
BERNBURG. Warum tut er so was ... Da vnrd er
wohl erschossen werden. Ab.
Magistratsbeamter kommt. Bürgerwache begleitet ihn. Leute folge»
ihm, es sammeln sich später immer mehr um ihn.
BERGER. Was ist denn das?
ETZELT. Da wird zur Abwechslung wieder einmal
eine Proklamation verlesen.
MAGISTRATSBEAMTER liest. Seit einiger Zeit
hat ein Geist der Unruhe und der Unordnung das
Volk auf Abwege geführt. Dieser aufrührerische Geist
hat sich durch Zusammenrottungen aller Art geäußert,
österreichische Kriegsgefangene wurden auf dem
Durchmarsche gewissermaßen mit Gewalt befreit . . .
Kanonen, Waffen, Munition, Artillerie wurden noch
immer verborgen gehalten. Beschimpfungen, Provo-
kationen, tätliche Vergehungen, unvermeidliche Folgen
treuloser Aufhetzungen oder verbrecherischer Hoff-
nungen, bedrohten die Ruhe der Stadt — und die
Sicherheit der gutgesinnten Bürger; diese Sicherheit,
die man dem besondern Schutze des Kaisers und
Königs verdankt. Noch ist die Milde Seiner Majestät
238
nicht ermüdet, aber eine längere Straflosigkeit hätte
traurige Folgen haben können. Höchstdieselbe be-
fahlen daher, verwegenen Handlungen durch Beispiele
der Strenge Einhalt zu tun! Einwohner Wiens, euer
eigenes Interesse muß euch antreiben, treulose Rat-
schläge der Aufwiegler zurückzuweisen. Wachet selbst
mit größter Aufmerksamkeit über alle Übelgesinnten,
tragt das Eure zur Aufrechterhaltung der allgemeinen
Ruhe bei, und ihr werdet euch des Wohlwollens würdig
machen, das Seine Majestät der Kaiser und der König
immer geneigt ist, euch zu gewähren, und wovon er
euch bei so vielen Gelegenheiten so überzeugende Be-
weise gegeben hat.
Die Vorlesung wurde manchmal durch Murmeln der Zuhörer he-
gleitet. Wenn der Beamte geendet, bilden sich Gruppen^ die dit
Proklamation besprechen.
FÖDERL. Wirklich sehr schön ... Er redt doch
wie ein Vater zu seinen Kindern.
Die Leute «er streuen sich allmählich^ doch leert sich der PlaUs nicht
ganz.
FRAU KLAHR eilends, rasch zu Etzelt und Medardus.
ETZEL7. Da ist sie! —
MEDARDUS. Mutter!
FRAU KLÄHR. Lebt er noch! — Habt ihr ihn
gesehn ! — gesprochen f
MEDARDUS. Wir wissen nichts, Mutter. Nichts.
Man hat mich nicht zu ihm gelassen und mich nicht
angehört.
ETZELT . Aber es ist sicher noch nichts geschehen.
MEDARDUS. Woher kommst du, Mutter? er-
zähle doch.
Etzelt, Frau Föderl und Berger um Frau Kläbr, Herr Föderl aucb^
aber immer änzstlich, als geborte er eigentlich nicht dazu.
FRAU KLAHR. Ich komm' aus Schönbrunn. Der
Major hat mich hinausbegleitet. Er hat mich zum
General Rapp geführt, zum Adjutanten von Napoleon.
Dem hab' ich die Sache vorgetragen, die ganze Wahr-
heit hab' ich ihm gesagt, auf jede Gefahr hin für uns alle.
239
ETZEL1. Es war recht so.
MEDARDUS. Nun — ?
FRAU KLÄHR. Es war alles vergebens. Er hat
mich ruhig sprechen lassen, aber zum Kaiser hat er
mich nicht geführt. Er hat nicht dürfen, oder nicht
wollen. Ich weiß nicht. Aber ein Gesuch hab' ich
schreiben dürfen, in seinem Kabinett, und er hat mir
versprochen, es unter die Briefschaften des Kaisers
zu legen. Das war alles. Dann war ich entlassen.
MEDARDUS. Und wo warst du bis jetzt, Mutter?
FRAU KLÄHR. Draußen in Schönbrunn. Im
Hof. —
EIZELT: und FRAU FÖDERL. Die ganze Nacht ?
FRAU KLÄHR. Die ganze Nacht.
MEDARDUS. Ja, was hast du denn dort gemacht,
Mutter ?
FRAU KLÄHR. Ja . . . was denn ? Zu den er-
leuchteten Fenst-ern hab' ich hinaufgesehn — die
Musik hab* ich mir angehört.
E7ZELT. Musik — ?
BERGER. Natürlich, es war ja italienische Oper
gestern abend in Schönbrunn.
FRAU KLÄHR. Ich hab' auch die Gäste kommen
gesehn und wieder wegfahren, — und wie's ganz still
worden ist — nur die Wachen sind auf und ab gegangen
— hab' ich mich auf eine Bank gesetzt und gewartet.
Es hat sich niemand um mich gekümmert.
E1ZEL1 . Worauf haben Sie denn gewartet, Frau
Klähr?
FRAU KLÄHR. Worauf — ? Auf ein Wunder
wahrscheinlich! O Gott, war die Nacht lang! Aber
das Wunder ist nicht gekommen ! Ich hab' halt immer
gehofft, der Kaiser wird sich an einem Fenster blicken
lassen, und ich kann zu ihm hinaufrufen, oder er
schickt herunter und läßt fragen, was ich da will . . .
Wie lang war die Nacht, wie lang! . . . Endlich haben
die Vögel im Park zu singen angefangen, Offiziere sind
hereingeritten, ganz licht ist es geworden, und ich bin
Z40
noch immer dagesessen und hab' gewartet. Bis mir
plötzlich eingefallen ist, daß ja jetzt der Tag schon
wieder angefangen hat, der neue Tag — und während
ich da sitz' — und wart'
Das firoße Tor öffnet sieb. Jakob Eschenbacber, seine Gesellen:
Purkbart, Holzapfel und Kopp, eskortiert von ztcölf Soldaten. Vorn
der Leutnant, seitlicb der Trommler.
FRAU KLAHR scbreit auf Jakob . . .
ESCHENBACHER. Franziska . . . — ?
E7ZEL7. Vielleicht überführen sie ihn in ein andres
Gefängnis.
FRAU KLAHR. Herr Leutnant —
_ LEUTNANT. Was wollen Sie denn ? Ach ja, Sie
sind die Schwester. Wenn Sie noch ein paar Worte
mit ihm sprechen wollen, ich habe nichts dagegen.
Doch bitte ich Sie, sich zu beeilen.
FRAU KLAHR. Herr Leutnant, es liegt ein Ge-
such beim Kaiser . . .
LEUTNANT. Das ist schon erledigt — wie Sie
sehn, Frau Klähr.
FRAU KLAHR. Das ist ja nicht möglich. Er ist
ja unschuldig. Schuldig sind andre. Es wäre Ihres
Kaisers nicht würdig . . . Ich beschwöre Sie, Herr
Leutnant . . . Sie würden bereuen . . . Jeden Augen-
blick kann die Begnadigung da sein . . . Und dann . . .
LEUTNANT. Vorwärts. Mit der Eskorte ein paar ScbritU
weiter.
Es baben sich immer mehr Leute angesammelt.
FRAU KLAHR ibm nach. Jakob, warum sprichst
du kein Wort. Red' doch. Sieh, es sind hier so viele
Menschen, Wiener Bürger — wie du — sag' es ihnen
doch . . . daß du . . . daß wir — Sie werden es nicht
zulassen . . . «u dem Volk gewendet. Er ist unschuldig —
könnt ihr denn das ruhig mit ansehen! — Wiener!
Menschen . . .!
BERGER. Um Gottes willen, Frau Klähr . . . was
fallt Ihnen denn ein . . .
ESCHENBACHER bleibt stebu. Sei ruhig, Schwester!
Theaterstücke. IV, x6 Si,I
Es ist nichts zu ändern. Gib dich drein. Und was die
armen Teufel anbetrifft, — die zwei jungen sind ledig,
nur der Purkhart ist verwitwet. Nimm dich seiner
zwei Kinder an. — Leben Sie wohl, guter Etzelt.
Adio, Herr Berger! Was, es gibt halt immer was zu
sehn in der Zeit . . .! — Als sähe er Meiardus erst jetzt.
Grüß' Gott, Medardus! Werd ein Mann! —
FRAU KLÄHR. Bruder . . . Bruder . . .
LEUTNANT. Vorwärts — marsch!
Die Eskorte ab nach links. Einige folgert.
FRAU KLÄHR wiü nach.
MEDARDUS hält sie zurück.
WACHSHUBER unter den LeuUn an die Mauer gedrückt.
Man hört wie die Eskorte weiter marschiert, hört wie sie stehn bleibt.
ETZELT gewahrt Wacbsbuber^ auf ihn zu, drohend. Wachs-
huber!
WACHSHUBER angstvoll und frech. Was ist denn ? Was
ist denn ? Was wollen S' denn von mir ? Ich hab'
meinen Morgenstern pünktUch abgegeben.
Trommelwirbel. Kommandorufe^ undeutlich.
ETZELT fährt zusammen.
WACHSHUBER schleicht davon.
BERGER zu Etzelt. Der Wachshuber — ? Er soll
uns nicht auskommen! —
Entsprechende Spannung unter den Leuten, die hier zurückgeblieben
sind.
FRAU KLÄHR steht bewegungslos.
MEDARDUS. Mutter...
Eitu Salve.
Einige von den Anwesenden zucken zusammen, einige entfernen sich^
andre bewegen sich nach der Richtung, in der die Salve gefallen ist.
Irgendwo hört man schluchzen.
FRAU KLÄHR. Medardus — verstehst du das .. ?!
MEDARDUS verzweifelnd. Es ist nicht der Mühe wert
zu leben, Mutter.
ETZELT. Was ist denn das ? Die kommen ja zurück.
Dis Eskorte mit den drei Gesellen kommt zurück und marschiert ab.
Andre mit.
34a
BERGER. Herr Gott, wae die ausschaun.
FÖDERL zu seiner Frau. Also siehst, die drei hat ei
doch begnadigt.
BERGER. Die haben was mitgemacht! . . .
FRAU FÖDERL weint. Der arme Eschenbacher!
Die Leute stehen flüsternd ieisammen.
EIN JUNGER MENSCH eilt herbei. Der Kaiser
reitet über die Bastei.
EIN ANDRER kommt. Der Kaiser und die Generäle
kommen über die Bastei geritten.
Entsprechende Betoegung in der Volksmenge.
STIMMEN. Der Kaiser . . . Der Kaiser und die
Garden! Im Galopp reiten sie über die Bastei. Dort!
dort! dort! . . . Der Kaiser . . . Der Kaiser . . .!
Man siebt fern über die Bastei in einem Staubwirbel Reiter vorüber-
fogen, — Bewegung unter der Volksmenge^ manche laufen nach
rückwärts.
FRAU KLAHR starrt auch nach der Bastei x«, mit einem
Blick auf Medardus. Medardus . . .
MEDARDUS. Es ist der Mühe wert zu leben,
Mutter!
FRAU KLÄHR siebt ihn an.
MEDARDUS ergreift ihre Hand.
Dritte Szene
Friedhof, anderer Teil als im ersten Akt. — Nacht, — An einem
offenen Grab stehen Frau Kläbr, Medardus neben ihr, Etzelt, Herr
Berger, Frau Berger, Frau Föderl, Herr Föderl, Schreubler, Bradl,
die Gesellen Eschenbachers und verschiedene andere Leute, die im
Dunkel verschwinden. Die Szene ist durch zwei Fackeln beleuchtet.
Später, wenn sieb die Fackelträger entfernen, ist es auch nicht ganz
dunkel, da allmählich das Morgengrauen eingetreten ist.
FRAU KLÄHR wirft eine Erdscholle tns Grab.
MEDARDUS tut dasselbe.
ETZELT dasselbe.
Diese alle stumm.
SCHREUBLER eine Scholle ins Grab werfend. Fahre Wohl,
Jakob Eschenbacher.
M3
EIN GESELL. Ruhe sanft, lieber, guter Meister.
BERGER. Du hast dein Vaterland geliebt, fahre
wohl.
FRAU FÖDERL. Ja, das ist ein Mann gewesen! . . .
Man hört einige schluchzen.
HERR FÖDERL zu seiner Frau. Jetzt gehn wir aber
endlich nach Haus. Es ist doch kein so gemütlicher
Aufenthalt, besonders um diese Zeit.
SCHREUBLER. Das ist auch wieder so eine über-
flüssige Sekatur. Wenn sie einem schon die Erlaubnis
geben, vierzehn Tag' nach der Exekution, daß man ihn
auf den Friedhof überführt, warum muß es denn grad
um ein Uhr in der Nacht geschehn . . . ?
BRADL. Sie haben halt Angst gehabt, daß es am
End' doch zu was kommen könnte, wenn das Begräbnis
bei hellichtem Tag stattgefunden hätte. Darum darf
ja auch nicht gesprochen werden am Grab.
BERGER. Ja, seit Aspern sind sie ein bissei dasig
geworden, die Herrschaften.
SCHREUBLER. Ihre Wut lassen s' aus an uns . . .
FÖDERL. Ja, da ist schon was dran! Bei uns
logieren zwei Kürassieroffiziere vom Massena. Vor
Aspern waren's vier! — Das sind soweit ganz beschei-
dene, liebenswürdige Herren gewesen. Jetzt kann
man ihnen nichts mehr recht machen. Kaum daß sie
einen noch grüßen. Ich kann doch, meiner SeeP, nichts
dafür, daß wir bei Aspern gesiegt haben.
FRAU FÖDERL. Dummkopf.
FÖDERL. Du, das möcht' ich mir verbitten — am
Friedhof.
DIE STIMME EINES MENSCHEN der rückwärts am
Grabe steht. 7m diesem Grabe werden die Wiener wall-
fahrten kommen.
Bewegung.
EIN ANDERER im Dunkel. Wenn das Joch von
uns genommen ist, wollen wir dir eine Feier veran-
stalten, Jakob Eschenbacher, wie sie die Welt noch
nicht gesehn hat.
244
FERTRJUTER tritt zu ihm .hin. Ruhe! Es ist ver-
boten, an diesem Grabe Reden zu halten. Ich ersuche
die Anwesenden, sich sofort und lautlos zu entfernen.
Murren.
HERR FÖDERL zu uina- Frau. Komm doch.
FERTRJUTER. Ich ersuche nochmals, sich laut-
loc zu entfernen.
Die Leute beginnen aUmäblicb sieb zu entfernen.
FERTRJUTER zu Frau Kläbr, die regungslos an dem Grabe
tubt. Sie, Frau, haben Sie nicht verstanden ?
MEDARDUS. Wagen Sie es nicht, meine Mutter
zu berühren.
FERTRJUTER. Das geht mich gar nichts an, ob
das Ihre Frau Mutter ist. — Man entferne sich lautlos.
ETZELT zum Vertrauten. Das ist die Schwester von
Jakob Eschenbacher! Lassen Sie sie doch in Frieden!
Achten Sie die Heiligkeit des Ortes. Sie sehn ja,
daß die Leute sich in Ruhe entfernen. Warum wollen
Sie sie reizen? Das könnte Folgen haben, die Ihnen
von Ihrer vorgesetzten Behörde sehr übel genommen
werden könnten.
FERTRJUTER eingescbücbtert^ aber frecb. A was ! A was I
SCHREUBLER. Ich an Ihrer SteU', ich tat' mich
jetzt selber empfehlen. Ihre PfHcht haben Sie erfüllt.
FERTRJUTER. Man entferne sich lautlos ! Laut-
los und sofort ! Er sf riebt diese fForte, während er sieb scbon
selbst entfernt.
FÖDERL zu seiner Frau. Also mach' du, was du
willst. Ich geh'. Ich bin's überhaupt satt, immerfort
Obacht zu geben, daß sie dich nicht am End' noch
einsperren.
Es bleiben zurück: Frau Kläbr^ Medardus^ Etzelt, Berger^ Frau
Berger^ Scbreubler^ Bradl^ Frau Föderl.
BERGER. Aber wahr bleibt's doch: Daß man zu
dem Grab da wallfahrten wird, später einmal.
FRAU FÖDERL. Ein Monument muß man ihm
setzen! —
FRAU KLAHR. Es liegt wohl schon zu viel Erde
HS
auf dem Grab, sonst möchten wir ihn lachen hören.
Der Jakob und ein Monument! ....
BERGER. Ah, sagen S' das nicht, Frau Klähr.
Wenn's dann dasteht so aus Marmor und für die Ewig-
keit, da freut's einen schon. Die Überlebenden mein*
ich natürlich.
SCHREUBLER. Als Inschrift müßt' man setzen:
Ein Opfer französischer Willkürherrschaft.
FRAU KLÄHR. Das war' ganz schön, aber voll-
ständig wär's nicht . . . Wenn sie vollständig war*, die
Inschrift ... da könnten sich manche Leute in Wien
beleidigt fühlen.
BERGER. Ja, das ist wahr! Unser Herr Bürger-
meister hätt' schon das Maul aufmachen können. Be-
sonders nach Aspern hätt' er sich schon trauen dürfen !
. . . Wenn der Herr Bürgermeister selber nach Schön-
brunn gefahren war' zum Napoleon, das hätte schon
eine Wirkung gehabt.
SCHREUBLER. Was glauben S' denn ? Vor vier
Jahren hat er ja einen Orden gekriegt vom Kaiser
Napoleon. Diesmal tragt's wohl wieder einen — das
ist doch die Hauptsach',
BRADL. Aber meine Herren, es hätte ja nichts
genützt. Auch wenn er persönlich in Schönbrunn
vorstellig geworden wäre.
BERGER. Das kann man nicht wissen. Besonders
jetzt. Der Napoleon ist auch nimmer derselbe, der
er gewesen ist. Haben S' nicht die Geschieht' mit dem
Reich gehört, die neulich passiert ist ?
SCHREUBLER. Die G'schicht' vom Reich wollen
S' uns erzählen ? Die is doch kein Geheimnis mehr.
FRAU FÖDERL. Was ist's mit dem Reich? Ist
das der Seidenhändler Reich ?
BERGER. Ja, der schöne Reich, wie man ihn heißt,
der auch Hauptmann bei der bürgerhchen Garde ist.
Sie wissen doch, Frau Klähr, daß der Napoleon in seiner
Suite auch immer einige von der Bürgergarde mit-
reiten laßt, die er sich natürlich speziell aussucht.
246
i
FRAU KLAHR. Warum sucht er sie sich au«?
Er könnte sein Haupt ruhig in den Schoß von jedem
Wiener Bürger legen. Kein Haar würde ihm ge-
krümmt werden.
BERGER. Also vorgestern reiten sie alle auf der
Chaussee von Mariahilf nach Schönbrunn, grad zurück
von einer Parade.
Fernes Kanonendonnern.
BRADL. Was ist denn das?
SCHREUBLER. Das Geräusch kommt mir be-
kannt vor.
BERG ER. Ich hab' mir aber gedacht, es wird nicht
lang Ruh' bleiben.
BRADL. Vorgestern haben sie auch geschossen.
Aber es hat gleich wieder aufgehört.
BERGER. Soll auch nichts Besonders gewesen sein.
Die Franzosen sind nur beim Brückenbau ein bissei
gestört worden.
ETZELT. Ja, das genügt unsern Ansprüchen nicht
mehr. Unter einer Schlacht mit dreißigtausend Ge-
fallenen macht uns der ganze Krieg keinen Spaß, was,
Herr Berger?
BERGER. Ah, Herr Etzelt, das ist nicht schlecht.
Es scheint, Sie treten die Erbschaft von unserm armen
Eschenbacher an ?
FRAU FÖDERL. Sie haben vom schönen Reich
was erzählen wollen, Herr Berger.
BERGER. Also vorgestern reiten sie alle auf der
Chaussee von Mariahilf nach Schönbrunn, der Napo-
leon mit seiner Suite . . . und es ist ein fürchterlicher
Staub, und der Kaiser winkt zu seinen Begleitern, daß
sie ein Stück zurückbleiben sollen. Aber das Pferd vom
Reich, es muß hartmäulig gewesen sein, das laßt sich
nicht halten und schießt an den Marschällen vorbei
grad auf den Kaiser zu und rennt ihn an. Und da soU
der so erschrocken sein, daß er mit seinem Schimmel
einfach davon gerast ist. Erschrocken! der Napoleon!
SCHREUBLER. Na ja, man kann sich denken, was
H7
ihm in dem Moment für Gedanken durch den Kopf
geschossen sein mögen.
FRAU KLAHR. Freilich hat er nicht gleich auf
den Einfall kommen können, daß das Roß klüger war
als der Reiter.
FÖDERL. Um Gottes willen, Frau Klähr.
SCHREUBLER. Passen S' doch auf, Frau Klähr.
FRAU KLAHR. Ich kann's nun einmal nicht be-
greifen. Es gibt doch so viele, die überhaupt nichts
zu verlieren haben, — denen an ihrem eignen Leben
wenig liegt — oder gar nichts, — und nicht Einer, —
nicht Einer, der es einsetzen möcht' für so Ungeheuern
Gewinn !
ETZELT. Es wäre Mord, Frau Klähr!
FRAU KLAHR. Es wäre Gericht! —
EIZELT. Gericht? Wer dürfte sich vermessen?
FRAU KLAHR. Das Urteil über ihn ist längst
gesprochen. Wer die Sendung in sich fühlt — darf
es vollführen.
Sie geben allmäblicb.
Kanonendonner^ der immer stärker wird.
SCHREUBLER. Diesmal scheint's aber ernst zu
werden.
FRAU FÖDERL. Gott geb's! Es war doch die
ganze Zeit, wie wenn ein Wetter am Himmel stund' !
BRADL. Ja, jetzt naht vielleicht die Entscheidung!
BERGER. War vorauszusehen. In den letzten
Tagen sind eine Masse neue Regimenter durch die
Stadt marschiert . . . Sachsen und Bayern haupt-
sächlich . . . lauter Kanonenfutter! Von denen kommt
keiner wieder!
BRADL. Woher wdssen Sie denn das so bestimmt!
BERGER. Aber das ist ja bekannt! Die fremden
Truppen, die, was keine Franzosen sind, die schickt
er ja immer ins vorderste Treffen.
FRAU FÖDERL. Geschieht ihnen recht ! Deutsche,
die gegen Deutsche ins Feld ziehen, vcrdienen's nicht
besser.
24ß
SCHREUBLER. Was die armen Teufel dafür
können!
BERGER. Mein armes Annerl — die wird jetzt
wieder zu tun kriegen. Ich werd' einmal schaun, ob s'
einen nicht vielleicht auf den Stefansturm hinauf-
lassen.
AlU ab außer Medardus.
MEDARDUS dUin. Vergib mir, guter Oheim —
ich habe keine Tränen für dich; so tiefen Sinnes voll
scheint mir der Tod, den du sterben mußtest . . . Mir
ist, als hätten unbekannte Mächte mich bis heut
durch einen rätselhaften Dämmergang getrieben, wo
irrende Spukbilder mir immer von neuem einen letzten
Sinn des Daseins vorlogen. Und jetzt, erst jetzt, da
die Zeit für meine Tat reif ward . . . darf ich ins Freie
treten, und der ewige Himmel wölbt sich über meinem
auserkorenen Haupt. Ich dank' euch, ihr unbekannten
Mächte . . . Er toill geben.
Medardui. Heleiu tritt ibm entgegen,
MEDARDUS. Was geistert hier um die Grab-
steine — ! Wie, Helene — ? Du suchst mich hier . . .
Vergib, daß ich nicht Abschied nahm von dir. Mir
war, als hätt* ich' dir's nicht erst sagen müssen : Unsere
Zeit ist um . . .
HELENE. Hältst du mich für eine, die ungetreuen
Liebhabern auf den Friedhof nachläuft ? . . . Ich weiß
wen du heute hier begraben hast, Medardus.
MEDARDUS. So sei für dein Mitgefühl bedankt
und lebe wohl! —
HELENE. Danke mir nicht . . . Nicht um dir meine
Teilnahme kund zu tun, bin ich hierher gekommen.
Daß sie deiner Mutter den Bruder umgebracht
haben, kümmert mich so wenig ... als dich das Los
eines vertriebenen Herzogs von Valois . . . Ich weiß
es wohl. Unsere Leiden sehen einander mit fremden
Augen an. Aber unser Haß, Medardus, deiner und
meiner, die sind blutsverwandt — und könnten sich
Tcrstehn, denk' ich
H9
MEDARDUS. Auch meinem Haß steht Einsamkeit
besser an.
HELENE. So lang er blind in ein sinnloses Dunkel
starrt . . . aber ich will ihn sehend machen! Nimm
dieses Blatt, Medardus!
MEDARDUS. Was soll mir dieses Blatt . . .
Ferner Kanonendonner.
HELENE. Es ist wie geschrieben, um im Morgen-
grauen dieses Tages gelesen zu werden . . .
MEDARDUS liest. „Wir sollen hier in Paris den
Anfang machen — ? Das können wir nicht. Das würde
uns verderben. Und Euch. Zuerst muß die Arbeit
getan sein, auf die es vor allem ankommt, und die
muß an Ort und Stelle getan werden. Gibt es keine
Männer in Wien ? Wenn Ihr nur zwölf entschlossene
habt, so erdrosselt ihn in seinem Bett, werft ihn in
einem Sack ... in die Donau ..."... Ihn — f
HELENE. Ihn.
MEDARDUS liest weiter. . . . „Dann ist alles gut;
das übrige gibt sich von selbst . . . Aber schiebt e«
nicht zu lange auf. Sonst könnt' es zu spät werden" . . ,
Was soll mir dieser Brief ? Er ist doch wohl an dich! . .
HELENE. Auch nicht an mich ... An den Marquis
von Valois . . .
MEDARDUS. Und in deinen Händen... Wer
bracht' ihn dir ... ?
HELENE. Laffraye, des Marquis bester Freund . . .
Heut nacht ... In der gleichen Stunde verschwand
er wieder . . . Wenn ich an Wunder glaubte — so
glaubt' ich, er fände sich lebendig wieder dahin zurück,
woher er gekommen. Aber ich glaube nicht an Wunder.
MEDARDUS. Wer schrieb diesen Brief?
HELENE. Kennt' ich Laffraye nicht, so hielt' ich'«
für die frechste der Lügen; aber da Laffraye der ehr-
lichste Mann ist, muß es wohl wahr sein: Fouch6
schrieb ihn an meinen Gatten . . . Fouchi . . . der
Polizeiminister von Paris.
MEDARDUS. Für mich ist er nicht bestimmt . . .
«5«
HELENE. Für einen, den zu wählen mir freistand
— Und gibt es einen heut in dieser Stadt . . . der ihn
mit den rechten Augen zu lesen verstünde, so bist
du's — Medardus!
MEDARDUS. Er kümmert mich nicht ... Ich
versteh' ihn nicht. Es ist eines Schurken Brief — will
mir scheinen. Wül geben.
HELENE seinen Arm ergreifend. Du hast recht, Me-
dardus ! — Wie es in diesem Brief gesagt ist . . .
riecht's nach der dürren Phantasie eines Feiglings . . .
Zwölf entschlossene Männer . . . Ein wahrhaft ent-
schlossener möchte nicht mit elf andern sich in einen
Ruhm teilen, den er sich allein verdienen könnte . . .
MEDARDUS. Nimm deinen Brief wieder ... Er
aill geben, bleibt aber, von ihren Worten immer fester gebannt.
HELENE. Was soll ich mit ihm ? Zerreißt ihn. Keinem
andern wird er jemals vor Augen kommen. Jagt er
deinen Haß nicht auf, so hat er geringere Kraft,
als ich ihm zutraute . . . Oder bist du wie die an-
dern alle in dieser erniedrigten Stadt, ohne Mark
und ohne Galle? Es kann nicht sein, Medardus! Ich
hielt dich in meinen Armen. Und sind auch die
Nächte dahingeweht, von deren Duft unsere Lippen
noch feucht sind — wer du bist, hab' ich nicht ver-
gessen. Hörst du mich, Medardus ? — Gewiß, es könnte
auch übel ausgehen, aber denkst du, ich ließe dich dann
in Stich? Du sollst ein Zeichen bei dir tragen, das
mich zugleich mit dir verriete und uns gemeinsam
dem Blutgericht überlieferte. Ist dir dein Leben
teurer ab mir? Ich kann's nicht glauben. — Aber
wenn's gelänge, Medardus, wenn's gelänge! — Ein
furchtbarer Bann wäre von der Welt genommen, und
dein wäre der Ruhm. Dein, Medardus, hörst du
mich } da er noch immer wie erstarrt dasteht. Und noch
eins, Medardus — — bedenke, für wen du's voll-
brächtest.
MEDARDUS. Für wen ich — ?
HELENE. Am Tage drauf — bedenk' es, gehörte
351
den Valois die Klrone von Frankreich. Und die Valois,
Medardus, die Valois, die wissen gut zu lohnen, was
man für sie getan.
MEDARDUS wie getroffen vor ihr »urückweicbend. Zu
lohnen ? Und darum glaubst du — ? mich zu kaufen,
dachtest du — ? einen Mörder aus mir zu machen im
Solde der Valois ? — Du aus mir ? Doch warum staun'
ich! — was hast du schon alles aus mir gemacht.
Könnt' ich dir anders erscheinen ? . . . Oh, meine Tat !
Er gebt verstört.
HELENE ihm nachsehend. Sollt' ihm der Gedanke so
fern gewesen sein ? Oder war er ihm so nah ...?!...
Wie immer, der ist mir verloren. Ihre Hände betrachund,
mit einem seltsam verlorenen Lächeln. SoUt' es nun euch
aufbewahrt sein, — hochmütig mörderische Finger?
Sie bleibt stehen.
Ferner Kanonendonner.
Vorbang.
FÜNFTER AUFZUG
Erste Szene
Garten beim Herxcg.
jiSSAhAGNT" auf einer Bank in einem Buch lesend.
NERIN A kommt eben vorbei.
ASSALAGNT. Guten Morgen, mein Kind!
NERIN A. Guten Morgen!
ASSALAGNr. Wird die Frau Marquise bald sicht-
bar sein ?
NERIN A. Es wird noch eine Weile dauern. Wir
sind heute nacht spät aus Schönbrunn nach Hause
gekommen.
ASSALAGNT. Du hast dich wohl wieder recht
gelangweilt da draußen, wie gewöhnlich, armes Kind . ,
NERIN A. Das hab' ich nicht, Doktor Assalagny.
ASSALAGNT. So ließest du dir wohl im Vorsaal
von den wachhabenden Offizieren den Hof machen ?
NERIN A. Ich blieb diesmal nicht im Vorsaal, Dok-
tor Assalagny. Ich durfte dem Konzert auf der Galerie
beiwohnen. Jawohl, Herr Doktor, ich hatte meinen
Platz unter lauter vornehmen Damen und Herren.
Und ich habe den Kaiser gesehn.
ASSALAGNT. Wahrhaftig?
NERIN A. Als ich in den Saal kam, war er noch
nicht da. Es waren nämlich Gesandte bei ihm aus dem
österreichischen Hauptquartier,
ASSALAGNT. Der Fürst Lichtenstein — ?
NERIN A. Ja, den Namen hört' ich auch nennen.
ASSALAGNT. Nun dauert's wohl nicht lange mehr
und der Friede ist da.
NERIN A. Davon sprachen auch alle Leute um
mich herum — bis es plötzlich still wurde, — toten-
still. Alle erhoben sich mit einem Male, und der Kaiser
war da. Bei Gott, ich wußte nicht, wo er herein-
gekommen war, ob von rechts, ob von links, — auf
einmal war er da, setzte sich vorne hin, ganz allein
253
auf einen Armsessel, unter den ein Teppich ge-
breitet war, und gleich verlöschten alle Lichter, nur
die an den Musikpulten, die brannten weiter. Und
dann kamen die Sänger und die Sängerinnen, und
ein Herr spielte Klavier, aber wenn Sie mich fragen,
ich weiß nicht, wie die Musikanten aussahen und ob
sie ihre Sache gut gemacht haben oder schlecht.
Denn ich mußte immerfort nur ihn ansehen. Ganz
regungslos saß er da. Denken Sie, er applaudierte auch
nicht ein einziges Mal. So tat es auch kein anderer
im Saal. Und als das Konzert zu Ende war, stand er
auf. Alle Lichter brannten plötzlich wieder, und nun
sah ich auch sein Gesicht. Nein, was hat der Mann
für Augen! So hielt ich mir immer die Hände vor die
Stirn, um nur gleich meine Augen verdecken zu können,
wenn er etwa einen Blick heraufwerfen sollte. Denn
ich habe nie so furchtbare Augen gesehen. Und als
er nachher mit einigen Damen und Herren sprach,
sah ich wohl, daß sie alle vor diesen drohenden Augen
zitterten und sich nur jeder in acht nahm, der andre
sollte es nicht merken.
ASSALAGNT. Und sprach der Kaiser auch mit
der Frau Marquise ?
NERINA. Ja. Zuletzt. Aber länger, viel länger
als mit den andern.
ASSALAGNT. Und die Marquise zitterte auch?
NERINA. O nein, sie nicht. Sie war ganz blaß,
aber sie zitterte nicht. Und nachher blieb sie ganz
regungslos stehn, wahrlich, wie verzaubert ... als er
sich von ihr abgewandt hatte und den Saal verließ.
Und denken Sie, Doktor Assalagny, da merkte ich, daß
in ihren Augen ganz derselbe drohende, starre Glanz
war wie in denen des Kaisers. Als wenn sie Geschvdster
wären. Ist es nicht sonderbar?
ERSTER DIENER kommt rasch aus dem Hause. Die Frau
Herzogin begibt sich soeben in den Garten,
ASSALAGNT steht auf. Wie ?
DIENER. Es ist, wie ich sagte, Herr Doktor. Die
m
Herzogin hat ihr Zimmer verlassen und kommt in den
Garten herunter.
ASSALAGNT. Was hat das zu bedeuten?
NERINA. Zum erstenmal wieder seit drei Monaten !
ZWEITER DIENER kommt rascb. Die Frau Her-
zogin !
ASSALAGNT. Geht! Geht! Ich werde sie hier
erwarten.
Dit andern bleiben stehen^ bis aie Herzogin kommt. Dann verbeugen
iie sieb tief vor ihr und geben,
Assedagny. Herzogin.
HERZOGIN aus dem Gartensaal, in tiefer Trauer.
ASSALAGNT" ibr entgegen, verbeugt sieb tief.
HERZOGIN in höchster Erregung. Was ist geschehen,
Doktor Assalagny ? Sollen die Valois wieder einmal
davongejagt werden ?
ASSALAGNT. Frau Herzogin —
HERZOGIN. Eben stand der Herzog in meinem
Zimmer. Eine Botschaft von größter Wichtigkeit sei
zu erwarten. Ich sollte mich zur Reise bereit halten.
Was ist das für eine Botshcaft, die der Herzog er-
wartet ?
ASSALAGNT. Keineswegs die Verweisung aus
österreichischen Landen, wie die Frau Herzogin zu
befürchten scheinen. Es könnte wohl auch eine
Botschaft sein, die einem Ruf in die Heimat gleich
käme.
HERZOGIN. In die Heimat? Nach Frankreich?
Sind Nachrichten vom Marquis gekommen ?
ASSALAGNT. Vom Herrn Marqviis und seinen
Freunden fehlt leider jede Kunde, seit sie Wien ver-
lassen haben.
HERZOGIN. Ist Napoleon tot?
ASSALAGNT. Er lebt, Frau Herzogin.
HERZOGIN. Ist er besiegt?
ASSALAGNT. Er ward es, ein einziges Mal.
Wenige Wochen darauf war der Sieg wieder sein: und
er hat sich ihn nicht mehr entreißen lassen. Oster-
t55
reich ist geschlagen, Frau Herzogin. Seit geraumer
Zeit schon ruhen die Waffen. In den nächsten Tagen
soll der Friede unterzeichnet werden.
HERZOGIN. Und trotz alledem — erwartet der
Herzog eine Botschaft, die einen Ruf nach Frankreich
bedeuten könnte ?
ASSALAGNT. Sie wird nicht ausbleiben, Frau
Herzogin, so wenig wie andere ausgeblieben sind, die
den Herrn Herzog diese neueste Nachricht erwarten
und vorhersehen lassen.
HERZOGIN. Andere ? Welche ? . . .
ASSALAGNT mit EnuMuß. Frau Herzogin, ein ge-
treuer Diener steht vor Ihnen, zugleich Ihres Danks
und Ihrer Verzeihung gewärtig.
HERZOGIN. Was hab' ich zu verzeihen, was zu
danken ? Sie werden sich endlich erklären müssen,
Assalagny!
ASSALAGNT bestimmter. Es war ärztlicher Kunst
versagt, Frau Herzogin, dem wahnbefangenen Geist
des Herzogs Erleuchtung, dem gebrechlichen Körper
neue Lebenskraft zu bringen. Ihr blieb eine einzige
Möglichkeit — doch zugleich damit eine einzige
Pflicht: auf die lechzenden Lippen eines Verlorenen
den milden Trank der Hoffnungen und Träume zu
träufeln.
HERZOGIN. Assalagny! Träume — ? . . . Hoff-
nungen! ? . . . Lügen also! Ein so frevelhaft ver-
wegenes Spiel treiben Sie mit des Herzogs von Valois
erlauchtem Haupt ?
ASSALAGNT ganz fest. Trieb der Himmel ein
anderes, Frau Herzogin ? Und er trieb das seine grau-
sam und ol.ne Zweck. So muß er sich's schon gefallen
lassen, daß es ihm von irdischen Händen entwunden
wird.
HERZOGIN. Und Sie merken nicht, Assalagny,
daß der Himmel, mächtiger als Sie, eben daran ist,
Ihnen das Spiel wieder zu entreißen ? — Haben Sie
mich denn nicht verstanden? Der Herzog war eben
256
bei mir! Wie im Wahnsinn leuchten seine Augen. Die
Unruhe jagt ihn durchs ganze Haus, treppauf und trepp-
ab. Auf die Dauer wird seine Ungeduld nicht zu be-
schwichtigen sein. Was soll weiter geschehen, Assalagny ?
ASSALAGNT. Ich denke, Frau Herzogin, man
wird Sorge treffen müssen, daß der Reisewagen recht-
zeitig zur Stelle sei.
HERZOGIN. Wie weit denken Sie den Spott zu
treiben, Assalagny? Haben Sie etwa die Absicht, den
kranken, blinden Herzog im Kreise herumfahren zu
lassen, tagelang, nächtelang ? Und ihm am Ende vor-
zulügen, er halte am Eingang zu den Tuilerien ?
ASSALAGNT. Sie verkennen mich, Frau Herzogin.
Der Wagen soll den Herzog in der Tat nach Frankreich
bringen. Freilich nicht nach Paris und vors Tor der
königlichen Residenz. Aber an die schönen Ufer der
Loire zu dem Schlosse der Valois . . . Und ich denke,
Frau Herzogin, Sie werden mit der Lösung nicht
unzufrieden sein.
HERZOGIN. Was bedeutet das alles, Assalagny?
ASSALAGNT. Nichts anderes, Frau Herzogin,
als daß die Frau Marquise sich gestern zu dem Hof-
konzert nach Schönbrunn begeben hat mit der Ab-
sicht, beim Kaiser Napoleon für den Herzog und die
Herzogin von Valois die Bewilligung zur Rückkehr
nach Frankreich zu erbitten.
HERZOGIN. Assalagny, ich verstehe nicht — !
beim Kaiser — ? — Und es wäre möghch . . . !
ASSALAGNT. Es wird mögUch sein. Einer Dame,
die in so hoher Gunst bei ihm steht, wie die Frau
Marquise, wird der Kaiser der Franzosen eine solche
Kleinigkeit nicht verweigern.
HERZOGIN versubend. Assalagny! Ich bin eine
Frau ! Und der Herzog ist blind und krank — und der
Marquis ist weit!
ASSALAGNT. Auch der Marquis wird sich in
Umstände zu fügen verstehen, die ihm, wie wir hoffen
wollen, das Leben gerettet haben.
TheaterstOoke, IV, 17 257
HERZOGIN aufs TiejsU erschüttert. So also endet
der hohe Traum des Herzogs von Valois.
ASSALAGNT etwas erstaunt. Noch liegt die Zeit
nicht weit zurück, Frau Herzogin, da Sie selbst den
Herzog anflehten, einen Traum aufzugeben, der die
Bürde, die Gefahr und die Heimatlosigkeit Ihres
Daseins bedeutete.
HERZOGIN. Und doch war er unsres Geschlechtes
letzter und edelster Besitz! Nun freilich ist er nichts
andres mehr als ein Spielball in den Händen von
Dienern und Dirnen —
Helene tritt auf.
HELENE. Meine Mutter! — Sie eilt auf sie zu.
HERZOGIN spricht weiter zu Assalagny und Helene. So
führt denn zu Ende, was ihr begonnen! Begleitet
den Herzog nach Frankreich . . . mietet Pöbelhaufen,
dem Narrenkönig zuzujubeln auf seinem Weg . . . und
setzt am Ende eine Messingkrone auf sein unglück-
seliges, geschmähtes Haupt! Ich werde von all dem
nichts mehr hören und nichts sehen . . . Ich bleibe
hier, in meines toten Sohnes Nachbarschaft. Tiefer
begraben als er sind die andern alle, die einstmals mein
gewesen sind. Meines Gatten Grab ist der Hohn
und — meiner Tochter Grab die Schande. Haben Sie
Dank, Assalagny — ich bin nun satt von Neuigkeiten
für den Rest meiner Tage. — Sit gebt.
HELENE. Mutter!
Assalagny. Helene.
HELENE auf Assalagny zu. Was haben Sie meiner
Mutter erzählt?
ASSALAGNY. Es ließ sich nicht aufschieben.
Der Herr Herzog glaubt die Stunde nah, in der man
ihn nach Frankreich zurückberufen würde . . . Und
er drang in die Herzogin, sich zur Reise zu rüsten . . .
Ich war genötigt, Aufklärungen zu geben . . .
HELENE. Und mich als Ihre Verbündete zu
nennen ?
ASSALAGNT. Ich hatte allen Anlaß — Sie dafür
«S8
zu halten, Frau Marquise . . . Wollen Sie mich im
letzten Augenblick im Stiche lassen — ? — Mit steigender
Unruhe. Gestern abend noch, Frau Marquise, waren
Sie entschlossen, beim Kaiser die Genehmigung zur
Rückkehr Ihres Vaters nach Frankreich zu erbitten.
Ist es nicht so ? Sie haben ihn gebeten, gewiß ! Warum
sollten Sie nicht? Ich weiß es ja, Sie sprachen mit
dem Kaiser . . .
HELENE. Ich bat ihn nicht. Ich sprach ihn nicht.
Er sprach allein. Und was er sprach, war gemacht,
mir alle Worte in der Kehle zu ersticken.
ASSALAQNT. Sie hatten keine Möglichkeit, Frau
Marquise, Ihre Bitte vorzubringen?
HELENE. Nein. Mit Hohn. Ich hatte keine Mög-
lichkeit . . . Napoleon hätte meine Bitte erkannt als
das, was sie wirklich zu bedeuten hatte.
ASSALAGNT. Was sie zu bedeuten hatte?
HELENE. Als einen Versuch, den Herzog von
Valois auf dem geradesten Weg nach Frankreich —
in die Arme seiner Getreuen zu führen.
ASSALAGNT. Eines solchen Versuchs, Frau Mar-
quise, hätte der Kaiser Sie verdächtig halten sollen ?
Auch wenn Sie selbst, Frau Marquise, noch mit
solchen Gedanken spielten — was ich kaum glauben
kann — der Kaiser weiß, daß es keine Getreuen des
Herzogs von Valois mehr gibt. Keine zumindest, auf
die der Herzog zählen dürfte.
HELENE. Sie irren, Assalagny, es gibt solche Ge-
treue, und der Kaiser weiß es. Begreifen Sie denn
wirklich nicht. Kurzsichtiger, warum ich Sie in Ihrem
armseligen Lügenwerk gewähren ließ ? Muß ich Ihnen
wirklich erst sagen, was all die Tage her meine Hoff-
nung war?
ASSALAGNT. Was konnten Sie noch hoffen,
Frau Marquise?
HELENE. Daß nach all den Neuigkeiten, die Sie
erfanden, endlich eine wahre Nachricht den Weg zu
uns fände, geschaffen, alle Ihre erlogenen zu recht-
iJ* 259
fertigen, ja gegen Ihren Willen wahr zu machen.
Darum ließ ich Sie gewähren — Assalagny. Und wie
nah, wie nah
Sieben kurze Schläge an die Gartentüre^ die ersten drei schon während
der letzten Worte der Helene
ASSALAGNT befremdeter von Schlag zu Schlag. Was —
bedeutet das ? — Sieben Schlage an die Türe — ? Das
ist ja . . . das ist ja das verabredete Zeichen für den
Fall, daß Nachricht vom Marquis käme — ?!
HELENE. Ja, es ist das verabredete Zeichen. Ein-
mal schon ertönte es, ohne daß Sie's hörten. Auch
Laffraye war einmal hier.
ASSALAGNT. Frau Marquise, ich habe keinen
Anteil an dieser Sache! — Beliebt es Ihnen, um Ihren
Kopf zu spielen, so mögen Sie's tun. Hier gehen Dinge
vor, denen ich gänzlich fremd bin.
HELENE. Es gab nie andre in diesem Hause, arm-
seliger Mensch ! Schon an der Türe. Gehn Sie nur. Man
weiß in Paris so gut wie in Schönbrunn, daß Ihres
Witzes Mutter die Vorsicht ist. Sie bat geöffnet. Da-
rum ist er auch als Krüppel geboren — !
HELENE. Seien Sie willkommen, Desolteux.
Assdagny in höchster Betroffenheit, begrüßt Desoluux durch eint
verlegene Handbewegung und entfernt sich.
DESOLTEUX beugt die Knie vor HeUne.
HELENE reicht ihm die Hand.
DESOLTEUX küßt sie in starker Bewegung. Frau Mar-
quise . . .
HELENE. Lassen Sie sich*8 nicht kümmern,
Desolteux, daß sich Assalagny so rasch entfernte. Er
fürchtet für sein Leben.
DESOLTEUX. Das wundert mich wenig. Aber
Sie, Frau Marquise, find' ich so gefaßt, als wäre mein
Erscheinen hier die natürlichste Sache von der Welt.
HELENE. Verlangen Sie nicht, mich überrascht
zu sehen, Desolteux! Ich habe Sie erwartet. Heute . .
In dieser Stunde. Gestern abend in Schönbrunn nach
dem Hofkonzert hat mir jemand Ihr Erscheinen in
260
bestimmte Aussicht gestellt, dem ich wohl glauben
mußte. Es war Napoleon Bonaparte, der Kaiser der
Franzosen.
DESOLI EU X aufs böcbsu betroffen. Er weiß ? ! . . . Und
ich bin da ! . . . Er weiß — und ich lebe ? ! . . .
HELENE. Ermessen Sie daraus den Grad seiner
Verachtung, — nicht für Sie, Desolteui, aber für die,
die Sie hergesandt haben.
DESOLI EU X weder gefaßt. Und doch — er weiß
nicht alles, sonst stand' ich nicht vor Ihnen, Frau
Marquise !
HELENE. Sie werden müde sein von der Reise,
Desolteux. Setzen Sie sich hierher und ruhen Sie
sich aus.
DESOLTEUX läßt sieb auf einen Sessel sinken.
HELENE setzt sieb aucb. Sie müssen mir nichts er-
zählen. Ich bin von allem unterrichtet. — Mir sind
die Abmachungen zwischen dem Marquis und dem
Kommandanten der Festung Pontoise so gut bekannt
wie die Versprechungen, die Ihr von den Präfekten
zu Montares und zu Evreuil erhalten habt. Ich
kann Ihnen auch die Namen der Sechzehn nennen,
die am Abend des vierten August in den sogenannten
chinesischen Bädern zusammengekommen sind, um
dem Marquis von Valois Treue zu schw^ören. Oder
wollen Sie lieber ein paar Proben aus dem Gespräche
vernehmen, das Sie selbst, Desolteux, in einem Wirts-
haus zu Verneuil, mit zwei Deserteuren der spanischen
Armee geführt haben ?
DESOLTEUX. Es scheint wirklich, ich kann mir
meinen Bericht ersparen. Es stimmt alles. Ja, ich
darf sogar annehmen, daß Ihnen, Frau Marquise, um
einiges mehr bekannt ist als mir selbst . . . Vi^enn ich
mir eine Frage erlauben dürfte . . .
HELENE. Sie wollen näheres über das Schicksal
Laffrayes erfahren . . . Die Nacht, in der er mir einen
gewissen Brief überbrachte, war seine letzte.
DESOLTEUX atmet tief auf. Dann: Seine Majestät hat
261
zweifellos auch geruht, der Frau Marquise mitzuteilen,
wie es nach meiner Abreise dem Herrn Marquis und
seinen Freunden ergangen ist — ?
HELENE. Sie, Desolteux, sind der einzige von
allen, der in diesem Augenblick noch frei ist.
DESOLTEUX. So ist es nicht schwer zu erraten,
was mir bevorsteht, wenn ich aus dieser Türe auf die
Straße trete. Es ist schließlich das Ende, auf das
man durch siebzehn Jahre gefaßt sein mußte.
HELENE sUbt bewegungslos.
DESOLTEUX. Darf ich noch einmal die Hände
meines Herzogs küssen, eh' ich von hier fortgehe?
HELENE. Das dürfen Sie nicht, Desolteux.
DESOLTEUX. Nicht einmal das . . .
HELENE. Nein, Desolteux! Und Sie werden es
verstehn. Seit Sie fort sind, gelangen an den Herzog
nur erfundene Nachrichten, die ihn über den wahren
Stand der Dinge in vollkommener Täuschung erhalten.
Ein Spiel Assalagnys, ersonnen, um den letzten Tagen
eines Verlorenen den trügerischen Abendschein der
Erfüllung zu verleihn. In der Meinung meines Vaters
ist Napoleons Armee auf der Flucht und steht unsre
Sache so günstig, daß er eben daran ist, sich für die
Reise nach Frankreich zu rüsten, wo er unsre Partei
ins Riesige gewachsen und am Vorabend des Triumphes
wähnt. Sie dürfen den Herzog nicht sehen, Desolteux;
— denn es wäre jammervoll, Ihre letzte Begegnung
mit ihm zu einem Betrüge anszunützen; — und die
Wahrheit soll ihm verborgen bleiben bis zum Ende . . .
DESOLTEUX. Wohl ihm, wenn's gelingt ! — Leben
Sie wohl, Frau Marquise.
HELENE rubig, ihn groß ansehend. Sie sind auf falscher
Fährte, Desolteux! Der Kaiser sprach heute nacht
zum erstenmal von diesen Dingen zu mir. Und seit
langer Zeit war es die erste Kunde wieder, die von
unsern Angelegenheiten zu mir gelangte. Daß der
Kaiser es war, von dem ich sie vernehmen mußte, ist
meine Schuld so wenig als die Ihre, Desolteux. Ich
262
bin dieselbe, die ich gewesen bin, — gerade so wie Sie!
Ganz dieselbe, Desolteux. Wir haben eben verspielt
und müssen uns drein fügen ... Es ist zu Ende; —
für uns alle.
DESOLTEUX. Für uns alle — ? Immerhin, Frau
Marquise, es gibt Unterschiede!
HELENE einfach. Desolteux! ich bin nicht die Ge-
liebte Napoleons.
DESOLTEUX. Sie sagen es, Frau Marquise, und
ich glaube es Ihnen. Aber so wahr er Napoleon ist
und Sie die Marquise von Valois, so sicher ist es vom
Himmel oder von der Hölle gewollt, daß Sie ihn
anbeten.
HELENE. Und wenn Sie recht hätten, — Desol-
teux — verstehn Sie nicht, — daß mein Haß darum
nur um so tiefer glühen müßte?
DESOLTEUX. Eine nutzlose Glut, Frau Marquise,
in jedem Fall. Napoleon wäre klüger als jener Feld-
herr, der die Unvorsichtigkeit beging, — in — einer
Judith Armen einzuschlafen. — Leben Sie wohl, Frau
Marquise.
HELENE. Und so scheidet der Treueste von
allen . . . ?
DESOLTEUX. Sie vergessen einen, Frau Marquise,
dessen Treue höher anzuschlagen ist als die meine.
Denn er war treu, ohne Glauben an die Sache. Dem
Herrn Marquis wird der Tod bitterer sein als mir.
HELENE. Ob der Marquis und die andern be-
gnadigt werden, weiß ich nicht, aber Sie, Desolteux,
werden nicht den Tod erleiden. Ich habe des Kaisers
Wort.
DESOLTEUX. Dem glauben Sie ... f
HELENE. Die andern verachtet er, Sie nicht.
Selbst der Klang seiner Stimme war anders, da er Ihren
Namen aussprach.
DESOLTEUX. Das denk' ich mir. Denn, wenn er
es Ihnen auch verschwieg, — ich kann nicht glauben,
daß er gerade dies eine nicht wissen sollte — : warum
163
ich — und warum gerade ich nach Wien gesandt
bin . . .
HELENE. Desolteux! Darum! Ist es möglich?!
DESOLTEUX. Man war ungeduldiger in Paris
als hier, Frau Marquise!
HELENE nach kurzem Besinnen. So ist es gerade
darum, daß er Sie verschont!
DESOLTEUX. Er war gnädig genug. Er gab mir
Gelegenheit, Frau Marquise, von Ihnen den letzten
Abschied zu nehmen!
HELENE. Den letzten — vielleicht — . Doch
nicht auf lange Zeit, Desolteux!
DESOLTEUX. Frau Marquise — !
HELENE. Ich bin, die ich war, Desolteux. Alles
ist zu Ende. Hier meine Hand! Auch für mich — !
HERZOG kommt. Desolteux! . . . Man verheimhche
es mir nicht länger! Ich weiß ja, daß er gekommen ist!
DESOLTEUX. Mein Herzog . . . Vor ihm auf die Knie.
HERZOG. Desolteux! Ich habe es gewußt, daß
Sie mich nicht lange würden warten lassen.
HELENE. Vater...
HERZOG. Man rufe die Herzogin. Sie lasse ab zu
trauern. Fühlt sie's nicht endhch — f ! Das Schicksal
Frankreichs hat es verlangt, daß unser Sohn sterben
mußte. Lebte er, so wären wir heute nicht, wo wir
sind . . . Helene ! . . . Geliebte, treue Tochter der Valois.
Ich küsse deine Stirne, Mutter der künftigen Könige
von Frankreich.
ASSALAGNT eilt herbei. Heiliger Himmel, sein
Wahnsinn eilt meiner Lüge weit voraus.
HERZOG. Ich bin bereit, Desolteux. Noch vor
Abend wollen wir uns auf den Weg nach Frankreich
machen.
ASSALAGNT. Herr Herzog! Es wird nicht mög-
lich sein, in so kurzer Zeit zur Abreise zu rüsten. Auch
sind die Wege noch nicht sicher genug, es wimmelt
von Nachzüglern und Marodeuren der versprengten
Napoleonischen Armee . . .
264
HERZOG. Wer Furcht hat, bleibe hier zurück.
Den, der zum Herrn von Frankreich bestimmt ist,
wird Gott beschützen. Heute abend, eh' die Sonne
untergeht, soll alles bereit sein. Und wenn niemand
mich begleitet, so geh' ich allein, — auf diesen Stab
gestützt, und ich weiß es, mitten durch die ewige
Nacht find' ich mir die Straße nach meinem Vaterland.
DESOLI EU X vor ihm auf den Knien. Herr Herzog! . .
Er eilt davon.
HERZOG. Ich weiß, daß meine Tage gezählt sind
— und nicht in der Fremde will ich als Erkorner meines
Volkes sterben. Noch einmal soll die Luft meines
Frankreich, das sich auf seinen wahren Herrn besann,
mir um die Schläfen wehen, eh' ich zu meinen Vätern
gehe. Er toendet sieb, um zu geben, von Assalagny geleitet.
Da fällt ein Schuß.
Alle bleiben einen Augenblick wie erstarrt stehen,
EIN DIENER zur Gartentür, öffnet sie rasch, ruft berein.
Es liegt ein Toter vor der Tür . . .
HELENE ohne binzusebn. Desolteux! — Die Waffe
in der Hand?
DIENER. Nein, Frau Marquis . . . Auch keine auf
dem Boden ... Er ist erschossen . . .
HELENE die Hand wie drohend. Oh! . . .
HERZOG als erwachte er. Was ist geschehen . . . ?
HELENE. Ich habe mit dem Herzog zu sprechen. —
Man lasse mich mit ihm allein . . .
ASSALAGNT. Frau Marquise! um Himmels
willen! was haben Sie vor?!
HELENE. Den letzten Herzog von Valois nicht
als Betrogenen zur Grube fahren zu lassen! — Mein
Vater! Zu ihm bin.
HERZOG in Seelenangst und fast versubend. Helene!
ZwßiU Sxene
Schloßhof von Schönbrunn.
Im Hintergrund die Front des Schlosses, Längs des trsUn Stockvuerhts
läuft du Ttrraste, ku dtr vom Hof aus jederseits eine Freitreppe
hinaufführt. — Durch den mittleren der fünf Torgänge ist der Blick
in den Park frei. In der Mitte der Terrasse eine geschlossene Türe,
an der zwei französische Gardisten Wache halten. Der Aufgang
zur Freitreppe ist von Gardisten bewacht^ die mäßige und nicht
immer ernst gemeinte Mühe aufwenden, die Menge von den Treppen
zurückzuhalten. Im Hofe französische Gardisten in zwangloser
Haltung; manche gelegentlich im Gespräch mit Wiener Bürgern^
Frauen und Mädchen. Auch Kinder sind zu sehen. Ununterbrochene
Bewegung. Da und dort Gruppen in lebhafter Unterhaltung, Grüße,
Begegnungen. Auch französische Offiziere und Soldaten anderer
Truppengattungen bewegen sich im Hofe. Sowohl rechts wie links ist
es eben einigen Personen gelungen, ein paar Stufen der Freitreppe zu
ersteigen. Sie werden zurückgewiesen.
ERSTER GARDIST rechts unten, zu einem jungen Mädchen^
ubr höflich. Es ist nicht erlaubt, auf der Treppe zu
stehen, Mademoiselle.
JUNGES MÄDCHEN. Aber bitt' schön, da genier»
ich ja keinen. Sie bleibt subn. Der Gardist galant, beginnt sieb
mit ihr zu unterhalten.
ZWEITER GARDIST links zu zwei Burschen, die eben
iarfin sind, die Treppe zu betreUn. Herunter. Sofort die
Treppe räumen!
Die Treppe wird geräumt, doch kommt immer wieder neuer Nach-
schub aus der Menge, so daß sich das Spiel noch einige Male wiederholt.
SCHREUBLER zu einer Gruppe von recbu tretend. Ist's
wahr? Abgesandte aus dem österreichischen Haupt-
quartier sind oben beim Kaiser Napoleon ?
BERGER. Ja, wieder einmal. Der Fürst Lichten-
stein und der Graf Bubna und der General Meyer.
Seit neun Uhr früh sind s' oben, und jetzt ist bald
zwölf.
SCHREUBLER. Ja, der Lichtenstein, der ist schon
der richtige!
BRADL. Kennen Sie denn den Fürsten Lichtenstein ?
SCHREUBLER. Was brauch' ich ihn denn zu
kennen ? Das ist doch schon so bei uns : Wenn man bei
uns wen zu was aussucht, ist es immer der G'fehlte.
BRADL. Der Lichtenstein soll aber sehr für den
Frieden sein.
266
FÖDERL. Gott gebe, daß sie endlich zu einem
Resultat kommen.
SCHREUBLER. Wird ein schönes Resultat sein.
BRADL. Wenn nur endlich einmal Friede wird,
das ist die Hauptsache. Daß wir von draußen nichts
zu hoffen haben, das müssen die da oben doch endlich
einmal einsehen . . .
EIN ALTER BÜRGER. Mir is gleich. Zwei
Söhne hab' ich g'habt, der eine is in Regensburg ge-
fallen, den zweiten haben s* in Aspem zum Krüppel
g'schossen. Mir is gleich.
BERGER. Wenn er nur nicht so schreckliche Be-
dingungen stellen möcht', der Napoleon! Das halbe
GaHzien sollen wir hergeben. Und Salzburg und
Berchtesgaden . . .
FÖDERL, Na und wenn schon — zu was brauchen
denn Sie Berchtesgaden, Herr Berger?
BRADL. Und die Kontribution, die Kontribution!
Was da wieder für Steuern kommen werden. Wo wir's
nur hernehmen sollen ?
BERGER. Und jetzt soll er sich gar noch drauf
kaprizieren, daß die Festungswerke gesprengt werden.
SCHREUBLER. War» nicht schad' drum. Was sie
uns schon genützt haben!
FRAU FÖDERL. Die Festungswerke sprengen?!
Nein, das darf nicht sein.
SCHREUBLER. Also die Frau Gemahlin ist da-
gegen . . . Da wird sich schon nix machen lassen.
Das Gespräch gebt fort.
Von links der elegante Herr und die elegante Frau in Begleitung
eines französischen Rittmeisters.
DIE DAME. Um wieviel Uhr soll der Kaiser Na-
poleon herunterkommen, Herr Rittmeister?
RITTMEISTER. Für zwei Uhr ist die Revue an-
gesagt.
DIE DAME. So viele Leute sind da ! . . . Man wird
nichts sehen! —
RITTMEISTER. Halten Sie sich nur in meiner
267
Nähe, Madame, ich verspreche Ihnen, daß Sie Seine
Majestät ganz gut sehen werden. Und vorher ist noch
die Auffahrt der Gäste, die zur Revue geladen sind,
das wird Madame gewiß sehr interessieren. Vielleicht
erlaubt der Herr Gemahl, daß ich Madame den Arm
reiche.
DIE DAME. Er erlaubt's schon. Sie gibt ihm den Arm.
DER HERR. O bitte, o bitte, o bitte . . .
Rittmeister führt die Dame näher zur Treppe^ der Gatts folgt grimmig
und verstört.
EIN BETTLER zu der Gruppe rechts. Bitt' schön, ein
Almosen. Ich bin von Aspern. Mein Haus und Hof
ist abgebrannt. Fünf Kinder hab' ich zu Haus, die
schlafen in einer Schupfen.
Er wird beschenkt.
BRADL. Das ist schon nicht mehr zum aushalten,
mit der Bettelei ... Es ist ja schon ein wahrer Ge-
schäftszweig . . . Die Hälfte sind Schwindler.
BERGER. Ah, sagen S* das nicht, in Aspem da
sieht's gar traurig aus . . . Ich bin gestern in der Gegend
gewesen.
STIMMEN. Ah . . . In Aspern waren S' ? — Ich
war auch neulich dort. — So? — Sie auch?
BERGER. Von den meisten Häusern stehn nur
die nackten Mauern, keine Fensterscheiben is ganz —
und wie die Felder ausschaun — ! das ist ein Jammer,
da wachst in Jahren kein Halm mehr . . .
EINER. Und haben S' die Hügeln gesehn?
BERGER. Na freihch — wenn S' einen nicht aus-
reden lassen — ob ich sie g'sehen hab, die Hügerln,
wo unsre braven Soldaten drunter hegen . . .
SCHREUBLER. Und die andern auch . . .
BRADL. Sind auch brav gewesen: die andern.
SCHREUBLER. Und wären manche lieber bei
uns g'standen . . .
BRADL. Das war ja das allertraurigste an dem
Krieg!
FRAU fÖDERL. Ich begreif gar nicht, daß Sic
268
sich so was Trauriges noch extra anschaun gehn, Herr
Berger. Daß Sie zu solchen Landpartien überhaupt
aufgelegt sind! Wo doch Ihr armes Töchterl erst vor
^^erzehn Tagen gestorben ist.
BERGER. Grad darum, grad darum. Ich versicher*
Ihnen, Frau Föderl, das is eher ein Trost. Schaun S',
ich denk* mir halt immer, mein armes Annerl, das ist
auch ein Opfer von dem unglückseligen Krieg. Es
dient jeder dem Vaterland wie er kann. Ich bin halt
mit meiner Flinten auf der Bastei gewesen. Bitte
meine Herrschaften, ich kann nichts dafür, daß kapitu-
liert worden ist, eh' ich geschossen hab'. —
FRJU FÖDERL. Mir tut Ihre arme Frau so leid.
BERGER. Ja, die trifft's auch noch ärger wie mich.
Sie kommt seither überhaupt nimmer aus dem Haus —
nur, wenn's in die Kirchen geht. Und ich sag* halt:
wenn man schon weiterlebt nach so einem Malheur,
da gibt's nur eins: Schaun, daß man auf andre Ge-
danken kommt. Gestern bin ich sogar im Theater
gewesen . . . eine Komödie von Zschokke haben s' ge-
geben — nicht viel dran — aber haben S' denn von
der großen Demonstration nichts gehört ?
FÖDERL. Was denn für eine Demonstration?
BERGER. Also, das wissen Sie nicht? Eine große
Demonstration für den Krieg.
STIMMEN. Ah ... für den Krieg ? . . . Was hat's
denn gegeben ? . . . Was haben s' denn aufgeführt ? Das
fehlt uns noch — ! — für'n Krieg? — Frieden wollen
wir! . . . Was denn für eine Demonstration?
BERG ER. Also da sagt ein junger Mensch, der
Ackermann hat ihn gegeben, sagt er im zweiten Akt —
wie sagt er denn nur g'schwind — ? „Noch ist nicht
alles verloren," — es hat sich natürlich auf was ganz
andres bezogen, — was nämlich im Stück vorgekommen
is. „Noch ist nicht alles verloren," sagt er, „jeder gute
Bürger gibt den letzten Blutstropfen her für seinen
Fürsten." Na und wie er das sagt, da geht's los. Ein
Applaus im ganzen Theater, daß die Schauspieler ein
269
paar Minuten gar nicht haben weiterreden können.
Es war großartig. Zum Weinen. Ein paar französische
Offiziere waren im Theater drin, die haben sich nur
so ang'schaut gegenseitig.
SCHREUBLER. Das glaub' ich! Die müssen uns
ja für verrückt halten!
BERGER. Wieso denn?
SCHREUBLER. Daß es noch Leute gibt, die weiter
Krieg führen wollen!
BERGER. Wer denn? Ich bitte Sie!
SCHREUBLER. Na, Sie zum Beispiel! Oder haben
Sie vielleicht nicht applaudiert ?
BERGER. Na ja . . . Und Sie hätten's auch getan . .
Aber natürlich! . . . Ich bitt' Sie, im Theater!
Er entfernt sieb von der Gruppe.
BRADL. Sehn Sie, das ist das Unglück! Durch
solche Vorfälle werden die Herrschaften oben über die
wahre Stimmung der Wiener Bevölkerung getäuscht!
SCHREUBLER. Wenn nicht gar diese sogenannte
Demonstration künstlich arrangiert worden ist von
gewissen Leuten, die Grund haben, die Fortdauer des
Kriegs zu wünschen.
STIMMEN. Wen meinen Sie denn . . . ? Sie glauben
. . . Der Lichtenstein ? — O nein. — Wer denn ?
SCHREUBLER. Da müssen Sie sehr hoch suchen,
meine Herrschaften, aber schon sehr . . .
Gespräch gebt weiter.
Berger ist dem Etzelt begegnet.
BERGER. Grüß' Gott, Etzelt! Machen sich auch
einmal einen freien Tag?
ETZELT. Ja, die Neugier treibt mich heraus. Ich
bin nämlich der berühmte eine Wiener, der den Na-
poleon noch nicht gesehn hat. Und nach allem, was
man hört, ist es ja die höchste Zeit — !
BERGER. Ich sag's halt immer — man soll nichts
aufschieben. — Übrigens, wie geht's denn dem Me-
dardus ? —
ETZELT. Was soll denn mit dem Medardus sein?
270
BERGER. Na hören Sie, Etzelt! So was laßt sich
sdiließlich nicht geheim halten. Er ist doch total
überg'schnappt seit dem Unglück mit dem Eschen-
bacher.
ETZELT. Das ist mir wirklich das allemeuste! Es
hat ihn natürlich furchtbar erschüttert, das ist am End'
kein Wunder —
BERGER. Aber erzählen S' mir nichts, Etzelt.
Ich bin ihm ja erst vor ein paar Tagen begegnet und
weiß, was ich weiß!
ETZELT. Na was wissen Sie denn, Herr Berger 1
BERGER. Wie er nur ausschaut! Wenn man sich
erinnert, was er früher auf sich gehalten hat! Und
jetzt — ! Wie ich ihn angesprochen hab', hat er mich
zuerst angestarrt, als möcht' er mich überhaupt nicht
kennen, und ist weitergegangen. Es war am Tag nach-
dem wir das arme Annerl begraben haben . . . Und
beim Begräbnis ist er gar nicht gewesen! Na und er
hat doch gewußt, wie sie an ihm gehangen ist! Unter
uns — was war denn die ganze Geschieht' mit der
Krankenwärterei . . . ? Unglückliche Liebe, Etzelt . . .
URALTER HERR kommt allein^ sehr aufgeräumt, seinen
Stock schlenkernd. Habe die Ehre, meine Herren, schöner
Tag heute, wenn wir nicht ein Gewitter kriegen.
Wolken, Wolken!
SCHREUBLER. Den sollt' ich ja kennen. Ja frei-
lich . . . Zum uralten Herrn. Na, wie geht's denn, Herr
Großvater. Warum denn so allein ? Wie wir uns
zuletzt g'sehn haben, da sind Sie mit einem kleinen
Mäderl herumgegangen. Am Friedhof einmal! Zu den
Anderen. Wie die Agathe Klähr und ihr Geliebter ist
begraben worden, der Franzos'.
URALTER HERR lustig. Ja, das kleine Mäderl,
das liegt jetzt auch schon draußen auf dem Friedhof.
Geboren am 12. April 1799, gestorben am 13. Mai 1809
fürs Vaterland ! Auf der Bastei ist sie erschossen worden !
STIMMEN. Ah richtig!... Der da — ? Ja!
Kennen S' ihn denn nicht?
271
URALTER HERR. War ein liebes braves Mäderl.
Jetzt geh' ich halt allein spazieren. Hab' die Ehre, meine
Herrn. Wiü netter.
SCHREUBLER. Ah, da können S' nicht hinein,
der Park ist abg'sperrt.
URALTER HERR. So, warum ist er denn ab-
g'sperrt ?
SCHREUBLER. Na, wissen S' denn nicht, daß
der Napoleon da oben wohnt?
URALTER HERR. Wer wohnt da droben? Der
Napoleon ? . . . Aha, weiß schon, weiß schon. Er gebt
sebUnkernd und pfeifend weiter.
Vorn links begegnen sieb Medardus und Elisabetb. — Medardus
siebt blaßf aber keineswegs so verstört und vernacblässigt aus, wie
nacb Bergers Bemerkungen xu vermuten war.
Elisabetb. Medardus.
ELISABETH. Medardus — ! —
MEDARDUS fäbrt leicbt zusammen. Was ist . . .
ELISABETH sehr bübscb gekleidet^ in der Haartracht etwa»
verändert. Kennst du mich nicht?
MEDARDUS. EUsabeth . . .
ELISABETH nickt. Lang haben wir uns nicht
gesehn. Siehst blaß aus, Medardus. Ich weiß ja, hast
viel mitgemacht. Das arme Annerl. Ja, was so alles
in einem kurzen Jahr geschehen kann.
MEDARDUS. Ein Jahr! —
ELISABETH. Ich hätt' dir auch manches zu er-
zählen, Medardus.
MEDARDUS. Später einmal. Wiü gebn.
ELISABETH. Später ? . . . Wird nicht viel Zeit
dazu sein. Wenn die Franzosen abmarschieren, geh*
ich auch fort von Wien. Der Meinige nimmt mich
mit nach Paris.
MEDARDUS. So? — Ah! — Hab' ich dich im
Sommer nicht einmal am Graben gesehn mit ihm ?
Ein Kürassier ist er gewesen!
ELISABETH. Du erinnerst dich noch an den . . . ?
Ich weiß gar nimmer, wie er ausg'schaut hat. Der ist
272
tot. Bei Wagram ist er gefallen. Ich hab' überhaupt
viel Unglück gehabt. Glück und Unglück. Das
wechselt halt. Wenn du willst, so erzähl' ich dir heut
abend alles. Heut abend hat nämlich mein Jetziger
Dienst im Schloß. Er ist bei der Garde. Ich wohn'
ganz nah in der Meidlinger Hauptstraße. Neben dem
Türkenwirtshaus. Es war* schön, wenn ich dich noch
einmal sehn könnt', eh' ich für immer von hier fortgeh'.
Zurück komm' ich nimmer.
MEDARDUS antworut nicht,
ETZELT gewahrt ihn. Medardus . . .
ELISABETH. Also du kommst nicht seufzt. Na,
grüß' dich Gott, Medardus.
MEDARDUS. Leb' wohl, Elisabeth!
ELISABETH ab.
ETZELT. Medardus, was machst du da?
MEDARDUS ruhig. Du siehst ja wohl — ich
unterhielt mich eben mit einer alten Bekannten.
ETZELT. Wie kommst du hierher?
MEDARDUS. Komische Frage! Wie die andern
alle. Ich Heß mich treiben. Ist nicht die halbe Stadt
hier heraußen ?
ETZELT. Ja, es ist wirklich ein arges Gedräng.
Ich will dir einen Vorschlag machen, Medardus. Es
ist ein so wundervoller Herbsttag; — wie wär's, wenn
wir zusammen weiter hinauswanderten, fort von der
Menschenmenge hier. Irgendwohin ins Freie.
MEDARDUS. Wenn ich deinen Bhck richtig ver-
stehe, muß ich ja recht bedenkhch aussehn. Aber —
was glaubst du, Etzelt, wenn ich mich wirklich — mit
so gefährUchen Gedanken trüge, wie du zu vermuten
scheinst — ob ich es nicht schlauer anzustellen wüßte ?
ETZELT. Um so weniger Anlaß, meinem Wunsch
nicht nachzugeben; komm, Medardus!
MEDARDUS. Wenn es mir nun Spaß machte,
das Treiben hier anzusehn ? Man wird dergleichen
nicht oft mehr bewundern können. Der Friede scheint
ja nahe zu sein. Ich möchte lieber bleiben.
Tbeatentficke. IV, iS 273
ETZELT. Ich rühre mich nicht von deiner Seite,
Medardus.
MED ARD US immer ruhig. Und wenn ich wirk-
lich wollte, was du zu fürchten scheinst, guter Etzelt,
meinst du, irgendein Mensch könnte mich daran
hindern ? — Aber ich will nichts. Ich will schon
lange nichts mehr. Hier meine Hand. Bist du nun
zufrieden ?
ETZELT. Ist das die Wahrheit — so komm mit
mir heim, zu deiner Mutter, eine schwere Sorge von
ihr zu nehmen!
MEDARDUS. Meiner Mutter? Lehr» du mich
meine Mutter kennen. Daß sie vergeblich erhofft hat,
was sie heute — zu fürchten glaubt, wird der tiefste
Schmerz ihres Lebens bleiben.
ETZELT. Du irrst. Ich weiß es aus ihrem eignen
Munde, Medardus, daß manche Worte, die ihr in
bitteren Stunden entfahren sind, sie heute reuen.
Und am meisten reut sie, daß sie sie vor dir gesprochen.
MEDARDUS. Der nicht wert war, sie zu hören.
Das ist es, Etzelt ! Oh, lehr' mich meine Mutter kennen.
Ihr war' wohler, wenn sie mich gestorben wüßte.
Aber ich kann ihr auch das nicht zuhebe tun. Ein
Kerl wie ich muß sich sogar vor dem Versuch hüten,
sich selber umzubringen. Eine Kugel — machte mich
bestenfalls blind oder taub oder lahm ; nahm' ich Gift,
so hätte es mit Leibschmerzen sein Bewenden, und
aus einem Wasser, war' es noch so tief, zappelte ich
mich wieder ans Land.
ETZELT. Trotz allem schwör* ich, du trägst eine
Waffe bei dir.
MEDARDUS. Und werde mich wohl in acht
nehmen, sie fortzuwerfen. Denn dann geschähe etwas
grauenhaft Törichtes damit. Ein Kind fände meinen
Dolch und erstäche seine Geschwister im Spiel, oder
eine glückliche Braut ritzte sich aus Versehen die
Hand . . . und es träte der Brand zu der kleinen Wunde.
ETZELT. Warum nahmst du den Dolch zu dir?
274
MEDARDUS. Als ich ihn zu mir nahm, Etzelt,
war ich ein andrer als heut. Als ich ihn zu mir nahm, —
war er bestimmt, die Tat zu vollbringen.
ETZELT. Die Tat! Für sieb. O seliger Meister
Eschenbacher! wie dröhnt das Wort!
MEDARDUS von nun ab in einem andern, erhöhten Ton. Ja,
Etzelt, er war bestimmt. Nun aber ist er angespien
und ist seiner Bestimmung nicht mehr wert! Bespien
wie meine Hand, mein Antlitz, meine Seele. Verstehst
du mich, Etzelt — ? Die Waffe des Rächers, des Be-
freiers blinkte in meiner Hand; der giftige Hauch
eines Weibes machte ihn zu eines Buben Waffe.
ETZELT. Eines Weibes — ? Von wem sprichst
du, Medardus ?
MEDARDUS. Du fragst? —
ETZELT. Die Marquise?! Du sahst sie wieder,
nach Eschenbachers Tod ?
MEDARDUS. An dem Morgen, da wir ihn be-
graben hatten, lauerte sie mir auf. Und so geschah
das Närrisch-Furchtbare — daß von einer Minute zur
andern aus dem Rächer seines Vaterlandes ein ge-
dungener Mörder wurde im Solde der Valois.
ETZELT. Das also war's — ? Sie woUte — Sie
verlangte von dir —
MEDARDUS. Ja, Etzelt. Und das machte meinen
Arm lahm und meinen Dolch stumpf und meinen
Willen greisenmatt. Und darum, Etzelt, wird Bona-
parte ungekränkt von hinnen ziehn. Der Hand, die
ausersehn war, die Tat zu vollbringen, ward sie ent-
wunden und sank in den Kot.
ETZELT. Ausersehn — deine Hände?! Was
kümmerten dich dann die Geschichte Frankreichs und
die Träume der Valois ? Du hättest der Marquise den
unerbetenen Lohn vor die Füße werfen können, und
deine Tat war rein!
MEDARDUS. War' ich darum weniger ihr Werk-
zeug gewesen — ?
ETZELT. Mag sein. Vielmehr du hättest dir's
!••
275
einbilden können. Aber seither haben sich die Dinge
doch geändert. Und so will mir scheinen, daß es nicht
das entwürdigende Ansinnen der Marquise allein war,
das deinen Willen so lähmen konnte.
MEDARDUS. Ich verstehe dich nicht, Etzelt. Was
hat sich geändert ?
ETZELT. Fragst du im Ernst? Oder bist du in
dieser letzten Zeit wirklich wie ein Verlorener durch
die Stadt geirrt ? daß du nicht weißt, was für wunder-
bare Wendung indes das Schicksal deiner herrlichen
Marquise genommen hat ?
MEDARDUS. Welche Wendung? Ich verstehe
dich nicht, Etzelt.
ETZELT. Nun, die Marquise gilt als die Geliebte
oder als eine der Geliebten Napoleons.
MEDARDUS. Etzelt...! Es kann auch Gerede
sein.
ETZELT. Möglich. Aber wenn du's recht bedenkst,
scheint es dir gar so verwunderlich ? Vielleicht be-
deutet ihr auch das nur einen Weg, die Herrschaft über
Frankreich zu gewinnen und so die hohe Sendung der
Valois zu erfüllen. Einen minder gefährlichen jeden-
falls als der, den sie mit deiner Hilfe zu gehen gedachte.
Und einen sichreren. Dir, Medardus, das fühlst du
heute wohl selbst, hätte ja die „Tat" doch mißglücken
müssen.
MEDARDUS. Müssen — ?
ETZELT. Ja, Medardus.
MEDARDUS. Des bist du so gewiß?
ETZELT. Ja, das bin ich.
MEDARDUS. Warum mißglücken müssen — ?
ETZELT. Weil du sie nicht wolltest.
MEDARDUS. Ich . . . woUte . . . nicht ?
ETZELT. In der Tiefe deines Wesens — nein,
Medardus! Nie warst du allein mit deinem Vorsatz.
Denn mächtiger als der Haß gegen Bonaparte war in
dir die Liebe zur Prinzessin von Valois. Und der Tat
— die eine ganze Seele forderte, hattest du nur einen
276
armen Hauch deines Willens zu leihen. Darum wäre
sie dir mißglückt, Medardus, darum — danke dem
Himmel — hast du sie nicht gewagt! —
MEDARDUS. Darum — sie — nicht gewagt . . ! — ?
In diesem Augenblick öffnet sieb oben di* Tür. Die Garden präsen-
tieren. Alle im Hof haben die Blickt nach der Tür gerichtet.
STIMMEN. Da kommen sie . . . Da sind sie . . .
Aus der Tür treten die Abgesandten: Fürst Lichtenstein, Graf
Bubna, General Meyer, und gebn über die Treppe rechts hinab.
Während sie über die Stiege gebn:
STIMMEN. Der Große ist der Fürst Lichten-
stein . . . Und der . . . ? Der Bubna — ? Der General
Meyer! . . .
EINE VEREINZELTE STIMME. Frieden!
STIMMEN. Ruhe! . . . Frieden! . . . Anwachsend.
Frieden! . . .
EINE STIMME. Es lebe unser Kaiser Franz! —
STIMMEN. Es lebe unser Kaiser! Friede! Wir
wollen Frieden! ... Es lebe Kaiser Franz! . . . Hoch
der Kaiser Napoleon — Frieden! . . . Frieden! . . .
Die Abgesandten entfernen sich rechts, viele drängen ihnen nach.
Medardus und Etzelt standen vorn; Etzelt bewegt, Medardus beinah
unbeteiligt.
ETZELT. Hörst du's, Medardus? Frieden rufen
sie ! Er ist nah ! Die Tage der Ordnung kehren wieder
— wir wollen sie nach Gebühr empfangen und auch
Ordnung machen in uns selbst, — Es ist an der Zeit
heimzukehren, Medardus! Daß du dich erkannt hast,
laß dein letztes Abenteuer gewesen sein. — Nimm
dich nun endlich, wie du geschaffen bist — Me-
dardus. Deine Mutter wird's wohl zufrieden sein,
und einer, der immer dein Freund war, nicht minder!
ß ERGER rasch berxu. Wissen S', wer da ist, Etzelt ?
Grad hab ich ihn gesehn! Der Wachshuber!
ETZELT. Der Wachshuber — ? Wo denn — ?
Die Leute, die den Abgesandten nachdrängten, sind aUmäblicb
zurückgekommen.
STIMMEN. Der Lichtenstein hat ganz zufrieden
277
drein gesehn . . . Finden Sie — ? Das beweist nichts.
— Es wird nichts sein. — Oh ja. — Vielleicht ist schon
unterschrieben. — Die Bedingungen! ... Es ist ja
furchtbar! ... — Wird geschossen, wenn der Friede
unterzeichnet ist — ? Natürlich! — Alle Glocken
läuten. — Damals war's auch so!
Indes begannen die Gäste zu erscheinen: Offiziere^ Würdenträger^
tinige mit ihren Frauen. Die Gardisten schaffen Raum für sie^
insbesondere an der Treppe, wo immer Leute aus der Menge den Ver-
such machen^ die Stufen zu besteigen. — Einige von den Erscheinenden
werden mit Zurufen begrüßt und danken.
Medardus ist in der Menge verschwunden.
WACHSHUBER ist von links gekommen.
ETZELT gewahrt ihn und geht auf ihn zu.
ETZELT. Oh, Herr Wachshuber, sieht man Sie
endlich wieder einmal!
WACHSHUBER. Der Herr Etzelt! — Habe die
Ehre!
ETZELT. Ich hab' gemeint, Sie sind abgereist,
Herr Wachshuber — weil Sie in der letzten Zeit so
ganz unsichtbar geworden sind.
Andre drängen näher ^ darunter Berger.
BERGER. Ah, der Herr Wachshuber! —
STIMMEN. Der Wachshuber! — Wer? — Der
Wachshuber — der den Eschenbacher angezeigt hat ?
— Ah! Der ist's ? — Was macht denn der da . . . So
eine Frechheit . . .
WACHSHUBER immer bedrängter. Was wollen S'
denn? — Was gibt's denn? Ja, ich heiß' Wachs-
huber und bin Bürger von Wien. — Mir kann keiner
was nachsagen . . . Mir gehört das Delikatessengeschäft
am tiefen Graben . . .
DER VERTRAUTE plötzlich bei ihm. Folgen Sie mir
auf der Stelle.
WACHSHUBER erstaunt. Was — ? Wie? —
DER VERTRAUTE. Auf der Stelle. Ohne Wider-
rede!
Erstaunen auch der andern.
278
DER VERTRAUTE. Meine Herren, gehen Sie
auseinander. Seine Majestät wird sofort zur Parade
erscheinen. — Überlassen Sie mir diesen Herrn. —
Folgen Sie mir! —
STIMMEN. Was ist denn das ? — Der Wachshuber
wird eingesperrt! — Ah, jetzt ändern sich die Zeiten . .
WACHSHUBER. Herr, Sie wollen mich verhaften ?
Kennen Sie mich denn nicht? Das könnt' eine üble
Bewandtnis für Sie zur Folge haben!
DER VERTRAUTE. Kommen Sie mit mir! Leise.
Welche Unvorsichtigkeit von Ihnen, sich an einem so
belebten Ort zu zeigen. Wir können keinerlei Haftung
für Ihre Person übernehmen. Heut oder morgen wird
der Friede geschlossen, da müssen Sie schaun sich
selbst zu salvieren. —
STIMMEN. Ah, das ist ja ein Schwindel! Er
arretiert ihn ja gar nicht! Er nimmt ihn ja nur mit,
daß ihm nichts geschieht ! . . . Ah, das gibt's nicht . . .
ET ZELT plötzlich wieder beifVacbsbuber, zum Vertrauten. Ich
kann Ihnen nicht helfen, Sie müssen schon die Freund-
lichkeit haben, mir den Herrn da nur auf einen Mo-
ment zu überlassen. —
WACHSHUBER. Was wiU denn der von mir ? —
Schützen Sie mich vor diesem Menschen ... — Lassen
S' mich in Ruh' . . .
ETZELT. Bedaure — kann ich leider nicht! —
Hab' Ihnen einen Gruß zu überbringen. — Er fährt dem
Wachshuber mit einer Hundepeitsche übers Gesicht. Vom seligen
Herrn Eschenbacher. So! — Da — und — da! —
WACHSHUBER schreit. Räuber! Mörder!
DER VERTRAUTE bat sich aus dem Staub gemacht.
STIMMEN. Haha! — Recht geschieht ihm! Der
Schuft! —
WACHSHUBER flieht, von einigen Leuten verfolgt.
DER URALTE HERR mit seinem Stock voran. Schlagt!
ihn tot ! . . . Was hat er denn angestellt ? . . . Schlagts
ihn tot — i —
Das Publikum an der Treppt,
279
STIMMEN. Das ist ja der Herr von Wohlleben . . .
Hoch der Herr Bürgermeister! — Der Graf Veterani!
— Der Hof rat Pöltinger! Wer ist denn das ? — Kennen
S* die nicht . . . Ah! — Das ist ja die Marquise von
Valois ? — Ah ! — Ist denn wahr ? — FreiUch . . . Pst ! —
Wissen S' denn nicht — ? — Vom Napoleon. — So — ?
Wer ? — Die Marquise von Valois. Die schöne — ?
die? —
HELENE ist von rechts gekommen und betritt eben die erste
Stufe.
MEDARDUS der sieb eben auf die Treppe hinauf geschlichen
hat und eine Stufe über ihr steht, starrt ihr ins Gesiebt. Schönen
guten Morgen, Frau Marquise!
HELENE sieht ihn an und will weiter.
MEDARDUS. Kennen Sie mich etwa nicht mehr,
Frau Marquise?
HELENE. Was wollen Sie von mir. Will vorüber.
MEDARDUS steht vor ihr. Helene . . ,
HELENE. Man schaffe den Menschen fort.
Die Gardisten unten haben bisher von dem Vorgange nichts bemerkt.
MEDARDUS. Stehn geblieben. Hier kommst du
nicht hinauf. Ich verbiet' es dir.
HELENE. Was haben Sie mir zu verbieten ? Ich
kenne Sie nicht! Ich habe Sie nie gekannt! Fort mit
dem Narren! Frei den Weg! Narr!
MEDARDUS. Dein Weg ist zu Ende. Er nicht tu
mit dem Dolche nieder.
HELENE. Medardus . . . Fällt nieder.
Bewegung. Angstschreie.
Die Gardisten drängen sich herzu und ergreifen Medardus.
STIMMEN. Die Marquise! ... er hat sie erstochen
. . . Wer — ? Der da ? — Ich kenn' ihn ja . , . Der hat's
getan . . . Um Gotteswillen! — das ist der Medardus
Klähr . . . Wie ? ein Mord . . . was ist geschehn ? . . .
Erstochen . . .
Die Tür oben öffnet sich. General Rapp tritt hervor. Er über-
schaut alles mit einem raschen Blick, eilt die Treppe hinunter.
RAPP. Was ist hier geschehn?
280
DER GJRDIST. Der junge Mensch hier hat die
Marquise von Valois.mit dem Dolch verwundet.
RAPP. Nur verwundet ? . . . Frau Marquise . . . Von
ihr »u Meiardus aufsehend. Wie . . . Er erkennt ihn. Schafft
ihn ins Gefängnis.
Plötzlich ist vollkommene StiUe eingetreten.
Medardus, der regungslos dagestanden ist, folgt ohne den geringsten
Widerstand zwei GardisUn, die ihn zwischen sich nehmen^ und ver-
schwindet mit ihnen rechts vor der lautlosen Menge.
RAPP beugt sich herab. Sie ist schwer verwundet.
Ich bitte, Platz zu machen! — Herr Leutnant, Sie
sorgen dafür, daß sie augenblicklich fortgeschafft wird.
Leise zu ihm. Sie ist tot. Der Kaiser darf erst nach
der Parade von diesem Unglück erfahren.
Die Türe oben öffnet sich, die Garden präsentieren.
LEUTNANT. Es ist zu spät, Herr General.
STIMMEN UNTEN. Der Kaiser! Der Kaiser
kommt, es lebe Kaiser Napoleon! Lauter. Es lebe der
Kaiser Napoleon.
EINE VEREINZELTE STIMME. Frieden . . .
STIMMEN. Es lebe Kaiser Napoleon.
Trommelwirbel.
Dritte Szene
Gefängnis.
Ein ziemlich enger, kammerartiger Raum, Tisch, zwei Sessel, Bett,
Kruzifix an der Wand. Ein vergittertes, ziemlich hohes Fenster im
Hintergrund. Rechts die Türe.
Medardus auf einem Sessel, starrt vor sich bin.
Die Türe wird geöffnet. — Der Kerkermeister läßt Etxelt eintreten,
MEDARDUS. Du . . . Ihm entgegen.
ETZELT. Medardus! Sie umarmen sieb.
MEDARDUS. Man ließ dich ein ?
ETZELT. Gestern abend schon versucht' ich's.
Doch wurd' es mir nicht erlaubt. Jetzt ohne weiters.
MEDARDUS. Ist mein Urteil schon gesprochen?
281
ETZEL7. Bist du verhört?
MEDARDUS. Nein. Außer dem Kerkermeister
habe ich noch keinen Menschen gesehn.
ETZELT. So kann von Urteil auch keine Rede
sein . . .
MEDARDUS. Wie geht's meiner Mutter, Etzelt?
Wo ist sie? Sie will mich nicht sehn.
ETZELT. Sie kam mit mir.
MEDARDUS. Wo ist sie?!
ETZELT. Man hielt sie am Eingang zurücK, mit
aller Höflichkeit, Medardus! Man will sie über dein
bisheriges Leben verhören.
MEDARDUS. Ja, Etzelt — nun ist es so weit —
Der Kerkermeister tritt ein,
KERKERMEISTER, Die Herren verzeihn.
MEDARDUS. Sie sind's ?
KERKERMEISTER. Jawohl, ich bin's. Ein schöner
Tag heute. Haben der Herr wohl geruht ? — Ich er-
laubte mir zu fragen, ob der Herr wohl geruht haben.
MEDARDUS. Bin ich verpflichtet, auf diese Frage
zu antworten ?
KERKERMEISTER. Gewiß nicht, wenn es dem
Herrn nicht behebt. Ich erlaube mir ferner zu fragen,
was der Herr zu frühstücken wünscht.
MEDARDUS immer erstaunter. Ich habe schon ge-
frühstückt.
KERKERMEISTER. Ja, eine Wassersuppe und
ein Stück Brot. Das wird aber wohl zu wenig gewesen
sein.
MEDARDUS. Ah, ist es so gemeint. Ergreift Etzelt
beim Arm. Die Henkersmahlzeit, verstehst du, Etzelt ?
KERKERMEISTER. Wer spricht von Henker.
Weit und breit keiner zu sehn. Übrigens vielleicht ist
er auf dem Wege. Ich will keine Hoffnungen erwecken.
Nur unterläßt man sonst nicht, mich davon zu ver-
ständigen. Mein Auftrag aber ist zu fragen, was der
Herr zu frühstücken wünscht. Meine Frau kocht
vorzügUch . . .
282
MEDARDUS. Es muß eine Verwechslung vorliegen,
bester Mann . . . Ich bin ein Mörder.
KERKERMEISTER. Mir bekannt, aber ein Mörder
von Rang, ein beliebter Mörder. Ein Mörder, dem
gegenüber ein zuvorkommendes Benehmen am Platze ist.
MEDARDUS. Ich habe bisher nichts davon be-
merkt.
KERKERMEISTER. Auch ich nicht. Soeben erst
wurde mir diese Instruktion zuteil.
MEDARDUS. Eben erst . . .
KERKERMEISTER. Also was darf ich zum Früh-
stück bringen ? Und wünschen der Herr vielleicht auch
Lektüre? Meine Tochter hat eine artige Bibliothek.
Andere junge Damen lassen sich allerlei Tand schenken,
Zuckerwerk, Blumen, was weiß ich. Meine Tochter
immer nur Bücher. Zuweilen hest sie auch den Ge-
fangenen vor. Sie singt auch. Eine schmelzende
Stimme, mein Herr . . .
Et klopft.
KERKERMEISTER. Ich komme gleich. Der
Herr überlegt sich's indessen. Ich bin gleich wieder da.
Ab.
MEDARDUS. Was hat das zu bedeuten?
ETZELT. Gutes, Freund, gutes.
MEDARDUS. Nein, eine Verschärfung bedeutet
es. Es soll mich dann um so furchtbarer treffen. Sie
war seine GeHebte, Etzelt! Er rächt sich! . . . Das
ist es.
KERKERMEISTER kommt berein. Die Frau Mutter
des Herrn ist da. Sind der Herr geneigt sie zu emp-
fangen ?
MEDARDUS. Meine Mutter, meine Mutter . . .
Worauf warten Sie noch? Lassen Sie sie doch ein.
Der Kerkermeister ab. Die Mutter berein,
FRAU KLÄHR. Medardus!
MEDARDUS. Mutter!
FRAU KLÄHR die Arme sinken lassend. Ich kann
nicht, Medardus.
283
MEDARDUS. Mutter! Er sinkt vor ihr auf die Kmt.
FRAU KLÄHR. Ich frage dich nichts! Ich will
dich nichts fragen. Doch wenn sie dich vor Gericht
rufen — so sag' ihnen alles . . . alles ... Sie werden
mild sein . . . wenn sie alles wissen , . . Denn . . . dies . .
Medardus, dies kann nicht . . . dein Ende sein.
MEDARDUS. Doch, Mutter ... Es war wohl
schon bestimmt ... am Tage ... da wir Agathe be-
gruben. —
DER KERKERMEISTER tritt ein. Verzeihung, daß
ich wieder störe. Sie erhalten vornehmen Besuch . . .
Der Adjutant Seiner Majestät des Kaisers Napoleon . . .
Herr General Rapp . . . Ab.
MEDARDUS. . . . Was hat das zu bedeuten . . .
ETZELT. Sollt' er selbst dich verhören . . . ?
MEDARDUS. Ich glaube — ... es ist Zeit zum
Abschiednehmen . . . Wer weiß, ob wir uns wieder-
sehen dürfen . . . Mutter . . .Etzelt ! . . .
Der Kerkermeister öffnet. General Rapp tritt ein.
MEDARDUS tritt ihm entgegen. Herr General . . .
RAPP. Dies ist Ihre Mutter ? und das Ihr Freund ?
... Sie mögen beide bleiben. Was ich Ihnen zu sagen
habe, ist kein Geheimnis, Medardus Klähr! Oh, er-
schrecken Sie nicht, Frau Klähr, ich bringe keine
schhmme Botschaft. Medardus Klähr, ich habe
den Befehl, Sie vor Seine Majestät den Kaiser zu
führen.
MEDARDUS. Vor den Kaiser . . . mich . . .
RAPP. Er vn\[ Sie sprechen und zwar sofort . . .
Kommen Sie.
MEDARDUS. Der Kaiser vidll mich sprechen . . .
Ich muß zu ihm ?
RAPP. Ob Sie müssen ? . . . Die Frage macht mich
lächeln. Sie haben dem Kaiser von Frankreich das
Leben gerettet. Erstaunen der andern. Sie haben ein
Frauenzimmer unschädhch gemacht, das, wie er-
wiesen ist, mit der Absicht ins Schloß kam, Seine
Majestät zu töten,
284
MEDARDUS. Mit der Absicht, den Kaiser zu
töten — ?
RAPP. Die Beweise sind in unsern Händen. Sie
werden der Welt nicht lange ein Geheimnis bleiben.
Der Kaiser hat nun eine begreifliche Neugierde, seinen
Retter von Angesicht zu Angesicht zu sehn.
MEDARDUS. Seinen Retter?... Ich — sein
Retter — ! Es war nicht meine Absicht, das zu sein.
RAPP. Das wissen wir. Sie handelten als das Werk-
zeug einer höhern Macht. Wie wir alle tun. Nur ist's
nicht immer so deutHch wie in diesem Fall . . . Folgen
Sie mir, Medardus Klähr.
MEDARDUS. Verzeihn Sie, Herr General. —
Ich kann nicht.
FRAU KLÄHR. Medardus!...
RAPP. So warten wir eine Weile. Ich begreife
Ihre Erschütterung. Fassen Sie sich. Sie können sich
wohl denken, daß Sie nichts zu fürchten haben. Ich
will es Ihnen gleich sagen: Sie werden hierher nicht
mehr zurückkehren. Der Kaiser wird Ihnen die Frei-
heit schenken.
MEDARDUS. Die Freiheit ... die Freiheit . . .
mir ? — Ich wäre nicht in der Lage sie anzunehmen,
Herr General.
RAPP. Sonderbarer Mensch ? Sie wollen am Ende
freiwillig im Gefängnis bleiben ? Das dürfte seine
Schwierigkeiten haben.
MEDARDUS. Vielleicht doch nicht, Herr General
. . . Denn ich kann nicht anders als die unverdiente
Gnade seiner Majestät mit einem freimütigen Ge-
ständnis erwidern.
RAPP. Das wäre . . .
MEDARDUS. Daß ich nicht an der Treppe stand
mit der Absicht, Seine Majestät zu retten.
RAPP. Das wissen wir.
MEDARDUS. Ich wollt' ihn töten, Herr General.
E1ZELT und FRAU KLÄHR. Medardus!! —
RAPP. Kommen Sie zu sich, Medardus Klähr. Die
285
plötzliche Wendung Ihres Schicksals verwirrt Ihren
Geist. Man weiß, daß Sie der Marquise aufgelauert
haben. Und es ist keineswegs unbekannt, welche
Gründe Sie dazu bewogen haben. Ich selbst, Medardus
Klähr, erinnern Sie sich wohl, sah Sie in einer Stunde
zum erstenmal, da die Liebe zu dieser Beklagens-
werten Sie beinahe um den Verstand gebracht hatte.
Man kennt auch die albernen Gerüchte, die in der
letzten Zeit über die Frau Marquise und über Seine
Majestät umgelaufen sind. Es konnte wohl nicht Ihre
Absicht sein, zuerst die Frau Marquise und dann den
Kaiser zu erdolchen. Das wäre etwas viel für einen
Vormittag. Es hätte auch sonst Schwierigkeiten gehabt.
Also lassen wir's genug sein . . . und folgen Sie mir . . .
MEDARDUS. Es war nicht meine Absicht gewesen,
die Marquise zu töten, Herr General. Ich wußte nicht
einmal, daß sie zum Empfange erscheinen sollte. Ich
war also nicht der Retter Ihres Kaisers. Die Marquise
war seine Retterin. Wäre sie mir nicht in den Weg
gekommen, so hätt' ich versucht, den Kaiser zu töten
und — Blick auf Etzelt es wäre mir gelungen!
EIZELT. Glauben Sie ihm nicht, Herr General.
Ich weiß es besser! Ich bin in der Lage, Beweise zu
bringen . . .
MEDARDUS. Das bist du nicht. Das ist niemand
auf der Welt! Ich schwör* es, daß es mein fester und
mein einziger Vorsatz war, den Kaiser zu töten. Und
beständen Sie darauf, Herr General, mich vor ihn zu
führen, auch ihm ins Antlitz könnt' ich nichts andres
sagen.
RAPP. So bleibt mir nichts übrig, als Seiner Maje-
stät von dem, was ich hier vernehmen mußte, Meldung
zu erstatten. Ab.
ETZELT. Unseliger, was kommt dich an?!
FRAU KLÄHR. Medardus! Was soll dies Ge-
ständnis ? ! Von allen Menschen auf Erden ist Bonaparte
der letzte, dem du die Wahrheit schuldest ! Nun kannst
du dich um den Kopf geredet haben I
286
ETZELT. Und hättest dich wahrlich nur darum
geredet. Wen belogst du denn nun? Den General?
Mich ? Uns beide ?
FRJU KLÄHR. Etzelt!
MEDARDUS ruhig. Keinen. Besser als ich, Etzelt,
hattest du erkannt, was mich gestern noch wie einen
Verlorenen umher jagte: ich war meiner Tat noch nicht
wert: noch brannte andres in mir als der Wille, sie zu
vollbringen.
FRAU KLAHR. Andres —? Versteh' ich dich —
Medardus ? Die Liebe zu der Unglücklichen, die du —
MEDARDUS. Liebe — ? Vielleicht, Mutter, war
es mehr. Haß — Sehnsucht — Bewunderung flackerten
in trüben Gluten um ihr Bild in meiner Seele; erst
als ich aus deinem Mund vernahm, Etzelt, — gestern
im Schloßhof von Schönbrunn, daß sie, die mir so
groß und furchtbar erschienen war — wie sie sich nun
erwiesen — , daß die ihrer Sendung untreu und des
Kaisers Geliebte geworden — da sank das angebetete
Bild in nichts zusammen, die Gluten erloschen jäh —
und in einsamer Helle flammte der große Entschluß
in meiner Seele wieder auf. Ich war vdeder — nein,
zum ersten Male war ich ganz ich selbst, meine Tat war
rein wie je — ich durfte sie vollbringen — und so
wollt' ich auch ! Ihn hab ich erwartet, Etzelt ! Mutter !
— ihn, glaubt es mir — die letzte Gelegenheit war es,
die sich bot, und sie wollt' ich nützen! Und da trat
mit einemmal unerwartet, ja vergessen, wie ein ver-
zerrtes Bild der Erinnerung, die mir entgegen, die
mich immer wieder zum Narren meines Schicksals
gemacht hatte, — und sie — machte mich zum letzten-
mal dazu.
ETZELT. Zum letzten — ? Will es ihr nicht eben
wieder, noch im Tod gelingen ? Im Anblick der Un-
glückseligen war dein großer Entschluß wieder ver-
gessen! Zu Unrecht also schuldigst du dich an — der
Lauf der Dinge weist es auch in dieser Stunde noch: du
wärst deiner Tat nicht wert gewesen.
387
MEDARDUS. Am Ende doch — ! ich werde für
sie sterben!
FRAU KLÄHR. Das wirst du nicht, Medardus!
Das darfst du nicht. Du hast es gewiß noch in deiner
Hand! Der General wird zurückkehren —
ETZELT. Und Bonaparte die Gelegenheit sich
nicht entgehen lassen, Gnade zu üben.
MEDARDUS. Allzuwohlfeil.
FRAU KLÄHR. Was liegt daran, Medardus!
Bedenke! du bist nun alles, was ich habe!
MEDARDUS. Ja, Mutter — mich hast du nun
wieder! Aber doch nur, weil ich eben so sprach, wie
ich gesprochen habe — ?! War' ich dein Sohn noch,
wenn ich mich wie ein Spitzbube in die Welt zurück-
schliche, mein Leben in der Hand als einen Lohn, der
mir nicht gebührt ?
ETZELT. Worte, Medardus, große, tönende Worte.
Es wäre ein falscher Tod, in den du gingst, Medardus.
FRAU KLÄHR. Schmähn Sie ihn nicht, Etzelt.
Sie kennen ihn ja doch nicht.
Rapp kehrt zurück,
RAPP. Ich habe Seiner Majestät von den Gründen
Ihrer Weigerung Meldung erstattet. Der Kaiser weiß
Ihre Aufrichtigkeit zu schätzen, zu der eine äußere
Nötigung keineswegs vorhanden war. Noch einmal
haben Sie es in Ihrer Hand, Ihre Freiheit zu gewinnen,
und auf die leichteste Weise.
FRAU KLÄHR und ETZELT. Medardus!
RAPP. Man verlangt nichts von Ihnen als das
Versprechen, daß Sie dem Kaiser von nun an nicht
mehr nach dem Leben trachten. Ihre Ehrlichkeit
ist Zeugnis genug, daß Sie Ihr Wort halten werden.
Geben Sie es mir — so verlassen Sie noch in derselben
Stunde dieses Gefängnis und sind Ihrer Mutter, Ihren
Freunden, Ihrem Vaterland wiedergegeben.
ETZELT. Medardus . . .
FRAU KLÄHR. Er schweigt. Herr General, lassen
Sie mich für ihn . . .
2S8
MEDARDUS. Stille, Mutter, meine Stimme ver-
sagt mir nicht. Herr General, das Versprechen, das
der Kaiser wünscht, ich kann es ihm nicht geben.
E1ZEL1. Du kannst es . , . du sollst es . . . Me-
dardus !
FRAU KLAHR. Er ist von Sinnen, Herr General.
Bedenken Sie, was alles auf ihn eingestürmt ist, in
wenig Stunden. Geben Sie ihm Zeit zu überlegen.
MEDARDUS. Eine Mutter spricht, Herr General!
Sehn Sie mich an, Herr General, ich bin nicht von
Sinnen, es bedarf keiner Bedenkzeit.
RAPP. Medardus Klähr, an Ihrem Mut zweifelt
auch der Kaiser nicht. Lassen Sie sich durch Trotz
nicht auf eine Straße führen, von der es kein Zurück
gäbe! Sie dürfen, ohne Ihrer Ehre etwas zu vergeben,
einen Schwur leisten, den Sie doch halten müßten, auch
gegen Ihren Willen. Oder zweifeln Sie, daß von heute
ab jeder Ihrer Versuche, sich an Bonaparte heran-
zudrängen, fruchtlos wäre?
MEDARDUS. Niemand von uns kennt den weitem
Gang der menschlichen Schicksale. Und so schwör*
ich denn, wenn jemals die Möglichkeit sich mir böte,
ich würde Napoleon töten. Vater und Oheim verlor
ich durch ihn ...
FRAU KLÄHR. Ich hab' es verziehn, willst du un-
versöhnlicher sein als ich ?
MEDARDUS. Nach wie vor erkenn' ich ihn als den
Feind meines Landes und meines Kaisers.
RAPP. Auch dies ist nicht mehr wahr. Denn eben
ist der Friede unterzeichnet worden. Napoleon ist nicht
mehr Ihres Kaisers und Ihres Landes Feind, und wenn
Sie auf Ihrem Plan beharren, sind Sie kein Befreier
Ihres Vaterlandes mehr — sondern ein Hochverräter.
MEDARDUS. Als Bürger dieses Landes mag ich
dann Hochverräter sein. Aber zuerst und zuinnerst
bin ich doch Medardus Klähr, und ich weiß, daß nicht
eher Ruh' auf Erden sein wird, als bis Bonaparte aus
der Welt verschwindet.
Tbcaterstöeke. Vf, 19 280
RAPP. Dies ist eine Ansicht wie eine andre. Doch
glaub' ich weder, daß es Ihnen gegeben ist, die Sendung
Napoleons auf Erden zu begreifen, noch scheint mir
dies die Stunde, sich darüber zu unterhalten. Be-
sinnen Sie sich ein letztes Mal, Medardus Klähr. Ich
bin beauftragt, dem Kaiser Ihr Wort zu überbringen,
daß Sie ihm nicht mehr nach dem Leben trachten.
Hier geben Sie es mir in die Hand, und Sie sind frei.
FRAU KLÄHR. Medardus . . .
ETZELT. Friede, Medardus! . . . Das Leben wartet!
RAPP. Medardus Klähr, Ihr Wort . . .
MEDARDUS. Hier ist mein Wort, Herr General,
daß nicht die Großmut des Kaisers und nicht das Ge-
fühl meiner Ohnmacht mich zu einem Versprechen
bestimmen werden, das ich als schmählich und lügen-
haft zugleich empfände.
FRAU KLÄHR. Medardus . . .
Dit Glocken beginnen zu läuten.
RAPP. Es ist Ihr letztes Wort ?
MEDARDUS. Mein letztes, Herr General.
RAPP. Auch für diesen Fall hab' ich meinen Auftrag.
Er stampft ztoeitnal mit dem Fuß, ein Gendarmerieleutnant mit
sechs Soldaten tritt ein.
FRAU KLÄHR. Herr General.
RAPP. . . . Umarmen Sie Ihren Sohn, Frau Klähr.
Sie werden ihn nickt wiedersehen.
FRAU KLÄHR. Medardus . . .
MEDARDUS. Sei mir nicht böse, Mutter. Es ist
mir vergönnt, als Mann zu sterben. Etzelt, leb' wohl.
Ich danke Ihnen, Herr General, Ihre Absicht war gut.
RAPP reicht ihm die Hand.
Bewegte stumme Pause. Die Glocken läuten fori.
RAPP. Herr Leutnant, walten Sie Ihres Amts. Dies
hier ist Medardus Klähr, schuldig des versuchten Mor-
des an des Kaisers von Frankreich geheiligter Majestät.
LEUTNANT. Vorwärts.
Leutnant, die Soldaten mit Medardus ab.
RAPP zu Etzelt. Der Kaiser hat es nicht anders
290
erwartet. Mich dünkt, dieser junge Mensch hätte an
anderer Stelle stehn sollen.
E7ZELT. Sehr wahr, Herr General. Gott wollte
ihn zum Helden schaffen, der Lauf der Dinge machte
einen Narren aus ihm.
RAPP. Dies kann in solcher Zeit ein Ehrenname
sein wie ein anderer.
FRAU KLÄHR. Wohin, wohin führen sie ihn . . .
RAPP. Frau Klähr . . .
FRAU KLÄHR am Fenster. Dort kommt er.
ETZELl^ will sie entfernen. Nicht, Frau Klähr.
FRAU KLAHR. An die Mauer stellen sie ihn.
Medardus, Medardus . . .
ETZELT. Mein Freund, mein Freund . . .
MEDARDUS Stimme von unten. Leb' Wohl, Etzelt . . .
Mutter, leb' wohl.
Eine Salve . . . Dann Totenstille.
FRAU KLAHR steht starr.
ETZELT nimmt ihre Hand.
RAPP tritt vor sie bin. Ich habe den Auftrag von
meinem Herrn, dem Kaiser, die Mutter dieses Tapfern
zu grüßen. Es ist der Wille des Kaisers, daß Medardus
Klähr mit allen Ehren und in geweihter Erde begraben
werde, als dieses Krieges letzter und seltsamster Held.
Die Glocken läuten fort.
Vorbang.
««•
DJS WEITE LAND
Tragikomödü in fünf Akten
PERSONEN
FRIEDRICH HOFREITER, Fabrikant
GENIJ, seine Frau
ANNA MEINHOLD-AIGNER, Schauspielerin
OTTO, ihr Sohn, Marine-Fähnricb
DOKTOR VON AIGNER, der geschiedene GatU der Frau
Meinbold
FRAU WAHL
GUSTAV 1 ., ^. .
ERNA ] '^' ^''^"'
NATTER, Bankier
ADELE, seine Frau
DOKTOR FRANZ MAUER, Arzt
DEMETER STANZIDES, OberUutnant
PAUL K REIN DL
ALBERTUS RHÖN, ScbriftsulUr
MARIE, seine Frau
SERKNITZ
DOKTOR METER
IwIhER ] TOURIST
ROSENSTOCK, Portier im Hotel am VölserWiiber
EINE ENGLÄNDERIN
EINE FRANZÖSIN
EINE SPANIERIN
PENN, Führer
DIE ZWEI KINDER DER FRAU NATTER
DIE MISS
STUBENMÄDCHEN bei Hofreiter
TOURISTEN, HOTELGÄSTE, KELLNER, BOrS
Ort der Handlung: Baden bei Wien; nur im dritten
Akt das Hotel am Völser Weiher.
ERSTER AKT
Veranda der Villa Hofreiur und Garten,
RecbU die Veranda, geräumig, mit Balustrade, die auch beiderseits
längs der sechs in den Vorgarten führenden Stufen weiterläuft, Doppel-
tür von der Veranda zum Gartensalon steht offen. — Vor der Veranda
Rasenplatz mit Rosensträuchern in Blüte. — Ein grüner, ziemlich
hoher Holzzaun schließt den Garten ein, der Zaun biegt rückwärts
im recbun Winkel um und läuft hinter der Villa weiter. Fußweg
außen längs des Zauns. Fahrstraße parallel dem Fußweg. Innen,
längs des Zauns Buschwerk. Die Gartentüre, links, Mitte, der Veranda
gegenüber, steht offen. Rings um den Raunplatz Bänke: eine vorn
dem Zuschauerraum gegeniüer, eine der Gartentür gegenüber, eine
dritte jenseits des Rasens, also mit der Lehne zum Zuschauerraum.
Auf der Veranda ein länglicher Tisch mit sechs Sesseln, In der
Ecke hinten ein Oleanderbaum. Die Veranda ist durch eine rot-
weiß gestreifte Markise überdeckt. Eine elektrische Lampe auf dem
Tisch. Ein Wandarm rechts von der Türe. Auf dem Tisch Tee-
geschirr. Später Nachmittag, nach einem Gewitterregen. Wiesen
und Blätter feucht. Lange Schatten der Gitterstäbe fallen in den
Garten.
FRAU GENIA, 31 Jährt, einfach -vornehm gekleidet;
dunkelgrauer Rock, violette Seidenbluse, sitzt am Tisch der Veranda
auf dem Sessel an der Schmalseite, die dem Publikum zugekehrt
ist. Sie stellt eben die Teetasse hin, siebt einen Augenblick vor sich
bin, steht auf, rückt den Sessel fort, sieht nach hinUn über die Balu-
strade in den Garten, dann geht sie über die Stufen in den Garten
binab, die Hände auf dem Rücken, wie es ihre Gewohnheit ist.
DAS STUBENMÄDCHEN kommt aus dem Gartensalon
auf die Veranda mit einer großen Tasse, will das Teegeschirr ab-
räumen, zögert.
GENIA noch auf den Stufen, wendet sich nach ihr um. Ser-
vieren Sie nur ab. Der gnädige Herr wird wohl in der
Stadt Tee getrunken haben. Nach einer kleinen Pause, in
der sie den Himmel betrachut. Übrigens könnten Sie auf-
ziehen.
STUBENMÄDCHEN, während sie das Servierbrett bin.
suUt und die Markise hochzieht. Soll ich der gnädigen Frau
nicht was zum Umnehmen bringen ? Es ist kühl ge-
worden.
GENIA. Ja. Den weißen Mantel. Sie riecht an einer
«95
Rou am Strauch^ dann setzt sie ihren Sfastiergang fort, längs der
Veranda nach hinten.
STUBENMÄDCHEN bat die Markise ganz aufgezogen,
räumt ab und entfernt sich mit dem Teegeschirr.
FRAU WAHL und ERNA kommen auf der Straß* vom
rückwärts, längs des Zauns und nähern sieb dem Eingang.
GENIA, weiUrgehend längs der Wiese, nähert sich gleichfalls
dem Eingang.
FRAU WAHL und ERNA grüßen schon von draußen
durch Kopfnicken.
GENIA winkt leicht mit der Hand, beschleunigt ihre SchritU
ein wenig, und trifft am Tor mit beiden zusammen.
FRAU WAHL und ERNA, beide in dunkeln engliscbtn
Kostümen mit Jacke bleiben stebn.
FRAU WAHL, schlank, beweglich, etwa 45 Jahre, von
einer gewissen lässigen, aber sehr bewußten Vornehmheit. Sie näselt
ein wenig, spricht ein nicht ganz echtes aristokratisch-wienerisch.
Blick und Redeweise bald zu müde, bald zu lebhaft. Während sie
spricht, schaut sie meist an ihrem Partner vorbei und erst, wenn sie
zu Ende geredet bat, betrachtet sie ihr Gegenüber freundlich-forschend
toie um sich beruhigt zu finden.
ERNA, größer als ihre Mutter, schlank, bestimmt und grad
heraus bis zur Unbedenklichkeit, ohne vorlaut zu wirken. Fester,
unbefangener Blick.
GENIA reicht beiden freundlich die Hand. Wohlbehalten
aus der Stadt zurück ?
FRAU WAHL. Wie Sie sehn, liebe Frau Genia.
Es war ein fürchterliches Wetter.
GENIA. Bei uns heraußen auch bis vor einer Stunde.
FRAU WAHL. Sie haben schon recht gehabt, daß
Sie lieber zu Hause geblieben sind. Auf dem Friedhof
ist man geradezu versunken. Ich bin wirklich nur Erna
zu Liebe mit hinausgefahren. Es hätte wohl genügt,
der Zeremonie in der Kirche beizuwohnen — meiner
Ansicht nach! Ich bitte Sie, wem erweist man am
Ende einen Dienst damit . . .
ERNA. Da hat die Mama freilich recht . . . Zum
Leben haben wir ihn doch nicht wieder erweckt, den
armen Korsakow.
296
GENIA. Die Beteiligung war wohl sehr groß ?
FRAU WAHL. Enorm. In der Kirche hat man sich
kaum rühren können. Und auch auf dem Friedhof
waren sicher ein paar hundert Menschen — trotz des
miserablen Wetters.
GENIA. Viele Bekannte?
FRAU WAHL. Ja, natürlich . . . Natters kamen in
ihrem neuen scharlachroten Automobil angefahren.
GENIA lächelnd. Von dem hab' ich schon gehört.
FRAU WAHL. Es hat einen phantastischen Ein-
druck gemacht, an der Friedhofsmauer . . . Nicht grad
phantastisch, aber sonderbar hat's schon ausgeschaut . . .
DAS STUBENMÄDCHEN kommt mit dem weißen ManUl,
den sie Genia umgibt. Küss' die Hand, gnädige Frau, küss'
die Hand, Fräulein.
FRAU WAHL Uutselig. Grüß' Sie Gott, liebe Kathi.
ERNA. Guten Abend.
Stubenmädchen ab.
GENIA. Haben Sie meinen Mann nicht gesprochen,
draußen auf dem Friedhof?
FRAU WAHL. Ja . . . flüchtig.
ERNA. Er war sehr erschüttert.
GENIA. Das denk' ich mir.
ERNA. Ich hab' mich eigentlich gewundert. Er
gehört doch sonst nicht zu den Menschen, denen leicht
etwas nahe geht.
GENIA lächelnd. Wie genau Sie ihn kennen.
ERNA. Nun, sollt' ich nicht ? Sehr einfach. Schon
als siebenjähriges Mädel hab' ich ihn geliebt. Lang
vor Ihnen, gnädige Frau.
GENIA. Schon wieder „gnädige Frau".
ERNA beinahe zärtlich. Frau Genia. Küßt ihr die Hand.
GENIA. Er hat übrigens Aleiei Korsakow sehr
gerne gehabt.
ERNA. Offenbar. — Früher dacht' ich nämHch, daß
Korsakow einfach — sein Klavierspieler gewesen ist.
GENIA. Wie meinen Sie das . . . sein Klavierspieler ?
ERNA. Nun, so wie der Doktor Mauer sein guter
«97
Freund ist, Herr Natter sein Bankier, ich seine Tennis-
partnerin, der Oberleutnant Stanzides . . . sein Sekun-
dant.
GENIA. Oh...
ERNA. Wenn's einmal zu so was käme, mein' ich . . .
Er nimmt sich von jedem, was ihm gerade konveniert,
und um das, was sonst in dem Menschen stecken mag,
kümmert er sich kaum.
FRAU WAHL. Wissen Sie, Frau Genia, wie mein
seliger Mann solche Bemerkungen von Erna zu nennen
pflegte? Ihre Produktionen auf dem psychologischen
Seil.
0T10 VON AIGNER kommt herbei, grüßt beim Tor.
Guten Abend.
GENIA. Guten Abend, Herr von Aigner. Wollen
Sie nicht ein wenig zu uns hereinkommen?
OTTO. Wenn*S gestattet ist. Er tritt in den Garten.
Er ist ein füttfundztoanzigj ähriger junger Mann, von zurück-
haltendem uttd liebenswürdigem Benehmen; trägt die Uniform eines
Marinefähnricbs.
Begrüßung.
GENIA. Wie geht's Ihrer Frau Mama ? Ich hatte
eigentUch gehofft, sie heute Nachmittag bei mir zu
sehen.
OTTO. Ist sie nicht gestern bei Ihnen gewesen,
gnädige Frau ?
GENIA. Ja. Und vorgestern auch. Lächelnd. Sie
hat mich eben ein wenig verwöhnt.
OTTO. Meine Mutter ist schon vor zwei Stunden
in die Stadt gefahren. Sie hat heute abend zu spielen.
Zu Frau Wahl und Erna. Die Damen waren heute wohl
auch in der Stadt ? Ich sah Sie in der Früh' während
dieses schrecklichen Wolkenbruchs zur Bahn fahren.
FRAU WAHL. Wir haben dem Begräbnis von Kor-
sakow beigewohnt.
OTTO. Richtig, das war ja heute. Weiß man eigent-
lich, warum er sich umgebracht hat ?
ERNA. Nein.
298
FRAU WAHL. Irgend wer heut auf dem Friedhof
meinte, es sei ein Selbstmord aus gekränktem Ehrgeiz
gewesen.
GENIA. Wie ~ ? . . . Korsakow . . . ?
FRAU WAHL. Ja. Weil er nämlich immer zu
hören bekam, er könne nur Chopin spielen und Schu-
mann, — aber keinen Beethoven und keinen Bach . .
Ich hab' es übrigens auch gefunden.
OTTO. Daß einen so was in den Tod treiben sollte,
ist doch etwas unwahrscheinlich. Hat er keine Ab-
schiedsbriefe hinterlassen ?
ERNA. Korsakow hat nicht zu den Menschen ge-
hört, die Abschiedsbriefe schreiben.
FRAU WAHL. Woher weißt du das wieder so
bestimmt ?
ERNA. Dazu war er viel zu klug und zu geschmack-
voll. Er hat eben gewußt, was das heißt: tot sein.
Und daher war es ihm ganz egal, was die Leute am
nächsten Morgen für ein Gesicht dazu machen werden.
OTTO. Irgendwo hab' ich gelesen, daß er am Abend
vor seinem Selbstmord noch mit einigen Freunden sou-
piert haben soll ... in bester Laune . . .
FRAU WAHL. Ja, das steht dann immer in der
Zeitung,
GENIA. Diesmal stimmt es zufällig. — Das weiß
ich nämlich, weil mein Mann auch unter diesen Freun-
den gewesen ist, die mit ihm soupiert haben.
FRAU WAHL. Ah . . .
GENIA beiläufig. Er hat ja manchmal bis spät
abends in der Stadt zu tun, und dann soupiert er im-
mer im Imperial, — an einer Art Stammtisch — noch
aus seinen Junggesellentagen. In der letzten Zeit war
auch Korsakow oft dabei, der im Hotel gewohnt hat.
Und wie mir Friedrich selbst erzählte, — es war ihm
an diesem letzten Abend nicht das geringste anzumer-
ken. Sie haben nachher im Elaffeehaus noch mitein-
ander Billard gespielt.
FRAU WAHL. Wie, Ihr Mann und Korsakow?
299
GENIA. Ja. Sie haben sogar gewettet — und
Friedrich hat verloren. Am nächsten Morgen, vom
Bureau aus, hat er den Diener ins Hotel geschickt mit
den verwetteten Zigarren . . . und — wissen Sie denn
das nicht? Der Diener war es ja, der die Sache ent-
deckt hat.
FRAU WAHL. Wieso denn?
GENIA. Nun, er klopfte ein paarmal, niemand
rief herein, endlich öffnete er die Türe, um die Zigarren
zu deponieren und . . .
ERNA. Da lag Korsakow tot . . .
GENIA. Ja. Tot auf dem Divan, den Revolver
noch in der Hand . . . Pause.
FRAU WAHL. Ihr Diener muß nicht wenig er-
schrocken sein. — Was hat er denn mit den Zigarren
gemacht ? Hat er sie dort stehn lassen ?
ERNA. Die Mama ist für historische Genauigkeit.
GENIA. Verzeihen Sie, Frau von Wahl, aber dar-
nach zu fragen hab' ich wirklich total vergessen.
Geräusch von einem Auto.
FRAU WAHL. Es hält hier.
GENIA. Das ist Friedrich . . .
ERNA. Da könnte man gleich eine Tennispartie
verabreden. Ist der Platz schon instand gesetzt ?
OTTO. Natürlich. Ich hab' gestern mit Herrn Hof-
reiter zwei Stunden gesingelt.
FRAU WAHL. Er war in der Stimmung, Tennis
zu spielen ?
ERNA. Warum soll er denn nicht in der Stimmung
gewesen sein, Mama ? Daran kann ich nun gar nichts
finden. Auf meinem Grab dürfte man Cake walk tanzen
oder sogar Machich . . . oh ja . . . Es wäre mir eher
ein sympathischer Gedanke.
DOKTOR MAUER kommt. Fünfunddreißig Jahre, groß,
blonder Vollbart, Zwicker, Narbe von einem Säbelhieb auf der
Stirne, dunkler Sakkoanzug, nicht elegant aber durchaus nicht nach-
lässig gekleidet. Guten Abend, meine Herrschaften.
GENIA. Sie sind's, Doktor?
300
MAUER dU sebr scbiuü begrüßend. Küss* die Hand,
gnädige Frau. Zu Frau Wahl. Guten Abend, Fräulein
Erna, guten Abend, Ken Fähnrich. Zu Genta. Der
Friedrich läßt sich schön empfehlen, Frau Genia, er
hat noch in der Fabrik zu tun. Ich bin mit ihm bis
hin gefahren, und er war so freundhch, mir das Auto
zu überiassen für ein paar Krankenvisiten, die ich da
heraußen zu machen habe. Er kommt später mit der
Bahn.
FRAU WAHL. Wir müssen uns leider empfehlen.
Zu Mauer. Hoffentlich sehn wir Sie auch bald ein-
mal bei uns, Herr Doktor. Trotzdem wir uns, gottlob,
eines ungestörten Wohlbefindens erfreuen.
ERNA. Sie müssen aber bald kommen, Doktor, im
Juli reisen wir nämlich nach Tirol, an den Völser
Weiher.
MAUER. Ah!
FRAU WAHL. Wir haben dort Rendezvous mit dem
Gustl. Zu Otto. Das ist nämlich mein Sohn, der reist
das ganze Jahr herum. Na, nicht grad das ganze —
aber recht viel . . . das kann man schon sagen . . . Voriges
Jahr war er in Indien.
ERNA. Und ich möcht* wieder einmal kraxeln.
MAUER. So? Da trifft man sich vielleicht auf
irgend einer Felsenspitze, Mich zieht es nämlich auch
in die Dolomiten. Zu Genta. Und ich will nicht ver-
hehlen, gnädige Frau, daß ich große Lust hab', mir
heuer den Friedrich dazu auszuborgen.
GENIA. Zu Dolomitentouren — ? . . . Was sagt
er denn dazu . . . ?
MAUER. Er scheint nicht gänzlich abgeneigt.
FRAU WAHL. Ich hab' gemeint, daß der Friedrich
seit . , . seit . . . dem Unglück von damals das Berg-
steigen ganz aufgegeben hat.
MAUER. Aber doch nicht für immer.
GENIA XU Otto, erklärend. Ein Freund meines Mannes,
ein gewisser Doktor Bernhaupt, ist nämlich direkt
von «einer Seite weg von einem Felsen abgestürzt
301
und auf der Stelle tot geblieben. Es sind übrigen«
schon sieben Jahre her.
OTTO XU Genta. So? An dieser Partie hat Ihr
Herr Gemahl teilgenommen?
ERNA nachdenklich. Man muß sagen ... er hat nicht
viel Glück mit seinen Freunden.
GENIA zu Otto. Sie wissen von dieser Geschichte?
OTTO. Sie blieb mir begreiflicherweise im Gedächt-
nis, da sie gerade auf dem Felsen passiert ist, den —
mein Vater vor mehr als zwanzig Jahren als allererster
bestiegen hat.
GENIA. Richtig, der Aignerturm war es.
MAUER. Der Aignerturm . . . Man hat wirklich
schon vergessen, daß der nach einem lebendigen Men-
schen so heißt.
Kleine Pause.
ERNA. Das muß doch eigentlich ein sonderbares
Gefühl für Sie sein, Herr Fähnrich, daß da in den Dolo-
miten ein Felsen steht, mit dem Sie gewissermaßen
verwandt sind.
OTTO. Das ist gar nicht so sonderbar, Fräulein.
Beide sind mir nämUch ziemlich fremd, der Felsen und
mein Vater. Ich war ein Bub' von vier oder fünf Jahren,
als sich meine Eltern von einander trennten . . .
FRAU WAHL. Und seither haben Sie Ihren Herrn
Papa nicht mehr gesehn ?
OTTO. Es fügte sich so . . . Pause.
ERNA zum Geben auj fordernd. Also Mama . . . ich
denke, es wäre Zeit.
FRAU WAHL. Ja, wahrhaftig! . . . Wann wir über-
haupt mit dem Auspacken fertig werden sollen! Zu
Mauer. Wir sind nämlich erst am Sonntag heraus-
gezogen. Wir führen noch nicht einmal Menage . . .
Wir müssen in diesem entsetzlichen Kurpark unsere
Mahlzeit nehmen.
ERNA. Aber Mama, es schmeckt dir doch sehr gut.
FRAU WAHL. Aber so viel Leut' sind immer dort,
besonders abends . . . Also auf Wiedersehn, Frau
302
Genia .... Gehn S' ein Stückerl mit uns, Herr
Fähnrich ?
OTTO. Wenn's erlaubt ist . . . Adieu, gnädige Frau,
bitte mich dem Herrn Gemahl zu empfehlen.
ERNA. Auf Wiedersehn, Frau Genia. Adieu, Herr
Doktor.
Verabschiedung.
Frau Wahl, Erna, Otto ab.
GENIA. MAUER.
MAUER nach einer kleinen Pause ^ hat Erna nachgesehen.
Das ist eine, der man beinahe die Mutter verzeihn
könnte.
GENIA. Auch nicht die schlimmste, die gute Frau
Wahl . . . Ich find' sie eher amüsant. Wenn's also
nur daran liegt! Während sie der Veranda zugebt. Ich
hab's Ihnen neulich schon gesagt, überlegen Sie sich
die Sache, Doktor.
MAUER halb im Scherz. Ich glaube, ich bin ihr nicht
elegant genug. Folgt ihr allmählich.
GENIA ein paar Stufen hinauf. Ich hab' übrigens gar
nicht gewußt, daß Friedrich auch nachher noch im
Büro zu tun hätte.
MAUER. Ja, das sollt' ich Ihnen noch ausrichten,
Frau Genia, er muß eine wichtige Depesche abwarten.
GENIA. Amerika?
MAUER. Ja. Wegen der Patentangelegenheit mit
seinen neu erfundenen Glühlichtern.
GENIA. Es ist nur eine Verbesserung, Doktor! Setzt
sich.
MAUER stehend an die Balustrade gelehnt. Wie immer,
jedenfalls scheint die Sache gewaltige Dimensionen
anzunehmen. Ich höre, er will zubauen zu der Fabrik;
den Häuserblock daneben ankaufen . . ,
GENIA. Ja...
MAUER. Und nebstbei hat sich wieder das Kon-
sortium gemeldet, das ihm so nachläuft, wegen An-
kaufs der Fabrik. Morgen früh hat er eine Konferenz
mit seinem Bankier.
303
GENIA. Mit Natter.
MAUER. Natürlich, mit Natter.
GENIA. Sie waren auch beim Begräbnis, die Nat-
ters, hör' ich.
MAUER. Ja.
GENIA. Das scharlachrote Automobil soll großes
Aufsehen gemacht haben.
MAUER. Ja, was ist da zu machen ? Es ist nun ein-
mal scharlachrot.
Kleine Pause.
GENIA siebt Mauer schwach lächelnd an.
MAUER. Übrigens — die Geschichte ist aus.
GENIA weiter ruhig lächelnd. Wissen Sie das ganz
bestimmt ?
MAUER. Ich kann Sie versichern, Genia.
GENIA. Hat Ihnen Friedrich etwa . . .
MAUER. Nein, von dergleichen spricht er ja nie.
Aber wozu hätte man seinen diagnostischen Blick. Es
ist sogar schon geraume Zeit her, daß es aus ist. Ich
versichere Sie, Frau Genia, Friedrich ist tatsächlich
immer im Büro oder in der Fabrik. Sie kennen ihn ja!
Seine neuen Glühlichter müssen die Welt erobern,
sonst macht ihm die ganze Sache keinen Spaß. Frau
Natter existiert also nicht mehr für ihn.
GENIA. Es ist immerhin beruhigend, so etwas zu
hören.
MAUER. 7.ni Unruhe war doch wahrhaftig nie ein
Anlaß. Adelchen ist im Grunde die harmloseste Person
von der Welt. Wenn man nicht zufällig wüßte —
GENIA. Ja, sie! Von ihr aus drohte keinerlei Ge-
fahr. Aber Herrn Natter halt' ich bei all seiner äußern
Liebenswürdigkeit und Gutmütigkeit für einen bru-
talen Menschen. Sogar für etwas tückisch. Und manch-
mal hab' ich schon Angst gehabt um Friedrich. Das
können Sie sich ja denken. Angst, wie um einen Sohn,
— einen ziemlich erwachsenen, der sich in zweifelhafte
Abenteuer einläßt.
MAUER sitzt ihr gegenüber. Es ist wirklich interessant,
304
wie Sie die Dinge auffassen. Man möchte fast glauben,
daß Frauen, die zu Müttern geboren sind, gelegentlich
die Gabe besitzen — es auch für ihre Gatten zu sein.
GENIA. Oder zu werden, Heber Doktor. Es war
mir ja nicht immer so mütterlich zumute. In früherer
Zeit war ich mehr als einmal nahe daran, auf und davon
zu gehen.
MAUER. Oh! —
GENIA. Mit meinem Buben natürlich. Den Percy
hätt' ich ihm nicht gelassen, da können Sie ruhig sein!
MAUER. Sie wollten einmal von Friedrich fort-
gehen . . . ?
GENIA. Ja, das wollt' ich . . . Und ein anderes Mal
hab' ich mich sogar umbringen wollen. Das ist freilich
schon lange her. Vielleicht kommt's mir jetzt auch
nur so vor, daß ich das
MAUER. Gewiß . . . Das hätten Sie nie und nim-
mer getan . . . Schon um ihm keine Ungelegenheiten
zu verursachen.
GENIA. Halten Sie mich für so rücksichtsvoll?
Das ist ein Irrtum, Doktor ... Es gab sogar eine Zeit,
in der ich das Rücksichtsloseste vorhatte, was eine Frau
einem Mann und besonders einem eiteln antun kann.
Mich ... zu rächen.
MAUER. Zu rächen?
GENIA. Sagen wir zu revanchieren.
MAUER. Ach so . . . Das wäre jedenfalls das ein-
fachste gewesen. Und hätte vielleicht auch sonst man-
ches für sich gehabt. Na, vielleicht kommt's noch. Es
kann auch Ihnen einmal die Stunde des Schicksals
schlagen, Frau Genia.
GENIA. Und es müßte am Ende gar nicht die
Stunde des Schicksals sein.
MAUER ernst. Bei Ihnen schon. Das ist es eben
Eigentlich schade. Mein Gerechtigkeitsgefühl wehrt
sich schon lange entschieden dagegen, daß gerade mein
alter Freund Friedrich — nicht bezahlen sollte.
GENIA. Und wer sagt Ihnen, lieber Doktor, daß
Theatentfieke. IV, M «QC
Friedrich nicht bezahlt ? Muß es denn gerade in glei-
cher Münze sein ? Er bezahlt schon — in seiner Weise!
Es geht ihm wirklich nicht so gut wie Sie glauben.
Auch nicht so gut, wie er selber manchmal glaubt.
Zuweilen tut er mir geradezu leid. Wirklich, Doktor,
manchmal denk' ich, es ist ein Dämon, der ihn so treibt.
MAUER. Ein Dämon — ? Na ja! . . . aber es gibt
Frauen, die ihren Herrn Gemahl samt dem Dämon
zum Teufel jagten in einem solchen Fall ... auf einen
fragenden Blick Genias wie es seinerzeit zum Beispiel die
Mutter des Herrn Fähnrich mit ihrem doch auch ziem-
lich dämonischen Gemahl gemacht hat.
GENIA. Vielleicht hat sie ihren Gatten mehr ge-
liebt, als ich den meinen. Vielleicht ist es überhaupt
die höhere Art von Liebe, die nicht verzeiht.
FRIEDRICH HOFREITER kommt. Schlank, nicht sehr
groß, schmales, feines Gesicht, dunkler Schnurrbart, englisch gestutzt;
blondes grau meliertes, rechts gescheiteltes Haar. Er trägt Zwicker
ohne Band, den er manchmal abnimmt; geht etwas nach vorn ge-
beugt. Kleine, ein wenig zusammengekniffene Augen. Liebenswürdige
weich*, beinahe weichliche Art zu reden, die manchmal ins ironisch
Bissige umschlägt. Seine Bewegungen sind geschmeidig, aber verraten
Energie. Er ist mit Eleganz, ganz ohne Geckenhaftigkeit gekleidet;
dunkler Sakkoanzug, darüber offener schwarzer Überzieher mit
breitem Atlasrevers, runder schwarzer Hut, schlanker Regenschirm
mit einfachem Griff. — Noch am Tor. Guten Abend. Im Herein-
kommen. Servus Mauer. Mit einem eigentümlichen Lachen, das
zu seinen Gewohnheiten gehört und das oft klingt, als wenn er sich
über den Angeredeten lustig machen wollte.
MAUER. Grüß' dich Gott, Friedrich. Suht auf.
FRIEDRICH über die Stiege auf die Veranda, küßt Genia
flüchtig auf die Stirn. Guten Abend, Genia. Wie geht's ?
Gibt's was Neues ? Briefe ?
GENIA. Gar nichts. Die Abendpost ist übrigens
noch nicht da.
FRIEDRICH sieht auf die Uhr. Dreiviertel sieben. Den
Briefträger sollt' man auch pensionieren. Von Jahr zu
Jahr wird er langweiHger. Das läßt sich direkt beob-
achten. Vor drei Jahren war die Abendpost immer
306
i
um halb sieben da. Jetzt selten vor halb acht. Wenn
das so weitergeht, wird er nächstens um Mitternacht
angetanzt kommen.
GENIA. Willst du vielleicht noch einen Tee?
FRIEDRICH. Dank' schön ... Ich hab' im Büro
einen getrunken. Gut war er nicht. Also hat dir der
Mauer ausgerichtet . . . ?
GENIA. Ja . . . Ist die Depesche aus Amerika ge-
kommen ?
FRIEDRICH. Natürlich . . . Und es ist so gut wie
sicher, daß ich gegen Herbst hinübermuß.
GENIA. Du wolltest ja einen Herrn aus dem Büro
hinüberschicken.
FRIEDRICH. Ah — ich muß ja doch aUei selber
machen. Willst mitfahren, Genia ? Am 29. August
von Liverpool, oder am 2. September von Hamburg.
Norddeutscher Lloyd. Vom King James kenn' ich den
Kapitän.
GENIA. Wir sprechen uns noch bis dahin, nicht?
FRIEDRICH. Ich hoffe das Vergnügen zu haben.
Er setzt sieb.
GENIA. Es wird dir warm sein im Überzieher.
FRIEDRICH. Nein, ich find' es eher kühl. Ein
Wetter war das. Hat's auch hier so gegossen ? Auf dem
Friedhof war ein Quatsch! — Womit ich nicht die
Reden gemeint habe. Sei froh, daß du nicht . . . Wirk-
lich, das sollt' endlich abgeschafft werden! Was die
wieder zusammengeplauscht haben. — Pause. Na, Mauer,
wie bist du denn herausgekommen ? Nichts passiert ?
Wie seid's ihr denn gefahren? Zehn Kilometer die
Stund', was ? Auf mehr laßt du dich doch nicht ein.
MAUER. Du kannst mich lang frotzeln. Ich trau'
keinem Chauffeur. Ich bin ganz wie du, ich verlass'
mich nur auf mich selber. In den letzten acht Tagen
hab' ich wieder drei Verletzungen nach Automobil-
unfällen in Behandlung gekriegt.
FRIEDRICH. Richtig, wie geht's denn dem Stan-
zides?
ao»
107
MAUER. Für einen doppelt gebrochenen Arm gut
genug. Ich will jetzt eben noch zu ihm hinschaun.
Sehr ungeduldig ist er halt. Und er sollte eigentlich
froh sein, daß er sich nicht das Genick gebrochen hat.
FRIEDRICH. Ich auch, das vergißt du. Ich bin
nämlich auch zehn Meter weit auf die Straße hinaus ge-
flogen. — Aber es ist schon wahr, die Versicherungs-
gesellschaften werden bald keine Bekannten von mir
annehmen wollen.
MAUER. Du hast wirklich kein Glück mit deinen
Freunden, wie das vor einer halben Stunde die Erna
Wahl behauptet hat.
FRIEDRICH. So, die Erna ist dagewesen?
GENIA. Ja, mit der Mutter. Sind eben in Be-
gleitung des Herrn Fähnrich fortgegangen.
FRIEDRICH. So, der Otto war auch da ? . . . Z«
Mauer. Hast ihn gesehn ?
MAUER. Ja.
FRIEDRICH. Wie g'fallt er dir denn eigentlich?
MAUER etwas befremdet von der Frage. Ein ganz netter
Bursch.
FRIEDRICH. Merkwürdig wie er an seinen Vater
erinnert! Dieselbe Couleur in Grau. Findest du nicht ?
MAUER. Möglich . . . Der Doktor von Aigner war
übrigens nie mein Fall. Zu viel Poseur für memen
Geschmack.
FRIEDRICH. Ah, er hat nur Stil. Das verwechselt
man oft. Auch schon lang her, daß ich ihn zuletzt
gesehn hab'. Vor sieben Jahren. In Bozen. Erinnerst
du dich, Genia ?
GENIA. Freilich. Zu Mauer. Mir hat er sehr gut
gefallen.
FRIEDRICH. Ja, er hat damals eine gute Zeit ge-
habt. Jedenfalls war er besser aufgelegt wie ich. Zu
Mauer. Weißt, das war nämlich grad ein paar Tag',
nachdem die Geschichte mit dem Bernhaupt passiert
ist. Na und der Aigner ist damals gerade von einer
Wahlreise zurückgekommen; sehr montiert; irgendwo
308
war er angeschossen worden, in einem südtirolischen
Nest, von Irredentisten, darauf hat er natürlich von
den Deutschen riesige Ovationen bekommen . . . nebst-
bei hat er jeden Tag zwei bis drei Reden zu halten ge-
habt . . .
MAUER. Reden! Ja! Das war immer sein Fall.
Schon damals als Präsident des Touristenklubs, wie ich
im Ausschuß war. Na, und gar jetzt als Abgeordneter.
. . . Da hat er reichlich Gelegenheit!
FRIEDRICH. Ah er redt nicht nur; — er tut auch
was fürs Land. Die neuen Dolomitenstraßen wären
ohne ihn nie gebaut worden. Und diese Riesenhotels
und die Automobilverbindungen, eigentlich alles sein
' Werk! Und nebstbei hat er in jedem Tiroler Dorf
mindestens ein Kind. Auch außerhalb seines Wahl-
kreises.
MAUER. Also gut, sagen wir, er hat Stil. Aber
ich muß jetzt gehn. Der Stanzides wird mich schon
erwarten. —
FRIEDRICH. Grüß' ihn schön von mir. Ich schau'
vielleicht morgen zu ihm hinauf. Zum Nachtmahl
kommst du doch wieder her?
MAUER. Ich weiß nicht.
FRIEDRICH. Aber selbstverständUch.
MAUER zögernd. Danke. Ich fahr' doch lieber mit
dem zehn Uhr zwanzig Zug hinein. Ich hab' morgen
früh im Spital zu tun.
FRIEDRICH. Bist du abergläubisch, Mauer?
MAUER. Warum denn?
FRIEDRICH. Na, ich hab' gedacht, vielleicht wiUst
du nicht im Fremdenzimmer schlafen, weil der arme
Korsakow vor acht Tagen oben übernachtet hat. Aber
ich glaube nicht, daß die Toten schon in der ersten
Nacht Ausgang kriegen zum Erscheinen.
MAUER. Wenn man dich so reden hört . . .!
FRIEDRICH plötzlich ernst. Elinder, es ist doch
scheußlich! Vor acht Tagen hat er da oben geschlafen,
und am Abend vorher hat er noch Klavier gespielt da
309
drin — Chopin — da« Cismoll-Nokturno — und waa
von Schumann — , und da auf der Veranda sind wir ge-
sessen, der Otto war auch dabei und das Natternpaar,
— wer von uns hätt sich das träumen lassen ! — Wenn
man nur eine Ahnung hätte, warum? Na, Genia, —
hat er dir auch nichts g'sagt ?
GENIA. Mir?...
FRIEDRICH ohne Genias Haltung Bedeutung beizulegen.
PlötzUche Sinnesverwirrung, sagen die Leute. Aber es
soll uns erst einer sagen, was das heißt : PlötzUche Sinnes-
verwirrung. Na, Mauer, möchtest du mir's vielleicht
erklären ?
MAUER. Erstens bin ich kein Psychiater — und
zweitens wunder' ich mich nie, wenn sich wer umbringt. "
Wir sind alle so oft nahe daran. Ich hab' mich einmal
umbringen wollen, mit vierzehn Jahren, weil mich ein
Professor ins Klassenbuch geschrieben hat.
FRIEDRICH. In einem solchen Falle hätt' ich Ueber
den Professor umgebracht . . . Nur wäre ich dann ein
Massenmörder geworden.
MAUER. Ich bitt' dich, ein Künstler! Die sind
alle mehr oder weniger anormal. Schon daß sie sich
so wichtig nehmen. Der Ehrgeiz an und für sich ist ja
eine Geistestörung. Dieses SpekuUeren auf die Unsterb-
lichkeit! Und die reproduzierenden Künstler, die ha-
ben's gar schlecht. Sie mögen so groß sein wie sie wol-
len, es bleibt doch nichts übrig als der Name und nichts
von dem, was sie geleistet haben. Ich glaub' schon,
daß einen das verrückt machen kann.
FRIEDRICH. Aber was redst denn! Du hast ihn
ja nicht gekannt. Ihr habt ihn ja alle nicht gekannt.
Ehrgeiz . . . Der? — Dazu war er ja viel zu gescheit!
Zu philosophisch könnt' man sagen. Die Klavierspielerei
war ihm in WirkHchkeit Nebensache. Habt ihr denn
eine Ahnung, für was alles der sich interessiert hat?
Den Kant und den Schopenhauer und den Nietzsche
hat er im kleinen Finger gehabt, und den Marx und
den Proudhon gleichfalls. Es war ja fabelhaft. Ich
310
weiß schon, wen ich mir aussuch' zum konversieren . . .
Und dabei täglich sechs Stunden üben! Wo er nur die
Zeit zu dem allen hergenommen hat ? — Und sieben-
undzwanzig Jahre! Und bringt sich um. Herr Gott,
was hat so ein Kerl noch alles vor sich gehabt. Jung
und berühmt, ganz hübsch obendrein — und schießt
sich tot. Wenn das ein alter Esel tut, dem das Leben
nichts mehr bieten kann . . . Aber grad die . . . Na.
— Und noch am Abend vorher sitzt man zusammen
mit so einem Menschen, beim Nachtmahl — und spielt
Billard mit ihm . . . Was ist denn, Genia ? Was ist
denn da zum Lachen ?
GENIA. Ich hab' die Geschichte eben der Frau
Wahl erzählt. Sie hat sich sofort erkundigt, wo die
Zigarren hingekommen sind, die du ihm am nächsten
Tag geschickt hast.
FRIEDRICH. Ha! . . . Die ist doch unbezahlbar.
Nimmt eine Zigarrentascbe heraus^ offeriert dem Mauer. Du bist
ja nicht abergläubisch. Ich rauch' grad auch eine.
Der Franz hat sie mir natürlich zurückgebracht.
MAUER. Danke. Es ist eigenthch schad' drum vor
dem Nachtmahl. Nimmt sie.
FRIEDRICH gibt ihm Feuer.
STUBENMÄDCHEN kommt mit Briefen
GENIA nimmt sie ihr aus der Hand. Eine Karte VOn
Percy.
FRIEDRICH. Dearmother. An dich. Schon wieder
nur eine Karte. So ein fauler Strick.
MAUER. Was soll denn ein dreizehnjähriger Bursch
Briefe schreiben. Und gar noch enghsch.
FRIEDRICH. Kann er grad so gut wie deutsch.
MAUER. Also auf Wiedersehn. In einer halben
Stunde bin ich wieder da. Die Zigarre hat übrigens
wirklich keine Luft. Das ist kein Aberglaube. Bleib
nur. Ab.
FRIEDRICH. GENIA.
FRIEDRICH. Ja, es war ganz gut, daß du nicht
hineingefahren bist, Genia. Die Reden . . . und das
3U
Wetter dazu. Er tiebt die Briefschaften und die Zeitungen flüchtig
durch. Übrigens, wie man den Sarg in die Erde ge-
senkt hat, ist plötzlich die Sonne hervorgekommen. —
Pause. Ist heut nicht Donnerstag? Heut hätt' er ja
bei uns nachtmahlen sollen. Das muß man dem Mauer
auch noch sagen . . . Geh, laß mich doch die Karte
von Percy anschaun.
GENIA reicht sie ihm. In vier Wochen ist er da.
FRIEDRICH lesend. Ja. Also die beste griechische
Aufgabe. Na, auch nicht schlecht. Vielleicht wird er
Philolog oder Archäolog. Hast du übrigens gestern
im Daily Telegraph den Artikel über die neuen Aus-
grabungen in Kreta gelesen ?
GENIA. Nein.
FRIEDRICH. Sehr interessant. Da müßte man
eigentlich auch einmal hin. Ja. Pause.
GENIA. Was du da früher von Amerika gesagt hast,
— ist das dein Ernst ?
FRIEDRICH. Natürlich. Na, hättest du keine Lust,
Genia ? In New York selbst hätt' ich nicht lang zu tun.
Aber dafür auch in Chicago und in Washington, und
St. Louis . . . Und ich finde, es wäre unverantworthch,
wenn man bei dieser Gelegenheit nicht weiter rutschte;
— hinüber bis nach San Francisco. Erinnerst du dich,
wie uns der arme Korsakow von seiner Tournee durch
Kalifornien erzählt hat ? Es muß schon prachtvoll sein.
GENIA. Das wäre ja dann eine Reise von ein paar
Monaten.
FRIEDRICH. Ja, wenn bis dahin hier alles in Gang
gebracht ist, insbesondere der Neubau, dann könnte
man die Reise wohl bis zum Frühjahr ausdehnen . . .
Na, überleg's dir.
GENIA schüttelt langsam den Kopf.
FRIEDRICH. Hast Angst vor der Seefahrt ? Ich
bitt' dich, jetzt auf den neuen Schiffen! Und übrigens
ist soeben wieder ein vollkommen sicheres Mittel gegen
Seekrankheit erfunden worden. Vibrationselektrizität.
GENIA. Ich glaub' nicht, daß ich mich entschließen
312
I
werde. Trotz der Vibrationselektrizität. Aber eine
andere Idee hätt' ich . . .
FRIEDRICH. Und zwar?
GENIA. Während du drüben bist, möcht' ich in
England bleiben — beim Percy.
FRIEDRICH siebt sie von der Seite an. Hm. Du hättest
nicht viel von ihm.
GENIA. Er könnte ja während der Zeit als Extemist
weiterstudieren. Grad so wie die Buben von meiner
Schwester, der Mary. Und ich könnte mit ihm zusam-
menwohnen.
FRIEDRICH. Was sind denn das . . . wie kommst
du denn so plötzlich auf diese Idee . . . ?
GENIA. Nicht so plötzlich. Ich habe erst neulich
mit dir davon gesprochen. — Erinner* dich nur. Und
da du doch entschlossen scheinst, ihn noch ein paar
Jahre drüben zu lassen . . .
FRIEDRICH. Natürlich. Du siehst ja, wie iamos er
sich drüben entwickelt. Es wäre nichts als verdammter
Egoismus, wenn vnr ihn jetzt, mitten in seiner Ausbil-
dung, wieder zurückholten, in unsern Kontinent, wo sie
einen systematisch zu allerlei SentimentaHtäten und Bru-
talitäten erziehen, statt zum Golf spielen und Rudern.
GENIA. Wenn nur die Sehnsucht nicht wäre . . .
FRIEDRICH. Ja, das muß man schon mit in den
Kauf nehmen. Meinst du vielleicht, ich sehn* mich
nicht nach ihm ? Aber Sehnsucht ist meiner Ansicht
nach ein sehr gesundes Element in der Ökonomie der
Seele, Sehnsucht hat die Eigenschaft, menschliche Be-
ziehungen zu verbessern. Ich finde überhaupt, man
sollte die menschlichen Beziehungen mehr auf Sehnsucht
einrichten als auf Gewohnheit. Übrigens können wir
ihn ja jedenfalls hinüberbegleiten nach England, und
du kannst dich dann noch immer entscheiden, ob du
mit mir fahren oder beim Buben bleiben willst über
den Winter.
GENIA. Es wäre mir lieber, wenn du die Sache
schon heute als meinen festen Entschluß ansähst.
3x3
FRIEDRICH. Als deinen Entschluß?
GENIA. Ich hätte ja noch allerlei zu besorg Ai, eh*
ich nach England fahre. Von heute auf morgen läßt
sich doch so eine Übersiedlung nicht bewerkstelligen.
FRIEDRICH. Übersiedlung ?
GENIA. Nenn's wie du willst.
FRIEDRICH. Ja, was hast du denn, Genia? Du
bist ja geradezu sonderbar?
GENIA. Was ist denn daran sonderbar? Daß eine
Mutter . . . daß man seinen einzigen Sohn . . . Wenn
er um ein paar Jahre älter ist, hab' ich ja überhaupt
nichts mehr von ihm. Im Sommer zwei Monate, und
zu Weihnachten acht Tage und zu Ostern, — das ist
doch zu wenig. Ich hab' lang genug gekämpft, — ich
kann einfach nicht mehr.
FRIEDRICH. Du, Genia, man könnte beinahe den
Eindruck gewinnen, als wenn's dir nicht so sehr darauf
ankäme, einige Zeit bei deinem Sohn zu verbringen,
als von deinem ... als von hier abzufahren.
GENIA. Sonderlich vermissen wirst du mich wohl
nicht, denk' ich . . . Aber wozu darüber reden. Sie
steht auf.
FRIEDRICH. Was ist denn?
GENIA. Nichts. In den Garten hinunter geh* ich.
Über die Stufen hinab.
FRIEDRICH siebt ihr nach.
GENIA langsam längs der Wiese nach rücktoärts.
FRIEDRICH von der Veranda herunter^ noch im Überzieher^
den Hut bat er oben gelassen^ bleibt an einem Rosenstrauch stehen.
Riecht daran. Die haben heuer überhaupt keinen Duft
mehr. Ich weiß nicht, was das ist. Jedes Jahr schaun
sie üppiger aus, aber das Duften haben sie sich ganz
abgewöhnt.
GENIA langsam nach rückwärts, Hände auf dem Rücken.
FRIEDRICH nach einer Pause. Du, — Genia.
GENIA. Was?
FRIEDRICH. Na, wenn du bei mir angelangt bist.
GENIA langsam näher. Da bin ich.
3H
FRIEDRICH. Du, Genia, sag' einmal. Faßt sie ins
Auge, ganz rubig. Solltest du vielleicht doch wissen,
warum sich der Korsakow erschossen hat?
GENIA ruhig. Was soll denn diese Frage bedeuten ?
Du weißt, ich bin nicht weniger erstaunt gewesen als
du.
FRIEDRICH. Man hatte allerdings den Eindruck.
Also sag', warum willst du denn fort von mir ... so von
heut auf morgen ?
GENIA. Ich wiU nicht fort von dir. Zu Percy will
ich. Und nicht von heut auf morgen, sondern im Herbst.
Mit Percy zusammen.
FRIEDRICH. Ja, sonst war* es wohl zu auffallend.
GENIA. Was wäre auffallend?
FRIEDRICH. Da säh's ja beinahe aus wie eine
Flucht.
GENIA. Flucht? Flucht vor dir! Das hab' ich
wohl nicht notwendig. Wir sind ja weit genug von-
einander, auch daheim! — Pauu.
FRIEDRICH. Du Genia! — Er ist ja tot und be-
graben, — der Herr Alexei Korsakow . . .
GENIA. Was willst du denn immer von ihm?
FRIEDRICH. Ruhig, mein Kind, nur ruhig! . . .
Ich will damit nur sagen, es kann ihm nicht das ge-
ringste mehr ... Es würde ihm natürlich auch nichts
geschehn, wenn er noch auf der Welt wäre, so wenig
wie dir . . . Aber du wirst doch zugestehn, diese Aus-
einandersetzung zwischen uns bekommt ein eigentüm-
liches Cachet . . . nein, das ist nicht das richtige Wort . . .
also ich will nur sagen, daß dieses Gespräch gerade heute
stattfindet, daß gerade heute, an dem Tag, da der Herr
Korsakow begraben wurde, deine Stimmung so eigen-
tümlich . . . Wenn ich auch ein Ehemann bin, Genia,
ich bin ja kein Trottel. Also, daß da irgend etwas nicht
stimmt, dafür leg* ich meine Hand ins Feuer. Also —
was ist gewesen zwischen euch?
GENIA. Ich schau' dich nur an.
FRIEDRICH. Ja, das merk' ich. Aber du wirst zu-
315
geben, eine Antwort ist das nicht. Du solltest mich
auch nicht mißverstehn, Genia. Es muß ja nichts
Wirkliches vorgefallen sein, zwischen dir und Korsakow.
Es war vielleicht nur ein Fürt. Ja. Denn, wenn es etwas
andres gewesen wäre, hätte er sich nicht zu erschießen
brauchen. Außer lauernd es ist doch mehr gewesen
— und du hast ihn — — — in Gnaden entlassen.
Er spricht immer ganz ruhig, nimmt sie aber jetzt beim Arm.
GENIA beinahe lächelnd. Eine Eifersuchtsszene?! —
Aber! . . . Du solltest wirklich was für deine Nerven
tun, Friedrich. Ich weiß nicht . . . aber ich kann ja
nichts dafür, daß es zwischen dir und Adele Natter zu
Ende ist, — und daß noch keine Nachfolgerin da zu
sein scheint.
FRIEDRICH. Ah, du bist ja sehr gut informiert.
Na, ich will vorläufig nicht untersuchen, von welcher
Seite dir diese Wissenschaft kommt, — übrigens kann
ich wirklich nichts dafür, daß du mich nie direkt um
was gefragt hast; — ich hätte dir nichts abgeleugnet.
Keinesfalls hätte ich dir erwidert, du sollst etwas für
deine Nerven tun. Das ist überhaupt . . . das sieht dir
nicht einmal ähnlich. Ich versteh' dich eigentlich gar
nicht. Du solltest mich doch besser kennen. Ich weiß
wahrhaftig nicht, warum du dastehst wie eine Bild-
säule, statt mir vernünftig zu antworten . . . Mir
scheint, du traust mir nicht, Genia ? . . . Du denkst
dir, man kann bei ihm nicht wissen ? . . . Aber ich ver-
sichere dich, Genia — halt das nicht für Hinterlist
— ich würde es vollkommen begreifen. Du hättest ja
schließlich nur Recht gehabt — ob's nun Alexei war
oder . . . na, über den Geschmack kann man ja nicht
streiten. Aber bekanntlich richtet sich in einem solchen
Fall die Gattin selten nach dem Geschmack des Gemahls.
GENIA. Warum verleugnest du ihn plötzlich ? Du
bist ja doch sein Freund gewesen. Heut beim Begräb-
nis sollst du ja sogar tief ergriffen gewesen sein.
FRIEDRICH. Hat dir das auch der Mauer erzählt ?
GENIA. Das zufällig die Erna Wahl. Sic hätte dir
316
nämlich gar nicht zugetraut, daß dir irgend etwas auf
der Welt so nahe gehn kann.
FRIEDRICH. Ah, Erna, die Menschenkennerin.
Natürlich war ich ergriffen. Es tut mir so leid um ihn,
wie's mir selten um wen leid getan hat. Und es tat'
mir nicht weniger leid um ihn, wenn ich mit absoluter
Sicherheit wüßte, daß du — seine Geliebte gewesen
bist. Du kannst dir nämlich gar nicht vorstellen, wie
— unwesentlich und nebensächlich gewisse Dinge für
einen werden, wenn man grad vom Friedhof kommt.
Das sag* ich nicht, um dich zu beruhigen, sondern weil's
wahr ist. — Also gib endlich eine Antwort. Früher
geb' ich ja keine Ruh*. Kannst auch lügen, aber ant-
worten mußt du. Ich werd' schon wissen, ob's wahr ist.
Also ... ja oder nein ? —
GENIA. Er war nicht mein Geliebter. Er war lei-
der nicht mein Geliebter. Ist dir das genug?
FRIEDRICH. Ja, das ist mir genug. Denn jetzt
weiß ich, daß er's war. Du hast dich nämlich selbst
verraten! Merkst nicht? — Leider war er's nicht,
hast du gesagt. Und da du ihn geliebt hast, warst du
natürlich seine Geliebte. Was hätte dich daran hindern
sollen? Und da du jetzt — Schluß gemacht hast, hat
er sich eben umgebracht. Sehr einfach. Und warum
du Schluß gemacht hast, das ist noch einfacher. Ich
werd's dir sagen, warum: Weil solche Dinge eben ein
Ende haben müssen. Besonders, wenn es sich um so eine
Geschichte handelt mit einem Menschen, der um ein
paar Jahre jünger ist — und sich meistens auf Konzert-
reisen befindet. Und dann, der Percy kommt bald
zurück, und da mag dich denn ein gewisses, wie soll ich
sagen, Reinlichkeitsgefühl ... Na . . . Eigentlich sehr
anständig. Somit wäre alles ganz klar, bis auf die Idee
mit der englischen Reise, Nein, eigentlich versteh' ich
auch das ganz gut. Schließlich, wenn die Sache auch
zu Ende war für dich, — dieser Abschluß , . , Ja,
sogar, wenn du ihn nicht sehr leidenschaftlich geliebt
hast — oder hättest . . .
317
GENIA. Bemüh* dich nicht weiter. Da lies. SU
xiebt eintn Brief aus ihrem Gürtel.
FRIEDRICH. Was soU ich ... ?
GENIA. Lies.
FRIEDRICH. Was ist... Ein Brief? Von ihm
ein Brief? An dich ein Brief von ihm? — Ah, behalt
ihn. Ich will ihn nicht. Das sah' ja aus . . . Ich danke.
Wenn es nicht deine Absicht war, mir diesen Brief zu
zeigen, — so behalt ihn dir freundlichst!
GENIA. Lies!
FRIEDRICH. Warum soU ich ihn denn lesen ? Du
kannst mir ja sagen, was drin steht. Ist er nicht viel-
leicht russisch? Und die kleine Schrift. Da verdirbt
man sich ja die Augen.
GENIA. Lies.
FRIEDRICH auf die Veranda. Er dreht das Licht auf,
Wandarm, stellt sich darunter, setzt den Zwicker auf, beginnt für
sich zu lesen.
GENIA folgt ihm langsam, bleibt auf der untersten Stufe stebn.
FRIEDRICH Usend. „Leben Sie wohl, Genia." Liest
für sich weiter. Blickt auf zu ihr, erstaunt. Was ? Du hast
keine Ahnung gehabt, daß er . . . Wann hast du denn
den Brief bekommen ?
GENIA. Eine Stunde bevor du mir die Nachricht
gebracht hast, daß er tot ist.
FRIEDRICH. Du hast's also schon gewußt, wie
ich nach Haus gekommen bin ? Man ist doch . . . Also
auf die Gefahr hin, daß du mich für einen Idioten hältst,
ich hab' dir nichts angemerkt, nicht das geringste . . .
Liest weiter für sich, dann schaut er wieder wie überrascht auf,
dann liest er halblaut. „Sie hatten ja vielleicht recht,
daß Sie sich meinem vermeßnen Wunsch versagten.
Wir waren beide nicht geschaffen in Lüge . . . Ich
vielleicht; Sie nicht . . . trotz allem . . ." Trotz allem . ..
Du hast dich wohl sehr beklagt über mich?
GENIA fragender Blick.
FRIEDRICH Usend. „Daß Sie Ihn" — mit großem
I, sehr schmeichelhaft — „daß Sie Ihn nicht verlassen
318
wollen, trotz allein, das versteh' ich in dieser Stunde.
Sie lieben ihn, Genia, Sie lieben Ihren Gatten noch
immer, das ist die Lösung des Geheimnisses. Und
vielleicht ist das, was ich mit dem törichten Wort" . . .
das kann ich absolut nicht lesen . . .
GENIA. „Was ich mit dem törichten Wort Treue
bezeichne" . . .
FRIEDRICH. Ah, du kennst ihn ja auswendig.
„Was ich mit dem törichten Wort Treue bezeichne,
nichts als die Hoffnung, daß er Ihnen doch einmal
zurückkehrt."
GENIA. Seine Auffassung. Du weißt, daß ich
nichts hoffe — und nichts wünsche.
FRIEDRICH siebt sie an; dann : „Als ich Sie gestern
sprach, war ich schon entschlossen" Gestern ? . . . War
er denn am Sonntag da ? Ja, richtig, ihr seid in der
Allee hinten auf und ab gegangen miteinander . . .
ja . . . Liest. „Als ich Sie gestern sprach, war ich schon
fest entschlossen, alles weitere von Ihrem ja oder nein
abhängig zu machen. Ich habe Ihnen ja nichts davon
gesagt, denn ich fürchtete, wenn Sie geahnt hätten,
daß es mir vollkommen unmögUch ist, ohne Sie weiter-
zuleben . . ." Etwas ausführlich schreibt er, der Herr
Alexei Iwanowitsch . . . Musik vom Kurpark her, gedämpft.
„Ich wollte mein Glück nicht einem Zwang, nicht einer
Art von Erpressung verdanken. Darum" . . . Hättest
du ja gesagt, wenn du gewußt hättest, daß es um Leben
und Tod geht?
GENIA. Wenn ich gewußt hätte . . . ? Wie kann
man sich so was . . . Ich hätt's ja nicht geglaubt. Das
hätt' ich ja doch nicht geglaubt.
FRIEDRICH. Ich will dich anders fragen.
PAUL KREINDL elegant, jung, angestrengt fescb, erscheint
am Tor. Guten Abend! Küss' die Hand, gnädige Frau.
FRIEDRICH. Wer ist denn? ... Ah, Paul, Sie!
Herunter.
PAUL. Bitte. Er tritt näher. Ich wiU nicht stören.
Ich komme nämlich als Abgesandter aus dem Kurpark;
319
von Frau von Wahl und Fräulein Erna und Herrn
Fähnrich von Aigner und dem Herrn Oberleutnant
Stanzides . . ,
FRIEDRICH. Der geht schon aus?
PAUL. Ob die Herrschaften nicht auch zur Musik
kommen möchten ?
GENIA. Wir danken sehr, aber wir haben einen
Gast zum Nachtmahl, den Doktor Mauer.
PAUL. So bringen Sie ihn doch mit, gnä' Frau!
FRIEDRICH. Sie bleiben ja gewiß alle lang im Park.
PAUL. Bis ausgelöscht wird.
FRIEDRICH. Also schön, — vielleicht kommen
wir nach . . . ohne Verpflichtung.
GENIA. Wir lassen jedenfalls bestens danken.
PAUL. O bitte. Man würde allerseits sehr beglückt
sein. Küss' die Hand, gnädige Frau, adieu, Herr Hof-
reiter, bitte tausendmal um Entschuldigung, wenn ich
gestört habe. Gebt.
FRIEDRICH und GENIA im Garten.
Pause.
FRIEDRICH. Ich will dich anders fragen. Ich
meine : Wenn du ihn von den Toten wieder aufwecken
könntest, — dadurch, daß du dich bereit erklärtest . , .
seine Geliebte zu werden.
GENIA. Ich weiß nicht.
FRIEDRICH. Du vergißt, was du früher gesagt
hast, „Er war leider nicht mein Geliebter". Wenn
du selbst es bedauerst, daß du's nicht warst, so kann
doch nicht so viel dazu gefehlt haben. Und jetzt zwei-
felst du daran, daß du seine Geliebte würdest, selbst
wenn du ihn damit wieder von den Toten . . . Warum
gibst du's nicht zu ? Er hätte nur noch ein paar Tage
Geduld haben müssen, dann wärst du doch ... du hast
ihn ja geliebt.
GENIA. Nicht genug, wie du siehst.
FRIEDRICH. Du sprichst das aus, als wenn du mir
einen Vorwurf . . . Ich kann ja nichts dafür.
320
GENIA. Nur ich. Ich weiß.
FRIEDRICH. Und jetzt bereust du ... daß du .. .
ihn in den Tod getrieben hast ?
GENIA. Es tut mir sehr weh, daß er gestorben ist.
Aber zu bereuen, zu bereuen hab' ich doch nichts ? !
Hätt* er mir gesagt, was er vorhat — hätt* er mir . . .
Oh, ich hätt' ihn schon zur Vernunft gebracht . . .
FRIEDRICH. Wie denn — ?
GENIA. Ich hätt' ihm das Wort abgenommen . . .
FRIEDRICH. Was denn? Aber red' nicht! Du
hättest ihm kein Wort abgenommen; — du wärst ein-
fach seine GeUebte geworden . . . selbstverständlich.
GENIA. Ich glaub' nicht.
FRIEDRICH. Aber ich bitt» dich!
GENIA. O, nicht deinetwegen. Nicht einmal wegen
Percy.
FRIEDRICH. Ja, warum?
GENIA. Um meinetwillen!
FRIEDRICH. Das versteh' ich nicht.
GENIA. Ich hätt' nicht können. Weiß Gott warum.
Ich hätt' nicht können. Pause.
FRIEDRICH. Da hast deinen Brief, Genia.
GENIA nimmt ihn.
Mauer kommt.
MAUER. Guten Abend, meine Herrschaften. Ich
hab' euch hoffentlich nicht zu lange warten lassen.
FRIEDRICH ihm entgegen. Servus, Mauer. Na, dem
Stanzides scheint's ja schon sehr gut zu gehn. Er sitzt
im Kurpark bei der Musik.
MAUER. Ja, ich hab' ihn selber bis hin begleitet.
FRIEDRICH. Der Paul Kreindl war grad da, wir
sollen auch nach dem Nachtmahl hinkommen.
GENIA. Ich will sehen, ob noch nicht . . .
FRIEDRICH. Du, Genia, ich hätt' eine Idee . . .
Gehn wir doch gleich hinüber in den Park. Weiß der
Teufel, ich hab' so eine Lust auf Musik und viel Leut'.
Dir ist's doch egal, Mauer, was ?
MAUER. Mir? Es kommt nur auf deine Frau an.
ITseateritücke. IV, jx JZI
GENIA. Ich will euch nicht stören, aber ich für
meine Person möcht' lieber zu Haus bleiben.
FRIEDRICH. Nein, das hat keinen Sinn. Komm
nur mit, Genia, es wird dir auch ganz gut tun.
GENIA. Ich müßt' mich umkleiden . , .
FRIEDRICH. So kleid' dich halt um, vvir warten
indes da im Garten.
GENIA. Liegt dir so viel daran?
FRIEDRICH zu Mauer. Was sagst du ? ! Nervös. Also
bleiben wir alle schön zu Haus . . . Schluß.
GENIA. Ich komm' gleich . . . Ich setz' nur meinen
Hut auf. Ab.
MAUER. FRIEDRICH.
FRIEDRICH nach einer Pause. Ja, lieber Mauer, ja,
ja . . .
MAUER. Ich begreif dich eigentlich nicht . . . Das
muß doch einer Hausfrau unangenehm sein.
FRIEDRICH. Na, im Kurpark kriegst du auch ganz
gut zu essen. Pause. Übrigens — daß du heute
hineinfahrst, ist vielleicht doch ganz gut. — Die Chan-
cen für Geistererscheinungen in diesem Haus haben sich
nämlich beträchtlich gesteigert.
MAUER. Was?
FRIEDRICH. Du verdienst eigentlich mein Ver-
trauen nicht, weil du alles mögliche ausplauscht, sogar
was ich dir nicht einmal erzählt hab' . . .
MAUER. Was heißt das?
FRIEDRICH. Na, daß die Geschichte mit der Adele
Natter aus ist, woher weiß die Genia das ?
MAUER. Du solltest froh sein, daß man einmal
auch etwas Vernünftiges von dir erzählen kann.
FRIEDRICH. Na, ob gerade das so besonders ver-
nünftig war . . . Ach Gott, Mauer, das Leben ist schon
eine komplizierte Einrichtung! . . . Aber interessant . .
sehr interessant!
MAUER. Was hast du denn früher gemeint mit
den gesteigerten Chancen für Geistererscheinungen ?
FRIEDRICH. Ja so. — Na, was glaubst du, warum
322
I
sich der Korsakow umgebracht hat? — Na, rat ein-
mal!! — Aus unglücklicher Liebe — zu meiner Frau.
Was, da schaust du ? ! Aus unglücklicher Liebe ! , . .
Das gibt's!... Einen Brief hat er ihr hinterlassen.
Den hat sie mir zum Lesen gegeben . . . Einen sehr
merkwürdigen Brief . . . gar nicht schlecht geschrieben
. . . für einen Russen!
GENIA kommt mit Hut. Man bort jetzt die Musik wieder
deutlicher. Da bin ich. Also, lieber Doktor, jetzt will
ich's Ihnen sagen: Nur Ihretwegen lass' ich unser
gutes Nachtmahl im Stich. Die Erna ist nämlich im
Kurpark . . .
FRIEDRICH. Ah? Die Erna! Zu Mauer. Ja, das
war' was. Na, Mauerl, nimm dich zusammen. Die
gönn' ich nicht jedem. Obwohl sie mich, wie es scheint,
für einen herzlosen Schuften hält, und mir nicht ein-
mal zutraut, daß der Tod eines Freundes . . .
Sit verlassen alU den Garten und treten auf die Straße.
Vor bang.
ZWEITER AKT
Villa Hofreiter; entsprechende Partie des Gartens.
Links die hintere Fassade des Hauses. Türe, die direkt in den Garten
führt. Rechts und links von der Türe je zwei Fenster^ zum Teil
offen. Im ersten Stockwerk ein kleiner Balkon. Mitte Raten. Weiter
rechts ein großer Nußbaum, darunter Bank, Tisch, Sessel. Weiter
rückwärts Mitte eine Baumgruppe, durch die der im Hintergrund
liegende Tennisplatz zum Teil gedeckt wird. Um den Tennisplatz
hohes Drabtgitter. Außerhalb des Tennisgitters, sowohl links als
rechts je eine Bank. Zwei kleine Bänke zu seilen der Haustür unter
den Parterrefenstern. — Heißer, sonniger Sommertag.
FRAU GENIA unter dem Nußbaum im weißen Sommerkleid.
Ein Buch in der Hand, nicht lesend.
Auf dem Tennisplatz ist eine Partie im Gang. Links Friedrieb
Hofreiter und Adele Natter, rechts Erna Wahl und Paul Kreindl.
Die weißen Kostüme schimmern her, doch die Gesichter sind kaum
KU erkennen. Zuweilen hört man die Rufe: „fifteen, thirty, fourty,
out, deuce, second" usw.
Bald nachdem der Vorbang aufgegangen ist, kommt Otto von Aigner,
diesmal in Zivil, Tennisanzug, Panamahut, Rakett in der Hand,
hinter dem Hause hervor urid will sich auf den Tennisplatz begeben.
Er gewahrt Genia, die seine Schritte gehört hat, und gebt auf sie zu.
Sie begrüßt ihn mit freundlichem Kopfnicken.
OTfO. Guten Tag, gnädige Frau — Sie spielen
nicht ?
GENIA. Wie Sie sehen, Herr Fähnrich. In der
Gesellschaft komm' ich ja doch nicht auf.
Ein Ball fliegt vor Otto bin, er schleudert ihn zurück.
STIMMEN VOM TENNISPLATZ. Danke!
OTTO. Auch nicht lauter Meister . . . abgesehen vom
Herrn Gemahl natürlich. Verzeihen Sie, gnädige Frau,
ich habe Sie in Ihrer Lektüre gestört . . . Will zum
Tennisplatz.
GENIA. Sie stören mich gar nicht. Ich hab' wohl
zu lesen versucht, aber eigentHch war ich nah daran
einzuschlummern. Diese Luft . . .
OTTO. Ja, warm ist's wohl. Aber dafür sind's
auch schöne Tage ! Man kann die heimatlichen Wälder
so recht genießen!
324
GENIA. Sic haben heut gewiß schon einen größeren
Spaziergang hinter sich?
OTTO. Ja; ich war in aller Früh' bis zur „Wald-
andacht", mit meiner Mutter.
GENIA. Die muß aber glücklich sein, daß sie Sie
endhch wieder in ihrer Nähe hat.
OTTO. Und ich erst . . . Umsomehr als es auf lange
Zeit hinaus mein letzter Urlaub ist. Ich bin auf ein
Schiff kommandiert, das für drei Jahre nach der Südsee
geht.
GENIA konventioneü. Oh!
OTTO. Unser Schiff ist vom Kriegsministerium am
einer wissenschaftlichen Expedition attachiert.
GENIA. Sie beschäftigen sich gewiß in Ihren freien
Stunden auch mit allerlei Studien, Herr Fähnrich?
OTTO. Warum glauben Sie das, gnädige Frau ?
GENIA. Ich kann mir nicht recht denken, daß das
miHtärische Leben an sich Sie völlig befriedigen sollte.
OTTO lächelnd. Ich darf mir vielleicht die Be-
merkung erlauben, daß wir bei der Marine allerlei zu
betreiben haben, was man, ohne Überhebung, als Wis-
senschaft bezeichnen kann.
GENIA. Natürlich — daran hab' ich nicht gezweifelt.
Ich meinte nur, daß Sie auch außerhalb Ihres Berufes
noch ernste Interessen haben dürften.
OTTO. Es bleibt einem nicht allzuviel Zeit dazu.
Auf meiner bevorstehenden Reise hoff ich ja allerdings
in ein Gebiet näheren Einblick zu gewinnen, in dem
ich mich bisher einigermaßen dilettantisch umgetan
habe . . . Die Expedition, der wir uns anschließen, ist
nämlich für Tiefseeforschung ausgerüstet; und da ich
überdies mit einem der Assistenten befreundet bin . . .
Oh, da kommt Frau von Wahl.
GENIA sieb erbebend. Davon müssen Sie mir noch
mehr erzählen, Herr Fähnrich . . . von diesen Tiefsee-
geschichten.
Frau Wahl aus dem Haus in den GarUn.
FRAU WAHL. Grüß' Sie Gott, hebe Genia, guten
325
Tag, Herr Fähnrich. Lorgnon ans Auge führend. Die Jugend
ist ja schon fleißig bei der Arbeit — ?
GENIA. Wenn Sie den Friedrich auch zur Jugend
zählen —
FRAU WAHL. Den ganz besonders. Na überhaupt
die Männer! Möchten Sie glauben, Herr Fähnrich,
daß wir ungefähr im selben Alter stehen, der Herr
Hofreiter und ich? Wahrhaftig, die Natur hat sich
gegen uns Frauen jammervoll benommen. Auf ein Lächeln
Genias. Na nett keineswegs. Wer ist denn noch bei der
Partie? Adele Natter jedenfalls. Ich habe nämlich das
Automobil draußen stehen gesehen, das scharlachrote.
Hier auf dem Lande im Grünen macht es sich ja nicht
übel. Jedenfalls besser als an einer Friedhofmauer . . .
GENIA matt lächelnd. Den Eindruck können Sie ja
gar nicht vergessen, wie es scheint, Frau von Wahl ?
FRAU WAHL. Es ist ja noch nicht so lange her;
vierzehn Tage kaum.
Friedrich und Erna vom Tennisplatz mit Raketts in der Hand.
Gcnia, Frau Wahl.
FRIEDRICH in seiner lachend boshaften Art. Küss' die
Hand, Mama Wahl. Grüß' Sie Gott, Otto! Was ist
denn vierzehn Tage her ?
FRAU WAHL. Daß sie den armen Korsakow be-
graben haben.
FRIEDRICH. So . . . Ist es schon so lang — ? Wie
kommt man übrigens auf dieses schwarzgeränderte
Thema ?
GENIA. Frau von Wahl hat das Nattersche Auto-
mobil draußen stehen sehen — das scharlachrote —
wie damals . . .
FRIEDRICH. Ah 80 . . .
ERNA. Wer spräche sonst an einem so schönen
Sommertag von einem toten Klavierspieler.
FRAU WAHL. Haben Sie je ein so tiefsinniges
Mädchen gesehen, meine Herrschaften. Das ist wieder
eine ihrer Pirouetten auf dem philosophischen Draht-
seil, wie ihr seliger Vater zu sagen pflegte.
326
FRIEDRICH. Sie muß nur Obacht geben, daß sie
nicht einmal abstürzt, die Erna . . .
FRAU ADELE, PAULKREINDL mit Raketts vom Tennisplatz.
GENIA, OTTO, FRAU WAHL, FRIEDRICH, ERNA.
Begrüßung.
ADELE hübsch, rundlich, weiß gekleidet, roter Gürtel, roter
Schlips. Was ist denn, spielen wir nicht weiter?
PAUL K REIN DL küßt Frau Wahl die Hand.
FRIEDRICH. Ihr hättet ja indes singein können.
ADELE. Aber ich spiel' ihm ja zu schlecht, diesem
Menschen da.
PAUL. Wieso denn, gnä' Frau? Weinerlich. Mir
wird ja bald niemand mehr zu schlecht spielen. Ich
spiel' ja wirklich schon wie ein Schwein. O Pardon.
Aber es ist wirklich wahr. Ich weiß überhaupt nicht
mehr, was das ist mit mir. Rein, wie wenn ich verhext
war*. Oder ist es vielleicht nur, weil ich ein neues Ra-
kett hab' . . . Die Herrschaften entschuldigen — ich
geh' geschwind nach Haus und hol' mir mein altes.
Empfiehlt sich.
Die andern lachen.
FRIEDRICH. Warum lachts ihr eigentlich? Er
nimmt's wenigstens ernst, der Paul. Darauf kommt's
an.. Ob es nun Tennis ist oder Schhttschuhlaufen oder
Malen oder Leut' kurieren. — Ich find', ein guter Tennis-
spieler ist ein viel edleres Menschenexemplar als ein
mittelmäßiger Dichter oder General. Na, hab' ich nicht
recht? — Zu Otto.
ADELE XU Genia. Also wann kommt denn eigent-
hch der Percy zurück, Frau Genia?
FRAU GENIA. In vierzehn Tagen soll er da sein.
Und dann müssen Sie auch einmal Ihre Kinder mit-
bringen, ja ?
ADELE. Wenn Sie erlauben, gern. Aber ob der
große Bub' sich überhaupt noch herablassen wird, mit
den Fratzen zu spielen —
327
Doktor Mauer kommt, zugleich mit ihm Stanaides in Uniform.
Begrüßung.
GENIA zu Stanzides. Das ist schön, daß wir Sie
auch wieder einmal bei uns sehen.
FRIEDRICH. Wie geht's dem Arm?
STANZIDES. Danke der Nachfrage. Soeben hat
ihn mein hochverehrter Herr Doktor zum letzten
Mal massiert . . . Legt Mauer den Arm freundschaftlich um
die Schulter. Aber mit dem Tennisspielen ist's noch
nichts,
MAUER. Wird auch wieder werden.
STANZIDES zu Adele. Sie auch kampfbereit, gnädige
Frau ? Soeben habe ich das Vergnügen gehabt, im Park
dem Herrn Gemahl zu begegnen.
FRIEDRICH. No Mauer, was ist denn mit dir, du
laßt dich ja überhaupt nicht mehr anschaun. Ich hab'
geglaubt, du bist schon über alle Berge.
MAUER. Ich komm' heut nur her Abschied nehmen.
Morgen reise ich ab.
GENIA. Wohin denn?
MAUER. Nach Toblach. Von dort aus begeh' ich
mich auf eine Paßwanderung. Falzarego — Pordoi —
FRIEDRICH. Nimmst mich mit, Mauer?
MAUER. Ja, kannst du denn und willst du?
FRIEDRICH. Ja — warum sollt' ich denn nicht . . . ?
Morgen fahrst du?
MAUER. In der Früh', mit dem Schnellzug.
ERNA zu Mauer. Und wann werden wir das
Vergnügen haben, Sie am Völser Weiher zu be-
grüßen ?
MAUER. In acht Tagen ungefähr, wenn's er-
laubt ist.
FRIEDRICH ehrlich entrüstet. Ah . . . da geben sich
die Herrschaften Rendezvous . . .
ERNA. Ohne Sie um Erlaubnis zu fragen, Fried-
rich!
FRAU WAHL. Wir fahren übermorgen — ganz
direkt. Während des folgenden stehen Otto mit Genia und Adele
328
abseits. Der Gustl ist schon dort. Übrigens was er mir
schreibt ! Wissen Sie, wer der Direktor von dem neuen
Hotel ist ? Der Doktor von Aigner.
FRIEDRICH. Ah, der Aigner!
FRAU WAHL. Und soll dort sämtlichen Damen
den Kopf verdrehen, trotz seiner grauen Haare.
FRIEDRICH. Ja, dem sind die Weiber immer hin-
eingefallen. Also Obacht geben, Mama Wahl.
PAUL kommt. So da war' man wieder! Das Rakett
bocbkdtend. Das ist wieder mein altes! Man hat doch
gleich was rechtes in der Hand.
FRIEDRICH. Also gehen wir's an? — Zu Paul.
Aber jetzt gibt's keine Ausred' mehr! Sonst heißt's
eben einen andern Beruf erwählen . . . Advokat . . .
oder Raseur . . . Im Abgeben.
Friedrieb, Erna, Adele, Otto, Paul zum Tennis. Frau Wahl und
Stanzides folgen.
GENIA. MAUER.
GENIA. Wollen wir nicht zuschauen ? Das Tennis-
spielen, das steht der Erna nämlich besonders gut zu
Gesicht!
MAUER suben bleibend. Haben Sie nicht den Ein-
druck, gnädige Frau, daß ich ihr vollkommen vnirst
bin?
GENIA. Das ist möglicherweise der beste Anfang
für eine glückliche Ehe.
MAUER. Ja, wenn die Gleichgültigkeit gegenseitig
wäre, aber so — Abbrechend. Glauben Sie übrigens,
Frau Genia, daß es dem Friedrich ernst ist mit seinen
Reiseabsichten ?
GENIA. Ich — ich weiß nicht recht. Ich war selbst
ein wenig überrascht. Freilich, er hat die letzten Tage
so rasend viel gearbeitet, daß ihm ein paar Tage Er-
holung wohl zu gönnen wären. Aber dazu müßt' er
am Ende nicht — Es war wohl nicht so ernst gemeint.
Eigentlich glaub* ich nicht, daß er mit Ihnen fahren
wird.
329
MAUER. Und wie steht denn die Sache mit Amerika ?
GENIA. Friedrich geht hinüber, das ist sicher.
MAUER. Und Sie, Frau Genia?
GENIA. Vielleicht auch. Lächelnd. Ja, lieber Freund.
Vielleicht! —
MAUER. Sie fahren zusammen? — Na, das ist
schön, das freut mich.
GENIA. Warum denn so feierlich ...? ! Vielleicht
hab' ich gesagt! . . .
MAUER. Ah, es wird schon gewiß werden. Es
wäre ja auch gar zu dumm, wenn der arme Korsakow
ganz umsonst gestorben wäre.
GENIA befremdet. Wenn Korsakow — ? Wie meinen
Sie das ? — Wenn Korsakow umsonst gestorben wäre ?
MAUER. Ich habe nämlich die Überzeugung, daß
Korsakow von der Vorsehung bestimmt war, gleichsam
als Opfer zu fallen.
GENIA immer befremdeter. Als Opfer?
MAUER. Für Sie — und Ihr Glück.
GENIA. Als Opfer für mein Glück — ? Sie glauben
an solche Dinge?
MAUER. Man muß ja nicht gleich im allgemeinen
an solche Dinge glauben. Aber hier spüre ich so etwas
wie einen geheimnisvollen Zusammenhang. Sollten
Ihnen nicht auch schon ähnliche Gedanken gekommen
sein?
GENIA. Mir? Um die Wahrheit zu gestehen, ich
denke an diese traurige Geschichte überhaupt sehr wenig.
MAUER. Das — scheint Ihnen nur so.
GENIA. Und wenn ich — zuweilen daran denke,
so ist das ganze so merkwürdig blaß und fern . . . Ich
versichere Sie — ganz fern! Es ist eine milde Trauer
— nicht mehr. Ich kann mich nun einmal nicht besser
oder gefühlvoller machen als ich bin. Vielleicht wird
das später noch anders. Wenn der Herbst kommt, viel-
leicht. Die Tage sind jetzt wahrscheinlich zu sommer-
lich-hell zum Traurigsein — und überhaupt zum Schwer-
nehmen. Es ist nicht nur damit so. Die meisten Dinge
330
kommen mir viel leichter vor. Ich ^ann zum Beispiel
auch dieser guten Adele absolut nicht böse sein. Vor-
hin habe ich sie sogar gebeten, nächstens ihre Kinder
mitzubringen; ich konnte gar nicht anders. Es schiene
mir geradezu lächerlich, ihr oder sonst wem etwas nach-
zutragen. Sie hat eher was Rührendes für mich. Wie
ein Wesen kommt sie mir vor, das längst gestorben ist
und es gar nicht weiß. —
MAU ER sie lang anschauend. Naja. Pauu. Und Fried-
rich wird ja nun hoffentlich endgültig zur Vernunft
gekommen sein. Was am Ende nicht schwer sein sollte,
wenn die Vernunft dem Glück so zum Verwechseln
ähnlich sieht, wie in diesem Falle. — Aber wenn er
es jetzt nicht festzuhalten versteht, dann —
GENIA rasch. Es gibt vorläufig nichts festzuhalten.
Sie haben mich früher offenbar mißverstanden, Doktor.
Es hat sich nicht das geringste zwischen uns verändert
— bisher.
MAUER. Aber es wird sich verändern. Auf die
Dauer kann man ihm ja nicht böse sein, dem Friedrich!
Mir geht's ja geradeso mit ihm. Ich mag mich über
ihn noch so rasend geärgert haben, — sobald er seine
Scharmeurkünste spielen läßt, bin ich ihm doch wieder
ausgeliefert auf Gnade und Ungnade.
GENIA. Das bin ich nicht, Doktor! Um mich muß
man werben, lange werben.
Vom Tennisplatz her Otto, Friedrich, Adele, Stanzides, Frau Wahl,
Paul, Genia, Mauer.
PAUL während sie sich nähern, zu Erna. Wirklich, Fräulein,
alles was wahr ist! Ihr Service — jirst class.
FRIEDRICH. Na — und der Schlag ? — Dafür hat
sie aber auch bei mir gelernt! —
ERNA. Was manchmal — entschuldigen schon,
Herr Lehrer — ein zweifelhaftes Vergnügen gewesen
ist!
FRIEDRICH. ...Oh...?! —
ERNA zu den andern, insbesondere Paul. Sekiert hat er
einen nämlich — bis aufs Blut! — Wenn man nur
331
einmal ein bißl nachgelassen hat — sofort ist man be-
handelt worden wie eine vollkommen hoffnungslose Er-
scheinung — wie eine ganz miserable Person überhaupt —
FRIEDRICH beiläufig. — Ja — die Sachen hängen
auch sehr mit dem Charakter zusammen — meiner An-
sicht nach . . .
GENIA die indes vom Stubenmädchen eine Meldung erhielt.
Wenn ich bitten darf, meine Herrschaften . . . der Tee !
Auch Eis ist vorhanden. Zwang wird keiner ausgeübt
. . . Bitte,
Frau Wahl mit Stanzides^ Genia mit Otto, Paul, Erna, Mauer
ins Haus.
Es bleiben als letzte zurück Friedrich und Adele.
FRIEDRICH. ADELE.
FlIIEDRICH zu Adele, wie sie eben ins Haus hineingehen
will. Ich habe leider heute noch gar keine Gelegen-
heit gehabt, mich nach dero geschätztem Befinden zu
erkundigen. Wie geht's dir denn eigentlich?
ADELE. Mir geht's famos. Und Ihnen?
FRIEDRICH. Nicht schlecht. Viel zu tun halt.
Wir bauen wieder. Im nächsten Jahr haben wir sechs-
hundert Arbeiter. Und im Herbst fahr' ich hinüber
nach Amerika.
ADELE. So.
FRIEDRICH. Besonders zu interessieren scheint
dich das nicht.
ADELE. Hat mir ja schon alles mein Mann erzählt.
Und dann möcht' ich dir vorschlagen, daß wir uns end-
gültig „Sie" sagen. Aus ist aus. Ich bin für klare Ver-
hältnisse.
FRIEDRICH. Daß sie auch klar sein müssen, hab'
ich gar nicht gewußt.
ADELE. Ich bitte dich! Mach' jetzt keine Witze . . .
Sein wir lieber froh, daß es so gut ausgegangen ist. Die
Zeit der Jugendtorheiten ist vorbei. Für uns beide,
denk' ich. Meine Kinder wachsen heran. Und Ihr Bub'
auch.
33*
1
J
FRIEDRICH. Ja, das ist schon nicht anders.
ADELE. Und wenn Sie mir erlauben wollen, Ihnen
einen guten Rat zu geben . , .
FRIEDRICH. Ich höre.
ADELE anderer Ton. Also im Emst, — ich finde,
daß du mit dieser kleinen Wahl in einer geradezu un-
verschämten Weise kokettierst. Halt das um Gottes
willen nicht für Eifersucht! Ich denke da wirk-
lich nicht an . dich . . . Sondern vielmehr an deine
Frau —
FRIEDRICH belustigt. Ahü
ADELE. — Die wirklich das entzückendste, rüh-
rendste Geschöpf ist, das mir jemals vorgekommen ist.
Wie sie mich früher gebeten hat, nächstens die Blinder
mitzubringen — hast du's gehört ? . . . ich bin in die
Erde gesunken!
FRIEDRICH. Das hab' ich gar nicht bemerkt.
ADELE. Hätt' ich sie früher so gut gekannt — na — !
Wahrhaftig, du verdienst sie nicht.
FRIEDRICH. Da kann ich dir nicht einmal un-
recht geben. Aber wenn es auf Erden nach Verdienst
ginge ...
ADELE. Und was Erna anbelangt — so nimm dich
in acht. Ein Bruder ist was anderes wie ein Gatte.
Ein Bruder merkt zuweilen was.
FRIEDRICH. Der Gustl! Ich bitt' dich —dem
wäre das doch ganz egal! . . . Das ist ein Philosoph . . .
Und ich weiß überhaupt nicht, was dir da durch den
Kopf fährt. Du bringst einen wirklich erst auf Ideen.
Ein Mädel, das ich auf den Knien geschaukelt hab'.
ADELE. Das beweist nichts. Solche Mädeln gibt's
wahrscheinlich in den verschiedensten Altersklassen.
FRIEDRICH. Ja, ja, Adele . . . ohne gerade an die
freundlichst von dir vorgeschlagene Erna zu denken . . .
es war* schon schön!
ADELE. Was war* schön? —
FRIEDRICH. Noch einmal jung zu sein!
ADELE. Du bist es lang genug gewesen.
333
FRIEDRICH. Ja, aber ich war's zu früh . . . Jetzt
verstund' ich'f ja erst jung zu sein! ... Es ist über-
haupt dumm eingerichtet auf der Welt. Mit vierzig
Jahren sollt' man jung werden, da hätte man erst was
davon. Soll ich dir was sagen. Adele ? Mir ist eigent-
lich doch, als wäre alles Bisherige nur Vorstudium
gewesen. Und das Leben und die Liebe fing' erst
jetzt an.
ADELE. Ich versteh* dich wirklich nicht. Es gibt
doch noch was anderes auf der Welt als — uns.
FRIEDRICH. Ja, — die Pausen zwischen der einen
und der andern. Die sind ja auch nicht uninteressant.
Wenn man Zeit hat, und in der Laune ist, baut man
Fabriken, erobert Länder, schreibt Symphonien, wird
MilHonär . . . aber glaube mir, das ist doch alles nur
Nebensache. Die Hauptsache — seid ihr! — ihr —
ihr! . . .
ADELE kopfschüttelnd. Wenn man denkt, daß es
Leute gibt, die dich für einen ernsten Menschen halten !
FRIEDRICH. Ah, hältst du das für so besonders
lustig, was ich dir da mitgeteilt habe?
HERR NATTER kommt. Ein großer^ etwas starker Herr
in sehr elegantem Sommeranzug, Bartkoteletts, Monokel. Guten
Tag, Adele! Grüß' Sie Gott, lieber Hofreiter.
FRIEDRICH ihm die Hand reichend. Warum SO spät ?
ADELE sehr freundlich. Wo treibst du dich denn herum ?
NATTER. Ich bitte um Verzeihung, mein Kind.
Ich bin im Kurpark gesessen und hab' gelesen, sonst
komm' ich ja gar nicht dazu. Sagen Sie, Hofreiter, gibt's
was schöneres als so im Freien unter einem Baum sitzen
und lesen ?
FRIEDRICH. Kommt darauf an . . . Was war's
denn ?
NATTER. Sie werden lachen. Ein neuer Sherlock
Holmes! Aber wirklich großartig! In einer Weise
spannend! —
Mauer und Erna kommen aus dem Hause. — Begrüßung.
ERNA zu Friedrieb. Wird noch weiter gespielt i
334
FRIEDRICH. Selbstverständlich. Zu Nattet. Neh-
men Sie mit uns einen Tee? Wir wollten eben . . .
NAIVER. Gern ... Ist übrigens der Oberleutnant
Stanzides noch hier?
FRIEDRICH. Ja, natürlich.
NATTER. Ich will ihn nämlich einladen mit uns
ins Theater zu gehn. Zu Adele. Wenn du nichts da-
gegen hast. Ich hab' eine Loge genommen für heut in
die Arena. Mauer und Erna nach rechts.
FRIEDRICH. Macht Ihnen das denn Spaß, sich
so eine Schmierenvorstellung anzusehn ?
NATTER. Warum denn nicht?
ADELE. Es gibt nichts auf der Welt, was ihm nicht
Spaß macht. Es gibt kein dankbareres Publikum als
meinen Maan! —
NATTER. Ja, das ist wahr. Ich finde das Leben
höchst amüsant. Ich unterhalte mich königlich. Im-
mer. Bei jeder Gelegenheit!
Friedrich, Adele, Natter ins Haus.
Maurer, Erna, die schon im Gespräch waren.
ERNA. Und wie ist das Unglück damals geschehn ?
MAUER. Offenbar dadurch, daß sich unter seinen
Füßen ein Stein losgelöst hatte ... Es war beim Ab-
stieg vom Aignerturm. Friedrich war voran. Da hört
er das gewisse unheimHche Gepolter über sich. Gleich
darauf sausen mächtige Blöcke an ihm vorbei und nach
ihnen, knapp neben Friedrich, der arme Bernhaupt
selbst. Friedrich spricht nicht gern davon. Wenn er
nämlich auch tut, als wenn er über alles erhaben wäre,
die Sache hat damals doch einen furchtbaren Eindruck
auf ihn gemacht.
ERNA. Sie glauben?
MAUER. Der beste Beweis ist doch, daß er seither
keine Bergtouren mehr unternommen hat.
ERNA. Also — der Aignerturm wird heuer ge-
macht.
MAUER. Das werden Sie sich wohl überlegen,
Fräulein Erna.
S35
ERNA. Überlegt ist es schon. Das kommt bei mir
nämlich immer vor dem Reden.
MAUER. Ich werd' Ihrem Bruder schreiben.
ERNA. Aber, lieber Doktor ! Sie glauben doch nicht,
daß das hilft, wenn ich mir einmal was in den Kopf
gesetzt hab' ! Höchstens kann ich Ihnen versprechen zu
warten, bis Sie auch bei uns am Völser Weiher sind.
MAUER. Soll ich denn hinkommen?
ERNA. Gewiß sollen Sie. Ich engagiere Sie als
Führer, gegen die übliche Taxe natürlich.
MAUER. Ich hab' mir nie eingebildet, daß ich auf
mehr Anspruch erheben dürfte.
ERNA. Hat das wehmütig sein sollen, Doktor
Mauer, oder nur geistreich?
MAUER. Soll ich an den Völser Weiher kommen,
Fräulein Erna, ja oder nein ?
ERNA. Ich seh' keinesfalls einen Grund, daß Sie
Ihren ursprünglichen Reiseplan ändern.
MAUER. Ist es Ihnen wirklich unmöglich, Fräulein
Erna, mir geradeaus zu antworten ?
ERNA. Nicht leicht, Doktor. Sie sitzt unter dem
Nußbaum. Sie wissen, daß Sie mir sehr sympathisch
sind. Hinkommen sollten Sie jedenfalls. Es wäre die
beste Gelegenheit, einander besser kennen zu lernen.
Aber verpflichtet dürfen Sie sich so wenig fühlen als
ich, selbstverständlich.
MAUER. Das ist sehr klug, Fräulein Erna.
ERNA. Es kommt noch klüger. Hören Sie mich
nur an. Sie haben doch gewiß so irgend etwas wie
eine Liebste oder einen Schatz — wie alle unverhei-
rateten Herren. Also übereilen Sie sich nicht. Ich
meine: Bilden Sie sich nicht am Ende ein, daß Sie
mir nach unserm heutigen Gespräch schon Treue
schuldig geworden sind.
MAUER. Diese freundliche Mahnung kommt leider
zu spät. — Ich kann natürlich nicht leugnen, daß ich
wie alle Männer und so weiter . . . Aber ich habe . . .
Schluß gemacht. Ich bin nämlich kein Freund von
336
Herzensschlampereien. Da würd' ich mir zuwider
werden.
ERNA. Sie sind wirklich ein anständiger Mensch,
Doktor Mauer! Man hat so das Gefühl, wenn man
Ihnen einmal sein Schicksal anvertraut ... da ist man
dann im Hafen. Da kann einem nichts mehr geschehn.
MAUER. HoffentUch . . .
ERNA. Nur weiß ich nicht recht, ob dieses Gefühl
der Sicherheit etwas so besonderes Wünschenswertes be-
deutet. Wenigstens für mich. Wenn ich ganz aufrichtig
sein soll, Doktor Mauer, mir ist manchmal als hätt' ich
vom Dasein auch noch andres zu erwarten oder zu for-
dern als Sicherheit — und Frieden. Besseres oder
schhmmeres — ich weiß nicht recht.
MAUER. Halten Sie mich für keinen Tropf, Fräu-
lein Erna, wenn ich mir einbilde, daß Ihnen — nicht
gerade das Beste, was es auf Erden gibt, aber doch
manches Gute auch an meiner Seite beschieden sein
könnte. Das Leben besteht ja noch aus allerlei anderm
als aus Abenteuern einer gewissen Art.
ERNA. Hab' ich denn — ?
MAUER. Sie haben es nicht gesagt, Fräulein Erna,
aber es ist Ihre Empfindung. Kein Wunder, — in
dieser Atmosphäre! da rings um uns"! Aber ich ver-
sichere Sie, es gibt eine kräftigere, reinere — und ich
traue mir zu, Sie auch dort ein frisches und freies
Atmen zu lehren.
ERNA. Sie haben Kourage, Doktor. Sie gefallen
mir überhaupt ganz besonders. Kommen Sie an den
Völser Weiher. Man vdrd ja sehen.
Aus dem Hause: Adele, Natter, Stanzides, ihnen folgen allmäblicb
Genia, Otto, Paul, Friedrieb, Frau Wahl, Mauer, Erna.
STANZIDES. In früherer Zeit hab' ich mir die Vor-
stellungen manchmal gar nicht vom Zuschauerraum
aus angesehn, sondern von oben — aus der Vogelper-
spektive, von dem Hügerl aus hinter der Arena.
ADELE. Das muß lustig sein.
STANZIDES. Lustig — weiß ich nicht. Sonderbar
TbeatostUcke. IV, aa 337
ist es. Man sieht natürlich nur ein kleines Stück von
der Dekoration. Ein Eck von einem Felsen oder eine
Ofenfigur oder so was. Und von den Schauspielern
sieht man natürlich so gut wie gar nichts, nur gelegent-
lich hört man ein abgerissenes Wort . . . Aber das
eigentümlichste ist, wenn dann plötzlich unter all die-
sen Stimmen eine heraufklingt, die man kennt, — zum
Beispiel von einer bekannten Dame, die da unten mit-
spielt. Da kann man plötzlich auch die Worte ver-
stehn. Von dem, was die andern reden, nichts — und
nur, was die Bekannte redet, versteht man ganz genau.
ADELE lachend. Die Bekannte!
FRIEDRICH. Statt GeUebte sollte man nicht Be-
kannte sagen Stanzides — sondern Unbekannte . . .
Stimmt eher, Stanzides! —
ADELE. Oder Freundin, wenn man aiskret sein
will.
FRIEDRICH. Oder Feindin.
ERNA. Wenn man indiskret ist.
FRAU WAHL. Erna!
NATTER. Es wird spät, wir müssen uns empfehlen,
wenn wir überhaupt noch was von der Vorstellung
sehn wollen. Bitte sehr, sich nicht stören zu lassen.
Natter^ Adele und Stanxides gehen,
PAUL zu Otto. Im vorigen Jahr hab' ich einmal
hintereinander neun Stunden gespielt, mit dem Doktor
Herz. Zuerst vier Stunden, dann haben wir eine Eier-
speis' gegessen, und dann . . . Spricht weiter mit Otto.
MAUER sich empfehlend. Auch meine Stunde hat ge-
schlagen. Zu Genia. Gnädige Frau . . .
FRIEDRICH. Na, was hast du's denn so eilig?
Wenn du dich eine Viertelstunde geduldest, so fahr* ich
gleich mit dir hinein.
MAUER. Wie ^— es ist also dein Ernst?
FRIEDRICH. Natürlich . . . Also wartest du ?
GENIA. Du willst mit dem Doktor — du willst
noch heute in die Stadt hinein — ? ? —
FRIEDRICH. Ja, es ist doch das gescheiteste. Mein
338
Sachen hab' ich alle drin, die ich fürs Gebirge brauch',
packen kann mir der Josef in einer Stund' ; und da fahr*
ich gleich morgen in der Früh' mit dem Mauer weg.
MAUER. Das war' ja famos.
FRIEDRICH. Also du wartest auf mich? Eine
Viertelstunde !
MAUER. Ja, ich warte.
FRIEDRICH rasch ins Haus.
Erna, Paul, Otto, Frau Wahl stehen nusammen.
ERNA bat manchmal hingehört.
GENIA sieht Friedrich nach.
MAUER. Er ist der Mann rascher Entschlüsse.
GENIA antworut nicht.
PAUL. Also benützen wir die letzten Strahlen der
Abendsonne . . .
Erna, Otto, Paul, Frau Wahl gegen den Tennisplatz.
MAUER folgt nach kurzem Besinnen.
GENIA steht noch immer regungslos, plötzlich toill sie ins Haus
hinein, da tritt ihr Frau Meinhold entgegen.
FRAU MEIN HOLD. GENIA.
FRAU MEINHOLD etwa vierundvierzig, nicht jünger
aussehend, Züge etwas verlebt, Gestalt noch jugendlich. Guten
Abend.
GENIA. Oh, Frau Meinhold, so spät ? Ich fürch-
tete schon, Sie kämen heute gar nicht mehr. Nun freue
ich mich doppelt, daß Sie da sind. Kommen Sie doch,
liebe Frau Meinhold. Vielleicht dorthin zum Nußbaum
toeisend es ist doch Ihr Lieblingsplatz.
FRAU MEINHOLD Genias Zerstreutheit merkend. Danke,
danke.
GENIA. Oder wollen wir zum Tennisplatz? Es
wird noch fleißig gespielt, und Sie sehen ja ganz gerne
zu, nicht wahr?
FRAU MEINHOLD lächelnd. Ich komme ja zu
Ihnen, liebe Frau Genia. Mit ihr zum Nußbaum. Aber
habe ich Sie nicht gestört, Sie scheinen mir ein wenig
— wollten Sie nicht eben ins Haus?
339
GENIA. Nein, durchaus nicht. Es ist nur — mein
Mann fährt dann in die Stadt hinein mit Doktor
Mauer. Morgen reist er nämlich mit ihm ab. Sie
machen zusammen eine Fußtour. Denken Sie, vor
einer Stunde wußte er selbst noch nichts davon. Der
Doktor kam uns Adieu sagen, sprach natürUch von seinen
Reiseplänen — und Friedrich war sofort hingerissen von
der Idee, wieder einmal über die Berge zu wandern wie
in früherer Zeit. Und nun fährt er auch schon davon.
Blickt %um Balkon.
FRAU MEIN HOLD. Da komme ich Ihnen doch
wohl ungelegen. Sie werden gewiß noch mit Ihrem
Gatten zu sprechen haben, da er so plötzHch abreist.
GENIA. Ach nein, es ist ja nur auf kurze Zeit.
Und sentimental sind wir nicht, nein, wahrhaftig. —
FRAU MEIN HOLD. Und nun haben Sie auch
Ihren Percy bald wieder da.
GENIA. Oh, da wird mein Mann wohl noch früher
zurück sein. Percy kommt erst in vierzehn Tagen.
FRAU MEIN HOLD. Sie sehnen sich schon sehr
nach ihm, wie?
GENIA. Das können Sie sich denken, Frau Mein-
hold. Nun hab' ich ihn seit Weihnachten nicht gesehen.
Kein leichtes Los, seinen Einzigen so in der Fremde
haben. Aber Sie wissen ja auch was davon zu erzählen,
Frau Meinhold.
FRAU MEINHOLD. Einiges, ja.
GENIA. Nun verläßt Sie Ihr Herr Sohn gar auf
mehrere Jahre ?
FRAU MEIN HOLD. Ja, drei Jahre sollen es wer-
den. Und weit, weit.
GENIA. In die Südsee, er hat mir früher davon
erzählt. Ja, das ist freilich — Und doch kommt mir
vor, als wären Sie besser dran als ich, Frau Meinhold.
Sie haben einen Beruf, einen so schönen! Einen, der
Sie so ganz erfüllt! Das hilft gewiß über viel hinweg.
FRAU MEIN HOLD. Über manches.
GENIA. Nicht wahr? Wenn Frauen nur Mütter
340
sind, das ist doch wohl nicht das Richtige, scheint mir
manchmal. Sie hätten es gewiß nicht zugegeben, daß
Ihr Otto zur Marine ging, wenn Sie nichts anderes
gewesen wären als Mutter.
FRAU MEIN HOLD einfach. Und wenn ich's nicht
zugegeben hätte . . . ?
GENIA. So war' er bei Ihnen geblieben. O, davon
bin ich ganz überzeugt. Wenn Sie es gewünscht, wenn
Sie es verlangt hätten?! Er liebt Sie ja so sehr. Er
hätte ja auch was anderes werden können. Ich kann
mir ihn sehr gut als Gutsbesitzer vorstellen . . . oder
— oh ja . . . auch als Gelehrten.
FRAU MEIN HOLD. Es ist nur die Frage, Hebe
Frau Genia, ob ich ihn dann mehr hätte als jetzt, da
er aufs Meer hinaussegelt.
GENIA. Oh...!
FRAU MEINHOLD. Ich glaub' nicht. Nicht schwer.
NämHch von diesem Wahn, Frau Genia, kann man sich
nicht früh genug freimachen, daß wir unsere Kinder
jemals besitzen könnten. Besonders Söhne! Sie haben
uns, aber war haben sie nicht. Ich glaube sogar, das
müßte einem noch schmerzhcher zum Bevmßtsein
kommen, wenn man mit ihnen immer unter einem
Dache wohnte. Solang sie klein sind, verkaufen sie
uns um ein Spielzeug, und später . . . später um noch
weniger.
GENIA kopfschüttelnd. Das ist doch . . . nein das . . .
Darf ich was sagen, Frau Meinhold?
FRAU MEINHOLD lächelnd. Warum denn nicht ?
Wir plaudern doch. Jede sagt, was ihr eben durch den
Kopf geht.
GENIA. Ich hab' mich nämlich schon neulich ge-
fragt, als Sie auch so eine — verzeihen Sie — eine so
düstere Bemerkung machten — so über die Menschen
im allgemeinen — ob das nicht vielleicht irgendwie
mit den Rollen zusammenhängt, die Sie spielen, daß
Ihnen das Leben manchmal so tragisch erscheint ?
FRAU MEIN HOLD lächelnd. Tragisch . . . Finden Sie ?
341
GENIA. Denn ich habe offenbar eine leichtere
Lebensauffassung als Sie, Frau Meinhold. Ich bilde
mir zum Beispiel fest ein, daß ich niemals aufhören
werde, Percy viel, — unendlich viel zu bedeuten. Und
auch Sie, Frau Meinhold, hätten meiner Ansicht nach
alles Recht dazu ... ja gerade Ihr Sohn scheint mir
ein besonders zärtlicher, ein — Ich bin überzeugt, daß
er Sie geradezu anbetet.
FRAU MEIN HOLD lächelnd. Nennen wir's so!
GENIA. Und wenn er Sie einmal „verkaufen" soUte,
wie Sie sagen, so wird es gewiß um nichts Unwürdiges
geschehn. Und nur in einem solchen Fall denke ich,
könnte sich in den Beziehungen zwischen Mutter und
Kind etwas ändern. Nach kurzem Besinnen. Und da
eigentlich auch nicht.
FRAU MEINHOLD nach einer kUinen Pause. Er ist
ein Mann, vergessen Sie das? Wie läßt sich da etwas
vorhersehen . . . Auch Söhne werden Männer. Mit
Biturkeit. Sie sollten doch auch, denk' ich, eine Ahnung
davon haben, was das heißt.
GENIA schlägt xoie betroffen die Augen nieder.
FRIEDRICH erscheint oben auf dem Balkon, sieb eben die
Krawatte knüpfend, sieht mit kurzsichtig verkniffenen Augen
herab. Ich höre da eine wohlbekannte, edle Stimme . . .
Hab' mir's ja gleich gedacht . . . Küss' die Hand, Frau
Meinhold.
FRAU MEINHOLD. Guten Abend, Herr Hof-
reiter.
GENIA. Brauchst du was, Friedrich?
FRIEDRICH. O nein, dank' schön, bin gleich fertig.
Dann komm' ich herunter. Ich fahr* nämlich weg.
FRAU MEINHOLD. Ja, Frau Genia sagte mir eben.
FRIEDRICH. Also auf Wiederschaun. Verläßt den
Balkon. Pause.
GENIA. Darf ich Ihnen etwas erwidern, Frau
Meinhold ?
FRAU MEIN HOLD lächelnd. Aber warum bitten
Sie mich denn immer um Erlaubnis, Frau Genia —
H*
GENIA. Sie imponieren mir nämlich so, Frau Mein-
hold. Was Sie sagen, das klingt immer so bestimmt,
so unwidersprechlich. Und man hat die Empfindung,
Ihnen bleibt nichts verborgen, nichts . . . Und Sie
kennen die Menschen, ja . . . Aber sind Sie nicht doch
. . . sind Sie nicht doch ein bißchen ungerecht ?
FRAU MEIN HOLD. Mag sein, Frau Genia . . .
Aber Ungerechtigkeit ist ja schheßlich unsere einzige
Revanche. Auf einen fragenden Blick Genias. Die einzige
Revanche für ein Unrecht ... das irgend einmal an
uns begangen wurde.
GENIA. Aber ewige Ungerechtigkeit gegenüber
einem . . . verjährten Unrecht — ist das nicht zu viel?
FRAU MEIN HOLD bitter. Es gibt Dinge, die nicht
verjähren. Und es gibt Herzen, in denen nichts ver-
jährt. Pause. Kommt Ihnen das wieder tragisch vor,
liebe Frau Genia ? Sie denken sich wohl, was erzählt
sie mir da für Geschichten, diese alte Komödiantin.
Was will sie denn eigentlich ? Vor einer Ewigkeit hat
sie sich von ihrem Mann getrennt, hat nachher, wie
man hört, ihr Leben vöUig nach eigenem Belieben ein-
gerichtet . . , nachgeweint zu haben scheint sie ihm
keinesfalls . . . was will sie ... ? Nicht wahr, Frau Genia,
das denken Sie sich?
GENIA etwas verlegen. Kein Mensch wird bestreiten,
daß Sie das Recht hatten zu leben, wie es Ihnen gefiel . . .
FRAU MEIN HOLD. NatürUch hatt' ich das. Das
ist eine Sache für sich. Und ich will auch niemandem
einreden, daß ich wegen jener längst vergangenen Ge-
schichte heute noch irgend etwas wie Schmerz emp-
fände. — Oder GroU! — Nur — vergessen hab' ich's
eben nicht ... das ist alles. Mehr sag' ich auch nicht.
Aber denken Sie nur, wieviel habe ich seither vergessen !
Heitres und Trauriges . . . vergessen — als wäre es nie
gewesen! Und gerade das, was mir vor mehr als zwan-
zig Jahren mein Mann angetan hat, nicht! ... So
muß es doch wohl was bedeutet haben! Ohne Groll,
ohne Schmerz denk' ich dran — ich weiß es eben nur
343
— das ist alles! Aber ich weiß es, wie am ersten Tag
— gerade so klar, so fest — so unwidersprechlich —
das ist es, liebe Frau Genia . . .
FRIEDRICH kommt im grauen Reiseanzug, sehr montiert.
Küßt Frau Meinbold die Hand. Ich freu' mich sehr, Ihnen
noch adieu sagen zu können, gnädige Frau.
FRAU MEINHOLD. Bleiben Sie lange fort ?
FRIEDRICH. Das ist ungewiß. Hängt auch davon
ab, ob ich hier dringend benötigt werde. In der Fabrik,
mein' ich.
Vom Tennisplatz Otto, Paul, Erna, Frau Wahl, Mauer. Begrüßung.
OTTO. Guten Abend, Mutter. Küßt ihr die Hand.
FRAU MEIN HOLD. Guten Abend, Otto! —
FRIEDRICH. Na, wie ist's gegangen, Paul?
PAUL. Bitt' schön, nicht fragen. Von morgen an
spiel' ich wieder mit dem Trainer.
MAUER. Also, bist du bereit?
FRIEDRICH. Selbstverständlich. — Meine Herr-
schaften . . . Allen die Hand reichend. — liebe Genia . . .
GENIA. Entschuldigen Sie, lieber Doktor, auf ein
paar Minuten darf ich mir noch meinen Herrn Gemahl
von Ihnen ausbitten ?
MAUER. Oh...
Mauer, Erna, Frau Meinhold, Otto, Frau Wahl, Paul entfernen sich.
FRIEDRICH. Du hast mir noch was zu sagen,
Genia ?
GENIA. EigentUch nichts, als daß ich mich ein
bißchen über deinen Entschluß wundre. Ich hab' näm-
lich keine Ahnung gehabt, daß du heute fortfahren wällst.
FRIEDRICH. Ich doch auch nicht, mein Kind.
GENIA. WirkUch, keine Ahnung?
FRIEDRICH. Daß es gerade heute abend sein wird
— absolut nicht. Wenn der Mauer nicht zufällig ge-
kommen wäre . . . Aber daß ich Lust hätt', auf ein
paar Tage ins Gebirge zu gehen — das war dir ja nicht
unbekannt. Ob ich nun heut fahr', — oder morgen
oder übermorgen . . . Also zum Wundern ist doch kein
Anlaß.
344
GENIA ticb über die Stirn streichend. Gewiß, du hast
ja recht. Nur weil eben so gar keine Rede davon war.
Bange Pause.
FRIEDRICH. Also, ich telegraphier' natürlich täg-
lich, sowohl hierher als ins Bureau. Und schreib' auch.
Bitte gleichfalls um regelmäßige Berichterstattung.
Und wenn von Percy was kommt, so schick' mir's
nach . . , Auch wenn's nur an die dear mother gerichtet
ist . . . Ja, mein Kind. Also jetzt heißt's . . . der Mauer
wird wirklich schon ungeduldig werden.
GENIA. Warum — warum — fährst du fort ?
FRIEDRICH etwas ungeduldig, aber nicht heftig. Du,
Genia, mir scheint als hätt* ich dir darauf schon geant-
wortet.
GENIA. Du weißt sehr gut, daß du mir noch nicht
geantwortet hast.
FRIEDRICH. Jedenfalls ist diese Art zu inquirieren
etwas ganz neues — in unserm Haus.
GENIA. Du bist nicht verpflichtet mir Rede zu
stehn, gewiß nicht. Aber ich seh' eigentlich auch keinen
Grund, warum du mir die Antwort direkt verweigern
solltest.
FRIEDRICH. Ja, mein liebes Kind, wenn du wirk-
lich findest, daß es erst ausdrücklich festgestellt werden
muß . . . also schön : Ich fühle mich seit einiger Zeit
nicht besonders wohl. Das wird ja wieder vorübergehn
— wahrscheinlich . . . gevnß. Aber in den nächsten
Tagen brauch' ich eben eine andere Luft, eine andre
Umgebung. Sicher ist jedenfalls, daß ich von hier
fort muß.
GENIA. Von hier!? . . . Von mir!!
FRIEDRICH. Von dir — Genia — ? Das hab' ich
doch nicht — Aber wenn du's absolut hören willst —
gut, von dir! Ja, Genia.
GENIA. Aber warum? Was hab' ich dir denn
getan ?
FRIEDRICH. Nichts . . . Wer sagt denn, daß du
mir was getan hast.
345
GENIA. So erklär' dich doch, Friedrich ... Ich
bin ja ganz . . . Auf alles war ich eher gefaßt, als daß
du jetzt ... so plötzlich . . . Von einem Tag zum an-
dern — von einer Stunde zur andern hab' ich erwartet,
daß wir uns . . . aussprechen werden . . . daß wir . . .
FRIEDRICH. Ja. Diese Erwartung hab' ich dir
schon angemerkt, Genia. Ja. Aber . . . ich glaube,
dazu ist es noch zu früh, — zum — Aussprechen . .
Ich muß mir noch über mancherlei klar werden . . .
GENIA. Klar — ? Ja ... wo gibt's denn eine Un-
klarheit ? Du hast doch . . . den Brief in der Hand
gehabt ? Du hast ihn doch gelesen ? Wenn du vorher
gezweifelt hast . . . was ich ja gar nicht glaube . . . seit
dem Abend — um Himmels willen, Friedrich — seit
dem Abend muß dir doch eine Ahnung aufgegangen
sein — Friedrich, was — was du mir . . . Gott . . .
ist es denn wirkHch notwendig, das erst mit Worten
zu sagen! . . .
FRIEDRICH. Nein, gewiß nicht ... Das ist es
ja eben. Der Abend. Ja. Mir ist nämlich schon die
ganze Zeit her, verzeih — es ist natürhch nicht deine
Absicht — aber ich hab' halt den Eindruck, als wenn
du diese Affäre . . . Zögert.
GENIA. Nun — nun — ?
FRIEDRICH. Als wenn du den Selbstmord von
Korsakow gegen mich irgendwie ausspieltest . . . Inner-
lich natürhch . . . Und das — das macht mich halt . . .
ein bissei nervös . , .
GENIA. Friedrich! Ja, bist du denn ... Ich spiele
den Selbstmord . . . Nein — ist es möglich! . . . Das! . . .
FRIEDRICH. Ich sag' ja schon, du kannst nichts
dafür. Du meinst es nicht so. Du bist gewiß nicht
stolz darauf, daß er deinetwegen . . . daß du ihn sozu-
sagen in den Tod — du bildest dir gewiß nichts ein,
auf deine Standhaftigkeit, das weiß ich ja alles . . .
GENIA. Nun also, wenn du das weißt . . .
FRIEDRICH. Ja, aber daß es überhaupt geschehen
ist . . .
346
GENIA. Was, wasf
FRIEDRICH. Daß er sich hat umbringen müssen . . .
das ist das Furchtbare . . . darüber komm' ich nicht
weg.
GENIA. Was . . . das . . . Greift sieb an d*n Kopf.
FRIEDRICH. Na, ja, bedenk doch nur, man kann's
drehn und wenden, wie man's will . . . daß der arme
Korsakow jetzt unter der Erde liegt und verwest . . .
die Ursache davon bist ja doch du! . . . NatürHch . . .
unschuldig — in doppeltem Sinn. — Ein andrer als
ich würde vielleicht vor dir auf den Knien liegen, dich
anbeten — wie eine Heilige — gerade deswegen! . . .
Ich bin halt nicht so . . . Mir bist du gerade dadurch
. . . gleichsam fremder geworden.
GENIA. Friedrich!! , . . Fremder . . . Friedrich! —
FRIEDRICH. Ja, wenn er dir zuwider gewesen
wäre — ja, dann, dann war' es die natürUchste Sache
von der Welt. Aber nein, ich weiß ja, er hat dir sogar
sehr gut gefallen . . . Man kann schon sagen, du warst
ein bissei verliebt in ihn. Oder — wenn ich's . . . um
dich verdient hätte . . . wenn du mir gegenüber zu
der sogenannten Treue verpflichtet gewesen wärst . . .
Aber ich hab' doch wirklich kein Recht gehabt . . . na . . .
davon müssen wir doch nicht erst reden. — Also ich
frag* mich halt immer und immer wieder: Warum hat
er sterben müssen ?
GENIA. Friedrich!
FRIEDRICH. Und, verstehst du, dieser Gedanke
. . . daß irgend etwas, das doch in Wirklichkeit gar nicht
ist — ein Schemen, ein Phantom, ein Nichts, wenig-
stens einem so furchtbaren Ding gegenüber, einem so
irreparabeln wie der Tod — daß deine Tugend —
einen Menschen in den Tod getrieben hat, das ist mir
einfach unheimlich. Ja . . . Ich kann's nicht anders
sagen ... Ja . . . Es wird ja wohl wieder vergehn . . .
mit der Zeit ... im Gebirg . . . und wenn wir ein paar
Wochen nicht beieinander sind . . . Aber jetzt ist es
nun einmal da — und da kann man nichts machen . . .
347
Ja, liebe Genia ... So bin ich einmal . . . Andre wären
halt anders . . .
GENIA schweigt.
FRIEDRICH. Ich hoffe, du nimmst mir's nicht
übel, daß ich — auf deinen Wunsch hin — alles das
so deutlich ausgesprochen habe. So deutlich, daß es
schon wieder beinah nicht wahr geworden ist . . .
GENIA. Es ist schon wahr geblieben, Friedrich . . .
Die andern kommen allmählicb näher.
MAUER zuerst. Verzeih, Friedrich, aber es ist die
höchste Zeit. Ich hab' nämlich in der Stadt noch was
zu tun . . . Du kannst ja vielleicht mit einem späteren
Zug . . .
FRIEDRICH. Ich bin schon bereit . . . Hinauf rujend.
Also Kathi — geschwind! Meinen Überzieher und
meine kleine, gelbe Tasche, die liegt auf dem Divan
in meinem Zimmer.
FRAU WAHL. Also glückliche Reise und hoffent-
lich auf Wiedersehn.
ERNA. Am Völser Weiher.
FRAU WAHL. Wissen Sie, was hübsch war», Frau
Genia ? Wenn Sie auch hinkämen.
ERNA. Ja, Frau Genia! —
GENIA. Geht leider nicht ! Der Percy kommt ja —
FRIEDRICH. Aber doch nicht so bald. Zu Mauer.
Wann sind wir denn dort ?
MAUER. So in acht bis zehn Tagen, denk' ich.
FRIEDRICH. Ja, Genia, das war» wirklich eine Idee.
Du solltest dir's überlegen, Genia. —
GENIA. Ich . . . werd' mir's überlegen.
STUBENMJDCHEN kommt mit Überzieher und Tasche.
MAUER. Also adieu, Frau Genia. Verabschiedet sich
auch bei den andern.
FRIEDRICH. Adieu, meine Herrschaften. Na, was
macht ihr denn eigentlich heute noch alle?
PAUL. Ich hätte eine Idee. Man könnte eine Mond-
scheinpartie machen nach Heiligenkreuz.
ERNA. Ich war' gleich dabei.
348
FRAU WAHL. Zu Fuß — ?
FRIEDRICH. Aber das ist ja nicht nötig. Ich
schick' euch das Auto von der Bahn zurück.
PAUL. Hoch der edle Spender!
FRIEDRICH. Keine Ovationen, wenn ich bitten
darf. Also adieu. Gute Unterhaltung allerseits. Adieu,
Genia. Nimmt noch einmal Genies Hand, die sie dann schlaf j
fallen läßt.
FRIEDRICH und MAUER durchs Haus ab.
GENIA steht starr.
PAUL, ERNA, FRAU WAHL stehen nebeneinander.
OTTO und FRAU MEINHOLD haben einen kurzen
Blick der Verständigung gewechselt.
OTTO zu Genta, Abschied nehmend. Gnädige Frau, wir
werden uns auch — —
GENIA rasch, erregter. Sie wollen gehen ? Und Sie,
gnädige Frau r Aber warum denn ? Wir haben ja im
Auto ganz bequem alle Platz.
ERNA. Natürlich. Der Herr Kreindl sitzt vorne
beim Chauffeur.
PAUL. Mit Wonne.
OTTO. Ich möchte mir nur die Bemerkung erlau-
ben, daß es mit der Mondscheinpartie einige Schwierig-
keiten haben dürfte, da wir uns unterm Neumond be-
finden.
ERNA. Uns genügen zur Not auch die Sterne, Herr
Fähnrich.
FRAU MEINHOLD zum Himmel schauend. Ich fürchte,
Sie werden heute auch auf die verzichten müssen.
ERNA. So sausen wir kühn ins Dunkel hinein.
GENIA. Ja, Erna, das ist vielleicht das Allerlustig-
Ste. Sie lacht auf.
Vorhang.
DRITTER AKT
Halle des Hotels Völser Weiher.
Vom links Eingang. {Glastourniquet.) Rechts dem Eingang gegen'
über Lift, daneben beiderseits Treppen, die aufwärts führen. Hinter-
grund großer, weiter Erker mit hoben Glasfenstern. Blick auf Wald-,
Berg- und Felsenlandschaft. Rechts hinten Portiere vor einem Gang,
der zum Speisesaal führt. Am Eingang großer, langer Tisch erhöht,
mit Prospekten, Fahrplänen usw., dahinter praktikable Holzwand
mit kleinen Fächern für Briefe und Zimmerschlüssel. In der Halle,
auch im Erker, Tische und Sitzgelegenheiten. — Auf einigen Tischen
Zeitungen. — Schaukelstühle. — Mäßige Bewegung in der Halle,
die ohne den Fortgang der Handlung zu stören, mit entsprechenden
Unterbrechungen, während des Aktes andauert.
Touristen und Sommergäste, die von draußen hereinkommen, Gäste, die
sich im Lift fahren lassen, andere, die die Stiege hinauf- und hinunter
gehn, gelegentlich ein Kellner, Herren und Damen, die an einem der
Tische Zeitung lesen oder plaudern. — Am Lift ein Boy. Hinter dem
Tisch am Eingang der Portier Rosenstock, rotbäckiger ziemlich junger
Mensch, kleiner, schwarzer Schnurrbart, schwarzes Haar, schlaue,
gutmütige Augen, zuvorkommend und überlegen. Er gibt eben einem
Boy Zeitungen, der Boy entfernt sich mit diesen und läuft über die
Stiege hinauf. Zwei Herren im Gebirgsanzug kommen von draußen,
gehn gleich nach hinten dem Speisesaal zu. Rosenstock macht Notizen
in ein Geschäftsbuch. — Über die Stiege Doktor Meyer, kleiner,
etwas schüchterner Herr in nachlässigem Sommeranzug, nähert sich
dem Portier. Er hat in der Hand eine zusammengefaltete Landkarte.
MEYER nachdem er eine kleine Weile gewartet hat. Herr
Portier . . .
ROSEN STOCK liebenswürdig, aber nicht ohne eine gewisse
Überlegenheit. Bitte, Herr Doktor?
METER. Ich wollte mir nur die Frage erlauben,
Herr Portier . . . ich habe nämlich die Absicht, morgen
eine Tour zu machen, und da wollte ich mir die Frage
erlauben, ob man zur Hofbrandhütte einen Führer be-
nötigt.
ROSENSTOCK. O, gewiß nicht, Herr Doktor. Der
Weg ist nicht zu fehlen, gut markiert.
METER. Und wenn ich dann von der Hütte eine
Spitze mitnehmen würde? Zum Beispiel den Aigner-
turm.
ROSENSTOCK lächelnd. Aignerturm?! . . . Aigner-
350
türm ist die schwerste Tour in der ganzen Gegend, wird
sehr selten gemacht. Nur von ausdauernden, schwindel-
freien KUetterem. Heuer ist er überhaupt noch nicht
gemacht worden.
METER. Pardon, ich meinte nicht den Aignertunn.
Mit der Karu. Die Rotwand meinte ich. — Die ist
doch nicht so schlimm?
ROSENSTOCK. Gewiß nicht. Da kann jedes Kind
hinauf.
METER. Noch nie was geschehn?
ROSENSTOCK. Ja, gelegentlich sind auch schon
von der Rotwand Leute heruntergefallen.
METER. Wie?! —
ROSENSTOCK. Das ist schon nicht anders im Ge-
birge. Es gibt eben überall Dilettanten . . .
METER. Hm. Also ich danke vorläufig bestens,
Herr Portier.
ROSENSTOCK. Bitte sehr.
Doktor Meyer entfernt sich, setzt sieb im Erker an einen Tisch und
studiert seine Karte, später gebt er fort.
Zwei junge Touristen, Rucksack, Havelock, Bergstöcke, kommen von
draußen.
ERSTER TOURIST sehr forscb. Guten Morgen.
Guten Abend vielmehr.
ROSENSTOCK. Habe die Ehre.
ERSTER TOURIST. Sagen Sie, haben Sie ein Zim-
mer mit zwei Betten, oder zwei Zimmer mit je einem
Bett?
ROSENSTOCK. Wie ist der werte Name ?
ERSTER TOURIST. So — muß man sich hier vor-
stellen ? Bogenheimer, candidatus juris aus Halle. Ge-
bürtig aus Merseburg, evangelisch . . .
ROSEN STOCK sebr höflieb und ganz wenig lächelnd. Ich
wollte nur fragen, ob die Herren bestellt haben.
ERSTER TOURIST. Ne, bestellt ham ma nich.
ROSENSTOCK sehr höflich. Dann bedaure ich sehr,
wir haben leider gar nichts frei.
ERSTER TOURIST. Gar nichts? Das ist aber böse.
351
Auch kein Strohlager ... an das man sich klammern
könnte ?
ROSENSTOCK. Leider, nein.
DER ZWEITE TOURIST bat hintereinander auf zwei
Sesseln Platz genommen, die ihm beide nicht bequem genug xu sein
scheinen. Endlich läßt er sich in einen Schaukelstuhl fallen.
ERSTER TOURIST zum zweiten. Was machen ma
nu ? Zu Rosenstock. Wir haben nämlich vierzehn Stunden
Marsch in den Beinen.
ROSENSTOCK mitfühlend. Das ist viel.
ZWEITER TOURIST. Ich rühr' mich nicht vom
Fleck.
ERSTER TOURIST. Haben Sie gehört, Herr Cer-
berus ? Mein Kollege, der rührt sich nicht vom Fleck.
ROSENSTOCK. Bitte sehr. Raum für alle hat die
Halle.
ERSTER TOURIST. Ah, sind wohl Dichter?
ROSENSTOCK. Nur in dringenden Fällen.
ERSTER TOURIST. Also was sollen ma machen ? . .
ROSENSTOCK. Wenn die Herren vielleicht zur
Alpenrose schauen wollten . . .
ERSTER TOURIST. Ist das auch ein Hotel?
ROSENSTOCK. Sozusagen.
ERSTER TOURIST. Glauben Sie, daß es dort was
gibt?
ROSENSTOCK. Die haben immer was.
ERSTER TOURIST. Na, versuchen ma die Alpen-
rose zu pflücken. Zum andern. Auf, mein Sohn.
ZWEITER TOURIST. Ich rühr' mich nicht.
Schicken Sie eine Sänfte um mich, Bogenheimer, wenn
Sie was gefunden haben . . . Oder einen Maulesel, Er
setzt sich zurecbt und schlummert bald ein.
ERSTER TOURIST zu Rosenstock. Also passen Sie nur
gut auf meinen Kollegen, daß er ja nicht im Schlummer
gestört wird. Im Abgehen. Das Wandern ist des Müllers
Lust ... Ab.
Ein Ehepaar kommt. Ein Boy hinter ihnen mit Handgepäck.
ROSENSTOCK begrüßt sie.
352
HERR. Das Zimmer bereit?
ROSENSTOCK. Selbstverständlich, Herr Hofrat
Numero siebenundfünfzig.
Glocke. Ehepaar mit dem Boy zum Lift, fahren hinauf.
PAUL KREINDL kommt, eleganter Reiseanzug, weiter
Mantel, grüner Hut mit Gemshart, rote Handschuhe, Rakett mit
der Tasche in der Hand. Boy mit Handgepäck hinter ihm.
PAUL. Guten Tag.
ROSENSTOCK. Habe die Ehre, Herr von Kreindl.
PAUL. Ah, was seh' ich...! Sie, lieber Rosen-
stock . . . ? Sie sind jetzt da ? Was wird denn der Sem-
mering ohne Sie anfangen?
ROSENSTOCK. Man steigt eben immer höher,
Herr von Kreindl. Von tausend . . . auf eintausend-
vierhundert . . .
PAUL. Also haben S' was für mich?
ROSENSTOCK. Selbstverständlich. Leidernur im
vierten Stock. Wenn Herr von Kreindl nur um einen
Tag früher telegraphiert hätten . . .
PAUL. Meinetwegen im sechsten. Ihr habt's ja
Lift.
ROSENSTOCK. Wenn er nicht grad ruiniert ist . . .
Ja . . . Herr von Kreindl werden zahlreiche Bekannte
hier finden. Herr von Hof reitet ist da, die Frau von
Wahl mit Herrn Sohn und Fräulein Tochter, Herr
Doktor Mauer, der Dichter Rhön, der hier auf seinen
Lorbeern ausruht.
PAUL nach jedem Namen. Weiß . . . weiß . . . weiß.
Nach Rhön. Ah, der auch . . . Zum Boy. Schaffen Sie das
Zeug da hinauf. Da der Boy sein Rakett nehmen will. Ah
nein, das behalt' ich in der Hand. Ja, richtig, Sie, lieber
Rosenstock, nichts sagen dem Herrn Hofreiter, daß
ich angekommen bin. Überhaupt niemandem. Icli
will die Leut' nämlich überraschen.
ROSENSTOCK. Herr Hofreiter befindet sich seit
gestern auf einer Partie.
PAUL. Was Großes?
ROSENSTOCK. O nein. Herr Hofreiter hat ja die
Tbeaiore'.Ucke. IV, 33 353
großen Touren aufgegeben — bekanntlich — leit dexa
Unglücksfall vor sieben Jahren auf dem Aignerturm.
Auf die Hofbrandhütte sind die Herrschaften gegangen.
Sind auch Damen dabei. Die Frau Rhön und das
Fräulein von Wahl. Da kommt grad die Frau Mama
Yon dem Fräulein.
FRAU WAHL die Stiege herunter in etwas zu jugendlichem
Sommerkleid.
PAUL ihr entgegen. Küss' die Hand, gnä' Frau.
FRAU WAHL. Ah, grüß' Sie Gott, Heber Paul.
Zu Rosenstock. Sind sie denn noch immer nicht zurück ?
ROSENSTOCK. Bisher noch nicht, gnädige Frau.
FRAU WAHL zu Paul. Ich bin nämlich in Ver-
zweiflung . . . Also nicht gerade in Verzweiflung . . .
aber ernstlich besorgt bin ich . . . Die Erna ist seit
gestern auf einer Partie. Zum Lunch hätte sie zurück
sein sollen, jetzt ist's fünf, grad war ich oben in ihrem
Zimmer, sie wohnt nämlich in nächster Nähe des Him-
mels . . . immer hat sie solche Sachen! und sie ist noch
nicht da. Ich bin außer mir.
PAUL. Es ist doch eine große Gesellschaft, wie ich
höre.
FRAU WAHL. Das schon. Der Gustl ist natürlich
mit und der Friedrich Hof reiter, und der Doktor Mauer
und die Frau Rhön.
PAUL. Na, da wird schon nichts g'schehn sein.
Also bitte, gnädige Frau, niemandem sagen, daß ich
da bin. Wenn die Herrschaften vielleicht zurückkom-
men sollten, während ich mich um'aeh'. Ich möcht'
nämlich gern als Überraschung wirken. Gekränkt. Bei
Ihnen ist mir das ja leider nicht gelungen, gnädige
Frau.
FRAU WAHL. Da müssen Sie mich heute wirklich
entschuldigen, lieber Paul, bei der Aufregung. Was
gibt's denn übrigens Neues in Baden ? Kommt die
Genia nicht her?
PAUL. Frau Hofreiter? Sie hat nichts derartiget
geäußert. Und ich hab' sie noch vorgestern gesprochen.
354
Da waren wir nämlich alle zusammen, eine größere
Gesellschaft, in der Arena. Also ich werde dann schon
so frei sein, ausführlich zu berichten. \ orläufig muß
ich meinen äußern Menschen in Ordnung bringen.
Wenn man so eine Nacht gefahren ist auf der Eisen-
bahn und dann noch sechs Stunden im Wagen ... Zu
Raunstock. Überhaupt eine Verbindung!
ROSENSTOCK. In spätestens drei Jahren haben wir
eine Bahn herauf, Herr von Kreindl. Unser Herr Direk-
tor fährt in den nächsten Tagen nach Wien in dieser
Angelegenheit zum Minister.
PAUL. Das ist g'scheit. Meine Sachen sind schon
oben, nicht wahr, Rosenstock?
ROSENSTOCK. Jawohl, Herr von Kreindl.
PAUL. Na schön. Also küss' die Hand, gnä' Frau,
und nichts sagen. Zum Lijt, hinauf.
ROSEN ST OCK%urFTauWabl. Gnädige Frau brauchen
sich wirklich nicht aufzuregen. Die Herrschaften haben
doch sogar einen Führer mitgenommen.
FRAU WAHL. Einen Führer zur Hofbrandhütte ?
Davon hab' ich ja gar nichts gewußt. Hören Sie, das
kommt mir aber sonderbar vor.
ROSENSTOCK. Es ist ja nur wegen der Rucksäcke.
Man braucht doch wen zum Tragen.' Und übrigens ist
ja das Fräulein Tochter eine so vorzügliche Touristin . ..
FRAU WAHL. Das war der Bernhaupt auch . . .
ROSENSTOCK. Ja . . . rasch tritt der Tod den
Menschen an. Es ist ihm keine Frist gegeben . . .
FRAU WAHL. Na — sein S' so gut! . . .
ROSENSTOCK. Oh bitte ... das bezieht sich selbst-
redend nicht auf Fräulein Tochter.
FRAU WAHL. Ich hab' übrigens da ein Buch bei
Ihnen liegen lassen, lieber Rosenstock, geben Sie mir's
her ... in gelbem Einband . . . von Rhön ... Ja, das
ist es schon . . . Ich werd' mich da ein bissei hersetzen
und lesen . . . Wenn ich nur kann.
ROSEN öTOCK. O, dieses Buch wird gnädige Frau
jedenfalls zerstreun. Herr Rhön schreibt ja so gewandt.
«3' SS5
FRAU WAHL setzt sich an einen der Tischt.
DOKTOR METER stand in der Nähe mit der entfalUUn
Karte, wagt sieb jetzt bin. Ich wollte mir nur die Frage
erlauben, Herr Portier, ich finde nämlich die Bemer-
kung im Baedeker, daß die Tour sehr beschwerlich ist,
und da wollte ich fragen, ob es sich nicht empfehlen
würde, wenn ich zwei Führer . . .
ROSENSTOCK. Bitte, können auch zwei Führer
haben, Herr Doktor.
SERKNITZ kommt von der Stiege herunter. Groß, stark,
Lodenanzug., nachlässig gekleidet, Touristenbemd mit Quasten. Zu
Rosenstock, ohne sich um Meyer zu kümmern. Briefe schon da ?
ROSENSTOCK. Noch nicht, Herr von Serknitz. In
einer halben Stunde etwa.
SERKNITZ. Zustände! Die Post ist doch längst
heroben.
ROSENSTOCK. Aber bis sortiert wird, Herr von
Serknitz.
SERKNITZ. Sortiert! ! Setzen Sie mich da hinunter,
ich sortier' Ihnen den ganzen Einlauf in einer Viertel-
stunde, Wenn ich in meinem Bureau daheim so lange
brauchte, um zu sortieren! — Das ist so die öster-
reichische Schlamperei. Da klagt ihr dann über den
schlechten Fremdenverkehr.
ROSENSTOCK. Wir klagen nicht, Herr von Serk-
nitz. Wir sind überfüllt.
SERKNITZ. Ihr verdient die Gegend nicht, sag' ich.
ROSENSTOCK. Aber wir haben Sie, Herr von
Serknitz.
SERKNITZ. Ich erlasse Ihnen den Adel, Herr Por-
tier. Ich fall' Ihnen ja auf diesen Schwindel doch nicht
hinein. Übrigens komm' ich gar nicht wegen der Post.
Ich komme wegen der Wäsche.
ROSENSTOCK. Bitte, Herr Serknitz, damit hab'
ich nichts . . .
SERKNITZ. Sie oder wer andrer. Das Mädchen
oben weist mich ans Bureau, seit drei Tagen wart* ich
auf meine Wäsche.
356
ROSENSTOCK. Ich bedaure wirklich sehr. Übri-
gens kommt hier der Herr Direktor.
SERKNHZ. Nicht allein — wie gewöhnlich.
DOKTOR VON AIGNER kommt eben von draußen mit
einer sehr schönen Spanierin, von der er sieb jetzt empfiehlt.
DIE SPANIERIN zum Lift, fährt hinauf.
Doktor von Aigner, ein Mann von über fünfzig Jahren^ noch ubr
gut aussehend. Eleganter Gebirgsanzug mit Stutzen, scbtvarz-grau
meliertes Haar, Knebelbart. Monokel, liebensioürdig, nicht ohne
Affektation. Kein Hut.
SERKNITZ. Herr Direktor . . .
AIGNER bezwingend höflich. Sofort . . . Zu Rosenstock.
Lieber Rosenstock. Exzellenz Wondra trifft schon
morgen ein, statt am Donnerstag und braucht, wie Sie
wissen, vier Zimmer.
ROSENSTOCK. Vier Zimmer, Herr Direktor, für
morgen . . . Wie soll ich denn das machen ? Da müßt'
ich ja die Leute . . . Verzeihn, Herr Direktor, da müßt*
ich ja die Leute umbringen.
AIGNER. Gut, lieber Rosenstock, aber mögHchst
ohne Auf sehn. Zu Serknitz, stellt sich vor. Doktor von
Aigner . . . Womit kann ich dienen ?
SERKNITZ nicht ohne Verlegenheit, die er hinter gespielter
Sicherheit zu verbergen sucht. Serknitz . .' . Ich habe eben
. . . ich muß meine Entrüstung oder mindestens meine
Mißbilligung ausdrücken, — losbrechend. Kurz und
gut, es ist eine fürchterliche Wirtschaft in Ihrem
Hotel.
AIGNER. Das täte mir leid. Worüber haben Sie
sich zu beklagen, Herr Serknitz?
SERKNITZ. Ich kann nämlich meine Wäsche nicht
bekommen. Seit drei Tagen urgiere ich. Ich befinde
mich bereits in der größten Verlegenheit.
AIGNER. Das seh' ich. Aber wollen Sie sich nicht
an das Zimmermädchen . . .
SERKNITZ. Sie sind der Direktor! An Sie wend'
ich mich. Es ist immer meine Art gewesen, an die
höchste Instanz zu appellieren. Es macht mir wahrhaftig
357
nicht viel Spaß, in diesem Aufzug unter Ihren Grä-
finnen und Dollarprinzessinnen zu erscheinen.
AIGNER. Verzeihn Sie, Herr Serknitz, es herrscht
bei uns keinerlei Zwang, was die Kleidung anbelangt.
SERKNITZ. Keinerlei Zwang! . . . Meinen Sie, man
merkt nicht, wie verschieden die Gäste hier behandelt
werden ?
AIGNER. Oh...
SERKNITZ. Jch sag» es Ihnen auf den Kopf zu, Herr
Direktor, wenn hier, statt eines einfachen Herrn Serk-
nitz aus Breslau, ein Lord Chamberlain oder eine Ex-
zellenz Bülow stünde, Sie würden einen andern Ton
anschlagen. Jawohl, Herr Direktor. Und es wäre sehr
angezeigt, wenn Sie draußen vor dem Tore ein Plakat
anheften ließen: In diesem Hotel fängt der Mensch
erst beim Baron oder beim Bankdirektor oder beim
Amerikaner an.
AIGNER. Das würde der Wahrheit nicht entspre-
chen, Herr Serknitz.
SERKNITZ. Meinen Sie, weil ich nicht im Auto
hier vorgefahren bin, hab' ich nicht den Anspruch auf
die gleiche Rücksicht wie irgend ein Trustmagnat oder
ein Minister? Der Mann ist noch nicht geboren, der
es sich erlauben dürfte, mich von oben herab zu be-
handeln. Ob er nun ein Monokel trägt oder keins.
AIGNER immer ruhig. Wenn Sie, Herr Serknitz,
etwas an meiner Haltung persönlich kränken sollte, so
steh' ich selbstverständlich in jeder Weise zur Verfügung.
SERKNITZ. Haha! Ich soll mich wohl mit Ihnen
duellieren? Das ist das Allerneueste. Das müssen Sie
sich patentieren lassen. Man beklagt sich, daß einem
die Hemden und — sonstiges nicht geHefert wird, und
dafür soll man noch totgeschossen werden. Hören Sie,
Herr Direktor, wenn Sie glauben, daß Sie damit den
Zuspruch Ihres Hotels besonders fördern werden, so
befinden Sie sich in einem gewaltigen Irrtum. Auf
der Stelle würde ich dieses lächerhche Lokal, dieses
Eldorado von Snobs, Hochstaplern und Börsenjuden
358
mit Extrapost verlassen, wenn ich Lust hätte, Ihnen
meine Wäsche zum Geschenk zu machen^ Vorläufig
sehe ich einmal nach, ob sie indes gekommen ist. Ich
habe die Ehre, Herr Direktor.
AIGNER. Guten Tag, Herr Serknitz. Zu Frau Wahl
bin, die er schon einmal während des Gesprächs durch ein Koffnicktu
gegrüßt hau Guten Tag, gnädige Frau.
FRAU WAHL. Ich bewundere Ihre Geduld, Herr
Direktor.
AIGNER. Das lernt sich.
FRAU WAHL. Ich wollte, ich hätte etwas von Ihrer
Selbstbeherrschung.
AIGNER. Was gibt's denn?
FRAU WAHL. Ich bin in einer grenzenlosen Auf-
regung. Unsere Kompagnie ist noch immer nicht
zurück.
AIGNER. Aber ich bitte Sie, gnädige Frau . . .
Von der Hofbrandhütte ist noch jeder zurückgekommen.
Das ist ja ein Spaziergang . . . Erlauben Sie ? Er setzt
sich.
FRAU WAHL. Ob ich erlaube ? Man muß es im-
mer dankbar annehmen, wenn Sie einmal nicht ander-
weitig beschäftigt sind . . . exotisch . . . erotisch . . .
AIGNER. Exotisch . . . erotisch . . . ? Das ist nicht
von Ihnen, gnädige Frau. So boshaft sind Sie nicht,
schöne Frau.
FRAU WAHL. Nein ... es ist von Rhön.
AIGNER. Ja . . . ich dacht' es . . . Ein Dichter, der
Herr Rhön ... ja . . . Was Sie da wieder für eine
reizende Brosche haben, gnädige Frau! Bauembarock.
Wirklich famos.
FRAU WAHL. Ja, ganz hübsch, nicht wahr? Und
gar nicht teuer. Na, billig ist sie grad auch nicht. Der
Swatek in Salzburg hebt mir immer die Sachen auf.
Er kennt schon meinen Geschmack.
ALBERT RHÖN mittelgroßer, dicker Herr, mit schwar%em,
rraumeliertem, etwas ungeordnetem Haar, bequemer Sommeranzug,
die Treffe herunter. Grüß' Sie Gott, gnädige Frau. Guten
359
Abend, Direktor. Na, sind unsere Hochtouristen noch
nicht zurück?
FRAU WAHL. Was sagen Sie!? Nein!
RHÖN. Sie werden schon kommen . , . werden viel-
leicht etwas solenn gefrühstückt haben . . . Meine Gat-
tin jedenfalls.
EINE SEHR SCHÖNE ENGLÄNDERIN tritt ,n
die Nähe, zu Aigner. mit englischem Akzent. Herr Direktor,
darf ich bitten, auf ein Wort.
AIGNER. Bitte . . . Zu ihr, mit ihr nach rückwärts.
RHÖN zur Frau Wahl. Wissen Sie, wer das ist?
Seine neueste Eroberung.
FRAU WAHL. Die ? Gestern haben Sie mir ja eine
andre gezeigt.
RHÖN. Gestern war's auch eine andre. Ja, das ist
ein Mensch! Haben Sie denn eine Ahnung, wie der
in der Gegend hier gehaust hat? Sagen Sie, gnädige
Frau, ist Ihnen zum Beispiel noch nicht die Ähnlich-
keit unseres Oberkellners mit Aigner aufgefallen?
FRAU WAHL. Sie glauben? Sie halten diesen
Oberkellner für seinen Sohn?
RHÖN. Mindestens für seinen Neffen. Ja, das ist
so ein Wüstling, — daß ihm auch die Neffen ähnlich sehn.
FRAU WAHL. Daß Sie überhaupt in der Laune
sind, Spaße zu machen! Zum Lunch wollten sie da
sein. Jetzt ist es halb sechs. Ich mache mir wirklich
Vorwürfe, daß ich nicht mitgegangen bin.
RHÖN. Da tun Sie unrecht, gnädige Frau. Was
hätten Sie zur Rettung beitragen können ? Wir hätten
nur ein Opfer mehr zu beweinen.
FRAU WAHL. Schauderhaft find' ich Ihre Witze.
Sie scheinen zu vergessen, daß Ihre Frau auch dabei
ist. Wie kann man seine Frau überhaupt auf so lange
fortlassen ?
RHÖN. Sie wissen, Frau von Wahl, daß mir das
Bergsteigen kein Vergnügen macht. Mir fehlt über-
haupt das Talent — für das Manuelle sozusagen. Und
ferner schreib' ich eine Tragödie.
360
AIGNER ist tcieder bervorgetreten.
RHÖN. Jetzt sollten sie ja allerdings schon zurück
sein. Wenigstens meine Frau. Ich bin gewohnt von
ihr, beim Wiedereintritt ins Alltagsleben empfangen
zu werden. Wir verbringen die Zwischenakte mitein-
ander.
AIGNER. Meistens beim Büfett. •
RHÖN ihm auf die Schulter klopfend, gutmütig. Ja, ja,
Direktor. Sagen Sie übrigens, ist das wirkHch eine so
ungefährliche Sache, diese Hofbrandhütte?
AIGNER. Ich sagt' es eben früher: Ein Spazier-
gang. Die Hofbrandhütte trau' ich mir sogar noch zu.
FRAU WAHL. Warum sind Sie nicht mitgegangen,
Direktor? Es wäre doch eine Beruhigung.
AIGNER. Ja, ich habe hier leider einiges zu tun,
wie Sie ja früher bemerkt haben, gnädige Frau. Und
dann, da ich eben nicht viel weiter könnte — als bis
zur Hofbrandhütte, zieh' ich es vor, — nicht einmal
bis dahin zu gehn.
RHÖN. Das ist ganz fein. Aber hören Sie, Direktor,
da fällt mir eben ein, ist von der Hütte aus nicht der
Anstieg zu Ihrem Turm ? Zum Aignerturm, mein' ich ?
AIGNER. Ja, es war einmal meiner! Jetzt gehört
er mir nicht mehr . . . Andern freih'ch auch nicht.
RHÖN. Das muß doch ein recht eigentümliches
Gefühl sein, so zu Füßen eines Turmes zu sitzen, den
man als erster bestiegen hat und selbst nicht mehr in
der Lage zu sein . . . Man könnte hier einen Vergleich
wagen . . . den ich aber lieber unterlassen will. Nebst-
bei bin ich überzeugt, Sie bilden sich nur ein, daß Sie
nicht mehr hinauf können, Direktor. Ich habe so meine
Gedanken über Sie. Ich halte Sie nämlich für einen
Hypochonder.
AIGNER. Wollen wir dieses Thema nicht lieber
fallen lassen, Herr Rhön ?
FRAU WAHL stößt einen leicbUn Schrei aus.
RHÖN. Was haben Sie denn, gnädige Frau?
FRAU WAHL. Am Ende sind sie auf dem Aignerturm.
36?
RHÖN auch etwas erschrocken. Was fällt Ihnen ein ?
FRAU WAHL. Selbstverständlich. Sonst müßten
sie ja schon zurück sein. Sie haben auch einen Führer
mit. Kein Zweifel. Herr Direktor, Sie sind mit im
Komplott, gestehn Sie's lieber gleich ein.
AIGNER. Ich kann es beschwören, daß mit keinem
Wort . . .
RHÖN. Dort steht ein Führer.
FRAU WAHL. Wo? Das ist ja der Penn. Viel-
leicht war's der . . .
DER FÜHRER PENN steht beim Portier.
RHÖN und FRAU WAHL rasch %u ihm bin.
FRAU WAHL. Waren Sic mit der Hofreiter-Partie,
Penn } ...
PENN. Freili.
(FRAU WAHL. Wo ist meine Tochter?
RHÖN. Wo ist meine Frau?
FRAU WAHL. So reden Sie doch.
RHÖN. Wann sind Sie denn überhaupt zurück-
^ gekommen ?
^ FRAU WAHL. Wo sind denn die andern ? Wieso
sind Sie allein ? Was ist geschehn . . . ?
PENN lächelnd. Gnädig' Frau, mir sein schon alle
wieder da. Brav hat sich das gnädig* Fräulein gehalten.
FRAU WAHL. Was heißt das?
RHÖN. Wo waren Sie denn?
PENN. Auf dem Aignerturm sind wir g'wesen.
FRAU WAHL mit leichtem Schrei. Also doch! Also
doch! Es ist furchtbar.
AIGNER. Aber, gnädige Frau, da sie doch alle
glücklich wieder zurück sind . . .
RHÖN. Auch meine Frau war auf dem Aignerturm ?
Das ist doch nicht möglich?
PENN. Nein, die kleine Dicke ist nicht mit oben
g'wesen. Nur das Fräul'n Erna und der Hofreiter und
der Doktor Mauer.
RHÖN. Und meine Frau?
FRAU WAHL. Und mein Sohn?
362
PENN. Die haben g'wartet auf uns in der Hütten,
bis wir wieder zurück waren.
FRAU WAHL. Aber wo sind sie denn?
PENN. Die Herrschaften sind alle durch die
Schwemm' einagangen, damit $' kein Aufsehn machen.
FRAU WAHL. Ich muß hinauf, ich muß Erna sehn.
Zu Aipur. O, Sie . . . Zum Lift bin, da er eben oben ist, klingelt
sü 9€r»«eifelt. Zu Aipur. Warum sich Ihr Lift meistens
im vierten Stock oben aufhält! Das ist auch so eine
geheimnisvolle Eigentümlichkeit Ihres Hotels. Zu Rhön.
Fahren Sie nicht mit?
RHÖN. Ich kann warten.
Der Lift herunter mit dem Boy.
RHÖN xiebt Frau Wahl beiseite. Sehn Sie sich ein-
mal den Boy an. Sonderbare Ähnlichkeit — !
FRAU WAHL. Mit wem?
RHÖN. Na . . . freist auf Aigner.
FRAU WAHL. Auch ein Sohn von ihm ... ?
RHÖN. Wohl schon ein Enkel.
FRAU WAHL. Ach Gott, Sie . . . Fährt mit dsm Lift
hinauf.
v^/ GiV£Ä «» P«»n. Also ihr wart richtig auf dem Turm ?
PENN. Ja, Herr Direktor. Leicht ist's nicht ge-
wesen.
AIGNER. Das kann ich mir denken.
PENN. Wissen S', Herr Direktor, ich hab' mir schon
denkt, daß das Unwetter vor acht Tagen wird was
ang'stellt haben. Ein paarmal haben wir uns fein
ducken müssen. Und dann die letzten hundert Meter,
weiß der Teufel . . . was da g'schehn ist seit dem vorigen
Jahr. Da hat man doch noch einen Tritt g'habt und
g'wußt, wo man das Seil sichern kann, diesmal ham
mir schier fhegen müssen . . .
AIGNER. Aber oben war's schön.
PENN. Seil wissen ja der Herr Direktor. Oben is
immer schön. Und gar auf dem Aignerturm.
DOKTOR METER mit der gänzlich entfalteten Landkarte,
tcbücbttr» »um Portier biti.
$63
ROSENSTOCK. Da war* grad ein Führer, Herr
Doktor.
METER. Danke bestens. Zu Penn bin. Wenn ich
mir erlauben dürfte . . .
GUSTL W AHL kommt in einem eleganten Sommeranzug,
spricht mit einer gewissen affektierten Scbläfrigkeit, zuweilen wieder
absichtlich bedeutungsvoll. Immer mit Humor. Grüß' Gott,
Direktor. Guten Abend, Meister Rhön. Beglück-
wünsche Sie zu Ihrer Gattin. Sie spielt großartig
Domino.
RHÖN. Sie haben Domino mit ihr gespielt ? Warum
sind Sie denn nicht oben auf dem Aignerturm gewesen ?
Sie sind doch ein so großer Tourist. Im vorigen Jahr
waren Sie doch auf dem Himalaja oder . . .
GUSTL. Das Klettern habe ich längst aufgegeben,
jetzt bin ich nur mehr ein Hüttenwanderer. Auch nicht
schlecht.
RHÖN. Und die ganze Zeit haben Sie Domino
gespielt? Während die andern in Lebensgefahr ge-
schwebt haben ? Von meiner Frau wundert's mich
nicht. Frauen haben keine Phantasie. Aber Sie . . .
GUSTL. Die ganze Zeit haben wir nicht gespielt.
Zuerst hab' ich versucht, mit Ihrer Frau Gemahlin ein
Gespräch zu führen.
RHÖN. Über buddhistische Philosophie wahrschein-
lich.
GUSTL. Größtenteils.
RHÖN. Meine Frau interessiert sich nicht für
Buddha.
GUSTL. Ja, den Eindruck hab' ich auch gehabt.
Und darum hab' ich dann lieber mit ihr Domino ge-
spielt. Im Freien bitte! Auf einer herrlichen, mit den
seltensten Alpenpflanzen übersäten Wiese!
AIGNER. Seit wann haben denn die da oben ein
Dominospiel ?
GUSTL. Das findet sich immer. Diesmal war's in
meinem Rucksack. Ich entferne mich nie auf längere
Zeit ohne ein Dominospiel von Hause.
AIGNER. Sonderbarer Geschmack.
GUSTL. Es ist das schwerste Spiel, das es gibt.
Schwerer als Schach. Wissen Sie, wie viel Kombi-
nationen es in dem Spiel gibt?
RHÖN. Woher soll ich das wissen?
GUSTL. Ich aber weiß es . . . Ich habe mich jahre-
lang mit der Philosophie der Spiele beschäftigt.
RHÖN. Und Sie haben nicht gezittert?
GUSTL. Warum denn ? Mir liegt nichts am Verheren.
RHÖN. Während Ihre Schwester zwischen Himmel
und Erde . .
GUSTL. Aber, bitt* Sie, meiner Schwester g'schieht
doch nichts, die wird vierundachtzig Jahre alt.
RHÖN. Das wissen Sie ganz bestimmt?
GUSTL. Ich hab' ihr das Horoskop gestellt. Sie ist
unter dem Skorpion geboren . . . die darf noch mit
dreiundachtzig Jahren eine Gletschervi-anderung wagen,
wenn's ihr Spaß macht.
RHÖN. Sie werden mir doch nicht einreden, daß
Sie an solche Sachen glauben?
GUSTL. Warum nicht ? — Ich erkenn' sogar den
meisten Leuten auf den ersten Blick an — unter wel-
chem Sternbild sie geboren sind . . .
FRAU RHÖN kommt. Kleine, hübsche, ziemlich dicke Frau^
stürzt ihrem Gatten an den Hals. Da bin ich meder.
GUSTL zu Aigner. Schaun Sie sich z. B. die Frau Rhön
an . . .
AIGNER. Nun — ?
GUSTL. Ausgesprochener Steinbock! . . .
RHÖN. Na, laß nur, wir sind ja nicht allein.
AIGNER. Bitte, genieren Sie sich gar nicht.
RHÖN kühl. Na, ist's schön gewesen, Kind?
FRAU RHÖN. Aber prachtvoll.
RHÖN. Ich höre, ihr habt Domino gespielt.
FRAU RHÖN. Du bist bös' ? Ich hab' gewonnen.
RHÖN. Ist mir jedenfalls lieber, als wenn du auch
versucht hättest herumzuklettem.
FRAU RHÖN. Du, einen Moment hab' ich wirk-
365
lieh daran gedacht. Sie haben mich nur durchaus nicht
mitnehmen wollen.
RHÖN. Na, höre, das fehlte mir noch, daß du auf
solche Ideen kommst. Ich habe keine Lust, mir durch
die Sorge um dich die Wonne des Alleinseins verderben
zu lassen. Wenn du nicht bei mir bist, will ich über-
haupt nicht an dich denken müssen.
GUSTL. Dafür hat sie auch nicht an Sie gedacht,
Meister Rhön, das versichere ich Sie, Es wird Ihnen
schon einmal schlimm ergehn. Ich war nur zufällig
nicht das Genre von Ihrer Frau.
RHÖN. Sagen Sie, Gustl, warum sind Sie denn so
taktlos ?
GUSTL. Wissen Sie nicht, daß ich darauf reise?
Und überhaupt — was ist Takt ! Eine Tugend dritten
Ranges* Das Wort sogar ist ziemlich neu. Findet sich
weder bei den Römern, noch bei den Griechen, noch
— höchst charakteristisch — im Sanskrit.
FRAU RHÖN %u Rbon. Na, und du, was hast du
denn gemacht indes? Bist du weiter gekommen?
RHÖN. Schluß des dritten Aktes, das Publikum
stürmt tief ergriffen ins Restaurant . . .
FRAU RHÖN. Da bin ich also grad recht zurück-
gekommen.
RHÖN. Ja, nur dauert der Zwischenakt diesmal
nicht lang. Von morgen früh an sperr' ich mich wieder
ein und bleibe unsichtbar. Werde sogar, wenn du nichts
dagegen hast, nicht an der Table d'hote essen, sondern
in der Schwemm', damit ich durch den unerwünschten
Anblick blöder Gesichter nicht aus der Stimmung ge-
rissen werde. Du kannst dann wieder Domino spielen.
GUSTL. Gnädige Frau, lassen Sie sich scheiden von
ihm. Wie kann man überhaupt einen Dichter heiraten ?
Das sind Unmenschen. Früher war's viel besser, wo
man sich einen Dichter gehalten hat, wie einen Sklaven
oder einen Friseur. Übrigens bestehn jetzt noch ähn-
liche Zustände auf den Azoren. Aber Dichter frei
herumrennen lassen, das ist ja ein Blödsinn.
366
FRIEDRICH himrrd in tinem tleganUn Touristenanxug.
Guten Abend, meine Herrschaften, küss' die Hand,
schöne Dichtersfrau. Wie, auch schon umgekleidet?
Das ist aber g'schwind gegangen,
EIGNER der eben beim Portier subt. Grüß' Sie Gott,
Hofreiter.
FRIEDRICH. Guten Abend, Direktor. Zu Rosenstock.
Nichts da für mich ? Kein Telegramm ? Kein Brief ?
Merkwürdig. Zu Aigner. Also ich kann Ihnen mit-
teilen, daß sich da oben nicht das geringste geändert
hat, auf der Spitze wenigstens. Die Wegverhältnisse
sind allerdings wieder ein bißchen schlimmer geworden.
Oder ist man nur älter? Jetzt ist es Lebensgefahr,
hinaufzuklettern, — aber wenn das mit dem Abbrök-
keln so weiter geht, ist es der sichere Selbstmord.
EIGNER. Ja, der Penn hat mir berichtet.
FRIEDRICH. Wissen Sie, Aigner, wenn man in
diese Rinne kommt, ungefähr dreihundert Meter un-
term Gipfel . . .
AIGNER unterbricht ihn. Bitte, erzälilen Sie mir
nichts. Abgetan ist abgetan. Wie hat sich denn die
Kleine gehalten ?
FRIEDRICH. Erna? Einfach prachtvoll.
AIGNER. Daß Sie sie da mitgenommen haben . . .
ich muß sagen . . .
FRIEDRICH. Sie hat uns mitgenommen. Ich
hatte überhaupt nicht die Absicht, den Turm noch
einmal in meinem Leben zu machen. Wo ist denn
übrigens der Mauer?
AIGNER. Ich hab' ihn noch nicht gesehn.
RHÖN. Sagen Sie, Herr Hofreiter, wie war's
Ihnen eigentlich zumute, als Sie an der gewissen Stelle
vorbeikamen ?
FRIEDRICH. An der gewissen Stelle ? Mein Gott,
sieben Jahre sind eine lange Zeit. Ich habe Dinge
beinahe vergessen, die viel kürzere Zeit zurückliegen.
Ich vergesse sehr rasch . . . wenn ich will,
RHÖN. Nun ja . . . man kommt wahrscheinlich
S67
öfters an Stellen wieder vorüber, wo jemand neben
uns hinabgestürzt ist, nur erkennt man sie manchmal
nicht wieder. Glauben Sie nicht — ?
FRIEDRICH. Wenn Sie eine Ahnung hätten, wie
wenig ich zum Philosophieren aufgelegt bin, Meister
Rhön . . .
PAUL KREINDL kommt rascb die Treppe herunter. Habe
die Ehre, Herr Hofreiter.
FRIEDRICH ziemlich gleichgültig. Ah — Paulchen ?
Grüß' Sie Gott.
PAUL. Guten Tag, Herr Rhön. Ich hatte schon
einmal das Vergnügen . . . Also vor allem habe ich
eine Menge Grüße zu überbringen. Zuerst von Frau
GemahHn, ferner vom Oberleutnant Stanzides, dann
vom Natternpaar, dann von Frau Meinhold-Aigner,
dann vom jungen Herrn von Aigner . . .
FRIEDRICH. Erlauben Sie, daß ich vorstelle . . .
Herr Paul Kreindl — Herr Direktor von Aigner.
PAUL. Ah . . . sehr angenehm . . . Er schweigt betroffen^
dann zu Aigner, gefaßt. Ich habe nämlich das Vergnügen,
Ihren Herrn Sohn zu kennen.
AIGNER ruhig. Ich leider nicht.
FRIEDRICH. Also was gibt's Neues in Baden?
Ruhig. Wissen S' nicht — kommt meine Frau viel-
leicht her?
PAUL. Bedaure, mir hat die gnädige Frau nichts
gesagt.
FRIEDRICH. Amüsiert man sich gut?
PAUL. Glänzend! Neulich waren wir alle zusam-
men in der Arena. Die Frau Gemahlin wird Ihnen ja
geschrieben haben.
FRIEDRICH. Ja, natürUch.
PAUL. Und vorher waren wir auf der Hauswiese,
wo so eine Art Volksfest stattgefunden hat. Wir haben
uns auch unter das Volk gemischt. Haben sogar ge-
tanzt.
FRIEDRICH. Meine Frau auch?
PAUL. Ja, natürlich, mit dem Herrn Fähnrich . . .
368
Und in der Arena, da war eine große Sensation, wie
nämlich die Schauspieler von der Bühne plötzlich die
berühmte Frau Meinhold in einer Loge entdeckt haben.
Sie haben dann eigentlich nur mehr für uns gespielt.
RHÖN. Was ist denn gegeben worden?
PAUL. Entschuldigen, darauf hab* ich nämlich gar
nicht aufgepaßt.
RHÖN. Für diese Menschen vergießt man sein
Herzblut.
PAUL zu Rhön. Ah, ist da nicht Ihre Frau Ge-
raahhn ? Die Herren entschuldigen. Zu Frau Rhön und
Gustl, die an einem Tisch sitxen. '
RHÖN folgt ihnen.
FRIEDRICH. AIGNER.
FRIEDRICH zündet sich eine ZigaretU an und setzt sich.
AIGNER. Ich wußte gar nicht, daß meine einstige
Famiüe so viel in Ihrem Hause verkehrt ?
FRIEDRICH. Ja, man sieht sich zuweilen. Ins-
besondere hat sich Ihre einstige Gattin sehr mit meiner
Frau angefreundet. Und mit Otto spiel' ich manchmal
Tennis. Er spielt famos. Überhaupt — zu Ihrem Sohn
kann man Ihnen gratulieren. Man prophezeit ihm eine
große Zukunft. Er soll sehr behebt sein bei seinen Vor-
gesetzten. Vielleicht ist er der künftige Admiral von
Osterreich.
AIGNER. Sie erzählen mir Geschichten von einem
fremden, jungen Mann.
FRIEDRICH. Sagen Sie, Aigner, Sie haben wirk-
hch nicht die geringste Sehnsucht, ihn wiederzusehn ?
AIGNER. Wiederzusehn? Sie könnten höchstens
sagen, ihn kennen zu lernen. Denn der Fähnrich von
heute hat wohl mit dem jungen Herrn, dem ich vor
ungefähr zwanzig Jahren den letzten Vaterkuß auf die
Stirne drückte, weder äußerhch noch innerlich mehr
die geringste ÄhnHchkeit.
FRIEDRICH. Also nicht Sehnsucht, ihn wiederzu-
sehn — aber Interesse, ihn kennen zu lernen — ? Es
rhealetstücke. IV, 34 ^69 -
wäre jetzt eine famose Gelegenheit. Sie haben nich-
8tens in Wien zu tun — i
AIGNER. Ja, ich muß zum Minister. Wir wollen
hier eine Bahn bauen, wie Ihnen bekannt ist. Über
Atzwang Völs direkt hier herauf. Sie werden zugeben,
daß hier noch drei Hotels stehen könnten.
FRIEDRICH. Ich mache Ihnen einen Vorschlag,
Aigner. Steigen Sie bei uns in Baden ab. In unserer
Villa ist Platz genug. Wir haben ein schönes Fremden-
zimmer. Ja. Ein sehr gemütliches. In dem nur manch-
mal die Geister von verstorbenen Freunden erscheinen,
die früher dort übernachtet haben. Das geniert Sie
doch nicht ?
AIGNER. Gegen Geister von Verstorbenen habe
ich nichts einzuwenden, nein. Aber lebendige Ge-
spenster sind mir unsympathisch.
FRIEDRICH. Es würde mir wirklich verdammt viel
Spaß machen, Aigner, Sie mit Ihrem Sohn bekannt
zu machen. Man könnte das so hübsch arrangieren —
in unserm Garten, wir spielen Tennis, Sie erscheinen
plötzlich ... als vornehmer Fremder . . .
AIGNER. Danke schön, mein guter Hofreiter. —
Ich sag* ja nicht, daß ich einen Zufall dieser Art vermei-
den würde, aber — eine arrangierte Begegnung, — das
hätte einen fatalen Beigeschmack von Sentimentalität.
FRIEDRICH beiläufig. Warum denn . . . ?
AIGNER. Auch vergessen Sie, daß ich bei dieser
Gelegenheit doch auch wieder meiner verflossenen Ge-
mahlin begegnen müßte — und das möchte ich lieber
vermeiden.
FRIEDRICH. Wie Sie glauben.
Pause.
AIGNER. Es gibt übrigens wirklich sonderbare Zu-
f äUe . . .
FRIEDRICH. Wie meinen Sie das?
AIGNER. Daß Sie mir gerade heute . . . von meinem
Sohn zu sprechen anfangen ... bei Ihrer Rückkehr von
dort oben ... < • •
370
FRIEDRICH. Es fügte sich so . . . Wenn nicht
Paul Kreindl begonnen hätte . . .
AIGNER. Wissen Sie, wann ich die Erstbesteigung
dieses Turmes unternahm, von dem Sie eben herunter-
kommen ? — Es war sehr bald, nachdem ich mich von
. . . meiner Frau getrennt hatte.
FRIEDRICH. WoUen Sie damit sagen, daß da -^
ein Zusammenhang bestand?
AIGNER. Gewissermaßen . . , Ich will ja nicht
eben behaupten, daß ich den Tod gesucht habe — der
wäre einfacher zu haben gewesen — aber viel am Leben
lag mir damals nicht. Vielleicht auch, daß ich eine Art
Gottesurteil herausfordern wollte.
FRIEDRICH. Hören Sie, wenn alle Ehemänner in
einem solchen Fall auf Felsen klettern wollten . . . die
Dolomiten würden einen possierlichen Anblick bieten.
Sie haben doch schließlich nichts schlimmeres getan,
als mancher andere auch.
AIGNER. Es kommt immer nur darauf an, wie so
etwas von dem andern Teil empfunden wird . . . Meine
Gattin hatte mich sehr geliebt.
FRIEDRICH. Das hätte ein Grund mehr für sie
sein sollen, nicht unversöhnlich zu bleiben.
AIGNER. Möglich. Aber auch ich hatte sie sehr
gehebt. Hier hegt das Problem! — UnendUch . . . Wie
keine früher und keine ... na, lassen wir das. Sonst
war' es ja zu reparieren gewesen. Aber gerade, daß ich
sie so sehr liebte — und trotzdem fähig war, sie zu be-
trügen . . . sehen Sie, mein lieber Hofreiter, das machte
sie irre an mir und an der ganzen Welt. Nun gab es
überhaupt keine Sicherheit mehr auf Erden . . . keine
MögUchkeit des Vertrauens, verstehen Sie mich, Hof-
reiter — ? — Nicht, daß es geschehn, nein, daß es
überhaupt möglich gewesen war, das war's, was sie
von mir forttrieb. Und ich mußte es begreifen. Ich
hätte es sogar vorhersehen können.
FRIEDRICH. Ja, da muß ich allerdings fragen,
warum . . .
371
AIGNER. Warum ich sie betrogen habe — ? . . .
Sie fragen mich f Sollt' es Ihnen noch nicht aufgefallen
sein, was für komplizierte Subjekte wir Menschen im
Grunde sind? So vieles hat zugleich Raum in uns — !
Liebe und Trug . . . Treue und Treulosigkeit . . . An-
betung für die eine und Verlangen nach einer andern
oder nach mehreren. Wir versuchen wohl Ordnung
in uns zu schaffen, so gut es geht, aber diese Ordnung
ist doch nur etwas Künstliches . . . Das Natürliche . . .
ist das Chaos. Ja — mein guter Hofreiter, die Seele . . .
ist ein weites Land, wit ein Dichter es einmal aus-
drückte ... Es kann übrigens auch ein Hoteldirektor
gewesen sein.
FRIEDRICH. Der Hoteldirektor hat nicht so un-
recht ... ja. Pause. Das Malheur war im Grunde
nur, daß Ihre Gattin Ihnen draufgekommen ist. Sonst
wären Sie vielleicht heute noch die glücklichsten Ehe-
leute.
AIGNER. Ein Malheur — ja . . .! —
FRIEDRICH. Wie hat sie's denn eigentlich er-
fahren?
AIGNER. . . . Wie ? Auf die einfachste Art von der
Welt . . . Ich hab' es ihr gestanden . . .
FRIEDRICH. Wie — ? Sie haben ihr - ?
AIGNER. Ja. Das war ich ihr schuldig — gerade
weil ich sie anbetete. Ihr und mir. Ich wäre mir recht
feig vorgekommen, wenn ich's ihr verschwiegen hätte.
So leicht darf man sich die Dinge doch eigentlich nicht
machen. Finden Sie nicht . . . ?
FRIEDRICH. Das war ziemlich großartig gedacht
— wenn es nicht eben nur eine Art Affektation war.
Oder Raffinement . . . Oder Bequemlichkeit . . .
AIGNER. Oder alles zugleich, was auch möglich
wäre. Denn die Seele — und so weiter.
FRIEDRICH. Und trotz dieser fabelhaften Auf-
richtigkeit — und trotz aller Liebe hat Ihre Frau sich
nicht entschUeßen können, Ihnen zu —
AIGNER. Sagen Sie um Gottes willen nicht „ver-
372
zeihn". Worte dieser Art passen hier durchaus nicht
her. Es gab auch niemals eine Szene zwischen uns
oder dergleichen. Es war nur zu Ende, mein guter
Hofreiter, zu Ende, unwiderruflich zu Ende. Sofort . . .
Das fühlten wir beide. Es mußte zu Ende sein . . .
FRIEDRICH. Es mußte — ?
AIGNER. Mußte. Ja. Nun, lassen wir — die Leben-
den ruhn. Die Toten besorgen das im allgemeinen
auch ohne unser Zutun.
FRAU WAHL kommt von oben. Ah, da ist er ja — !
FRIEDRICH. Küss' die Hand, Mama Wahl.
FRAU WAHL. Mit Ihnen, Friedrich, red' ich über-
haupt niemals ein Wort mehr. Und wenn sie abge-
stürzt wäre ? Wie ständen Sie da ? Könnten Sie mir
je wieder unter die Augen treten ? Auch mit dem
Doktor Mauer bin ich fertig. Wo ist er denn ? Es ist
ja ungeheuerlich. Ich könnte euch beiden . . .
FRIEDRICH. Aber, Mama Wahl, die Erna war'
auch ohne uns hinaufgeklettert.
FRAU WAHL. Ihr hättet sie anbinden müssen.
FRIEDRICH. Das war sie, Mama Wahl. Das waren
wir alle. An einem und demselben Seil.
FRAU WAHL. Ein Narrenseil gehört für euch.
ERNA kommt im weißen Sommerkleid. Guten Abend.
AIGNER. Gott grüße Sie, Erna. Gott grüße Sie.
Er nimmt sie bei den Händen und küßt sie auf die Stirn. Sie
erlauben.
FRIEDRICH. Wie der alteLiszt die jungen Klavier-
spielerinnen.
ERNA küßt Aigner die Hand. Und wie eine ganz junge
Klavierspielerin dem noch nicht besonders alten Liszt.
AIGNER. Aber Erna . . .
FRAU WAHL. Das aucn noch.
ERNA. Es war die schönste Stunde, Herr von
Aigner, die ich je erlebt habe.
AIGNER. Ja, dort oben! . . . Und doch hoff ich,
Sie werden noch schönere erleben, Erna.
ERNA. Das halt' ich für schwer möglich. Daß das
373
Leben einem wieder einmal geradeso schön vorkommt,
das könnte sich ja vielleicht ereignen. Aber daß einem
der Tod zu gleicher Zeit so vollkommen gleich-
gültig ist, das passiert einem gewiß nur bei solchen
Gelegenheiten. Und das . . . das ist das Wunder-
volle! . . .
Indes ist die Ptst angelangt. Rosenstock ordnet Briefe, Hotelgäste
kommen^ empfangen ihre Korrespondenz usw.
PAUL. Fräulein Erna, gestatten Sie auch mir, Ihnen
meine Bewunderung zu Füßen zu legen.
ERNA. Grüß' Sie Gott, Paul, wie geht es Ihnen ?
PAUL. Ja, zum Teufel, pardon . . . wundert sich
denn niemand, daß ich da bin ? ,
FRIEDRICH der sitzt. Hören Sie, Paul, es ist ein
viel größeres Wunder, daß wir da sind.
AIGNER steht mit einer schönen Französin etwas abseits.
RHÖN zu Frau Wahl. Sehen Sie doch, gnädige Frau,
das ist die morgige. Er sammelt Vorräte . . .
ERNA zu Frau Wahl, die sich von Rosenstock ihre Briefe bat
geben lassen. Na, Mama . . . ?
FRAU WAHL. Von Haus. Ah, da ist eine Karte
von Ihrer Frau. Zu Friedrich. Sie läßt Sie schön
grüßen, Friedrich.
FRIEDRICH. Daß sie kommt — schreibt sie Ihnen
nicht ?
ROSENSTOCK. Da sind auch Briefe für Sie, Herr
Hofreiter.
FRIEDRICH steht auf. So ? Ah, da ist ja auch einer
von Genia.
GUS1L legt sich Briefe auf die Stirne.
FRAU RHÖN zu Gusü. Was machen Sie denn da ?
GUSTL. Ich lese nämlich Briefe schon lange nicht
mehr. Ich leg' sie mir einfach auf die Stirne und weiß,
was drin steht.
FRAU WAHL zu Friedrieb. Also kommt sie vielleicht
doch?
FRIEDRICH. Nein. Sie schreibt, daß Percy seine
Ankunft verschoben hat, er ist zu Freunden nach Rich-
374
mond geladen, bleibt acht Tage dort. So ein Lauibub',
— und hat schon Freunde in Richmond.
RHÖN xitzt und liest seine Korresponden». Ha . . .
FRJU RHÖN. Was ist denn?
RHÖN. Es ist unglaublich. Diese Rundfragen! —
Man muß sagen, die Leute werden immer neugieriger.
Früher haben sie sich begnügt zu fragen, ob man Mak-
karoni oder Pfirsichkompott lieber ißt, ob Wagner ge-
kürzt oder ungekürzt aufgeführt werden soll. Aber
was sie jetzt schon von einem wissen wollen . . . Hören
Sie sich das einmal an, Hofreiter.
FRIEDRICH sitzt am Nacbbartiscb und schaut sein* Britft
durch.
RHÖN. Da fragt eine Frauenzeitschrift: a) in wel-
chem Alter man zuerst das Glück der Liebe genossen,
b) ob man jemals perverse Neigungen verspürt habe.
AIGNER zu Hofreiur. Eben erhalte ich eine Anfrage,
ob man in unserm Weiher auch baden kann.
RHÖN. Bei fünf Grad ... brr! —
AIGNER. Ja, wenn sich das noch machen ließe —
da wäre die Schweiz einfach tot . . .
RHÖN. Hören Sie, ich habe eine Idee. Sie müssen
mich natürlich am Gewinn beteiligen. Sie haben doch
da ungeheure Wasserkräfte, die Fälle, die von den Ber-
gen herabstürzen . . . wie wär's, wenn Sie Ihren See
elektrisch durchwärmen ließen?
AIGNER lacht.
RHÖN. Sie lachen . . . Natürlich! Aber wenn ich
nur was vom Technischen verstünde — ich würde euch
die ganze Anlage selber baun ... so deutlich seh' ich's
innerlich vor mir! Nur das Manuelle fehlt mir. Wenn
ich auch das hätte, ich glaube, ich hätte nie eine Feder
angerührt.
FRIEDRICH. Ich denk' mir überhaupt manchmal,
ob die Dichter nicht meistens nur aus gewissen innem
Mängeln . . . Dichter werden — ?
RHÖN. Wie meinen Sie das — ?
FRIEDRICH. Ich stell' mir vor, viele Dichter sind
375
geborene Verbrecher — nur ohne die nötige Kouragc
— oder Wüstlinge, die sich aber nicht gern in Unkosten
stürzen ...
RHÖN. Und wissen Sie, was Fabrikanten von Glüh-
lichtern gewöhnlich sind, Herr Hofreiter? . . . Glüh-
lichterfabrikanten — sonst nichts.
FRIEDRICH. War* gut, wenn's wahr war» . . .
EIN BOT bringt Friedrich einen Brief.
FRIEDRICH macht ihn auf, lächelt und beißt sieb in ii*
Lippen.
ERNA hat es gesehn.
FRAU WAHL. Adieu, ich muß mich noch umklei-
den, adieu, kleine Dichtersfrau, adieu, großer Dichter.
GUSTL öffnet eben einen seiner Briefe.
FRAU RHÖN. Sie machen ihn ja doch auf.
GUSTL. Das ist nur zur Kontrolle. Die Leut'
schreiben einem ja manchmal das Unrichtige.
Frau Rhön und Gustl nach rückivärts, dann ab. Aigner zu Rossn-
stock, dar.n ab.
RHÖN entfernt sich gleichfalls.
Es wird beinahe ganz leer in der Halle.
ERNA über Friedrichs Schulter schauend. Liebesbrief ?
FRIEDRICH. Raten Sie von wem ? Von Mauer .. .
ERNA. Oh . . .
FRIEDRICH. Er hat soeben ein dringendes Tele-
gramm aus Wien erhalten. Mußte sofort abreisen . . .
Ist schon fort . . . Ich möchte ihn allseits bestens emp-
fehlen.
ERNA. Ich dachte mir so was.
FRIEDRICH. Ich auch. Schon diese Lustigkeit
gestern abend, beim Nachtmahl in der Hütte! Und
dann seine Stimmung heute beim Anstieg. Beim Zurück-
gehn hat er überhaupt kein Wort mehr gesprochen . . .
Ja, Erna, auf einer freiliegenden Wiese, fünfzig Schritte
von einer Hütte mit zwanzig Fenstern, sollte man sich
eben nicht um den Hals fallen.
ERNA. Sie glauben, daß er das gesehn hat?
FRIEDRICH. Wahrscheinhch.
376
ERNA. Und glauben Sie, wenn das auf der Wiese
nicht passiert wäre, er wäre nicht abgereist ? Da sind
Sie im Irrtum. Wir hätten einander gar nicht ansehn
müssen und er hätte es bemerkt, geradeso wie die an-
dern es merken . . .
FRIEDRICH. Was sollen denn die andern merken ?
ERNA. Wie es mit uns zweien steht.
FRIEDRICH. Aber Erna, wie sollen denn diese
Leute . . .
ERNA. Wir haben vielleicht so eine Art Schein um
den Kopf.
FRIEDRICH lacht.
ERNA. Ja, so etwas ähnliches muß es sein. Das
hab' ich mir schon manchmal gedacht. Wieso wissen
denn gleich alle Leute so was . . .
FRIEDRICH. Ich hätte abreisen sollen, Erna.
ERNA. Das wäre aber gescheit gewesen!!
FRIEDRICH. Sie sollten nicht kokett sein, Erna.
ERNA. Das bin ich wirklich nicht.
FRIEDRICH. Also was sind Sie denn?
ERNA. Ich bin, wie ich eben bin.
FRIEDRICH. Das ist Ihr Vorteil mir gegenüber.
Ich bin nämlich nicht mehr, der ich war. Ich bin toll
seit dem Kuß gestern, toll. Kommen Sie doch näher,
Erna. Faßt ihre Hand. Setzen Sie sich hier mir gegenüber.
ERNA. Was sind Sie denn so grob . . .1
FRIEDRICH. Erna, ich hab' kein Auge zugetan
diese Nacht.
ERNA. Das tut mir leid. Ich hab' wundervoll ge-
schlafen.
FRIEDRICH. In dieser dumpfen Hüttenluft geht's
mir übrigens meistens so.
ERNA. Sie hätten's machen sollen wie ich. Ich
hab' mir meinen Plaid auf die Wiese hinausgeholt —
auf unsere Wiese und hab' mich im Freien hingelegt.
FRIEDRICH. Haben Sie nicht gefroren?
ERNA. Nein. Ich hab' mir aus der Wirtsstube Ihren
Mantel geholt und mit dem hab' ich mich zugedeckt.
$77
FRIEDRICH. Also Hexenkünste auch noch? E«
ging auch ohne die, Erna!
ERNA. So hab' ich von zehn bis drei herrlich ge-
schlafen, unter den Sternen, und dann bin ich erst
zurück ins Zimmer zur guten dicken Frau Rhön.
FRIEDRICH. Erna, Erna! Ich war' imstande, eine
rasende Dummheit zu begehn. Plötzlich versteh' ich
allen Unsinn, über den ich mich früher lustig gemacht
habe. Ich verstehe Fensterpromenaden, Serenaden
Gesu. Ich versteh', daß man mit gezücktem Messer
auf einen Rivalen losgehn, aus unglücklicher Liebe in
einen Abgrund springen kann.
ERNA. Warum Sie von unglücklicher Liebe reden ?
FRIEDRICH ernst. Wozu sich täuschen, Erna ! Das
gestern abend . . . überhaupt diese ganze Partie, der
Augenblick auf dem Gipfel oben, der Händedruck,
dieser Wahn des Zusammengehörens, dieses ungeheure
Glücksgefühl, es war wohl alles nur eine Art von Rausch,
von — Bergrausch. Wenigstens für Sie. Hängt mit
den dreitausend Meter Höhe zusammen, mit der dün-
nen Luft, mit der Gefahr. Aber ich persönlich habe
wohl die geringste Rolle gespielt in Ihrer Stimmung.
ERNA. Warum sagen Sie das ? Ich liebe Sie ja
schon seit meinem siebenten Jahr. Allerdings mit Un-
terbrechungen. Aber in der letzten Zeit ist es wieder
sehr schlimm geworden. Ich mache keinen Spaß. Und
gar gestern und heut — und da oben — und jetzt!
. . . Ach Gott, Friedrich, ich möcht' Ihnen so gern in
die Haare fahren und sie verstruweln.
FRIEDRICH. Geben Sie doch acht. Es ist ja nicht
notwendig. Hören Sie, Erna, — ich will Sie was fragen.
ERNA. Also fragen Sie.
FRIEDRICH. Also — Wie dächten Sie darüber . . .
Hören Sie mich gut an! — Ich bin nämlich jetzt wie-
der ganz vernünftig. Also Erna, Sie wissen ja — meine
Ehe, darüber muß ich Ihnen ja nichts weiter erzählen.
Die Schuld lag ja größtenteils an mir. Immerhin —
wir passen doch nicht so recht zusammen, Genia und
37«
ich. Und besonders seit der sonderbaren Geschichte
mit Korsakow, die ich Ihnen ja erzählt habe . . . Ach
Gott, warum mach' ich soviel Worte. Ich möcht' mich
von Genia scheiden lassen . . . und Sie heiraten, Erna.
ERNA lacht.
FRIEDRICH. Na...?
ERNA. Weil Sie früher gesagt haben, Sie wären
imstande, eine rasende Dummheit zu begehen.
FRIEDRICH. Es wäre vielleicht keine, wenn man's
gleich nähme, wie es zu nehmen ist. Ich weiß, Erna,
Sie werden mich nicht ewig lieben.
ERNA. Aber Sie mich!!!
FRIEDRICH. Eher . . . Übrigens, Ewigkeit! Man
steigt im nächsten Jahr wieder auf so ein Türmchen
hinauf, und es ist aus mit der Ewigkeit. Oder sie fängt
erst recht an. Also was das anbelangt! Ich weiß nur,
das weiß ich mit absoluter Sicherheit, daß ich ohne
Sie nicht existieren kann. Ich vergehe vor Sehnsucht
nach Ihnen, ich werde nichts mehr denken können,
nichts mehr arbeiten, überhaupt mich mit nichts mehr
Vernünftigem beschäftigen, eh' Sie ... eh' ich Sie in
den Armen halte, Erna.
ERNA. Warum habeii Sie nicht Ihren Mantel ge-
holt, heut nacht ? . . .
FRIEDRICH. Ich bitte Sie dringend, spielen Sie
nicht mir mir, Erna. Ich bin doch ehrlich genug mit
Ihnen. Sagen Sie einfach nein und die Sache ist er-
ledigt. Mauer wird noch einzuholen sein. Zum lächer-
lich werden hab' ich keine Anlage. Wollen Sie meine
Frau werden ?
ERNA. Frau? -- Nein.
FRIEDRICH. Na, gut.
ERNA. Vielleicht später einmal.
FRIEDRICH. Später — ?
ERNA. Lesen Sie Ihre Briefe weiter.
FRIEDRICH. Wozu? Die Fabrik kann von mir aui
in die Luft gehn. Alles kann in die Luft gehn. Was
heißt das: später! Das Leben ist nicht gar so lang.
379
Frist gewähr* ich keine. Ein Kuß wie der von gestern ver-
pflichtet. Entweder zu sofortigem Abschied oder zu
einem bedingungslosen Ja. Warten kann ich nicht. Werd'
ich nicht. Sagen Sie nein und ich fahre noch heute ab.
ERNA. Ich spiele nicht mit Ihnen. Ich weiß, wozu
mich unser Kuß verpflichtet.
FRIEDRICH. Erna . . .
ERNA. Haben Sie es denn nicht immer gewußt,
daß ich Ihnen gehöre ?
FRIEDRICH. Erna . . . Erna!
Tamtam ertönt.
Der Tourist, der zu Beginn des Aktes eingeschlafen ist^ wacht aus
einem Traum auf, erhebt sich, schreit auf, heult geradezu und stürzt
über die ganze Bühne^ endlich hinaus.
FRAU WAHL kommt herunter.
AIGNER trifft mit ihr zusammen. Ah, das ist ja eine
Schnalle, die ich noch gar nicht kenne! Entzückend . . .
FRIEDRICH. O, da haben wir uns nett verplaudert.
Ich hab' nicht einmal mehr Zeit, mich umzukleiden.
FRAU WAHL. Sie sind auch so schön genug. Wo
ist denn übrigens der Doktor Mauer?
FRIEDRICH. Ja, richtig, er läßt sich bestens emp-
fehlen, er hat ein Telegramm bekommen, er mußte
plötzlich abreisen.
FRAU WAHL. Ein Telegramm, Doktor Mauer?
Das ist doch . . . Kinder, man verschweigt mir was.
Er ist abgestürzt ! . . . Er ist . . . tot !
FRIEDRICH. Na, hören Sie, Mama Wahl, glauben
Sie, da könnten wir hier so gemütlich . . .
FRAU WAHL. Na, bei euch kann man das nicht
wissen.
FRIEDRICH. Ich hätte wenigstens schwarze Hand-
schuhe genommen.
SERKNITZ kommt in Frack, toeißer Krawatte, zu Aigner
bin. Ich habe die Ehre mich gehorsamst zu melden,
Herr Direktor. Die Wäsche ist angelangt und ich war
so frei, mich sofort in eine den Ansprüchen Ihres Hotels
entsprechende Toilette zu werfen.
380
AIGNER. Sie sehn geradezu verführerisch aus, Herr
von Serknitz. -
SERKNITZ in den Speisesaal.
FRAU WAHL und AIGNER gUicbfaUs.
Frau Rhön und Gustl, Rbon^ Meyer, verschiedene andere^ die von
der Treppe herunterkommen^ in den Speisesaal.
ERNA und FRIEDRICH zusammen.
FRIEDRICH laut. Kommen Sie, Erna. Leise. Weißt
du noch, was du früher gesagt hast ?
ERNA. Ja.
FRIEDRICH. Da drin wird also heute unser Hoch-
zeitsdiner serviert.
ERNA. Und es wird, Gottseidank, keiner einen
Toast halten.
FRIEDRICH. Und du gehörst mir.
ERNA. Ja.
FRIEDRICH. Erna, überleg* dir gut, was du sagst.
Wenn heute nacht deine Tür versperrt sein sollte, so
schlag* ich sie ein und es ist um uns beide geschehn.
ERNA. Es wird nicht um uns geschehn sein.
FRIEDRICH. Erna...!
ERNA. Und ich ahne, es gibt noch schönre Stunden,
als die dort oben war auf dem Aignerturm.
FRIEDRICH. Erna ...
ERNA erst jetzt mit dem vollen Ton der Wahrheit. Ich
liebe dich! —
Sie gehn in den Speisesaal.
■Vorhang.
VIERTER AKT
Dsioraiion des zweiten Aktes. — Sommernachmittag,
Unter dem Nußbaum die xroei Kitidn der Frau Natter, ein neun-
jähriges Mädel und ein siebenjähriger Bub' mit ihrer Miß, die ihnen
die Bilder in einem Buch xeigt.
Aus dem Hause kommen nach und nach Genia, Natter, Frau Wahl,
Demeter Stanzides, Gustl, Paul, Erna, Otto, Frau Adele Natter.
NATTER. Das Diner zu Ehren der Rückkehr un-
seres geschätzten Hausherrn war vorzüglich. Nur
schade, daß er selbst nicht dabei war.
GENIA. Jedenfalls ist er in der Fabrik aufgehalten
worden.
NATTER. Kein Wunder nach einer dreiwöchent-
lichen Abwesenheit.
FRAU WAHL. Haben Sie ins Bureau hineintele-
phoniert, Genia?
GENIA. Dazu war doch kein Anlaß, ich hatte ihn
sicher für Mittag erwartet, nach dem gestrigen Tele-
gramm aus Innsbruck. Sie ist jetzt drüben bei den Kindern.
Gefallen euch die Bilder, ja ? . . .
KINDER. Oh ja.
GENIA. Ihr müßt eure Mama bitten, daß sie euch
am nächsten Sonntag wieder mit herausbringt, da ist
dann der Percy sicher schon da. Also was wollt ihr
denn jetzt machen?
GUSTL. Kinder, ich werd' euch ein wunderschönes
Spiel zeigen, das die braven Hindukinder spielen an
den Ufern des Ganges. Paßt nur gut auf. Bitt* schön,
Fräulein, geben Sie mir Ihren Sonnenschirm. Danke
sehr. Also da zeichne ich drei konzentrische Kreise
in den Sand, der eine hat einen Durchmesser von einem
Meter, der mittlere von dreiviertel, der innere einen
halben. Zu den andern, die nahestehen, lachen, uu Frau Wahl,
Paul, Adele, Genia. Also bitte, das treffen die Hindu-
kinder mit mathematischer Genauigkeit auf einen Milli-
meter. Jetzt paßt gut auf. Dann wird eine Tangente
gezogen, längs des äußern Kreises, eine zweite senk-
381
recht darauf, längs des mittleren. Eine dritte, wiedei
parallel zur ersten, längs des innem. Dadurch entstehn
selbstverständlich Segmente. Jetzt setzt man in das
äußerste Segment östlich — Er nimmt aus seiner Westen-
tasche einen kleinen Kompaß, xu den andern, die wieder lachen.
Hab' ich immer bei mir. Ich begreif überhaupt nicht,
wie ein anständiger Mensch ohne Kompaß herumgehn
kann. Also dort ist Osten. In das äußerste Segment
kommt eine kleine Schildkröte ... in das westliche ein
Skorpion, dem man natürlich schon den Stachel aus-
gezogen hat . . . Also was werden wir da in Europa
nehmen statt dem Skorpion ? Der siebenjährige Bub' fängt
an zu toeinen.
ADELE. Jetzt hören Sie aber auf, Gustl! Miß . . .
will you — ah was! . . . Sie gibt das Englisch auf. Bitt'
Sie Miß, gehn S' mit den Kindern da hinten auf die
Wiese, da ist Platz zum Spielen ... Zu den Kindern.
Und da erzählt euch niemand so grausUche Geschichten
von Skorpionen und Tangenten.
Das Fräulein mit den Kindern ab.
Demeter Stanzides hat sich auf die kleine Bank ruhen dem Eingang
gesetzt und eine Zeitung in die Hand genommen, die dort lag. Stellung
von links nach rechts: Stanzides links auf der Bank. In seiner Nähe
Frau Wahl und Otto. Dann Paul, Erna. Ganz rechts Gustl, Adele,
Genta.
STANZIDES. Hört, hört! Er liest. „Wie uns vom
Hotel Völser Weiher berichtet wird, hat dort vor weni-
gen Tagen eine junge Dame aus Wien, Fräulein Erna
Wahl, in Begleitung zweier Wiener Touristen, des Fa-
brikanten Hofreiter und des bekannten Arztes Doktor
Mauer den Aignerturm bestiegen, eine durch ihre Ge-
fährlichkeit . . ."
ERNA. Kommen Sie, Paul, gehn wir Tennis spielen.
PAUL. Sehr einverstanden. Zu Adele. Gnädige Frau ?
Herr Fähnrich?
ADELE. Ich spiel* nicht gleich nach dem Essen.
OTTO. Mir gestatten Sie wohl auch noch meine
Zigarette zu rauchen,
383
PAUL. Gut. Wir werden heute überhaupt lauter
Singles spielen. Ein Singletournier. Hoff entlich kommt
der Herr Hofreiter noch zurecht, damit er sich daran
beteiligen kann. Heute muß das Verhältnis nämlich
endgültig klar gestellt werden . . . ! Ab mit Erna.
FRAU WAHL. Wie heißt's denn weiter?
STANZIDES liest neiter. „Eine durch ihre Ge-
fährlichkeit berüchtigte Felsenspitze in den südwest-
lichen Dolomiten. Dieselbe wo vor sieben Jahren ein
junger Arzt, Doktor Bemhaupt, durch Absturz . . ."
FRAU WAHL. Ja, Frau Genia, auf solche Berge
haben sie die Erna hinaufgeschleppt. So bös' bin ich
in meinem ganzen Leben nicht gewesen, wie auf den
Doktor Mauer und auf Ihren Gatten.
GUSTL. Aus lauter Angst vor der Mama sind die
beiden Herren sofort abgefahren.
GENIA mit Blick auf Erna, lächelnd. Ja, es scheint, den
Friedrich hat das böse Gewissen ganz ruhelos gemacht.
Jeden Tag hab' ich von anderswoher eine Karte bekom-
men, aus Caprile, Pordoi und Gott weiß noch woher.
FRAU WAHL bat die Zeitung in die Hand genommen und
blättert. Was ist denn das eigentHch für eine Zeitung i
NATTER. Jetzt sind gnädige Frau doch stolz auf
den Ruhm von Fräulein Erna . . .
FRAU WAHL. Stolz -- ich?
GENIA ist binübergekcmmeny ungefähr bis zur Mitte, zoo Frau
Wahl stebu Was ist das für ein Blatt ? Ich kenn's gar
nicht . . . wie kommt das her ?
FRAU WAHL. Da ist ja was rot angestrichen.
STANZIDES. Was rot angestrichen ist in so einem
Blatt, das soll man lieber nicht lesen.
FRAU WAHL. Das ist aber merkwürdig.
ADELE. \
GUSTL. \ Was denn?
GENIA. I
FRAU WAHL Ufst. „Seit einigen Tagen tritt
mit immer größerer Bestimmtheit in Wiener Gesell-
schaftskreisen ein sonderbares Gerücht auf, das wir hier
381
— selbstverständlich mit der gebotenen Reserve —
wiedergeben. Es handelt sich um den Selbstmord eines
weltberühmten Virtuosen, der zu Beginn dieses Som-
mers großes Aufsehn erregt hat und in ein Dunkel ge-
hüllt war, das auch durch die beliebte Phrase von der
plötzlichen Sinnesvervvirrung eine genügende Aufklä-
rung nicht erhalten hat. Das oben erwähnte Gerücht
will nun wissen, daß die Ursache jenes Selbstmords
ein amerikanisches Duell gewesen, daß aber die Ent-
scheidung in diesem Duell nicht etwa, wie sonst, durch
eine weiße und eine schwarze, sondern durch zwei weiße
und eine rote Kugel herbeigeführt worden sei." —
Zwei weiße und eine rote, — was heißt denn das?
Bange Paus*.
GENIA ruhig. Die Billardpartie, auf die hier an-
gespielt wird, gegen Korsakow, hat mein Mann ver-
loren. Wenn es also . . . ein amerikanisches Duell ge-
wesen wäre ... so hätte Friedrich sich erschießen müs-
sen — nicht? Paust.
STANZIDES. Es ist doch unglaublich, daß man
gegen solche Infamien so gut wie wehrlos ist. Insbe-
sondere, da kein Name genannt ist.
NATTER. Die werden sich wohl hüten.
FRAU WAHL versubt endlich. Ah, diese Billard-
partie . . . natürlich, Frau Genia, Sie haben uns ja er-
zählt. Ihr Mann hat dem Korsakow in der Früh' die
Zigarren ins Hotel geschickt . . . aber freilich! Da
könnte ich Zeugin sein vor Gericht!
GUSTL. Mama, du brauchst nicht Zeugin zu sein.
Kein Mensch kümmert sich um so was.
JdeU und Stanzides sind schon auf dem Wege zum Tennisplatz
und verschwinden allmählich von der Szene.
FRAU WAHL . Es ist aber doch . . . Wie kommt
nur so was in die Zeitung . . . ? Und weswegen sollt'
sich denn der Friedrich mit dem Korsakow . . .
Frau fFahl, Gustl, ihnen gleich nach Herr Natter auch gegen deit
Tennisplatz zu.
OTTO und GENIA bleiben alUin zurück.
Tbeaterstücke. IV, a} 3^5
OTTO. GENIA.
GENIA. Sie glauben es?
OTTO. Diese unsinnige Duellfabel? Was fällt
Ihnen ein!
GENIA. Aber daß diese Fabel vielleicht nicht ganz
ohne Grund entstanden ist — ! . . . Mit einem Wort,
daß ich — auch Korsakows Geliebte war.
OTTO. Nein. Ich glaub' es nicht.
GENIA. Warum sollten Sie's nicht glauben . . .
Weil ich es leugne? Das ist kein Gegenbeweis. Ich
an Ihrer Stelle . . . ich würde es glauben. Als wenn ne
»um Tennisplatz gebn wollte.
OTTO. Ich glaub' es nicht, Genia. Ich schwör'
Ihnen, daß ich's nicht glaube. Wozu reden wir darüber.
Bitte, bleiben Sie! Bitte! — Wer weiß, ob sich noch
ein ungestörter Augenblick findet. Morgen in aller
Früh' muß ich in die Stadt hineinfahren. Ich habe noch
eine Menge drin zu tun . . . Abmeldung . . . Einkäufe
. . . und mit dem Nachtzug fahr* ich nach Pola.
GENIA siebt ihn an. Morgen schon . . .
OTTO. Auf welche Art darf ich Ihnen Nachrichten
zukommen lassen ?
GENIA. Sie können mir ruhig schreiben. Meine
Briefe werden nicht geöffnet. Und wenn Sie besonders
vorsichtig sein wollen, so schreiben Sie mir eben —
so wie Sie jetzt zu mir reden — wie einer guten
Freundin.
OTTO. Das ist zu viel verlangt. Das kann ich nicht
durchführen.
GENIA. Es gäbe noch eins. — Nicht schreiben, gar
nicht schreiben.
OTTO. Genia . . .
GENIA. War» es nicht das klügste ? Man sieht sich
ja doch nie wieder.
OTTO. Genia! In zwei Jahren bin ich wieder da.
GENIA. In zwei Jahren!
OTTO. Wenn du mir doch vertrautest, Genia. Auch
früher könnt' ich wieder da sein. Viel früher. Es gibt
386
ja andre Möglichkeiten für mich . . . Du weißt es . . .
Ich müßte gar nicht fort, Genia.
GENIA. Du mußt. Vielmehr du sollst, das ist ein
stärkeres Gebot.
OTTO. Wie soll ich leben — ohne dich!
GENIA. Du wirst es können. Es war schön. Lassen
wir's daran genug sein. Glück auf die Reise, Otto, und
Glück fürs weitere Leben.
Pause.
OTTO. Was wirst du tun, wenn ich fort bin ?
GENIA. Ich weiß es nicht. Heute weiß ich's nicht.
Was wußten wir zwei vor wenigen Wochen, vor Tagen !
. . . Man gleitet. Man gleitet immer weiter, wer weiß
wohin.
OTTO. Wie kannst du . . . Oh, ich verstehe dich!
Du redest heute so, um mir das Scheiden leichter zu
machen. Genia . . . Erinnere dich doch, Genia . . .
GENIA. Ich erinnere mich. O ja, ich erinnere mich.
Bitter. Aber das Vergessen fängt auch nicht anders an.
OTTO. Tut es dir sehr wohl, mir Schmerz zu be-
reiten ?
GENIA. Warum hältst du mich für besser als ich
bin ? Ich bin nicht besser als andere .sind. Merkst du's
denn nicht ? Ich lüge, ich heuchle. Vor allen Leuten
spiel' ich Komödie, — vor Herrn Natter und vor Frau
Wahl . . . vor deiner Mutter so gut wie vor meinem
Stubenmädchen. Ich spiele die anständige Frau —
und nachts lass' ich das Fenster offen stehn für meinen
Liebhaber. Ich schreibe meinem Sohn, er möge sich
länger bei seinen Freunden aufhalten, meinem gelieb-
ten Sohn schreib' ich das . . . nur damit er mein Aben-
teuer nicht störe, — und ich schreibe meinem Gatten,
daß Percy durchaus noch in Richmond bleiben will,
nur damit er selber länger fortbleibt. Und wenn er
heute zurückkommt und dir die Hand reichen wird,
werde ich daneben stehn, lächeln und mich wahr-
scheinlich meiner Geschicklichkeit freun. Findest du
das alles sehr schön? Denkst du — ich bin eine, der
«• 387
man trauen darf — ? Ich bin wie die andern, Otto,
glaub' es mir.
OTTO. Du bist nicht wie die andern. Kein Mensch
würde dich anklagen. Du, du warst frei. Du warst
ihm keine Treue schuldig. Niemand würde dich ge-
ringer achten.
GENIA. Niemand...
OTTO. Niemand Ich weiß, was dir durch
den Sinn geht. Niemand. Auch meine Mutter nicht,
wenn sie's ahnte.
GENIA. Warum ist sie heute nicht dagewesen?
OTTO. Weil sie größere Gesellschaften nicht liebt.
Das ist der einzige Grund. Sie ahnt nichts. Gestern
war sie doch hier. Was sollte sie gerade heute abge-
halten haben.
GENIA. Das will ich dir sagen. Sie dachte, Fried-
rich werde schon da sein. Und es wäre ihr peinlich ge-
wesen, dich, ihren Sohn ... es wäre ihr unerträglich
gewesen, uns drei beisammen zu sehen . . . den Mann . ..
die Frau . . . und den Liebhaber Davor fürchtete
sie sich. Darum kam sie nicht her. O, ich kann sie ver-
stehn. Wie gut kann ich sie verstehn.
FRIEDRICH erscheint auf dem Balkon, spricht gleich. Habe
die Ehre, meine Herrschaften.
Genia und Otto sind am Schlüsse des Gespräches beinahe unter dem
Balkon.
GENIA nicht erschrocken. Friedrich!
OTTO. Guten Tag, Herr Hofreiter.
FRIEDRICH. Grüß' Sie Gott, Otto.
GENIA heiter. Seit wann bist du denn da?
FRIEDRICH. Vor zehn Minuten gekommen. Er
grüßt «um Tennisplatz hinüber, wo man ihn bemerkt hat. Guten
Abend, guten Abend — Zu Genta. Ich hab' mich nur
gleich umgekleidet. Zu Otto. Es freut mich, daß
ich Sie noch antreffe. Ich hab' gefürchtet, daß Sie
schon wieder in Pola sind . . . oder gar schon draußen
im Weltmeer.
OTTO. Morgen reis' ich, Herr Hofreiter.
388
FRIEDRICH. So . . . morgen . . .— ? Na, ich komm
gleich herunter. Verscbvnndet vom Balkon.
Otto und Genta hinüber. Das nächstfolgende sehr rasch.
OTTO. Du kannst nicht hier bleiben.
GENIA. Sei vernünftig, Otto.
OTTO. Jetzt fühl' ich es. Du bist nicht geschaffen,
zu lügen. Du würdest dich verraten. Oder gar frei-
willig gestehn!
GENIA. Das wäre möglich.
OTTO mit einem plötzlichen Entschluß. So lass' mich mit
ihm reden.
GENIA. Was fällt dir ein!
OTTO. Ja! Es ist ja das einzig Mögliche. Du
fühlst es selbst, alles andre wäre unwürdig, schmäh-
lich—
GENIA. Ich werd' es ihm sagen, sobald du fort bist.
Morgen. Vielleicht noch heute . . .
OTTO. Und was wird geschehn?
GENIA. Nichts, wahrscheinlich. Und du wirst
hierher nicht wiederkommen, nie. Versprich mir . . .
nie . . . auch in zwei Jahren nicht . . . nie . . .
OTTO wie erleuchut. Du liebst ihn — du liebst ihn
wieder! — Dahin, dahin gleitest du.
Es kommen Frau Wahl, Natter, Frau Natter, Stanzides und Gustl
vom Tennisplatz.
ERNA und PAUL spielen weiter.
FRIEDRICH er scheint im Tenniskostüm. Grüß' dichGott,
Genia. Küßt sie auf die Stirn. Er begrüßt auch die andern. Zu
Frau Wahl, die ihm nicht die Hand gibt. Na, Mama Wahl,
noch immer bös' auf mich?
FRAU WAHL. Ich rede kein Wort mit Ihnen. Ich
werde auch mit Doktor Mauer kein Wort reden.
FRIEDRICH. Das wird sich zeigen.
GENIA. Der hat sich überhaupt noch nicht sehen
lassen.
FRIEDRICH. So? — Heut wird er hoffentlich
kommen, ich hab' ihm geschrieben. Na, der Paul und
die Erna, die lassen sich natürlich nicht stören.
389
GENIA. Sag* doch, wann bist du denn eigentlich
in Wien angekommen?
FRIEDRICH. Gestern abend. Ja. — Ich war» sehr
gern schon zu Tisch heraußen gewesen, aber es war
leider absolut nicht möglich.
GENIA. Wir hatten ein Empfangsdiner dir zu Ehren.
GUSTL. Großartig haben wir gegessen.
FRIEDRICH. So ... ? VieUeicht bist du so gut,
Genia, und laßt mir wenigstens noch einen schwarzen
Kaffee bringen. Er setzt sieb unter den Baum und zündet sieb
eine Zigarette an.
NATTER. Sie sind länger fortgeblieben, als Sie be-
absichtigt hatten, lieber Hofreiter?
FRIEDRICH. Ja. Fixiert ihn sebarf. Ja. Sind das
nicht Ihre Kinder, die da draußen auf der Wiese
herumhüpfen ?
ADELE. Ich hab' gedacht, der Percy war' schon da.
Stanzides und Frau Wahl sind indes gegen rüektvärts gegangen.
FRIEDRICH. Na, wann kommt er denn endlich.
Laßt sich auf englische Schlösser einladen . . . der
Lump!
GENIA. Ich glaub', er überrascht uns noch heut
oder morgen mit meiner Schwester Mary . . . weil
schon drei Tage keine Nachricht von ihnen da ist.
ERNA und PAUL vom Tennisplatz.
PAUL. Mein Kompliment, Herr Hofreiter.
ERNA. Guten Abend, Friedrich. Händedruck.
FRIEDRICH. Na, wie geht's denn?
PAUL. Ja, das Fräulein Erna hat mich schon wie-
der geschlagen.
FRIEDRICH. Na, war's noch schön am Völser
Weiher ?
ERNA. Ja, denken Sie sich, sehr schön, auch ohne
Sie. Nett war das übrigens wirklich nicht, so plötz-
lich zu verschwinden. Ja richtig, danke für die Kar-
ten ... Sie haben ja noch sehr schöne Partien gemacht.
FRIEDRICH. Heut ist ja Ihr Ruhm verkündet in
der Zeitung, Erna.
390
FRAU WAHL. Wir haben schon gelesen.
FRIEDRICH. So, Sie haben schon — Ist dieses
Blatt auch hierher gelangt ? — Eine interessante Zei-
tung — nicht wahr ? Pause. Ihn amüsiert die Verlegenheit
der andern. Es war übrigens schön auf dem Aignerturm.
Ja, richtig, Otto. Wo ist er denn . . . ? Otto steht etwas
abseits mit Frau Natter. Ihnen hab' ich Grüße ZU über-
bringen, das heißt Grüße sind es wohl nicht. Ich
habe nämlich Ihren Vater gesprochen.
OTTO. Ihre Frau Gemahlin erzählte mir.
FRIEDRICH. Schade, daß Sie schon morgen fort-
fahren. Ihr Vater wollte nämlich in ein paar Tagen
nach Wien kommen.
OTTO. Sie wissen doch, Herr Hofreiter, daß zwi-
schen meinem Vater und mir niemals Beziehungen be-
standen haben.
FRIEDRICH. Könnten sich noch immer entwickeln.
SoUten sich sogar. Daß Sie jetzt da ins Weltmeer
hinaussegeln auf so lange . . ohne Ihren Vater gesehn
zu haben ... es sollt' nicht sein . , . glauben Sie nicht ?
OTTO. Ja, Sie mögen vielleicht recht haben —
aber nun ist es wohl zu spät.
PAUL der mit Erna und Frau Wahl stand, tritt her. Also,
Herr Fähnrich, unser Single, wenn's gefäUig ist. Zu
Friedrich. Wir spielen nämlich heute lauter Singles. Sie
dürfen sich nicht ausschheßen, Herr Hofreiter, der
Herr Fähnrich reist morgen ab, und da muß heute das
Verhältnis endgültig festgestellt werden.
FRIEDRICH. Aber natürlich. Ich stehe zur Ver-
fügung. Bitte sich nicht stören zu lassen. — Ich trink'
nur meinen Kaffee aus.
'Herr Natter^ Stanzides, Genia — nach den ersten Worten Friedrichs
an Otto über Aigner — und Gustl sind schon etwas früher weggegangen^
jetzt folgen Paul, Adele und Otto.
ERNA. FRIEDRICH.
ERNA ist hinter seinem Sessel stehn geblieben,
FRIEDRICH. O Erna . . . Bleibt sitzen.
391
ERNA. Ich bin so froh, daß du wieder da bist.
FRIEDRICH. Im Ernst ? Er küßt ihre Hand über dit
Lehne. Ich auch.
ERNA. Und jetzt möcht'ich so geschwind als mög-
lich den wahren Grund wissen, warum du fort bist.
FRIEDRICH. Du bist aber komisch, Erna. Ich
hab' dir's ja gesagt. Du warst doch drauf vorbereitet.
War* ich dort gebüeben, in wenigen Tagen, ach Gott
— am selben Tag hätt' es das ganze Hotel gewußt.
Das ist schon so. Du weißt ja . . . Der Schein um den
Kopf. Wir haben ihn uns ja redlich verdient.
ERNA. Und wenn man ihn gesehn hätte!
FRIEDRICH. Kind ... So was soll man der Welt
nicht verraten. Umsoweniger, je mehr man sie ver-
achtet. Die Welt versteht's ja doch nicht. Oder auf
ihre Weise — was noch schlimmer ist! Du kannst mir
dankbar sein, daß ich dich nicht „kompromittiert"
habe. Später hättest du mir's doch übel genommen.
ERNA. Später ? . . . ach so ! . . . Ich werde nicht
heiraten, Friedrich.
FRIEDRICH. Nicht von der Zukunft sprechen,
Kind. Man soll nichts vorhersagen, für sich nicht und
für andre. Nicht für die nächste Minute! Glaub' mir.
ERNA. Und denkst du, wenn ich wirklich einen lieb
hätte nach dir — ich könnt' ihm verschweigen . . .
FRIEDRICH. Gewiß könntest du. Hättest auch
recht. Ich versichere dich, wir verdienen nichts an-
dres . . .
ERNA. „Wir" ... Es gibt doch auch — bessre
als du.
FRIEDRICH. Glaubst du ? Steht auf.
ERNA. Was hast du denn ? Warum bist du so zer-
streut ? Was guckst du immer zur Tür hin i Erwartest
du' wen ?
FRIEDRICH. Ja, den Doktor Mauer.
ERNA. Den Doktor Mauer ? Was willst du von ihm ?
FRIEDRICH. Es handelt sich um geschäftliche
Dinge.
39a
ERNA. Mauer ist doch kein Advokat . . .
FRIEDRICH. Aber ein Freund.
ERNA. Glaubst du, er ist es noch immer?
FRIEDRICH. Ja. Solche Dinge hängen nämlich
nie von dem ab, was man miteinander . . . für Erfah-
rungen macht. Sonst täten ja Enttäuschungen nicht
weh . . . wenn damit die innern Beziehungen einfach
aus wären. Aber daß man doch immer aneinander
hängen bleibt . . . das ...!... Es gibt nur ewige Liebe
und ewige Freundschaft. Und der Mauer ist und bleibt
mein einziger Freund. Das steht fest . . . Auch wenn
er mich einmal erschießen sollte, es wird nicht anders.
ERNA. Was hast du denn so wichtiges mit ihm zu
besprechen ?
FRIEDRICH. Es hängt mit meiner Reise nach
Amerika zusammen.
ERNA. Du fährst also hinüber?
FRIEDRICH. Ja . . . Und da gibt es eben manches
zu ordnen — aus früherer Zeit, wozu ich nur den
Mauer brauchen kann.
ERNA. Aus . . . früherer Zeit . . . ?
FRIEDRICH. Aber Kind! Eine Gattin könnte
nicht neugieriger sein. Sind übrigens lauter sehr lang-
weilige Geschichten.
ERNA. Die dich doch sehr nervös zu machen
scheinen.
FRIEDRICH. Mach' ich den Eindruck? Keine
Spur, ich bin nur etwas übernächtig vielleicht;
ERNA. Wieso? Du bist doch nicht die Nacht
durchgefahren ?
FRIEDRICH. Nein, aber geschlafen hab' ich auch
nicht viel. Ich hab' eine Fensterpromenade gemacht.
ERNA. Heute nacht?
FRIEDRICH. Ja, heute nacht. Warum wunderst
du dich denn ? Ich hab' dir ja gesagt, an einem gewissen
Abend . . . daß ich alle diese Dinge plötzlich begreife
— Fensterpromenaden, Serenaden — Totschlag . . .
Selbstmord
J9r
ERNA. Ich versteh* dich nicht. Wem hast du . . .
eine Fensterpromenade . . .
FRIEDRICH. Na dir, selbstverständlich.
ERNA. Mir ? Was sind das für . . .
FRIEDRICH. Du glaubst mir nicht ? Also hör* gut
zu! Ich bin nämlich gestern abend noch herausge-
fahren. Gleich nach meiner Ankunft in Wien. Es war
beinah Mitternacht wie ich unter deinem Fenster war.
Du hast noch Licht brennen gehabt. Ich habe deinen
Schatten an den Vorhängen vorbeigleiten gesehn.
Wenn dein Zimmer ebenerdig läge . . . wer weiß.
ERNA. Du warst vor meinem Fenster?! — Und
dann?
FRIEDRICH. Dann bin ich eben wieder fort. Ich
hatte deinen Schatten gesehn, war in deiner Nähe ge-
wesen. Danach hatt' ich mich gesehnt.
ERNA. Du hast dich . . . Friedrich . . . ! Und wo-
hin bist du dann?
FRIEDRICH. Nach Wien zurück. Mein Auto
hat auf dem Pfarrplatz gewartet. Ich hab' nämlich
heute früh um acht Uhr schon im Bureau zu tun
gehabt.
ERNA. Du warst vor meinem Fenster . . . Friedrich !
FRIEDRICH. Warum sollt' ich dir denn so was
erzählen, wenn's nicht wahr war* . . . Wobei soll ich
dir schwören ? Beim heiligen Weilier von Völs ?
ERNA. Du warst vor meinem Fenster! . . . Mein
Geliebter!
FRIEDRICH. Still, still. Er geht zur Türe des Hauses.
MAUER tritt aus dem Haus. Grüß' dich Gott, Fried-
rich. Guten Tag, Fräulein Erna.
FRIEDRICH. Servus, Mauer.
ERNA ruhig. Guten Tag, Doktor.
MAUER ganz unbefangen. Schon lang zurück, Fräulein
Erna?
ERNA. Erst seit zwei Tagen . . . Zu Friedrich. Sit
haben mit dem Herrn Doktor zu sprechen. Auf
Wiedersehn. Ab zum Tennisplatz.
394
MAUER. FRIEDRICH.
MAUER. Du hast mir geschrieben, ich bin da.
FRIEDRICH. Ich danke dir nochmals, daß du ge-
kommen bist. Hoffentlich hab* ich dich von nichts
wichtigem abgehalten.
MAUER. Du schreibst, daß du meines Rats be-
darfst. Ich nehme an, du fühlst dich krank.
FRIEDRICH siebt ihn an. Ah so! Nein, ich habe
nicht den Arzt zu mir gebeten, sondern den Freund.
MAUER. Den Freund, so . . . Nun, ich bin da.
FRIEDRICH. Es handelt sich nämlich um ein blöd-
sinniges Gerücht, von dem du vielleicht schon gehört
oder gelesen hast.
MAUER. Welches Gerücht?
FRIEDRICH. Daß Korsakow . . .
MAUER. Nun?
FRIEDRICH. Daß Korsakow als Opfer eines ameri-
kanischen Duells gefallen ist.
MAUER. Ah.
FRIEDRICH. Du hast gelesen?
MAUER. Gehört, um die Wahrheit zu sagen.
FRIEDRICH. Also, ich frage dich: Was soll ich tun ?
MAUER. Was du tun sollst ? Duhast ja den Gegen-
beweis in der Hand. Der Brief Korsakows an deine
Frau . . .
FRIEDRICH. Was hilft mir der? Den kann ich
doch nicht . . . das wäre doch geschmacklos . . .
MAUER. Ja, dann . . . kümmere dich einfach nicht
darum. Das Gerücht wird verschwinden, wie es ge-
kommen ist. Es ist nicht wahrscheinlich, daß vernünf-
tige Leute so was von dir im Ernst glauben könnten.
FRIEDRICH. Wenn auch — etwas wird hängen
bleiben. Und einer muß diese Infamie als erster
ausgesprochen haben. Wenn man sich an den halten
könnt'.
MAUER. Der Mann wird kaum zu eruieren sein.
FRIEDRICH. Für mich ist er eruiert. Es ist Natter.
MAUER. Du glaubst?
395
FRIEDRICH. Es ist seine Rache ... Er hat näm-
lich alles . . .
MAUER rasch. . . . gewußt?
FRIEDRICH. Ja. — Es gibt überhaupt weniger
betrogene Ehemänner als die Gattinnen und manch-
mal sogar die Liebhaber glauben.
MAUER. Hast du Beweise, daß das Gerücht von
ihm ausgeht ?
FRIEDRICH. Beweise, nein.
MAUER. Da kannst du nichts machen.
FRIEDRICH. Ihn stellen.
MAUER. Er wird natürlich leugnen.
FRIEDRICH. Ihn züchtigen.
MAUER. Damit besserst du nichts.
FRIEDRICH. Vielleicht meine Laune.
MAUER. Dazu wäre der aufgewandte Apparat doch
etwas zu groß.
FRIEDRICH. Find' ich nicht. Gute Laune ist die
Hauptsache auf Erden.
MAUER. Ich ließe die Angelegenheit auf sich be-
ruhn. Einen andern Rat kann ich dir nicht geben,
beim besten Willen nicht. — So, nun will ich deiner
Frau guten Abend sagen und dann meiner Wege gehn.
FRIEDRICH. Mauer ... du bist mir böse ?
MAUER. Ich dir böse? Nein. Aber mein Ver-
langen, mich hier aufzuhalten, ist gering.
FRIEDRICH. Du Mauer ... Du weißt doch, daß
ich sehr bald nach dir vom Völser Weiher abgereist
bin?
MAUER. „Sehr bald" ist gut.
FRIEDRICH. Gleich! ... am Tag drauf! . . .
Weißt du, warum? Ich habe die Flucht ergriffen.
MAUER. Ah! —
FRIEDRICH. Ja, vor mir, vor mir selbst. Denn
daß ich sehr verliebt war in die Erna, das gesteh' ich
dir ohne weiteres zu.
MAUER. Du hast mir keine Rechenschaft abzu-
legen.
39«
FRIEDRICH. Gewiß nicht. Tu' ich auch nicht.
Ich seh' nur nicht ein, warum ich deine falschen Ver-
mutungen . . .
MAUER. Was immer ich vermutet habe, ob mit
Recht oder mit Unrecht, die Sache ist für mich
erledigt. — Darf ich deiner Frau guten Abend
sagen ?
FRIEDRICH. Später darfst du. Jetzt wirst du
freundUchst hier bleiben. Wir müssen uns aussprechen.
Ich versichere dich, daß du dich irrst. — Ich habe sie
geküßt, ja. Einmal . . . Das leugne ich nicht. So eine
Umarmung im Freien, bei schönem Wetter, in zwei-
tausend Meter Höhe hat gar nichts zu bedeuten. Das
nenn' ich . . . Höhenrausch . . .
MAUER. Na . . . wenn du's nur so nennst . . . dann
ist ja alles gut.
FRIEDRICH. Glaubst du, es laufen viele ungeküßte
Mädeln auf der Welt herum ? Auch in der Ebene soll's
manchmal passiert sein! Sich deswegen einbilden, daß
man zu gut für eine ist . . . das ist, mit Verlaub, Größen-
wahn.
MAUER. Es macht dir viel Spaß zu lügen, was?
FRIEDRICH. Manchmal schon. Aber diesmal tu'
ich's nicht einmal. Und jetzt werd' ich dir noch was
sagen. Selbst wenn mehr vorgefallen wäre... als
dieser Kuß . . .
MAUER. Ich habe dich nicht gefragt. Und ich
versichere dich, mir ist es heute im Grunde ziemlich
gleichgültig, wie weit es zwischen euch gekommen ist.
FRIEDRICH. Daran, mein lieber Mauer, tust du
unrecht.
MAUER. Ah...
FRIEDRICH. Die Sache stünde vielleicht besser
für dich, wenn sie meine GeUebte gewesen wäre. Es
wäre eine abgetane Sache . . . Da wärst du gewisser-
maßen sicherer.
MAUER. Du fängst an, mich zu amüsieren.
FRIEDRICH. Das freut mich. Das ist doch das
397
wichtigste bei jeder Unterhaltung. Ob man die Wahr-
heit zu hören kriegt, weiß man ja doch nie.
MAUER. Von Erna selbst würde ich sie erfahren.
FRIEDRICH. Du glaubst?
MAUER. Lügen, das ist wirklich das einzige, des-
sen ich sie nicht für fähig halte.
FRIEDRICH. Da könntest du recht haben. Und
darauf kommt es doch am Ende an. Ich halte es über-
haupt für sehr einseitig, die Frauen nur aufs erotische
hin zu beurteilen. Wir vergessen immer wieder, daß
es im Leben jeder Frau, auch wenn sie Liebhaber hat,
eine Menge Stunden gibt, in denen sie an ganz andre
Dinge zu denken hat als an die Liebe. Sie liest Bücher,
musiziert, sie veranstaltet Wohltätigkeitsakademien, sie
kocht, sie erzieht ihre Kinder, — sie kann sogar eine
sehr gute Mutter sein, ja manchmal auch eine vor-
treffliche Gattin. Und hundertmal wertvoller — als
eine sogenannte anständige Frau. Denk' nur an Adele
Natter.
MAUER. Du hast mich hoffentlich nicht herge-
beten, um mir deine philosophischen Ansichten vor-
zutragen.
FRIEDRICH. Nein, das ergibt sich nur so. Aber
weil wir schon bei diesem Thema sind, ich möcht' dich
doch fragen, ob dir schon etwas von der Affäre zwischen
meiner Gattin und dem Herrn Fähnrich zu Ohren ge-
kommen ist?
MAUER ü}>errascht. Von deiner Frau und . . . Kein
Wort . . . Woher hätt' ich auch . . . Ich bin ja seit
drei Wochen nicht hier gewesen.
FRIEDRICH. Also hörst du die Neuigkeit von mir.
Na, was sagst du dazu ?
MAUER. Es ist vielleicht nicht wahr. Und wenn
es wahr sein sollte . . .
FRIEDRICH. So gönnst du mir's von Herzen. Ich
weiß. Aber ich will dir nur sagen, daß deine Schaden-
freude gegenstandslos ist. Denn dazu müßte ich die
Sache ja als etwas schmerzliches oder mindestens als
398
ärgerlich empfinden. Und das ist absolut nicht der
Fall. Im Gegenteil. Es ist mir eher wie eine innere
Befreiung. Ich gehe nicht mehr als Schuldiger in
diesem Hause herum. Ich atme wieder auf. Es ist
gewissermaßen, als hätte sie Sühne getan für den Tod
Korsakows, und zwar in einer höchst vernünftigen und
schmerzlosen Weise. Sie fängt an mir wieder mensch-
lich nah zu sein. Wir leben wieder sozusagen — auf
demselben Stern.
MAUER. Du bist sehr gefaßt. Mein Kompliment.
Offenbar glaubst du's nicht. Da man ja so was doch
nie mit absoluter Bestimmtheit wissen kann . . .
FRIEDRICH. Ah, manchmal schon. Zum Beispiel,
wenn man den Liebhaber nachts, halb zwei aus dem
Fenster seiner Frau steigen sieht.
MAUER. Wie?
FRIEDRICH. Na, was sagst du dazu ? Heute nachts
um halb zwei hab' ich Herrn Otto von Aigner, Fähnrich
in Sr. Majestät Marine, aus dem Fenster der Fabrikan-
tensgattin Genia Hofreiter steigen gesehen. Gerichtlich
zu beeiden!
MAUER. Heute Nacht, halb zwei?
FRIEDRICH. Ich war nämlich schon gestern abend
heraußen.
MAUER. So — ? Und wo warst du bis halb zwei,
wenn man fragen darf.
FRIEDRICH. Haha, mir scheint, du denkst schon
wieder an Erna. Na, also damit ich dich beruhige, ich
bin mit dem letzten Zug herausgefahren von Wien;
von der Bahn zu Fuß hierherspaziert und bin, wie ich
das manchmal tue, durch das kleine Türl von der Wiese
aus in den Garten herein. Und da hab' ich zu meiner
Überraschung Stimmen gehört. Ich schleiche mich
näher und sehe einen Herrn und eine Dame hier unter
dem Baum sitzen. Genia und Otto. Um Mitternacht
hier im Garten. Was sie gesprochen haben, das hab' ich
natürlich nicht verstehen können. Ich bleibe in ge-
messener Entfernung, nach wenigen Minuten schon er-
399
heben sich beide und verschwinden im Haus. Ich ver-
lasse rasch den Garten, wieder durch die Hintertür, gehe
rund um die Villa und postiere mich so, daß ich sehn
muß, wenn wer aus dem Haustor herauskommt. Es
kommt niemand. Eine halbe Stunde lang niemand.
Die Lichter im Haus verlöschen. Ich geschwind wieder
um das Gitter herum auf die Wiese, wo ich das Fenster
von Genias Schlafzimmer im Auge habe. Es war dunkel.
Die Nacht war wunderschön, ich lege mich auf die
Wiese hin, in den Schatten der Bäume, die am Gitter
stehn. Und warte. Bis halb zwei hab' ich gewartet.
Um halb zwei öffnet sich das Fenster, ein Herr steigt
heraus, verschwindet auf eine Weile für mich im Dunkel
des Gartens, ich höre die Gartentüre gehn, und gleich
darauf direkt an mir vorüber, schwebt die schlanke Ge-
stalt des Herrn Fähnrich Otto von Aigner.
MAUER. So. Und was hast du dann getan?
FRIEDRICH. Ich hab' mich auf die Wiese hingelegt.
MAUER. Du bist ja schon gelegen.
FRIEDRICH. Richtig. Aber bequemer als vorher
hab' ich mich hingelegt, weil ich ja nicht mehr hab' auf-
passen müssen. Und hab' prachtvoll geschlafen, bis
sieben Uhr früh. Es ist wirklich herrlich, im Freien zu
schlafen in schönen Sommernächten. Erst neulich hat
mir wer davon vorgeschwärmt.
MAUER. Du denkst hoffentlich nicht daran, es Genia
oder ihn entgelten zu lassen. Das einzige, was du jetzt
tun kannst und darfst, — das ist ein klares Ende machen.
FRIEDRICH. Wer spricht von Ende?
MAUER. Selbstverständlich. Es könnte jetzt auch
ohne besonderes Aufsehn geschehn. Du brauchst nur
etwas früher nach Amerika zu fahren als deine Absicht
war.
FRIEDRICH. Nach Amerika wird Genia mit mir
reisen.
MAUER. So — ?
FRIEDRICH. Ja.
MAUER acbulzuckend. Du erlaubst mir diese Mit-
400
teilung bis auf weiteres als den letzten Beweis deines
Vertrauens entgegenzunehmen. Jetzt . . .
NATTER kommt. O, guten Abend, Doktor Mauer,
wie geht's ? Lieber Hof reiter, ich wollte Sie nämlich
fragen, da wir leider nicht mehr lange bleiben können . ..
MAUER. Du erlaubst also, daß ich deiner Frau
guten Abend sage . . .
FRIEDRICH. Sie wird sich sehr freuen.
MAUER zum Tennisplatz.
FRIEDRICH. NATTER.
NATTER. Ich wollte Sie fragen, lieber Hof reiter,
ob ich Sie morgen im Bureau sprechen kann. Ich habe
Ihnen viel mitzuteilen. Das bewußte Konsortium hat
sich wieder gemeldet. Man bietet . . .
FRIEDRICH. Morgen die Geschäfte, Herr Natter.
NATTER. Wie Sie wünschen.
FRIEDRICH. Heute wollen wir plaudern.
NATTER. Gern.
FRIEDRICH. Sagen Sie mir, Natter, was halten
Sie von Demeter Stanzides ?
NATTER. Stanzides ? — Ein ganz sympathischer
Mensch. Etwas sentimental für einen Husarenober-
leutnant. Aber im ganzen ein netter Kerl.
FRIEDRICH. Hat er nicht Schulden?
NATTER. Nicht, daß ich wüßte.
FRIEDRICH. Mißhandelt er nicht seine Unter-
gebenen ?
NATTER. Mir nichts davon bekannt.
FRIEDRICH. Ist er nicht etwa Falschspieler?
NATTER. Glauben Sie das, Hofreiter?
FRIEDRICH. Nein. Ich will es Ihnen nur erleich-
tem, etwas über ihn zu erfinden, für später, wenn die
Geschichte zwischen ihm und Ihrer Frau Gemahlin zu
Ende sein sollte.
Sie stebn Au^ in Au^.
NATTER. Es freut mich, daß Sie mich für keinen
Dummkopf halten, Hofreiter.
Theaterstücke. IV, a6 4^1-
FRIEDRICH. Nein, für einen . . .
NJTTER. Ich warne Sie davor, mich einen Schuften
zu heißen. Es würde mir wahrscheinlich nicht kon-
venieren, die Angelegenheit durch eine Karambolpartie
zu erledigen.
FRIEDRICH. Aber auf andere Art.
NATTER. Wenn ich dazu Lust gehabt hätte . . .
vor nicht allzulanger Zeit war bessere Gelegenheit dazu.
FRIEDRICH. Warum haben Sie's nicht getan?
Man wird doch nicht mit einemmal . . . Ich weiß doch,
daß Sie als junger Mensch um weniger Ihr kostbares
Leben in die Schanze geschlagen haben.
NATTER. Um weniger? Um andres.
FRIEDRICH. Wenn es Ihnen so nahe ging* —
warum bleiben Sie mit Ihrer Frau zusammen ?
NATTER. Das will ich Ihnen erklären. Weil mir
eine Existenz ohne Adele als vollkommener Unsinn er-
schiene. Ich bin nämlich rettungslos verliebt in sie.
Das kommt vor, Hofreiter. Dagegen hilft nichts.
Ahnen Sie denn, was ich alles versucht habe, um inner-
lich von ihr loszukommen — ? Vergeblich . . . Alles
vergeblich . . . Ich liebe sie . . . trotz allem — ! Un-
geheuerlich, wie? — Es ist nun einmal nicht anders.
FRIEDRICH. Und Sie rächen sich an mir, indem
Sie eine Ungeheuerlichkeit erfinden?
NATTER. Vielleicht indem ich die Wahrheit ver-
breite.
FRIEDRICH. Mensch, Sie glauben wirklich ? . . .
daß ich . . . ein amerikanisches Duell . . .
NATTER. Beweisen Sie mir das Gegenteil.
FRIEDRICH. Das könnt' ich . . . Ich kenne den
Grund von Korsakows Selbstmord. Ich weiß, daß . . .
O, wo gerat' ich hin ? Mich vor Ihnen zu rechtfertigen,
Sie . . . Sie ...
NATTER. Hüten Sie sich.
FRIEDRICH. Ich schwöre Ihnen, daß Sie sich irren.
Ich schwöre Ihnen . . .
NATTER. Bei der Tugend Ihrer Frau Gemahlin, ja ?
402
FRIEDRICH. Herr ... Auf ihn «u.
NATTER packt seinen Arm. Ruhe, kein Aufsehn. Ich
werde mich nicht mit Ihnen schlagen. Aber noch ein
Wort und . . .
FRIEDRICH. Gerade gegen Sie sollt' ich wehrlos sein ?
NATTER. Zuweilen ist man's eben.
FRIEDRICH. Ja . . . gegen einen . . .
NATTER. Gegen einen, der das Leben fabelhaft
amüsant findet . . . lieber Hofreiter — und nur das.
PAUL vom Tennisplatz. Bitte sehr um Entschuldi-
gung, wenn ich störe. Herr Hofreiter, — Ihr Single
mit dem Herrn Fähnrich wäre an der Reihe.
FRIEDRICH. Ja . . . ja . . . bin schon bereit —
Das Verhältnis muß endgültig klargestellt werden . . .
ich weiß . . .
NATTER. O bitte, lassen Sie sich nicht stören.
Leise. Etwa auch auf Tod und Leben ?
FRIEDRICH. Vielleicht.
MAUER und GENIA kommen eben von rücktoärts.
MAUER toill sieb verabschieden. Also, lieber Freund.
FRIEDRICH. Nein, du darfst einfach nicht gehn.
Du mußt ihn zurückhalten, Genia — mit allen deinen
Verführungskünsten.
Friedrich^ Paul, Natter xum Tennisplatz,
MAUER. GENIA.
GENIA. Ich fürchte, daß meine Künste versagen
werden.
MAUER. Ich muß leider fort, gnädige Frau.
GENIA. Und es ist wohl anzunehmen, daß man Sie
in der nächsten Zeit hier nicht sehn wird . . .
MAUER. Es ist anzunehmen, gnädige Frau.
GENIA siebt ihn an. Es tut mir leid, daß ich einen
Freund verloren habe. Auch ich, die wahrhaftig ohne
Schuld ist, wenigstens gegen Sie. Warum antworten
Sie mir nicht, Doktor ? Ich will mich nicht in Ihr Ver-
trauen drängen, umsoweniger, als ich mir ja denken
kann, was Sie von hier forttreibt.
*• 403
MAUER. Es ist diesmal kein Anlaß, Ihnen über
Ihren Scharfblick ein Kompliment zu machen. Sie
gestatten mir jetzt, gnädige Frau, mich zu entfernen.
GENIA. Ich habe Ihnen nichts zu gestatten und
nichts zu verbieten. Besonders als . . . gnädige Frau.
Leben Sie wohl, lieber Doktor! — Und — bitte lassen
Sie mich Ihnen noch eine Mahnung mit auf den Weg
geben! — Nehmen Sie's nicht gar zu schwer. Es wäre
doch lächerlich, wenn Sie, ein Mensch, der das Leben
von seiner ernstesten Seite kennt, dergleichen Spielerei
und Spiel wichtig nähme. Liebessachen sind nichts
andres, Doktor, glauben Sie mir. Und wenn man erst
drauf gekommen ist, sehr lustig anzusehn — und mit-
zumachen.
MAUER. Wenn man drauf gekommen ist . . .
GENIA. Werden Sie auch, lieber Freund. Die
dummen schweren Worte, die Ihnen durch den Sinn
gehn, die blasen Sie nur gefälligst in die Luft. Und
Sie werden sehn, wie leicht sie eigentlich sind. Sie
fliegen . . . alle ... sie verwehn, diese schweren dum-
men Worte . . .
MAUER. Es gibt vielleicht wirklich nur ein schweres
auf der Welt — und das heißt Lüge.
GENIA. Lüge? Gibt's denn das in einem Spiel?
List oder Spaß heißt es da.
MAUER. Spiel — ?! Ja, wenn es so wäre! . . . Ich
versichere Sie, Genia, nicht das geringste hätt' ich ein-
zuwenden gegen eine Welt, in der die Liebe wirklich
nichts andres wäre als ein köstliches Spiel . . . Aber
dann . . . dann ehrlich, bitte! Ehrlich bis zur Orgie.
. . . Das liess' ich gelten. Aber dies Ineinander von
Zurückhaltung und Frechheit, von feiger Eifersucht und
erlogenem Gleichmut — von rasender Leidenschaft und
leerer Lust, wie ich es hier sehe — das find' ich trüb-
selig und grauenhaft — ... Der Freiheit, die sich hier
brüstet, der fehlt es am Glauben an sich selbst. Darum
gelingt ihr die heitre Miene nicht, die sie so gerne an-
nehmen möchte . . . darum grinst sie . . . wo sie lachen will.
404
GENIJ. Sie sind ungerecht, Doktor. Wir geben
uns ja alle Mühe. So rasch geht das freilich nicht.
Aber wir haben die beste Absicht. Merken Sie's nicht ?
Adele Natter, zum Beispiel, bringt ihre Kinder mit in
unser Haus, ich plaudre mit Erna, als wäre der Weiher
von Völs das harmloseste Wasser von der Welt, Fried-
rich spielt seine Tennispartie mit dem Herrn Fähnrich
von Aigner . . .
MAUER. Warum sollte er nicht?
GENIA. O, Doktor! . . .
MAUER. Ja, ich weiß . . . auch das , . .
GENIA. Wer hat es Ihnen gesagt?
MAUER. Wer — ? Geben Sie acht, Genia. Fried-
rich selbst.
Du Tennispartie ist zu Ende. Die Teilnehmer kottmen aUmäblicb
näher.
GENIA. Friedrich . . . ? ! Natürlich ahnt er. Ich
hab' es gleich in seinem BHck gelesen ... als er uns
vom Balkon aus begrüßte . . . Aber wozu dies war-
nende „Geben Sie acht" — ? Er wird es mir nicht übel
nehmen. — Vielleicht hätte sich Otto auch umgebracht
— wie jener andre. Und man darf doch einen jungen
Menschen einer solchen Kleinigkeit wegen nicht in den
Tod treiben. Friedrich wird zufrieden mit mir sein.
Morgen, wenn . . . mein Geliebter fort ist . . . werd'
ich ihm die ganze Geschichte selbst erzählen.
MAUER. Das dürfte nicht mehr notwendig sein.
Er ahnt nicht, er weiß . . . Er hat den Herrn Fähnrich
heute nacht gesehn . . . um halb zwei . . .
GENIA zuckt zusammen, faßt sich rasch.
Paul^ Gustl, Erna, Stanzides, Adele, Frau Wahl, Natter, Otto
und Friedrich vom Tennisplatz.
GENIA. Nun, wer war Sieger?
PAUL. Die alte Garde lebt noch. Herr Hofreiter
hat gewonnen. Neun zu acht.
STANZIDES. Schade, daß Sie nicht zugesehn haben,
gnädige Frau. Es war eine schöne Partie.
405
FRIEDRICH. Na, Mauer, du bist ja doch geblieben.
Das ist nett von dir!
PAUL. Jetzt käme noch das Match Fräulein Erna
und Herr Hofreiter.
ERNA. Es ist schon zu dunkel, das verschieben wir
auf morgen. Und wir telegraphieren dem Herrn Fähn-
rich das Endresultat des Tourniers.
OTTO. Meine Herrschaften, ich muß. mich nun
leider wirklich empfehlen. Er beginnt sieb zu verabschieden.
FRIEDRICH folgt ihm mit den Blicken. Schade, daß
wir nicht morgen noch eine Partie spielen können, Otto !
— Ich hab' heut gar keine rechte Freude an meinem
Sieg.
PAUL. Warum denn? Der Herr Fähnrich hat
famos gespielt, und Sie, Herr Hofreiter noch besser.
FRIEDRICH. Ich weiß nicht. Sie waren nicht recht
in Form, Otto. Einen Schlag haben Sie gehabt, wie
ich ihn von Ihnen gar nicht gewohnt bin. So einen
zerstreuten, so einen undezidierten, so einen ängst-
lichen Schlag . . . Abschiedsstimmung wahrscheinlich.
OTTO. Vielleicht Befangenheit einem so starken
und ausgeruhten Gegner gegenüber. Nun, wenn ich
wiederkomme, in drei Jahren, sollen Sie mehr Freude
an meinem Gegenspiel haben, Herr Hofreiter.
FRIEDRICH. Ja, wenn man das so sicher wüßte,
daß man sich wiedersieht! . . . Ich rede nie von so
fernliegenden Dingen . . . drei Jahre! . . . Denken Sie,
was indessen alles passieren kann. Man hat doch nicht
alles so in der Hand. Es gibt Ereignisse, denen gegen-
über alle Voraussicht versagen kann . . . und alle Vor-
sicht.
NATTER. Und gerade diese dürfte nicht eine
Haupteigenschaft des Herrn Fähnrich sein.
.OTTO. Das furcht' ich selbst, Herr Natter.
FRIEDRICH. Das können Sie selber gar nicht wis-
sen, Otto, ob Sie von Natur aus vorsichtig sind oder
nicht ... In einem Beruf, der so ganz auf Haltung und
Disziplin gestellt ist, wie der Ihre, hat man sozusagen
406
keine Gelegenheit, sich selbst kennen zu lernen. Glau-
ben Sie nicht?
MAUER. Genug Psychologie für die späte Abend-
stunde, denk' ich. Zu Otto. Wir gehn vielleicht gleich
zusammen.
FRIEDRICH kümmert sieb gar niebt darum. Ich zweifle
natürlich nicht, daß Sie jederzeit bereit wären, für
Kaiser und Vaterland und auch für viel geringere Dinge
Ihr Leben hinzugeben, aber da spielt doch der äußere
Zwang eine gewisse Rolle. In der Tiefe Ihrer Seele
ganz in der Tiefe, Otto, sind Sie feig.
Große Pause.
OTTO. Ich habe nicht recht verstanden, nicht wahr ?
FRIEDRICH. Ich weiß nicht, was Sie verstanden
haben. Ich werde es auf alle Fälle wiederholen: feig.
OTTO einen Schritt auf ihn zu.
FRIEDRICH ihm rasch entgegen.
OTTO. Sie werden von mir hören.
FRIEDRICH. Hoff ich, leise und bald. In einer
Stunde, im Park . . .
OTTO ab.
PAUL sagt leise etzoas vsu Gustl, folgt mit ibm dem Otto,
ERNA steht regungslos.
GENIA regungslos.
FRAU WAHL sieht ticb ratlos um, wendet sieb an Adele,
NATTER. Wir wollen nun nicht weiter stören.
FRIEDRICH. O nein, das tun Sie nicht — im
Gegenteil. Zu Mauer abseits. Auf dich hoff ich zählen
zu können.
MAUER. Nein. Dabei tu* ich nicht mit.
FRIEDRICH. Als Arzt, Mauer. Das darfst du mir
nicht verweigern, das ist deine Pflicht.
MAUER zuckt die Achseln, Bitte.
FRIEDRICH. Danke. Lieber Stanzides.
STANZIDES. Ich bitte über mich zu verfügen.
FRIEDRICH. Ich danke Ihnen. Natter, darf ich
Sie bitten ?
NATTER. Lieber Hofreiter . . .
407
FRIEDRICH zieht Natter nach vorn. Ich denke, wir
sind einig in unserer Ansicht über das Leben, nicht
wahr ? Zum Totlachen.
NATTER. Ich hab' es immer gesagt.
FRIEDRICH. Der neueste Spaß hätte eine Würze
mehr für mich, — wenn Sie mein Sekundant sein woll-
ten.
NATTER. Gern. Der Herr Fähnrich schießt ge-
wiß nicht schlecht.
GENIA mit einem plötzlichen Entschluß zu Friedrich hm.
Friedrich . . .
FRIEDRICH. Später.
GENIA. Jetzt.
FRIEDRICH zu den andern. Sie entschuldigen. Mit
ihr nach vorn.
FRAU WAHL zu Erna hin, will sie zum Fortgehen ver-
anlassen.
ERNA weist sie ab, steht an der Mauer des Hauses.
FRAU WAHL wendet sich zu Adele, die unter dem Nuß-
baum sitzt und ihrem Gatten nachsiebt.
NATTER und ST^NZIDES gehn nach rückwärts.
MAUER steht allein.
FRIEDRICH zu Genia. Nun?
GENIA. Was ist dir denn eingefallen ? Wie durf-
test du . . .
FRIEDRICH. Na, furcht* dich nicht. Ich werd' ihm
nicht viel tun, wahrscheinlich gar nichts.
GENIA. Warum also? Wenn dir an mir noch das
geringste läge . . . wenn es Haß wäre . . . Wut . . . Eifer-
sucht . . . Liebe . . .
FRIEDRICH. Na ja, von all dem verspür' ich aller-
dings verdammt wenig. Aber man will doch nicht der
Hopf sein. Wendet sich von ihr ab, folgt Natter und Stanzides.
GENIA steht vorn regungslos.
ERNA steht an der Mauer des Hauses.
Die Blicke der beiden Frauen begegnen sich,
Vorhang,
FÜNFTER JKT
Zimmer in der FiUa, das an die aus dem ersten Akt bekannte Veranda
stößt. Liebt und freundlich. Eine große Glastüre, die auf die Veranda
führt, steht offen. Rechts und links von der Glastür Schränke. In
der Mitte ein großer Tisch, Decke darauf, Zeitschriften, Bücher. —
Sessel. An der linken Wand ein Kamin, davor ein kleines Tischchen^
Stühle usw. Bilder an den Wänden, rechts eine «weite Türe. Stand-
uhr links vorn. Etagere rechts vom Kamin mit Büchern.
GENIA kommt von rechts im MorgcnJdeid. Sehr blaß und
erregt. Zur Verandatür, tritt auf die Veranda hinaus, wieder
zurück, setzt sich an den großen Tisch, nimmt eine der dort liegen-
den Zeitschriften, starrt hinein, dann wieder vor sich bin,
ERNA ohne Hut, im Sommerkleid, sehr rasch von der Veranda
herein.
GENIA auf, rasch gefaßt. Erna ? . . . Was gibt's ?
ERNA. Sie sind noch nicht zurück ? Ist noch keine
Nachricht da ?
GENIA. Wie sollte denn eine Nachricht da sein?
Kommen Sie doch zu sich, Erna. Vor heute nach-
mittag — kann's ja gar nicht sein. Wahrscheinlich erst
morgen früh. In dieser Stunde finden wohl die Vor-
besprechungen statt.
ERNA siebt sie an. Ja, natürlich. Verzeihn Sie, daß
ich weiterfrage. Ich weiß, daß ich kein Recht habe,
aber die seltsamen Umstände . . .
GENIA. Sie haben so gut ein Recht, um jemanden
zu zittern, wie ich es hätte.
ERNA. Ich zittre nicht, Frau Genia. Das ist nicht
meine Art. Ich wollte nur fragen, ob Sie Ihren Herrn
Gemahl heute schon gesehn haben ?
GENIA. Mein „Herr Gemahl" ist schon gestern
abend in die Stadt gefahren. Allerlei bei seinem Ad-
vokaten zu ordnen jedenfalls. Das ist ja nun einmal
üblich, auch wenn es ganz überflüssig ist. Er wird
Verfügungen treffen. Vielleicht sogar irgendwelche
Briefe und Papiere verbrennen. Kurz sich geradeso
benehmen, als wenn es eine ungeheuer ernste Sache
409
wäre, obwohl es nichts ist als eine lächerliche Eitelkeits-
und Ehrenkomödie, wie wir ja alle wissen.
ERNA. Ich bin davon nicht überzeugt, Frau Genia.
GENIA. Ich bin es. Kommen Sie, Erna, wir wollen
in den Garten gehn, der Tag ist so schön. Wir wollen
plaudern. Sie haben mir ja noch gar nichts von Ihrer
Reise erzählt. Sie haben interessante Dinge erlebt . . .
am Völser Weiher . . .
ERNA. Ist es möglich, daß Sie in dieser Stunde
spotten können, Genia?
GENIA. Ich spotte nicht. Ah, ich bin fern davon . .
Sie lieben ihn wohl sehr . . . meinen „Herrn Gemahl",
nicht wahr — ?! Nun ja, es ist kein Wunder. Der
erste — das ist doch immerhin ein Erlebnis. Oder
bedeutet das auch nichts mehr ? Sie müssen mir dar-
über Aufschluß geben, Erna. Ja! — Ich finde mich
nämlich nicht mehr zurecht. Das Leben ist um so viel
leichter geworden in der letzten Zeit. Als ich so jung
war wie Sie, nahm man gewisse Dinge noch furchtbar
ernst. Es sind nicht viel mehr als zehn Jahre seither
vergangen, aber mir scheint, die Welt hat sich seitdem
sehr verändert.
STUBENMÄDCHEN mit einem Telegramm von recbu.
Gebt gleich wieder.
GENIA öffnet et rasch. Von meiner Schwester Mary.
Sie kommt heute mittag mit Percy an. Hier Sie gibt
Erna das Telegramm. Es wird ein lustiges Wiedersehen
werden. Aber wollen wir nicht doch in den Garten,
Erna ? Oder machen wir eine kleine Spazierfahrt. Ja ?
Der Tag ist so schön. Die Luft wird Ihnen wohltun.
Sie sind blaß ... Sie haben vielleicht nicht sehr gut
geschlafen.
ERNA. Nein. Ich habe gewacht. Und um fünf
Uhr früh hab' ich meinen Bruder fortgehn sehn. In
jedem Augenblick können wir erfahren, wie es aus-
gegangen ist. Denn während wir hier reden, ist alles
längst vorüber.
GENIA. Erna — ich sagte Ihnen doch, Friedrich
4x0
ist in die Stadt gefahren, zu seinem Advokaten . . .
wahrscheinlich.
ERNA. Er ist nicht zum Advokaten gefahren. Ich
weiß es. Ich habe meinen Bruder gesprochen heut früh,
als er fortging. Gestern abend noch ist alles abgemacht
worden. Heut morgen um acht hat das Duell statt-
gefunden. Ich nehme an — nicht gar weit von hier.
Im Heiligenkreuzerwald wahrscheinHch. Und jetzt ist
alles . . . vorbei.
GENIA. Nun, so ist es eben vorbei . . . Jetzt ist
nichts mehr zu ändern, nicht wahr? Im Heiligen-
kreuzerwald, glauben Sie? — So sitzen sie jetzt alle
zusammen im Stiftsgarten, unter dem schattigen Laub
und feiern die Versöhnung . . . Das Frühstück war
schon vorher bestellt von den Herren Sekundanten.
Und versöhnt ist man ja schnell, wenn man einander
nie wirklich böse war. Was denken Sie, Erna, trinken
sie auf unser Wohl ? Warum nicht. Das Leben ist ja
so lustig. Vielleicht erscheinen sie zusammen hier. Arm
in Arm. Ja . . . Wir sollten ihnen entgegengehn.
ERNA. Ich vnll nach Hause . . . Vielleicht ist mein
Bruder schon zurück . . .
GENIA. Gut — gehn Sie nach Hause, Erna . . .
Ich warte hier ...
ERNA scheint nach draußen zu lauseben.
GENIA. Was haben Sie? — Ja. es sind Schritte.
ERNA zur Verandatür. Es ist Frau Meinhold.
GENIA zuckt zusammen. Wie . . . ?
ERNA. Sie kommt ganz ruhig heran. Sie weiß nichts.
GENIA. Was will sie so früh . . .
ERNA. Sie weiß sicher nichts. Sie geht langsam.
Ihre Züge scheinen mir ganz unbewegt. Wenn sie nur
die leiseste Ahnung hätte, sähe sie anders aus. Woher
sollte sie auch. Fassen Sie sich, Frau Genia!
FRAU MEINHOLD kommt. Guten Morgen.
ERNA. Guten Morgen, gnädige Frau.
GENIA. Sie sind es, Frau Meinhold ? Ah ... 5t«
siebt auf.
411
ERNA. Ani Wiedersehn!
FRAU MEINHOLD. Sie gehn schon ? HoffentUch
bin ich es nicht, die Sie davontreibt?
ERNA. Durchaus nicht, gnädige Frau. Ich hatte
mich gerade empfohlen. Adieu, Frau Genia. Ab.
GENIA. FRAU MEINHOLD.
GENIA mit ungeheurer Selbstbeherrschung. Ich freue mich
sehr, Sie wiederzusehn, Frau Meinhold. Es hat mir
sehr leid getan, daß Sie gestern gefehlt haben.
FRAU MEIN HOLD. Sie hatten ja größere Gesell-
schaft, da tu' ich nicht gern mit. Heute bin ich um so
früher da, wie Sie sehn, Frau Genia.
GENIA. Es ist gar nicht so früh. Auf die Standuhr
sehend. Richtig erst zehn Uhr! Ich dachte, es müßte
bald Mittag sein. Friedrich ist schon längst in die
Stadt gefahren. Sie wissen ja, Frau Meinhold, er ist
gestern angekommen.
FRAU MEINHOLD. Natürlich weiß ich das.
Lächelnd. Otto hat mir ja abends seine Grüße über-
bracht.
GENIA. So. — Ihr Herr Sohn verläßt Sie schon
heute . . . ?
FRAU MEIN HOLD. Mein Herr Sohn ist sogar
schon fort. Noch gestern mit dem letzten Zug ist er
hineingefahren. Und heute abend fährt er nach Pola.
GENIA. Heute abend schon? Ah!
FRAU MEIN HOLD. Sollten Sie das wirkhch erst
von mir erfahren ?
GENIA. O, das wüßt' ich wohl. Ich dachte mir
aber, den heutigen Tag wollte er ganz seiner Mutter
widmen.
FRAU MEIN HOLD. Er hat heute in der Stadt
noch eine Menge zu tun, so haben wir uns schon gestern
abend adieu gesagt ... Es ist besser so.
GENIA. Gewiß ist das besser.
FRAU MEINHOLD. Können Sie sich denken,
Frau Genia, wie mir das heute morgen war, als ich nun
4IS
wieder so ganz allein in meiner Laube beim Frühstück
saß. Nun ist mein kleines Haus mit einem Mal so
leer . . . wie ich's lange nicht gewohnt war. Ich bin
nun eine Zeitlang doch recht verwöhnt gewesen — trotz
allem. Und der Gedanke, daß er diesmal auf so lange
fort ist und so weit, das macht das Haus noch leerer
und trauriger. Drum bin ich lieber fortgegangen . . .
GENIA. Ich versteh's.
FRAU MEINHOLD. Nicht mit der Absicht, Sie
so früh zu stören, Frau Genia, das muß ich Ihnen ge-
stehn. Durchaus nicht. Ich wollte einen Spaziergang
machen . . . einen einsamen Waldspaziergang. Und nun
bin ich doch da. Weiß Gott, wie das kommt. Es muß
mich wohl irgend was hergetrieben haben. Siebt tu
lange an.
GENIA erwidert ihren Blick. Ich danke Ihnen.
FRAU MEIN HOLD. Danken Sie mir nicht. Ich
hatte nur die Wahl, Ihnen sehr böse — oder sehr gut
zu sein. Und als ich meine Wohnung verließ, war es
noch lange nicht entschieden. Denn in diesen letzten
Tagen, jetzt, da er fort ist, darf ich's Ihnen wohl sagen,
Genia — ist mir manchmal recht bang gewesen . . .
GENIA. Bang — ?
FRAU MEINHOLD. Ich kenne ja meinen Sohn . . .
Und ich hab's ihm angesehn, wieviel er gelitten hat in
dieser letzten Zeit. Er ist so gar nicht geschaffen . . .
in unwahren Beziehungen zu leben . . . Ich hatte . . .
Angst um ihn . . . Sie haben ihm so viel bedeutet,
Genia! Mehr als sein Beruf, als seine Zukunft, als ich,
als sein Leben. O Gott, was hab' ich alles gefürchtet.
Und habe geschwiegen. Mußte schweigen. Und sogar
begreifen mußt' ich's. Ich hab' es ja kommen gesehn,
vom ersten Tag an, da Otto Ihr Haus betrat. In all
meinem Groll, meiner Angst, meiner Eifersucht, mußte
ich es doch begreifen. Sie waren ja so allein, Genia,
und so schwer gekränkt . . . durch lange Jahre! Auch
wenn am Ende ein Schiechterer gekommen wäre als
Otto — ich hätte es Ihnen nicht übelnehmen können.
413
Und nun — da er fort ist, ist all mein Groll und meine
Eifersucht dahin und ich frage mich nur: Wie wird sie
e« tragen? Sie — die ihn doch geliebt hat!
GENIA. Frau Meinhold, ich bin wahrhaftig so
viel Teilnahme gar nicht wert. — Ich werde versuchen,
ihn zu vergessen. Und es wird mir gelingen. Das
ist gewiß, — so gewiß, als es ihm gelingen wird. Ich
habe den festen Willen ihn zu vergessen. Wie sehn
Sie mich denn an, Frau Meinhold ? Glauben Sie mir
denn nicht ? Sie müssen keine Angst haben. Es ist nichts
verabredet zwischen uns. Ich schwör* es Ihnen . . .
Wir werden uns nicht einmal schreiben. Das steht
fest.
FRAU MEINHOLD. Sie sind sehr gut, Genia.
GENIA. Ich bin nur . . . klug, Frau Meinhold. Nur
klug . . . Plötzlich bricht sie in ein heftiges Schluchzen aus. Sinkt
mit dem Kopf auf den Tisch.
FRAU MEINHOLD. Genia, Genia. Sie streicht ihr
über die Haare. Weinen Sie nicht. Genia! E)s ist
freilich ein geringer Trost, — aber wir werden es ge-
meinsam tragen, daß er fort ist . . . Sie sehen ja doch,
daß meine Wahl getroffen ist, und daß ich mich ent-
schlossen habe, Sie . . . nicht zu hassen. Kind, Kind,
— beruhigen Sie sich doch. Wir wollen Freundinnen
sein, Genia. Es geht ja wohl nicht anders. Genia . . .
Genia!
GENIA. Frau Meinhold . . . Sie faßt ihre Hand, als
toollte sie sie küssen.
FRAU MEINHOLD. Finden Sie wirkHch keinen
andern Namen für mich ? Ich bin seine Mutter.
GENIA schüttelt wild den Kopf. Nein, nein, nein, ich
kann nicht mehr . . .
FRAU MEINHOLD sieht sie lange an. Ich will Sie
nun doch Heber allein lassen . . . Leben Sie wohl. Aber
wenn Sie des Alleinseins müde sind, — so kommen Sie
zu mir. Sie finden mich immer bereit Sie zu empfangen.
Adieu, Genia, —
FRIEDRICH von der Terrasse aus herein. Dunkler Paletot
414
über dem schwarzen Gebrock. Schließt rasch den Paletot, spannt
seine Züge.
GENIA starrt ihn tcie fragend an.
FRIEDRICH lächelt starr ohne zu nicken. Zu Frau Meinhold
in seiner lachend boshaften Art, die nun tvie eine Maske toirkt.
Küss' die Hand, gnädige Frau. Er nimmt ihre dargehotetu
Hand mit einem kaum bemerklichen Zögern. Wie geht's ?
FRAU MEIN HOLD. Danke. Schon so früh aus der
Stadt zurück ?
FRIEDRICH. Aus der Stadt? Nein. Ich fahre jetzt
erst hinein. Ich hab' nur meinen Morgenspaziergang
gemacht. Ein . . . herrlicher Tag . . .
FRAU MEINHOLD. Sie haben eine schöne Reise
gehabt.
FRIEDRICH. Ja, sehr schön. Sehr schön. Ich bin
höchst befriedigt. Gutes Wetter, interessante Men-
schen, was will man mehr.
FRAU MEINHOLD. Ja richtig, ich habe Ihnen
einen Gruß zu bestellen.
FRIEDRICH. Einen Gruß? Mir?
FRAU MEIN HOLD. Sie werden sich ein wenig
wundern. Einen Gruß von Herrn von Aigner.
GENIA. Von Ihrem Gatten?
FRAU MEINHOLD. Ja, heute früh. Eh' ich von
Hause fort ging, ist nämlich ein Brief von ihm gekom-
men, nach vielen, sehr vielen Jahren der erste. Und
in wenig Tagen kommt er selbst. Eine Konferenz mit
dem Minister, wie er schreibt.
FRIEDRICH. Ja, natürlich, wegen der neuen Bahn.
Wird großartig werden, die neue Bahn. Übrigens wird
er auch noch einmal Minister werden, Ihr Herr Ge-
mahl. Überhaupt ein merkwürdiger Mensch, ein höchst
merkwürdiger Mensch. Er hat noch eine große Zu-
kunft.
FRAU MEINHOLD. Glauben Sie das wirklich?
FRIEDRICH. Warum denn nicht?
FRAU MEIN HOLD. Er spricht nämlich in dem
Brief auch von seiner schwachen Gesundheit . . .
41S
FRIEDRICH. Schwache Gesundheit! .. . Auf Fel-
sen klettern kann er allerdings nicht mehr, aber Mini-
ster werden, das strengt ja weniger an. Und der Ab-
sturz ist weniger gefährlich. Er ist übrigens gar nicht
krank. Er ist das Leben selbst. Der überlebt uns alle.
Pardon, ich kann natürlich nur von mir sprechen, wir
können ja alle immer nur von uns sprechen . . . Lacht.
Ein sehr interessanter Mensch . . . wir haben viel mit-
einander geredt ... in den paar Tagen . . . Ich hab'
ihn gern.
FRAU MEINHOLD. Er scheint Sie auch sehr ins
Herz geschlossen zu haben. Ja, es ist ein sonderbarer
Brief. Rührend beinah. Und ein bißchen affektiert.
Das wird er sich wohl nicht mehr abgewöhnen.
FRIEDRICH. Nein, das kaum mehr . . .
FRAU MEINHOLD. Also auf Wiedersehn.
FRIEDRICH. Auf Wiedersehn, gnädige Frau. Und
wenn Ihr Herr Gemahl hierher kommt, unser Haus ist
natürlich . . . Les amis de nos amis . . . und so weiter . . .
Adieu, gnädige Frau.
GENIA begleitet sie ein paar Schritte.
FRAU MEIN HOLD. Bleiben Sie doch, bleiben Sie
doch, liebe Frau Genia. Auf Wiedersehn. Ab.
GENIA rasch zurück.
GENIA. FRIEDRICH.
FRIEDRICH stand regungslos.
GENIA. Nun ? . . . Alles ... gut —?
FRIEDRICH sieht sie an. Na . . .! —
GENIA. Er ist verwundet?! Friedrich! . . .
FRIEDRICH. Tot ist er!
GENIA. Friedrich, treib es nicht zu weit! Hier
hört der Hohn auf.
FRIEDRICH. Er ist tot. Ich kann*s nicht anders
sagen.
GENIA. Friedrich, Friedrich . . . Auf ihn zu, packt
ihnbeidenSchullern. Du hast ihn umgebracht, Fried-
rich . . . Und — seiner Mutter die Hand gedrückt.
416
FRIEDRICH xuckt du Acbuln. Idi hab nicht gewußt,
daß sie da . . . bei dir ist. Was hätt ich tun sollen ?
GENIA. Tot . . . tot! . . . Plötzlich auf ihn au. Mörder!
FRIEDRICH. Es war ein ehrlicher Kampf, ich bin
kein Mörder.
GENIA. Warum, warum . . .
FRIEDRICH. Warum — ? Offenbar . . . hat's mir
so beliebt.
GENIA. Es ist ja nicht wahr! Mach' dich nicht
fürchterlicher als du bist. Du hast nicht wollen. Ein
entsetzlicher Zufall war's ! . . . Du hast nicht wollen . . .
es ist nicht wahr . . .
FRIEDRICH. In dem Augenblick, da er mir gegen-
übergestanden ist, da ist es wahr gewesen.
GENIA. Grauenhafter Mensch! Und hast seiner
Mutter die Hand gedrückt. Hast ihn nicht einmal ge-
haßt und ihn doch umgebracht. Bösewicht, eitler,
grauenhafter Bösewicht.
FRIEDRICH. So einfach ist das nicht. Hinein-
schaun in mich kannst du doch nicht. Kann keiner.
Die arme Frau Meinhold tut mir leid. Auch mein
guter, alter Herr von Aigner. Aber ich kann ihnen nicht
helfen. Nein. Auch dir nicht. Und ihm nicht. Und
mir. Es hat sein müssen.
GENIA. Müssen? —
FRIEDRICH. Wie er mir gegenübergestanden ist
mit seinem frechen, jungen Blick, da hab' ich's gewußt
... er oder ich.
GENIA. Du lügst, er hätte dich nicht ... er nicht . .
FRIEDRICH. Du irrst dich. Es war auf Leben und
Tod, Er wollte es so gut wie ich. Ich hab's in seinem
Aug' gesehn, wie er in meinem. Er . . . oder ich . . .
ERNA und MAUER aus dem Garten.
ERNA bleibt an der Tür stehen.
MAUER rasch zu Genia, drückt ihr die Hand.
FRIEDRICH. Ah, Mauer, du, schon da?
MAUER. Ich habe nichts weiter zu tun gehabt.
GENIA. Wo ist seine Leiche?
TlMatentOcke. IV, 37 4*7 '
MAUER. Auf dem Weg.
GENIA. Wohin?
MAUER. In das Haus seiner Mutter.
GENIA. Weiß sie . . . wer wird ihr ... f
MAUER. Es hat's noch keiner gewagt.
GENIA. Ich will es ihr sagen. Es ist meine Pflicht.
Ich geh' zu ihr.
FRIEDRICH. Genia . . . Einen AugenbUck. Wenn
du zurückkommst, bin ich kaum mehr da. Ich kann
nicht von dir verlangen, daß du mir die Hand reichst,
aber — wir sagen uns halt adieu.
GENIA sieb erinnernd. Percy kommt. Noch in dieser
Stunde.
FRIEDRICH. Percy? Den erwart' ich noch...
Dann . . . die übrigen ... na . . .
GENIA. Was hast du vor?
FRIEDRICH. In die Stadt hinein. Das beste wird
wohl sein, ich stell' mich selbst. Geschehn wird mir ja
nichts. Ich hab' ja nur meine Ehre gerettet. Vielleicht
daß sie mich gegen Kaution . . . allerdings Fluchtver-
dacht ist vorhanden.
GENIA. Daran denkst du ! Und der andere liegt er-
schossen — !
FRIEDRICH. Ja, der hat's freilich leichter als ich.
Für den ist alles erledigt. Aber ich — ich bin auf der
Welt. Und ich gedenke weiter zu leben . . . Man muß
sich entscheiden. Entweder — oder.
GENIA starrt ihn an. AuS . . . Will geben.
MAUER. Frau Genia ... Sie dürfen diesen
Weg nicht allein gehn. Erlauben Sie mir, Sie zu be-
gleiten.
GENIA nickt. Ich danke Ihnen. Kommen Sie.
MAUER und GENIA ab.
ERNA. FRIEDRICH.
FRIEDRICH steht nocb starr wie früher.
ERNA an der Türe, bewegungslos. Was wirst du tun ?
FRIEDRICH. Wie immer es ausfällt, Verurteilung
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oder Freisprechung, selbstverständlich fort aus der
Gegend . . . aus dem Weltteil.
ERNA. Und — wo immer du hingehn willst, Fried-
rich, — ich folge dir.
FRIEDRICH. Danke. Wird nicht angenommen.
ERNA. Ich fühl' es stärker als je, Friedrich, wir ge-
hören zusammen.
FRIEDRICH. Irrtum. Du stehst jetzt unter dem
Eindruck dieser Sache. Wahrscheinlich imponiert's dir
sogar, daß ich . . . aber das ist Täuschung. Alles ist
Täuschung. Nächstens schnapp' ich doch zusammen.
Aus Erna, auch zwischen uns. Du bist zwanzig, du
gehörst nicht zu mir.
ERNA immer auf demselben Platz. Du bist jünger als
alle.
FRIEDRICH. Still! Ich weiß, was Jugend ist. Es
ist noch keine Stunde her, da hab' ich sie glänzen gesehn
und lachen in einem frechen, kalten Aug'. Ich weiß,
was Jugend ist. — Und man kann doch nicht jeden . . .
Bleib wo du bist, Erna, amüsier' dich gut und . . .
ERNA lauscht. Ein Wagen.
FRIEDRICH bleibt starr. Percy.
ERNA jetzt etwas näher zu ihm. Glaube mir, Fried-
rich, ich liebe dich, ich gehöre dir.
FRIEDRICH. Ich niemandem auf der Welt. Nie-
mandem. Will auch nicht . . .
KINDERSTIMME IM GARTEN. Mutter! Vater!
FRIEDRICH. Percy. Er wimmert einmal leise auf. Ja,
Percy, ich komm' schon. Da bin ich. Rasch hinaus auf
die Veranda.
ERNA bleibt suben.
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