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Full text of "Gesammelte werke"

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GESAMMELTE  WERKE 
VON  ARTHUR  SCHNITZLER 

IN  ZWEI  ABTEILUNGEN 


Erste  Abteilung 

Die  erzählenden  Schriften 

in  vier  Bänden 

Zweite  Abteilung 

Die   T  h  ea  t  er  s  t  ü  clic 

in  fünf  Bänden 


S.  FISCHER/VERLAG/BERLIN 


DIE  THEATERSTÜCKE 
VON  ARTHUR  SCHNITZLER 


VIERTER  BAND 


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S.  FISCHER/VERLAG/BERLIN 


Alle  Rechte  vorbehalten.   Den  Bühnen  und  Vereinen  gegen- 
über Manuskript.    Das  Recht  der  Aufführung  ist  nur  von 
S.  Fischer,   Verlag,   Berlin  W,   Bülowstr.  90  zu   erwerben. 
Copyright  by  S.  Fischer,  Verlag,  Berlin 


itnaäor 


INHALT 

Komtesse  Mizzi  oder  Der  Familientag  (1907)       9 

Der  junge  Medardus  (1909) 5^ 

Das  weite  Land  (1910) 293 


KOMTESSE  MIZZI 

ODER  DER  FAMILIENTAG 

Komödie  in  einem  Akt 


PERSONEN 
GRAF  ARPAD  PAZMANDr 

MlZZIy  Stint  TocbUr 

EGON  FÜRST  RAFENSTEIN 

LOW  LANGHUBER 

PHILIPP 

PROFESSOR  WINDHOFER 

WASNER 

DER  GÄRTNER 

DER  DIENER 


Garten  der  gräflichen  Villa.  Hohes  Gitter  hinten.  Tor  ungefähr 
Mitte,  etwas  weiter  nach  rechts.  Links  vorn  die  Front  der  einstöckigen 
VilJa^  die  einmal  ein  Jagdschlößchen  war,  vor  i8o  Jahren  gebaut^ 
vor  30  Jahren  renoviert.  Längs  des  erhöhten  Parterres  zieht  eine 
nicht  tiefe  Terrasse,  von  der  drei  breite  Stufen  in  den  Garten  führen. 
Von  der  Terrasse  aus  eine  offene  Glastür  in  den  Salon.  Der  erste 
Stock  hat  einfache  Fenster;  über  dem  ersten  Stock  ein  kleiner^  blumen- 
geschmückter Balkon,  der  zu  einer  Art  von  Mansarde  gehört.  Vor 
der  Villa  Rasenplatz  mit  Blumenbeeten.  Rechts  vorn,  unter  einem 
Baum,  Gartenbank,  Tischchen,  Sessel. 

GRAF  älterer  Herr  mit  grauem  Schnurrbart,  noch  sehr  gut  atu- 
sebend,  in  Haltung  und  Gebaren  der  gewesene  Offizier,  in  Reitanzug, 
Reitgerte  in  der  Hand,  von  rechts.    Diener  mit  ihm. 

DIENER.  Um  wie  viel  Uhr  befehlen  heute  gräf- 
liche Gnaden  das  Essen? 

GRAF,  er  spricht  den  ungarisch-deutschen  Offiziersjargon. 
Zündet  sich  eben  eine  große  Zigarre  an.    Um  zwei. 

DIENER.  Und  um  wie  viel  Uhr  soll  eingespannt 
sein,  gräfliche  Gnaden? 

KOMTESSE  erscheint  auf  dem  Balkon,  Palette  und  Pinsel  in 
der  Hand.    Sie  ruft  hinunter.     Guten   Morgen,  Papa. 

GRAF.    Grüß'  dich  Gott,  Mizzi. 

KOMTESSE.  Hast  mich  wieder  einmal  allein  früh- 
stücken lassen,  Papa.    Wo  bist  du  denn  gewesen? 

GRAF.  Ziemlich  weit.  Bin  über  Mauer  und 
Rodaun  hinausgeritten.  Es  ist  wunderschön  heut. 
Was  machst  denn  du  ?  Schon  bei  der  Arbeit  ?  Wird 
man  bald  wieder  was  anschauen  dürfen  ? 

KOMTESSE.  O  ja,  Papa;  aber  es  sind  wieder  nichts 
als  Blumen. 

GRAF.    Kommt  heute  nicht  der  Professor  zu  dir? 

KOMTESSE.    Ja,  aber  erst  gegen  eins. 

GRAF.    Na,  laß  dich  nicht  stören. 

KOMTESSE  wirft  ihm  eine  Kußhand  zu  und  verschwindet 
in  der  Mansarde. 

GRAF  zum  Diener.  Was  wollen  S'  denn  ?  Ah  so, 
wegen  dem  Einspannen  ?  Ich  fahr'  heut  nicht  mehr 
aus.  Der  Josef  kann  sich  heut  einen  freien  Tag  machen. 
Oder  warten  S'  einen  Moment.  Ruft  hinauf.  Du  Mizzi . . 


II 


KOMTESSE  trschtint  auf  itm  Balkon, 

GRAF.  Entschuldige,  daß  ich  dich  noch  einmal 
stör'.    Brauchst  du  heut  vielleicht  den  Wagen  ? 

KOMTESSE.  Nein,  Papa,  danke.  Ich  wüßt'  nicht. 
.  .  .  Dank'   schön.     Vtrubtoindit  witdtr. 

GRAF.  Also  bleibt's  dabei,  der  Josef  kann  nach- 
mittag machen,  was  er  will.  Sie  .  .  .  und  daß  der  Franz 
den  Krampen  ordentlich  abreibt,  wir  sind  heut  ein 
bissei  feurig  gewesen  .  .  .  alle  zwei. 

DIENER  ab. 

GRAF  bat  sieb  auf  dit  Bank  gtsttMt,  nimmt  »int  Ztitung,  iit 
auf  dtm  Tisch  litgt,  und  litst. 

GÄRTNER  kommt.  Guten  Morgen,  gräfliche  Gnaden. 

GRAF.    Guten  Morgen,  Peter.    Was  gibt's  denn  ? 

GÄRTNER.  Wenn  gräfliche  Gnaden  erlauben, 
die  Teerosen  hab'  ich  grad  abgeschnitten. 

GRAF.    Ja  warum  denn  so  viel  ? 

GÄRTNER.  Der  Strauch  ist  ganz  voll.  Es  war' 
kaum  ratsam,  gräfliche  Gnaden,  wenn  wir  sie  länger 
am  Stock  ließen.  Wenn  gräfliche  Gnaden  vielleicht 
eine  Verwendung  hätten  .  .  . 

GRAF.  Hab'  keine  Verwendung.  Na,  was  schaun 
S*  denn  ?  Ich  fahr'  heut  nicht  in  die  Stadt,  ich  brauch' 
kein  Bukett.  Stecken  S'  die  Blumen  einzeln  in  die 
Vasen  und  Gläser,  die  drin  herumstehen.  So  v^ie's 
jetzt  modern  ist.  Nimmt  die  Blumen  in  die  Hand  und  riecht 
daran.    Scheint  nachzusinnen.    Halt'  da   nicht   ein  Wagen  ? 

GÄRTNER.  Das  sind  die  Rappen  von  Seiner 
Durchlaucht.    Ich  kenn'  sie  am  Schritt. 

GRAF.    Also  ich  dank'  Ihnen  schön.  Gibt  ihm  die  Rosen 

zurück. 

,  DER  FÜRST  tritt  durch  das  Haupttor  ein. 
GRAF  geht  ihm  entgegen. 

GÄRTNER.    Küss'  die  Hand,  Durchlaucht. 
FÜRST.    Guten  Morgen,  Peter. 

GÄRTNER  ab  rechts. 

FÜRST  in  lichum  Sommeranxug^  schlank^  55  Jahre,  aber  ettoas 
jünger  aussehend.  Hat  den  leichten  Diplomatenakzent  eines  Herren^ 
der  ebensoviel  Franstösiscb  spricht  als  Deutsch, 

12 


GRj^F.  Grüß'  dich  Gott,  alter  Freund.  Wie  geht'», 
wie  steht's  ? 

FÜRST.    Danke.    Prachtvolles  Wetter  heute. 

GRAF  offeriert  ihm  eine  Riesenxigarre. 

FÜRST.   Danke,  nicht  vor  Tisch.   Eine  von  meinen 

Zigaretten,  wenn  du  erlaubst.  Nimmt  eine  Zigarette  aus  seiner 
Zigarrentascbe  und  zündet  sie  an. 

GRAF.  Daß  du  dich  wieder  einmal  um  einen  um- 
schaust. Weißt  du  überhaupt,  wie  lang  du  nicht  da 
warst  ?    Drei  Wochen. 

FÜRST.  Blick  zur  Mansard*.  Ist's  wirklich  schon  so  lang  ? 

GRAF.    Na  was  machst  dich  denn  so  rar? 

FÜRST.  Sei  nicht  bös'.  Es  ist  ja  wahr.  Und  heut 
komm'  ich  eigentUch  nur  dir  adieu  sagen. 

GRAF.    Wie,  adieu? 

FÜRST.    Morgen  fahr'  ich  nämlich  fort. 

GRAF.    Du  fährst  fort?    Wohin  denn? 

FÜRST.  An  die  See.  Und  ihr  .  .  .  habt  ihr  noch 
nichts  vor? 

GRAF.  Ich  hab'  noch  gar  nicht  drüber  nach- 
gedacht .  .  .  das  Jahr. 

FÜRST.  Nun  ja,  ihr  habt  es  hier  heraußen  so 
wunderschön  .  .  .  der  Riesenpark!  Aber  irgend  wohin 
wirst  du  ja  doch  im  Sommer  reisen. 

GRAF.    Ich  weiß  noch  nicht.    Ist  ja  alles  egal. 

FÜRST.    Was  hast  du  denn? 

GRAF.    Lieber  alter  Freund,  bergab  geht's. 

FÜRST.  Wieso?  Was  sind  das  für  komische  Aus- 
drücke, Arpad  ?    Was  heißt  das  „bergab"  ? 

GRAF.    Alt  wird  man,  Egon. 

FÜRST.  Ja.    Aber  man  gewöhnt's. 

GRAF.  Was  hast  du  zu  reden,  du  bist  um  fünf 
Jahre  jünger. 

FÜRST.  Um  sechs.  Aber  fünfundfünfzig,  das  ist 
auch  nicht  mehr  der  FrühHng  des  Lebens.  Na  —  man 
findet  sich  drein. 

GRAF.  Du  bist  halt  immer  ein  Psycholog  gewesen, 
alter  Freund. 


»3 


FÜRST.  Im  übrigen,  ich  weiß  wirklich  nicht,  was 
du  willst.  Schaust  famos  aus.  Er  utxt  neb.  Wüdtr  Blick 
zur  Matuardt  auf,  wie  manchmal.    Pause. 

GRAF  mit  einem  Entschluß.  Weißt  also  das  Neueste  ? 
Sie  heirat*. 

FÜRST.    Wer  heiratet? 

GRAF.  Was  fragst  du  denn  .  .  .  kannst  dir's  ja 
denken. 

FÜRST.  Ach  so,  ich  habe  nämlich  geglaubt,  die 
Mizzi.   Na  ja,  es  war'  doch . . .  Also  die  Lolo  heiratet  ? 

GRAF.    Ja,  die  Lolo. 

FÜRST.  Aber  das  ist  doch  eigentUch  nicht  das 
,. Neueste". 

GRAF.    Wieso? 

FÜRST.  Das  verspricht  sie  dir  doch,  oder  droht 
sie  dir,  oder  wie  man  sagen  soll,  seit  mindestens  drei 
Jahren. 

GRAF.  Seit  drei  ?  Du  kannst  ruhig  sagen  seit 
zehn.  Oder  seit  achtzehn.  Ja,  wirklich.  Überhaupt 
seit  die  Geschichte  angefangen  hat  mit  uns  zwei. 
Es  war  ja  immer  eine  fixe  Idee  von  ihr.  Wenn  ein 
honetter  Mensch  kommt,  der  um  meine  Hand  an- 
hält', so  geh  ich  staute  -pede  von  der  Bühne  weg.  Das 
war  ihr  zweites  Wort.  Du  hast's  doch  selber  auch 
ein  paarmal  von  ihr  gehört.  Und  jetzt  ist  er  hak 
gekommen,  der  Erwartete  .  .  .  und  sie  heirat'. 

FÜRST.   Na,  wenn  er  nur  ein  honetter  Mensch  ist. 

GRAF.  Also  Witze!  Das  ist  deine  Teilnahme  in 
einem  so  ernsten  Augenblick! 

FÜRST.     Na.    Legt  die  Hand  auf  seinen  Arm. 

GRAF.  Ja,  ich  versicher'  dich,  es  ist  ein  ernster 
Augenblick.  Keine  Kleinigkeit,  wenn  man  so  beinah 
zwanzig  Jahr  mit  einem  Wesen  quasi  gelebt  hat, 
die  besten  Jahre  mit  ihr  verbracht,  wirklich  Freud 
und  Leid  geteilt  mit  ihr  .  .  .  man  hat  schon  über- 
haupt nicht  mehr  gedacht,  es  könnt'  jemals  aufhören  . . 
und  da  kommt  sie  eines  schönen  Tags  und  sagt:  „B'hüt 
di'   Gott,   mein  Lieber,  nächstens  ist  Hochzeit . . ." 


H 


Das  ist  schon  eine  verfluchte  G'schicht*.  Subt  auf,  gebt 
bin  und  her.  Und  dabei  kann  ich  ihr*8  nicht  einmal 
übelnehmen.  Weil  ich's  nämlich  so  gut  versteh*. 
Was  willst  machen! 

FÜRST.  Du  warst  immer  ein  viel  zu  guter  Kerl, 
Arpad. 

GRAF.  Was  ist  da  gut?  Warum  soll  ich's  nicht 
verstehen?  Achtunddreißig  hat's  bei  ihr  geschlagen. 
Und  ihrem  Beruf  hat  sie  Valet  gesagt.  Also  daß  es 
ihr  keinen  Spaß  macht,  als  pensionierte  Ballettänzerin 
und  als  aktive  Mätresse  vom  Grafen  Pazmandy  weiter 
zu  existieren,  der  mit  der  Zeit  natürhch  auch  ein 
alter  Esel  wird,  das  muß  ihr  doch  jeder  nachfühlen. 
Ich  war  ja  darauf  vorbereitet.  Hab'ihr'sgar  nicht  übel 
genommen,  meiner  Seel'. 

FÜRST.  Da  seid  ihr  also  in  ganz  guter  Freund- 
schaft geschieden  ? 

GRAF.  Natürlich.  Sogar  ein  ganz  fideler  Ab- 
schied ist  es  gewesen.  Meiner  Seel'.  Ich  hab's  ja  im 
Anfang  gar  nicht  gewußt,  wie  schwer's  mir  sein  wird. 
Erst  so  allmähhch  bin  ich  zum  Bewußtsein  gekommen. 
Es  ist  schon  eine  ganz  merkwürdige  G'schicht'  .  . . 

FÜRST.  Was  ist  denn  dran  so  merkwürdig? 

GRAF.  Also  daß  ich  dir  erzähl':  Wie  ich  von  ihr 
da  herausg'fahrn  bin,  zum  letztenmal,  in  der  vorigen 
Wochen  bei  der  Nacht,  da  ist  mir  plötzlich,  wie  soll 
ich  nur  sagen  .  .  .  ganz  leicht  ist  mir  zu  Mut  gewesen. 
Jetzt  bist  du  ein  freier  Mann,  hab'  ich  mir  gedacht. 
Brauchst  nicht  jeden  Abend,  den  Gott  dir  geschenkt 
hat,  in  die  Mayerhofgassen  zu  fahren  und  mit  der 
Lolo  bei  Tisch  sitzen  und  plauschen  oder  auch  nur 
zuhören.  Es  war  ja  manchmal  wirklich  fad  zum  Aus- 
wachsen. Und  mitten  in  der  Nacht  wieder  nach  Haus 
fahren  und  gar  noch  am  End'  Rechenschaft  ablegen, 
wenn's  du  einmal  mit  Bekannten  im  Kasino  soupierst, 
oder  mit  deiner  Tochter  in  die  Oper  gehst,  oder  in 
die  Burg.  Also  was  soll  ich  dir  viel  erzählen,  geradezu 
montiert  war  ich  beim  Nachhausefahren.  Hab'  schon 


IS 


allerlei  Pläne  im  Kopf  gehabt  .  .  .  o  nicht,  was  du  dir 
denlut  .  .  .  nein,  aber  reisen,  was  ich  schon  längst 
hab'  tun  wollen,  nach  Afrika  oder  Indien,  als  ein  freier 
Mann  .  .  .  das  heißt,  ich  hätt'  mein  Mäderl  mitge- 
nommen. Na  ja,  du  lachst,  weil  ich  noch  immer 
Mäderl  sag'. 

FÜRST.  Fällt  mir  gar  nicht  ein.  Die  Mizzi  sieht 
wirklich  noch  aus  wie  ein  junges  Mädel,  Wie  ein  ganz 
junges.  Besonders  mit  dem  Florentiner  Strohhut 
neulich. 

GRAF.  Wie  ein  junges  Mädel!  Und  dabei  ist  sie 
akkurat  in  einem  Alter  mit  der  Lolo.  Na,  du  weißt 
ja!  Alt  werden  wir,  Egon.  Alle.  Ja,  ja  .  .  .  Und  ein- 
sam. Aber  wirklich,  im  Anfang  hab'  ich's  nicht  ge- 
merkt. Es  ist  erst  allmählich  so  über  mich  gekommen. 
Die  ersten  Tage  nach  dem  Abschiedsfest  war's  noch 
nicht  so  schlimm.  Erst  vorgestern  und  gestern,  wie 
die  Stund'  gekommen  ist,  wo  ich  sonst  gewöhnHch  in 
die  Mayerhof gassen  gefahren  bin  .  .  .  und  jetzt,  wie 
mir  der  Peter  Rosen  gebracht  hat,  für  die  Lolo  selbst- 
verständlich, da  ist  es  mir  so  gewissermaßen  klar  ge- 
worden, daß  ich  zum  zweitenmal  in  meinem  Leben 
Witwer  geworden  bin.  Ja,  mein  Lieber.  Und  jetzt 
ist  es  für  immer.  Jetzt  kommt  die  Einsamkeit.  Jetzt 
ist  sie  da. 

FÜRST.    Aber  das  ist  ja  lächerlich.    Einsamkeit! 

GRAF.  Sei  nicht  bös',  aber  du  verstehst  das  nicht. 
Du  hast  so  ganz  anders  gelebt  wie  ich.  Du  hast  dich 
doch  in  nichts  mehr  eingelassen,  seit  deine  arme  Frau 
gestorben  ist  vor  zehn  Jahren.  In  nichts  Ernstes,  mein' 
ich.  Und  hast  nebstbei  noch  einen  Beruf,  gewisser- 
maßen. 

FÜRST.    Wieso  denn? 

GRAF.    Na,  Herrenhausmitglied. 

FÜRST.    Na  ja. 

GRAF.  Und  zweimal  wärst  du  ja  beinah  Minister 
geworden. 

FÜRST.    Beinah... 


x6 


GRAF,  Wer  weiß.  Vielleicht  erwischt's  dich  einmal 
wirklich.  Und  ich  bin  jetzt  ganz  fertig.  Hab'  mich 
vor  drei  Jahren  sogar  pensionieren  lassen,  ich  Esel. 

FÜRST  lächelnd.  Dafür  bist  du  jetzt  ein  ganz  freier 
Mann.    Vollkommen  frei.    Die  Welt  steht  dir  offen. 

GRAF.  Aber  zu  nix  Lust,  alter  Freund.  Das  ist 
dieG'schicht'.  Nicht  einmal  ins  Kasino  bin  ich  hinein- 
gefahren seitdem.  Weißt  du,  was  ich  g'macht  hab' 
die  letzten  Abende  ?  Da  unterm  Baum  bin  ich  g'sessen 
mit  der  Mizzi,  und  Domino  haben  wir  g'spielt. 

FÜRST.  Na,  siehst  du,  das  ist  doch  keine  Einsam- 
keit. Wenn  man  eine  Tochter  hat,  noch  dazu  ein  so 
kluges  Wesen,  mit  dem  man  sich  immer  so  gut  ver- 
standen hat .  .  .  Was  sagt  sie  denn  übrigens  dazu,  daß 
du  deine  Abende  jetzt  zu  Hause  verbringst? 

GRAF.  Nix.  Es  ist  ja  auch  früher  manchmal  vor- 
gekommen. Gar  nix  sagt  sie.  Was  soll  sie  denn  sagen  ? 
Mir  scheint,  sie  merkt's  gar  nicht.  Glaubst,  sie  hat  was 
gewußt  von  der  Lolo  ? 

FÜRST  lacht.    Na  höre! 

GRAF.  Na  natürlich.  Ich  weiß  ja.  Natürlich  hat 
sie's  g'wußt.  Aber  schHeßlich  war  ich  ja  beinah  noch 
ein  junger  Mann,  wie  ihre  arme  Mutter  gestorben  ist. 
Sie  hat  mir's  doch  nicht  übelnehmen  können. 

FÜRST.  Das  nicht.  Leicht.  Ahet  sie  wird  es  schon 
manchmal  gespürt  haben,  daß  sie  so  viel  allein  ist, 
denk'  ich  mir. 

GRAF.  Hat  sie  sich  beklagt  über  mich  ?  Na,  kannst 
mir's  schon  sagen. 

FÜRST.  Ja,  ich  bin  doch  nicht  der  Vertraute  von 
der  Mizzi.  Mir  gegenüber  hat  sie  sich  natürlich  nie 
beklagt.  Gott,  vielleicht  hat  sie's  auch  gar  nicht  so 
gespürt.  Sie  ist  ja  dieses  zurückgezogene,  stille  Leben 
so  lange  Zeit  gewohnt. 

GRAF.  Ja.  Und  es  ist  doch  auch  ihr  Geschmack. 
Und  dann,  bis  vor  ein  paar  Jahren  ist  sie  doch  ziem- 
lich viel  in  die  Welt  gegangen.  Unter  uns,  Egon, 
noch  vor  drei  Jahren,  noch  vor  zwei,  hab'  ich  fest  ge- 

Theatentfteke.  IV.  3  tj 


glaubt,  sie  wird  sich  doch  entschließen. 

FÜRST.   Entschließen  ?    Ach  so  .  .  . 

GRAF.  Wenn  du  eine  Ahnung  hättest,  was  für 
Leut'  sich  noch  in  der  allerletzten  Zeit  sehr  lebhaft 
für  sie  interessiert  haben  .  .  . 

FÜRST.    Das  ist  sehr  begreiflich, 

GRAF.  Aber  sie  will  nicht.  Sie  will  absolut  nicht. 
Also  ich  mein'  damit  nur,  gar  so  allein  kann  sie  sich 
doch  nicht  gefühlt  haben  .  .  .  sonst  hätt'  sie  doch, 
wo  es  ihr  an  Gelegenheit  nicht  gefehlt  hat .  .  . 

FÜRST.  Selbstverständlich.  Es  ist  ja  ihre  freie 
Wahl.  Und  dann  hat  ja  die  Mizzi  noch  diese 
andere  Ressource,  daß  sie  malt.  Das  ist  grad  so  wie 
bei  meiner  gottseligen  Tant',  der  Fanny  Hohenstein, 
die  Bücher  geschrieben  hat  bis  in  ihr  höheres  Alter 
und  auch  vom  Heiraten  hat  absolut  nichts  wissen 
wollen. 

GRAF.  Ist  schon  möglich,  daß  das  so  mit  den 
künstlerischen  Bestrebungen  zusammenhängt.  Ich 
denk'  überhaupt  manchmal,  ob  nicht  alle  diese  Über- 
spanntheiten gewissermaßen  psychologisch  zusammen- 
hängen. 

FÜRST.  Überspanntheiten  ?  Man  kann  doch  nicht 
sagen,  daß  die  Mizzi  überspannt  ist. 

GRAF.  Ja,  jetzt  hat  sich  das  ganz  gegeben.  Aber 
früher  einmal  .  .  . 

FÜRST.  Ich  hab*  die  Mizzi  immer  sehr  klug  und 
sehr  ruhig  gefunden.  Wenn  jemand  Rosen  und  Vei- 
gerln malt,  so  muß  er  doch  darum  noch  lange  nicht 
überspannt  sein. 

GRAF.  Na,  du  wirst  mich  doch  nicht  für  so  dumm 
halten,  daß  ich  mein',  wegen  der  Veigerln  und  Rosen. 
Aber  als  ganz  junges  Mädel,  wenns  du  dich  erinnern 
kannst .  .  . 

FÜRST.    Was  denn? 

GRAF.  Na,  die  G'schicht'  damals,  wie  der  Fedor 
Wangenheim  um  sie  ang'halten  hat. 

FÜRST.   Gott,   daran   denkst  du   noch?   Da«  ist 


i8 


doch  überhaupt  nimmer  wahr.  Dai  ist  ja  schom  acht- 
zehn oder  zwanzig  Jahr  her,  beinah. 

GRAF.  Wie  sie  damals  zu  den  Ursulinerinnen  ge- 
wollt hat,  lieber  als  daß  sie  den  netten  Burschen  zum 
Mann  nimmt,  mit  mit  dem  sie  schon  so  gut  wie  ver- 
lobt war.  Und  auf  und  davon  ist  von  zu  Haus.  Das 
kann  man  doch  überspannt  nennen  ? 

FÜRST.  Wie  kommst  du  denn  heut  auf  diese  ur- 
alte Geschichte  ? 

GRAF.  Uralt  ?  Mir  ist,  wie  wenn's  im  vorigen  Jahr 
g'wesen  war'.  Es  war  grad  um  die  Zeit,  wo  meine  Ge- 
schieht' mit  der  Lolo  ang'fangen  hat.  Wenn  man  so 
zurückdenkt!  Wer  mir  damals  vorausg'sagt  hätt'! 
Weißt  du,  ang'fangen  hat's  doch  eigentlich  wie  irgend 
ein  Abenteuer.  Ganz  leichtsinnig  und  verrückt.  Ja, 
verrückt.  Na,  ich  will  mich  nicht  versündigen,  aber 
daß  meine  arme  Frau  damals  schon  ein  paar  Jahre  tot 
war,  das  war  ein  Glück  für  uns  alle.  Die  Lolo,  die  war 
mein  Schicksal.  Geliebte  und  Hausfrau  zugleich.  Weil 
s'  nämlich  auch  so  großartig  hat  kochen  können.  Und 
diese  Behaglichkeit  bei  ihr.  Und  immer  gut  aufg'legt 
und  nie  ein  böses  Wort . . .  Na,  aus  is.  Red'n  wir  nicht 
mehr  davon.  Pause. . . .  Aber  sag',  bleibst  du  nicht  zum 
Essen  bei  uns  ?    Ich  werd'   übrigens  die  Mizzi  rufen. 

FÜRST  ihn  xurückbalund.  Laß,  ich  hab'  dir  noch  was 
zu  sagen.  Leicht^  toü  bumoriitiscb.  Ich  muß  dich  auf 
etwas  vorbereiten. 

GRAF.    Wie?    Auf  was  denn? 

FÜRST.  Ich  führ'  dir  nämlich  heut  einen  jungen 
Herrn  auf. 

GRAF  befremdet.   Wie,  einen  jungen  Herrn  ? 

FÜRST.    Ja,  wenn  du  nichts  dagegen  hast. 

GRAF.  Was  soll  ich  denn  dagegen  haben?  Aber 
wer  ist  es  denn? 

FÜRST.    Mein  Sohn,  lieber  Arpad. 

GRAF  höchst  erstaunt.    Wie? 

FÜRST.  Ja,  mein  Sohn.  Ich  wollte  doch  nicht,  eh* 
ich  wegreise  .... 


»9 


GRAF.    Dein  Sohn?    Du  hast  einen  Sohn! 

FÜRST.    Ja. 

GRAF.  Na,  da  hört  sich  doch  .  .  .  Einen  jungen 
Herrn  hast  du,  der  dein  Sohn  ist  ?  Oder  vielmehr, 
einen  Sohn,  der  ein  junger  Herr  ist  ?  Wie  alt  ist  er  denn  ? 

FÜRST.    Siebzehn  Jahre. 

GRAF.  Siebzehn!  Und  das  sagt  er  mir  erst  jetzt! 
Nein,  Egon  .  .  .  Egon !  Ja,  sag'  mir  .  .  .  Siebzehn  Jahr 
.  .  .  Du!  da  hat  ja  deine  Frau  noch  gelebt .  .  . 

FÜRST.  Ja.  Meine  Frau  hat  damals  noch  gelebt. 
Man  wird  manchmal  in  merkwürdige  Affären  hinein- 
gerissen, lieber  Arpad. 

GRAF.   Ja,  meiner  Seel',  das  muß  schon  wahr  sein ! 

FÜRST.  Und  da  hat  man  eben  eines  Tages  einen 
siebzehnjährigen  Sohn,  mit  dem  man  auf  Reisen  geht. 

GRAF.    Also  mit  ihm  fahrst  du  fort? 

FÜRST.    Ich  bin  so  frei. 

GRAF.  Nein,  ich  kann  dir  gar  nicht  sagen  .  .  .  also 
einen  siebzehnjährigen  Sohn  hat  er!  .  .  .  Plötzlich  reicht 
er  ihm  die  Hand  und  umarmt  ihn.  Und  wenn  ich  schon 
fragen  darf  .  . .  die  Mutter  von  deinem  Herrn  Sohn 
.  .  .  vneso  .  .  .  weil  du  schon  einmal  ang'fangen  hast 
zu  erzählen  — 

FÜRST.  Die  Mutter  ist  längst  tot.  Ein  paar  Wochen 
nach  der  Geburt  gestorben.   Ein  blutjunges  Geschöpf. 

GRAF.    Aus  dem  Volk? 

FÜRST.  Ja,  natürlich.  Aber  ein  scharmantes  Wesen. 
Na,  ich  erzähl'  dir  schon  noch  einmal  ausführlich. 
So  gut  ich  mich  eben  selbst  noch  daran  erinnern 
kann.  Es  war  wie  ein  Traum,  die  ganze  Geschichte. 
Wenn  der  Bub'  nicht  da  wäre  .  .  . 

GRAF.  Also  das  sagt  er  mir  jetzt  erst!  Erst  heut, 
knapp  bevor  der  Bursch  zu  Besuch  kommt. 

FÜRST.  Man  kann  nie  wissen,  wie  so  etwas  auf- 
genommen wird. 

GRAF.  Aber  geh.  Aufgenommen!  Hast  vielleicht 
geglaubt  .  .  .  Ich  bin  doch  auch  ein  bißl  ein  Psycholog. 
Und  das  ist  nun  ein  Freund! 


20 


FÜRST.  Kein  Mensch  hat  es  gewußt,  kein  Mensch 
auf  der  ganzen  Welt. 

GRAF.  Aber  mir  hättest  du's  doch  sagen  können. 
Ich  versteh's  wirklich  nicht,  daß  du  .  .  .  Na  geh,  es  ist 
wirklich  nicht  schön. 

FÜRST.  Ich  hab'  warten  wollen,  wie  sich  der  Bursch 
entwickelt.    Man  kann  ja  nie  wissen  .  .  . 

GRAF.  Na  ja,  bei  so  einer  gemischten  Abstammung. 
. .  .  Aber  jetzt  scheinst  du  beruhigt  ? 

FÜRST.    Ja.    Er  ist  ein  Prachtkerl. 

GRAF  umarmt  ihn  wieder.  Also,  WO  hat  er  denn  bis 
jetzt  gelebt? 

FÜRST.  In  den  ersten  Jahren  ziemHch  weit  von 
Wien.    In  Tirol. 

GRAF.    Bei  Bauern? 

FÜRST.  Bei  einem  kleinen  Gutsbesitzer.  Die 
ersten  Schulen  hat  er  dann  in  Innsbruck  besucht. 
Und  in  den  letzten  Jahren  hab'  ich  ihn  in  Krems  im 
Gymnasium  gehabt. 

GRAF.    Also  du  hast  ihn  manchmal  besucht? 

FÜRST.    NatürUch. 

GRAF.    Und  was  glaubt  er  denn  eigentlich? 

FÜRST.  Bis  vor  wenigen  Tagen  hat  er  eben  ge- 
glaubt, daß  er  keine  Eltern  mehr,  hat;  auch  keinen 
Vater.  Und  daß  ich  ein  Freund  seines  verstorbenen 
Vaters  gewesen  bin. 

KOMTESSE  auf  dem  Balkon.  Guten  Tag,  Fürst  Egon. 

FÜRST.    Guten  Tag,  Mizzi. 

GRAF.  Na,  willst  du  nicht  ein  bissei  herunter- 
kommen ? 

KOMTESSE.  Wenn  man  nicht  stört  .  .  .  Sie  ver- 
schwindet. 

GRAF.   Also,  was  sagen  wir  denn  der  Mizzi  ? 

FÜRST.  Ich  möcht'  das  natürlich  gern  dir  über- 
lassen. Aber  da  ich  den  Buben  doch  adoptiere  und  er 
wahrscheinlich  schon  in  wenigen  Tagen  durch  einen 
Gnadenakt  Seiner  Majestät  meinen  Namen  tragen 
wird  . . . 


ai 


GRAF  erstaunt.    Wie? 

FÜRST.  ...  ist  es  wohl  das  Beste,  wir  sagen  der 
Mizzi  gleich  die  Wahrheit. 

GRAF.  Natürlich,  natürlich,  warum  denn  auch 
nicht  ?  Und  wo  du  ihn  sogar  adoptierst ...  Es  ist  doch 
komisch.  Eine  Tochter,  und  wenn  sie  auch  eine  alte 
Schachtel  wird,  für'n  Vater  bleibt  sie  halt  doch  immer 
das  kleine  Mäderl. 

KOMTESSE  erscheint.  37  Jahre,  noch  sehr  gut  enustbend. 
Florentiner  Strohhut,  weißes  Kleid.  Sie  küßt  den  Grafen.  Dann 
reicht  sie  dem  Fürsten  die  Hand.  Nun,  wie  geht's,  Fürst 
Egon  ?    Man  sieht  Sie  so  selten. 

FÜRST.    Danke,  Mizzi.    Sie  sind  sehr  fleißig? 

KOMTESSE.    Man  malt  seine  Blümerln. 

GRAF.  Sei  nicht  so  bescheiden,  Mizzi.  Neulich, 
der  Professor  Windhofer  hat  g'sagt,  sie  soll  ruhig 
einmal  ausstellen.  Braucht  sich  neben  der  Wiesinger- 
Florian  nicht  zu  verstecken. 

KOMTESSE.  Ja,  das  ist  schon  möglich.  Aber  ich 
hab'  halt  keinen  Ehrgeiz. 

FÜRST.  Fürs  Ausstellen  bin  ich  eigentlich  auch  nicht. 
Man  ist   dann   jedem   Zeitungsschreiber  ausgeliefert. 

KOMTESSE.  Das  sind  Herrenhausmitglieder  auch. 
Wenigstens,  wenn  sie  was  reden. 

GRAF.  Und  unsereiner  vielleicht  nicht?  In  alles 
stecken  sie  ihre  Nasen. 

FÜRST.  Nun,  wie  heut  die  Strömung  ist,  gibt's 
Leute,  die  schon  deswegen  auf  Ihre  Bilder  schimpfen 
möchten,  Mizzi,  weil  Sie  eine  Gräfin  sind. 

GRAF.    Da  hat  er  recht. 

DIENER  kommt.  Gräfliche  Gnaden  werden  gebeten, 
ans  Telephon  zu  kommen. 

GRAF.   Wer  ist's  denn  ?    Was  gibt's  denn  ? 

DIENER.  Gräfliche  Gnaden  möchten  sich  per- 
sönlich zum  Apparat  bemühen. 

GRAF.  Du  entschuldigst  mich  einen  Moment, 
Leise  zu  ihm.  Sag's  ihr  jetzt,  während  ich  nicht  dabei  bin. 
Ist  mir  lieber. 


21 


GRAF  ab. 

KOMTESSE.  Es  telephoniert  .  .  .  sollte  Papa  am 
Ende  schon  wieder  in  neuen  Banden  sein  ?    Setzt  sieb. 

FÜRST.    In  neuen? 

KOMTESSE.  Um  diese  Zeit  hat  gewöhnlich  Lolo 
telephoniert.  Aber  mit  Lolo  ist  es  jetzt  aus.  Das 
wisien  Sie  doch? 

FÜRST.    Habe  es  eben  erst  erfahren. 

KOMTESSE.  Und  was  sagen  Sie  dazu,  Fürst  Egon  ? 
Mir  tut's  ja  recht  leid.  Wenn  er  jetzt  wieder  was  an- 
fängt, fällt  er  sicher  hinein.  Und  ich  fürchte,  er  fängt 
wieder  was  an.    Er  ist  noch  zu  jung  für  seine  Jahre. 

FÜRST.    Ja,  ja. 

KOMTESSE  sieb  naeh  ihm  umwendend.  Sie  sind  übrigens 
lang  nicht  dagewesen. 

FÜRST.  Sie  werden  mich  nicht  sehr  vermißt  haben 
.  .  .  fürchte  ich  .  .  .  Die  Kunst  .  .  .  und  weiß  Gott  was 
noch  .  .  . 

KOMTESSE  einfach.  Trotzdem  ... 

FÜRST.    Sehr  liebenswürdig. 
Pause. 

KOMTESSE.  Warum  sind  Sie  heute  so  schweig- 
sam ?  Erzählen  Sie  doch  was.  Gibt's  gar  nichts  Neues 
in  der  Welt? 

FÜRST  als  dächte  er  »uer  st  nach.  Unser  Sohn  hat  maturiert. 

KOMTESSE  zuckt  ganz  leicht.  Ich  hoffe,  Sie  haben 
auch  interessantere  Neuigkeiten  im  Vorrat. 

FÜRST.    Interessantere  .  .  . 

KOMTESSE.  Oder  wenigstens  Neuigkeiten,  die 
mich  persönlich  mehr  angehen  als  der  Lebenslauf 
eines  mir  unbekannten  jungen  Herrn. 

FÜRST.  Über  wichtigere  Etappen  in  der  Lauf- 
bahn dieses  jungen  Herrn  glaub'  ich  mich  doch  ver- 
pflichtet Sie  zu  unterrichten.  Als  er  gefirmt  wurde, 
hab'  ich  mir  ja  auch  erlaubt,  Ihnen  Mitteilung  davon 
zu  machen.  Aber  wir  brauchen  jetzt  nicht  weiter 
davon  zu  sprechen. 

Pause. 


n 


KOMTESSE.    Ist  er  wenigstens  durchgekommen? 

FÜRST.    Mit  Auszeichnung. 

KOMTESSE.  So  scheint  sich  ja  die  Rasse  zu  ver- 
bessern. 

FÜRST.    Das  wollen  wir  beide  hoffen. 

KOMTESSE.  Und  jetzt  naht  wohl  auch  der  große 
Moment  heran  .  .  . 

FÜRST.    Was  für  ein  Moment? 

KOMTESSE.  Erinnern  Sie  sich  denn  nicht  mehr? 
Nach  der  Matura  wollten  Sie  ihm  ja  eröffnen,  daß  Sie 
sein  Vater  sind. 

FÜRST.    Das  hab'  ich  schon  getan. 

KOMTESSE.    Sie  —  haben  es  ihm  schon  gesagt  ? 

FÜRST.    Ja. 

KOMTESSE  nach  einer  Pause,  ohne  ihn  anzusehen.  Und 
seine  Mutter  —  ist  tot  .  .  . 

FÜRST.    Vorläufig  tot. 

KOMTESSE.    Für  immer.    Steht  auf. 

FÜRST.    Wie  Sie  wünschen. 

Graf  und  Diener  kommen. 

DIENER.  Aber  gräfliche  Gnaden  haben  dem 
Josef  doch  selbst  frei  gegeben. 

GRAF.    Ja,  ja,  es  ist  schon  gut. 

DIENER  ab. 

KOMTESSE.    Was  hast  du  denn,  Papa  ? 

GRAF.  Nichts,  nichts,  mein  Kind.  Ich  müßt' 
rasch  wohin  fahren,  und  der  verflixte  Josef ...  Sei 
nicht  bös',  Mizzi,  aber  ich  möcht'  nur  ein  paar  Worte 
mit  dem  Egon  .  .  .  Zu  ihm.  Also  denk'  dir,  sie  hat  mich 
schon  früher  angerufen.  Die  Lolo  nämlich.  Sie  hat 
keinen  Anschluß  gekriegt  und  jetzt  telephoniert  mir 
die  Laura,  na,  ihr  Kammermädel  halt,  daß  sie  grad 
zu  mir  herausgefahren  ist. 

FÜRST.    Zu  dir,  hierher? 

GRAF.    Ja. 

FÜRST.    Warum  denn? 

GRAF.  Warum,  kann  ich  mir  schon  denken.  Du 
weißt,  sie  war  noch  nie  in  der  Villa,  selbstverständlich. 


und  ich  hab'  ihr  immer  versprochen,  bevor  sie  heirat*. 
darf  sie  einmal  herauskommen,  die  Villa  und  den  Park 
anschauen.  Das  war  ja  immer  ihre  Kränkung,  daß 
ich  sie  nicht  da  heraußen  empfangen  kann.  Na  ja, 
wegen  der  Mizzi.  Was  sie  auch  eingesehen  hat.  Und 
sie  so  im  geheimen  herausbringen  einmal,  während 
die  Mizzi  nicht  zu  Haus  ist,  also  auf  solche  Sachen 
hab'  ich  mich  nie  eingelassen.  Na  und  da  laßt  sie  mir 
telephonieren,  übermorgen  ist  schon  die  Hochzeit, 
und  sie  ist  grad  herausgefahren. 

FÜRST.  Nun,  was  tut's?  Sie  kommt  doch  nicht 
als  deine  Geliebte,  vor  wem  brauchst  du  dich  denn 
zu  genieren  ? 

GRAF.  Grad  heut  .  .  .  und  jetzt,  wo  dein  Herr 
Sohn  gleich  kommen  vnrd. 

FÜRST.    Vor  dem  verantwort'  ich's. 

GRAF.  Aber  mir,  mir  paßt's  nicht.  Ich  geh'  dem 
Wagen  entgegen  und  halt'  sie  auf.  Es  macht  mich 
halt  nervös.  Entschuldig'  mich  so  lang  bei  deinem 
Herrn  Sohn.    Adieu  Mizzi,  bin  gleich  wieder  da. 

GRAF  ab. 

FÜRST.  Fräulein  Lolo  hat  sich  angesagt,  und  das 
paßt  Ihrem  Herrn  Papa  nicht. 

KOMTESSE.  Wie?  Lolo  angesagt?  Sie  kommt 
hierher  ? 

FÜRST.  Ihr  Papa,  Mizzi,  hat  ihr  versprochen,  daß 
sie  sich  vor  ihrer  Hochzeit  einmal  die  Villa  anschauen 
darf.  Und  jetzt  geht  er  dem  Wagen  entgegen,  um 
sie  abzufangen. 

KOMTESSE.  Wie  kindisch.  Wie  rührend  eigent- 
Hch.  Ich  hätte  sie  gern  kennen  gelernt.  Ist  es  nicht 
zu  dumm  ?  Da  hat  man  einen  Vater,  der  fast  die 
Hälfte  seines  Lebens  mit  einem  gewiß  sehr  sympathi- 
schen Geschöpf  zubringt  .  .  .  und  man  kommt  nicht 
dazu  —  hat  nicht  das  Recht  —  ihr  einmal  die  Hand 
zu  drücken.  Warum  paßt's  ihm  denn  nicht?  Daß  ich 
alles  weiß,  kann  er  sich  wohl  denken. 

FÜRST.    Gott,  er  ist  eben  so.    Vielleicht  hätte  es 


»5 


ihs  auch  weniger  geniert,  wenn  er  nicht  gerade  in  dieser 
Stunde  einen  anderen  Beiuch  erwartete  . . . 

KOMTESSE.    Einen  andern  Besuch? 

FÜRST.    Den  ich  so  frei  war,  ihm  anzukündigen. 

KOMTESSE.   Was  ist  das  für  ein  Besuch? 

FÜRST.    Unser  Sohn. 

KOMTESSE.  Sind  Sie .  .  .  Hierher  kommt  Ihr 
Sohn  ? 

FÜRST.  In  einer  halben  Stunde  spätestens  wird  er 
hier  sein. 

KOMTESSE.  Sagen  Sie,  Fürst ...  Sie  erlauben 
sich  wohl  einen  Spaß  mit  mir? 

FÜRST.  Durchaus  nicht.  Mit  einer  Verstorbenen 
.  .  .  Was  denken  Sie  .  .  . 

KOMTESSE.   Es  ist  wahr  ?    Er  kommt  hierher  ? 

FÜRST.    Ja. 

KOMTESSE.  Sie  halten  es  also  offenbar  noch  immer 
für  eine  Laune  von  mir,  daß  ich  von  dem  Buben  nichts 
wissen  will? 

FÜRST.  Laune  .  .  .  ?  Nein.  Um  es  so  zu  bezeichnen 
zu  dürfen,  führen  Sie  die  Sache  allerdings  zu  konse- 
quent durch.  Wenn  man  bedenkt,  daß  Sie  es  all  die 
Jahre  hindurch  über  sich  gebracht  haben,  nicht  einmal 
nach  ihm  zu  fragen  .  ,  . 

KOMTESSE.  Das  ist  weiter  nicht  bewunderns- 
wert. Ich  habe  Schwereres  über  mich  gebracht.  Da- 
mals, wie  ich  ihn  hab'  hergeben  müssen,  acht  Tage 
nachdem  er  zur  Welt  gekommen  ist. 

FÜRST.  Ja,  damab  blieb  Ihnen,  blieb  uns  doch 
nichts  andres  übrig.  Was  ich  damals  verfügt  habe, 
und  womit  Sie  sich  doch  auch  am  Ende  einverstanden 
erklärt  haben,  das  war  entschieden  das  Klügste,  was 
wir  in  unserer  Situation  tun  konnten. 

KOMTESSE.  Klug,  das  hab*  ich  nie  bezweifelt. 

FÜRST.  Und  nicht  nur  klug,  Mizzi.  Sie  wissen, 
es  handelte  sich  nicht  um  unser  Schicksal  allein. 
Andre  wären  vielleicht  zugrunde  gegangen,  wenn 
damals    die    Wahrheit    ans    Licht    gekommen    wäre. 


Meine  Frau  mit  ihrem  leidenden  Herzen  hätte  es 
kaum  überlebt. 

KOMTESSE.    Dieses  leidende  Herz  .  .  . 

FÜRST.    Und  Ihr  Vater,  Mizzi  ...  Ihr  Vater! 

KOMTESSE.  Er  hätte  sich  drein  gefunden,  da 
können  Sie  sich  drauf  verlassen.  Damals  hat  ja  gerade 
die  Geschichte  mit  Lolo  angefangen.  Sonst  war'  die 
Sache  auch  nicht  so  glatt  gegangen.  Sonst  hätt'  er 
sich  ein  bißchen  mehr  um  mich  gekümmert.  Ich  hätt* 
nicht  monatelang  fortbleiben  können,  wenn's  ihm  nicht 
grad  sehr  bequem  gewesen  wäre.  Gefährhch  an  der 
ganzen  Sache  war  nur  eins:  daß  der  Fedor  Wangen- 
heim Sie  möglicherweise  totgeschossen  hätte,  lieber 
Fürst. 

FÜRST.  Er  mich  ?  Es  hätte  sich  auch  anders  fügen 
können.  Oder  glauben  Sie  an  Gottesurteile?  Dann 
wäre  übrigens  der  Ausgang  auch  noch  fraglich  gewesen. 
Denn  wir  armen  Sterblichen  können  ja  nie  wissen,  wie 
der  da  droben  über  so  eine  Sache  denkt. 

KOMTESSE.  Im  Herrenhaus  würden  Sie  anders 
reden,  wenn  Sie  dort  je  den  Mund  auf  täten. 

FÜRST.  Möglich.  Aber  das  Wesentliche  ist  doch, 
daß  uns  alle  Ehrlichkeit  und  Kühnheit  damals  nicht 
das  geringste  geholfen  hätte.  Es  wäre  eine  nutzlose 
Grausamkeit  gewesen  gegen  Menschen,  die  uns  nahe- 
standen. Ein  Dispens  war'  kaum  zu  erlangen  gewesen 
—  und  nebstbei  hätte  die  Fürstin  nie  in  die  Scheidung 
gewilligt,  das  wissen  Sie  so  gut  wie  ich. 

KOMTESSE.  Als  wenn  mir  an  der  Heirat  das 
geringste  gelegen  wäre. 

FÜRST.    Oh... 

KOMTESSE.  Nichts.  Das  ist  Ihnen  doch  nichts 
Neues  ?  Ich  hab's  Ihnen  doch  damals  auch  gesagt.  Sie 
ahnen  ja  nicht,  wie  ich  damals  . .  .  Blick  was  . . .  was 
damals  aus  mir  zu  machen  gewesen  wäre.  Überallhin 
war'  ich  Ihnen  gefolgt,  überallhin,  auch  als  Ihre  Ge- 
liebte. Ich  mit  unserm  Kind.  Nach  der  Schweiz, 
nach  Amerika.  Wir  hätten  ja  schließlich  leben  können. 


*7 


wo  es  uns  gepaßt  hätte.  Und  im  Herrenhaus  hätte 
man  vielleicht  nicht  einmal  gemerkt,  daß  Sie  ver- 
reist sind. 

FÜRST.  Ja,  natürlich  hätten  wir  fliehen  und  uns 
irgendwo  im  Ausland  ansiedeln  können  .  .  .  Aber  daß 
Ihnen  ein  solcher  Zustand  auf  die  Dauer  angenehm 
oder  nur  erträglich  gewesen  wäre,  das  glauben  Sie  wohl 
heute  selbst  nicht  mehr. 

KOMTESSE.  Heute,  nein.  Heute  kenn*  ich  Sie 
nämlich.  Aber  damals  hab'  ich  Sie  geliebt.  Und  ich 
hätte  Sie  vielleicht  —  sehr  lang  lieben  können,  wenn 
Sie  damals  nicht  zu  feig  gewesen  wären,  die  Verant- 
wortung zu  übernehmen,  für  das,  was  geschehen  ist. 
.  .  .  Zu  feig,  Fürst  Egon  .  .  . 

FÜRST.    Ob  das  gerade  das  richtige  Wort  ist .  .  . 

KOMTESSE.  Ja.  Ich  habe  kein  anderes.  An  mir 
lag  es  nicht.  Ich  war  bereit,  alles  auf  mich  zu  nehmen, 
mit  Freuden,  mit  Stolz.  Ich  war  bereit,  Mutter  zu 
sein  und  mich  als  Mutter  unseres  Kindes  zu  bekennen. 
Sie  haben  es  gewußt,  Egon!  Vor  siebzehn  Jahren  in 
dem  kleinen  Haus  im  Wald,  wo  Sie  mich  versteckt 
gehalten  haben,  hab'  ich  Ihnen  gesagt,  daß  ich  dazu 
bereit  bin.  Aber  für  Halbheiten  war  ich  nie  zu  haben. 
Ganz  hab'  ich  Mutter  sein  wollen  oder  gar  nicht.  An 
dem  Tag,  an  dem  ich  den  Buben  hab'  hergeben  müssen, 
war  ich  auch  entschlossen,  mich  überhaupt  nicht  um 
ihn  zu  kümmern.  Darum  find'  ich  es  lächerhch,  daß 
Sie  ihn  plötzHch  hierher  bringen  wollen.  Wenn  Sie 
mir  einen  guten  Rat  erlauben,  gehen  Sie  ihm  auch 
entgegen,  wie  der  Papa  der  Lolo,  und  fahren  mit  ihm 
wieder  nach  Haus. 

FÜRST.  Ich  denke  nicht  daran.  Nach  allem,  was 
ich  eben  von  Ihnen  wieder  habe  hören  müssen,  muß 
es  wohl  dabei  bleiben,  daß  seine  Mutter  tot  ist.  Aber 
um  so  mehr  muß  ich  mich  seiner  annehmen.  Er  ist 
mein  Sohn,  auch  vor  der  Welt.  Ich  hab'  ihn  adoptiert. 

KOMTESSE.    Sie  haben  ihn  — 

FÜRST.    Er  trägt  vielleicht  morgen  schon  meinen 


2t 


Namen.  Ich  werde  ihn  vorstellen,  wo  es  mir  behebt. 
Natürhch  vor  allem  meinem  alten  Freund,  dem  Grafen, 
Ihrem  Herrn  Papa.  Wenn  es  Ihnen  unangenehm  ist, 
den  jungen  Menschen  zu  sehen,  so  wird  Ihnen  nichts 
andres  übrig  bleiben,  als  sich  für  die  Dauer  seines  Be- 
suches auf  Ihr  Zimmer  zurückzuziehen. 

KOMTESSE.  Wenn  Sie  glauben,  daß  ich  diesen 
Ton  sehr  angebracht  finde. 

FÜRST.    So  wenig  wie  ich  Ihre  Verstimmung. 

KOMTESSE.  Verstimmung?  Seh'  ich  verstimmt 
aus  f  Hören  Sie  .  .  .  Ich  erlaube  mir  nur,  Ihren  Ein- 
fall geschmacklos  zu  finden.  Im  übrigen  bin  ich  so  gut 
gelaunt  wie  gewöhnUch. 

FÜRST.  An  Ihrer  sonstigen  guten  Laune  zweifl' 
ich  nicht.  Nur  jetzt .  .  .  Im  übrigen  ist  es  mir  durchaus 
nicht  unbekannt,  daß  Sie  es  längst  verstanden  haben,  sich 
mit  Ihrem  Schicksal  zu  versöhnen.  Ich  habe  es  ja  auch 
verstanden,  mich  in  das  meine  zu  fügen,  das  vielleicht 
in  seiner  Art  gerade  so  schmerzHch  war  als  das  Ihre. 

KOMTESSE.  Wie?  In  was  für  ein  Schicksal  mußten 
Sie  .  .  .  Es  kann  doch  nicht  jeder  Minister  werden. 
Ach  so  .  .  .  die  Bemerkung  bezieht  sich  am  Ende  darauf, 
daß  Durchlaucht  mir  die  Ehre  erwiesen  haben,  mich 
vor  zehn  Jahren,  nach  dem  Tode  von  dero  hochseliger 
Gemahhn,  um  meine  Hand  zu  bitten? 

FÜRST.  Und  vor  sieben  noch  einmal,  wenn  Sie 
sich  freundlichst  erinnern  wollen. 

KOMTESSE.  O  ja,  ich  erinnere  mich.  An  meinem 
Gedächtnis  zu  zweifeln,  hab'  ich  Ihnen  niemals  An- 
laß gegeben. 

FÜRST.  Und  ich  hoffe,  Mizzi,  Sie  haben  mir  nie 
zugemutet,  daß  ich  die  Absicht  hatte,  mit  meiner 
Werbung  so  irgend  etwas  zu  tun,  wie  eine  Schuld  zu 
sühnen.  Ich  habe  Sie  gebeten,  meine  Frau  zu  werden, 
weil  ich  eben  die  Überzeugung  hatte,  daß  mir  das 
wahre  Glück  nur  an  Ihrer  Seite  beschieden  sein  könnte. 

KOMTESSE.  Das  wahre  Glück!  ...  Sie  hätten 
»ich  geirrt. 


FÜRST.  Das  glaub'  ich  ja  selbst,  daß  ich  mich  da- 
mals geirrt  hätte.  Vor  zehn  Jahren  war  es  wohl  noch 
ru  früh.  Vor  sieben  Jahren  vielleicht  auch  noch.  Heute 
nicht  mehr. 

KOMTESSE.  Auch  heute,  lieber  Fürst.  Es  ist  Ihr 
Verhängnis,  daß  Sie  mich  niemals  gekannt,  nie  etwas 
von  mir  gewußt  haben.  Nicht  als  ich  Sie  geliebt,  nicht 
als  ich  Sie  gehaßt  habe  und  nicht  einmal  die  lange  Zeit 
hindurch,  in  der  Sie  mir  gleichgültig  sind. 

FÜRST.  Ich  habe  Sie  immer  gekannt,  Mizzi.  Ich 
weiß  mehr  von  Ihnen,  als  Sie  wahrscheinlich  vermuten. 
Es  ist  mir  zum  Beispiel  durchaus  nicht  unbekannt, 
daß  Sie  diese  siebzehn  Jahre  auch  auf  Besseres  ver- 
wandt haben,  als  einem  Manne  nachzuweinen,  der 
damals  vielleicht  Ihrer  nicht  ganz  würdig  war.  Ja, 
ich  weiß  sogar,  daß  Sie  sich  darauf  kapriziert  haben, 
nach  der  Enttäuschung,  die  Ihnen  mit  mir  begegnet 
ist,  noch   einige  andere  zu  erleben. 

K'OMTESSE.  Enttäuschungen?  Nun,  zu  Ihrem 
Trost  kann  ich  Sie  versichern,  lieber  Fürst,  daß  auch 
recht  angenehme  darunter  waren. 

FÜRST.  Auch  das  weiß  ich.  Würd'  ich  sonst  zu 
behaupten  wagen,  daß  ich  die  Geschichte  Ihres  Lebens 
wirklich  kenne? 

KOMTESSE.  Und  bilden  Sie  sich  vielleicht  ein, 
ich  kenne  das  Ihre  nicht?  Wünschen  Sie,  daß  ich 
Ihnen  die  Liste  Ihrer  Geliebten  herzähle?  Von  der 
Frau  des  bulgarischen  Attaches  1887  bis  zu  Fräulein 
Therese  Gr6dun,  wenn  sie  wirklich  so  heißt  .  .  .  die 
zum  mindesten  dieses  Frühjahr  noch  in  Amt  und 
Würden  bei  Ihnen  stand?  Wahrscheinlich  weiß  ich 
sogar  mehr  als  Sie,  denn  ich  weiß  beinahe  von  jeder, 
mit  wem  sie  Sie  betrogen  hat. 

FÜRST.  Davon  erzählen  Sie  mir  aber  lieber  nichts. 
Wenn  man  solche  Dinge  nicht  selbst  entdeckt,  hat 
man  keinen  rechten  Spaß  davon. 

Man  hört  einen  Wagen  herankommen  und  stille  halten. 

FÜRST.   Er  ist  es.   Vielleicht  wünschen  Sie  zu  ver- 


»chwinden,  ehe  er  in  den  Park  tritt.  Ich  will  ihn  so- 
lange aufhalten. 

KOMTESSE.  Bemühen  Sie  sich  nicht.  Es  beliebt 
mir  zu  bleiben.  Aber  wenn  Sie  vielleicht  glauben, 
es  regt  sich  nur  das  Geringste  in  mir  ...  Es  ist  ein 
junger  Herr,  der  meinen  Vater  besucht.  Da  ist  er  ja 
schon  .  .  .  Stimme  des  Bluts?  Es  muß  eine  Fabel  sein. 
Ich  merke  gar  nichts,  Ueber  Fürst. 

PHILIPP  ist  rasch  durch  das  Haupttor  hereingetreten.  Er  ist 
siebzehn  Jahre  alt,  schlank,  hübsch,  elegant,  aber  nicht  gigerlhaft, 
von  liebenswürdiger,  etwas  knabenhafter  Unverschämtheit;  doch 
nicht  ohne  Verlegenheit.  Guten  Tag.  Verbeugt  sich  vor  der 
Komtesse, 

FÜRST.  Guten  Morgen,  Philipp.  Erlauben  Sie, 
Komtesse,  daß  ich  Ihnen  meinen  Sohn  vorstelle. 
Das  ist  Gräfin  Mizzi.  Die  Tochter  meines  alten  Freun- 
des, in  dessen  Haus  du  dich  befindest. 

PHILIPP  nimmt  die  von  der  Komtesse  gebotene  Hand  und 
küßt  sie.    Kleine  Pause. 

KOMTESSE.  Bitte,  wollen  Sie  nicht  Platz  nehmen  ? 

PHILIPP.    Danke,  Gräfin.     Aüe  bleiben  suhen. 

FÜRST.  Du  bist  mit  dem  Wagen  herausgefahren  ? 
Könntest  ihn  zurückschicken,  ich  hab'  ja  meinen  da. 

PHILIPP.  Willst  du  nicht  Ueber  mit  mir  zurück- 
fahren, Papa?  Ich  find'  nämlich,  der  Wasner  fährt 
besser  als  dein  Franz  mit  den  alten  Herrschafts- 
gäulen. 

KOMTESSE.    Sie  fahren  mit  dem  Wasner? 

PHILIPP.    Ja. 

KOMTESSE.  Mit  dem  Herrn  selbst?  Wissen  Sic 
auch,  daß  das  eine  große  Ehre  ist?  Der  Wasner,  der 
fährt  nicht  mit  jedem.  Vor  zwei  Jahren  hat  er  noch 
den  Papa  geführt. 

PHILIPP.    Ah... 

FÜRST.    Kommst  übrigens  ein  bissei  spät,  Philipp. 

PHILIPP.  Ja,  ich  bitt'  sehr  um  Entschuldigung. 
Ich  hab'  n:iich  nämlich  verschlafen.  Zur  Komusse.  Wir 
waren  gestern  abends  ein  paar  Kollegen  zusammen. 


3" 


Gräfin  wissen  vielleicht,  daß  ich  vor  vierzehn  Tagen 
maturiert  hab,  und  da  haben  wir  gestern  abend  ein 
bissei  gedraht. 

KOMTESSE.  Sie  scheinen  sich  ziemlich  rasch  in 
das  Wiener  Leben  gefunden  zu  haben,  Herr  .  .  . 

FÜRST.  Sagen  Sie  ihm  einfach  Philipp,  liebe 
Mizzi. 

KOMTESSE.  Bitte,  wollen  wir  uns  nicht  setzen, 
Philipp  —  Blick  zum  Fürsten  der  Papa  muß  jeden  Moment 
da  sein. 

Komtesse  und  Fürst  setzen  sich, 

PHILIPP  noch  während  er  stehen  bleibt.  Also,  wenn  ich 
;air  eine  Bemerkung  erlauben  darf,  den  Park  find'  ich 
prachtvoll.    Er  ist  bedeutend  schöner  als  unserer. 

KOMTESSE.  Sie  kennen  den  Ravensteinschen  Park  ? 

PHILIPP.  Natürlich,  Gräfin.  Ich  wohn'  ja  schon 
seit  drei  Tagen  im  Schloß. 

KOMTESSE.    Wie? 

FÜRST.  In  der  Stadt  können  sich  Gärten  eben  nicht 
so  entwickeln,  wie  da  heraußen.  Vor  hundert  Jahren 
war  unsrer  gewiß  auch  noch  viel  schöner  als  heute. 
Da  ist  ja  auch  unser  Schloß  noch  außerhalb  der  Stadt 
gelegen,  v 

PHILIPP.  Schade,  daß  man  den  Leuten  erlaubt 
hat,  ihre  Häuser  so  rund  herum  um  unser  Schloß  zu 
bauen. 

KOMTESSE.  Wir  sind  besser  dran.  Daß  sich  die 
Stadt  bis  zu  uns  heraus  zieht,  das  werden  wir  wohl  nicht 
mehr  erleben. 

PHILIPP  liebenswürdig.  Aber  warum  denn,  Gräfin  . . . 

KOMTESSE.  Vor  hundert  Jahren  war  das  alles 
lioch  Jagdgrund.  Es  grenzt  direkt  an  den  Tiergarten. 
Sehen  Sie  da  drüben  die  Mauer,  Philipp  ?  Und  unsere 
Villa  war  früher  einmal  ein  Jagdschlössel  von  der 
T.  iserin  Maria  Theresia.  Die  Sandsteinfigur  dort  am 
l'eich  ist  auch  noch  aus  der  Zeit. 

PHILIPP.  Und  wie  alt  ist  denn  eigentlich  unser 
Schloß,  Papa? 


3« 


FÜRST  lächelnd.  Unser  Schloß,  mein  Sohn,  steht  seit 
dem  siebzehnten  Jahrhundert.  Ich  hab'  dir  ja  das 
Zimmer  gezeigt,  in  dem  der  Kaiser  Leopold  eine 
Nacht  geschlafen  hat. 

PHILIPP.    Kaiser  Leopold  1643  bis  1705. 

KOMTESSE  lacht. 

PHILIPP.  Das  ist  noch  von  der  Matura  her. 
Wenn  ich  einmal  so  alt  sein  . .  .  Unterbricht  sich.  Pardon ! 
. . .  ich  mein'  nur  —  im  nächsten  Jahr  ist  das  alles  ver- 
schwitzt. Daß  er  ein  so  guter  Bekannter  von  uns  war, 
der  Kaiser  Leopold,  das  hab'  ich  natürlich  noch  nicht 
gewußt,  wie  ich  die  Jahreszahl  gelernt  hab'. 

KOMTESSE.  Diese  Entdeckung  scheint  Ihnen  ja 
riesig  viel  Spaß  zu  machen,  PhiUpp. 

PHILIPP.  Entdeckung  ...  Ja,  aufrichtig  gestanden, 
eine  Entdeckung  war  das  eigentHch  nicht.  Sieht  den 
Fürsten  an. 

FÜRST.    Red'  nur,  red'  nur. 

PHILIPP.  Also  wissen  Sie,  Gräfin,  ich  hab'  näm- 
lich immer  das  Gefühl  gehabt,  daß  ich  kein  gebürtiger 
PhiHpp  Radeiner  bin. 

KOMTESSE.  Radeiner?  Zum  Fürsten.  Unter  diesem 
Namen  .  .  .  ? 

FÜRST.    Jawohl. 

PHILIPP.  Es  war  mir  natürlich  sehr  angenehm, 
wie  meine  Ahnung  bestätigt  worden  ist;  —  aber  ge- 
wußt hab  ich's  immer.  Man  ist  doch  nicht  auf  den 
Kopf  gefallen.  Auch  in  der  Schule  haben's  einige  ge- 
ahnt .  .  .  daß  ich  .  .  .  Nicht  wahr,  diese  Fabel,  Gräfin, 
daß  der  Fürst  Ravenstein  immer  nach  Krems  fährt, 
sich  nach  den  Fortschritten  des  Sohnes  von  einem 
verstorbenen  Freund  zu  erkundigen,  das  ist  doch  ein 
bissei  romanhaft  gewesen,  Fünfkreuzerbibliothek  .  .  . 
Und  für  die  Schlauem  war  es  ziemUch  klar,  daß  fürst- 
liches Blut  in  meinen  Adern  braust.  Und  da  ich  einer 
von  den  Schlauesten  war  .  .  . 

KOMTESSE.  Es  scheint  ja  wirkHch  .  .  .  Was  haben 
Sie  denn  für  Pläne  für  die  Zukunft,  Philipp  ? 

Tbeatentficke.  IV,  )  33 


PHILIPP.  Im  Oktober  mach'  ich  mein  Freiwilligen- 
jahr bei  den  SechserJragonern,  wo  wir  Ravensteins 
immer  dienen.  Was  dann  mit  mir  g'schieht,  ob  ich 
beim  Militär  bleib',  ob  ich  Erzbischof  werde,  mit  der 
Zeit  natürlich  .  . . 

KOMTESSE.  Das  wäre  vielleicht  das  Richtige. 
Die  Ravensteins  waren  immer  stark  im  Glauben. 

PHILIPP.  Ja,  das  steht  schon  in  der  Weltgeschichte. 
Zuerst  waren  sie  katholisch,  im  Dreißigjährigen  Krieg 
sind  sie  protestantisch  geworden,  dann  sind  sie  wieder 
zum  Katholizismus  übergetreten,  aber  stark  im  Glauben 
waren  sie  jederzeit.    Es  war  nur  immer  ein  anderer. 

FÜRST.    PhiUpp,  Philipp! 

KOMTESSE.  Ja,  das  ist  eben  die  neue  2^it,  Fürst 
Egon. 

FÜRST.    Und  das  Blut  der  Mutter. 

KOMTESSE.  Sie  sind  sehr  fleißig  gewesen,  erzählt 
mir  Ihr  Papa,  haben  die  Matura  mit  Auszeichnung 
gemacht. 

PHILIPP.  Das  war  keine  Kunst,  Gräfin.  Ich 
hab'  halt  ziemlich  rasch  aufgefaßt.  Das  ist  wahrschein- 
lich auch  das  bürgerliche  Blut  in  mir.  Es  ist  mir  noch 
zu  allerlei  Zeit  geblieben,  was  nicht  in  der  Schule  vor- 
geschrieben war.    Ich  hab'  reiten  gelernt  und  . . . 

KOMTESSE.   Und? 

PHILIPP.    Klarinett'  blasen. 

KOMTESSE  lacht.  Warum  haben  Sie  gezögert,  das 
zu  sagen  ? 

PHILIPP.  Warum  ...  na,  weil  alle  Leut'  lachen, 
wenn  ich  sag',  daß  ich  Klarinett'  blasen  lern'.  Gräfin 
haben  doch  auch  gelacht.  Ist  das  nicht  komisch  ? 
Hat  schon  je  einer  gelacht,  wenn  Gräfin  ihm  erzählt 
haben,  daß  Sie  zum  Zeitvertreib  malen  ? 

KOMTESSE.    Das  wissen  Sie  auch  schon? 

PHILIPP.  O  ja,  Durchlaucht ...  der  Papa  hat 
mir's  erzählt.  Und  dann  hängt  doch  sogar  ein  Blumen- 
stück, so  eine  chinesische  Vase  mit  Goldregen  und  noch 
was   Violettem   im   Schloß   in  meinem  Schlafzimmer. 


34 


KOMTESSE.    Flieder  wird  es  sein,  das  Violette. 

PHILIPP.  Natürlich  Flieder.  Ich  hab's  auch  gleich 
erkannt.    Ist  mir  nur  das  Wort  nicht  eingefallen. 

DIENER  kommt.  Es  ist  eine  Dame  da,  die  den  Herrn 
Grafen  sprechen  möchte.  Ich  habe  sie  in  den  Salon 
geführt. 

KOMTESSE.  Eine  Dame  ?  .  . .  Die  Herren  ver- 
zeihen einen  Augenblick. 

KOMTESSE  ab. 

PHILIPP.  Also  Papa,  wenn's  nur  mehr  von  mir 
abhängt,  ich  bin  einverstanden. 

FÜRST.    Womit?    Was  heißt  das? 

PHILIPP.   Mit  deiner  Wahl  bin  ich  einverstanden. 

FÜRST.    Bist  du  verrückt,  Bub'?! 

PHILIPP.  Aber,  Papa,  du  glaubst  doch  nicht, 
daß  du  mir  etvi^as  verheimlichen  kannst.  Das  bürger- 
liche Blut  .  .  . 

FÜRST.    Was  fällt  dir  eigentlich  ein? 

PHILIPP.  Schau',  Papa,  wie  du  mir  erzählt  hast, 
du  möchtest  mich  vor  allem  deinem  alten  Freund 
vorstellen,  dem  Grafen;  und  der  Graf  hat  eine  Tochter 
—  was  ich  übrigens  schon  längst  gewußt  hab'  —  da 
hab'  ich  nur  ein  bissei  Angst  gehabt,  daß  sie  vielleicht 
zu  jung  sein  wird. 

FÜRST  ärgerlich,  muß  lachen.     Zu   jung  .  .  . 

PHILIPP.  Na,  ja,  daß  du  für  diese  Tochter  eine 
ge\visse  Vorliebe  hegst,  das  war  doch  zu  merken. 
Du  bist  ja  förmlich  verlegen  worden,  wenn  du  von 
ihr  gesprochen  hast.  Und  dann  hast  du  allerlei  von 
ihr  erzählt,  was  du  mir  von  einer  andern  gewiß  nicht 
erzählt  hättest.  Was  sollen  mich  denn  zum  Beispiel 
die  Bilder  von  einer  x-beliebigen  Komtesse  inter- 
essieren ?  Wenn  man  auch  den  Flieder  durch  die  Farbe 
vom  Goldregen  unterscheiden  kann.  Also  ich  hab* 
mir  gleich  gedacht,  du  bringst  mich  nur  hierher,  um 
zu  sehen,  was  sie  auf  mich  für  einen  Eindruck  macht. 
Und  wie  gesagt,  meine  Angst  war  nur,  daß  sie  zu  jung 
sein  könnte  —  für  meine  Mutter,  nicht  für  deine  Frau. 


Du  dürftest  ja  noch  auf  die  Jüngste  und  Schönste 
Anspruch  machen.  Aber  jetzt  kann  ich  dir  sagen, 
Papa,  so  wie  sie  ist,  ist  sie  mir  ganz  recht. 

FÜRST.  Du  bist  wirkUch  der  unverschämteste 
Bengel,  der  mir  je  vorgekommen  ist.  Denkst  du  wirk- 
Uch, ich  werde  dich  je  fragen,  wenn  es  mir  einmal 
einfiele  .  .  . 

PHILIPP.  Nicht  grad  fragen,  Papa  .  .  .,  aber  zu 
einem  guten  Familienleben  gehört  doch,  daß  sich  alle 
MitgUeder  gegenseitig  sympathisch  sind .  .  .  nicht 
wahr  — ? 

Komtesse  und  Loh  Langbuber  kommen. 

KOMTESSE.  Bitte,  Fräulein,  spazieren  Sie  nur 
weiter.  Meinem  Papa  täte  es  gewiß  sehr  leid,  wenn 
er  Ihren  Besuch  versäumte.  Will  vorstellen.  Erlauben 
Sie . . . 

LOW.    O,  Durchlaucht. 

FÜRST.    O,  Fräulein  Pallestri  . . . 

LOLO.  Langhuber,  wenn  ich  bitten  darf.  Ich 
komme  nämlich  nur  dem  Herrn  Grafen  danken,  er 
hat  mir  so  ein  prachtvolles  Bukett  zu  meiner  Abschieds- 
vorstellung geschickt. 

FÜRST  steUt  vor.  Mein  Sohn  Philipp.  Und  das  ist 
Fräulein  .  .  . 

LOLO.    Charlotte  Langhuber. 

FÜRST.  Bis  vor  kurzem  zu  Philipp  bekannt  unter 
dem  Namen  Pallestri. 

PHILIPP.  Fräulein  Pallestri!  Da  hab'  ich  ja  längst 
das  Vergnügen  .  .  . 

FÜRST.    Wie? 

PHILIPP.  Fräulein  befinden  sich  nämlich  in 
meiner  Sammlung. 

FÜRST.  Was .  .  .  was  für  eine  Sammlung  hast  du 
denn? 

LOLO.  Da  muß  aber  wirklich  ein  Irrtum  sein, 
Durchlaucht.    Ich  kann  mich  nicht  erinnern  .  .  . 

PHILIPP.  SelbstverständUch  können  Sie  sich  nicht 
erinnern,  Fräulein,  denn  wie  ich  Ihr  Bild  aus  der 

36 


Zeitung  herausgeschnitten  hab',  in  Krems,  das  können 
Sie  hier  natürlich  nicht  gespürt  haben. 

LOLO.    Gott  sei  Dank,  nein. 

PHILIPP.  Das  ist  nämlich  ein  Sport  von  uns  ge- 
wesen im  Gymnasium.  Wir  haben  einen  gehabt,  der 
hat  sich  die  Mord-  und  Unglücksfälle  herausgeschnitten. 

LOLO.  Das  muß  aber  ein  schlechter  Mensch  ge- 
wesen sein. 

PHILIPP.  Und  einer,  der  hat  sich  die  historischen 
Persönlichkeiten  herausgeschnitten,  Nordpolfahrer  und 
Komponisten  und  solche  Leut',  und  ich  hab'  mir  die 
Damen  vom  Theater  gesammelt.  Schaun  viel  besser 
aus.  Zweihundertdreizehn,  Ich  zeig'  sie  dir  einmal, 
Papa.  Sehr  interessant.  Eine  australische  Operetten- 
sängerin ist  auch  drunter. 

LOLO.  Ich  hab'  ja  gar  nicht  gewußt,  daß  Durch- 
laucht einen  Sohn  haben.  Und  noch  dazu  einen  so 
großen. 

PHILIPP.  Ja,  Fräulein,  ich  hab'  bis  jetzt  im  Ver- 
borgenen geblüht. 

FÜRST.  Jetzt  besorgst  du  das  aber  recht  auffällig, 
das  muß  man  sagen. 

LOLO.  Aber  lassen  Sie  ihn,  Durchlaucht,  ich  hab*8 
gern,  wenn  so  junge  Leute  ein  bissei  vif  sind. 

PHILIPP.  Also  Fräulein  ziehen  sich  jetzt  im 
Privatleben  zurück  ?  Sehrschad'.  Grad,  wo  ich  endlich 
das  Vergnügen  haben  könnte,  Sie  auf  den  Brettern 
zu  bewundern,  welche  die  Welt  bedeuten  .  . . 

LOLO.  Sehr  scharmant,  Durchlaucht,  aber  leider 
hat  man  keine  Zeit,  auf  die  heranwachsende  Jugend 
zu  warten.  Und  für  die  gereifteren  bin  ich  halt  jetzt 
ein  etwas  zu  hoher  Jahrgang. 

FÜRST.  Wie  man  hört,  vermählen  Sie  sich  ja 
demnächst,  Fräulein  ? 

LOLO.   Ja,  ich  trete  in  den  heiligen  Stand  der  Ehe. 

PHILIPP.  Und  wer  ist  denn  der  GlückUche, 
Fräulein,  wenn  man  fragen  darf? 

LOLO.   Wer?  Da  draußen  sitzt  er  auf  dem  Bock. 


37 


KOMTESSE.    Wie?    Der  Kutscher? 

LOLO.  Aber  Gräfin  —  Kutscher!  —  Höchstem 
wie  dei  Herr  Papa  —  verzeihn  schon  —  wenn  er  zu- 
fällig einmal  seine  Braunen  selber  fährt.  Fiaker- 
eigentümer ist  mein  Verlobter,  Hausbesitzer  und 
Bürger  von  Wien,  der  »eiber  nur  auf  den  Bock  steigt, 
wenn's  ihn  halt  freut  und  wenn  er  für  jemanden  eine 
besondere  Wertschätzung  hat.  Jetzt  führt  er  einen 
gewissen  Baron  Radeiner.  Jetzt  grad,  Gräfin,  hat  er 
ihn  zu  Ihrem  Herrn  Papa  herausgeführt.  Der  geht 
mir  übrigens  ab,  der  Herr  Radeiner. 

PHILIPP.  Erlaube,  mich  vorzustellen:  Baron 
Radeiner. 

LOLO.    Sie,  Durchlaucht? 

PHILIPP.  Ich  fahr'  überhaupt,  seit  ich  in  Wien 
bin,  nur  mit  dem  Wasner. 

LOLO.  Unter  einem  angenommenen  Namen, 
Durchlaucht.  Da  kommt  man  Ihnen  auf  schöne 
G'schichten. 

GRAF  kommt  erhitzt.    Guten  Tag.    Überblickt  die  Situation. 

Ah! 

LOLO.  Habe  die  Ehre,  Herr  Graf.  Ich  habe  näm- 
lich so  frei  sein  wollen  .  .  .  ich  wollte  mich  bedanken 
für  das  prachtvolle  Bukett. 

GRAF.    Aber  bitte,  bitte,  sehr  angenehm. 

FÜRST.  Lieber  alter  Freund,  also  hier  ist  er,  mein 
Sohn  Philipp. 

PHILIPP.   Es  ist  mir  eine  große  Ehre,  Herr  Graf. 

GRAF  reicht  ihm  die  Hand.  Seien  Sie  willkommen  in 
meinem  Haus.  Betrachten  Sie  es  jederzeit  als  das 
Ihrige.  Es  scheint,  ich  brauche  nicht  mehr  bekannt 
zu  machen. 

KOMTESSE.    Nein,  Papa. 

GRAF  nicht  ohne  Verlegenheit.  Es  ist  sehr  scharmant 
von  Ihnen,  Fräulein.  Sie  wissen  ja  selbst  am  besten, 
wie  sehr  ich  Sie  immer  bewundert  hab'.  . .  Aber  sagen 
Sie  mir  nur,  wie  sind  Sie  denn  eigentlich  heraus- 
gekommen ?  Ich  hab'  da  nämlich  gerade  meine  Prome- 

3« 


nade  auf  der  Hauptstraße  gemacht,  wo  alle  Wagen 
vorbei  müssen,  und  ich  hab'  Sie  gar  nicht  gesehen. 

LOLO.  Ja,  Herr  Graf,  was  glauben  Sie  denn!  Die 
Fiakerzeit  ist  jetzt  vorbei  für  mich.  Ich  bin  natürlich 
mit  der  Stadtbahn  herausgefahren,  wie  sich's  für  mich 
schickt. 

GRAF.  So,  so  .  .  .  Aber  wie  ich  höre,  ist  doch  Ihr 
Herr  Bräutigam  selbst .  . . 

LOLO.  Ja,  der  hat  natürlich  feinere  Passagiere 
wie  mich. 

PHILIPP.  Ich  habe  nämlich  das  Vergnügen  ge- 
habt, mit  dem  Bräutigam  des  Fräuleins  hier  heraus 
zu  fahren. 

GRAF.  Sie  fahren  mit  dem  Wasner  ?  Da  hört  sich 
doch  alles  ...  jaja  .  .  .  psychologische  Zusammen- 
hänge. —  Ihm  offerierend.   Zigarre  gefällig? 

PHILIPP  nimmt.   Danke  sehr. 

FÜRST.  Aber  Philipp!  So  eine  Riesenzigarre  vor 
dem  Frühstück! 

GRAF.  Ausgezeichnet.  Ist  das  allerg'sündeste. 
Sie  gefallen  mir  sehr  gut.  Wollen  wir  uns  nicht  setzen  ? 
Fürst,  Graf,  Philipp  setzen  sich.    Komtesse,  Loh  stehen  gan»  nahe. 

GRAF.    Also  morgen  reisen  Sie  ab  mit  dem  Papa? 

PHILIPP.  Ja,  Herr  Graf.  Ich  freu'  mich  schon 
kolossal. 

GRAF.    Bleibts  ihr  lang  weg? 

FÜRST.  Das  hängt  von  verschiedenen  Umständen  ab. 

PHILIPP.   Am  ersten  Oktober  muß  ich  einrücken. 

FÜRST.  Und  ich  werde  dann  möglicherweise 
tiefer  in  den  Süden  gehen. 

GRAF.  Das  ist  aber  das  allerneueste.  Wohin  denn  ? 

FÜRST.  Blick  auf  Komusse.  Ägypten,  dann  vielleicht 
noch  in  den  Sudan,  bissei  jagen. 

KOMTESSE  %u  LoU.  Ich  werde  Ihnen  den  Park 
zeigen,  Fräulein. 

LOLO.  Ja,  der  ist  prachtvoll.  Da  kann  sich  unser- 
einer freilich  nicht  messen. 

&i4  kommen  nach  links  vorn. 


39 


KOMTESSE.  Sie  haben  auch  einen  Garten  beim 
Haus? 

LOLO.  Natürlich.  Wir  haben  ja  auch  ein  Ahnen- 
schloß ...  in  Ottakring.  Schon  der  Urgroßvater  vom 
Wasner  ist  Fiaker  gewesen.  Nein,  ist  das  schön!  Wie 
da  die  Blumen  herunterhängen.  So  was  werd'  ich  mir 
auch  einrichten. 

GRAF  beunruhigt.  Warum  absentieren  sich  die  Damen  f 

KOMTESSE.  Laß  nur,  Papa,  ich  erkläre  dem  Fräu- 
lein die  Fassade  von  unserm  Schlössel. 

PHILIPP.  Kommen  öfters  Damen  vom  Theater 
zu  Ihnen  ins  Haus,  Herr  Graf? 

GRAF.    Nein,  das  ist  mehr  ein  Zufall! 
Sie  spazieren  plaudernd  in  den  nicht  sichtbaren  Teil  des  Gartens. 

KOMTESSE  zu  Lolo.  Wie  sonderbar,  daß  ich  heute 
zum  allererstenmal  Gelegenheit  habe,  Sie  zu  sprechen, 
Fräulein.    Ich  freue  mich  sehr. 

LOLO  mit  einem  dankbaren  Blick.  Und  ich  erst,  Gräfin. 
Ich  kenn'  Sie  natürlich  schon  lang  vom  Sehen.  Ich 
hab'  oft  in  die  Loge  hinaufgeschaut. 

KOMTESSE.    Aber  nicht  zu  mir. 

LOLO.    Ja,  das  ist  jetzt  vorbei. 

KOMTESSE.  Wissen  Sie,  Fräulein,  daß  ich  eigent- 
lich ein  bissei  gekränkt  bin  . .  .  für  ihn. 

LOLO.    Gekränkt? 

KOMTESSE.  Es  wird  ein  harter  Schlag  für  ihn 
sein.  Ich  weiß  am  besten,  wie  sehr  er  an  Ihnen  ge- 
hangen ist.    Wenn  er  mir  auch  nie  was  erzählt  hat. 

LOLO.  Ja,  glauben  Sie  nicht,  Gräfin,  daß  es  mir 
auch  schwer  ankommt  ?  Aber  ich  bitt'  Sie,  Gräfin, 
was  bleibt  einem  schließhch  übrig?  Ich  bin  auch 
nicht  mehr  die  Jüngste,  nicht  wahr?  Und  man  will 
doch  endlich  in  geordnete  Verhältnisse  kommen. 
So  lang  ich  einen  Beruf  gehabt  hab',  da  hab'  ich  mir 
erlauben  können  —  wie  sagt  man  das  nur  —  freieren 
Anschauungen  zu  huldigen.  Es  hat  gewissermaßen  mit 
zu  meiner  Stellung  gehört.  Aber  jetzt,  wo  ich  mich  ins 
Privatleben    zurückzieh',  wie    schauet   denn  das  aus  ? 


40 


KOMTESSE.  Ja,  das  seh'  ich  vollkommen  ein. 
Aber  was  wird  er  jetzt  anfangen? 

LOLO.  Vielleicht,  daß  er  doch  auch  heiratet.  Ich 
sag'  Ihnen,  Gräfin,  da  gibt's  noch  viele,  die  sich  alle 
fünf  Finger .  .  .  glauben  Sie  nicht,  Gräfin,  daß  es 
für  mich  auch  ein  schwerer  Entschluß  war? 

KOMTESSE.  Wissen  Sie,  was  ich  manchmal  ge- 
dacht habe  ?  Ob  er  nicht  vielleicht  die  Idee  hat,  Sic 
zu  seiner  Gattin  zu  machen? 

LOLO.    Ja,  er  hat  schon  wollen,  Gräfin. 

KOMTESSE.    Wie? 

LOLO.  Wissen  Sie,  wann  er  mich  das  letzte  Mal  ge- 
fragt hat,  Gräfin  ?  Es  sind  noch  keine  vier  Wochen  her. 

KOMTESSE.    Und  Sie  haben  Nein  gesagt? 

LOLO.  Ich  hab' Nein  gesagt.  Es  hätt'  kein'  gut  ge- 
tan. Ich  als  Frau  Gräfin!  Können  Sie  sich  das  vor- 
stellen ?  Ich  als  Ihre  Stiefmama,  Komtesse  .  .  .  Da 
hätten  wir  nicht  so  gemütlich  miteinander  plaudern 
können  wie  jetzt. 

KOMTESSE.  Wenn  Sie  wüßten,  wie  sympathisch 
Sie  mir  sind  .  .  . 

LOLO.  Aber  ich  will  mich  nicht  besser  machen, 
als  ich  bin.    Wer  weiß,  ob  ich  nicht  doch  .  .  . 

KOMTESSE.    Was  denn? 

LOLO.  Die  G'schicht'  ist  halt  die:  Ich  hab'  mich 
so  wahnsinnig  in  den  Wasner  verliebt.  Sie  werden 
doch  deswegen  nicht  schlecht  von  mir  denken  ?  In 
den  ganzen  achtzehn  Jahren  hab'  ich  mir  gar  nichts 
gegen  Ihren  Herrn  Papa  vorzuwerfen  gehabt.  Aber 
daß  sich  mit  der  Zeit  die  Leidenschaft  ein  bissei  ab- 
kühlt, das  ist  doch  kein  Wunder.  Und  eh'  ich  gegen 
Ihren  Herrn  Papa  .  .  .  nein,  nein  Gräfin  .  .  .  dazu  bin 
ich  Ihrem  Herrn  Papa  doch  zu  viel  Dankbarkeit  schul- 
dig.   Jessas  .  .  . 

KOMTESSE.    Was  ist  denn? 

LOLO.    Dorten  steht  er  und  schaut  herein 

KOMTESSE   schaut  bin. 

WASNER    am  loT^  lüfut  den  Zylinder. 


LOLO.  Is  nicht  zu  dumm,  Gräfin,  wenn  ich  ihn 
so  plötzlich  seh',  krieg'  ich  immer  Herzklopfen.  Ja, 
wenn's  eine  Alte  erwischt,  da  ist  es  am  ärgsten. 

KOMTESSE.  Alt?  Sie  nennen  sich  alt?  Wird 
kein  so  großer  Unterschied  zwischen  uns  sein. 

LOLO.    Na  ja.  Blick. 

KOMTESSE.  Ich  bin  siebenunddreißig.  Aber 
schauen  Sie  mich  nicht  so  mitleidig  an.  Es  ist  keine 
Ursache.    Absolut  keine. 

LOLO  beruhigt.  Man  hat  ja  so  allerlei  gehört,  Komtesse 
...  ich  hab'  es  natürlich  nicht  geglaubt.  Na,  Gott  sei 
Dank,  daß  es  wahr  is.     Händedruck. 

KOMTESSE.  Ich  möcht'  Ihrem  Herrn  Bräutigam 
gleich  gratulieren,  wenn  Sie  erlauben. 

LOLO.  Nein,  so  was  Scharmantes  .  .  .  aber  wenn 
der  Herr  Graf  .  . .  vielleicht  wär's  ihm  doch  nicht 
recht. 

KOMTESSE.  Liebes  Fräulein,  ich  war  immer  ge- 
wohnt,  zu   tun,   was   mir  paßt.     Beide  »um  Eingang. 

WASNER.    Küss'  die  Hand,  Komtesse  .  .  . 

Indti  sind  Graf,  Fürst  und  Philipp  nieder  zum  Vorschein  gekommen. 

GRAF  zum  Fürsten.     Da  schau'  hin. 

WASNER.  Küss'  die  Hand,  Herr  Graf,  habe  die 
Ehre,  Durchlaucht. 

FÜRST  ist  aufgestanden.  Hören  Sie,  lieber  Wasner, 
Sie  können  Ihre  Braut  gleich  in  Ihrem  Zeugel  mit 
nach  Haus  führen,  ich  nehm'  meinen  Sohn  in  meinem 
Wagen  mit. 

WASNER.    Der  Herr  Sohn  .  .  . 

PHILIPP.  Warum  haben  Sie  mir  denn  das  nicht 
gesagt,  Wasner,  daß  Sie  verlobt  sind  ? 

WASNER.  Durchlaucht  sagen  einem  ja  auch 
nichts!    Herr  von  Radeiner!! 

GRAF  zu  Lola.  Also  ich  danke  nochmals  sehr  für 
Ihren  freundUchen  Besuch  und  wünsch'  Ihnen  das 
allerbeste. 

LOLO.  Ich  Ihnen  auch,  Herr  Graf.  Im  übrigen, 
wenn  man  so  eine  Tochter  hat . . . 


4* 


KOMTESSE.  Es  ist  schad*,  daß  wir  uns  nicht  früher 
kennen  gelernt  haben. 

LOLO.    Gräfin  sind  wirklich  .  . . 

KOMTESSE.   Liebes  Fräulein  Lolo,  also  nochmals 

alles   Gute!      Sü  umarmt  sie. 

GRAF  h*trofftn,  etwas  gerührt. 

LOLO.  Also,  Herr  Graf,  ich  danke  für  den  freund- 
lichen Empfang  —  und  jetzt  adieu! 

GRAF.  Adieu,  Fräulein  Langhuber.  Seien  Sie 
glückhch  .  .  .  Seien  Sie  glücklich,  Lolo. 

LOLO  steigt  in  den  Wagen^  der  vorgefabren  ist. 

WASNER  auf  dem  Bock,  den  Zylinder  in  der  Hand.  Sie 
fahren  weg. 

KOMTESSE   tankt  nach. 

GRAF  steht  in  Gedanken. 

PHILIPP  und  FÜRST  suben  vorn. 

PHILIPP.  Lieber  Papa,  ich  durchschau'  die  ganze 
Geschichte. 

FÜRST.    Na? 

PHILIPP.  Dieses  Fräulein  Lolo  ist  die  natürUche 
Tochter  des  Grafen,  also  eine  Schwester  der  Komtesse, 
ihre  Milchschwester. 

FÜRST.  Stiefschwester  nennt  man  das.  Aber  nur 
weiter,  Diplomat. 

PHILIPP.  Und  sie  lieben  dich  beide,  selbstver- 
ständHch.  Die  Komtesse  und  die  Ballettänzerin. 
Und  diese  Heirat  zwischen  der  Balletteuse  und  dem 
VVasner  ist  dein  Werk. 

FÜRST.    Nur  weiter. 

PHILIPP.  Du,  Papa  —  das  fällt  mir  allerdings 
erst  in  diesem  AugenbUck  ein! 

FÜRST.    Was  denn? 

PHILIPP.    Ich  weiß  nicht,  ob  ich's  sagen  darf? 

FÜRST.  Na,  du  bist  doch  sonst  nicht  so  schüchtern. 

PHILIPP.  Wenn  meine  Mutter  gar  nicht  tot  wäre. 

FÜRST.  .  Hm  .  .  . 

PHILIPP.  Wenn  es  meine  Mutter  wäre,  die  so- 
eben durch  diese  merkwürdige  Verkettung  der  Um- 


43 


stände,  in  demselben  Wagen,  in  dem  ich  heraus- 
gekommen bin,  in  die  Stadt  hineinfährt?  Wenn  e« 
meine  eigene  Mutter  wäre,  die  ich  aus  der  Zeitung 
herausgeschnitten  habe  — ? 

FÜRST.  Bub',  du  wirst  entschieden  Minister, 
wenigstens  für  Ackerbau.  —  Aber  komm,  wir  müssen 
uns  jetzt  auch  empfehlen. 

GRAF  und  KOMTESSE  vom  Eingang  wieder  zurück. 

FÜRST.  Also  lieber  Freund,  jetzt  heißt's  leider 
Abschied  nehmen. 

GRAF.  Aber  wollt  Ihr  nicht  dableiben  ...  es  war' 
doch  wunderschön  .  .  .  wenn  ihr  zum  Frühstück  .  .  . 

FÜRST.  Leider  unmöglich.  Wir  haben  eine  Ver- 
abredung beim  Sacher. 

GRAF.  Das  ist  aber  wirklich  schad'.  Und  jetzt 
sieht  man  sich  den  ganzen  Sommer  nicht. 

FÜRST.    Na,  wir  sind  doch  nicht  außer  der  Welt. 

GRAF.    Und  morgen  reist  ihr  schon  ab? 

FÜRST.    Ja. 

GRAF.    Wohin  denn? 

FÜRST.    An  die  See,  nach  Ostende. 

GRAF.  So,  nach  Ostende.  Da  möcht*  ich  eigentlich 
schon  lang  einmal  hingehen. 

FÜRST.    Es  wäre  ja  sehr  nett  — 

GRAF.  Na,  was  glaubst  du,  Mizzi,  sein  wir  fesch. 
Fahren  wir  auch  nach  Ostende. 

KOMTESSE.  Ich  weiß  noch  nicht.  Du  kannst  ja 
jedenfalls,  lieber  Papa. 

PHILIPP.  Es  war'  wirklich  scharmant,  Gräfin,  ich 
tat'  mich  riesig  freuen. 

KOMTESSE  lächelnd.  Sie  sind  sehr  liebenswürdig, 
PhiUpp.    Reicht  ihm  die  Hand. 

PHILIPP  küßt  ihr  die  Hand. 

GRAF  zum  Fürsten.  Es  scheint,  die  Kinder  gefallen 
sich  ganz  gut. 

FÜRST.  Kommt  mir  auch  so  vor.  Also  adieu. 
Adieu,  liebe  Mizzi,  adieu,  lieber,  alter  Freund.  Dich 
hoff  ich  ja  jedenfalls  in  Ostende  wicderzusehea 


44 


GRAF.  Sie  wird  schon  mitkommen.  Was  Mizzi  ? 
Schließlich  kann  man  sich  auch  an  der  See  ein  Atelier 
mieten.    Nicht  wahr,  Mizzi? 

KOMTESSE  schweigt. 

FÜRST.  Also  nochmals  auf  Wiedersehen.  Er  reicht 
beiden  die  Hand. 

PHILIPP  küßt  der  KomUsse  nochmals  die  Hand. 

GRAF  reicht  Philipp  die  Hand.  Es  hat  mich  wirklich 
sehr  gefreut. 

FÜRST,  PHILIPP  ab.  Der  Wagen  ist  vorgefahren,  sie 
tteigen  ein  und  fahren  fort. 

Graf,  Komtesse  kommen  nach  vorn,  setzen  sich  an  den  Tisch  unter 
den  Baum,     Pause. 

GRAF.    Merkwürdig  ist  so  ein  Tag. 

KOMTESSE.  Ja,  das  Leben  ist  überhaupt  merk- 
würdig, man  vergißt's  nur  manchmal. 

GRAF.    Da  kannst  schon  recht  haben,  Mizzi. 
Pause. 

KOMTESSE.  Weißt  du,  Papa,  du  hättest  uns  wirk- 
lich früher  miteinander  bekannt  machen  können. 

GRAF.    Wieso  ?    Ali,  dich  und  .  .  . 

KOMTESSE.  Mich  und  die  Lolo.  Eine  so  liebe 
Person. 

GRAF.  Hat  s'  dir  gefallen  ?  Na  ja,  wenn  man  immer 
gleich  wüßt'. , .  Was  soll  man  machen  ?  Jetzt  ist's  halt  aus. 

KOMTESSE  nimmt  seine  Hand. 

GRAF  subt  auf  und  küßt  sie  auf  die  Stirn.  Macht  ein  paar 
Schritu  bin  und  her.  Was  sagst  du  übrigens,  Mizzi,  zu  . . . 
wie  g'fallt  dir  der  Bursch? 

KOMTESSE.    PhiHpp?    Ein  bissei  frech. 

GRAF.  Ja,  frech,  aber  fesch.  HoffentHch  bleibt  er 
beim  Militär.  Das  ist  doch  eine  vernünftigere  Karriere 
als  Diplomatie.  Langsam,  aber  sicher.  Wenn  man's  er- 
lebt, so  wird  man  General.  Aber  mit  der  politischen 
Karriere .  .  .  Schau'  dir  den  Egon  an  . . .  dreimal  war' 
er  beinah  Minister  geworden  . . .  Und  wenn  er's  schon 
geworden  war'  ?  Auf  und  ab.  Ja,  ja  .  .  .  ein  bissei  einsam 
wird's  in  dem  Sommer  werden  bei  uns. 


45 


KOMTESSE.  Du  willst  doch  nach  Ostende  fahren, 
Papa? 

GRAF.  Ja,  sag'  .  .  .  möchtest  du  wirklich  nicht  mit- 
fahren ?  Es  war'  doch  wirklich . . .  weißt  du,  ohne  dich 
.  .  .  Du  brauchst  mich  nicht  so  anzuschaun,  ich  weiß 
schon,  ich  hab'  mich  nicht  so  viel  um  dich  gekümmert 
in  den  Jahren,  als  ich  eigentUch  .  .  . 

KOMTESSE  seine  Hand  nehmend.  Aber  Papa,  du  wirst 
dich  doch  nicht  entschuldigen  ?  Ich  begreif  es  voll- 
kommen. 

GRAF.  Na  ja!  Aber  siehst  du,  ohne  dich  wird  mir 
die  ganze  Reise  keine  Freud'  machen.  Und  was  willst 
du  denn  so  allein  da  heraußen  tun  ?  Den  ganzen  Tag 
malen  ? 

KOMTESSE.  Die  Geschichte  ist  nur  die  .  .  .  der 
Fürst  hat  um  meine  Hand  angehalten. 

GRAF.  Wie  ?  Ist  es  möglich  ?  Nein,  geh  . . .  Und 
. .  .  und  du  hast  Nein  gesagst  ? 

KOMTESSE.    Ungefähr. 

GRAF  So..  Na  ja...  Schließlich,  ich  hab'  dir 
nie  in  was  dreingeredet.  Wie  du  meinst  .  .  .  Aber 
eigentlich  weiß  ich  nicht  recht,  warum.  Ich  hab' schon 
lang  bemerkt,  daß  er  .  .  .  Im  Alter  würdet  ihr  nicht 
schlecht  zusammenpassen.  Und  was  die  sonstigen 
Verhältnisse  anbelangt  .  .  .  Sechzig  Millionen  sind 
auch  nicht  grad  zu  verachten.   Aber  wie  du  meinst. 

KOMTESSE  scbfoeigt. 

GRAF.  Oder  ist  es  am  Ende  wegen  des  Buben  ? 
Ich  bitt'  dich,  das  war'  übertrieben.  So  was  kommt 
in  den  besten  Familien  vor.  Und  besonders  wo  seine 
Frau  doch  immer  mit  dem  Herzen  zu  tun  gehabt  hat. 
.  .  .  Plötzlich  wird  man  in  so  eine  Affäre  hineingerissen, 
weiß  selbst  nicht,  wie. 

KOMTESSE.  Und  man  läßt  dann  so  eine  arme 
Person  aus  dem  Volk  sitzen  und  zu  Grund  gehn. 

GRAF.  Also  bitt'  dich,  das  steht  doch  nur  so  in  den 
Büchern.  Was  kann  denn  er  dafür  ?  Diese  Frauen- 
zimmer  sterben   ja   leider   meistens    früh.    Und   wer 

46 


weiß,  wenn  sie  nicht  gestorben  war',  ob  er  nicht . . 
Das  find'  ich  doch  eigentlich  sehr  hübsch  von  ihm, 
das  mit  dem  Buben.  Es  gehört  doch  Courage  dazu. 
Ich  könnt'  dir  manchen  nennen  .  .  Na,  reden  wir 
nicht  davon.  Also,  wenn  das  das  Einzige  ist,  was  gegen 
ihn  spricht .  .  .  Und  übrigens  so  ein  Zusammensein 
in  Ostende  verpflichtet  doch  zu  gar  nichts. 

KOMTESSE.    Das  ist  schon  wahr. 

GRAF.  Na  also.  Ich  werd'  dir  was  sagen.  Du  be- 
gleitest mich  einfach  hin.  G'fallt's  dir,  so  bleibst  du. 
Wenn  nicht,  so  fahrst  du  vielleicht  hinüber  nach  Lon- 
don zur  Tant'  Lori.  Ich  mein'  nur,  es  hat  so  gar  keinen 
Sinn,  daß  du  mich  allein  fortfahren  läßt. 

KOMTESSE.    Also  schön. 

GRJF.    Wieso? 

KOMTESSE.  Ich  fahr'  mit  dir,  Papa.  Aber  ohne 
jede  Verpflichtung.    Ganz  unverbindlich. 

GRJF.    Du  fahrst  mit  mir? 

KOMTESSE.    Ja,  Papa. 

GRJF.  Da  bin  ich  wirklich  sehr  froh.  Ich  dank' 
dir,  Mizzi. 

KOMTESSE.  Aber  dank'  mir  doch  nicht,  Papa. 
Ich  tu's  ja  gern. 

GRJF.  Du  kannst  dir  gar  nicht  vorstellen  .    .  ohne 
dich,    Mizzi  .  .  .    Die    Erinnerungen,    grad    heuer    . 
Du  weißt  doch,  daß  ich  im  vorigen  Jahr  mit  der  Lolo 
in  der  Normandie  gewesen  bin  ? 

KOMTESSE.    NatürUch  weiß  ich    . . 

GRJF.  Und  im  übrigen,  was  den  Egon  anbelangt 
.  .  .  ohne  daß  ich  dir  weiter  zureden  will .  an  so 
einem  fremden  Ort  lernt  man  sich  manchmal  in  ein 
paar  Tagen  besser  kennen  als  zu  Haus  in  Jahren. 

KOMTESSE.  Es  ist  ja  abgemacht,  Papa,  ich  reis' 
mit  dir.  Was  das  übrige  anbelangt,  reden  wir  nicht 
davon  .  .  .  vorläufig. 

GRJF.  Also,  weißt  du  was,  ich  telephonier'  gleich 
zum  Schenker  wegen  Schlafwagen  für  übermorgen 
oder  für  morgen. 


47 


KOMTESSE.    So  eilig? 

GRAF.  Na,  was  hat  das  für  einen  Sinn,  noch  da 
herumsitzen,  wenn  wir  einmal  entschlossen  sind. 
Also  ich  telephonier' .  .  .  Ist's  dir  recht  ? 

KOMTESSE.    Ja. 

GRAF  umarmt  sie. 

PROFESSOR  WINDHOFER  erscheint  im  Gartentor. 

GRAF.  Ah,  da  kommt  ja  dein  Professor.  Hast  du 
denn  heut  Stund'  ? 

KOMTESSE.    Ich  hab'  auch  ganz  vergessen. 

PROFESSOR  WINDHOFER,  schöner,  ettva  fünfund- 
dreißigj übriger  Mann,  sehr  elegant,  grauer  Gehrock,  blonder  Spitx- 
bart.  Er  nimmt  beim  Eintritt  in  den  Park  den  Hut  ab,  kommt  nach 
vorn.     Guten  Tag,  Gräfin.   Guten  Tag,  Herr  Graf. 

GRAF.  Guten  Tag,  lieber  Professor,  wie  geht's  ? 
Sie  entschuldigen,  ich  muß  grad  telephonieren,  weil 
wir  nämlich  abreisen. 

PROFESSOR  WINDHOFER.  Sie  reisen  ab  ?  Bitte, 
lassen  sich  Herr  Graf  nicht  stören. 

GRAF.  Ich  seh'  Sie  wohl  noch,  lieber  Professor. 
Ab  ins  Haus. 

PROFESSOR.    Sie  reisen  ab,  Gräfin? 

KOMTESSE.    Ja,  nach  Ostende. 

PROFESSOR.  Das  ist  aber  ein  ziemlich  plötzlicher 
Entschluß. 

KOMTESSE.   Ziemlich.    Das  ist  schon  so  bei  mir. 

PROFESSOR.  Da  wird's  ja  wohl  für  heuer  mit  den 
Stunden  aus  sein  ?    Schade. 

KOMTESSE.  Ja,  ich  werd'  auch  heute  kaum  mehr  . . 
ich  fühl'  mich  ein  bißchen  abgespannt. 

PROFESSOR.  So  .  .  .  Sie  sind  auch  etwas  blaß, 
Maria. 

KOMTESSE.    Finden  Sie? 

PROFESSOR.  Wie  lange  wollen  Sie  denn  fortbleiben  ? 

KOMTESSE.  Vielleicht  bis  zum  Herbst  —  vielleicht 
bis  sehr  spät  in  den  Herbst  hinein. 

PROFESSOR.  So  werden  wir  unsere  Stunden  also 
wohl  erst  im  November  wieder  aufnehmen? 


48 


KOMTESSE  lächelnd.    Ich  glaube  nicht. 

PROFESSOR.  Sie  glauben  nicht  ?  . .  .  Sehen  einander  an. 

KOMTESSE.    Ich  glaube  nicht  .  .  . 

PROFESSOR.   Also  ...  ich  bin  entlassen,  Maria. 

KOMTESSE.  Wie  kann  man  sich  so  ausdrücken, 
Rudolf?    Es  ist  wirklich  nicht  sehr  nett. 

PROFESSOR.  Verzeih'.  Es  ist  doch  ein  bißchen 
rascher  gekommen,  als  ich  gedacht  habe. 

KOMTESSE.  Besser,  als  wenn  es  zu  langsam  kommt. 
Glaubst  du  nicht  ? 

PROFESSOR.  Ich  bin  fem  davon,  dir  einen  Vor- 
wurf zu  machen,  Kind. 

KOMTESSE.  Hast  auch  wirklich  keinen  Grund. 
War's  nicht  schön  ?    Reicht  ihm  die  Hand. 

PROFESSOR  küßt  ihr  die  Hand.  Du  bist  wohl  so  gut, 
mich  dem  Grafen  zu  empfehlen. 

KOMTESSE.    Du  gehst  gleich  .  .  .  ? 

PROFESSOR  Uicbt.   Ist  es  nicht  das  Beste? 

KOMTESSE  nach  einer  Pause,  ihm  in  die  Augen  schauend. 
Glaub'  schon.     Sie  drücken  einander  die  Hand. 

PROFESSOR.    Leben  Sie  wohl,  Maria. 

KOMTESSE.  Leb'  wohl .  .  .  Und  grüß'  mir  deine 
Frau  und  die  Kinder. 

PROFESSOR.    Werd's  ausrichten,  Gräfin.    Ab. 

KOMTESSE  bleibt  eine  Weile  stehen,  siebt  ihm  nach. 

GRAF  auf  der  Terrasse.  Schon  in  Ordnung.  Morgen 
abend  Abfahrt  9  Uhr  30,  Westbahn.  Wo  ist  denn  der 
Professor  ? 

KOMTESSE.    Ich  hab'  ihn  fortgeschickt. 

GRAF.  So  ?  —  Und  was  glaubst  du,  wer  das  Coupi 
zwischen  meinem  und  deinem  hat  .  .  .  Der  Egon  und 
sein  Herr  Sohn.    Das  wird  eine  Überraschung  sein. 

KOMTESSE.     Na  .  .  .  riesig.    Ab,  auch  ins  Haus. 

Vorbang. 


Theatentfleke.  IV,  4 


DER  JUNGE  MEDJRDUS 

Dramatische  Historie  in  einem  Forspiel 
und  fünf  Aufzügen 


PERSONEN 

FRANZISKA  KLAHR,  BucbbändUrswitm 

MEDARDUS,  1   .^   ^.  . 
AGA<IHE,        ]^^'^^-^'^ 

JAKOB  ESCHENBACHER,  ihr  Buder,  SattUrmtisUr 
KARL   ETZELT,    GescbäftsUiUr  dtr  Buchhandlung 
BERGER,   DrechsUrmeisUr 

FRAU  BERGER 

ANNA,   ihre  Tochttr 

HERR  FÖDERL 
FRAU  FÖDERL 
FRAU  GRINZINGER 
BRADL,  \ 

SCHREUBLER,  \  WUntr  Bürger 

STIEFLER,         I 

WACHSHUBER,  Delikatesunbändler 

FRAU  WINKLER 

LEOPOLDINE,  ibri  TocbUr 

BERTA 
KRIBBLING, 
WINTER, 
RABENAU, 

^iViki^^'  \  Studenten,  jetzt  bei  der  Landwehr 

LiLlßUL  1 , 

BERNBURG, 

SCHELLBACHER, 

PLANK, 

ELISABETH 

MARIE 

ROSERL 

BARGETTI,  Hauptmann  ] 

SCHÖFFMANN,   Leutnant  \  beider  bürgerlichen  Müix 

DOKTOR  JOLSDORF,  Leutnant] 

BÜDINGER,  Amt 
DER  URALTE  HERR 
SEINE  URENKELIN  GRETEL 
EIN  ELEGANTER  HERR 


$« 


SEINE  FRAU 

KREUZHJRTINGER,  Landmann  aus  PeUrsdorf 

SEINE  FRAU 

EIN  BETTLER  JUS  ASPERN 

EIN  TOTENGRÄBER 

DER  BUCHHANDLERGEHILFE 

DIENSTMÄDCHEN  BEI  KLAHR 

EIN  KORPORAL  DER  BÜRGERWACHE 

KERKERMEISTER 

WIRT  IN  DER  DONAUSCHANKE 

DREI  GESELLEN  ESCHENBACHERS 

CHRISTOPHE  BERNARD,  EHEMALIGER  HER- 
ZOG VON  VALOIS 

MARIE  HORTENSE,  EHEMALIGE  HERZOGIN 
VON  VALOIS 

HELENE,    '}'^'^»'"'«' 

NERINA,  Kammermädchen 

DER  MAROUIS  VON  VALOIS 

DE  SO  LT  EU  X 

CAILLARD 

RENAULT 

DAGUSAN 

LAFFRATE 

DOKTOR  ASSALAGNT 

DER  GENERAL  RAPP 

TREMBLT,    Major 
DERUE,    Rittmeister 

EIN    RITTMEISTER    DER    FRANZÖSISCHEN 

GARDE 
EIN  LEUTNANT  DER  FRANZÖSISCHEN  GARDE 
EIN  BAYRISCHER  LEUTNANT 
EIN  BATRISCHER  KORPORAL 
EIN  VERTRAUTER  DER  ÖSTERREICHISCHEN 

POLIZEI 
EIN  MAGISTRATSBEAMTER 
WIENER  BÜRGER,  BÜRGERINNEN  UND  KIN 

DER 


53 


OFFIZIERE  UND  MANNSCHAFTEN  DER  BÜR- 
GERLICHEN MILIZ 

LANDWEHR 

FRANZÖSISCHE  GARDISTEN 

FRANZÖSISCHE  SOLDATEN  ANDERER  TRUP- 
PENGATTUNGEN 

ERSTER  DIENER     \  ,  .    „ 

ZWEITER  DIENER  ]  *""  """""^  "^  ^'^" 

ST.  MARSf  Adjutant  des  Marschalls  Lannes 

EIN  FRANZÖSISCHER  TROMPETER 
Wien  1809 


VORSPIEL 

Erste  Szene 

Zimmer  im  Hause  der  Bucbbändlerswitwe  Franziska  Kläbr.  Ge- 
räumig, bürgerlich,  behaglich.  Im  Hintergrund  etwas  erhöhter  Erker 
mit  ausgebauchum  Ftnster.  Blick  auf  Basteien  und  Türme  der  Vor- 
stadt. Türe  ins  Vorzimmer  rechts  vorn.  Andre  Tür  linke  Wand 
Mitte.  Links  hinten  in  der  Ecke  Ofen  mit  Figur.  Zwischen  Ofen 
und  Türe  Kommode  mit  Spiegel  darüber.  Rechte  Wand:  Spinett, 
anschließend  Stellage  mit  Noten  und  Büchern.  Hintere  Wand  rechu 
und  links  vom  Erker  je  ein  hoher  Wandschrank.  —  In  der  Mitte  des 
Zimmers  großer  Tisch,  Stühle  ringsherum;  im  Erker  Tischchen,  ein 
Sessel.  —  Gegen  Abend. 

AGATHE  KLJIIR,  i8  Jährt  alt,  ernstes,  etwas  blasses 
Antlitz,  im  Erker  sitzend,  beschäftigt  ein  Taschentuch  zu  säumen. 

ANNA  BERGER  um  ein  Jahr  jünger,  kleiner,  recht  lebhaft, 
tritt  ein,  von  rechts. 

ANNA.    Guten  Abend,  Agathe. 

AGATHE.  Bist  du's,  Anna  ?  Ich  freue  mich,  daß 
du  kommst. 

ANNA.  Es  ist  schönes  Wetter  draußen,  ganz  warm 
'beinah. 

AGATHE.  Ich  hab'  das  Fenster  offen  gehabt  bis 
jetzt.  Rück'  den  Stuhl  zu  mir,  ich  bin  bald  fertig. 
Kommst  du  von  Haus  ?  Wie  geht's  Vater  und  Mutter  ? 

ANNA  hat  einen  der  Stühle  näher  zu  Agathe  gerückt  und  setzt 
sich.  Vom  Vater  sehn  wir  schier  nichts  den  ganzen 
Tag.  Der  ist  mehr  auf  der  Straße  als  zu  Haus  oder  im 
Geschäft. 

AGATHE  lächelnd.  Es  ist  eine  gute  Zeit  für  ihn! 
Neuigkeiten  Stunde  für  Stunde. 

ANNA.  Und  welche!  Die  Leute  stehn  zusammen 
und  reißen  einander  die  Zeitungsblätter  aus  der 
Hand.  Nun  heißt  es  doch  wieder,  daß  wir  die  Fran- 
zosen in  vier  Wochen  vor  den  Toren  haben  werden. 

AGATHE  in  der  Absicht  zu  scherzen.  .  .  .  Wenn  CS  dem 
Medardus  nicht  gelingt,  sie  aufzuhalten  . . . 

ANNA.    Er  ist  noch  nicht  daheim? 


SS 


AGATHE.    Nein.    Pause. 

ANNA.  .  .  .  Der  Vater  sagt,  es  war  nicht  so  schlimm 
vor  vier  Jahren.  Sie  sollen  sich  gar  nicht  so  übel  auf- 
geführt haben,  die  Herren  Franzosen.  —  Vier  Jahre! 
Mir  ist's,  als  war'  es  viel  länger  her,  und  als  war'  es 
eigentlich  eine  ganz  lustige  Zeit  gewesen.  Immer  gab's 
was  zu  sehen  .  .  .  Die  schönen  Uniformen !  Erinnerst 
du  dich  noch  an  die  französischen  Soldaten  mit  den 
langen  Kapuzinerbärten  ?  Ich  glaube,  Tag  und  Nacht 
marschierten  Regimenter  durch  die  Stadt!  Und  gar, 
wie  unser  Kaiser  zurückkam,  das  Gedränge  und  die 
vielen  Lichter  in  den  Fenstern !  Weißt  du  noch  ?  .  .  . 
Freilich  waren  wir  noch  Kinder  damals.  —  Arbeit'  nur 
weiter.    Stört  dich  mein  Geplauder  ?  .  . . 

AGATHE.    O  nein,  gewiß  nicht. 

ANNA.    Soll  ich  nicht  die  Lampe  anzünden? 

AGATHE.  Ich  seh'  genug,  bin  auch  gleich  fertig. 
Sieh,  Taschentücher  für  Medardus  sind's.  Nun  wäre 
das  letzte  gesäumt.    War  höchste  Zeit. 

ANNA.    Wo  bleibt  er  denn  so  lang? 

AGATHE.  Weiß  man  je,  wo  mein  Bruder  Medardus 
bleibt  ? 

ANNA.  Aber  heute  müßt'  er  doch  zeitlich  zu  Hause 
sein,  dächt'  ich,  da  sie  morgen  mit  Sonnenaufgang  fort- 
marschieren, alle  sechs  Bataillone! 

AGATHE.  Morgen.  Und  der  Medardus  hat  sich 
schon  für  heute  abend  eine  Kutsche  bestellt. 

ANNA.  Eine  Kutsche  ?  —  Für  heute  abend  ?  . . . 
Fährt  die  Landwehr  per  Wagen  ins  Feld  ? 

AGATHE.  Sie  haben  noch  ein  Gelage  irgendwo,  er 
und  etliche  seiner  Kameraden  von  der  Universität,  eh' 
sie  abmarschieren. 

ANNA  seufzt. 

AGATHE.  Nicht  traurig  sein,  Annerl!  Er  %vird 
sicher  zurückkommen,  wenn's  Gott  will,  heil  und 
gesund,  und  am  Ende  gar  mit  einem  Orden  auf  der 
Brust. 

ANNA.    Ich  wollte,  er  bliebe  daheim. 


AGA7HE.  Da  war'  er  nicht  der  Medardus,  den  du 
lieb  hast. 

ANNA.  Könnt'  er  nicht  auch  in  der  Stadt  mili- 
tärischen Dienst  versehen  ? 

AGATHE.    Dazu  haben  wir  die  Bürgermiliz. 

ANNA.  Nicht  die  allein.  Von  jedem  Bataillon 
bleiben  fünfzig  oder  mehr  zurück  in  der  Stadt. 

AGATHE.    Ja,  die  schwächlich  sind  oder  marod. 

ANNA.  Nein,  auch  andre,  ganz  gesunde  und  kräf- 
tige. Zwischen  manchen  hat  das  Los  entscheiden 
müssen.  Es  wollten  ja  alle  mit  ins  Feld.  Mir  hat's  der 
Vater  erzählt,  er  war  heut  vormittag  zur  Parade  auf 
dem  Glacis. 

AGATHE.  Für  den  Medardus  aber  hätte  nichts 
Besseres  kommen  können  als  der  Krieg.  Zu  den  Sol- 
daten gehört  er  hin. 

ANNA.  Warum  gerade  dorthin  ?  Hat  er  nicht  sehr 
wacker  studiert  in  diesen  letzten  Jahren? 

AGATHE.  Recht  viel .  . .  Und  alles  durcheinander, 
wie  so  seine  Art  ist. 

ANNA.  War  doch  sogar  eure  Mutter  leidlich  zu- 
frieden mit  ihm. 

AGATHE.  Wenn  er  nicht  gerade  andres  trieb,  was 
weder  der  Mutter  recht  war,  noch  dir. 

ANNA.  Denkst  du  an  EHsabeth  ?  . . .  Das  ist  längst 
vorbei .  .  . 

AGATHE.  Ja,  das  ist  freilich  vorbei. 

ANNA.  Sie  hat  sich  auch  recht  geschwind  getröstet, 
weißt  du  nicht  ?  .  .  .  Sie  war  seiner  nie  wert .  .  . 

AGATHE.  Nun  laß  es  gut  sein,  Anna.  Es  wird  dem 
Medardus  nichts  Übles  geschehn  draußen  im  Feld. 
Ich  fühl's! 

ANNA.    Beruf  es  nicht,  Agathe,  beruf  es  nicht. 

AGATHE  ernst.  Und  wenn  es  anders  kommt .  .  . 
Annerl  ?  Es  ist  wohl  nicht  das  SchUmmste,  jung  dahin 
zu  gehn,  und  für  was  Hohes,  Heiliges !  Wissen  wir  denn, 
Anna,  du  und  ich,  was  uns  bestimmt  sein  mag  . . .  und 
andern,  die  uns  lieb  sind? 


57 


ANNA.    Ach,  Agathe! 

AGATHE.  Wie  leicht  kann's  geschehn,  daß  ich 
oder  du  oder  sonst  wer,  der  sich  so  recht  geborgen  fühlt 
und  in  guter  Hut,  eher  von  hinnen  muß,  als  mancher 
von  denen,  die  morgen  ausziehen. 

ANNA.  Was  ist  denn  das  für  ein  sonderbares  Reden, 
Agathe?  Du  machst  mir  ja  angst!  Was  gibt's  denn, 
Agathe,  sag'  doch.  Ist's  was  mit  dem  Franz  ?  .  .  .  Du 
sprichst  gar  nicht  von  ihm,  schon  so  viele  Tage  lang. 
Und  seit  Wochen  hab'  ich  ihn  bei  euch  nimmer  gesehn. 
Ich  wollte  dich  nicht  fragen,  aber  da  du  dich  so  seltsam 
vernehmen  läßt .  . . 

AGATHE.  Wie  soll  er  hierher  kommen?  Unser 
Haus  ist  ihm  verboten,  du  weißt's  ja,  bis  er  nicht  als 
Werber  erscheint  in  seiner  hochgeborenen  Eltern  Be- 
gleitung. 

ANNA.  Aber  ihr  seht  einander  doch  insgeheim  ?  .  .  . 
Du  wirst  mir's  nicht  ableugnen !  Sag'  doch,  was  hat 
er  dir  angetan  ? 

AGATHE.  Mein  Franz,  mir  ?  Er  mir  was  angetan  . . ! 
Du  fragst  mich  so  und  willst  ihn  kennen  ? 

ANNA.  Warum  also  schaust  du  so  trüb  drein? 
Wenn  er  nur  in  Treuen  zu  dir  hält,  so  kann  euch  nichts 
Übles  geschehn.  Mußt  eben  ein  wenig  warten.  Gott, 
das  muß  ich  auch.    Und  vielleicht  vergeblich. 

AGATHE.    Warten  ?  wenn's  nur  das  war' ! 

ANNA.  Oder  ist's,  weil  er  von  so  hoher  Abkunft  ? 
Das  will  ja  nicht  viel  bedeuten.  Sein  windiger  Adel 
ist  weniger  wert  als  euer  gutes  Bürgertum. 

AGATHE.  Windiger  Adel  ?  .  .  .  Als  wüßtest  du 
nicht,  daß  sein  Vater  des  festen  Glaubens  ist,  ihm  ge- 
bühre die  Krone  von  Frankreich. 

ANNA.  Ja,  das  weiß  ich  wohl,  und  wissen  alle. 
Wissen  aber  auch  alle,  daß  der  Alte  ein  armer,  doppelt 
blinder  Narr  ist,  der  mit  den  Seinen  jahrelang  in 
Deutschland  von  Stadt  zu  Stadt  gezogen  ist,  überall 
des  Orts  verwiesen  wurde,  bis  ihm  hier  unser  guter 
Kaiser  ein  Asyl  gewährte. 

5« 


AGATHE.  Wir  leben  in  einer  wilden  Zeit,  Anna. 
Und  es  könnte  wohl  auch  einmal  kommen,  daß  man 
dem  Bonaparte  seinen  Kaisertitel  abspricht,  wie  er 
dem  Herrn  von  Valois  den  Herzogsrang.  Und  dies  ist 
und  bleibt  nun  einmal  wahr,  er  stammt  aus  dem  glei- 
chen Blut  wie  der  unglückliche  König  Ludwig,  den 
«ie  in  Paris  hingerichtet  haben. 

ANNA.  Die  Verwandtschaft  machte  mir  bang  an 
deiner  Statt.  Es  wundern  sich  manche,  daß  ihm 
der  Aufenthalt  bei  uns  noch  immer  gestattet  wird. 
Mein  Vater  meint,  es  sei  auch  nur  deshalb,  weil 
er  eben  ein  Narr  sei  und  nichts  andres.  Hab'  ich  dir 
nicht  erzählt,  neulich,  am  vorigen  Sonntag  war's,  ich 
spazierte  im  Prater  mit  Vater  und  Mutter,  da  fuhren 
sie  an  uns  vorüber  in  ihrer  alten  rumpligen  Karosse, 
den  Kutscher  mit  der  verstaubten  silbernen  Livree 
auf  dem  Bock.  Und  weißt  du,  was  die  Leute  sagten  ?  . 
Da  fährt  der  blinde  Narrenherzog  .  .  .  Dein  süßer 
Prinz  aber  sah  zart  aus,  rot  und  weiß,  wie  ein  junges 
Mädchen. 

AGATHE.  Und  seine  Schwester? .  . . 

ANNA.  Oh,  die  blickte  gar  stolz  drein.  Und  schön 
ist  sie! 

AGATHE.    Ja  —  stolz  und  schön! 

Jakoh  Eubenbacber  tritt  ein  von  rechts  {fünfzig  Jahre,  großer,  hreit- 

scbulteriger  Mann,  nicht  ganz  ergrautes,  volles  Haar.    Humoristisch, 

gutmütig,  nicht  ohne  Ironie).    Agathe.    Anna. 

ESCHENBACHER.    Guten  Abend. 

AGATHE.    Grüß'  Gott,  Oheim. 

ANNA.    Guten  Abend,  Meister  Eschenbacher. 

ESCHENBACHER.  Es  plaudert  sich  wohl  gut  im 
Dunkeln.    Stör'  ich  euch,  Kinder? 

AGATHE.    Was  fäUt  dir  ein,  Oheim? 

ESCHENBACHER.  Die  Mutter  noch  nicht  da- 
heim ? 

AGATHE.    Sie  muß  bald  da  sein. 

ESCHENBACHER.  Besorgt  wohl  noch  etliches 
für  euren  Landwehrmann? 


59 


AGATHE.  Ja,  auch  das.  Wie  die  Leute  nun  einmal 
sind,  man  kann  sich  gar  nicht  verlassen. 

ESCHENBACHER.  Sei  nicht  zu  streng,  Agathe. 
Die  Handwerksleute  haben  jetzt  alle  viel  zu  tun.  Ich 
hab'  mich  auch  nur  auf  eine  Stunde  frei  gemacht.  Und 
dann  gleich  wieder  zurück  in  mein  Geschäft,  wo  ich 
wohl  die  halbe  Nacht  durcharbeiten  muß  mit  meinen 
Gesellen. 

ANNA.  Beim  Vater  gibt's  weniger  Arbeit,  Meister 
Eschenbacher. 

ESCHENBACHER.  Ja,  nach  Pfeifenköpfen  und 
Schachfiguren  ist  jetzt  wohl  geringre  Nachfrag'  als 
nach  Zaum,  Sattelzeug  und  Peitschen.  Und  überdies, 
wer  den  Meister  nicht  daheim  findt,  schaut  gern  ein 
Haus  weiter.  Er  bat  sieb  ans  Spinett  gesetzt  und  schlägt  bei- 
läufig einige  Tasten  an. 

AGATHE.  Nun  wird's  aber  Zeit,  den  Tisch  zu 
decken.  Sie  müssen  doch  bald  daheim  sein,  die  Mutter 
und  Medardus.  Zum  Scbrank,  nimmt  das  Nötige  heraus  und 
beschäftigt  sich  dann  damit^  den  Tisch  xu  decken. 

ANNA.  Ich  will  dir  Licht  machen,  Agathe.  Zündet 
die  Hängelampe  über  dem  Tisch  an. 

AGATHE.  Du  ißt  doch  einen  Bissen  mit  uns, 
Oheim  ? 

ESCHENBACHER.  Wenn's  erlaubt  ist.  Man 
möchte  doch  auch  am  Abschiedsschmause  teilnehmen. 
Nicht  ohne  Bedeutung.  Gibt's  sonst  neues  im  Haus,  Agathe  ? 

AGATHE.    Nichts,  Onkel,  nichts. 

ANNA.  Sie  haben  sich  just  so  hingesetzt  .  .  .  Wollen 
Sie  uns  was  vorspielen  auf  dem  Spinett  ?  Ich  habe 
Sie  so  lange  nicht  gehört,  Meister!  Wann  war's  nur 
das  letztemal .  .  ?  Im  verflossenen  Winter.  Am  ersten 
Weihnachtsfeiertag.    Ich  weiß  noch. 

ESCHENBACHER.  Und  der  Himmel  straf  mich, 
wenn  ich  seither  eine  Taste  angerührt  hab'.  Wo  soll 
unsereins  die  Zeit  dazu  hernehmen  ?  Schlägt  ein  paar  Tasten 
an.  Übrigens  ist  es  auch  ein  wenig  verstimmt.  Hat 
wohl  schon  lange  kein  junger  Prinz  darauf  gespielt. 


ANNA.  Merkt  man  das  gleich  einem  Instrument  an  ? 
ESCHEN  BACHER  mit  tintm  Blick  auf  Agathe.     Nicht 
eben  dem  .  .  .  Er  spielt. 

Frau  Franziska  Kläbr  tritt  ein.    {Frau  von  etwas  über  vierzig^  noch 

ziemlich  jugendlich  aussehend,  bestimmt,  aber  nicht  ohne  Weichheit, 

mit  bellen  Augen,  gleich  ihrem  Bruder,  kommt  mit  Päckchen,  die 

sie  beiseite  legt).    Agathe.    Anna.    Eschenbacber. 

FRAU  KLAHR.  Guten  Abend,  Bruder.  Guten 
Abend,  Annerl.  So,  da  hätten  wir  alles.  Hilf  mir, 
Agathe. 

AGATHE.    Soll  das  alles  in  den  Tornister  hinein  ? 

FRAU  KLÄHR.  Zum  Teil  in  das  kleine  Koffer- 
chen, das  mit  dem  Transporte  nachkommt. 

AGATHE.    Hier  sind  auch  die  Taschentücher. 

FRAU  KLAHR.  Nun  Bruder,  warum  hörst  du  zu 
•pielen  auf? 

ESCHENBACHER.  Es  ist  doch  eine  zu  wehmütige 
Melodie. 

ANNA.  Paßt  eben  recht  für  die  Gelegenheit.  Sonst 
hätten  Sie  sie  wohl  nicht  gespielt. 

ESCHENBACHER.  Warum  denn  ?  Ich  kann  das 
eine  so  wehmütige  Gelegenheit  nicht  finden,  daß  ein 
junger  Held  in  den  Krieg  zieht.  Meiner  Seel',  ich 
möcht'  ihn  fast  beneiden. 

FRAU  KLAHR.    Du,  Jakob  ? 

ESCHENBACHER.  Es  ist  doch  zum  mindesten 
eine  Abwechslung. 

FRAU  KLAHR.  Ja  freilich.  Du  nimmst  es  so.  Ich 
hätte  mir's  denken  können. 

ESCHEN  BACHER  sehr  gutmütig.  Bin  dir  wohl  wieder 
nicht  patriotisch  genug,  Schwester?  Wenn  ich  dir 
nun  sagte,  daß  mein  miUtärisch  Gewand  frisch  auf- 
gebügelt ist  und  der  Säbel  blank  geputzt .  .  . 

FRAU  KLAHR.  War'  Ueber  dein  Herz  bei  der 
Sache! 

ESCHEN  BACHER  ernst.  Es  war' schon  dabei,  wenn 
die  Menschen  so  wären,  wie's  die  Sache  verlangt . .  . 

FRAU  KLAHR.     Wie    bist   du    doch   ungerecht, 

6i 


Jakob!  Hast  du  gehört,  daß  sich  der  Georg  Käsmann 
erschossen  hat?  Der  Schuster  vom  tiefen  Graben. 
Weil  ihn  das  Los  traf,  daß  er  hätt'  müssen  daheim 
bleiben ! 

ESCHENBACHER.  Ja,  es  gibt  schon  solche  auch. 
Aber  ob's  eben  die  klarsten  Köpfe  sind  .  .  ?  Und  die 
besten  Schuhmacher  ? 

FRAU  KLÄHR.  Wärst  du  doch  eben  mit  mir  ge- 
wesen! das  Treiben  in  den  Straßen,  Bruder!  und  die 
Begeisterung  überall! 

ESCHEN  BACHER.  Ja,  ich  kenn'  welche,  die  aus 
lauter  Begeisterung  ihre  Arbeit  stehn  und  liegen  lassen 
und  überhaupt  nur  mehr  spazieren  gehn. 

FRAU  KLÄHR.  Jetzt  bin  ich  grad  am  Wirts- 
haus zur  Tabakspfeife  vorüber  gekommen,  da  sitzen 
viele  an  den  offenen  Fenstern  bei  Bier  und  Wein  .  . . 

ESCHENBACHER.    Das  glaub'  ich  dir  aufs  Wort. 

FRAU  KLÄHR.  Hör'  mich  doch  weiter.  Einer 
fing  an  ein  Lied  zu  singen.  Das  schöne  von  Collin. 
Weißt  du,  das  sie  neulich  im  Nationaltheater  gesungen 
haben.    „Habsburgs  Thron  wird  dauernd  stehn." 

ANNA.    „Ostreich  wird  nicht  untergehn." 

FRAU  KLÄHR.  Ja,  das  war  es.  Und  da  sind  ein 
paar  Leute  draußen  stehn  geblieben,  haben  mit- 
gesungen, dann  immer  mehr,  am  Ende  waren's  gewiß 
über  hundert,  die  sangen  alle  mit .  .  .  Man  muß  es 
ja  durch  die  halbe  Stadt  gehört  haben.  Das  war  echt, 
Bruder.  Und  nicht  mir  allein  sind  die  Tränen  ge- 
kommen. 

ESCHEN  BACHER.  Glaub' schon,  daß  es  echt  war. 
Ich  hab'  schon  allerlei  Echtes  erlebt  in  Wien  und  von 
der  verschiedensten  Art.  Erinnerst  du  dich  noch  vor 
vier  Jahren,  wie  die  Franzosen  herangerückt  sind  und 
unser  Kaiser  Wien  verlassen  hat  ?  Wie  sie  sich  damals 
das  Maul  zerrissen  haben,  deine  dynastisch  fühlenden 
Wiener!  Mancher  sprach  nicht  viel  besser  als  ein 
Hochverräter.  Und  dann,  wie  der  Kaiser  zurückkam 
nach  geschlossenem  Frieden,  —  der  Jubel,  die  Illu- 

6a 


mination,  das  Glück!  War  alles  echt.  Das  Getchimpf 
gradso  wie  die  Lichter.  Und  gib  nur  acht.  Kaum 
rücken  die  Franzosen  nahe  heran  .  .  .  stehen  in  St. 
Polten  oder  Wiener  Neustadt,  so  wird's  genau  so  gehen, 
wie's  damals  gegangen  ist.  Bürgermeister  und  Fürst- 
Erzbischof  werden  ihnen  demütigst  entgegen  spa- 
zieren und  ihnen  die  Schlüssel  der  Stadt  übergeben; 
—  und  wenn  sie  hereinmarschieren,  wird's  ein  großes 
Geschau'  und  Getu'  geben,  gradso  wie  damals.  Jung 
und  Alt  —  besonders  die  Jungen;  Herren  und  Damen, 
die  Damen  besonders  —  werden  entzückt  sein  von  den 
tapfern  Fremdlingen ;  —  und  wenn  wir  uns  so  brav  auf- 
führen wie  damals,  kann  uns  auch  wieder  die  gleiche 
hohe  Ehre  werden,  und  wir  empfangen  ein  höchst 
eigenhändiges  Belobigungsschreiben  des  Kaisers  Napo- 
leon. Und  die  guten  Leute  werden  mit  offenen  Mäu- 
lem  an  den  Straßenecken  stehn  und  es  lesen  und  sich 
höchlichst  geschmeichelt  fühlen. 

FRAU  KLAHR.  Wo  steht's  geschrieben,  daß  die 
Franzosen  wiederkommen?  Ich  glaub'  nicht  dran. 
Hat  sich  viel  geändert  seit  vier  Jahren.  Tirol  hat  sich 
frei  gemacht.  Und  in  Deutschland  draußen  soll  sich's 
nun  an  manchen  Orten  regen  —  Auf  eine  Bewegung 
Escbenbacbers.  Sie  müssen  doch  endlich  zur  Besinnung 
kommen  .  .  unsre  Brüder  draußen!  —  Die  gehören 
doch  am  End'  zu  uns  und  nicht  zu  den  Franzosen. 
Und  bei  Ingolstadt  haben  unsre  Truppen  standgehalten. 

ESCHENBACHER.  Gestern  hat's  noch  geheißen, 
es  war  ein  Sieg.  Standgehalten  klingt  schon  beträcht- 
lich bescheidener  .  .  . 

AGATHE  die  indes  gefacht  bat.  Nun  ist  alles  beisammen. 

ESCHENBACHER.  Fehlt  nur  der  Medardus  selber. 

FRAU  KLAHR.  Er  will  sich  wohl  nicht  viel  Zeit 
lassen  zum  Abschied  nehmen.  Seit  heut  früh  hab'  ich 
ihn  nicht  gesehn.  Am  letztenTag!  —  Wir  werden  noch 
froh  sein  müssen,  wenn  er  zur  Nacht  mit  uns  speist. 

ANNA.  Jetzt  wird  Ihnen  wohl  auch  schwer  ums 
Herz,  Frau  Klähr. 

63 


FRAU  KLAHR.  Nicht  eben  leicht,  aber  schwer 
auch  nicht.  Denn  diesmal  glaub'  ich,  ist  ei  auf  dem 
rechten  Weg.  Nun  kann  er  sein  unbändig  Wesen  walten 
lassen,  und  es  ist  doch  nicht  ins  Leere  und  Wüste.  Zu 
Anna.  Indes  steht  Agathe  hei  Escbenbacher.  Und  da  wir  eben 
von  ihm  reden,  Annerl,  ich  an  deiner  Stelle  schlug' 
mir  eine  gewisse  Sache  endgültig  aus  dem  Kopf. 

ANNA.    Welche  denn? 

FRAU  KLAHR  sehr  mild.  Du  weißt  schon,  Annerl. 
Medardus  ist  ja  doch  nicht  der  rechte  Mann  für  dich, 
wenn  er  überhaupt  für  eine  der  rechte  ist.  Und  nun, 
da  er  fortgeht,  solltest  du  dir  gleich  bewußt  werden, 
in  welcher  Art  du  seiner  zu  denken  hast.  Sollst  es 
spüren  und  wissen,  daß  du  keinen  —  Bräutigam  ziehn 
läßt,  sondern  einen  lieben  Spielkameraden  aus  der 
Kinderzeit. 

ANNA.  Verzeihen  Sie,  Frau  Klähr,  aber  das  ist  doch 
wohl  meine  Sache  allein.  Wenn  ich  mich  sehne,  wenn 
ich  warte,  spürt  wohl  kein  andrer  mein  Leid  als  ich. 
Und  noch  eins  will  ich  Ihnen  sagen,  weil  ich  doch 
schon  so  vorlaut  bin.  Grad  für  einen  wie  es  der  Me- 
dardus ist,  trifft  sich's  gut,  daß  eine  da  ist  wie  ich, 
die  sich  geduldet  und  bereit  ist,  ihn  aufzunehmen, 
wann  er  auch  heimkehrt  und  woher  immer. 

FRAU  KLAHR.  Ach  Kind,  du  redest,  wie  man 
in  Büchern  redt.  Das  habt  ihr  wohl  noch  von  eurem 
Komödiespielen,  wo  du  immer  die  edeln  Fräuleins  ge- 
macht hast  und  Medardus  die  kühnen  und  gefähr- 
lichen Rittersleute.  —  Was  ist's  denn,  was  du  da  spiekt, 
Bruder? 

ESCHENBACHER  am  Spinett.  Kommt  mir  just  so 
aus  den  Fingern.   Weiß  selber  nicht  recht,  was  es  ist. 

FRAU  KLAHR.  Die  Melodie,  Bruder,  die  fordert 
ein  andres  Instrument,  da  wünscht  man  sich  Trommeln 
und  Pfeifen  dazu.  Es  möchte  ja  beinahe  ein  kriege- 
rischer Marsch  sein. 

ESCHENBACHER.  Möchte  wohl  und  weiß  es 
•eiber  nicht. 


ANNA.  Wahrhaftig,  Meister  Eschenbacher,  wenn 
ich  die  Augen  schließe,  so  seh'  ich  ein  ganzes  Regiment, 
strahlend  in  Waffen,  der  Erdboden  zittert  und  dröhnt. 

ESCHENBACHER  lachend.  Und  ein  gar  gewaltiger 
Krieger  mit  Namen  Medardus  Klähr  schreitet  voran. 

Medardus  {tritt  ein  in  der  Uniform  eines  Landwebrmannes,  ai  Jakre, 
schön  und  frisch).    Agathe.    Anna.     Escbenbacber.     Frau    Klähr. 

MEDARDUS.    Guten  Abend. 

FRAU  KLÄHR.  Nun,  das  ist  er  endHch.  Wir 
haben  schon  gemeint,  du  seist  ohne  Abschied  fort. 

MEDARDUS.  Mach'  mich  nicht  schlimmer  als  ich 
bin,  Mutter.  Er  nimmt  ihre  Hand  und  küßt  sie.  Grüß'  Gott, 
Oheim !  Annerl,  du  auch  ?  Er  streichelt  ihre  Wange.  Nun, 
Agathe,  wie  geht's  ?  Nimmt  sie  beim  Kopf  und  küßt  sie  auf 
die  Stirn.  Doch  nicht  traurig  am  End'  ?  Leist  zu  ihr. 
Nicht  um  meinetwillen  mein'  ich  natürlich. 

FRAU  KLÄHR.    Schau'  nach  dem  Essen,  Agathe. 

AGATHE  ab,  kommt  sehr  bald  wieder  herein. 

ESCHENBACHER.    Du  siehst  nicht  übel  aus. 

MEDARDUS.  Du  siehst  mich  doch  heute  nicht 
zum  erstenmal  so,  Oheim  ?  Vier  Wochen  schon  steck' 
ich  in  dem  Gewand. 

ESCHENBACHER.  Bist  eben  tüchtig  hinein- 
gewachsen in  der  Zeit. 

MEDARDUS.  Nun,  was  glaubt  ihr,  wer  mich  bis 
ans  Haustor  begleitete  und  mir  in  den  Ohren  lag,  bis 
jetzt  ?  .  .  .  mein  Freund  Bernburg.  Er  bot  mir  weiß 
Gott  was  für  Schätze,  ich  möchte  nur  tauschen  mit 
ihm.  Er  wollte  es  schon  durchsetzen  beim  Obersten 
Steigentesch.  Er  wollte  mitmarschieren  an  meiner 
Statt  und  ich  sollte  daheim  bleiben.  Bei  den  Depots. 
Ich  daheim  — !  Weiß  Gott,  wären  wir  nicht  so  gut 
Freunde,  ich  hätt'  ihn  .  .  . 

FRAU  KLÄHR.  Hast  du  dir's  auch  wohl  überlegt, 
Medardus  ? 

MEDARDUS.    überlegt,  Mutter? 

FRAU  KLÄHR.  Frag'  dich  einmal  noch  aufs  Ge- 
wissen, ob's  dich  ins  Feld  hinaustreibt  mit  aller  Macht  ? 

TheatantUcke.  IV.  $  65 


ESCHENBACHER.  Es  könnte  wohl  auch  in  der 
Stadt  allerlei  zu  tun  geben. 

MEDARDUS.  Ich  danke  bestens,  Oheim.  Für  die 
Bürgermiliz  fühl'  ich  mich  noch  zu  jung. 

ESCHENBACHER.  Wir  haben  grad  so  junge,  wie 
du  einer  bist.  Von  meinen  Gesellen  sind  zwei  bei  den 
bürgerlichen  Scharfschützen. 

MEDARDUS.  Habt  ihr  gehört,  daß  sich  der  Schuster 
Käsmann  erschossen  hat,  weil  ihn  das  Los  traf,  dazu- 
bleiben ? 

ESCHENBACHER.  Ja,  die  Kunde  von  der  Helden- 
tat hat  uns  deine  Mutter  nach  Hause  gebracht. 

MEDARDUS.  Wenn's  auch  keine  Heldentat  war, 
aber  zu  versteh n  vermag  ich's  wohl.  Wer  heute  auf 
dem  Glacis  mit  dabei  war  .  .  . 

ANNA.  Bei  der  Parade,  nicht  wahr?  Es  muß  er- 
haben gewesen  sein.  Der  Vater  hat  davon  erzählt. 
Auch  bei  Sankt  Stephan  war  er,  als  man  drin  die  Fahnen 
weihte.    Aber  in  die  Kirche  kam  er  nicht  hinein. 

ESCHENBACHER.  Und  hat  nicht  getan  wie  der 
Käsmann  ?  und  sich  umgebracht  ? 

MEDARDUS.  Ich  aber  war  in  die  Kirche  hinein- 
kommandiert. Ganz  vorn  bin  ich  gestanden.  Und 
habe  mit  diesen  meinen  Augen  gesehn,  wie  Ihre 
Majestät  Höchstselbst  die  Nägel  einschlug  in  unsre 
Fahnen  und  wie  der  Fürsterzbischof  den  Segen  sprach 
über  sie.  Wenn  ich  jemals  etwas  wie  Andacht  gefühlt, 
in  dieser  Stunde  ist's  gewesen,  Oheim.  Und  wie  wir  dann 
zurück  sind  aufs  Glacis  unter  kriegerischer  Musik,  und 
der  Kaiser  war  dort  und  der  ganze  Hof  und  die  Erz- 
herzöge alle  und  wir  geschworen  haben  zu  unsem  ge- 
weihten Fahnen,  —  da  hab'  ich  noch  einen  besondern 
Schwur .  getan,  Mutter,  tief  in  mir,  einen  ganz  be- 
sondern —  im  Andenken  an  unsem  Vater,  den  ich  zu 
rächen  habe. 

FRAU  KLÄHR.    Medardus! 

ESCHENBACHER.  Alles  sehr  gut  und  brav,  aber 
es   wird   mancher  unter   euch  gewesen   sein,   der  zu 

66 


solchem    Eitraschwur    Anlaß    hatte,    und    vielleicht 
bessern  als  du. 

FRAU  KLAHR.    Einen  bessern,  Jakob? 

MEDARDUS.  Warum  einen  bessern,  Oheim  ?  Weil 
mein  Vater  nicht  vor  dem  Feind  gefallen  ist?  Das 
macht  die  Sache  nur  schlimmer. 

FRAU  KLAHR.  Medardus  hat  recht.  Beim  Him- 
mel, ichhätt'es  eher  verschmerzt,  wenn  meinem  armen 
Thomas  ein  ehrlicher  Soldatentod  war'  beschieden 
gewesen  draußen  im  Feld.  Aber  aufs  Glacis  beordert 
werden,  mit  der  ganzen  Bürgergarde  —  du  warst 
ja  dabei,  Bruder,  und  hast  dir's  auch  gefallen  lassen  — 
um  den  Kaiser  Napoleon  zu  erwarten  und  vor  ihm 
zu  paradieren,  —  vergebHch  warten,  wie  Lakaien,  und 
dastehn  im  Schneesturm  von  sieben  abends  bis  Mitter- 
nacht, dann  nach  Hause  geschickt  werden  und  sich 
hinlegen  und  an  einem  Fieber  sterben  nach  drei 
Tagen,  —  das  ist  ein  erbärmlicher  und  dummer 
Tod. 

ESCHENBACHER.  Nur  die  Frage,  ob  es  irgend 
einen  klugen  Tod  gibt,  solang  man  noch  was  Ge- 
scheites zu  tun  hätt'  auf  der  Welt  oder  auch  nur  sich 
seines  Lebens  zu  freun. 

Das  Dienstmädchen  bringt  das  Essen. 

AGATHE.    So,  das  Essen  war'  da. 

FRAU  KLAHR.  Setz'  dich  zu  uns,  Bruder,  und 
mach'  kein  Gesicht,  als  wolltest  du  unser  spotten.  Du 
verstehst  es  ja  doch. 

MEDARDUS.  Ist  mein  Tornister  gepackt  und  der 
Koffer  ? 

AGATHE.    Alles  in  Ordnung. 

FRAU  KLAHR.   Du  bist  wohlversorgt,  Medardus. 

MEDARDUS.  Ich  glaub's,  Mutter.  Nimmt  ihre  Hand 
und  küßt  sie. 

Sie  sitzen  alle  um  den  Tisch. 

ESCHENBACHER.  Ja,  daß  ich  nicht  vergesse. 
Auch  ich  habe  mir  erlaubt,  dir  für  die  Reise  etwas 
mitzubringen.    Hier  ein  Päckchen  Tabak.    Es  ist  eine 

5«  67 


^te  Sorte.  Du  wirst  in  Paris  keinen  bessern  zu  rauchen 
kriegen. 

MEDARDUS.  Ich  dank'  dir,  Oheim.  Wo  nur  der 
Etzelt  bleibt  ?  Ich  sprach  mit  ihm  im  Laden  unten. 
Er  wollte  bald  zusperren  und  heraufkommen. 

ESCHENBACHER.  Ihr  müßtet  wohl  kaum  auf- 
schließen jeden  Morgen.  Ich  denke,  den  Leuten  steht 
jetzt  nicht  der  Sinn  darnach,  Bücher  zu  kaufen. 

FRAU  KLÄHR.  Du  irrst,  Bruder.  Französische 
Sprachlehren,  Landkarten,  Geschichtsbücher,  darnach 
ist  viel  Nachfrage.  Und  der  Etzelt  führt  das  Geschäft 
so  tüchtig  und  brav.  < 

ESCHENBACHER.  Ich  denke  mir  manchmal,' er 
sei  etwas  zu  tiefsinnig  und  philosophisch  angelegt  für 
einen  Handelsmann,  und  wär's  auch  für  einen  mit 
Büchern. 

MEDARDUS.  Du  solltest  dich  nicht  lustig  machen, 
Oheim.  Ich  kenne  jemanden,  der  Riemen  schneidet 
und  Sattelzeug  verfertigt  und  dabei  Kriegsmärsche 
spielt  auf  dem  Spinett.  Und  ich  bin  recht  froh,  daß 
der  Karl  hier  bleibt  bei  euch,  auf  den  könnt  ihr  euch 
verlassen  in  jedem  Fall. 

ESCHENBACHER.  Und  daß  er  in  jemanden  hier 
im  Hause  verschossen  ist,  mag  auch  so  übel  nicht  sein. 
Es  ist  immer  ganz  gut,  wenn  die  natürUche  Verläß- 
lichkeit eines  Menschen  durch  besondere  Umstände 
von  Sympathie  ihre  Kräftigung  findet. 

MEDARDUS.    Es  wird  spät. 

ESCHEN  BACHER.  Marschiert  denn  euer  Bataillon 
schon  heute  abend  ab  ? 

MEDARDUS.  Nein,  aber  es  sind  ein  paar,  die  sich 
nicht  wollen  schlafen  legen,  da  der  Befehl  lautet, 
morgen  früh  um  drei  an  der  Nußdorferbrücke  an- 
zutreten. 

ESCHENBACHER.  Klug  scheint  mir  das  eben 
nicht. 

MEDARDUS.  Nun,  morgen  kommen  wir  wohl 
noch  nicht  vor  den  Feind. 


68 


ESCHEN  BACHER.  Morgen  nicht,  aber  früher 
als  ihr  denkt. 

MEDARDUS.  Geb's  Gott!  Es  läßt  sich  ja  alles 
gut  an.  Das  Treffen  in  Bayern  ging  glücklich  aus,  und 
die  halbe  französische  Armee  schlägt  sich  noch  in 
Spanien  herum,  wo  es  ihr  nicht  zum  besten  gehn  soll. 

ESCHENBACHER.  Wird  nicht  so  schlimm  sein, 
da  Napoleon  schon  auf  dem  Wege  nach  Deutschland 
ist. 

MEDARDUS.    Ist  das  wahr? 

ESCHENBACHER.  Wahrer  jedenfalls  als  der  Sieg 
von  Ingolstadt,  an  dem  einige  Zweifel  gestattet  sein 
mögen. 

MEDARDUS.  Nun,  ich  werde  ja  bald  aUes  aus 
erster  Quelle  erfahren.  Aber  nun  ist's  wirklich  an  der 
Zeit.  Ich  will  mir  Etzelt  im  Vorbeigehn  aus  dem 
Laden  holen  und  mitnehmen  zu  dem  Abschiedsfest. 
Zur  Mutter.  Rabenau  ist  dabei  und  Leibolt.  Und  unser 
Leutnant  Kribbling  auch  und  noch  manche  andre.  — 
Doch,  Agathe,  mit  dir,  die  mir  gar  zu  schweigsam  ist, 
möcht'  ich  gern  noch  ein  brüderliches  Wort  reden. 

AGATHE.    Medardus  ?     Mit  ihm  nach  vorn. 

MEDARDUS.  Sieh,  Agathe,  du  bist  ja  zu  gut,  dich 
zu  grämen,  um  irgendeinen.  So  müßtest  du  denken: 
Bin  ich  ihnen  zu  gering,  so  sind  sie  meiner  noch  weniger 
wert.  Und  Frangois  selber  auch  nicht,  da  er  doch  zu 
ihnen  gehört. 

AGATHE.  Du  darfst  ihn  schon  Franz  nennen,  wie 
du's  früher  getan.  Du  weißt,  wenn's  nach  seinem 
Willen  ginge  .  .  . 

MEDARDUS.  Hätt'  er  einen  und  war'  zugleich  ein 
ehrlicher  Mann  .  .  . 

AGATHE.    Zweifelst  du  an  ihm? 

MEDARDUS.  Ich  weiß  nicht,  Agathe.  Er  ist  ein 
Franzos',  und  wenn  er  auch  von  Kind  auf  in  deutschen 
Landen  lebt.  Und  sein  Blut  ist  adelig,  wenn  er  sich 
auch  von  Rechts  wegen  nicht  einen  Prinzen  heißen 
dürfte. 


AGATHE.  Hat  dich  doch  alles  manche  Zeitlang 
nicht  gekümmert.    Du  hast  ihn  gern  gehabt. 

MEDARDUS.  Vielleicht  ist's  darum,  daß  ich  solche 
Angst  um  dich  hab',  weil  er  einer  ist,  den  man  gern 
haben  muß  .  .  . 

AGATHE.    Angst? 

MEDARDUS.  Agathe,  kannst  du  mir  dein  Wort 
geben  — 

AGATHE.    Was  willst  du  wissen? 

MEDARDUS.  Daß  du  ihn  nicht  wiedergesehen 
hast,  seit  ihm  das  Haus  verboten  ist  ? 

AGATHE  schweigt. 

MEDARDUS.  Ich  dacht' es!  Agathe,  Agathe!  — 
So  schwör  mir,  daß  du  ihn  nicht  wiedersehen  wirst! 

AGATHE.   Auch  wenn  er  als  Werber  käme  ? 

MEDARDUS.    Es  wird  nie  sein. 

AGATHE.    Du  kannst  es  nicht  wissen. 

MEDARDUS.  Wirf  dich  nicht  weg,  Agathe  —  wirf 
dich  nicht  weg! 

AGATHE.  Hab'  keine  Angst,  Medardus !  Das  kann 
ich  dir  schwören:  Nie,  nie  bring'  ich  Schande  über 
euch  —  und  mich. 

MEDARDUS.  Beim  Andenken  unsres  Vaters  schwör 
mir  das! 

AGATHE.  Ich  schwör'  es  dir  bei  unsers  Vaters 
Grab. 

Berger  und  seine  Frau  kommen.    {Er  bebend,  heiter,    oberflächlich^ 

ti*  etwas  gedrückt   im   Wesen,   manchmal  bis   zum    weinerlichen.) 

Agathe.    Anna.    Eschenbacher.    Frau  Klähr.    Medardus. 

BERGER.  Guten  Abend,  liebe  Frau  Klähr.  Oh, 
der  Meister  Eschenbacher!  Also  wir  wollten  auch 
noch  so  frei  sein,  dem  jungen  Krieger  Lebewohl  zu 
sagen.    Na,  schon  reisefertig  und  kampfbereit? 

MEDARDUS.    So  leidlich,  Herr  Berger. 

BERGER.  Und  außerdem  haben  wir  uns  noch  er- 
laubt, für  die  Beschwerden  des  Marsches  und  die 
Strapazen  des  Felddienstes  eine  Kleinigkeit  beizu- 
steuern. Hier.  Es  ist  ein  vortrefflicher  Kräuterschnaps. 


70 


überreicht  ihm  die  Flasche.  Und  hier,  Mutter  gib  her, 
eben  frisch  angekommen,  die  beste  italienische  Salami. 
Herr  Wachshuber  hat  sie  uns  persönlich  wärmstens 
anempfohlen.  Hält  sich  wochenlang.  Er  läßt  übrigens 
alles  mögliche  Gute  wünschen,  der  Herr  Wachs- 
huber  .  .  . 

ESCHENBJCHER.  Der  Wachshuber?  Was,  Me- 
dardus,  bei  so  einer  Gelegenheit  merkt  man  erst,  wo 
man  überall  Freunde  hat. 

MEDARDUS.  Danke,  danke  bestens.  Wie  ich  das 
noch  unterbringen  soll,  weiß  ich  wahrhaftig  nicht. 

FRAU  BERGER.    Wird  schon  gehen. 

FRAU  KLÄHR.  VieUeicht  was  gefällig?  Ein  Glas 
Wein,  Herr  Berger? 

BERGER.    Da  sag'  ich  nicht  nein. 

AGATHE  schenkt  ihm  und  seiner  Frau  Wein  ein. 

BERGER.  Ein  Gedräng'  ist  auf  den  Straßen.  Mit 
Müh'  und  Not,  daß  wir  uns  durchgewunden  haben. 
Was,  Mutter  ?  Vor  einer  Stund'  sind  die  Gottesheim- 
dragoner  eingeritten  beim  Neutor.  Um  neun  geht's 
wieder  heraus  —  durchs  Kärtnertor.  Die  Offiziere 
machen  Rast  in  der  Stadt  Frankfurt. 

ESCHENBACHER.  Darf  man  fragen,  was  sie  dort 
zum  Nachtmahl  kriegen? 

BERGER  auf  den  Scherz  eingebend.  Ja,  alles  kann  man 
nicht  wissen,  Meister  Eschenbacher,  haha  .  .  .  Na, 
es  wird  ja  ernst.  In  ein  paar  Tagen  ist  überhaupt 
das  ganze  Mihtär  aus  der  Stadt  fort.  Und  die  Bürger- 
schaft übernimmt  die  Wachposten. 

ESCHENBACHER.  Haben  Sie  sich  vielleicht  auch 
gemeldet  auf  den  neuesten  Aufruf? 

BERGER.  Ich?  Nein.  Ich  kann  mein  Geschäft 
nicht  im  Stich  lassen.  Zum  Umeinandstehn  und  zur 
Soldatenspielerei  bin  ich  nicht  zu  haben. 

FRAU  KLÄHR.  Es  wird  vielleicht  keine  Spielerei 
sein. 

BERGER.  Dann  wird  das  Vaterland  auch  auf  mich 
zählen  können.   Wenn  die  Franzosen  wirklich  vor  den 


71 


Toren  stehn,  wird  der  Johann  Nepomuk  Berger  wissen, 
was  er  zu  tun  hat. 

MEDARDUS.  Na,  hoffentlich  tritt  diese  äußerste 
Notwendigkeit  nicht  an  Sie  heran. 

BERGER.  Möcht'  ich  nicht  so  strikt  behaupten, 
junger  Held.  Jedenfalls  ist  heute  der  Bürgermeister 
und  einige  Herren  vom  Magistrat  zum  General- 
kommando beschieden,  woselbst  über  die  Verteidigungs- 
anstalten beraten  wird. 

ESCHENBACHER.    Woher  wissen  Sie  denn  das? 

BERGER.  Diplomatische  Beziehungen,  Meister 
Eschenbacher,  haha,  ich  weiß  noch  vielmehr.  Morgen 
früh  werden  Sie  schon  lesen.  Neuester  Bericht  von 
der  Armee. 

FRAU  KLAHR.    Was  denn? 

ESCHENBACHER.    Ingolstadt  war  kein  Sieg? 

BERGER.  Sie  wissen  schon  ?  Das  heißt,  das  wissen 
schon  recht  viele.  Aber  auch  bei  Eckmühl  war  ein 
kleines  Gefecht,  das  ist  gleichfalls  nicht  glücklich  aus- 
gefallen, leider,  leider.  Ja,  Medardus,  wir  werden  viel 
gut  zu  machen  haben. 

FRAU  KLÄHR.  Lustig  ist  das  ja  im  Grunde  nicht. 

Währtnd  dieser  Szene  sind  Herr  ßerger,  Frau  Berger  und  Escben- 
bacber  am  Tisch  gesessen.  Agathe  sah  xuweilen  zum  Fenster  bin 
und  bat  das  Mitgebrachte  von  Berger  in  den   Tornister  gesteckt. 

Anna  und  Medardus  standen  links. 

Franfois,  Prinz  von  Falois,  tritt  ein.  {Zwanzig  Jahre,  sehr  biibscb^ 

elegant,  Degen  und  Schnallenschuhe.)   Agathe.   Anna.   Eschenbacber. 

Frau  Kläbr.    Medardus.    Herr  Berger.    Frau  Berger, 

FRANQOIS.    Guten  Abend.    Guten  Abend. 
BERGER  XU  seiner  Frau.   Ah,  der  Prinz. 

Alle  scheinen  erstaunt. 
AGATHE  regungslos,  itarrt  ihm  ins  Aug$. 
MEDARDUS  gebt  ihm  zwei  Schritte  entgegen. 

FRAU  KLAHR.    Sie? 

MEDARDUS.  Wir  sind  erstaunt,  Sie  wieder  zu 
sehn! 

FRANZ.  sehr  heiter,  weiter  ins  Zimmer  tretend.    Und  mich 


7» 


freut  nichts  mehr,  Medardus,  als  daß  ich  eben  noch 
zurecht  komme,  Ihnen  die  Hand  zum  Abschied  zu 
drücken.    Medardus,  mein  Bruder!    Er  streckt  ihm  die 

Hand  entgegen. 

MEDARDUS  nimmt  sie  zögernd.  Versteh'  ich  Sie  recht  ? 

FRANZ.  Sollte  es  so  schwer  sein  ?  Frau  Klähr,  er- 
lauben Sie  mir,  Ihnen  die  Hand  zu  küssen,  der  Mutter 
meiner  Agathe.  Er  küßt  ihre  Hand.  Dann  zu  Agathe,  die  noch 
immer  starr  dasteht.  Agathe,  meine  Agathe.  Er  siebt  ihr  lang 
ins  Auge,  dann  nimmt  er  ihre  beiden  Hände  und  küßt  sie. 

Die  übrigen  noch  etwas  betreten,  befremdet  und  bedenklieb.    Eine 
Pause  tritt  ein. 

FRANZ.  Nun,  Meister  Eschenbacher,  werden  Sie 
uns  auf  dem  Spinett  zum  Tanz  aufspielen  bei  der 
Hochzeit  ?  Und  darf  ich  Sie,  Fräulein  Anna,  um  einen 
Walzer  bitten  ?  Wir  warten  gerne  so  lange,  bis  Me- 
dardus den  verfluchten  Napoleon  aufs  Haupt  ge- 
schlagen hat  und  wieder  bei  uns  weilt.  Freilich 
darf  es  nicht  zu  lange  dauern. 

MEDARDUS.    Sie  sind  so  lustig,  Prinz. 

FRANZ.  Fran^ois,  wenn  ich  bitten  darf,  oder  noch 
lieber:  Franz.    Ist  das  zuviel  verlangt? 

FRAU  KLÄHR.    Sie  kommen  allein,  —  Franz? 

FRANZ.  Verzeihen  Sie,  Frau  Klähr.  Wie  hätt'  ich 
es  bis  morgen  aufschieben  können,  Ihnen  die  glück- 
selige Nachricht  zu  überbringen.  Mein  Vater  und 
meine  Mutter  werden  morgen  zur  Mittagszeit  ihre 
Aufwartung  machen.  Sie  wären  schon  heute  mit  mir 
gekommen,  wenn  nicht  ein  Vetter  unsres  Hauses  zur 
großen  Überraschung  erschienen  wäre,  geradenwegs  aus 
Rußland.  Der  Marquis  —  nein,  er  hätte  ja  so  wenig 
das  Recht,  sich  Marquis  zu  nennen,  als  ich  Prinz  — 
unser  Vetter  Bertrand  von  Valois.  Und  Nachrichten, 
die  aus  Paris  und  vom  bayrischen  Kriegsschauplatz 
eintrafen,  bestimmten  meinen  Vater,  eine  Beratung 
abzuhalten  mit  unsern  wenigen  Freunden,  die  in 
dieser  Stunde  stattfindet.  Er  hält  ja  solche  Beratungen 
für  unerläßhch,  mein  armer,  unglücklicher  Vater. 


73 


ESCHENBACHER.  Setzt  er  nicht  große  Hoff- 
nungen auf  Sie? 

FRANZ.  Ja,  das  tut  er.  Und  es  ist  nicht  meine 
Sache,  ihn  aus  dem  schönen  Traum  aufzustören,  der 
in  seine  dunkeln  Tage  leuchtet. 

FRAU  KLAHR.  Und  Ihr  Herr  Vater  hat  ein- 
gewilligt, daß  Sie  die  Bürgerstochter  Agathe  Klähr 
zum  Weibe  nehmen  ? 

FRANZ.  Er  hat  vielleicht  eingesehn,  daß  es  auch 
seine  ungeheuersten  Pläne  besser  fördert,  einen  Sohn 
zu  haben,  der  ein  Bürgermädchen  freit,  —  als 
keinen. 

MEDARDUS.  Hier  meine  Hand,  Franzi  Wir 
wollen  gute  Freunde  sein,  wenn  ich  wiederkomme. 

Karl  Etzelt  tritt  auf  {kleiner,  blasser  Mensch,  die  eine  Schulter  etwas 

höher,  hinkend,  mit  großen  blauen  Augen,  glatt  gestrichenem  Haar. 

hoher  Stirn).    Die  Vorigen. 

MEDARDUS.    Bist  du  endlich  da? 

ETZELT.  Ich  habe  mich  ein  wenig  verspätet.  Siebt 
mit  einigem  Erstaunen  die  Gruppierung  der  Gesellschaft. 

MEDARDUS.  Und  jetzt  kommst  du  eben  zurecht 
—  was  denkst  du,  wozu  ? 

ETZELT  beherrscht.  Mir  ist,  als  war'  es  nicht  schwer 
zu  raten.  Ich  beglückwünsche  Sie  von  Herzen,  Fräu- 
lein Agathe, 

AGATHE.  Ich  nehm'  es  von  wenigen  lieber  an  als 
von   Ihnen.    Reicht  ihm  die  Hand. 

ETZELT  reicht  auch  Frau  Klähr  und  Frangois  die  Hand, 
begrüßt  die  übrigen. 

MEDARDUS.  Nun  aber,  Etzelt,  mußt  du  dich  ent- 
scheiden, ob  du  hier  bleiben  willst,  oder  mich  wenig- 
stens ein  Stück  Weges  begleiten. 

ETZELT.  Gewiß  begleit'  ich  dich,  wenn  du  nichts 
dagegen  hast.  Am  hebsten,  wenn  es  ginge,  bis  zu 
deiner  ersten  Heldentat. 

ESCHENBACHER.  Das  ist  einer,  der  an  dich 
glaubt,  Medardus. 

ETZELT.      Ja,  Meister  Eschenbacher,  das  tu'  ich 


74 


Der  da  ist  nicht  verdorben  durch  Zweifel  und  Zagen 
wie  andre,  die  wir  kennen. 

ESCHENBACHER.  Zweifel  und  Zagen,  lieber 
Etzelt,  sind  der  Klugheit  ehrliche  Kinder.  Nur  meist 
verleugnet,  wenn  vornehmer  Besuch  kommt  .  .  . 

MEDARDUS.  Lebt  wohl,  alle,  lebt  wohl.  Euch 
alle,  die  ich  lieb  habe,  trag'  ich  meinem  letzten  Blick 
davon.  Und  ihr  mögt  wissen,  —  wenn  es  anders 
kommen  sollte,  als  wir  wünschen,  —  Mutter,  Agathe, 
Franz,  euch  alle,  von  denen  ich  nun  Abschied  nehme, 
in  jenem  Augenblick  würd'  ich  euch  wiedersehn.  Lebt 
wohl,  lebt  wohl.    Ich  wende  mich  nicht  mehr  um. 

Er  gebt,  Etzelt  folgt  ihm. 

ANNA.    Bis  zum  Haustor  will  ich  doch  mit  —  Ab. 

BERGER.  Komm,  Mutter,  wir  woUen  lieber  mit- 
gehn,  sonst  steigt  das  Annerl  am  Ende  zu  ilmi  in  den 
Wagen  und  geht  als  Marketenderin  mit  in  den  Krieg. 
Adio,  auf  Wiedersehn.   Mit  seiner  Frau  ab. 

FRAU  KLÄHR  und  ESCHENBACHER  zum  Fensur 

bin,  das  Frau  KJäbr  öffnet. 

AGATHE  fragend,  flehend.    Franz,  Franz  .  .  . 

FRANZ.  Einen  AugenbHck  noch,  daß  sie  nichts 
merken.    Zum  Fenster  bin.   Leben  Sie  wohl,  Medardus. 

MEDARDUS'  Stimme.  Adio,  Adio. 

FRAU  KLÄHR.  Medardus!  —  Er  sieht  nicht  mehr 
herauf. 

FRANZ  wieder  zurück. 

AGATHE  die  ihn  regungslos  envarut  bat.    Nun  ? 

FRANZ.    Es  ist  aus. 

AGATHE.  So  hab'  ich  deinen  BUck  recht  verstanden  ? 

FRANZ.  Ohne  Hoffnung  aus.  Von  allem,  was  ich 
erzählt,  ist  nur  das  eine  wahr,  daß  der  Marquis  ge- 
kommen ist,  doch  sind  es  schon  drei  Tage  her.  Und 
er  kam  um  meiner  Schwester  willen.  Auch  mit  der  Be- 
ratung hat  es  seine  Richtigkeit.  Alles  übrige  hab'  ich 
gelogen. 

AGATHE  die  sieb  auf  eitun  Stuhl  am  Tisch  bat  sinken  lassen. 
Was  ist  geschehen? 


75 


FRANZ.  Der  Vater  war  unerbittlich,  meine  Mutter 
ist  ohne  jede  Macht,  meine  Schwester  hat  nur  Hohn 
für  mich.  Frage  nicht  weiter.  Die  Stunde,  aus  der  ich 
eben  komme,  muß  vergessen  sein,  für  die,  in  die  wir 
gehen.    Bist  du  bereit,  Agathe  ? 

AGATHE.  Hier  hab'  ich  eben  meinem  Bruder  ge- 
schworen, daß  ich  niemals  Schande  über  unser 
Haus  bringen  werde.  Und  mir  selber  schwur  ich  es 
längst.    Ich  bin  bereit,  mein  Geliebter! 

FRAU  KLÄHR  noch  am  Fenster^  wirft  einen  Blick  bin  zu 
den  beiden. 

ESCHENBACHER  deuut  durch  ein*  Bewegung  an,  man 
solle  iie  nicht  stören. 

AGATHE.  Mach*  ein  lustiges  Gesicht,  ein  glück- 
liches, küss'  mir  die  Hand.  So  ist's  gut.  —  Und  nun  will 
ich  dich  noch  eins  fragen,  mein  Franz,  mein  Geliebter. 
Bedenk'  es  wohl:  möchtest  du  nicht  doch  Ueber  deinem 
Vater  gehorsam  sein  ? 

FRANZ.   Agathe! 

AGATHE.  Bedenk'  es,  Franz!  Frag'  dich  noch  ein- 
mal, ob  es  dir  nicht  doch  gelingen  könnte,  das  kindische 
Ding  zu  vergessen,  das  dein  war  mit  Leib  und  Seele. 
Ich  nahm'  es  dir  nicht  übel,  Franz,  mein  Leben  ist 
ja  doch  verwirkt,  —  aber  warum  deins  ? 

Sie  sitzen  ganz  nahe,  die  Hände  ineinander  verschlungen, 

FRANZ.  Das  soll  dir  gleich  vergolten  werden,  daß 
du  so  fragst;  und  besser,  als  du  verdienst.  Denn  du 
hast  Torheit  geredet,  Agathe;  ich  aber  will  klug  sein 
und  dir  den  sichern  Ausweg  zeigen  aus  aller  Wirrnis. 

AGATHE.    Ich  seh'  ihn,  mein  Geliebter. 

FRANZ.  Hör'  mich  nur  an,  Agathe.  Ich  weiß  einen, 
bei  dem  du  Rettung  fändest  und  Verstehn.  Und  viel- 
leicht mehr  als  das!  —  Den  braven  Jungen  mein'  ich, 
der  eben  mit  deinem  Bruder  wegging. 

AGATHE.    Etzelt? 

FRANZ.  Ja,  Etzelt.  Sein  Blick  eben  — !  Der  ist 
dir  gut.  Überleg'  es,  Agathe.  Du  dürftest  leben  .  .  . 
Du  dürftest  am  Ende  sogar  glücklich  sein  ...  Er  zöge, 

76 


ja  er  zöge  dein,  unser  Kind  auf  —  als  war'  es  sein 
eigenes. 

AGATHE.  Franz,  Franz  .  .  . !  Daß  wir  diese  heilig- 
hohe  Stunde  mit  so  kläglichen  Worten  entweihn.  Laß 
uns  jetzt  keiner  andern  Menschen  mehr  denken.  Jetzt 
gibt  es  nur  mehr  zwei  auf  der  Welt,  dich  und 
mich. 

FRANZ.  Agathe,  nur  mehr  wir  beide  auf  der  Welt. 

AGATHE.  Laß  uns  denken,  Franz,  wie  glückselig 
wir  waren. 

FRANZ.    Gewiß  waren  noch  niemals  Menschen  so 
sehg  wie  wir.   Und  wie  selig  sind  wir,  da  uns  auch  der 
Tod  nicht  trennen  wird,  nur  neu  vereinigen  .  . . 
Sie  schauen  einander  beseligt  an. 

FRANZ.  Erinnerst  du  dich  noch.  Liebste,  der 
stillen  Auen,  nah  am  Fluß,  wo  wir  zum  erstenmal  ge- 
wußt haben,  daß  wir  für  einander  geschaffen  sind  —  daß 
keins  leben  kann  ohne  das  andre  ? 

AGATHE.    Ob  ich  mich  erinnere  —  r 

FRANZ.  Dort  wollen  wir  es  auch  zum  letzten  Male 
wissen.  Und  dann  .  .  .  Agathe,  —  dann  .  .  .  uns  tragen 
lassen  und  uns  sinken  lassen  —  tief,  tief. 

AGATHE  schauert.    Weit,  weit  .  .  . 

FRANZ.  Es  wird  ein  wunderschöner  Spaziergang 
sein.  Denke  doch,  die  dunkeln  Straßen  zuerst,  dann 
die  lange  stille  Alle,  wo  wir  keiner  Menschenseele  be- 
gegnen werden  und  dann  die  geheimnisvolle  Au  .  . . 

FRAU  KLÄHR.  Was  reitet  dort  für  ein  Regiment 
übers  Glacis  ? 

ESCHENBACHER.  Das  sind  wohl  die  Gottes- 
heimer,  die  in  der  Stadt  Frankfurt  zur  Nacht  gegessen 
haben. 

Man  hört  Trommeln  und  Pfeifen. 

FRAU  KLAHR.  Weiß  Gott,  wie  es  kommt.  Alles 
wird  mir  zur  guten  Vorbedeutung.  Der  schöne  Früh- 
lingsabend, der  Klang  der  Trommeln  und  Pfeifen  — 
Ich  bin  guten  Muts  für  Medardus  und  für  Agathe  .  .  . 
und  für  unser  Land.  Ja,  mir  ist  wahrHch,  als  wären  die 


77 


Tage  der  Vergeltung  nahe.  Ach,  daß  du  so  starr  bleibst, 
wenn  ich  davon  rede,  Bruder. 

ESCHENBACHER.  Das  Große  zu  hassen  ist  mir 
nun  einmal  nicht  gegeben,  auch  wenn  ich  verspüre, 
daß  es  mich  vernichten  kann.  Und  die  Kleinen  zu 
lieben,  will  mir  nicht  gelingen,  auch  wenn  mein  Ge- 
schick mit  dem  ihren  verbunden  is 

FRANZ.    Es  ist  Zeit. 

AGATHE  schauert,  dann  erbebt  sie  sieb  flötzlicb.  Laut.  So 
mild  ist  die  Luft.  Gern  möcht'  ich  noch  ein  Weilchen 
ins  Freie.  Wie  denkst  du,  Mutter,  —  oben  auf  der 
Bastei  noch  ein  Stündchen  spazieren  gehn? 

FRANZ.    Wie  das  schön  wäre! 

FRAU  KLÄHR.  Ich  bin  müde.  Und  beinah  möcht' 
ich  vermuten,  daß  euch  an  meiner  Begleitung  nicht 
sonderlich  viel  dürfte  gelegen  sein. 

AGATHE  als  machte  sie  einen  Scher».  Aber  allein  dürfen 
wir  doch  wohl  nicht  .  .  . 

FRAU  KLÄHR.  Nun,  geht  nur,  geht.  Aber  nicht 
länger  als  ein  halbes  Stündchen. 

AGATHE.  Ja,  wir  wollen  drüben  auf  und  ab  spa- 
zieren, auf  der  Bastei.  Einen  Augenblick,  Franz,  ich 
\vill  nur  mein  Tüchel  holen.   Ab  links. 

FRANZ.  Ach  Mutter,  wie  soll  ich  Ihnen  danken 
für  das  Engelskind! 

AGATHE  mit  Umbängtucb  aus  ihrem  Zimmer^  bleibt  an  der 
Türe  stehen. 

FRANZ.  Ah,  da  ist  sie  ja  schon.  Rasch  «u  ihr  bin.  Gib 
acht,  daß  sie  ja  nichts  merken. 

AGATHE  leise.  Sei  ganz  ruhig.  Ah,  Mutter,  ver- 
zeih, —  aber  ich  kann  nicht  anders.  Fällt  ihr  um  den  Hah 
und  küßt  sie. 

FRAU  KLÄHR.    Kind  .  .  . 

FRANZ.  Auf  Wiedersehen,  Mutter.  Auf  Wieder- 
sehen, Meister  Eschenbacher.  In  einem  Stündchen 
allerspätestens  sind  wir  wieder  da. 

Franz  und  Agathe  ab. 
Drüben  wieder  Trommeln  und  Pfeifen. 

78 


ESCHENBACHER.  Mir  ist  wahrhaftig,  als  war' 
es  hohe  Zeit,  daß  die  beiden  in  Ehren  sich  verbinden! 

FRAU  KLÄHR.  Glaubst  du  dran,  daß  morgen 
seine  Eltern  kommen  werden  ? 

ESCHENBACHER.  Wie  ein  Lügner  sieht  er  eben 
nicht  aus  .  .  .  Doch  ich  an  deiner  Stelle  würde  auf  der 
Bedingung  nicht  bestehen  .  .  .  Am  Ende  könnte  man 
auch  ohne  ihre  Zustimmung  —  ja  gegen  sie  — 

FRAU  KLÄHR.  Du  bleibst  doch  immer  der  Alte  .  . 

ESCHENBACHER.  Da  treten  sie  aus  dem  Tor. 
Wahrlich,  wie  Kinder  sehn  sie  aus. 

FRAU  KLÄHR.    So  jung,  so  jung!    Zu  jung. 

ESCHENBACHER.  Wie  schön  ist  das.  So  schweben 
nur  Zwanzigjährige  dahin. 

FRAU  KLÄHR.    Wie  das  duftet  von  drüben. 

ESCHENBACHER.  Ja,  und  dabei  ist's  kaum  noch 
grün.  Die  Säfte  quellen.  Was  für  eine  wunderbare 
Zeit  könnt'  es  werden. 

FRAU  KLÄHR.    Wird  .  .  .  Bruder,  wird! 

ESCHENBACHER.    Hoffen  wir. 

FRAU  KLÄHR.  Da  spazieren  sie  über  die  Stufen 
zur  Bastei  hinauf.   Sie  toinkt  hinab. 

ESCHENBACHER.    Wie  zu  einem  Fest. 

FRAU  KLÄHR.    So  jung,  so  jung. 


Zweite  Szene 

Kleines  Wirtshaus  in  den  Donauauen.  Im  Hintergrund  eine  Türe, 
rechts  und  links  von  der  Türe  je  ein  Fenster.  —  Rechte  Wand  eine 
zweite  Türe.  Ein  längerer  Tisch  in  der  Mitte,  kleinere  Tische  ver- 
teilt. —  Hängende  Lampen.  —  Draußen  Wiesen,  weiterhin  Weiden. 
Nacht.  An  den  Tischen  Kribbling  {Leutnant),  Winter,  Leibolt, 
Schellbacber,  Rabenau,  Flank,  Baumann  und  etwa  sechs  andere 
Landwebrleute»  Elisabeth  bei  Winter.  —  Marie  bei  Baumann.  — 
Roserl  bei  Leibolt.  Der  Wirt  geht  hin  und  her.  —  Erhöhte  Stimmung. 

PLANK  stößt  mit  verschiedenenan.  Dein  Wohl,  Rabenau, 
deins,  KribbHng.  Ihr  sollt  leben.  Ihr  sollt  alle  leben. 
An  dem  Tisch  da  sitzen  wir  doch  nie  wieder  alle  bei- 


79 


sammen.   Ihr  sollt  leben  —  so  lang  als  möglich.   Und 
sterben,  so  vergnügt  als  möglich! 

LEIBOLT  sehr  frisch  und  lustig.  Haha,  habt  ihr  schon 
die  Neuigkeit  gehört  .  .  .  Ein  Zeitungsblatt  in  der  Hand,  das 
ihm  eben  ein  anderer  gegeben.  Der  österreichische  Adel  hat 
seine  alten  Kanonen  von  den  Schlössern  kommen  lassen 
und  sie  unserem  Kaiser  geschenkt  ...  das  Blatt  sinken 
lassend,  damit  unsre  Artillerie  um  Gotteswillen  nicht 
genötigt  wäre . . .  mit  Klistierspritzen  ins  Feld  zu 
ziehen  .  . . 

Gelächter, 

LEIBOLT.   Und  auf  dem  Glacis  heuer  im  Winter 
haben  uns  die  Wölfe  aufgefressen. 
Gelächter. 

BAUMANN.  Ein  Glück,  daß  sie  uns  v^rieder  aus- 
gespien haben,  sonst  säßen  wir  nicht  da. 

RABEN  AU.     Saublatt.    Will  es  Leibolt  entreißen. 

LEIBOLT.  Laß  doch,  es  ist  ja  eine  Wiener  Zeitung. 
Sie  berichtet  nur,  was  in  den  Pariser  Journalen  zu 
lesen  steht.  —  Oder  meinst  du  etwa,  ich  versteh' 
französisch  ? 

BAUMANN.  Die  Schwindler!  Die  Schwadro- 
neure ! 

RABEN  AU.    Die  Hunde. 

KRIBBLING.  Schweigt.  So  durftet  ihr  früher 
reden,  und  es  war  dumm  genug!  Nun  aber  ist  der 
Krieg  erklärt  und  begonnen,  das  ist  just  ebenso,  wie 
wenn  zwei  auf  der  Mensur  sich  gegenüberstehn,  da 
wird  nicht  mehr  geschimpft,  da  wird  gefochten.  Und 
den  ehrlichen  Feind  bringt  man  in  aller  Höflichkeit  um. 

RABEN  AU.  Napoleon  ein  ehrlicher  Feind!  .  .  . 
Die  Franzosen  ehrliche  Feinde!  .  .  . 

LEIBOLT.  Ehrlich  oder  nicht  .  ,  .  soll  doch  ganz 
nette  Kerle  unter  ihnen  geben  —  nicht  Roserl  ?  Wie 
war's  vor  vier  Jahren  ?  Bei  euch  im  Haus  war  ja  einer 
einquartiert. 

ROSERL.  Was  weiß  ich?  Damals  war  ich  sechzehn 
und  hab'  ihn,  weiß  Gott,  nicht  einmal  angesehn. 


80 


RABEN  AU.  Donnerwetter,  so  weiß  sie  gar  nicht, 
ob  der  Vater  ihr«8  Kindes  einen  Schnurrbart  gehabt 
hat  oder  nicht. 

Gelächter. 

ROSERL.    Glaubt  ihm  nicht  .  .  . 

SC  HELL  BACH  ER  sehr  feiner,  etwas  süßlieber  junger  Mensch. 
Wir  wollen  was  singen,  meine  Herren.  Ein  schönes 
Lied,  wie  es  sich  schickt  zum  Abschied  von  unsern 
Damen.  Ich  habe  hier  ein  wunderliebUches  Poem  mit- 
gebracht, das  keinen  Geringern  zum  Verfasser  hat  als 
unsern  edlen  vaterländischen  Dichter,  den  Herrn  von 
Collin  —  und  das  ich  so  frei  war,  in  Musik  zu  setzen. 

EINIGE.   Hoch  ColUn! 

ANDRE.    Hoch  Schellbacher! 

SCHELLBACHER.  Ich  werde  intonieren,  und  ihr, 
meine  teuren  Kameraden,  stimmt  im  gegebenen  Mo- 
mente ein. 

EINIGE.    Bravo,  Schellbacher,  laß  hören. 

SCHELLBACHER  beginnt.    Jetzt  ist  es  Zeit  .  .  .  Er 

unterbricht  sich.  Es  ist  betitelt  „Der  Bräutigam".  Er  singt  *): 
Jetzt  ist  es  Zeit,  die  Trommel  ruft, 
Lieb  Mädel,  laß  mich  ziehn. 
Die  Fahne  flattert  in  der  Luft, 
Muß  zu  den  Männern  hin. 
Die  andern  wiederholen  die  zwei  letzten  Zeilen. 

SCHELLBACHER. 

Muß  fort  als  Wehrmann  in  das  Feld, 

Es  ist  beschworne  PfUcht, 

Und  wer  nun  Wort  und   Schwur 

nicht  hält, 
Der  bleibt  ein  feiger  Wicht, 
Die  andern  wie  oben. 

SCHELLBACHER. 

Was  weinst  du  dir  die  Augen  aus. 
Machst  mir  das  Herz  so  schwer, 

*)  Aus  den  Wehnnannsliedern  von  Heinrich  von  Collin,  wie 
auch  die  nächstfolgenden  Gesänge. 

Tbeatarttflcke.  IV,  C  §] 


Bald  dränge  dir  der  Feind  ins  Haus, 
Eilt'  ich  nun  nicht  zur  Wehr. 
Die  andern  wie  oben. 

SCHELLBACHER. 

So  laß  mich  ziehn,  am  Siegesmahl 
SoU  unsre  Hochzeit  sein, 

Gelächter  von  einigen. 
Bei  Pauken  und  Trompetenschall 
Will  ich  dich,  Liebe,  frein. 

Die  andern  wie  oben. 

SCHELLBACHER. 

Dann  rühmt  dich  jeder  ins  Gesicht, 
Weil  dich  ein  Held  erlas, 
Der  über  seiner  Liebe  nicht 
Des  Vaterlands  vergaß. 
Die  andern  wie  oben.  —  Gelächter^  Anstoßen^  Bewegung. 

ELISABETH  blaß^  sehr  hübsch,  mit  einer  Lustigkeit,  die  ihr 
nicht  ganz  von  Herzen  kommt,  «u  Winter.  Und  was  für  Braut- 
geschenk bringst  du  mir  denn  heim,  Ferdinand? 

LEIB0L7.  Wirst  du  nicht  froh  sein,  wenn  er  sich 
selbst  heil  und  gesund  nach  Haus  bringt  ? 

ELISABETH.    Das  war'  nicht  eben  viel. 

MARIE.  Ist  auch  schon  was  wert.  Schau'  dir  die 
Karohn'  an,  vorvier  Jahren  ist  ihr  Liebster  ausgezogen, 
und  mit  graden  Ghedern,  —  jetzt  hat  sie  einen  Gatten 
mit  einem  hölzernen  Bein. 

ROSERL.  Hätt'  sie  ihn  nicht  genommen.  Der- 
gleichen Unfälle  lösen  jedes  Band. 

LEIBOLT.  Brav  gesprochen.  Nur  ist  es  ein  un- 
gleicher Vertrag,  denn  die  Unfälle,  die  euch,  ihr  guten 
Kinder,  indes  hier  zustoßen  mögen,  lassen  sich  besser 
geheim  halten. 

BAUMANN.  Nicht  immer,  Freund,  nicht  immer, 
—  wissen  manche  was  davon  zu  erzählen. 

WINTER  düster.  Einen  Totenschädel  will  ich  dir 
mitbringen,  Elisabeth,  einen  selbstverfertigten  fran- 
zösischen Totenschädel,  aus  dem  wollen  wir  dann  zur 


8a 


Willtommfeier  trinken,  wie  weiland  die  Königin 
Rosamunde. 

BAUMANN.  Ich  will  splendider  sein  ...  Ich 
bringe  dir  mindestens  einen  goldenen  Pokal  mit, 
Marie  .  ,  . ! 

RABEN  AU.  Und  ich  einer,  deren  Namen  ich  vor 
euch  verschweige,  Armbänder,  Uhren,  seidene  Tücher 
und  Edelsteine.  Wir  kriegen  alles  billig  —  wenn  wir 
über  die  Grenze  sind. 

KRIBBLING.  Schämt  ihr  euch  nicht!  Gestern 
noch  wart  ihr  ehrsame  Bürgerssöhne,  der  Wissenschaft 
beflissen  und  der  schönen  Künste,  wie  man  wohl  sagt, 
und  nun  redet  ihr  daher  wie  Räuber,  Plünderer  und 
Wegelagerer.  Ihr  wollt  Akademiker  sein  ?  Schämt 
euch!  sag'  ich. 

LEIBOLT.   Aber  Kribbhng,  es  sind  ja  nur  Spaße. 

KRIBBLING.  Üble  Spaße,  sag'  ich  euch.  Dumme 
Jungen  seid  ihr,  die  eben  nur  nicht  wissen,  was  Krieg  ist. 

PLANK.    Hoho. 

KRIBBLING.  Außer  dir  natürhch  .  .  .  Mein  alter 
Kamerad,  wir  standen  vor  AusterUtz  zusammen  .  .  . 

RABEN  AU.  Ihr  seid  älter  als  wir  .  .  .  Das  habt 
ihr  nun  einmal  vor! 

KRIBBLING.  Aber  ich  will  schon  acht  haben  auf 
euch,  ich  bin  euer  Leutnant,  ich  will  gute  Zucht 
halten  unter  euch. 

BERNBURG  kommt. 

LEIBOLT.  Bernburg,  willkommen.   Er  wird  auch  von 

den  andern  begrüßt. 

RABEN  AU.    Bist  du  von  den  unsem? 

BAUMANN.  Hast  du  am  Ende  doch  noch  einen 
gefunden,  der  für  dich  bei  den  Depots  bleibt  ? 

BERNBURG.  Bisher  noch  nicht.  Aber  ich  gebe 
die  Hoffnung  nicht  auf. 

WINTER.  Das  ist  einer,  der  in  der  Stadt  bleibt, 
Elisabeth,  der  mag  dich  heute  nach  Hause  geleiten  — 
soweit  es  dir  beliebt  ...  So  weiß  ich  wenigstens,  wen 
ich  umzubringen  habe,  wenn  ich  wiederkomme! 

^  83 


fLANK.  He,  Bernburg,  du  hast  «o  besondere  Lust 
in  den  Krieg  zu  ziehen  ?  He  ?  Du  hast  Lust,  dir  ein 
Bein  wegschießen  zu  lassen  ?  Oder  einen  Arm  ?  Oder 
eine  Kugel  mitten  durch  die  Stirn  ?  Du  hast  Lust, 
dazuliegen  mit  blutenden  Wunden  — ,  schäumende 
Pferde  über  dich  sprengen  und  dir  mit  den  Hufen  in 
die  Gedärme  treten  zu  lassen  ?  Hast  Lust  zu  stöhnen, 
zu  dürsten,  zu  verzweifeln,  —  zu  warten  auf  dem 
nächtUchen  Leichenfeld,  bis  einer  heranschleicht,  dir 
die  Taschen  umdreht  und  aus  Gnade  die  Gurgel  ab- 
schneidet ?  Oder  juckt's  dich  gar,  verwundet  und 
lebendigen  Leibes  mit  den  Toten  in  eine  Grube  ge- 
schmissen zu  werden  und  in  ihren  Verwesungsdüften 
lu  krepieren? 

RABEN  AU.   Was  spricht  der  alte  Soldat? 

PLANK.  Ja,  ein  alter  Soldat,  das  bin  ich,  wenn 
auch  erst  sechsundzwanzig.  Und  weiß  mehr  als  ihr. 
Und  wißt  ihr,  was  euer  Geschrei  und  eure  Lustigkeit 
und  eure  Begeisterung  im  Grunde  bedeutet  ?  Ver- 
schlagene Angst,  nichts  weiter,  Höllenangst! 
ÜHTube. 

BAUMANN.    Ist  er  toll? 

PLANK.  Glaubt  ihr,  ich  hab'  keine  ?  Was  wäre  denn 
die  ganze  Courage  wert,  wenn  man  nicht  Angst  hätte. 
Gelächter.  Mir  schlottern  die  Gebeine,  kalter  Schweiß 
tritt  mir  auf  die  Stirn  und  Haar',  in  einen  Keller  möcht* 
ich  mich  verkriechen,  in  ein  Mauseloch  .  .  .  wenn  ich 
dran  denke,  was  mir  bevorsteht  .  .  .    Er  starrt  vor  sieb  bin. 

BAUMANN,  RABENAU,  BERNBURG.  Ist  er 
verrückt  ? 

KRIBBLING.  Laßt  ihn,  er  will  euch  gruseln 
machen  .  .  .  merkt  ihr  denn  nicht  ?  . . .  Zu  ihm.  — 
Plank!  .  .  . 

BERN  BURG.  Plank,  ich  will  dir  was  sagen  —  bleibe 
du  daheim  für  mich,  ich  will  dein  Ersatzmann  sein. 
Leise.     Und  es  gäbe  nebstbei  ein  paar  gute  Dukaten... 

PLANK.  He?!  Was  meint  er?  Schafft  mir  den 
Schuft  vom  Leibe  1  Wer  von  euch  hat  es  gewagt,  meine 

84 


Worte  für  ernst  zu  nehmen  ?  Er  soll  mir  vor  die 
Klinge  .  .  .  Einer  nach  dem  andern.  Oder  sind  Pistolen 
gefällig  ?  .  .  . 

BERN  BURG.    Wie's  behebt,  alter  Soldat! 
KRIBBLING.    Derlei  wird  nach  dem  ELrieg  aus- 
getragen, Plank. 

PLANK  zu  Bernburg.  Junger  Herr,  vor  vier  Jahren 
war  ich  Student  wie  Sie  .  .  .  Und  ich  bin  vor  Ulm  ge- 
standen und  vor  Austerhtz,  die  Kugeln  haben  ge- 
pfiffen rund  um  mich.  Einen  französischen  Obrist- 
leutnant  hab'  ich  vom  Pferd  heruntergehaun  und  weiß 
nicht  vne  vielen  sonst  den  Garaus  gemacht.  Und  hier 
die  Narbe  —  und  hier  eine,  und  hier  —  einer  stand  ich 
gegen  ein  halb  Dutzend,  und  im  Wundfieber  träumt' 
ich  von  neuen  Schlachten,  und  so  ein  junger  Hund 
wagt  zu  glauben,  ich  hätte  Angst  ?!  —  Wartet  einmal! 
Ich  vdll  euch  ein  Lied  singen,  kein  süßes,  wie  Schell- 
bacher .  .  .  nichts  von  Bräutigam  und  Braut  .  .  .  ein 
gutes  .  .  .  kräftiges  .  .  .  wie  sich's  für  uns  gehört  .  .  .  Er 
beginnt  mit  dröhnender  Stimme. 

Wir  stehn  vor  Gott, 
In  der  Schlacht,  in  Not  und  Tod 
Stehn  wir  vor  Gott 
O  hör'  uns,  Gott, 
Wir  schwören: 
EINIGE.  „Wir  schwören". 

PLANK  Wir    halten    zur   Fahn'  in    heißer 

Schlacht, 
Bis  es  Gottes  Gewalt  durch  uns  voll- 
bracht, 
Wir  schwören. 
DIE  ANDERN. Wir    halten    zur    Fahn    in    heißer 

Schlacht, 
Bis  es  Gottes  Gewalt  durch  uns  voll- 
bracht. 
Wir  schwören. 

Während  der  letzten  Zeilen  sind  Medardus  und  Etsult  hereingttrtttn. 
Medardus   wird   von   den    meisten    Anwesenden    herzlich    begrüßt, 

«5 


MEDARDUS  auf  Etsutt  weisend  au  Kribbling,  Rabenau  und 
andern.  Das  ist  mein  Freund  Karl  Etzelt.  Ihr  habt 
wohl  nichts  dagegen,  daß  ich  ihn  mitgebracht  habe. 
—  Du  kennst  ihn  ja,  Bernburg? 

RABENAU  gutmütig  zu  Etzelt.  Sie  marschieren  aber 
nicht  mit  uns  ? 

ETZELT.  Leider.  Sie  sehen  wohl,  Herr,  daß  ich 
nicht  eben  aus  —  Bequemlichkeit  daheim  bleibe. 

RABENAU.  Nichts  für  ungut.  Jeder  dient  dem 
Vaterland  auf  seine  Weise. 

LEIBOLT.  Warum  kommst  du  so  unbeweibt,  Me- 
dardus  ? 

MEDARDUS.  Ich  hab'  alles  gern  für  mich  allein. 
Ich  schenke  her,  wenn's  mir  beliebt,  aber  ich  teile 
nicht.  Und  hier  scheint  mir  der  Ort  nicht,  wo  man 
seines  Besitzes  sich  ungestört  freuen  könnte. 

ELISABETH.    Guten  Abend,  Medardus. 

MEDARDUS.     Guten  Abend,  Elisabeth. 

ELISABETH.    Wie  geht's,  Medardus  ? 

MEDARDUS.    Danke. 

ELISABETH.  Was  tust  du  so  fremd  mit  mir?  Es 
ist  nicht  so  lange  her,  Medardus,  daß  wir  gute  Freunde 
waren. 

MEDARDUS.  Nicht  lange  ...  Du  hast  es  ziemlich 
weit  gebracht  seitdem  .  .  . 

ELISABETH.  Will  es  noch  weiter  bringen.  Das 
Leben  ist  so  lustig.  Ich  bin  dir  dankbar,  Medardus. 
Ohne  dich  war'  ich  wohl  noch  daheim  bei  Vater  und 
Mutter  und  langweilte  mich  zu  Tod. 

MEDARDUS.    Wenn  kein  andrer  gekommen  war'. 

ELISABETH.    Glaubst  du  ? 

MEDARDUS.    Setz'  dich   doch  wieder   an   deines 
Liebsten  Seite  ...  Er  macht  gar  böse  Augen  .  .  . 
Zu    Winter,    den    er    noch    nicht    begrüßt    bat.      Grüß'    Gott, 
Ferdinand! 

WINTER  verdrossen.    Guten  Abend! 

MARIE.    Guten  Abend,  Medardus. 

MEDARDUS.    Oh,  auch  das  Fräulein  Marie? 


86 


MARIE.  Man  muß  wohl  nicht  fragen,  vsde  es  Ihnen 
geht.    Es  heißt  ja,  daß  Sie  verlobt  sind  ? 

MEDARDUS.    Mir  ist  nichts  davon  bekannt. 

SCHELLBACHER.  Wie  geht's  daheim,  Medardus  ? 
Was  macht  die  wunderschöne  Schwester,  das  Fräulein 
Agathe  ? 

MEDARDUS.    Danke,  sie  ist  wohl. 

MARIE.  Ich  sah  sie  neulich.  Sie  kennt  mich  wohl 
nicht  mehr.  Oder  will  mich  nicht  kennen.  Mag  auch 
sein,  weil  sie  eben  in  sehr  feiner  Begleitung  war.  Ein 
bildschöner  junger  Herr,  wahrhaftig.  Oder  vielleicht 
sah  sie  mich  gar  nicht,  weil  es  schon  dunkel  war. 

MEDARDUS  siebt  sie  scharf  an,  dann  absichtlich  laut.  Ich 
habe  mich  so  verspätet.  Freunde  .  .  .  verzeiht  mir, 
weil  eben  Verlobung  bei  uns  zu  Hause  gefeiert  wurde. 

BERNBURG.    Wie? 

MEDARDUS.  Meine  Schwester  hat  sich  verlobt. 
Und  darum  hab'  ich  mich  verspätet. 

LEIBOLT.  Mit  wem  denn  ?  Wenn's  erlaubt  ist  zu 
fragen  ? 

MEDARDUS.    Mit  einem  Herrn  von  Valois. 

RABEN  AU.    Herr  von  Valois  ?  ein  Franzos'  ? 

BERN  BURG.  Herr  von  Valois?  Der  Prinz  von 
Valois ! 

MEDARDUS.   Es  ist  kein  Prinz.    Herr  von  Valois. 

BERN  BURG.  Doch  der  Sohn  des  alten,  blinden 
Herzogs,  der  verbannt  ist  und  hier  so  eine  Art  Hof 
hält,  wie  man  erzählt  ?  Es  kann  doch  wohl  nur 
der  sein. 

MEDARDUS.  Ja,  sein  Vater  ist  bHnd  und  alt  und 
hat  auch  irgend  einmal  den  Adelstitel  besessen,  wie 
ein  paar  hunderttausend  Leute  in  Frankreich. 

BERN  BURG.  Was  wehrst  du  dich  so  ?  Die  Valois 
sind  könighchen  Bluts  — ■  das  ist  kein  Zweifel,  und 
Napoleons  Feinde  —  wie  wir! 

MARIE  XU  Elisabeth.    Ich  hab's  ja  gewußt .  .  . 
Flüstern  zwischen  den  Mädchen^  Rabenau  und  Baumann. 

BERNBURG.    Wir  wollen  trinken  auf  das  Wohl 


«7 


▼on    Medardus*  schöner    Schwester,    der    Braut    des 
Prinzen  von  Valois. 
MEDARDUS  »ögert. 

WINTER  bat  sieb  erboben  und  sttbt  mit  dem  Glas  da.  Was 
ist  dir  zu  schlecht,  der  Wein  oder  die  Gesellschaft  ? 

MEDARDUS  sieb  ermannend.  Ich  war  nicht  gefaßt,  hier 
soviel  Anteil  zu  finden.  Verzeihung  nochmals,  ich 
danke  herzlich. 

ELISABETH.  Auf  Agathens  Wohl.  Leise  %u  Medardus. 
Nicht  jeder  geht's  so  gut   aus.     Sie  will  mit  ibm  anstoßen. 

MEDARDUS  läßt  das  Glas  fallen.  Ein  andres  Glas,  Herr 
Wirt  .  .  .  das  da  hatte  einen  Sprung. 

RABEN  AU.  Die  Fenster  auf!  man  erstickt  ja  schier 
in  dem  Raum. 

Die  Fenster  werden  aufgemaebt. 

SCHELLBACHER.  Es  ist  eine  rechte  Frühlings- 
nacht. 

BAUMANN.  Hast  du  nicht  ein  Frühlingslied  vor- 
rätig, Schellbacher  ?  Er  singt  absiebtUcb  falscb,  vom  Laeben 
der  andern  unterbrochen.  O  Lenzeshauch,  0  Rosenstrauch, 
o  Liebesweh,  ade,  ade. 

Geläcbter,  Anstoßen^  erböbte  Stimmung. 

LEIBOLT.  Mitternacht  ist  nah,  Freunde,  in  drei 
Stunden  geht  es  auf  die  Reise. 

BERNBURG.    Ihr  GlückHchen. 

KRIBBLING.  Hast  du  dich  noch  nicht  drein- 
gefunden,  Bernburg? 

BERNBURG.  Eine  Hoffnung  bleibt  mir,  daß  ich 
doch  bald  dran  muß  —  so  oder  so  ...  Es  ist  übel  ge- 
gangen vor  Ingolstadt  —  ist  euch  das  bekannt  ? 

RABEN  AU.  Und  sein  \uge  leuchtet,  als  wär's  eine 
Freudenbotschaft ! 

BAU  MANN.    Nimm  dich  in  acht! 

BERN  BURG.  Ich  wollt,  meiner  Seel',  die  Fran- 
zosen jagten  euch  zurück  bis  vor  die  Basteien.  Oder 
ihr  alle  würdet  hin  und  wir  andern  müßten  die  Lücke 
füllen. 

KRIBBLING.   Bedenk',  was  du  sprichst,  Bernburg. 

88 


BAUMANN.  Nimm  dich  in  acht,  Bemburg,  aus 
lauter  Tatendrang  deinem  Vaterland  Böses  zu  wün- 
schen ! 

BERNBURG.  Ich  scher'  mich  den  Teufel  ums 
Vaterland, 

RABEN  AU,  BAUMANN  und  ANDERE.  Ha? 
was  sagt  er? 

BERNBURG.  Wenn  sie  heute  um  mich  schickten, 
die  Franzosen,  und  böten  mir  eine  Leutnantsstelle  an, 
da  nimm,  und  drauf  und  dran  .  .  .  holla,  sie  hätten 
mich  mit  Haut  und  Haar. 

BAU  MANN,  RABEN  AU.  Hoho!  nimm  dich  in 
acht!  — 

BERN  BURG.  Wo  ist  mein  Vaterland  ?  Dort,  wo 
sie  meine  Gaben  und  meine  Kräfte  nützen  können! 
Nicht  wo  ich  zufällig  geboren  bin. 

RABEN  AU.    Hochverrat  sag'  ich. 

EINIGE  um  Bernburg  nehmen  eine  drohende  Haltung  ein. 

ETZELT.  Lassen  Sie  ihn  doch,  meine  Herren.  Er 
meint  es  so  übel  nicht. 

BAUMANN.    Was  will  der  Kleine? 

ETZELT.  Es  muß  nur  recht  verstanden  sein.  Be- 
denken Sie  doch,  meine  Herren  ...  es  gab  eine  Zeit, 
wo  jeder,  der  Lust  zum  Soldatenhandwerk  in  sich  ver- 
spürte, sich  werben  Ueß  und  unter  jedem  beliebigen 
Herrn  focht  —  gegen  Bezahlung,  bald  da,  bald  dort. 
Und  es  gibt  Geschichten  von  tapfern  Söldnerführern, 
die  heut  gegen  denselben  Staat  mit  der  größten  Hin 
gebung  kämpften  —  in  dessen  Dienst  sie  vielleicht 
gestern  Lohn  oder  Wunden  davongetragen. 

LEIB0L1.  Damals  war  der  Kampf  eine  Art 
Tournier  .  .  .  oder  eine  Privatsache  zwischen  zwei 
großen  Herren.  Diesmal  heißt's  Nation  gegen  Nation. 
Die  Deutschen  gegen  die  Franzosen. 

E7ZELT.  Das  hat  keineswegs  seine  Richtigkeit. 
Es  ist  noch  kein  halbes  Jahr  her,  erinnern  Sie  sich, 
meine  Herren,  da  haben  vier  deutsche  Könige  und 
dreißig  deutsche  Fürsten  Napoleon  in  Erfurt  gehuldigt. 

89 


Und  auf  des  Erzherzogs  Karl  flammenden  Ruf  hat  sich 
rings  in  Deutschland  von  allen  deutschen  Völkern 
kaum  eines  erhoben. 

KRIBBLING.    Tirol! 

EINIGE.    Tirol! 

ETZELT.  Ja,  das  eine,  Tirol ...  Wo  blieben  die 
andern,  wo  bleiben  sie  heute  noch? 

BAUMANN.  O  Schmach,  Schmach  über  Deutsch- 
land. 

KRIBBLING.  Es  wird  sich  ändern,  Freunde,  und 
wir  werden  das  unsre  dazu  getan  haben.  An  Öster- 
reichs heiligem  Willen  wird  sich  mancher  andere  ent- 
zünden. Denkt  an  des  Erzherzogs  Karl  Wort:  Unsre 
Sache  ist  Deutschlands  Sache. 

BAUMANN.    Bravo,  KribbUng. 

LEIBOLT.    Es  lebe  Erzherzog  Karl! 

FIELE.  Es  lebe  Erzherzog  Karl !  Unser  Generalissi- 
mus lebe  hoch! 

SCHELLBACHER  beginnt  zu  singen;  die  andern  stimmen 
allmäblicb  ein. 

Habsburgs  Thron  soll  dauernd  stehn, 
Österreich  soll  nicht  untergehn. 
Auf,  ihr  Völker,  bildet  Heere, 
An  die  Grenze,  fort  zur  Wehre, 
Daß  dem  Kaiser  in  den  Hallen 
Siegesjubel  einst  erschallen. 
Große  Begeisterung. 
ALLE.    Es  lebe  unser  Kaiser! 
MEDARDUS.   Und  Tod  dem,  der  schhmmeres  ist 
als  Deutschlands  Feind  —  Tod  dem  Erniederer  und 
Verächter  der  Menschheit,  Tod  und  Vernichtung  dem 
Bonaparte!  .  .  . 

FIELE.  Tod  dem  Bonaparte!  Sie  stoßen  an  und  zer- 
brechen ihre  Gläser. 

Bewegung,  Zurufe,  bin  und  her. 
LEIBOLT.    Ein  Vorschlag,  Freunde.    Nach  Hause 
geht  wohl  keiner  mehr  von  uns.    Und  wir  müssen  uns 
beizeiten   gewöhnen,   im    Freien   zu    biwakieren.    Ich 


lege  mich  in  die  Au  unter  den  Sternenhimmel  und  will 
dort  meinen  letzten,  meinen  vorläufig  letzten  Heimats- 
schlummer tun  . . .  Wer  vernünftig  ist,  tue  das  gleiche. . . 
KRIBBLING.  Kein  übler  Einfall,  Freunde.  Es  ist 
eine  wundervolle  warme  Nacht,  wir  werden  nicht 
immer  so  gute  haben. 

BAUMANN.    O  Lenzeshauch,  o  Rosenstrauch  . . . 
FLANK  brüUt  ihn  nieder. 

Wir  halten  zur  Fahn'  in  heißer  Schlacht, 
Bis  es  Gottes  Gewalt  durch  uns  vollbracht. 
Wir  schwören. 

Einige  singen  mit,  Bewegung,  Beginn  des  Aufbruchs.  —  Der  Wirt 
ist  gekommen,  einige  zahlen. 

WINTER  XU  Elisabeth  mit  einem  plötzlichen  EnUcbluß. 
Komm  mit  mir,  Elisabeth. 

ELISABETH.  In  die  Auen?  Das  würde  sich 
kaum  schicken. 

WINTER.  Weiter,  Elisabeth.  Es  wäre  nicht  das 
erstemal,  daß  ein  Mädchen  ihrem  Geliebten  ins  Feld 
folgt. 

ELISABETH.    Ins  Feld? 

MARIE.  Was  vnll  er  von  dir,  daß  du  so  erschrickst  ? 

ELISABETH.  Er  ist  toll  geworden.  Ich  soll  mit 
ihm  in  den  Krieg. 

WINTER.  Wenn  es  der  Medardus  war,  der  der- 
gleichen von  dir  verlangte,  nimmer  fiel's  dir  ein,  es 
Tollheit  zu  nennen.  Doch  es  ist  genug.  Leb'  wohl, 
oder  leb'  übel  —  wie  du  willst.  Es  ist  aus.  Er  geht. 

EINIGE  ANDERE  folgen  ihm  allmählich. 

MEDARDUS  ZU  Etzelt.  Etzelt,  leb' wohl.  Ich  dank' 
dir  für  deine  Treu'  und  deine  Freundschaft.  Wie 
immer  es  kommen  mag,  ich  weiß,  du  wirst  mich  nicht 
vergessen. 

ETZELT  lächelnd.  Nein,  Medardus,  das  werd'  ich 
nicht  .  .  . 

MEDARDUS.  Und  nun  hab'  ich  noch  eine  Bitte  an 
dich,  wirst  du  sie  mir  erfüllen? 

ETZELT.    Laß  hören. 


91 


MEDARDUS.    Wach*  über  meine  Schwester. 

ETZELT.  Du  gibst  mir  einen  sonderbaren  Auftrag. 
Sollte  dir  plötzlich  entfallen  sein,  daß  sie  verlobt  ist  ? 

MEDARDUS.  Mir  ist  bange,  Etzelt.  So  voll  Ver- 
trauen bin  ich  von  Hause  fort  —  und  nun,  ich  kann 
mir  nicht  helfen,  klingen  mir  Franzens  Worte,  ja  seine 
Stimme  selbst  klingt  mir  seltsam  nach,  wie  gebrochen. 
Wenn  er  gelogen  hätte,  Etzelt  .  .  . 

ETZELT.    Warum  willst  du  das  vermuten? 

MEDARDUS.  Sie  haben  einander  wiedergesehen, 
auch  da  es  ihnen  verboten  war.  Lüge  ist  ihm  also  nicht 
fremd,  so  wenig  wie  ihr.  Wenn  er  sich  die  Gelegenheit 
zunutze  machen  wollte,  Etzelt,  jetzt  —  da  der  Bruder 
fort  ist  .  .  .  Ich  will's  nicht  zu  Ende  denken.  Schwör 
mir,  Etzelt,  schwör  mir,  daß  du  deine  Augen  offen 
hältst.  Ich  weiß,  du  hast  sie  lieb,  Etzelt,  schwör  mir, 
daß  du  geradeso  als  wärst  du  ihr  Bruder  .  .  . 

ETZELT.  Schweig,  Medardus.  Deinen  Wunsch 
—  ich  kann  ihn  dir  nicht  erfüllen.  Ich  habe  kein  Recht 
dazu. 

MEDARDUS.    Da  ich's  dir  doch  übertrage  .  .  .  ? 

ETZELT.    Wer  gab  es  dir? 

MEDARDUS.    Etzelt .  .  . 

ETZELT.  Ich  denke,  über  die  eigene  Seele  und  den 
eigenen  Leib  mag  jedes  Menschenkind  nach  Belieben 
verfügen.  Auch  ohne  eines  Bruders  oder  eines  Pfarrers 
Segen. 

MEDARDUS.  Etzelt,  du  sprichst  von  meiner 
Schwester.  Laß  dich  von  deiner  verdammten  Philo- 
sophie nicht  zu  weit  locken. 

ETZELT.  Besser  zu  weit,  als  auf  einen  krummen 
Weg.  Daß  heute  noch  so  törichte  Sorgen  in  dir  wühlen, 
ich  hätt'  es  nicht  erwartet.  Tu  sie  ab  von  dir,  Me- 
dardus. Mir  ist,  als  müßte  einem,  der  eben  auszieht, 
das  Vaterland  zu  retten,  Größeres  am  Herzen  liegen. 

MEDARDUS.  Wohin  entschlüpfst  du  mir  ?  Willst 
du  mir  sagen,  du  Zweifler  und  Philosoph,  daß  dir  eben 
das  als  etwas  Großes  erschiene  i  Ich  glaub'  es  dir  nicht. 


9* 


Ich  glaube,  im  Tiefsten  deiner  Seele  lachst  du  über 
mich  und  uns  alle. 

ETZELT.  Du  irrst.  Ich  bewundere  euch.  Nicht 
die  bewundere  ich,  Medardus,  die  vorangehn,  von 
leuchtenden  BHcken  gefolgt,  und  von  der  winkenden 
Unsterblichkeit  gerufen,  —vor  jenen  andern  neig'  ich 
mein  Haupt,  Medardus,  den  Hunderttausenden,  von 
denen  auch  du  einer  bist  und  von  denen  jeder  bereit 
ist,  namenlos  mit  tausend  andern  Namenlosen  in  ein 
frühes  Grab  zu  sinken,  —  oder  aus  Müh',  Gefahr  und 
Pein,  schlecht  belohnt,  in  die  ruhmlose  Dämmerung 
des  Alltags  hineinzuschleichen.  Einen  Frühling  säen, 
von  dem  keine  Blüten  euch  zieren  und  dessen  Duft 
vielleicht  nur  über  eure  Gräber  streichen  wird,  das 
scheint  mir  groß. 

Vor  den  Fenstern  draußen  beginnende  Unruhe,  Fackellicbt  fällt  im 
den  Hintergrund. 

MEDARDUS.  So  nimm  deine  Bewunderung  zurück, 
Etzelt.  Die  Größe,  die  du  meinst,  mir  ist  sie  nicht 
eigen.  Wer  sagte  dir,  daß  ich  namenlos  untergehn  will 
mit  den  andern?  Deine  Worte  leuchten  mir  grell 
in  einen  Winkel  meiner  Seele,  aus  dem  ich's  bis  zu 
diesem  Augenblick  selbst  nur  zagend  flimmern  sah. 
Ob  ich  den  Frühling  schauen  werde,  den  du  meinst, 
das  weiß  ich  nicht.  Doch  wenn  er  mir  erscheint,  so 
will  ich  mir  seinen  rötesten  Blütenkranz  auf  die  Stirn 
drücken. 

Winter,  Scbellbacber,  Leibolt  und  andere  sind  fortgegangen. 

RA  BEN  AU.  He,  Wirt,  wir  haben  noch  unsere 
Zeche  zu  zahlen,  wo  sind  Sie  denn  schon  wieder? 

BAUMANN.    Was  gibt's  denn  da  draußen? 
Draußen  siebt  man  im  flackernden  Liebt  der  Fackeln  smei  Männer, 
die  irgend  etwas  trugen  und  es  nun  niedersetzten. 

WIRT  draußen.    Ich  komme  schon. 

RA  BEN  AU.  Was  gibt's  denn?  Was  ist  das  für  eine 
gewaltige  Beleuchtung?     Am  recbun  Fenster. 

WIRT  draußen.  Verzeihung,  es  gibt,  was  es,  Gott 
sei*s  geklagt,  hier  nicht  eben  selten  gibt. 

93 


BAUMANN,   RABEN  AU  am  FensUr. 

DU  andern  im  Lauf  der  nächsten  Worte  auch  bin.   Etzelt  und  Mt' 

dardusstebnvorn,  werden  beide  aufmerksam,  scheinen  aber  beide  wie 

festgebannt  und  rühren  sich  nicht. 

WIRT  erklärend.  Hundert  Schritt  von  hier,  wie  den 
Herren  bekannt  ist,  fließt  die  Donau  vorüber,  und 
wenn  sich  einer  in  einer  gewissen  Entfernung  von  hier, 
etwa  dort,  wo  die  Hütten  der  Fischersleute  stehn,  ins 
Wasser  wirft,  er  muß  es  nicht  gerade  selber  tun,  da 
reißt  ihn  die  Strömung  in  ein  paar  Minuten  ins  Schilf 
da  unten.  Das  ist  wie  Amen  im  Gebet  .  .  .  Wir  sind's 
gewohnt  .  .  .  Im  vorigen  Jahr  waren  es  vierzehn!  — 

KRIBBLING  der  jetzt  erst  zum  Fenster  kommt.  Ein  Er- 
trunkner. 

ELISABETH  und  MARIE  draußen.    Zwei. 

MEDARDUS  und  ETZELT  sehen  einander  an. 

MEDARDUS  bUibt  stehen. 

ETZiELT  entschlossen  zum  Fenster. 

WIRT.  Jawohl,  ein  junges  Paar.  Und  wie  es 
seheint  ein  vornehmes  Paar.  Ja,  auch  das  passiert 
manchmal. 

PLANK.  Laßt  uns  gehn.  Wirt,  hier  ist  Ihr  Geld. 
Was  kümmern  uns  die  kleinen  Unglücksfälle.  Ihr 
werdet  andres  zu  sehen  kriegen,  Freunde.   Er  geht. 

MEDARDUS  ist  durch  die  mittlere  Tür  hinausgestürzt,  jetzt 
bleibt  sie  offenstehen,  hat  eine  Fackel  ergriffen,  leuchtet  den  Toten 
ins  Gesteht.   Heiliger  Himmel! 

KRIBBLING.    Was  hast  du,  Medardus? 

ETZELT  zu  den  andern.    Es  ist  Seine  Schwester. 

ELISABETH.  Jesus  Maria  und  Josef!  .  .  .  Agathe! 

MARIE.    Und  der  Bräurigam  ? !  .  .  . 

MEDARDUS  stürzt  berein  mit  der  Fackel.  Es  kann  auch 
Wahnsinn  sein  ...  Es  kann  auch  ein  Traum  sein  .  . , 
Kennt  ihr  mich  ?  .  .  Bin  ich  Medardus  Klähr  ?  Redet ! 
.  .  .  Ihr  redet  nicht  ...  So  ist  es  ein  Traura  .  .  .Wenn 
ihr  lebtet,  so  würdet  ihr  mir  antworten  . . .  Wach'  auf, 
Medardus,  du  schläfst  in  den  Auen.  In  die  fackel  starrend. 
Die  Sonne  brennt  dir  durch  die  Lider,  es  wird  Tag 


9« 


EfZELf.  Medardus  ...  Er  nimmt  Um  die  Fackel  avi 
der  Hand. 

MEDARDUS.  Etzelt!  Ich  träume  nicht.  Ich 
wache!  Ich  lebe!  Und  die  beiden,  die  da  draußen 
liegen,  sind  tot  —  und  eine  ist  meine  Schwester. 

ETZELT.    Medardus,  fasse  dich. 

MEDARDUS.  He,  wo  ist  der  Wirt  ?  Wollen  Sie  sie 
draußen  im  Hof  liegen  lassen  ?  Herein  mit  ihnen.  E« 
ist  Platz  genug.  Herein  das  edle  Brautpaar  .  .  .  Wer 
grinst  da  r  ...  Sie  waren  verlobt  .  .  .  zweifelt  einer  ?  .  . . 
Ich  war  dabei,  als  sie  sich  verlobten  .  .  .  Weiß  der 
Himmel,  was  für  eine  Tollheit  sie  ins  Wasser  jagte  .  .  . 
Sie  waren  Braut  und  Bräutigam.  Ich  lüge  nicht.  Daß 
sie  noch  heut  Hochzeit  machen  wollten  —  das  haben  sie 
mir  freilich  verschwiegen.  Sie  wollten  sie  wohl  allein 
feiern  —  und  nun  bin  ich  doch  geladen  .  .  .  Freunde, 
Freunde,  geht  doch,  was  hält  euch  noch  ?  .  .  .  Gäste 
genug  .  .  .  Etzelt  und  ich ! 

KRIBBLING.    Medardus! 

BERNBURG.    Medardus... 

MEDARDUS.  Bernburg  .  .  .  Sieb  plötzlich  besinnend. 
Es  ist  abgemacht,  Bernburg  .  .  .  Verzeih,  daß  ich  dir's 
früher  abschlug  .  . .  aber  .  .  .  ich  ahnte  nicht  .  .  .  welche 
Kraft  deinen  Wünschen  innewohnte . . .  Es  sei  . . .  Rück' 
du  für  mich  zum  Bataillon  ...  es  könnte  sein,  daß  ich 
hier  noch  was  zu  tun  hätte. 

ETZELT.  Komm  zu  dir.  Was  hättest  du  hier  zu 
tun  ?    Nichts  mehr  .  .  . 

MEDARDUS  vor  sieb.    Doch,  doch  .  .  . 

BERN  BURG.    Ist  das  dein  Ernst,  Medardus? 

MEDARDUS.  Seh'  ich  dir  sehr  gelaunt  zum  Spaßen 
aus .  .  .  ? 

BERNBURG.  Kribbling,  läßt  es  sich  überhaupt 
noch  machen  ? 

BAUMANN.  Ich  glaube  nicht,  daß  dies  so  ohne 
weiters  .  .  . 

KRIBBLING.  Ich  nehm's  auf  mich,  beim  Bataillons- 
kommandanten die  Sache  zu  ordnen  ,  .  .  Und  du,  Me- 


95 


dardus  .  .  .  Du  meldest  dich  morgen  in  der  Stadt  am 
rechten  Ort  .  .  . 

MEDARDUS.    Ich  danke  dir,  Kribbling. 

Indes  sind  die  Leichen  auf  der  Bahre  hereingetragen  worden. 

RABEN  AU.  So  ein  ersoffener  Prinz  sieht  auch  nicht 
lieblich  aus. 

MARIE  KU  Elisabeth.  Hab'  ich  dir's  nicht  gesagt  ? 
Sie  werden  schon  gewußt  haben  warum. 

ELISABETH.    Oh! 

MEDARDUS  deckt  die  Leichen  mit  seinem  Mantel  zu.  Geht, 
geht,  ich  bitt'  euch,  meine  Freunde!  Schlaft  euch 
aus.  Glück  auf  den  Weg!  Nein,  reicht  mir  die  Hände 
nicht,  keiner,  keiner  ,  .  .  Diese  Hand  hier  hat  vielleicht 
noch  irgend  was  zu  besorgen,  ehe  sie  anderer  ehrlicher 
Männer  Hände  schütteln  darf. 

BERNBURG.    Ich  will  dich  umarmen,  Medardus. 

MEDARDUS.  Fort,  fort,  keiner  mir  in  die  Nähe  .  .  . 
Mir  ist,  als  zöge  kein  guter  Hauch  von  mir  aus  .  .  .  Lebt 
wohl .  .  .  geht .  . . 

Alle  sind  allmählich  gegangen. 
Elisabeth  und  Marie  stebn  draußen  und  scbaun  »um  Fenster  berein. 

WIRT  zu  Etzelt.  Ich  laufe  zur  Gendarmerie.  Das 
Wachhaus  ist  zweihundert  Schritte  von  hier.  Es 
ist  nämlich  meine  Verpflichtung,  sofort  die  Meldung 
zu  erstatten.   Ab. 

ETZELT.    Medardus! 

MEDARDUS.    Was  willst  du? 

ETZELT  stark.  Laß  mir  alles  über  .  . .  Du  folge 
deinen  Kameraden. 

MEDARDUS  ohne  auf  ihn  zu  hören.  Sieh  Sie  an! 
diese  war  ihnen  zu  gering!  und  darum  mußte  sie  in 
den  Tod.  Sieh  sie  an,  Etzelt!  War  sie  nicht  adeliger 
als  alle  Prinzessinnen  der  Erde,  —  und  sie  war  ihnen 
zu  gering.  Warum  bist  du  nicht  lieber  in  die  Welt 
hinaus,  Schwester,  mit  ihm  .  .  .  warum  ?  .  .  .  Schande  ? ! 
.  .  .  erloschnes  Wort.  Deine  Asche  weht  in  alle  Winde 
vor  diesem  Anblick.  Hast  du  gefürchtet,  Agathe,  ich 
hätte  dir  Böses  getan  —  oder  ihm  ?   Törichte  Furcht, 

96 


Agathe !  Eh*  du  mir  wieder  begegnet  wärst,  hätte  mir 
ein  Traum  warnend  dieses  Bild  gezeigt,  —  und  beim 
Erwachen  hätte  mich  das' Glück,  daß  es  nur  ein  Traum 
war,  —  trunken  gemacht.  Und  hätt'  ich  dich  in  einem 
schlechten  Haus  gefunden,  mit  geschminktem  Gesicht, 
als  feile  Dirne  —  wär's  nicht  Seligkeit  gewesen,  gegen 
jene«  Bild,  das  nun  Wahrheit  wurde  ? 

ETZELT.  Medardus,  noch  einmal  rat'  ich  dir,  folge 
den  andern.  Was  soll  dein  Kllagen?  Es  ist  nichts  als 
ein  wahnwitzig-ohnmächtiges  „Ichglaubesnicht"  zum 
Himmel  aufgeschrien,  Agathe  wacht  nicht  wieder  auf. 
Es  muß  hingenommen  sein. 

MEDARDUS.  Nimm  du  es  hin!  Du  kannst  e«,  ich 
nicht.  Denn  ich,  ich,  Etzelt,  ich  war  ihr  Bruder  . .  . 
Du,  Etzelt,  hast  sie  nur  geliebt !  Wie  wenig  ist  das !  — 
Tollheit,  Verlangen,  Haß,  ein  wüstes  Sausen  auf- 
gewühlten Bluts,  das  wieder  ebbt  .  .  .  darum  wandelt 
auch  deine  Zärtlichkeit  sich  vor  diesem  Leichnam, 
nach  dem  die  Würmer  hungrig  sind,  in  Graun.  Darum 
flieht  dein  tiefstes  Wesen  schon  in  diesem  Augenblick 
fort  von  ihr  —  und  du  „verstehst"  .  .  . 

ETZELT.  Mitstürzen  in  die  Vernichtung  oder  er- 
hobenen Hauptes  weitergehn  —  es  gibt  keine  andre 
Antwort  auf  das  Unabänderliche.  Fühle,  daß  hier 
alles  zu  Ende  ist,  Medardus,  und  geh. 

MEDARDUS.  Zu  Ende  ?  Etzelt,  ich  bleibe.  Hier 
ist  mein  Platz.  Denn  ich  weiß,  was  heut  geschah,  das 
ist  ein  Anfang,  Etzelt  —  kein  Ende. 

Vorbang. 


llieaUntaclM.  IV,  7 


ERSTER  AUFZUG 

Erste  Szene 

Friedhof.  Weit  und  groß.  Mit  uablreicben  Grabsteinen  und  Krevmen. 
Jenseits  der  Mauer  im  Hintergrund  Hügelkette^  darüber  blaßblauer 
Himmel  mit  weißen  Wolken.  Zwei  breite  Wege  von  rechts  und  links 
führen  zu  einem  offenen  Grab  vorn  Mitte,  in  dem  ein  Totengräber 
beschäftigt  ist.  Anfangs  nur  wenig  Leute,  allmählich  mehr.  Zu 
Beginn  schon  sieht  man  den  uralten  Herrn,  von  einem  kleinen  Mädchen 
geführt,  zwischen  den  Grabsteinen  auf  und  ab  gehen,  Inschriften  lesen, 
auf  die  er  zuweilen  mit  seinem  Stock  deutet.  Es  kommen  eben  Herr 
Föderl,  magerer,  etwas  ängstlicher  Herr  von  fünfzig,  und  Frau  Föderl, 
wohlbeleibt  und  lebhaft. 

HERR  FÖDERL.  Na  siehst  du,  daß  wir  noch 
zurecht  gekommen  sind.  Beinah  die  allerersten  sind 
wir  da. 

FRAU  FÖDERL.  So  sehn  wir's  wenigstens  in  der 
Näh'.  Können  der  Frau  Klähr  Kondolenz  erweisen 
und  hören,  was  geredt  wird. 

HERR  FÖDERL.  Wer  soll  denn  reden  bei  einer 
solchen  Leich'.  Sie  ist  ja  nicht  einmal  eingesegnet 
worden. 

FRAU  WINKLER  ältere,  sehr  gut  gekUiieU  Irrnn  mit 
ihrer  Tochter  Leopoldine  kommen. 

FÖDERL.    Guten  Tag,  Frau  von  Winkler. 

FRAU  WINKLER.    Guten  Morgen. 

FRAU  FÖDERL.  Ja .  . .  es  ist  eine  traurige 
G'schichtM  . . . 

FRAU  WINKLER  nickt.  Meiner  Poldi  geht's  gar 
nah.  Sie  ist  in  die  Schul'  gegangen  mit  der  armen 
Agathe  .  .  .  und  bis  in  die  letzte  Zeit  manchmal  ins 
Haus  gekommen. 

LEOPOLDINE  in  Tränen  aufs  Grab  weisend.  Also  da 
drinnen,  da  werden  sie  beide  liegen  ? 

FÖDERL.    Beide? 

FRAU  FÖDERL  zu  ihrem  Mann.  Na,  weißt  es  denm 
nicht,  ist  doch  sogar  in  der  Zeitung  gestanden  . . .  ich 
hab'  dir's  doch  vorg'lesen  beim  Kaffee. 


9« 


FRAU  WINKLER.  Ja,  das  ist  ihr  letzter  Wunsch 
gewesen.  Sie  haben  Briefe  hinterlassen,  daß  sie  im 
selben  Grab  zur  Ruhe  bestattet  zu  werden  wünschen. 

LEOPOLDINE  in  Tränen.  Also  da  drin  werden  sie 
liegen.     Mutter,  Mutter  ..  .   Sie  faßt  ihr»  Mutter  btim  Arm. 

W ACHSHUBE R  kommt.  Junger  Mensch  von  a8  Jahren^ 
mit  ordinärer  Eleganz  gekleidet.  Spricht  immer  sehr  rasch.  Fahrige 
Bewegungen^  unsute  Augen.  Jawohl,  in  solchem  engen  Räume 
endet  Lust  und  Leid.  Habe  die  Ehre,  meine  Herr- 
schaften. 

FRAU  FÖDERL.   Ah,  der  Herr  Wachshuber. 

FÖDERL.  Mir  scheint,  Herr  Wachshuber,  Sie 
werden  noch  bei  ihrer  eigenen  Leich'  als  Spaßmacher 
mitgehn. 

WACHSHUBER.  Na,  hör'n  S',  Herr  Föderl! 
Wenn  sich  einer  gebildet  ausdrückt  bei  uns,  so  halt 
»an 's  für  einen  Spaß.  Mir  ist  wirklich  nicht  zum 
Spaßen. 

FRAU  FÖDERL.    Haben  Sie  s'  gekannt? 

WACHSHUBER.  Na,  was  denn!  Glauben  s',  unser 
G'schäft  geht  lo,  daß  ich  zu  meinem  Vergnügen  auf 
den  Friedhof  laufen  könnt'?  Noch  am  Montag  war 
die  Fräulein  Agathe  bei  uns  drin  und  hat  Datteln  und 
Feigen  gekauft  und  Malagatrauben. 

LEOPOLDINE.    Ja,  die  hat  sie  so  gern  gegessen. 

WACHSHUBER.  Alle  jungen  Fräuleins  essen 
Malagatrauben  gern.    Das  ist  eine  eigene  Bewandtnis. 

FRAU  FÖDERL.    Haben  Sie  ihr  was  angemerkt? 

WACHSHUBER.  Aber  nicht  das  geringste.  Ich 
mein'  nämhch,  daß  sie  sich  was  antun  will,  hab'  ich  nicht 
gemerkt.   L*ise.   Was  andres  schon. 

FRAU  WINKLER  siebt  ihn  streng  an. 

FÖDERL.  E«  soll  ja  niemand  eine  Ahnung  gehabt 
haben. 

WACHSHUBER.  Kein  Mensch!  So  eine  Ver- 
stellungskunst. 

FRAU  FÖDERL.  Man  sollt'  es  so  einem  jungea 
Mädel  nicht  zutraun. 


99 


WACHSHUBER.  Zu  Haus,  yorm  Fortgehn,  haben 
i'  g'sagt,  sie  machen  einen  Abendspaziergang. 

FÖDERL.  Ein  kurioser  Spaziergang  —  in  die  Donau. 

FRAU  FÖDERL.  Und  is  wahr,  daß  der  eigene 
Bruder  sie  herausgefischt  hat? 

WACHSHUBER.  Genau  so  wird's  wohl  nicht 
g'wesen  sein.  Er  ist  halt  zufällig  unten  g'wesen  in  der 
Praterau,  beim  blauen  Walfisch.  Dort  bringen  s'  die 
Ertrunkenen  gewöhnlich  hin. 

SCHREU BLER  dicker^  etwas  heiserer  Herr,  der  eben  gekommen 
ist.  Das  ist  ein  angenehmes  Wirtshaus,  da  möcht'  man 
Stammgast  sein. 

Begrüßung  mit  den  andern. 

WACHSHUBER.  In  Damengesellschaft  war  er 
unten  .  .  .  wie  es  heißt. 

FRAU  WINKLER.  Ja,  das  weiß  man  vom  jungen 
Klähr. 

FRAU  FÖDERL.  Ist  er  wirkHch  so? 

FÖDERL.  Ein  Lump!  .  .  . 

WACHSHUBER.  Was  die  schönen  Damen  an- 
belangt, da  ist  bald  einer  ein  Lump.  Oder  es  möcht' 
gern  einer  ein  Lump  sein,  trifft's  nur  nicht  ein  jeder. 

DER  URALTE  HERR  eine  Grabscbrift  lesend.  „Hier 
ruhet  Ernst  Josef  Zehetgruber,  bürgerUcher  Hand- 
schuhmacher, verstorben  am  i6.  Feber  1798  im  sech- 
zigsten Lebensjahre."  Es  ist  merkwürdig,  es  ist  merk- 
würdig, 

WACHSHUBER.  Was  ist  denn  da  so  merkwürdig, 
alter  Herr? 

DER  URALTE  HERR.  Mit  sechzig  Jahren!  der 
arme  Zehetgruber. 

WACHSHUBER.   Haben  Sie  ihn  denn  gekannt  ? 

DER  URALTE  HERR.  Er  muß  viel  versäumt 
haben,  der  Zehetgruber!  Mit  sechzig  Jahren  sich  da 
hineinlegen  müssen.  Zum  Totengräber.  Was,  das  ist  nichts 
für  uns  ? 

TOTENGRÄBER.  Kommen  auch  amal  dran... 
Herr  Hofrat. 


WACHSHUBER.    Ein  Hofrat  ist  er  . . . 

DER  URALTE  HERR.  Noch  lang  nicht,  noch 
lang  nicht .  .  . 

FRAU  GRINZINGER  ist  eben  dazu  gekommen,  noch  %iem- 
litb  junge  Frau  mit  lebbajten  Augen.  Wie  alt  sind  denn  Sie, 
wenn  man  fragen  darf? 

WACHSHUBER.  Ah,  die  Frau  Grinzinger  . . . 
kü8s'  die  Hand.   Der  Herr  Gemahl  nicht  anwesend  ? 

DER  URALTE  HERR.    Ich  bin  dreiundneunzig. 

FRAU  FÖDERL.  Hast  gehört .  . .  dreiundneunzig 
ii  er. 

SCHREUBLER.  Was  machen  S'  denn  auf  dem 
Friedhof  mit  der  Kleinen  da  ?   Is  Ihnen  wer  g'storben  ? 

DER  URALTE  HERR.  Mir  sind  gar  viele  schon 
g'storben.  Zuerst  meine  Mutter,  das  ist  neunzig  Jahr 
her.  Dann  mein  Vater  —  vor  siebzig.  Dann  meine 
Frau  vor  fünfundfünfzig.  Dann  meine  zweite,  dai 
war  aber  schon  eher  eine  Gemahlin,  vor  vierzig.  Dann 
fünf  Söhne  und  drei  Töchter  und  so  ungefähr  dreißig 
Enkelkinder,  Das  letzte  Enkelkind,  das  war  die  Mutter 
von  der  Kleinen.  Ist  auch  schon  sieben  Jahr  her. 
Na,  und  seitdem  is  Ruh*. 

WACHSHUBER  gibt  der  KUinen  ein  Zuckerl.  Da  hast 
was,  Kleine.    Sie  darf  schon,  was,  Herr  Urgroßvater  ? 

FRAU  FÖDERL.  Haben  S'  vielleicht  die  zwei 
jungen  Leut'  gekannt  ? 

DER  URALTE  HERR..  Was  denn  für  junge 
Leut'  ? 

FRAU  FÖDERL.  Die  heut  begraben  werden.  Die 
Agathe  Klähr  von  der  Buchhändlerswitwe  in  der 
Teinfaltstraße  und  den  Franzosen,  Graf  soll  er  g'wesen 
sein. 

WACHSHUBER.    Prinz,  wenn's  gefällig  is,  Prinz. 

SCHREUBLER.  Aber  keine  Spur!  Auch  kein  Graf 
nicht  einmal! 

DER  URALTE  HERR.  Junge  Leut'  ?  Wie  alt  sind 
sie  denn  g'wesen  ? 

WACHSHUBER.    Das  Mädel  war  siebzehn.    Und 


lei 


der  Prinz,  wie  alt  vsdrd  denn  der  g'wesen  sein  ...  Na, 
sagen  wir  halt  zw  eiun  dz  wanzig. 

DER  URALTE  HERR.  Siebzehn  und  zweiund- 
zwanzig .  .  .    Na,  rechne  einmal  zusammen,  Greterl. 

DAS  KLEINE  MÄDCHEN.    Neununddreißig. 

DER  URALTE  HERR.  Neununddreißig!  —  Und 
ich  bin  dreiundneunzig  . . .  Das  ist  eine  Nummero,  was  ? 
Setzt  sieb  *uf  einen  Grabstein.    Was  hat  ihnen  denn  g'fehlt  ? 

FRAU  GRINZINGER.  Nicht«  hat  ihnen  g'fehlt. 
Ins  Wasser  sind  sie  gegangen. 

LEOPOLDINE  toetnt. 

DER  URALTE  HERR.  Warum  sind  sie  denn  ins 
Wasser  gegangen? 

FRAU  GRINZINGER.  Umgebracht  haben  sie 
sich  halt. 

DER  URALTE  HERR.  Ah,  so  was.  Haben  »ie's 
nicht  erwarten  können.  Schaut's  an,  was  ich  für  eine 
Geduld  hab'.  —  Warum  haben  sie  sich  denn  umge- 
bracht ? 

WACHSHUBER.  Aus  Liebe,  Herr  Urgroßvater, 
aus  unglücklicher  Liebe. 

DER  URALTE  HERR.  Aus  unglücklicher  Liebe? 
. . .  UnglückUcher  Liebe,  Aha,  weiß  schon,  weiß 
schon. 

Einige  mnire  kommen  (iarunUr  Brail,  ein  eilfertiger^  etwas  geheim- 
nisvoller Mann  mit  großen  Augen). 

BRADL.    Sie  kommen  schon. 

WACHSHUBER.  Jessas,  is  möglich,  sie  kommen 
schon,  die  Franzosen  ? 

BRADL.  Wer  redt  von  den  Franzosen,  die  Kondukte 
kommen. 

FRAU  FÖDERL.  Er  muß  halt  immer  seine  Spaße 
machen,  der  Herr  Wachshuber. 

FRAU  GRINZINGER.  Meiner  Seel',  Sie  ver- 
sündigen sich,  das  is  nicht  der  Ort. 

WACHSHUBER.  Aber  warum  denn  ?  Alles  is  ein 
Spaß  für  die  Herrschaften !  Wie  lang  wird's  denn  noch 
dauern,  und  sie  sind  wirklich  da,  die  Franzosen. 


101 


SCHREUBLER.  Das  war*  leider  nicht  unmöglich 
nach  den  letzten  Nachrichten  aus  Bayern  . .  .  Und  wir 
erleben's  vielleicht  noch  einmal,  daß  der  Napoleon  im 
Schönbrunner  Garten  spazieren  geht,  gradso  wie  vor 
vier  Jahren. 

WACHSHUBER.  Freilich  ist  er  draußt  spazieren 
gangen  in  Schönbrunn,  weil  er  sich  nach  Wien  doch 
nicht  hereingetraut  hat! 

BRADL.    Ja,  vor  Ihnen  hat  er  sich  g'fürcht. 

FÖDERL.  Aber  das  is  schon  wahr,  herin  in  der 
Stadt  hat  ihn  keiner  g'sehn. 

FRAU  GRINZINGER.  Manchmal  soll  er  doch 
hereingekommen  sein,  immer  bei  der  Nacht. 

WACHSHUBER.   Fabeln. 

BRADL.  Das  ist  keine  Fabel,  das  b  wahr.  Ich  hab' 
ihn  selber  g'sehn. 

WACHSHUBER.  Ja,  wen  man  Ihnen  für'n 
Napoleon  wird  auf  disputiert  haben!  — 

BRADL.  Mit  zwanzig  oder  dreißig  Offizieren  is  er 
durch  die  Mariahilferstraßen  hereingeritten  und  dann 
durchs  Kärntnertor,  wie  der  Teufel. 

FÖDERL.  Malen  Sie  ihn  nicht  an  die  Wand,  den 
Teufel ...  die  Franzosen  sind  noch  weit  .  .  . 

BRADL.  Wenn  s'  aber  schon  die  Schanzen  aufbaun 
im  Prater. 

FRAU  FÖDERL.   Das  haben  s'  damals  auch  getan. 

BRADL.  Sind  auch  pünkthch  anmarschiert  ge- 
kommen damals,  die  Franzosen! 

SCHREUBLER.  Nur  daß  man  sie  dazumal  auch 
gleich  hereingelassen  hat! 

FÖDERL.  Ist  doch  auch  das  gescheiteste  gewesen. 
Sie  haben  keinem  was  zuleid  'tan! 

FRAU  GRINZINGER.  Aber  diesmal  kommen  sie 
un»  nicht  herein! 

BRADL.  Und  warum  ist  denn  die  Schatzkammer 
nach  Ungarn  fortg'schafft  worden  ?  Und  warum  ist 
denn  Befehl  gegeben,  daß  im  Stadtgraben  die  Hütten 
und  die  kleinen  Häuser  abgebrochen  werden  ?    Und 


103 


Warum  iit  denn  schon  alles  hergericht  zum  Verbrennen 
Tön  der  Franzensbrücken  ? ! 

WACHSHUBER.  Und  warum  ist  denn  der  Herr 
Regierungsrat  Pichler  samt  Familie  abgereist  .  .  .  und 
der  Baron  Klezlein  ?  .  .  .  Lauter  Kunden  von  mir  —  ? 

FÖDERL.    Ist  denn  das  alles  wahr? 

BRADL.  Und  auf  den  Basteien  oben,  da  arbeiten 
sie  wie  nicht  gescheit,  besonders  bei  der  Nacht. 

FÖDERL.  Aber  davon  kann  doch  keine  Red'  nicht 
sein,  daß  zu  einer  wirklichen  Verteidigung  herg'richl 
wird.  Was  geschah'  denn  nachher  mit  uns  in  Gumpen- 
dorf  ?  Das  kann  doch  dem  Kaiser  sein  Wille  nicht  sein, 
daß  wir  in  der  Vorstadt  von  beiden  Seiten  zusammen- 
gefeuert werden  ?  Vom  Feind  und  von  unsern  eigenen 
Mitbürgern  ? 

FRAU  FÖDERL.  Aber  gib  Ruh',  Föderl,  sie  sind 
ja  noch  nicht  da. 

WACHSHUBER.  Ein  Heldenweib,  die  Frau  Föderl. 
Sie  können  sich  gratulieren,  Herr  Föderl. 

FÖDERL.  Sie  haben  gut  Spassetteln  machen.  Sie 
wohnen  in  der  Teinfaltstraße,  mitten  in  der  Stadt. 
Wer  gibt's  uns  denn  geschrieben,  daß  die  Franzosen 
ihre  Wut  nicht  an  uns  auslassen,  wenn  ihr  sie  nicht 
hereinlaßt  ? 

SCHREUBLER.  Ja,  auf  die  Gumpendorfer  haben 
sie's  scharf,  die  Franzosen. 

FRAU  GRINZINGER.  Ruhe,  Ruhe,  sie  kommen 
ja  schon. 

M*H  sübt  dit  Kondukte  sieb  nähern. 
Ein  junges  Mädchen,  Berta,  tritt  herzu. 

BERTA.    Grüß'  dich  Gott,  Poldi .  .  . 

LEOPOLDINE.    Grüß'  dich  Gott,  Berta  . . . 

BERTA.  Der  eine  Zug  geht  rechts  herum,  der 
andre  links.    Ganz  zugleich  werden  sie  da  sein. 

LEOPOLDINE.  Ich  kann's  nicht  glauben!  Ich 
kann's  nicht  glauben !  Ich  denk'  immer,  es  ist  doch  nicht 
wahr. 

BERTA  tritt  ganz  nak  zum  Grab.      Also  da  unten  .  .  . 


104 


wie  kalt's  da  herauskommt  . . .   Sie  ubütult  sieb.    Sagen 
Sie,  Herr  Totengräber,  ist  denn  da  Platz  für  zwei 

Särge  ? 

TOTENGRÄBER.    Platz  genug  . . . 

BERTA.    Wie  werden  S'  denn  das  machen? 

TOTENGRÄBER.  Wird  schon  gehn,  Fräul'n, 
wird  schon  gehn  —  mir  ist  noch  keiner  aus'kommen. 

FRAU  WINKLER.  Ja,  Fräulein  Berta  .  .  .  Es  is 
eine  Lehre!    Eine  Lehre  is  es  halt. 

Index  sind  auch  Elisabttb  und  Marie  gekommen^  die  sieb  »iemlieb 
abseits  halten. 

FRAU  GRINZINGER.  Und  wenn  s'  tausendmal 
von  Adel  sind,  ich  sag',  solche  Leut'  soUt'  man  ein- 
sperren.   Sie  sind  halt  doch  nichts  besseres  als  Mörder. 

SCHREUBLER.  Na,  Frau  Grinzinger,  nicht  gar 
so  scharf.  Ich  hab'  mir  sagen  lassen,  es  gehn  nicht  alle 
ins  Wasser. 

FRAU  FÖDERL.  Man  hätt's  nicht  müssen  so  weit 
kommen  lassen, 

WACHSHUBER.  Ja,  schließlich  ein  gewisser  Unter- 
schied muß  aufrecht  erhalten  werden,  da  kann  man 
sagen,  was  man  will.  Ein  Prinz  und  eine  Bürgerliche 
...  es  hätt'  nicht  gut  getan.  Ich  bitt'  Sie,  Frau  Föderl, 
Sie  würden  sich's  auch  überlegen,  eh'  Sie  Ihre  Tochter . . . 

FRAU  FÖDERL.  Ich  hab'  keine  Tochter,  Gott  sei 
Dank.    Nur  Sorge  und  Schand'  hat  man  von  ihnen. 

DER  URALTE  HERR  liest.  AmaHe  Zitterbart, 
geboren  12.  August  1780,  gestorben  12.  August  1789. 
Achtzig  bis  neunundachtzig  .  .  .  wieviel  ist  das,  Greterl  ? 

DAS  KLEINE  MÄDCHEN.    Neun. 

DER  URALTE  HERR.  Die  ist  gar  nur  neun  Jahr 
alt  geworden.  Sixt,  Greterl,  brauchst  dir  nichts  ein- 
zubilden. Das  kann  einer  jeden  passieren.  Neun  Jahr 
und  an  ihrem  Geburtstag'  auch  noch.  Merk'  dir's, 
Greterl!  .... 

Man  verweist  ibn  zur  Rübe,  da  die  Kondukte  scbon  ganz  nahe  sind. 
Er  verscbtoindet  mit  Gretel  vom  Friedhof. 

Die  beiden  Kondukte  kommen.    Von  reebts  der  eine  Sarg  von  seebs 


XO5 


Trigtrm  g$trag*n,  iabinUr  gtbu  dtr  alte  Htrmeg,  groß  und  Kblank, 
klind,  geführt  von  Assalagny,  seinem  Amt.  Dann  die  Herzogin, 
stattlich,  weißhaarig,  dann  DesolUux,  einfach,  über  vierzig;  CaiUard, 
etwas  eleganter,  über  zwanzig,  zuletzt  zwei  Lakaien.  Von  links  der 
andere  Sarg  von  sechs  Trägern  getragen;  hinter  ihm  Frau  Klähr, 
Eschenbacher,  Anna  Berger,  Etzelt  und  Medardus.  Bargetti  und 
einige  andere. 

Zutrst  Stille,  dann  Flüstern. 

FRAU  FÖDERL.    Das  ist  der  alte  Graf? 

WACHSHUBER.  Das  ist  mehr  als  ein  Graf,  das 
is  ein  Herzog. 

FRAU  GRINZINGER.    Der  is  ja  bUnd. 

SCHREUBLER.   Haben  S'  denn  das  nicht  g'wußt  ? 

FRAU  FÖDERL.  Die  Mutter,  die  kann  noch  gar 
nicht  alt  sein.    Nur  ganz  weiß  ist  sie  halt. 

FRAU  GRINZINGER.  Da  kann  eines  leicht  weiß 
werden  .  .  .  vor  Verzweiflung  und  Reu'  .  .  . 

FRAU  FÖDERL.   Wenn's  nicht  eine  Perücken  i». 

BRADL.  Die  kenn'  ich  ja  schon  lang. 

WACHSHUBER.  Sehn  Sie,  Fräulein  Poldi?  Der 
junge  hübsche  auf  CaiUard  deutend  das  is  gewiß  auch  ein 
Prinz. 

BERTA.    Geh,  Poldi,  wein'  doch  nicht. 

LEOPOLDINE.  Und  da  in  dem  Sarg  drin  soll  die 
Agathe  liegen,  mit  der  wir  in  die  Schul'  gegangen  sind  ? 
Und  vor  acht  Tagen  is  sie  noch  bei  mir  oben 
g'wesen ! 

BERTA.  Da  ist  ja  auch  die  Anna  Berger.  Schlecht 
sieht  die  aus. 

FRAU  GRINZINGER.   Nein,  so  eine  Leich' . . . 

Der  Sarg  des  Prinzen  wird  zuerst  in  das  Grab  gesenkt. 

ESCHENBACHER  zu  Frau  Klähr.  Nur  Ruhe,  Ruhe . . . 

FRAU  KLÄHR.   Sei  getrost,  Bruder,  ich  bin  ruhig. 

FRAU  FÖDERL.  Also  wirklich  ohne  Musik  und 
ohne  daß  wer  was  redt. 

FRAU  GRINZINGER.  E«  ist,  wie  wenn  sie  einen 
in  eine  Gruben  hineinwerfen  täten. 

FÖDERL  zu  Eschenbacher.   Ich  kondoliere  von  Herzen. 

ESCHENBACHER.   Danke,  Herr  Föd«rl. 


io6 


WACHSHUBER.  Mein  Beileid,  Herr  Eschenbacher. 
Mein  Beileid,  Frau  Klähr. 
Der  andere  Sarg  wird  in  das  Grah  gesenkt.    Stille^  viele  schluchzen. 

FRAU  GRINZINGER.  Was  sagen  S'  dazu  ?  Haben 
S'  so  was  schon  erlebt?  —  Von  denen,  die's  angeht, 
weint  niemand. 

HERZOGIN.  Wie  uns  diese  Leute  ansehn !  Welche 
feindseligen  Blicke!    Mir  wird  bang. 

HERZOG.  Es  zwang  Sie  niemand  hierher  zu 
kommen.  Auch  Helene  blieb  fern  . .  .  Vielleicht  hatte 
sie  recht. 

HERZOGIN.  Wohl  Ihnen,  der  diese  Bhcke  nicht 
lieht. 

HERZOG.  Ich  fühle  sie.  Doch  ficht's  mich 
nicht    an. 

HERZOGIN.    E»  zerreißt  mir  die  Brust. 

HERZOG.    Beherrschen  Sie  sich. 

HERZOGIN.    Mir  starb  ein  Sohn. 

HERZOG.    Mir  starb  mehr. 

Schollen  werden  auf  das  Grab  geworfen. 

ANNA.  Meine  Agathe,  meine  gute  Agathe  . . .  Sit 
weint. 

CAILLARD  wirft  eine  Scholle  aufs  Grab.  Fahr  wohl, 
Frangois,  mein  Freund. 

DESOLTEUX.^Yihrc  wohl,  Prinz  von  Valois,  Sohn 
meines  Herrn. 

ETZELT  wirft  eine  Schelle  hinab. 

MEDARDUS  bleibt  regungslos. 

HERZOGIN  wirft  eine  Scholle  hinab,  plötzlich  schreit  sie 
wild  auf,  heinah  wie  ein  Tier  brüllend,  und  wirft  sich  weinend  aufs 
Grab. 

FRAU  GRINZINGER.    Jetzt  weint  sie. 
ANDRE.    Jetzt  weint  sie. 
FRAU  FÖDERL.    Jetzt  ist's  zu  spät. 
ANDRE.    Hätt'  sie  sich's  früher  überlegt. 
FRAU   GRINZINGER.     Vom   Weinen   ist    noch 
keiner  wieder  aufgestanden 

FRAU  FÖDERL,    Der  Himmel  wird  sie  strafea 


107 


HERZOGIN.  Ich  bin  ohne  Schuld!  Ich  bin  ohne 
Schuld!  — 

Murmtln,  Bewegung. 
HERZOG  von  Asidagny  geführt,  tritt  %u  Frau  Kläbr.    Es 
geziemt  sich,  Madame,  daß  ich  mich  Ihnen  vorstelle. 
FRJU  KLAHR.    Ich  kenne  Sie. 

Die  Leute^  sehr  erstaunt  und  neugierig,  versuchen  in  die  Nähe  %u 

drängen^  werden  auf  der  einen  Seite  von  Eschenbacher,  auf  der  andern 

von  Assalagny  fortgedrängt. 

HERZOG.  Madame,  ich  beklage  das  unglückselige 
Schicksal  Ihrer  Tochter  nicht  weniger  als  das  meines 
Sohnes  .  .  . 

FRAU  KLAHR.    Sie  beklagen  es  —  ? 

MEDARDUS  starrt  ihn  an. 

ESCHENBACHER.    Ruhig,  Schwester. 

HERZOG.    Ich  beklage  es,  doch  ich  bereue  nichts. 

FRAU  KLAHR.  So  wünsch'  ich,  daß  Gott  Ihnen 
verzeihn  möge,  ich  vermag  es  nicht. 

HERZOG.  Ich  bedarf  keiner  Verzeihung  von  den 
Menschen,  —  und  Gott  zürnt  mir  nicht.  Er  wendet 
sich  ah. 

Die  Herzogin  bat  Heb  indes,  von  Desolteux  und  CaiUard  unterstützt^ 
erhoben. 

FRAU  GRINZINGER  %u  Frau  Föderl.  Haben  Sie 
was  verstanden  ? 

FRAU  FÖDERL.  Von  Verzeihung  hat  er  was 
g'sagt. 

LEOPOLDINE.  Jetzt  is  aus,  Berta,  jetzt  is  aus!  — 
Sie  weint. 

FRAU  WINKLER.    Komm,  mein  Kind! 

Die  Leute  entfernen  sich  allmählicb. 

Herzog,  Herzogin,  Assalagny,  Desolteux,  CaiUard,  die  Lakaien  auf 

der  einen  Seite, 

FRAU  KLAHR.    Medardus  .  .  . 
BARGETTI.    Ihre  Mutter  ruft  Sie,  Medardus. 
FRAU  KLAHR.   WiUst  du  mich  nicht  nach  Hause 
führen  ? 
ESCHENBACHER.    Komm,  Medardus. 


io6 


MEDARDUS.    Laß  mich  hier,  Mutter. 
FRAU  KLÄHR  siebt  ihn  an,  dann  %u  Etzelt.    Bleiben  Sie 
bei  ihm,  Etzelt  ? 
ETZELT  nickt. 

Frau  Kläbr,  die  Btrgers^  Escbettbacber,  Bargetti  ab. 
Etzelt.     Medardus. 

ETZELT.    Medardus. 

MEDARDUS  ohne  ihn  anxusebn.  Was  willst  du,  Etzelt  ? 

ETZELT.    Ich  wollte,  du  könntest  weinen. 

MEDARDUS.  Tränen  sind  tückisch,  sie  lösen 
steinerne  Verzweiflung  in  weichmütige  Trauer  auf 
und  schwemmen  den  Vorsatz  der  Rache  mit  sich 
fort. 

ETZELT.  Treibe  deinen  Schmerz  nicht  ins  Irre. 
Nimm  ihn  Heber  mit  dir  auf  deinen  vorgesetzten  Weg 
als  stummen  und  edeln  Gefährten. 

MEDARDUS.    Wohin  mein  Weg  —  ? 

ETZELT.  Du  wirst  dich  drauf  besinnen,  wenn  wir 
jenseits  dieser  Mauern  sind. 

MEDARDUS.  Wir  können  uns  nicht  mehr  ver- 
stehn,  Etzelt !  Deine  Sprache  ist  doch  nur  aus  Worten 
gemacht!    Er  wirft  sieb  aufs  Grab  bin. 

ETZELT  gebt. 

MEDARDUS  allein.  Agathe!  Schwester!  Geliebte, 
hingeopferte  Schwester!  .  .  .  Kommt  ihr  nun  doch, 
elende  Tränen  ?  FHeßt  nur  .  .  .  fließt  .  .  .  Sanft 
strömt  ihr  über  meine  Seele  dahin  und  nehmet  nichts 
mit  euch  fort. 

Er  liegt  der   Länge   nacb   bingestreckt,   hinter  dem   aufgeioorfenen 

Hügel  links,  so  daß  die  von  recbts  Kommenden  ihn  anfangs  nicht 

sehen  können. 

Helene,  die  Prinzessin  von  Valois,  und  Nerina,  ihr  Kammermädchen^ 

kommen  von  rechts^   von   einem   Friedhof stoäcbter  geleitet,   der  sie 

dann  gleich  verläßt. 

HELENE.     Hier  also.     Sie  sUbt  sinnend. 

NERINA  tveint. 

HELENE.    Du  weinst,  Nerina? 

NERINA.  Wie  sollt'  ich  nicht,  gnädigste  Prinzessin  f 


109 


So  jung,  so  schön,  so  gütig  —  und  mußte  schon  so 
früh  fort  aus  dieser  Welt. 

HELENE.  Gütig  und  schön  und  jung  .  .  .  dies  alles 
war  er  wohl.  Doch  nicht  für  diese  Welt  geschaffen. 
Drum  verließ  er  sie. 

NERINA.  Prinzessin,  es  war  doch  Ihr  einziger 
Bruder,  und  Sie  liebten  ihn  sehr.  Auch  Ihnen  tut  das 
Herz  weh,  Prinzessin. 

HELENE.  Ja,  das  Herz  tut  mir  weh,  denn  ich  steh' 
an  seinem  Grab.  Aber  wie  ich  ihn  leben  sah,  hat  mei- 
nem Herzen  noch  schhmmer  weh  getan.  Oftmals,  da 
wir  beide  noch  Kinder  waren  und  miteinander  spielten, 
hab'  ich  mir  ihn  als  Jüngling  geträumt.  Und  weißt 
du,  wie  ich  ihn  vor  mir  sah  ?  Den  Degen  locker  in  der 
Scheide,  lachen,  wenn  Frauen  zu  seinen  Füßen  weinten, 
und  mit  leuchtenden  Augen  in  seine  große  Zukunft 
schaun.  —  Und  wie  klägUch  hat  es  sich  erfüllt!  Seine 
Freude  war,  abends  im  Mondschein  spazieren  zu 
wandeln,  sanfte  Melodien  zu  spielen  auf  dem  Spinett  — 
und  am  Ende  wird  er  närrisch  über  das  erste  hübsche 
Gesicht,  das  ihm  begegnet,  und  vergißt  seiner  hohen 
Sendung Wenn  er  ihrer  jemals  gedacht  hat .  . . 

NERINA.   Gnädigste  Prinzessin,  man  sagt .  . . 

HELENE.    Was  sagt  man,  Nerina? 

NERINA.  Das  junge  Geschöpf  wäre  von  dem 
Prinzen  in  der  Hoffnung  gewesen  .  .  . 

HELENE.  U  nd  was  weiter  ?  Es  laufen  mehr  Kinder 
herum,  die  ihren  Vater  nicht  kennen  —  und  sind  mehr 
Weiber  ins  Wasser  gegangen,  ohne  ihre  Liebhaber 
mitzunehmen. 

NERINA.    Gewiß  hat  er  sie  sehr  geliebt. 

HELENE.    Das  ist  es  eben. 

NERINA.  Prinzessin,  wenn  Gefühle  in  unserer 
Macht  ständen  .  .  . 

HELENE.  Ja,  du  weißt  was  davon  zu  erzählen  .  .  . 
Stille,  Nerina,  weine  nicht .  .  .  Ich  habe  sein  Grab 
gesehn  zum  ersten-  und  zum  letztenmal  —  nun  wollen 
wir  gehn    —   SU   nimmt  Blumen  aus  ibrtm  GüruL     Ruh'  in 


HO 


Frieden,  lieber,  armer,  törichter  Bruder.  Läßt  iü  Blumen 

dufs  Grab  sinken. 

MEDARDUS  der  Heb  erhoben  bat.  Nehmen  Sie  diese 
Blumen  fort,  Prinzessin.  Hier  ruht  nicht  Ihr  Bruder 
allein.  Auch  eine,  deren  arme  Seele  den  Duft  dieser 
Blumen  wie  den  letzten  und  fürchterlichsten  Hohn 
in  sich  tränke,  —  meine  Schwester  ruht  in  diesem  Grabe. 

HELENE  steht  ihn  an,  dann  %u  Nerina.  Die  wohl  um 
einiges  sanfter  war,  wenn  sie  meinem  Bruder  so  wohl 
gefiel.    Komm,  Nerina. 

MEDARDUS.  Die  Blumen  fort,  oder  ich  zertrete 
lie. 

HELENE  nimmt  sie  auf.  Wahrhaftig,  dies  wäre  ein 
zu  gemeines  S(.hi:ksal. 

MEDARDUS,  Nun  sind  sie  einem  würdigeren  auf- 
bewahrt, —  zu  verwelken  in  den  hochmütig  mörde- 
rischen Fingern  einer  Valois. 

DER   MARQUIS   BERTRAND   VON   FALOIS 

über  dreißig,  sehr  elegant,  kommt  rasch.  Ich  dachte  Sie  hier  ZU 
finden,  Prinzessin.   Doch  nicht  allein,  wie  ich  sehe  —  ? 

MEDARDUS.    Ich  bin  Medardus  Klähr. 

HELENE.  Es  ist  der  Bruder  des  Mädchens,  das 
Frangois  mit  sich  in  den  Tod  nahm,  und  —  verbot 
mir  eben,  Blumen  auf  dies  Grab  zu  legen. 

MARQUIS.  Mein  Name  ist  Bertrand,  Marquis 
von  Valois.  Ich  sehe,  daß  Sie  eine  Waffe  tragen,  mein 
Herr.  Wenn  es  Ihnen  recht  ist,  werde  ich  so  frei  sein, 
Sie  von  jetzt  in  drei  Stunden,  das  ist  genau  um  die 
Mittagszeit,  in  der  Penzinger  Au  bei  dem  Forsthaus 
xu  erwarten. 

MEDARDUS.    Ich  werde  zur  Stelle  sein.  Ab. 

HELENE.    Er  verdient,  daß  Sie  ihn  züchtigen. 

MARQUIS.  Sie  werden  mir  das  Nähere  erzählen, 
Prinzessin.  Zuerst  aber  sollen  Sie  eine  Nachricht  von 
höchster  Wichtigkeit  erfahren.  Dieses  Billett  kündigt 
mir  die  Ankunft  Renaults  an. 

HELENE.  Renault  ?  .  .  .  wir  haben  länger  als  ein 
Jahr  nichts  von  ihm  gehört. 


III 


MARQUIS,  icn  sprach  ihn  ror  einem  halben  Jahr 
in  Holland  ...  Er  gab  sich  mir  als  einen  begeisterten 
Anhänger  Ihres  Vaters  zu  erkennen. 

HELENE,  Er  verüeß  uns  als  solcher .  .  .  Aber 
man  hörte  nichts  mehr  von  ihm .  .  .  Nichts  Be- 
stimmtes wenigstens.  Was  hilft  es  uns  übrigens  heute, 
daß  er  wieder  da  ist.    Hätt'  es  uns  jemals  geholfen? 

MARQUIS.  Er  kommt  aus  Paris.  Wir  werden  ja 
hören,  was  für  Nachrichten  er  bringt. 

HELENE,  die  ihre  Finger  betracbut  bat.  Hochmütig, 
mörderisch  nannte  er  diese  Hand  .  .  .  Plöt%licb.  Töten 
Sie  den  jungen  Menschen,  der  da  eben  fortging,  und 
ich  will  die  Ihre  sein,  Bertrand. 

MARQUIS.    Helene darf  ich  Sie  zu  Ihrem 

Herrn  Vater  geleiten  ? 

HELENE.  Geduld,  Herr  Marquis!  Suchen  Sie 
Ihre  Freunde  auf.  In  drei  Stunden  müssen  Sie  mit 
ihnen  in  der  Penziger  Au  sein.  Auf  Wiedersehen  nach- 
her.   Komm,  Nerina.    Ab  mit  ihr. 


Zweite  Szene 

Alter  Garten,  xu  dem  Scblößcben  gehörig,  das  der  Herzog  hewhnt. 
Das  kleine  Scblößcben  selbst  links  recht  vernachlässigt,  einstöckig. 
Breite  Stufen  führen  in  den  Gartensalon.  Rechts  vorn  ein  Boskett, 
rückwärts  unter  Bäumen  ein  Teich.  Verwitterte  Sandsteinfiguren. 
Rings  um  das  Scblößcben  eine  Mauer,  die  durch  hohe  Bäume  größten- 
teils gedeckt  ist. 
Helene  und  Nerina  auf  einer  Bank. 

NERINA.    Welch  ein  Tag,  Prinzessin! 

HELENE.    Er  ist  noch  nicht  zu  Ende. 

NERINA.  Gott  sei  davor,  daß  er  ein  schUmmes 
Ende  nehme  für  irgendwen. 

HELENE.  Hast  du  nicht  gehört,  was  ich  dem 
Marquis  versprach,  Nerina?  Ich  kann  mir  Männer 
denken,  auf  die  solch  eine  Aussicht  nicht  ganz  ohne 
Wirkung  bliebe  .  .  .  Wie  fandest  du  übrigen«,  daß  er 
aussah  .  .  .  ? 


III 


f^ERINA.  Wie  einer,  den  man  nicht  gleich  ins 
Tollhaus  stecken  müßte,  —  wenn  er  sich  einbildete, 
einer  so  edeln  Hand  würdig  zu  sein. 

HELENE.  Der  Marquis,  meinst  du  — ?  Er  hat 
es  nicht  schwer,  gut  auszusehn.  Diese  Gabe  bringt 
jeder  aus  dieser  Familie  mit  auf  die  Welt.  Ich  meinte 
den  andern.    Wie  fandest  du  den? 

NERINA.  Wild  genug  sah  er  aus.  Und  bedrohlich 
beinah. 

HELENE.  Wahrhaftig,  er  hatte  einen  recht 
flammenden  BUck  .  .  .  und  eine  fast  einwandfreie 
Haltung.  Ganz  natürhch  fand  ich  ja  beides  nicht. 
Aber  er  fiel  wenigstens  nicht  aus  der  Rolle.  Und  er 
sieht  aus,  als  wenn  er  —  verstünde  den  Degen  zu 
führen. 

NERINA.  Mir  sagte  jemand,  daß  die  Studenten 
hier  bei  einem  itaUenischen  Fechtmeister  Unterricht 
nehmen. 

HELENE.  Wahrhaftig,  du  hast  deine  Verbindungen 
überall. 

NERINA.  Immerhin,  verzeihen  Sie,  gnädigste 
Prinzessin,  es  bleibt  ein  lächerlicher  Handel.  Der 
Marquis  von  Valois  und  ein  Wiener  Bürgerssohn!  .  .  . 
So  sehr  ich  einen  guten  Ausgang  für  beide  wünschte 
—  mir  ahnt  ja  doch,  als  würde  der  arme  Junge  seiner 
allzu  geliebten  Schwester  früher  folgen  müssen,  als 
ihm  heb  ist. 

HELENE.  Du  sprichst  mir  zu  Gefallen,  Nerina. 
Wir  wollen  nicht  zu  früh  frohlocken,  es  kann  auch 
anders  kommen.  Sie  erbebt  neb.  Wie  lang  ist's  her,  daß 
wir  wieder  zu  Hause  sind? 

NERINA.  TjViti  Stunden  kaum,  gnädigste  Prin- 
zessin. 

HELENE.   Zwei  Stunden  .  .  . 

NERINA.    Welch  ein  Tag,  Prinzessin. 

HELENE.  Hole  die  Federbälle,  Nerina.  Wir 
wollen  spielen. 

NERINA.    Jetzt,  Prinzessin?    Heute!?... 

ThMUntSck«,  IV,  I  II J 


HELENE.  Warum  nicht  ?  Man  muß  doch  irgend- 
wie die  Zeit  hinbringen.  Sollen  wir  seufzen  ?  Sollen 
wir  dasitzen  und  warten  ?  Es  wird  nicht  anders  .  .  . 
Nichts  wird  anders,  ob  wir  nun  Ball  spielen  oder 
klagen  .  .  . 

NERINA  ab. 

Helene,  —  Desolteux  und  Assalagny  aus  dem  Hause. 

HELENE.  Wie  haben  Sie  meinen  Vater  verlassen, 
Doktor  Assalagny? 

ASSALAGNT.  Er  hält  sich  vortrefflich.  Ja,  über 
alle  Erwartung  gut.  Man  möchte  fast  sagen,  —  wie 
einer,  der  nicht  ganz  zu  fassen  vermag,  was  geschehn 
ist.  Die  Frau  Herzogin,  Ihre  Mutter,  Prinzessin,  faßt 
es  leider  ganz  .  .  .  Sie  ist  allein. 

HELENE.  Ich  weiß.  Aber  es  ist  mir  nicht  gegeben, 
die  Worte  zu  finden,  nach  denen  es  sie  in  einer  solchen 
Stunde  wohl  verlangen  möchte.  Und  schweige  ich, 
so  blickt  sie  mich  angstvoll  an,  —  als  verschlösse  ich 
in  mir  ein  Geheimnis.  Meine  Gegenwart  ist  ihr  also 
von  keinem  Nutzen  .  .  .  Herr  Renault  ist  noch  nicht 
zur  Stelle? 

DESOLTEUX.  Er  wird  erwartet,  gnädige  Prinzessin 
Sie  erinnern  sich  seiner  noch? 

HELENE.  Warum  sollt'  ich  nicht?  Wir  sehen 
wahrhaftig  nicht  gar  so  viel  Leute.  Und  er  gehört 
nicht  zu  den  Gewöhnlichen. 

ASSALAGNT.  Er  hat  etwas  von  einem  Phantasten 
und  viel  von  einem  Abenteurer. 

DESOLTEUX.  Ich  wage  nicht  über  ihn  zu  urteilen. 
Er  ist  immer  nur  auf  wenige  Tage  am  Hofe  des  Herzogs 
von  Valois  erschienen. 

HELENE.  Im  Hause  des  Herrn  von  Valois  — 
müssen  Sie  sagen,  Desolteux.  —  Nicht  wahr,  Doktor 
Assalagny  ?  Und  dabei  ist  es  nicht  einmal  unser  Haus  . . 
Zur  Miete  wohnen  wir  hier!  .  .  .  wie  überall  .  .  . 
Wer  mag  daheim  in  Frankreich  in  unserm  eigenen 
wohnen  ? 

DESOLTEUX.    Hier  kommt  Caillard. 


114 


ASSALAGNT.  Er  ist  nach  Neuigkeiten  auf  der 
Bastei  gewesen. 

CaiUard  kommt  und  verbeugt  sieb  vor  der  Prinxessin, 
Helene.     Assalagny,     Desolteux. 

HELENE.  Guten  Morgen,  Herr  Caillard,  was 
bringen  Sie  uns  ? 

DESOLTEUX.  Bewahrheitet  es  sich,  daß  sich  die 
Stadt  zur  Verteidigung  bereit  macht  ? 

CAILLARD.  Man  möchte  es  beinah  glauben.  Die 
Wehre  werden  erhöht,  Schießscharten  eingeschnitten, 
Zugbrücken  repariert,  man  sieht  auch  schon  ziemHch 
viel  Bürger  in  Uniform  herumstolzieren.  Aber  mir 
scheint,  sie  tun  das  alles  mehr  aus  Geschäftigkeit, 
vielleicht  um  ihr  Gewissen  zu  beruhigen,  als  weil  sie 
die  Sache  für  sonderlich  ernst  halten.  Sie  sind  so 
guter  Dinge,  als  wenn  es  sich  um  die  Vorbereitungen 
zu  einem  Fest  handelte.  Es  heißt  auch,  daß  ein  Teil 
der  Bürgerschaft  eine  Bittschrift  an  den  Kaiser  Franz 
gerichtet  hat,  die  Stadt  nicht  den  Fährlichkeiten 
einer  Belagerung  auszusetzen.  Einer  der  Erzherzöge 
soll  es  befürwortet  haben.  Ich  weiß  nicht  mehr 
welcher. 

DESOLTEUX.  Und  daran,  daß  das  französiche 
Heer  noch  aufzuhalten  sein  könnte,  denken  die  Leute 
gar  nicht  mehr? 

CAILLARD.  Ich  glaube  niemand.  Wenn  sie  auch 
den  Erzherzog  Karl .  .  .  trotz  Ingolstadt  und  Eck- 
mühl  für  einen  großen  Feldherrn  halten.  Und  um 
gleich  alles  zu  berichten,  Ausweisungsbefehle  an  die 
in  Wien  anwesenden  Fremden  sind  bereits  in  großer 
Zahl  ergangen. 

DESOLTEUX.  So  ist  es  wieder  einmal  an  der  Zeit, 
die  Koffer  zu  packen. 

HELENE.  Desolteux!  —  Dem  Herzog  von  Valois 
und  seiner  Begleitung  hat  der  Kaiser  von  Österreich 
selbst  vor  drei  Jahren  hier  ein  Asyl  bewilligt.  Man 
wird  ihn  nicht  daraus  vertreiben. 

CAILLARD.  Das  vielleicht  nicht  —  aber  im  Augen- 

8«  IIS 


blick,  da  Napoleon  vor  der  Stadt  steht,  wird  das  Asfl 
für  uns  zu  einer  Mausefalle. 

ASSALAGNT.  Die  Gefahr  scheint  mir  nicht  groß. 
Bonaparte  wird  das  Asylrecht  des  Herzogs  von  Valois 
nicht  antasten. 

HELENE.  Warum  sind  Sie  davon  überzeugt, 
Doktor?  — 

ASSALAGNT.  Weil  Bonaparte  keine  seiner  Seelen- 
kräfte an  Unnützes  verschwendet.  Glicht  einmal  seine 
Furcht. 

HELENE.    Ich  verstehe  Sie  nicht,  Doktor. 

ASSALAGNT.  Es  ist  Ihnen  gewiß  nicht  unbekannt, 
Prinzessin,  daß  Bonaparte  vor  ein  paar  Jahren  einen 
englischen  Juden  nach  Warschau  geschickt  hat,  um 
dem  Grafen  von  Provence,  jetzigen  Grafen  von  Lille, 
Geld  anzubieten  für  den  endgiltigen  Verzicht  auf 
Frankreichs  Krone.  Beim  Herzog  von  Valois  hat  er 
nicht  einmal  das  für  notwendig  gehalten. 

DESOLTEUX.  Hat  er  diese  Beleidigung  nicht 
gewagt  — ! 

ASSALAGNT.  Ich  bitte  Sie,  Desolteux!  Was 
würde  Bonaparte  nicht  wagen!  ...  Er  hat  einfach,  ge- 
stehen wir's  uns  doch  ein,  die  Ansprüche  des  Herzogs 
von  Valois  niemals  ernst  genommen.  Und  er  sollte  es 
heute  tun,  —  heute  —  da  der  Herzog  selbst  zu  unserm 
tiefsten  Schmerz  alle  seine  Ansprüche  .  .  .  alle  seine 
Träume  begraben  mußte?!  Der  Herzog  von  Valois 
ist  so  verehrungswürdig  als  beklagenswert,  und  es 
schiene  mir  grausam,  auch  nur  den  Gedanken  einer 
Flucht  vor  ihm  laut  werden  zu  lassen. 

HELENE  siebt  ihn  wortlos  an  und  entfernt  sieb  nacb 
rechts. 

CAILLARD.  Sie  sind  in  Ungnade  gefallen,  Doktor 
Assalagny. 

DESOLTEUX.  Auch  könnten  Sie  sich  in  der  An- 
nahme täuschen,  daß  der  Herzog  seine  wohlberech- 
tigten Ansprüche  aufzugeben  gedenkt,  weil  sein  Sohn 
nicht  mehr  lebt.    Der  Marquis  von  Valois  ist  hier  — 


II« 


und  bewirbt  sich  um  die  Hand  der  jt'rinzessin.  Und  wir 
erwarten  Renault. 

ASSALAGNr.  Politik  ist  meine  Sache  nicht.  Ich 
bin  der  Arzt  eines  blinden,  kranken  Mannes  —  be- 
trachten Sie  alles,  was  ich  sage  und  tue,  von  diesem 
Standpunkt,  meine  Herren.    Ab. 

DesolUux.     Caillard. 

CAILLARD.  Ich  weiß  nicht  sicher,  ob  Bonaparte 
Grund  hatte,  den  Herzog  von  Enghien  zu  fürchten  . . . 
Daß  er  ihn  hat  erschießen  lassen,  ist  zweifellos  .  .  . 

DESOLI  EU  X.  Was  wollen  Sie  damit  sagen, 
Caillard  —  ? 

CAILLARD.  Werden  Sie  —  am  Hofe  des  Herzogs 
von  Valois  bleiben,  Desolteux? 

DESOLTEUX.  Ob  ich  bleiben  werde?  Ich  habe 
vor  siebzehn  Jahren  Frankreich  mit  dem  Herzog  ver- 
lassen, da  er  noch  ein  Mann  war  und  die  Welt  im  Lichte 
seiner  stolzen  Augen  vor  ihm  blühte.  Ich  war  der  Ge- 
fährte seiner  Verzweiflungen  und  seiner  Hoffnungen 
bis  zum  heutigen  Tag.  In  Hamburg,  in  Kopenhagen, 
in  Amsterdam  war  ich  an  seiner  Seite  .  .  .  Ich  habe 
seine  Kinder  ein  Vaterland  lieben  gelehrt,  das  sie  und 
uns  alle  ausgestoßen  hat.  —  Seit  der  unglückliche 
Sohn  des  hingerichteten  Ludwäg  dahin  ist,  weiß  ich, 
daß  keinem  andern  die  Krone  Frankreichs  gebührt 
als  dem  Herzog  von  Valois.  —  Und  Sie  fragen  mich, 
ob  ich  bleibe  ? 

CAILLARD.  Keinem  andern?  Sie  werden  nicht 
leugnen,  Desolteux,  daß  man  dem  Grafen  von  Lille, 
dem  Bruder  des  hingerichteten  Königs,  mindestens 
die  gleichen  Ansprüche  zugestehen  muß  als  —  einem 
Vetter  im  dritten  Grade? 

DESOLTEUX.  Der  Graf  von  Lille  hat  für  mich 
jedes  Recht  auf  die  Krone  verwirkt,  seit  er  gegen  sein 
eigenes  Vaterland  die  Waffen  ergriff. 

CAILLARD.  Er  tat  es  doch  nur,  um  zu  seinem 
Recht  zu  gelangen,  Desolteux! 

DESOLTEUX.     Der    König,    der    an    lieh    selbst 


"7 


glaubt,  wartet,  bis  sein  Land  ihn  ruft.  Wir  könnten 
dergleichen  noch  erleben,  Caillard! 

CAILLARD.  Der  Prinz  von  Valois  ist  tot,  Desol- 
teui! 

DESOLTEUX.  Auch  in  den  Töchtern  der  Valois 
fließt  königliches  Blut. 

CAILLARD.  Desolteux,  wollen  Sie  wirklich  Ihr 
Leben  lang  der  Narr  eines  Narren  bleiben? 

DESOLTEUX.  Caillard!  Ruhiger.  Warum  sind  Sie 
nicht  längst  von  hier  fortgegangen,  Caillard? 

CAILLARD.  Sie  fragen?  Fran?ois  war  mein 
Freund.  Ich  hätt'  ihn  nie  verlassen.  Aber  ich  kannt' 
ihn,  Desolteux!  Groß  zu  sein  war  er  nicht  geboren, 
doch  er  war  geschaffen  Größe  zu  verstehn.  Und  ein- 
mal wäre  der  Tag  gekommen,  an  dem  wir  beide  zu- 
sammen von  hier  fortgegangen  wären,  um  im  Schatten 
eines  Größern  dem  Vaterland  zu  dienen! 

DESOLTEUX.  Verstecken  Sie  sich  nicht  hinter 
einem  Toten,  Caillard,  der  Prinz  kann  Sie  nicht  mehr 
Lügen  strafen.  Sie  sind  treulos  und  jung.  —  Ich  würde 
an  Ihrer  Stelle  nicht  länger  zögern  .  .  .  und  dem  Rufe 
meines  Herzens  folgen. 

Renault  kommt.    Über  vierxig.    Grau  mtlurttr  hUiner  Knebelbart. 
Narbe   auf   der   Stirn.     Blitzende   Augen,   lebkaft,    sehr   vollendete 
Formen,  manchmal  eine  Art  von  Herzenston,  d*r  nicht  recht  glaub- 
haft wirkt. 
Desolteux.    Caillard. 

RENAULT.  Desolteux,  Caillard,  meine  Freunde, 
ist  es  denn  auch  wahr  ?     Händedruck». 

DESOLTEUX.  Heute  morgens,  Renault,  haben 
wir  ihn  begraben. 

RENAULT.  Ich  kann  es  gar  nicht  fassen.  Der  Prinz 
von  Valois  tot  —  durch  eigene  Hand.  Und  wegen 
einer  dummen  Liebesgeschichte,  wie  man  erzählt.  Ihr 
hättet  besser  auf  ihn  acht  geben  müssen.  Nicht  Sie 
mein'  ich,  Desolteux,  denn  seine  Erzieher  führt  man 
ja  immer  hinters  Licht.  Aber  Sie,  Caillard,  Sie  waren 
sein  Freund. 


ii8 


CAILLARD  ubr  Uicbt.  Ich  hoffe,  Renault,  Sie  werden 
es  sich  nicht  einfallen  lassen,  irgend  jemanden  für  den 
Tod  des  Prinzen  verantworthch  zu  machen,  weder 
mich  noch  einen  andern. 

RENAULT  mit  Herzenston.  Caillard,  ist  das  die  Art 
einen  Mann  zu  empfangen,  der  seit  drei  Wochen  in 
keinem  Bette  schlief,  um  zu  guter  Stunde  bei  seinen 
Freunden  einzutreffen? 

CAILLARD.    Eine  gute  Stunde,  bei  Gott. 

DESOLI  EU  X.    Wann  haben  Sie  Paris  verlassen? 

RENAULT.  Am  gleichen  Tage  wie  Bonaparte. 
Und  bin  früher  da  als  er. 

CAILLARD.  Sie  hatten  allerdings  weniger  auf 
dem  Weg  zu  tun,  Renault. 

REN  AU  LT  Uicbt.  Ich  hoffe  nun  meinerseits,  Caillard, 
Sie  nehmen  wir  nicht  etwa  übel,  daß  ich  nicht  unter 
den  Fahnen  —  eines  korsischen  Offiziers  fechte. 

CAILLARD.  Nicht  mehr  müssen  Sie  sagen, 
Renault.  Diese  Narbe  stammt  ja  meines  Wissens  von 
Marengo. 

RENAULT.  Aus  einer  Zeit,  Caillard,  da  Bonaparte 
der  kühnste  Soldat  seines  Landes  war,  nicht  sein 
Tyrann.  SoUte  es  wirklich  notwendig  sein  das  an 
dieser  Stelle  zu  erklären  ?  Oder  hat  sich  der  Boden 
verwandelt,  auf  dem  ich  stehe?  Ist  dies  nicht  mehr 
der  Hof  des  Herzogs  von  Valois  ? 

CAILLARD.  Es  dürfte  nicht  schwer  sein,  ihn  vom 
Hof  des  Grafen  von  Lille  zu  unterscheiden,  den  Sie  ja 
noch  besser  kennen  dürften! 

RENA  UL  T  ihn  scharf  und  ruhig  betracbuni.  Ist  es  das  . . . 
üerxog  und  Dr.  Assdagny  treten  aus  dem  Gartensaal.  Desolteux. 
Caillard.    Renault. 

RENAULT  ihm  rasch  entgegen.     Mein  Herzog  .  .  . 
HERZOG.    Die  Stimme  Renaults!    Sein   Sie  mir 

willkommen.     Er  reicht  ihm  die  Hand. 

RENAULT  beugt  seine  Knie  und  küßt  die  Hand. 
HERZOG.    Wer  ist  außer  Ihnen  hier  anwesend  ? 
DESOLTEUX.    Ich,  Herzog. 


"9 


CAILLARD.    Und  ich  .  . . 

HERZOG.    Und  unser  Vetter,  der  Marquis? 

DE  SO  LT  EU  X.    Er  fehlt  noch. 

HERZOG  XU  tinem  Lakaien,  itr  auf  der  Stufe  itr  Terrass$ 
tuben  geblieben  ist.  Man  setze  meine  Gattin  und  meine 
Tochter  von  der  Anwesenheit  des  Herrn  Renault  in 
Kenntnis. 

LJKJI  ab. 

HERZOG.  Renault,  was  haben  Sie  mir  zu  berichten  ? 

RENAULT.  Nichts,  mein  Herzog.  Denn  alles  ist 
nun  sinnlos  geworden  .  .  .  außer  meinem  Schmerz. 

HELENE  kommt.  Hier  bin  ich,  mein  Vater.  Meine 
Mutter  läßt  sich  entschuldigen,  sie  fühlt  sich  nicht 
fähig,  irgendeinen  Menschen  zu  sehn,  und  war  es  auch 
einer,  den  wir  alle  willkommen  heißen.  Sie  reicht  Renault 
die  Hand. 

RENAULT  beugt  sein  Kni$  und  küßt  die  Hand.  Prin- 
zessin .  .  . 

HERZOG.    Sie  kommen  aus  Paris  . .  . 

RENAULT.  Es  war  mein  letzter  Aufenthalt, 
Herzog.  Ich  war  nur  wenige  Tage  dort.  Große  Reisen 
liegen  hinter  mir. 

HERZOG.    Sie  waren  in  Spanien? 

RENAULT.  Ja,  Herr  Herzog,  und  vorher  in  War- 
schau. 

HERZOG.    Beim  Grafen  von  Lille? 

RENAULT.  Es  schien  mir  unerläßlich,  ihn  von 
Angesicht  zu  sehen,  um  es  begreifen  zu  dürfen,  daß 
kein  vernünftiger  Mensch  in  Frankreich  mehr  —  an 
ihn  glauben  will. 

HERZOG.    Und  Sie  begreifen  es  nun  ? 

RENAULT.  E«  war  nicht  schwer.  Die  Sache  ist 
einfach  die,  daß  er  selbst  aufgehört  hat,  an  sich  zu 
jlauben.  Er  hat  sich  in  England  ein  Schloß  gekauft 
—  lebt  nun  als  eine  Art  von  Landedelmann  in  Bucking- 
ham  und  wird  am  Ende,  gleiches  mit  gleichem  ver- 
geltend, Frankreich  vergessen. 

HERZOG.   Daß  Sie  in  Spanien  waren,  Renault,  ist 


IM 


uns  bekannt.  Nun  ist  es  ja  aucii  dort  zu  £ncle  mit 
unsem  bourbonischen  Vettern.  Und  der  Bruder  des 
General«  Bonaparte  ist  König  von  Spanien.  —  Welche 
Welt! 

RENAULT.  Zum  König  gemacht  von  einem,  der 
sich  selber  zum  Kaiser  ernannte.  Es  wäre  eine  Scherz- 
frage, welcher  Titel  weniger  wert  ist. 

HERZOG.  Wenn  es  darauf  ankäme!  —  Seine 
Truppen  sind  auch  in  Spanien  siegreich,  das  bleibt 
das  WesentUche. 

RENAULI.  Auf  offenem  Felde,  Herzog,  und  unter 
Opfern,  die  ungeheuer  sind.  Aber  neben  diesem 
großen,  sozusagen  offiziellen  Krieg,  neben  diesen 
Schlachten  und  Belagerungen  gibt  es  auch  einen 
kleinen,  in  Engpässen,  auf  verlorenen  Straßen,  in 
kleinen  Dörfern  —  mit  Überfällen  aus  dem  Hinterhalt 
und  dergleichen,  der  alles  zunichte  macht,  was  im 
Feld  gewonnen  wird.  Es  ist  heute  soweit,  daß  kein 
Franzose  in  Spanien  es  wagt,  sein  Haupt  zur  Ruhe  zu 
legen,  wenn  nicht  zwei  andre  vor  der  Türe  Wache 
halten.  Ungeheuer  ist  der  Haß  gegen  Bonaparte  im 
Lande.  Sie  fühlen,  daß  niemand  Kriegsrecht  halten 
muß  gegen  einen,  vor  dessen  Willkür  und  Tücke 
keinerlei  Gesetze  gelten.  Die  Welt  wird  ein  Beispiel 
sehn,  daß  ein  zweifellos  großer  Feldherr  allmählich 
an  seinen  Siegen  verblutet.  Spanien  ist  das  Grab  von 
Bonapartes  Glück,  es  beginnt  auch  das  seines  Ruhmes 
zu  werden.  —  Und  vielleicht  hat  er  selbst  es  nur  so 
rasch  verlassen,  weil  er  fürchtet,  sich  persönHch  seinem 
Ruhm  und  seinem  Glücke  zur  Seite  in  dies  Grab  legen 
zu  müssen. 

HERZOG.    Hier  lächelt  einer! 

CAILLARD.  Ich  war  es,  Herr  Herzog.  Ich  wage 
zu  finden,  daß  uns  Herr  Renault  mit  all  seinem  Geist 
für  den  Mangel  an  Tatsachen  auf  die  Dauer  nicht  wird 
schadlos  halten  können. 

HERZOG.  Caillard,  Sie  haben  keine  besondere  Zu- 
neigung für  Herrn  Renault. 


IZl 


CAILLARD.    Das  ist  die  Wahrheit,  Herzog. 

HERZOG.  Caillard,  Sie  haben  in  diesem  Hause 
niemals  einen  andern  geliebt  als  meinen  Sohn.  Und 
mein  Sohn  ist  tot.  Niemand  wird  versuchen,  Sie  an 
einem  Orte  zurückzuhalten,  der  Ihnen  nun  nichts  mehr 
zu  bieten  hat  als  eine  traurige  Erinnerung. 

CAILLARD.  Herr  Herzog,  ich  empfange  mit  Ehr- 
erbietung Ihren  letzten  Befehl.    Er  gebt. 

HERZOG.  Weiter,  Renault.  Sprechen  Sie  von 
Frankreich.  Von  Paris.  Erzählen  Sie  uns  von  unsern 
Freunden,  wenn  es  noch  solche  gibt. 

RENAULT.  Wenn  es  solche  gibt  —  ?  Ich  darf  wohl 
sagen,  der  Herzog  von  Valols  hat  mehr  Freunde  als 
der  General  Bonaparte. 

DESOLI  EU  X.  Der  sie  niemals  hatte!  Lakaien  oder 
Verzückte  waren  um  ihn.  Lakaien  erheben  sich,  Ver- 
zückte kommen  wieder  zu  Verstand.  Nur  Freunde 
sind  treu. 

RENAULI.   Wenn  sie  nicht  zufällig  Verräter  sind. 

ASSALAGNT.  Caillard  ist  nicht  mehr  zugegen, 
Herr  Renault. 

RENAULT.    Man  wird  ihn  zu  finden  wissen 

HERZOG.  Ich  verbiete  Ihnen,  sich  um  ihn  zu 
kümmern,  Renavilt.  Sie  haben  Wichtigeres  zu  tun. 
Weiter  .  .  .  weiter  .  .  . 

RENAULT.  Herr  Herzog,  wozu?...  Der  Prinz 
von  Valois  ist \ tot. 

HERZOG.  "Sprechen  Sie,  Renault. 

RENAULT.  Ich  kann  nicht.  Was  ich  noch  zu  sagen 
hätte,  das  ginge  an  den  Prinzen  selbst. 

HERZOG.  Sprechen  Sie  —  als  stünde  der  Prinz 
lebendig  an  meiner  Seite. 

RENAULT.    Es  wird  klingen  wie  Hohn. 

HERZOG.    Sprechen  Sie! 

RENAULT.  Ich  kann  nicht,  Herr  Herzog!  —  Ich 
war  ja  hergesandt,  um  den  Prinzen  nach  Paris  zu  holen. 

HERZOG.    Renault! 

HELENE.    Er  wäre  Ihnen  nicht  gefolgt. 


112 


RENAULT.  Dem  Rufe  Frankreichs  nicht  ge- 
folgt, Prinzessin  ?  Er  xiebt  tinen  Brief  aus  der  Brusttoicbe. 
Werfen  Sie  einen  Blick  her,  Prinzessin,  sehen  Sie  die 
Unterschriften. 

HELENE.  Thibeaudeau,  Pons  de  Verdun,  Gregois, 
der  Oberst  Mariotti,  —  das  kann  alles  bedeuten  und 
nichts.    Es  sind  Grüße  und  Namen,  nicht  mehr  . . . 

RENAULT.    Aber  welche  Namen  H 

HELENE.    Auch  Fouch6? 

HERZOG.    Fouch6  —  ?! 

ASSALAGNT.    Pouche,  der  Polizeipräsident? 

RENAULT.  Am  Abend  meiner  Abreise  war  ich 
mit  allen  diesen  zusammen  .  .  . 

HERZOG.    Was  sollte  mein  Sohn  in  Paris? 

RENAULT.    Bereit  sein,  Herzog. 

HERZOG.    Sind  wir  so  weit? 

RENAULT.    Wir  sind  .  .  .  nein,  wir  waren  es. 

HELENE.  Bereit ...  ich  verstehe  Sie  nicht,  Herr 
Renault,  es  ist  ein  Wort .  .  .  „bereit"  .  . . 

RENAULT.  Der  Prinz  von  Valois  sollte  bereit  sein 
für  den  Fall,  daß  dem  General  Bonaparte  auf  seinem 
Siegeszug  etwas  Menschliches  begegnete. 

HELENE.    Für  den  FaU! .  . . 

ASSALAGNT.  Diese  Einschränkung  ist  ein  Strich 
durch  das  Ganze. 

DESOLTEUX.  Es  wäre  eine  traurige  Bereitschaft 
gewesen. 

ASSALAGNT.    Und  eine  etwas  langweilige. 

RENAULT.  Man  hält  Bonaparte  für  unverwund- 
bar, auch  hier  .  .  .  wie  es  scheint. 

DESOLTEUX.  Er  ist  unverwundbar,  wie  alle 
Helden,  die  es  vorziehn,  nicht  in  der  Schußlinie  zu 
«tehn. 

HELENE.  Das  ist  nicht  wahr,  Desolteux  ...  Da 
scheint  mir  das  Märchen  von  der  Unverwundbarkeit 
noch  glaublicher. 

RENAULT.  Das  Märchen  ist  zu  Ende,  Prinzessin! 
Vor  Landshut  traf  ihn  ein  Granatsplitter  am  Fuß. 


"3 


DESOLTEUX.    Wie?! 

RENAULT.  Und  es  könnte  sich  wohl  einmal  ein 
Splitter  oder  eine  Kugel  oder  irgend  sonstwas  von 
größerer  Entschiedenheit  finden.  Schweigen.  Es  wird 
niemanden  hier  wundernehmen,  daß  auch  solche  Mög- 
lichkeiten in  Betracht  gezogen  werden  von  Leuten, 
denen  die  Zukunft  Frankreichs  am  Herzen  liegt.  Und 
es  gibt  mehr  —  viel  mehr  Leute  in  Frankreich,  die  das 
Eintreffen  einer  solchen  Möglichkeit  ersehnen,  als  man 
hier  zu  ahnen  oder  zu  hoffen  scheint.  Ich  aber  komme 
aus  Frankreich.  Und  ich  weiß:  Frankreich  ist  müde, 
jedes  Jahr  neue  Hunderttausende  auf  unersättliche 
Schlachtfelder  zu  senden.  Es  bricht  zusammen  unter 
der  Last  von  so  viel  Siegen,  deren  Früchte  es  niemals 
zu  kosten  bekommt.  Es  hat  Ruhm  genug,  es  will  end- 
lich den  Frieden.  Und  ich  wage  ein  Wort  zu  wieder- 
holen, das  Fouch6  zu  mir  sprach,  ehe  ich  Paris  verließ : 
„Lassen  Sie  den  Prinzen  von  Valois  einmal  durch  die 
Straßen  von  Paris  reiten  —  und  in  der  nächsten  Stunde 
hat  Frankreich,  das  Frankreich,  das  zu  Hause  ist,  einen 
König.    Mögen  die  draußen  ihren  Kaiser  behalten." 

HERZOG.    Renault  .  .  . 

RENAULT.  Wohin  gerat'  ich  .  .  .  Der  Kaiser 
Napoleon  ist  auf  dem  Wege  nach  Wien  —  und  den 
Prinzen  von  Valois  hat  man  heute  begraben.  Meine 
Anwesenheit  muß  Ihnen  qualvoll  sein,  Herr  Herzog, 
—  erlauben  Sie  mir,  mich  zurückzuziehen. 

HERZOG.  Nicht  so  geschwind,  Renault  .  .  .  Ruhn 
Sie  sich  ein  wenig  aus,  ich  werde  vielleicht  mit  Ihnen 
noch  zu  reden  haben.  Meine  Herren,  lassen  Sie  mich 
mit  der  Prinzessin  allein. 

Renault^  Assalagny  und  DesolteuM  in  den  Saal. 
Herzog.    Helene. 

HELENE.    Vater  —  ? 

HERZOG.  Der  Marquis  von  Valois  bewirbt  sich 
um  deine  Hand,  Helene.  Kannst  du  dich  entschließen 
seine  Werbung  anzunehmen  ? 

HELENE  siebt  ihn  lange  tm,  dann  ergreift  li*  uiiu  Hind*. 


«H 


Du  wirst  einen  Enkel  haben,  mein  Vater,  —  und  wen» 
sein  Erbteil  erobert  ist,  so  will  ich  es  zu  verwalten 
wissen. 

HERZOG.  Helene!  .  .  .  Und  bist  bereit  in  wenigen 
Tagen  Hochzeit  zu  halten? 

HELENE.    Das  bin  ich. 

HERZOG.  Und  am  Hochzeitstag  mit  deinem 
Gatten  nach  Paris  zu  reisen? 

HELENE.  Meinem  Gatten  zu  folgen,  sobald  e«  an 
der  Zeit  ist. 

HERZOG.    Sobald  es  an  der  Zeit  ist  —  ? 

HELENE.  Es  scheint  mir  vorteilhafter  für  unsere 
Angelegenheit  zu  sein,  wenn  ich  in  der  nächsten  Zeit 
—  dem  Aufenthalt  des  General  Bonaparte  nicht  gar 
zu  fern  bin. 

HERZOG.  Könnt'  ich  dich  in  diesem  Augenblick 
sehn,  Helene  —  so  würd'  ich  mehr  wissen  —  als  mir 
deine  Worte  sagen  .  .  . 

HELENE.  Es  gibt  nicht  mehr  zu  wissen,  —  in 
diesem  Augenblick  .  .  .  Umarme  mich,  Vater. 

HERZOG,  Lern'  ich  dich  erst  heute  erkennen, 
Helene  ? 

HELENE.  Das  Schicksal  ist  sparsam.  Heute  hat 
man  meinen  Bruder  begraben,  vielleicht  komm'  ich 
erst  heute  zur  Welt. 

HERZOG.  Komme  mit  mir!  Nun  wollen  wir  uns 
mehr  von  Renault  erzählen  lassen.  Nun  werd'  ich  es 
anders  hören. 

HELENE.  Verzeih,  Vater,  die  hundert  Namen,  die 
Renault  wahrscheinlich  aufzählen  wird,  kümmern  mich 
wenig.    Ich  will  hier  den  Marquis  erwarten. 

HERZOG.    Ihm  sein  Glück  verkünden  — ? 

HELENE.  Sein  Geschick  . .  .  Vater  .  .  .  Sie  führt  ihn 
Hs  zur  Terrasse  und  kommt  gleich  toieder  zurück, 

HELENE  allein.  Ein  Traum,  Assalagny  — ?  Viel- 
leicht .  .  .  Aber  wenn  ich  einen  aus  dem  Schlaf  von 
einer  Krone  sprechen  höre,  und  ich  vermag  sie  ihm  zu 
Raupten  zu  legen  noch  eh'  er  erwacht,  war  es  dann  ein 


las 


Traum?    Daß  ich  sie  noch  auf  deinem  Haupt  «ehn 
könnte,  Vater!    Oh  .  .  .  träume  nun  ich? 

NERINA  kommt.  Prinzessin  .  .  .  ? 

HELENE.    Ah,  unsere  Federbälle  .  . . 

NERINA.    Ich  habe  auf  der  Wiese  gewartet. 

HELENE.  Und  der  Marquis  noch  nicht  da.  Wie 
weit  ist  es  von  der  Penzinger  Au  hierher? 

NERINA.    Darauf  allein  kommt  es  wohl  nicht  an. 

HELENE.  Du  glaubst  doch  nicht  ? !  .  .  .  Vielleicht 
daß  am  Wagen  ein  Rad  brach.  So  kann's  am  Ende  noch 
eine  Stunde  währen.  Und  mehr!  Komm,  laß  uns 
spielen. 

Sit  beginntn  mit  den  Federbällen  %u  spielen. 
Die  Herzogin  kommt.     Nerina.     Helene. 

HERZOGIN  ruhig.  Und  heute  morgen  begruben 
sie  deinen  Bruder. 

HELENE.  Ja,  Mutter,  und  es  ist  als  war'  er  hundert 
Jahre  lang  tot  und  begraben.  So  rast  die  Zeit.  Oder 
so  langsam  geht  sie  hin.  Ihm  ist  es  gewiß  das  gleiche, 
Mutter,  warum  nicht  auch  uns. 

HERZOGIN.  Es  kommen  Boten  aus  Frankreich, 
und  der  Prinz  von  Valois  ist  tot.  Die  Sonne  steht  am 
Himmel,  und  ein  schöner  Knabe  ist  tot.  Eine  alte 
Frau  atmet  und  lebt  und  schreitet  durch  einen  blühen- 
den Garten  —  und  ihr  Sohn  ist  tot.  Warum  soll  ein 
junges  Mädchen  nicht  Ball  spielen,  dem  ein  Bruder 
starb  .  .  ?    Sie  gebt. 

NERINA.   Die  unglückliche  Frau  Herzogin  .  .  . 

HELENE.  Und  wenn  diese  —  glücklicher  wäre  ak 
ich  —  Nerina  — ? 

NERINA.    Der  Herr  Marquis  .  .  . 

Bertrand  Marquis  von  Valois  kommt,  den  rechten  Arm  in  der  Schlinge. 
Helene.    Nerina. 

HELENE.    Sie  sind  verwundet? 
MARQUIS.    Es   ist   nicht   viel   —  und  war  doch 
genug,  daß  ich  Ihren  Auftrag  nicht  vollenden  konnte. 
HELENE.    Er  lebt? 
MARQUIS.    Meine  Hand  hatte  eben  noch  Kraft 

xi6 


genug  zu  einem  Stoß,  der  daneben  ging.  Dann  sank 
sie  —  und  der  andere  sank  zugleich.  Aber  auch  er 
ist  nur  verwundet.    Verzeihn  Sie,  Prinzessin. 

DESOLI  EU  X  kommt  aus  dem  Saal.  Herr  Marquis, 
dem  Herrn  Herzog  wäre  Ihre  Anwesenheit  während 
der  Berichte,  die  Herr  Renault  uns  gibt,  höchst  er- 
wünscht. 

MARQUIS.    Ich  komme. 

HELENE.  Grämen  Sie  sich  nicht,  Marquis,  daß 
Sie  meinen  Auftrag  nur  halb  erfüllt  haben,  —  ich 
gedenke  trotzdem  mein  Wort  ganz  einzulösen. 

MARQUIS.    Helene... 

HELENE.  Gehn  Sie,  Marquis.  Sie  werden  allerlei 
Neuigkeiten  hören.  — 

MARQUIS  in  d«n  SaaL 

Helene  und  Nerina, 

HELENE.    Nerina... 

NERINA.    Gnädigste  Prinzessin  . . . 

HELENE.  Sende  .  .  .  nein,  sende  niemanden,  geh 
du  selbst  .  .  . 

NERINA.    Wohin  soll  ich  gehn? 

HELENE.  Du  weißt  ja,  wo  die  Leute  wohnen.  Ich 
möchte  Näheres  über  das  Befinden  des  Herrn  Me- 
dardus  Klähr  erfahren. 

NERINA.    Prinzessin  ... 

HELENE.    So  geh  doch! 

NERINA.  Ich  befürchte  sehr,  Prinzessin,  daß  ich 
den  jungen  Menschen  nicht  mehr  am  Leben  an- 
treffe. Ein  Degenstoß  des  Herrn  Marquis  .  .  .  ich 
habe  mir  erlaubt,  die  Züge  des  Herrn  Marquis  näher 
zu  beobachten  ...  Es  war  gewiß  nur  Bescheiden- 
heit, daß  er  nicht  die  ganze  Wahrheit  sprach.  Der 
Herr  Marquis  hat  so  eine  rücksichtsvolle  Art,  die 
Worte  zu  setzen.  Ich  könnte  schwören,  daß  der  arme 
Herr  Medardus  Kllähr  in  diesem  Augenblick  schon 
tot  ist. 

HELENE.  So  leg'  ihm  die  Blumen  aufs  Kissen,  die 
seiner  armen  Schwester  zugedacht  waren. 


"7 


NERINA.   Und  wenn  er  doch  noch  lebte  i  was  soll 
ich  dann  mit  den  Blumen  tun  ? 
HELENE.    Das  gleiche,  Nerina  . . 
NERINA.    Prinzessin  . .  .  ? 
HELENE.    Geh  .  .  .    BtitU  nach  verubteieiun  Seittn  tb. 

Vorbang. 


ZWEHER  AUFZUG 

Erste  Szene 

Zimmer  bei  Klährs  wie  im  ersten  Bild  des   Vorspiels.    Im   Erker 

Anna  Berger  vor  dem  Körbeben  mit  den  N absacken.    Vorn  im  Zimmer 

Frau  Berger,  die  eben  von  Frau  Klähr  Abschied  nimmt. 

FRAU  BERG  ER.  Also  meine  Uebe  Frau  Klähr 
Gott  tröste  Sie!  Gott  tröste  Sie!  Man  kann  halt 
nichts  andres  sagen.  Zu  Anna.  Annerl .  .  .  wir  müssen 
gehn,  es  ist  Essenszeit. 

ANNA.  Ich  werd'  ja  doch  keinen  Bissen  herunter- 
bringen, Mutter.  Laß  mich  lieber  hier,  wenn's  die 
Frau  Klähr  erlaubt. 

FRAU  KLÄHR.    Solang  du  wiUst,  Annerl. 

FRAU  BERGER.  Da  soll  ich  also  wieder  einmal 
ganz  allein  bei  Tisch  sitzen  ? 

FRAU  KLÄHR.    Und  Ihr  Mann? 

FRAU  BERGER.  Daß  der  zur  rechten  Zeit  zu 
Haus  sein  sollte,  das  kann  ich  mir  nicht  denken,  — 
wenn  er  überhaupt  kommt.  Er  könnt'  am  End'  irgend- 
eine Neuigkeit  um  eine  halbe  Stunde  später  erfahren 
als  wer  anderer;  —  das  tat'  er  nicht  verschmerzen. 
Schon  wie  wir  vom  Friedhof  heim  sind,  beim  Burgtor 
hat  er  sich  verzogen. 

FRAU  KLÄHR.  Lassen  Sie  sich  bald  wieder  sehen 
bei  mir  heroben  ? 

FRAU  BERGER.  Morgen  vielleicht,  nach  der 
Kriegsbetstund',  schau'  ich  vorbei.  Sind  wieder  für 
drei  Tag'  welche  bei  Sankt  Stefan  angesagt.  Also  — 
Annerl  ? 

ANNA.  Schau'  mich  doch  nur  an,  Mutter!  Ich 
bin  ja  auch  ganz  verweint,  so  kann  ich  gar  nicht  auf 
die  Straße. 

FRAU  KLÄHR.  Ich  bring'  sie  Ihnen  später  selber 
nach  Haus,  Frau  Berger!  Ich  muß  ja  doch  auch  für 
eine  Viertelstund'  an  die  Luft. 

FRAU  BERG  ER.  Also,  wenn  die  Frau  Klähr  so  gut 

TheatostUcke.   IV,  9  I2Q 


sein  will.  —  Adieu,  Annerl.  Grüß'  Sie  Gott,  liebt 
Frau  Klähr.  Drückt  ihr  einige  Male  die  Hand.  Man  kann 
halt  nichts  sagen.  Gott  tröste  Sie.  Auf  Wiedersehen, 
Frau  Klähr.     Ab. 

Frau  Klähr.     Anna. 

FRAU  KLÄHR  langsam  ins  Zimmer  zurück.  Was  WÜhlst 
du  denn  da  herum  in  den  Sachen,  Annerl  ? 

ANNA.  Ich  möcht'  mir  halt  so  gern  was  zur  Er- 
innerung behalten.  Was  darf  ich  denn  ?  Da  war'  der 
silberne  Fingerhut,  der  Nadelpolster  .  .  .  die  Seiden- 
spulen .  .  . 

FRAU  KLAHR.    Was  du  willst,  Annerl. 

ANNA.  Wenn  ich  auch  im  Schrank  nachsehn 
dürfte.  Es  muß  doch  noch  mancherlei  da  sein  von 
früher.  Die  goldgestickten  Pantoffeln  zum  Beispiel 
—  oder  das  rotseidene  FUtterkleid,  von  damals  —  wie 
wir  Komödie  gespielt  haben.  Ach,  wie  lang  ist  da« 
her  .  .  . 

FRAU  KLAHR.  Nimm  dir,  was  du  willst.  Alles 
meinethalben.  Ich  bewahre  nichts  auf.  Ich  will  dir 
den  ganzen  Kram  zusammenpacken  lassen.  Von  meinem 
Mann  hab'  ich  auch  alles  verschenkt.  Was  soll  einem 
das  Zeug?  Auj  ihre  Stirn  deutend.  Was  man  nicht  da 
drin  aufbewahrt .  .  .  Und  wie  gut  wär's,  wenn  man 
auch  das  herschenken  könnte !  Aber  das  ist  immer  da. 
Sollt'  nicht  sein  .  .  da  man  ja  doch  weiterlebt.  St« 
nimmt  aus  dem  Schrank  ein  drittes  Gedeck  und  ordnet  es  auf  dem  Tisch. 

ANNA  sie  anschauend.  Wer  SO  Sein  könnte  wie  Sie, 
Frau  Klähr.  Sie  nehmen's  hin,  Sie  klagen  nicht. 
Mir  aber  ist,  als  könnt'  ich  nie  wieder,  auch  für  eine 
Stund'  nur,  in  diesem  Leben  wieder  froh  werden. 

FRAU  KLAHR.  Ich  deck'  auch  für  dich  Annerl, 
nicht  wahr?  Denn  wenn  man  auch  keinen  Bissen 
herunterbringt,  zu  Mittag  muß  man  halt  doch  speisen. 
So  wie  man  auch  manche  Stunde  geschlafen  hat,  in 
Nächten,  da  man  kein  Aug'  glaubt  zugetan  zu  haben. 
Wir  sind  schwache  Menschen  alle  und  leben  weitet 
Fatue. 


Z50 


ANNA.    Der  Medardus  läßt  auf  sich  warten. 

FRAU  KLÄHR.  Wahrhaftig,  unsre  gewohnte 
Mittagszeit  ist  längst  vorbei. 

ANNA.  Er  blieb  noch  auf  dem  Friedhof  nach  uns 
allen.  Und  sah  seltsam  drein.  Und  sprach  kein  Wort. 
—  Wer  weiß,  ob  er  nach  Hause  kommt  zu  Tische, 
Frau  Klähr. 

FRAU  KLAHR.  Ich  wollte,  er  käme  gar  nicht  — 
und  statt  seiner  lieber  die  Nachricht,  daß  er  seinem 
Bataillon  nachgerückt  ist. 

ANNA.  Nein,  das  kann  Ihr  Ernst  nicht  sein,  Frau 
Klähr,  —  jetzt  da  er  Ihr  Einziger  ist. 

FRAU  KLÄHR.  Ist  er  denn  hier  gefeit  ?  Es  wäre 
ja  vielleicht  besser,  man  hätt'  ein  rechtes  Mutter- 
söhnchen, brav  und  gehorsam,  das  am  Ofen  hockt  über 
den  Büchern;  aber  da  mir  nun  schon  einer  geschenkt 
ist  wie  der  Medardus,  den's  immer  juckt,  sein  Leben 
einzusetzen,  so  sollt'  es  wenigstens  ein  hohes  Spiel  sein, 
bei  dem  sich  auch  etwas  gewinnen  Heße. 
Escbenbacber  kommt. 

ESCHENBACHER.  Guten  Tag,  Franziska.  Guten 
Tag,  Annerl. 

ANNA.    Guten  Tag,  Herr  Eschenbacher. 

FRAU  KLÄHR.  Was  führt  dich  her  zu  so  un- 
gewohnter Stunde  ? 

ESCHENBACHER.  Ich  dachte  den  Medardus 
daheim  zu  treffen. 

ANNA.  Was  ist*s  mit  ihm?  Was  wollen  Sie  von 
Medardus,  Meister  Eschenbacher? 

ESCHENBACHER.  Unbesorgt,  Annerl,  ich  hab'  ihm 
nur  etwas  zu  bestellen.  Vom  Kommando  der  Bürgermiliz. 

FRAU  KLÄHR.  Was  will  das  von  ihm  ?  Und  was 
hast  du  dort  zu  tun  gehabt,  Bruder? 

ESCHENBACHER.  Du  hast  doch  wohl  den 
neuesten  Aufruf  gelesen  ?  Ich  hab'  mich  eben  zum 
Dienst  gemelset. 

FRAU  KLÄHR.  Der  Aufruf  ging  doch  an  die 
Patrioten. 


131 


ESCHEN  BACHER.  Mit  dem  Patriotismus,  Schwe- 
ster, halt'  ich's  —  wie  andre  mit  der  ReUgion.  Sie  stellen 
sich  fromm  und  gläubig  an.  damit  die  Schwankenden 
nicht  ihren  einzigen  Halt  verUeren.  Sind  vielleicht 
die,  an  denen  Gott  die  meiste  Freude  hat. 

ANNA.  Und  was  will  die  Bürgermiliz  denn  von 
Medardus  f 

ESCHENBACHER.  Junge  Leute  von  einiger  mili- 
tärischer Ausbildung  stehn  hoch  im  Preis,  weil  doch 
beinah  alle  mit  der  Landwehr  fortmarschiert  sind. 
Und  so  soll,  wie  etliche  andre,  auch  der  Medardus 
der  Miliz  als  Offizier  zugeteilt  werden. 

ANNA.  Sehn  Sie,  Frau  Klähr,  so  ist's  doch  gut, 
daß  er  dageblieben  ist. 

FRAU  KLAHR.  Soll  er  auch  die  Polizei  von  den 
Franzosen  machen  ?  Und  schön  Obacht  geben,  daß 
ja  keinem  von  ihnen  ein  Haar  gekrümmt  wird,  wenn 
sie  hier  herum  lungern  und  krawallieren  .  .  .  und  uns 
arm  essen  dazu. 

ESCHENBACHER.  Gemach,  Schwester,  diesmal 
könnt'  es  anders  kommen  und  ernst  werden.  Auch 
für  die  Bürgermiliz.  Und  wenn's  doch  wieder  Spaß 
gewesen  ist,  oder  was  Schlimmeres,  so  soll  auch  meine 
Uniform  nichts  andres  gewesen  sein  als  eine  Maskerade. 

EIZELI  sehr  eilig.   Guten  Tag. 

FRAU  KLÄHR.    Was  ist  denn,  Etzelt? 

ETZELT.  Ich  bitte,  es  ist  durchaus  kein  Grund 
zu  erschrecken. 

ANNA.    Der  Medardus  .  .  .  ? 

ETZELT.  Er  wird  sofort  hier  sein.  Es  hat  sich  nur 
ein  kleiner  Unfall  ereignet,  kein  besonders  gefährhcher. 

FRAU  KLÄHR.    Etzelt!!    Wo  ist  er? 

ETZELT.  Er  kommt  sofort.  Nur  die  Treppe  herauf 
hilft  man  ihm  ein  wenig. 

ANNA   stürzt  hinaus. 

FRAU  KLÄHR.    Etzelt!  was  ist  geschehn? 
ETZELT.    Eine  kleine  Verwundung.    Ein  leichter 
Degenstich. 


132 


1 


FRAU  KLAHR  hinaus. 

ESCHENBACHER.    Ein  DueU? 

ETZELT.  Ja.  Mit  einem  Verwandten  des  Herzogs. 
Mit  dem  Marquis  von  Valois  . . .  Ein  Wortwechsel 
auf  dem  Friedhof  .  .  . 

ESCHENBACHER.    Der  .  .  .  Kindskopf! 

ANNA  rasch  berein.  Es  kann  SO  schlimm  nicht  sein. 
Er  hält  sich  aufrecht ...  er  lächelt . . .  Man  stützt 
ihn  nur  ein  wenig. 

ETZELT.  Gewiß  ist  es  nicht  so  ichlimm.  Ich  sagt* 
es  ja  gleich. 

Meiardus  herein,   gestützt   auf  den   Arzt   und   auf   seine   Mutter. 
Hinter  ihnen  kommt  das  Dienstmädchen. 

FRAU  KLÄHR.    Medardus,  Medardus  .  .  . 

MEDARDUS.  Es  ist  nichts,  Mutter.  Du  siehst 
doch,  daß  es  so  gut  wie  nichts  ist. 

FRAU  KLÄHR.  In  mein  Zimmer!  Auf  mein  Bett 
sollst  du  dich  legen. 

MEDARDUS.  Warum  denn?  Hier  steht  das  Sofa, 
auf  dem  ich  sonst  zu  schlafen  pflege,  das  wird  wohl 
genügen.  Dies  ist  mein  Arzt,  Mutter.  Er  wird  auf s  Sofa 
gebettet. 

ANNA.    Medardus!... 

ARZT.  Nun  möchte  ich  aber  sehr  um  Ruhe  ge- 
beten haben!  Ja,  man  könnte  sagen,  Ruhe  ist  das 
einzige,  was  unser  junger  Freund  für  den  Augenblick 
dringend  benötigt. 

MEDARDUS.  Hört  ihr,  meine  Lieben  ?  Seid  be- 
dankt für  eure  Teilnahme  und  entfernt  euch  gefälligst. 
Der  Laden  war  lang  genug  gesperrt,  Etzelt. 

ETZELT  zu  Frau  Klähr.  Ich  komme  sehr  bald  wieder. 
Ab. 

ESCHENBACHER.  Und  wir  woUen  uns  ins  Neben- 
zimmer zurückziehen,  Annerl. 

Anna  und  Eschenbacher  in  das  Zimmer  links. 
Frau  Klähr.     Medardus.     Arzt. 

FRAU  KLÄHR.    Wo  ist  die  Wunde? 
MEDARDUS  liegt  mit  geschlossenen   Augen  auf  dem  Sofa. 


133 


ARZiT  bat  den  Puls  des  Medardus  gefühlt  und  kommt  mit  Frau 
Kläbr  nach  vorn.  Nah  am  Herzen.  Schauderhaft  nah. 
Ja,  das  ist  wahr.  So  nahe,  daß  eine  etwas  größere 
Nähe  nicht  mehr  Nähe,  sondern  das  Herz  selber, 
somit  den  Tod  bedeutet  hätte.  Und  im  Augenblick, 
da  er  hinsank,  da  vermuteten  wir  alle  dergleichen. 
Um  so  mehr,  da  der  Marquis  von  Valois  die  üble  Ge- 
wohnheit haben  soll,  seine  Gegner  immer  ins  Herz, 
mitten  in  den  Sitz  des  Lebens  zu  treffen.  Aber  rebus 
sie  stantibus^  wie  die  Dinge  stehn,  kann  ich  wohl 
sagen,  darf  ich  wohl  meine  Hand  ins  Feuer  legen,  daß 
nichts  mehr  zu  befürchten  ist. 

ANNA  berein. 

FRAU  KLÄHR.    Was  willst  du  denn? 

ANNA  an  der  Tür.  Weil  CS  SO  Still  war  .  .  .  ich  hab' 
Angst  bekommen  .  .  . 

MEDARDUS.  Mein  gutes  Annerl!  ich  bin  nicht 
tot!    Ich  habe  nicht  die  geringste  Lust  zu  sterben. 

ESCHENBACHER  ist  auch  bereingetreten,  nabe  zu  Me- 
dardus bin.  So  darf  man  sich  wohl  mit  Beruhigung  ent- 
fernen. Nun  Medardus,  sag' :  bist  du  nicht  ein  rechter 
Narr  gewesen  ? 

MEDARDUS.    Glaub'  nicht. 

ESCHENBACHER.  Ich  will  abends  wiederkommen. 
Hab'  dir  allerlei  zu  sagen.  Nimmt  von  den  andern  Abscbied 
und  gebt. 

FRAU  KLAHR  xum  Ar*t.  Sollen  vnx  ihn  nicht  doch 
ins  Bett  bringen  ? 

ARZT.  Ach  ja,  es  gibt  wohl  ein  vakantes  in  diesem 
Haus.  Ich  habe  gehört,  ich  habe  gehört ...  ein  trau- 
riger Fall.  Ja,  es  gibt  viel  Unglück  in  der  Welt.  Heute 
früh,  werte  Frau  Klähr,  starb  auch  mir  ein  Kind. 
Mein  einziges.  Und  ich  selber  bracht'  ihm  die  Krank- 
heit mit  von  einem  andern  Kind,  das  ich  gesund  ge- 
macht habe.  Und  dieses  Kind,  das  ich  gesund  gemacht 
habe,  hat  sechs  Geschwister.  Ja,  er  hat  Launen,  der 
da  droben.  Aber  was  hilft's,  darüber  nachzudenken  ? 
Daher  find'  ich,  der  Herr  Medardus  liege,  wo  er  liegt. 


«34 


Jaceat  übt  jacet.   Hahaha  . .    es  klingt  wie  ein  Sprich- 
wort, indes  ich  erfand  es  soeben.    Versinkt  wieder  in  Sinnen, 

ANNA.  Sie  werden  ihm  wohl  was  aufschreiben, 
Herr  Doktor. 

ARZT.    Quod  scribendum,  scribam  .  . . 

ANNA  bringt  ihm  das  Nötige. 

ARZ1.  Ein  Papier,  vortrefflich,  ein  Tintenfaß, 
kostbar  .  .  .  eine  Feder,  o  herrlich  .  .  .  Er  schreibt.  Dies 
hier  ein  schmerzstillendes,  beruhigendes,  einschläfern- 
des Mittel.  Man  nehme  fünfzehn  Tropfen  auf  Zucker. 
Wenn  es  nicht  wirkt,  weitere  fünfzehn.  Man  besorge 
es  in  der  Apotheke  zur  heiUgen  Dreifaltigkeit.  Warum 
eben  dort,  meine  Damen  ?  Weil  dieser  Apotheker  mir 
zu  Weihnachten  zwölf  Flaschen  Lacrimae  Christi  ge- 
sandt hat.  Nun,  der  Puls  ist  gut.  Man  rühre  sich 
nicht.  Junger  Held,  junger  Tor,  man  liege  still,  auf 
daß  es  nicht  zu  sickern  beginne,  das  köstliche,  warme 
rote  Naß,  damit  es  nicht  versickere  und  Jugend  und 
Leben  mit  ihm.  Jaceat  ubi  jacet.  Ja  .  .  .  so  entstehn 
Weltweisheiten . 

FRAU  KLÄHR.    Gott  helfe  uns  weiter. 

ARZT.  Gott?  Ich  fürchte,  ich  fürchte,  verehrte 
Frau,  dieser  Wunsch  wird  sich  als  unbestellbar  er- 
weisen. Sie  können  von  Glück  sagen,  junger  Tor, 
junger  Held.  Eine  Linie  höher  und  morgen  gibt's 
wieder  ein  Begräbnis.  Ich  empfehle  mich.  Ich  sehe 
abends  wieder  her.  Oh,  ich  habe  nichts  andres  zu  tun 
als  nach  Kranken  zu  sehn.  Wenn  Sie  wünschen,  bleib' 
ich  auch  die  ganze  Nacht  hier.  Es  war  nämlich  mein 
einziges  Kind.  Und  meine  GemahHn,  eine  junge  Dame 
voll  Anmut  und  Humor,  ist  bereits  vor  einiger  Zeit 
abgereist .  .  .  Unbekannt  wohin.  Nun  sagen  Sie  selbst, 
was  hätt'  ich  daheim  zu  tun  ?  Ach,  meine  Verehrten, 
ich  fürchte  sehr,  daß  ich  toll  werde.  Ab  mit  Anna. 
Frau  Klähr.     Medardus. 

MEDARDUS.    Ein  lusriger  Kauz. 

FRAU  KLÄHR.    Tut  dir  was  weh,  Medardus? 

MEDARDUS.    Nichts,  Mutter.    Ich  befinde  mich 


135 


ganz  leidlich.  Ich  hätte  wohl  gar  nicht  hinsinken 
müssen.  Es  war  auch  gar  nicht  der  jämmerliche  Stich, 
der  mich  ein  wenig  um  die  Besinnung  brachte.  Ich 
glaube  eher  der  Parfüm.  Ja  wahrhaftig,  in  einer  wahren 
Wolke  von  Parfüm  kamen  sie  daher.  Es  war  ein  wohl- 
riechendes Duell,  meiner  Seel'. 

FRAU  KLÄHR.  Medardus,  warum  hast  du  das 
getan  .  .  . 

MEDARDUS.  Nun,  auch  dem  Herrn  Marquis  ist 
es  nicht  sonderlich  gegangen.  Er  hat  einen  tüchtigen 
Stich  in  dem  Arm.    Aber  was  will  das  besagen. 

FRAU  KLÄHR.  Medardus,  warum  konntest  du 
dich  nicht  fügen  in  das  Unabänderliche  . . , 

MEDARDUS.  Sich  fügen  hieße  vergessen,  Mutter. 
Bist  du  eine  —  die  vergißt,  Mutter? 

FRAU  KLÄHR.  Es  kommt  darauf  an,  was  man 
vergessen  nennt.  Hab'  ich  euch  vorlamentiert  alle  die 
Jahre  über,  wie  schmählich  euer  Vater  hat  zugrunde 
gehn  müssen  ?  Tief  hatt  ich  meinen  Schmerz  ver- 
schlossen —  in  einen  dunkeln  Winkel  meiner  Seele  .  .  . 
hatte  mich  gar  nicht  um  ihn  gekümmert.  Jetzt  erst  darf 
er  mir  wieder  herauf  ans  Tageslicht .  .  .  Denn  jetzt 
könnt'  er  ja  wieder  einen  Sinn  kriegen.  Die  Franzosen 
marschiren  heran,  und  ich  habe  einen  Sohn,  der  indes 
ein  Mann  geworden  ist. 

MEDARDUS.    Mutter  .  .  .  Mutter  . .  . 

FRAU  KLÄHR.  StiU  Medardus,  reden  wir  von 
gewissen  Dingen  nicht  zu  früh.  Lieg  still  und  werd' 
nur  gesund.  Dann  magst  du  wieder  deines  sinnlos 
hingemordeten  Vaters  denken.  .  .  . 

MEDARDUS.  Auch  unsere  Agathe  ward  hin- 
gemordet ohne  Sinn. 

FRAU  KLÄHR.  Was  willst  du  weiter,  Medardus  ? 
Du  hast  dich  doch  mit  dem  Marquis  geschlagen  — 
nun  ist  es  abgetan. 

MEDARDUS.  Nein,  Mutter,  das  ist  es  nicht .  . . 
Und  wenn  er  selbst  tot  wäre,  der  Herr  Marquis,  war' 
es  damit  abgetan  ?  . .  • 

136 


ANNA  von  rechts,  winkt  Frau  Kläbr  heran. 

FRAU  KLÄHR.    Was  gibt's,  Annerl 

ANNA.  Es  ist  wer  da.  Eine  Dame  ist  da,  die  sich 
nach  Medardus'  Befinden  erkundigt. 

FRAU  KLJHR.    Sag',  es  geht  ihm  besser. 

MEDARDUS.  Mir  war,  als  hört'  ich  früher  die 
Klingel  gehn?    Wer  kam? 

FRAU  KLÄHR.    Sag',  daß  es  gut  geht,  Anna. 

MEDARDUS.  Nicht  so  geschwind.  Wer  ist  da?.. 
Anna !    Wollt  ihr,  daß  ich  selbst .  .  . 

FRAU  KLÄHR.    Willst  du  nicht  liegen  bleiben? 

ANNA.  Es  ist  eine  Dame  da,  Medardus,  die  sich 
nach  deinem  Befinden  erkundigt. 

MEDARDUS.  Nannte  sie  ihren  Namen?  Sagte 
sie,  woher  sie  kommt?  Will  sie  mich  nicht  am  Ende 
selbst  sprechen? 

ANNA  zögernd.  Sie  fragte  wohl,  ob  sie  dich  sehen 
dürfte,  Medardus,  aber  .  .  . 

MEDARDUS.    Ruf  sie  herein,  Anna. 

ANNA  siebt  Frau  Kläbr  fragend  an. 

FRAU  KLÄHR  zu  Anna  leise.  Ist  es  nicht  am  Ende 
Elisabeth  ? 

ANNA.  O  nein.  Sie  trägt  wohl  einen  Schleier,  aber 
Elisabeth  hätt'  ich  erkannt. 

MEDARDUS.    Also... 

FRAU  KLÄHR.  Willst  du  nicht  vernünftig  sein, 
Medardus  .  .  . 

MEDARDUS.  Mutter,  willst  du,  daß  ich  selbst 
aufsteh'  .  .  . 

FRAU  KLÄHR  zu  Anna.    Geh,  Kind. 

ANNA  ab. 

FRAU  KLÄHR.  Medardus,  woher  kommt  diese 
Dame  .  .  .  ? 

MEDARDUS.    Ich  weiß  es  nicht. 

FRAU  KLÄHR.  Wem  kann  denn  schon  bekannt 
sein,  daß  du  verwundet  bist  ?  Du  verbirgst  mir  etwas, 
Medardus.    Am  Ende  .  . . 

MEDARDUS.    Ich  weiß  nicht,  Mutter  .  . . 


137 


ANNA  mit  Nerina  berein, 
NERINA.    Guten  Abend. 

Es  ist  dunkler  geworden, 

MEDARDUS.    Wer  ist's? 

Anna  und  Frau  Kläbr  links  ab, 

MEDARDUS,  Bitte,  wollen  Sie  nicht  näher  treten, 
Fräulein  ?    Und  möchten  Sie  nicht  den  Schleier  . . . 

NERINA  lüftet  den  SchUier, 

MEDARDUS.    Sie  sind  es? 

NERINA.  Also  Sie  sind  wirklich  nicht . . .  Ach 
Gott,  wie  dumm !  Das  seh'  ich  ja . . .  Wie  geht  es  Ihnen, 
Herr  Medardus  Klähr? 

MEDARDUS,  Sie  fragen  mich  wohl  nicht  nur  im 
eigenen  Namen  ? 

NERINA,  Nein,  so  gut  wie  gar  nicht  im  eige- 
nen. Mein  Fräulein,  die  Prinzessin,  läßt  sich  er- 
kundigen. 

MEDARDUS.    Die  Prinzessin  —  Helene  .  .  .  ? 

NERINA,  Sie  befinden  sich  also  leidlich  und  es 
hat  keine  Gefahr? 

MEDARDUS,  Keine.  Und  ich  danke  der  Prin- 
zessin ergebenst  für  die  freundhche  Teilnahme. 

NERINA.  Ich  will's  bestellen.  Und  wünsche  weiter 
gute  Besserung.  Dies  ist  natürUch  nur  für  mich  ge- 
sprochen. Und  dies  hier  läßt  die  Blumen  auf  seine  Brust 
fallen  sendet  Ihnen  die  Prinzessin.  Guten  Abend, 
Herr  Medardus  Klähr. 

MEDARDUS.  Diese  Blumen  —  die  Prinzessin! 
Bleiben  Sie  doch  .  .  . 

NERINA.    Was  wünschen  Sie  denn  weiter? 

MEDARDUS.  Hierher,  näher.  Faßt  ibre  Hand.  Hören 
Sie,  wie  ist  Ihr  Name? 

NERINA.    Nerina... 

MEDARDUS.  Hören  Sie,  Mamsell  Nerina,  können 
Sie  schweigen  ?  Und  wird  das,  was  ich  Ihnen  sage,  an 
die  richtige  Adresse  kommen? 

NERINA.  Ich  weiß  nicht  . . .  ich  habe  nicht  das 
Recht ...  ich  weiß  auch  nicht  an  wen . . , 


IS8 


MEDARDUS.  Bestellen  Sie  der  Prinzessin,  daß 
ich  ihr  meinen  Dank  persönlich  zu  Füßen  legen  werde. 

NERINA.    Sie  sind  ja  toll .  .  .  Oh,  verzeihn  Sie. 

MEDARDUS,  Nur  höflich,  sehr  höflich,  Mamsell 
Nerina.  Ich  will  Ihrem  gnädigen  Fräulein  zum  Dank 
die  Hand  küssen  —  und  zwar  noch  heute  abend. 
Ja,  das  will  ich. 

NERINA.    Sie  phantasieren,  Sie  haben  Fieber  . 

MEDARDUS.  Ich  befinde  mich  vortreffUch.  In 
einer  Stunde  werde  ich  mich  einfinden. 

NERINA.  Ja,  bilden  Sie  sich  denn  ein,  daß  man  Sie 
empfangen  wird? 

MEDARDUS.  Ich  komme.  Das  übrige  wird  sich 
finden.  NatürHch  will  ich  die  Prinzessin  allein  sprechen. 

NERINA.  Hat  man  jemals  so  einen  Menschen  ge- 
sehn ?    Sie  spaßen,  nicht  wahr  ? 

MEDARDUS.    Nicht  daß  ich  wüßte. 

NERINA.  Aber  warum  red'  ich.  Sie  werden  ja 
nicht  vorgelassen.    Geben  Sie  sich  keine  Mühe. 

MEDARDUS.  Ich  wette,  es  gibt  eine  Gartenpforte. 

NERINA.  Sie  ist  verschlossen.  Wenn  Sie  doch 
meine  Hand  losUeßen!  Sie  wird  heute  noch  fester 
verschlossen  sein  als  sonst. 

MEDARDUS.  Wenn  einem  das  Höflichsein  so 
schwer  gemacht  vrird,  so  wird  man  wohl  die  Mauer 
überklettern  müssen. 

NERINA.  Eine  Mauer  wollen  Sie  überklettern  ? !  . . 
Und  ich,  die  überzeugt  war,  hier  eine  Leiche  zu  finden 
.  . .  eine  Mauer,  übrigens  woirde  man  Sie  herunter- 
schießen. 

MEDARDUS.  In  einer  Stunde  wird  es  dunkel 
sein.    Und  im  Garten  niemand  als  die  Prinzessin. 

NERINA.  Sie  sind  toll,  vollkommen  toll.  Ich  gehe. 
Ich  danke  Ihnen,  daß  Sie  endUch  meine  Hand  los- 
gelassen haben.  Man  wird  dafür  sorgen,  daß  der 
Garten  bewacht  ist .  . . 

MEDARDUS.  Sie  werden  tun,  was  Ihnen  Ihre 
Prinzessin  befehlen  wird.    Und  Sie  werden  vor  allem 


«39 


Ihrem  Fräulein  bestellen,  was  ich  Ihnen  aufgetragen 
habe,  schönste  Nerina.  Jetzt  aber  gehn  Sie  —  und 
leise,  leise.    Es  darf  niemand  hören,  daß  Sie  gehn. 

NERINA  gebt  leUe. 

MEDARDUS  lauscht,  dann  spricht  er,  als  wenn  sie  noch  da 
wäre,  laut.  Gewiß,  Fräulein  . . .  vortrefflich.  Fräulein  . . . 
Mit  Pausen  meinen  Dank  .  . .  o  bitte  .  .  für  sieb  daß 
nur  niemand  kommt!  Himmel,  Himmel!  Helene  . .  . 
Prinzessin  Helene . . .  Ich  will  mich  gleich  davon 
schleichen.  Daß  mich  nur  niemand  sieht.  Sonst 
wird's  zu  spät.  Wieder  laut.  O  nicht  gefährlich!  .  .  . 
Ein  vortrefflicher  Arzt ...  In  drei  Tagen  . . .  wieder  für 
sieb.  Und  wenn  ich  hinstürze  und  verblute  ?  .  . .  Nun, 
so  ist's  eben  aus  .  .  .  Ihr  Blick  heute  morgens  .  .  .  ahnt' 
ich's  nicht  gleich  ? . . .  Ganz  insgeheim  schleich'  ich  mich 
zu  ihr  .  .  .  Aber  von  ihr  fort  über  die  große  Treppe 
und  es  ihnen  dann  ins  Gesicht  schrein  .  . .  nein,  sie 
zusammenrufen  alle,  Herrschaft  und  Lakaien,  noch 
in  der  Nacht,  wenn  ich  sie  in  meinen  Armen  habe  . .  . 
fort .  .  .  fort .  . .  hilf  mir  Himmel.  Nimmt  den  Degen. 
Wieder  laut.  Ein  guter  Arzt ...  ein  vortrefflicher  Arzt . . . 
Er  ist  indessen  bis  zur  Tür  geschlichen,  schließt  sie  leise  und  gebt. 
Pause.     Dunkelheit. 

FRAU  KLAHR  von  links.     Medardus  .  . . 

ANNA.    Er  schläft  wohl. 

FRAU  KLJHR.  Medardus  . . .  Mach'  Licht,  Anna. 
Zum  Sofa.    Medardus  .  .  . 

ANNA  bat  eine  Kerze  angezündet.  Was  ist  .  .  .  Er  ist 
nicht  da  ? 

FRAU  KLAHR  ist  hinausgestürzt. 

ANNA.    Medardus  .  .  . 

FRAU  KLAHR  wieder  berein.    Fort,   fort  .  .  . 
ANNA.   Er  wird  auf  der  Straße  zusammenstürzen! 
5ie  werden  ihn  tot  heraufbringen. 
E7ZEL1  kommt. 

FRAU  KLÄHR.    Medardus  ist  fort,  Etzelt  .  . . 
ETZEL7.    Fort!  .  .  .  wie  ist  das  möglich?! 
FRAU  KLÄHR.  Es  war  eine  Frauensperson  da  . . . 


140 


mit  der  ist  er  davon.  Von  wo  mag  sie  kommen  ? 
Etzelt .  .  .  Vermuten  Sie  nichts  ?  Wohin  läßt  er  sich 
locken  .  .  .  Hier  gehn  gefährliche  Dinge  vor.  Ich  ahn' 
es  . . .  Das  ist  keines  seiner  gewöhnlichen  leichtfertigen 
Abenteuer  .  .  .  Das  ist . . .  Wahnsinn  .  .  .  Etzelt . . . 
Oder  — 

EIZELT:.  Vielleicht . . .  weiß  ich  ihn  zu  finden.  Ah. 

ANNA.    Was  ahnen  Sie,  Frau  Klähr? 

FRAU  KLÄHR.  Er  ist  uns  verloren,  Annerl,  so 
oder  so.  Tot  oder  lebendig  —  bleibt  er  uns  verloren. 
Das  ist's,  was  ich  ahne.    Weiter  nichts. 

Tjüoeite  Szene 

Garten  des  Herzogs.    Gegen  Abend.    Helene  allein  auf  tiner  Bank, 
Dagusan,  Laffraye  kommen. 

DAGUSAN.  Verzeihn  Sie,  Prinzessin  ...  es  wurde 
uns  der  Auftrag  zuteil,  im  Garten  zu  verweilen  . .  . 

HELENE.  Mein  Vater  hat  eben  eine  Unterredung 
mit  dem  Marquis.  Ich  nehme  an,  daß  sie  jetzt  un- 
gestört sein  wollen.  Da  Dagusan  und  Laffraye  sieb  verbeugen 
und  weitergeben  toollen.  Bleiben  Sie  nur,  meine  Herren 
. . .  Sie  beide  waren  wohl  heute  Zeugen  bei  dem  Duell 
des  Herrn  Marquis.  Oh  .  .  der  Marquis  konnte  mir 
beim  besten  Willen  kein  Geheimnis  daraus  machen  .  .  . 

LAFFRAYE.  Wenn  es  erlaubt  ist,  davon  zu  reden, 
—  es  war  prächtig  anzusehn. 

HELENE.    Das  läßt  sich  denken. 

DAGUSAN.  Wahrhaftig,  Prinzessin,  es  ist  ein  Ver- 
gnügen, den  Marquis  jemanden  totstechen  zu  sehn. 
Nun  bin  ich  etwa  ein  halbes  dutzendmal  dabeigewesen, 
und  es  verUert  nicht  an  Reiz  für  mich. 

HELENE.  Diesmal  mußten  Sie  doch  auf  das  Ver- 
gnügen verzichten,  hör'  ich. 

DAGUSAN.  Zum  Teil,  Prinzessin.  Übrigens  muß 
man  sagen,  daß  der  junge  Mann,  der  die  Ehre  hatte, 
dem  Herrn  Marquis  gegenüberzustehn,  ein  unseres 
Freundes  nicht  ganz  unwürdiger  Gegner  war. 


141 


LAFFRATE.  Es  war  ein  schöner  Kampf,  Prin- 
zessin .  .  .  Auch  der  Ort,  an  dem  er  stattfand,  konnte 
nicht  besser  gewählt  sein  .  . .  Ein  blumenbedeckter 
Wiesenplan,  umgeben  von  frisch  belaubten  Bäumen, 
über  all  dem  ein  wunderbarer  Frühlingshimmel  — 
ich  werde  die  Stunde  nicht  so  bald  vergessen. 

HELENE.  Es  freut  mich,  meine  Herren,  daß  Sie 
den  Tag  heute  so  anregend  verbracht  haben. 

DAGUSAN.  Verzeihn  Sie,  gnädigste  Prinzessin, 
wir  dürfen  wohl  versichern,  daß  uns  bei  alldem  der 
Schmerz  um  den  Tod  Ihres  edeln  Bruders  keinen 
Augenblick  lang  verlassen  hat. 

LAFFRATE.  Für  mich  bleibt  es  der  schmerz- 
lichste Gedanke,  daß  der  Prinz  dahingehn  mußte, 
ohne  sein  Vaterland  wiedergesehn  zu  haben. 

HELENE.  Sein  Vaterland!...  Haben  wir  eins? 
Drei  Jahre  war  ich  alt,  als  wir  Frankreich  verlassen 
mußten.    Ist  es  uns  noch  ein  Vaterland? 

LAFFRATE.  Daß  es  auch  Ihnen  eines  ist,  Prin- 
zessin, werden  Sie  .  .  .  Sie  würden  es  fühlen,  wenn  Sie 
es  wieder  sähen.  Ich  war  vor  zwei  Jahren  in  Paris, 
Prinzessin,  das  ich  nicht  gesehn  hatte  seit  meiner 
Knabenzeit  —  ungefähr  seit  dem  Tag,  da  man  meinen 
Vater  geköpft  hat  .  .  . 

HELENE.    Sie  wagten  sich  nach  Paris  .  .  .  ? 

LAFFRATE.  ...  In  einem  kleinen  Gasthof  stieg 
ich  ab  —  als  Handlungsreisender  namens  Dupont, 
und  machte  mich  auf  die  Suche  nach  dem  Haus,  in 
dem  ich  mit  meinen  Eltern  gewohnt  hatte.  Ich  wußte 
den  Namen  der  Straße  nicht  mehr,  und  doch  fand  ich 
mich  ohne  Umweg  hin  und  erkannte  es  auf  den  ersten 
Blick.  Noch  eh'  ich  es  sah,  wie  zur  Vorherverkündigung, 
begann  mir  mein  Herz  in  klopfen ;  und  als  ich  es  endhch 
erbHckte,  mußte  ich  mich  eilends  wieder  davonstehlen, 
denn  Tränen  stürzten  mir  aus  den  Augen  . .  . 

DAGUSAN.  Welche  Schicksale  sind  über  uns  ver- 
hängt, Prinzessin. 

LAFFRATE.    Nein,  es  war  nicht  gut  gehandelt 


«4« 


gegen  uns  alle,  daß  der  Prinz  die  Welt  und  seine  Freunde 
verlassen  hat.  Nun  sind  unsre  Hoffnungen  dahin. 
Nertna  naht  sieb  zögernd. 
HELENE.  Du  bist's,  Nerina?  Entschuldigen  Sie 
mich,  meine  Herren.  Ich  hoffe,  Sie  werden  nicht  un- 
geduldig, der  Herzog  würde  sehr  bedauern,  Ihren 
Besuch  versäumt  zu  haben. 

Dagusan  und  Laffraye  nach  links  hinten  ab. 

Helene.     Nerina. 

HELENE  scheinbar  ohne  Erregung.     Er  lebt  .  .  .  ?   — 

NERINA.    Ja. 

HELENE.  Du  gabst  ihm  die  Blumen  ?  Wie  nahm 
er  es  auf  .  .  .  ?    Was  sagte  er  ?    Wie  sieht  er  aus  ? 

NERINA.  Er  ist .  .  .  recht  blaß  —  und  läßt  sich 
ehrfurchtsvoll  bedanken. 

HELENE.  Du  bist  erregt,  Nerina.  Nicht  mit  dem 
Ausdruck  von  Angst.  Seine  Wunde  ist  doch  schwerer? 
Oder  sollte  gar  .  .  . 

NERINA.    Er  lebt,  Prinzessin. 

HELENE.  Aber  es  besteht  wohl  einige  Gefahr,  daß 
er  sterben  vnrd.  Heute  nacht  vielleicht.  Du  sprachst 
die  Mutter,  den  Arzt  — ? 

NERINA.  Ich  wage  nichts  vorherzusagen,  Prinzes- 
sin. Wenn  er  aber  heute  nacht  sterben  sollte,  so  furcht' 
ich,  vrird  er  das  nicht  daheim  tun,  sondern  auf  dem 
Wege  hierher,  oder  vor  der  Mauer  draußen,  oder  gar 
hier  im  Garten,  oder  weiß  Gott  wo. 

HELENE.    Komm  zur  Besinnung,  Nerina. 

NERINA.  Ich  bin  bei  Besinnung,  Prinzessin.  Kurz 
und  gut:  in  einer  Stunde  will  er  hier  sein. 

HELENE.    Du  bist  verrückt. 

NERINA.  Ich  nicht.  Er  vielleicht.  Ich  hab's  ihm 
auch  gesagt.    Aber  es  hat  nichts  geholfen. 

HELENE.  Du  hast  einen  Toten  gesehn,  und  das 
hat  dich  um  den  Verstand  gebracht,  Nerina. 

NERINA.  Daß  er  nicht  tot  ist,  kann  ich  ruhig  be- 
schwören. Aber  wenn  überdies  ich  um  den  Verstand 
gekommen  bin,  so  wäre  es  kein  Wunder  . . . 


HS 


HELENE.  So  sprich  doch  endlich  vernünftig, 
Nerina. 

NERINA.  Prinzessin,  Sie  wissen  alles.  Ich  fand 
den  jungen  Mann  auf  dem  Sofa  liegend,  sehr  blaß  — 
aber  höchst  aufgeräumt.  Auch  seine  Mutter  sah  ich 
und  ein  hübsches  Fräulein,  vielleicht  seine  Braut. 

HELENE.  Willst  du  mir  über  die  Famihenverhält- 
nisse  im  Hause  Klähr  Bericht  erstatten? 

NERINA.  Als  man  mich  allein  mit  ihm  gelassen, 
gab  ich  ihm  die  Blumen  —  und  ich  möchte  beinah 
glauben,  davon  wäre  er  lebendig  geworden,  selbst, 
wenn  er  wirklich  tot  dagelegen  wäre.  Er  richtete 
sich  auf,  seine  Augen  glänzten  wunderbar,  er  dankte 
bewegt;  —  vielmehr  er  erklärte  mir,  daß  er  noch 
heute  Abend  seinen  Dank  persönlich  abstatten  werde. 

HELENE.  Und  bildet  sich  ein,  daß  ihn  die  Diener 
hereinlassen  werden  ? 

NERINA.  Nein.  Darum  möcht'  er  lieber  durchs 
Gartenpförtchen  kommen. 

HELENE.    Das  natürHch  versperrt  sein  wird. 

NERINA.  Auch  das  gab  ich  ihm  zu  bedenken; 
worauf  .  .  . 

HELENE.    Was? 

NERINA.  Worauf  er  erklärte,  in  diesem  Fall  über 
die  Mauer  klettern  zu  wollen. 

HELENE.  Nimm  dich  in  acht,  Nerina  .  .  .  Denkst 
du,  weil  ich  mir  manchmal  von  dir  Närrin  deine  zärt- 
lichen Abenteuer  erzählen  lasse,  daß  du  dir  Spaße  von 
so  zweifelhaftem  Geschmack  gestatten  darfst  —  ?  Sag' 
mir  endUch  die  Wahrheit.    Er  ist  tot. 

NERINA.  Gnädigste  Prinzessin,  wie  könnt'  ich  .  .  . 
Ich  schwöre  bei  der  armen  Seele  des  Prinzen  .  .  . 

HELENE.  Laß  meines  Bruders  Seele  aus  dem  Spiel. 

NERINA.  Ich  schwöre,  daß  alles,  was  ich  sprach, 
die  reine  Wahrheit  ist. 

HELENE.  Er  wird  es  nicht  wagen  .  .  .  Sicher  sprach 
das  Fieber  aus  ihm.  Im  übrigen,  du  kamst  doch  eben 
durch  die  Gartenpforte,  hast  du  sie  wieder  versperrt? 


144 


NERINJ.    Hier  ist  der  Schlüssel. 
HELENE.     So.    Sie  gebt  ein  faar  Schritte  nach  rücktoärU 
und  wirft  den   Schlüssel   in  den   'Teich.     Dies  wird  genügen. 

NERINJ.    Oh... 

HELENE.  Was  soU  dieser  Seufzer  bedeuten  ?  Hast 
du  CaiUard  schon  vergessen  ?  Sind  dir  auch  schon  die 
Sterbenden  gefährlich  ?  Solltest  du  vielleicht  ein  wenig 
in  eigener  Angelegenheit .  .  .  bliebst  du  verschleiert  ? 
Hast  du  dich  für  deine  Herrin  ausgegeben  ?  Dir  wäre 
ja  alles  zuzutraun. 

NERINJ.  Gnädigste  Prinzessin,  ich  habe  ihm  be- 
stellt, was  Sie  mir  auftrugen,  und  habe  Ihnen  beetellt, 
was  er  mir  auftrug  .  .  .  Die  Frau  Herzogin.  Sie  ent- 
fernt sieb. 

Die  Herzogin  kommt. 

HELENE.    Mutter... 

HERZOGIN.  Dein  Vater  sandte  zum  zweitenmal 
um  mich,  Helene.  Es  soll  wohl  ein  Fest  geben  heute 
abend.  Weißt  du  nichts  davon  ?  Sind  die  Musikanten 
schon  bestellt  f  Beeile  dich  doch,  ein  andres  Kleid  zu 
nehmen,  Helene,  ein  weißes,  seidenes  .  .  .  lege  deinen 
Schmuck  an,  und  mache  dich  bereit  zu  tanzen. 

HELENE.    Mutter...!  — 

Herxog  und  Marquis  kommen  aus  dem  Saal. 

HELENE  ihm  entgegen.   Hier  bin  ich,  Vater. 

HERZOG.    Ist  deine  Mutter  bei  dir? 

HERZOGIN.  Du  hast  mich  zum  zweitenmal  rufen 
lassen,  ich  bin  hier. 

HERZOG.  Hortense,  der  Marquis  von  Valois,  unser 
Vetter,  erweist  uns  die  Ehre,  uns  um  die  Hand  unsrer 
Tochter  zu  bitten. 

HERZOGIN.  Heute  ward  unser  Sohn  begraben. 
Ich  weiß  nichts  andres. 

HERZOG.  Ich  hab'  es  so  wenig  vergessen  als  du, 
Hortense.  Doch  wir  sind  nicht  von  den  Glücklichen 
und  nicht  von  den  Armseligen,  die  das  Recht  haben, 
sich  unfruchtbarer  Trauer  hinzugeben  .  .  .  Glaubst  du 
Hortense,  deine  Zustimmung  verweigern  zu  müssen, 

TkwuMtMck«.  IV,  M  145 


so  wird  man  aut  sie  verzichten.    Es  ist  an  Helene, 

das  entscheidende  Wort  zu  sprechen, 

HELENE.   Es  ist,  wie  mein  Vater  sagt.   Wir  haben 
kein  Recht  und  keine  Zeit  zu  trauern.    Bertrand,  ich 
bin  bereit,  Ihre  Gattin  zu  werden. 
Die  Herzogin  gebt. 

MARQUIS.    Prinzessin  .  .  . 

HELENE.  Aber  wir  haben  auch  keine  Zeit,  glück- 
lich zu  sein.  Daher  verlang'  ich,  daß  Sie  sofort  nach 
unserer  Trauung,  aus  Gründen,  die  Ihnen  bekannt 
sind,  sich  nach  Frankreich  begeben. 

MARQUIS.    Allein...? 

HELENE.  Ich  verpflichte  mich,  Ihnen  zu  folgen, 
—  sobald  die  Zeit  gekommen  ist. 

MARQUIS.  Sobald  die  Zeit  gekommen  ist  — ?  — 
Und  wem  soll  hierüber  die  Entscheidung  zustehen, 
Helene  — ? 

HELENE.  Wenn  sie  einmal  da  ist,  wird  ein  Zweifel 
nicht  möglich  sein  .  .  .  Und  wenn  sie  niemals  kommen 
sollte  ...  —  werden  wir  alle  nicht  viel  Zeit  haben  — 
unsern  Hoffnungen  nachzuweinen. 

MARQUIS.  Helene  ...  ich  will  versuchen,  Ihrer 
würdig  zu   sein!   —     Neigt  neb  vor  ibr. 

HELENE.  Hier  kommen  Ihre  Freunde  Dagusan 
und  Laffraye  .  .  .  Sie  dürfen  mich  ihnen  als  Ihre  Braut 
vorstellen. 

Dagusan  und  Laffraye  sind  bis  zur  Terrasse  gekommen;  bleiben  dort 
stehen. 

HERZOG.  Begleitet  mich  ins  Haus,  meine  Kinder 
.  .  .  unsre  Gäste  sollen  gleich  erfahren,  daß  es  kein 
Totenmahl  ist,  zu  dem  sie  geladen  wurden. 

Alle  in  den  Saal. 
Pause. 

NERINA  kommt  wieder.  Nichts.  Ich  denke,  man  kann 
ruhig  sein.  Jetzt  kommt  er  wohl  nicht  mehr.  Viel- 
leicht sollte  man  Nachschau  halten,  ob  er  irgendwo 
auf  dem  Wege  liegen  geblieben  ist. 

Es  klopft  an  die  Gartentür. 

146 


NERINA  atuckt  zuttmmen.  Um  Himmelswillen!  Ich 
antworte  gar  nicht.  Es  könnte  ja  auch  wer  andrer 
sein.    Caillard  am  Ende  .  .  .  ? 

Es  klopft  noch  einmal. 
NERINA.    Wenn  es  einen  nur  nicht  so  ungeduldig 
machte.     Dabei  bring'  ich's  nicht   über  mich,   mich 
fortzurühren. 

Es  klopft  stärker. 

NERINA.  Wer  ist's  ?  Für  sieb.  Ach,  hätt'  ich  nur 
nicht  gefragt. 

MEDARDUS  von  draußen.    Ich  bin's.    Öffnen   Sie. 

NERINA.  Entfernen  Sie  sich.  Und  zwar  so  rasch 
als  möglich.    Diener  machen  die  Runde  im  Garten. 

MEDARDUS.   öffnen  Sie.   Ich  bitte  Sie  darum. 

NERINA.    Ich  öffne  nicht.    Gehn  Sie. 

MEDARDUS.   Sie  wissen,  wozu  Sie  mich  zwingen. 

NERINA.  Ich  zwinge  Sie  nicht.  Wir  haben  keinen 
Schlüssel.  Der  Schlüssel  ist  fort.  Er  ist  verloren  ge- 
gangen. Vielleicht  finden  wir  ihn  bis  morgen  wieder. 
Gehn  Sie,  ich  bitte  Sie  Ja,  was  ist  denn  das?  Ist  es 
denn  möglich  ...  Sie  wollen  doch  nicht  wirklich  .  .  . 
Die  Steine  bröckeln.  Geben  Sie  doch  acht.  Und  man 
wird  Sie  hören.  Wenn  jemand  kommt,  sind  Sie  ver- 
loren. 

MEDARDUS  kommt  berübergeklettert.  Guten  Abend, 
Fräulein,  guten  Abend.    Er  sinkt  bin. 

NERINA.  So,  nun  haben  wir's.  Was  tu'  ich  nur  ? 
Ich  kenn'  ihn  nicht.  Sie  mögen  ihn  finden.  Was  geht's 
mich  an.  Ein  Strolch.  Mögen  sie  ihn  hängen.  Er  mag 
hier  liegen  bleiben. 

HELENE  kommt  von  drinnen.  Nun,  die  Dunkelheit 
wäre  da,  Nerina. 

NERINA.  Ja,  gnädigste  Prinzessin.  Und  Herr  Me- 
dardus  Klähr  gleichfalls.  Hier  liegt  er.  Hier,  Prin- 
zessin.   Er  ist  ohnmächtig,  wie  e«  scheint. 

HELENE.    Still...! 

Ein  Diener  kommt  mit  einer  Laterne  von  rückwärts. 

HELENE.    Was  gibt's  denn? 


H7 


DIENER.    Wer  da? 

HELENE  ihm  tntgtgen.    Ich. 

DIENER.  Oh,  gnädigste  Prinzessin  .  .  .  Ich  hatte 
nämlich  ein  sonderbares  Geräusch  gehört  —  es  treibt 
sich  in  der  letzten  Zeit  so  viel  Landstreichervolk  herum 
in  unsrer  Gegend  —  man  kann  nie  wissen.  Gestern 
wurde  da  draußen,  ganz  nah  vom  Zeughaus,  einer  an- 
gefallen und  beraubt. 

HELENE.  Ein  Geräusch  haben  Sie  gehört?  Ich 
höre  auch  jetzt  welche.  Der  Wind  geht  durch  die 
Zweige,  im  Teich  klingen  die  Wasser  .  .  .  was  rauscht 
nicht  alles  in  Frühhngsnächten.  Oder  es  war  mein 
Kleid  .  .  . 

DIENER.  Das  wäre  möglich,  gnädigste  Prinzessin 
—  aber  ich  will  doch  dort  drüben  noch  nachsehen.  Ab. 

MEDARDUS.    Ich  danke  Ihnen,  Prinzessin. 

HELENE.  Ich  würde  den  Marquis  rufen,  Herr 
Medardus  Klähr,  wenn  ich  annehmen  dürfte,  daß  sein 
Degen  am  Abend  sicherer  träfe  als  bei  Tag.  — 

MEDARDUS.  Sie  wissen,  warum  ich  gekommen  bin, 
Prinzessin.  Ich  wollte  Ihnen  meinen  Dank  zu  Füßen 
legen  .  .  . 

HELENE.   Nun  ist  es  geschehen.   Leben  Sic  wohl. 

MEDARDUS  erfaßt  ihre  Hand  und  küßt  sie. 

HELENE.    Oh,  die  hochmütig-mörderischen  Fin- 


ger 


MEDARDUS.   Ich  will  Sie  wiedersehen,  Helene. 

HELENE.    Was  fällt  Ihnen  ein?  .  .  .  Gehn  Sie! 

MEDARDUS.   Auf  dem  gleichen  Weg,  Prinzessin? 

NERINA.    Das  wäre  zu  gefährlich. 

HELENE.  Still,  man  hört  uns.  Sie  müssen  sich 
verbergen. 

NERINA.  Wo  ?  .  .  .  Der  Garten  wird  durchstreift 
.  .  .  Hier  kann  Herr  Medardus  nicht  bleiben.  Dort 
geht  wieder  einer  mit  der  Laterne. 

HELENE.    So  führ'  ihn  in  dein  Zimmer,  Nerina. 

NERINA.    In  mein  Zimmer? 

HELENE.    Warum  nicht  ?    Caillard  ist  ja  f ort .  . . 


148 


NERINA  Uist  zu  ihr.  Gnädigstes  Fräulein,  um  einen 
Liebsten  trauert  man  länger  als  um  einen  Bruder. 

HELENE.   Da  drin  erheben  sie  sich  vom  Tisch  .  .  . 

NERINA.  Ja,  ich  sehe  .  .  .  Aber  trotzdem,  gnädigste 
Prinzessin  —  in  mein  Zimmer  —  ein  junger  Mann. 

HELENE  nach  eirum  langen  Blick  auf  Msdardus.  So  führ* 
ihn  in  meins! 

NERINA.    In  Ihres,  Prinzessin? 

HELENE.  Und  rasch  ...  da,  die  Mauer  entlang  .  .  . 
Sieht  euch  wer  auf  dem  Weg  ...  so  ist  es  eben  dein 
neuester  Liebhaber  —  keiner  wird  sich  wundern. 

NERINA.  Nun  ja  .  .  .  Aber  wie  werden  wir  ihn 
fortbringen.  Einmal  muß  er  doch  fort  —  und  der 
Schlüssel  .  .  . 

HELENE.  Sobald  du  herunterkommst,  wirst  du 
Schuhe  und  Strümpfe  ausziehn,  in  den  Teich  steigen 
und  den  Schlüssel  suchen.  Er  muß  gefunden  sein, 
bevor  die  Sonne  aufgeht. 

Nerina  und  Medardus  ab. 

DER  MARQUIS  tritt  aus  dem  Saal. 

HELENE  ihm  entgegen. 

MARQUIS.  Sie  waren  so  blaß,  Helene,  als  Sie  vom 
Mahle  aufstanden  .  .  . 

HELENE.    Die  Luft  hat  mir  wohlgetan. 

MARQUIS.  Helene!  .  .  .  meine  Braut!  .  .  .  meine 
GeHebte  .  .  . 

HELENE.  Nicht  so  stürmisch,  Bertrand ...  Sie 
vergessen,  daß  Sie  gleich  nach  der  Trauung  abzureisen 
haben. 

MARQUIS.  Ich  vergesse  es  nicht.  Aber  ich  be- 
denke zugleich,  daß  bis  zu  diesem  sehr  ersehnten  Tage 
noch  einige  verstreichen  werden  .  .  .  und  diese  sind 
unser ! 

HELENE.    Oh  .  . . 

MARQUIS.  Mein  Leben  gehört  Ihnen,  Helene. 
Ich  liebe  Sie  —  und  ich  würde  Ihnen  noch  unbedingter 
angehören  .  .  . 

HELENE.   Oh,  mein  Vetter,  was  fällt  Ihnen  denn 


149 


ein  ?  Sie  sollen  sich  in  Paris  auf  etwas  zu  freuen  haben. 
Auch  furcht'  ich,  Sie  könnten  unsere  Angelegen- 
heiten allzu  nachlässig  betreiben,  wenn  man  Sie  zu 
früh  belohnte  .  .  . 

MARQUIS.    Helene... 

HELENE.  Sie  haben  mich  früher  nicht  ganz  ver- 
standen, wie  es  scheint.  —  Also  hören  Sie,  Bertrand  .  .  . 
Ich  will  nicht  früher  einen  Sohn  zu  erwarten  haben, 
eh'  ich  sicher  bin,  daß  er  bestimmt  ist,  einmal  König 
von  Frankreich  zu  werden. 

MARQUIS.    Helene! 

HELENE.  Eine  Laune  vielleicht .  .  .  aber  alles  ist 
von  ihrer  Erfüllung  abhängig  —  auch  was  Sie  Ihr 
Glück  nennen  .  .  .  und  was  .  .  .  vielleicht .  .  .  auch 
meines  sein  wird .  .  .  Gute  Nacht,  Herr  Marquis. 
Sit  gebt. 

MARQUIS.    Helene!  —  Helene! 


Dritte  Szene 

Straßenkreunung.  Eine  Straße  läuft  vorn  an  der  Rampe.  Die  andre 
gebt  von  vorn  links  nacb  recbts  binten,  verläuft  »iemlicb  schmal 
xwiscben  Gartenmauern.  Im  Hintergrund  freies  Feld.  Rechts^  ziem- 
lich weit  die  Front  des  Zeughauses.  —  In  der  Ferne  Hügel.  Vorn 
links  an  der  Ecke  ein  Meilenstein.  Recbts  an  der  Mauer^  etwas 
weiter  rückwärts,  eine  bölzerm  Bank.  —  Morgengrauen. 

ETZELT  (sitzt  auf  der  Bank).  Es  beginnt  mich  zu 
frösteln  .  .  .  Sollt'  ich  geschlummert  haben  ?  Mir  ist 
beinahe  so  .  .  .  Es  wird  doch  besser  sein,  wieder  auf 
und  ab  zu  gehn.  Er  erbebt  ticb  und  gebt  in  der  Straße  auf 
und  ab.  Wie  lange  noch  — ?  War  es  nicht  doch  viel- 
leicht ein  sträflich  Zögern  —  daß  ich  nicht  auf  irgend- 
eine Weise  versucht  habe,  mir  Einlaß  zu  verschaffen  .  .  ? 
Unsinn  .  .  .  Was  immer  die  Sache  zu  bedeuten  hat  .  .  . 
das  hätte  nur  von  üblen  Folgen  sein  können  .  .  .  Nun 
wird  es  sich  ja  doch  bald  entscheiden  —  ob  ich  die 
lächerUchste  Figur  von  einer  Schildwache  vorstelle, 
die  jemals  ungebeten  vor  einem  Liebesnest  auf  und 


ISO 


ab  gelaufen  ist,  oder  ob  eine  höhere  Einsicht  mich 
hier  festgebannt  hielt. 

Escbenbacber  in  Uniform  kommt  von  rechts  vorn^  biegt  in  die  enge 
Straße  ein^  begegnet  Etxelt. 

ESCHENBJCHER  erstaunt.  Etzelt .  . . 

ETZELT.    Sie,  Meister  Eschenbacher  — ! 

ESCHENBJCHER.    Zu  so  früher  Stunde  auf? 

ETZELT.  Nicht  früher  als  Sie,  Meister  Eschen- 
bacher .  .  .  Wohin  des  Wegs,  wenn's  zu  fragen  erlaubt 
ist  —  ? 

ESCHENBJCHER.  Zum  Zeughaus.  Ich  habe 
heute  Dienst  dort .  .  .  oder  vielmehr  eine  Art  Auf- 
sicht .  .  .  Wissen  Sie  denn  nicht  ?  —  Gestern  Abend 
wurde  es  doch  bekannt  gemacht:  heute  werden  an  die 
Bürgerschaft  Waffen  verteilt. 

ETZELT.   Glaubt  man  die  Gefahr  so  dringend? 

ESCHENBJCHER.  Ob  es  Gefahr  zu  nennen  ist, 
weiß  ich  noch  nicht  .  .  .  daß  wir  nicht  lang  mehr  auf 
die  Franzosen  zu  warten  haben  werden,  das  steht  fest. 
Kommen  Sie  mit,  Etzelt.  Wenn  Sie  zur  Zeit  dort 
sind,  haben  Sie  noch  die  Wahl.  Allerlei  Waffen  gibt's. 
Partisanen,  Mordäxte,  Hellebarden  .  . . 

ETZELT.    Und  FUnten  .  .  .  ? 

ESCHENBJCHER.  Ein  paar  verrostete  dürften 
noch  da  sein;  —  was  halbwegs  brauchbar  war,  ist  frei- 
lich längst  in  guten  Händen. 

ETZELT.  Ich  frage  nur  —  was  sollen  die  Leute  mit 
den  Waffen  anfangen,  die  sie  nicht  einmal  gebrauchen 
können  ? 

ESCHENBJCHER.  Zum  Gebrauch  soUen  sie 
wohl  weniger  dienen,  Etzelt!  .  .  .  Aber  sie  geben  doch 
Selbstvertrauen  .  .  .  und  vielleicht  auch  Mut.  Und 
wie  prächtig  wird  sich  später  so  ein  gefährüch  Ding 
über  der  Kommode  oder  überm  Bett  ansehn  lassen 
und  bewundern,  von  Kind  und  Enkelkind .  .  .  zur 
Erinnerung  an  eine  große  Zeit .  .  .  Also  —  auf  Wieder- 
sehen, Etzelt.  —  Eine  wunderliche  Gegend  übrigens, 
in  der  Sie  hier  Ihren  Morgenspaziergang  machen. 


151 


ETZELT.  Finden  Sie  ?  Es  kommt  so  ein  guter  Duft 
aus  den  Gärten  .  .  ,  ringsum.  Doch,  im  Ernst  gesprochen. 
Wissen  Sie  nicht,  daß  Medardus  gestern  abend  plötz- 
lich aus  dem  Haus  verschwunden  ist? 

ESCHENBACHER.  Ja,  das  ist  mir  bekannt.  Eine 
verschleierte  Dame  hat  ihn  entführt.  Ich  fand  es 
lustig  genug  —  der  düstern  Miene  meiner  Schwester 
zum  Trotz.  So  ein  junger  Mensch  hat  eine  wunder- 
bare Lebenskraft  in  sich,  muß  man  sagen.  Vormittag 
begräbt  er  seine  Schwester,  erledigt  zum  Nachtisch 
eine  ritterliche  Angelegenheit,  und  hat  trotz  Gram  und 
Wunden  noch  Laune  übrig  für  ein  zärthch  Abenteuer. 

ETZELT.  Dies  letztere  ist  Vermutung.  Es  steht 
nur  fest,  daß  er  verschwunden  ist. 

ESCHENBACHER.  Verschwunden!  Das  kUngt 
doch  etwas  zu  großartig,  meinen  Sie  nicht  —  ?  Er  ist 
einfach  entwischt  und  schlummert  süß,  wo  junge 
Helden  eben  besser  zu  schlummern  pflegen  als  daheim. 

ETZELT.  Könnt'  es  sich  nicht  auch  anders  ver- 
halten, Meister  Eschenbacher? 

ESCHENBACHER.  Anders  —  f  Hm!  Ein  Ge- 
heimnis —  ? '  Wo  sind  wir  da  ?  Wem  gehört  dies 
traurige,  etwas  verfallene  Schlößchen,  das  da  durch 
die  Bäume  lugt  ? 

ETZELT.  Wer  der  Besitzer  ist,  weiß  ich  nicht. 
Zur  Miete  wohnt  drinnen  der  Herzog  von  Valois  mit 
den  Seinen. 

ESCHENBACHER.  Das  macht  mir  die  Sache 
nicht  viel  klarer. 

ETZELT.  Vielleicht  doch,  wenn  ich  Ihnen  ver- 
rate, daß  Medardus  gestern  abend  in  dieser  Gegend, 
wenn  nicht  gar  hinter  diesen  Mauern  selbst,  mit  einem 
Male  verschwunden  ist,  —  und  daß  er  gestern  morgens 
seltsam  törichte,  vielleicht  erhabene  Worte  von  Rache 
hören  ließ. 

ESCHENBACHER.  Rache!  .  .  .  ja,  das  ist  ein  Wort, 
so  lärmend,  daß  es  wohl  seinen  eigenen  Sinn  übertönen 
möchte. 


152 


ETZELT.   Es  handelt  sich  hier  nicht  um  das  Wort, 

sondern  um  die  Sache,  Meister  Eschenbacher. 

ESCHENBJCHER.  Doch  wohl  um  das  Wort, 
Etzelt  —  wie  meistens,  glauben  Sie  nicht  ?  Und  gar 
unser  Medardus  ist  einer,  der  kaum  geschaffen  ist, 
andres  zu  erleben  als  den  Klang  von  Worten  ...  Er 
hält  ein  Frauenzimmer  in  den  Armen  .  .  und  ihn  um- 
säuselt flötenhaft  und  süß  das  Wort  Liebe  ...  er  fühlt 
einmal  sein  selig  oder  unseUg  Ende  nahen  —  und  das 
Wort  Tod  wird  ihn  umdröhnen  wie  mit  dunkeln 
Glocken  .  .  . 

ETZELT.  Dies  mag  gelten ...  eh'  ihm  die  wahre 
Liebe  und  der  sichre  Tod  erscheinen. 

ESCHENBJCHER.  Wohin  es  bei  unserm  Wirr- 
kopf Medardus  noch  einige  Weile  haben  dürfte  .  .  . 
Gehen  Sie  heber  nach  Hause,  Etzelt.  Glauben  Sie, 
er  wird  —  Ihnen  Dank  wissen,  daß  Sie  ihm  nach- 
spionieren ? 

ETZELT.  Um  Dank  ist's  mir  vielleicht  nicht  so 
sehr  zu  tun. 

ESCHENBJCHER.  SoUte  er  Ihnen  aber  in  die 
Hände  garaten,  so  erinnern  Sie  ihn  für  alle  FäUe  dran, 
daß  Kriegsrecht  proklamiert  ist. 

ETZELT.  Oh,  Meister  Eschenbacher,  was  macht 
die  Uniform  aus  Ihnen  für  einen  strengen  Herrn. 

ESCHENBJCHER.  Alles  zu  seiner  Zeit.  —  Nun  ist 
Medardus  Soldat,  und  er  hat  sich  —  wenn  er  nicht 
krank  ist  —  zum  Antritt  des  Dienstes  zu  melden  .  . . 
Auf  Wiedersehen,  Etzelt.    Ab. 

ETZELT  allein.  Du  kennst  ihn  ja  doch  nicht.  Eine 
Jugend  leuchtet  dunkelglühend  auf  —  und  im  Dunst 
deiner  alternden  Jahre  siehst  du  nur  ihren  trüben 
Flackerschein.    Auf  und  ab. 

Von  links  kommt  Kr euzhar tinger ^  ein  Landmann,  und  seine  Frau. 

Sie   schleppt  ein   Bündel,   er   schiebt  einen   mit   Geräten  beladenen 

Karren. 

FRJU  KREUZHJRTINGER.  Ich  kann  nimmer 
weiter. 


»53 


KREUZHART  IN  GER.  Aber  Frau,  wir  sind  ja 
gleich  in  der  Stadt  drin. 

FRAU  KREUZHARTINGER.  Wären  wir  Ueber 
daheim  blieben. 

E  TZ  ELT  kommt  ibtun  tntgegen. 

KREUZHARTINGER.  Einen  schönen  guten 
Morgen. 

ETZELT.    Guten  Morgen. 

KREUZHARTINGER.  Wenn  der  Herr  so  gut 
sein  möcht'  und  mir  eine  Auskunft  geben,  —  wie  schaut's 
denn  drin  in  Wien  aus,  kriegt  man  denn  noch  ein 
Quartier  ? 

ETZELT.  Kann  euch  nichts  Sichres  sagen.  Müßt 
halt  in  einem  Gasthof  nachfragen.  Kommt  ihr  von 
weit? 

KREUZHARTINGER.  Aus  Petersdorf...  Wie 
wir  fort  sind,  hat's  g'heißen,  die  Franzosen  stehn  keine 
dreißig  Meilen  hinter  uns. 

FRAU  KREUZHARTINGER.  Ja  ...  er  hat  schon 
den  Wind  im  G'nick  g'spürt  .  .  .  Und  gar  auf  unsern 
Hof  haben  sie's  abg'sehn,  die  Franzosen .  .  .  Der  Huber 
und  der  Mittelbach,  die  sind  schön  zu  Haus  blieben 
.  .  .  Aber  wenn  man  einen  Hasenfuß  zum  Mann  hat .  .  . 

KREUZHARTINGER  ««  Etzdu  Ich  lass'  sie  halt 
reden  .  .  .  Glauben  S'  nicht,  es  ist  das  beste  —  ? 

ETZELT.    Ich  bin  ledig,  Herr  Vetter  .  .  . 

KREUZHARTINGER.  Ah  so  ...  Na,  der  Herr 
darf  nicht  glauben,  daß  wir  die  einzigen  sind,  die  vom 
Land  hereinkommen  .  .  .  Überall,  wo  wir  vorbei- 
kommen sind,  wird  'packt  und  aufg'laden  ...  Es  ist 
halt  doch  sicherer  in  der  Stadt.  Ihr  habts  doch  Mauern 
und  Kanonen  und  Soldaten  .  .  .  das  ist  halt  gleich  ein 
andres  G'fühl.  Komm,  Frau,  marschieren  wir  weiter! 
Wird  sich  schon  was  finden!  Adio,  ein  schön  guten 
Morgen  ...     Ab  mit  der  Frau. 

Im  Garten  drüben  Vogelzxoiticbern. 

ETZELT.  Wie  unerbitthch  und  zugleich  wie  tröst- 
lich zieht   der  Tag  seinen   festen   Rahmen  um   die 


154 


Welt .  .  .  Nun  möcht*  ich  beinah  glauben,  daß  all 
meine  Sorgen  Einbildungen  waren  und  weiter  nichts.  — 
Doch  scheint  mir  nicht  in  diesem  harten,  grauen 
FrühHcht  selbst  Agathens  Tod  wie  etwas  nicht  Ge- 
schehenes ...  ja  wie  etwas,  das  nie  und  nimmer  mög- 
lich war  ?  .  .  .  Und  ich  weiß  doch,  daß  es  wahr  ist, 
grauenvoll  wahr  . .  .  und  daß  die  Würmer  schon  an 
der  Arbeit  sind.  Der  öde  Zauber  des  Morgens  täuscht 
am  Ende  so  gut  wie  die  Nacht  mit  ihren  schwim- 
menden Schauem. 

Medardus  aus  der  Gartenpforte,  dt*  ticb  rasch  hinter  ihm  schließt. 
Etzelt. 

MEDARDUS.    Etzelt ...  du  . .  . 

ETZELT.  Medardus,  du  bist  es  ?  Du  bist  es  wirklich  ? 

MEDARDUS.    Du  hast  hier  gewartet,  Etzelt? 

ETZELT.  Ich  bin  da.  Es  könnte  ja  auch  Zufall 
sein  .  .  •    Nimm's,  wie  es  dir  behebt. 

MEDARDUS.   Etzelt,  du  weißt,  woher  ich  komme. 

ETZELT.  Ich  weiß  es  nicht.  Es  kümmert  mich  auch 
nicht  im  geringsten.  Beim  Himmel,  wir  leben  nicht 
in  einer  Zeit,  wo  man  sich  um  dergleichen  Eskapaden 
sonderHch  kümmern  könnte.  Nur  deine  Verwundung 
gab  mir  einigen  Grund,  besorgt  zu  sein.  Dies  war 
der  Anlaß.  Nun  verzeih  mir  oder  verzeih  mir  nicht .  .  . 
komm  nur  nach  Haus,  Medardus,  deine  Mutter 
ängstigt  sich. 

MEDARDUS.  Meinst  du,  ich  klettere  über  Mauern 
für  die  Erstbeste,  Etzelt  ?  Oder  denkst  du,  mir  stünde 
der  Sinn  nach  zärthchen  Abenteuern  .  .  .  ? 

ETZELT.  War'  ich  so  hübsch  gewachsen  wie  du, 
Medardus,  ich  heße  mir  dergleichen  wohl  auch  nicht 
entgehn  —  und  hielte  nicht  Trauer  um  Entschwun- 
dene, die  ja  doch  nicht  wiederkommen  .  .  .  Ich  frage 
nicht,  komm,  Medardus. 

Man  siebt  Leute  rückwärts  Über  den  Platx  zum  Zeugbaus  laufen, 

zuerst  zoenige,  dann  immer  mehr,  einige  kommen  auch  durch  die 

kleine  Gasse,  in  der  Etzelt  und  Medardus  stebn.  Jet%t  kommt  Wacbs- 

huber  eben  an  beiden  vorbei^  einen  Morgenstern  in  der  Hand. 


155 


WACHSHUBER.    O  Herr  Etzelt,  guten  Morgen. 

Der  Herr  Klähr  ist  auch  schon  so  früh  auf?    Na  ja, 

freilich,  wahrscheinlich  schon  im  Dienst.    Da  schaun 

S'  her,  wissen  Sie,  was  das  ist,  meine  Herren  f  .  . .  Das 

ist  ein  sogenannter  Morgenstern.    Über  hundert  Jahr 

hat  er  Ferien  gehabt.   Jetzt  iit's  Zeit,  daß  das  Dingerl 

wieder  Arbeit  kriegt.   Ha!  jetzt  sollen  »'  nur  kommen, 

die  Franzosen. 

Ein  anderer^  »iemlich  verdächtig  aussehend,  eine  Hellebarde  im  Arm^ 
an  Wacbsbuber  vorüber^  stößt  ihn  an. 

WACHSHUBER.   0ha,  möcht'  schön  bitten. 

Der  mit  der  Hellebarde  bedroht  ihn  scher%hajt. 

WACHSHUBER.  Was  fallt  denn  Ihnen  ein?  Ein 
Morgenstern  und  eine  Hellebarde,  das  ist  ein  ungleicher 
Kampf.  Da  komm'  ich  nicht  auf!  Habe  die  Ehre, 
meine  Herren.  Ab. 

ETZELT.  Das  dumme  Volk!  Wird  ihnen  auch  da« 
zum  Spaß  ? 

MEDARDUS.    Was  hat  das  zu  bedeuten? 

ETZELT.  Seit  heute  morgens  steht  das  Zeughaus 
offen,  Waffen  werden  unter  das  Volk  verteilt,  die 
Franzosen  rücken  unaufhaltsam  näher.  Wenn  nicht 
alles  trügt,  Medardus,  wirst  du  bald  spüren,  daß  in 
dieser  aufgewühlten  Welt  dein  kleines  Abenteuer 
nicht  eben  viel  bedeutet. 

MEDARDUS.  Ein  kleines  Abenteuer  ?  I  Weißt  du, 
woher  ich  komme?  Aus  den  Armen  der  Prinzessin 
von  Valois. 

ETZELT.    Der  .  .  .  Prinzessin  .  .  . 

MEDARDUS.  Du  denkst,  ich  lüge?  Es  ist  die 
Wahrheit,  Etzelt! 

ETZELT.  Schweig  doch!  Was  geht's  mich  an ?  Es 
war  nicht  deine  Art  sonst,  dergleichen  auszuschwätzen. 

MEDARDUS.    Diesmal  soll  es  meine  Art  sein. 

ETZELT.    Du  bist  nicht  bei  dir,  Medardus. 

MEDARDUS.  Hast  du  vergessen,  was  geschah? 
Agathe  war  ihnen  zu  schlecht,  Etzelt,  und  darum  hat 
sie  sterben  müssen!   Hast  du's  vergessen,  Etzelt?    Ich 

156 


aicht !  Und  «  kommt  die  Stunde,  da  rahl'  ich's  ihnen 
heim!  Die  Diener  ruf  ich  zusammen  und  die  Mägde 
und  schrei'  es  durch  den  Flur  und  lasse  den  Herzog 
rufen  und  die  Herzogin  und  zerre  die  Prinzessin  aus 
dem  zerwühlten  Bett,  nackt  über  die  Treppe  .  .  . 

ET  ZELT.  Wie  lang  soll  ich  deinen  Fieberphanta- 
seien  nch  zuhören  ?  Du  hast  alles  geträumt,  und  deinen 
tollen  Vorsatz  träumst  du  erst  recht.  Wärst  du  wirk- 
lich bei  der  Prinzessin  gewesen  und  hättest  dich  wirklich 
mit  so  verruchter  Absicht  getragen  —  so  hättest  du 
sie  ohne  Verzug  zur  Tat  gemacht. 

MEDARDUS.  Es  eilt  nicht  so  sehr.  Es  ist  ja  ab- 
gemacht, daß  ich  heute  nacht  wiederkomme,  und 
morgen  und  übermorgen,  —  es  ist  noch  nichts  ver- 
säumt, —  das  Leben  ist  sehr  kurz,  Etzelt  .  .  .  besonders 
für  mich  wird  es  nicht  lang  sein !  —  Und  sie  ist  schön, 
Etzelt,  sehr  schön,  die  Prinzessin,  warum  soll  man  nicht 
ein  paar  wunderbare  Nächte  haben  .  .  . 

E1ZEL1.  Schweig,  Medardus!  Ich  will  mir  dein 
Bild  nicht  zerstören  lassen.  Das  Fieber  sprach  aus  dir. 
Laß  mich's  weiter  glauben.  Denn  könnt'  ich  das  nicht, 
so  —  verzeih'  mir  Gott  und  deine  Mutter  die  Sünde, 
so  wollt'  ich  lieber,  ich  hätte  hier  vergeblich  deiner 
gewartet  und  du  wärst  meinethalben  in  den  Armen 
deiner  Prinzessin  nie  wieder  aufgewacht. 

MEDARDUS  vor  neb  bin.  Kein  übler  Wunsch,  Etzelt, 
kein  übler. 

ETZELT  ganx  versubend.  Medardus  .  . . 

MEDARDUS  wie  erwacbend.    Etzelt  .  .  . 

ETZELT.  Weißt  du,  was  dir  geschehn  ist,  Medar- 
dus? 

MEDARDUS.    Nein,  nein,  Etzelt!    Du  lügst! 

ETZELT.  Du  darfst  deinen  Fuß  nicht  wieder  hier- 
her setzen. 

MEDARDUS.  Was  immer  ich  von  Schuld  auf  mich 
lade,  ich  bin  Manns  genug,  jede  zu  begleichen. 

ETZELT.  Immer  nur  mit  deinem  Leben,  Medardus. 
Gib  acht,  daß  es  keine  zu  schlechte  Münze  wird,  bis 


i$7 


es  zum  Zahlen  kommt.    So  schlecht,  daß  du  dich  am 
Ende  schämen  müßtest,  es  hinzuwerfen! 

MEDARDUS.  Etzelt,  hilf  mir !  Ich  bin  verwandelt ! 
Ich  gehöre  nicht  mehr  mir  selbst,  ich  rase  durch  einen 
Traum ! 

ETZELT.  Ich  will  dir  ein  Wort  hineinrufen,  daß 
du  erwachst.  Bonaparte  ist  auf  dem  Wege  nach  Wien 
.  .  .  der,  den  du  am  meisten  gehaßt  unter  allen  Men- 
schen, die  leben.  Hörst  du  mich,  Medardus  —  Bona- 
parte! 

MEDARDUS.  Einen  Schall  hör'  ich,  Etzelt .  . . 
einen  Schall .  .  . 

Medardus  und  Etzelt  ab. 

Es  kommen  wieder  Leute  mit  Waffen^  die  meisten  geben  im  Hinter- 
grund über  den  Platz,  einige  durch  die  enge  Straße.   Aus  der  Garten^ 
Pforte  treten  zwei  Diener  heraus. 

ERSTER  DIENER.  Ja,  was  gibt's  denn  eigentlich  ? 

ZWEITER  DIENER.  Schau',  was  die  für  Waffen 
tragen.    Was  ist  denn  das  für  ein  Regiment? 

ERSTER  DIENER.  Das  sind  keine  regulären  Sol- 
daten. 

Nerina  tritt  aus  der  Gartentüre. 

ERSTER  DIENER.  Guten  Morgen,  Fräulein 
■Nerina.    Sehen  Sie  sich  diese  sonderbaren  Figuren  an. 

ZWEITER  DIENER.  Die  kommen  ja  vom  Zeug- 
haus her. 

ERSTER  DIENER.  Es  heißt,  sie  lassen  jetzt  auch 
die  Gefangenen  heraus,  nur  damit  sie  genug  Soldaten 
haben. 

ZWEITER  DIENER.  Es  war'  gut,  wenn  die  Fran- 
zosen schon  endlich  kämen,  da  gäb's  wenigstens  wieder 
eine  Ordnung. 

ERSTER  DIENER.  Ich  glaub'  doch,  daß  gestern 
so  ein  Strolch  versucht  hat,  sich  in  den  Garten  zu 
schleichen  .  .  .  Und  hat  sich  halt  wieder  über  die  Mauer 
davon  gemacht. 

NERINA.  Es  wäre  wohl  möglich.  Und  daß  ich 
nicht  vergesse!  Die  Prinzessin  wünscht,  daß  von  heute 

158 


ab  beim  Eintritt  der  Dunkelheit  die  Hunde  los  sein 
sollen. 

ERSTER  DIENER.  Wird  besorgt  werden,  Fräu- 
lein Nerina. 

NERINA  tritt  durch  die  GartenpforU  wieder  in  den  Garten 
zurück. 

Vorhang. 


DRITTER  AUFZUG 

Erste  Szene 

Die  Burgbastei.  Eine  hohe  Mauer,  so  breit,  daß  sie  den  größeren  Teil 
der  Bübn*  einnimmt,  xiebt  von  vorne  links  nach  rückwärts  rechts.  Die 
Wehre  gegen  die  Vorstadtseite  erhöht,  vor  ihnen  Säcke  aufgeschichtet. 
Auf  der  Stadtseite  der  Bastei,  also  dem  Zuschauerraum  xu,  ein 
scbtcarxgelb  gestrichenes  Holzgeländer.  Dem  Hintergrund  der  Bühne 
XU  liegt  das  Burgtor,  das  geschlossen  ist.  Vorn  rechts  zur  Bastei 
hinauf  führt  eine  steinerne  Treppe  mit  Geländer,  die  ihrer  ganzen 
Ausdehnung  nach  praktikabel  ist.  Über  dem  Tor  eine  erhöhte  Schanze, 
dort  eiru  Kanone  mit  Bedienungsmannschaft  {bürgerliche  Artillerie)  *. 
Unten  am  Tor  Eschenbaeber  als  Hauptmann;  er  sitxt  auf  einer  Bank, 
außer  ihm  am  Tor  vier  bürgerliche  Grenadiere.  Jenseits  der  Bastei 
sind  die  Vorstädte  gedacht,  zu  sehen  sind  nur  etliche  Turmspitzen 
und  eine  schtoarze  Fahne.  Auf  der  Bastei  oben  ziemlich  lebhafte 
Bewegung.  Bargetti,  Hauptmann  der  bürgerlichen  Scharfschützen, 
unterhalb  der  Schanze.  An  einzelnen  Stellen  der  Rampe  sind  bürger- 
liche Scharfschützen  aufgestellt.  Bürgermilitär  einzeln  und  ge- 
ordnet in  Gruppen  kommt  bin  und  wieder;  Zivil-Bevölkerung,  be- 
waffnet und  unbewaffnet  in  wechselnder  Gruppierung.  Einige, 
darunter  Berger,  mit  einer  Flinte,  aber  nicht  in  Uniform,  Bradl, 
Scbreubler,  Frau  Grinzinger  stehen  an  der  Rampe  der  Bastei  in 
lebhaftem  Gespräch. 

BERGER  gegen  die  Vorstadt  xu.  Aber  sehn  S'  denn 
nicht,  daß  sich's  bewegt  ? 

SCHREUBLER.    Wo  bewegt  sich  denn  was? 

*)  Für  die  Aufführung  wird  folgende  Vereinfachung  des  Bühnen- 
bildes vorgeschlagen:  Die  Bastei  zieht  gerade  über  die  Bühne,  in 
einer  Höhe  Ton  etwa  3  m  über  dem  Bühnenniveau.  In  der  Mitte 
ist  das  Burgtor  gedacht,  die  obere  Wölbung  ist  eben  noch  sichtbar. 
Gerade  über  dem  Tor  auf  der  Bastei  eine  erhöhte  Schanze.  — 
Rechts  vom  Tor  führt  eine  Stiege  zur  Bastei.  Sie  kommt  aus  der 
Tiefe,  wo  die  Straße  gedacht  ist,  etwa  zwei,  drei  Stufen  über  dem 
Bühnenniveau  macht  sie  ein  Knie  und  bildet  eine  etwas  verbreiterte 
Plattform.  —  Manche  von  den  Vorgängen,  die  im  Buch  auf  die 
Straße  verlegt  sind,  werden  sich  nun  auf  der  Stiege,  auf  der  Platt- 
form, eventuell  auf  der  Bastei  selbst;  manche  von  den  Vorgängen 
auf  der  Bastei  werden  sich  auf  der  erhöhten  Schanze  über  dem 
Burgtor;  und  einzelne  von  den  Massenszenen  der  Straße  werden 
sich  vollkommen  unsichtbar  abspielen,  doch  so,  daß  die  Stimmen 
aus  der  Tiefe  heraufdringen,  wo  eben  die  Straße  gedacht  ist.  Die 
bei  so  gestaltetem  Bühnenbild  notwendigen  Änderungen  sollen 
von  Fall  zu  Fall  als  Anmerkungen  im  Text  vermerkt  sein. 


160 


BERGER.  Dorten,  in  der  Gegend  von  der  Maria- 
hilferlinie. 

FRJU  GRINZINGER.  Freilich,  wie  ein  langes 
schwarzes  Band  schaut's  aus. 

BERGER.  Eher  noch  wie  eine  Schlange.  *«  wird 
Kavallerie  sein. 

SCHREUBLER.  Ja  freihch,  die  wird  dort  ohne 
Deckung  stehn.  Die  könnt'  man  ja  von  uns  aus  zu- 
sammenfeuem.  , 

FRAU  GRINZINGER.  Weil's  bei  uns  schon  so 
fleißig  sind  mit  dem  Feuern  .  .  . 

BERGER.  Drüben  strengen  sie  sich  grad  auch  nicht 
an. 

BRADL.    Könnt'  auch  Artillerie  sein. 

BERGER.  Glaub'  ich  nicht,  sie  sollen  ja  ihre  Ka- 
nonen noch  gar  nicht  da  haben.  Von  Passau  her  sollen 
sie  sie  kriegen  auf  der  Donau. 

Scböffmann,  Leutnant  der  bürgerlichen  Grenadiere,  tritt  xu  Bargetti; 

begrüßt  ibn^  sie  bleiben  zuerst  redend  miteinander  stehn  und  gebn 

dann  auf  die  Schanze. 

FRAU  GRINZINGER.  Wie  leer's  da  drunten  ist! 
Man  möcht'  meinen,  alles  ist  ganz  ausgestorben. 

BERGER.  Sie  werden  sich's  überlegen,  auf  dem 
Glacis  spazieren  zu  gehen.  Gestern  sind  gewiß  ein 
halbes  Dutzend  Franzosen  von  uns  aus  niedergeschossen 
worden.  Am  Abend  sind  sie  noch  dagelegen.  Sie 
müssen  sie  bei  der  Nacht  fortgeräumt  haben. 

FRAU  GRINZINGER.  Aber  heut  ist's  recht  stiU. 
Ich  weiß  gar  nicht,  worauf  wir  eigentlich  warten! 

SCHREUBLER  zu  Berger,  auf  dessen  Flinte  deutend.  Na, 
Herr  Berger,  tun  S'  doch  der  Frau  Grinziger  den  Ge- 
fallen.   E«  ist  ihr  nicht  lebhaft  genug! 

Ziemlich  entfernt  fällt  ein  Schuß. 

BERGER.  Wo  war  denn  das  ?  Bei  uns  oder  drüben  ? 

SCHREUBLER.  Das  muß  in  der  Gegend  von  der 
Mölkerbastei  gewesen  sein  .  .  . 

BRADL.  Mir  scheint  —  da  drüben  bei  den  Stal- 
lungen, da  spazieren  ein  paar  ganz  gemütlich  herum  — 

UMatentOckr*.  IV,  xt  l6l 


FRAU  GRINZINGER.    Meiner  SeeP  — 

BERGER  legt  an. 

DOKTOR  JOLSDORF,  Leutnant  der  bürgerlichen  Grena- 
diere^ kommt  eben,  legt  Berger  die  Hand  auf  die  Schulter.  Sparen 
Sie  das  Pulver,  lieber  Herr  —  die  da  trifft  nicht  so 
weit  .  .  .  Und  im  übrigen  zu  den  andern  möchte  ich 
den  Herrschaften  raten,  sich  von  hier  zu  entfernen. 

BRADL.    Ist's  denn  g'fährlich,  Herr  Leutnant? 

JOLSDORF.  Es  kann  jeden  Augenblick  sehr  ge- 
fährlich werden.  Vor  ein  paar  Stunden  ist  aus  den 
kaiserlichen  Stallungen  herübergeschossen  worden. 

BERGER.    Aber  getroffen  haben  sie  nicht. 

SCHREUBLER.  Und  aufgehört  haben  sie  bald 
wieder. 

JOLSDORF.  Sie  können  jeden  AugenbUck  wieder 
anfangen  .  .  .  Und  dann  mit  Kanonen  . .  . 

SCHREUBLER.  Die  Kanonen  sollen  ja  noch  in 
Passau  sein  — ? 

JOLSDORF.    Nicht  alle  .  .  .  Fort. 

FODERL  kommt  von  der  Stiege  aus  berauf,  sehr  eilig  und 
aufgeregt.    O  du  mein  Gott,  o  du  mein  Gott  .  .  . 

BERGER.   Guten  Tag,  Herr  Föderl,  was  ist  denn? 

FÖDERL.  O  du  mein  Gott,  jetzt  bin  ich  vorgestern 
abend  in  die  Stadt  herein,  hab'  dringend  mit  meinem 
Bruder  zu  reden  gehabt,  der  was  Advokat  is,  und 
jetzt  kann  ich  nimmer  hinüber  zu  meiner  Frau. 

BARGETTI  ist  dazugetreten.  Wenn  Sie  sich  aus- 
weisen können,  daß  Sie  drüben  wohnen  .  .  .  ah  .  .  .  der 
Herr  Föderl.  Ihnen  kann  ich  ja  einen  Passierschein 
geben  lassen  .  .  .  auf  Ihre  Gefahr  natürUch. 

SCHREUBLER  zu  den  andern.  Aber  er  hat  sich  ja 
doch  zu  Fleiß  aussperren  lassen! 

FÖDERL.  Einen  Passierschein!  So!  da  müßt'  ich 
ja  übers  Glacis. 

BARGETTI.  Einen  andern  Weg  wüßt'  ich  freilich 
nicht. 

FÖDERL.  Aber  das  ist  doch  jetzt  eine  sehr  un- 
sichere Passage. 


i6a 


ßARG£1fI.  Ja,  eine  Garantie  könnten  wir  nicht 
übernehmen. 

BERGER.    Höchstens,  wenn  sich  der  Herr  Föderl 
rielleicht  ein  weißes  Schnupf  tüchel  auf  den  Hut  steckt. 
Gelächter. 

FÖDERL.  Da  werd'  ich  halt  doch  lieber  noch  warten. 

BJRGETTI.   Ja,  es  wird  schon  das  beste  sein  . . .  Fort. 

FRAU  GRINZINGER.  Warum  haben  s'  denn 
dort  eine  schwarze  Fahne  aufgezogen? 

BERGER.  Das  ist  ja  das  Waisenhaus.  Und  dort  am 
Universalspital  flattert  auch  eine.  Das  ist,  damit  wir 
wissen,  wohin  wir  nicht  schießen  dürfen. 

FÖDERL.  Herrgott,  wenn  meine  Frau  nur  so  ge- 
scheit is  und  steckt  auch  eine  schwarze  Fahne  auf 
unser  Dach. 

Man  bort  Hochrufe  hinter  der  Szene. 

BERGER.  Ah,  die  Deutschmeister!   Hoch,  hoch  . . 

ANDRE.   Hoch! 

Eine  Kompagnie  Deutschmeister-Grenadiere  kommt  von  links  nach 
rechts  über  die  Basui  gezogen^  wird  überall  mit  Hochrufen  begrüßt. 

BERGER.  Das  ist  noch  ein  Glück,  daß  die  gestern 
eingerückt  sind. 

FRAU  GRINZINGER.  Was  ist  denn  das  für  ein 
Regiment  ? 

BERGER.  Das  sind  die  Deutschmeister-Grenadiere 
vom  Hillerschen  Korps.  Haben  S'  denn  nicht  gehört, 
heut  mittag  auf  dem  Burghof  die  Musik  spielen  ? 

BRADL.  Jetzt  —  wenn  auch  noch  der  Erzherzog 
Karl  zu  rechter  Zeit  ankam'  .  .  .! 

FÖDERL.  Ja,  ist  denn  der  noch  immer  nicht  da  —  ? 
Wo  steckt  er  denn  ?  Das  ist  ja  schrecklich,  das  hat  man 
uns  doch  für  ganz  sicher  versprochen,  daß  der  Erzherzog 
Karl  kommt  und  uns  rettet  .  .  . 

SCHREUBLER.  Obacht,  Herr  Föderl,  die  Herren 
vom  BürgermiUtär,  die  sind  jetzt  sehr  empfindlich! 
Wenn  die  merken,  wir  verlassen  uns  nicht  auf  sie,  so 
sind  sie  imstand  .  .  . 

BARGETTI  auf  der  Schanze  mit  Medardus  und  Schaff  mann, 

"•  163 


Sehn  Sie  hinter  den  kaiserlichen  Stallungen  diese  Wolke 
von  Staub  und  Dunst  Dort  haben  die  Franzosen 
offenbar  ein  Haus  abgebrochen.  Die  Bewegung  in  der 
Gegend  ist  überhaupt  ganz  auffallend.  Ich  vermute, 
es  dauert  nicht  mehr  lang,  so  fahren  sie  ihre  Batterien 
auf  die  Anhöhe  hinter  dem  Stallgebäude,  wo  sie  die 
beste  Deckung  haben.  Schöffmann  .  . .  tragen  Sie 
Sorge,  daß  die  Bastei  vom  Publikum  geräumt  wird, 
vor  allem  von  den  Damen.  Und  Sie,  Klähr,  melden 
beim  Hauptmann  Mollner  am  Kärtnertor,  was  wir 
hier  beobachtet  haben. 

Medardus  und  Schöffmann  nach  verschiedenen  Seiten  ab, 

FRAU  GRINZINGER.  Da  reiten  ja  zwei  üben 
Glacis  direkt  aufs  Tor  zu.  Warum  schießen  i'  denn 
jetzt  nicht  von  uns  aus  ? 

SCHREUBLER.  So  blutdürstig  als  wie  die  Frau 
Grinzinger  is  .  .  .  Sehn  S'  denn  nicht,  die  haben  ja 
eine  weiße  Fahne  .  .  . 

Lebhafte  Betcegung  auf  der  Bastei^  insbesondere  in  der  Richtung 
gegen  das  Tor  zu,  später  nach  vorn,  Stadtseite.  —  Unten  in  der  Stadt 

an  der  Mauer  der  Bastei*)  Wacbshubtr,  Stiefler  und  andere. 

STIEFLER.  Ich  denk'  mir,  da  ist  es  doch  am  aller- 
sichersten. 

WACHSHUBER.  Warum  versteckst  du  dich  nicht 
gleich  in  den  Keller  ...  so  eine  Memme.  Weißt,  wo 
ich  jetzt  hingeh'  .  .  .  ?  ich  geh'  direkt  auf  die  Bastei 
hinauf.  Wer  folgt  mir?  Auf!  Vorwärts!  Für  Kaiser 
und  Vaterland!     Er  schwingt  seinen  Morgenstern. 

EINE  FRAU  XU  ihm.   Was  haben  S'  denn  da? 

WACHSHUBER.  Wie,  das  kennen  Sie  nicht  ?  Ein 
Morgenstern  ist  das.  Das  ist  eine  eigene  Bewandtnis. 
Das  ist  das  Sicherste,  wenn's  zum  Handgemenge 
kommt.     Auf  die  Bastei.    Einige  mit  ihm. 

Oben  ist  die  Betcegung  lebhafter  geworden,  viele  haben  sich  bis  xu 
dem  Tor  gedrängt  und  sehen  hinab. 

EINE  STIMME  von  jenseits  der  Mauer,  sehr  laut.  Vom 
Marschall  Lannes,  Herzog  von  Montebello. 

*)  Bei  umgeitaltetcm  Bühnenbild:  a«i  der  Stiege. 
164 


BERGER  oben.  XU  (hn  andern.  Vom  Marschall  Lannes . .. 
FRAU  GRINZINGER.    Ist  denn  das  der  Mar- 
3chaU  .  .  .  ?  — 

Man  hört,  wie  das  äußere  Tor  aufgemacht  toird. 
Wachshnber  und  andere  vneder  herunter. 

FÖDERL.  Was  soll  das  bedeuten?  Jetzt  werden'» 
am  End'  Geiseln  verlangen  ? 

BERGER.  Mir  scheint,  meine  Herrschaften,  das 
ist  der  Beginn  der  Unterhandlungen. 

FRJU  GRINZINGER.  Was  denn  für  Unterhand- 
lungen ?    Is  denn  am  End'  wieder  nix  ? 

BERGER.  Wenn  die  jetzt  bei  uns  nur  keine  Dumm- 
heiten machen. 

BRADL.    Wieso  denn,  wie  meinen  Sie  das? 

BERGER.  Also  ich  denk'  mir,  in  ein  paar  Stunden, 
spätestens  in  der  Nacht,  wird  der  Erzherzog  Karl  mit 
der  ganzen  Armee  da  sein. 

DIE  ANDERN.  Wie  ?  Was  ?  —  Die  Armee  ?  —  O 
Gott,  die  ist  noch  weit! 

BERGER.  Wer  sagt  denn  das  ?  Die  da  drüben  haben 
jedenfalls  sichrere  Nachrichten  als  wir.  Wir  wissen 
nämlich  nichts,  weil  wir  da  eing'sperrt  sind,  sozusagen 
—  und  da  wollen  die  Franzosen  das  Prävenire 
spielen. 

SCHREUBLER.  Wissen  S'  was,  Herr  Berger,  Sie 
müßten  eigentlich  zum  Erzherzog  in  die  Burg,  daß  er 
dem  Adjutanten  nicht  aufsitzt. 

Das  innere  Tor  öffnet  sich,  Adjutant  St.  Mars  und  Trompeter  reiten 
herein.    Die  Wache  am  Tor  salutiert.    Der  Adjutant  und  der  Trom- 
peter werden  von  zwei  bürgerlichen  Grenadieren  begleiut  und  reiten 
rechts  ab*). 

fy  ACHSHUBE R,    der  mit  einigen   andern  tuieder   auf  die 
Straße  herunter  ist**).    Was  heißt  denn  das  ? 
STIEFLER.    Was  wollen  denn  die? 
EIN  BÜRGERLICHER  GRENADIER.    Sie  brin- 

*)  Bei  umgestaltetem  Bühnenbild:  hört  man  nur  das  Öffnen  des 
Tors  und  sieht  natürlich  nicht  die  Eintretenden. 
**)  Auf  der  Stiege. 

i6s 


g«n  eine  Meldung  vom  Marschall  Lannes  an  den  Erz- 
herzog Maximilian  in  die  Burg. 

WACHSHUBER.  Was .  .  .  Und  ihr  laßt  so  ohne 
weiteres  die  Franzosen  in  die  Stadt  herein  ? 

DER  BÜRGERLICHE  GRENADIER.  Das  ist  ja 
ein  Abgesandter.  Sehen  Sie  denn  die  weiße  Fahne  nicht  ? 

WACHSHUBER.  A  was,  Abgesandter,  Franzos'  is 
Franzos'.  Da  kann  eine  abgefeimte  Bewandtnis  da- 
hinter stecken. 

ESCHEN  BACHER  tritt  plötzlich  unter  sie*).  Was 
wird  denn  hier  für  ein  Unsinn  geredet.  Man  sollte 
sich  schämen. 

WACHSHUBER.  Oh,  der  Eschenbacher,  habe  die 
Ehre,  Herr  Hauptmann. 

ESCHENBACHER  wendet  sieb  ab. 

STIEFLER  plötzlich.    Hoch  Kaiser  Franz  .  .  . 

EINIGE.    Hoch  Kaiser  Franz. 

WACHSHUBER.    Nieder  mit  den  Franzosen! 

EINIGE.    Nieder  mit  den  Franzosen! 

WACHSHUBER.    Jedenfalls   wär's  interessant  zu 

erfahren,  was  die  in  der  Burg  ausgerichtet  haben. 

JFachsbuber,  Stiefler  und  einige  andere  ab  nach  rechts**). 

Frau  Klähr,  Anna,  Etzelt  kommen  unten  an  das  Tor  ***).  Sie  tragen 

Handkörbe  mit  Eßwaren  und  Flaschen. 

Begrüßung  mit  Eschenbacber. 

FRAU  KLÄHR.  Was  war  denn  das  für  ein  Auflauf  ? 

ESCHENBACHER.  Ein  Parlamentär  vom  Mar- 
schall Lannes  ist  an  den  Erzherzog  abgegangen  ,  .  . 
Wahrscheinlich  Aufforderung  zur  Übergabe. 

FRAU  KLÄHR.    Was  denkst  du,  Jakob? 

ESCHEN  BACHER.  Wenn  die  Armee  heute  abend 
oder  spätestens  morgen  früh  nicht  da  ist,  so  kann  sich 
Wien  nicht  halten. 

FRAU  KLÄHR.  Und  die  Hillerschen  Regimenter, 
die  gestern  eingerückt  sind  ? 

*)  Bei  umgestaltetem  Bühnenbild :  kommt  die  Stiege  heraut 
**)  Die  Stiege  herunter  verschwindend. 
♦**)  Bei  umgestaltetem  Bühnenbild:  tonunen  dit  Stiege  herauf. 

i66 


ESCHENBACHER.  Mit  den  paar  tausend  Mann 
ist  uns  wenig  geholfen. 

FRAU  KLAHR.  Und  ihr!  ?  Ich  meine  das  bürger- 
liche MiHtär? 

ESCHENBACHER.  Wir  stehn  auf  unsenn  Posten, 
Schwester.  Und  es  haben  sich  sogar  ein  paar  Dutzend 
gemeldet  für  den  recht  unwahrscheinlichen  Fall,  daß 
ein  Ausfall  anbefohlen  werden  soUte  —  oder  bei  allzu 
heftiger  Kampfeslust  gestattet  werden  müßte.  Der 
Medardus  ist  auch  unter  ihnen. 

ANNA.    Der  Medardus  — ? 

E1ZEL1.    Wahrhaftig  —  ? 

FRAU  KLÄHR..  Haben  Sie  daran  gezweifelt, 
Etzelt  ?  Zu  Escbenbacber  gewendet.  Leb'  wohl,  Jakob.  Zu 
den  andern.     Kommt! 

ESCHENBACHER.  Ihr  bringt  den  Leuten  da 
oben  wieder  was  Gutes  zu  essen  und  zu  trinken  ?  Herr 
Etzelt  als  Kellnerjunge!  Was  sich  das  Leben  nicht 
für  Spaße  mit  uns  erlaubt. 

ETZELT.   Man  macht  sich  nützlich,  wie  man  kann. 

ANNA.  Darf  ich  Ihnen  nicht  auch  was  anbieten, 
Herr  Eschenbacher  f 

ESCHENBACHER.  Wir  sind  zwar  leidHch  hier 
versorgt,  aber  ein  Glas  Bier  kann  nicht  schaden. 

ANNA  schenkt  ihm  ein.    Wohl  bekomm's. 

ESCHENBACHER.  Schönen  Dank,  Annerl.  Be- 
merkt  die  rot-weiße  Binde  auf  ihrem  Arm.     Was  ist  denn  das  ? 

ANNA.  Ich  hab'  mich  zum  Spitaldienst  angemeldet. 

DER  BÜRGERLICHE  GRENADIER  unten  an  der 
Treppe*)  zu  Frau  Klähr.  Bedaure  sehr,  herunter  darf  je- 
der, hinauf  darf  niemand  mehr  .  .  .  besonders  keine 
Damen. 

FRAU  KLÄHR.  Uns  wird's  wohl  erlaubt  sein.  W\x 
bringen  Ihren  Kameraden  zu  essen  und  zu  trinken. 
Bitte,  nehmen  Sie  auch  was. 

GRENADIER  sich  eine  Wurst  nehmend.     Das  ist  Wohl 


*)  Bei  umgestaltetem  Bühnenbild:  auf  der  Plattform. 

167 


nicht  gegen  meine  Instruktion,  aber  der  Aufgang  ist 
strengstens  verboten. 

ESCHEN  BACHER  tritt  dazu.  Es  ist  meine  Schwester, 
die  Frau  Klähr,  die  auch  schon  gestern  oben  war  und 
heute  morgens  zu  gleichem  Zweck.  Lassen  Sie  sie  nur 
hinauf,  auf  meine  Verantwortung. 

GRENADIER.  Wenn  der  Herr  Hauptmann  be- 
fehlen .  .  . 

Etzelt,  Frau  Kläbr  und  Anna  hinauf. 
Indes  bat  die  Bewegung  auf  der  Bastei  eben  fortgedauert.   Eben  jetxt 
kommt  ein  elegant  gekleidetes  Ehepaar  von  links,  hält  sich  hart  an  der 
Rampe,  die  Frau  versucht  über  die  Brustwehren  hinüberzuschaun. 

DIE  FRAU.  Schrecklich,  wie  sie  einem  die  Aus- 
sicht verstellt  haben.  Komm  g'schwind,  Franz,  von 
da  hat  man  einen  Ausblick. 

JOLSDORF,  der  eben  dastand,  macht  Platz.  Bitte  Schön. 
Vielleicht  stellt  sich  die  gnädige  Frau  auf  den  Sack  da. 
Er  ist  ihr  behilflich. 

DIE  FRAU.  Ich  danke  recht  sehr.  Oh,  das  ist  ja 
der  Doktor  Jolsdorf  .  .  . 

JOLSDORF.   Ja,  der  bin  ich,  gnädige  Frau!  — 

DIE  FRAU.  Hätt'  Sie  beinah  nicht  erkannt .  .  . 
Steht  Ihnen  aber  gut,  die  Uniform!  Du,  Franz,  der 
Doktor  Jolsdorf.  — 

DER  ELEGANTE  HERR.    Sehr  angenehm!  — 

DIE  FRAU.  Du,  Franz,  ah,  das  ist  aber  prachtvoll. 
Und  jetzt  noch  die  Beleuchtung  von  der  Abend- 
sonne! .  .  . 

DER  HERR  mißmutig,  reckt  sich  den  Hals  aus.  Ja,  waS 
denn  f    Ich  seh'  gar  nichts ! 

DIE  FRAU.  Aber  da  drüben!  Wie  das  blitzt! 
Ganz  weit!     Das  muß  schon  bei  Hütteldorf  sein  .  .  . 

JOLSDORF.  Das  sind  wahrscheinlich  die  Helme 
und  die  Lanzenspitzen  von  den  Kürassieren. 

DIE  FRAU.  Es  sieht  eigentlich  aus  wie  ein  fließen- 
des Wasser,  aber  es  werden  schon  eher  die  Kürassiere 
sein.  Freilich  man  sieht's  an  der  Bewegung.  Und  da, 
gegen  Schönbrunn  zu  ...  i 

i68 


DER  HERR.  Siehst  nicht  vielleicht  den  Napoleoa 
auf  dem  Balkon  stehn  ?    Komm,  gehn  wir  nach  Haus. 

DIE  FRAU  ohne  sieb  um  ihn  zu  kümmern,  zu  Jolsiorf.  Und 
da  drüben  .  . .  bei  den  Stallungen  .  .  .  was  ist  denn 
das  .  .  .  ? 

JOLSDORF.  Ja,  da  drüben  auf  dem  Spittelberg, 
das  sind  nämlich  Kanonen. 

DIE  FRAU.  Kanonen?  Sie  sollen  doch  noch  gar 
keine  Kanonen  da  haben  .  .  .  heißt's.' 

JOLSDORF.  Das  ist  ein  Irrtum,  gnädige  Frau,  sie 
haben  grad  genug. 

DIE  FRAU.    Kanonen  .  .  . 

JOLSDORF.  Ja,  das  kommt  in  Kriegszeiten  vor. 
Aber  wir  haben  auch  welche. 

DER  HERR.  Da  hast  es  .  .  .  Wären  wir  abgereist 
vorgestern,  auch  gestern  früh  wär's  noch  gegangen. 
Jetzt  stehn  wir  da. 

DIE  FRAU.    Kanonen  .  .  . 

SCHÖFFMANN  kommt,  sehr  höflich .  Ich  bitte,  sich  von 
hier  zu  entfernen.  Wirklich,  gnädige  Frau,  es  war' 
schad'  um  den  schönen  Hut. 

Er  entfernt  sich  xoieder. 

DER  HERR.    Der  muß  dich  kennen. 

DIE  FRAU.   Ja,  wird  denn  wirklich  was  g'schehn  ? 

Ein  Flintenschuß. 
JOLSDORF.    Der  war  von  uns. 
Ein  zweiter  Schuß. 

JOLSDORF.    Aber  der  von  drüben. 

Das  Ehrpaar  rasch  zu  der  Stiege  bin  und  hinab. 
Frau  Kläbr,   Anna  und  Etzelt  haben  indes  die  Lebensmittel  und 

Getränke  verteilt. 
Anna  und  Etzelt  haben  sich  nach  rechts  übers  Burgtor  hinausbegeben 

und  sind  nicht  sichtbar. 

Frau  Kläbr  gebt  eben  von  rechts  nach  links  und  begegnet  Bargetti, 

der  von  der  andern  Seite  kommt. 

BARGE11I.  Guten  Abend,  Frau  Klähr.  Also  Sie 
haben  sich  wieder  als  gütiger  Engel  erwiesen. 

FRAU  KLÄHR.  Sie  tun  rein,  als  wenn  ich  die 
einzige  war',  Herr  Bargetti. 

169 


BARGE17I.  Man  hat  halt  die  Empfindung,  daß 
es  keiner  so  von  Herzen  kommt.  Aber  jetzt  möcht'  ich 
Ihnen  raten,  Frau  Klähr,  ich  könnt'  es  Ihnen  sogar 
befehlen,  verlassen  Sie  die  Bastei. 

FRAU  KLAHR.    Sie  denken,  es  wird  bald  Ernst? 

BARGETTI.  Sehn  Sie,  Frau  Klähr,  da  drüben  auf 
dem  Dach  vom  Stallgebäude  stehn  sechs  Kanonen,  ich 
schwöre,   daß  sie  nicht  zum   Spaß   aufgefahren  sind. 

FRAU  KLÄHR.  Was  wird  nur  werden,  Herr 
Bargetti  ? 

BARGETTI.  Ja  —  was  werden  wird  .  .  .  ?  Selbst 
in  ruhigem  Zeiten  pfleg'  ich  mit  dem  Prophezeien 
vorsichtig  zu  sein. 

Schüsse. 

BARGETTI.  Auf  Wiedersehen,  Frau  Klähr .  . . 
hoffentlich  .  .  . 

FRAU  KLÄHR.  Herr  Bargetti  .  .  .  können  Sie 
mir  vielleicht  Auskunft  geben  .  .  .  steht  ein  Ausfall 
von  unserer  Seite  bevor? 

BARGETTI.  Es  ist  kaum  möglich,  zu  wissen,  was 
im  Lauf  der  nächsten  Stunden  anbefohlen  wird, 
und  was  sich  nebenher  ohne  direkten  Befehl  ergeben 
dürfte. 

FRAU  KLÄHR.  Ich  hätte  so  gern  meinen  Sohn 
noch  gesehn.    Er  hat  doch  hier  seinen  Posten. 

BARGETTI.  Ich  hab'  ihn  mit  einer  Meldung  zum 
Kärtnertor  geschickt,  ich  denke,  er  wird  bald  wieder 
hier  sein.  Wenn  sie  vielleicht  unterdes  hier  Platz 
nehmen  wollen,  Frau  Klähr.  Garantien  für  Ihre  per- 
sönHche  Sicherheit  übernehm'  ich  aber  nicht. 

Links  vorn  auf  der  Bastei  begegnen  sieb  Anna  und  Elisabeth. 

ANNA.    Elisabeth  .  .  .  ? 

ELISABETH.    Ja,  ich  bin's,  kennst  du  mich  noch? 

ANNA.  Warum  sollt'  ich  dich  nicht  kennen.  Ich 
hab'  dich  erst  neuhch  gesehn  auf  dem  Friedhof,  wie 
sie  unsre  arme  Agathe  begraben  haben. 

ELISABETH.  Ja,  es  gibt  Mädeln,  die  nehmen  alles 
schwer.    Ich  bin  nicht  so. 


170 


MEDARDUS  kommt  von  recbu. 

ANNA.    Guten  Abend,  Medardus! 

MEDARDUS.  Anna! . . .  Elisabeth  .  .  .  ?  Rticbtbeiitn 
iit  Hand. 

ELISABETH.    Guten  Abend,  Medardus! 

MEDARDUS.    Wohin  —  ihr  zwei? 

ELISABETH.  Oh,  wir  gehören  nicht  zusammen. 
Wir  haben  uns  nur  zufällig  getroffen. 

FRAU  KLAHR  siebt  ihn.   Medardus! 

MEDARDUS.  Dort  ist  meine  Mutter!  Grüß'  euch 
Gott.     Zu  Frau  Kläbr  nach  rückwärts. 

ANNA.  .Warum  bist  du  so  zu  mir,  EHsabethf  Ich 
hab'  dir  nichts  getan. 

ELISABETH  weicber.   Wo  gehst  du  denn  hin  ? 

ANNA.  Ich  geh'  in  die  kaiserliche  Winterreitschul', 
das  ist  jetzt  ein  Spital.  Ich  hab'  mich  als  Wärterin 
gemeldet.  Vielleicht  gehst  du  mit  mir  hin.  Ich  weiß, 
jede  wird  aufgenommen,  die  als  barmherzige  Schwester 
sich  meldet. 

ELISABETH.  Willst  vieUeicht  meine  Seele  retten  ? 
Barmherzig  bin  ich  schon,  vielleicht  mehr  als  du. 
Aber  von  einer  Schwester  hab'  ich  freilich  nicht  viel. 
Grüß'   dich  Gott,  Anna.     Rasch  ab  nach  links. 

ANNA  berunter. 

Medardus  und  Frau  Kläbr  baben  sieb  begrüßt^  jetzt  tritt  eben  Bar- 
getti  zu  ibnen. 

MEDARDUS.  Herr  Hauptmann,  ich  habe  beim 
Kärntnertor  die  Meldung  laut  Befehl  erstattet. 

BARGETTI.  Schön.  Indes  ist  hierher  die  Nach- 
richt gelangt,  daß  der  Marschall  Massena  mit  einer 
großen  Truppenanzahl  sich  gegen  die  Donau  zu  in 
Bewegung  gesetzt  hat  ? 

FRAU  KLÄHR.    Wie  —  ?!  ' 

BARGETTI.  Der  Erzherzog  Maximilian  ist  auch 
schon  gegen  den  Prater  zu  gerückt  und  hat  dem  General 
Oreilly,  vne  ja  schon  vorher  bestimmt  war,  das  Kom- 
mando über  die  Stadt  gegeben  .  .  . 

FRAU  KLÄHR.    Was  bedeutet  das  aUes? 


171 


BJRGET7I.  Wenn  nicht  ein  Wunder  geschieht  - 
den  Anfang  vom  Ende. 

FRJU  KLAHR.   Und  was  wäre  das  Wunder? 

BJRGETTl.  Daß  der  Erzherzog  Karl  im  Laufe  der 
nächsten  Stunde  eintrifft .  .  . 

Escbenbacber^  der  während  der  vorigen  Minuten  unten  am  Tor  mit 

einigen   herbeigeeilten  bürgerlichen  Grenadieren   sprach*),   eilt   die 

Stufen  zur  Bastei  hinan,  rasch  xu  Bargetti  hin. 

ESCHENBACHER.  Weißt  du,  was  passiert  ist, 
Bargetti!    Den  Trompeter  haben  sie  erschlagen. 

BJRGETTI.    Wen  .  .  .  ?  wer  .  .  .  ? 

ESCHENBACHER.  Den  Trompeter,  der  mit  dem 
Abgesandten  des  Marschall  Lannes  vor  einer  halben 
Stunde  hier  durchs  Tor  geritten  ist!  Sie  haben  ihn 
vom  Pferd  gerissen  und  erschlagen. 

BARGETTI.    Ja,  um  Gottes  willen,  wer  ...  ? 

ESCHENBACHER.  Gesindel.  Die  Hauptschul- 
digen werden  nicht  herauszubekommen  sein.  Der 
Adjutant  selbst  .  .  . 

BARGETTI.    St.  Mars...? 

ESCHENBACHER.  Ja,  St.  Mars  heißt  er,  der  ist 
ihnen  entkommen.  Beim  Kärtnertor  haben  ihn  unsre 
Grenadiere  herausgehauen,  bis  dorthin  hat  ihn  der 
Pöbel  verfolgt. 

BARGETTI.  Und  ist  die  Botschaft  des  Marschalls 
an  den  Erzherzog  oder  vielmehr  an  den  General  Oreilly 
gelangt  ? 

ESCHENBACHER.  Das  ist  mir  nicht  bekannt .  .  . 
Es  hätte  auch  nicht  viel  zu  bedeuten,  da  sie  sich  ja 
an  der  Donau  jedenfalls  schon  herumschlagen  .  .  . 

Hinter  der  Szene  Geschrei.  Nieder  mit  den  Fran- 
zosen!   Hoch  Kaiser  Franz!    Tod  dem  Bonaparte I 

BARGEtTI.  Da  scheinen  sich  einige  einen  Rausch 
angetrunken  zu  haben  .  .  . 

ESCHENBACHER.  Einen  .  .  .  Mordsrausch  viel- 
leicht. 

*)  Bei  umgestaltetem  Bühnenbild  fiUt  das  fort. 
17s 


Fon  Itnks  Wacbibuber^  SuefUr  und  andrt.  iarunUr  ubr  verdächtig 

aussebtndes  Volk  mit  Äxten,  Hellebarden,  Flinten;  Wacbsbuber  mit 

seinem  Morgenstern  über  die  Bast*i. 

WACHSHUBER.  Vorwärts,  Freunde.  Hoch  Kaiser 
Franz!    Gut  und  Blut  fürs  Vaterland! 
BARGETTI.    Ruhe! 

WACHSHUBER.   Hoch  unser  guter  Kaiser  Franz! 
BARGETTI.    Ruhe  .  .  .  Ruhe  .  .  . 

£5  sind  vitr  bürgerliche  Grenadiere  dazugeireten,  die  sich  hinter 
Bargetti  postieren. 

BARGETTI.  Es  ist  jetzt  nicht  die  Zeit  und  kein 
Anlaß,  um  in  so  wüster  Weise  zu  lärmen.  Es  wird 
vielleicht  eine  andre  Art  für  die  Bürger  Wiens  geben, 
ihren  Patriotismus  zu  beweisen.  Wer  auf  den  Bastein 
nichts  zu  tun  hat,  verlasse  sie. 

SIIEFLER.    Wir  haben  Waffen! 

BARGETTI.  Wenn  der  Augenblick  kommen  sollte, 
diese  Waffen  zu  benützen,  wird  der  Weg  herauf 
wieder  frei  sein. 

Murren. 

BARGETTI.  Noch  einmal,  man  zerstreue  sich. 
Man  zwinge  mich  nicht  zu  entschiedenen  Maß- 
regeln. 

WACHSHUBER  zu  Bargetti,  als  gebäre  er  eigentlich  nicht 
dazu.  Sie  meinen's  ja  nicht  schlecht.  Es  ist  halt  die 
Begeisterung,  Herr  Hauptmann  .  .  . 

BARGETTI.  Begeistert  sein  ist  leicht!  Aber  wissen 
wofür,  das  ist  die  Kunst. 

WACHSHUBER.  Haha!  O  guten  Abend,  Herr 
Eschenbacher.  Was  schaun  S'  denn  das  so  an  —  ?  .  . . 
Ja,  das  ist  ein  Morgenstern  .  .  . 

BARGETTI.   Man  räume  die  Bastei!   Vorwärts! 
Die  Grenadiere  drängen  die  Leute  zur  Stiege  bin. 

ESCHENBACHER  zu  Bargetti.  Die  waren  es,  die 
den  Franzosen  umgebracht  haben! 

BARGETTI.  Hast  du  einen  bestimmten  Verdacht  ? 

ESCHENBACHER.  Gegen  einen  Einzelnen  nicht, 
denn  jeder  für  sich  wäre  ja  zu  feig  —  aber  gegen  alle. 


173 


Ein  KaiufUHicbuß.     Gleich   dtrtuf  tin   »weiter.     Feuerscbtin.  «m 
Himnul.   L*ute  rennen  von  der  Bastei  über  die  Stiege  hinunter.   Das 

bürgerliche  Militär  eilt  auf  seine  Posten. 

Dir  uralte  Herr  und  das  kleine  Mädchen  kommen  von  links  über 

die  Bastei. 

URALTER  HERR.    Also  schon  wieder  sind  die 
Franzosen  da.    Was  wollen  s'  denn,  Greterl? 
Wieder  ein  Schuß. 

DAS  KLEINE  MADCHEN.  Großvater,  ich  furcht' 
mich  .  .  , 

URALTER  HERR.  Hast  g'hört,  bum,  bum  . . . 
Aha,  das  ist  der  Krieg.  Weiß  schon,  weiß  schon.  Weiter 
mit  ihr  und  ah. 

FRAU  KLAHR.  Um  Himmels  willen,  dort  brennt's 
ja! 

BARGETTI.    Ja,  das  ist  mitten  in  der  Stadt. 

ESCHENBACHER.  Komm,  ich  bring'  dich  nach 
Haus.    Was  willst  du  hier? 

FRAU  KLÄHR.    Und  was  tu'  ich  daheim  ? 

BARGETTI.    Sie  müssen  jetzt  fort,  Frau  Klähr. 

FRAU  KLAHR.    Medardus,  leb'  wohl! 

MEDARDUS.    Leb'  wohl,  Mutter!  — 

FRAU  KLAHR.  Ein  Wort  noch,  Medardus!  Mir 
war  in  den  letzten  Tagen,  als  hätt'  ich  auch  meinen 
Sohn  verloren.  Heute  weiß  ich  wieder,  daß  ich  einen 
habe!  Und  ich  kann  dich  nicht  mehr  verlieren,  wie 
immer  diese  Nacht  auch  endet.    Sie  umarmt  ihn. 

Medardus  bleibt  starr,  sieht  ihr  nach,  wie  sie  mit  Eschenbacher 
hinabgeht,  setzt  sich  dann  auf  einen  der  Wollsäcke  an  der  Rampe 

links  vorn. 

Unten  am  Tor  und  weiterhin  Männer  und  Frauen,  sich  drängend, 

Kum  Teil  fliehend,  der  Feuerschein  am  Himmel  wird  immer  beller. 

Wieder  ein  Schuß. 

EINZELNE  STIMMEN*).  Jesus,  Maria  und  Josef. 
Es  brennt.  —  Um  Gottes  willen,  wo  soll  man  denn 
da  hin.  —  Halt  dich  an  die  Mauer  ...  —  Nach  Haus, 
nach  Haus  .  .  .  Wohin  denn  ?  —  Es  ist  ja  in  keiner 


*)  Bei  umgestaltetem  Bühnenbild:  StizimieD  aus  der  Tiefe. 


Straße  sicher  ...  —  Wo  brennt's  denn  ?  .  .  .  —  Jesus, 
Maria  und  Josef  .  .  . 

FÖDERL   unter   den   andern.     O   du   mein   Gott,   O  du 

mein  Gott  .  .  . 

BERGER.  Na,  ist's  Ihnen  jetzt  lebhaft  genug, 
Frau  Grinzinger? 

EINZELNE  STIMMEN.  Ich  geh'  in  den  KeUer  .  . 
Es  ist  hell  wie  am  Tag  .  .  .  Platz,  Platz !  ...  So  lassen 
S'  einen  doch  vorbei  .  .  .  Jetzt  wird's  stiller  ...  Ja, 
freilich!  stiller! . . .  Wo  brennt's  denn  ? . . .  Jesus,  Maria 
und  Josef  .  .  . 

Die  Bühne  leert  sieb  allmählicb. 

Oben  auf  der  Bastei  ist  es  nahezu  ganz  still.  —  Nur  zuweilen  eilen 
bürgerliche  Grenadiere  und  Schützen  vorbei,  auch  einzelne  LeuU  in 
Zivil. 
Etzelt  kommt  zu  Medardus  von  rechts  aus. 
Medardus.     Etzelt. 
ETZE LI"  Medardus  gewahrend.    Medardus! 
MEDARDUS.  Du,  Etzelt  —?   Was  machst  du  hier 
auf  der  Bastei?    Es  wird  kein  guter  Aufenthalt  sein, 
heut  nacht. 

ETZELT.  Wenn's  eben  darauf  ankäme  —  so  scheint's 
mir  hier  sicherer  als  irgendwo.    Die   Kugeln  fliegen 
alle  über  die  Bastei  hinweg  .  .  .  Laß  mich  nur  bei  dir 
bleiben,  Medardus  .  .  . 
MEDARDUS.    Wie  du  willst,  Etzelt! 

ETZELT  setzt  sich  neben  ihn. 
Sie  schzceigen  beide  eine  kurze  Weile,  indes  dauert  die  Kanonade  fort. 

MEDARDUS.  Man  kann  nicht  wissen,  wie  die 
Nacht  endet,  Etzelt.  Und  da  du  nun  einmal  da  bist  — 
so  möcht'  ich  dir  was  zu  bestellen  geben  .  .  .  wenn 
du's  annimmst  .  .  . 

ETZELT.    Zu  bestellen  —  ? 

MEDARDUS.  An  meine  Mutter.  Sie  nahm  eben 
von  mir  Abschied  —  in  einer  recht  sonderbaren  Weise 
—  wie  von  einem  Soldaten  .  .  .  Nun  ja,  das  bin  ich 
wohl .  .  .  aber  .  .  .  wie  von  einer  . .  .  Art  Heldcnsohn  . . 
wollt'  mir  scheinen  .  . . 


175 


ETZELT.  Sie  weiß  wie  ich,  daß  du  zu  den  Frei- 
willigen zählst,  die  für  einen  möglichen  Ausfall  sich 
gemeldet  haben. 

MEDARDUS.  Darum  also  —  f  Und  auch  du  .  .  . 
Etzelt!  —  Ich  bin  kein  Held,  Etzelt  .  .  .  kaum  ein 
Soldat .  .  .  bestell'  es  meiner  Mutter.  Ich  will  kein 
erlogenes  Andenken  hinterlassen  .  .  .  Wenn  ich  unter- 
gehn  sollte,  fürs  Vaterland  würd'  es  nicht  gewesen 
sein  .  .  .  Sag's  der  Mutter  ...  Es  liegt  mir  daran. 

ETZELT.  Wenn  du  den  Tod  fändest,  so  war'  es 
eben  doch  ein  Soldatentod,  mögst  du  ihn  auch  nur 
zu  eigener  Sühne  gesucht  haben. 

MEDARDUS.  Was  —  hätt'  ich  zu  sühnen,  Etzelt  ? . . 
Warum  sollt'  ich  den  Tod  suchen  ? 

ETZELT.  Denkst  du,  ich  weiß  nicht,  Medardus, 
daß  du  seit  jener  Nacht ...  da  ich  dich  aus  einer  ge- 
wissen Gartenpforte  kommen  sah,  keine  daheim  warst  ? 
...  Es  ist  nicht  schwer  zu  raten,  wo  du  sie  verbracht 
hast. 

MEDARDUS.  So  meinst  du  —  ich  vergaß  meines 
Schwures  —  und  darum  sucht'  ich  den  Tod  — !  ?  Du 
meinst,  in  ihren  Armen  vergaß  ich  meines  Schwurs  —  ? 
Du  meinst,  ich  sah  sie  wieder  seit  jener  Nacht  ?  Hätt' 
ich  sie  wiedergesehen,  Etzelt,  so  hätt'  ich  auch  meinen 
Schwur  gehalten!  Aber  ich  sah  sie  nicht  wieder.  Die 
Pforte  war  verschlossen.  —  Diener  streiften  innen  und 
außen  an  der  Mauer,  und  Hunde  heulten  durch  den 
Garten.  Sie  hatte  Furcht  vor  mir,  Etzelt  —  und  ließ 
mich  nicht  mehr  ein!  Es  stand  wohl  auf  meiner  Stirn 
zu  lesen,  wessen  sie  sich  von  mir  zu  versehn  hatte  — 
vielleicht  haben  es  ihr  gar  meine  Küsse  verraten  .  .  . 
Ich  bin  der  Betrogne,  der  Genarrte,  Etzelt  —  und 
morgen  ist  ihre  Hochzeit!  Morgen  ist  ihre  Hochzeit, 
und  ich  bin  hier  so  gut  wie  ein  Gefangener  .  .  .  Erst, 
wenn  ein  Tor  sich  öffnet,  hab'  ich  den  Weg  hinüber 
wieder  frei .  .  .  hinüber  und  zu  ihr  —  Darum,  Etzelt, 
hab'  ich  mich  gemeldet. 

ETZEL T  bat  mit  toacbutidtm  Entsetzen  zugehört.  Und  fühlst 

176 


nicht,  Medardus,  daß,  was  du  vorhast,  nicht  besser 
wäre  als  Verrat  an  deinem  Vaterland  und  an  deiner 
Ehre  —  ? 

MEDARDUS.  Nenn's  wie  du  willst.  Ehre  — Vater- 
land .  .  .  leerer  Klang  für  mich  —  eh'  mein  Vorsatz 
nicht  erfüllt  ist. 

ETZELT.  Doch  .  .  .  wenn  kein  Ausfall  anbefohlen 
wird  heute  nacht  .  .  .  und  keiner  morgen  —  ? 

MEDARDUS.  So  müßte  man  sich  eben  auf  eigne 
Faust  den  Ausgang  suchen  .  .  . 

ETZELT.    Medardus!  — 

MEDARDUS.  Länger  als  bis  morgen  kann  ich 
nicht  warten  .  .  .  Ich  hab  'noch  ein  Wort  mit  dem 
Herrn  Marquis  zu  reden  —  oder  mit  keinem  Menschen 
auf  der  Welt  mehr  .  .  . 

ETZELT.    Du  bist  nicht  bei  dir,  Medardus? 

MEDARDUS.  Keine  Angst,  Etzelt!  ...  Ich  glaube 
sehr,  es  wird  dazu  keiner  sonderlichen  Tollheit  von 
meiner  Seite  bedürfen!  Denn,  wenn  meine  Ahnung 
nicht  trügt,  so  sind  vor  Sonnenaufgang  alle  Tore 
offen  .  .  .  und  der  Weg  hinüber  ist  frei,  frei  für  alle ! 

ETZELT.  Medardus  —  das  ist's,  was  du  ahnst? 
Das,  was  du  ersehnst  ?  —  Und  glaubst  noch  immer 
einem  Werk  der  Rache  nachzusinnen  ? !  In  solche 
Tiefen  führt  nicht  der  Haß  .  .  .  Medardus! 
Vier  bürgerliche  Grenadiere  tragen  eine  Bahre  vorbei^  auf  der  Bar- 
getti  liegt;  der  Arzt  geht  zur  Seite. 

ETZELT.    Ein  Verwundeter?    Wer  ist  es? 

EIN  GRENADIER.    Der  Hauptmann  Bargetti. 

MEDARDUS.  Wie  .  .  .  Geht  zur  Bahre  hin,  die  indes  immer 
langsam  weiter  getragen  wird.  Herr  Bargetti . . .  Herr  Haupt- 
mann. 

BARGETTI.  Der  Titel  tut  wohl  nichts  mehr  zur 
Sache  .  .  . !  Wer  spricht  zu  mir  ?  Ah,  Medardus  Klähr. 

ARZT  ihn  erkennend.   Medardus  Klähr?  — 

BARGETTI.  Reichen  Sie  mir  die  Hand.  Zu  den 
Gardisten.  Wohin  tragt  ihr  mich  denn  ?  Läßt  es  sich  hier 
oben  nicht  auch  sterben  ? 

ThMtMstUok«.  IV,  la  lyj 


DER  ARZT.  Herr  Hauptmann,  wenn  es  an« 
Sterben  ginge,  könnten  wir  wohl  hier  bleiben.  Aber 
Sie  sollen  gesund  werden,  darum  begleit'  ich  Sie  ins 
Lazarett. 

BARGETTI.    Sie  tun  Ihre  Pflicht.    Ich  will  Sie 

nicht  daran  hindern.    Gute  Nacht,  Medardus,  grüßen 

Sie  Ihre  brave  Mutter.    Man  trägt  ihn  fort. 

Das  Schießen  dauert  fort,  Granaten  fliegen  über  die  Battei  in  die 

Stadt,  die  Beleuchtung  tvird  immer  greller. 

Medardus  und  Etzelt  schweigen  eine  Weile, 

MEDARDUS.  Du  siehst,  Etzelt,  es  ist  nicht  weit 
her  mit  der  Sicherheit  hier  oben.  Geh  nach  Hause  und 
bestelle  du  Bargettis  letzten  Gruß.  Und  sollten  wir 
uns  nicht  wiedersehen  —  so  hab'  ich  dir  doch  einen 
Schmerz  erspart.    Du  wirst  mich  nicht  beweinen! 

ETZELT.  Ich  tu'  es  schon,  Medardus!..  Was 
ward  aus  dir! 

MEDARDUS.  Es  ist  nun  einmal,  wie  es  ist.  Ich 
sehe  die  Feuer  leuchten,  ich  höre  den  Donner  der 
Kanonen,  Gefallene  seh'  ich  an  mir  vorübertragen, 
mir  ist  es  gleich.  In  meinem  Herzen  lodert  irgend 
etwas  gewaltiger  als  die  Flammen  dort  .  .  .  und  es 
liegt  nicht  viel  daran,  ob  du  es  Liebe  nennen  willst 
oder  Haß  .  .  .  ich  weiß,  es  wird  mich  und  Helene  und 
die  Welt  verzehren.  Was  tut's  ?  Wir  werden  doch 
in  der  gleichen  Stunde  sterben,  die  Welt  und  ich. 

ETZELT  ah. 
UnUn  kommen  allmählich  mehr  Leute,  fliehend^  drängend^  einzelne 
bleiben  stehn*). 

STIMMEN.  Der  Trattnerhof  brennt.  —  Das 
Kaisersteinische  Palais  auch.  —  Die  ganze  Stadt  wird 
zusammengeschossen.  — 

STIEFLER.  Morgen  früh  sind  sie  herinnen,  und 
wie's  uns  dann  ergehen  wird,  heiliger  Herrgott .  .  . 

EIN  MANN  zu  seiner  Frau.  So  komm  doch,  so 
komm  doch. 


*)  Bei  umgestaltetem  Bühnenbild:  man  hört  die  Stimmen  au« 
der  Tiefe. 


178 


FRAU.    Nein,  nein.    Drückt  sieb  an  die  Maust. 

MANN.    So  bleib  halt,  geh'  ich  allein  .  .  . 

FRAU.    Die  Kinder,  die  Kinder.    Mit  ihm  ab. 

BERGER   kommt  eben)*.    Eine  wichtige  Nachricht. 

STIMMEN.    Ruhe  .  .  .  Ruhe  .  .  .**) 

BERGER.  Soeben  ist  eine  Botschaft  des  Marschalls 
ßerthier  an  den  Erzherzog  abgegangen!  und  wissen 
Sie,  wer  sie  überbracht  hat  ?  Der  Richter  von  Gumpen- 
dorf,  der  Herr  Damböck. 

STIMMEN.  Eine  Botschaft . . .  Was  für  eine  Bot- 
schaft! —  Der  Damböck! 

BERGER.  Es  kann  sich  ja  nur  um  eines  handeln!  .  . . 
um  die  Aufforderung  zur  Kapitulation! 

STIMMEN.    Kapitulation? 

STIEFLER.  Meine  Herren,  begeben  wir  uns  zu 
Sr.  Hoheit  in  die  Burg,  flehn  wir  ihn  an  .  .  . 

STIMMEN.  Der  Erzherzog  ist  längst  nicht  mehr 
in  der  Burg  .  .  .  Der  General  Oreilly  hat's  Kommando. 
Der  Erzherzog  ist  ja  an  die  Donau  marschiert  mit 
unserm  ganzen  Militär  .  .  .  dem  Marschall  Massen? 
entgegen  .  .  .  Der  Bonaparte  selbst  soll  dabei  sein  .  .  . 

STIEFLER.  Es  kann  doch  der  Wille  Sr.  Majestät 
nicht  sein,  daß  seine  Haupt-  und  Residenzstadt,  das 
herrliche  Wien,  in  so  grauenvoller  Weise  zugrunde  geht. 

STIMMEN.  Und  die  armen  Frauen  und  Kinder!  .  . 
Sollen  sie  der  Grausamkeit  der  Eroberer  ausgeliefert 
werden  ?  Halten  kann  sich  die  Stadt  nicht !  .  .  .  Nein 
sie  kann  sich  nicht  halten  .  .  .  Unmöglich  .  .  .  Das 
wissen  die  oben  gerade  so  gut  wie  wir  .  .  .  Ein  Eigen- 
sinn ist  es!  .  .  .  Ein  verfluchter  Eigensinn  .  .  .  Wenn 
nur  der  Erzherzog  Karl  da  war' . . .  Er  wird  ja  kommen . . . 
Der  ist  noch  weit!  .  .  .  Heut  nacht  noch  kann  er  da 
sein  .  .  . 

STIEFLER.    Und  wenn  er  schon  kommt.    Hat  er 


♦)  Bei     umgestaltetem     Bühnenbild:      die     Stiege      herauf- 
kommend. 

**)  Bei  umgestaltetem  Bühnenbild:  Von  xmten  kommen  Leute 
die  Stiege  bcraui. 


M« 


179 


in  Regensburg  Prügel  kriegt,  so  wird  er  hier  noch  ärgere 
kriegen. 

STIMMEN.  Ruhe  .  .  .  Ruhe!  .  .  .  Recht  hat  er!  .  .  . 
Ganz  recht  hat  er!  .  .  .  In  Bayern  hat  er  auch  Prügel 
gekriegt !  .  .  .  Ein  Glück  war's,  wenn  er  nicht  kam'  .  . . 
Was  soll  er  uns  denn  helfen!  — 

STIEFLER.  Hinters  Licht  hat  man  uns  geführt, 
meine  Herrschaften.  Mit  Absicht  hat  man  falsche 
Gerüchte  ausgestreut  .  .  .  Mindestens  zwei  Tage- 
märsche weit  ist  die  Armee.  Bis  sie  kommt,  ist  von 
Wien  nichts  mehr  da  als  die  nackten  Mauern. 

STIMMEN.  Und  von  uns?  Und  unsre  Frauen 
und  unsre  Kinder  ?  .  .  .  Ich  frag'  nur,  warum  laßt  man 
sie  nicht  herein,  die  Franzosen  ?  .  .  .  Haben  sie  uns 
vor  vier  Jahren  was  zuleid  getan  ?  .  .  .  Ganz  anständig 
haben  sie  sich  aufgeführt .  .  . 

STIEFLER.  Aber  damals,  damals  hat  man  ihnen 
halt  gleich  aufgemacht! 

STIMMEN.  Ja!  Sehr  richtig!  —  da  hat  man  sie 
nicht  erst  bös'  gemacht !  . , .  Diesmal  wird's  nimmer  so 
gut  ausgehn  .  .  .  Die  Franzosen  sind  honette  Leut'  .  .  . 
Ein  halbes  Jahr  sind  sie  bei  uns  in  der  Stadt  gelegen 
.  .  .  Ich  hab'  selber  drei  in  meinem  Haus  gehabt  .  .  . 
Honette  Leut'  .  .  . 

STIEFLER.    In  die  Burg  .  .  . 

STIMMEN.  Zum  Erzherzog  .  .  .  Aber  der  General 
Oreilly  hat  ja  das  Kommando.  Wo  ist  denn  der  Ge- 
neral ?  .  .  .  In  der  Burg.  Was  geht  uns  der  General 
Oreilly  an  .  .  .  Warum  hat  uns  der  Erzherzog  Maxi- 
milian im  Stich  lassen  .  .  .  Das  ist  so  schon  soviel  wie 
Kapitulation!  .  .  .    Kapitulation!  .  .  . 

STIEFLER.  Die  weiße  Fahne  sollen  sie  auf  der 
Bastei  aufstecken. 

STIMMEN.  Ja,  die  weiße  Fahne.  Die  weiße  Fahne!... 
Auf  die  Bastei  hinauf  .  .  .  Wir  wollen  nicht  massakriert 
werden  .  .  .   die  weiße   Fahne  . .  .   Sie  eilen  zur  Stiege*). 


*)  Bei  umgostaltetem  Bühnenbild:  üe  eilen  hinauL 

i8o 


EIN  BÜRGERLICHER  GRENADIER*).    Halt, 

Aufgang  verboten. 

STIEFLER.  Lassen  S'  uns  doch  hinauf.  Wir  wollen 
zum  Kommandanten  von  der  Bastei . . .  Wir  haben 
was  Wichtiges  oben  auszurichten. 

STIMMEN.    Die  weiße  Fahne! 

DER  GRENADIER.  Niemand  wird  hinaufgelassen. 

STIMMEN.  Die  weiße  Fahne  soll  aufgesteckt 
werden.  Es  brennt  schon  überall .  .  .  Die  ganze  Stadt 
brennt  ja  nieder! 

EINER  kommt  gerannt.     In  der  Burg  liegt  Pulver! 

Aufschrei  der  anderen. 

DER  FORIGE.  Grad  hab'  ich's  gehört.  Es  ist  ver- 
gessen worden,  das  Pulver  aus  der  Burg  fortzutrans- 
portieren. 

STIMMEN.   Gottverfluchte  Schlamperei .  .  .  Ganz 

Wien  fliegt  in  die  Luft! 

Wieder  ein  Kanonenschuß. 
Geschrei. 

STIMMEN.  Hinauf,  es  ist  die  höchste  Zeit .  . . 
Schlagt  den  Kerl  tot  .  .  . 

Sie  überzcältigen  den  Grenadier,  der  zu  Boden  fällt. 

JOLSDORF  erscheint  oben  an  der  Stiege.  Die  Stiege  ist 
sofort  zu  räumen.  Was  gibt's  da.  •  Keinen  Schritt 
weiter!    Noch  ein  Schritt  und  ich  lasse  Feuer  geben. 

STIEFLER.  Herr  Leutnant,  Sie  sind  ja  auch  ein 
Bürger  von  Wien,  vne  wir!  Es  ist  ja  eine  Botschaft  vom 
Napoleon  beim  Erzherzog  Maximilian,  finden  viel- 
leicht schon  Unterhandlungen  statt.  Es  wird  vielleicht 
schon  in  diesem  AugenbUck  Friede  geschlossen. 

JOLSDORF.  Geben  Sie  die  Stiege  frei,  meine 
Herren ! 

STIMMEN.  Herr  Leutnant,  die  Stadt  fliegt  in  die 
Luft!  Es  Hegt  Pulver  in  der  Burg  ...  Es  wird  ja  schon 
parlamentiert  .  .  .  Der  Erzherzog  ist  ja  schon  fort!  .  .  . 
Lassen  Sie  die  weiße  Fahne  aufstecken  .  .  .  Die  weiße 


*)  Bei  umgestaltetem  Bühnenbild:  oben. 


iSi 


Fahne!  wir  sind  alle  Bürger  von  Wien  .  .  .  Die  weiße 
Fahne .  .  .  Uns  gehört  die  Stadt  ...  Es  liegt  Pulver 
in  der  Burg  .  .  .  unsere  Frauen,  unsre  Kinder  .  .  .  Das 
kann  auch  dem  Kaiser  sein  Wille  nicht  sein  .  .  .  Die 
weiße  Fahne  .  .  . 

JO LSDORF.  Zurück.  Befehle  empfangen  wir  hier 
aus  der  Hofburg,  aber  nicht  von  der  Straße.  Unsre 
Pflicht  ist,  die  Bastein  zu  verteidigen,  wir  werden  sie 
erfüllen.    Es  ist  noch  nichts  verloren!  — 

STIMMEN.  Alles  ist  verloren!  Die  Stadt  fliegt  in 
die  Luft  ...  Es  brennt  an  allen  Ecken!  Der  Trattnerhof 
brennt!  Beim  Palffy  brennt's  !  —  Die  weiße  Fahne!  — 

JOLSDORF.  Wer  die  weiße  Fahne  aufziehn  ließe 
ohne  hohen  Befehl,  wäre  ein  Hochverräter,  ein  Schuft. 

BERG  ER  der  in  der  Nähe  von  Jolsdorf  subt.    Sehr  richtig! 

JOLSDORF  siebt  ibn  an,  lächelt  unwillkürlich;  dann: 
Räumen  Sie  die  Stiege,  zum  letztenmal .  .  .  räumen 
Sie  die  Stiege.  Er  kommandiert  den  bürgerlichen  Scharf schütxen 
hinter  sich.     Legt  an. 

Die  Leute  eilen  die  Stiege  binab. 

STIMMEN.  Das  war'  gar  gut,  auf  die  eigenen  Mit- 
bürger schießen  lassen  .  .  .  Zum  General .  .  .  Nein, 
zum  Erzherzog  .  .  .  Wie  kommen  wir  zu  dem  .  .  .  Der 
ist  ja  fort!  —  Er  hat  gewußt  warum!  —  In  die  Burg  .  .  . 
Wer  hat  denn  's  Kommando  — !  .  .  .  Heiliger  Herr- 
gott!    Die  Leute  verlieren  ticb. 

Der  uralte  Mann  und  Greterl  kommen  vorüber. 

URALTER  MANN.  Sixt,  Greterl,  da  drüben  das 
sind  die  Feinde,  und  da  herüben  das  sind  die  Freunde. 
Das  ist  grad,  wie  dein  kleiner  Bruder  die  Soldaten 
g'habt  hat,  die  grünen  und  die  roten,  mit  denen  er 
alleweil  g'spielt  hat, 

DAS  KLEINE  MÄDCHEN  weinend.  Ich  will  heim, 
Großvater. 

JOLSDORF  zu  ihm  bin.  Was  machen  Sie  denn  da, 
alter  Mann  ?  Schaun  Sie,  daß  Sie  heimkommen  mit 
der  Kleinen.  Es  ist  kein  gutes  Wetter  heut  für  alte 
Leut'  und  für  junge  auch  nicht. 

182 


URALTER  MANN.  Ah,  Sie  meinen,  wegen  dem 
bisserl  Schießen,  ha,  mir  geschieht  nix.  Zu  Greterl.  Bum, 
bum,  siehst  es,  das  ist  der  Krieg. 

EIN  BÜRGERLICHER  GRENADIER  eilends  zu 
JoUdorf.  Herr  Leutnant,  beim  roten  Turm  soll  eine 
weiße  Fahne  aufgesteckt  worden  sein. 

JOLSDORF.    Soll .  .  .  wer  sagt  denn  das  ? 

GRENADIER.  Einer  sagt's  dem  andern  ~  so 
kommt's  über  die  Bastein  zu  uns  herüber. 

JOLSDORF.    An  uns  ist  kein  Befehl  ergangen. 

SCHÖFFMANN  kommt.  Du,  Jolsdorf,  vom  Kärntner- 
tor her  ist  die  Meldung  gekommen,  daß  Erzherzog 
Maximilian  schon  über  die  Donau  marschiert  ist,  daß 
er  Befehl  gegeben  hat,  die  Brücken  hinter  sich  ab- 
zubrennen und  daß  der  General  Oreilly  Vollmacht 
hat,  die  Übergabe  und  Kapitulation  abzuschließen. 

JOLSDORF. .  Ja,  da  er  das  Kommando  hat,  hat  er 
natürlich  auch  die  Vollmacht.  Aber  er  hat  bisher 
keinen  Gebrauch  davon  gemacht.    Mit  ihm  nach  rechts. 

URALTER  MANN.  Na,  Greterl,  was  ist  denn? 
Bist  du  so  müd'  ?  Na,  Greterl,  so  steh  doch  auf.  Wir 
gehn  nach  Haus.  Ich  bitt'  schön,  helfen  Sie  mir.  Zum 
eben  vorübereilenden  Eschenbacher.  Das  Mäderl  ist  SO  müd',  sie 
will  gar  nicht  mehr  aufstehn. 

ESCHENBACHER  hat  sich  niedergebeugt.  Ja,  um 
Himmels  willen,  das  arme  Kind  ist  ja  tot. 

URALTER  HERR  verständnislos.     Tot .  .  . 

ESCHENBACHER.  Ja,  sehn  S'  denn  nicht... 
Da  am  Hals  ein  Granatsplitter  .  .  . 

Er  bettet  das  kleine  Mädchen  auf  einen  der  Säcke. 

URALTER  HERR.  Das  kann  aber  doch  nicht  so 
gefährlich  sein  .  .  .  Du  Greterl .  .  . 

ORDONNANZ  DES  GENERAL  OREILLY  kommt 

über  die  Bastei  geritten,  hält  an  *).    Wer  hat  hier  den  Befehl  ? 
Meldung  vom  General  Oreilly. 

♦)  Bei  umgestaltetem  Bühnenbild:  er  kommt  zu  Fuß  die  Stiege 
herauf,  von  zwei  bürgerlichen  Grenadieren  begleitet. 

183 


£SC//£iV5//CH£i2.  Unser  Kommandant,  der  Haupt- 
mann Bargetti,  ist  verwundet  —  oder  tot.   Stellt  sieb  vor. 
Hauptmann    der    bürgerlichen    Grenadiere,    Eschen- 
bacher. 
Es  sammeln  sieb  Grenadiere  und  Scharfscbützen  um  die  Ordonnanz. 

ORDONNANZ.  Befehl  vom  General  Oreilly,  in 
Vertretung  und  im  Namen  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit 
des  Erzherzogs  Maximilian.  Zu  den  feindlichen  Vor- 
posten werden  von  jedem  Tor  aus  zwei  Mann  gesandt, 
mit  dem  Ersuchen,  das  Bombardement  einzustellen. 
Auf  den  erhöhtesten  Punkten  der  Basteien  sind  weiße 
Fahnen  aufzupflanzen.    Sie  haben  verstanden. 

ESCHENBJCHER.    Jawohl,  Herr  Adjutant. 

ADJUTANT  sprengt  weiter*). 

ESCHENBACHER  zu  den  andern.    Ihr  habt  gehört! 

DIE  ANDERN.    Jawohl,  Herr  Hauptmann! 

ESCHENBACHER.    Also  pflanzt  sie  auf  da  oben, 
die  weiße  Fahne  ...  sie  wird  ja  zur  Hand  sein! 
Einige  fort,  die  Schanze  hinauf.    Eschenbacher  und  Jolsdorf  sieben 
beisammen. 

JOLSDORF.  Das  hätt'  am  Ende  auch  ein  paar 
Stunden  früher  sein  können! 

ESCHENBACHER.    Denk'  ich  mir  eben  .  .  . 

JOLSDORF.  Mit  unserm  Ausfall  war's  also  nichts  .  . 

ESCHENBACHER.  Gute  Nacht,  Jolsdorf,  ich  leg' 
mich  schlafen. 

JOLSDORF.    Gute  Nacht,  Herr  Hauptmann. 

ESCHENBACHER.  Nein,  nicht  Hauptmann  — 
bürgerhcher  Sattlermeister  von  Wien. 

JOLSDORF.  Sagen  Sie  das  nicht.  Auch  jetzt  wird 
man  unserer  noch  bedürfen. 

ESCHENBACHER.  Zum  Pohzeidienst  hab'  ich 
keine  Lust.  Grüß'  Sie  Gott,  Heber  Doktor  Jolsdorf. 
Er  reicht  ihm  die  Hand  und  geht  die  Stiege  hinab. 

URALTER  HERR  der  neben  der  Leiche  des  kleinen  GreUrl 
sitzt.   Tot  .  .  .  tot  .  .  .  aha,  weiß  schon. 

Die  weiße  Fahne  erscheint  über  dem  Burgtor. 

*)  Bei  umgestaltetem  Bühnenbild:  wieder  hinab. 
184 


MEDARDUS  rechts.  Die  weiße  Fahne!  ...  die 
weiße  Fahne  .  .  .  Morgen,  morgen!  . . . 

Zweite  Szene 

Salon  im  Hause  des  Herzogs  von  Valois. 

Dagusan  aus  dem  Garten  berein,  ein  beschriebenes  Blatt  Paper  in 

der  Hand,  in  dem  er  liest.    Er  geht  langsam  nach  vorn  und  setzt 

sich  an  einen  kleinen  Tisch. 

Laffraye  kommt  von  rechts. 

LAFFRATE.    Guten  Morgen,  Dagusan. 

DAGUSAN  aufblickend.  Sie,  Laffraye  ? . . .  Die  Feier- 
lichkeit ist  längst  vorbei.  Seit  einer  Stunde  ist  unser 
Freund  vermählt  .  .  .  Man  hat  sie  vermißt,  Laffraye, 
nicht  ohne  Erstaunen  vermißt. 

LAFFRATE.  Ich  werde  dem  Herrn  Marquis  und 
der  Frau  Marquise  meine  Entschuldigungen  zu  Füßen 
legen  .  .  .  Was  studieren  Sie  da,  Dagusan  ? 

DAGUSAN.  Unsern  Reiseplan.  Meinen  vielmehr. 
Denn  jeder  von  uns  hat  einen  andern.  Erst  an  der 
Grenze  treffen  wir  zusammen. 

LAFFRATE.    Wenn  wir  Glück  haben. 

DAGUSAN.  Ja,  freilich,  das  gehört  dazu.  Sehen 
Sie,  hier  ist  die  Route  verzeichnet.  Renault  hat  die 
größte  Genauigkeit  aufgewandt.  Jeder  Gasthof  steht 
da,  in  dem  wir  einen  Imbiß  zu  nehmen  haben,  jedes 
Nachtlager,  wo  wir  unser  Haupt  zur  Ruhe  legen 
dürfen. 

LAFFRATE.  Ich  vermisse  nur  den  Ort,  wo  wir 
festgenommen  werden  sollen. 

DAGUSAN.  Sie  sind  nicht  sehr  hoffnungsvoll, 
Laffraye.  Allerdings  —  der  letzte  Aufschub  war  auch 
nicht  nach  meinem  Sinn.  Aber  was  wollen  Sie,  Laff- 
raye? Der  Marquis  hat  es  sich  nun  einmal  in  den 
Kopf  gesetzt,  erst  als  Ehemann  abzureisen. 

LAFFRATE.  Da  er  doch  heute  vor  Nacht  fort  muß 
und  ohne  die  Marquise,  —  was  lag  ihm  an  der  Feier  ? 

185 


DAGUSAN.  Mein  Lieber,  wir  haben  keinen  Ein- 
blick in  die  Geheimgeschichte  dieses  Falles.  Die  geht 
uns  auch  nichts  an.  Unser  Amt  ist  Treue,  Laffraye, 
Seit  wir  uns  zugleich  mit  dem  Marquis  von  dem  Grafen 
von  Provence  losgesagt  haben  —  in  der  Überzeugung, 
daß  in  den  Händen  dieses  unmöglichen  Dickwanst  die 
Sache  des  Königtums  für  immer  verloren  wäre,  reisen 
wir  in  der  höchst  angenehmen  Gesellschaft  des  Marquis 
und,  wie  nicht  zu  leugnen  ist,  größtenteils  auf  seine 
Kosten  in  der  Welt  herum  —  und  da  wir  jedenfalls 
bereit  sind,  die  Vorteile  seines  Erfolgs  mitzugenießen, 
80  müssen  wir  uns  wohl  oder  übel  auch  in  die  Fähriich- 
keiten  der  ganzen  Unternehmung  schicken. 

LAFFRATE.  Wissen  Sie,  daß  Wien  kapituliert 
hat? 

DAGUSAN.  Ist  es  schon  so  weit?  Die  weißen 
Fahnen  sieht  man  ja  seit  dem  frühen  Morgen  von  den 
Basteien  wehn. 

LAFFRATE.  Und  in  aller  Frühe  hat  der  Kaiser 
Napoleon  den  Fürsterzbischof  von  Wien,  den  Bürger- 
meister, den  Landmarschall  und  etliche  andre  Herren 
bei  sich  empfangen. 

DAGUSAN.  Woher  wissen  Sie  denn  das  alles  so 
genau,  Laffraye  ? 

LAFFRATE.  Ich  habe  die  Deputation  vor  dem 
Schlosse  Schönbrunn  vorfahren  gesehn. 

DAGUSAN.  Sie  waren  in  Schönbrunn?  Sie  haben 
sich  da  hinausgewagt  ? 

LAFFRATE.  Glauben  Sie,  hier  im  Hause  des 
Herzogs  von  Valois  sind  wir  sicherer? 

DAGUSAN  errregt  auf  und  ab.  Ah!  —  Napoleon  wird 
nichts  Eiligeres  zu  tun  haben,  als  den  blinden,  alten 
Narren  verhaften  zu  lassen. 

LAFFRATE.  Wenn  er  wirklich  nichts  andres  ist, 
was  sind  dann  wir?  Übrigens  furcht'  ich  nicht  so 
sehr  für  den  Herzog  als  für  den  Marquis.  Sie  können 
sich's  denken.  Oder  glauben  Sie,  daß  die  Polizei 
Napoleons  jemals  die  Spuren  des  Marquis  verloren  hat  ? 

i86 


DAGUSAN.  Seit  Jahren  läßt  man  ihn  in  Frieden; 
—  mit  gutem  Grund.    Er  ist  Privatmann. 

LAFFRATE.  Er  war  es  vielleicht  durch  einige 
Jahre.  Aber  seit  einer  Stunde  ist  er  der  Schwiegersohn 
des  Herzogs  von  Valois. 

DAGUSAN.  Was  Napoleon  unmöglich  in  diesem 
Augenblick  schon  wissen  kann.  Und  heute  abend  sind 
wir  alle  in  Sicherheit. 

LAFFRATE.    Sind  Sie  überzeugt  davon? 

DAGUSAN.  Ja.  Renault  ist  ein  Genie,  sonst  müßt' 
er  längst  gehenkt  sein.  — 

Der  Marquis  aus  dem  Garten.     Laffraye  und  Dagusan. 

MARQUIS.  Guten  Morgen,  Laffraye.  —  Haben 
Sie  Renault  heute  schon  gesprochen? 

LAFFRATE.  Ich  komme  eben  erst,  Herr  Marquis, 
und  bitte  um  Verzeihung,  daß  ich  .  . . 

MARQUIS  unterbricht  ihn.  Es  ist  gut,  Laffraye.  Sie 
waren  wohl  in  der  Stadt  ? 

LAFFRATE.  Nein,  Herr  Marquis.  Ich  glaube 
übrigens  nicht,  daß  die  Tore  schon  geöffnet  sind. 

MARQUIS.  Sie  werden  sich  wohl  bald  auf  tun 
müssen,  für  den  Einmarsch  der  französischen  Regi- 
menter. Dieser  neue  Triumph  Bonapartes  macht 
seine  kleinen  Unglücksfälle  in  Spanien  alle  wett. 

DAGUSAN.  Wer  weiß,  Herr  Marquis.  Die  Stim- 
mung im  Lande  selbst  gegen  Napoleon  ist  schon  lange 
nicht  allzu  günstig.  Und  die  neuesten  Rekruten- 
aushebungen, die  er  anbefehlen  ließ,  dürften  sie  nicht 
verbessert  haben.  Ich  wage  zu  hoffen,  Herr  Marquis, 
immer  vorausgesetzt,  daß  wir  hingelangen  —  wir 
werden  in  der  Heimat  mehr  Freunde  finden,  als  wir 
heute  ahnen. 

MARQUIS.  Die  sich  nur,  furcht'  ich,  nicht  so  rasch 
für  uns  erklären  werden,  als  wünschenswert  sein  möchte. 
Nun  was  tut's.  Der  Glaube  an  unsre  große  und 
gute  Sache  wird  uns  für  den  Anfang  genug  sein 
müssen. 

DAGUSAN.   Eine  Sache,  deren  Sieg  gewiß  ist,  — 

187 


auch  wenn  nicht  alle  von  uns  das  Glück  haben  werden, 
ihn  mitzufeiern. 

MARQUIS.  Nicht  alle...!  —  Laffraye,  Sie 
schweigen  beharrlich  .  .  .  Ich  wünschte  Ihre  Meinung 
zu  hören. 

LAFFRAYE.  Herr  Marquis,  wie  sehr  wir  von  der 
Notwendigkeit  unserer  Unternehmung  überzeugt  sein 
mögen  .  .  .  das,  was  wir  im  Lauf  der  nächsten  Zeit 
daheim  zu  treiben  gedenken,  täuschen  war  uns  nicht, 
Herr  Marquis,  es  ist  ein  dunkles  und  trauriges  Geschäft. 

MARQUIS.    Laffraye... 

DAGUSAN.  Hören  Sie  nicht  auf  Laffraye,  Herr 
Marquis.  Die  Luft  von  Schönbrunn  hat  ihn  ein  wenig 
wirr  im  Kopf  gemacht. 

MARQUIS  befremdet.  Sie  waren  in  Schönbrunn? 
Ruhig.    Wie  gelangten  Sie  dahin  ? 

LAFFRATE.  Niemand  hat  mich  gehindert,  Herr 
Marquis.    Die  Straßen  hinaus  sind  frei. 

MARQUIS.  Sie  waren  wirklich  in  der  Nähe  des 
Schlosses  ? 

LAFFRATE.    Im  Schloßhof,  Herr  Marquis. 

MARQUIS.    Sie  fanden  Einlaß? 

LAFFRATE.  Der  Hof  ist  nicht  abgesperrt.  Nur 
der  Aufgang  zu  den  Gemächern  des  Kaisers  ist  be- 
wacht. Viele  Leute,  sogar  Frauen  und  Kinder,  sind 
gleich  mir  hinausgewandert,  und  treiben  sich  im  Hof 
herum,  mitten  unter  den  französischen  Soldaten,  alle 
in  der  Erwartung,  den  Kaiser  zu  erblicken,  wenn  er 
sich  am  Fenster  zeigen  oder  zur  Parade  fahren  sollte. 

MARQUIS.  Das  Wiener  Volk  und  die  Franzosen 
vertragen  sich  sehr  gut,  vnt  es  scheint  ? 

DAGUSAN.  Es  soll  vor  vier  Jahren  nicht  anders 
gewesen  sein.    Nun  sind  sie  gar  alte  Bekannte  .  .  . 

MARQUIS  zu  dem  scbtoeigenden  Laffraye.  Sie  scheinen 
ja  recht  bewegt,  Laffraye. 

LAFFRATE.  Herr  Marquis,  es  ist  mir  etwas  für 
meine  Lebensumstände  nicht  Alltägliches  begegnet. 
Ich  habe  die  Luft  meines  Vaterlandes  geatmet.  — 

i88 


MARQUIS  nach  Pause.  Wer  hat  die  Wache  im 
Schloß  ? 

LAFFRATE.  Die  kaiserliche  Garde,  Herr  Marquis. 
Sie  macht  den  vortrefflichsten  Eindruck.  Man  sieht 
ihr  die  Mühen  der  letzten  Wochen  nicht  an.  Von 
ihrer  Stirne  strahlt  die  heitere  Gewohnheit  großer  Tage. 

MARQUIS.    Sie  wollen  mich  verlassen,  Laffraye. 

LAFFRATE.    Ich  bin  hier,  Herr  Marquis. 

MARQUIS.  Laffraye,  ich  möchte  wohl  wissen,  was 
Ihnen  im  Hofe  von  Schönbrunn  durch  den  Sinn  ge- 
gangen ist? 

LAFFRATE.  Ein  Gedanke,  Herr  Marquis,  den 
auch  Sie  am  gleichen  Ort  nicht  hätten  von  sich  weisen 
können:  Vor  den  Kaiser  hinzutreten  und  ihn  um  die 
Gnade  zu  bitten,  als  Soldat  jenes  Frankreich  leben  und 
sterben  zu  dürfen,  das  er  groß  gemacht  hat. 

DAGUSAN.    Laffraye... 

MARQUIS.  Ruhig,  Dagusan!  —  Sie  hätten  es  doch 
tun  sollen,  Laffraye.  Ihre  Bitte  wäre  nicht  vergebens 
gewesen.  Mit  wohlfeilen  Gnaden  von  der  Art,  wie 
Sie  sie  erflehen  wollen,  haben  sich  Emporkömmlinge 
seit  jeher  ihre  eigene  Größe  zu  beweisen  gesucht. 
Warum  haben  Sie  es  nicht  getan,  Laffraye? 

LAFFRATE.  Weil  ich  Sie  zuerst  fragen  wollte, 
Herr  Marquis,  ob  Sie  beiteit  wären,  mich  auf  diesem 
Wege  zu  begleiten. 

MARQUIS.  Denken  Sie  im  Ernst,  Laffraye,  dies 
sollte  das  Ende  von  zwanzig  Jahren  der  Verbannung 
und  der  Ehre  bedeuten  ? 

LAFFRATE.  Des  Trotzes  vielleicht,  Herr  Mar- 
quis . .  . 

MARQUIS.    Laffraye! 

LAFFRATE.  Es  ist  noch  Zeit,  Herr  Marquis! 
Dagusan,  es  ist  noch  Zeit!  — 

MARQUIS.  Ich  sehe  die  Frau  Marquise  sich  nähern. 
Lassen  Sie  mich  mit  ihr  allein. 

Laffraye  und  Dagusan  zur  Terrassentüre,  wo  sie  die  eben  eintretends 
Helen*  bcgegtun,  sie  verneigen  sieb  und  geben  in  den  Garten. 

189 


Marquis.     Helene. 

HELENE.  Sie  haben  Ihre  Freunde  verabschiedet, 
Bertrand  ? 

MARQUIS.  Es  bleibt  mir  nicht  viel  Zeit  mehr, 
Sie  zu  sprechen,  Helene.  Um  die  Mittagsstunde,  so 
findet  Renault  es  nötig,  müssen  wir  den  Bannkreis 
dieses  Hauses  verlassen  haben.  Bis  zum  Abend  halt' 
ich  mich  verborgen,  dann  geht  es  auf  eine  Reise,  deren 
Ende  zumindest  sehr  ungewiß  ist. 

HELENE.  Ich  habe  gehofft,  Sie  bessern  Mutes  zu 
finden. 

MARQUIS.  Daß  ich  leichten  Sinnes  von  Ihnen 
scheiden  sollte,  ist  mehr  als  Sie  verlangen  können, 
Helene  .  .  . 

HELENE.  Was  ist  Ihnen,  Bertrand?  Haben  Sie 
diese  Stunde  abgewartet,  um  von  Dingen  zu  reden, 
die  abgetan  sind  ? 

MARQUIS.  Helene,  —  ich  schwöre  Ihnen  —  wenn 
Sie  mit  mir  gingen  —  Sie  würden  mir  wie  eine  Schwes- 
ter sein.  Nicht  Ihre  Fingerspitzen  wagt'  ich  zu  be- 
rühren, ehe  Sie  es  mir  erlauben. 

HELENE  ernst.  Wozu  dies  alles  ?  Sie  wissen  sehr 
wohl,  daß  es  nicht  Angst  vor  Ihnen  oder  —  vor  mir 
ist,  die  mich  hier  zurückhält. 

MARQUIS.  Das  ahn'  ich  wohl,  Helene,  so  wenig 
Sie  mir  auch  von  Ihren  letzten  Absichten  zu  vertrauen 
die  Gnade  hatten. 

HELENE.  Wollen  Sie  mir  ein  armseüges  Wort 
auf  die  Lippen  locken  ?  . .  .  Auch  das  kühnste  würde 
meinen  Vorsatz  nur  beschimpfen.  Ehe  eine  Tat  ge- 
schehn,  mag  ihr  Name  den  Menschen  erbärmUch 
klingen.  Erst  wenn  sie  gelang,  strahlt  ihr  Glanz  auch 
auf  den  Vorsatz  wieder.  Senden  Sie  mir  die  Nach- 
richten, deren  ich  bedarf,  das  andre  wird  sich  finden. 

MARQUIS.  Lag'  es  an  mir  allein!  .  .  .  Wäre  man 
seiner  Freunde,  seines  Glückes  sicher! 

HELENE.  Es  gibt  kein  Glück,  es  gibt  nur  den  Willen, 
das  Schicksal  zu  zwingen.    Es  gibt  keine  Freunde;  — 


190 


nur  den  Willen,  über  Menschen  Herr  zu  sein.  Der 
Wille  ist  alles,  Bertrand.  Nur  wenn  Ihnen  gelingt,  was 
Sie  wollen,  werden  Sie  sich  selber  glauben  dürfen,  daß 
Sie  gewollt  haben. 

MARQUIS.  Wie  würd'  ich  wollen,  war'  ich  Ihrer 
Liebe  nur  gewiß,  Helene. 

HELENE.  Wollen  Sie,  Bertrand,  und  ich  werde 
Sie  lieben,  wie  nie  ein  Mensch  geliebt  worden  ist. 
Lieben  wie  einen  Gott,  und  Sie  brauchen  nichts  zu 
sein  als  ein  Mann.  Wenn  mir  bestimmt  ist,  die  Mutter 
eines  Königs  zu  sein,  so  wird  die  Stunde,  da  ich  ihn  in 
Ihren  Armen  empfange,  so  erfüllt  sein  von  Seligkeit, 
daß  Sie  auch  die  Tage  der  Trennung  segnen  werden, 
durch  die  Sie  wandeln  mußten. 

Herzog.    Assalagny.    Deiolteux.    Dagusan  und  Laffrayt  aus  dem 

Garten. 

Marquis.     Helene. 

HERZOG.  Mein  Sohn,  ich  komme,  Ihnen  noch 
einmal  die  Hand  zu  drücken,  eh'  Sie  uns  verlassen.  Gott 
möge  Ihren  Weg  beschützen.  Mehr  sag'  ich  nicht. 
Von  den  Tagen  der  Zukunft  wollen  wir  in  diesem 
AugenbHck  des  Abschieds  nicht  reden. 

DAGUSAN.  Es  ist  kaum  nötig,  Herr  Herzog. 
Wenn  das  Wort  Zukunft  aufklingt,  so  erscheint  vor 
uns  allen  das  gleiche  erhabene  Bild! 

DESOLI  EU  X.  In  dieser  Stunde,  da  näher  von  uns, 
als  vnr's  je  erlebten,  der  Tyrann  unsres  geliebten  Vater- 
landes von  seinem  letzten  Siege  ausruht,  wollen  wir 
unsre  Knie  neigen  vor  dem  wahren  Herrn  Frankreichs. 

DAGUSAN.  Treue  schwören  dem  Herzog  von 
Valois  und  seinen  Kindern,  eh'  wir  scheiden. 

DESOLI  EU  X.  Ahnherr  von  künftigen  Königen, 
wir  grüßen  dich. 

Nur  Dagusan  und  Desolteux  neigen  sieb.   Der  Herzog  steht  erhobenen 
Hauptes  da. 

DIENER  tritt  ein.    Herr  Herzog,  der  General  Rapp 
bittet  um  die  Ehre,  empfangen  zu  werden. 
Groß*  Bewegung. 


191 


ASSALAGNY.    Der  General  Rapp  . . .! 

LAFFRATE.   Der  Adjutant  Napoleons  .  .  .! 

DESOLTEUX.  Herr  Herzog,  empfangen  Sie  ihn 
nicht.  Sonst  haben  Sie  den  Mann  anerkannt,  der  ihn 
sendet. 

ASSALAGNT.  Das  scheint  mir  nicht  richtig  .  .  . 
Gerade,  wenn  der  Herr  Herzog  den  General  nicht 
vorHeße,  erkennt  er  ihn  als  Adjutanten  des  Kaisers  — 
und  den  General  Bonaparte  als  Kaiser  an.  Denn  was 
könnte  den  Herzog  abhalten,  einem  tapfern  Offizier 
der  französischen  Armee  Höflichkeit  zu  erweisen  ? 

HERZOG.  Assalagny  hat  recht  .  .  .  Der  General 
möge  eintreten. 

DIENER  ab. 

LAFFRATE.  Herr  Marquis,  ich  beschwöre  Sie, 
entfernen  Sie  sich,  eh'  der  General  eintritt.  Kein 
Zweifel,  das  Ganze  richtet  sich  nur  gegen  Sie.  Denken 
Sie  an  das  Los  des  Herzogs  von  Enghien. 

ASSALAGNT  zu  Helene.     Frau  Marquise,  in  Ihren 
Augen,   auf  Ihren  Lippen  steht  das   Schicksal  dieses 
Hauses. 
DESOLTEUX  und  DA  GUS  AN  stehen  beim  Herzog. 

GENERAL   RAPP   tritt  ein. 

HERZOG.  Ich  begrüße  Sie  in  meinem  Hause,  Herr 
General.  Erlauben  Sie,  daß  ich  Sie  mit  den  hier  An- 
wesenden bekannt  mache.  Meine  Tochter  Helene, 
Marquise  von  Valois,  der  Herr  Marquis  von  Valois. 
Und  hier  meine  Freunde,  —  Desolteux,  Laffraye,  Da- 
gusan,  der  Doktor  Assalagny,  Renault .  .  . 

DESOLTEUX  Uise  und  rasch.  Ist  nicht  da,  Herr 
Herzog. 

RAPP.  Den  Herrn,  der  sich  in  der  letzten  Zeit 
Renault  nannte,  viird  man  hier  nicht  wiedersehen, 
Herr  Herzog.  Er  ist  vor  wenigen  Minuten  auf  Be- 
fehl des  Kaisers  Napoleon  verhaftet  worden.  Sie 
werden  nicht  ungern  hören,  Herr  Herzog,  daß  ihm 
diese  Unannehmlichkeit  als  Agenten  des  Grafen  von 
Provence,  jetzigen  Grafen  von  Lille,  widerfahren  ist, 


192 


und  nicht  als  einem  Freunde  Ihres  Hauses,  der  er 
übrigens  in  Wahrheit  niemals  gewesen  ist.  Natürlich 
komme  ich  nicht,  um  Ihnen  diese  unbedeutende 
Neuigkeit  mitzuteilen.  Meine  Aufträge  sind  anderer 
Art.  Seine  Majestät  der  Kaiser  von  Frankreich,  der 
mich  sendet .  .  . 

HERZOG.  Herr  General,  für  alle,  die  hier  ver- 
sammelt sind,  gibt  es  keinen  Kaiser  von  Frankreich, 
sondern  nur  einen  General  Bonaparte,  wie  es  einen 
General  Rapp  gibt. 

RAPP.  Ich  zweifle  nicht,  mit  Betonung  Herr  von 
Valois,  daß  Sie  und  alle  hier  Versammelten  sich  geneigt 
finden  werden,  diese  Auffassung  einer  sorgfältigen 
Prüfung  zu  unterziehen,  sobald  ich  die  Ehre  gehabt 
haben  werde,  Sie  mit  dem  vollen  Inhalt  meiner 
Sendung  bekannt  gemacht  zu  haben  .  .  .  Seine  Maje- 
stät, der  Kaiser  von  Frankreich,  so  groß  als  Feldherr 
wie  als  Kenner  menschlicher  Seelen  .  .  . 

Medardus,  der  zwei  Diener,  die  ihn  zurückhalten  wollen^  zurück' 
stößt,  stürzt  von  rechts  herein. 

MEDARDUS.    Helene!... 

HERZOG.    Was  ist  das?    Was  gibt  es  hier? 
Die  andern  sind  starr.     Das  Folgende  sehr  rasch. 

MEDARDUS  vor  HeUne  hin.     Helene!  .  .  . 

MARQUIS.    Sind  Sie  von  Sinnen? 

ASSALAGNT.   Entfernen  Sie  sich  auf  der  Stelle  .  . 

L  ÄFF  RATE.    Es  ist  Medardus  Klähr!  — 

HERZOG.  Was  geschieht  hier  ?  Wer  ist  gekommen  ? 

MEDARDUS.  Ich  bin  Medardus  Klähr!  Diese 
hier  kennt  mich  ...  •• 

MARQUIS.    Was  wollen  Sie  hier? 

DESOLTEUX.    Er  ist  irrsinnig,  offenbar. 

HERZOG.  Man  entferne  diesen  Menschen!  Was 
will  er  hier?    Wie  konnte  man  ihn  hereinlassen? 

MARQUIS.   Nun  —  soll  ich  vielleicht  selbst . .  . 
Zu  den  Dienern.   Packt  ihn  doch,  in   den  Narrentunn 
mit  ihm. 

MEDARDUS.    Helene!... 

TiMaUntflek*.  IV,  tj  f^^ 


MARQUIS  packt  ihn  an  der  Brust.     Sie  wagen! 

L  ÄFF  RATE,   DA  GUS  AN  halten  den  Marquis   zurück, 

HELENE.  Man  lasse  ihn  los !  Fort  von  ihm !  sag' 
ich.  Medardus  Klähr,  kommen  Sie  zur  Besinnung! 
Tritt  vor  ihn  hin.  Ja,  ich  bin  die  Schwester  des  unglück- 
lichen Jünglings,  der  mit  Ihrer  Schwester  in  den  Tod 
gegangen  ist.  Auf  dem  Grab  unserer  Geschwister 
haben  wir  uns  zum  erstenmal  gesehn.  Erinnern  Sie  sich 
nur,  Medardus  Klähr.  Sie  wollten  mir  verbieten, 
Blumen  auf  das  Grab  zu  legen  .  .  .  war  es  nicht  so  ? 
Der  Marquis  kam  dazu  und  war  genötigt,  si»h  mit 
Ihnen  zu  schlagen.  Sie  wurden  verwundet  und  lagen 
krank.  Nicht  wahr,  Medardus  Klähr?  Nun  scheint 
es,  daß  Fieberträume  seltsamer  Art  Sie  noch  in  die 
Tage  Ihres  Genesens  verfolgen.  Scheuchen  Sie  sie 
fort,  Medardus  Klähr.  Nehmen  Sie  alle  Kraft  zu- 
sammen. Keine  Klage  und  kein  Zorn  weckt  die  Toten 
wieder  auf  .  .  .  Tragen  Sie  das  schwere  Leid,  wie  ich 
es  trage  —  und  gehn  Sie  in  Frieden!  — 

MEDARDUS  bUibt  stehn. 

DIENER  wollen  ihn  wieder  ergreifen. 

HELENE.  Laßt  ab  von  ihm.  Er  bedarf  keines 
Geleites  .  .  .  Leben  Sie  wohl,  Medardus  Klähr. 

Medardus  sieht  sich  um,  dann  bedeckt  er  seine  Augen  mit  beiden 
Händen,  wendet  sich  und  geht  langsam  ab. 

RAPP.  Frau  Marquise,  welche  bewundernswerte 
Macht  wohnt  in  Ihrer  Stimme  und  geht  von  Ihrem 
Blicke   aus.     Er  siebt  sie  an,  sie  hält  seinen  Blick  aus. 

HERZOG.  Ich  muß  um  Entschuldigung  bitten, 
Herr  General  ...  * 

RAPP.  Sie  scherzen,  Herr  Herzog!  Man  kat  am 
Ende  so  vielerlei  gesehn  im  Lauf  der  Jahre,  daß  die 
Erscheinung  eines  interessanten  Verrückten  vielleicht 
als  ein  rührender  Zwischenfall,  keineswegs  aber  als 
ein  Geschehnis  von  irgendwelcher  Bedeutung  zu 
wirken  vermag. 

HERZOG.  Herr  General,  Sie  wurden  in  Ihrem 
Vortrag  unterbrochen,  vollenden  Sie,  bitte. 


194 


RAPP.  Ich  mache  von  Ihrer  Erlaubnis  Gebrauch, 
Herr  Herzog.  Lächelnd.  Der  Kaiser,  so  groß  als  Feld- 
herr wie  als  Kenner  menschlicher  Seelen,  hegt  das 
Bedenken,  daß  manche  seiner  Untertanen,  die  trotz 
längst  erlassener  Amnestie  sich  bis  zum  heutigen  Tage 
dem  Throne  und  dem  Heeresdienst  fernhielten,  lieber 
in  ihrem  unnützen  und  gefährlichen  Trotz  verharren 
—  als  der  Mißdeutung  sich  auslief  em  wollten,  sie  triebe 
nur  Angst  zu  einer  verspäteten  und  vielleicht  nicht 
mehr  willkommenen  Huldigung.  Um  sie  von  dieser  sehr 
begreiflichen,  aber  unbegründeten  Furcht  zu  befreien, 
hat  Seine  Majestät  mich  beauftragt,  die  hier,  im  Wohn- 
hause des  ehemaHgen  Herzogs  von  Valois  versammelten 
Untertanen  seines  Reiches  seiner  Gnade  zu  versichern 
und  sie  für  morgen  zu  der  im  Schlosse  Schönbrunn 
stattfindenden  Cour  einzuladen  .  .  . 

HERZOG.    Herr  General  .  .  . 

RAPP.  Es  bedarf  keiner  Antwort.  Der  Kaiser 
nimmt  keine  andre  entgegen  als  das  Erscheinen  der 
hier  Versammelten  zur  festgesetzten  Stunde  mittags 
um  zwölf  Uhr.  Ich  habe  femer  im  Auftrag  meines 
Herrn  und  Kaisers  die  Ehre,  dem  jungen  Paare  die 
allergnädigsten  Glückwünsche  zu  überbringen.  Der 
Kaiser  sieht  es  als  eine  besonder«  günstige  Vorbedeutung 
für  die  Zukunft  dieser  Verbindung  an,  daß  sie  gerade  an 
dem  Tag  geschlossen  wurde,  da  die  Stadt  Wien  sich 
unter  seinen  Schutz  begeben  hat  und  seine  hier  an- 
wesenden Untertanen  zum  erstenmal  seit  langen 
Jahren  sich  nicht  mehr  in  der  Fremde  befinden.  Zum 
Zeichen  seiner  besondem  Geneigtheit  hat  Seine 
Majestät  mich  endlich  beauftragt,  der  Frau  Marquise 
dieses  Perlenhalsband  als  Hochzeitsgabe  zu  über- 
reichen .  .  . 

HELENE.  Das  wohl  als  Abschlagszahlung  gelten 
soll  auf  die  vorenthaltenen  Güter  der  Herzöge  von 
Valois  .  .  .  ? 

RAPP.  Abgesehen  davon,  Frau  Marquise,  daß  diese 
Kleinigkeit  dafür  zu  gering  wäre:  Seine  Majestät  ver- 


»95 


W 


leiht  aus  eigenem,  aber  sie  nimmt  sich  nie  heraus, 
etwas  herzuschenken,  was  der  Nation  gehört.  Der 
Kaiser  hat  andres  zu  vergeben,  besseres  als  Güter. 
Wertvolleres  selbst  als  die  Güter  der  einstigen  Herzöge 
von  Valois.  Und  Sie,  Herr  Marquis,  werden  vor  allen 
erfahren,  welche  Aufgabe  Seine  Majestät  Ihrem  Degen 
zugedacht  hat,  der  sich  bisher  nur  in  Kämpfen  ver- 
suchen durfte,  von  denen  das  Vaterland  keinen  Nutzen 
hatte.  —  Mein  Auftrag  ist  zu  Ende  ...  Er  gebt. 
Pause. 

HELENE.  Warum  schweigt  Ihr  alle?  Nichts  hat 
sich  verändert. 

ASSALAGNr.    Viel,  Frau  Marquise! 

DESOLTEUX.    Wir  sind  schmähUch  verraten. 

DAGUSAN.  Unsere  Abreise  ist  unmöglich.  Der 
Posten  beim  nächsten  Zollhaus  verhaftet  uns. 

ASSALAGNr.  Wenn  man  denkt,  daß  Bonaparte 
zwischen  zwei  Schlachten  zu  solchen  Spaßen  Zeit  und 
Laune  findet  ...  so  möchte  man  ihn  beinah  be- 
wundern. 

MARQUIS  zuLaffraye.  DerKaiser  .  .  .  weiß  von  mir! 

HERZOG.  Laßt  mich  allein  .  .  .  Werft  euch  alle 
dem  Kaiser  zu  Füßen  ...  Es  ist  zu  Ende  mit  den 
Valois ! 

HELENE.  Vater  .  .  .  stärker.  Vater!  Nichts  ist  zu 
Ende!  Ein  schlechter  Komödiant  war  da  —  im  Auf- 
trag eines  bessern,  das  ist  alles  .  .  .  Nichts  hat  sich  ver- 
ändert .  .  .  Der  Marquis  wird  reisen,  wie  es  bestimmt 
war. 

MARQUIS.  Um  Sie  nie  wieder  zu  sehen,  Helene  —  ? 

HELENE.  Und  wenn  Sie  hierbleiben  — r  Ich 
schwöre  Ihnen,  daß  Sie  diese  Fingerspitzen  niemals 
berühren  werden  —  wenn  Sie  heut  nachts  nicht  auf 
dem  Wege  sind. 

DAGUSAN.  Ich  bitte  um  die  Erlaubnis  mich  zu- 
rückzuziehen, Herr  Marquis,  um  den  Vorschlag  Seiner 
Majestät  des  Kaisers  ruhiger  Betrachtung  zu  unter- 
ziehen.   Er  gebt, 

196 


MARQUIS  mit  einer  Geste  des  EntJassens,  zu  Laffray*. 
Laffraye  .  .  . 

LAFFRATE.  Sie  haben  nicht  das  Recht,  Herr 
Marquis,  in  solcher  Stunde  mich  eines  Schwures  zu 
entbinden,  den  ich  freiwillig  geleistet  habe.  —  Wohin 
Sie  auch  gehen  mögen,  Herr  Marquis,  mein  Weg  ist 
der  Ihre. 

MARQUIS.    Desolteui  — ! 

DESOLTEUX.  Warum  diese  fragende  Miene,  Herr 
Marquis  — ?    Ich  heiße  Desolteux! 

MARQUIS  zu  Desolteux  und  Laffraye.  Ich  danke  euch, 
meine  Freunde.  —  Unser  Entschluß  bleibt  auf- 
recht .  .  .  Vor  morgen  droht  uns  keinerlei  Gefahr  .  . . 
wir  haben  Zeit  zu  überlegen  .  .  .  und  lebendig  soll  er 
uns  nicht  haben  .  .  . 

HELENE  zum  Herzog.  Der  Marquis  will  von  dir  Ab- 
schied nehmen,  Vater  — 

HERZOG.    Sie  gehen  —  Bertrand? 

MARQUIS.  Herr  Herzog  —  zu  verlieren  ist  nichts, 
zu  gewinnen  alles  . .  .  Ich  gehe  —  und  Desolteux  und 
Laffraye  mit  mir. 

HERZOG.    Bertrand  — 

MARQUIS.  Leben  Sie  wohl,  Helene  .  .  .  da  sie  ihm 
die  Hand  reichen  will.  Nein,  nicht  die  Hand  . . .  nicht  einmal 
die  Fingerspitzen  ...  Es  wäre  zu  früh  .  .  .  Doch  ver- 
gessen Sie  nicht  —  Helene  .  .  .  auch  Sie  sind  zum 
Empfang  geladen  .  .  .  Was  werden  Sie  tun  ? 

HELENE.  Hingehen!  .  .  .  Ich  muß  mir  dieses  Tier 
doch  in  der  Nähe  besehen  ...  —  Auf  Wiedersehen, 
Herr  Marquis  —  irgend  einmal . . .  Sie  gebt.  Die  andern 
bleiben. 


Dritte  Szene 

Die  Kläbrscbe  Buchhandlung. 
Im  Hintergrund  die  geschlossene  Ladentür.    Rechts  und  links  von 
ihr  Auslagen  mit  Büchern.    Die  Straße  ist  nicht  sichtbar,  da  so- 
wohl über  Fenster  als  Türe  die  hölzernen  Läden  herabgelassen  sind. 
Rtcbu  eine  Tür«,  die  in  den  Torweg  führend  gedacht  toird^  linkt 


197 


eine  Wendeltreppe^  die  hinauf  %ur  Wohnung  führt.    Vorn  rechts  ein 
Ladentisch^   ziemlich  lang.    Rechts  und  links  an  der   Wand  hohe 

Stellagen  mit  Büchern. 
Etxelt  sitzt  vor  dem  Ladentisch  und  ordnet  Bücher.  —  Ein  Gehilfe 
steht  auf  einer  Leiter  und  reiht  Bücher  ein.  —  Eine  kleine  ange- 
zündete Öllampe  hängt  von  der  Decke  herab,  überdies  fällt  einiges 
Licht  durch  ein  vergittertes  Fenster  oberhalb  der  Ladentüre  in  den 
Raum. 

GEHILFE.    So,  nun  wäre  alles  soweit  geordnet. 

ETZELT.    Die  französischen  Bücher  zur  Hand  ? 

GEHILFE.  Jawohl.  Voltaire,  Montesquieu,  Ra- 
cine, Corneille  .  ,  . 

ETZELT.  Und  die  neuesten  französischen  Romane  f 

GEHILFE.    Stehn  unten  rechts,  Herr  Etzelt. 

ETZELT  sich  überzeugend.     Es  ist  gut. 

GEHILFE.  Darf  ich  nun  fortgehn,  Herr  Etzelt? 
Es  kommt  ja  heut  doch  niemand  mehr.  Den  Leuten 
steht  der  Sinn  nicht  danach,  Bücher  zu  kaufen. 

ETZELT.  Wahrlich  nicht.  Mehr  danach,  dem  Ein- 
marsch der  feindlichen  Regimenter  zuzusehn.  Ihnen 
wohl  auch. 

GEHILFE.  Ich  möchte  wohl.  Obwohl  ich  auch 
hier  durchs  Fenster  die  Helmbüsche  wehn  und  die 
Lanzenspitzen  glänzen  sah. 

ETZELT.  Das  ist  freilich  nicht  genug  für  ein 
patriotisches  Gemüt.  Also  gehn  Sie,  und  sein  Sie 
morgen  zur  rechten  Zeit  wieder  da. 

GEHILFE.  Um  neun  wird  es  wohl  früh  genug  sein, 
nicht  wahr? 

ET7.ELT.    Warum  neun  ?    Wir  öffnen  um  acht. 

GEHILFE.  Ich  weiß  wohl,  aber  ich  würde  sehr 
bitten,  weil  ich  nämUch  morgens  gern  auf  dem  Glacis 
sein  möchte. 

ETZELT.   Was  gibt's  denn  dort  zu  sehn  ? 

GEHILFE.  Wissen  Sie  denn  nicht,  Herr  Etzelt  ?  Die 
ganze  Garnison  ist  kriegsgefangen  und  muß  die  Waffen 
niederlegen.  Das  wird  ein  sehr  großartiger  Anblick  sein. 

ETZELT.  Erhebend  sogar.  Ich  sehe  ein,  daß  Sie 
dabei  sein  müssen.   Na,  gehen  Sie. 

198 


GEHILFE.    Guten  Abend,  Herr  Etzelt.    Ab  reebu. 

ETZELT  gebt  zu  der  fescblosseiun  Ladentür  und  sieht  durch 
eine  Ritze  hinaus.  Da  stehn  sie  und  schaun  sich  die  Augen 
aus  dem  Kopfe.  Fehlt  nur  noch,  daß  sie  „Hoch" 
Schrein.    Zu  einem  Regal  links,  ordnet. 

Medardus  von  rechts.  Sieht  aus  wie  ein  Scblaftoandelnder  und  spricht 
auch  so. 

MEDARDUS.    Guten  Tag,  Etzelt. 

ETZELT  sich  umwendend,  ohne  Unruhe  zu  zeigen.  Ah,  du 
bist's,  Medardus,    Guten  Abend. 

MEDARDUS.  Bist  du  sicher,  daß  ich  es  bin?  und 
nicht    etwa  mein  Gespenst  ? 

ETZELT.  Mir  ist  noch  nie  eins  erschienen.  Du 
würdest  keine  Ausnahme  machen,  hoff  ich,  auch  wenn 
du  tot  wärst. 

MEDARDUS.  Du  kannst  mir  also  schwören,  daß 
ich  nicht  vor  ein  paar  Wochen  an  einem  gewissen 
Degenstich  gestorben  bin  ? 

ETZELT.  Das  kann  ich.  Denn  seither  hab'  ich  dich 
ethche  Male  in  zweifelloser,  wenn  auch  nicht  immer 
erfreuhcher  Lebendigkeit  wiedergesehen. 

MEDARDUS.  Aber  war'  es  nicht  möglich,  daß  wir 
beide  gestern  auf  der  Bastei  von  einer  Kugel  getroffen 
wurden  und  unsre  Seelen  durch  die  Luft  fliegen  und 
träumen  ? 

ETZELT  toird  ernster,  auf  ihn  zu,  erfaßt  seinen  Arm.  Woher 
kommst  du,  Medardus  ? 

MEDARDUS.  Wenn  ich  noch  am  Leben  bin, 
Etzelt,  —  von  einer  Hochzeit,  zu  der  ich  nicht  ge- 
laden war. 

ETZELT.  Du  warst  wirklich  — ?  Du  warst  — ? 
Medardus !  Faßt  ihn  scharf  ins  Auge,  Und  —  ?  doch  was 
frag'  ich !  Da  du  nicht  geladen  warst,  so  ließ  man  dich 
natürhch  nicht  ein.  Das  war  leicht  vorauszusehn. 
Aber  nun,  hoff  ich,  ist  die  Sache  abgetan.  Jedenfalls 
hast  du  versucht,  was  du  konntest.  Mehr  bist  du 
deinem  Eigensinn  nicht  schuldig.  Sei  froh,  daß  es 
nicht  schlimmer  geendet.   Als  du  heute  früh  mit  ein- 


w 


mal  verschwunden  warst .  .  ,  ich  war  auf  Ärgeres  ge- 
faßt —  Beinah  hätt'  ich  dir's  gegönnt. 

MEDARDUS.  Oh,  du  darfst  zufrieden  sein,  Etzelt. 
Oder  sollt'  es  freundschaftlicher  Schadenfreude  nicht 
genug  sein,  daß  einer  darauf  ausging,  den  Helden  zu 
spielen,  —  und  da  er  endlich  auf  die  Szene  tritt,  augen- 
rollend und  mit  donnernden  Worten  geladen  bis  zum 
Rand  der  Lippen  —  muß  er  plötzlich  merken,  daß  er 
in  ein  fertiges  Stück  geriet,  —  darin  das  Schicksal  ihm 
vorbehielt,  den  Hanswurst  zu  agieren  ?  Ist  es  nicht 
lustig,  Etzelt  — ?    Mir  kommt  es  selber  so  vor!  — 

E7ZELT.  Hättest  du  dich  so  geschwind  in  die  Rolle 
gefunden  ?  Das  mache  einen  andern  glauben.  In 
deinem  Auge  glänzt  es  verräterisch.  Ich  wollte,  deine 
Prinzessin  ginge  mit  ihrem  Herrn  Gemahl  baldigst 
auf  Reisen.  Auch  Hans  wurste  nahmen  schon  ein 
trauriges  Ende. 

Frau  Kläbr  die  Wendeltreppe  berab. 

MEDARDUS.    Guten  Abend,  Mutter. 

FRAU  KLAHR.  Guten  Abend.  Komm  herauf, 
Medardus.  Ich  hab'  dein  bürgerlich  Gewand  her- 
gerichtet. 

MEDARDUS.    Mein  bürgerlich  Gewand  —  ?  — 

FRAU  KLAHR.  Oder  wär's  dir  Ueber  in  Uniform 
und  ohne  Waffen,  wer  weiß  wie  lang,  als  Kriegsge- 
fangener in  den  Straßen  Wiens  herumzuspazieren  ? 

ETZELT.  Ist  das  nicht  eine  bedenkliche  Sache, 
Frau  Klähr? 

FRAU  KLÄHR.  Medardus  wird  nicht  der  einzige 
sein.  Eben  erst  habe  ich  die  Frau  Grinzinger  ge- 
sprochen, die  hat  zweien  vom  Hillerschen  Korps  mit 
bürgerlichen  Anzügen  aus  ihres  Gatten  Garderobe 
ausgeholfen.  Es  kann  den  Franzosen  wohl  gleich  sein, 
ob  morgen  früh  ein  paar  Hundert  mehr  oder  weniger 
ihre  Waffen  hinlegen.  Du  mußt  es  eben  tragen,  Me- 
dardus. Es  ist  darum  noch  nicht  alles  zu  Ende.  Wird 
noch  lang  kein  Friede  gemacht.  Und  wer  weiß, 
ob  du  nicht  noch  deinen  Teil  haben  wirst  —  an  dem, 


200 


was  kommt,  mein  Sohn.  Nur  rat'  ich  dir,  kein  vor- 
eilig Wort .  .  .  und  besonders  nicht  vor  den  Franzosen, 
die  bei  uns  einquartiert  werden. 

ETZELT.  Verzeihen  Sie,  Frau  Klähr,  sollten  Sie 
diese  Mahnung  vor  allem  nicht  an  sich  selbst  richten  ? 

ESCHEN  BACHER  in  bürgerlicher  Kleidung  von  rechts.  E^ 
lebe  Bonaparte!    Es  lebe  Kaiser  Napoleon! 

FRJU  KLÄHR.    Jakob  . . . 

ESCHENBACHER.  Ist  er  nicht  ein  gnädiger,  groß- 
mütiger Sieger  ?  Generalpardon  hat  er  erlassen !  Ja, 
was  sagt  ihr  dazu!  —  Aufgelöst  ist  die  Landwehr, 
aber  allen  ihren  Mitgliedern,  sofern  sie  nur  rechtzeitig 
nach  ihren  Wohnorten  heimkehren,  ist  ausdrückhch 
Pardon  bewilligt!  — 

FRAU  KLÄHR.  Ich  versteh'  dich  nicht.  Pardon  .  . 
den  Leuten,  die  ihrem  Eide  treu  in  Diensten  des  Vater- 
lands gekämpft  haben?    Treibt  er  den  Hohn  so  weit? 

ESCHENBACHER.  Hohn?  Was  fäUt  dir  ein? 
Gnade  ist  es!  —  Gnade,  Franziska!  —  Was  sprichst 
du  von  Vaterland,  Franziska!  Es  gibt  nur  ein  Vater- 
land auf  Erden  —  Frankreich.  Nein,  nicht  Frankreich, 
das  Reich  Napoleons.  Und  das  Reich  Napoleons  geht 
über  die  ganze  Welt.  Und  darum,  wer  Waffen  erhebt 
gegen  Napoleon,  wo  immer  es  sein  mag,  ist  kein  ehr- 
hcher  Feind,  ist  ein  Hochverräter.  So  ist  das  zu  ver- 
stehn. 

FRAU  KLÄHR.  Woher  weißt  du  denn  das  vom 
Generalpardon  ? 

ESCHENBACHER.  Ist  doch  schon  angeschlagen 
im  Magistrat.  Ich  war  eben  dort,  meinen  Austritt  zu 
melden  aus  der  Bürgergarde. 

FRAU  KLÄHR.    Durftest  du  .  .  . 

ESCHENBACHER.  Sollen  mich  zwingen.  Täten 
nur  alle  wie  ich! 

E1ZELT.  Das  wäre  schlimm,  Meister  Eschen- 
bacher!   Da  gab'  es  bald  Unruhen  in  der  Stadt! 

ESCHENBACHER.  Wenn  alle  täten  wie  ich,  so 
müßten    die    Franzosen    zur    Aufrechterhaltung    der 


toi 


Ordnung  mindestens  zwanzigtausend  von  ihren  Leuten 
in  der  Stadt  zurücklassen  —  das  könnte  die  nächste 
Schlacht  entscheiden.  Und  die  wird  nicht  lange  auf 
sich  warten  lassen.    Erzherzog  Karl  ist  nah  .  .  . 

FRAU  KLAHR.    Hörst  du,  Medardus? 

ESCHENBACHER.  Was  hilft's  ihm?  —  Mit- 
kämpfen wird  er  nicht .  .  .  und  keiner  von  uns  .  .  . 
Waffenlos  oder  mit  Waffen  —  im  Dienst  oder  nicht  — 
Gefangene  sind  wir  alle. 

W ACHSHU BER  nachdem  er  geklopft,  tritt  von  rechts  ein 
Guten  Abend.  Wirklich,  man  sieht  beinah  gar  nichts, 
wenn  man  von  draußen  hereinkommt.  Guten  Abend, 
Frau  Klähr,  ah,  der  Herr  Eschenbacher  .  .  .  Ah,  schon 
in  Zivil .  .  .  Das  ist  halt  ein  Tag,  jaja  .  .  . 

ETZELT.    Was  wünschen  Sie,  Herr  Wachshuber? 

W  ACHSHU  BER.  Ja  so,  ich  komm'  nämUch  .  .  . 
selbstverständhch  komm'  ich  als  Kunde. 

EIZELT:.    Sie  wollen  ein  Buch  kaufen? 

WACHSHUBER.  Ah,  der  Herr  Etzelt  tut  ja  rein, 
als  wemn  ich  das  noch  nie  getan  hätt'  .  .  .  Achtzig 
Bände  hab'  ich  bei  mir  zu  Haus  stehn,  freiUch  nicht 
alle  bei  Ihnen  angeschafft,  man  kriegt  ja  manches  zu 
schenken  .  .  .  wenn  man  nur  mehr  Zeit  hätt'  zum 
Lesen.  Aber  Sie  erinnern  sich  vielleicht,  Herr  Etzelt. 
im  vorigen  Jahr,  da  hab'  ich  mir  eine  Landkarte  bei 
Ihnen  gekauft  von  Wien  und  Umgebung  .  .  . 

ETZELT.    Ja,  ja  .  .  . 

WACHSHUBER.  Nicht  wahr?  Und  auch  eine 
Erdbeschreibung.  Überhaupt  Erdbeschreibungen  und 
Reisen,  das  ist  eine  alte  Liebhaberei  von  mir.  Und 
da  möcht'  ich  so  im  Vorbeigehn  fragen,  Herr  Etzelt, 
ob  Sie  nicht  den  berühmten  Atlas  haben  von  .  .  . 
von  xiebt  einen  Zettel  hervor  von  Schambel  ...  ah  nein, 
Schembel. 

ETZELT.  Schrämbel  meinen  Sie,  Herr  Wachshuber. 

WACHSHUBER.  Ja  natürUch,  von  Schrämbel.  Da 
sollen  nämlich  so  ausgezeichnete  Karten  drin  sein,  daß 
man  wirklich  eine  Übersicht  kriegt. 


aos 


E^ZELT.  Er  ist  rar  geworden  jetzt,  der  Schrämbel, 
wir  haben  noch  zwei  Exemplare  .  .  , 

WACHSHUBER  sieb  vergessend.  Ah,  gar  zwei  . . . 
das  ist  g'scheit. 

ET:ZELT.    Wollen  Sie  vielleicht  beide  kaufen? 

WACHSHUBER.  Aber,  Herr  Etzelt,  was  fang'  ich 
denn  mit  zwei  Schrämbels  an.  Das  heißt,  als  Geschenk 
könnte  man's  vielleicht  verwenden.  —  Glauben  S' 
nicht,  Herr  Etzelt?  Sie  können  mir  gleich  beide 
Exemplare  geben,  kriegt  eins  mein  Neffe  zum  Namens- 
tag. 

Escbenbacber,  der  bisher  mit  Frau  Kläbr  abseits  geredet^  toird  auf- 
merksam. 

ETZELT.  Er  ist  sehr  teuer,  Herr  Wachshuber. 
Fünfundzwanzig  Gulden  das  Exemplar. 

WACHSHUBER.  Donnerwetter,  das  ist  ein  bißl 
viel. 

E1ZEL7.    Wird  also  das  eine  genügen? 

WACHSHUBER.  Ah  was,  wenn  schon,  ich  nehm' 
beide. 

ETZELT.  Beide  ...  So  ...  Na,  schön,  ich  werd'  sie 
Ihnen  morgen  früh  hinüberschicken  lassen,  Herr  Wachs- 
huber,  eins  ist  sowieso  unten  im  Magazin. 

WACHSHUBER.  Aber  wozu  denn  hinüberschicken, 
das  eine  da,  das  packen  S'  mir  gleich  zusammen  .  .  .  Da 
war'   das   Geld.    Er  zählt  es  auf  den  Tisch. 

ETZELT.  So  ...  Na  warten  Sie  nur,  bis  der  Atlas 
daliegt.     Er  gebt  zu  einem  Regal  und  sticht. 

BERGER  von  recbu.  Guten  Abend,  meine  Herr- 
schaften. Na,  da  wären  wir  wieder  «inmal  so  weit. 
Bei  uns  daheim  haben  sich's  die  Herren  schon  bequem 
gemacht.  Ein  Rittmeister  von  den  Oudinotschen 
Grenadieren  und  zwei  Leutnants.  Ganz  feine  Leut' 
soweit,  aber  unter  uns,  daß  die  Annerl  jetzt  im  Spital 
schlaft,  ist  mir  Heber.  Ich  komm'  grad  von  ihr.  Steht 
ihr  gut,  die  weiße  Schürzen  und  das  Hauberl. 

FRAU  KLÄHR.  Hat  sie  denn  schon  was  zu  tun? 
Ist  die  Winterreitschul'  denn  schon  belegt? 


203 


BERGER.  Na,  was  denn,  die  Franzosen  haben  ja 
gleich  ein  paar  hundert  Marode  mitgebracht.  Man  hört 
wieder  vorbeimarschieren.  Schrecklich,  das  wird  noch  die 
ganze  Nacht  so  weiter  gehn.  Und  was  sagen  Sie,  Frau 
Klähr,  wie  die  Stadt  ausschaut  ?  Der  Trattnerhof  ist 
ganz  abgebrannt  und  beim  Palffy  brennt's  noch  .  .  . 
Ja,  das  war  eine  Nacht.  Bei  uns  sind  auch  alle  Fenster- 
scheiben hin.  Aber  schön  hat's  ausgesehn,  von  der 
Bastei  aus!  Unvergeßlich  wird's  jedem  bleiben,  dem's 
vergönnt  war,  da  oben  zu  stehen  .  . 

ESCHENBACHER.  Und  mitzukämpfen!  was  ?  Aber 
tut's  Ihnen  denn  nicht  leid,  Herr  Berger,  daß  Sie  nicht 
zum  Losfeuern  gekommen  sind  mit  Ihrer  Flinten  —  ? 

WACHSHUBER  der  mit  siebtbarer  Ungeduld  dem  suchenden 
Etzelt  zuschaut.   Ah,  waren  auch  bewaffnet,  Herr  Berger. 

ESCHENBACHER   siebt  ihn  verächtlich  an. 

Etzelt  bringt  jetzt  den  Atlas,  der  aus  einzelnen  Blättern  besteht^ 

und  beginnt  auf  dem  Ladentisch  vor  dem  ungeduldigen  Wacbsbuber 

die  Blätter  zu  zählen  und  zu  prüfen. 

FRAU  KLJHR  zu  Berger.  Weiß  man,  wieviel  Men- 
schenleben die  Nacht  gekostet  hat  ? 

BERGER.  Nicht  gar  viel,  was  man  so  hört.  Na,  die 
meisten,  die  auf  der  Straße  nichts  zu  tun  gehabt  haben, 
waren  ja  doch  in  den  Kellern,  wie's  Ernst  geworden 
ist.  Aber  daß  unserm  braven  Bürgermilitär  so  wenig 
geschehn  ist,  das  zeigt  doch,  daß  der  da  droben  .  . . 

ESCHENBACHER.    Und  so  weiter  .  . . 

ETZELT.    Nur  der  arme  Bargetti. 

BERGER.  Ja  freilich,  der  hat  den  Heldentod 
sterben  müssen,  der  arme  Bargetti.  Drei  Kinder  sind 
geblieben,  verwitwet  war  er  ja  schon  lang.  Übrigens, 
was  ich  hab'  fragen  wollen,  war  noch  keine  Durch- 
suchung bei  Ihnen,  Herr  Etzelt  ? 

ETZELT.  Warum  denn  grad  bei  uns  ?  Er  vnll  eben 
den  Atlas  in  Papier  einpacken. 

WACHSHUBER.  Aber  wozu  denn,  ich  nehm's 
gleich  so  mit.  Nimmt  den  Atlas  mühselig  auf,  holt  aus  seiner 
Tasche  eiligst  einen  Sfagat  und  umwickelt  den  Band. 


J04 


BERGER.  Ja,  natürlich  grad  bei  Ihnen,  weil  Sie 
doch  eine  Buchhandlung  haben  und  beinah  die  größte 
in  der  Stadt.  —  Der  weitere  Verkauf  sämtlicher  Land- 
karten ist  nämhch  strengstens  verboten, 

ETZELT.   Ah... 

BERGER.  Haben  S'  denn  den  Anschlag  nicht  ge- 
lesen ? 

WACHSHUBER  an  der  Türe.    Habe  die  Ehre.    Wiü 

sich  entfernen. 

ESCHENBACHER  steht  vor  der  Tür.  Nur  ein  bisserl 
Geduld. 

BERGER.  Für  einen  Atlas  ist  sogar  ein  besonderer 
Preis  ausgeschrieben.  Weil  ihn  nämlich  der  franzö- 
sische Generalstab  so  notwendig  braucht  zu  seinen 
Operationen.   Vierhundert  Dukaten  fürs  Exemplar  .  .  . 

ESCHENBACHER.  Der  Teufel  soll  mich  holen, 
wenn  das  nicht  der  Atlas  vom  Schrämbel  ist. 

BERGER.  Mir  scheint,  Schrämbel,  ja,  wird  schon 
stimmen. 

WACHSHUBER.    Ist  nicht  mögUch! 

ESCHENBACHER.    Ha! 

WACHSHUBER.  Der  Atlas  von  Schrämbel ...  das 
ist  ja  .  .  .  das  ist  ja  rein,  wie  wenn  ich  in  der  Lotterie 
gewonnen  hätt'.    Das  Geschäft  ist  gültig,  Herr  Etzelt. 

ETZELT.  Haben  Sie  die  Absicht,  den  Atlas  an  den 
französischen  Generalstab  zu  verkaufen  ? 

WACHSHUBER.  Ha,  Sie  möchten  Heber  selbst 
das  Geschäft  machen  ?  Jetzt  ist's  zu  spät.  Höchstens, 
wenn  Sie  mich  schön  bitten,  auf  Halbpart. 

ETZELT.    Das  Exemplar  bleibt  da. 

ESCHENBACHER.  Sie,  Herr  Wachshuber,  die 
Zeiten  könnten  sich  ändern,  von  heut  auf  morgen 
könnten  die  Leute,  die  Landkarten  an  die  Franzosen 
verkauft  haben,  auf  Befehl  der  österreichischen  Re- 
gierung gehenkt  werden. 

WACHSHUBER.  Jetzt  ist  der  Napoleon  der  Herr. 
Und  das  Exemplar  da  gehört  mir,  und  was  ich  damit 
mach',  ist  meine  Sache. 


«05 


ETZELT.    Her  mit  dem  Exemplar. 

WACHSHUBER.  So,  .  .  .  Sie  wollen  sicli's  behal- 
ten ?  Sie  wollen  das  Geschäft  rückgängig  machen  .  .  . 
Aber  wissen  Sie  auch,  daß  jeder,  der  ein  Exemplar  vom 
Schrämbel  besitzt  und  zurückbehält,  ohne  Gnade  und 
Barmherzigkeit  erschossen  wird? 

BERGER.    Ja,  das  stimmt,  das  stimmt. 

WACHSHUBER.  Weil  nämlich  da  drin  die  ver- 
läßlichsten Karten  sind,  die's  gibt .  .  . 

ESCHENBACHER.  Also  jetzt  ...  das  ist  zu  ge- 
fährlich für  Sie,  Wachshuber.  Stellen  Sie  sich  vor, 
man  erwischt  Sie  damit,  eh  Sie's  verkauft  haben,  noch 
auf  dem  Weg  zum  französischen  Generalstab.  Wer 
braucht  Ihnen  denn  das  zu  glauben,  daß  Sie  so  ein  braver 
Franzos'  geworden  sind,  —  besonders  Ihnen,  der  als 
österreichischer  Patriot  so  bekannt  ist,  der  noch  gestern 
mit  einem  Morgenstern  auf  der  Bastei  herumgelaufen 
ist .  .  .  und  ganz  in  der  Nähe  gewesen  sein  soll,  wie 
einem  gewissen  französischen  Trompeter  ein  gewisses 
Malheur  passiert  ist. 

WACHSHUBER.  Wer  war  in  der  Näh'  ?  Ich  habe 
nichts  gesehn.  Ich  hab'  noch  nie  keinen  Menschen 
nicht  erschlagen. 

ESCHENBACHER.  Sie  aUein  gewiß  nicht.  Also 
her  mit  dem  Schrämbel  und  dagelassen.  Nimmt  ihm  das 
Buch  aus  der  Hand  und  Ugt  ts  auf  den  Ladentisch. 

WACHSHUBER.  Sie,  Sie  Mensch,  Sie...  was 
haben  Sie  denn  überhaupt  .  .  .  Seit  wann  sind  Sie  denn 
der  Buchhändler. 

ESCHENBACHER.  Ich  bodaure,  daß  ich  meine 
Ware  nicht  bei  der  Hand  hab'.  Ich  verfertige  nämlich 
auch  Hundspeitschen,  Herr  Wachshuber  .  .  . 

WACHSHUBER.  So  Hundspeitschen  .  .  .  ?  So  ? 
Eeh!  ...  Ja,  Hunde  gibt's  gar  viel,  ja  .  .  .  Ich  pfeif  auf 
den  Atlas  ...  da  haben  Sie  ihn  .  .  .  ich  kann  meinem 
Neffen  auch  was  andres  zum  Namenstag  schenken, 
ja!  .  .  .  Aber  weil  Sie  früher  von  meinem  Morgenstern 
gesprochen  haben,  ich  hab'  ihn  natürlich  schon  wieder 


206 


im  Zeughaus  abgeliefert.  Hier  ist  die  Bestätigung. 
Da.  Es  war'  gut,  es  hielt'  sich  jeder  so  nach  den  Ver- 
ordnungen. Habe  die  Ehre.  Entschuldigen  die  ver- 
ursachten Umstände.  Ja  —  mein  Geld,  mein  Geld  .  . . 
Ah,  das  war'  so  was  .  .  . 

E1ZELT  wirft  ihm  das  Geld  bin.    Da. 

ESCHENBJCHER  bat  indessen  die  Ladentüre  aufgemacht. 
Bitte,  nur  hier  heraus,  Herr  Wachshuber,  es  muß  so- 
wieso gelüftet  werden. 

WACHSHUBER  ab. 

BERGER.  Nein,  so  ein  Mensch,  das  ist  doch  nicht 
zu  glauben. 

FRAU  KLÄHR.  Bruder,  du  bist  zum  Küssen.    Sie 

fällt  ihn  um  den  Hals. 

ETZELT.  Jetzt  ist  nur  die  Frage:  wohin  mit  dem 
Schrämbel  ? 

ESCHEN  BACHER.  Zu  mir.  Bei  euch  würde  man 
ihn  suchen. 

FRAU  KLÄHR.  Nein,  Jakob,  du  begibst  dich  in 
zu  große  Gefahr. 

ESCHENBACHER.  Bei  mir  wird  man  ihn  nicht 
finden,  auch  wenn  man  ihn  suchte.  Verlaßt  euch  drauf! 
—  Kommen  Sie,  Etzelt,  gehn  wir  ins  Magazin,  schaun 
wir,  was  es  vielleicht  sonst  noch  Verdächtiges  gibt. 

Die  Straße  draußen  ist  beinahe  dunkel.    Ein  Regiment  marschiert 
wieder  vorbei. 

EIN  RUF  IN  DER  FERNE.  Es  lebe  Kaiser  Na- 
poleon. 

FRAU  KLÄHR.    Was  war  das  .  .  .  ? 

ESCHENBACHER.  Nur  einer,  jetzt  ist's  wieder 
still.    Kommen  Sie,  Etzelt,  geschwind. 

Etzelt  und  Eschenbacber  durch  die  Türe  rechts  ab. 

BERGER.  Also  grüß'  Sie  Gott,  Frau  Klähr.  Ich 
muß  heim  zu  meiner  Frau.  Ja,  jetzt  kommt  eine 
schhmme  Zeit.  Haben  Sie  eine  Ahnung,  was  die  Fran- 
zosen für  einen  Appetit  haben  ?  Grüß'  Gott,  Medardus 
.  .  .  Beinah  hätt'  ich  vergessen,  ich  soll  Sie  grüßen  vom 
Annerl. 


207 


MEDARDUS  der  wäbrend  des  Vorhergehenden  teünahmtlot 
dagestanden.   Danke,  Herr  Berger. 
BERGER  ab. 

Medardus.     Frau  Klähr. 

FRAU  KLÄHR.  Medardus,  komm  hinauf  und  sieh, 
daß  du  umgekleidet  bist,  eh'  die  Einquartierung 
da  ist. 

MEDARDUS.    Ach  Mutter,  war'  ich  tot! 

FRAU  KLAHR.   Medardus,  du  bist  mein  einziger. 

MEDARDUS.  Ich  verdien'  es  ja  nicht,  dein  Sohn 
zu  sein.  So  viel  Schmach  ist  auf  mir,  ich  sehne  mich 
zu  sterben. 

FRAU  KLAHR  ernst.  Medardus!  Ich  weiß  nicht, 
was  du  getan  hast,  nicht,  was  dir  geschehn  ist.  Du 
lebst  ja  in  Geheimnissen  seit  Agathens  Tod.  Aber  mir 
ist,  als  ließe  sich  in  diesen  Zeiten  auch  das  Leben  teuer 
verkaufen  —  wenn  es  wirklich  zu  gar  nichts  mehr  zu 
brauchen  war'  — ! 

Major  Trembly  und  Rittmeister  Derue  kommen  bei  der  Ladentüre 

herein^  geleitet  von  einem  Magistratsbeamten.  —  Medardus  im  Dunkel 

toird  kaum  beachtet. 

DER  BEAMTE.  Guten  Abend,  Frau  Klähr.  Das 
sind  die  Herren  Offiziere,  die  bei  Ihnen  wohnen  werden. 
Gibt  ihr  einen  Zetul.  Bitte,  wollen  Sie  sich  hier  unter- 
schreiben. 

FRAU  KLÄHR  unterschreibt  rasch. 

BEAMTER.  Danke.  Zu  den  Herren.  Ich  bin  überzeugt, 
Sie  werden  sich  hier  zu  voller  Zufriedenheit  befinden. 
Ich  habe  die  Ehre.   Ab. 

MAJOR  TREMBLT.  Ich  bin  der  Major  Trembly 
und  dies  mein  Freund,  der  Rittmeister  Derue,  der 
leider  nicht  deutsch  kann.  Wir  bedauern  Ihnen  Un- 
gelegenheiten  zu  verursachen,  aber  in  solchen  Zeiten 
geht  das  leider  nicht  anders. 

FRAU  KLÄHR.  Ihr  Zimmer  ist  bereit,  meine 
Herren.    Bitte  mir  zu  folgen. 

Ibn*n  voran  über  die  Wendeltreppe.  —  Major  und  Oberst  folgen  ihr, 
Medardus.     Nerina  durch  die  Ladentür  berein. 


ao8 


NERINA.  Sind  Sie  endlich  allein.  Eine  Stunde 
schon  streif  ich  draußen  herum. 

MEDARDUS.    Was  wollen  Sie  hier? 

NERINA.    Ich  komme,  Sie  wissen  ja  von  wem. 

MEDARDUS  lacht  auf.  Läßt  sich  das  Fräulein  — 
—  die  Frau  Marquise!  .  .  .  wieder  nach  meinem  Be- 
finden erkundigen  ?  Ich  danke,  mir  geht's  vortreff- 
lich. Diesmal  sitzt  der  Stich  wohl  besser,  aber  ich 
werde  auch  nicht  dran  sterben. 

NERINA.  Sie  sollen  nicht  sterben.  Sie  sollen  mit 
mir  kommen,  man  erwartet  Sie.  Hier  lesen  Sie,  aber 
geschwind. 

MEDARDUS.  Mit  dem  ganzen  Namen  unter- 
schrieben ? 

NERINA.  Ja,  damit  Sie  nicht  denken,  es  sei  eine 
List,  oder  weiß  Gott  was.  Und  Sie  möchten,  wenn's 
Ihnen  beliebt,  den  Brief  wohl  versiegelt  zu  Hause 
liegen  lassen,  falls  Sie  fürchten,  daß  man  Böses  mit 
Ihnen  vorhätte  .  .  . 

MEDARDUS.  So  müßte  der  Brief  ihre  Schuld 
offenbaren  — ?! 

NERINA.  Ja,  das  ist  wohl  ihre  Absicht.  Aber  sie 
will  nicht  schuldig  werden,  Herr  Medardus  Klähr  — 
oder  höchstens  in  einer  sehr  angenehmen  Weise.  Der 
Marquis  ist  nämlich  abgereist. 

MEDARDUS.    Heute  am  Hochzeitstag? 

NERINA.  Ich  schwör'  es  Ihnen.  Es  war  eine  Ehe 
zum  Schein.  Er  ist  fort.  Wie  weit  er  gelangt,  das  ist 
freilich  eine  andre  Frage.  Aber  kommen  Sie  nur 
endlich. 

MEDARDUS.  Die  Tore  werden  nachts  geschlossen. 

NERINA.  Es  gibt  eines,  das  sich  mir  auftut . . . 
mir  und  meinem  Begleiter. 

MEDARDUS.    Sind  Sie  eine  Zauberin? 

NERINA.  Sie  ahnen  gar  nicht,  was  ich  alles  für 
meine  geliebte  Herrin  tue  —  und  für  Sie,  Herr  Me- 
dardus Klähr. 

MEDARDUS.    Sei's  drum  ...  Ich  folge  dir  ...  — 

TtaMtacstäck«.  IV,  14  200 


Nicht  etwa  —  weil  ich  euch  ohne  welters  g^laubte,  dir 
und  deiner  Herrin,  nein  —  nur  weil  es  ein  rechter  Spaß 
ist,  auf  der  Welt  zu  sein,  Nerina  —  und  nicht  sonder- 
lich ernst  wieder  abzufahren.   Beide  ab. 

Escbenbacber  und  Etzelt  von  recbu  mit  scbweren  Bücbern 

ESCHENBACHER.  Ich  will  meine  Gesellen  holen 
—  und  in  der  Nacht  schleppen  wir  dann  das  Ganze 
zusammen  fort. 

ETZELT.  Wenn  nur  auf  dem  Wege  von  uns  zu 
Ihnen  nichts  passiert. 

ESCHENBACHER.  Mein  Lieber,  ganz  gefahrlos 
ist  nun  einmal  nichts  auf  der  Welt  zu  solchen  Zeiten. 

EZELT.  Nun,  so  mag  es  denn  sein!  Aber,  beim 
Himmel,  wenn  es  schlimm  ausginge,  —  ich  lasse  Sie 
nicht  allein  in  der  Tinte  .  .  . 

ESCHENBACHER.  Das  war'  ein  rechter  Unsinn. 
Das  Sterben  ist  keine  Kunst.  Am  Ende  trifft's  jeder. 
Wer's  aber  ohne  Not  tut,  und  keinem  zu  Nutzen,  nur 
um  seine  Courage  zu  zeigen,  ist  kein  Held  ...  ist  ein 
Narr,  Etzelt!  Sein  Sie  übrigens  ohne  Sorge,  wir  wollen 
diese  Scheintoten  gut  begraben. 

ETZELT.  Wollte  Gott,  daß  es  eine  fröhliche  Auf- 
erstehung werde. 

ESCHENBACHER.  Und  wenn  nicht ...  Na,  — 
ich  mache  kein  Testament,  Etzelt.  —  Aber  nehmen 
Sie's  nur  als  rechtsgültig,  Etzelt,  den  Herrn  Wachs- 
kuber,  den  vermach'  ich  Ihnen . . .  Adio,  ich  hole  meine 
Gesellen.   Er  gebt. 

Vierte  Szene 

Zimmer  Helenens^  ziemlicb  klein.  Im  Hintergrund  ein  Balkon,  ku 
dem  die  Tür  offen  siebt.  Karge  Beleuchtung  im  Zimmer.  Nacht 
über  dem  Garten  draußen,  dessen  Wipfel  bis  zum  Balkon  berauf- 

ragen. 

Helene  tritt  eben  vom  Balkon  aus  ins  Zimmer.    Ein*  Türe  wird 

geöffnet,  und  Assalagny  tritt  ein. 

ASSALAGNT  nach  Verbeugung.  Daß  ich  nach  einem 
so  vielfach  bewegten  Tag  mir  noch  zu  so  später  Stunde 


210 


Gehör  erbitte,  Frau  Marquise,  wird  der  dringende 
Anlaß  entschuldigen. 

HELENE  nicht  scharf.  Den  zu  erfahren  ich  begierig 
bin. 

ASSALAGNT.  Eine  ehrfurchtsvolle  Frage  vorerst. 
Frau  Marquise  sind  fest  entschlossen,  morgen  zur 
Cour  nach  Schönbrunn  zu  fahren  ? 

HELENE.  Mich  das  zu  fragen,  ließen  Sie  sich  zu 
solcher  Stunde  melden,  Doktor  Assalagny  — ? 

ASSALAGNT.  Darum,  —  und,  vsrenn  Sie  ent- 
schlossen sind,  mit  Ihnen  weiteres  zu  beraten,  Frau 
Marquise.  Insbesondere  welches  Verhalten  Sie  dem 
Kaiser  gegenüber  zu  beobachten  gedenken. 

HELENE  höhnisch.    Dem  Kaiser  gegenüber  . . . 

ASSALAGNT.  So  wollen  wir  ihn  nennen,  Frau 
Marquise,  um  so  mehr,  da  kein  Anlaß  vorliegt,  unter 
vier  Augen  uns  in  Rollen  zu  bemühen,  die  wir  ja  doch 
nur  für  den  Herrn  Herzog  zu  spielen  haben.  Ihn  wollen 
wir  gewiß  weiter  in  seiner  wunderbaren  Selbsttäuschung 
erhalten;  ja  diese  zu  befestigen,  rechne  ich  mit  zu  den 
vornehmsten  Pflichten  meiner  ärztlichen  Kunst.  Aber 
glauben  Sie  nicht,  Frau  Marquise,  daß  es  hieße  die 
Komödie  allzuweit  treiben,  wenn  man  arme  Teufel, 
die  sich  aus  Treue,  Leidenschaft  oder  Torheit  in  ein 
wahnwitziges  Beginnen  stürzten  .  .  .  wie  in  nutzloser 
Verschwendung  unschuldig  verderben  ließe  ? 

HELENE.  Ich  wußte  nicht,  Doktor  Assalagny,  daß 
ich  Sie  als  meinen  Richter  hier  zu  empfangen  hatte. 

ASSALAGNT.  Als  einen  Rater,  Frau  Marquise  .  . . 
nicht  als  einen  Richter.  Ernst.  In  Ihrer  Hand,  Frau 
Marquise,  liegen  die  Schicksale  dieses  Hauses.  Daß  Sie 
morgen  zum  Empfang  fahren,  kann  Rettung  bedeuten 
—  für  viele  — !  Sie  dürfen  —  Sie  werden  die  Ge- 
legenheit nicht  versäumen,  den  Kaiser  aufzuklären. 
Er  weiß  jedenfalls,  daß  die  zitternden  Fäden  einer 
kindisch-törichten  Verschwörung,  die  zwischen  hier 
und  Paris  gesponnen  werden,  sofort  zerreißen  würden, 
wenn  die  geheimnisvolle  Macht  aus  dem  Spiel  genom- 

U*  211 


men  ist,  die  von  dem  Namen  des  Herzogs  von  Valois 
noch  immer  auszugehn  scheint.  Darum  muß  der 
Kaiser  erfahren,  aus  Ihrem  Mund  erfahren,  Frau 
Marquise,  daß  der  Herzog  heute  nicht  mehr  bedeutet 
als  seinen  Namen  .  .  . 

HELENE.  Soll  ihn  das  milder  stimmen  ?  Da  die 
Macht  dieses  Namens  nun  einmal  wirksam  ist,  Doktor 
Assalagny,  so  könnten  wohl  auch  Leute  wie  der  Herr 
Marquis  und  seine  Freunde  am  rechten  Ort  und  im 
rechten  Augenblick  dem  Kaiser  gefährlich  werden  .  .  . 

ASSALAGNT.  Und  wenn  man  ihm  gefährlich 
würde,  wie  Sie  sagen,  Frau  Marquise  ?  Wer  hätte  den 
Lohn  davon  ?  Selbst  wenn  der  Herr  Marquis  und  seine 
Freunde  —  um  auch  diese  tollste  Laune  des  Schick- 
sals auszudenken  —  vom  Glück  begünstigt  würden  .  .  . 
der  Herr  Herzog  würde  seinen  Sieg  nicht  mehr  er- 
leben. 

HELENE.    Ich  aber  lebe  .  .  . 

ASSALAGNT.  Die  Gott  bewahren  wird,  mit  der 
Erbschaft  einer  großen  Seele  auch  die  eines  unseligen 
Wahns  anzutreten. 

HELENE.  Sie  laufen  in  Ihren  Kreis  wieder  ein, 
Doktor  Assalagn^.  Wenn  unsre  Sache  triumphiert, 
so  ist  sie  ja  kein  Wahn  gewesen. 

ASSALAGNT.  Auch  der  Triumph,  wenn  er  käme, 
wäre  nichts  beßres,  Frau  Marquise,  als  ein  Wahn  von 
andrer  Art.  —  Sein  Gefolge  wäre:  Neue  Sorgen,  neue 
Gefahren  und  dabei  die  Möglichkeit,  daß  alles  Er- 
reichte über  Nacht  wieder  zu  nichte  wird!  Und  ich 
glaube,  Frau  Marquise,  es  gibt  Aussichten  in  Nähen 
und  Fernen,  die  Ihnen  lockender  erscheinen  sollten 
als  die  auf  einen  Sarkophag  in  einer  Königsgruft. 

HELENE.  Sie  sind  im  Geringen  so  kühn  ...  als 
Sie  im  Großen  vorsichtig  sind,  Doktor  Assalagny! 

ASSALAGNT.  Ich  freue  mich  immer  an  der  spitzen 
Anmut  Ihrer  Antworten,  Frau  Marquise.  Aber  sollten 
Sie  nicht  endlich  merken,  daß  hier  einer  vor  Ihnen 
•teht,  dem  ein  wahres  Antlitz  sich  so  wenig  hinter  den 


2ia 


leichten  Schleiern  des  Witzes  als  hinter  dem  drohenden 
Visier  der  Überlegenheit  zu  verstecken  vermag? 

HELENE.  Und  das  wahre  Antlitz,  das  Sie  zu  sehen 
glauben  ? 

ASSALAGNT.  Ist  ein  junges  Frauenantlitz,  darin 
wie  in  andern  sanftem  die  Sehnsucht  nach  einem 
Frauenglücke  schimmert. 

HELENE.  Glück  .  .  .  Was  Leute  Ihresgleichen 
Glück  nennen,  das  mag  für  andre  eben  gut  genug  sein, 
die  furchtbar  leeren  Stunden  der  Erwartung  aus- 
zufüllen. 

ASSALAGNT.  Ob  sie  Erwartung,  ob  sie  Er- 
füllung bedeutet,  weiß  es  denn  die  Stunde  selber? 
Man  könnte  einer  Krone  entgegengeträumt,  ja,  man 
könnte  sie  errungen  haben  —  und  an  einem  späten  Tag 
entdecken,  daß  der  reichste  Augenblick  von  allen  einer 
war,  da  man  in  einem  Frühlingsgarten  nach  Schmetter- 
lingen haschte.  Die  schlimmste  Art  ein  Glück  zu  ver- 
säumen ist,  CS  nicht  glauben,  da  man  es  erlebt.  Ich 
wünschte  sehr,  Frau  Marquise,  daß  Ihnen  dergleichen 
nicht  begegne.  Wagen  Sie  es,  die  Schönheit  der  Stunde, 
die  Ihnen  eben  bevorsteht,  ganz  zu  empfinden.  Ich 
weiß,  wen  Sie  erwarten,  Frau  Marquise! 

HELENE.  Nun  ja  —  Sie  haben  ihn  gesehn,  Doktor 
Assalagny,  und  Sie  sind  ja  einer,  der  sich  berufen 
glaubt,  Menschen  auf  den  ersten  Blick  zu  erkennen. 
Sollte  es  Ihnen  entgangen  sein,  welcher  Art  die  Ver- 
heißungen sind,  die  aus  seinen  Augen  blitzen  ?  Ein 
Geliebter  .  .  .  denken  Sie!  Mag  sein.  Doch  daß  er  zu 
hassen  vermag,  scheint  mir  seines  Wesens  besserer  Teil. 

ASSALAGNT.  Fürchten  Sie  nicht,  daß  diese  Worte 
Ihrem  eigenen  Schicksal  eher  Vorbedeutung  sein 
könnten,  Frau  Marquise,  als  einem  andern  ? 

HELENE.  Ich  werde  darüber  nachdenken,  wenn 
ich  allein  bin,  Doktor  Assalagny  .  . . 

ASSALAGNT.  Gute  Nacht,  Frau  Marquise.  Ergebt. 

HELENE.    Gute  Nacht!  — 

HELENE  allein.  Will  SO  einer  tiefer  in  mich  schaun 


313 


als  ich  selbst?  Glänzte  heute  morgen  in  meinen 
Blicken  andres  als  meine  Seele  wußte  .  .  ?  Bebte  gar 
in  meiner  Stimme  die  Sehnsucht  nach  dem  Glück,  das 
der  Armselige  da  mir  anpries  ?  So  soll  er  wenigstens 
nicht  vergebens  hier  gewesen  sein.  Aus  dem  zweck- 
trüben Wirbel  seiner  Worte  schnellt  eins  empor,  dessen 
gemeine  Weisheit  mir  nicht  verloren  sein  soll.  Die 
Stunde  des  Glücks  sei  nicht  versäumt!  Medardus!  .  .  . 
Ich  will  nichts  denken  als  ihn  .  .  .  nur  ihn  .  .  .  und 
nichts,  als  daß  diese  Stunde  ihm  gehört  .  .  .  Den  Duft 
dieses  Gartens  will  ich  atmen,  eintrinken  die  Stille 
dieser  Nacht,  meine  Arme  ausbreiten,  meinen  Gürtel 
lösen  für  den  Erwarteten,  den  Gehebten.  Medardus  .  .  . 
Ich  fühle  dein  Kommen.  Vergangenes  und  Künftiges 
schweigt!  Nur  die  Stunde  klingt  und  rauscht  durch 
die  Nacht.  Heilige  Stunde,  losgelöste,  einsame  in 
der  Zeit,  du  bist  mein. 

Die  Tür  öffnet  sieb.     Medardus  herein. 

HELENE  ihm  entgegen.   Medardus  .  .  . 

MEDARDUS  an  der  Türe  sUben  bleibend.  Hier  bin  ich. 
Was  ist  Ihre  Absicht,  Prinzessin  ?  Steckt  der  Herr 
Marquis  hinter  dem  Vorhang  ?  Oder  denken  Sie  mich 
morgen  früh  von  Ihren  Dienern  umbringen  und  im 
Park  begraben  zu  lassen  ?  All  das  kann  ohne  die  ge- 
ringste Gefahr  geschehn.  Hier  ist  Ihr  Brief.  Er  wirft 
ibn  bin. 

HELENE.    Medardus  —  ich  liebe  dich! 

MEDARDUS.  Oder  ist  eine  mildere  Abrechnung 
vorgesehn  ?  Sind  Guckfenster  in  der  Decke  und  ist 
das  Gesinde  bestellt,  um  seinen  Spaß  an  mir  zu  haben? 

HELENE.    Medardus,  ich  liebe  dich  .  .  . 

MEDARDUS.  Ich  bin  auf  aUes  gefaßt.  Und  es 
gibt  kein  Schicksal,  das  ein  Narr,  wie  ich  es  bin,  nicht 
als  ein  wohlverdientes  hinnehmen  müßte! 

HELENE.  Glaubtest  du  die  Tollheiten  alle,  so 
wärst  du  nicht  da.  Ich  liebe  dich,  Medardus.  Und 
du  bist  gekommen.  Ich  hab'  es  gewußt.  Wie  werden 
wir  glücklich  sein!  . . . 


214 


MEDARDUS.  Glücklich!  —  Das  werden  wir  nicht 
.  .  .  Wir  haben  zu  viel  zu  vergessen!  .  . .  Du  und  ich! 

—  Kein  Glück  für  uns,  Helene  .  .  .  Rausch  .  .  .  Traum 
.  .  .  Tod  .  .  .  doch  kein  Glück  . .  . 

HELENE.    Die   Stunde  ist  unser,   Medardus!  — 
Ich  vergesse  was  war  —  und  was  sein  wird !  Du  und  ich 

—  und  diese  Stunde.  —  Ich  weiß  nichts  andres  . . . 
Ich  liebe  dich,  Medardus! 

Vtrbang. 


VIERTER  AUFZUG 
Erste  Szene 

Das  Zimmer  hei  Frau  Kläbr  wie  im  Vorspiel.  —  Morgen.  —  Frau 

Kläbr  am  Mitteltisch  eben  damit  beschäftigt,  aus  einer  Kanne  Raffet 

in  zwei  Tassen  zu  gießen. 

DAS  DIENSTMÄDCHEN  kommt  ziemlich  abgerissen  mit 
tiner  Semmel  in  der  Hand. 

FRAU  KLÄHR.  Na  endHch.  —  Ja,  um  Gottes- 
willen, wie  schaust  du  denn  aus  ? 

DIENSTMÄDCHEN.  Wie  soll  m^  denn  anders 
ausschaun,  Frau  KJähr?  Man  muß  ja  froh  sein,  daß 
man  überhaupt  lebendig  aus  dem  furchtbaren  Ge- 
dräng' herauskommt.  Einen  Burschen  hat  die  Wache 
abgeführt,  weil  er's  Messer  gezogen  hat. 

FRAU  KLÄHR  ihr  die  Semmel  aus  der  Hand  nehmend.  Und 
das  ist  alles,  was  du  mitbringst  — ? 

DIENSTMÄDCHEN.  Ja!  und  darum  steht  man 
seit  drei  Uhr  früh  dorten  und  wird  am  End'  so  zu- 
gericht'!    Sie  weint. 

FRAU  KLÄHR.  Und  was  ist  denn  mit  dem  Fleisch  ? 

DIENSTMÄDCHEN.  Noch  keins  da.  Vielleicht, 
daß  sie  gegen  Mittag  was  kriegen,  meint  der  Gesell. 
Von  Ungarn  her. 

Major  Trembly  bequem  in  Bluse,  mit  verbundenem  Kopf  aus  dem 
Nebenzimmer. 

TREMBLT.    Guten  Morgen,  Frau  Klähr. 

FRAU  KLÄHR.  Guten  Morgen,  Herr  Major.  Da 
steht  Ihr  Kaffee,  aber  ««/  die  Semmel  das  ist  alles,  was 
sonst  zu  haben  war. 

DIENSTMÄDCHEN.  Und  so  kommt  man  zu 
Haus  .  ..\  Ab. 

TREMBLT  setzt  sich  an  den  Tisch.  Wir  wollen  redlich 
teilen,   Frau   Klähr.    Bricht  die  Semmel  entzwei. 

FRAU  KLÄHR.  Ich  danke.  Vor  aUem  will  ich 
nach  dem  Herrn  Rittmeister  sehn,  es  ist  wohl  Zeit,  den 
Verband  zu  wechseln. 


216 


TREMBLT.  Bleiben  Sie  lieber,  Frau  Klälir.  Mein 
armer  Kamerad  schlummert  jetzt,  sozusagen.  Ich 
kenne  diese  Atemzüge,  Er  hat  keine  Stunde  mehr 
zu  leben.  Lassen  wir  ihn  ruhig  hinüberschlummern. 
Er  trinkt. 

FRAU  KLAHR  verwundert  über  Iremblys  Gelassenheit. 
Ich  dachte,  Sie  wären  sehr  befreundet  mit  dem  Herrn 
Rittmeister  ? 

TREMBLT.  War  ich  auch.  Man  gewöhnt  sich 
dran,  seine  Freunde  sterben  zu  sehen,  in  unserm 
Beruf. 

FRJU  KLÄHR.  Wie  viele  Schlachten  mögen  Sie 
schon  mitgemacht  haben? 

TREMBLT.  Wenn  ich  alle  mitrechne,  neunund- 
zwanzig. Aber  so  furchtbar  wie  diese  letzte  hab'  ich 
noch  keine  gesehn,  das  ist  wahr.  Und  ich  bin  doch  bei 
Jena  und  AusterUtz  dabei  gewesen.  Ihre  Lands- 
leute haben  sich  brav  geschlagen  —  das  muß  man 
sagen.  Wenn  Napoleon  immer  solche  Gegner  gefunden 
hätte  .  .  . 

FRAU  KLÄHR.  War'  er  wohl  nicht  der  große 
Feldherr  geworden,  für  den  man  ihn  bis  vor  acht 
Tagen  gehalten  hat. 

TREMBLT.  Nicht  so,  Frau  Klähr  ...  So  wüßte 
man  eben,  daß  er  ein  noch  größerer  ist  —  als  wir  heute 
wissen. 

FRAU  KLÄHR.  Sind  Sie  dessen  so  sicher,  Herr 
Major  .  .  ?  Nun  hat  er  ja  doch  seinen  Meister  gefunden. 
Der  Glaube  an  seine  Unüberwindlichkeit  ist  vorbei. 

TREMBLT.  Ihr  Erzherzog  Karl  hat  diesmal  den 
Sieg  davongetragen,  das  ist  nicht  zu  leugnen.  Ein 
andrer  wär's  auch  nicht  imstand  gewesen  .  .  .  Die  Art 
ist  beinah  so  selten,  denk'  ich,  wie  die  Napoleons  .  .  . 
Ein  Held,  liebe  Frau  Klähr  .  .  .  und  im  rechten  Augen- 
blick .  .  .!  darauf  kommt  es  wohl  an  .  .  .  Ich  hab'  es 
mit  eigenen  Augen  gesehn,  wie  er  die  Fahne  eines 
Bataillons  ergriff,  das  schon  beträchtlich  zu  wanken 
begonnen  hatte,  und  es  mitten  in  unsre  Reihen  führte. 


«7 


Nur  glaub'  ich,  daß  dieser  Sieg  für  Sie  und  Ihre  Lands- 
ieute teuer  erkauft  sein  wird.  Er  schiebt  die  Ent- 
scheidung hinaus,  das  ist  alles  .  .  . 

FRAU  KLAHR.  Man  wird  sehen,  Herr  Major  . . . 
Unterbricht  sich,  lauscht^  als  hörte  sie  von  drin  etwas. 

TREMBLT.    Es  ist  nichts. 

FRAU  KLÄHR.  Wird  der  Herr  Regimentsarzt 
nicht  bald  kommen  ? 

TREMBLT.  Tax  so  überflüssigen  Besuchen  hat  er 
keine  Zeit  mehr  .  .  .  Wir  sind  beide  aus  seiner  Behand- 
lung entlassen. 

FRAU  KLÄHR.  Gibt's  denn  gar  so  viel  gefähr- 
lich Verwundete  in  der  Stadt? 

TREMBir.    Sie  fragen? 

FRAU  KLÄHR.  Man  erzählt,  daß  Ihr  Kaiser  schon 
während  der  Schlacht  den  Befehl  gegeben  habe,  alle 
tödhch  Verwundeten,  auch  die  eigenen,  in  die  Donau 
zu  werfen. 

TREMBLT.  Sie  sollten  nicht  alles  glauben,  was 
die  Leute  erzählen.  Und  manches  Unglaubliche,  das 
wahr  sein  mag,  besser  verstehen.  Ich  für  mein  Teil 
würde  mir  nichts  andres  wünschen.  Schade,  daß  nicht 
immer  ein  Fluß  in  der  Nähe  ist. 

FRAU  KLÄHR.  Vielleicht  kommt  Ihr  großer 
Kaiser  auf  den  Einfall,  daß  ein  brennender  Holzstoß 
dieselben  Dienste  täte. 

TREMBLT.  Frau  Klähr,  Sie  lassen's  doch  einiger- 
maßen an  gerechter  Beurteilung  dieses  Mannes  fehlen. 
Erbebt  sieb.  Nun  will  ich  wieder  gehen,  auf  eine  Weile 
den  letzten  Schlummer  meines  Freundes  bewachen. 

FRAU  KLÄHR.  Sie  müssen  mittags  zur  Parade, 
Herr  Major  .  .  .  ? 

TREMBLT.  Jawohl,  hebe  Frau  Klähr.  Meine 
Uniform  ist  ja  wieder  vortrefflich  instand,  wofür  ich 
auch  Ihnen  zu  danken  habe,  verehrte  Todfeindin.  Doch 
was  ich  noch  sagen  wollte,  ist  Ihr  Herr  Sohn  zu  Hause  ? 

FRAU  KLÄHR.  Noch  nicht,  Herr  Major.  Oder 
nicht  mehr.    Ich  weiß  nicht  .  . . 


2l8 


TREMBLT.  Ihm  ist  mein  armer  Freund  vielen 
Dank  schuldig.  So  viele  Stunden  saß  er  drin  an  seinem 
Bett,  plauderte  mit  ihm,  las  ihm  sogar  vor  in  den  ersten 
Tagen,  da  es  sich  noch  nicht  so  zum  Schlimmen  ge- 
wandt hatte.  Derue  hat  ihn  wirklich  in  sein  Herz  ge- 
schlossen. Wenn  ich  zu  früh  fort  müßte,  Frau  Klähr, 
so  bitten  Sie  Ihren  Herrn  Sohn  in  meinem  Namen, 
bei  meinem  Freunde  zu  bleiben,  bis  —  alles  vorbei  ist. 
Herr  und  Frau  Berger  kommen, 

BERGER.  Guten  Morgen.  O  guten  Morgen,  Herr 
Major.  Verbindlich.  Darf  ich  mir  die  Frage  erlauben,  vfit 
sich  Ihr  tapferer  Herr  Kamerad  befindet  ? 

TREMBLT.    Nicht  zum  besten,  Herr  Berger. 

BERGER.  Schade,  schade.  Tut  mir  wirklich  sehr 
leid.  Es  wird  den  Herrn  Major  vielleicht  interessieren^ 
vor  einer  halben  Stunde  ist  der  Marschall  Lannes  in 
der  Hofburg  seinen  Verwundungen  erlegen. 

TREMBLT.    Man  war  darauf  gefaßt. 

BERGER.  Das  wird  Sr.  Majestät  sehr  nahe  gehn. 
Der  Marschall  soll  ja  ein  besonderer  Liebling  Sr.  Maje- 
stät gewesen  sein. 

TREMBLT.    Er  war  ein  ausgezeichneter  General. 

BERGER.  Ja,  das  war  ein  Tag!  oder  vielmehr  zwei 
Tage,  Herr  Major  ...  da  werden  noch  die  Kinder 
und  Kindeskinder  dran  denken!  Ich  weiß  nämlich 
auch  was  davon  zu  erzählen:  ich  hab'  zug'schaut. 

TREMBLT.  Ja,  man  sagt,  daß  wir  auf  den  Türmen 
ein  sehr  aufmerksames  Publikum  gehabt  haben  .  .  . 

BERGER.  Ich  war  auf  keinem  Turm,  Herr  Major 
—  ich  war  bei  einem  guten  Bekannten  auf  der  Mölker- 
bastei, der  hat  mich  mit  aufs  Dach  genommen,  hat 
mir  auch  sein  Fernrohr  geliehn.  Es  gehört  freilich 
eine  gewisse  Übung  dazu,  durch  so  ein  Instrument 
was  zu  sehn.  Aber  einmal  hab'  ich  ganz  deutUch  eine 
Kavallerieattacke  beobachtet,  da  hat  man's  blitzen 
g'sehn  und  wirbeln  —  und  alles  war  Rauch  und  Staub 
.  .  .  und  plötzlich  war  wieder  gar  nichts  da  —  wi* 
wegg'wischt   die   ganze   Abteilung.     Ich   weiß   nicht, 


219 


waren*s  unsrige  —  oder  waren  es  die  werten  Feinde  . . . 
aber  wie  großartig  das  ausg'schaut  hat ...  da  haben 
Sie  keine  Ahnung,  Herr  Major.  Verlegen  lachend.  Das 
heißt,  entschuldigen,  Herr  Major  .  .  . 

TREMBLT.  Von  einem  Dach  aus  hab'  ich  so  was 
wirklich  noch  nie  gesehn.  Adieu,  Herr  Berger.  Guten 
Tag,   meine  Damen.     Ab  ins  Nebenzimmer. 

BERGER.  Ein  sehr  umgängücher  Herr.  Wirklich, 
wenn  er  auch  ein  Franzos'  ist,  es  freut  mich,  daß  sie 
ihm  den  Schädel  nicht  ganz  eingeschlagen  haben.  Ob- 
zwar  —  die  Folgen  zeigen  sich  manchmal  erst  später. 

FRAU  BERGER.  Und  der  andre  da  drin  ?  Geht's 
dem  wirklich  so  schlecht? 

FRJU  KLAHR.    Ja,  es  geht  zu  Ende. 

FRAU  BERGER.  Die  bei  uns  einquartiert  waren, 
die  drei,  von  denen  ist  keiner  zurückgekommen. 

BERGER.  Macht  nichts,  heut  kriegen  wir  schon 
wieder  neue.  Nassauer,  heißt's.  Ja,  man  kommt  nicht 
zur  Ruhe,  es  ist  schrecklich.  Zu  Frau  Berger.  Hast  schon 
der  Frau  Klähr  erzählt,  daß  wir  grad  in  der  Reit- 
schul' waren  bei  der  Anna  —  in  der  Reitschul',  haha  .  .  . 
das  ist  jetzt  ein  ganz  neues  Wörterbuch,  Reitschul' 
sagt  man  und  meint  Spital,  Hofstallung  sagt  man  und 
meint  Gefängnis,  Kapuzinerkirchen  sagt  man  und 
meint  Wachstuben  .  .  . 

FRAU  BERGER.  Ob  man  dafür  nicht  wenigstens 
ein  andres  Lokal  hätt'  finden  können! 

FRAU  KLÄHR.  Wie  geht's  denn  der  Anna  ?  Wie 
hält  sie  denn  den  Dienst  aus  ? 

BERGER.  Wir  haben  grad  nur  einen  Zipfel  von 
ihrer  weißen  Hauben  g'sehn.  Drei  Tag'  und  drei 
Nacht'  ist  sie  nicht  aus  den  Kleidern  gekommen.  Armes 
Mädl!    Hat  sie  das  nötig  g'habt,  frag'  ich? 

FRAU  BERGER.  Sie  haben  ja  da  eine  halbe  Semmel 
Frau  Klähr  —  wo  haben  Sie  denn  die  gekriegt? 

FRAU  KLÄHR.  Leicht  ist's  nicht  gewesen.  Von 
drei  Uhr  in  der  Früh'  an  war  die  Kathi  ang'stellt,  und 
mit  ganz  zerfetzten  Kleidern  ist  sie  nach  Haus  ge- 


220 


kommen.     Die   hungrigen   Augen    der   Frau   Berger   bemerkend. 
Wollen  Sie  sie  haben  ? 

FRAU  BERGER.    Ich  will  Sie  nicht  berauben. 

FRAU  KLÄHR.    Nehmen  Sie  nur,  Frau  Berger. 

FRAU  BERGER.  Also  wenn  Sie  erlauben,  Frau 
Klähr  ißt  die  Semmel.  Wir  haben  seit  acht  Tagen  kein 
Gebäck  im  Haus  g'habt, 

BERGER.  Ein  Glück,  daß  unsre  Einquartierung 
das  nicht  erlebt  hat.  Die  haben  ja  nie  genug  gehabt. 
Die  warn  schön  grob  geworden,    Friede  ihrer  Asche! 

FRAU  BERGER.  Wissen  S',  Frau  Klähr,  das  Pfund 
Kalbfleisch  kostet  einen  Gulden,  wenn  man's  kriegt. 
Geben  Sie  acht,  Hungersnot  kommt  auch  noch.  Kein 
Wunder,  wenn  man  aus  den  Kirchen  Wachstuben 
macht.  Und  keine  Fronleichnamsprozession  ist  heuer 
auch  nicht. 

BERGER.  Es  gibt  eh'  schon  Leut',  die  am  Ver- 
hungern sind.  Die  Gefangenen,  die  unsrigen  näm- 
lich, die  kriegen  überhaupt  so  gut  wie  nix  zum  essen. 
Viele  laufen  auf  der  Straßen  herum  und  betteln.  Aber 
die,  wo  sie  leider  Platz  haben  zum  Einsperren,  die 
lamentieren,  daß  man's  bis  auf  die  Straßen  hört. 
Gestern  war  ja  deswegen  so  ein  Auflauf  am  Spittel- 
berg.  Haben  Sie  nichts  davon  gehört,  Frau  Klähr? 
Der  Tischlermeister  Teil  ist  verhaftet  worden  bei  der 
Gelegenheit. 

FRAU  KLÄHR.  Ja,  davon  hab'  ich  gehört;  —  aber 
warum,  weiß  ich  nicht. 

BERGER.  Er  hat  nämlich  die  Wach'  vor  den  Hof- 
stallungen gehabt  als  Hauptmann  von  der  Bürger- 
wache, da  ist  grad  ein  französischer  Offizier  von  den 
Grenadieren  vorbeigekommen,  dem  hat  der  Teil  die 
Leut'  nicht  energisch  und  grob  genug  auseinander- 
gejagt, fangt  der  Offizier  an  zu  schrein  und  zu  schimp- 
fen, und  endlich,  da  zieht  er  gar  den  Säbel,  der  freche 
Kerl  —  oha  —  zieht  den  Säbel  leise  gegen  die  Wache, 
gegen  unsre  Bürgerwache  .  .  .  der  Teil  aber  nicht 
faul,  reißt  ihm  den  Säbel  aus  der  Hand,  bricht  ihn 


221 


über  seinem  Knie  mitten  entzwei  und  wirft  ihm  die 
Stücke  vor  die  Fuß'  hin.  Na,  und  da  haben  s'  ihn  dann 
natürlich  in  Arrest  geführt,  den  Teil.  Aber  den  Offizier 
auch.     Bitte,  was  wahr  is,  is  wahr. 
Medardus  tritt  ein. 

MEDARDUS.  Guten  Morgen!  Guten  Morgen, 
Mutter!  Er  küßt  ihr  die  Hand.  Wie  geht's  dem  Ritt- 
meister ? 

FRAU  KLÄHR.  Der  Major  Trembly  hält  Wache 
drin  an  seinem  Sterbebett. 

MEDARDUS.  Ist  es  so  weit?  Ich  dacht'  es  mir 
gestern  abend.  Ich  glaube  nicht,  daß  er  einen  schweren 
Tod  zu  sterben  hat.  Gestern  in  seinen  Phantasien  war 
er  in  der  Heimat,  bei  Frau  und  Kindern,  und  dann 
schien  es  ihn  immer  weiter  zurückzutragen  —  bis 
in  die  eigne  Kindheit,  —  sein  Gesicht  war  auch  ganz 
heiter,  kindlich  geradezu.  Zu  so  was  Schönem,  als 
er  da  geträumt  haben  muß,  würde  er  kaum  wieder 
erwacht  sein. 

BERGER.  Sagen  Sie,  Medardus,  haben  Sie  denn 
gar  keine  Angst,  daß  Sie  wer  bei  den  Franzosen  an- 
zeigt, —  weil  Sie  doch  eigentlich  von  der  Kapitulation 
her  ein  Kriegsgefangener  wären  ?  .  .  . 

MEDARDUS.  Ah  nein,  mir  geschieht  nichts  .  .  . 
da  können  Sie  ganz  ruhig  sein,  Herr  Berger. 

FRAU  BERGER.  Das  Annerl  laßt  Sie  schön  grüßen, 
Medardus. 

MEDARDUS.   Dankeschön.   Wie  geht's  ihr  denn  ? 

FRAU  BERGER.  Wie's  einer  Wärterin  im  Spital 
halt  gehn  kann,  die  drei  Tag'  und  drei  Nacht'  kein  Äug' 
zugetan  hat. 

MEDARDUS.  Das  arme  Kind!  Wie  muß  ihr  da 
zumute  sein  —  gar  an  solch  einem  schönen  Sommer- 
tag! 

BERGER.  Ich  sag's  ja  auch:  hat  sie's  nötig?... 
Übrigens  von  dem  schönen  Sommertag  haben  wir  alle 
nicht  viel.  Mit  Landpartien  ist  nichts  in  dem  Jahr!  .  .  . 
Weiter   als   bis   Hütteldorf   dürfen   wir  ja   gar   nicht 


232 


heraus  . . .  Meine  Herrschaften,  wir  sind  im  Grund 
doch  alle  Gefangene  .  .  .  Schlimme  Zeiten !  schlimme 
Zeiten!  Jetzt  soll  schon  wieder  eine  neue  Zwangs- 
anleihe eingehoben  werden.  Ich  frag'  nur,  woher!? 
Wir  werden  noch  alle  betteln  gehen,  sag'  ich  Ihnen, 
Frau  Klähr!  Und  was  man  so  vom  Land  draußen 
hört,  plündern  tun  sie  und  Häuser  anzünden  und  noch 
allerlei  —  was  man  vor  den  Damen  gar  nicht  sagen 
kann.    Besonders  die  Portugiesen  sollen's  arg  treiben! 

E1ZEL1  berein.  Guten  Morgen!  —  Eben  höre 
ich,  daß  sie  dem  Peter  Teil  freigelassen  haben,  noch 
gestern  abend. 

BERGER.    Ist  es  möglich? 

BERGER.  Ich  sag's  ja,  der  gute  Wille  ist  nicht  zu 
verkennen  .  .  .  Und  der  Respekt !  .  .  .  Seit  Aspern 
wissen  sie  halt,  mit  wem  sie's  zu  tun  haben!  ...  Ja, 
der  Erzherzog  Karl  —  das  ist  schon  einer  .  .  .  Wenn 
man  nur  wüßt',  worauf  er  jetzt  wart'  .  .  .  Also  komm 
au  Frau  Berger.  —  Adieu,  Frau  Klähr  .  .  .  ich  muß 
noch  auf  eine  halbe  Stund'  ins  G'schäft,  und  dann 
nachschaun,  ob  sich's  die  Nassauer  vielleicht  schon 
bequem  gemacht  haben  bei  uns.  Und  später  geh'  ich 
hinaus  nach  Meidling. 

E1ZEL1.  Was  haben  Sie  denn  in  Meidling  zu  tun, 
Herr  Berger? 

BERGER.  Große  Parad'  heut,  Napoleon  hält  sie 
persönlich  ab.  Hoffentlich  seh'  ich  ihn  einmal  in 
der  Näh'. 

FRAU  KLÄHR.  Das  wird  wohl  kaum  möglich  sein. 

BERGER.  Warum  denn  ?  Es  ist  nicht  gar  so  streng 
mit  der  Absperrung.  In  Schönbrunn  draußen,  da 
stehn  die  Leut'  bis  ganz  knapp  am  Wagen,  wenn  er 
einsteigt .  .  .  Und  bis  auf  die  Treppe  hinauf  drängen 
«ie  sich,  wenn  er  herunterkommt  .  .  .  Und  bei  der 
letzten  Parade,  drei  Tag'  vor  Aspern,  war  überhaupt 
kein  Kordon. 

FRAU  KLÄHR.  Muß  er  sich  nicht  für  gefeit 
halten?    Oder  kennt  er  seine  lieben  Wiener  so  gut? 


223 


FRAU  BERGER.  Aber  um  Gottes  willen,  Frau 
lOähr  .  .  .  wenn  man  Sie  da  drin  hört! 

BERGER.  Ah,  der  Major,  das  ist  ein  Ehrenmann. 
Der  zeigt  niemanden  nicht  an.  Sonst  ging  der  Medar- 
dus  nicht  so  gemütlich  als  ein  freier  Zivilist  in  Wien 
spazieren!    Habe  die  Ehre! 

FRAU  KLÄHR.  Ich  habe  in  der  Stadt  zu  tun,  ich 
geh'  gleich  mit  Ihnen.  Zu  Medardus.  Der  Major  wird  bald 
weggehn,  er  läßt  dich  bitten,  ihn  bei  seinem  Kameraden 
abzulösen. 

Frau  Kläbr,  Berger  und  Frau  Berger  ab. 
Etzelt.     Medardus. 

ETZELT.  Ich  muß  auch  wieder  hinunter,  nach 
dem  Geschäft  sehn.    Leb'  wohl,  Medardus. 

MEDARDUS  heiter.  Was  blickst  du  mich  so  von 
der  Seite  an,  Etzelt  ?  Es  gibt  nichts  Verdächtiges  und 
nichts  Geheimnisvolles  an  mir.  Ich  bin  daheim  auf 
Erden  und  ein  so  simpler  Nachbar  wie  irgendwer. 
Glaub'  mir,  Etzelt,  es  gab  für  brave  Menschen,  wie  du 
einer  bist,  nie  gelegenere  Zeit,  sich  mit  mir  zu  verstehn. 

ETZELT.  Ich  versteh'  dich  vielleicht  besser  als 
je,  aber  es  gab  eine  Zeit,  da  ich  dich  mehr  liebte, 
Medardus. 

MEDARDUS.  Sonderbarer  Mensch,  dem  in  seiner 
Freundschaft  nur  wohl  wird,  wenn  Unbill  oder  Sorge 
sie  auf  schlimme  Proben  stellen.  Aber  ich  denke,  du 
mußt  nur  ein  wenig  Geduld  haben,  Etzelt,  denn  was 
jetzt  ist,  kann  nicht  dauern.  Das  Gestern  ist  so  ferne 
wie  der  Tag,  da  die  Welt  erschaffen  wurde,  das  Morgen 
ferne  wie  der  Tod,  —  so  ruh'  ich  in  meinem  Glück. 
Das  kann  nicht  dauern,  Etzelt!  — 
Escbenbacber  tritt  ein. 

ESCHENBACHER.  Guten  Morgen!  Ich  habe 
eine  Neuigkeit  zu  vermelden,  für  die  —  die's  etwa 
nicht  vorher  gevnißt  hätten. 

ETZELT.    Eine  gute  scheint's  ja  nicht  zu  sein  .  .  . 

ESCHENBACHER.  Nicht  schlechter  als  hundert 
andre.    Den  Tischlermeister  haben  sie  erschossen. 


224 


ETZELT.    Den  Peter  Teil,  ist  es  möglich? 

ESCHENBACHER.  So  hieß  er,  da  er  die  Stühle 
leimte,  und  auf  dem  Grabstein  wird's  wohl  nicht  anders 
stehn.  Wenn  ich  einem  die  heitre  Laune  stören  sollte 
mit  der  Nachricht,  so  bitt'  ich  um  Vergebung.  Wer 
kann,  mag  weiter  an  Sommerluft,  Wein  und  Frauen- 
zimmern sich  erfreun. 

ETZELT.  Sind  Sie  nicht  falsch  berichtet,  Herr 
Eschenbacher  ?  Ich  weiß  es  aus  guter  Quelle,  sie  haben 
ihn  freigelassen  gestern  abend. 

ESCHENBACHER.  Die  Quelle  ist  gut;  nur  gleich 
daneben  fheßt  eine  andre,  die  ist  noch  besser.  Heut 
früh  um  fünf  haben  sie  ihn  aus  dem  Bett  geschleppt 
an  die  Mauer  vom  Jesuitenhof  hingestellt  und  er- 
schossen. Soeben  trug  man  seinen  Leichnam  an  mir 
vorüber;  ist  die  Quelle  klar  genug? 

ETZELT.  Warum  haben  sie  das  nur  getan  ?  Wenn 
er  sich  auch  vergangen,  es  war  mit  ein  paar  Tagen 
Arrest  zu  sühnen. 

ESCHENBACHER.  Warum?  Sie  haben  die  Macht 
und  lassen  sie  uns  fühlen. 

ETZELT.  Und  fühlen  dieser  Macht  sich  selber  doch 
nicht  ganz  sicher.  Ja,  dies  scheint  mir  die  tiefere  Ur- 
sache dieser  frevelhaften  Willkür.  Ich  meine,  es  muß 
ihnen  bei  Aspern  doch  noch  viel  schlimmer  ergangen 
sein,  als  uns  hier  bekannt  ist! 

ESCHENBACHER.  Reden  Sie  lieber  nicht  von 
Aspern,  Etzelt.  Wir  sollten  alle  wünschen,  daß  uns 
nicht  noch  ein  solcher  Sieg  beschieden  wäre.  Er  be- 
deutete ein  paar  jammernde  Witwen  und  hungrige 
Waisen  mehr,  —  wie  es  enden  muß,  wissen  wir  doch  alle. 

ETZELT.  Sie  sehen  zu  trüb',  Meister  Eschenbacher. 
Ich  bin  fest  überzeugt,  daß  Österreich  nicht  mehr 
lang  allein  im  Kampfe  bleibt.  Nur  darum  zögert  der 
Erzherzog  mit  einem  neuen  Schlag.  Weshalb  denn 
sonst  ?  Es  scheint  ja  auch,  daß  Preußen  sich  endlich 
entschlossen  hat,  mit  uns  gemeinsame  Sache  zu  machen. 
Der  Prinz  von  Oranien  soll  drüben  im  Hauptquartier 

Tbeatentücke.  IV,  15  225 


sein.  Ich  kann  mir  nun  einmal  nicht  helfen,  Meister 
Eschenbacher,  ich  bin  voll  Hoffnung.  Aspern  war  ein 
großer  Anfang.  Warten  wir  nur  ab.  Vielleicht  war 
der  Teil  eines  der  letzten  Opfer,  das  fallen  mußte. 

ESCHENBACHER.    Schreiben  Sie's  ihm  auf  den 
Grabstein;  so  wird  er  süßer  träumen!  — 
Der  Gehilfe  stürzt  atemlos  herein. 

GEHILFE.    Sie  sind  da,  Herr  Etzelt  — ! 

E1ZELT.    Wer  ist  da? 

GEHILFE.  Militär,  Herr  Etzelt,  Hausdurch- 
suchung. Verzeihn  Sie,  Herr  Etzelt,  aber  ich  habe 
mir  wirklich  nicht  helfen  können,  ich  hab'  ihnen  die 
Schlüssel  zum  Magazin  geben  müssen. 

ETZELT.    Natürlich  haben  Sie  ihnen  die  Schlüssel 
geben  müssen.    Das  tut  nichts.    Wir  haben  ja  nichts 
Verbotenes.    Er  wechselt  einen  Blick  mit  Eschenbacher. 
Der  bayrische  Leutnant  Moser  tritt  ein  mit  zwei  Mann. 

ETZELT  ihnen  rasch  entgegen.  Bitte  um  Entschul- 
digung, Herr  Leutnant,  dieser  Raum  hier  gehört 
nicht  zur  Buchhandlung. 

LEUTNANT.  Ich  bedaure  sehr,  zu  inkommodieren, 
es  ist  mir  bekannt,  daß  dies  die  Privatwohnung  der 
Buchhändlerswitwe  Klähr  ist,  drum  bin  ich  eben  hier, 
öffnen  Sie  die  Schränke. 

MEDARDUS.  Herr  Leutnant,  meine  Mutter  ist 
nicht  anwesend. 

LEUTNANT.  Das  tut  nichts  zur  Sache.  Zu  den 
Soldaten.  Die  Schränke  auf!  Und  sorgfältig  gesucht. 
Die  Soldaten  befolgen  den  Befehl. 

ETZELT.  Sie  verlieren  Ihre  Zeit,  Herr  Leutnant, 
wir  führen  nichts  Verbotenes. 

LEUTNANT.  Das  wollen  wdr  hoffen.  Sie  sind  der 
Leiter  des  Geschäfts  f 

ETZELT.    Ich  bin  Angestellter,  Herr  Leutnant. 

MEDARDUS.  Alle  Verantwortung  trage  ich,  Herr 
Leutnant,  ich  bin  der  Sohn  der  Frau  Klähr. 

LEUTNANT.  Ganz  recht.  Wohin  führt  diese  Tür  f 
Er  gebt  zur  Tür  linkt. 

226 


TREMBLT  tritt  heraus  tn  voller  Uniform. 

LEUTNANT  stellt  sieb  vor.  Leutnant  Moser,  vom 
bayrischen  Grenadierregiment  Nummer  zwölf. 

TREMBLT.  Major  Trembly.  Was  suchen  Sie  hier, 
Herr  Leutnant  ? 

LEUTNANT.'  Ich  habe  Befehl,  hier  nach  ver- 
botenen Druckschriften  und  Landkarten  zu  vigi* 
lieren. 

TREMBLY.  Hier?  Ich  halte  es  nicht  für  wahr- 
scheinlich, daß  Sie  hier  dergleichen  finden  werden, 
insbesondere  in  meinem  Zimmer. 

LEUTNANT.  Verzeihen  Sie,  Herr  Major,  die 
Leute  wählen  manchmal  die  merkwürdigsten  Ver- 
stecke.   Ich  habe  strengsten  Befehl  .  .  . 

TREMBLT.    Wenn  es  Befehl  ist,  —  bitte. 

LEUTNANT  bleibt  an  der  Tür  stebn.  Oh,  ich  werde 
leider  Ihren  Herrn  Kameraden  stören  müssen. 

TREMBLT.  Das  brauchen  Sie  nicht  zu  besorgen, 
Herr  Leutnant. 

MEDARDUS.    Er  ist  tot  .  .  .  Herr  Major? 

TREMBLT.  Ja.  Und  ich  muß  nun  zur  Parade. 
Auf  dem  Wege  werde  ich  die  Meldung  vom  Tode  des 
Rittmeisters  Derue  erstatten.  Man  wird  den  Leich- 
nam noch  heute  abholen. 

LEUTNANT.  Es  ist  natürlich  nur  der  Form  wegen, 
aber  ich  kann  es  leider  nicht  unterlassen,  wenigsten« 
einen  Blick  ...  Ab. 

Etzelt  und  Escbenbacber  sprechen  nicht  miteinander^  stebn  ziemlich 

entfernt  voneinander.     Etxelt   neben   dem   eiiun   Soldaten^   der  d*n 

Schrank  durchsucht,  Eschenbacher  im  Erker. 

TREMBLT  XU  Medardus.  Mein  Kamerad  hatte  viel 
Freundschaft  für  Sie,  Herr  Klähr.  Auch  ich  bin 
Ihnen  dankbar,  daß  Sie  ihm  manchmal  Ihre  Zeit  ge- 
widmet haben.  Ich  wünsche  sehr,  —  daß  diese  Sache 
keine  weitern  Folgen  für  Sie  nach  sich  ziehe.  Reicht 
ihm  die  Hand.     Ab. 

LEUTNANT  kommt  aus  dem  Zimmer  zurück.  Es  ist  allcS 
in  Ordnung. 

xf»  227 


Ein  bayrischer  Soldat  von  rechts  mit  einem  großen  Buch, 

LEUTNANT.    Was  haben  Sie  da? 

DER   SOLDAT  legt  das  Buch  auf  den  Tisch. 

ETZELT  tritt  dazu.  Es  ist  ein  historischer  Atlas,  wie 
Herr  Leutnant  sehn. 

LEUTNANT  blättert.  Ganz  recht.  So  bewandert 
sind  die  Leute  natürlich  nicht.  Die  Sache  ließe  sich 
übrigens  vielleicht  abkürzen.  Man  wird  so  sorgfältig 
nachsuchen,  daß  uns  gewiß  auch  kein  Blatt  entgehn 
wird,  das  Sie  im  Laden  oder  im  Magazin  vorrätig 
haben  sollten.  Also:  Es  handelt  sich  ganz  besonders 
um  den  Atlas  von  Schrämbel.  Haben  Sie  ein  Exemplar 
von  diesem  Werk  ? 

ETZELT.    Nein,  Herr  Leutnant. 

LEUTNANT.  Ihr  Nein  hilft  uns  nichts.  Da  muß 
eben  weiter  gesucht  werden. 

Ein  bayrischer  Unteroffizier  tritt  rechts  ein. 

UNTEROFFIZIER.  Herr  Leutnant,  ich  melde 
gehorsamst,  die  gesuchten  Landkarten  sind  zur  Stelle 
geschafft. 

LEUTNANT.  Ah  .  .  .  Blick  auf  Etzelt.  Ich  wußte  es 
ja.  Es  hätte  einen  bessern  Eindruck  gemacht . . .  Nun, 
Sie  wollten  es  nicht  anders.  Zum  Unteroffizier.  Wo  sind 
die  Karten  .  .  .  ? 

UNTEROFFIZIER.  Sie  liegen  im  Laden  unten, 
es  sind  zwei  Exemplare. 

LEUTNANT.  Sie  waren  im  Magazin  ?  —  Ach 
nein,  —  Sie  kommen  ja  aus  dem  andern  Haus,  das  uns 
angegeben  wurde. 

UNTEROFFIZIER.    Jawohl,  Herr  Leutnant! 

LEUTNANT.  Also  dort  ?  —  Hätt'  ich  nicht  gedacht. 

UNTEROFFIZIER.  Die  Karten  befanden  sich 
nicht  im  Hause  selbst,  Herr  Leutnant,  sondern  in 
einem  ausgetrockneten  Brunnen  im  Hof  des  Hauses; 
und  es  waren  Steine  darauf  geschichtet.  Drei  Gesellen 
hab'  ich  verhaften  lassen,  der  Herr  des  Hauses  selbst 
ist  flüchtij*. 

ESCHENBACHER.    Das  ist  ein  Irrtum. 


228 


FRAU  KLAHR  kommt  rasch  von  rechts.  Was  geht  hier 
vor,  was  ist  geschehn? 

ETZELT  tritt  rasch  zu  ihr  und  sagt  ihr  ein  faar  Worte. 

ESCHENBACHER.  Der  Herr  des  Hauses  ist  nicht 
flüchtig;  er  steht  vor  Ihnen, 

LEUTNANT.  Sie  sind  der  Sattlermeister  Eschen- 
bacher ? 

ESCHENBACHER.    Ja,  so  heiß'  ich. 

ETZELT.  Man  hat  Ihnen  einen  Possen  gespielt, 
Meister !    Wie  sollen  in  Ihren  Brunnen  .  .  .  ? 

LEUTNANT.  Das  wird  sich  herausstellen.  Ich 
erkläre  Sie  für  verhaftet,  Herr  Eschenbacher. 

MEVARDUS.  Herr  Leutnant,  Eschenbacher  ist 
unschuldig.  Auch  die  Buchhandlung  hat  nicht  das 
geringste  mit  der  Sache  zu  tun;  ich  habe  die  Karten 
schon  vor  Jahren  in  mein  persönHches  Eigentum  über- 
nommen, 

LEUTNANT.  Um  sie  im  Brunnen  des  Herrn 
Eschenbacher  aufzubewahren.  —  Herr  Eschenbacher 
ist  ein  Verwandter  von  Ihnen? 

FRAU  KLAHR.  Er  ist  mein  Bruder.  Und  er  ist 
unschuldig,  besser  als  unschuldig.  Für  mich,  für  uns 
hat  er  sich  in  diese  .  .  , 

LEUTNANT.  Ich  bitte  nicht  .weiter  zu  reden, 
Frau  Klähr.  Für  mich  kommt  ausschließlich  in  Be- 
tracht, wo  diese  Exemplare  gefunden  worden  sind. 

MEDARDUS.  Sie  können  sich  wohl  denken,  Herr 
Leutnant,  daß  nicht  zwei  Exemplare  des  Schrämbel 
bei  einem  Sattlermeister  . .  , 

LEUTNANT.    Oh,  es  gibt  Sammler  aUer  Art. 

MEDARDUS.  Ich  bin  der  Schuldige.  Verhaften 
Sie  mich,  Herr  Leutnant  — 

FRAU  KLÄHR.    Uns  alle  müßten  Sie  verhaften. 

LEUTNANT.  Es  ist  gewiß  sehr  schön,  daß  einer 
für  den  andern  sich  aufopfern  möchte.  Aber  es  handelt 
sich  nicht  darum,  Märtyrer  zu  schaffen,  sondern  darum, 
Gerechtigkeit  zu  üben.  Die  Gefängnisse  hier  sind  wirk- 
lich allzu  überfüllt,  als  daß  man  auch  diejenigen  ein- 


239 


iperren  könnte,  die  sich  selbst  einer  verbotenen  Hand- 
luBg  beschuldigen.  Und  worauf  ich  noch  besonder? 
aufmerksam  machen  möchte,  Herr  Eschenbacher  würde 
keineswegs  straflos  ausgehn  oder  auch  nur  eine  mildere 
Strafe  erleiden,  wenn  diese  Landkarten  sich  nicht 
als  sein  Eigentum  herausstellten.  Herr  Eschenbacher, 
ich  bitte. 

ESCHENBACHER.  Und  meine  Gesellen  haben 
Sie  auch  eingesperrt?    Die  armen  Teufel! 

LEUTNANT.  Man  mußte  sie  vorläufig  in  Haft 
nehmen,  um  so  mehr  als  Sie  abwesend  waren,  Herr 
Eschenbacher.    Vorwärts. 

Die  beiden  Soldaten  haben  Escbenbacber   in   die  Mitte  genommen. 
Bewegen  sieb  mit  ihm  zur  Türe. 

MEDARDUS.  Herr  Leutnant,  Sie  müssen  mich 
verhaften,  es  ist  Ihre  Pflicht.  Ich  bin  ein  Deserteur 
der  österreichischen  Armee. 

LEUTNANT.  Das  heißt,  Sie  sind  ein  Gefangener, 
der  wie  so  viele  hier  frei  herumgeht  und  auf  eigene 
Kosten  lebt.  Überdies  sind  Sie  unbewaffnet.  Ich  habe 
keinen  Anlaß,  von  Ihrer  Selbstanzeige  Notiz  zu  nehmen. 

MEDARDUS.  Herr  Leutnant,  der  Kaiser,  in  dessen 
Namen  und  Auftrag  Sie  hier  stehen,  ist  .  .  . 

LEUTNANT.  —  in  Schönbrunn,  Herr  Klähr. 
Nur  keine  Torheit!  Sie  sind  der  einzige  Sohn  Ihrer 
Mutter. 

FRAU  KLAHR.  Und  Sie,  Herr  Leutnant,  selbst 
ein  Deutscher,  Sie  geben  zu  solchem  Polizeidienst 
sich  her  ? !  Ja,  Napoleon  weiß  euch  nach  Verdienst  zu 
behandeln. 

ESCHENBACHER.  Schwester,  der  Herr  Leutnant 
tut  seine  Pflicht.  Er  tut  nichts  andres,  als  wir  alle  tun. 
Und  deine  PfUcht,  Medardus,  ist  es,  deiner  Mutter 
zur  Seite  zu  stehn,  sie  wird  deiner  bedürfen!  —  Lebt 
wohl,   ihr  Guten!     Ah  mit  Leutnant  und  Soldaten. 

FRAU  KLÄHR.    Sie  werden  ihn  erschießen. 

ET  ZELT.  Ruhe,  Frau  Klähr,  wir  müssen  überlegen, 
was  zu  tun  ist. 


230 


FRAU  KLAHR.  Wir  haben  keine  Zeit...  Ich 
will  zum  Kaiser. 

E7ZELT.  Zu  Napoleon  —  ?  Was  fäUt  Ihnen  ein, 
Frau  Klähr? 

FRAU  KLÄHR.  Was  gibt  es  andres?  Ich  will 
hinaus  nach  Schönbrunn,  es  wird  doch  eine  Möglich- 
keit geben,  einen  Unschuldigen  zu  befreien?  —  Ich 
werde  den  Major  Trembly  bitten,  daß  er  mich  be- 
gleitet.    Zur  Tür  link:. 

ETZELT.  Da  drin  liegt  ein  Toter,  und  der  Major 
Trembly  ist  eben  fortgegangen,  zur  Parade. 

FRAU  KLÄHR.  Ich  werde  ihn  suchen.  Ich  werde 
ihn  erwarten.  Und  ihr  beide  versprecht,  daß  ihr  nichts 
unternehmt,  eh'  ich  zurück  bin.  Nichts!  —  Es  ist 
doch  nicht  möglich,  daß  Jakob  um  unsertwillen  .  .  . 
Nein  —  das  wäre  doch  —  das  kann  doch  der  Himmel 
—  Ich  will  mich  auf  die  Knie  werfen  vor  dem  Kaiser, 
und  wenn  er  gnädig  ist,  will  ich  ihm  alles,  alles  ab- 
bitten, was  ich  ihm  jemals  übles  nachgesagt.    Ab. 

MEDARDUS.  Wenn  einer  das  Opfer  sein  soll,  so 
müssen  sie  doch  mich  annehmen.  Sag'  doch,  Etzelt  — 
sie  müssen  doch  .  ,  . 

ETZELT.  Medardus,  belüge  dich  nicht!  Du  ruhst 
ja  in  deinem  Glück!  .  . .  was  kümmert  dich  andrer 
Schicksal  ? 

MEDARDUS.    Etzelt... 


Xtoeite  Szene 

Glacit.  —  Trüber  Morgen.  —  Links,  tueit  hinten  ein  größeres  Gebäude, 
kasernenartig,  großes  Tor,  in  den  rechten  Flügel  eingeschnitten  eine 
klein*  Tür,  beide  praktikabel.  —  Rechts  hinten  die  Bastei.  —  Frau4n 
mit  Einkauf  körben,  dann  einige  französische  Soldaun  passieren 
vorüber.  Endlich  von  links  eine  Bürgerwache,  bestehend  aus  tinem 
Korporal  und  zwei  Gardisten. 
Von  rechts  Herr  Föderl  und  Frau  Föderl. 

FRAU  FÖDERL.    So  muß  man  halt  weiter  fragen. 
Zu  aem  Korporal.    Ich  bitte  8«"iir,  ist  Ihnen  vielleicht  be- 


251 


kannt,  in  welchem  Gefängnis  der  Eschenbacher  unter- 
gebracht ist  ? 

KORPORAL.    Eschenbacher  .  .  .  ? 

FRAU  FÖDERL.  Der  Sattlermeister.  Gestern 
haben  sie  ihn  verhaftet. 

KORPORAL.    Warum  denn? 

HERR  FÖDERL.  Davon  ist  uns  natürlich  nichts 
bekannt,  nicht  das  geringste.  Es  ist  vielleicht  auch  nur 
ein  Gerücht. 

KORPORAL.    Was  halten  S'  uns  denn  dann  auf? 

Marsch.    Ab  mit  den  zwei  andern.  * 

FÖDERL.  O  Gott,  o  Gott,  wer  weiß,  was  er  an- 
gestellt hat,  der  Eschenbacher.  —  Durch  deine  Fragerei 
können  wir  noch  in  die  ärgsten  Fatalitäten  kommen. 
Was  hast  schon  davon,  wenn  du  weißt,  wo  sie  ihn  ein- 
gekastelt haben  ...  da  steht  man  auf  um  fünf  in  der 
Früh',  rennt  in  der  ganzen  Stadt  herum  .  .  . 

FRAU  FÖDERL.    Wärst  z'  Haus  gebUeben. 

FÖDERL.  Ja,  wenn  ich  dich  allein  lass',  haben  s* 
dich  schon  längst  arretiert  —  bei  deiner  Unvorsichtig- 
keit. 

FRAU  FÖDERL.  Da  kommt  der  Herr  Berger,  der 
wird  sicher  was  wissen. 

BERGER  kommt.   Gutta.  Morgen. 

FRAU  FÖDERL.  Was  ist  denn  mit  dem  Eschen- 
bacher ? 

BERGER.  Böse  G'schicht',  böse  G'schicht'.  Ver- 
botene Landkarten  haben  s'  bei  ihm  g'funden,  jetzt 
wird  ihm  der  Prozeß  g'macht.  Kann  schhmm  für 
ihn  ausgehn. 

FRAU  FÖDERL.    Wo  ist  er  denn? 

BERGER.  Unter  strengster  Bewachung,  natürlich, 
da  drin,  in  der  Gardekasern'.  Heißt,  wenn  er  noch  dort 
ist,  man  kann  ja  nicht  wissen. 

FÖDERL.  Wie  kommt  er  denn  zu  den  Landkarten  ? 

BERGER.  Ja,  das  is  . .  .  ich  hab'  keine  Ahnung. 
Wahrscheinlich  von  früher  her.  Er  hat  sich  ja  immer 
sehr  für  die  Geographie  interessiert. 


232 


ETZELT  hmmU 

BERGER.    Na,  wissen  S*  was  Neues,  Etzelt? 

ETZELT.  Seit  einer  Stunde  ist  der  Medardus  dort 
drin. 

BERGER.    In  der  Kaserne? 

ETZELT.  Ja.  Aber  heraus  kommt  er  nicht.  Viel- 
leicht haben  sie  ihn  auch  in  Haft  behalten. 

FRJU  FÖDERL.    Den  Medardus  Klähr? 

BERGER.  Ja  —  warum  ist  er  denn  hineingegangen 
in  die  Käsern'  ?    Das  ist  doch  — 

FRJU  FÖDERL.  Und  wo  ist  die  Frau  Klähr  .  .  .  ? 

ETZELT.  Die  ist  gestern  mittag  fort  von  Haus 
und  nicht  zurückgekommen. 

FRAU  FÖDERL.  Ja,  um  Gottes  willen,  wo  ist  sie 
denn  hin? 

ETZELT.    Nach  Schönbrunn  ist  sie  hinaus. 

FRAU  FÖDERL.    Zum  Kaiser  .  .  .  ? 

ETZELT.  Was  noch  aus  all  dem  werden  soll,  das 
weiß  der  Himmel. 

BERGER.  Wenn  man  nur  was  tun  könnt'!  Meine 
Frau  ist  noch  die  g'scheiteste.  Die  is  in  die  Kirchen 
gegangen  beten. 

FÖDERL.  Wie  kann  man  aber  nur  eine  Land- 
karten bei  sich  haben  in  so  einer  Zeit. 

FRAU  FÖDERL.    Die  arme  Frau  Klähr. 

FÖDERL.  Also  willst  du  jetzt  nicht  nach  Haus 
kommen  ?  Man  kann  ja  wirklich  nicht  wissen,  was 
g'schieht.  Am  End'  halt  man  uns  noch  für  Verschworne, 
wie  wir  da  beisammen  stehn  .  .  . 

FRAU  FÖDERL.  Mach'  was  du  willst,  ich  bleib'  da. 

Kreuzhaninger  und  Frau,  ziemlich  zerlumpt. 

KREUZHART  IN  GER  zu  Etzelt.  Ein  Abgebrannter 
tat'  schön  bitten. 

BERGER.  Ja,  abgebrannt  sind  wir  mehr  oder 
weniger  alle. 

KREUZHARTINGER.  Seit  drei  Tagen  haben 
wir  nichts  gegessen. 

BERGER.  So,  da  haben  S' ein  Stückel  Käs'.  Wissen 


233 


S',  Etzelt,  ich  hab*  jetzt  immer  so  was  bei  mir  —  wenn 
man  einmal  zum  Essen  nicht  nach  Haus  kam',  man 
weiß  ja  nie. 

KREUZHARTINGER.  Ich  dank'  halt  recht  schön. 

ETZELT.  Sie  müßt'  ich  doch  kennen.  Ja,  meiner 
SeeP,  Sie  hab'  ich  ja  g'sehn,  wie  Sie  mit  Ihrem  Karren 
in  die  Stadt  hereingefahren  sind! 

KREUZHARTINGER.  Ja,  kann  schon  mögUch 
sein,  mir  ist  auch,  wie  wenn  ich  den  Herrn  kennen  tat*. 

ETZELT.  Warum  betteln  Sie  denn  da?  Warum 
gehn  S'  nicht  lieber  zurück  in  Ihre  Heimat? 

KREUZHARTINGER.  Wir  sind  ja  schon  daheim 
gewesen,  nur  leider,  daß  inzwischen  unser  Haus  nieder- 
gebrannt worden  ist.  Is  noch  ein  Glück,  daß  wir  nicht 
selber  dringesteckt  sind. 

FRAU  KREUZHARTINGER.  Aber  wir  haben 
noch  ein  Geld,  ein  Geld  haben  wir  noch. 

KREUZHARTINGER.  Nur,  daß  wir's  leider  nicht 
finden  können.  Wir  haben's  nämhch  vergraben  gehabt, 
zweihundert  Schritt  weit  von  unserm  Haus.  Im  Acker. 
So  genau  haben  wir's  uns  ausgeraessen!  Und  jetzt, 
wie  vni  daheim  waren,  haben  wir  nachgegraben,  drei 
Tag'  und  drei  Nacht'.   Und  fort  war's. 

BERGER.  Ja,  auf  das  Geld  werden  Sie  kaum  was 
drauf  geliehn  kriegen. 

FRAU  KREUZHARTINGER.  Und  es  glaubt'i  uns 
niemand,  das  ist  das  ärgste.  Und  wir  sind  doch  ehr- 
liche Leut'. 

KREUZHARTINGER  zu  Föderl.  Ein  Abgebrannter 
tat'  schön  bitten. 

Der  Korporal  mit  dm  vier  Mann  und  «wischen  ihnen  zwei  Bettel- 
leute. 

KORPORAL.  Heda,  gebettelt  wird  nicht.  Aber 
zu  verdienen  gibt's  was. 

KREUZHARTINGER.    Oh,  das  war'  g'scheit. 

KORPORAL.  Freie  Kost  den  ganzen  Tag  und  ein 
paar  Glaserl  Branntwein. 

BERGER.    Wo  ist  denn  das  ? 


234 


KORPORAL.  Sie  können  auch  mitkommen,  wenn 
Sie  wollen,  aber  Sie  müiien  nicht.  Der  da  muß,  weil 
er  gebettelt  hat.    Vorwärts. 

FRAU  KREUZHART  IN  GER.    Und  ich? 

KORPORAL.  Für  Weiber  ist  das  Geschäft  nichts. 
Oder  wollen  S'  helfen,  Leichen  auf  den  Friedhof 
tragen  ? 

KREUZHART  IN  GER.  Um  Gottes  wiUen,  Leichen 
soll  ich  tragen,  das  is  nichts  für  mich.  Ich  tat'  schön 
um  eine  andre  Arbeit  bitten,  wo  mein  Weib  dabei 
sein  kann. 

KORPORAL.  Ah,  für  die  findt  sich  schon  noch  wa«. 
Is  ja  noch  ganz  sauber. 

KREUZHART  IN  GER  %u  $einr  Frau.  Komm,  wirst 
gleich  mitkommen. 

Kreuxbartinger  mit  der  Wacbe  ab,  seine  Frau  läuft  nach  der  andern 
Seite. 

BERGER.  Es  ist  eine  traurige  Zeit.  Mein  armes 
Annerl,  wieviel  Leut'  die  jeden  Tag  sterben  sieht.  Hat 
lie's  nötig  g'habt .  .  .  ? 

ETZELT.  Und  dazu  läßt  unsre  Bürgerwache  sich 
gebrauchen.  Ist  das  überhaupt  noch  miHtärischer 
Dienst  ? 

BERGER.  Jetzt  müssen  sie  doch  gar  immer  am 
Abend  ihre  Waffen  in  den  Zeughäusern  abgeben. 
Und  in  der  Früh',  da  dürfen  sie  sich's  schön  wieder 
abholen. 

MEDARDUS  kommt. 

FRAU  FÖDERL.  Da  kommt  ja  der  junge  Herr 
Klähr. 

ETZELT.    Nun,  —  nun  —  ?  —  Was  gibt's!  — 

MEDARDUS.  Ich  weiß  nicht  mehr  als  du.  Ich 
weiß  nichts,  gar  nichts. 

ETZELT.    Du  warst  doch  drin? 

MEDARDUS.  Ja,  ich  war  im  Kasernenhof,  dort 
haben  sie  mich  warten  lassen,  eine  Stunde  oder  zwei 
Stunden,  kein  Mensch  hat  sich  um  mich  gekümmert, 
endHch  ist  ein  Offizier  heruntergekommen,  sagt,   es 


»35 


sei  in  der  Sache  Eschenbacher  keinerlei  Zeugenschaft 
zu  vernehmen,  und  setzt  mich  einfach  wieder  vor 
die  Türe  .  .  . 

ETZELT.  Was  kann  das  zu  bedeuten  haben?  Was 
kann  indes  geschehen  sein? 

MEDARDUS.  Vielleicht  ist  er  gar  nicht  mehr  — 
Vielleicht  —  Etzelt!  —  ist  schon  alles  vorbei! 

BERGER.  Aber  was  fallt  Ihnen  ein  —  ?  Sie  machen's 
doch  öffentlich,  schon  wegen  der  abschreckenden  Wir- 
kung. Also  .  .  vorbei  —  wie  Sie  sagen,  kann'i  nicht 
sein  — 

MEDARDUS  bauig.    Und  die  Mutter  ? 

ETZELT.  Sie  war  vor  einer  Stunde  noch  nicht 
daheim. 

MEDARDUS.  Unbegreiflich.  Wenn  sie  am  Ende 
doch  verhaftet  worden  wäre  .  .  . 

FRAU  FÖDERL.  War'  alles  möghch.  Ich  möcht» 
mich  nicht  wundern.  Sie  tun  jetzt,  was  sie  wollen, 
diese  Schurken. 

HERR  FÖDERL.  Um  Gottes  willen,  kannst  nicht 
das  Maul  halten. 

BERGER.  Nur  Mut,  Medardus.  Wer  weiß,  viel- 
leicht kommt  die  Mutter  und  bringt  die  Begnadigung. 
Ich  sag'  immer,  so  ein  Mensch  wie  der  Napoleon 
ist  unberechenbar.  Hab'  ich  Ihnen  schon  erzählt,  daß 
ich  ihn  gestern  gesehn  hab*  ?  Ja,  bei  der  Parad'.  Nicht 
weiter  als  .  .  .  na,  nicht  weiter  als  die  zwei  Weiber  dort 
vorübergehn.  Zeigt  auf  diese.  Gleich  knapp  hinterm 
Kordon  bin  ich  g'standen,  und  hart  an  dem  Kordon 
ist  er  vorübergeritten.  Er  sieht  gar  nicht  so  klein  aus, 
wie's  immer  heißt.  Ich  hab'  ihn  sogar  reden  gehört .  .  . 
zu  einem  Adjutanten,  nur  leider  .  .  .  seinen  Akzent 
versteh'  ich  nicht  recht  ...  es  ist  vielleicht,  weil  er 
doch  eigentlich  kein  gebürtiger  Franzos'  ist,  sondern 
aus  Korsika  .  .  . 

FRAU  FÖDERL.    Also  wie  schaut  er  denn  aus? 

BERGER.  Undurchdringlich.  Eisern  .  .  .  Wie  eine 
Reiterstatue,  nur  daß  er  sich  halt  bewegt .  . .  Eine 

236 


Ruhe  .  .  .  Marmor!  Aber  ich  glaub'  ihm  die  Ruhe  nicht. 
Inwendig  ist  er  schon  aufgeregt.  Hat  auch  allen  Grund 
dazu.    Allen  Grund. 

ETZELf.  Hören  Sie,  Herr  Berger,  was  sind  das 
für  geheimnisvolle  Andeutungen. 

BERGER  leise  zu  Etzelt.  Also  ich  hab'  Ihnen  doch 
erzählt,  es  sind  jetzt  Nassauer  bei  uns  einquartiert. 
Sollten  Sie's  für  möglich  halten,  daß  die  davon  reden, 
es  ist  ja  eigentlich  unglaublich,  aber  wahr  ist  es  doch, 
gestern  abend  haben  sie  mir's  grad  heraus  gesagt,  sie 
möchten  lieber  mit  uns  als  unsre  Verbündeten  kämpfen 
wie  auf  französischer  Seite.  So  wie  ich  da  zu  Ihnen 
red',  ganz  gemütHch,  haben  sie  mir  das  mitgeteilt 
beim  Nachtmahl.  Das  sind  doch  Anzeichen,  nicht? 
Da  müssen  sie  doch  eine  Art  von  Rückhalt  haben. 
Das  werden  doch  nicht  nur  die  paar  Nassauer  sein,  die 
grad  bei  mir  wohnen,  die  so  denken  und  sich  so  zu 
reden  traun.  Und  wenn  die  Nassauer  so  denken  .  . . 
80  werden  die  Sachsen  und  die  Bayern  .  .  . 

Beritburg  in  ziemlich  zerrissener  österreichischer  Uniform^  den  Arm 
in  der  Binde^  Stock  in  der  Hand. 

BERN  BURG.  Wenn  die  Herren  mir  vielleicht 
freundhchst  mit  einem  kleinen  Darlehen  behilflich 
sein  wollten,  am  liebsten  in  Gestalt  von  Eßwaren. 

MEDARDUS.    Bernburg  .  .  .! 

BERN  BURG.  Medardus!  Ja,  so  sieht  man  sich 
wieder!  Ein  sonderbares  Schicksal,  als  Gefangener  in 
der  eigenen  Vaterstadt  spazieren  zu  gehn  .  . .  wie  ? 
Na,  du  wirst  mir  wohl  auch  manches  zu  erzählen  haben, 
Medardus  —  aber  vorläufig  hab'  ich  wirklich  beträcht- 
lichen Hunger.  Die  verdammten  Kerle  haben  uns 
ja  aus  dem  Käfig  nur  herausgelassen,  damit  sie  uns 
nicht  füttern  müssen. 

MEDARDUS.  Du  weißt,  wo  wir  wohnen.  —  Geh 
dorthin,  da  findest  du  hoffentlich  irgend  was  Eßbares 
. .  .  versprechen  kann  ich  dir's  nicht .  .  .  Hier  hast  du 
für  alle  Fälle  .  .  .     Gibt  ihm  Geld. 

BERN  BURG.   Ich  danke  dir.   Begleitest  du  mich  ? 


237 


Ich  fürchte  nämlich,  ich  werde  in  meinem  Aufzug 
nicht  sehr  willkommen  sein. 

MEDARDUS.    Ich  kann  jetzt  nicht  mit  dir  gehen. 

BERN  BURG.  Warum  so  barsch  ?  Hast  keine  Ur- 
sach' !  Du  solltest  doch  freundlichst  bedenken,  daß  ich 
ja  gewissermaßen  das  Schicksal  erlebe,  das  vom  so- 
genannten Himmel  dir  zugedacht  war  . .  .  Wenn  nicht 
deine  arme  Schwester  — 

MEDARDUS.  Nimm  mir's  nicht  übel,  Bernburg, 
ich  kann  jetzt  nicht  mit  dir  gehn.  Dort  drin  in  der 
Käsern'  sitzt  mein  Oheim,  der  Sattlermeister  Eschen- 
bacher gefangen.     Er  wendet  sieb  ab. 

BERN  BURG.  Willst  du  vielleicht  warten,  bis  er 
herauskommt?  Na,  es  kommt  drauf  an,  was  er  an- 
gestellt hat. 

BERGER  zu  ihm.  Verbotene  Landkarten  hat  man 
bei  ihm  gefunden  .  .  .  Was  glauben  Sie  .  .  . 

BERNBURG.  Warum  tut  er  so  was  ...  Da  vnrd  er 
wohl  erschossen  werden.   Ab. 

Magistratsbeamter  kommt.    Bürgerwache  begleitet  ihn.    Leute  folge» 
ihm,  es  sammeln  sich  später  immer  mehr  um  ihn. 

BERGER.    Was  ist  denn  das? 

ETZELT.  Da  wird  zur  Abwechslung  wieder  einmal 
eine  Proklamation  verlesen. 

MAGISTRATSBEAMTER  liest.  Seit  einiger  Zeit 
hat  ein  Geist  der  Unruhe  und  der  Unordnung  das 
Volk  auf  Abwege  geführt.  Dieser  aufrührerische  Geist 
hat  sich  durch  Zusammenrottungen  aller  Art  geäußert, 
österreichische  Kriegsgefangene  wurden  auf  dem 
Durchmarsche  gewissermaßen  mit  Gewalt  befreit  .  .  . 
Kanonen,  Waffen,  Munition,  Artillerie  wurden  noch 
immer  verborgen  gehalten.  Beschimpfungen,  Provo- 
kationen, tätliche  Vergehungen,  unvermeidliche  Folgen 
treuloser  Aufhetzungen  oder  verbrecherischer  Hoff- 
nungen, bedrohten  die  Ruhe  der  Stadt  —  und  die 
Sicherheit  der  gutgesinnten  Bürger;  diese  Sicherheit, 
die  man  dem  besondern  Schutze  des  Kaisers  und 
Königs  verdankt.   Noch  ist  die  Milde  Seiner  Majestät 

238 


nicht  ermüdet,  aber  eine  längere  Straflosigkeit  hätte 
traurige  Folgen  haben  können.  Höchstdieselbe  be- 
fahlen daher,  verwegenen  Handlungen  durch  Beispiele 
der  Strenge  Einhalt  zu  tun!  Einwohner  Wiens,  euer 
eigenes  Interesse  muß  euch  antreiben,  treulose  Rat- 
schläge der  Aufwiegler  zurückzuweisen.  Wachet  selbst 
mit  größter  Aufmerksamkeit  über  alle  Übelgesinnten, 
tragt  das  Eure  zur  Aufrechterhaltung  der  allgemeinen 
Ruhe  bei,  und  ihr  werdet  euch  des  Wohlwollens  würdig 
machen,  das  Seine  Majestät  der  Kaiser  und  der  König 
immer  geneigt  ist,  euch  zu  gewähren,  und  wovon  er 
euch  bei  so  vielen  Gelegenheiten  so  überzeugende  Be- 
weise gegeben  hat. 

Die  Vorlesung  wurde  manchmal  durch  Murmeln  der  Zuhörer  he- 

gleitet.    Wenn  der  Beamte  geendet,  bilden  sich   Gruppen^  die  dit 

Proklamation  besprechen. 

FÖDERL.  Wirklich  sehr  schön  ...  Er  redt  doch 
wie  ein  Vater  zu  seinen  Kindern. 

Die  Leute  «er streuen  sich  allmählich^  doch  leert  sich  der  PlaUs  nicht 

ganz. 

FRAU  KLAHR  eilends,  rasch  zu  Etzelt  und  Medardus. 

ETZEL7.    Da  ist  sie!  — 

MEDARDUS.    Mutter! 

FRAU  KLÄHR.  Lebt  er  noch!  —  Habt  ihr  ihn 
gesehn !  —  gesprochen  f 

MEDARDUS.  Wir  wissen  nichts,  Mutter.  Nichts. 
Man  hat  mich  nicht  zu  ihm  gelassen  und  mich  nicht 
angehört. 

ETZELT .  Aber  es  ist  sicher  noch  nichts  geschehen. 

MEDARDUS.  Woher  kommst  du,  Mutter?  er- 
zähle doch. 

Etzelt,  Frau  Föderl  und  Berger  um  Frau  Kläbr,  Herr  Föderl  aucb^ 
aber  immer  änzstlich,  als  geborte  er  eigentlich  nicht  dazu. 

FRAU  KLAHR.  Ich  komm'  aus  Schönbrunn.  Der 
Major  hat  mich  hinausbegleitet.  Er  hat  mich  zum 
General  Rapp  geführt,  zum  Adjutanten  von  Napoleon. 
Dem  hab'  ich  die  Sache  vorgetragen,  die  ganze  Wahr- 
heit hab'  ich  ihm  gesagt,  auf  jede  Gefahr  hin  für  uns  alle. 


239 


ETZEL1.    Es  war  recht  so. 

MEDARDUS.    Nun  —  ? 

FRAU  KLÄHR.  Es  war  alles  vergebens.  Er  hat 
mich  ruhig  sprechen  lassen,  aber  zum  Kaiser  hat  er 
mich  nicht  geführt.  Er  hat  nicht  dürfen,  oder  nicht 
wollen.  Ich  weiß  nicht.  Aber  ein  Gesuch  hab'  ich 
schreiben  dürfen,  in  seinem  Kabinett,  und  er  hat  mir 
versprochen,  es  unter  die  Briefschaften  des  Kaisers 
zu  legen.    Das  war  alles.    Dann  war  ich  entlassen. 

MEDARDUS.  Und  wo  warst  du  bis  jetzt,  Mutter? 

FRAU  KLÄHR.  Draußen  in  Schönbrunn.  Im 
Hof.  — 

EIZELT:  und  FRAU  FÖDERL.  Die  ganze  Nacht  ? 

FRAU  KLÄHR.    Die  ganze  Nacht. 

MEDARDUS.  Ja,  was  hast  du  denn  dort  gemacht, 
Mutter  ? 

FRAU  KLÄHR.  Ja  .  .  .  was  denn  ?  Zu  den  er- 
leuchteten Fenst-ern  hab'  ich  hinaufgesehn  —  die 
Musik  hab*  ich  mir  angehört. 

E7ZELT.    Musik  —  ? 

BERGER.  Natürlich,  es  war  ja  italienische  Oper 
gestern  abend  in  Schönbrunn. 

FRAU  KLÄHR.  Ich  hab'  auch  die  Gäste  kommen 
gesehn  und  wieder  wegfahren,  —  und  wie's  ganz  still 
worden  ist  —  nur  die  Wachen  sind  auf  und  ab  gegangen 
—  hab'  ich  mich  auf  eine  Bank  gesetzt  und  gewartet. 
Es  hat  sich  niemand  um  mich  gekümmert. 

E1ZEL1 .  Worauf  haben  Sie  denn  gewartet,  Frau 
Klähr? 

FRAU  KLÄHR.  Worauf  —  ?  Auf  ein  Wunder 
wahrscheinlich!  O  Gott,  war  die  Nacht  lang!  Aber 
das  Wunder  ist  nicht  gekommen !  Ich  hab'  halt  immer 
gehofft,  der  Kaiser  wird  sich  an  einem  Fenster  blicken 
lassen,  und  ich  kann  zu  ihm  hinaufrufen,  oder  er 
schickt  herunter  und  läßt  fragen,  was  ich  da  will .  .  . 
Wie  lang  war  die  Nacht,  wie  lang!  .  .  .  Endlich  haben 
die  Vögel  im  Park  zu  singen  angefangen,  Offiziere  sind 
hereingeritten,  ganz  licht  ist  es  geworden,  und  ich  bin 


Z40 


noch  immer  dagesessen  und  hab'  gewartet.  Bis  mir 
plötzlich  eingefallen  ist,  daß  ja  jetzt  der  Tag  schon 
wieder  angefangen  hat,  der  neue  Tag  —  und  während 
ich  da  sitz'  —  und  wart' 

Das  firoße   Tor   öffnet   sieb.     Jakob   Eschenbacber,   seine   Gesellen: 

Purkbart,  Holzapfel  und  Kopp,  eskortiert  von  ztcölf  Soldaten.    Vorn 

der  Leutnant,  seitlicb  der  Trommler. 

FRAU  KLAHR  scbreit  auf     Jakob  . .  . 

ESCHENBACHER.    Franziska  .  .  .  —  ? 

E7ZEL7.  Vielleicht  überführen  sie  ihn  in  ein  andres 
Gefängnis. 

FRAU  KLAHR.    Herr  Leutnant  — 
_  LEUTNANT.   Was  wollen  Sie  denn  ?    Ach  ja,  Sie 
sind  die  Schwester.    Wenn  Sie  noch  ein  paar  Worte 
mit  ihm  sprechen  wollen,  ich  habe  nichts  dagegen. 
Doch  bitte  ich  Sie,  sich  zu  beeilen. 

FRAU  KLAHR.  Herr  Leutnant,  es  liegt  ein  Ge- 
such beim  Kaiser  .  .  . 

LEUTNANT.  Das  ist  schon  erledigt  —  wie  Sie 
sehn,  Frau  Klähr. 

FRAU  KLAHR.  Das  ist  ja  nicht  möglich.  Er  ist 
ja  unschuldig.  Schuldig  sind  andre.  Es  wäre  Ihres 
Kaisers  nicht  würdig  .  .  .  Ich  beschwöre  Sie,  Herr 
Leutnant .  .  .  Sie  würden  bereuen  .  .  .  Jeden  Augen- 
blick kann  die  Begnadigung  da  sein  .  .  .  Und  dann  .  .  . 

LEUTNANT.  Vorwärts.  Mit  der  Eskorte  ein  paar  ScbritU 
weiter. 

Es  baben  sich  immer  mehr  Leute  angesammelt. 

FRAU  KLAHR  ibm  nach.  Jakob,  warum  sprichst 
du  kein  Wort.  Red'  doch.  Sieh,  es  sind  hier  so  viele 
Menschen,  Wiener  Bürger  —  wie  du  —  sag'  es  ihnen 
doch  .  .  .  daß  du  .  .  .  daß  wir  —  Sie  werden  es  nicht 
zulassen  .  .  .  «u  dem  Volk  gewendet.  Er  ist  unschuldig  — 
könnt  ihr  denn  das  ruhig  mit  ansehen!  —  Wiener! 
Menschen  .  .  .! 

BERGER.  Um  Gottes  willen,  Frau  Klähr .  .  .  was 
fallt  Ihnen  denn  ein  .  .  . 

ESCHENBACHER  bleibt stebu.  Sei  ruhig,  Schwester! 

Theaterstücke.  IV,  x6  Si,I 


Es  ist  nichts  zu  ändern.  Gib  dich  drein.  Und  was  die 
armen  Teufel  anbetrifft,  —  die  zwei  jungen  sind  ledig, 
nur  der  Purkhart  ist  verwitwet.  Nimm  dich  seiner 
zwei  Kinder  an.  —  Leben  Sie  wohl,  guter  Etzelt. 
Adio,  Herr  Berger!  Was,  es  gibt  halt  immer  was  zu 
sehn  in  der  Zeit  .  .  .!  —  Als  sähe  er  Meiardus  erst  jetzt. 
Grüß'  Gott,  Medardus!    Werd  ein  Mann!  — 

FRAU  KLÄHR.    Bruder  .  .  .  Bruder  . . . 

LEUTNANT.    Vorwärts  —  marsch! 

Die  Eskorte  ab  nach  links.    Einige  folgert. 

FRAU  KLÄHR  wiü  nach. 

MEDARDUS  hält  sie  zurück. 

WACHSHUBER  unter  den  LeuUn  an  die  Mauer  gedrückt. 
Man  hört  wie  die  Eskorte  weiter  marschiert,  hört  wie  sie  stehn  bleibt. 

ETZELT  gewahrt  Wacbsbuber^  auf  ihn  zu,  drohend.  Wachs- 
huber! 

WACHSHUBER  angstvoll  und  frech.  Was  ist  denn  ?  Was 
ist  denn  ?    Was  wollen   S'  denn  von  mir  ?    Ich  hab' 
meinen  Morgenstern  pünktUch  abgegeben. 
Trommelwirbel.    Kommandorufe^  undeutlich. 

ETZELT  fährt  zusammen. 

WACHSHUBER  schleicht  davon. 

BERGER  zu  Etzelt.  Der  Wachshuber  —  ?  Er  soll 
uns  nicht  auskommen!  — 

Entsprechende  Spannung  unter  den  Leuten,  die  hier  zurückgeblieben 
sind. 

FRAU  KLÄHR  steht  bewegungslos. 

MEDARDUS.    Mutter... 

Eitu  Salve. 

Einige  von  den  Anwesenden  zucken  zusammen,  einige  entfernen  sich^ 

andre  bewegen  sich  nach  der  Richtung,  in  der  die  Salve  gefallen  ist. 

Irgendwo  hört  man  schluchzen. 

FRAU  KLÄHR.  Medardus  —  verstehst  du  das  ..  ?! 

MEDARDUS  verzweifelnd.  Es  ist  nicht  der  Mühe  wert 
zu  leben,  Mutter. 

ETZELT.  Was  ist  denn  das  ?  Die  kommen  ja  zurück. 
Dis  Eskorte  mit  den  drei  Gesellen  kommt  zurück  und  marschiert  ab. 
Andre  mit. 


34a 


BERGER.    Herr  Gott,  wae  die  ausschaun. 
FÖDERL  zu  seiner  Frau.   Also  siehst,  die  drei  hat  ei 
doch  begnadigt. 

BERGER.   Die  haben  was  mitgemacht!  . . . 
FRAU  FÖDERL  weint.    Der  arme  Eschenbacher! 

Die  Leute  stehen  flüsternd  ieisammen. 

EIN  JUNGER  MENSCH  eilt  herbei.    Der    Kaiser 
reitet  über  die  Bastei. 

EIN  ANDRER  kommt.  Der  Kaiser  und  die  Generäle 
kommen  über  die  Bastei  geritten. 

Entsprechende  Betoegung  in  der  Volksmenge. 

STIMMEN.  Der  Kaiser  .  .  .  Der  Kaiser  und  die 
Garden!  Im  Galopp  reiten  sie  über  die  Bastei.  Dort! 
dort!  dort!  .  .  .  Der  Kaiser  .  .  .  Der  Kaiser  .  .  .! 
Man  siebt  fern  über  die  Bastei  in  einem  Staubwirbel  Reiter  vorüber- 
fogen,  —  Bewegung  unter  der  Volksmenge^  manche  laufen  nach 
rückwärts. 

FRAU  KLAHR  starrt  auch  nach  der  Bastei  x«,  mit  einem 
Blick  auf  Medardus.    Medardus  .  .  . 

MEDARDUS.    Es  ist  der  Mühe  wert  zu  leben, 
Mutter! 

FRAU  KLÄHR  siebt  ihn  an. 

MEDARDUS  ergreift  ihre  Hand. 

Dritte  Szene 

Friedhof,  anderer  Teil  als  im  ersten  Akt.  —  Nacht,  —  An  einem 
offenen  Grab  stehen  Frau  Kläbr,  Medardus  neben  ihr,  Etzelt,  Herr 
Berger,  Frau  Berger,  Frau  Föderl,  Herr  Föderl,  Schreubler,  Bradl, 
die  Gesellen  Eschenbachers  und  verschiedene  andere  Leute,  die  im 
Dunkel  verschwinden.  Die  Szene  ist  durch  zwei  Fackeln  beleuchtet. 
Später,  wenn  sieb  die  Fackelträger  entfernen,  ist  es  auch  nicht  ganz 
dunkel,  da  allmählich  das  Morgengrauen  eingetreten  ist. 

FRAU  KLÄHR   wirft  eine  Erdscholle  tns  Grab. 
MEDARDUS  tut  dasselbe. 
ETZELT  dasselbe. 

Diese  alle  stumm. 

SCHREUBLER  eine  Scholle  ins  Grab  werfend.  Fahre  Wohl, 
Jakob  Eschenbacher. 


M3 


EIN  GESELL.    Ruhe  sanft,  lieber,  guter  Meister. 
BERGER.    Du  hast  dein  Vaterland  geliebt,  fahre 
wohl. 
FRAU  FÖDERL.  Ja,  das  ist  ein  Mann  gewesen!  . . . 

Man  hört  einige  schluchzen. 

HERR  FÖDERL  zu  seiner  Frau.  Jetzt  gehn  wir  aber 
endlich  nach  Haus.  Es  ist  doch  kein  so  gemütlicher 
Aufenthalt,  besonders  um  diese  Zeit. 

SCHREUBLER.  Das  ist  auch  wieder  so  eine  über- 
flüssige Sekatur.  Wenn  sie  einem  schon  die  Erlaubnis 
geben,  vierzehn  Tag'  nach  der  Exekution,  daß  man  ihn 
auf  den  Friedhof  überführt,  warum  muß  es  denn  grad 
um  ein  Uhr  in  der  Nacht  geschehn  .  .  .  ? 

BRADL.  Sie  haben  halt  Angst  gehabt,  daß  es  am 
End'  doch  zu  was  kommen  könnte,  wenn  das  Begräbnis 
bei  hellichtem  Tag  stattgefunden  hätte.  Darum  darf 
ja  auch  nicht  gesprochen  werden  am  Grab. 

BERGER.  Ja,  seit  Aspern  sind  sie  ein  bissei  dasig 
geworden,  die  Herrschaften. 

SCHREUBLER.   Ihre  Wut  lassen  s'  aus  an  uns  .  .  . 

FÖDERL.  Ja,  da  ist  schon  was  dran!  Bei  uns 
logieren  zwei  Kürassieroffiziere  vom  Massena.  Vor 
Aspern  waren's  vier!  —  Das  sind  soweit  ganz  beschei- 
dene, liebenswürdige  Herren  gewesen.  Jetzt  kann 
man  ihnen  nichts  mehr  recht  machen.  Kaum  daß  sie 
einen  noch  grüßen.  Ich  kann  doch,  meiner  SeeP,  nichts 
dafür,  daß  wir  bei  Aspern  gesiegt  haben. 

FRAU  FÖDERL.    Dummkopf. 

FÖDERL.  Du,  das  möcht'  ich  mir  verbitten  —  am 
Friedhof. 

DIE  STIMME  EINES  MENSCHEN  der  rückwärts  am 
Grabe  steht.  7m  diesem  Grabe  werden  die  Wiener  wall- 
fahrten kommen. 

Bewegung. 

EIN  ANDERER  im  Dunkel.  Wenn  das  Joch  von 
uns  genommen  ist,  wollen  wir  dir  eine  Feier  veran- 
stalten, Jakob  Eschenbacher,  wie  sie  die  Welt  noch 
nicht  gesehn  hat. 


244 


FERTRJUTER  tritt  zu  ihm  .hin.    Ruhe!     Es  ist  ver- 
boten, an  diesem  Grabe  Reden  zu  halten.    Ich  ersuche 
die  Anwesenden,  sich  sofort  und  lautlos  zu  entfernen. 
Murren. 

HERR  FÖDERL  zu  uina-  Frau.    Komm  doch. 

FERTRJUTER.  Ich  ersuche  nochmals,  sich  laut- 
loc  zu  entfernen. 

Die  Leute  beginnen  aUmäblicb  sieb  zu  entfernen. 

FERTRJUTER  zu  Frau  Kläbr,  die  regungslos  an  dem  Grabe 
tubt.     Sie,  Frau,  haben  Sie  nicht  verstanden  ? 

MEDARDUS.  Wagen  Sie  es  nicht,  meine  Mutter 
zu  berühren. 

FERTRJUTER.  Das  geht  mich  gar  nichts  an,  ob 
das  Ihre  Frau  Mutter  ist.  —  Man  entferne  sich  lautlos. 

ETZELT  zum  Vertrauten.  Das  ist  die  Schwester  von 
Jakob  Eschenbacher!  Lassen  Sie  sie  doch  in  Frieden! 
Achten  Sie  die  Heiligkeit  des  Ortes.  Sie  sehn  ja, 
daß  die  Leute  sich  in  Ruhe  entfernen.  Warum  wollen 
Sie  sie  reizen?  Das  könnte  Folgen  haben,  die  Ihnen 
von  Ihrer  vorgesetzten  Behörde  sehr  übel  genommen 
werden  könnten. 

FERTRJUTER  eingescbücbtert^  aber  frecb.  A  was !  A  was I 

SCHREUBLER.  Ich  an  Ihrer  SteU',  ich  tat'  mich 
jetzt  selber  empfehlen.    Ihre  PfHcht  haben  Sie  erfüllt. 

FERTRJUTER.  Man  entferne  sich  lautlos !  Laut- 
los und  sofort !  Er  sf riebt  diese  fForte,  während  er  sieb  scbon 
selbst  entfernt. 

FÖDERL  zu  seiner  Frau.  Also  mach'  du,  was  du 
willst.  Ich  geh'.  Ich  bin's  überhaupt  satt,  immerfort 
Obacht  zu  geben,  daß  sie  dich  nicht  am  End'  noch 
einsperren. 

Es  bleiben  zurück:  Frau  Kläbr^  Medardus^  Etzelt,  Berger^  Frau 
Berger^  Scbreubler^  Bradl^  Frau  Föderl. 

BERGER.  Aber  wahr  bleibt's  doch:  Daß  man  zu 
dem  Grab  da  wallfahrten  wird,  später  einmal. 

FRAU  FÖDERL.  Ein  Monument  muß  man  ihm 
setzen!  — 

FRAU  KLAHR.    Es  liegt  wohl  schon  zu  viel  Erde 


HS 


auf  dem  Grab,  sonst  möchten  wir  ihn  lachen  hören. 
Der  Jakob  und  ein  Monument!  .... 

BERGER.  Ah,  sagen  S'  das  nicht,  Frau  Klähr. 
Wenn's  dann  dasteht  so  aus  Marmor  und  für  die  Ewig- 
keit, da  freut's  einen  schon.  Die  Überlebenden  mein* 
ich  natürlich. 

SCHREUBLER.  Als  Inschrift  müßt'  man  setzen: 
Ein  Opfer  französischer  Willkürherrschaft. 

FRAU  KLÄHR.  Das  war'  ganz  schön,  aber  voll- 
ständig wär's  nicht .  .  .  Wenn  sie  vollständig  war*,  die 
Inschrift ...  da  könnten  sich  manche  Leute  in  Wien 
beleidigt  fühlen. 

BERGER.  Ja,  das  ist  wahr!  Unser  Herr  Bürger- 
meister hätt'  schon  das  Maul  aufmachen  können.  Be- 
sonders nach  Aspern  hätt'  er  sich  schon  trauen  dürfen ! 
.  .  .  Wenn  der  Herr  Bürgermeister  selber  nach  Schön- 
brunn gefahren  war'  zum  Napoleon,  das  hätte  schon 
eine  Wirkung  gehabt. 

SCHREUBLER.  Was  glauben  S'  denn  ?  Vor  vier 
Jahren  hat  er  ja  einen  Orden  gekriegt  vom  Kaiser 
Napoleon.  Diesmal  tragt's  wohl  wieder  einen  —  das 
ist  doch  die  Hauptsach', 

BRADL.  Aber  meine  Herren,  es  hätte  ja  nichts 
genützt.  Auch  wenn  er  persönlich  in  Schönbrunn 
vorstellig  geworden  wäre. 

BERGER.  Das  kann  man  nicht  wissen.  Besonders 
jetzt.  Der  Napoleon  ist  auch  nimmer  derselbe,  der 
er  gewesen  ist.  Haben  S'  nicht  die  Geschieht'  mit  dem 
Reich  gehört,  die  neulich  passiert  ist  ? 

SCHREUBLER.  Die  G'schicht'  vom  Reich  wollen 
S'  uns  erzählen  ?    Die  is  doch  kein  Geheimnis  mehr. 

FRAU  FÖDERL.  Was  ist's  mit  dem  Reich?  Ist 
das  der  Seidenhändler  Reich  ? 

BERGER.  Ja,  der  schöne  Reich,  wie  man  ihn  heißt, 
der  auch  Hauptmann  bei  der  bürgerhchen  Garde  ist. 
Sie  wissen  doch,  Frau  Klähr,  daß  der  Napoleon  in  seiner 
Suite  auch  immer  einige  von  der  Bürgergarde  mit- 
reiten laßt,  die  er  sich  natürlich  speziell  aussucht. 

246 


i 


FRAU  KLAHR.  Warum  sucht  er  sie  sich  au«? 
Er  könnte  sein  Haupt  ruhig  in  den  Schoß  von  jedem 
Wiener  Bürger  legen.  Kein  Haar  würde  ihm  ge- 
krümmt werden. 

BERGER.  Also  vorgestern  reiten  sie  alle  auf  der 
Chaussee  von  Mariahilf  nach  Schönbrunn,  grad  zurück 
von  einer  Parade. 

Fernes  Kanonendonnern. 

BRADL.    Was  ist  denn  das? 

SCHREUBLER.  Das  Geräusch  kommt  mir  be- 
kannt vor. 

BERG  ER.  Ich  hab'  mir  aber  gedacht,  es  wird  nicht 
lang  Ruh'  bleiben. 

BRADL.  Vorgestern  haben  sie  auch  geschossen. 
Aber  es  hat  gleich  wieder  aufgehört. 

BERGER.  Soll  auch  nichts  Besonders  gewesen  sein. 
Die  Franzosen  sind  nur  beim  Brückenbau  ein  bissei 
gestört  worden. 

ETZELT.  Ja,  das  genügt  unsern  Ansprüchen  nicht 
mehr.  Unter  einer  Schlacht  mit  dreißigtausend  Ge- 
fallenen macht  uns  der  ganze  Krieg  keinen  Spaß,  was, 
Herr  Berger? 

BERGER.  Ah,  Herr  Etzelt,  das  ist  nicht  schlecht. 
Es  scheint,  Sie  treten  die  Erbschaft  von  unserm  armen 
Eschenbacher  an  ? 

FRAU  FÖDERL.  Sie  haben  vom  schönen  Reich 
was  erzählen  wollen,  Herr  Berger. 

BERGER.  Also  vorgestern  reiten  sie  alle  auf  der 
Chaussee  von  Mariahilf  nach  Schönbrunn,  der  Napo- 
leon mit  seiner  Suite  .  .  .  und  es  ist  ein  fürchterlicher 
Staub,  und  der  Kaiser  winkt  zu  seinen  Begleitern,  daß 
sie  ein  Stück  zurückbleiben  sollen.  Aber  das  Pferd  vom 
Reich,  es  muß  hartmäulig  gewesen  sein,  das  laßt  sich 
nicht  halten  und  schießt  an  den  Marschällen  vorbei 
grad  auf  den  Kaiser  zu  und  rennt  ihn  an.  Und  da  soU 
der  so  erschrocken  sein,  daß  er  mit  seinem  Schimmel 
einfach  davon  gerast  ist.    Erschrocken!  der  Napoleon! 

SCHREUBLER.  Na  ja,  man  kann  sich  denken,  was 


H7 


ihm  in  dem  Moment  für  Gedanken  durch  den  Kopf 
geschossen  sein  mögen. 

FRAU  KLAHR.  Freilich  hat  er  nicht  gleich  auf 
den  Einfall  kommen  können,  daß  das  Roß  klüger  war 
als  der  Reiter. 

FÖDERL.   Um  Gottes  willen,  Frau  Klähr. 

SCHREUBLER.    Passen  S'  doch  auf,  Frau  Klähr. 

FRAU  KLAHR.  Ich  kann's  nun  einmal  nicht  be- 
greifen. Es  gibt  doch  so  viele,  die  überhaupt  nichts 
zu  verlieren  haben,  —  denen  an  ihrem  eignen  Leben 
wenig  liegt  —  oder  gar  nichts,  —  und  nicht  Einer,  — 
nicht  Einer,  der  es  einsetzen  möcht'  für  so  Ungeheuern 
Gewinn ! 

ETZELT.    Es  wäre  Mord,  Frau  Klähr! 

FRAU  KLAHR.    Es  wäre  Gericht!  — 

EIZELT.    Gericht?    Wer  dürfte  sich  vermessen? 

FRAU  KLAHR.  Das  Urteil  über  ihn  ist  längst 
gesprochen.  Wer  die  Sendung  in  sich  fühlt  —  darf 
es  vollführen. 

Sie  geben  allmäblicb. 
Kanonendonner^  der  immer  stärker  wird. 

SCHREUBLER.  Diesmal  scheint's  aber  ernst  zu 
werden. 

FRAU  FÖDERL.  Gott  geb's!  Es  war  doch  die 
ganze  Zeit,  wie  wenn  ein  Wetter  am  Himmel  stund' ! 

BRADL.  Ja,  jetzt  naht  vielleicht  die  Entscheidung! 

BERGER.  War  vorauszusehen.  In  den  letzten 
Tagen  sind  eine  Masse  neue  Regimenter  durch  die 
Stadt  marschiert .  .  .  Sachsen  und  Bayern  haupt- 
sächlich .  .  .  lauter  Kanonenfutter!  Von  denen  kommt 
keiner  wieder! 

BRADL.   Woher  wdssen  Sie  denn  das  so  bestimmt! 

BERGER.  Aber  das  ist  ja  bekannt!  Die  fremden 
Truppen,  die,  was  keine  Franzosen  sind,  die  schickt 
er  ja  immer  ins  vorderste  Treffen. 

FRAU  FÖDERL.  Geschieht  ihnen  recht !  Deutsche, 
die  gegen  Deutsche  ins  Feld  ziehen,  vcrdienen's  nicht 
besser. 


24ß 


SCHREUBLER.  Was  die  armen  Teufel  dafür 
können! 

BERGER.  Mein  armes  Annerl  —  die  wird  jetzt 
wieder  zu  tun  kriegen.  Ich  werd'  einmal  schaun,  ob  s' 
einen  nicht  vielleicht  auf  den  Stefansturm  hinauf- 
lassen. 

AlU  ab  außer  Medardus. 

MEDARDUS  dUin.  Vergib  mir,  guter  Oheim  — 
ich  habe  keine  Tränen  für  dich;  so  tiefen  Sinnes  voll 
scheint  mir  der  Tod,  den  du  sterben  mußtest  .  .  .  Mir 
ist,  als  hätten  unbekannte  Mächte  mich  bis  heut 
durch  einen  rätselhaften  Dämmergang  getrieben,  wo 
irrende  Spukbilder  mir  immer  von  neuem  einen  letzten 
Sinn  des  Daseins  vorlogen.  Und  jetzt,  erst  jetzt,  da 
die  Zeit  für  meine  Tat  reif  ward  .  .  .  darf  ich  ins  Freie 
treten,  und  der  ewige  Himmel  wölbt  sich  über  meinem 
auserkorenen  Haupt.    Ich  dank'  euch,  ihr  unbekannten 

Mächte  .  .  .    Er  toill  geben. 

Medardui.     Heleiu  tritt  ibm  entgegen, 

MEDARDUS.  Was  geistert  hier  um  die  Grab- 
steine — !  Wie,  Helene  — ?  Du  suchst  mich  hier  .  .  . 
Vergib,  daß  ich  nicht  Abschied  nahm  von  dir.  Mir 
war,  als  hätt*  ich'  dir's  nicht  erst  sagen  müssen :  Unsere 
Zeit  ist  um  .  .  . 

HELENE.  Hältst  du  mich  für  eine,  die  ungetreuen 
Liebhabern  auf  den  Friedhof  nachläuft  ?  .  .  .  Ich  weiß 
wen  du  heute  hier  begraben  hast,  Medardus. 

MEDARDUS.  So  sei  für  dein  Mitgefühl  bedankt 
und  lebe  wohl!  — 

HELENE.  Danke  mir  nicht .  .  .  Nicht  um  dir  meine 
Teilnahme  kund  zu  tun,  bin  ich  hierher  gekommen. 
Daß  sie  deiner  Mutter  den  Bruder  umgebracht 
haben,  kümmert  mich  so  wenig  ...  als  dich  das  Los 
eines  vertriebenen  Herzogs  von  Valois  .  .  .  Ich  weiß 
es  wohl.  Unsere  Leiden  sehen  einander  mit  fremden 
Augen  an.  Aber  unser  Haß,  Medardus,  deiner  und 
meiner,  die  sind  blutsverwandt  —  und  könnten  sich 
Tcrstehn,  denk'  ich 


H9 


MEDARDUS.  Auch  meinem  Haß  steht  Einsamkeit 
besser  an. 

HELENE.  So  lang  er  blind  in  ein  sinnloses  Dunkel 
starrt  .  .  .  aber  ich  will  ihn  sehend  machen!  Nimm 
dieses  Blatt,  Medardus! 

MEDARDUS.    Was  soll  mir  dieses  Blatt . . . 
Ferner  Kanonendonner. 

HELENE.  Es  ist  wie  geschrieben,  um  im  Morgen- 
grauen dieses  Tages  gelesen  zu  werden  .  .  . 

MEDARDUS  liest.  „Wir  sollen  hier  in  Paris  den 
Anfang  machen  —  ?  Das  können  wir  nicht.  Das  würde 
uns  verderben.  Und  Euch.  Zuerst  muß  die  Arbeit 
getan  sein,  auf  die  es  vor  allem  ankommt,  und  die 
muß  an  Ort  und  Stelle  getan  werden.  Gibt  es  keine 
Männer  in  Wien  ?  Wenn  Ihr  nur  zwölf  entschlossene 
habt,  so  erdrosselt  ihn  in  seinem  Bett,  werft  ihn  in 
einem  Sack  ...  in  die  Donau  ..."...  Ihn  —  f 

HELENE.    Ihn. 

MEDARDUS  liest  weiter.  .  .  .  „Dann  ist  alles  gut; 
das  übrige  gibt  sich  von  selbst .  .  .  Aber  schiebt  e« 
nicht  zu  lange  auf.  Sonst  könnt'  es  zu  spät  werden"  . . , 
Was  soll  mir  dieser  Brief  ?  Er  ist  doch  wohl  an  dich!  . . 

HELENE.  Auch  nicht  an  mich  ...  An  den  Marquis 
von  Valois  .  .  . 

MEDARDUS.  Und  in  deinen  Händen...  Wer 
bracht'  ihn  dir  ...  ? 

HELENE.  Laffraye,  des  Marquis  bester  Freund  . . . 
Heut  nacht  ...  In  der  gleichen  Stunde  verschwand 
er  wieder  .  .  .  Wenn  ich  an  Wunder  glaubte  —  so 
glaubt'  ich,  er  fände  sich  lebendig  wieder  dahin  zurück, 
woher  er  gekommen.  Aber  ich  glaube  nicht  an  Wunder. 

MEDARDUS.    Wer  schrieb  diesen  Brief? 

HELENE.  Kennt'  ich  Laffraye  nicht,  so  hielt'  ich'« 
für  die  frechste  der  Lügen;  aber  da  Laffraye  der  ehr- 
lichste Mann  ist,  muß  es  wohl  wahr  sein:  Fouch6 
schrieb  ihn  an  meinen  Gatten  .  .  .  Fouchi  .  .  .  der 
Polizeiminister  von  Paris. 

MEDARDUS.   Für  mich  ist  er  nicht  bestimmt . . . 


«5« 


HELENE.  Für  einen,  den  zu  wählen  mir  freistand 
—  Und  gibt  es  einen  heut  in  dieser  Stadt  .  .  .  der  ihn 
mit  den  rechten  Augen  zu  lesen  verstünde,  so  bist 
du's  —  Medardus! 

MEDARDUS.  Er  kümmert  mich  nicht ...  Ich 
versteh'  ihn  nicht.  Es  ist  eines  Schurken  Brief  —  will 
mir  scheinen.    Wül  geben. 

HELENE  seinen  Arm  ergreifend.  Du  hast  recht,  Me- 
dardus !  —  Wie  es  in  diesem  Brief  gesagt  ist .  . . 
riecht's  nach  der  dürren  Phantasie  eines  Feiglings  .  . . 
Zwölf  entschlossene  Männer  .  .  .  Ein  wahrhaft  ent- 
schlossener möchte  nicht  mit  elf  andern  sich  in  einen 
Ruhm  teilen,  den  er  sich  allein  verdienen  könnte  .  .  . 

MEDARDUS.    Nimm  deinen  Brief  wieder  ...    Er 

aill  geben,  bleibt  aber,  von  ihren  Worten  immer  fester  gebannt. 

HELENE.  Was  soll  ich  mit  ihm  ?  Zerreißt  ihn.  Keinem 
andern  wird  er  jemals  vor  Augen  kommen.  Jagt  er 
deinen  Haß  nicht  auf,  so  hat  er  geringere  Kraft, 
als  ich  ihm  zutraute  .  .  .  Oder  bist  du  wie  die  an- 
dern alle  in  dieser  erniedrigten  Stadt,  ohne  Mark 
und  ohne  Galle?  Es  kann  nicht  sein,  Medardus!  Ich 
hielt  dich  in  meinen  Armen.  Und  sind  auch  die 
Nächte  dahingeweht,  von  deren  Duft  unsere  Lippen 
noch  feucht  sind  —  wer  du  bist,  hab'  ich  nicht  ver- 
gessen. Hörst  du  mich,  Medardus  ?  —  Gewiß,  es  könnte 
auch  übel  ausgehen,  aber  denkst  du,  ich  ließe  dich  dann 
in  Stich?  Du  sollst  ein  Zeichen  bei  dir  tragen,  das 
mich  zugleich  mit  dir  verriete  und  uns  gemeinsam 
dem  Blutgericht  überlieferte.  Ist  dir  dein  Leben 
teurer  ab  mir?  Ich  kann's  nicht  glauben.  —  Aber 
wenn's  gelänge,  Medardus,  wenn's  gelänge!  —  Ein 
furchtbarer  Bann  wäre  von  der  Welt  genommen,  und 
dein  wäre  der  Ruhm.  Dein,  Medardus,  hörst  du 
mich }  da  er  noch  immer  wie  erstarrt  dasteht.  Und  noch 
eins,  Medardus  —  —  bedenke,  für  wen  du's  voll- 
brächtest. 

MEDARDUS.    Für  wen  ich  —  ? 

HELENE.    Am  Tage  drauf  —  bedenk'  es,  gehörte 


351 


den  Valois  die  Klrone  von  Frankreich.  Und  die  Valois, 
Medardus,  die  Valois,  die  wissen  gut  zu  lohnen,  was 
man  für  sie  getan. 

MEDARDUS  wie  getroffen  vor  ihr  »urückweicbend.  Zu 
lohnen  ?  Und  darum  glaubst  du  —  ?  mich  zu  kaufen, 
dachtest  du  —  ?  einen  Mörder  aus  mir  zu  machen  im 
Solde  der  Valois  ?  —  Du  aus  mir  ?  Doch  warum  staun' 
ich!  —  was  hast  du  schon  alles  aus  mir  gemacht. 
Könnt'  ich  dir  anders  erscheinen  ?  . .  .  Oh,  meine  Tat ! 
Er  gebt  verstört. 

HELENE  ihm  nachsehend.  Sollt'  ihm  der  Gedanke  so 
fern  gewesen  sein  ?  Oder  war  er  ihm  so  nah  ...?!... 
Wie  immer,  der  ist  mir  verloren.  Ihre  Hände  betrachund, 
mit  einem  seltsam  verlorenen  Lächeln.  SoUt'  es  nun  euch 
aufbewahrt  sein,  —  hochmütig  mörderische  Finger? 
Sie  bleibt  stehen. 

Ferner  Kanonendonner. 

Vorbang. 


FÜNFTER  AUFZUG 

Erste  Szene 

Garten  beim  Herxcg. 

jiSSAhAGNT"    auf  einer  Bank  in  einem  Buch  lesend. 
NERIN A    kommt  eben  vorbei. 

ASSALAGNT.    Guten  Morgen,  mein  Kind! 

NERIN A.    Guten  Morgen! 

ASSALAGNr.  Wird  die  Frau  Marquise  bald  sicht- 
bar sein  ? 

NERIN A.  Es  wird  noch  eine  Weile  dauern.  Wir 
sind  heute  nacht  spät  aus  Schönbrunn  nach  Hause 
gekommen. 

ASSALAGNT.  Du  hast  dich  wohl  wieder  recht 
gelangweilt  da  draußen,  wie  gewöhnlich,  armes  Kind  . , 

NERIN A.    Das  hab'  ich  nicht,  Doktor  Assalagny. 

ASSALAGNT.  So  ließest  du  dir  wohl  im  Vorsaal 
von  den  wachhabenden  Offizieren  den  Hof  machen  ? 

NERIN A.  Ich  blieb  diesmal  nicht  im  Vorsaal,  Dok- 
tor Assalagny.  Ich  durfte  dem  Konzert  auf  der  Galerie 
beiwohnen.  Jawohl,  Herr  Doktor,  ich  hatte  meinen 
Platz  unter  lauter  vornehmen  Damen  und  Herren. 
Und  ich  habe  den  Kaiser  gesehn. 

ASSALAGNT.    Wahrhaftig? 

NERIN A.  Als  ich  in  den  Saal  kam,  war  er  noch 
nicht  da.  Es  waren  nämlich  Gesandte  bei  ihm  aus  dem 
österreichischen  Hauptquartier, 

ASSALAGNT.    Der  Fürst  Lichtenstein  —  ? 

NERIN A.    Ja,  den  Namen  hört'  ich  auch  nennen. 

ASSALAGNT.  Nun  dauert's  wohl  nicht  lange  mehr 
und  der  Friede  ist  da. 

NERIN A.  Davon  sprachen  auch  alle  Leute  um 
mich  herum  —  bis  es  plötzlich  still  wurde,  —  toten- 
still. Alle  erhoben  sich  mit  einem  Male,  und  der  Kaiser 
war  da.  Bei  Gott,  ich  wußte  nicht,  wo  er  herein- 
gekommen war,  ob  von  rechts,  ob  von  links,  —  auf 
einmal  war  er  da,  setzte  sich  vorne  hin,  ganz  allein 


253 


auf  einen  Armsessel,  unter  den  ein  Teppich  ge- 
breitet war,  und  gleich  verlöschten  alle  Lichter,  nur 
die  an  den  Musikpulten,  die  brannten  weiter.  Und 
dann  kamen  die  Sänger  und  die  Sängerinnen,  und 
ein  Herr  spielte  Klavier,  aber  wenn  Sie  mich  fragen, 
ich  weiß  nicht,  wie  die  Musikanten  aussahen  und  ob 
sie  ihre  Sache  gut  gemacht  haben  oder  schlecht. 
Denn  ich  mußte  immerfort  nur  ihn  ansehen.  Ganz 
regungslos  saß  er  da.  Denken  Sie,  er  applaudierte  auch 
nicht  ein  einziges  Mal.  So  tat  es  auch  kein  anderer 
im  Saal.  Und  als  das  Konzert  zu  Ende  war,  stand  er 
auf.  Alle  Lichter  brannten  plötzlich  wieder,  und  nun 
sah  ich  auch  sein  Gesicht.  Nein,  was  hat  der  Mann 
für  Augen!  So  hielt  ich  mir  immer  die  Hände  vor  die 
Stirn,  um  nur  gleich  meine  Augen  verdecken  zu  können, 
wenn  er  etwa  einen  Blick  heraufwerfen  sollte.  Denn 
ich  habe  nie  so  furchtbare  Augen  gesehen.  Und  als 
er  nachher  mit  einigen  Damen  und  Herren  sprach, 
sah  ich  wohl,  daß  sie  alle  vor  diesen  drohenden  Augen 
zitterten  und  sich  nur  jeder  in  acht  nahm,  der  andre 
sollte  es  nicht  merken. 

ASSALAGNT.  Und  sprach  der  Kaiser  auch  mit 
der  Frau  Marquise  ? 

NERINA.  Ja.  Zuletzt.  Aber  länger,  viel  länger 
als  mit  den  andern. 

ASSALAGNT.    Und  die  Marquise  zitterte  auch? 

NERINA.  O  nein,  sie  nicht.  Sie  war  ganz  blaß, 
aber  sie  zitterte  nicht.  Und  nachher  blieb  sie  ganz 
regungslos  stehn,  wahrlich,  wie  verzaubert  ...  als  er 
sich  von  ihr  abgewandt  hatte  und  den  Saal  verließ. 
Und  denken  Sie,  Doktor  Assalagny,  da  merkte  ich,  daß 
in  ihren  Augen  ganz  derselbe  drohende,  starre  Glanz 
war  wie  in  denen  des  Kaisers.  Als  wenn  sie  Geschvdster 
wären.    Ist  es  nicht  sonderbar? 

ERSTER  DIENER  kommt  rasch  aus  dem  Hause.  Die  Frau 
Herzogin  begibt  sich  soeben  in  den  Garten, 

ASSALAGNT  steht  auf.    Wie  ? 

DIENER.   Es  ist,  wie  ich  sagte,  Herr  Doktor.   Die 


m 


Herzogin  hat  ihr  Zimmer  verlassen  und  kommt  in  den 
Garten  herunter. 

ASSALAGNT.    Was  hat  das  zu  bedeuten? 

NERINA.  Zum  erstenmal  wieder  seit  drei  Monaten ! 

ZWEITER  DIENER  kommt  rascb.  Die  Frau  Her- 
zogin ! 

ASSALAGNT.  Geht!  Geht!  Ich  werde  sie  hier 
erwarten. 

Dit  andern  bleiben  stehen^  bis  aie  Herzogin  kommt.   Dann  verbeugen 
iie  sieb  tief  vor  ihr  und  geben, 

Assedagny.     Herzogin. 
HERZOGIN  aus  dem  Gartensaal,  in  tiefer  Trauer. 
ASSALAGNT"  ibr   entgegen,  verbeugt  sieb  tief. 

HERZOGIN  in  höchster  Erregung.  Was  ist  geschehen, 
Doktor  Assalagny  ?  Sollen  die  Valois  wieder  einmal 
davongejagt  werden  ? 

ASSALAGNT.    Frau  Herzogin  — 

HERZOGIN.  Eben  stand  der  Herzog  in  meinem 
Zimmer.  Eine  Botschaft  von  größter  Wichtigkeit  sei 
zu  erwarten.  Ich  sollte  mich  zur  Reise  bereit  halten. 
Was  ist  das  für  eine  Botshcaft,  die  der  Herzog  er- 
wartet ? 

ASSALAGNT.  Keineswegs  die  Verweisung  aus 
österreichischen  Landen,  wie  die  Frau  Herzogin  zu 
befürchten  scheinen.  Es  könnte  wohl  auch  eine 
Botschaft  sein,  die  einem  Ruf  in  die  Heimat  gleich 
käme. 

HERZOGIN.  In  die  Heimat?  Nach  Frankreich? 
Sind  Nachrichten  vom  Marquis  gekommen  ? 

ASSALAGNT.  Vom  Herrn  Marqviis  und  seinen 
Freunden  fehlt  leider  jede  Kunde,  seit  sie  Wien  ver- 
lassen haben. 

HERZOGIN.    Ist  Napoleon  tot? 

ASSALAGNT.   Er  lebt,  Frau  Herzogin. 

HERZOGIN.    Ist  er  besiegt? 

ASSALAGNT.  Er  ward  es,  ein  einziges  Mal. 
Wenige  Wochen  darauf  war  der  Sieg  wieder  sein:  und 
er  hat  sich  ihn  nicht  mehr  entreißen  lassen.    Oster- 


t55 


reich  ist  geschlagen,  Frau  Herzogin.  Seit  geraumer 
Zeit  schon  ruhen  die  Waffen.  In  den  nächsten  Tagen 
soll  der  Friede  unterzeichnet  werden. 

HERZOGIN.  Und  trotz  alledem  —  erwartet  der 
Herzog  eine  Botschaft,  die  einen  Ruf  nach  Frankreich 
bedeuten  könnte  ? 

ASSALAGNT.  Sie  wird  nicht  ausbleiben,  Frau 
Herzogin,  so  wenig  wie  andere  ausgeblieben  sind,  die 
den  Herrn  Herzog  diese  neueste  Nachricht  erwarten 
und  vorhersehen  lassen. 

HERZOGIN.    Andere  ?    Welche  ?  .  .  . 

ASSALAGNT  mit  EnuMuß.  Frau  Herzogin,  ein  ge- 
treuer Diener  steht  vor  Ihnen,  zugleich  Ihres  Danks 
und  Ihrer  Verzeihung  gewärtig. 

HERZOGIN.  Was  hab'  ich  zu  verzeihen,  was  zu 
danken  ?  Sie  werden  sich  endlich  erklären  müssen, 
Assalagny! 

ASSALAGNT  bestimmter.  Es  war  ärztlicher  Kunst 
versagt,  Frau  Herzogin,  dem  wahnbefangenen  Geist 
des  Herzogs  Erleuchtung,  dem  gebrechlichen  Körper 
neue  Lebenskraft  zu  bringen.  Ihr  blieb  eine  einzige 
Möglichkeit  —  doch  zugleich  damit  eine  einzige 
Pflicht:  auf  die  lechzenden  Lippen  eines  Verlorenen 
den  milden  Trank  der  Hoffnungen  und  Träume  zu 
träufeln. 

HERZOGIN.  Assalagny!  Träume  —  ?  .  .  .  Hoff- 
nungen! ?  .  .  .  Lügen  also! Ein  so  frevelhaft  ver- 
wegenes Spiel  treiben  Sie  mit  des  Herzogs  von  Valois 
erlauchtem  Haupt  ? 

ASSALAGNT  ganz  fest.  Trieb  der  Himmel  ein 
anderes,  Frau  Herzogin  ?  Und  er  trieb  das  seine  grau- 
sam und  ol.ne  Zweck.  So  muß  er  sich's  schon  gefallen 
lassen,  daß  es  ihm  von  irdischen  Händen  entwunden 
wird. 

HERZOGIN.  Und  Sie  merken  nicht,  Assalagny, 
daß  der  Himmel,  mächtiger  als  Sie,  eben  daran  ist, 
Ihnen  das  Spiel  wieder  zu  entreißen  ?  —  Haben  Sie 
mich  denn  nicht  verstanden?    Der  Herzog  war  eben 

256 


bei  mir!  Wie  im  Wahnsinn  leuchten  seine  Augen.  Die 
Unruhe  jagt  ihn  durchs  ganze  Haus,  treppauf  und  trepp- 
ab. Auf  die  Dauer  wird  seine  Ungeduld  nicht  zu  be- 
schwichtigen sein.  Was  soll  weiter  geschehen,  Assalagny  ? 

ASSALAGNT.  Ich  denke,  Frau  Herzogin,  man 
wird  Sorge  treffen  müssen,  daß  der  Reisewagen  recht- 
zeitig zur  Stelle  sei. 

HERZOGIN.  Wie  weit  denken  Sie  den  Spott  zu 
treiben,  Assalagny?  Haben  Sie  etwa  die  Absicht,  den 
kranken,  blinden  Herzog  im  Kreise  herumfahren  zu 
lassen,  tagelang,  nächtelang  ?  Und  ihm  am  Ende  vor- 
zulügen, er  halte  am  Eingang  zu  den  Tuilerien  ? 

ASSALAGNT.  Sie  verkennen  mich,  Frau  Herzogin. 
Der  Wagen  soll  den  Herzog  in  der  Tat  nach  Frankreich 
bringen.  Freilich  nicht  nach  Paris  und  vors  Tor  der 
königlichen  Residenz.  Aber  an  die  schönen  Ufer  der 
Loire  zu  dem  Schlosse  der  Valois  .  .  .  Und  ich  denke, 
Frau  Herzogin,  Sie  werden  mit  der  Lösung  nicht 
unzufrieden  sein. 

HERZOGIN.    Was  bedeutet  das  alles,  Assalagny? 

ASSALAGNT.  Nichts  anderes,  Frau  Herzogin, 
als  daß  die  Frau  Marquise  sich  gestern  zu  dem  Hof- 
konzert nach  Schönbrunn  begeben  hat  mit  der  Ab- 
sicht, beim  Kaiser  Napoleon  für  den  Herzog  und  die 
Herzogin  von  Valois  die  Bewilligung  zur  Rückkehr 
nach  Frankreich  zu  erbitten. 

HERZOGIN.  Assalagny,  ich  verstehe  nicht  — ! 
beim  Kaiser  —  ?  —  Und  es  wäre  möghch  .  .  . ! 

ASSALAGNT.  Es  wird  mögUch  sein.  Einer  Dame, 
die  in  so  hoher  Gunst  bei  ihm  steht,  wie  die  Frau 
Marquise,  wird  der  Kaiser  der  Franzosen  eine  solche 
Kleinigkeit  nicht  verweigern. 

HERZOGIN  versubend.  Assalagny!  Ich  bin  eine 
Frau !  Und  der  Herzog  ist  blind  und  krank  —  und  der 
Marquis  ist  weit! 

ASSALAGNT.  Auch  der  Marquis  wird  sich  in 
Umstände  zu  fügen  verstehen,  die  ihm,  wie  wir  hoffen 
wollen,  das  Leben  gerettet  haben. 

TheaterstOoke,  IV,  17  257 


HERZOGIN  aufs  TiejsU  erschüttert.  So  also  endet 
der  hohe  Traum  des  Herzogs  von  Valois. 

ASSALAGNT  etwas  erstaunt.  Noch  liegt  die  Zeit 
nicht  weit  zurück,  Frau  Herzogin,  da  Sie  selbst  den 
Herzog  anflehten,  einen  Traum  aufzugeben,  der  die 
Bürde,  die  Gefahr  und  die  Heimatlosigkeit  Ihres 
Daseins  bedeutete. 

HERZOGIN.  Und  doch  war  er  unsres  Geschlechtes 
letzter  und  edelster  Besitz!  Nun  freilich  ist  er  nichts 
andres  mehr  als  ein  Spielball  in  den  Händen  von 
Dienern  und  Dirnen  — 

Helene  tritt  auf. 

HELENE.   Meine  Mutter!  —  Sie  eilt  auf  sie  zu. 

HERZOGIN  spricht  weiter  zu  Assalagny  und  Helene.  So 
führt  denn  zu  Ende,  was  ihr  begonnen!  Begleitet 
den  Herzog  nach  Frankreich  .  .  .  mietet  Pöbelhaufen, 
dem  Narrenkönig  zuzujubeln  auf  seinem  Weg  .  .  .  und 
setzt  am  Ende  eine  Messingkrone  auf  sein  unglück- 
seliges, geschmähtes  Haupt!  Ich  werde  von  all  dem 
nichts  mehr  hören  und  nichts  sehen  .  .  .  Ich  bleibe 
hier,  in  meines  toten  Sohnes  Nachbarschaft.  Tiefer 
begraben  als  er  sind  die  andern  alle,  die  einstmals  mein 
gewesen  sind.  Meines  Gatten  Grab  ist  der  Hohn 
und  —  meiner  Tochter  Grab  die  Schande.  Haben  Sie 
Dank,  Assalagny  —  ich  bin  nun  satt  von  Neuigkeiten 
für  den  Rest  meiner  Tage.  —  Sit  gebt. 

HELENE.  Mutter! 

Assalagny.     Helene. 

HELENE  auf  Assalagny  zu.  Was  haben  Sie  meiner 
Mutter  erzählt? 

ASSALAGNY.  Es  ließ  sich  nicht  aufschieben. 
Der  Herr  Herzog  glaubt  die  Stunde  nah,  in  der  man 
ihn  nach  Frankreich  zurückberufen  würde  .  .  .  Und 
er  drang  in  die  Herzogin,  sich  zur  Reise  zu  rüsten  .  . . 
Ich  war  genötigt,  Aufklärungen  zu  geben  .  .  . 

HELENE.  Und  mich  als  Ihre  Verbündete  zu 
nennen  ? 

ASSALAGNT.   Ich  hatte  allen  Anlaß  —  Sie  dafür 


«S8 


zu  halten,  Frau  Marquise  .  .  .  Wollen  Sie  mich  im 
letzten  Augenblick  im  Stiche  lassen  —  ?  —  Mit  steigender 
Unruhe.  Gestern  abend  noch,  Frau  Marquise,  waren 
Sie  entschlossen,  beim  Kaiser  die  Genehmigung  zur 
Rückkehr  Ihres  Vaters  nach  Frankreich  zu  erbitten. 
Ist  es  nicht  so  ?  Sie  haben  ihn  gebeten,  gewiß !  Warum 
sollten  Sie  nicht?  Ich  weiß  es  ja,  Sie  sprachen  mit 
dem  Kaiser  .  .  . 

HELENE.  Ich  bat  ihn  nicht.  Ich  sprach  ihn  nicht. 
Er  sprach  allein.  Und  was  er  sprach,  war  gemacht, 
mir  alle  Worte  in  der  Kehle  zu  ersticken. 

ASSALAQNT.  Sie  hatten  keine  Möglichkeit,  Frau 
Marquise,  Ihre  Bitte  vorzubringen? 

HELENE.  Nein.  Mit  Hohn.  Ich  hatte  keine  Mög- 
lichkeit .  .  .  Napoleon  hätte  meine  Bitte  erkannt  als 
das,  was  sie  wirklich  zu  bedeuten  hatte. 

ASSALAGNT.    Was  sie  zu  bedeuten  hatte? 

HELENE.  Als  einen  Versuch,  den  Herzog  von 
Valois  auf  dem  geradesten  Weg  nach  Frankreich  — 
in  die  Arme  seiner  Getreuen  zu  führen. 

ASSALAGNT.  Eines  solchen  Versuchs,  Frau  Mar- 
quise, hätte  der  Kaiser  Sie  verdächtig  halten  sollen  ? 
Auch  wenn  Sie  selbst,  Frau  Marquise,  noch  mit 
solchen  Gedanken  spielten  —  was  ich  kaum  glauben 
kann  —  der  Kaiser  weiß,  daß  es  keine  Getreuen  des 
Herzogs  von  Valois  mehr  gibt.  Keine  zumindest,  auf 
die  der  Herzog  zählen  dürfte. 

HELENE.  Sie  irren,  Assalagny,  es  gibt  solche  Ge- 
treue, und  der  Kaiser  weiß  es.  Begreifen  Sie  denn 
wirklich  nicht.  Kurzsichtiger,  warum  ich  Sie  in  Ihrem 
armseligen  Lügenwerk  gewähren  ließ  ?  Muß  ich  Ihnen 
wirklich  erst  sagen,  was  all  die  Tage  her  meine  Hoff- 
nung war? 

ASSALAGNT.  Was  konnten  Sie  noch  hoffen, 
Frau  Marquise? 

HELENE.  Daß  nach  all  den  Neuigkeiten,  die  Sie 
erfanden,  endlich  eine  wahre  Nachricht  den  Weg  zu 
uns  fände,  geschaffen,  alle  Ihre  erlogenen  zu  recht- 

iJ*  259 


fertigen,    ja   gegen    Ihren    Willen    wahr   zu    machen. 
Darum  ließ  ich  Sie  gewähren  —  Assalagny.    Und  wie 

nah,  wie  nah 

Sieben  kurze  Schläge  an  die  Gartentüre^  die  ersten  drei  schon  während 
der  letzten  Worte  der  Helene 

ASSALAGNT  befremdeter  von  Schlag  zu  Schlag.  Was  — 
bedeutet  das  ?  —  Sieben  Schlage  an  die  Türe  —  ?  Das 
ist  ja  .  .  .  das  ist  ja  das  verabredete  Zeichen  für  den 
Fall,  daß  Nachricht  vom  Marquis  käme  — ?! 

HELENE.  Ja,  es  ist  das  verabredete  Zeichen.  Ein- 
mal schon  ertönte  es,  ohne  daß  Sie's  hörten.  Auch 
Laffraye  war  einmal  hier. 

ASSALAGNT.  Frau  Marquise,  ich  habe  keinen 
Anteil  an  dieser  Sache!  —  Beliebt  es  Ihnen,  um  Ihren 
Kopf  zu  spielen,  so  mögen  Sie's  tun.  Hier  gehen  Dinge 
vor,  denen  ich  gänzlich  fremd  bin. 

HELENE.  Es  gab  nie  andre  in  diesem  Hause,  arm- 
seliger Mensch !  Schon  an  der  Türe.  Gehn  Sie  nur.  Man 
weiß  in  Paris  so  gut  wie  in  Schönbrunn,  daß  Ihres 
Witzes  Mutter  die  Vorsicht  ist.  Sie  bat  geöffnet.  Da- 
rum ist  er  auch  als  Krüppel  geboren  — ! 

HELENE.    Seien  Sie  willkommen,  Desolteux. 

Assdagny  in  höchster  Betroffenheit,  begrüßt  Desoluux  durch  eint 
verlegene  Handbewegung  und  entfernt  sich. 

DESOLTEUX  beugt  die  Knie  vor  HeUne. 

HELENE  reicht  ihm  die  Hand. 

DESOLTEUX  küßt  sie  in  starker  Bewegung.  Frau  Mar- 
quise .  .  . 

HELENE.  Lassen  Sie  sich*8  nicht  kümmern, 
Desolteux,  daß  sich  Assalagny  so  rasch  entfernte.  Er 
fürchtet  für  sein  Leben. 

DESOLTEUX.  Das  wundert  mich  wenig.  Aber 
Sie,  Frau  Marquise,  find'  ich  so  gefaßt,  als  wäre  mein 
Erscheinen  hier  die  natürlichste  Sache  von  der  Welt. 

HELENE.  Verlangen  Sie  nicht,  mich  überrascht 
zu  sehen,  Desolteux!  Ich  habe  Sie  erwartet.  Heute  .  . 
In  dieser  Stunde.  Gestern  abend  in  Schönbrunn  nach 
dem  Hofkonzert  hat  mir  jemand  Ihr  Erscheinen  in 

260 


bestimmte  Aussicht  gestellt,  dem  ich  wohl  glauben 
mußte.  Es  war  Napoleon  Bonaparte,  der  Kaiser  der 
Franzosen. 

DESOLI  EU X  aufs  böcbsu  betroffen.  Er  weiß  ? ! .  .  .  Und 
ich  bin  da !  .  .  .  Er  weiß  —  und  ich  lebe  ? !  .  . . 

HELENE.  Ermessen  Sie  daraus  den  Grad  seiner 
Verachtung,  —  nicht  für  Sie,  Desolteui,  aber  für  die, 
die  Sie  hergesandt  haben. 

DESOLI  EU  X  weder  gefaßt.  Und  doch  —  er  weiß 
nicht  alles,  sonst  stand'  ich  nicht  vor  Ihnen,  Frau 
Marquise ! 

HELENE.  Sie  werden  müde  sein  von  der  Reise, 
Desolteux.  Setzen  Sie  sich  hierher  und  ruhen  Sie 
sich  aus. 

DESOLTEUX  läßt  sieb  auf  einen  Sessel  sinken. 

HELENE  setzt  sieb  aucb.  Sie  müssen  mir  nichts  er- 
zählen. Ich  bin  von  allem  unterrichtet.  —  Mir  sind 
die  Abmachungen  zwischen  dem  Marquis  und  dem 
Kommandanten  der  Festung  Pontoise  so  gut  bekannt 
wie  die  Versprechungen,  die  Ihr  von  den  Präfekten 
zu  Montares  und  zu  Evreuil  erhalten  habt.  Ich 
kann  Ihnen  auch  die  Namen  der  Sechzehn  nennen, 
die  am  Abend  des  vierten  August  in  den  sogenannten 
chinesischen  Bädern  zusammengekommen  sind,  um 
dem  Marquis  von  Valois  Treue  zu  schw^ören.  Oder 
wollen  Sie  lieber  ein  paar  Proben  aus  dem  Gespräche 
vernehmen,  das  Sie  selbst,  Desolteux,  in  einem  Wirts- 
haus zu  Verneuil,  mit  zwei  Deserteuren  der  spanischen 
Armee  geführt  haben  ? 

DESOLTEUX.  Es  scheint  wirklich,  ich  kann  mir 
meinen  Bericht  ersparen.  Es  stimmt  alles.  Ja,  ich 
darf  sogar  annehmen,  daß  Ihnen,  Frau  Marquise,  um 
einiges  mehr  bekannt  ist  als  mir  selbst  .  .  .  Vi^enn  ich 
mir  eine  Frage  erlauben  dürfte  .  .  . 

HELENE.  Sie  wollen  näheres  über  das  Schicksal 
Laffrayes  erfahren  .  .  .  Die  Nacht,  in  der  er  mir  einen 
gewissen  Brief  überbrachte,  war  seine  letzte. 

DESOLTEUX  atmet  tief  auf.  Dann:  Seine  Majestät  hat 

261 


zweifellos  auch  geruht,  der  Frau  Marquise  mitzuteilen, 
wie  es  nach  meiner  Abreise  dem  Herrn  Marquis  und 
seinen  Freunden  ergangen  ist  — ? 

HELENE.  Sie,  Desolteux,  sind  der  einzige  von 
allen,  der  in  diesem  Augenblick  noch  frei  ist. 

DESOLTEUX.  So  ist  es  nicht  schwer  zu  erraten, 
was  mir  bevorsteht,  wenn  ich  aus  dieser  Türe  auf  die 
Straße  trete.  Es  ist  schließlich  das  Ende,  auf  das 
man  durch  siebzehn  Jahre  gefaßt  sein  mußte. 

HELENE  sUbt  bewegungslos. 

DESOLTEUX.  Darf  ich  noch  einmal  die  Hände 
meines  Herzogs  küssen,  eh'  ich  von  hier  fortgehe? 

HELENE.    Das  dürfen  Sie  nicht,  Desolteux. 

DESOLTEUX.    Nicht  einmal  das  .  .  . 

HELENE.  Nein,  Desolteux!  Und  Sie  werden  es 
verstehn.  Seit  Sie  fort  sind,  gelangen  an  den  Herzog 
nur  erfundene  Nachrichten,  die  ihn  über  den  wahren 
Stand  der  Dinge  in  vollkommener  Täuschung  erhalten. 
Ein  Spiel  Assalagnys,  ersonnen,  um  den  letzten  Tagen 
eines  Verlorenen  den  trügerischen  Abendschein  der 
Erfüllung  zu  verleihn.  In  der  Meinung  meines  Vaters 
ist  Napoleons  Armee  auf  der  Flucht  und  steht  unsre 
Sache  so  günstig,  daß  er  eben  daran  ist,  sich  für  die 
Reise  nach  Frankreich  zu  rüsten,  wo  er  unsre  Partei 
ins  Riesige  gewachsen  und  am  Vorabend  des  Triumphes 
wähnt.  Sie  dürfen  den  Herzog  nicht  sehen,  Desolteux; 
—  denn  es  wäre  jammervoll,  Ihre  letzte  Begegnung 
mit  ihm  zu  einem  Betrüge  anszunützen;  —  und  die 
Wahrheit  soll  ihm  verborgen  bleiben  bis  zum  Ende  .  . . 

DESOLTEUX.  Wohl  ihm,  wenn's  gelingt !  —  Leben 
Sie  wohl,  Frau  Marquise. 

HELENE  rubig,  ihn  groß  ansehend.  Sie  sind  auf  falscher 
Fährte,  Desolteux!  Der  Kaiser  sprach  heute  nacht 
zum  erstenmal  von  diesen  Dingen  zu  mir.  Und  seit 
langer  Zeit  war  es  die  erste  Kunde  wieder,  die  von 
unsern  Angelegenheiten  zu  mir  gelangte.  Daß  der 
Kaiser  es  war,  von  dem  ich  sie  vernehmen  mußte,  ist 
meine  Schuld  so  wenig  als  die  Ihre,  Desolteux.    Ich 

262 


bin  dieselbe,  die  ich  gewesen  bin,  —  gerade  so  wie  Sie! 
Ganz  dieselbe,  Desolteux.  Wir  haben  eben  verspielt 
und  müssen  uns  drein  fügen  ...  Es  ist  zu  Ende;  — 
für  uns  alle. 

DESOLTEUX.  Für  uns  alle  —  ?  Immerhin,  Frau 
Marquise,  es  gibt  Unterschiede! 

HELENE  einfach.  Desolteux!  ich  bin  nicht  die  Ge- 
liebte Napoleons. 

DESOLTEUX.  Sie  sagen  es,  Frau  Marquise,  und 
ich  glaube  es  Ihnen.  Aber  so  wahr  er  Napoleon  ist 
und  Sie  die  Marquise  von  Valois,  so  sicher  ist  es  vom 
Himmel  oder  von  der  Hölle  gewollt,  daß  Sie  ihn 
anbeten. 

HELENE.  Und  wenn  Sie  recht  hätten,  —  Desol- 
teux —  verstehn  Sie  nicht,  —  daß  mein  Haß  darum 
nur  um  so  tiefer  glühen  müßte? 

DESOLTEUX.  Eine  nutzlose  Glut,  Frau  Marquise, 
in  jedem  Fall.  Napoleon  wäre  klüger  als  jener  Feld- 
herr, der  die  Unvorsichtigkeit  beging,  —  in  —  einer 
Judith  Armen  einzuschlafen.  —  Leben  Sie  wohl,  Frau 
Marquise. 

HELENE.  Und  so  scheidet  der  Treueste  von 
allen  .  .  .  ? 

DESOLTEUX.  Sie  vergessen  einen,  Frau  Marquise, 
dessen  Treue  höher  anzuschlagen  ist  als  die  meine. 
Denn  er  war  treu,  ohne  Glauben  an  die  Sache.  Dem 
Herrn  Marquis  wird  der  Tod  bitterer  sein  als  mir. 

HELENE.  Ob  der  Marquis  und  die  andern  be- 
gnadigt werden,  weiß  ich  nicht,  aber  Sie,  Desolteux, 
werden  nicht  den  Tod  erleiden.  Ich  habe  des  Kaisers 
Wort. 

DESOLTEUX.    Dem  glauben  Sie  ...  f 

HELENE.  Die  andern  verachtet  er,  Sie  nicht. 
Selbst  der  Klang  seiner  Stimme  war  anders,  da  er  Ihren 
Namen  aussprach. 

DESOLTEUX.  Das  denk'  ich  mir.  Denn,  wenn  er 
es  Ihnen  auch  verschwieg,  —  ich  kann  nicht  glauben, 
daß  er  gerade  dies  eine  nicht  wissen  sollte  — :  warum 


163 


ich  —  und  warum  gerade  ich  nach  Wien  gesandt 
bin  . .  . 

HELENE.    Desolteux!    Darum!    Ist  es  möglich?! 

DESOLTEUX.  Man  war  ungeduldiger  in  Paris 
als  hier,  Frau  Marquise! 

HELENE  nach  kurzem  Besinnen.  So  ist  es  gerade 
darum,  daß  er  Sie  verschont! 

DESOLTEUX.  Er  war  gnädig  genug.  Er  gab  mir 
Gelegenheit,  Frau  Marquise,  von  Ihnen  den  letzten 
Abschied  zu  nehmen! 

HELENE.  Den  letzten  —  vielleicht  — .  Doch 
nicht  auf  lange  Zeit,  Desolteux! 

DESOLTEUX.    Frau  Marquise  — ! 

HELENE.  Ich  bin,  die  ich  war,  Desolteux.  Alles 
ist  zu  Ende.    Hier  meine  Hand!    Auch  für  mich  — ! 

HERZOG  kommt.  Desolteux!  .  .  .  Man  verheimhche 
es  mir  nicht  länger!   Ich  weiß  ja,  daß  er  gekommen  ist! 

DESOLTEUX.  Mein  Herzog  .  .  .  Vor  ihm  auf  die  Knie. 

HERZOG.  Desolteux!  Ich  habe  es  gewußt,  daß 
Sie  mich  nicht  lange  würden  warten  lassen. 

HELENE.    Vater... 

HERZOG.  Man  rufe  die  Herzogin.  Sie  lasse  ab  zu 
trauern.  Fühlt  sie's  nicht  endhch  — f !  Das  Schicksal 
Frankreichs  hat  es  verlangt,  daß  unser  Sohn  sterben 
mußte.  Lebte  er,  so  wären  wir  heute  nicht,  wo  wir 
sind  .  .  .  Helene !  .  .  .  Geliebte,  treue  Tochter  der  Valois. 
Ich  küsse  deine  Stirne,  Mutter  der  künftigen  Könige 
von  Frankreich. 

ASSALAGNT  eilt  herbei.  Heiliger  Himmel,  sein 
Wahnsinn  eilt  meiner  Lüge  weit  voraus. 

HERZOG.  Ich  bin  bereit,  Desolteux.  Noch  vor 
Abend  wollen  wir  uns  auf  den  Weg  nach  Frankreich 
machen. 

ASSALAGNT.  Herr  Herzog!  Es  wird  nicht  mög- 
lich sein,  in  so  kurzer  Zeit  zur  Abreise  zu  rüsten.  Auch 
sind  die  Wege  noch  nicht  sicher  genug,  es  wimmelt 
von  Nachzüglern  und  Marodeuren  der  versprengten 
Napoleonischen  Armee  .  . . 

264 


HERZOG.  Wer  Furcht  hat,  bleibe  hier  zurück. 
Den,  der  zum  Herrn  von  Frankreich  bestimmt  ist, 
wird  Gott  beschützen.  Heute  abend,  eh'  die  Sonne 
untergeht,  soll  alles  bereit  sein.  Und  wenn  niemand 
mich  begleitet,  so  geh'  ich  allein,  —  auf  diesen  Stab 
gestützt,  und  ich  weiß  es,  mitten  durch  die  ewige 
Nacht  find'  ich  mir  die  Straße  nach  meinem  Vaterland. 

DESOLI  EU  X  vor  ihm  auf  den  Knien.  Herr  Herzog! . . 
Er  eilt  davon. 

HERZOG.  Ich  weiß,  daß  meine  Tage  gezählt  sind 
—  und  nicht  in  der  Fremde  will  ich  als  Erkorner  meines 
Volkes  sterben.  Noch  einmal  soll  die  Luft  meines 
Frankreich,  das  sich  auf  seinen  wahren  Herrn  besann, 
mir  um  die  Schläfen  wehen,  eh'  ich  zu  meinen  Vätern 
gehe.    Er  toendet  sieb,  um  zu  geben,  von  Assalagny  geleitet. 

Da  fällt  ein  Schuß. 
Alle  bleiben  einen  Augenblick  wie  erstarrt  stehen, 

EIN  DIENER  zur  Gartentür,  öffnet  sie  rasch,  ruft  berein. 
Es  liegt  ein  Toter  vor  der  Tür  .  .  . 

HELENE  ohne  binzusebn.  Desolteux!  —  Die  Waffe 
in  der  Hand? 

DIENER.  Nein,  Frau  Marquis  .  .  .  Auch  keine  auf 
dem  Boden  ...  Er  ist  erschossen  .  .  . 

HELENE  die  Hand  wie  drohend.    Oh!  .  .  . 

HERZOG  als  erwachte  er.    Was  ist  geschehen  . .  .  ? 

HELENE.  Ich  habe  mit  dem  Herzog  zu  sprechen.  — 
Man  lasse  mich  mit  ihm  allein  .  .  . 

ASSALAGNT.  Frau  Marquise!  um  Himmels 
willen!  was  haben  Sie  vor?! 

HELENE.  Den  letzten  Herzog  von  Valois  nicht 
als  Betrogenen  zur  Grube  fahren  zu  lassen!  —  Mein 
Vater!     Zu  ihm  bin. 

HERZOG  in  Seelenangst  und  fast  versubend.    Helene! 

ZwßiU  Sxene 

Schloßhof  von  Schönbrunn. 
Im  Hintergrund  die  Front  des  Schlosses,   Längs  des  trsUn  Stockvuerhts 


läuft  du  Ttrraste,  ku  dtr  vom  Hof  aus  jederseits  eine  Freitreppe 
hinaufführt.  —  Durch  den  mittleren  der  fünf  Torgänge  ist  der  Blick 
in  den  Park  frei.  In  der  Mitte  der  Terrasse  eine  geschlossene  Türe, 
an  der  zwei  französische  Gardisten  Wache  halten.  Der  Aufgang 
zur  Freitreppe  ist  von  Gardisten  bewacht^  die  mäßige  und  nicht 
immer  ernst  gemeinte  Mühe  aufwenden,  die  Menge  von  den  Treppen 
zurückzuhalten.  Im  Hofe  französische  Gardisten  in  zwangloser 
Haltung;  manche  gelegentlich  im  Gespräch  mit  Wiener  Bürgern^ 
Frauen  und  Mädchen.  Auch  Kinder  sind  zu  sehen.  Ununterbrochene 
Bewegung.  Da  und  dort  Gruppen  in  lebhafter  Unterhaltung,  Grüße, 
Begegnungen.  Auch  französische  Offiziere  und  Soldaten  anderer 
Truppengattungen  bewegen  sich  im  Hofe.  Sowohl  rechts  wie  links  ist 
es  eben  einigen  Personen  gelungen,  ein  paar  Stufen  der  Freitreppe  zu 
ersteigen.    Sie  werden  zurückgewiesen. 

ERSTER  GARDIST  rechts  unten,  zu  einem  jungen  Mädchen^ 
ubr  höflich.  Es  ist  nicht  erlaubt,  auf  der  Treppe  zu 
stehen,  Mademoiselle. 

JUNGES  MÄDCHEN.  Aber  bitt' schön,  da  genier» 
ich  ja  keinen.  Sie  bleibt  subn.  Der  Gardist  galant,  beginnt  sieb 
mit  ihr  zu  unterhalten. 

ZWEITER   GARDIST  links  zu  zwei  Burschen,  die  eben 

iarfin  sind,   die  Treppe  zu    betreUn.      Herunter.     Sofort  die 

Treppe  räumen! 

Die  Treppe  wird  geräumt,  doch  kommt  immer  wieder  neuer  Nach- 
schub aus  der  Menge,  so  daß  sich  das  Spiel  noch  einige  Male  wiederholt. 

SCHREUBLER  zu  einer  Gruppe  von  recbu  tretend.  Ist's 
wahr?  Abgesandte  aus  dem  österreichischen  Haupt- 
quartier sind  oben  beim  Kaiser  Napoleon  ? 

BERGER.  Ja,  wieder  einmal.  Der  Fürst  Lichten- 
stein und  der  Graf  Bubna  und  der  General  Meyer. 
Seit  neun  Uhr  früh  sind  s'  oben,  und  jetzt  ist  bald 
zwölf. 

SCHREUBLER.  Ja,  der  Lichtenstein,  der  ist  schon 
der  richtige! 

BRADL.  Kennen  Sie  denn  den  Fürsten  Lichtenstein  ? 

SCHREUBLER.  Was  brauch'  ich  ihn  denn  zu 
kennen  ?  Das  ist  doch  schon  so  bei  uns :  Wenn  man  bei 
uns  wen  zu  was  aussucht,  ist  es  immer  der  G'fehlte. 

BRADL.  Der  Lichtenstein  soll  aber  sehr  für  den 
Frieden  sein. 


266 


FÖDERL.  Gott  gebe,  daß  sie  endlich  zu  einem 
Resultat  kommen. 

SCHREUBLER.    Wird  ein  schönes  Resultat  sein. 

BRADL.  Wenn  nur  endlich  einmal  Friede  wird, 
das  ist  die  Hauptsache.  Daß  wir  von  draußen  nichts 
zu  hoffen  haben,  das  müssen  die  da  oben  doch  endlich 
einmal  einsehen  .  .  . 

EIN  ALTER  BÜRGER.  Mir  is  gleich.  Zwei 
Söhne  hab'  ich  g'habt,  der  eine  is  in  Regensburg  ge- 
fallen, den  zweiten  haben  s*  in  Aspem  zum  Krüppel 
g'schossen.    Mir  is  gleich. 

BERGER.  Wenn  er  nur  nicht  so  schreckliche  Be- 
dingungen stellen  möcht',  der  Napoleon!  Das  halbe 
GaHzien  sollen  wir  hergeben.  Und  Salzburg  und 
Berchtesgaden  .  .  . 

FÖDERL,  Na  und  wenn  schon  —  zu  was  brauchen 
denn  Sie  Berchtesgaden,  Herr  Berger? 

BRADL.  Und  die  Kontribution,  die  Kontribution! 
Was  da  wieder  für  Steuern  kommen  werden.  Wo  wir's 
nur  hernehmen  sollen  ? 

BERGER.  Und  jetzt  soll  er  sich  gar  noch  drauf 
kaprizieren,  daß  die  Festungswerke  gesprengt  werden. 

SCHREUBLER.  War»  nicht  schad'  drum.  Was  sie 
uns  schon  genützt  haben! 

FRAU  FÖDERL.  Die  Festungswerke  sprengen?! 
Nein,   das  darf  nicht  sein. 

SCHREUBLER.  Also  die  Frau  Gemahlin  ist  da- 
gegen .  .  .  Da  wird  sich  schon  nix  machen  lassen. 

Das  Gespräch  gebt  fort. 

Von  links  der  elegante  Herr  und  die  elegante  Frau  in  Begleitung 

eines  französischen  Rittmeisters. 

DIE  DAME.  Um  wieviel  Uhr  soll  der  Kaiser  Na- 
poleon herunterkommen,  Herr  Rittmeister? 

RITTMEISTER.  Für  zwei  Uhr  ist  die  Revue  an- 
gesagt. 

DIE  DAME.  So  viele  Leute  sind  da !  .  .  .  Man  wird 
nichts  sehen!  — 

RITTMEISTER.    Halten  Sie  sich  nur  in  meiner 


267 


Nähe,  Madame,  ich  verspreche  Ihnen,  daß  Sie  Seine 
Majestät  ganz  gut  sehen  werden.  Und  vorher  ist  noch 
die  Auffahrt  der  Gäste,  die  zur  Revue  geladen  sind, 
das  wird  Madame  gewiß  sehr  interessieren.  Vielleicht 
erlaubt  der  Herr  Gemahl,  daß  ich  Madame  den  Arm 
reiche. 

DIE  DAME.   Er  erlaubt's  schon.   Sie  gibt  ihm  den  Arm. 

DER  HERR.    O  bitte,  o  bitte,  o  bitte  .  .  . 

Rittmeister  führt  die  Dame  näher  zur  Treppe^  der  Gatts  folgt  grimmig 
und  verstört. 

EIN  BETTLER  zu  der  Gruppe  rechts.  Bitt'  schön,  ein 
Almosen.  Ich  bin  von  Aspern.  Mein  Haus  und  Hof 
ist  abgebrannt.  Fünf  Kinder  hab'  ich  zu  Haus,  die 
schlafen  in  einer  Schupfen. 

Er  wird  beschenkt. 

BRADL.  Das  ist  schon  nicht  mehr  zum  aushalten, 
mit  der  Bettelei ...  Es  ist  ja  schon  ein  wahrer  Ge- 
schäftszweig .  .  .  Die  Hälfte  sind  Schwindler. 

BERGER.  Ah,  sagen  S*  das  nicht,  in  Aspem  da 
sieht's  gar  traurig  aus  .  .  .  Ich  bin  gestern  in  der  Gegend 
gewesen. 

STIMMEN.  Ah  .  .  .  In  Aspern  waren  S'  ?  —  Ich 
war  auch  neulich  dort.  —  So?  —  Sie  auch? 

BERGER.  Von  den  meisten  Häusern  stehn  nur 
die  nackten  Mauern,  keine  Fensterscheiben  is  ganz  — 
und  wie  die  Felder  ausschaun  — !  das  ist  ein  Jammer, 
da  wachst  in  Jahren  kein  Halm  mehr  .  .  . 

EINER.    Und  haben  S'  die  Hügeln  gesehn? 

BERGER.  Na  freihch  —  wenn  S'  einen  nicht  aus- 
reden lassen  —  ob  ich  sie  g'sehen  hab,  die  Hügerln, 
wo  unsre  braven  Soldaten  drunter  hegen  .  .  . 

SCHREUBLER.    Und  die  andern  auch  .  .  . 

BRADL.    Sind  auch  brav  gewesen:  die  andern. 

SCHREUBLER.  Und  wären  manche  lieber  bei 
uns  g'standen  .  .  . 

BRADL.  Das  war  ja  das  allertraurigste  an  dem 
Krieg! 

FRAU  fÖDERL.   Ich  begreif  gar  nicht,  daß  Sic 

268 


sich  so  was  Trauriges  noch  extra  anschaun  gehn,  Herr 
Berger.  Daß  Sie  zu  solchen  Landpartien  überhaupt 
aufgelegt  sind!  Wo  doch  Ihr  armes  Töchterl  erst  vor 
^^erzehn  Tagen  gestorben  ist. 

BERGER.  Grad  darum,  grad  darum.  Ich  versicher* 
Ihnen,  Frau  Föderl,  das  is  eher  ein  Trost.  Schaun  S', 
ich  denk*  mir  halt  immer,  mein  armes  Annerl,  das  ist 
auch  ein  Opfer  von  dem  unglückseligen  Krieg.  Es 
dient  jeder  dem  Vaterland  wie  er  kann.  Ich  bin  halt 
mit  meiner  Flinten  auf  der  Bastei  gewesen.  Bitte 
meine  Herrschaften,  ich  kann  nichts  dafür,  daß  kapitu- 
liert worden  ist,  eh'  ich  geschossen  hab'.  — 

FRJU  FÖDERL.   Mir  tut  Ihre  arme  Frau  so  leid. 

BERGER.  Ja,  die  trifft's  auch  noch  ärger  wie  mich. 
Sie  kommt  seither  überhaupt  nimmer  aus  dem  Haus  — 
nur,  wenn's  in  die  Kirchen  geht.  Und  ich  sag*  halt: 
wenn  man  schon  weiterlebt  nach  so  einem  Malheur, 
da  gibt's  nur  eins:  Schaun,  daß  man  auf  andre  Ge- 
danken kommt.  Gestern  bin  ich  sogar  im  Theater 
gewesen  .  .  .  eine  Komödie  von  Zschokke  haben  s'  ge- 
geben —  nicht  viel  dran  —  aber  haben  S'  denn  von 
der  großen  Demonstration  nichts  gehört  ? 

FÖDERL.    Was  denn  für  eine  Demonstration? 

BERGER.  Also,  das  wissen  Sie  nicht?  Eine  große 
Demonstration  für  den  Krieg. 

STIMMEN.  Ah  ...  für  den  Krieg  ?  .  .  .  Was  hat's 
denn  gegeben  ?  .  .  .  Was  haben  s'  denn  aufgeführt  ?  Das 
fehlt  uns  noch  — !  —  für'n  Krieg?  —  Frieden  wollen 
wir!  .  .  .  Was  denn  für  eine  Demonstration? 

BERG  ER.  Also  da  sagt  ein  junger  Mensch,  der 
Ackermann  hat  ihn  gegeben,  sagt  er  im  zweiten  Akt  — 
wie  sagt  er  denn  nur  g'schwind  — ?  „Noch  ist  nicht 
alles  verloren,"  —  es  hat  sich  natürlich  auf  was  ganz 
andres  bezogen,  —  was  nämlich  im  Stück  vorgekommen 
is.  „Noch  ist  nicht  alles  verloren,"  sagt  er,  „jeder  gute 
Bürger  gibt  den  letzten  Blutstropfen  her  für  seinen 
Fürsten."  Na  und  wie  er  das  sagt,  da  geht's  los.  Ein 
Applaus  im  ganzen  Theater,  daß  die  Schauspieler  ein 

269 


paar  Minuten  gar  nicht  haben  weiterreden  können. 
Es  war  großartig.  Zum  Weinen.  Ein  paar  französische 
Offiziere  waren  im  Theater  drin,  die  haben  sich  nur 
so  ang'schaut  gegenseitig. 

SCHREUBLER.  Das  glaub'  ich!  Die  müssen  uns 
ja  für  verrückt  halten! 

BERGER.    Wieso  denn? 

SCHREUBLER.  Daß  es  noch  Leute  gibt,  die  weiter 
Krieg  führen  wollen! 

BERGER.    Wer  denn?  Ich  bitte  Sie! 

SCHREUBLER.  Na,  Sie  zum  Beispiel!  Oder  haben 
Sie  vielleicht  nicht  applaudiert  ? 

BERGER.  Na  ja  .  .  .  Und  Sie  hätten's  auch  getan  . . 
Aber  natürlich!  .  .  .  Ich  bitt'  Sie,  im  Theater! 
Er  entfernt  sieb  von  der  Gruppe. 

BRADL.  Sehn  Sie,  das  ist  das  Unglück!  Durch 
solche  Vorfälle  werden  die  Herrschaften  oben  über  die 
wahre  Stimmung  der  Wiener  Bevölkerung  getäuscht! 

SCHREUBLER.  Wenn  nicht  gar  diese  sogenannte 
Demonstration  künstlich  arrangiert  worden  ist  von 
gewissen  Leuten,  die  Grund  haben,  die  Fortdauer  des 
Kriegs  zu  wünschen. 

STIMMEN.  Wen  meinen  Sie  denn  .  .  .  ?  Sie  glauben 
.  .  .    Der  Lichtenstein  ?  —  O  nein.  —  Wer  denn  ? 

SCHREUBLER.   Da  müssen  Sie  sehr  hoch  suchen, 

meine  Herrschaften,  aber  schon  sehr  .  .  . 

Gespräch  gebt  weiter. 
Berger  ist  dem  Etzelt  begegnet. 

BERGER.  Grüß'  Gott,  Etzelt!  Machen  sich  auch 
einmal  einen  freien  Tag? 

ETZELT.  Ja,  die  Neugier  treibt  mich  heraus.  Ich 
bin  nämlich  der  berühmte  eine  Wiener,  der  den  Na- 
poleon noch  nicht  gesehn  hat.  Und  nach  allem,  was 
man  hört,  ist  es  ja  die  höchste  Zeit  — ! 

BERGER.  Ich  sag's  halt  immer  —  man  soll  nichts 
aufschieben.  —  Übrigens,  wie  geht's  denn  dem  Me- 
dardus  ?  — 

ETZELT.   Was  soll  denn  mit  dem  Medardus  sein? 


270 


BERGER.  Na  hören  Sie,  Etzelt!  So  was  laßt  sich 
sdiließlich  nicht  geheim  halten.  Er  ist  doch  total 
überg'schnappt  seit  dem  Unglück  mit  dem  Eschen- 
bacher. 

ETZELT.  Das  ist  mir  wirklich  das  allemeuste!  Es 
hat  ihn  natürlich  furchtbar  erschüttert,  das  ist  am  End' 
kein  Wunder  — 

BERGER.  Aber  erzählen  S'  mir  nichts,  Etzelt. 
Ich  bin  ihm  ja  erst  vor  ein  paar  Tagen  begegnet  und 
weiß,  was  ich  weiß! 

ETZELT.    Na  was  wissen  Sie  denn,  Herr  Berger  1 

BERGER.  Wie  er  nur  ausschaut!  Wenn  man  sich 
erinnert,  was  er  früher  auf  sich  gehalten  hat!  Und 
jetzt  — !  Wie  ich  ihn  angesprochen  hab',  hat  er  mich 
zuerst  angestarrt,  als  möcht'  er  mich  überhaupt  nicht 
kennen,  und  ist  weitergegangen.  Es  war  am  Tag  nach- 
dem wir  das  arme  Annerl  begraben  haben  .  .  .  Und 
beim  Begräbnis  ist  er  gar  nicht  gewesen!  Na  und  er 
hat  doch  gewußt,  wie  sie  an  ihm  gehangen  ist!  Unter 
uns  —  was  war  denn  die  ganze  Geschieht'  mit  der 
Krankenwärterei .  .  .  ?    Unglückliche  Liebe,  Etzelt .  .  . 

URALTER  HERR  kommt  allein^  sehr  aufgeräumt,  seinen 
Stock  schlenkernd.  Habe  die  Ehre,  meine  Herren,  schöner 
Tag  heute,  wenn  wir  nicht  ein  Gewitter  kriegen. 
Wolken,  Wolken! 

SCHREUBLER.  Den  sollt'  ich  ja  kennen.  Ja  frei- 
lich .  .  .  Zum  uralten  Herrn.  Na,  wie  geht's  denn,  Herr 
Großvater.  Warum  denn  so  allein  ?  Wie  wir  uns 
zuletzt  g'sehn  haben,  da  sind  Sie  mit  einem  kleinen 
Mäderl  herumgegangen.  Am  Friedhof  einmal!  Zu  den 
Anderen.  Wie  die  Agathe  Klähr  und  ihr  Geliebter  ist 
begraben  worden,  der  Franzos'. 

URALTER  HERR  lustig.  Ja,  das  kleine  Mäderl, 
das  liegt  jetzt  auch  schon  draußen  auf  dem  Friedhof. 
Geboren  am  12.  April  1799,  gestorben  am  13.  Mai  1809 
fürs  Vaterland !  Auf  der  Bastei  ist  sie  erschossen  worden ! 

STIMMEN.  Ah  richtig!...  Der  da  —  ?  Ja! 
Kennen  S'  ihn  denn  nicht? 


271 


URALTER  HERR.  War  ein  liebes  braves  Mäderl. 
Jetzt  geh'  ich  halt  allein  spazieren.  Hab'  die  Ehre,  meine 
Herrn.    Wiü  netter. 

SCHREUBLER.  Ah,  da  können  S'  nicht  hinein, 
der  Park  ist  abg'sperrt. 

URALTER  HERR.  So,  warum  ist  er  denn  ab- 
g'sperrt ? 

SCHREUBLER.  Na,  wissen  S'  denn  nicht,  daß 
der  Napoleon  da  oben  wohnt? 

URALTER  HERR.  Wer  wohnt  da  droben?  Der 
Napoleon  ?  .  .  .  Aha,  weiß  schon,  weiß  schon.  Er  gebt 
sebUnkernd  und  pfeifend  weiter. 

Vorn  links  begegnen  sieb  Medardus  und  Elisabetb.  —  Medardus 

siebt  blaßf  aber  keineswegs  so  verstört  und  vernacblässigt  aus,  wie 

nacb  Bergers  Bemerkungen  xu  vermuten  war. 

Elisabetb.     Medardus. 

ELISABETH.    Medardus  — !  — 

MEDARDUS  fäbrt  leicbt  zusammen.    Was  ist  .  .  . 

ELISABETH  sehr  bübscb  gekleidet^  in  der  Haartracht  etwa» 
verändert.    Kennst  du  mich  nicht? 

MEDARDUS.    EUsabeth  . .  . 

ELISABETH  nickt.  Lang  haben  wir  uns  nicht 
gesehn.  Siehst  blaß  aus,  Medardus.  Ich  weiß  ja,  hast 
viel  mitgemacht.  Das  arme  Annerl.  Ja,  was  so  alles 
in  einem  kurzen  Jahr  geschehen  kann. 

MEDARDUS.    Ein  Jahr!  — 

ELISABETH.  Ich  hätt'  dir  auch  manches  zu  er- 
zählen, Medardus. 

MEDARDUS.    Später  einmal.    Wiü  gebn. 

ELISABETH.  Später  ?  .  .  .  Wird  nicht  viel  Zeit 
dazu  sein.  Wenn  die  Franzosen  abmarschieren,  geh* 
ich  auch  fort  von  Wien.  Der  Meinige  nimmt  mich 
mit  nach  Paris. 

MEDARDUS.  So?  —  Ah!  —  Hab'  ich  dich  im 
Sommer  nicht  einmal  am  Graben  gesehn  mit  ihm  ? 
Ein  Kürassier  ist  er  gewesen! 

ELISABETH.  Du  erinnerst  dich  noch  an  den  .  .  .  ? 
Ich  weiß  gar  nimmer,  wie  er  ausg'schaut  hat.   Der  ist 


272 


tot.  Bei  Wagram  ist  er  gefallen.  Ich  hab'  überhaupt 
viel  Unglück  gehabt.  Glück  und  Unglück.  Das 
wechselt  halt.  Wenn  du  willst,  so  erzähl'  ich  dir  heut 
abend  alles.  Heut  abend  hat  nämlich  mein  Jetziger 
Dienst  im  Schloß.  Er  ist  bei  der  Garde.  Ich  wohn' 
ganz  nah  in  der  Meidlinger  Hauptstraße.  Neben  dem 
Türkenwirtshaus.  Es  war*  schön,  wenn  ich  dich  noch 
einmal  sehn  könnt',  eh'  ich  für  immer  von  hier  fortgeh'. 
Zurück  komm'  ich  nimmer. 

MEDARDUS  antworut  nicht, 

ETZELT  gewahrt  ihn.  Medardus  .  . . 

ELISABETH.  Also  du  kommst  nicht  seufzt.  Na, 
grüß'  dich  Gott,  Medardus. 

MEDARDUS.    Leb'  wohl,  Elisabeth! 

ELISABETH  ab. 

ETZELT.    Medardus,  was  machst  du  da? 

MEDARDUS  ruhig.  Du  siehst  ja  wohl  —  ich 
unterhielt  mich  eben  mit  einer  alten  Bekannten. 

ETZELT.    Wie  kommst  du  hierher? 

MEDARDUS.  Komische  Frage!  Wie  die  andern 
alle.  Ich  Heß  mich  treiben.  Ist  nicht  die  halbe  Stadt 
hier  heraußen  ? 

ETZELT.  Ja,  es  ist  wirklich  ein  arges  Gedräng. 
Ich  will  dir  einen  Vorschlag  machen,  Medardus.  Es 
ist  ein  so  wundervoller  Herbsttag;  —  wie  wär's,  wenn 
wir  zusammen  weiter  hinauswanderten,  fort  von  der 
Menschenmenge  hier.    Irgendwohin  ins  Freie. 

MEDARDUS.  Wenn  ich  deinen  Bhck  richtig  ver- 
stehe, muß  ich  ja  recht  bedenkhch  aussehn.  Aber  — 
was  glaubst  du,  Etzelt,  wenn  ich  mich  wirklich  —  mit 
so  gefährUchen  Gedanken  trüge,  wie  du  zu  vermuten 
scheinst  —  ob  ich  es  nicht  schlauer  anzustellen  wüßte  ? 

ETZELT.  Um  so  weniger  Anlaß,  meinem  Wunsch 
nicht  nachzugeben;  komm,  Medardus! 

MEDARDUS.  Wenn  es  mir  nun  Spaß  machte, 
das  Treiben  hier  anzusehn  ?  Man  wird  dergleichen 
nicht  oft  mehr  bewundern  können.  Der  Friede  scheint 
ja  nahe  zu  sein.    Ich  möchte  lieber  bleiben. 

Tbeatentficke.  IV,  iS  273 


ETZELT.  Ich  rühre  mich  nicht  von  deiner  Seite, 
Medardus. 

MED  ARD  US  immer  ruhig.  Und  wenn  ich  wirk- 
lich wollte,  was  du  zu  fürchten  scheinst,  guter  Etzelt, 
meinst  du,  irgendein  Mensch  könnte  mich  daran 
hindern  ?  —  Aber  ich  will  nichts.  Ich  will  schon 
lange  nichts  mehr.  Hier  meine  Hand.  Bist  du  nun 
zufrieden  ? 

ETZELT.  Ist  das  die  Wahrheit  —  so  komm  mit 
mir  heim,  zu  deiner  Mutter,  eine  schwere  Sorge  von 
ihr  zu  nehmen! 

MEDARDUS.  Meiner  Mutter?  Lehr»  du  mich 
meine  Mutter  kennen.  Daß  sie  vergeblich  erhofft  hat, 
was  sie  heute  —  zu  fürchten  glaubt,  wird  der  tiefste 
Schmerz  ihres  Lebens  bleiben. 

ETZELT.  Du  irrst.  Ich  weiß  es  aus  ihrem  eignen 
Munde,  Medardus,  daß  manche  Worte,  die  ihr  in 
bitteren  Stunden  entfahren  sind,  sie  heute  reuen. 
Und  am  meisten  reut  sie,  daß  sie  sie  vor  dir  gesprochen. 

MEDARDUS.  Der  nicht  wert  war,  sie  zu  hören. 
Das  ist  es,  Etzelt !  Oh,  lehr'  mich  meine  Mutter  kennen. 
Ihr  war'  wohler,  wenn  sie  mich  gestorben  wüßte. 
Aber  ich  kann  ihr  auch  das  nicht  zuhebe  tun.  Ein 
Kerl  wie  ich  muß  sich  sogar  vor  dem  Versuch  hüten, 
sich  selber  umzubringen.  Eine  Kugel  —  machte  mich 
bestenfalls  blind  oder  taub  oder  lahm ;  nahm'  ich  Gift, 
so  hätte  es  mit  Leibschmerzen  sein  Bewenden,  und 
aus  einem  Wasser,  war'  es  noch  so  tief,  zappelte  ich 
mich  wieder  ans  Land. 

ETZELT.  Trotz  allem  schwör*  ich,  du  trägst  eine 
Waffe  bei  dir. 

MEDARDUS.  Und  werde  mich  wohl  in  acht 
nehmen,  sie  fortzuwerfen.  Denn  dann  geschähe  etwas 
grauenhaft  Törichtes  damit.  Ein  Kind  fände  meinen 
Dolch  und  erstäche  seine  Geschwister  im  Spiel,  oder 
eine  glückliche  Braut  ritzte  sich  aus  Versehen  die 
Hand  .  .  .  und  es  träte  der  Brand  zu  der  kleinen  Wunde. 

ETZELT.    Warum  nahmst  du  den  Dolch  zu  dir? 


274 


MEDARDUS.  Als  ich  ihn  zu  mir  nahm,  Etzelt, 
war  ich  ein  andrer  als  heut.  Als  ich  ihn  zu  mir  nahm,  — 
war  er  bestimmt,  die  Tat  zu  vollbringen. 

ETZELT.  Die  Tat!  Für  sieb.  O  seliger  Meister 
Eschenbacher!  wie  dröhnt  das  Wort! 

MEDARDUS  von  nun  ab  in  einem  andern,  erhöhten  Ton.  Ja, 
Etzelt,  er  war  bestimmt.  Nun  aber  ist  er  angespien 
und  ist  seiner  Bestimmung  nicht  mehr  wert!  Bespien 
wie  meine  Hand,  mein  Antlitz,  meine  Seele.  Verstehst 
du  mich,  Etzelt  — ?  Die  Waffe  des  Rächers,  des  Be- 
freiers blinkte  in  meiner  Hand;  der  giftige  Hauch 
eines  Weibes  machte  ihn  zu  eines  Buben  Waffe. 

ETZELT.  Eines  Weibes  — ?  Von  wem  sprichst 
du,  Medardus  ? 

MEDARDUS.    Du  fragst?  — 

ETZELT.  Die  Marquise?!  Du  sahst  sie  wieder, 
nach  Eschenbachers  Tod  ? 

MEDARDUS.  An  dem  Morgen,  da  wir  ihn  be- 
graben hatten,  lauerte  sie  mir  auf.  Und  so  geschah 
das  Närrisch-Furchtbare  —  daß  von  einer  Minute  zur 
andern  aus  dem  Rächer  seines  Vaterlandes  ein  ge- 
dungener Mörder  wurde  im  Solde  der  Valois. 

ETZELT.  Das  also  war's  —  ?  Sie  woUte  —  Sie 
verlangte  von  dir  — 

MEDARDUS.  Ja,  Etzelt.  Und  das  machte  meinen 
Arm  lahm  und  meinen  Dolch  stumpf  und  meinen 
Willen  greisenmatt.  Und  darum,  Etzelt,  wird  Bona- 
parte ungekränkt  von  hinnen  ziehn.  Der  Hand,  die 
ausersehn  war,  die  Tat  zu  vollbringen,  ward  sie  ent- 
wunden und  sank  in  den  Kot. 

ETZELT.  Ausersehn  —  deine  Hände?!  Was 
kümmerten  dich  dann  die  Geschichte  Frankreichs  und 
die  Träume  der  Valois  ?  Du  hättest  der  Marquise  den 
unerbetenen  Lohn  vor  die  Füße  werfen  können,  und 
deine  Tat  war  rein! 

MEDARDUS.  War'  ich  darum  weniger  ihr  Werk- 
zeug gewesen  —  ? 

ETZELT.     Mag   sein.     Vielmehr   du   hättest   dir's 


!•• 


275 


einbilden  können.  Aber  seither  haben  sich  die  Dinge 
doch  geändert.  Und  so  will  mir  scheinen,  daß  es  nicht 
das  entwürdigende  Ansinnen  der  Marquise  allein  war, 
das  deinen  Willen  so  lähmen  konnte. 

MEDARDUS.  Ich  verstehe  dich  nicht,  Etzelt.  Was 
hat  sich  geändert  ? 

ETZELT.  Fragst  du  im  Ernst?  Oder  bist  du  in 
dieser  letzten  Zeit  wirklich  wie  ein  Verlorener  durch 
die  Stadt  geirrt  ?  daß  du  nicht  weißt,  was  für  wunder- 
bare Wendung  indes  das  Schicksal  deiner  herrlichen 
Marquise  genommen  hat  ? 

MEDARDUS.  Welche  Wendung?  Ich  verstehe 
dich  nicht,  Etzelt. 

ETZELT.  Nun,  die  Marquise  gilt  als  die  Geliebte 
oder  als  eine  der  Geliebten  Napoleons. 

MEDARDUS.  Etzelt...!  Es  kann  auch  Gerede 
sein. 

ETZELT.  Möglich.  Aber  wenn  du's  recht  bedenkst, 
scheint  es  dir  gar  so  verwunderlich  ?  Vielleicht  be- 
deutet ihr  auch  das  nur  einen  Weg,  die  Herrschaft  über 
Frankreich  zu  gewinnen  und  so  die  hohe  Sendung  der 
Valois  zu  erfüllen.  Einen  minder  gefährlichen  jeden- 
falls als  der,  den  sie  mit  deiner  Hilfe  zu  gehen  gedachte. 
Und  einen  sichreren.  Dir,  Medardus,  das  fühlst  du 
heute  wohl  selbst,  hätte  ja  die  „Tat"  doch  mißglücken 
müssen. 

MEDARDUS.    Müssen  —  ? 

ETZELT.    Ja,  Medardus. 

MEDARDUS.    Des  bist  du  so  gewiß? 

ETZELT.    Ja,  das  bin  ich. 

MEDARDUS.    Warum  mißglücken  müssen  — ? 

ETZELT.    Weil  du  sie  nicht  wolltest. 

MEDARDUS.    Ich  .  .  .  woUte  .  .  .  nicht  ? 

ETZELT.  In  der  Tiefe  deines  Wesens  —  nein, 
Medardus!  Nie  warst  du  allein  mit  deinem  Vorsatz. 
Denn  mächtiger  als  der  Haß  gegen  Bonaparte  war  in 
dir  die  Liebe  zur  Prinzessin  von  Valois.  Und  der  Tat 
—  die  eine  ganze  Seele  forderte,  hattest  du  nur  einen 

276 


armen  Hauch  deines  Willens  zu  leihen.  Darum  wäre 
sie  dir  mißglückt,  Medardus,  darum  —  danke  dem 
Himmel  —  hast  du  sie  nicht  gewagt!  — 

MEDARDUS.  Darum  —  sie  —  nicht  gewagt .  . !  —  ? 

In  diesem  Augenblick  öffnet  sieb  oben  di*  Tür.    Die  Garden  präsen- 
tieren.   Alle  im  Hof  haben  die  Blickt  nach  der  Tür  gerichtet. 

STIMMEN.    Da  kommen  sie  .  .  .  Da  sind  sie  .  . . 

Aus   der   Tür   treten   die   Abgesandten:   Fürst   Lichtenstein,    Graf 

Bubna,   General  Meyer,  und  gebn   über  die   Treppe  rechts  hinab. 

Während  sie  über  die  Stiege  gebn: 

STIMMEN.  Der  Große  ist  der  Fürst  Lichten- 
stein .  .  .  Und  der  .  .  .  ?  Der  Bubna  —  ?  Der  General 
Meyer!  .  .  . 

EINE  VEREINZELTE  STIMME.    Frieden! 

STIMMEN.  Ruhe!  .  .  .  Frieden!  .  .  .  Anwachsend. 
Frieden!  .  .  . 

EINE  STIMME.    Es  lebe  unser  Kaiser  Franz!  — 

STIMMEN.  Es  lebe  unser  Kaiser!  Friede!  Wir 
wollen  Frieden!  ...  Es  lebe  Kaiser  Franz!  .  .  .  Hoch 
der  Kaiser  Napoleon  —  Frieden!  .  .  .  Frieden!  .  .  . 

Die  Abgesandten  entfernen  sich  rechts,  viele  drängen  ihnen  nach. 

Medardus  und  Etzelt  standen  vorn;  Etzelt  bewegt,  Medardus  beinah 

unbeteiligt. 

ETZELT.  Hörst  du's,  Medardus?  Frieden  rufen 
sie !  Er  ist  nah !  Die  Tage  der  Ordnung  kehren  wieder 
—  wir  wollen  sie  nach  Gebühr  empfangen  und  auch 
Ordnung  machen  in  uns  selbst,  —  Es  ist  an  der  Zeit 
heimzukehren,  Medardus!  Daß  du  dich  erkannt  hast, 
laß  dein  letztes  Abenteuer  gewesen  sein.  —  Nimm 
dich  nun  endlich,  wie  du  geschaffen  bist  —  Me- 
dardus. Deine  Mutter  wird's  wohl  zufrieden  sein, 
und  einer,  der  immer  dein  Freund  war,  nicht  minder! 

ß ERGER  rasch  berxu.  Wissen  S',  wer  da  ist,  Etzelt  ? 
Grad  hab  ich  ihn  gesehn!    Der  Wachshuber! 

ETZELT.    Der  Wachshuber  —  ?    Wo  denn  —  ? 

Die   Leute,   die   den    Abgesandten    nachdrängten,    sind    aUmäblicb 
zurückgekommen. 

STIMMEN.    Der  Lichtenstein  hat  ganz  zufrieden 


277 


drein  gesehn  .  .  .  Finden  Sie  —  ?    Das  beweist  nichts. 

—  Es  wird  nichts  sein.  —  Oh  ja.  —  Vielleicht  ist  schon 
unterschrieben.  —  Die  Bedingungen!  ...  Es  ist  ja 
furchtbar!  ...  —  Wird  geschossen,  wenn  der  Friede 
unterzeichnet  ist  — ?  Natürlich!  —  Alle  Glocken 
läuten.  —  Damals  war's  auch  so! 

Indes  begannen  die  Gäste  zu  erscheinen:  Offiziere^  Würdenträger^ 
tinige  mit  ihren  Frauen.  Die  Gardisten  schaffen  Raum  für  sie^ 
insbesondere  an  der  Treppe,  wo  immer  Leute  aus  der  Menge  den  Ver- 
such machen^  die  Stufen  zu  besteigen.  —  Einige  von  den  Erscheinenden 

werden  mit  Zurufen  begrüßt  und  danken. 

Medardus  ist  in  der  Menge  verschwunden. 

WACHSHUBER  ist  von  links  gekommen. 

ETZELT  gewahrt  ihn  und  geht  auf  ihn  zu. 

ETZELT.  Oh,  Herr  Wachshuber,  sieht  man  Sie 
endlich  wieder  einmal! 

WACHSHUBER.  Der  Herr  Etzelt!  —  Habe  die 
Ehre! 

ETZELT.  Ich  hab'  gemeint,  Sie  sind  abgereist, 
Herr  Wachshuber  —  weil  Sie  in  der  letzten  Zeit  so 
ganz  unsichtbar  geworden  sind. 

Andre  drängen  näher ^  darunter  Berger. 

BERGER.    Ah,  der  Herr  Wachshuber!  — 

STIMMEN.  Der  Wachshuber!  —  Wer?  —  Der 
Wachshuber  —  der  den  Eschenbacher  angezeigt  hat  ? 

—  Ah!  Der  ist's  ?  —  Was  macht  denn  der  da  .  .  .  So 
eine  Frechheit  .  .  . 

WACHSHUBER  immer  bedrängter.  Was  wollen  S' 
denn?  —  Was  gibt's  denn?  Ja,  ich  heiß'  Wachs- 
huber und  bin  Bürger  von  Wien.  —  Mir  kann  keiner 
was  nachsagen  .  .  .  Mir  gehört  das  Delikatessengeschäft 
am  tiefen  Graben  .  .  . 

DER  VERTRAUTE  plötzlich  bei  ihm.  Folgen  Sie  mir 
auf  der  Stelle. 

WACHSHUBER  erstaunt.    Was  —  ?  Wie?  — 

DER  VERTRAUTE.  Auf  der  Stelle.  Ohne  Wider- 
rede! 

Erstaunen  auch  der  andern. 


278 


DER  VERTRAUTE.  Meine  Herren,  gehen  Sie 
auseinander.  Seine  Majestät  wird  sofort  zur  Parade 
erscheinen.  —  Überlassen  Sie  mir  diesen  Herrn.  — 
Folgen  Sie  mir!  — 

STIMMEN.  Was  ist  denn  das  ?  —  Der  Wachshuber 
wird  eingesperrt!  —  Ah,  jetzt  ändern  sich  die  Zeiten  . . 

WACHSHUBER.  Herr,  Sie  wollen  mich  verhaften  ? 
Kennen  Sie  mich  denn  nicht?  Das  könnt'  eine  üble 
Bewandtnis  für  Sie  zur  Folge  haben! 

DER  VERTRAUTE.  Kommen  Sie  mit  mir!  Leise. 
Welche  Unvorsichtigkeit  von  Ihnen,  sich  an  einem  so 
belebten  Ort  zu  zeigen.  Wir  können  keinerlei  Haftung 
für  Ihre  Person  übernehmen.  Heut  oder  morgen  wird 
der  Friede  geschlossen,  da  müssen  Sie  schaun  sich 
selbst  zu  salvieren.  — 

STIMMEN.  Ah,  das  ist  ja  ein  Schwindel!  Er 
arretiert  ihn  ja  gar  nicht!  Er  nimmt  ihn  ja  nur  mit, 
daß  ihm  nichts  geschieht !  .  . .  Ah,  das  gibt's  nicht .  . . 

ET  ZELT  plötzlich  wieder  beifVacbsbuber,  zum  Vertrauten.  Ich 
kann  Ihnen  nicht  helfen,  Sie  müssen  schon  die  Freund- 
lichkeit haben,  mir  den  Herrn  da  nur  auf  einen  Mo- 
ment zu  überlassen.  — 

WACHSHUBER.  Was  wiU  denn  der  von  mir  ?  — 
Schützen  Sie  mich  vor  diesem  Menschen  ...  —  Lassen 
S'  mich  in  Ruh'  .  .  . 

ETZELT.  Bedaure  —  kann  ich  leider  nicht!  — 
Hab'  Ihnen  einen  Gruß  zu  überbringen.  —  Er  fährt  dem 
Wachshuber  mit  einer  Hundepeitsche  übers  Gesicht.  Vom  seligen 
Herrn  Eschenbacher.    So!  —  Da  —  und  —  da!  — 

WACHSHUBER  schreit.    Räuber!  Mörder! 

DER   VERTRAUTE  bat  sich  aus  dem  Staub  gemacht. 

STIMMEN.  Haha!  —  Recht  geschieht  ihm!  Der 
Schuft!  — 

WACHSHUBER  flieht,  von  einigen  Leuten  verfolgt. 

DER  URALTE  HERR  mit  seinem  Stock  voran.  Schlagt! 
ihn  tot !  .  .  .  Was  hat  er  denn  angestellt  ?  . . .  Schlagts 
ihn  tot  — i  — 

Das  Publikum  an  der  Treppt, 


279 


STIMMEN.  Das  ist  ja  der  Herr  von  Wohlleben  .  .  . 
Hoch  der  Herr  Bürgermeister!  —  Der  Graf  Veterani! 
—  Der  Hof  rat  Pöltinger!  Wer  ist  denn  das  ?  —  Kennen 
S*  die  nicht  .  .  .  Ah!  —  Das  ist  ja  die  Marquise  von 
Valois  ?  —  Ah !  —  Ist  denn  wahr  ?  —  FreiUch  .  .  .  Pst !  — 
Wissen  S'  denn  nicht  —  ?  —  Vom  Napoleon.  —  So  —  ? 

Wer  ?  —  Die  Marquise  von  Valois. Die  schöne  —  ? 

die?  — 

HELENE  ist  von  rechts  gekommen  und  betritt  eben  die  erste 
Stufe. 

MEDARDUS  der  sieb  eben  auf  die  Treppe  hinauf  geschlichen 
hat  und  eine  Stufe  über  ihr  steht,  starrt  ihr  ins  Gesiebt.  Schönen 
guten  Morgen,  Frau  Marquise! 

HELENE  sieht  ihn  an  und  will  weiter. 

MEDARDUS.  Kennen  Sie  mich  etwa  nicht  mehr, 
Frau  Marquise? 

HELENE.    Was  wollen  Sie  von  mir.    Will  vorüber. 

MEDARDUS  steht  vor  ihr.     Helene  .  .  , 

HELENE.    Man  schaffe  den  Menschen  fort. 
Die  Gardisten  unten  haben  bisher  von  dem  Vorgange  nichts  bemerkt. 

MEDARDUS.  Stehn  geblieben.  Hier  kommst  du 
nicht  hinauf.    Ich  verbiet'  es  dir. 

HELENE.  Was  haben  Sie  mir  zu  verbieten  ?  Ich 
kenne  Sie  nicht!  Ich  habe  Sie  nie  gekannt!  Fort  mit 
dem  Narren!    Frei  den  Weg!    Narr! 

MEDARDUS.  Dein  Weg  ist  zu  Ende.  Er  nicht  tu 
mit  dem  Dolche  nieder. 

HELENE.    Medardus  .  .  .    Fällt  nieder. 

Bewegung.     Angstschreie. 
Die  Gardisten  drängen  sich  herzu  und  ergreifen  Medardus. 

STIMMEN.  Die  Marquise!  ...  er  hat  sie  erstochen 
.  .  .  Wer —  ?  Der  da  ?  —  Ich  kenn'  ihn  ja  .  ,  .  Der  hat's 
getan  .  .  .  Um  Gotteswillen!  —  das  ist  der  Medardus 
Klähr  .  .  .  Wie  ?  ein  Mord  .  .  .  was  ist  geschehn  ?  .  . . 
Erstochen  .  .  . 

Die  Tür  oben  öffnet  sich.    General  Rapp  tritt  hervor.    Er  über- 
schaut alles  mit  einem  raschen  Blick,  eilt  die  Treppe  hinunter. 

RAPP.    Was  ist  hier  geschehn? 


280 


DER  GJRDIST.  Der  junge  Mensch  hier  hat  die 
Marquise  von  Valois.mit  dem  Dolch  verwundet. 

RAPP.  Nur  verwundet  ? . . .  Frau  Marquise  . . .  Von 
ihr  »u  Meiardus  aufsehend.  Wie  .  .  .  Er  erkennt  ihn.  Schafft 
ihn  ins  Gefängnis. 

Plötzlich  ist  vollkommene  StiUe  eingetreten. 
Medardus,  der  regungslos  dagestanden  ist,  folgt  ohne  den  geringsten 
Widerstand  zwei  GardisUn,  die  ihn  zwischen  sich  nehmen^  und  ver- 
schwindet mit  ihnen  rechts  vor  der  lautlosen  Menge. 

RAPP  beugt  sich  herab.  Sie  ist  schwer  verwundet. 
Ich  bitte,  Platz  zu  machen!  —  Herr  Leutnant,  Sie 
sorgen  dafür,  daß  sie  augenblicklich  fortgeschafft  wird. 
Leise  zu  ihm.  Sie  ist  tot.  Der  Kaiser  darf  erst  nach 
der  Parade  von  diesem  Unglück  erfahren. 

Die  Türe  oben  öffnet  sich,  die  Garden  präsentieren. 

LEUTNANT.    Es  ist  zu  spät,  Herr  General. 

STIMMEN  UNTEN.  Der  Kaiser!  Der  Kaiser 
kommt,  es  lebe  Kaiser  Napoleon!  Lauter.  Es  lebe  der 
Kaiser  Napoleon. 

EINE  VEREINZELTE  STIMME.    Frieden  . . . 

STIMMEN.    Es  lebe  Kaiser  Napoleon. 
Trommelwirbel. 


Dritte  Szene 

Gefängnis. 

Ein  ziemlich  enger,  kammerartiger  Raum,  Tisch,  zwei  Sessel,  Bett, 

Kruzifix  an  der  Wand.   Ein  vergittertes,  ziemlich  hohes  Fenster  im 

Hintergrund.    Rechts  die  Türe. 

Medardus  auf  einem  Sessel,  starrt  vor  sich  bin. 
Die  Türe  wird  geöffnet.  —  Der  Kerkermeister  läßt  Etxelt  eintreten, 

MEDARDUS.     Du  .  .  .     Ihm  entgegen. 
ETZELT.     Medardus!    Sie  umarmen  sieb. 
MEDARDUS.    Man  ließ  dich  ein  ? 
ETZELT.    Gestern    abend    schon   versucht'    ich's. 
Doch  wurd'  es  mir  nicht  erlaubt.   Jetzt  ohne  weiters. 
MEDARDUS.    Ist  mein  Urteil  schon  gesprochen? 

281 


ETZEL7.    Bist  du  verhört? 

MEDARDUS.  Nein.  Außer  dem  Kerkermeister 
habe  ich  noch  keinen  Menschen  gesehn. 

ETZELT.  So  kann  von  Urteil  auch  keine  Rede 
sein  .  .  . 

MEDARDUS.  Wie  geht's  meiner  Mutter,  Etzelt? 
Wo  ist  sie?    Sie  will  mich  nicht  sehn. 

ETZELT.    Sie  kam  mit  mir. 

MEDARDUS.    Wo  ist  sie?! 

ETZELT.  Man  hielt  sie  am  Eingang  zurücK,  mit 
aller  Höflichkeit,  Medardus!  Man  will  sie  über  dein 
bisheriges  Leben  verhören. 

MEDARDUS.  Ja,  Etzelt  —  nun  ist  es  so  weit  — 
Der  Kerkermeister  tritt  ein, 

KERKERMEISTER,    Die  Herren  verzeihn. 

MEDARDUS.    Sie  sind's  ? 

KERKERMEISTER.  Jawohl,  ich  bin's.  Ein  schöner 
Tag  heute.  Haben  der  Herr  wohl  geruht  ?  —  Ich  er- 
laubte mir  zu  fragen,  ob  der  Herr  wohl  geruht  haben. 

MEDARDUS.  Bin  ich  verpflichtet,  auf  diese  Frage 
zu  antworten  ? 

KERKERMEISTER.  Gewiß  nicht,  wenn  es  dem 
Herrn  nicht  behebt.  Ich  erlaube  mir  ferner  zu  fragen, 
was  der  Herr  zu  frühstücken  wünscht. 

MEDARDUS  immer  erstaunter.  Ich  habe  schon  ge- 
frühstückt. 

KERKERMEISTER.  Ja,  eine  Wassersuppe  und 
ein  Stück  Brot.  Das  wird  aber  wohl  zu  wenig  gewesen 
sein. 

MEDARDUS.  Ah,  ist  es  so  gemeint.  Ergreift  Etzelt 
beim  Arm.    Die  Henkersmahlzeit,  verstehst  du,  Etzelt  ? 

KERKERMEISTER.  Wer  spricht  von  Henker. 
Weit  und  breit  keiner  zu  sehn.  Übrigens  vielleicht  ist 
er  auf  dem  Wege.  Ich  will  keine  Hoffnungen  erwecken. 
Nur  unterläßt  man  sonst  nicht,  mich  davon  zu  ver- 
ständigen. Mein  Auftrag  aber  ist  zu  fragen,  was  der 
Herr  zu  frühstücken  wünscht.  Meine  Frau  kocht 
vorzügUch  .  . . 


282 


MEDARDUS.  Es  muß  eine  Verwechslung  vorliegen, 
bester  Mann  .  .  .  Ich  bin  ein  Mörder. 

KERKERMEISTER.  Mir  bekannt,  aber  ein  Mörder 
von  Rang,  ein  beliebter  Mörder.  Ein  Mörder,  dem 
gegenüber  ein  zuvorkommendes  Benehmen  am  Platze  ist. 

MEDARDUS.  Ich  habe  bisher  nichts  davon  be- 
merkt. 

KERKERMEISTER.  Auch  ich  nicht.  Soeben  erst 
wurde  mir  diese  Instruktion  zuteil. 

MEDARDUS.    Eben  erst  .  .  . 

KERKERMEISTER.  Also  was  darf  ich  zum  Früh- 
stück bringen  ?  Und  wünschen  der  Herr  vielleicht  auch 
Lektüre?  Meine  Tochter  hat  eine  artige  Bibliothek. 
Andere  junge  Damen  lassen  sich  allerlei  Tand  schenken, 
Zuckerwerk,  Blumen,  was  weiß  ich.  Meine  Tochter 
immer  nur  Bücher.  Zuweilen  hest  sie  auch  den  Ge- 
fangenen vor.  Sie  singt  auch.  Eine  schmelzende 
Stimme,  mein  Herr  .  .  . 

Et  klopft. 

KERKERMEISTER.  Ich  komme  gleich.  Der 
Herr  überlegt  sich's  indessen.  Ich  bin  gleich  wieder  da. 
Ab. 

MEDARDUS.    Was  hat  das  zu  bedeuten? 

ETZELT.    Gutes,  Freund,  gutes. 

MEDARDUS.  Nein,  eine  Verschärfung  bedeutet 
es.  Es  soll  mich  dann  um  so  furchtbarer  treffen.  Sie 
war  seine  GeHebte,  Etzelt!  Er  rächt  sich!  .  . .  Das 
ist  es. 

KERKERMEISTER  kommt  berein.  Die  Frau  Mutter 
des  Herrn  ist  da.  Sind  der  Herr  geneigt  sie  zu  emp- 
fangen ? 

MEDARDUS.  Meine  Mutter,  meine  Mutter  .  . . 
Worauf  warten  Sie  noch?  Lassen  Sie  sie  doch  ein. 
Der  Kerkermeister  ab.    Die  Mutter  berein, 

FRAU  KLÄHR.    Medardus! 

MEDARDUS.    Mutter! 

FRAU  KLÄHR  die  Arme  sinken  lassend.  Ich  kann 
nicht,  Medardus. 

283 


MEDARDUS.     Mutter!    Er  sinkt  vor  ihr  auf  die  Kmt. 

FRAU  KLÄHR.  Ich  frage  dich  nichts!  Ich  will 
dich  nichts  fragen.  Doch  wenn  sie  dich  vor  Gericht 
rufen  —  so  sag'  ihnen  alles  .  .  .  alles  ...  Sie  werden 
mild  sein  .  .  .  wenn  sie  alles  wissen  ,  .  .  Denn  .  .  .  dies  . . 
Medardus,  dies  kann  nicht  .  .  .  dein  Ende  sein. 

MEDARDUS.  Doch,  Mutter ...  Es  war  wohl 
schon  bestimmt  ...  am  Tage  ...  da  wir  Agathe  be- 
gruben. — 

DER  KERKERMEISTER  tritt  ein.  Verzeihung,  daß 
ich  wieder  störe.  Sie  erhalten  vornehmen  Besuch  .  .  . 
Der  Adjutant  Seiner  Majestät  des  Kaisers  Napoleon . . . 
Herr  General  Rapp  .  .  .  Ab. 

MEDARDUS.    .  .  .  Was  hat  das  zu  bedeuten  .  . . 

ETZELT.    Sollt'  er  selbst  dich  verhören  .  .  .  ? 

MEDARDUS.  Ich  glaube  —  ...  es  ist  Zeit  zum 
Abschiednehmen  .  .  .  Wer  weiß,  ob  wir  uns  wieder- 
sehen dürfen  .  .  .  Mutter  .  .  .Etzelt !  .  .  . 

Der  Kerkermeister  öffnet.    General  Rapp  tritt  ein. 

MEDARDUS  tritt  ihm  entgegen.    Herr  General .  . . 

RAPP.  Dies  ist  Ihre  Mutter  ?  und  das  Ihr  Freund  ? 
...  Sie  mögen  beide  bleiben.  Was  ich  Ihnen  zu  sagen 
habe,  ist  kein  Geheimnis,  Medardus  Klähr!  Oh,  er- 
schrecken Sie  nicht,  Frau  Klähr,  ich  bringe  keine 
schhmme  Botschaft.  Medardus  Klähr,  ich  habe 
den  Befehl,  Sie  vor  Seine  Majestät  den  Kaiser  zu 
führen. 

MEDARDUS.    Vor  den  Kaiser  .  .  .  mich  .  .  . 

RAPP.  Er  vn\[  Sie  sprechen  und  zwar  sofort .  .  . 
Kommen  Sie. 

MEDARDUS.  Der  Kaiser  vidll  mich  sprechen  .  . . 
Ich  muß  zu  ihm  ? 

RAPP.  Ob  Sie  müssen  ?  .  .  .  Die  Frage  macht  mich 
lächeln.  Sie  haben  dem  Kaiser  von  Frankreich  das 
Leben  gerettet.  Erstaunen  der  andern.  Sie  haben  ein 
Frauenzimmer  unschädhch  gemacht,  das,  wie  er- 
wiesen ist,  mit  der  Absicht  ins  Schloß  kam,  Seine 
Majestät  zu  töten, 

284 


MEDARDUS.  Mit  der  Absicht,  den  Kaiser  zu 
töten  — ? 

RAPP.  Die  Beweise  sind  in  unsern  Händen.  Sie 
werden  der  Welt  nicht  lange  ein  Geheimnis  bleiben. 
Der  Kaiser  hat  nun  eine  begreifliche  Neugierde,  seinen 
Retter  von  Angesicht  zu  Angesicht  zu  sehn. 

MEDARDUS.  Seinen  Retter?...  Ich  —  sein 
Retter  — !    Es  war  nicht  meine  Absicht,  das  zu  sein. 

RAPP.  Das  wissen  wir.  Sie  handelten  als  das  Werk- 
zeug einer  höhern  Macht.  Wie  wir  alle  tun.  Nur  ist's 
nicht  immer  so  deutHch  wie  in  diesem  Fall .  .  .  Folgen 
Sie  mir,  Medardus  Klähr. 

MEDARDUS.  Verzeihn  Sie,  Herr  General.  — 
Ich  kann  nicht. 

FRAU  KLÄHR.    Medardus!... 

RAPP.  So  warten  wir  eine  Weile.  Ich  begreife 
Ihre  Erschütterung.  Fassen  Sie  sich.  Sie  können  sich 
wohl  denken,  daß  Sie  nichts  zu  fürchten  haben.  Ich 
will  es  Ihnen  gleich  sagen:  Sie  werden  hierher  nicht 
mehr  zurückkehren.  Der  Kaiser  wird  Ihnen  die  Frei- 
heit schenken. 

MEDARDUS.  Die  Freiheit ...  die  Freiheit  .  .  . 
mir  ?  —  Ich  wäre  nicht  in  der  Lage  sie  anzunehmen, 
Herr  General. 

RAPP.  Sonderbarer  Mensch  ?  Sie  wollen  am  Ende 
freiwillig  im  Gefängnis  bleiben  ?  Das  dürfte  seine 
Schwierigkeiten  haben. 

MEDARDUS.  Vielleicht  doch  nicht,  Herr  General 
.  .  .  Denn  ich  kann  nicht  anders  als  die  unverdiente 
Gnade  seiner  Majestät  mit  einem  freimütigen  Ge- 
ständnis erwidern. 

RAPP.    Das  wäre  .  .  . 

MEDARDUS.  Daß  ich  nicht  an  der  Treppe  stand 
mit  der  Absicht,  Seine  Majestät  zu  retten. 

RAPP.    Das  wissen  wir. 

MEDARDUS.  Ich  wollt'  ihn  töten,  Herr  General. 

E1ZELT  und  FRAU  KLÄHR.    Medardus!!  — 

RAPP.   Kommen  Sie  zu  sich,  Medardus  Klähr.  Die 

285 


plötzliche  Wendung  Ihres  Schicksals  verwirrt  Ihren 
Geist.  Man  weiß,  daß  Sie  der  Marquise  aufgelauert 
haben.  Und  es  ist  keineswegs  unbekannt,  welche 
Gründe  Sie  dazu  bewogen  haben.  Ich  selbst,  Medardus 
Klähr,  erinnern  Sie  sich  wohl,  sah  Sie  in  einer  Stunde 
zum  erstenmal,  da  die  Liebe  zu  dieser  Beklagens- 
werten Sie  beinahe  um  den  Verstand  gebracht  hatte. 
Man  kennt  auch  die  albernen  Gerüchte,  die  in  der 
letzten  Zeit  über  die  Frau  Marquise  und  über  Seine 
Majestät  umgelaufen  sind.  Es  konnte  wohl  nicht  Ihre 
Absicht  sein,  zuerst  die  Frau  Marquise  und  dann  den 
Kaiser  zu  erdolchen.  Das  wäre  etwas  viel  für  einen 
Vormittag.  Es  hätte  auch  sonst  Schwierigkeiten  gehabt. 
Also  lassen  wir's  genug  sein  .  .  .  und  folgen  Sie  mir  .  .  . 

MEDARDUS.  Es  war  nicht  meine  Absicht  gewesen, 
die  Marquise  zu  töten,  Herr  General.  Ich  wußte  nicht 
einmal,  daß  sie  zum  Empfange  erscheinen  sollte.  Ich 
war  also  nicht  der  Retter  Ihres  Kaisers.  Die  Marquise 
war  seine  Retterin.  Wäre  sie  mir  nicht  in  den  Weg 
gekommen,  so  hätt'  ich  versucht,  den  Kaiser  zu  töten 
und  —  Blick  auf  Etzelt  es  wäre  mir  gelungen! 

EIZELT.  Glauben  Sie  ihm  nicht,  Herr  General. 
Ich  weiß  es  besser!  Ich  bin  in  der  Lage,  Beweise  zu 
bringen  .  .  . 

MEDARDUS.  Das  bist  du  nicht.  Das  ist  niemand 
auf  der  Welt!  Ich  schwör*  es,  daß  es  mein  fester  und 
mein  einziger  Vorsatz  war,  den  Kaiser  zu  töten.  Und 
beständen  Sie  darauf,  Herr  General,  mich  vor  ihn  zu 
führen,  auch  ihm  ins  Antlitz  könnt'  ich  nichts  andres 
sagen. 

RAPP.  So  bleibt  mir  nichts  übrig,  als  Seiner  Maje- 
stät von  dem,  was  ich  hier  vernehmen  mußte,  Meldung 
zu  erstatten.  Ab. 

ETZELT.    Unseliger,  was  kommt  dich  an?! 

FRAU  KLÄHR.  Medardus!  Was  soll  dies  Ge- 
ständnis ? !  Von  allen  Menschen  auf  Erden  ist  Bonaparte 
der  letzte,  dem  du  die  Wahrheit  schuldest !  Nun  kannst 
du  dich  um  den  Kopf  geredet  haben I 

286 


ETZELT.  Und  hättest  dich  wahrlich  nur  darum 
geredet.  Wen  belogst  du  denn  nun?  Den  General? 
Mich  ?    Uns  beide  ? 

FRJU  KLÄHR.    Etzelt! 

MEDARDUS  ruhig.  Keinen.  Besser  als  ich,  Etzelt, 
hattest  du  erkannt,  was  mich  gestern  noch  wie  einen 
Verlorenen  umher  jagte:  ich  war  meiner  Tat  noch  nicht 
wert:  noch  brannte  andres  in  mir  als  der  Wille,  sie  zu 
vollbringen. 

FRAU  KLAHR.  Andres  —?  Versteh'  ich  dich  — 
Medardus  ?    Die  Liebe  zu  der  Unglücklichen,  die  du  — 

MEDARDUS.  Liebe  —  ?  Vielleicht,  Mutter,  war 
es  mehr.  Haß  —  Sehnsucht  —  Bewunderung  flackerten 
in  trüben  Gluten  um  ihr  Bild  in  meiner  Seele;  erst 
als  ich  aus  deinem  Mund  vernahm,  Etzelt,  —  gestern 
im  Schloßhof  von  Schönbrunn,  daß  sie,  die  mir  so 
groß  und  furchtbar  erschienen  war  —  wie  sie  sich  nun 
erwiesen  — ,  daß  die  ihrer  Sendung  untreu  und  des 
Kaisers  Geliebte  geworden  —  da  sank  das  angebetete 
Bild  in  nichts  zusammen,  die  Gluten  erloschen  jäh  — 
und  in  einsamer  Helle  flammte  der  große  Entschluß 
in  meiner  Seele  wieder  auf.  Ich  war  vdeder  —  nein, 
zum  ersten  Male  war  ich  ganz  ich  selbst,  meine  Tat  war 
rein  wie  je  —  ich  durfte  sie  vollbringen  —  und  so 
wollt'  ich  auch !  Ihn  hab  ich  erwartet,  Etzelt !  Mutter ! 
—  ihn,  glaubt  es  mir  —  die  letzte  Gelegenheit  war  es, 
die  sich  bot,  und  sie  wollt'  ich  nützen!  Und  da  trat 
mit  einemmal  unerwartet,  ja  vergessen,  wie  ein  ver- 
zerrtes Bild  der  Erinnerung,  die  mir  entgegen,  die 
mich  immer  wieder  zum  Narren  meines  Schicksals 
gemacht  hatte,  —  und  sie  —  machte  mich  zum  letzten- 
mal dazu. 

ETZELT.  Zum  letzten  —  ?  Will  es  ihr  nicht  eben 
wieder,  noch  im  Tod  gelingen  ?  Im  Anblick  der  Un- 
glückseligen war  dein  großer  Entschluß  wieder  ver- 
gessen! Zu  Unrecht  also  schuldigst  du  dich  an  —  der 
Lauf  der  Dinge  weist  es  auch  in  dieser  Stunde  noch:  du 
wärst  deiner  Tat  nicht  wert  gewesen. 

387 


MEDARDUS.  Am  Ende  doch  — !  ich  werde  für 
sie  sterben! 

FRAU  KLÄHR.  Das  wirst  du  nicht,  Medardus! 
Das  darfst  du  nicht.  Du  hast  es  gewiß  noch  in  deiner 
Hand!    Der  General  wird  zurückkehren  — 

ETZELT.  Und  Bonaparte  die  Gelegenheit  sich 
nicht  entgehen  lassen,  Gnade  zu  üben. 

MEDARDUS.    Allzuwohlfeil. 

FRAU  KLÄHR.    Was  liegt  daran,  Medardus! 
Bedenke!  du  bist  nun  alles,  was  ich  habe! 

MEDARDUS.  Ja,  Mutter  —  mich  hast  du  nun 
wieder!  Aber  doch  nur,  weil  ich  eben  so  sprach,  wie 
ich  gesprochen  habe  — ?!  War'  ich  dein  Sohn  noch, 
wenn  ich  mich  wie  ein  Spitzbube  in  die  Welt  zurück- 
schliche, mein  Leben  in  der  Hand  als  einen  Lohn,  der 
mir  nicht  gebührt  ? 

ETZELT.  Worte,  Medardus,  große,  tönende  Worte. 
Es  wäre  ein  falscher  Tod,  in  den  du  gingst,  Medardus. 

FRAU  KLÄHR.  Schmähn  Sie  ihn  nicht,  Etzelt. 
Sie  kennen  ihn  ja  doch  nicht. 

Rapp  kehrt  zurück, 

RAPP.  Ich  habe  Seiner  Majestät  von  den  Gründen 
Ihrer  Weigerung  Meldung  erstattet.  Der  Kaiser  weiß 
Ihre  Aufrichtigkeit  zu  schätzen,  zu  der  eine  äußere 
Nötigung  keineswegs  vorhanden  war.  Noch  einmal 
haben  Sie  es  in  Ihrer  Hand,  Ihre  Freiheit  zu  gewinnen, 
und  auf  die  leichteste  Weise. 

FRAU  KLÄHR  und  ETZELT.    Medardus! 

RAPP.  Man  verlangt  nichts  von  Ihnen  als  das 
Versprechen,  daß  Sie  dem  Kaiser  von  nun  an  nicht 
mehr  nach  dem  Leben  trachten.  Ihre  Ehrlichkeit 
ist  Zeugnis  genug,  daß  Sie  Ihr  Wort  halten  werden. 
Geben  Sie  es  mir  —  so  verlassen  Sie  noch  in  derselben 
Stunde  dieses  Gefängnis  und  sind  Ihrer  Mutter,  Ihren 
Freunden,  Ihrem  Vaterland  wiedergegeben. 

ETZELT.    Medardus  .  .  . 

FRAU  KLÄHR.  Er  schweigt.  Herr  General,  lassen 
Sie  mich  für  ihn  . . . 


2S8 


MEDARDUS.  Stille,  Mutter,  meine  Stimme  ver- 
sagt mir  nicht.  Herr  General,  das  Versprechen,  das 
der  Kaiser  wünscht,  ich  kann  es  ihm  nicht  geben. 

E1ZEL1.  Du  kannst  es  . , .  du  sollst  es  .  .  .  Me- 
dardus ! 

FRAU  KLAHR.  Er  ist  von  Sinnen,  Herr  General. 
Bedenken  Sie,  was  alles  auf  ihn  eingestürmt  ist,  in 
wenig  Stunden.    Geben  Sie  ihm  Zeit  zu  überlegen. 

MEDARDUS.  Eine  Mutter  spricht,  Herr  General! 
Sehn  Sie  mich  an,  Herr  General,  ich  bin  nicht  von 
Sinnen,  es  bedarf  keiner  Bedenkzeit. 

RAPP.  Medardus  Klähr,  an  Ihrem  Mut  zweifelt 
auch  der  Kaiser  nicht.  Lassen  Sie  sich  durch  Trotz 
nicht  auf  eine  Straße  führen,  von  der  es  kein  Zurück 
gäbe!  Sie  dürfen,  ohne  Ihrer  Ehre  etwas  zu  vergeben, 
einen  Schwur  leisten,  den  Sie  doch  halten  müßten,  auch 
gegen  Ihren  Willen.  Oder  zweifeln  Sie,  daß  von  heute 
ab  jeder  Ihrer  Versuche,  sich  an  Bonaparte  heran- 
zudrängen, fruchtlos  wäre? 

MEDARDUS.  Niemand  von  uns  kennt  den  weitem 
Gang  der  menschlichen  Schicksale.  Und  so  schwör* 
ich  denn,  wenn  jemals  die  Möglichkeit  sich  mir  böte, 
ich  würde  Napoleon  töten.  Vater  und  Oheim  verlor 
ich  durch  ihn  ... 

FRAU  KLÄHR.  Ich  hab'  es  verziehn,  willst  du  un- 
versöhnlicher sein  als  ich  ? 

MEDARDUS.  Nach  wie  vor  erkenn'  ich  ihn  als  den 
Feind  meines  Landes  und  meines  Kaisers. 

RAPP.  Auch  dies  ist  nicht  mehr  wahr.  Denn  eben 
ist  der  Friede  unterzeichnet  worden.  Napoleon  ist  nicht 
mehr  Ihres  Kaisers  und  Ihres  Landes  Feind,  und  wenn 
Sie  auf  Ihrem  Plan  beharren,  sind  Sie  kein  Befreier 
Ihres  Vaterlandes  mehr  —  sondern  ein  Hochverräter. 

MEDARDUS.  Als  Bürger  dieses  Landes  mag  ich 
dann  Hochverräter  sein.  Aber  zuerst  und  zuinnerst 
bin  ich  doch  Medardus  Klähr,  und  ich  weiß,  daß  nicht 
eher  Ruh'  auf  Erden  sein  wird,  als  bis  Bonaparte  aus 
der  Welt  verschwindet. 

Tbcaterstöeke.  Vf,  19  280 


RAPP.  Dies  ist  eine  Ansicht  wie  eine  andre.  Doch 
glaub'  ich  weder,  daß  es  Ihnen  gegeben  ist,  die  Sendung 
Napoleons  auf  Erden  zu  begreifen,  noch  scheint  mir 
dies  die  Stunde,  sich  darüber  zu  unterhalten.  Be- 
sinnen Sie  sich  ein  letztes  Mal,  Medardus  Klähr.  Ich 
bin  beauftragt,  dem  Kaiser  Ihr  Wort  zu  überbringen, 
daß  Sie  ihm  nicht  mehr  nach  dem  Leben  trachten. 
Hier  geben  Sie  es  mir  in  die  Hand,  und  Sie  sind  frei. 

FRAU  KLÄHR.    Medardus  .  .  . 

ETZELT.  Friede,  Medardus!  .  .  .  Das  Leben  wartet! 

RAPP.    Medardus  Klähr,  Ihr  Wort  .  .  . 

MEDARDUS.  Hier  ist  mein  Wort,  Herr  General, 
daß  nicht  die  Großmut  des  Kaisers  und  nicht  das  Ge- 
fühl meiner  Ohnmacht  mich  zu  einem  Versprechen 
bestimmen  werden,  das  ich  als  schmählich  und  lügen- 
haft zugleich  empfände. 

FRAU  KLÄHR.    Medardus  . . . 

Dit  Glocken  beginnen  zu  läuten. 

RAPP.    Es  ist  Ihr  letztes  Wort  ? 

MEDARDUS.    Mein  letztes,  Herr  General. 

RAPP.  Auch  für  diesen  Fall  hab'  ich  meinen  Auftrag. 

Er  stampft  ztoeitnal  mit  dem  Fuß,  ein  Gendarmerieleutnant    mit 
sechs  Soldaten  tritt  ein. 

FRAU  KLÄHR.    Herr  General. 

RAPP.  . .  .  Umarmen  Sie  Ihren  Sohn,  Frau  Klähr. 
Sie  werden  ihn  nickt  wiedersehen. 

FRAU  KLÄHR.    Medardus .  . . 

MEDARDUS.  Sei  mir  nicht  böse,  Mutter.  Es  ist 
mir  vergönnt,  als  Mann  zu  sterben.  Etzelt,  leb'  wohl. 
Ich  danke  Ihnen,  Herr  General,  Ihre  Absicht  war  gut. 

RAPP  reicht  ihm  die  Hand. 

Bewegte  stumme  Pause.    Die  Glocken  läuten  fori. 

RAPP.  Herr  Leutnant,  walten  Sie  Ihres  Amts.  Dies 
hier  ist  Medardus  Klähr,  schuldig  des  versuchten  Mor- 
des an  des  Kaisers  von  Frankreich  geheiligter  Majestät. 

LEUTNANT.    Vorwärts. 

Leutnant,  die  Soldaten  mit  Medardus  ab. 

RAPP  zu  Etzelt.    Der   Kaiser  hat  es  nicht  anders 


290 


erwartet.  Mich  dünkt,  dieser  junge  Mensch  hätte  an 
anderer  Stelle  stehn  sollen. 

E7ZELT.  Sehr  wahr,  Herr  General.  Gott  wollte 
ihn  zum  Helden  schaffen,  der  Lauf  der  Dinge  machte 
einen  Narren  aus  ihm. 

RAPP.  Dies  kann  in  solcher  Zeit  ein  Ehrenname 
sein  wie  ein  anderer. 

FRAU  KLÄHR.    Wohin,  wohin  führen  sie  ihn  . . . 

RAPP.    Frau  Klähr  .  .  . 

FRAU  KLÄHR  am  Fenster.    Dort  kommt  er. 

ETZELl^  will  sie  entfernen.    Nicht,  Frau   Klähr. 

FRAU  KLAHR.  An  die  Mauer  stellen  sie  ihn. 
Medardus,  Medardus  .  . . 

ETZELT.    Mein  Freund,  mein  Freund  .  . . 

MEDARDUS  Stimme  von  unten.  Leb'  Wohl,  Etzelt  . . . 
Mutter,  leb'  wohl. 

Eine  Salve .  .  .  Dann  Totenstille. 

FRAU  KLAHR  steht  starr. 

ETZELT  nimmt  ihre  Hand. 

RAPP  tritt  vor  sie  bin.  Ich  habe  den  Auftrag  von 
meinem  Herrn,  dem  Kaiser,  die  Mutter  dieses  Tapfern 
zu  grüßen.  Es  ist  der  Wille  des  Kaisers,  daß  Medardus 
Klähr  mit  allen  Ehren  und  in  geweihter  Erde  begraben 
werde,  als  dieses  Krieges  letzter  und  seltsamster  Held. 
Die  Glocken  läuten  fort. 

Vorbang. 


««• 


DJS  WEITE  LAND 

Tragikomödü  in  fünf  Akten 


PERSONEN 
FRIEDRICH  HOFREITER,  Fabrikant 

GENIJ,  seine  Frau 

ANNA  MEINHOLD-AIGNER,  Schauspielerin 

OTTO,   ihr  Sohn,  Marine-Fähnricb 

DOKTOR   VON  AIGNER,  der  geschiedene  GatU  der  Frau 

Meinbold 

FRAU  WAHL 
GUSTAV  1   .,    ^.  . 
ERNA       ]  '^'  ^''^"' 

NATTER,  Bankier 
ADELE,  seine  Frau 

DOKTOR  FRANZ  MAUER,  Arzt 

DEMETER  STANZIDES,   OberUutnant 

PAUL  K  REIN  DL 
ALBERTUS  RHÖN,  ScbriftsulUr 

MARIE,   seine  Frau 

SERKNITZ 
DOKTOR  METER 

IwIhER  ]  TOURIST 

ROSENSTOCK,  Portier  im  Hotel  am  VölserWiiber 

EINE  ENGLÄNDERIN 
EINE  FRANZÖSIN 
EINE  SPANIERIN 

PENN,  Führer 

DIE  ZWEI  KINDER  DER  FRAU  NATTER 
DIE  MISS 

STUBENMÄDCHEN  bei  Hofreiter 

TOURISTEN,  HOTELGÄSTE,  KELLNER,  BOrS 


Ort  der  Handlung:  Baden  bei  Wien;  nur  im  dritten 
Akt  das  Hotel  am  Völser  Weiher. 


ERSTER  AKT 

Veranda  der  Villa  Hofreiur  und  Garten, 

RecbU  die  Veranda,  geräumig,  mit  Balustrade,  die  auch  beiderseits 
längs  der  sechs  in  den  Vorgarten  führenden  Stufen  weiterläuft,  Doppel- 
tür von  der  Veranda  zum  Gartensalon  steht  offen.  —  Vor  der  Veranda 
Rasenplatz  mit  Rosensträuchern  in  Blüte.  —  Ein  grüner,  ziemlich 
hoher  Holzzaun  schließt  den  Garten  ein,  der  Zaun  biegt  rückwärts 
im  recbun  Winkel  um  und  läuft  hinter  der  Villa  weiter.  Fußweg 
außen  längs  des  Zauns.  Fahrstraße  parallel  dem  Fußweg.  Innen, 
längs  des  Zauns  Buschwerk.  Die  Gartentüre,  links,  Mitte,  der  Veranda 
gegenüber,  steht  offen.  Rings  um  den  Raunplatz  Bänke:  eine  vorn 
dem  Zuschauerraum  gegeniüer,  eine  der  Gartentür  gegenüber,  eine 
dritte  jenseits  des  Rasens,  also  mit  der  Lehne  zum  Zuschauerraum. 
Auf  der  Veranda  ein  länglicher  Tisch  mit  sechs  Sesseln,  In  der 
Ecke  hinten  ein  Oleanderbaum.  Die  Veranda  ist  durch  eine  rot- 
weiß gestreifte  Markise  überdeckt.  Eine  elektrische  Lampe  auf  dem 
Tisch.  Ein  Wandarm  rechts  von  der  Türe.  Auf  dem  Tisch  Tee- 
geschirr. Später  Nachmittag,  nach  einem  Gewitterregen.  Wiesen 
und  Blätter  feucht.  Lange  Schatten  der  Gitterstäbe  fallen  in  den 
Garten. 

FRAU  GENIA,  31  Jährt,  einfach -vornehm  gekleidet; 
dunkelgrauer  Rock,  violette  Seidenbluse,  sitzt  am  Tisch  der  Veranda 
auf  dem  Sessel  an  der  Schmalseite,  die  dem  Publikum  zugekehrt 
ist.  Sie  stellt  eben  die  Teetasse  hin,  siebt  einen  Augenblick  vor  sich 
bin,  steht  auf,  rückt  den  Sessel  fort,  sieht  nach  hinUn  über  die  Balu- 
strade in  den  Garten,  dann  geht  sie  über  die  Stufen  in  den  Garten 
binab,  die  Hände  auf  dem  Rücken,  wie  es  ihre  Gewohnheit  ist. 

DAS  STUBENMÄDCHEN  kommt  aus  dem  Gartensalon 
auf  die  Veranda  mit  einer  großen  Tasse,  will  das  Teegeschirr  ab- 
räumen, zögert. 

GENIA  noch  auf  den  Stufen,  wendet  sich  nach  ihr  um.  Ser- 
vieren Sie  nur  ab.  Der  gnädige  Herr  wird  wohl  in  der 
Stadt  Tee  getrunken  haben.  Nach  einer  kleinen  Pause,  in 
der  sie  den  Himmel  betrachut.  Übrigens  könnten  Sie  auf- 
ziehen. 

STUBENMÄDCHEN,  während  sie  das  Servierbrett  bin. 
suUt  und  die  Markise  hochzieht.  Soll  ich  der  gnädigen  Frau 
nicht  was  zum  Umnehmen  bringen  ?  Es  ist  kühl  ge- 
worden. 

GENIA.    Ja.    Den  weißen  Mantel.   Sie  riecht  an  einer 


«95 


Rou  am  Strauch^  dann  setzt  sie  ihren  Sfastiergang  fort,  längs  der 
Veranda  nach  hinten. 

STUBENMÄDCHEN  bat  die  Markise  ganz  aufgezogen, 
räumt  ab  und  entfernt  sich  mit  dem  Teegeschirr. 

FRAU  WAHL  und  ERNA  kommen  auf  der  Straß*  vom 
rückwärts,  längs  des  Zauns  und  nähern  sieb  dem  Eingang. 

GENIA,  weiUrgehend  längs  der  Wiese,  nähert  sich  gleichfalls 
dem  Eingang. 

FRAU  WAHL  und  ERNA  grüßen  schon  von  draußen 
durch  Kopfnicken. 

GENIA  winkt  leicht  mit  der  Hand,  beschleunigt  ihre  SchritU 
ein  wenig,  und  trifft  am  Tor  mit  beiden  zusammen. 

FRAU  WAHL  und  ERNA,  beide  in  dunkeln  engliscbtn 
Kostümen  mit  Jacke  bleiben  stebn. 

FRAU  WAHL,  schlank,  beweglich,  etwa  45  Jahre,  von 
einer  gewissen  lässigen,  aber  sehr  bewußten  Vornehmheit.  Sie  näselt 
ein  wenig,  spricht  ein  nicht  ganz  echtes  aristokratisch-wienerisch. 
Blick  und  Redeweise  bald  zu  müde,  bald  zu  lebhaft.  Während  sie 
spricht,  schaut  sie  meist  an  ihrem  Partner  vorbei  und  erst,  wenn  sie 
zu  Ende  geredet  bat,  betrachtet  sie  ihr  Gegenüber  freundlich-forschend 
toie  um  sich  beruhigt  zu  finden. 

ERNA,  größer  als  ihre  Mutter,  schlank,  bestimmt  und  grad 
heraus  bis  zur  Unbedenklichkeit,  ohne  vorlaut  zu  wirken.  Fester, 
unbefangener  Blick. 

GENIA  reicht  beiden  freundlich  die  Hand.  Wohlbehalten 
aus  der  Stadt  zurück  ? 

FRAU  WAHL.  Wie  Sie  sehn,  liebe  Frau  Genia. 
Es  war  ein  fürchterliches  Wetter. 

GENIA.  Bei  uns  heraußen  auch  bis  vor  einer  Stunde. 

FRAU  WAHL.  Sie  haben  schon  recht  gehabt,  daß 
Sie  lieber  zu  Hause  geblieben  sind.  Auf  dem  Friedhof 
ist  man  geradezu  versunken.  Ich  bin  wirklich  nur  Erna 
zu  Liebe  mit  hinausgefahren.  Es  hätte  wohl  genügt, 
der  Zeremonie  in  der  Kirche  beizuwohnen  —  meiner 
Ansicht  nach!  Ich  bitte  Sie,  wem  erweist  man  am 
Ende  einen  Dienst  damit  .  .  . 

ERNA.  Da  hat  die  Mama  freilich  recht  .  .  .  Zum 
Leben  haben  wir  ihn  doch  nicht  wieder  erweckt,  den 
armen  Korsakow. 


296 


GENIA.    Die  Beteiligung  war  wohl  sehr  groß  ? 

FRAU  WAHL.  Enorm.  In  der  Kirche  hat  man  sich 
kaum  rühren  können.  Und  auch  auf  dem  Friedhof 
waren  sicher  ein  paar  hundert  Menschen  —  trotz  des 
miserablen  Wetters. 

GENIA.    Viele  Bekannte? 

FRAU  WAHL.  Ja,  natürlich  .  .  .  Natters  kamen  in 
ihrem  neuen  scharlachroten  Automobil  angefahren. 

GENIA  lächelnd.    Von  dem  hab'  ich  schon  gehört. 

FRAU  WAHL.  Es  hat  einen  phantastischen  Ein- 
druck gemacht,  an  der  Friedhofsmauer  .  .  .  Nicht  grad 
phantastisch,  aber  sonderbar  hat's  schon  ausgeschaut . . . 

DAS  STUBENMÄDCHEN  kommt  mit  dem  weißen  ManUl, 
den  sie  Genia  umgibt.  Küss'  die  Hand,  gnädige  Frau,  küss' 
die  Hand,  Fräulein. 

FRAU  WAHL  Uutselig.  Grüß'  Sie  Gott,  liebe  Kathi. 

ERNA.    Guten  Abend. 

Stubenmädchen  ab. 

GENIA.  Haben  Sie  meinen  Mann  nicht  gesprochen, 
draußen  auf  dem  Friedhof? 

FRAU  WAHL.    Ja  .  .  .  flüchtig. 

ERNA.    Er  war  sehr  erschüttert. 

GENIA.    Das  denk'  ich  mir. 

ERNA.  Ich  hab'  mich  eigentlich  gewundert.  Er 
gehört  doch  sonst  nicht  zu  den  Menschen,  denen  leicht 
etwas  nahe  geht. 

GENIA  lächelnd.   Wie  genau  Sie  ihn  kennen. 

ERNA.  Nun,  sollt'  ich  nicht  ?  Sehr  einfach.  Schon 
als  siebenjähriges  Mädel  hab'  ich  ihn  geliebt.  Lang 
vor  Ihnen,  gnädige  Frau. 

GENIA.    Schon  wieder  „gnädige  Frau". 

ERNA  beinahe  zärtlich.     Frau  Genia.    Küßt  ihr  die  Hand. 

GENIA.  Er  hat  übrigens  Aleiei  Korsakow  sehr 
gerne  gehabt. 

ERNA.  Offenbar.  —  Früher  dacht'  ich  nämHch,  daß 
Korsakow  einfach  —  sein  Klavierspieler  gewesen  ist. 

GENIA.  Wie  meinen  Sie  das  .  .  .  sein  Klavierspieler  ? 

ERNA.   Nun,  so  wie  der  Doktor  Mauer  sein  guter 


«97 


Freund  ist,  Herr  Natter  sein  Bankier,  ich  seine  Tennis- 
partnerin, der  Oberleutnant  Stanzides . . .  sein  Sekun- 
dant. 

GENIA.    Oh... 

ERNA.  Wenn's  einmal  zu  so  was  käme,  mein'  ich  . . . 
Er  nimmt  sich  von  jedem,  was  ihm  gerade  konveniert, 
und  um  das,  was  sonst  in  dem  Menschen  stecken  mag, 
kümmert  er  sich  kaum. 

FRAU  WAHL.  Wissen  Sie,  Frau  Genia,  wie  mein 
seliger  Mann  solche  Bemerkungen  von  Erna  zu  nennen 
pflegte?  Ihre  Produktionen  auf  dem  psychologischen 
Seil. 

0T10  VON  AIGNER  kommt  herbei,  grüßt  beim  Tor. 
Guten  Abend. 

GENIA.  Guten  Abend,  Herr  von  Aigner.  Wollen 
Sie  nicht  ein  wenig  zu  uns  hereinkommen? 

OTTO.  Wenn*S  gestattet  ist.  Er  tritt  in  den  Garten. 
Er  ist  ein  füttfundztoanzigj ähriger  junger  Mann,  von  zurück- 
haltendem uttd  liebenswürdigem  Benehmen;  trägt  die  Uniform  eines 
Marinefähnricbs. 

Begrüßung. 

GENIA.  Wie  geht's  Ihrer  Frau  Mama  ?  Ich  hatte 
eigentUch  gehofft,  sie  heute  Nachmittag  bei  mir  zu 
sehen. 

OTTO.  Ist  sie  nicht  gestern  bei  Ihnen  gewesen, 
gnädige  Frau  ? 

GENIA.  Ja.  Und  vorgestern  auch.  Lächelnd.  Sie 
hat  mich  eben  ein  wenig  verwöhnt. 

OTTO.  Meine  Mutter  ist  schon  vor  zwei  Stunden 
in  die  Stadt  gefahren.  Sie  hat  heute  abend  zu  spielen. 
Zu  Frau  Wahl  und  Erna.  Die  Damen  waren  heute  wohl 
auch  in  der  Stadt  ?  Ich  sah  Sie  in  der  Früh'  während 
dieses  schrecklichen  Wolkenbruchs  zur  Bahn  fahren. 

FRAU  WAHL.  Wir  haben  dem  Begräbnis  von  Kor- 
sakow  beigewohnt. 

OTTO.  Richtig,  das  war  ja  heute.  Weiß  man  eigent- 
lich, warum  er  sich  umgebracht  hat  ? 

ERNA.    Nein. 


298 


FRAU  WAHL.  Irgend  wer  heut  auf  dem  Friedhof 
meinte,  es  sei  ein  Selbstmord  aus  gekränktem  Ehrgeiz 
gewesen. 

GENIA.    Wie  ~  ?  . .  .  Korsakow  .  .  .  ? 

FRAU  WAHL.    Ja.    Weil  er  nämlich  immer  zu 
hören  bekam,  er  könne  nur  Chopin  spielen  und  Schu- 
mann, —  aber  keinen  Beethoven  und  keinen  Bach  .  . 
Ich  hab'  es  übrigens  auch  gefunden. 

OTTO.  Daß  einen  so  was  in  den  Tod  treiben  sollte, 
ist  doch  etwas  unwahrscheinlich.  Hat  er  keine  Ab- 
schiedsbriefe hinterlassen  ? 

ERNA.  Korsakow  hat  nicht  zu  den  Menschen  ge- 
hört, die  Abschiedsbriefe  schreiben. 

FRAU  WAHL.  Woher  weißt  du  das  wieder  so 
bestimmt  ? 

ERNA.  Dazu  war  er  viel  zu  klug  und  zu  geschmack- 
voll. Er  hat  eben  gewußt,  was  das  heißt:  tot  sein. 
Und  daher  war  es  ihm  ganz  egal,  was  die  Leute  am 
nächsten  Morgen  für  ein  Gesicht  dazu  machen  werden. 

OTTO.  Irgendwo  hab'  ich  gelesen,  daß  er  am  Abend 
vor  seinem  Selbstmord  noch  mit  einigen  Freunden  sou- 
piert haben  soll ...  in  bester  Laune  .  . . 

FRAU  WAHL.  Ja,  das  steht  dann  immer  in  der 
Zeitung, 

GENIA.  Diesmal  stimmt  es  zufällig.  —  Das  weiß 
ich  nämlich,  weil  mein  Mann  auch  unter  diesen  Freun- 
den gewesen  ist,  die  mit  ihm  soupiert  haben. 

FRAU  WAHL.   Ah  . . . 

GENIA  beiläufig.  Er  hat  ja  manchmal  bis  spät 
abends  in  der  Stadt  zu  tun,  und  dann  soupiert  er  im- 
mer im  Imperial,  —  an  einer  Art  Stammtisch  —  noch 
aus  seinen  Junggesellentagen.  In  der  letzten  Zeit  war 
auch  Korsakow  oft  dabei,  der  im  Hotel  gewohnt  hat. 
Und  wie  mir  Friedrich  selbst  erzählte,  —  es  war  ihm 
an  diesem  letzten  Abend  nicht  das  geringste  anzumer- 
ken. Sie  haben  nachher  im  Elaffeehaus  noch  mitein- 
ander Billard  gespielt. 

FRAU  WAHL.    Wie,  Ihr  Mann  und  Korsakow? 


299 


GENIA.  Ja.  Sie  haben  sogar  gewettet  —  und 
Friedrich  hat  verloren.  Am  nächsten  Morgen,  vom 
Bureau  aus,  hat  er  den  Diener  ins  Hotel  geschickt  mit 
den  verwetteten  Zigarren  .  .  .  und  —  wissen  Sie  denn 
das  nicht?  Der  Diener  war  es  ja,  der  die  Sache  ent- 
deckt hat. 

FRAU  WAHL.    Wieso  denn? 

GENIA.  Nun,  er  klopfte  ein  paarmal,  niemand 
rief  herein,  endlich  öffnete  er  die  Türe,  um  die  Zigarren 
zu  deponieren  und  .  .  . 

ERNA.    Da  lag  Korsakow  tot  .  . . 

GENIA.  Ja.  Tot  auf  dem  Divan,  den  Revolver 
noch  in  der  Hand  .  .  .    Pause. 

FRAU  WAHL.  Ihr  Diener  muß  nicht  wenig  er- 
schrocken sein.  —  Was  hat  er  denn  mit  den  Zigarren 
gemacht  ?    Hat  er  sie  dort  stehn  lassen  ? 

ERNA.    Die  Mama  ist  für  historische  Genauigkeit. 

GENIA.   Verzeihen  Sie,  Frau  von  Wahl,  aber  dar- 
nach zu  fragen  hab'  ich  wirklich  total  vergessen. 
Geräusch  von  einem  Auto. 

FRAU  WAHL.    Es  hält  hier. 

GENIA.    Das  ist  Friedrich  .  .  . 

ERNA.  Da  könnte  man  gleich  eine  Tennispartie 
verabreden.    Ist  der  Platz  schon  instand  gesetzt  ? 

OTTO.  Natürlich.  Ich  hab'  gestern  mit  Herrn  Hof- 
reiter zwei  Stunden  gesingelt. 

FRAU  WAHL.  Er  war  in  der  Stimmung,  Tennis 
zu  spielen  ? 

ERNA.  Warum  soll  er  denn  nicht  in  der  Stimmung 
gewesen  sein,  Mama  ?  Daran  kann  ich  nun  gar  nichts 
finden.  Auf  meinem  Grab  dürfte  man  Cake  walk  tanzen 
oder  sogar  Machich  .  .  .  oh  ja  .  .  .  Es  wäre  mir  eher 
ein  sympathischer  Gedanke. 

DOKTOR  MAUER  kommt.  Fünfunddreißig  Jahre,  groß, 
blonder  Vollbart,  Zwicker,  Narbe  von  einem  Säbelhieb  auf  der 
Stirne,  dunkler  Sakkoanzug,  nicht  elegant  aber  durchaus  nicht  nach- 
lässig gekleidet.    Guten  Abend,  meine  Herrschaften. 

GENIA.    Sie  sind's,  Doktor? 


300 


MAUER  dU  sebr  scbiuü  begrüßend.  Küss*  die  Hand, 
gnädige  Frau.  Zu  Frau  Wahl.  Guten  Abend,  Fräulein 
Erna,  guten  Abend,  Ken  Fähnrich.  Zu  Genta.  Der 
Friedrich  läßt  sich  schön  empfehlen,  Frau  Genia,  er 
hat  noch  in  der  Fabrik  zu  tun.  Ich  bin  mit  ihm  bis 
hin  gefahren,  und  er  war  so  freundhch,  mir  das  Auto 
zu  überiassen  für  ein  paar  Krankenvisiten,  die  ich  da 
heraußen  zu  machen  habe.  Er  kommt  später  mit  der 
Bahn. 

FRAU  WAHL.  Wir  müssen  uns  leider  empfehlen. 
Zu  Mauer.  Hoffentlich  sehn  wir  Sie  auch  bald  ein- 
mal bei  uns,  Herr  Doktor.  Trotzdem  wir  uns,  gottlob, 
eines  ungestörten  Wohlbefindens  erfreuen. 

ERNA.  Sie  müssen  aber  bald  kommen,  Doktor,  im 
Juli  reisen  wir  nämlich  nach  Tirol,  an  den  Völser 
Weiher. 

MAUER.   Ah! 

FRAU  WAHL.  Wir  haben  dort  Rendezvous  mit  dem 
Gustl.  Zu  Otto.  Das  ist  nämlich  mein  Sohn,  der  reist 
das  ganze  Jahr  herum.  Na,  nicht  grad  das  ganze  — 
aber  recht  viel . .  .  das  kann  man  schon  sagen  .  .  .  Voriges 
Jahr  war  er  in  Indien. 

ERNA.    Und  ich  möcht*  wieder  einmal  kraxeln. 

MAUER.  So?  Da  trifft  man  sich  vielleicht  auf 
irgend  einer  Felsenspitze,  Mich  zieht  es  nämlich  auch 
in  die  Dolomiten.  Zu  Genta.  Und  ich  will  nicht  ver- 
hehlen, gnädige  Frau,  daß  ich  große  Lust  hab',  mir 
heuer  den  Friedrich  dazu  auszuborgen. 

GENIA.  Zu  Dolomitentouren  —  ?  .  . .  Was  sagt 
er  denn  dazu  .  .  .  ? 

MAUER.    Er  scheint  nicht  gänzlich  abgeneigt. 

FRAU  WAHL.  Ich  hab'  gemeint,  daß  der  Friedrich 
seit  .  ,  .  seit  .  .  .  dem  Unglück  von  damals  das  Berg- 
steigen ganz  aufgegeben  hat. 

MAUER.    Aber  doch  nicht  für  immer. 

GENIA  XU  Otto,  erklärend.  Ein  Freund  meines  Mannes, 
ein  gewisser  Doktor  Bernhaupt,  ist  nämlich  direkt 
von   «einer  Seite  weg  von   einem   Felsen   abgestürzt 


301 


und  auf  der   Stelle  tot  geblieben.    Es  sind  übrigen« 
schon  sieben  Jahre  her. 

OTTO  XU  Genta.  So?  An  dieser  Partie  hat  Ihr 
Herr  Gemahl  teilgenommen? 

ERNA  nachdenklich.  Man  muß  sagen  ...  er  hat  nicht 
viel  Glück  mit  seinen  Freunden. 

GENIA  zu  Otto.    Sie  wissen  von  dieser  Geschichte? 

OTTO.  Sie  blieb  mir  begreiflicherweise  im  Gedächt- 
nis, da  sie  gerade  auf  dem  Felsen  passiert  ist,  den  — 
mein  Vater  vor  mehr  als  zwanzig  Jahren  als  allererster 
bestiegen  hat. 

GENIA.    Richtig,  der  Aignerturm  war  es. 

MAUER.  Der  Aignerturm  .  .  .  Man  hat  wirklich 
schon  vergessen,  daß  der  nach  einem  lebendigen  Men- 
schen so  heißt. 

Kleine  Pause. 

ERNA.  Das  muß  doch  eigentlich  ein  sonderbares 
Gefühl  für  Sie  sein,  Herr  Fähnrich,  daß  da  in  den  Dolo- 
miten ein  Felsen  steht,  mit  dem  Sie  gewissermaßen 
verwandt  sind. 

OTTO.  Das  ist  gar  nicht  so  sonderbar,  Fräulein. 
Beide  sind  mir  nämUch  ziemlich  fremd,  der  Felsen  und 
mein  Vater.  Ich  war  ein  Bub'  von  vier  oder  fünf  Jahren, 
als  sich  meine  Eltern  von  einander  trennten  .  .  . 

FRAU  WAHL.  Und  seither  haben  Sie  Ihren  Herrn 
Papa  nicht  mehr  gesehn  ? 

OTTO.    Es  fügte  sich  so  .  .  .    Pause. 

ERNA  zum  Geben  auj fordernd.  Also  Mama  .  .  .  ich 
denke,  es  wäre  Zeit. 

FRAU  WAHL.  Ja,  wahrhaftig!  .  .  .  Wann  wir  über- 
haupt mit  dem  Auspacken  fertig  werden  sollen!  Zu 
Mauer.  Wir  sind  nämlich  erst  am  Sonntag  heraus- 
gezogen. Wir  führen  noch  nicht  einmal  Menage  .  .  . 
Wir  müssen  in  diesem  entsetzlichen  Kurpark  unsere 
Mahlzeit  nehmen. 

ERNA.  Aber  Mama,  es  schmeckt  dir  doch  sehr  gut. 

FRAU  WAHL.  Aber  so  viel  Leut'  sind  immer  dort, 
besonders    abends .  .  .     Also    auf    Wiedersehn,    Frau 


302 


Genia ....  Gehn  S'  ein  Stückerl  mit  uns,  Herr 
Fähnrich  ? 

OTTO.  Wenn's  erlaubt  ist . .  .  Adieu,  gnädige  Frau, 
bitte  mich  dem  Herrn  Gemahl  zu  empfehlen. 

ERNA.  Auf  Wiedersehn,  Frau  Genia.  Adieu,  Herr 
Doktor. 

Verabschiedung. 

Frau  Wahl,  Erna,  Otto  ab. 

GENIA.    MAUER. 

MAUER  nach  einer  kleinen  Pause ^  hat  Erna  nachgesehen. 
Das  ist  eine,  der  man  beinahe  die  Mutter  verzeihn 
könnte. 

GENIA.  Auch  nicht  die  schlimmste,  die  gute  Frau 
Wahl .  .  .  Ich  find'  sie  eher  amüsant.  Wenn's  also 
nur  daran  liegt!  Während  sie  der  Veranda  zugebt.  Ich 
hab's  Ihnen  neulich  schon  gesagt,  überlegen  Sie  sich 
die  Sache,  Doktor. 

MAUER  halb  im  Scherz.  Ich  glaube,  ich  bin  ihr  nicht 
elegant  genug.    Folgt  ihr  allmählich. 

GENIA  ein  paar  Stufen  hinauf.  Ich  hab'  übrigens  gar 
nicht  gewußt,  daß  Friedrich  auch  nachher  noch  im 
Büro  zu  tun  hätte. 

MAUER.  Ja,  das  sollt'  ich  Ihnen  noch  ausrichten, 
Frau  Genia,  er  muß  eine  wichtige  Depesche  abwarten. 

GENIA.    Amerika? 

MAUER.  Ja.  Wegen  der  Patentangelegenheit  mit 
seinen  neu  erfundenen  Glühlichtern. 

GENIA.  Es  ist  nur  eine  Verbesserung,  Doktor!  Setzt 
sich. 

MAUER  stehend  an  die  Balustrade  gelehnt.  Wie  immer, 
jedenfalls  scheint  die  Sache  gewaltige  Dimensionen 
anzunehmen.  Ich  höre,  er  will  zubauen  zu  der  Fabrik; 
den  Häuserblock  daneben  ankaufen  .  . , 

GENIA.    Ja... 

MAUER.  Und  nebstbei  hat  sich  wieder  das  Kon- 
sortium gemeldet,  das  ihm  so  nachläuft,  wegen  An- 
kaufs der  Fabrik.  Morgen  früh  hat  er  eine  Konferenz 
mit  seinem  Bankier. 


303 


GENIA.    Mit  Natter. 

MAUER.    Natürlich,  mit  Natter. 

GENIA.  Sie  waren  auch  beim  Begräbnis,  die  Nat- 
ters,  hör'  ich. 

MAUER.    Ja. 

GENIA.  Das  scharlachrote  Automobil  soll  großes 
Aufsehen  gemacht  haben. 

MAUER.  Ja,  was  ist  da  zu  machen  ?  Es  ist  nun  ein- 
mal scharlachrot. 

Kleine  Pause. 

GENIA  siebt  Mauer  schwach  lächelnd  an. 

MAUER.    Übrigens  —  die  Geschichte  ist  aus. 

GENIA  weiter  ruhig  lächelnd.  Wissen  Sie  das  ganz 
bestimmt  ? 

MAUER.    Ich  kann  Sie  versichern,  Genia. 

GENIA.    Hat  Ihnen  Friedrich  etwa  .  .  . 

MAUER.  Nein,  von  dergleichen  spricht  er  ja  nie. 
Aber  wozu  hätte  man  seinen  diagnostischen  Blick.  Es 
ist  sogar  schon  geraume  Zeit  her,  daß  es  aus  ist.  Ich 
versichere  Sie,  Frau  Genia,  Friedrich  ist  tatsächlich 
immer  im  Büro  oder  in  der  Fabrik.  Sie  kennen  ihn  ja! 
Seine  neuen  Glühlichter  müssen  die  Welt  erobern, 
sonst  macht  ihm  die  ganze  Sache  keinen  Spaß.  Frau 
Natter  existiert  also  nicht  mehr  für  ihn. 

GENIA.  Es  ist  immerhin  beruhigend,  so  etwas  zu 
hören. 

MAUER.  7.ni  Unruhe  war  doch  wahrhaftig  nie  ein 
Anlaß.  Adelchen  ist  im  Grunde  die  harmloseste  Person 
von  der  Welt.    Wenn  man  nicht  zufällig  wüßte  — 

GENIA.  Ja,  sie!  Von  ihr  aus  drohte  keinerlei  Ge- 
fahr. Aber  Herrn  Natter  halt'  ich  bei  all  seiner  äußern 
Liebenswürdigkeit  und  Gutmütigkeit  für  einen  bru- 
talen Menschen.  Sogar  für  etwas  tückisch.  Und  manch- 
mal hab'  ich  schon  Angst  gehabt  um  Friedrich.  Das 
können  Sie  sich  ja  denken.  Angst,  wie  um  einen  Sohn, 
—  einen  ziemlich  erwachsenen,  der  sich  in  zweifelhafte 
Abenteuer  einläßt. 

MAUER  sitzt  ihr  gegenüber.  Es  ist  wirklich  interessant, 


304 


wie  Sie  die  Dinge  auffassen.  Man  möchte  fast  glauben, 
daß  Frauen,  die  zu  Müttern  geboren  sind,  gelegentlich 
die  Gabe  besitzen  —  es  auch  für  ihre  Gatten  zu  sein. 

GENIA.  Oder  zu  werden,  Heber  Doktor.  Es  war 
mir  ja  nicht  immer  so  mütterlich  zumute.  In  früherer 
Zeit  war  ich  mehr  als  einmal  nahe  daran,  auf  und  davon 
zu  gehen. 

MAUER.    Oh!  — 

GENIA.  Mit  meinem  Buben  natürlich.  Den  Percy 
hätt'  ich  ihm  nicht  gelassen,  da  können  Sie  ruhig  sein! 

MAUER.  Sie  wollten  einmal  von  Friedrich  fort- 
gehen .  .  .  ? 

GENIA.  Ja,  das  wollt'  ich  . . .  Und  ein  anderes  Mal 
hab'  ich  mich  sogar  umbringen  wollen.  Das  ist  freilich 
schon  lange  her.  Vielleicht  kommt's  mir  jetzt  auch 
nur  so  vor,  daß  ich  das 

MAUER.  Gewiß  .  .  .  Das  hätten  Sie  nie  und  nim- 
mer getan  .  .  .  Schon  um  ihm  keine  Ungelegenheiten 
zu  verursachen. 

GENIA.  Halten  Sie  mich  für  so  rücksichtsvoll? 
Das  ist  ein  Irrtum,  Doktor  ...  Es  gab  sogar  eine  Zeit, 
in  der  ich  das  Rücksichtsloseste  vorhatte,  was  eine  Frau 
einem  Mann  und  besonders  einem  eiteln  antun  kann. 
Mich  ...  zu  rächen. 

MAUER.    Zu  rächen? 

GENIA.    Sagen  wir  zu  revanchieren. 

MAUER.  Ach  so  .  .  .  Das  wäre  jedenfalls  das  ein- 
fachste gewesen.  Und  hätte  vielleicht  auch  sonst  man- 
ches für  sich  gehabt.  Na,  vielleicht  kommt's  noch.  Es 
kann  auch  Ihnen  einmal  die  Stunde  des  Schicksals 
schlagen,  Frau  Genia. 

GENIA.  Und  es  müßte  am  Ende  gar  nicht  die 
Stunde  des  Schicksals  sein. 

MAUER  ernst.  Bei  Ihnen  schon.  Das  ist  es  eben 
Eigentlich  schade.  Mein  Gerechtigkeitsgefühl  wehrt 
sich  schon  lange  entschieden  dagegen,  daß  gerade  mein 
alter  Freund  Friedrich  —  nicht  bezahlen  sollte. 

GENIA.   Und  wer  sagt  Ihnen,  lieber  Doktor,  daß 

Theatentfieke.  IV,  M  «QC 


Friedrich  nicht  bezahlt  ?  Muß  es  denn  gerade  in  glei- 
cher Münze  sein  ?  Er  bezahlt  schon  —  in  seiner  Weise! 
Es  geht  ihm  wirklich  nicht  so  gut  wie  Sie  glauben. 
Auch  nicht  so  gut,  wie  er  selber  manchmal  glaubt. 
Zuweilen  tut  er  mir  geradezu  leid.  Wirklich,  Doktor, 
manchmal  denk'  ich,  es  ist  ein  Dämon,  der  ihn  so  treibt. 

MAUER.  Ein  Dämon  — ?  Na  ja!  .  .  .  aber  es  gibt 
Frauen,  die  ihren  Herrn  Gemahl  samt  dem  Dämon 
zum  Teufel  jagten  in  einem  solchen  Fall ...  auf  einen 
fragenden  Blick  Genias  wie  es  seinerzeit  zum  Beispiel  die 
Mutter  des  Herrn  Fähnrich  mit  ihrem  doch  auch  ziem- 
lich dämonischen  Gemahl  gemacht  hat. 

GENIA.  Vielleicht  hat  sie  ihren  Gatten  mehr  ge- 
liebt, als  ich  den  meinen.  Vielleicht  ist  es  überhaupt 
die  höhere  Art  von  Liebe,  die  nicht  verzeiht. 

FRIEDRICH  HOFREITER  kommt.  Schlank,  nicht  sehr 
groß,  schmales,  feines  Gesicht,  dunkler  Schnurrbart,  englisch  gestutzt; 
blondes  grau  meliertes,  rechts  gescheiteltes  Haar.  Er  trägt  Zwicker 
ohne  Band,  den  er  manchmal  abnimmt;  geht  etwas  nach  vorn  ge- 
beugt. Kleine,  ein  wenig  zusammengekniffene  Augen.  Liebenswürdige 
weich*,  beinahe  weichliche  Art  zu  reden,  die  manchmal  ins  ironisch 
Bissige  umschlägt.  Seine  Bewegungen  sind  geschmeidig,  aber  verraten 
Energie.  Er  ist  mit  Eleganz,  ganz  ohne  Geckenhaftigkeit  gekleidet; 
dunkler  Sakkoanzug,  darüber  offener  schwarzer  Überzieher  mit 
breitem  Atlasrevers,  runder  schwarzer  Hut,  schlanker  Regenschirm 
mit  einfachem  Griff.  —  Noch  am  Tor.  Guten  Abend.  Im  Herein- 
kommen. Servus  Mauer.  Mit  einem  eigentümlichen  Lachen,  das 
zu  seinen  Gewohnheiten  gehört  und  das  oft  klingt,  als  wenn  er  sich 
über  den  Angeredeten  lustig  machen  wollte. 

MAUER.    Grüß'  dich  Gott,  Friedrich.    Suht  auf. 

FRIEDRICH  über  die  Stiege  auf  die  Veranda,  küßt  Genia 
flüchtig  auf  die  Stirn.  Guten  Abend,  Genia.  Wie  geht's  ? 
Gibt's  was  Neues  ?    Briefe  ? 

GENIA.  Gar  nichts.  Die  Abendpost  ist  übrigens 
noch  nicht  da. 

FRIEDRICH  sieht  auf  die  Uhr.  Dreiviertel  sieben.  Den 
Briefträger  sollt'  man  auch  pensionieren.  Von  Jahr  zu 
Jahr  wird  er  langweiHger.  Das  läßt  sich  direkt  beob- 
achten.   Vor  drei  Jahren  war  die  Abendpost  immer 


306 


i 


um  halb  sieben  da.  Jetzt  selten  vor  halb  acht.  Wenn 
das  so  weitergeht,  wird  er  nächstens  um  Mitternacht 
angetanzt  kommen. 

GENIA.    Willst  du  vielleicht  noch  einen  Tee? 

FRIEDRICH.  Dank'  schön  ...  Ich  hab'  im  Büro 
einen  getrunken.  Gut  war  er  nicht.  Also  hat  dir  der 
Mauer  ausgerichtet  .  .  .  ? 

GENIA.  Ja  .  .  .  Ist  die  Depesche  aus  Amerika  ge- 
kommen ? 

FRIEDRICH.  Natürlich  .  .  .  Und  es  ist  so  gut  wie 
sicher,  daß  ich  gegen  Herbst  hinübermuß. 

GENIA.  Du  wolltest  ja  einen  Herrn  aus  dem  Büro 
hinüberschicken. 

FRIEDRICH.  Ah  —  ich  muß  ja  doch  aUei  selber 
machen.  Willst  mitfahren,  Genia  ?  Am  29.  August 
von  Liverpool,  oder  am  2.  September  von  Hamburg. 
Norddeutscher  Lloyd.  Vom  King  James  kenn'  ich  den 
Kapitän. 

GENIA.   Wir  sprechen  uns  noch  bis  dahin,  nicht? 

FRIEDRICH.    Ich  hoffe  das  Vergnügen  zu  haben. 

Er  setzt  sieb. 

GENIA.    Es  wird  dir  warm  sein  im  Überzieher. 

FRIEDRICH.  Nein,  ich  find'  es  eher  kühl.  Ein 
Wetter  war  das.  Hat's  auch  hier  so  gegossen  ?  Auf  dem 
Friedhof  war  ein  Quatsch!  —  Womit  ich  nicht  die 
Reden  gemeint  habe.  Sei  froh,  daß  du  nicht .  .  .  Wirk- 
lich, das  sollt'  endlich  abgeschafft  werden!  Was  die 
wieder  zusammengeplauscht  haben.  —  Pause.  Na,  Mauer, 
wie  bist  du  denn  herausgekommen  ?  Nichts  passiert  ? 
Wie  seid's  ihr  denn  gefahren?  Zehn  Kilometer  die 
Stund',  was  ?    Auf  mehr  laßt  du  dich  doch  nicht  ein. 

MAUER.  Du  kannst  mich  lang  frotzeln.  Ich  trau' 
keinem  Chauffeur.  Ich  bin  ganz  wie  du,  ich  verlass' 
mich  nur  auf  mich  selber.  In  den  letzten  acht  Tagen 
hab'  ich  wieder  drei  Verletzungen  nach  Automobil- 
unfällen in  Behandlung  gekriegt. 

FRIEDRICH.  Richtig,  wie  geht's  denn  dem  Stan- 
zides? 


ao» 


107 


MAUER.  Für  einen  doppelt  gebrochenen  Arm  gut 
genug.  Ich  will  jetzt  eben  noch  zu  ihm  hinschaun. 
Sehr  ungeduldig  ist  er  halt.  Und  er  sollte  eigentlich 
froh  sein,  daß  er  sich  nicht  das  Genick  gebrochen  hat. 

FRIEDRICH.  Ich  auch,  das  vergißt  du.  Ich  bin 
nämlich  auch  zehn  Meter  weit  auf  die  Straße  hinaus  ge- 
flogen. —  Aber  es  ist  schon  wahr,  die  Versicherungs- 
gesellschaften werden  bald  keine  Bekannten  von  mir 
annehmen  wollen. 

MAUER.  Du  hast  wirklich  kein  Glück  mit  deinen 
Freunden,  wie  das  vor  einer  halben  Stunde  die  Erna 
Wahl  behauptet  hat. 

FRIEDRICH.    So,  die  Erna  ist  dagewesen? 

GENIA.  Ja,  mit  der  Mutter.  Sind  eben  in  Be- 
gleitung des  Herrn  Fähnrich  fortgegangen. 

FRIEDRICH.  So,  der  Otto  war  auch  da  ?  . . .  Z« 
Mauer.    Hast  ihn  gesehn  ? 

MAUER.    Ja. 

FRIEDRICH.   Wie  g'fallt  er  dir  denn  eigentlich? 

MAUER  etwas  befremdet  von  der  Frage.  Ein  ganz  netter 
Bursch. 

FRIEDRICH.  Merkwürdig  wie  er  an  seinen  Vater 
erinnert!  Dieselbe  Couleur  in  Grau.  Findest  du  nicht  ? 

MAUER.  Möglich  .  .  .  Der  Doktor  von  Aigner  war 
übrigens  nie  mein  Fall.  Zu  viel  Poseur  für  memen 
Geschmack. 

FRIEDRICH.  Ah,  er  hat  nur  Stil.  Das  verwechselt 
man  oft.  Auch  schon  lang  her,  daß  ich  ihn  zuletzt 
gesehn  hab'.  Vor  sieben  Jahren.  In  Bozen.  Erinnerst 
du  dich,  Genia  ? 

GENIA.  Freilich.  Zu  Mauer.  Mir  hat  er  sehr  gut 
gefallen. 

FRIEDRICH.  Ja,  er  hat  damals  eine  gute  Zeit  ge- 
habt. Jedenfalls  war  er  besser  aufgelegt  wie  ich.  Zu 
Mauer.  Weißt,  das  war  nämlich  grad  ein  paar  Tag', 
nachdem  die  Geschichte  mit  dem  Bernhaupt  passiert 
ist.  Na  und  der  Aigner  ist  damals  gerade  von  einer 
Wahlreise  zurückgekommen;  sehr  montiert;  irgendwo 

308 


war  er  angeschossen  worden,  in  einem  südtirolischen 
Nest,  von  Irredentisten,  darauf  hat  er  natürlich  von 
den  Deutschen  riesige  Ovationen  bekommen  .  .  .  nebst- 
bei  hat  er  jeden  Tag  zwei  bis  drei  Reden  zu  halten  ge- 
habt .  .  . 

MAUER.  Reden!  Ja!  Das  war  immer  sein  Fall. 
Schon  damals  als  Präsident  des  Touristenklubs,  wie  ich 
im  Ausschuß  war.  Na,  und  gar  jetzt  als  Abgeordneter. 
. .  .  Da  hat  er  reichlich  Gelegenheit! 

FRIEDRICH.  Ah  er  redt  nicht  nur;  —  er  tut  auch 
was  fürs  Land.  Die  neuen  Dolomitenstraßen  wären 
ohne  ihn  nie  gebaut  worden.  Und  diese  Riesenhotels 
und  die  Automobilverbindungen,  eigentlich  alles  sein 
'  Werk!  Und  nebstbei  hat  er  in  jedem  Tiroler  Dorf 
mindestens  ein  Kind.  Auch  außerhalb  seines  Wahl- 
kreises. 

MAUER.  Also  gut,  sagen  wir,  er  hat  Stil.  Aber 
ich  muß  jetzt  gehn.  Der  Stanzides  wird  mich  schon 
erwarten.  — 

FRIEDRICH.  Grüß'  ihn  schön  von  mir.  Ich  schau' 
vielleicht  morgen  zu  ihm  hinauf.  Zum  Nachtmahl 
kommst  du  doch  wieder  her? 

MAUER.    Ich  weiß  nicht. 

FRIEDRICH.    Aber  selbstverständUch. 

MAUER  zögernd.  Danke.  Ich  fahr'  doch  lieber  mit 
dem  zehn  Uhr  zwanzig  Zug  hinein.  Ich  hab'  morgen 
früh  im  Spital  zu  tun. 

FRIEDRICH.    Bist  du  abergläubisch,  Mauer? 

MAUER.    Warum  denn? 

FRIEDRICH.  Na,  ich  hab'  gedacht,  vielleicht  wiUst 
du  nicht  im  Fremdenzimmer  schlafen,  weil  der  arme 
Korsakow  vor  acht  Tagen  oben  übernachtet  hat.  Aber 
ich  glaube  nicht,  daß  die  Toten  schon  in  der  ersten 
Nacht  Ausgang  kriegen  zum  Erscheinen. 

MAUER.    Wenn  man  dich  so  reden  hört .  .  .! 

FRIEDRICH  plötzlich  ernst.  Elinder,  es  ist  doch 
scheußlich!  Vor  acht  Tagen  hat  er  da  oben  geschlafen, 
und  am  Abend  vorher  hat  er  noch  Klavier  gespielt  da 


309 


drin  —  Chopin  —  da«  Cismoll-Nokturno  —  und  waa 
von  Schumann  — ,  und  da  auf  der  Veranda  sind  wir  ge- 
sessen, der  Otto  war  auch  dabei  und  das  Natternpaar, 
—  wer  von  uns  hätt  sich  das  träumen  lassen !  —  Wenn 
man  nur  eine  Ahnung  hätte,  warum?  Na,  Genia,  — 
hat  er  dir  auch  nichts  g'sagt  ? 
GENIA.    Mir?... 

FRIEDRICH  ohne  Genias  Haltung  Bedeutung  beizulegen. 
PlötzUche  Sinnesverwirrung,  sagen  die  Leute.  Aber  es 
soll  uns  erst  einer  sagen,  was  das  heißt :  PlötzUche  Sinnes- 
verwirrung. Na,  Mauer,  möchtest  du  mir's  vielleicht 
erklären  ? 

MAUER.    Erstens  bin  ich  kein  Psychiater  —  und 
zweitens  wunder'  ich  mich  nie,  wenn  sich  wer  umbringt. " 
Wir  sind  alle  so  oft  nahe  daran.  Ich  hab'  mich  einmal 
umbringen  wollen,  mit  vierzehn  Jahren,  weil  mich  ein 
Professor  ins  Klassenbuch  geschrieben  hat. 

FRIEDRICH.  In  einem  solchen  Falle  hätt'  ich  Ueber 
den  Professor  umgebracht  .  .  .  Nur  wäre  ich  dann  ein 
Massenmörder  geworden. 

MAUER.  Ich  bitt'  dich,  ein  Künstler!  Die  sind 
alle  mehr  oder  weniger  anormal.  Schon  daß  sie  sich 
so  wichtig  nehmen.  Der  Ehrgeiz  an  und  für  sich  ist  ja 
eine  Geistestörung.  Dieses  SpekuUeren  auf  die  Unsterb- 
lichkeit! Und  die  reproduzierenden  Künstler,  die  ha- 
ben's  gar  schlecht.  Sie  mögen  so  groß  sein  wie  sie  wol- 
len, es  bleibt  doch  nichts  übrig  als  der  Name  und  nichts 
von  dem,  was  sie  geleistet  haben.  Ich  glaub'  schon, 
daß  einen  das  verrückt  machen  kann. 

FRIEDRICH.  Aber  was  redst  denn!  Du  hast  ihn 
ja  nicht  gekannt.  Ihr  habt  ihn  ja  alle  nicht  gekannt. 
Ehrgeiz  .  .  .  Der?  —  Dazu  war  er  ja  viel  zu  gescheit! 
Zu  philosophisch  könnt'  man  sagen.  Die  Klavierspielerei 
war  ihm  in  WirkHchkeit  Nebensache.  Habt  ihr  denn 
eine  Ahnung,  für  was  alles  der  sich  interessiert  hat? 
Den  Kant  und  den  Schopenhauer  und  den  Nietzsche 
hat  er  im  kleinen  Finger  gehabt,  und  den  Marx  und 
den  Proudhon  gleichfalls.    Es  war  ja  fabelhaft.    Ich 


310 


weiß  schon,  wen  ich  mir  aussuch'  zum  konversieren  . . . 
Und  dabei  täglich  sechs  Stunden  üben!  Wo  er  nur  die 
Zeit  zu  dem  allen  hergenommen  hat  ?  —  Und  sieben- 
undzwanzig Jahre!  Und  bringt  sich  um.  Herr  Gott, 
was  hat  so  ein  Kerl  noch  alles  vor  sich  gehabt.  Jung 
und  berühmt,  ganz  hübsch  obendrein  —  und  schießt 
sich  tot.  Wenn  das  ein  alter  Esel  tut,  dem  das  Leben 
nichts  mehr  bieten  kann  .  .  .  Aber  grad  die  .  .  .  Na. 
—  Und  noch  am  Abend  vorher  sitzt  man  zusammen 
mit  so  einem  Menschen,  beim  Nachtmahl  —  und  spielt 
Billard  mit  ihm  .  .  .  Was  ist  denn,  Genia  ?  Was  ist 
denn  da  zum  Lachen  ? 

GENIA.  Ich  hab'  die  Geschichte  eben  der  Frau 
Wahl  erzählt.  Sie  hat  sich  sofort  erkundigt,  wo  die 
Zigarren  hingekommen  sind,  die  du  ihm  am  nächsten 
Tag  geschickt  hast. 

FRIEDRICH.   Ha!  .  .  .    Die  ist  doch  unbezahlbar. 

Nimmt  eine  Zigarrentascbe  heraus^  offeriert  dem  Mauer.  Du  bist 
ja  nicht  abergläubisch.  Ich  rauch'  grad  auch  eine. 
Der  Franz  hat  sie  mir  natürlich  zurückgebracht. 

MAUER.  Danke.  Es  ist  eigenthch  schad'  drum  vor 
dem  Nachtmahl.    Nimmt  sie. 

FRIEDRICH  gibt  ihm  Feuer. 

STUBENMÄDCHEN  kommt  mit  Briefen 

GENIA  nimmt  sie  ihr  aus  der  Hand.  Eine  Karte  VOn 
Percy. 

FRIEDRICH.  Dearmother.  An  dich.  Schon  wieder 
nur  eine  Karte.    So  ein  fauler  Strick. 

MAUER.  Was  soll  denn  ein  dreizehnjähriger  Bursch 
Briefe  schreiben.    Und  gar  noch  enghsch. 

FRIEDRICH.    Kann  er  grad  so  gut  wie  deutsch. 

MAUER.  Also  auf  Wiedersehn.  In  einer  halben 
Stunde  bin  ich  wieder  da.  Die  Zigarre  hat  übrigens 
wirklich  keine  Luft.  Das  ist  kein  Aberglaube.  Bleib 
nur.    Ab. 

FRIEDRICH.     GENIA. 

FRIEDRICH.  Ja,  es  war  ganz  gut,  daß  du  nicht 
hineingefahren  bist,  Genia.    Die  Reden  .  . .  und  das 


3U 


Wetter  dazu.  Er  tiebt  die  Briefschaften  und  die  Zeitungen  flüchtig 
durch.  Übrigens,  wie  man  den  Sarg  in  die  Erde  ge- 
senkt hat,  ist  plötzlich  die  Sonne  hervorgekommen.  — 
Pause.  Ist  heut  nicht  Donnerstag?  Heut  hätt'  er  ja 
bei  uns  nachtmahlen  sollen.  Das  muß  man  dem  Mauer 
auch  noch  sagen  .  .  .  Geh,  laß  mich  doch  die  Karte 
von  Percy  anschaun. 

GENIA  reicht  sie  ihm.    In  vier  Wochen  ist  er  da. 

FRIEDRICH  lesend.  Ja.  Also  die  beste  griechische 
Aufgabe.  Na,  auch  nicht  schlecht.  Vielleicht  wird  er 
Philolog  oder  Archäolog.  Hast  du  übrigens  gestern 
im  Daily  Telegraph  den  Artikel  über  die  neuen  Aus- 
grabungen in  Kreta  gelesen  ? 

GENIA.    Nein. 

FRIEDRICH.  Sehr  interessant.  Da  müßte  man 
eigentlich  auch  einmal  hin.    Ja.    Pause. 

GENIA.  Was  du  da  früher  von  Amerika  gesagt  hast, 

—  ist  das  dein  Ernst  ? 

FRIEDRICH.  Natürlich.  Na,  hättest  du  keine  Lust, 
Genia  ?  In  New  York  selbst  hätt'  ich  nicht  lang  zu  tun. 
Aber  dafür  auch  in  Chicago  und  in  Washington,  und 
St.  Louis  .  .  .  Und  ich  finde,  es  wäre  unverantworthch, 
wenn  man  bei  dieser  Gelegenheit  nicht  weiter  rutschte; 

—  hinüber  bis  nach  San  Francisco.  Erinnerst  du  dich, 
wie  uns  der  arme  Korsakow  von  seiner  Tournee  durch 
Kalifornien  erzählt  hat  ?  Es  muß  schon  prachtvoll  sein. 

GENIA.  Das  wäre  ja  dann  eine  Reise  von  ein  paar 
Monaten. 

FRIEDRICH.  Ja,  wenn  bis  dahin  hier  alles  in  Gang 
gebracht  ist,  insbesondere  der  Neubau,  dann  könnte 
man  die  Reise  wohl  bis  zum  Frühjahr  ausdehnen  .  . . 
Na,  überleg's  dir. 

GENIA  schüttelt  langsam  den  Kopf. 

FRIEDRICH.  Hast  Angst  vor  der  Seefahrt  ?  Ich 
bitt'  dich,  jetzt  auf  den  neuen  Schiffen!  Und  übrigens 
ist  soeben  wieder  ein  vollkommen  sicheres  Mittel  gegen 
Seekrankheit  erfunden  worden.    Vibrationselektrizität. 

GENIA.  Ich  glaub'  nicht,  daß  ich  mich  entschließen 


312 


I 


werde.    Trotz   der  Vibrationselektrizität.    Aber  eine 
andere  Idee  hätt'  ich  .  .  . 

FRIEDRICH.    Und  zwar? 

GENIA.  Während  du  drüben  bist,  möcht'  ich  in 
England  bleiben  —  beim  Percy. 

FRIEDRICH  siebt  sie  von  der  Seite  an.  Hm.  Du  hättest 
nicht  viel  von  ihm. 

GENIA.  Er  könnte  ja  während  der  Zeit  als  Extemist 
weiterstudieren.  Grad  so  wie  die  Buben  von  meiner 
Schwester,  der  Mary.  Und  ich  könnte  mit  ihm  zusam- 
menwohnen. 

FRIEDRICH.  Was  sind  denn  das  .  .  .  wie  kommst 
du  denn  so  plötzlich  auf  diese  Idee  .  .  .  ? 

GENIA.  Nicht  so  plötzlich.  Ich  habe  erst  neulich 
mit  dir  davon  gesprochen.  —  Erinner*  dich  nur.  Und 
da  du  doch  entschlossen  scheinst,  ihn  noch  ein  paar 
Jahre  drüben  zu  lassen  .  .  . 

FRIEDRICH.  Natürlich.  Du  siehst  ja,  wie  iamos  er 
sich  drüben  entwickelt.  Es  wäre  nichts  als  verdammter 
Egoismus,  wenn  vnr  ihn  jetzt,  mitten  in  seiner  Ausbil- 
dung, wieder  zurückholten,  in  unsern  Kontinent,  wo  sie 
einen  systematisch  zu  allerlei  SentimentaHtäten  und  Bru- 
talitäten erziehen,  statt  zum  Golf  spielen  und  Rudern. 

GENIA.    Wenn  nur  die  Sehnsucht  nicht  wäre  .  .  . 

FRIEDRICH.  Ja,  das  muß  man  schon  mit  in  den 
Kauf  nehmen.  Meinst  du  vielleicht,  ich  sehn*  mich 
nicht  nach  ihm  ?  Aber  Sehnsucht  ist  meiner  Ansicht 
nach  ein  sehr  gesundes  Element  in  der  Ökonomie  der 
Seele,  Sehnsucht  hat  die  Eigenschaft,  menschliche  Be- 
ziehungen zu  verbessern.  Ich  finde  überhaupt,  man 
sollte  die  menschlichen  Beziehungen  mehr  auf  Sehnsucht 
einrichten  als  auf  Gewohnheit.  Übrigens  können  wir 
ihn  ja  jedenfalls  hinüberbegleiten  nach  England,  und 
du  kannst  dich  dann  noch  immer  entscheiden,  ob  du 
mit  mir  fahren  oder  beim  Buben  bleiben  willst  über 
den  Winter. 

GENIA.  Es  wäre  mir  lieber,  wenn  du  die  Sache 
schon  heute  als  meinen  festen  Entschluß  ansähst. 


3x3 


FRIEDRICH.    Als  deinen  Entschluß? 

GENIA.  Ich  hätte  ja  noch  allerlei  zu  besorg Ai,  eh* 
ich  nach  England  fahre.  Von  heute  auf  morgen  läßt 
sich  doch  so  eine  Übersiedlung  nicht  bewerkstelligen. 

FRIEDRICH.    Übersiedlung  ? 

GENIA.    Nenn's  wie  du  willst. 

FRIEDRICH.  Ja,  was  hast  du  denn,  Genia?  Du 
bist  ja  geradezu  sonderbar? 

GENIA.  Was  ist  denn  daran  sonderbar?  Daß  eine 
Mutter  .  .  .  daß  man  seinen  einzigen  Sohn  .  .  .  Wenn 
er  um  ein  paar  Jahre  älter  ist,  hab'  ich  ja  überhaupt 
nichts  mehr  von  ihm.  Im  Sommer  zwei  Monate,  und 
zu  Weihnachten  acht  Tage  und  zu  Ostern,  —  das  ist 
doch  zu  wenig.  Ich  hab'  lang  genug  gekämpft,  —  ich 
kann  einfach  nicht  mehr. 

FRIEDRICH.  Du,  Genia,  man  könnte  beinahe  den 
Eindruck  gewinnen,  als  wenn's  dir  nicht  so  sehr  darauf 
ankäme,  einige  Zeit  bei  deinem  Sohn  zu  verbringen, 
als  von  deinem  ...  als  von  hier  abzufahren. 

GENIA.  Sonderlich  vermissen  wirst  du  mich  wohl 
nicht,  denk'  ich  .  .  .  Aber  wozu  darüber  reden.  Sie 
steht  auf. 

FRIEDRICH.    Was  ist  denn? 

GENIA.  Nichts.  In  den  Garten  hinunter  geh*  ich. 
Über  die  Stufen  hinab. 

FRIEDRICH  siebt  ihr  nach. 

GENIA  langsam  längs  der  Wiese  nach  rücktoärts. 

FRIEDRICH  von  der  Veranda  herunter^  noch  im  Überzieher^ 
den  Hut  bat  er  oben  gelassen^  bleibt  an  einem  Rosenstrauch  stehen. 
Riecht  daran.  Die  haben  heuer  überhaupt  keinen  Duft 
mehr.  Ich  weiß  nicht,  was  das  ist.  Jedes  Jahr  schaun 
sie  üppiger  aus,  aber  das  Duften  haben  sie  sich  ganz 
abgewöhnt. 

GENIA  langsam  nach  rückwärts,  Hände  auf  dem  Rücken. 

FRIEDRICH  nach  einer  Pause.     Du,  —  Genia. 

GENIA.    Was? 

FRIEDRICH.   Na,  wenn  du  bei  mir  angelangt  bist. 

GENIA  langsam  näher.     Da  bin  ich. 


3H 


FRIEDRICH.  Du,  Genia,  sag'  einmal.  Faßt  sie  ins 
Auge,  ganz  rubig.  Solltest  du  vielleicht  doch  wissen, 
warum  sich  der  Korsakow  erschossen  hat? 

GENIA  ruhig.  Was  soll  denn  diese  Frage  bedeuten  ? 
Du  weißt,  ich  bin  nicht  weniger  erstaunt  gewesen  als 
du. 

FRIEDRICH.  Man  hatte  allerdings  den  Eindruck. 
Also  sag',  warum  willst  du  denn  fort  von  mir  ...  so  von 
heut  auf  morgen  ? 

GENIA.  Ich  wiU  nicht  fort  von  dir.  Zu  Percy  will 
ich.  Und  nicht  von  heut  auf  morgen,  sondern  im  Herbst. 
Mit  Percy  zusammen. 

FRIEDRICH.  Ja,  sonst  war*  es  wohl  zu  auffallend. 

GENIA.    Was  wäre  auffallend? 

FRIEDRICH.  Da  säh's  ja  beinahe  aus  wie  eine 
Flucht. 

GENIA.  Flucht?  Flucht  vor  dir!  Das  hab'  ich 
wohl  nicht  notwendig.  Wir  sind  ja  weit  genug  von- 
einander, auch  daheim!  —  Pauu. 

FRIEDRICH.  Du  Genia!  —  Er  ist  ja  tot  und  be- 
graben, —  der  Herr  Alexei  Korsakow  .  .  . 

GENIA.    Was  willst  du  denn  immer  von  ihm? 

FRIEDRICH.  Ruhig,  mein  Kind,  nur  ruhig!  .  .  . 
Ich  will  damit  nur  sagen,  es  kann  ihm  nicht  das  ge- 
ringste mehr  ...  Es  würde  ihm  natürlich  auch  nichts 
geschehn,  wenn  er  noch  auf  der  Welt  wäre,  so  wenig 
wie  dir  .  .  .  Aber  du  wirst  doch  zugestehn,  diese  Aus- 
einandersetzung zwischen  uns  bekommt  ein  eigentüm- 
liches Cachet .  .  .  nein,  das  ist  nicht  das  richtige  Wort . . . 
also  ich  will  nur  sagen,  daß  dieses  Gespräch  gerade  heute 
stattfindet,  daß  gerade  heute,  an  dem  Tag,  da  der  Herr 
Korsakow  begraben  wurde,  deine  Stimmung  so  eigen- 
tümlich .  .  .  Wenn  ich  auch  ein  Ehemann  bin,  Genia, 
ich  bin  ja  kein  Trottel.  Also,  daß  da  irgend  etwas  nicht 
stimmt,  dafür  leg*  ich  meine  Hand  ins  Feuer.  Also  — 
was  ist  gewesen  zwischen  euch? 

GENIA.    Ich  schau'  dich  nur  an. 

FRIEDRICH.  Ja,  das  merk'  ich.  Aber  du  wirst  zu- 


315 


geben,  eine  Antwort  ist  das  nicht.  Du  solltest  mich 
auch  nicht  mißverstehn,  Genia.  Es  muß  ja  nichts 
Wirkliches  vorgefallen  sein,  zwischen  dir  und  Korsakow. 
Es  war  vielleicht  nur  ein  Fürt.  Ja.  Denn,  wenn  es  etwas 
andres  gewesen  wäre,  hätte  er  sich  nicht  zu  erschießen 
brauchen.    Außer   lauernd  es  ist   doch  mehr  gewesen 

—  und  du  hast  ihn  —  —  —  in  Gnaden  entlassen. 
Er  spricht  immer  ganz  ruhig,  nimmt  sie  aber  jetzt  beim  Arm. 

GENIA  beinahe  lächelnd.  Eine  Eifersuchtsszene?!  — 
Aber!  .  .  .  Du  solltest  wirklich  was  für  deine  Nerven 
tun,  Friedrich.  Ich  weiß  nicht .  .  .  aber  ich  kann  ja 
nichts  dafür,  daß  es  zwischen  dir  und  Adele  Natter  zu 
Ende  ist,  —  und  daß  noch  keine  Nachfolgerin  da  zu 
sein  scheint. 

FRIEDRICH.  Ah,  du  bist  ja  sehr  gut  informiert. 
Na,  ich  will  vorläufig  nicht  untersuchen,  von  welcher 
Seite  dir  diese  Wissenschaft  kommt,  —  übrigens  kann 
ich  wirklich  nichts  dafür,  daß  du  mich  nie  direkt  um 
was  gefragt  hast;  —  ich  hätte  dir  nichts  abgeleugnet. 
Keinesfalls  hätte  ich  dir  erwidert,  du  sollst  etwas  für 
deine  Nerven  tun.  Das  ist  überhaupt .  .  .  das  sieht  dir 
nicht  einmal  ähnlich.  Ich  versteh'  dich  eigentlich  gar 
nicht.  Du  solltest  mich  doch  besser  kennen.  Ich  weiß 
wahrhaftig  nicht,  warum  du  dastehst  wie  eine  Bild- 
säule, statt  mir  vernünftig  zu  antworten  .  .  .  Mir 
scheint,  du  traust  mir  nicht,  Genia  ?  .  .  .  Du  denkst 
dir,  man  kann  bei  ihm  nicht  wissen  ?  .  .  .  Aber  ich  ver- 
sichere dich,  Genia  —  halt  das  nicht  für  Hinterlist 

—  ich  würde  es  vollkommen  begreifen.  Du  hättest  ja 
schließlich  nur  Recht  gehabt  —  ob's  nun  Alexei  war 
oder  .  .  .  na,  über  den  Geschmack  kann  man  ja  nicht 
streiten.  Aber  bekanntlich  richtet  sich  in  einem  solchen 
Fall  die  Gattin  selten  nach  dem  Geschmack  des  Gemahls. 

GENIA.  Warum  verleugnest  du  ihn  plötzlich  ?  Du 
bist  ja  doch  sein  Freund  gewesen.  Heut  beim  Begräb- 
nis sollst  du  ja  sogar  tief  ergriffen  gewesen  sein. 

FRIEDRICH.  Hat  dir  das  auch  der  Mauer  erzählt  ? 

GENIA.  Das  zufällig  die  Erna  Wahl.   Sic  hätte  dir 

316 


nämlich  gar  nicht  zugetraut,  daß  dir  irgend  etwas  auf 
der  Welt  so  nahe  gehn  kann. 

FRIEDRICH.  Ah,  Erna,  die  Menschenkennerin. 
Natürlich  war  ich  ergriffen.  Es  tut  mir  so  leid  um  ihn, 
wie's  mir  selten  um  wen  leid  getan  hat.  Und  es  tat' 
mir  nicht  weniger  leid  um  ihn,  wenn  ich  mit  absoluter 
Sicherheit  wüßte,  daß  du  —  seine  Geliebte  gewesen 
bist.  Du  kannst  dir  nämlich  gar  nicht  vorstellen,  wie 
—  unwesentlich  und  nebensächlich  gewisse  Dinge  für 
einen  werden,  wenn  man  grad  vom  Friedhof  kommt. 
Das  sag*  ich  nicht,  um  dich  zu  beruhigen,  sondern  weil's 
wahr  ist.  —  Also  gib  endlich  eine  Antwort.  Früher 
geb'  ich  ja  keine  Ruh*.  Kannst  auch  lügen,  aber  ant- 
worten mußt  du.  Ich  werd'  schon  wissen,  ob's  wahr  ist. 
Also  ...  ja  oder  nein  ?  — 

GENIA.  Er  war  nicht  mein  Geliebter.  Er  war  lei- 
der nicht  mein  Geliebter.    Ist  dir  das  genug? 

FRIEDRICH.  Ja,  das  ist  mir  genug.  Denn  jetzt 
weiß  ich,  daß  er's  war.  Du  hast  dich  nämlich  selbst 
verraten!  Merkst  nicht?  —  Leider  war  er's  nicht, 
hast  du  gesagt.  Und  da  du  ihn  geliebt  hast,  warst  du 
natürlich  seine  Geliebte.  Was  hätte  dich  daran  hindern 
sollen?  Und  da  du  jetzt  —  Schluß  gemacht  hast,  hat 
er  sich  eben  umgebracht.  Sehr  einfach.  Und  warum 
du  Schluß  gemacht  hast,  das  ist  noch  einfacher.  Ich 
werd's  dir  sagen,  warum:  Weil  solche  Dinge  eben  ein 
Ende  haben  müssen.  Besonders,  wenn  es  sich  um  so  eine 
Geschichte  handelt  mit  einem  Menschen,  der  um  ein 
paar  Jahre  jünger  ist  —  und  sich  meistens  auf  Konzert- 
reisen befindet.  Und  dann,  der  Percy  kommt  bald 
zurück,  und  da  mag  dich  denn  ein  gewisses,  wie  soll  ich 
sagen,  Reinlichkeitsgefühl ...  Na  .  .  .  Eigentlich  sehr 
anständig.  Somit  wäre  alles  ganz  klar,  bis  auf  die  Idee 
mit  der  englischen  Reise,  Nein,  eigentlich  versteh'  ich 
auch  das  ganz  gut.  Schließlich,  wenn  die  Sache  auch 
zu  Ende  war  für  dich,  —  dieser  Abschluß  ,  .  ,  Ja, 
sogar,  wenn  du  ihn  nicht  sehr  leidenschaftlich  geliebt 
hast  —  oder  hättest . . . 


317 


GENIA.  Bemüh*  dich  nicht  weiter.  Da  lies.  SU 
xiebt  eintn  Brief  aus  ihrem  Gürtel. 

FRIEDRICH.    Was  soU  ich  ...  ? 

GENIA.    Lies. 

FRIEDRICH.  Was  ist...  Ein  Brief?  Von  ihm 
ein  Brief?  An  dich  ein  Brief  von  ihm?  —  Ah,  behalt 
ihn.  Ich  will  ihn  nicht.  Das  sah'  ja  aus  . . .  Ich  danke. 
Wenn  es  nicht  deine  Absicht  war,  mir  diesen  Brief  zu 
zeigen,  —  so  behalt  ihn  dir  freundlichst! 

GENIA.    Lies! 

FRIEDRICH.  Warum  soU  ich  ihn  denn  lesen  ?  Du 
kannst  mir  ja  sagen,  was  drin  steht.  Ist  er  nicht  viel- 
leicht russisch?  Und  die  kleine  Schrift.  Da  verdirbt 
man  sich  ja  die  Augen. 

GENIA.    Lies. 

FRIEDRICH  auf  die  Veranda.  Er  dreht  das  Licht  auf, 
Wandarm,  stellt  sich  darunter,  setzt  den  Zwicker  auf,  beginnt  für 
sich  zu  lesen. 

GENIA  folgt  ihm  langsam,  bleibt  auf  der  untersten  Stufe  stebn. 

FRIEDRICH  Usend.  „Leben  Sie  wohl,  Genia."  Liest 
für  sich  weiter.  Blickt  auf  zu  ihr,  erstaunt.  Was  ?  Du  hast 
keine  Ahnung  gehabt,  daß  er  .  . .  Wann  hast  du  denn 
den  Brief  bekommen  ? 

GENIA.  Eine  Stunde  bevor  du  mir  die  Nachricht 
gebracht  hast,  daß  er  tot  ist. 

FRIEDRICH.  Du  hast's  also  schon  gewußt,  wie 
ich  nach  Haus  gekommen  bin  ?  Man  ist  doch  .  .  .  Also 
auf  die  Gefahr  hin,  daß  du  mich  für  einen  Idioten  hältst, 
ich  hab'  dir  nichts  angemerkt,  nicht  das  geringste  .  .  . 
Liest  weiter  für  sich,  dann  schaut  er  wieder  wie  überrascht  auf, 
dann  liest  er  halblaut.  „Sie  hatten  ja  vielleicht  recht, 
daß  Sie  sich  meinem  vermeßnen  Wunsch  versagten. 
Wir  waren  beide  nicht  geschaffen  in  Lüge  .  .  .  Ich 
vielleicht;  Sie  nicht .  .  .  trotz  allem  .  .  ."  Trotz  allem . .. 
Du  hast  dich  wohl  sehr  beklagt  über  mich? 

GENIA  fragender  Blick. 

FRIEDRICH  Usend.  „Daß  Sie  Ihn"  —  mit  großem 
I,  sehr  schmeichelhaft  —  „daß  Sie  Ihn  nicht  verlassen 


318 


wollen,  trotz  allein,  das  versteh'  ich  in  dieser  Stunde. 
Sie  lieben  ihn,  Genia,  Sie  lieben  Ihren  Gatten  noch 
immer,  das  ist  die  Lösung  des  Geheimnisses.  Und 
vielleicht  ist  das,  was  ich  mit  dem  törichten  Wort"  . . . 
das  kann  ich  absolut  nicht  lesen  .  .  . 

GENIA.  „Was  ich  mit  dem  törichten  Wort  Treue 
bezeichne"  .  .  . 

FRIEDRICH.  Ah,  du  kennst  ihn  ja  auswendig. 
„Was  ich  mit  dem  törichten  Wort  Treue  bezeichne, 
nichts  als  die  Hoffnung,  daß  er  Ihnen  doch  einmal 
zurückkehrt." 

GENIA.  Seine  Auffassung.  Du  weißt,  daß  ich 
nichts  hoffe  —  und  nichts  wünsche. 

FRIEDRICH  siebt  sie  an;  dann :  „Als  ich  Sie  gestern 
sprach,  war  ich  schon  entschlossen"  Gestern  ?  .  .  .  War 
er  denn  am  Sonntag  da  ?  Ja,  richtig,  ihr  seid  in  der 
Allee  hinten  auf  und  ab  gegangen  miteinander  . . . 
ja  .  .  .  Liest.  „Als  ich  Sie  gestern  sprach,  war  ich  schon 
fest  entschlossen,  alles  weitere  von  Ihrem  ja  oder  nein 
abhängig  zu  machen.  Ich  habe  Ihnen  ja  nichts  davon 
gesagt,  denn  ich  fürchtete,  wenn  Sie  geahnt  hätten, 
daß  es  mir  vollkommen  unmögUch  ist,  ohne  Sie  weiter- 
zuleben .  .  ."  Etwas  ausführlich  schreibt  er,  der  Herr 
Alexei  Iwanowitsch  .  .  .  Musik  vom  Kurpark  her,  gedämpft. 
„Ich  wollte  mein  Glück  nicht  einem  Zwang,  nicht  einer 
Art  von  Erpressung  verdanken.  Darum"  .  . .  Hättest 
du  ja  gesagt,  wenn  du  gewußt  hättest,  daß  es  um  Leben 
und  Tod  geht? 

GENIA.  Wenn  ich  gewußt  hätte  . .  .  ?  Wie  kann 
man  sich  so  was  .  .  .  Ich  hätt's  ja  nicht  geglaubt.  Das 
hätt'  ich  ja  doch  nicht  geglaubt. 

FRIEDRICH.    Ich  will  dich  anders  fragen. 

PAUL  KREINDL  elegant,  jung,  angestrengt  fescb,  erscheint 
am  Tor.   Guten  Abend!    Küss' die  Hand,  gnädige  Frau. 

FRIEDRICH.  Wer  ist  denn?  ...  Ah,  Paul,  Sie! 
Herunter. 

PAUL.  Bitte.  Er  tritt  näher.  Ich  wiU  nicht  stören. 
Ich  komme  nämlich  als  Abgesandter  aus  dem  Kurpark; 


319 


von  Frau  von  Wahl  und  Fräulein  Erna  und  Herrn 
Fähnrich  von  Aigner  und  dem  Herrn  Oberleutnant 
Stanzides  .  .  , 

FRIEDRICH.    Der  geht  schon  aus? 

PAUL.  Ob  die  Herrschaften  nicht  auch  zur  Musik 
kommen  möchten  ? 

GENIA.  Wir  danken  sehr,  aber  wir  haben  einen 
Gast  zum  Nachtmahl,  den  Doktor  Mauer. 

PAUL.    So  bringen  Sie  ihn  doch  mit,  gnä'  Frau! 

FRIEDRICH.   Sie  bleiben  ja  gewiß  alle  lang  im  Park. 

PAUL.    Bis  ausgelöscht  wird. 

FRIEDRICH.  Also  schön,  —  vielleicht  kommen 
wir  nach  .  .  .  ohne  Verpflichtung. 

GENIA.    Wir  lassen  jedenfalls  bestens  danken. 

PAUL.  O  bitte.  Man  würde  allerseits  sehr  beglückt 
sein.  Küss'  die  Hand,  gnädige  Frau,  adieu,  Herr  Hof- 
reiter, bitte  tausendmal  um  Entschuldigung,  wenn  ich 
gestört  habe.    Gebt. 

FRIEDRICH  und  GENIA  im  Garten. 
Pause. 

FRIEDRICH.  Ich  will  dich  anders  fragen.  Ich 
meine :  Wenn  du  ihn  von  den  Toten  wieder  aufwecken 
könntest,  —  dadurch,  daß  du  dich  bereit  erklärtest . , . 
seine  Geliebte  zu  werden. 

GENIA.    Ich  weiß  nicht. 

FRIEDRICH.  Du  vergißt,  was  du  früher  gesagt 
hast,  „Er  war  leider  nicht  mein  Geliebter".  Wenn 
du  selbst  es  bedauerst,  daß  du's  nicht  warst,  so  kann 
doch  nicht  so  viel  dazu  gefehlt  haben.  Und  jetzt  zwei- 
felst du  daran,  daß  du  seine  Geliebte  würdest,  selbst 
wenn  du  ihn  damit  wieder  von  den  Toten  .  .  .  Warum 
gibst  du's  nicht  zu  ?  Er  hätte  nur  noch  ein  paar  Tage 
Geduld  haben  müssen,  dann  wärst  du  doch  ...  du  hast 
ihn  ja  geliebt. 

GENIA.    Nicht  genug,  wie  du  siehst. 

FRIEDRICH.  Du  sprichst  das  aus,  als  wenn  du  mir 
einen  Vorwurf . . .    Ich  kann  ja  nichts  dafür. 


320 


GENIA.    Nur  ich.    Ich  weiß. 

FRIEDRICH.  Und  jetzt  bereust  du  ...  daß  du  ..  . 
ihn  in  den  Tod  getrieben  hast  ? 

GENIA.  Es  tut  mir  sehr  weh,  daß  er  gestorben  ist. 
Aber  zu  bereuen,  zu  bereuen  hab'  ich  doch  nichts  ? ! 
Hätt*  er  mir  gesagt,  was  er  vorhat  —  hätt*  er  mir  .  .  . 
Oh,  ich  hätt'  ihn  schon  zur  Vernunft  gebracht  .  .  . 

FRIEDRICH.    Wie  denn  —  ? 

GENIA.   Ich  hätt'  ihm  das  Wort  abgenommen  .  . . 

FRIEDRICH.  Was  denn?  Aber  red'  nicht!  Du 
hättest  ihm  kein  Wort  abgenommen;  —  du  wärst  ein- 
fach seine   GeUebte  geworden  .  . .  selbstverständlich. 

GENIA.    Ich  glaub'  nicht. 

FRIEDRICH.    Aber  ich  bitt»  dich! 

GENIA.  O,  nicht  deinetwegen.  Nicht  einmal  wegen 
Percy. 

FRIEDRICH.    Ja,  warum? 

GENIA.    Um  meinetwillen! 

FRIEDRICH.    Das  versteh'  ich  nicht. 

GENIA.  Ich  hätt'  nicht  können.  Weiß  Gott  warum. 
Ich  hätt'  nicht  können.    Pause. 

FRIEDRICH.    Da  hast  deinen  Brief,  Genia. 

GENIA  nimmt  ihn. 

Mauer  kommt. 

MAUER.  Guten  Abend,  meine  Herrschaften.  Ich 
hab'  euch  hoffentlich  nicht  zu  lange  warten  lassen. 

FRIEDRICH  ihm  entgegen.  Servus,  Mauer.  Na,  dem 
Stanzides  scheint's  ja  schon  sehr  gut  zu  gehn.  Er  sitzt 
im  Kurpark  bei  der  Musik. 

MAUER.  Ja,  ich  hab'  ihn  selber  bis  hin  begleitet. 

FRIEDRICH.  Der  Paul  Kreindl  war  grad  da,  wir 
sollen  auch  nach  dem  Nachtmahl  hinkommen. 

GENIA.    Ich  will  sehen,  ob  noch  nicht .  .  . 

FRIEDRICH.  Du,  Genia,  ich  hätt'  eine  Idee  .  .  . 
Gehn  wir  doch  gleich  hinüber  in  den  Park.  Weiß  der 
Teufel,  ich  hab'  so  eine  Lust  auf  Musik  und  viel  Leut'. 
Dir  ist's  doch  egal,  Mauer,  was  ? 

MAUER.   Mir?    Es  kommt  nur  auf  deine  Frau  an. 

ITseateritücke.  IV,  jx  JZI 


GENIA.  Ich  will  euch  nicht  stören,  aber  ich  für 
meine  Person  möcht'  lieber  zu  Haus  bleiben. 

FRIEDRICH.  Nein,  das  hat  keinen  Sinn.  Komm 
nur  mit,  Genia,  es  wird  dir  auch  ganz  gut  tun. 

GENIA.    Ich  müßt'  mich  umkleiden  .  ,  . 

FRIEDRICH.  So  kleid'  dich  halt  um,  vvir  warten 
indes  da  im  Garten. 

GENIA.    Liegt  dir  so  viel  daran? 

FRIEDRICH  zu  Mauer.  Was  sagst  du  ? !  Nervös.  Also 
bleiben  wir  alle  schön  zu  Haus  .  . .    Schluß. 

GENIA.  Ich  komm'  gleich .  .  .  Ich  setz'  nur  meinen 
Hut  auf.    Ab. 

MAUER.    FRIEDRICH. 

FRIEDRICH  nach  einer  Pause.  Ja,  lieber  Mauer,  ja, 
ja  .  .  . 

MAUER.  Ich  begreif  dich  eigentlich  nicht .  .  .  Das 
muß  doch  einer  Hausfrau  unangenehm  sein. 

FRIEDRICH.  Na,  im  Kurpark  kriegst  du  auch  ganz 
gut  zu  essen.  Pause.  Übrigens  —  daß  du  heute 
hineinfahrst,  ist  vielleicht  doch  ganz  gut.  —  Die  Chan- 
cen für  Geistererscheinungen  in  diesem  Haus  haben  sich 
nämlich  beträchtlich  gesteigert. 

MAUER.    Was? 

FRIEDRICH.  Du  verdienst  eigentlich  mein  Ver- 
trauen nicht,  weil  du  alles  mögliche  ausplauscht,  sogar 
was  ich  dir  nicht  einmal  erzählt  hab'  .  .  . 

MAUER.    Was  heißt  das? 

FRIEDRICH.  Na,  daß  die  Geschichte  mit  der  Adele 
Natter  aus  ist,  woher  weiß  die  Genia  das  ? 

MAUER.  Du  solltest  froh  sein,  daß  man  einmal 
auch  etwas  Vernünftiges  von  dir  erzählen  kann. 

FRIEDRICH.   Na,  ob  gerade  das  so  besonders  ver- 
nünftig war  .  .  .  Ach  Gott,  Mauer,  das  Leben  ist  schon 
eine  komplizierte  Einrichtung!  . .  .  Aber  interessant . . 
sehr  interessant! 

MAUER.  Was  hast  du  denn  früher  gemeint  mit 
den  gesteigerten  Chancen  für  Geistererscheinungen  ? 

FRIEDRICH.  Ja  so.  —  Na,  was  glaubst  du,  warum 


322 


I 


sich  der  Korsakow  umgebracht  hat?  —  Na,  rat  ein- 
mal!! —  Aus  unglücklicher  Liebe  —  zu  meiner  Frau. 
Was,  da  schaust  du  ? !  Aus  unglücklicher  Liebe !  ,  .  . 
Das  gibt's!...  Einen  Brief  hat  er  ihr  hinterlassen. 
Den  hat  sie  mir  zum  Lesen  gegeben  .  .  .  Einen  sehr 
merkwürdigen  Brief  .  .  .  gar  nicht  schlecht  geschrieben 
. .  .  für  einen  Russen! 

GENIA  kommt  mit  Hut.  Man  bort  jetzt  die  Musik  wieder 
deutlicher.  Da  bin  ich.  Also,  lieber  Doktor,  jetzt  will 
ich's  Ihnen  sagen:  Nur  Ihretwegen  lass'  ich  unser 
gutes  Nachtmahl  im  Stich.  Die  Erna  ist  nämlich  im 
Kurpark  .  .  . 

FRIEDRICH.  Ah?  Die  Erna!  Zu  Mauer.  Ja,  das 
war'  was.  Na,  Mauerl,  nimm  dich  zusammen.  Die 
gönn'  ich  nicht  jedem.  Obwohl  sie  mich,  wie  es  scheint, 
für  einen  herzlosen  Schuften  hält,  und  mir  nicht  ein- 
mal zutraut,  daß  der  Tod  eines  Freundes  .  .  . 
Sit  verlassen  alU  den  Garten  und  treten  auf  die  Straße. 

Vor  bang. 


ZWEITER  AKT 

Villa  Hofreiter;  entsprechende  Partie  des  Gartens. 

Links  die  hintere  Fassade  des  Hauses.  Türe,  die  direkt  in  den  Garten 
führt.  Rechts  und  links  von  der  Türe  je  zwei  Fenster^  zum  Teil 
offen.  Im  ersten  Stockwerk  ein  kleiner  Balkon.  Mitte  Raten.  Weiter 
rechts  ein  großer  Nußbaum,  darunter  Bank,  Tisch,  Sessel.  Weiter 
rückwärts  Mitte  eine  Baumgruppe,  durch  die  der  im  Hintergrund 
liegende  Tennisplatz  zum  Teil  gedeckt  wird.  Um  den  Tennisplatz 
hohes  Drabtgitter.  Außerhalb  des  Tennisgitters,  sowohl  links  als 
rechts  je  eine  Bank.  Zwei  kleine  Bänke  zu  seilen  der  Haustür  unter 
den  Parterrefenstern.  —  Heißer,  sonniger  Sommertag. 

FRAU    GENIA    unter    dem    Nußbaum    im    weißen   Sommerkleid. 

Ein  Buch  in  der  Hand,  nicht  lesend. 
Auf  dem  Tennisplatz  ist  eine  Partie  im  Gang.    Links  Friedrieb 
Hofreiter  und  Adele  Natter,  rechts  Erna  Wahl  und  Paul  Kreindl. 
Die  weißen  Kostüme  schimmern  her,  doch  die  Gesichter  sind  kaum 
KU  erkennen.   Zuweilen  hört  man  die  Rufe:  „fifteen,  thirty,  fourty, 

out,  deuce,  second"  usw. 
Bald  nachdem  der  Vorbang  aufgegangen  ist,  kommt  Otto  von  Aigner, 
diesmal  in  Zivil,  Tennisanzug,  Panamahut,  Rakett  in  der  Hand, 
hinter  dem  Hause  hervor  urid  will  sich  auf  den  Tennisplatz  begeben. 
Er  gewahrt  Genia,  die  seine  Schritte  gehört  hat,  und  gebt  auf  sie  zu. 
Sie  begrüßt  ihn  mit  freundlichem  Kopfnicken. 

OTfO.  Guten  Tag,  gnädige  Frau  —  Sie  spielen 
nicht  ? 

GENIA.  Wie  Sie  sehen,  Herr  Fähnrich.  In  der 
Gesellschaft  komm'  ich  ja  doch  nicht  auf. 

Ein  Ball  fliegt  vor  Otto  bin,  er  schleudert  ihn  zurück. 

STIMMEN  VOM  TENNISPLATZ.    Danke! 

OTTO.  Auch  nicht  lauter  Meister  . . .  abgesehen  vom 
Herrn  Gemahl  natürlich.  Verzeihen  Sie,  gnädige  Frau, 
ich  habe  Sie  in  Ihrer  Lektüre  gestört .  .  .  Will  zum 
Tennisplatz. 

GENIA.  Sie  stören  mich  gar  nicht.  Ich  hab'  wohl 
zu  lesen  versucht,  aber  eigentHch  war  ich  nah  daran 
einzuschlummern.    Diese  Luft .  .  . 

OTTO.  Ja,  warm  ist's  wohl.  Aber  dafür  sind's 
auch  schöne  Tage !  Man  kann  die  heimatlichen  Wälder 
so  recht  genießen! 


324 


GENIA.  Sic  haben  heut  gewiß  schon  einen  größeren 
Spaziergang  hinter  sich? 

OTTO.  Ja;  ich  war  in  aller  Früh'  bis  zur  „Wald- 
andacht", mit  meiner  Mutter. 

GENIA.  Die  muß  aber  glücklich  sein,  daß  sie  Sie 
endhch  wieder  in  ihrer  Nähe  hat. 

OTTO.  Und  ich  erst .  .  .  Umsomehr  als  es  auf  lange 
Zeit  hinaus  mein  letzter  Urlaub  ist.  Ich  bin  auf  ein 
Schiff  kommandiert,  das  für  drei  Jahre  nach  der  Südsee 
geht. 

GENIA  konventioneü.    Oh! 

OTTO.  Unser  Schiff  ist  vom  Kriegsministerium  am 
einer  wissenschaftlichen  Expedition  attachiert. 

GENIA.  Sie  beschäftigen  sich  gewiß  in  Ihren  freien 
Stunden  auch  mit  allerlei  Studien,  Herr  Fähnrich? 

OTTO.    Warum  glauben  Sie  das,  gnädige  Frau  ? 

GENIA.  Ich  kann  mir  nicht  recht  denken,  daß  das 
miHtärische  Leben  an  sich  Sie  völlig  befriedigen  sollte. 

OTTO  lächelnd.  Ich  darf  mir  vielleicht  die  Be- 
merkung erlauben,  daß  wir  bei  der  Marine  allerlei  zu 
betreiben  haben,  was  man,  ohne  Überhebung,  als  Wis- 
senschaft bezeichnen  kann. 

GENIA.  Natürlich  —  daran  hab'  ich  nicht  gezweifelt. 
Ich  meinte  nur,  daß  Sie  auch  außerhalb  Ihres  Berufes 
noch  ernste  Interessen  haben  dürften. 

OTTO.  Es  bleibt  einem  nicht  allzuviel  Zeit  dazu. 
Auf  meiner  bevorstehenden  Reise  hoff  ich  ja  allerdings 
in  ein  Gebiet  näheren  Einblick  zu  gewinnen,  in  dem 
ich  mich  bisher  einigermaßen  dilettantisch  umgetan 
habe  .  .  .  Die  Expedition,  der  wir  uns  anschließen,  ist 
nämlich  für  Tiefseeforschung  ausgerüstet;  und  da  ich 
überdies  mit  einem  der  Assistenten  befreundet  bin  . . . 
Oh,  da  kommt  Frau  von  Wahl. 

GENIA  sieb  erbebend.  Davon  müssen  Sie  mir  noch 
mehr  erzählen,  Herr  Fähnrich  . . .  von  diesen  Tiefsee- 
geschichten. 

Frau  Wahl  aus  dem  Haus  in  den  GarUn. 

FRAU  WAHL.  Grüß'  Sie  Gott,  hebe  Genia,  guten 


325 


Tag,  Herr  Fähnrich.  Lorgnon  ans  Auge  führend.  Die  Jugend 
ist  ja  schon  fleißig  bei  der  Arbeit  — ? 

GENIA.  Wenn  Sie  den  Friedrich  auch  zur  Jugend 
zählen  — 

FRAU  WAHL.  Den  ganz  besonders.  Na  überhaupt 
die  Männer!  Möchten  Sie  glauben,  Herr  Fähnrich, 
daß  wir  ungefähr  im  selben  Alter  stehen,  der  Herr 
Hofreiter  und  ich?  Wahrhaftig,  die  Natur  hat  sich 
gegen  uns  Frauen  jammervoll  benommen.  Auf  ein  Lächeln 
Genias.  Na  nett  keineswegs.  Wer  ist  denn  noch  bei  der 
Partie?  Adele  Natter  jedenfalls.  Ich  habe  nämlich  das 
Automobil  draußen  stehen  gesehen,  das  scharlachrote. 
Hier  auf  dem  Lande  im  Grünen  macht  es  sich  ja  nicht 
übel.    Jedenfalls  besser  als  an  einer  Friedhofmauer  .  .  . 

GENIA  matt  lächelnd.  Den  Eindruck  können  Sie  ja 
gar  nicht  vergessen,  wie  es  scheint,  Frau  von  Wahl  ? 

FRAU  WAHL.  Es  ist  ja  noch  nicht  so  lange  her; 
vierzehn  Tage  kaum. 

Friedrich  und  Erna  vom  Tennisplatz  mit  Raketts  in  der  Hand. 
Gcnia,  Frau  Wahl. 

FRIEDRICH  in  seiner  lachend  boshaften  Art.  Küss'  die 
Hand,  Mama  Wahl.  Grüß'  Sie  Gott,  Otto!  Was  ist 
denn  vierzehn  Tage  her  ? 

FRAU  WAHL.  Daß  sie  den  armen  Korsakow  be- 
graben haben. 

FRIEDRICH.  So  .  .  .  Ist  es  schon  so  lang  —  ?  Wie 
kommt  man  übrigens  auf  dieses  schwarzgeränderte 
Thema  ? 

GENIA.  Frau  von  Wahl  hat  das  Nattersche  Auto- 
mobil draußen  stehen  sehen  —  das  scharlachrote  — 
wie  damals  .  .  . 

FRIEDRICH.    Ah  80  . . . 

ERNA.  Wer  spräche  sonst  an  einem  so  schönen 
Sommertag  von  einem  toten  Klavierspieler. 

FRAU  WAHL.  Haben  Sie  je  ein  so  tiefsinniges 
Mädchen  gesehen,  meine  Herrschaften.  Das  ist  wieder 
eine  ihrer  Pirouetten  auf  dem  philosophischen  Draht- 
seil, wie  ihr  seliger  Vater  zu  sagen  pflegte. 

326 


FRIEDRICH.  Sie  muß  nur  Obacht  geben,  daß  sie 
nicht  einmal  abstürzt,  die  Erna  . . . 

FRAU  ADELE,  PAULKREINDL  mit  Raketts  vom  Tennisplatz. 
GENIA,  OTTO,  FRAU  WAHL,  FRIEDRICH,  ERNA. 
Begrüßung. 

ADELE  hübsch,  rundlich,  weiß  gekleidet,  roter  Gürtel,  roter 
Schlips.    Was  ist  denn,  spielen  wir  nicht  weiter? 

PAUL   K  REIN  DL  küßt  Frau  Wahl  die  Hand. 

FRIEDRICH.    Ihr  hättet  ja  indes  singein  können. 

ADELE.  Aber  ich  spiel'  ihm  ja  zu  schlecht,  diesem 
Menschen  da. 

PAUL.  Wieso  denn,  gnä'  Frau?  Weinerlich.  Mir 
wird  ja  bald  niemand  mehr  zu  schlecht  spielen.  Ich 
spiel'  ja  wirklich  schon  wie  ein  Schwein.  O  Pardon. 
Aber  es  ist  wirklich  wahr.  Ich  weiß  überhaupt  nicht 
mehr,  was  das  ist  mit  mir.  Rein,  wie  wenn  ich  verhext 
war*.  Oder  ist  es  vielleicht  nur,  weil  ich  ein  neues  Ra- 
kett  hab'  .  .  .  Die  Herrschaften  entschuldigen  —  ich 
geh'  geschwind  nach  Haus  und  hol'  mir  mein  altes. 
Empfiehlt  sich. 

Die  andern  lachen. 

FRIEDRICH.  Warum  lachts  ihr  eigentlich?  Er 
nimmt's  wenigstens  ernst,  der  Paul.  Darauf  kommt's 
an..  Ob  es  nun  Tennis  ist  oder  Schhttschuhlaufen  oder 
Malen  oder  Leut'  kurieren.  —  Ich  find',  ein  guter  Tennis- 
spieler ist  ein  viel  edleres  Menschenexemplar  als  ein 
mittelmäßiger  Dichter  oder  General.  Na,  hab'  ich  nicht 
recht?  —  Zu  Otto. 

ADELE  XU  Genia.  Also  wann  kommt  denn  eigent- 
hch  der  Percy  zurück,  Frau  Genia? 

FRAU  GENIA.  In  vierzehn  Tagen  soll  er  da  sein. 
Und  dann  müssen  Sie  auch  einmal  Ihre  Kinder  mit- 
bringen, ja  ? 

ADELE.  Wenn  Sie  erlauben,  gern.  Aber  ob  der 
große  Bub'  sich  überhaupt  noch  herablassen  wird,  mit 
den  Fratzen  zu  spielen  — 

327 


Doktor   Mauer   kommt,   zugleich   mit   ihm   Stanaides   in    Uniform. 
Begrüßung. 

GENIA  zu  Stanzides.  Das  ist  schön,  daß  wir  Sie 
auch  wieder  einmal  bei  uns  sehen. 

FRIEDRICH.    Wie  geht's  dem  Arm? 

STANZIDES.  Danke  der  Nachfrage.  Soeben  hat 
ihn  mein  hochverehrter  Herr  Doktor  zum  letzten 
Mal    massiert  .  .  .    Legt   Mauer   den   Arm   freundschaftlich   um 

die  Schulter.  Aber  mit  dem  Tennisspielen  ist's  noch 
nichts, 

MAUER.    Wird  auch  wieder  werden. 

STANZIDES  zu  Adele.  Sie  auch  kampfbereit,  gnädige 
Frau  ?  Soeben  habe  ich  das  Vergnügen  gehabt,  im  Park 
dem  Herrn  Gemahl  zu  begegnen. 

FRIEDRICH.  No  Mauer,  was  ist  denn  mit  dir,  du 
laßt  dich  ja  überhaupt  nicht  mehr  anschaun.  Ich  hab' 
geglaubt,  du  bist  schon  über  alle  Berge. 

MAUER.  Ich  komm'  heut  nur  her  Abschied  nehmen. 
Morgen  reise  ich  ab. 

GENIA.    Wohin  denn? 

MAUER.  Nach  Toblach.  Von  dort  aus  begeh'  ich 
mich  auf  eine  Paßwanderung.    Falzarego  —  Pordoi  — 

FRIEDRICH.    Nimmst  mich  mit,  Mauer? 

MAUER.    Ja,  kannst  du  denn  und  willst  du? 

FRIEDRICH.  Ja  — warum  sollt'  ich  denn  nicht . . .  ? 
Morgen  fahrst  du? 

MAUER.    In  der  Früh',  mit  dem  Schnellzug. 

ERNA  zu  Mauer.  Und  wann  werden  wir  das 
Vergnügen  haben,  Sie  am  Völser  Weiher  zu  be- 
grüßen ? 

MAUER.  In  acht  Tagen  ungefähr,  wenn's  er- 
laubt ist. 

FRIEDRICH  ehrlich  entrüstet.  Ah  .  . .  da  geben  sich 
die  Herrschaften  Rendezvous  .  .  . 

ERNA.  Ohne  Sie  um  Erlaubnis  zu  fragen,  Fried- 
rich! 

FRAU  WAHL.    Wir  fahren  übermorgen  —  ganz 

direkt.      Während  des  folgenden  stehen  Otto  mit  Genia  und  Adele 


328 


abseits.  Der  Gustl  ist  schon  dort.  Übrigens  was  er  mir 
schreibt !  Wissen  Sie,  wer  der  Direktor  von  dem  neuen 
Hotel  ist  ?    Der  Doktor  von  Aigner. 

FRIEDRICH.    Ah,  der  Aigner! 

FRAU  WAHL.  Und  soll  dort  sämtlichen  Damen 
den  Kopf  verdrehen,  trotz  seiner  grauen  Haare. 

FRIEDRICH.  Ja,  dem  sind  die  Weiber  immer  hin- 
eingefallen.   Also  Obacht  geben,  Mama  Wahl. 

PAUL  kommt.  So  da  war'  man  wieder!  Das  Rakett 
bocbkdtend.  Das  ist  wieder  mein  altes!  Man  hat  doch 
gleich  was  rechtes  in  der  Hand. 

FRIEDRICH.  Also  gehen  wir's  an?  —  Zu  Paul. 
Aber  jetzt  gibt's  keine  Ausred'  mehr!  Sonst  heißt's 
eben  einen  andern  Beruf  erwählen  .  . .  Advokat  .  .  . 
oder  Raseur  .  .  .  Im  Abgeben. 

Friedrieb,  Erna,  Adele,  Otto,  Paul  zum  Tennis.    Frau  Wahl  und 
Stanzides  folgen. 

GENIA.    MAUER. 

GENIA.  Wollen  wir  nicht  zuschauen  ?  Das  Tennis- 
spielen, das  steht  der  Erna  nämlich  besonders  gut  zu 
Gesicht! 

MAUER  suben  bleibend.  Haben  Sie  nicht  den  Ein- 
druck, gnädige  Frau,  daß  ich  ihr  vollkommen  vnirst 
bin? 

GENIA.  Das  ist  möglicherweise  der  beste  Anfang 
für  eine  glückliche  Ehe. 

MAUER.  Ja,  wenn  die  Gleichgültigkeit  gegenseitig 
wäre,  aber  so  —  Abbrechend.  Glauben  Sie  übrigens, 
Frau  Genia,  daß  es  dem  Friedrich  ernst  ist  mit  seinen 
Reiseabsichten  ? 

GENIA.  Ich  —  ich  weiß  nicht  recht.  Ich  war  selbst 
ein  wenig  überrascht.  Freilich,  er  hat  die  letzten  Tage 
so  rasend  viel  gearbeitet,  daß  ihm  ein  paar  Tage  Er- 
holung wohl  zu  gönnen  wären.  Aber  dazu  müßt'  er 
am  Ende  nicht  —  Es  war  wohl  nicht  so  ernst  gemeint. 
Eigentlich  glaub*  ich  nicht,  daß  er  mit  Ihnen  fahren 
wird. 


329 


MAUER.  Und  wie  steht  denn  die  Sache  mit  Amerika  ? 

GENIA.    Friedrich  geht  hinüber,  das  ist  sicher. 

MAUER.    Und  Sie,  Frau  Genia? 

GENIA.  Vielleicht  auch.  Lächelnd.  Ja,  lieber  Freund. 
Vielleicht!  — 

MAUER.  Sie  fahren  zusammen?  —  Na,  das  ist 
schön,  das  freut  mich. 

GENIA.  Warum  denn  so  feierlich  ...? !  Vielleicht 
hab'  ich  gesagt!  . . . 

MAUER.  Ah,  es  wird  schon  gewiß  werden.  Es 
wäre  ja  auch  gar  zu  dumm,  wenn  der  arme  Korsakow 
ganz  umsonst  gestorben  wäre. 

GENIA  befremdet.  Wenn  Korsakow  —  ?  Wie  meinen 
Sie  das  ?  —  Wenn  Korsakow  umsonst  gestorben  wäre  ? 

MAUER.  Ich  habe  nämlich  die  Überzeugung,  daß 
Korsakow  von  der  Vorsehung  bestimmt  war,  gleichsam 
als  Opfer  zu  fallen. 

GENIA  immer  befremdeter.     Als  Opfer? 

MAUER.    Für  Sie  —  und  Ihr  Glück. 

GENIA.  Als  Opfer  für  mein  Glück  — ?  Sie  glauben 
an  solche  Dinge? 

MAUER.  Man  muß  ja  nicht  gleich  im  allgemeinen 
an  solche  Dinge  glauben.  Aber  hier  spüre  ich  so  etwas 
wie  einen  geheimnisvollen  Zusammenhang.  Sollten 
Ihnen  nicht  auch  schon  ähnliche  Gedanken  gekommen 
sein? 

GENIA.  Mir?  Um  die  Wahrheit  zu  gestehen,  ich 
denke  an  diese  traurige  Geschichte  überhaupt  sehr  wenig. 

MAUER.    Das  —  scheint  Ihnen  nur  so. 

GENIA.  Und  wenn  ich  —  zuweilen  daran  denke, 
so  ist  das  ganze  so  merkwürdig  blaß  und  fern  .  .  .  Ich 
versichere  Sie  —  ganz  fern!  Es  ist  eine  milde  Trauer 
—  nicht  mehr.  Ich  kann  mich  nun  einmal  nicht  besser 
oder  gefühlvoller  machen  als  ich  bin.  Vielleicht  wird 
das  später  noch  anders.  Wenn  der  Herbst  kommt,  viel- 
leicht. Die  Tage  sind  jetzt  wahrscheinlich  zu  sommer- 
lich-hell zum  Traurigsein — und  überhaupt  zum  Schwer- 
nehmen. Es  ist  nicht  nur  damit  so.  Die  meisten  Dinge 


330 


kommen  mir  viel  leichter  vor.  Ich  ^ann  zum  Beispiel 
auch  dieser  guten  Adele  absolut  nicht  böse  sein.  Vor- 
hin habe  ich  sie  sogar  gebeten,  nächstens  ihre  Kinder 
mitzubringen;  ich  konnte  gar  nicht  anders.  Es  schiene 
mir  geradezu  lächerlich,  ihr  oder  sonst  wem  etwas  nach- 
zutragen. Sie  hat  eher  was  Rührendes  für  mich.  Wie 
ein  Wesen  kommt  sie  mir  vor,  das  längst  gestorben  ist 
und  es  gar  nicht  weiß.  — 

MAU  ER  sie  lang  anschauend.  Naja.  Pauu.  Und  Fried- 
rich wird  ja  nun  hoffentlich  endgültig  zur  Vernunft 
gekommen  sein.  Was  am  Ende  nicht  schwer  sein  sollte, 
wenn  die  Vernunft  dem  Glück  so  zum  Verwechseln 
ähnlich  sieht,  wie  in  diesem  Falle.  —  Aber  wenn  er 
es  jetzt  nicht  festzuhalten  versteht,  dann  — 

GENIA  rasch.  Es  gibt  vorläufig  nichts  festzuhalten. 
Sie  haben  mich  früher  offenbar  mißverstanden,  Doktor. 
Es  hat  sich  nicht  das  geringste  zwischen  uns  verändert 
—  bisher. 

MAUER.  Aber  es  wird  sich  verändern.  Auf  die 
Dauer  kann  man  ihm  ja  nicht  böse  sein,  dem  Friedrich! 
Mir  geht's  ja  geradeso  mit  ihm.  Ich  mag  mich  über 
ihn  noch  so  rasend  geärgert  haben,  —  sobald  er  seine 
Scharmeurkünste  spielen  läßt,  bin  ich  ihm  doch  wieder 
ausgeliefert  auf  Gnade  und  Ungnade. 

GENIA.  Das  bin  ich  nicht,  Doktor!  Um  mich  muß 
man  werben,  lange  werben. 

Vom  Tennisplatz  her  Otto,  Friedrich,  Adele,  Stanzides,  Frau  Wahl, 
Paul,  Genia,  Mauer. 

PAUL  während  sie  sich  nähern,  zu  Erna.  Wirklich,  Fräulein, 
alles  was  wahr  ist!    Ihr  Service  —  jirst  class. 

FRIEDRICH.  Na  —  und  der  Schlag  ?  —  Dafür  hat 
sie  aber  auch  bei  mir  gelernt!  — 

ERNA.  Was  manchmal  —  entschuldigen  schon, 
Herr  Lehrer  —  ein  zweifelhaftes  Vergnügen  gewesen 
ist! 

FRIEDRICH.    ...Oh...?!  — 

ERNA  zu  den  andern,  insbesondere  Paul.  Sekiert  hat  er 
einen  nämlich  —  bis  aufs  Blut!  —  Wenn  man  nur 


331 


einmal  ein  bißl  nachgelassen  hat  —  sofort  ist  man  be- 
handelt worden  wie  eine  vollkommen  hoffnungslose  Er- 
scheinung — wie  eine  ganz  miserable  Person  überhaupt — 

FRIEDRICH  beiläufig.  —  Ja  —  die  Sachen  hängen 
auch  sehr  mit  dem  Charakter  zusammen  —  meiner  An- 
sicht nach  .  .  . 

GENIA  die  indes  vom  Stubenmädchen  eine  Meldung  erhielt. 
Wenn  ich  bitten  darf,  meine  Herrschaften  . . .  der  Tee ! 
Auch  Eis  ist  vorhanden.  Zwang  wird  keiner  ausgeübt 
.  .  .    Bitte, 

Frau  Wahl  mit  Stanzides^   Genia  mit   Otto,  Paul,  Erna,  Mauer 

ins  Haus. 

Es  bleiben  als  letzte  zurück  Friedrich  und  Adele. 

FRIEDRICH.     ADELE. 

FlIIEDRICH  zu  Adele,  wie  sie  eben  ins  Haus  hineingehen 
will.  Ich  habe  leider  heute  noch  gar  keine  Gelegen- 
heit gehabt,  mich  nach  dero  geschätztem  Befinden  zu 
erkundigen.    Wie  geht's  dir  denn  eigentlich? 

ADELE.    Mir  geht's  famos.    Und  Ihnen? 

FRIEDRICH.  Nicht  schlecht.  Viel  zu  tun  halt. 
Wir  bauen  wieder.  Im  nächsten  Jahr  haben  wir  sechs- 
hundert Arbeiter.  Und  im  Herbst  fahr'  ich  hinüber 
nach  Amerika. 

ADELE.    So. 

FRIEDRICH.  Besonders  zu  interessieren  scheint 
dich  das  nicht. 

ADELE.  Hat  mir  ja  schon  alles  mein  Mann  erzählt. 
Und  dann  möcht'  ich  dir  vorschlagen,  daß  wir  uns  end- 
gültig „Sie"  sagen.  Aus  ist  aus.  Ich  bin  für  klare  Ver- 
hältnisse. 

FRIEDRICH.  Daß  sie  auch  klar  sein  müssen,  hab' 
ich  gar  nicht  gewußt. 

ADELE.  Ich  bitte  dich!  Mach'  jetzt  keine  Witze  . . . 
Sein  wir  lieber  froh,  daß  es  so  gut  ausgegangen  ist.  Die 
Zeit  der  Jugendtorheiten  ist  vorbei.  Für  uns  beide, 
denk'  ich.  Meine  Kinder  wachsen  heran.  Und  Ihr  Bub' 
auch. 


33* 


1 
J 


FRIEDRICH.    Ja,  das  ist  schon  nicht  anders. 

ADELE.  Und  wenn  Sie  mir  erlauben  wollen,  Ihnen 
einen  guten  Rat  zu  geben  .  ,  . 

FRIEDRICH.    Ich  höre. 

ADELE  anderer  Ton.  Also  im  Emst,  —  ich  finde, 
daß  du  mit  dieser  kleinen  Wahl  in  einer  geradezu  un- 
verschämten Weise  kokettierst.  Halt  das  um  Gottes 
willen  nicht  für  Eifersucht!  Ich  denke  da  wirk- 
lich nicht  an .  dich  .  .  .  Sondern  vielmehr  an  deine 
Frau  — 

FRIEDRICH  belustigt.   Ahü 

ADELE.  —  Die  wirklich  das  entzückendste,  rüh- 
rendste Geschöpf  ist,  das  mir  jemals  vorgekommen  ist. 
Wie  sie  mich  früher  gebeten  hat,  nächstens  die  Blinder 
mitzubringen  —  hast  du's  gehört  ?  . .  .  ich  bin  in  die 
Erde  gesunken! 

FRIEDRICH.    Das  hab'  ich  gar  nicht  bemerkt. 

ADELE.  Hätt'  ich  sie  früher  so  gut  gekannt  — na  — ! 
Wahrhaftig,  du  verdienst  sie  nicht. 

FRIEDRICH.  Da  kann  ich  dir  nicht  einmal  un- 
recht geben.  Aber  wenn  es  auf  Erden  nach  Verdienst 
ginge  ... 

ADELE.  Und  was  Erna  anbelangt  —  so  nimm  dich 
in  acht.  Ein  Bruder  ist  was  anderes  wie  ein  Gatte. 
Ein  Bruder  merkt  zuweilen  was. 

FRIEDRICH.  Der  Gustl!  Ich  bitt'  dich  —dem 
wäre  das  doch  ganz  egal!  .  .  .  Das  ist  ein  Philosoph  .  .  . 
Und  ich  weiß  überhaupt  nicht,  was  dir  da  durch  den 
Kopf  fährt.  Du  bringst  einen  wirklich  erst  auf  Ideen. 
Ein  Mädel,  das  ich  auf  den  Knien  geschaukelt  hab'. 

ADELE.  Das  beweist  nichts.  Solche  Mädeln  gibt's 
wahrscheinlich  in  den  verschiedensten  Altersklassen. 

FRIEDRICH.  Ja,  ja,  Adele  .  .  .  ohne  gerade  an  die 
freundlichst  von  dir  vorgeschlagene  Erna  zu  denken  .  .  . 
es  war*  schon  schön! 

ADELE.    Was  war*  schön?  — 
FRIEDRICH.    Noch  einmal  jung  zu  sein! 
ADELE.    Du  bist  es  lang  genug  gewesen. 


333 


FRIEDRICH.  Ja,  aber  ich  war's  zu  früh  .  .  .  Jetzt 
verstund'  ich'f  ja  erst  jung  zu  sein!  ...  Es  ist  über- 
haupt dumm  eingerichtet  auf  der  Welt.  Mit  vierzig 
Jahren  sollt'  man  jung  werden,  da  hätte  man  erst  was 
davon.  Soll  ich  dir  was  sagen.  Adele  ?  Mir  ist  eigent- 
lich doch,  als  wäre  alles  Bisherige  nur  Vorstudium 
gewesen.  Und  das  Leben  und  die  Liebe  fing'  erst 
jetzt  an. 

ADELE.  Ich  versteh*  dich  wirklich  nicht.  Es  gibt 
doch  noch  was  anderes  auf  der  Welt  als  —  uns. 

FRIEDRICH.  Ja,  —  die  Pausen  zwischen  der  einen 
und  der  andern.  Die  sind  ja  auch  nicht  uninteressant. 
Wenn  man  Zeit  hat,  und  in  der  Laune  ist,  baut  man 
Fabriken,  erobert  Länder,  schreibt  Symphonien,  wird 
MilHonär  .  .  .  aber  glaube  mir,  das  ist  doch  alles  nur 
Nebensache.  Die  Hauptsache  —  seid  ihr!  —  ihr  — 
ihr!  .  .  . 

ADELE  kopfschüttelnd.  Wenn  man  denkt,  daß  es 
Leute  gibt,  die  dich  für  einen  ernsten  Menschen  halten ! 

FRIEDRICH.  Ah,  hältst  du  das  für  so  besonders 
lustig,  was  ich  dir  da  mitgeteilt  habe? 

HERR  NATTER  kommt.  Ein  großer^  etwas  starker  Herr 
in  sehr  elegantem  Sommeranzug,  Bartkoteletts,  Monokel.  Guten 
Tag,  Adele!   Grüß'  Sie  Gott,  lieber  Hofreiter. 

FRIEDRICH  ihm  die  Hand  reichend.   Warum  SO  spät  ? 

ADELE  sehr  freundlich.  Wo  treibst  du  dich  denn  herum  ? 

NATTER.  Ich  bitte  um  Verzeihung,  mein  Kind. 
Ich  bin  im  Kurpark  gesessen  und  hab'  gelesen,  sonst 
komm'  ich  ja  gar  nicht  dazu.  Sagen  Sie,  Hofreiter,  gibt's 
was  schöneres  als  so  im  Freien  unter  einem  Baum  sitzen 
und  lesen  ? 

FRIEDRICH.  Kommt  darauf  an  .  . .  Was  war's 
denn  ? 

NATTER.  Sie  werden  lachen.  Ein  neuer  Sherlock 
Holmes!  Aber  wirklich  großartig!  In  einer  Weise 
spannend!  — 

Mauer  und  Erna  kommen  aus  dem  Hause.  —  Begrüßung. 

ERNA  zu  Friedrieb.    Wird  noch  weiter  gespielt  i 


334 


FRIEDRICH.  Selbstverständlich.  Zu  Nattet.  Neh- 
men Sie  mit  uns  einen  Tee?    Wir  wollten  eben  .  .  . 

NAIVER.  Gern  ...  Ist  übrigens  der  Oberleutnant 
Stanzides  noch  hier? 

FRIEDRICH.    Ja,  natürlich. 

NATTER.  Ich  will  ihn  nämlich  einladen  mit  uns 
ins  Theater  zu  gehn.  Zu  Adele.  Wenn  du  nichts  da- 
gegen hast.  Ich  hab'  eine  Loge  genommen  für  heut  in 
die  Arena.     Mauer  und  Erna  nach  rechts. 

FRIEDRICH.  Macht  Ihnen  das  denn  Spaß,  sich 
so  eine  Schmierenvorstellung  anzusehn  ? 

NATTER.    Warum  denn  nicht? 

ADELE.  Es  gibt  nichts  auf  der  Welt,  was  ihm  nicht 
Spaß  macht.  Es  gibt  kein  dankbareres  Publikum  als 
meinen  Maan!  — 

NATTER.  Ja,  das  ist  wahr.  Ich  finde  das  Leben 
höchst  amüsant.  Ich  unterhalte  mich  königlich.  Im- 
mer.   Bei  jeder  Gelegenheit! 

Friedrich,  Adele,  Natter  ins  Haus. 
Maurer,  Erna,  die  schon  im  Gespräch  waren. 

ERNA.  Und  wie  ist  das  Unglück  damals  geschehn  ? 

MAUER.  Offenbar  dadurch,  daß  sich  unter  seinen 
Füßen  ein  Stein  losgelöst  hatte  ...  Es  war  beim  Ab- 
stieg vom  Aignerturm.  Friedrich  war  voran.  Da  hört 
er  das  gewisse  unheimHche  Gepolter  über  sich.  Gleich 
darauf  sausen  mächtige  Blöcke  an  ihm  vorbei  und  nach 
ihnen,  knapp  neben  Friedrich,  der  arme  Bernhaupt 
selbst.  Friedrich  spricht  nicht  gern  davon.  Wenn  er 
nämlich  auch  tut,  als  wenn  er  über  alles  erhaben  wäre, 
die  Sache  hat  damals  doch  einen  furchtbaren  Eindruck 
auf  ihn  gemacht. 

ERNA.    Sie  glauben? 

MAUER.  Der  beste  Beweis  ist  doch,  daß  er  seither 
keine  Bergtouren  mehr  unternommen  hat. 

ERNA.  Also  —  der  Aignerturm  wird  heuer  ge- 
macht. 

MAUER.  Das  werden  Sie  sich  wohl  überlegen, 
Fräulein  Erna. 


S35 


ERNA.  Überlegt  ist  es  schon.  Das  kommt  bei  mir 
nämlich  immer  vor  dem  Reden. 

MAUER.    Ich  werd'  Ihrem  Bruder  schreiben. 

ERNA.  Aber,  lieber  Doktor !  Sie  glauben  doch  nicht, 
daß  das  hilft,  wenn  ich  mir  einmal  was  in  den  Kopf 
gesetzt  hab' !  Höchstens  kann  ich  Ihnen  versprechen  zu 
warten,  bis  Sie  auch  bei  uns  am  Völser  Weiher  sind. 

MAUER.    Soll  ich  denn  hinkommen? 

ERNA.  Gewiß  sollen  Sie.  Ich  engagiere  Sie  als 
Führer,  gegen  die  übliche  Taxe  natürlich. 

MAUER.  Ich  hab'  mir  nie  eingebildet,  daß  ich  auf 
mehr  Anspruch  erheben  dürfte. 

ERNA.  Hat  das  wehmütig  sein  sollen,  Doktor 
Mauer,  oder  nur  geistreich? 

MAUER.  Soll  ich  an  den  Völser  Weiher  kommen, 
Fräulein  Erna,  ja  oder  nein  ? 

ERNA.  Ich  seh'  keinesfalls  einen  Grund,  daß  Sie 
Ihren  ursprünglichen  Reiseplan  ändern. 

MAUER.  Ist  es  Ihnen  wirklich  unmöglich,  Fräulein 
Erna,  mir  geradeaus  zu  antworten  ? 

ERNA.  Nicht  leicht,  Doktor.  Sie  sitzt  unter  dem 
Nußbaum.  Sie  wissen,  daß  Sie  mir  sehr  sympathisch 
sind.  Hinkommen  sollten  Sie  jedenfalls.  Es  wäre  die 
beste  Gelegenheit,  einander  besser  kennen  zu  lernen. 
Aber  verpflichtet  dürfen  Sie  sich  so  wenig  fühlen  als 
ich,  selbstverständlich. 

MAUER.    Das  ist  sehr  klug,  Fräulein  Erna. 

ERNA.  Es  kommt  noch  klüger.  Hören  Sie  mich 
nur  an.  Sie  haben  doch  gewiß  so  irgend  etwas  wie 
eine  Liebste  oder  einen  Schatz  —  wie  alle  unverhei- 
rateten Herren.  Also  übereilen  Sie  sich  nicht.  Ich 
meine:  Bilden  Sie  sich  nicht  am  Ende  ein,  daß  Sie 
mir  nach  unserm  heutigen  Gespräch  schon  Treue 
schuldig  geworden  sind. 

MAUER.  Diese  freundliche  Mahnung  kommt  leider 
zu  spät.  —  Ich  kann  natürlich  nicht  leugnen,  daß  ich 
wie  alle  Männer  und  so  weiter  .  .  .  Aber  ich  habe  .  .  . 
Schluß  gemacht.    Ich  bin  nämlich  kein  Freund  von 

336 


Herzensschlampereien.     Da  würd'    ich    mir    zuwider 

werden. 

ERNA.  Sie  sind  wirklich  ein  anständiger  Mensch, 
Doktor  Mauer!  Man  hat  so  das  Gefühl,  wenn  man 
Ihnen  einmal  sein  Schicksal  anvertraut ...  da  ist  man 
dann  im  Hafen.  Da  kann  einem  nichts  mehr  geschehn. 

MAUER.    HoffentUch  .  .  . 

ERNA.  Nur  weiß  ich  nicht  recht,  ob  dieses  Gefühl 
der  Sicherheit  etwas  so  besonderes  Wünschenswertes  be- 
deutet. Wenigstens  für  mich.  Wenn  ich  ganz  aufrichtig 
sein  soll,  Doktor  Mauer,  mir  ist  manchmal  als  hätt'  ich 
vom  Dasein  auch  noch  andres  zu  erwarten  oder  zu  for- 
dern als  Sicherheit  —  und  Frieden.  Besseres  oder 
schhmmeres  —  ich  weiß  nicht  recht. 

MAUER.  Halten  Sie  mich  für  keinen  Tropf,  Fräu- 
lein Erna,  wenn  ich  mir  einbilde,  daß  Ihnen  —  nicht 
gerade  das  Beste,  was  es  auf  Erden  gibt,  aber  doch 
manches  Gute  auch  an  meiner  Seite  beschieden  sein 
könnte.  Das  Leben  besteht  ja  noch  aus  allerlei  anderm 
als  aus  Abenteuern  einer  gewissen  Art. 

ERNA.    Hab'  ich  denn  —  ? 

MAUER.  Sie  haben  es  nicht  gesagt,  Fräulein  Erna, 
aber  es  ist  Ihre  Empfindung.  Kein  Wunder,  —  in 
dieser  Atmosphäre!  da  rings  um  uns"!  Aber  ich  ver- 
sichere Sie,  es  gibt  eine  kräftigere,  reinere  —  und  ich 
traue  mir  zu,  Sie  auch  dort  ein  frisches  und  freies 
Atmen  zu  lehren. 

ERNA.  Sie  haben  Kourage,  Doktor.  Sie  gefallen 
mir  überhaupt  ganz  besonders.  Kommen  Sie  an  den 
Völser  Weiher.    Man  vdrd  ja  sehen. 

Aus  dem  Hause:  Adele,  Natter,  Stanzides,  ihnen  folgen  allmäblicb 
Genia,  Otto,  Paul,  Friedrieb,  Frau  Wahl,  Mauer,  Erna. 

STANZIDES.  In  früherer  Zeit  hab'  ich  mir  die  Vor- 
stellungen manchmal  gar  nicht  vom  Zuschauerraum 
aus  angesehn,  sondern  von  oben  —  aus  der  Vogelper- 
spektive, von  dem  Hügerl  aus  hinter  der  Arena. 

ADELE.    Das  muß  lustig  sein. 

STANZIDES.  Lustig  —  weiß  ich  nicht.  Sonderbar 

TbeatostUcke.  IV,  aa  337 


ist  es.  Man  sieht  natürlich  nur  ein  kleines  Stück  von 
der  Dekoration.  Ein  Eck  von  einem  Felsen  oder  eine 
Ofenfigur  oder  so  was.  Und  von  den  Schauspielern 
sieht  man  natürlich  so  gut  wie  gar  nichts,  nur  gelegent- 
lich hört  man  ein  abgerissenes  Wort .  .  .  Aber  das 
eigentümlichste  ist,  wenn  dann  plötzlich  unter  all  die- 
sen Stimmen  eine  heraufklingt,  die  man  kennt,  —  zum 
Beispiel  von  einer  bekannten  Dame,  die  da  unten  mit- 
spielt. Da  kann  man  plötzlich  auch  die  Worte  ver- 
stehn.  Von  dem,  was  die  andern  reden,  nichts  —  und 
nur,  was  die  Bekannte  redet,  versteht  man  ganz  genau. 

ADELE  lachend.    Die  Bekannte! 

FRIEDRICH.  Statt  GeUebte  sollte  man  nicht  Be- 
kannte sagen  Stanzides  —  sondern  Unbekannte  .  .  . 
Stimmt  eher,  Stanzides!  — 

ADELE.  Oder  Freundin,  wenn  man  aiskret  sein 
will. 

FRIEDRICH.    Oder  Feindin. 

ERNA.    Wenn  man  indiskret  ist. 

FRAU  WAHL.    Erna! 

NATTER.  Es  wird  spät,  wir  müssen  uns  empfehlen, 
wenn  wir  überhaupt  noch  was  von  der  Vorstellung 
sehn  wollen.  Bitte  sehr,  sich  nicht  stören  zu  lassen. 
Natter^  Adele  und  Stanxides  gehen, 

PAUL  zu  Otto.  Im  vorigen  Jahr  hab'  ich  einmal 
hintereinander  neun  Stunden  gespielt,  mit  dem  Doktor 
Herz.  Zuerst  vier  Stunden,  dann  haben  wir  eine  Eier- 
speis' gegessen,  und  dann  .  .  .  Spricht  weiter  mit  Otto. 

MAUER  sich  empfehlend.  Auch  meine  Stunde  hat  ge- 
schlagen.   Zu  Genia.   Gnädige  Frau  .  .  . 

FRIEDRICH.  Na,  was  hast  du's  denn  so  eilig? 
Wenn  du  dich  eine  Viertelstunde  geduldest,  so  fahr*  ich 
gleich  mit  dir  hinein. 

MAUER.    Wie  ^—  es  ist  also  dein  Ernst? 

FRIEDRICH.    Natürlich  .  .  .    Also  wartest  du  ? 

GENIA.  Du  willst  mit  dem  Doktor  —  du  willst 
noch  heute  in  die  Stadt  hinein  — ?  ?  — 

FRIEDRICH.  Ja,  es  ist  doch  das  gescheiteste.  Mein 


338 


Sachen  hab'  ich  alle  drin,  die  ich  fürs  Gebirge  brauch', 
packen  kann  mir  der  Josef  in  einer  Stund' ;  und  da  fahr* 
ich  gleich  morgen  in  der  Früh'  mit  dem  Mauer  weg. 

MAUER.    Das  war'  ja  famos. 

FRIEDRICH.  Also  du  wartest  auf  mich?  Eine 
Viertelstunde ! 

MAUER.    Ja,  ich  warte. 

FRIEDRICH  rasch  ins  Haus. 

Erna,  Paul,  Otto,  Frau  Wahl  stehen  nusammen. 

ERNA  bat  manchmal  hingehört. 

GENIA  sieht  Friedrich  nach. 

MAUER.    Er  ist  der  Mann  rascher  Entschlüsse. 

GENIA  antworut  nicht. 

PAUL.  Also  benützen  wir  die  letzten  Strahlen  der 
Abendsonne  .  .  . 

Erna,  Otto,  Paul,  Frau  Wahl  gegen  den  Tennisplatz. 

MAUER  folgt  nach  kurzem  Besinnen. 

GENIA  steht  noch  immer  regungslos,  plötzlich  toill  sie  ins  Haus 
hinein,  da  tritt  ihr  Frau  Meinhold  entgegen. 

FRAU  MEIN  HOLD.     GENIA. 

FRAU  MEINHOLD  etwa  vierundvierzig,  nicht  jünger 
aussehend,  Züge  etwas  verlebt,  Gestalt  noch  jugendlich.  Guten 
Abend. 

GENIA.  Oh,  Frau  Meinhold,  so  spät  ?  Ich  fürch- 
tete schon,  Sie  kämen  heute  gar  nicht  mehr.  Nun  freue 
ich  mich  doppelt,  daß  Sie  da  sind.  Kommen  Sie  doch, 
liebe  Frau  Meinhold.  Vielleicht  dorthin  zum  Nußbaum 
toeisend   es  ist  doch  Ihr  Lieblingsplatz. 

FRAU  MEINHOLD  Genias Zerstreutheit  merkend.  Danke, 
danke. 

GENIA.  Oder  wollen  wir  zum  Tennisplatz?  Es 
wird  noch  fleißig  gespielt,  und  Sie  sehen  ja  ganz  gerne 
zu,  nicht  wahr? 

FRAU  MEINHOLD  lächelnd.  Ich  komme  ja  zu 
Ihnen,  liebe  Frau  Genia.  Mit  ihr  zum  Nußbaum.  Aber 
habe  ich  Sie  nicht  gestört,  Sie  scheinen  mir  ein  wenig 
—  wollten  Sie  nicht  eben  ins  Haus? 


339 


GENIA.  Nein,  durchaus  nicht.  Es  ist  nur  —  mein 
Mann  fährt  dann  in  die  Stadt  hinein  mit  Doktor 
Mauer.  Morgen  reist  er  nämlich  mit  ihm  ab.  Sie 
machen  zusammen  eine  Fußtour.  Denken  Sie,  vor 
einer  Stunde  wußte  er  selbst  noch  nichts  davon.  Der 
Doktor  kam  uns  Adieu  sagen,  sprach  natürUch  von  seinen 
Reiseplänen  —  und  Friedrich  war  sofort  hingerissen  von 
der  Idee,  wieder  einmal  über  die  Berge  zu  wandern  wie 
in  früherer  Zeit.  Und  nun  fährt  er  auch  schon  davon. 
Blickt  %um  Balkon. 

FRAU  MEIN  HOLD.  Da  komme  ich  Ihnen  doch 
wohl  ungelegen.  Sie  werden  gewiß  noch  mit  Ihrem 
Gatten  zu  sprechen  haben,  da  er  so  plötzHch  abreist. 

GENIA.  Ach  nein,  es  ist  ja  nur  auf  kurze  Zeit. 
Und  sentimental  sind  wir  nicht,  nein,  wahrhaftig.  — 

FRAU  MEIN  HOLD.  Und  nun  haben  Sie  auch 
Ihren  Percy  bald  wieder  da. 

GENIA.  Oh,  da  wird  mein  Mann  wohl  noch  früher 
zurück  sein.    Percy  kommt  erst  in  vierzehn  Tagen. 

FRAU  MEIN  HOLD.  Sie  sehnen  sich  schon  sehr 
nach  ihm,  wie? 

GENIA.  Das  können  Sie  sich  denken,  Frau  Mein- 
hold. Nun  hab'  ich  ihn  seit  Weihnachten  nicht  gesehen. 
Kein  leichtes  Los,  seinen  Einzigen  so  in  der  Fremde 
haben.  Aber  Sie  wissen  ja  auch  was  davon  zu  erzählen, 
Frau  Meinhold. 

FRAU  MEINHOLD.    Einiges,  ja. 

GENIA.  Nun  verläßt  Sie  Ihr  Herr  Sohn  gar  auf 
mehrere  Jahre  ? 

FRAU  MEIN  HOLD.  Ja,  drei  Jahre  sollen  es  wer- 
den.   Und  weit,  weit. 

GENIA.  In  die  Südsee,  er  hat  mir  früher  davon 
erzählt.  Ja,  das  ist  freilich  —  Und  doch  kommt  mir 
vor,  als  wären  Sie  besser  dran  als  ich,  Frau  Meinhold. 
Sie  haben  einen  Beruf,  einen  so  schönen!  Einen,  der 
Sie  so  ganz  erfüllt!    Das  hilft  gewiß  über  viel  hinweg. 

FRAU  MEIN  HOLD.    Über  manches. 

GENIA.    Nicht  wahr?    Wenn  Frauen  nur  Mütter 


340 


sind,  das  ist  doch  wohl  nicht  das  Richtige,  scheint  mir 
manchmal.  Sie  hätten  es  gewiß  nicht  zugegeben,  daß 
Ihr  Otto  zur  Marine  ging,  wenn  Sie  nichts  anderes 
gewesen  wären  als  Mutter. 

FRAU  MEIN  HOLD  einfach.  Und  wenn  ich's  nicht 
zugegeben  hätte  .  .  .  ? 

GENIA.  So  war'  er  bei  Ihnen  geblieben.  O,  davon 
bin  ich  ganz  überzeugt.  Wenn  Sie  es  gewünscht,  wenn 
Sie  es  verlangt  hätten?!  Er  liebt  Sie  ja  so  sehr.  Er 
hätte  ja  auch  was  anderes  werden  können.  Ich  kann 
mir  ihn  sehr  gut  als  Gutsbesitzer  vorstellen  .  .  .  oder 
—  oh  ja  .  .  .  auch  als  Gelehrten. 

FRAU  MEIN  HOLD.  Es  ist  nur  die  Frage,  Hebe 
Frau  Genia,  ob  ich  ihn  dann  mehr  hätte  als  jetzt,  da 
er  aufs  Meer  hinaussegelt. 

GENIA.    Oh...! 

FRAU  MEINHOLD.  Ich  glaub'  nicht.  Nicht  schwer. 
NämHch  von  diesem  Wahn,  Frau  Genia,  kann  man  sich 
nicht  früh  genug  freimachen,  daß  wir  unsere  Kinder 
jemals  besitzen  könnten.  Besonders  Söhne!  Sie  haben 
uns,  aber  war  haben  sie  nicht.  Ich  glaube  sogar,  das 
müßte  einem  noch  schmerzhcher  zum  Bevmßtsein 
kommen,  wenn  man  mit  ihnen  immer  unter  einem 
Dache  wohnte.  Solang  sie  klein  sind,  verkaufen  sie 
uns  um  ein  Spielzeug,  und  später  .  .  .  später  um  noch 
weniger. 

GENIA  kopfschüttelnd.  Das  ist  doch  .  .  .  nein  das  .  .  . 
Darf  ich  was  sagen,  Frau  Meinhold? 

FRAU  MEINHOLD  lächelnd.  Warum  denn  nicht  ? 
Wir  plaudern  doch.  Jede  sagt,  was  ihr  eben  durch  den 
Kopf  geht. 

GENIA.  Ich  hab'  mich  nämlich  schon  neulich  ge- 
fragt, als  Sie  auch  so  eine  —  verzeihen  Sie  —  eine  so 
düstere  Bemerkung  machten  —  so  über  die  Menschen 
im  allgemeinen  —  ob  das  nicht  vielleicht  irgendwie 
mit  den  Rollen  zusammenhängt,  die  Sie  spielen,  daß 
Ihnen  das  Leben  manchmal  so  tragisch  erscheint  ? 

FRAU  MEIN  HOLD  lächelnd.  Tragisch . . .  Finden  Sie  ? 


341 


GENIA.  Denn  ich  habe  offenbar  eine  leichtere 
Lebensauffassung  als  Sie,  Frau  Meinhold.  Ich  bilde 
mir  zum  Beispiel  fest  ein,  daß  ich  niemals  aufhören 
werde,  Percy  viel,  —  unendlich  viel  zu  bedeuten.  Und 
auch  Sie,  Frau  Meinhold,  hätten  meiner  Ansicht  nach 
alles  Recht  dazu  ...  ja  gerade  Ihr  Sohn  scheint  mir 
ein  besonders  zärtlicher,  ein  —  Ich  bin  überzeugt,  daß 
er  Sie  geradezu  anbetet. 

FRAU  MEIN  HOLD  lächelnd.   Nennen  wir's  so! 

GENIA.  Und  wenn  er  Sie  einmal  „verkaufen"  soUte, 
wie  Sie  sagen,  so  wird  es  gewiß  um  nichts  Unwürdiges 
geschehn.  Und  nur  in  einem  solchen  Fall  denke  ich, 
könnte  sich  in  den  Beziehungen  zwischen  Mutter  und 
Kind  etwas  ändern.  Nach  kurzem  Besinnen.  Und  da 
eigentlich  auch  nicht. 

FRAU  MEINHOLD  nach  einer  kUinen  Pause.  Er  ist 
ein  Mann,  vergessen  Sie  das?  Wie  läßt  sich  da  etwas 
vorhersehen  .  .  .  Auch  Söhne  werden  Männer.  Mit 
Biturkeit.  Sie  sollten  doch  auch,  denk'  ich,  eine  Ahnung 
davon  haben,  was  das  heißt. 

GENIA  schlägt  xoie  betroffen  die  Augen  nieder. 

FRIEDRICH  erscheint  oben  auf  dem  Balkon,  sieb  eben  die 
Krawatte  knüpfend,  sieht  mit  kurzsichtig  verkniffenen  Augen 
herab.  Ich  höre  da  eine  wohlbekannte,  edle  Stimme  . . . 
Hab'  mir's  ja  gleich  gedacht .  . .  Küss'  die  Hand,  Frau 
Meinhold. 

FRAU  MEINHOLD.  Guten  Abend,  Herr  Hof- 
reiter. 

GENIA.    Brauchst  du  was,  Friedrich? 

FRIEDRICH.  O  nein,  dank'  schön,  bin  gleich  fertig. 
Dann  komm'  ich  herunter.    Ich  fahr*  nämlich  weg. 

FRAU  MEINHOLD.  Ja,  Frau  Genia  sagte  mir  eben. 

FRIEDRICH.  Also  auf  Wiederschaun.  Verläßt  den 
Balkon.    Pause. 

GENIA.  Darf  ich  Ihnen  etwas  erwidern,  Frau 
Meinhold  ? 

FRAU  MEIN  HOLD  lächelnd.  Aber  warum  bitten 
Sie  mich  denn  immer  um  Erlaubnis,  Frau  Genia  — 


H* 


GENIA.  Sie  imponieren  mir  nämlich  so,  Frau  Mein- 
hold. Was  Sie  sagen,  das  klingt  immer  so  bestimmt, 
so  unwidersprechlich.  Und  man  hat  die  Empfindung, 
Ihnen  bleibt  nichts  verborgen,  nichts  .  .  .  Und  Sie 
kennen  die  Menschen,  ja  .  . .  Aber  sind  Sie  nicht  doch 
.  .  .  sind  Sie  nicht  doch  ein  bißchen  ungerecht  ? 

FRAU  MEIN  HOLD.  Mag  sein,  Frau  Genia  .  . . 
Aber  Ungerechtigkeit  ist  ja  schheßlich  unsere  einzige 
Revanche.  Auf  einen  fragenden  Blick  Genias.  Die  einzige 
Revanche  für  ein  Unrecht ...  das  irgend  einmal  an 
uns  begangen  wurde. 

GENIA.  Aber  ewige  Ungerechtigkeit  gegenüber 
einem  .  .  .  verjährten  Unrecht  —  ist  das  nicht  zu  viel? 

FRAU  MEIN  HOLD  bitter.  Es  gibt  Dinge,  die  nicht 
verjähren.  Und  es  gibt  Herzen,  in  denen  nichts  ver- 
jährt. Pause.  Kommt  Ihnen  das  wieder  tragisch  vor, 
liebe  Frau  Genia  ?  Sie  denken  sich  wohl,  was  erzählt 
sie  mir  da  für  Geschichten,  diese  alte  Komödiantin. 
Was  will  sie  denn  eigentlich  ?  Vor  einer  Ewigkeit  hat 
sie  sich  von  ihrem  Mann  getrennt,  hat  nachher,  wie 
man  hört,  ihr  Leben  vöUig  nach  eigenem  Belieben  ein- 
gerichtet .  .  ,  nachgeweint  zu  haben  scheint  sie  ihm 
keinesfalls . . .  was  will  sie  ...  ?  Nicht  wahr,  Frau  Genia, 
das  denken  Sie  sich? 

GENIA  etwas  verlegen.  Kein  Mensch  wird  bestreiten, 
daß  Sie  das  Recht  hatten  zu  leben,  wie  es  Ihnen  gefiel . . . 

FRAU  MEIN  HOLD.  NatürUch  hatt'  ich  das.  Das 
ist  eine  Sache  für  sich.  Und  ich  will  auch  niemandem 
einreden,  daß  ich  wegen  jener  längst  vergangenen  Ge- 
schichte heute  noch  irgend  etwas  wie  Schmerz  emp- 
fände. —  Oder  GroU!  —  Nur  —  vergessen  hab'  ich's 
eben  nicht ...  das  ist  alles.  Mehr  sag'  ich  auch  nicht. 
Aber  denken  Sie  nur,  wieviel  habe  ich  seither  vergessen ! 
Heitres  und  Trauriges  .  . .  vergessen  —  als  wäre  es  nie 
gewesen!  Und  gerade  das,  was  mir  vor  mehr  als  zwan- 
zig Jahren  mein  Mann  angetan  hat,  nicht!  ...  So 
muß  es  doch  wohl  was  bedeutet  haben!  Ohne  Groll, 
ohne  Schmerz  denk'  ich  dran  —  ich  weiß  es  eben  nur 


343 


—  das  ist  alles!    Aber  ich  weiß  es,  wie  am  ersten  Tag 

—  gerade  so  klar,  so  fest  —  so  unwidersprechlich  — 
das  ist  es,  liebe  Frau  Genia  .  .  . 

FRIEDRICH  kommt  im  grauen  Reiseanzug,  sehr  montiert. 
Küßt  Frau  Meinbold  die  Hand.  Ich  freu'  mich  sehr,  Ihnen 
noch  adieu  sagen  zu  können,  gnädige  Frau. 

FRAU  MEINHOLD.    Bleiben  Sie  lange  fort  ? 

FRIEDRICH.  Das  ist  ungewiß.  Hängt  auch  davon 
ab,  ob  ich  hier  dringend  benötigt  werde.  In  der  Fabrik, 
mein'  ich. 
Vom  Tennisplatz  Otto,  Paul,  Erna,  Frau  Wahl,  Mauer.   Begrüßung. 

OTTO.     Guten  Abend,  Mutter.    Küßt  ihr  die  Hand. 

FRAU  MEIN  HOLD.    Guten  Abend,  Otto!  — 

FRIEDRICH.    Na,  wie  ist's  gegangen,  Paul? 

PAUL.  Bitt'  schön,  nicht  fragen.  Von  morgen  an 
spiel'  ich  wieder  mit  dem  Trainer. 

MAUER.    Also,  bist  du  bereit? 

FRIEDRICH.  Selbstverständlich.  —  Meine  Herr- 
schaften .  .  .  Allen  die  Hand  reichend.  —  liebe  Genia  .  .  . 

GENIA.  Entschuldigen  Sie,  lieber  Doktor,  auf  ein 
paar  Minuten  darf  ich  mir  noch  meinen  Herrn  Gemahl 
von  Ihnen  ausbitten  ? 

MAUER.    Oh... 

Mauer,  Erna,  Frau  Meinhold,  Otto,  Frau  Wahl,  Paul  entfernen  sich. 

FRIEDRICH.  Du  hast  mir  noch  was  zu  sagen, 
Genia  ? 

GENIA.  EigentUch  nichts,  als  daß  ich  mich  ein 
bißchen  über  deinen  Entschluß  wundre.  Ich  hab'  näm- 
lich keine  Ahnung  gehabt,  daß  du  heute  fortfahren  wällst. 

FRIEDRICH.    Ich  doch  auch  nicht,  mein  Kind. 

GENIA.    WirkUch,  keine  Ahnung? 

FRIEDRICH.  Daß  es  gerade  heute  abend  sein  wird 

—  absolut  nicht.  Wenn  der  Mauer  nicht  zufällig  ge- 
kommen wäre  .  .  .  Aber  daß  ich  Lust  hätt',  auf  ein 
paar  Tage  ins  Gebirge  zu  gehen  —  das  war  dir  ja  nicht 
unbekannt.  Ob  ich  nun  heut  fahr',  —  oder  morgen 
oder  übermorgen  . . .  Also  zum  Wundern  ist  doch  kein 
Anlaß. 


344 


GENIA  ticb  über  die  Stirn  streichend.     Gewiß,    du  hast 
ja  recht.   Nur  weil  eben  so  gar  keine  Rede  davon  war. 
Bange  Pause. 

FRIEDRICH.  Also,  ich  telegraphier'  natürlich  täg- 
lich, sowohl  hierher  als  ins  Bureau.  Und  schreib'  auch. 
Bitte  gleichfalls  um  regelmäßige  Berichterstattung. 
Und  wenn  von  Percy  was  kommt,  so  schick'  mir's 
nach  .  .  ,  Auch  wenn's  nur  an  die  dear  mother  gerichtet 
ist . .  .  Ja,  mein  Kind.  Also  jetzt  heißt's  .  . .  der  Mauer 
wird  wirklich  schon  ungeduldig  werden. 

GENIA.    Warum  —  warum  —  fährst  du  fort  ? 

FRIEDRICH  etwas  ungeduldig,  aber  nicht  heftig.  Du, 
Genia,  mir  scheint  als  hätt*  ich  dir  darauf  schon  geant- 
wortet. 

GENIA.  Du  weißt  sehr  gut,  daß  du  mir  noch  nicht 
geantwortet  hast. 

FRIEDRICH.  Jedenfalls  ist  diese  Art  zu  inquirieren 
etwas  ganz  neues  —  in  unserm  Haus. 

GENIA.  Du  bist  nicht  verpflichtet  mir  Rede  zu 
stehn,  gewiß  nicht.  Aber  ich  seh'  eigentlich  auch  keinen 
Grund,  warum  du  mir  die  Antwort  direkt  verweigern 
solltest. 

FRIEDRICH.  Ja,  mein  liebes  Kind,  wenn  du  wirk- 
lich findest,  daß  es  erst  ausdrücklich  festgestellt  werden 
muß  .  .  .  also  schön :  Ich  fühle  mich  seit  einiger  Zeit 
nicht  besonders  wohl.  Das  wird  ja  wieder  vorübergehn 
—  wahrscheinlich  .  .  .  gevnß.  Aber  in  den  nächsten 
Tagen  brauch'  ich  eben  eine  andere  Luft,  eine  andre 
Umgebung.  Sicher  ist  jedenfalls,  daß  ich  von  hier 
fort  muß. 

GENIA.    Von  hier!?  .  .  .  Von  mir!! 

FRIEDRICH.  Von  dir  —  Genia  —  ?  Das  hab'  ich 
doch  nicht  —  Aber  wenn  du's  absolut  hören  willst  — 
gut,  von  dir!    Ja,  Genia. 

GENIA.  Aber  warum?  Was  hab'  ich  dir  denn 
getan  ? 

FRIEDRICH.  Nichts  .  . .  Wer  sagt  denn,  daß  du 
mir  was  getan  hast. 


345 


GENIA.  So  erklär'  dich  doch,  Friedrich  ...  Ich 
bin  ja  ganz  .  .  .  Auf  alles  war  ich  eher  gefaßt,  als  daß 
du  jetzt  ...  so  plötzlich  . .  .  Von  einem  Tag  zum  an- 
dern —  von  einer  Stunde  zur  andern  hab'  ich  erwartet, 
daß  wir  uns  .  .  .  aussprechen  werden  .  .  .  daß  wir  .  .  . 

FRIEDRICH.  Ja.  Diese  Erwartung  hab'  ich  dir 
schon  angemerkt,  Genia.  Ja.  Aber  .  .  .  ich  glaube, 
dazu  ist  es  noch  zu  früh,  —  zum  —  Aussprechen  . . 
Ich  muß  mir  noch  über  mancherlei  klar  werden  .  . . 

GENIA.  Klar  —  ?  Ja  ...  wo  gibt's  denn  eine  Un- 
klarheit ?  Du  hast  doch  .  .  .  den  Brief  in  der  Hand 
gehabt  ?  Du  hast  ihn  doch  gelesen  ?  Wenn  du  vorher 
gezweifelt  hast .  .  .  was  ich  ja  gar  nicht  glaube  .  .  .  seit 
dem  Abend  —  um  Himmels  willen,  Friedrich  —  seit 
dem  Abend  muß  dir  doch  eine  Ahnung  aufgegangen 
sein  —  Friedrich,  was  —  was  du  mir  .  .  .  Gott .  .  . 
ist  es  denn  wirkHch  notwendig,  das  erst  mit  Worten 
zu  sagen! .  .  . 

FRIEDRICH.  Nein,  gewiß  nicht ...  Das  ist  es 
ja  eben.  Der  Abend.  Ja.  Mir  ist  nämlich  schon  die 
ganze  Zeit  her,  verzeih  —  es  ist  natürhch  nicht  deine 
Absicht  —  aber  ich  hab'  halt  den  Eindruck,  als  wenn 
du  diese  Affäre  .  .  .    Zögert. 

GENIA.    Nun  —  nun  —  ? 

FRIEDRICH.  Als  wenn  du  den  Selbstmord  von 
Korsakow  gegen  mich  irgendwie  ausspieltest  .  .  .  Inner- 
lich natürhch  .  .  .  Und  das  —  das  macht  mich  halt .  .  . 
ein  bissei  nervös  .  ,  . 

GENIA.  Friedrich!  Ja,  bist  du  denn  ...  Ich  spiele 
den  Selbstmord  .  .  .  Nein  — ist  es  möglich!  .  .  .  Das! . . . 

FRIEDRICH.  Ich  sag'  ja  schon,  du  kannst  nichts 
dafür.  Du  meinst  es  nicht  so.  Du  bist  gewiß  nicht 
stolz  darauf,  daß  er  deinetwegen  .  .  .  daß  du  ihn  sozu- 
sagen in  den  Tod  —  du  bildest  dir  gewiß  nichts  ein, 
auf  deine  Standhaftigkeit,  das  weiß  ich  ja  alles  . . . 

GENIA.    Nun  also,  wenn  du  das  weißt  .  .  . 

FRIEDRICH.  Ja,  aber  daß  es  überhaupt  geschehen 
ist .  .  . 


346 


GENIA.    Was,  wasf 

FRIEDRICH.  Daß  er  sich  hat  umbringen  müssen . . . 
das  ist  das  Furchtbare  .  .  .  darüber  komm'  ich  nicht 
weg. 

GENIA.     Was  .  .  .   das  .  .  .  Greift  sieb  an  d*n  Kopf. 

FRIEDRICH.  Na,  ja,  bedenk  doch  nur,  man  kann's 
drehn  und  wenden,  wie  man's  will .  .  .  daß  der  arme 
Korsakow  jetzt  unter  der  Erde  liegt  und  verwest . . . 
die  Ursache  davon  bist  ja  doch  du!  .  .  .  NatürHch  .  . . 
unschuldig  —  in  doppeltem  Sinn.  —  Ein  andrer  als 
ich  würde  vielleicht  vor  dir  auf  den  Knien  liegen,  dich 
anbeten  —  wie  eine  Heilige  —  gerade  deswegen!  .  .  . 
Ich  bin  halt  nicht  so  .  .  .  Mir  bist  du  gerade  dadurch 
.  .  .  gleichsam  fremder  geworden. 

GENIA.  Friedrich!!  ,  .  .  Fremder  .  .  .  Friedrich!  — 

FRIEDRICH.  Ja,  wenn  er  dir  zuwider  gewesen 
wäre —  ja,  dann,  dann  war'  es  die  natürUchste  Sache 
von  der  Welt.  Aber  nein,  ich  weiß  ja,  er  hat  dir  sogar 
sehr  gut  gefallen  .  .  .  Man  kann  schon  sagen,  du  warst 
ein  bissei  verliebt  in  ihn.  Oder  —  wenn  ich's  .  .  .  um 
dich  verdient  hätte  .  .  .  wenn  du  mir  gegenüber  zu 
der  sogenannten  Treue  verpflichtet  gewesen  wärst  .  .  . 
Aber  ich  hab'  doch  wirklich  kein  Recht  gehabt .  .  .  na  . . . 
davon  müssen  wir  doch  nicht  erst  reden.  —  Also  ich 
frag*  mich  halt  immer  und  immer  wieder:  Warum  hat 
er  sterben  müssen  ? 

GENIA.    Friedrich! 

FRIEDRICH.  Und,  verstehst  du,  dieser  Gedanke 
. .  .  daß  irgend  etwas,  das  doch  in  Wirklichkeit  gar  nicht 
ist  —  ein  Schemen,  ein  Phantom,  ein  Nichts,  wenig- 
stens einem  so  furchtbaren  Ding  gegenüber,  einem  so 
irreparabeln  wie  der  Tod  —  daß  deine  Tugend  — 
einen  Menschen  in  den  Tod  getrieben  hat,  das  ist  mir 
einfach  unheimlich.  Ja  .  .  .  Ich  kann's  nicht  anders 
sagen  ...  Ja  .  .  .  Es  wird  ja  wohl  wieder  vergehn  .  .  . 
mit  der  Zeit  ...  im  Gebirg  . . .  und  wenn  wir  ein  paar 
Wochen  nicht  beieinander  sind  .  .  .  Aber  jetzt  ist  es 
nun  einmal  da  —  und  da  kann  man  nichts  machen  .  .  . 


347 


Ja,  liebe  Genia  ...  So  bin  ich  einmal  .  .  .  Andre  wären 
halt  anders  .  .  . 

GENIA  schweigt. 

FRIEDRICH.  Ich  hoffe,  du  nimmst  mir's  nicht 
übel,  daß  ich  —  auf  deinen  Wunsch  hin  —  alles  das 
so  deutlich  ausgesprochen  habe.  So  deutlich,  daß  es 
schon  wieder  beinah  nicht  wahr  geworden  ist .  .  . 

GENIA.  Es  ist  schon  wahr  geblieben,  Friedrich  .  . . 
Die  andern  kommen  allmählicb  näher. 

MAUER  zuerst.  Verzeih,  Friedrich,  aber  es  ist  die 
höchste  Zeit.  Ich  hab'  nämlich  in  der  Stadt  noch  was 
zu  tun  . . .  Du  kannst  ja  vielleicht  mit  einem  späteren 
Zug  .  .  . 

FRIEDRICH.  Ich  bin  schon  bereit  .  .  .  Hinauf rujend. 
Also  Kathi  —  geschwind!  Meinen  Überzieher  und 
meine  kleine,  gelbe  Tasche,  die  liegt  auf  dem  Divan 
in  meinem  Zimmer. 

FRAU  WAHL.  Also  glückliche  Reise  und  hoffent- 
lich auf  Wiedersehn. 

ERNA.    Am  Völser  Weiher. 

FRAU  WAHL.  Wissen  Sie,  was  hübsch  war»,  Frau 
Genia  ?    Wenn  Sie  auch  hinkämen. 

ERNA.    Ja,  Frau  Genia!  — 

GENIA.  Geht  leider  nicht !  Der  Percy  kommt  ja  — 

FRIEDRICH.  Aber  doch  nicht  so  bald.  Zu  Mauer. 
Wann  sind  wir  denn  dort  ? 

MAUER.   So  in  acht  bis  zehn  Tagen,  denk'  ich. 

FRIEDRICH.  Ja,  Genia,  das  war»  wirklich  eine  Idee. 
Du  solltest  dir's  überlegen,  Genia.  — 

GENIA.    Ich  .  .  .  werd'  mir's  überlegen. 

STUBENMJDCHEN  kommt  mit  Überzieher  und  Tasche. 

MAUER.  Also  adieu,  Frau  Genia.  Verabschiedet  sich 
auch  bei  den  andern. 

FRIEDRICH.  Adieu,  meine  Herrschaften.  Na,  was 
macht  ihr  denn  eigentlich  heute  noch  alle? 

PAUL.  Ich  hätte  eine  Idee.  Man  könnte  eine  Mond- 
scheinpartie machen  nach  Heiligenkreuz. 

ERNA.    Ich  war'  gleich  dabei. 


348 


FRAU  WAHL.    Zu  Fuß  —  ? 

FRIEDRICH.  Aber  das  ist  ja  nicht  nötig.  Ich 
schick'  euch  das  Auto  von  der  Bahn  zurück. 

PAUL.    Hoch  der  edle  Spender! 

FRIEDRICH.  Keine  Ovationen,  wenn  ich  bitten 
darf.  Also  adieu.  Gute  Unterhaltung  allerseits.  Adieu, 
Genia.  Nimmt  noch  einmal  Genies  Hand,  die  sie  dann  schlaf j 
fallen  läßt. 

FRIEDRICH  und  MAUER  durchs  Haus  ab. 

GENIA  steht  starr. 

PAUL,  ERNA,  FRAU  WAHL  stehen  nebeneinander. 

OTTO  und  FRAU  MEINHOLD  haben  einen  kurzen 
Blick  der  Verständigung  gewechselt. 

OTTO  zu  Genta,  Abschied  nehmend.  Gnädige  Frau,  wir 
werden  uns  auch  —  — 

GENIA  rasch,  erregter.  Sie  wollen  gehen  ?  Und  Sie, 
gnädige  Frau  r  Aber  warum  denn  ?  Wir  haben  ja  im 
Auto  ganz  bequem  alle  Platz. 

ERNA.  Natürlich.  Der  Herr  Kreindl  sitzt  vorne 
beim  Chauffeur. 

PAUL.    Mit  Wonne. 

OTTO.  Ich  möchte  mir  nur  die  Bemerkung  erlau- 
ben, daß  es  mit  der  Mondscheinpartie  einige  Schwierig- 
keiten haben  dürfte,  da  wir  uns  unterm  Neumond  be- 
finden. 

ERNA.  Uns  genügen  zur  Not  auch  die  Sterne,  Herr 
Fähnrich. 

FRAU  MEINHOLD  zum  Himmel  schauend.  Ich  fürchte, 
Sie  werden  heute  auch  auf  die  verzichten  müssen. 

ERNA.    So  sausen  wir  kühn  ins  Dunkel  hinein. 

GENIA.  Ja,  Erna,  das  ist  vielleicht  das  Allerlustig- 
Ste.     Sie  lacht  auf. 

Vorhang. 


DRITTER  AKT 

Halle  des  Hotels  Völser  Weiher. 

Vom  links  Eingang.  {Glastourniquet.)  Rechts  dem  Eingang  gegen' 
über  Lift,  daneben  beiderseits  Treppen,  die  aufwärts  führen.  Hinter- 
grund großer,  weiter  Erker  mit  hoben  Glasfenstern.  Blick  auf  Wald-, 
Berg-  und  Felsenlandschaft.  Rechts  hinten  Portiere  vor  einem  Gang, 
der  zum  Speisesaal  führt.  Am  Eingang  großer,  langer  Tisch  erhöht, 
mit  Prospekten,  Fahrplänen  usw.,  dahinter  praktikable  Holzwand 
mit  kleinen  Fächern  für  Briefe  und  Zimmerschlüssel.  In  der  Halle, 
auch  im  Erker,  Tische  und  Sitzgelegenheiten.  —  Auf  einigen  Tischen 
Zeitungen.  —  Schaukelstühle.  —  Mäßige  Bewegung  in  der  Halle, 
die  ohne  den  Fortgang  der  Handlung  zu  stören,  mit  entsprechenden 

Unterbrechungen,  während  des  Aktes  andauert. 
Touristen  und  Sommergäste,  die  von  draußen  hereinkommen,  Gäste,  die 
sich  im  Lift  fahren  lassen,  andere,  die  die  Stiege  hinauf-  und  hinunter 
gehn,  gelegentlich  ein  Kellner,  Herren  und  Damen,  die  an  einem  der 
Tische  Zeitung  lesen  oder  plaudern.  —  Am  Lift  ein  Boy.  Hinter  dem 
Tisch  am  Eingang  der  Portier  Rosenstock,  rotbäckiger  ziemlich  junger 
Mensch,  kleiner,  schwarzer  Schnurrbart,  schwarzes  Haar,  schlaue, 
gutmütige  Augen,  zuvorkommend  und  überlegen.  Er  gibt  eben  einem 
Boy  Zeitungen,  der  Boy  entfernt  sich  mit  diesen  und  läuft  über  die 
Stiege  hinauf.  Zwei  Herren  im  Gebirgsanzug  kommen  von  draußen, 
gehn  gleich  nach  hinten  dem  Speisesaal  zu.  Rosenstock  macht  Notizen 
in  ein  Geschäftsbuch.  —  Über  die  Stiege  Doktor  Meyer,  kleiner, 
etwas  schüchterner  Herr  in  nachlässigem  Sommeranzug,  nähert  sich 
dem  Portier.   Er  hat  in  der  Hand  eine  zusammengefaltete  Landkarte. 

MEYER  nachdem  er  eine  kleine  Weile  gewartet  hat.  Herr 
Portier . . . 

ROSEN  STOCK  liebenswürdig,  aber  nicht  ohne  eine  gewisse 
Überlegenheit.     Bitte,  Herr  Doktor? 

METER.  Ich  wollte  mir  nur  die  Frage  erlauben, 
Herr  Portier  .  .  .  ich  habe  nämlich  die  Absicht,  morgen 
eine  Tour  zu  machen,  und  da  wollte  ich  mir  die  Frage 
erlauben,  ob  man  zur  Hofbrandhütte  einen  Führer  be- 
nötigt. 

ROSENSTOCK.  O,  gewiß  nicht,  Herr  Doktor.  Der 
Weg  ist  nicht  zu  fehlen,  gut  markiert. 

METER.  Und  wenn  ich  dann  von  der  Hütte  eine 
Spitze  mitnehmen  würde?  Zum  Beispiel  den  Aigner- 
turm. 

ROSENSTOCK  lächelnd.    Aignerturm?!  .  .  .  Aigner- 


350 


türm  ist  die  schwerste  Tour  in  der  ganzen  Gegend,  wird 
sehr  selten  gemacht.  Nur  von  ausdauernden,  schwindel- 
freien KUetterem.  Heuer  ist  er  überhaupt  noch  nicht 
gemacht  worden. 

METER.  Pardon,  ich  meinte  nicht  den  Aignertunn. 
Mit  der  Karu.  Die  Rotwand  meinte  ich.  —  Die  ist 
doch  nicht  so  schlimm? 

ROSENSTOCK.  Gewiß  nicht.  Da  kann  jedes  Kind 
hinauf. 

METER.    Noch  nie  was  geschehn? 

ROSENSTOCK.  Ja,  gelegentlich  sind  auch  schon 
von  der  Rotwand  Leute  heruntergefallen. 

METER.    Wie?!  — 

ROSENSTOCK.  Das  ist  schon  nicht  anders  im  Ge- 
birge.   Es  gibt  eben  überall  Dilettanten  .  .  . 

METER.  Hm.  Also  ich  danke  vorläufig  bestens, 
Herr  Portier. 

ROSENSTOCK.    Bitte  sehr. 

Doktor  Meyer  entfernt  sich,  setzt  sieb  im  Erker  an  einen  Tisch  und 

studiert  seine  Karte,  später  gebt  er  fort. 

Zwei  junge  Touristen,  Rucksack,  Havelock,  Bergstöcke,  kommen  von 

draußen. 

ERSTER  TOURIST  sehr  forscb.  Guten  Morgen. 
Guten  Abend  vielmehr. 

ROSENSTOCK.    Habe  die  Ehre. 

ERSTER  TOURIST.  Sagen  Sie,  haben  Sie  ein  Zim- 
mer mit  zwei  Betten,  oder  zwei  Zimmer  mit  je  einem 
Bett? 

ROSENSTOCK.    Wie  ist  der  werte  Name  ? 

ERSTER  TOURIST.  So  —  muß  man  sich  hier  vor- 
stellen ?  Bogenheimer,  candidatus  juris  aus  Halle.  Ge- 
bürtig aus  Merseburg,  evangelisch  .  .  . 

ROSEN  STOCK  sebr  höflieb  und  ganz  wenig  lächelnd.  Ich 
wollte  nur  fragen,  ob  die  Herren  bestellt  haben. 

ERSTER  TOURIST.    Ne,  bestellt  ham  ma  nich. 

ROSENSTOCK  sehr  höflich.  Dann  bedaure  ich  sehr, 
wir  haben  leider  gar  nichts  frei. 

ERSTER  TOURIST.  Gar  nichts?  Das  ist  aber  böse. 


351 


Auch  kein  Strohlager  ...  an  das  man  sich  klammern 
könnte  ? 

ROSENSTOCK.    Leider,  nein. 

DER  ZWEITE  TOURIST  bat  hintereinander  auf  zwei 
Sesseln  Platz  genommen,  die  ihm  beide  nicht  bequem  genug  xu  sein 
scheinen.    Endlich  läßt  er  sich  in  einen  Schaukelstuhl  fallen. 

ERSTER  TOURIST  zum  zweiten.  Was  machen  ma 
nu  ?  Zu  Rosenstock.  Wir  haben  nämlich  vierzehn  Stunden 
Marsch  in  den  Beinen. 

ROSENSTOCK  mitfühlend.    Das  ist  viel. 

ZWEITER  TOURIST.  Ich  rühr'  mich  nicht  vom 
Fleck. 

ERSTER  TOURIST.  Haben  Sie  gehört,  Herr  Cer- 
berus  ?    Mein  Kollege,  der  rührt  sich  nicht  vom  Fleck. 

ROSENSTOCK.  Bitte  sehr.  Raum  für  alle  hat  die 
Halle. 

ERSTER  TOURIST.    Ah,  sind  wohl  Dichter? 

ROSENSTOCK.    Nur  in  dringenden  Fällen. 

ERSTER  TOURIST.  Also  was  sollen  ma  machen  ?  . . 

ROSENSTOCK.  Wenn  die  Herren  vielleicht  zur 
Alpenrose  schauen  wollten  .  .  . 

ERSTER  TOURIST.    Ist  das  auch  ein  Hotel? 

ROSENSTOCK.    Sozusagen. 

ERSTER  TOURIST.  Glauben  Sie,  daß  es  dort  was 
gibt? 

ROSENSTOCK.    Die  haben  immer  was. 

ERSTER  TOURIST.  Na,  versuchen  ma  die  Alpen- 
rose zu  pflücken.    Zum  andern.    Auf,  mein  Sohn. 

ZWEITER  TOURIST.  Ich  rühr'  mich  nicht. 
Schicken  Sie  eine  Sänfte  um  mich,  Bogenheimer,  wenn 
Sie  was  gefunden  haben  .  .  .  Oder  einen  Maulesel,  Er 
setzt  sich  zurecbt  und  schlummert  bald  ein. 

ERSTER  TOURIST  zu  Rosenstock.  Also  passen  Sie  nur 
gut  auf  meinen  Kollegen,  daß  er  ja  nicht  im  Schlummer 
gestört  wird.  Im  Abgehen.  Das  Wandern  ist  des  Müllers 
Lust ...  Ab. 

Ein  Ehepaar  kommt.    Ein  Boy  hinter  ihnen  mit  Handgepäck. 

ROSENSTOCK  begrüßt  sie. 


352 


HERR.    Das  Zimmer  bereit? 

ROSENSTOCK.  Selbstverständlich,  Herr  Hofrat 
Numero  siebenundfünfzig. 

Glocke.    Ehepaar  mit  dem  Boy  zum  Lift,  fahren  hinauf. 

PAUL  KREINDL  kommt,  eleganter  Reiseanzug,  weiter 
Mantel,  grüner  Hut  mit  Gemshart,  rote  Handschuhe,  Rakett  mit 
der  Tasche  in  der  Hand.     Boy  mit  Handgepäck  hinter  ihm. 

PAUL.     Guten  Tag. 

ROSENSTOCK.  Habe  die  Ehre,  Herr  von  Kreindl. 

PAUL.  Ah,  was  seh'  ich...!  Sie,  lieber  Rosen- 
stock .  .  .  ?  Sie  sind  jetzt  da  ?  Was  wird  denn  der  Sem- 
mering  ohne  Sie  anfangen? 

ROSENSTOCK.  Man  steigt  eben  immer  höher, 
Herr  von  Kreindl.  Von  tausend  .  .  .  auf  eintausend- 
vierhundert .  .  . 

PAUL.    Also  haben  S'  was  für  mich? 

ROSENSTOCK.  Selbstverständlich.  Leidernur  im 
vierten  Stock.  Wenn  Herr  von  Kreindl  nur  um  einen 
Tag  früher  telegraphiert  hätten  .  .  . 

PAUL.  Meinetwegen  im  sechsten.  Ihr  habt's  ja 
Lift. 

ROSENSTOCK.  Wenn  er  nicht  grad  ruiniert  ist .  .  . 
Ja  .  .  .  Herr  von  Kreindl  werden  zahlreiche  Bekannte 
hier  finden.  Herr  von  Hof  reitet  ist  da,  die  Frau  von 
Wahl  mit  Herrn  Sohn  und  Fräulein  Tochter,  Herr 
Doktor  Mauer,  der  Dichter  Rhön,  der  hier  auf  seinen 
Lorbeern  ausruht. 

PAUL  nach  jedem  Namen.  Weiß  .  .  .  weiß  .  .  .  weiß. 
Nach  Rhön.  Ah,  der  auch  .  .  .  Zum  Boy.  Schaffen  Sie  das 
Zeug  da  hinauf.  Da  der  Boy  sein  Rakett  nehmen  will.  Ah 
nein,  das  behalt'  ich  in  der  Hand.  Ja,  richtig,  Sie,  lieber 
Rosenstock,  nichts  sagen  dem  Herrn  Hofreiter,  daß 
ich  angekommen  bin.  Überhaupt  niemandem.  Icli 
will  die  Leut'  nämlich  überraschen. 

ROSENSTOCK.  Herr  Hofreiter  befindet  sich  seit 
gestern  auf  einer  Partie. 

PAUL.    Was  Großes? 

ROSENSTOCK.  O  nein.  Herr  Hofreiter  hat  ja  die 

Tbeaiore'.Ucke.  IV,  33  353 


großen  Touren  aufgegeben  —  bekanntlich  —  leit  dexa 
Unglücksfall  vor  sieben  Jahren  auf  dem  Aignerturm. 
Auf  die  Hofbrandhütte  sind  die  Herrschaften  gegangen. 
Sind  auch  Damen  dabei.  Die  Frau  Rhön  und  das 
Fräulein  von  Wahl.  Da  kommt  grad  die  Frau  Mama 
Yon  dem  Fräulein. 

FRAU  WAHL  die  Stiege  herunter  in  etwas  zu  jugendlichem 
Sommerkleid. 

PAUL  ihr  entgegen.   Küss'  die  Hand,  gnä'  Frau. 

FRAU  WAHL.  Ah,  grüß'  Sie  Gott,  Heber  Paul. 
Zu  Rosenstock.    Sind  sie  denn  noch  immer  nicht  zurück  ? 

ROSENSTOCK.    Bisher  noch  nicht,  gnädige  Frau. 

FRAU  WAHL  zu  Paul.  Ich  bin  nämlich  in  Ver- 
zweiflung .  .  .  Also  nicht  gerade  in  Verzweiflung  .  .  . 
aber  ernstlich  besorgt  bin  ich  .  .  .  Die  Erna  ist  seit 
gestern  auf  einer  Partie.  Zum  Lunch  hätte  sie  zurück 
sein  sollen,  jetzt  ist's  fünf,  grad  war  ich  oben  in  ihrem 
Zimmer,  sie  wohnt  nämlich  in  nächster  Nähe  des  Him- 
mels .  .  .  immer  hat  sie  solche  Sachen!  und  sie  ist  noch 
nicht  da.    Ich  bin  außer  mir. 

PAUL.  Es  ist  doch  eine  große  Gesellschaft,  wie  ich 
höre. 

FRAU  WAHL.  Das  schon.  Der  Gustl  ist  natürlich 
mit  und  der  Friedrich  Hof  reiter,  und  der  Doktor  Mauer 
und  die  Frau  Rhön. 

PAUL.  Na,  da  wird  schon  nichts  g'schehn  sein. 
Also  bitte,  gnädige  Frau,  niemandem  sagen,  daß  ich 
da  bin.  Wenn  die  Herrschaften  vielleicht  zurückkom- 
men sollten,  während  ich  mich  um'aeh'.  Ich  möcht' 
nämlich  gern  als  Überraschung  wirken.  Gekränkt.  Bei 
Ihnen  ist  mir  das  ja  leider  nicht  gelungen,  gnädige 
Frau. 

FRAU  WAHL.  Da  müssen  Sie  mich  heute  wirklich 
entschuldigen,  lieber  Paul,  bei  der  Aufregung.  Was 
gibt's  denn  übrigens  Neues  in  Baden  ?  Kommt  die 
Genia  nicht  her? 

PAUL.  Frau  Hofreiter?  Sie  hat  nichts  derartiget 
geäußert.  Und  ich  hab'  sie  noch  vorgestern  gesprochen. 


354 


Da  waren  wir  nämlich  alle  zusammen,  eine  größere 
Gesellschaft,  in  der  Arena.  Also  ich  werde  dann  schon 
so  frei  sein,  ausführlich  zu  berichten.  \  orläufig  muß 
ich  meinen  äußern  Menschen  in  Ordnung  bringen. 
Wenn  man  so  eine  Nacht  gefahren  ist  auf  der  Eisen- 
bahn und  dann  noch  sechs  Stunden  im  Wagen  ...  Zu 
Raunstock.    Überhaupt  eine  Verbindung! 

ROSENSTOCK.  In  spätestens  drei  Jahren  haben  wir 
eine  Bahn  herauf,  Herr  von  Kreindl.  Unser  Herr  Direk- 
tor fährt  in  den  nächsten  Tagen  nach  Wien  in  dieser 
Angelegenheit  zum  Minister. 

PAUL.  Das  ist  g'scheit.  Meine  Sachen  sind  schon 
oben,  nicht  wahr,  Rosenstock? 

ROSENSTOCK.    Jawohl,  Herr  von  Kreindl. 

PAUL.  Na  schön.  Also  küss'  die  Hand,  gnä'  Frau, 
und  nichts  sagen.      Zum  Lijt,  hinauf. 

ROSEN  ST  OCK%urFTauWabl.  Gnädige  Frau  brauchen 
sich  wirklich  nicht  aufzuregen.  Die  Herrschaften  haben 
doch  sogar  einen  Führer  mitgenommen. 

FRAU  WAHL.  Einen  Führer  zur  Hofbrandhütte  ? 
Davon  hab'  ich  ja  gar  nichts  gewußt.  Hören  Sie,  das 
kommt  mir  aber  sonderbar  vor. 

ROSENSTOCK.  Es  ist  ja  nur  wegen  der  Rucksäcke. 
Man  braucht  doch  wen  zum  Tragen.'  Und  übrigens  ist 
ja  das  Fräulein  Tochter  eine  so  vorzügliche  Touristin  . .. 

FRAU  WAHL.    Das  war  der  Bernhaupt  auch  .  . . 

ROSENSTOCK.  Ja  .  . .  rasch  tritt  der  Tod  den 
Menschen  an.    Es  ist  ihm  keine  Frist  gegeben  . . . 

FRAU  WAHL.    Na  —  sein  S'  so  gut!  .  .  . 

ROSENSTOCK.  Oh  bitte  ...  das  bezieht  sich  selbst- 
redend nicht  auf  Fräulein  Tochter. 

FRAU  WAHL.  Ich  hab'  übrigens  da  ein  Buch  bei 
Ihnen  liegen  lassen,  lieber  Rosenstock,  geben  Sie  mir's 
her  ...  in  gelbem  Einband  .  .  .  von  Rhön  ...  Ja,  das 
ist  es  schon  . . .  Ich  werd'  mich  da  ein  bissei  hersetzen 
und  lesen  .  .  .    Wenn  ich  nur  kann. 

ROSEN öTOCK.  O,  dieses  Buch  wird  gnädige  Frau 
jedenfalls  zerstreun.  Herr  Rhön  schreibt  ja  so  gewandt. 

«3'  SS5 


FRAU  WAHL  setzt  sich  an  einen  der  Tischt. 

DOKTOR  METER  stand  in  der  Nähe  mit  der  entfalUUn 
Karte,  wagt  sieb  jetzt  bin.  Ich  wollte  mir  nur  die  Frage 
erlauben,  Herr  Portier,  ich  finde  nämlich  die  Bemer- 
kung im  Baedeker,  daß  die  Tour  sehr  beschwerlich  ist, 
und  da  wollte  ich  fragen,  ob  es  sich  nicht  empfehlen 
würde,  wenn  ich  zwei  Führer  .  .  . 

ROSENSTOCK.  Bitte,  können  auch  zwei  Führer 
haben,  Herr  Doktor. 

SERKNITZ  kommt  von  der  Stiege  herunter.  Groß,  stark, 
Lodenanzug.,  nachlässig  gekleidet,  Touristenbemd  mit  Quasten.  Zu 
Rosenstock,  ohne  sich  um  Meyer  zu  kümmern.    Briefe  schon  da  ? 

ROSENSTOCK.  Noch  nicht,  Herr  von  Serknitz.  In 
einer  halben  Stunde  etwa. 

SERKNITZ.  Zustände!  Die  Post  ist  doch  längst 
heroben. 

ROSENSTOCK.  Aber  bis  sortiert  wird,  Herr  von 
Serknitz. 

SERKNITZ.  Sortiert! !  Setzen  Sie  mich  da  hinunter, 
ich  sortier'  Ihnen  den  ganzen  Einlauf  in  einer  Viertel- 
stunde, Wenn  ich  in  meinem  Bureau  daheim  so  lange 
brauchte,  um  zu  sortieren!  —  Das  ist  so  die  öster- 
reichische Schlamperei.  Da  klagt  ihr  dann  über  den 
schlechten  Fremdenverkehr. 

ROSENSTOCK.  Wir  klagen  nicht,  Herr  von  Serk- 
nitz.   Wir  sind  überfüllt. 

SERKNITZ.  Ihr  verdient  die  Gegend  nicht,  sag'  ich. 

ROSENSTOCK.  Aber  wir  haben  Sie,  Herr  von 
Serknitz. 

SERKNITZ.  Ich  erlasse  Ihnen  den  Adel,  Herr  Por- 
tier. Ich  fall'  Ihnen  ja  auf  diesen  Schwindel  doch  nicht 
hinein.  Übrigens  komm'  ich  gar  nicht  wegen  der  Post. 
Ich  komme  wegen  der  Wäsche. 

ROSENSTOCK.  Bitte,  Herr  Serknitz,  damit  hab' 
ich  nichts  .  .  . 

SERKNITZ.  Sie  oder  wer  andrer.  Das  Mädchen 
oben  weist  mich  ans  Bureau,  seit  drei  Tagen  wart*  ich 
auf  meine  Wäsche. 


356 


ROSENSTOCK.  Ich  bedaure  wirklich  sehr.  Übri- 
gens kommt  hier  der  Herr  Direktor. 

SERKNHZ.    Nicht  allein  —  wie  gewöhnlich. 

DOKTOR  VON  AIGNER  kommt  eben  von  draußen  mit 
einer  sehr  schönen  Spanierin,  von  der  er  sieb  jetzt  empfiehlt. 

DIE  SPANIERIN  zum  Lift,  fährt  hinauf. 

Doktor  von  Aigner,  ein  Mann  von  über  fünfzig  Jahren^  noch  ubr 

gut  aussehend.    Eleganter  Gebirgsanzug  mit  Stutzen,  scbtvarz-grau 

meliertes   Haar,    Knebelbart.    Monokel,    liebensioürdig,    nicht   ohne 

Affektation.     Kein  Hut. 

SERKNITZ.    Herr  Direktor  .  .  . 

AIGNER  bezwingend  höflich.  Sofort  .  .  .  Zu  Rosenstock. 
Lieber  Rosenstock.  Exzellenz  Wondra  trifft  schon 
morgen  ein,  statt  am  Donnerstag  und  braucht,  wie  Sie 
wissen,  vier  Zimmer. 

ROSENSTOCK.  Vier  Zimmer,  Herr  Direktor,  für 
morgen  .  .  .  Wie  soll  ich  denn  das  machen  ?  Da  müßt' 
ich  ja  die  Leute  .  .  .  Verzeihn,  Herr  Direktor,  da  müßt* 
ich  ja  die  Leute  umbringen. 

AIGNER.  Gut,  lieber  Rosenstock,  aber  mögHchst 
ohne  Auf  sehn.  Zu  Serknitz,  stellt  sich  vor.  Doktor  von 
Aigner  .  .  .    Womit  kann  ich  dienen  ? 

SERKNITZ  nicht  ohne  Verlegenheit,  die  er  hinter  gespielter 
Sicherheit  zu  verbergen  sucht.  Serknitz  .  .' .  Ich  habe  eben 
.  .  .  ich  muß  meine  Entrüstung  oder  mindestens  meine 
Mißbilligung  ausdrücken,  —  losbrechend.  Kurz  und 
gut,  es  ist  eine  fürchterliche  Wirtschaft  in  Ihrem 
Hotel. 

AIGNER.  Das  täte  mir  leid.  Worüber  haben  Sie 
sich  zu  beklagen,  Herr  Serknitz? 

SERKNITZ.  Ich  kann  nämlich  meine  Wäsche  nicht 
bekommen.  Seit  drei  Tagen  urgiere  ich.  Ich  befinde 
mich  bereits  in  der  größten  Verlegenheit. 

AIGNER.  Das  seh'  ich.  Aber  wollen  Sie  sich  nicht 
an  das  Zimmermädchen  .  .  . 

SERKNITZ.  Sie  sind  der  Direktor!  An  Sie  wend' 
ich  mich.  Es  ist  immer  meine  Art  gewesen,  an  die 
höchste  Instanz  zu  appellieren.  Es  macht  mir  wahrhaftig 


357 


nicht  viel  Spaß,  in  diesem  Aufzug  unter  Ihren  Grä- 
finnen und  Dollarprinzessinnen  zu  erscheinen. 

AIGNER.  Verzeihn  Sie,  Herr  Serknitz,  es  herrscht 
bei  uns  keinerlei  Zwang,  was  die  Kleidung  anbelangt. 

SERKNITZ.  Keinerlei  Zwang!  . .  .  Meinen  Sie,  man 
merkt  nicht,  wie  verschieden  die  Gäste  hier  behandelt 
werden  ? 

AIGNER.    Oh... 

SERKNITZ.  Jch  sag»  es  Ihnen  auf  den  Kopf  zu,  Herr 
Direktor,  wenn  hier,  statt  eines  einfachen  Herrn  Serk- 
nitz aus  Breslau,  ein  Lord  Chamberlain  oder  eine  Ex- 
zellenz Bülow  stünde,  Sie  würden  einen  andern  Ton 
anschlagen.  Jawohl,  Herr  Direktor.  Und  es  wäre  sehr 
angezeigt,  wenn  Sie  draußen  vor  dem  Tore  ein  Plakat 
anheften  ließen:  In  diesem  Hotel  fängt  der  Mensch 
erst  beim  Baron  oder  beim  Bankdirektor  oder  beim 
Amerikaner  an. 

AIGNER.  Das  würde  der  Wahrheit  nicht  entspre- 
chen, Herr  Serknitz. 

SERKNITZ.  Meinen  Sie,  weil  ich  nicht  im  Auto 
hier  vorgefahren  bin,  hab'  ich  nicht  den  Anspruch  auf 
die  gleiche  Rücksicht  wie  irgend  ein  Trustmagnat  oder 
ein  Minister?  Der  Mann  ist  noch  nicht  geboren,  der 
es  sich  erlauben  dürfte,  mich  von  oben  herab  zu  be- 
handeln.   Ob  er  nun  ein  Monokel  trägt  oder  keins. 

AIGNER  immer  ruhig.  Wenn  Sie,  Herr  Serknitz, 
etwas  an  meiner  Haltung  persönlich  kränken  sollte,  so 
steh'  ich  selbstverständlich  in  jeder  Weise  zur  Verfügung. 

SERKNITZ.  Haha!  Ich  soll  mich  wohl  mit  Ihnen 
duellieren?  Das  ist  das  Allerneueste.  Das  müssen  Sie 
sich  patentieren  lassen.  Man  beklagt  sich,  daß  einem 
die  Hemden  und  —  sonstiges  nicht  geHefert  wird,  und 
dafür  soll  man  noch  totgeschossen  werden.  Hören  Sie, 
Herr  Direktor,  wenn  Sie  glauben,  daß  Sie  damit  den 
Zuspruch  Ihres  Hotels  besonders  fördern  werden,  so 
befinden  Sie  sich  in  einem  gewaltigen  Irrtum.  Auf 
der  Stelle  würde  ich  dieses  lächerhche  Lokal,  dieses 
Eldorado  von  Snobs,  Hochstaplern  und  Börsenjuden 

358 


mit  Extrapost  verlassen,  wenn  ich  Lust  hätte,  Ihnen 
meine  Wäsche  zum  Geschenk  zu  machen^  Vorläufig 
sehe  ich  einmal  nach,  ob  sie  indes  gekommen  ist.  Ich 
habe  die  Ehre,  Herr  Direktor. 

AIGNER.  Guten  Tag,  Herr  Serknitz.  Zu  Frau  Wahl 
bin,  die  er  schon  einmal  während  des  Gesprächs  durch  ein  Koffnicktu 
gegrüßt  hau  Guten  Tag,  gnädige  Frau. 

FRAU  WAHL.  Ich  bewundere  Ihre  Geduld,  Herr 
Direktor. 

AIGNER.    Das  lernt  sich. 

FRAU  WAHL.  Ich  wollte,  ich  hätte  etwas  von  Ihrer 
Selbstbeherrschung. 

AIGNER.    Was  gibt's  denn? 

FRAU  WAHL.  Ich  bin  in  einer  grenzenlosen  Auf- 
regung. Unsere  Kompagnie  ist  noch  immer  nicht 
zurück. 

AIGNER.  Aber  ich  bitte  Sie,  gnädige  Frau  .  . . 
Von  der  Hofbrandhütte  ist  noch  jeder  zurückgekommen. 
Das  ist  ja  ein  Spaziergang  . . .  Erlauben  Sie  ?  Er  setzt 
sich. 

FRAU  WAHL.  Ob  ich  erlaube  ?  Man  muß  es  im- 
mer dankbar  annehmen,  wenn  Sie  einmal  nicht  ander- 
weitig beschäftigt  sind  .  .  .  exotisch  .  .  .  erotisch  .  .  . 

AIGNER.  Exotisch  . .  .  erotisch  .  .  .  ?  Das  ist  nicht 
von  Ihnen,  gnädige  Frau.  So  boshaft  sind  Sie  nicht, 
schöne  Frau. 

FRAU  WAHL.    Nein  ...  es  ist  von  Rhön. 

AIGNER.  Ja  .  . .  ich  dacht'  es  .  .  .  Ein  Dichter,  der 
Herr  Rhön  ...  ja  .  .  .  Was  Sie  da  wieder  für  eine 
reizende  Brosche  haben,  gnädige  Frau!  Bauembarock. 
Wirklich  famos. 

FRAU  WAHL.  Ja,  ganz  hübsch,  nicht  wahr?  Und 
gar  nicht  teuer.  Na,  billig  ist  sie  grad  auch  nicht.  Der 
Swatek  in  Salzburg  hebt  mir  immer  die  Sachen  auf. 
Er  kennt  schon  meinen  Geschmack. 

ALBERT  RHÖN  mittelgroßer,  dicker  Herr,  mit  schwar%em, 
rraumeliertem,  etwas  ungeordnetem  Haar,  bequemer  Sommeranzug, 
die  Treffe  herunter.  Grüß'  Sie  Gott,  gnädige  Frau.  Guten 


359 


Abend,  Direktor.  Na,  sind  unsere  Hochtouristen  noch 
nicht  zurück? 

FRAU  WAHL.    Was  sagen  Sie!?    Nein! 

RHÖN.  Sie  werden  schon  kommen  .  ,  .  werden  viel- 
leicht etwas  solenn  gefrühstückt  haben  .  . .  Meine  Gat- 
tin jedenfalls. 

EINE  SEHR  SCHÖNE  ENGLÄNDERIN  tritt  ,n 

die  Nähe,  zu  Aigner.  mit  englischem  Akzent.  Herr  Direktor, 
darf  ich  bitten,  auf  ein  Wort. 

AIGNER.     Bitte  .  .  .  Zu  ihr,  mit  ihr  nach  rückwärts. 

RHÖN  zur  Frau  Wahl.  Wissen  Sie,  wer  das  ist? 
Seine  neueste  Eroberung. 

FRAU  WAHL.  Die  ?  Gestern  haben  Sie  mir  ja  eine 
andre  gezeigt. 

RHÖN.  Gestern  war's  auch  eine  andre.  Ja,  das  ist 
ein  Mensch!  Haben  Sie  denn  eine  Ahnung,  wie  der 
in  der  Gegend  hier  gehaust  hat?  Sagen  Sie,  gnädige 
Frau,  ist  Ihnen  zum  Beispiel  noch  nicht  die  Ähnlich- 
keit unseres  Oberkellners  mit  Aigner  aufgefallen? 

FRAU  WAHL.  Sie  glauben?  Sie  halten  diesen 
Oberkellner  für  seinen  Sohn? 

RHÖN.  Mindestens  für  seinen  Neffen.  Ja,  das  ist 
so  ein  Wüstling,  —  daß  ihm  auch  die  Neffen  ähnlich  sehn. 

FRAU  WAHL.  Daß  Sie  überhaupt  in  der  Laune 
sind,  Spaße  zu  machen!  Zum  Lunch  wollten  sie  da 
sein.  Jetzt  ist  es  halb  sechs.  Ich  mache  mir  wirklich 
Vorwürfe,  daß  ich  nicht  mitgegangen  bin. 

RHÖN.  Da  tun  Sie  unrecht,  gnädige  Frau.  Was 
hätten  Sie  zur  Rettung  beitragen  können  ?  Wir  hätten 
nur  ein  Opfer  mehr  zu  beweinen. 

FRAU  WAHL.  Schauderhaft  find'  ich  Ihre  Witze. 
Sie  scheinen  zu  vergessen,  daß  Ihre  Frau  auch  dabei 
ist.  Wie  kann  man  seine  Frau  überhaupt  auf  so  lange 
fortlassen  ? 

RHÖN.  Sie  wissen,  Frau  von  Wahl,  daß  mir  das 
Bergsteigen  kein  Vergnügen  macht.  Mir  fehlt  über- 
haupt das  Talent  —  für  das  Manuelle  sozusagen.  Und 
ferner  schreib'  ich  eine  Tragödie. 

360 


AIGNER   ist  tcieder  bervorgetreten. 

RHÖN.  Jetzt  sollten  sie  ja  allerdings  schon  zurück 
sein.  Wenigstens  meine  Frau.  Ich  bin  gewohnt  von 
ihr,  beim  Wiedereintritt  ins  Alltagsleben  empfangen 
zu  werden.  Wir  verbringen  die  Zwischenakte  mitein- 
ander. 

AIGNER.    Meistens  beim  Büfett.    • 

RHÖN  ihm  auf  die  Schulter  klopfend,  gutmütig.  Ja,  ja, 
Direktor.  Sagen  Sie  übrigens,  ist  das  wirkHch  eine  so 
ungefährliche  Sache,  diese  Hofbrandhütte? 

AIGNER.  Ich  sagt'  es  eben  früher:  Ein  Spazier- 
gang. Die  Hofbrandhütte  trau'  ich  mir  sogar  noch  zu. 

FRAU  WAHL.  Warum  sind  Sie  nicht  mitgegangen, 
Direktor?    Es  wäre  doch  eine  Beruhigung. 

AIGNER.  Ja,  ich  habe  hier  leider  einiges  zu  tun, 
wie  Sie  ja  früher  bemerkt  haben,  gnädige  Frau.  Und 
dann,  da  ich  eben  nicht  viel  weiter  könnte  —  als  bis 
zur  Hofbrandhütte,  zieh'  ich  es  vor,  —  nicht  einmal 
bis  dahin  zu  gehn. 

RHÖN.  Das  ist  ganz  fein.  Aber  hören  Sie,  Direktor, 
da  fällt  mir  eben  ein,  ist  von  der  Hütte  aus  nicht  der 
Anstieg  zu  Ihrem  Turm  ?  Zum  Aignerturm,  mein'  ich  ? 

AIGNER.  Ja,  es  war  einmal  meiner!  Jetzt  gehört 
er  mir  nicht  mehr  .  .  .    Andern  freih'ch  auch  nicht. 

RHÖN.  Das  muß  doch  ein  recht  eigentümliches 
Gefühl  sein,  so  zu  Füßen  eines  Turmes  zu  sitzen,  den 
man  als  erster  bestiegen  hat  und  selbst  nicht  mehr  in 
der  Lage  zu  sein  .  .  .  Man  könnte  hier  einen  Vergleich 
wagen  .  .  .  den  ich  aber  lieber  unterlassen  will.  Nebst- 
bei  bin  ich  überzeugt,  Sie  bilden  sich  nur  ein,  daß  Sie 
nicht  mehr  hinauf  können,  Direktor.  Ich  habe  so  meine 
Gedanken  über  Sie.  Ich  halte  Sie  nämlich  für  einen 
Hypochonder. 

AIGNER.  Wollen  wir  dieses  Thema  nicht  lieber 
fallen  lassen,  Herr  Rhön  ? 

FRAU  WAHL   stößt  einen  leicbUn  Schrei  aus. 

RHÖN.    Was  haben  Sie  denn,  gnädige  Frau? 

FRAU  WAHL.  Am  Ende  sind  sie  auf  dem  Aignerturm. 

36? 


RHÖN  auch  etwas  erschrocken.     Was    fällt    Ihnen    ein  ? 

FRAU  WAHL.  Selbstverständlich.  Sonst  müßten 
sie  ja  schon  zurück  sein.  Sie  haben  auch  einen  Führer 
mit.  Kein  Zweifel.  Herr  Direktor,  Sie  sind  mit  im 
Komplott,  gestehn  Sie's  lieber  gleich  ein. 

AIGNER.  Ich  kann  es  beschwören,  daß  mit  keinem 
Wort  .  .  . 

RHÖN.    Dort  steht  ein  Führer. 

FRAU  WAHL.  Wo?  Das  ist  ja  der  Penn.  Viel- 
leicht war's  der  .  . . 

DER  FÜHRER  PENN  steht  beim  Portier. 

RHÖN  und  FRAU  WAHL  rasch  %u  ihm  bin. 

FRAU  WAHL.  Waren  Sic  mit  der  Hofreiter-Partie, 
Penn }  ... 

PENN.    Freili. 

(FRAU  WAHL.    Wo  ist  meine  Tochter? 
RHÖN.    Wo  ist  meine  Frau? 
FRAU  WAHL.    So  reden  Sie  doch. 
RHÖN.   Wann  sind  Sie  denn  überhaupt  zurück- 
^  gekommen  ? 

^     FRAU  WAHL.  Wo  sind  denn  die  andern  ?   Wieso 
sind  Sie  allein  ?    Was  ist  geschehn  . . .  ? 

PENN  lächelnd.  Gnädig'  Frau,  mir  sein  schon  alle 
wieder  da.  Brav  hat  sich  das  gnädig*  Fräulein  gehalten. 

FRAU  WAHL.    Was  heißt  das? 

RHÖN.    Wo  waren  Sie  denn? 

PENN.    Auf  dem  Aignerturm  sind  wir  g'wesen. 

FRAU  WAHL  mit  leichtem  Schrei.  Also  doch!  Also 
doch!    Es  ist  furchtbar. 

AIGNER.  Aber,  gnädige  Frau,  da  sie  doch  alle 
glücklich  wieder  zurück  sind  .  .  . 

RHÖN.  Auch  meine  Frau  war  auf  dem  Aignerturm  ? 
Das  ist  doch  nicht  möglich? 

PENN.  Nein,  die  kleine  Dicke  ist  nicht  mit  oben 
g'wesen.  Nur  das  Fräul'n  Erna  und  der  Hofreiter  und 
der  Doktor  Mauer. 

RHÖN.    Und  meine  Frau? 

FRAU  WAHL.    Und  mein  Sohn? 


362 


PENN.  Die  haben  g'wartet  auf  uns  in  der  Hütten, 
bis  wir  wieder  zurück  waren. 

FRAU  WAHL.    Aber  wo  sind  sie  denn? 

PENN.  Die  Herrschaften  sind  alle  durch  die 
Schwemm'  einagangen,  damit  $'  kein  Aufsehn  machen. 

FRAU  WAHL.  Ich  muß  hinauf,  ich  muß  Erna  sehn. 
Zu  Aipur.  O,  Sie  .  .  .  Zum  Lift  bin,  da  er  eben  oben  ist,  klingelt 
sü  9€r»«eifelt.  Zu  Aipur.  Warum  sich  Ihr  Lift  meistens 
im  vierten  Stock  oben  aufhält!  Das  ist  auch  so  eine 
geheimnisvolle  Eigentümlichkeit  Ihres  Hotels.  Zu  Rhön. 
Fahren  Sie  nicht  mit? 

RHÖN.    Ich  kann  warten. 

Der  Lift  herunter  mit  dem  Boy. 

RHÖN  xiebt  Frau  Wahl  beiseite.  Sehn  Sie  sich  ein- 
mal den  Boy  an.    Sonderbare  Ähnlichkeit  — ! 

FRAU  WAHL.    Mit  wem? 

RHÖN.     Na  .  .  .  freist  auf  Aigner. 

FRAU  WAHL.    Auch  ein  Sohn  von  ihm  ...  ? 

RHÖN.    Wohl  schon  ein  Enkel. 

FRAU  WAHL.   Ach  Gott,  Sie  . . .  Fährt  mit  dsm  Lift 

hinauf. 

v^/ GiV£Ä  «»  P«»n.  Also  ihr  wart  richtig  auf  dem  Turm  ? 

PENN.  Ja,  Herr  Direktor.  Leicht  ist's  nicht  ge- 
wesen. 

AIGNER.    Das  kann  ich  mir  denken. 

PENN.  Wissen  S',  Herr  Direktor,  ich  hab'  mir  schon 
denkt,  daß  das  Unwetter  vor  acht  Tagen  wird  was 
ang'stellt  haben.  Ein  paarmal  haben  wir  uns  fein 
ducken  müssen.  Und  dann  die  letzten  hundert  Meter, 
weiß  der  Teufel .  .  .  was  da  g'schehn  ist  seit  dem  vorigen 
Jahr.  Da  hat  man  doch  noch  einen  Tritt  g'habt  und 
g'wußt,  wo  man  das  Seil  sichern  kann,  diesmal  ham 
mir  schier  fhegen  müssen  .  . . 

AIGNER.    Aber  oben  war's  schön. 

PENN.  Seil  wissen  ja  der  Herr  Direktor.  Oben  is 
immer  schön.    Und  gar  auf  dem  Aignerturm. 

DOKTOR  METER  mit  der  gänzlich  entfalteten  Landkarte, 
tcbücbttr»  »um  Portier  biti. 


$63 


ROSENSTOCK.  Da  war*  grad  ein  Führer,  Herr 
Doktor. 

METER.  Danke  bestens.  Zu  Penn  bin.  Wenn  ich 
mir  erlauben  dürfte  .  .  . 

GUSTL  W AHL  kommt  in  einem  eleganten  Sommeranzug, 
spricht  mit  einer  gewissen  affektierten  Scbläfrigkeit,  zuweilen  wieder 
absichtlich  bedeutungsvoll.  Immer  mit  Humor.  Grüß'  Gott, 
Direktor.  Guten  Abend,  Meister  Rhön.  Beglück- 
wünsche Sie  zu  Ihrer  Gattin.  Sie  spielt  großartig 
Domino. 

RHÖN.  Sie  haben  Domino  mit  ihr  gespielt  ?  Warum 
sind  Sie  denn  nicht  oben  auf  dem  Aignerturm  gewesen  ? 
Sie  sind  doch  ein  so  großer  Tourist.  Im  vorigen  Jahr 
waren  Sie  doch  auf  dem  Himalaja  oder  .  .  . 

GUSTL.  Das  Klettern  habe  ich  längst  aufgegeben, 
jetzt  bin  ich  nur  mehr  ein  Hüttenwanderer.  Auch  nicht 
schlecht. 

RHÖN.  Und  die  ganze  Zeit  haben  Sie  Domino 
gespielt?  Während  die  andern  in  Lebensgefahr  ge- 
schwebt haben  ?  Von  meiner  Frau  wundert's  mich 
nicht.    Frauen  haben  keine  Phantasie.    Aber  Sie  .  .  . 

GUSTL.  Die  ganze  Zeit  haben  wir  nicht  gespielt. 
Zuerst  hab'  ich  versucht,  mit  Ihrer  Frau  Gemahlin  ein 
Gespräch  zu  führen. 

RHÖN.  Über  buddhistische  Philosophie  wahrschein- 
lich. 

GUSTL.    Größtenteils. 

RHÖN.  Meine  Frau  interessiert  sich  nicht  für 
Buddha. 

GUSTL.  Ja,  den  Eindruck  hab'  ich  auch  gehabt. 
Und  darum  hab'  ich  dann  lieber  mit  ihr  Domino  ge- 
spielt. Im  Freien  bitte!  Auf  einer  herrlichen,  mit  den 
seltensten  Alpenpflanzen  übersäten  Wiese! 

AIGNER.  Seit  wann  haben  denn  die  da  oben  ein 
Dominospiel  ? 

GUSTL.  Das  findet  sich  immer.  Diesmal  war's  in 
meinem  Rucksack.  Ich  entferne  mich  nie  auf  längere 
Zeit  ohne  ein  Dominospiel  von  Hause. 


AIGNER.    Sonderbarer  Geschmack. 

GUSTL.  Es  ist  das  schwerste  Spiel,  das  es  gibt. 
Schwerer  als  Schach.  Wissen  Sie,  wie  viel  Kombi- 
nationen es  in  dem  Spiel  gibt? 

RHÖN.    Woher  soll  ich  das  wissen? 

GUSTL.  Ich  aber  weiß  es  .  .  .  Ich  habe  mich  jahre- 
lang mit  der  Philosophie  der  Spiele  beschäftigt. 

RHÖN.    Und  Sie  haben  nicht  gezittert? 

GUSTL.  Warum  denn  ?  Mir  liegt  nichts  am  Verheren. 

RHÖN.  Während  Ihre  Schwester  zwischen  Himmel 
und  Erde  .  . 

GUSTL.  Aber,  bitt*  Sie,  meiner  Schwester  g'schieht 
doch  nichts,  die  wird  vierundachtzig  Jahre  alt. 

RHÖN.    Das  wissen  Sie  ganz  bestimmt? 

GUSTL.  Ich  hab'  ihr  das  Horoskop  gestellt.  Sie  ist 
unter  dem  Skorpion  geboren  .  .  .  die  darf  noch  mit 
dreiundachtzig  Jahren  eine  Gletschervi-anderung  wagen, 
wenn's  ihr  Spaß  macht. 

RHÖN.  Sie  werden  mir  doch  nicht  einreden,  daß 
Sie  an  solche  Sachen  glauben? 

GUSTL.  Warum  nicht  ?  —  Ich  erkenn'  sogar  den 
meisten  Leuten  auf  den  ersten  Blick  an  —  unter  wel- 
chem Sternbild  sie  geboren  sind  .  .  . 

FRAU  RHÖN  kommt.  Kleine,  hübsche,  ziemlich  dicke  Frau^ 
stürzt  ihrem  Gatten  an  den  Hals.     Da  bin  ich  meder. 

GUSTL  zu  Aigner.  Schaun  Sie  sich  z.  B.  die  Frau  Rhön 
an  .  .  . 

AIGNER.    Nun  —  ? 

GUSTL.    Ausgesprochener  Steinbock!  .  . . 

RHÖN.    Na,  laß  nur,  wir  sind  ja  nicht  allein. 

AIGNER.    Bitte,  genieren  Sie  sich  gar  nicht. 

RHÖN  kühl.    Na,  ist's  schön  gewesen,  Kind? 

FRAU  RHÖN.    Aber  prachtvoll. 

RHÖN.    Ich  höre,  ihr  habt  Domino  gespielt. 

FRAU  RHÖN.  Du  bist  bös'  ?   Ich  hab'  gewonnen. 

RHÖN.  Ist  mir  jedenfalls  lieber,  als  wenn  du  auch 
versucht  hättest  herumzuklettem. 

FRAU  RHÖN.  Du,  einen  Moment  hab'  ich  wirk- 

365 


lieh  daran  gedacht.  Sie  haben  mich  nur  durchaus  nicht 
mitnehmen  wollen. 

RHÖN.  Na,  höre,  das  fehlte  mir  noch,  daß  du  auf 
solche  Ideen  kommst.  Ich  habe  keine  Lust,  mir  durch 
die  Sorge  um  dich  die  Wonne  des  Alleinseins  verderben 
zu  lassen.  Wenn  du  nicht  bei  mir  bist,  will  ich  über- 
haupt nicht  an  dich  denken  müssen. 

GUSTL.  Dafür  hat  sie  auch  nicht  an  Sie  gedacht, 
Meister  Rhön,  das  versichere  ich  Sie,  Es  wird  Ihnen 
schon  einmal  schlimm  ergehn.  Ich  war  nur  zufällig 
nicht  das  Genre  von  Ihrer  Frau. 

RHÖN.  Sagen  Sie,  Gustl,  warum  sind  Sie  denn  so 
taktlos  ? 

GUSTL.  Wissen  Sie  nicht,  daß  ich  darauf  reise? 
Und  überhaupt  —  was  ist  Takt !  Eine  Tugend  dritten 
Ranges*  Das  Wort  sogar  ist  ziemlich  neu.  Findet  sich 
weder  bei  den  Römern,  noch  bei  den  Griechen,  noch 
—  höchst  charakteristisch  —  im  Sanskrit. 

FRAU  RHÖN  %u  Rbon.  Na,  und  du,  was  hast  du 
denn  gemacht  indes?    Bist  du  weiter  gekommen? 

RHÖN.  Schluß  des  dritten  Aktes,  das  Publikum 
stürmt  tief  ergriffen  ins  Restaurant  .  .  . 

FRAU  RHÖN.  Da  bin  ich  also  grad  recht  zurück- 
gekommen. 

RHÖN.  Ja,  nur  dauert  der  Zwischenakt  diesmal 
nicht  lang.  Von  morgen  früh  an  sperr'  ich  mich  wieder 
ein  und  bleibe  unsichtbar.  Werde  sogar,  wenn  du  nichts 
dagegen  hast,  nicht  an  der  Table  d'hote  essen,  sondern 
in  der  Schwemm',  damit  ich  durch  den  unerwünschten 
Anblick  blöder  Gesichter  nicht  aus  der  Stimmung  ge- 
rissen werde.   Du  kannst  dann  wieder  Domino  spielen. 

GUSTL.  Gnädige  Frau,  lassen  Sie  sich  scheiden  von 
ihm.  Wie  kann  man  überhaupt  einen  Dichter  heiraten  ? 
Das  sind  Unmenschen.  Früher  war's  viel  besser,  wo 
man  sich  einen  Dichter  gehalten  hat,  wie  einen  Sklaven 
oder  einen  Friseur.  Übrigens  bestehn  jetzt  noch  ähn- 
liche Zustände  auf  den  Azoren.  Aber  Dichter  frei 
herumrennen  lassen,  das  ist  ja  ein  Blödsinn. 

366 


FRIEDRICH  himrrd  in  tinem  tleganUn  Touristenanxug. 
Guten  Abend,  meine  Herrschaften,  küss'  die  Hand, 
schöne  Dichtersfrau.  Wie,  auch  schon  umgekleidet? 
Das  ist  aber  g'schwind  gegangen, 

EIGNER  der  eben  beim  Portier  subt.  Grüß'  Sie  Gott, 
Hofreiter. 

FRIEDRICH.  Guten  Abend,  Direktor.  Zu  Rosenstock. 
Nichts  da  für  mich  ?  Kein  Telegramm  ?  Kein  Brief  ? 
Merkwürdig.  Zu  Aigner.  Also  ich  kann  Ihnen  mit- 
teilen, daß  sich  da  oben  nicht  das  geringste  geändert 
hat,  auf  der  Spitze  wenigstens.  Die  Wegverhältnisse 
sind  allerdings  wieder  ein  bißchen  schlimmer  geworden. 
Oder  ist  man  nur  älter?  Jetzt  ist  es  Lebensgefahr, 
hinaufzuklettern,  —  aber  wenn  das  mit  dem  Abbrök- 
keln  so  weiter  geht,  ist  es  der  sichere  Selbstmord. 

EIGNER.    Ja,  der  Penn  hat  mir  berichtet. 

FRIEDRICH.  Wissen  Sie,  Aigner,  wenn  man  in 
diese  Rinne  kommt,  ungefähr  dreihundert  Meter  un- 
term Gipfel .  .  . 

AIGNER  unterbricht  ihn.  Bitte,  erzälilen  Sie  mir 
nichts.  Abgetan  ist  abgetan.  Wie  hat  sich  denn  die 
Kleine  gehalten  ? 

FRIEDRICH.    Erna?    Einfach  prachtvoll. 

AIGNER.  Daß  Sie  sie  da  mitgenommen  haben  . . . 
ich  muß  sagen  .  .  . 

FRIEDRICH.  Sie  hat  uns  mitgenommen.  Ich 
hatte  überhaupt  nicht  die  Absicht,  den  Turm  noch 
einmal  in  meinem  Leben  zu  machen.  Wo  ist  denn 
übrigens  der  Mauer? 

AIGNER.    Ich  hab'  ihn  noch  nicht  gesehn. 

RHÖN.  Sagen  Sie,  Herr  Hofreiter,  wie  war's 
Ihnen  eigentlich  zumute,  als  Sie  an  der  gewissen  Stelle 
vorbeikamen  ? 

FRIEDRICH.  An  der  gewissen  Stelle  ?  Mein  Gott, 
sieben  Jahre  sind  eine  lange  Zeit.  Ich  habe  Dinge 
beinahe  vergessen,  die  viel  kürzere  Zeit  zurückliegen. 
Ich  vergesse  sehr  rasch  .  .  .  wenn  ich  will, 

RHÖN.    Nun   ja  .  . .   man  kommt   wahrscheinlich 

S67 


öfters  an  Stellen  wieder  vorüber,  wo  jemand  neben 
uns  hinabgestürzt  ist,  nur  erkennt  man  sie  manchmal 
nicht  wieder.    Glauben  Sie  nicht  — ? 

FRIEDRICH.  Wenn  Sie  eine  Ahnung  hätten,  wie 
wenig  ich  zum  Philosophieren  aufgelegt  bin,  Meister 
Rhön  .  .  . 

PAUL  KREINDL  kommt  rascb  die  Treppe  herunter.  Habe 
die  Ehre,  Herr  Hofreiter. 

FRIEDRICH  ziemlich  gleichgültig.  Ah  —  Paulchen  ? 
Grüß'  Sie  Gott. 

PAUL.  Guten  Tag,  Herr  Rhön.  Ich  hatte  schon 
einmal  das  Vergnügen  .  .  .  Also  vor  allem  habe  ich 
eine  Menge  Grüße  zu  überbringen.  Zuerst  von  Frau 
GemahHn,  ferner  vom  Oberleutnant  Stanzides,  dann 
vom  Natternpaar,  dann  von  Frau  Meinhold-Aigner, 
dann  vom  jungen  Herrn  von  Aigner  .  .  . 

FRIEDRICH.  Erlauben  Sie,  daß  ich  vorstelle  .  .  . 
Herr  Paul  Kreindl  —  Herr  Direktor  von  Aigner. 

PAUL.  Ah  . .  .  sehr  angenehm  . . .  Er  schweigt  betroffen^ 
dann  zu  Aigner,  gefaßt.  Ich  habe  nämlich  das  Vergnügen, 
Ihren  Herrn  Sohn  zu  kennen. 

AIGNER  ruhig.    Ich  leider  nicht. 

FRIEDRICH.  Also  was  gibt's  Neues  in  Baden? 
Ruhig.  Wissen  S'  nicht  —  kommt  meine  Frau  viel- 
leicht her? 

PAUL.  Bedaure,  mir  hat  die  gnädige  Frau  nichts 
gesagt. 

FRIEDRICH.    Amüsiert  man  sich  gut? 

PAUL.  Glänzend!  Neulich  waren  wir  alle  zusam- 
men in  der  Arena.  Die  Frau  Gemahlin  wird  Ihnen  ja 
geschrieben  haben. 

FRIEDRICH.    Ja,  natürUch. 

PAUL.  Und  vorher  waren  wir  auf  der  Hauswiese, 
wo  so  eine  Art  Volksfest  stattgefunden  hat.  Wir  haben 
uns  auch  unter  das  Volk  gemischt.  Haben  sogar  ge- 
tanzt. 

FRIEDRICH.    Meine  Frau  auch? 

PAUL.    Ja,  natürlich,  mit  dem  Herrn  Fähnrich  . . . 

368 


Und  in  der  Arena,  da  war  eine  große  Sensation,  wie 
nämlich  die  Schauspieler  von  der  Bühne  plötzlich  die 
berühmte  Frau  Meinhold  in  einer  Loge  entdeckt  haben. 
Sie  haben  dann  eigentlich  nur  mehr  für  uns  gespielt. 

RHÖN.    Was  ist  denn  gegeben  worden? 

PAUL.  Entschuldigen,  darauf  hab*  ich  nämlich  gar 
nicht  aufgepaßt. 

RHÖN.  Für  diese  Menschen  vergießt  man  sein 
Herzblut. 

PAUL  zu  Rhön.  Ah,  ist  da  nicht  Ihre  Frau  Ge- 
raahhn  ?  Die  Herren  entschuldigen.  Zu  Frau  Rhön  und 
Gustl,  die  an  einem  Tisch  sitxen.         ' 

RHÖN  folgt  ihnen. 

FRIEDRICH.    AIGNER. 

FRIEDRICH  zündet  sich  eine  ZigaretU  an  und  setzt  sich. 

AIGNER.  Ich  wußte  gar  nicht,  daß  meine  einstige 
Famiüe  so  viel  in  Ihrem  Hause  verkehrt  ? 

FRIEDRICH.  Ja,  man  sieht  sich  zuweilen.  Ins- 
besondere hat  sich  Ihre  einstige  Gattin  sehr  mit  meiner 
Frau  angefreundet.  Und  mit  Otto  spiel'  ich  manchmal 
Tennis.  Er  spielt  famos.  Überhaupt  —  zu  Ihrem  Sohn 
kann  man  Ihnen  gratulieren.  Man  prophezeit  ihm  eine 
große  Zukunft.  Er  soll  sehr  behebt  sein  bei  seinen  Vor- 
gesetzten. Vielleicht  ist  er  der  künftige  Admiral  von 
Osterreich. 

AIGNER.  Sie  erzählen  mir  Geschichten  von  einem 
fremden,  jungen  Mann. 

FRIEDRICH.  Sagen  Sie,  Aigner,  Sie  haben  wirk- 
hch  nicht  die  geringste  Sehnsucht,  ihn  wiederzusehn  ? 

AIGNER.  Wiederzusehn?  Sie  könnten  höchstens 
sagen,  ihn  kennen  zu  lernen.  Denn  der  Fähnrich  von 
heute  hat  wohl  mit  dem  jungen  Herrn,  dem  ich  vor 
ungefähr  zwanzig  Jahren  den  letzten  Vaterkuß  auf  die 
Stirne  drückte,  weder  äußerhch  noch  innerlich  mehr 
die  geringste  ÄhnHchkeit. 

FRIEDRICH.  Also  nicht  Sehnsucht,  ihn  wiederzu- 
sehn —  aber  Interesse,  ihn  kennen  zu  lernen  — ?    Es 

rhealetstücke.  IV,  34  ^69     - 


wäre  jetzt  eine  famose  Gelegenheit.  Sie  haben  nich- 
8tens  in  Wien  zu  tun  — i 

AIGNER.  Ja,  ich  muß  zum  Minister.  Wir  wollen 
hier  eine  Bahn  bauen,  wie  Ihnen  bekannt  ist.  Über 
Atzwang  Völs  direkt  hier  herauf.  Sie  werden  zugeben, 
daß  hier  noch  drei  Hotels  stehen  könnten. 

FRIEDRICH.  Ich  mache  Ihnen  einen  Vorschlag, 
Aigner.  Steigen  Sie  bei  uns  in  Baden  ab.  In  unserer 
Villa  ist  Platz  genug.  Wir  haben  ein  schönes  Fremden- 
zimmer. Ja.  Ein  sehr  gemütliches.  In  dem  nur  manch- 
mal die  Geister  von  verstorbenen  Freunden  erscheinen, 
die  früher  dort  übernachtet  haben.  Das  geniert  Sie 
doch  nicht  ? 

AIGNER.  Gegen  Geister  von  Verstorbenen  habe 
ich  nichts  einzuwenden,  nein.  Aber  lebendige  Ge- 
spenster sind  mir  unsympathisch. 

FRIEDRICH.  Es  würde  mir  wirklich  verdammt  viel 
Spaß  machen,  Aigner,  Sie  mit  Ihrem  Sohn  bekannt 
zu  machen.  Man  könnte  das  so  hübsch  arrangieren  — 
in  unserm  Garten,  wir  spielen  Tennis,  Sie  erscheinen 
plötzlich  ...  als  vornehmer  Fremder  .  .  . 

AIGNER.  Danke  schön,  mein  guter  Hofreiter.  — 
Ich  sag*  ja  nicht,  daß  ich  einen  Zufall  dieser  Art  vermei- 
den würde,  aber  —  eine  arrangierte  Begegnung,  —  das 
hätte  einen  fatalen  Beigeschmack  von  Sentimentalität. 

FRIEDRICH  beiläufig.    Warum  denn  .  .  .  ? 

AIGNER.  Auch  vergessen  Sie,  daß  ich  bei  dieser 
Gelegenheit  doch  auch  wieder  meiner  verflossenen  Ge- 
mahlin begegnen  müßte  —  und  das  möchte  ich  lieber 
vermeiden. 

FRIEDRICH.    Wie  Sie  glauben. 

Pause. 

AIGNER.  Es  gibt  übrigens  wirklich  sonderbare  Zu- 
f  äUe  .  .  . 

FRIEDRICH.    Wie  meinen  Sie  das? 

AIGNER.  Daß  Sie  mir  gerade  heute  . . .  von  meinem 
Sohn  zu  sprechen  anfangen  ...  bei  Ihrer  Rückkehr  von 
dort  oben  ...       <  •  • 


370 


FRIEDRICH.  Es  fügte  sich  so  .  . .  Wenn  nicht 
Paul  Kreindl  begonnen  hätte  .  .  . 

AIGNER.  Wissen  Sie,  wann  ich  die  Erstbesteigung 
dieses  Turmes  unternahm,  von  dem  Sie  eben  herunter- 
kommen ?  —  Es  war  sehr  bald,  nachdem  ich  mich  von 
. .  .  meiner  Frau  getrennt  hatte. 

FRIEDRICH.  WoUen  Sie  damit  sagen,  daß  da  -^ 
ein  Zusammenhang  bestand? 

AIGNER.  Gewissermaßen  .  .  ,  Ich  will  ja  nicht 
eben  behaupten,  daß  ich  den  Tod  gesucht  habe  —  der 
wäre  einfacher  zu  haben  gewesen  —  aber  viel  am  Leben 
lag  mir  damals  nicht.  Vielleicht  auch,  daß  ich  eine  Art 
Gottesurteil  herausfordern  wollte. 

FRIEDRICH.  Hören  Sie,  wenn  alle  Ehemänner  in 
einem  solchen  Fall  auf  Felsen  klettern  wollten  .  .  .  die 
Dolomiten  würden  einen  possierlichen  Anblick  bieten. 
Sie  haben  doch  schließlich  nichts  schlimmeres  getan, 
als  mancher  andere  auch. 

AIGNER.  Es  kommt  immer  nur  darauf  an,  wie  so 
etwas  von  dem  andern  Teil  empfunden  wird  . . .  Meine 
Gattin  hatte  mich  sehr  geliebt. 

FRIEDRICH.  Das  hätte  ein  Grund  mehr  für  sie 
sein  sollen,  nicht  unversöhnlich  zu  bleiben. 

AIGNER.  Möglich.  Aber  auch  ich  hatte  sie  sehr 
gehebt.  Hier  hegt  das  Problem!  —  UnendUch  .  .  .  Wie 
keine  früher  und  keine  ...  na,  lassen  wir  das.  Sonst 
war'  es  ja  zu  reparieren  gewesen.  Aber  gerade,  daß  ich 
sie  so  sehr  liebte  —  und  trotzdem  fähig  war,  sie  zu  be- 
trügen .  .  .  sehen  Sie,  mein  lieber  Hofreiter,  das  machte 
sie  irre  an  mir  und  an  der  ganzen  Welt.  Nun  gab  es 
überhaupt  keine  Sicherheit  mehr  auf  Erden  .  .  .  keine 
MögUchkeit  des  Vertrauens,  verstehen  Sie  mich,  Hof- 
reiter —  ?  —  Nicht,  daß  es  geschehn,  nein,  daß  es 
überhaupt  möglich  gewesen  war,  das  war's,  was  sie 
von  mir  forttrieb.  Und  ich  mußte  es  begreifen.  Ich 
hätte  es  sogar  vorhersehen  können. 

FRIEDRICH.  Ja,  da  muß  ich  allerdings  fragen, 
warum  . . . 


371 


AIGNER.  Warum  ich  sie  betrogen  habe  —  ?  .  .  . 
Sie  fragen  mich  f  Sollt'  es  Ihnen  noch  nicht  aufgefallen 
sein,  was  für  komplizierte  Subjekte  wir  Menschen  im 
Grunde  sind?  So  vieles  hat  zugleich  Raum  in  uns  — ! 
Liebe  und  Trug  .  .  .  Treue  und  Treulosigkeit  .  .  .  An- 
betung für  die  eine  und  Verlangen  nach  einer  andern 
oder  nach  mehreren.  Wir  versuchen  wohl  Ordnung 
in  uns  zu  schaffen,  so  gut  es  geht,  aber  diese  Ordnung 
ist  doch  nur  etwas  Künstliches  .  .  .  Das  Natürliche  .  .  . 
ist  das  Chaos.  Ja  —  mein  guter  Hofreiter,  die  Seele  .  .  . 
ist  ein  weites  Land,  wit  ein  Dichter  es  einmal  aus- 
drückte ...  Es  kann  übrigens  auch  ein  Hoteldirektor 
gewesen  sein. 

FRIEDRICH.  Der  Hoteldirektor  hat  nicht  so  un- 
recht ...  ja.  Pause.  Das  Malheur  war  im  Grunde 
nur,  daß  Ihre  Gattin  Ihnen  draufgekommen  ist.  Sonst 
wären  Sie  vielleicht  heute  noch  die  glücklichsten  Ehe- 
leute. 

AIGNER.    Ein  Malheur  —  ja  .  .  .!  — 

FRIEDRICH.  Wie  hat  sie's  denn  eigentlich  er- 
fahren? 

AIGNER.  .  .  .  Wie  ?  Auf  die  einfachste  Art  von  der 
Welt  .  .  .    Ich  hab'  es  ihr  gestanden  .  .  . 

FRIEDRICH.    Wie  —  ?    Sie  haben  ihr  -    ? 

AIGNER.  Ja.  Das  war  ich  ihr  schuldig  —  gerade 
weil  ich  sie  anbetete.  Ihr  und  mir.  Ich  wäre  mir  recht 
feig  vorgekommen,  wenn  ich's  ihr  verschwiegen  hätte. 
So  leicht  darf  man  sich  die  Dinge  doch  eigentlich  nicht 
machen.    Finden  Sie  nicht  .  .  .  ? 

FRIEDRICH.  Das  war  ziemlich  großartig  gedacht 
—  wenn  es  nicht  eben  nur  eine  Art  Affektation  war. 
Oder  Raffinement .  .  .    Oder  Bequemlichkeit .  .  . 

AIGNER.  Oder  alles  zugleich,  was  auch  möglich 
wäre.    Denn  die  Seele  —  und  so  weiter. 

FRIEDRICH.  Und  trotz  dieser  fabelhaften  Auf- 
richtigkeit —  und  trotz  aller  Liebe  hat  Ihre  Frau  sich 
nicht  entschUeßen  können,  Ihnen  zu  — 

AIGNER.   Sagen  Sie  um  Gottes  willen  nicht  „ver- 


372 


zeihn".  Worte  dieser  Art  passen  hier  durchaus  nicht 
her.  Es  gab  auch  niemals  eine  Szene  zwischen  uns 
oder  dergleichen.  Es  war  nur  zu  Ende,  mein  guter 
Hofreiter,  zu  Ende,  unwiderruflich  zu  Ende.  Sofort . . . 
Das  fühlten  wir  beide.    Es  mußte  zu  Ende  sein  . . . 

FRIEDRICH.    Es  mußte  —  ? 

AIGNER.  Mußte.  Ja.  Nun,  lassen  wir  —  die  Leben- 
den ruhn.  Die  Toten  besorgen  das  im  allgemeinen 
auch  ohne  unser  Zutun. 

FRAU  WAHL  kommt  von  oben.   Ah,  da  ist  er  ja  — ! 

FRIEDRICH.    Küss'  die  Hand,  Mama  Wahl. 

FRAU  WAHL.  Mit  Ihnen,  Friedrich,  red'  ich  über- 
haupt niemals  ein  Wort  mehr.  Und  wenn  sie  abge- 
stürzt wäre  ?  Wie  ständen  Sie  da  ?  Könnten  Sie  mir 
je  wieder  unter  die  Augen  treten  ?  Auch  mit  dem 
Doktor  Mauer  bin  ich  fertig.  Wo  ist  er  denn  ?  Es  ist 
ja  ungeheuerlich.    Ich  könnte  euch  beiden  .  .  . 

FRIEDRICH.  Aber,  Mama  Wahl,  die  Erna  war' 
auch  ohne  uns  hinaufgeklettert. 

FRAU  WAHL.    Ihr  hättet  sie  anbinden  müssen. 

FRIEDRICH.  Das  war  sie,  Mama  Wahl.  Das  waren 
wir  alle.    An  einem  und  demselben  Seil. 

FRAU  WAHL.    Ein  Narrenseil  gehört  für  euch. 

ERNA  kommt  im  weißen  Sommerkleid.    Guten   Abend. 

AIGNER.   Gott  grüße  Sie,  Erna.    Gott  grüße  Sie. 

Er  nimmt  sie  bei  den  Händen  und  küßt  sie  auf  die  Stirn.  Sie 
erlauben. 

FRIEDRICH.  Wie  der  alteLiszt  die  jungen  Klavier- 
spielerinnen. 

ERNA  küßt  Aigner  die  Hand.  Und  wie  eine  ganz  junge 
Klavierspielerin  dem  noch  nicht  besonders  alten  Liszt. 

AIGNER.    Aber  Erna  .  .  . 

FRAU  WAHL.    Das  aucn  noch. 

ERNA.  Es  war  die  schönste  Stunde,  Herr  von 
Aigner,  die  ich  je  erlebt  habe. 

AIGNER.  Ja,  dort  oben!  .  .  .  Und  doch  hoff  ich, 
Sie  werden  noch  schönere  erleben,  Erna. 

ERNA.  Das  halt'  ich  für  schwer  möglich.  Daß  das 


373 


Leben  einem  wieder  einmal  geradeso  schön  vorkommt, 
das  könnte  sich  ja  vielleicht  ereignen.  Aber  daß  einem 
der  Tod  zu  gleicher  Zeit  so  vollkommen  gleich- 
gültig ist,  das  passiert  einem  gewiß  nur  bei  solchen 
Gelegenheiten.  Und  das  .  .  .  das  ist  das  Wunder- 
volle! .  .  . 

Indes  ist  die  Ptst  angelangt.    Rosenstock  ordnet  Briefe,  Hotelgäste 
kommen^  empfangen  ihre  Korrespondenz  usw. 

PAUL.  Fräulein  Erna,  gestatten  Sie  auch  mir,  Ihnen 
meine  Bewunderung  zu  Füßen  zu  legen. 

ERNA.  Grüß'  Sie  Gott,  Paul,  wie  geht  es  Ihnen  ? 

PAUL.  Ja,  zum  Teufel,  pardon  .  .  .  wundert  sich 
denn  niemand,  daß  ich  da  bin  ?  , 

FRIEDRICH  der  sitzt.  Hören  Sie,  Paul,  es  ist  ein 
viel  größeres  Wunder,  daß  wir  da  sind. 

AIGNER  steht  mit  einer  schönen  Französin  etwas  abseits. 

RHÖN  zu  Frau  Wahl.  Sehen  Sie  doch,  gnädige  Frau, 
das  ist  die  morgige.    Er  sammelt  Vorräte  .  .  . 

ERNA  zu  Frau  Wahl,  die  sich  von  Rosenstock  ihre  Briefe  bat 
geben  lassen.     Na,   Mama  .  .  .  ? 

FRAU  WAHL.  Von  Haus.  Ah,  da  ist  eine  Karte 
von  Ihrer  Frau.  Zu  Friedrich.  Sie  läßt  Sie  schön 
grüßen,  Friedrich. 

FRIEDRICH.  Daß  sie  kommt  —  schreibt  sie  Ihnen 
nicht  ? 

ROSENSTOCK.  Da  sind  auch  Briefe  für  Sie,  Herr 
Hofreiter. 

FRIEDRICH  steht  auf.  So  ?  Ah,  da  ist  ja  auch  einer 
von  Genia. 

GUS1L  legt  sich  Briefe  auf  die  Stirne. 

FRAU  RHÖN  zu  Gusü.    Was  machen  Sie  denn  da  ? 

GUSTL.  Ich  lese  nämlich  Briefe  schon  lange  nicht 
mehr.  Ich  leg'  sie  mir  einfach  auf  die  Stirne  und  weiß, 
was  drin  steht. 

FRAU  WAHL  zu  Friedrieb.  Also  kommt  sie  vielleicht 
doch? 

FRIEDRICH.  Nein.  Sie  schreibt,  daß  Percy  seine 
Ankunft  verschoben  hat,  er  ist  zu  Freunden  nach  Rich- 


374 


mond  geladen,  bleibt  acht  Tage  dort.  So  ein  Lauibub', 
—  und  hat  schon  Freunde  in  Richmond. 

RHÖN  xitzt  und  liest  seine  Korresponden».     Ha  .  .  . 

FRJU  RHÖN.    Was  ist  denn? 

RHÖN.  Es  ist  unglaublich.  Diese  Rundfragen!  — 
Man  muß  sagen,  die  Leute  werden  immer  neugieriger. 
Früher  haben  sie  sich  begnügt  zu  fragen,  ob  man  Mak- 
karoni  oder  Pfirsichkompott  lieber  ißt,  ob  Wagner  ge- 
kürzt oder  ungekürzt  aufgeführt  werden  soll.  Aber 
was  sie  jetzt  schon  von  einem  wissen  wollen  .  .  .  Hören 
Sie  sich  das  einmal  an,  Hofreiter. 

FRIEDRICH  sitzt  am  Nacbbartiscb  und  schaut  sein*  Britft 
durch. 

RHÖN.  Da  fragt  eine  Frauenzeitschrift:  a)  in  wel- 
chem Alter  man  zuerst  das  Glück  der  Liebe  genossen, 
b)  ob  man  jemals  perverse  Neigungen  verspürt  habe. 

AIGNER  zu  Hofreiur.  Eben  erhalte  ich  eine  Anfrage, 
ob  man  in  unserm  Weiher  auch  baden  kann. 

RHÖN.    Bei  fünf  Grad  ...  brr!  — 

AIGNER.  Ja,  wenn  sich  das  noch  machen  ließe  — 
da  wäre  die  Schweiz  einfach  tot .  . . 

RHÖN.  Hören  Sie,  ich  habe  eine  Idee.  Sie  müssen 
mich  natürlich  am  Gewinn  beteiligen.  Sie  haben  doch 
da  ungeheure  Wasserkräfte,  die  Fälle,  die  von  den  Ber- 
gen herabstürzen  .  .  .  wie  wär's,  wenn  Sie  Ihren  See 
elektrisch  durchwärmen  ließen? 

AIGNER  lacht. 

RHÖN.  Sie  lachen  .  .  .  Natürlich!  Aber  wenn  ich 
nur  was  vom  Technischen  verstünde  —  ich  würde  euch 
die  ganze  Anlage  selber  baun  ...  so  deutlich  seh'  ich's 
innerlich  vor  mir!  Nur  das  Manuelle  fehlt  mir.  Wenn 
ich  auch  das  hätte,  ich  glaube,  ich  hätte  nie  eine  Feder 
angerührt. 

FRIEDRICH.  Ich  denk'  mir  überhaupt  manchmal, 
ob  die  Dichter  nicht  meistens  nur  aus  gewissen  innem 
Mängeln  .  .  .  Dichter  werden  — ? 

RHÖN.    Wie  meinen  Sie  das  —  ? 

FRIEDRICH.  Ich  stell'  mir  vor,  viele  Dichter  sind 


375 


geborene  Verbrecher  —  nur  ohne  die  nötige  Kouragc 
—  oder  Wüstlinge,  die  sich  aber  nicht  gern  in  Unkosten 
stürzen  ... 

RHÖN.  Und  wissen  Sie,  was  Fabrikanten  von  Glüh- 
lichtern gewöhnlich  sind,  Herr  Hofreiter?  .  .  .  Glüh- 
lichterfabrikanten —  sonst  nichts. 

FRIEDRICH.    War*  gut,  wenn's  wahr  war»  .  . . 

EIN  BOT  bringt  Friedrich  einen  Brief. 

FRIEDRICH  macht  ihn  auf,  lächelt  und  beißt  sieb  in  ii* 
Lippen. 

ERNA  hat  es  gesehn. 

FRAU  WAHL.  Adieu,  ich  muß  mich  noch  umklei- 
den, adieu,  kleine  Dichtersfrau,  adieu,  großer  Dichter. 

GUSTL  öffnet  eben  einen  seiner  Briefe. 

FRAU  RHÖN.    Sie  machen  ihn  ja  doch  auf. 

GUSTL.  Das  ist  nur  zur  Kontrolle.  Die  Leut' 
schreiben  einem  ja  manchmal  das  Unrichtige. 

Frau  Rhön  und  Gustl  nach  rückivärts,  dann  ab.    Aigner  zu  Rossn- 

stock,  dar.n  ab. 

RHÖN  entfernt  sich  gleichfalls. 

Es  wird  beinahe  ganz  leer  in  der  Halle. 

ERNA  über  Friedrichs  Schulter  schauend.    Liebesbrief  ? 

FRIEDRICH.  Raten  Sie  von  wem  ?  Von  Mauer  .. . 

ERNA.    Oh  .  .  . 

FRIEDRICH.  Er  hat  soeben  ein  dringendes  Tele- 
gramm aus  Wien  erhalten.  Mußte  sofort  abreisen  .  .  . 
Ist  schon  fort .  .  .  Ich  möchte  ihn  allseits  bestens  emp- 
fehlen. 

ERNA.    Ich  dachte  mir  so  was. 

FRIEDRICH.  Ich  auch.  Schon  diese  Lustigkeit 
gestern  abend,  beim  Nachtmahl  in  der  Hütte!  Und 
dann  seine  Stimmung  heute  beim  Anstieg.  Beim  Zurück- 
gehn  hat  er  überhaupt  kein  Wort  mehr  gesprochen  .  .  . 
Ja,  Erna,  auf  einer  freiliegenden  Wiese,  fünfzig  Schritte 
von  einer  Hütte  mit  zwanzig  Fenstern,  sollte  man  sich 
eben  nicht  um  den  Hals  fallen. 

ERNA.    Sie  glauben,  daß  er  das  gesehn  hat? 

FRIEDRICH.    Wahrscheinhch. 


376 


ERNA.  Und  glauben  Sie,  wenn  das  auf  der  Wiese 
nicht  passiert  wäre,  er  wäre  nicht  abgereist  ?  Da  sind 
Sie  im  Irrtum.  Wir  hätten  einander  gar  nicht  ansehn 
müssen  und  er  hätte  es  bemerkt,  geradeso  wie  die  an- 
dern es  merken  .  .  . 

FRIEDRICH.  Was  sollen  denn  die  andern  merken  ? 

ERNA.    Wie  es  mit  uns  zweien  steht. 

FRIEDRICH.  Aber  Erna,  wie  sollen  denn  diese 
Leute  .  .  . 

ERNA.  Wir  haben  vielleicht  so  eine  Art  Schein  um 
den  Kopf. 

FRIEDRICH  lacht. 

ERNA.  Ja,  so  etwas  ähnliches  muß  es  sein.  Das 
hab'  ich  mir  schon  manchmal  gedacht.  Wieso  wissen 
denn  gleich  alle  Leute  so  was  .  .  . 

FRIEDRICH.    Ich    hätte  abreisen  sollen,  Erna. 

ERNA.    Das  wäre  aber  gescheit  gewesen!! 

FRIEDRICH.    Sie  sollten  nicht  kokett  sein,  Erna. 

ERNA.    Das  bin  ich  wirklich  nicht. 

FRIEDRICH.    Also  was  sind  Sie  denn? 

ERNA.    Ich  bin,  wie  ich  eben  bin. 

FRIEDRICH.  Das  ist  Ihr  Vorteil  mir  gegenüber. 
Ich  bin  nämlich  nicht  mehr,  der  ich  war.  Ich  bin  toll 
seit  dem  Kuß  gestern,  toll.  Kommen  Sie  doch  näher, 
Erna.  Faßt  ihre  Hand.  Setzen  Sie  sich  hier  mir  gegenüber. 

ERNA.    Was  sind  Sie  denn  so  grob  .  .  .1 

FRIEDRICH.  Erna,  ich  hab'  kein  Auge  zugetan 
diese  Nacht. 

ERNA.  Das  tut  mir  leid.  Ich  hab'  wundervoll  ge- 
schlafen. 

FRIEDRICH.  In  dieser  dumpfen  Hüttenluft  geht's 
mir  übrigens  meistens  so. 

ERNA.  Sie  hätten's  machen  sollen  wie  ich.  Ich 
hab'  mir  meinen  Plaid  auf  die  Wiese  hinausgeholt  — 
auf  unsere  Wiese  und  hab'  mich  im  Freien  hingelegt. 

FRIEDRICH.    Haben  Sie  nicht  gefroren? 

ERNA.  Nein.  Ich  hab'  mir  aus  der  Wirtsstube  Ihren 
Mantel  geholt  und  mit  dem  hab'  ich  mich  zugedeckt. 


$77 


FRIEDRICH.  Also  Hexenkünste  auch  noch?  E« 
ging  auch  ohne  die,  Erna! 

ERNA.  So  hab'  ich  von  zehn  bis  drei  herrlich  ge- 
schlafen, unter  den  Sternen,  und  dann  bin  ich  erst 
zurück  ins  Zimmer  zur  guten  dicken  Frau  Rhön. 

FRIEDRICH.  Erna,  Erna!  Ich  war' imstande,  eine 
rasende  Dummheit  zu  begehn.  Plötzlich  versteh'  ich 
allen  Unsinn,  über  den  ich  mich  früher  lustig  gemacht 
habe.  Ich  verstehe  Fensterpromenaden,  Serenaden 
Gesu.  Ich  versteh',  daß  man  mit  gezücktem  Messer 
auf  einen  Rivalen  losgehn,  aus  unglücklicher  Liebe  in 
einen  Abgrund  springen  kann. 

ERNA.  Warum  Sie  von  unglücklicher  Liebe  reden  ? 

FRIEDRICH  ernst.  Wozu  sich  täuschen,  Erna !  Das 
gestern  abend  .  .  .  überhaupt  diese  ganze  Partie,  der 
Augenblick  auf  dem  Gipfel  oben,  der  Händedruck, 
dieser  Wahn  des  Zusammengehörens,  dieses  ungeheure 
Glücksgefühl,  es  war  wohl  alles  nur  eine  Art  von  Rausch, 
von  —  Bergrausch.  Wenigstens  für  Sie.  Hängt  mit 
den  dreitausend  Meter  Höhe  zusammen,  mit  der  dün- 
nen Luft,  mit  der  Gefahr.  Aber  ich  persönlich  habe 
wohl  die  geringste  Rolle  gespielt  in  Ihrer  Stimmung. 

ERNA.  Warum  sagen  Sie  das  ?  Ich  liebe  Sie  ja 
schon  seit  meinem  siebenten  Jahr.  Allerdings  mit  Un- 
terbrechungen. Aber  in  der  letzten  Zeit  ist  es  wieder 
sehr  schlimm  geworden.  Ich  mache  keinen  Spaß.  Und 
gar  gestern  und  heut  —  und  da  oben  —  und  jetzt! 
.  .  .  Ach  Gott,  Friedrich,  ich  möcht'  Ihnen  so  gern  in 
die  Haare  fahren  und  sie  verstruweln. 

FRIEDRICH.  Geben  Sie  doch  acht.  Es  ist  ja  nicht 
notwendig.  Hören  Sie,  Erna,  —  ich  will  Sie  was  fragen. 

ERNA.    Also  fragen  Sie. 

FRIEDRICH.  Also  —  Wie  dächten  Sie  darüber  . .  . 
Hören  Sie  mich  gut  an!  —  Ich  bin  nämlich  jetzt  wie- 
der ganz  vernünftig.  Also  Erna,  Sie  wissen  ja  —  meine 
Ehe,  darüber  muß  ich  Ihnen  ja  nichts  weiter  erzählen. 
Die  Schuld  lag  ja  größtenteils  an  mir.  Immerhin  — 
wir  passen  doch  nicht  so  recht  zusammen,  Genia  und 

37« 


ich.  Und  besonders  seit  der  sonderbaren  Geschichte 
mit  Korsakow,  die  ich  Ihnen  ja  erzählt  habe  .  .  .  Ach 
Gott,  warum  mach'  ich  soviel  Worte.  Ich  möcht'  mich 
von  Genia  scheiden  lassen  .  .  .  und  Sie  heiraten,  Erna. 

ERNA  lacht. 

FRIEDRICH.    Na...? 

ERNA.  Weil  Sie  früher  gesagt  haben,  Sie  wären 
imstande,  eine  rasende  Dummheit  zu  begehen. 

FRIEDRICH.  Es  wäre  vielleicht  keine,  wenn  man's 
gleich  nähme,  wie  es  zu  nehmen  ist.  Ich  weiß,  Erna, 
Sie  werden  mich  nicht  ewig  lieben. 

ERNA.    Aber  Sie  mich!!! 

FRIEDRICH.  Eher  .  .  .  Übrigens,  Ewigkeit!  Man 
steigt  im  nächsten  Jahr  wieder  auf  so  ein  Türmchen 
hinauf,  und  es  ist  aus  mit  der  Ewigkeit.  Oder  sie  fängt 
erst  recht  an.  Also  was  das  anbelangt!  Ich  weiß  nur, 
das  weiß  ich  mit  absoluter  Sicherheit,  daß  ich  ohne 
Sie  nicht  existieren  kann.  Ich  vergehe  vor  Sehnsucht 
nach  Ihnen,  ich  werde  nichts  mehr  denken  können, 
nichts  mehr  arbeiten,  überhaupt  mich  mit  nichts  mehr 
Vernünftigem  beschäftigen,  eh'  Sie  ...  eh'  ich  Sie  in 
den  Armen  halte,  Erna. 

ERNA.  Warum  habeii  Sie  nicht  Ihren  Mantel  ge- 
holt, heut  nacht  ?  .  .  . 

FRIEDRICH.  Ich  bitte  Sie  dringend,  spielen  Sie 
nicht  mir  mir,  Erna.  Ich  bin  doch  ehrlich  genug  mit 
Ihnen.  Sagen  Sie  einfach  nein  und  die  Sache  ist  er- 
ledigt. Mauer  wird  noch  einzuholen  sein.  Zum  lächer- 
lich werden  hab'  ich  keine  Anlage.  Wollen  Sie  meine 
Frau  werden  ? 

ERNA.    Frau?  --  Nein. 

FRIEDRICH.    Na,  gut. 

ERNA.    Vielleicht  später  einmal. 

FRIEDRICH.    Später  —  ? 

ERNA.    Lesen  Sie  Ihre  Briefe  weiter. 

FRIEDRICH.  Wozu?  Die  Fabrik  kann  von  mir  aui 
in  die  Luft  gehn.  Alles  kann  in  die  Luft  gehn.  Was 
heißt  das:  später!    Das  Leben  ist  nicht  gar  so  lang. 


379 


Frist  gewähr*  ich  keine.  Ein  Kuß  wie  der  von  gestern  ver- 
pflichtet. Entweder  zu  sofortigem  Abschied  oder  zu 
einem  bedingungslosen  Ja.  Warten  kann  ich  nicht.  Werd' 
ich  nicht.  Sagen  Sie  nein  und  ich  fahre  noch  heute  ab. 

ERNA.  Ich  spiele  nicht  mit  Ihnen.  Ich  weiß,  wozu 
mich  unser  Kuß  verpflichtet. 

FRIEDRICH.    Erna  .  .  . 

ERNA.  Haben  Sie  es  denn  nicht  immer  gewußt, 
daß  ich  Ihnen  gehöre  ? 

FRIEDRICH.    Erna  .  .  .  Erna! 

Tamtam  ertönt. 

Der  Tourist,  der  zu  Beginn  des  Aktes  eingeschlafen  ist^  wacht  aus 

einem  Traum  auf,  erhebt  sich,  schreit  auf,  heult  geradezu  und  stürzt 

über  die  ganze  Bühne^  endlich  hinaus. 

FRAU   WAHL  kommt  herunter. 

AIGNER  trifft  mit  ihr  zusammen.  Ah,  das  ist  ja  eine 
Schnalle,  die  ich  noch  gar  nicht  kenne!  Entzückend  . . . 

FRIEDRICH.  O,  da  haben  wir  uns  nett  verplaudert. 
Ich  hab'  nicht  einmal  mehr  Zeit,  mich  umzukleiden. 

FRAU  WAHL.  Sie  sind  auch  so  schön  genug.  Wo 
ist  denn  übrigens  der  Doktor  Mauer? 

FRIEDRICH.  Ja,  richtig,  er  läßt  sich  bestens  emp- 
fehlen, er  hat  ein  Telegramm  bekommen,  er  mußte 
plötzlich  abreisen. 

FRAU  WAHL.  Ein  Telegramm,  Doktor  Mauer? 
Das  ist  doch  .  .  .  Kinder,  man  verschweigt  mir  was. 
Er  ist  abgestürzt !  .  .  .    Er  ist .  .  .  tot ! 

FRIEDRICH.  Na,  hören  Sie,  Mama  Wahl,  glauben 
Sie,  da  könnten  wir  hier  so  gemütlich  .  .  . 

FRAU  WAHL.  Na,  bei  euch  kann  man  das  nicht 
wissen. 

FRIEDRICH.  Ich  hätte  wenigstens  schwarze  Hand- 
schuhe genommen. 

SERKNITZ  kommt  in  Frack,  toeißer  Krawatte,  zu  Aigner 
bin.  Ich  habe  die  Ehre  mich  gehorsamst  zu  melden, 
Herr  Direktor.  Die  Wäsche  ist  angelangt  und  ich  war 
so  frei,  mich  sofort  in  eine  den  Ansprüchen  Ihres  Hotels 
entsprechende  Toilette  zu  werfen. 

380 


AIGNER.  Sie  sehn  geradezu  verführerisch  aus,  Herr 
von  Serknitz.  - 

SERKNITZ   in  den  Speisesaal. 

FRAU  WAHL  und  AIGNER  gUicbfaUs. 

Frau  Rhön  und  Gustl,  Rbon^  Meyer,  verschiedene  andere^  die  von 
der  Treppe  herunterkommen^  in  den  Speisesaal. 
ERNA   und  FRIEDRICH  zusammen. 

FRIEDRICH  laut.  Kommen  Sie,  Erna.  Leise.  Weißt 
du  noch,  was  du  früher  gesagt  hast  ? 

ERNA.    Ja. 

FRIEDRICH.  Da  drin  wird  also  heute  unser  Hoch- 
zeitsdiner serviert. 

ERNA.  Und  es  wird,  Gottseidank,  keiner  einen 
Toast  halten. 

FRIEDRICH.    Und  du  gehörst  mir. 

ERNA.    Ja. 

FRIEDRICH.  Erna,  überleg*  dir  gut,  was  du  sagst. 
Wenn  heute  nacht  deine  Tür  versperrt  sein  sollte,  so 
schlag*  ich  sie  ein  und  es  ist  um  uns  beide  geschehn. 

ERNA.    Es  wird  nicht  um  uns  geschehn  sein. 

FRIEDRICH.    Erna...! 

ERNA.  Und  ich  ahne,  es  gibt  noch  schönre  Stunden, 
als  die  dort  oben  war  auf  dem  Aignerturm. 

FRIEDRICH.    Erna  ... 

ERNA  erst  jetzt  mit  dem  vollen  Ton  der  Wahrheit.  Ich 
liebe  dich!  — 

Sie  gehn  in  den  Speisesaal. 

■Vorhang. 


VIERTER  AKT 

Dsioraiion  des  zweiten  Aktes.  —  Sommernachmittag, 

Unter  dem  Nußbaum  die  xroei  Kitidn  der  Frau  Natter,  ein  neun- 
jähriges Mädel  und  ein  siebenjähriger  Bub'  mit  ihrer  Miß,  die  ihnen 

die  Bilder  in  einem  Buch  xeigt. 
Aus  dem  Hause  kommen  nach  und  nach  Genia,  Natter,  Frau  Wahl, 
Demeter  Stanzides,  Gustl,  Paul,  Erna,   Otto,  Frau  Adele  Natter. 

NATTER.  Das  Diner  zu  Ehren  der  Rückkehr  un- 
seres geschätzten  Hausherrn  war  vorzüglich.  Nur 
schade,  daß  er  selbst  nicht  dabei  war. 

GENIA.  Jedenfalls  ist  er  in  der  Fabrik  aufgehalten 
worden. 

NATTER.  Kein  Wunder  nach  einer  dreiwöchent- 
lichen Abwesenheit. 

FRAU  WAHL.  Haben  Sie  ins  Bureau  hineintele- 
phoniert,  Genia? 

GENIA.  Dazu  war  doch  kein  Anlaß,  ich  hatte  ihn 
sicher  für  Mittag  erwartet,  nach  dem  gestrigen  Tele- 
gramm aus  Innsbruck.  Sie  ist  jetzt  drüben  bei  den  Kindern. 
Gefallen  euch  die  Bilder,  ja  ?  .  . . 

KINDER.    Oh  ja. 

GENIA.  Ihr  müßt  eure  Mama  bitten,  daß  sie  euch 
am  nächsten  Sonntag  wieder  mit  herausbringt,  da  ist 
dann  der  Percy  sicher  schon  da.  Also  was  wollt  ihr 
denn  jetzt  machen? 

GUSTL.  Kinder,  ich  werd'  euch  ein  wunderschönes 
Spiel  zeigen,  das  die  braven  Hindukinder  spielen  an 
den  Ufern  des  Ganges.  Paßt  nur  gut  auf.  Bitt*  schön, 
Fräulein,  geben  Sie  mir  Ihren  Sonnenschirm.  Danke 
sehr.  Also  da  zeichne  ich  drei  konzentrische  Kreise 
in  den  Sand,  der  eine  hat  einen  Durchmesser  von  einem 
Meter,  der  mittlere  von  dreiviertel,  der  innere  einen 
halben.  Zu  den  andern,  die  nahestehen,  lachen,  uu  Frau  Wahl, 
Paul,  Adele,  Genia.  Also  bitte,  das  treffen  die  Hindu- 
kinder mit  mathematischer  Genauigkeit  auf  einen  Milli- 
meter. Jetzt  paßt  gut  auf.  Dann  wird  eine  Tangente 
gezogen,  längs  des  äußern  Kreises,   eine  zweite  senk- 

381 


recht  darauf,  längs  des  mittleren.  Eine  dritte,  wiedei 
parallel  zur  ersten,  längs  des  innem.  Dadurch  entstehn 
selbstverständlich  Segmente.  Jetzt  setzt  man  in  das 
äußerste  Segment  östlich  —  Er  nimmt  aus  seiner  Westen- 
tasche einen  kleinen  Kompaß,  xu  den  andern,  die  wieder  lachen. 
Hab'  ich  immer  bei  mir.  Ich  begreif  überhaupt  nicht, 
wie  ein  anständiger  Mensch  ohne  Kompaß  herumgehn 
kann.  Also  dort  ist  Osten.  In  das  äußerste  Segment 
kommt  eine  kleine  Schildkröte  ...  in  das  westliche  ein 
Skorpion,  dem  man  natürlich  schon  den  Stachel  aus- 
gezogen hat  .  .  .  Also  was  werden  wir  da  in  Europa 
nehmen  statt  dem  Skorpion  ?  Der  siebenjährige  Bub'  fängt 
an  zu  toeinen. 

ADELE.  Jetzt  hören  Sie  aber  auf,  Gustl!   Miß  .  . . 

will  you  —  ah  was!  .  .  .  Sie  gibt  das  Englisch  auf.  Bitt' 
Sie  Miß,  gehn  S'  mit  den  Kindern  da  hinten  auf  die 
Wiese,  da  ist  Platz  zum  Spielen  ...  Zu  den  Kindern. 
Und  da  erzählt  euch  niemand  so  grausUche  Geschichten 
von  Skorpionen  und  Tangenten. 

Das  Fräulein  mit  den  Kindern  ab. 

Demeter  Stanzides  hat  sich  auf  die  kleine  Bank  ruhen  dem  Eingang 
gesetzt  und  eine  Zeitung  in  die  Hand  genommen,  die  dort  lag.  Stellung 
von  links  nach  rechts:  Stanzides  links  auf  der  Bank.  In  seiner  Nähe 
Frau  Wahl  und  Otto.  Dann  Paul,  Erna.  Ganz  rechts  Gustl,  Adele, 
Genta. 

STANZIDES.  Hört,  hört!  Er  liest.  „Wie  uns  vom 
Hotel  Völser  Weiher  berichtet  wird,  hat  dort  vor  weni- 
gen Tagen  eine  junge  Dame  aus  Wien,  Fräulein  Erna 
Wahl,  in  Begleitung  zweier  Wiener  Touristen,  des  Fa- 
brikanten Hofreiter  und  des  bekannten  Arztes  Doktor 
Mauer  den  Aignerturm  bestiegen,  eine  durch  ihre  Ge- 
fährlichkeit .  .  ." 

ERNA.  Kommen  Sie,  Paul,  gehn  wir  Tennis  spielen. 

PAUL.  Sehr  einverstanden.  Zu  Adele.  Gnädige  Frau  ? 
Herr  Fähnrich? 

ADELE.    Ich  spiel*  nicht  gleich  nach  dem  Essen. 

OTTO.  Mir  gestatten  Sie  wohl  auch  noch  meine 
Zigarette  zu  rauchen, 

383 


PAUL.  Gut.  Wir  werden  heute  überhaupt  lauter 
Singles  spielen.  Ein  Singletournier.  Hoff  entlich  kommt 
der  Herr  Hofreiter  noch  zurecht,  damit  er  sich  daran 
beteiligen  kann.  Heute  muß  das  Verhältnis  nämlich 
endgültig  klar  gestellt  werden  .  .  . !    Ab  mit  Erna. 

FRAU  WAHL.    Wie  heißt's  denn  weiter? 

STANZIDES  liest  neiter.  „Eine  durch  ihre  Ge- 
fährlichkeit berüchtigte  Felsenspitze  in  den  südwest- 
lichen Dolomiten.  Dieselbe  wo  vor  sieben  Jahren  ein 
junger  Arzt,  Doktor  Bemhaupt,  durch  Absturz  .  .  ." 

FRAU  WAHL.  Ja,  Frau  Genia,  auf  solche  Berge 
haben  sie  die  Erna  hinaufgeschleppt.  So  bös'  bin  ich 
in  meinem  ganzen  Leben  nicht  gewesen,  wie  auf  den 
Doktor  Mauer  und  auf  Ihren  Gatten. 

GUSTL.  Aus  lauter  Angst  vor  der  Mama  sind  die 
beiden  Herren  sofort  abgefahren. 

GENIA  mit  Blick  auf  Erna,  lächelnd.  Ja,  es  scheint,  den 
Friedrich  hat  das  böse  Gewissen  ganz  ruhelos  gemacht. 
Jeden  Tag  hab'  ich  von  anderswoher  eine  Karte  bekom- 
men, aus  Caprile,  Pordoi  und  Gott  weiß  noch  woher. 

FRAU  WAHL  bat  die  Zeitung  in  die  Hand  genommen  und 
blättert.   Was  ist  denn  das  eigentHch  für  eine  Zeitung  i 

NATTER.  Jetzt  sind  gnädige  Frau  doch  stolz  auf 
den  Ruhm  von  Fräulein  Erna  .  .  . 

FRAU  WAHL.    Stolz  --  ich? 

GENIA  ist  binübergekcmmeny  ungefähr  bis  zur  Mitte,  zoo  Frau 
Wahl  stebu  Was  ist  das  für  ein  Blatt  ?  Ich  kenn's  gar 
nicht .  .  .  wie  kommt  das  her  ? 

FRAU  WAHL.    Da  ist  ja  was  rot  angestrichen. 

STANZIDES.  Was  rot  angestrichen  ist  in  so  einem 
Blatt,  das  soll  man  lieber  nicht  lesen. 

FRAU  WAHL.    Das  ist  aber  merkwürdig. 

ADELE.  \ 

GUSTL.  \   Was  denn? 

GENIA.  I 

FRAU  WAHL  Ufst.  „Seit  einigen  Tagen  tritt 
mit  immer  größerer  Bestimmtheit  in  Wiener  Gesell- 
schaftskreisen ein  sonderbares  Gerücht  auf,  das  wir  hier 


381 


—  selbstverständlich  mit  der  gebotenen  Reserve  — 
wiedergeben.  Es  handelt  sich  um  den  Selbstmord  eines 
weltberühmten  Virtuosen,  der  zu  Beginn  dieses  Som- 
mers großes  Aufsehn  erregt  hat  und  in  ein  Dunkel  ge- 
hüllt war,  das  auch  durch  die  beliebte  Phrase  von  der 
plötzlichen  Sinnesvervvirrung  eine  genügende  Aufklä- 
rung nicht  erhalten  hat.  Das  oben  erwähnte  Gerücht 
will  nun  wissen,  daß  die  Ursache  jenes  Selbstmords 
ein  amerikanisches  Duell  gewesen,  daß  aber  die  Ent- 
scheidung in  diesem  Duell  nicht  etwa,  wie  sonst,  durch 
eine  weiße  und  eine  schwarze,  sondern  durch  zwei  weiße 
und  eine  rote  Kugel  herbeigeführt  worden  sei."  — 
Zwei  weiße  und  eine  rote,  —  was  heißt  denn  das? 
Bange  Paus*. 

GENIA  ruhig.  Die  Billardpartie,  auf  die  hier  an- 
gespielt wird,  gegen  Korsakow,  hat  mein  Mann  ver- 
loren. Wenn  es  also  .  .  .  ein  amerikanisches  Duell  ge- 
wesen wäre  ...  so  hätte  Friedrich  sich  erschießen  müs- 
sen —  nicht?    Paust. 

STANZIDES.  Es  ist  doch  unglaublich,  daß  man 
gegen  solche  Infamien  so  gut  wie  wehrlos  ist.  Insbe- 
sondere, da  kein  Name  genannt  ist. 

NATTER.    Die  werden  sich  wohl  hüten. 

FRAU  WAHL  versubt  endlich.  Ah,  diese  Billard- 
partie .  .  .  natürlich,  Frau  Genia,  Sie  haben  uns  ja  er- 
zählt. Ihr  Mann  hat  dem  Korsakow  in  der  Früh'  die 
Zigarren  ins  Hotel  geschickt  .  .  .  aber  freilich!  Da 
könnte  ich  Zeugin  sein  vor  Gericht! 

GUSTL.   Mama,  du  brauchst  nicht  Zeugin  zu  sein. 
Kein  Mensch  kümmert  sich  um  so  was. 
JdeU  und  Stanzides  sind  schon  auf  dem  Wege  zum  Tennisplatz 
und  verschwinden  allmählich  von  der  Szene. 

FRAU  WAHL  .  Es  ist  aber  doch  .  .  .    Wie  kommt 
nur  so  was  in  die  Zeitung  .  .  .  ?   Und  weswegen  sollt' 
sich  denn  der  Friedrich  mit  dem  Korsakow  .  .  . 
Frau  fFahl,  Gustl,  ihnen  gleich  nach  Herr  Natter  auch  gegen  deit 
Tennisplatz  zu. 

OTTO  und  GENIA  bleiben  alUin  zurück. 

Tbeaterstücke.  IV,  a}  3^5 


OTTO.    GENIA. 

GENIA.    Sie  glauben  es? 

OTTO.  Diese  unsinnige  Duellfabel?  Was  fällt 
Ihnen  ein! 

GENIA.  Aber  daß  diese  Fabel  vielleicht  nicht  ganz 
ohne  Grund  entstanden  ist  — !  .  .  .  Mit  einem  Wort, 
daß  ich  —  auch  Korsakows  Geliebte  war. 

OTTO.    Nein.    Ich  glaub'  es  nicht. 

GENIA.  Warum  sollten  Sie's  nicht  glauben  .  . . 
Weil  ich  es  leugne?  Das  ist  kein  Gegenbeweis.  Ich 
an  Ihrer  Stelle  .  .  .  ich  würde  es  glauben.  Als  wenn  ne 
»um  Tennisplatz  gebn  wollte. 

OTTO.  Ich  glaub'  es  nicht,  Genia.  Ich  schwör' 
Ihnen,  daß  ich's  nicht  glaube.  Wozu  reden  wir  darüber. 
Bitte,  bleiben  Sie!  Bitte!  —  Wer  weiß,  ob  sich  noch 
ein  ungestörter  Augenblick  findet.  Morgen  in  aller 
Früh'  muß  ich  in  die  Stadt  hineinfahren.  Ich  habe  noch 
eine  Menge  drin  zu  tun  .  .  .  Abmeldung  .  .  .  Einkäufe 
. .  .  und  mit  dem  Nachtzug  fahr*  ich  nach  Pola. 

GENIA  siebt  ihn  an.    Morgen  schon  .  .  . 

OTTO.  Auf  welche  Art  darf  ich  Ihnen  Nachrichten 
zukommen  lassen  ? 

GENIA.  Sie  können  mir  ruhig  schreiben.  Meine 
Briefe  werden  nicht  geöffnet.  Und  wenn  Sie  besonders 
vorsichtig  sein  wollen,  so  schreiben  Sie  mir  eben  — 
so  wie  Sie  jetzt  zu  mir  reden  —  wie  einer  guten 
Freundin. 

OTTO.  Das  ist  zu  viel  verlangt.  Das  kann  ich  nicht 
durchführen. 

GENIA.  Es  gäbe  noch  eins.  —  Nicht  schreiben,  gar 
nicht  schreiben. 

OTTO.    Genia  .  .  . 

GENIA.  War»  es  nicht  das  klügste  ?  Man  sieht  sich 
ja  doch  nie  wieder. 

OTTO.   Genia!    In  zwei  Jahren  bin  ich  wieder  da. 

GENIA.    In  zwei  Jahren! 

OTTO.  Wenn  du  mir  doch  vertrautest,  Genia.  Auch 
früher  könnt'  ich  wieder  da  sein.  Viel  früher.   Es  gibt 


386 


ja  andre  Möglichkeiten  für  mich  . . .   Du  weißt  es  .  . . 
Ich  müßte  gar  nicht  fort,  Genia. 

GENIA.  Du  mußt.  Vielmehr  du  sollst,  das  ist  ein 
stärkeres  Gebot. 

OTTO.    Wie  soll  ich  leben  —  ohne  dich! 

GENIA.  Du  wirst  es  können.  Es  war  schön.  Lassen 
wir's  daran  genug  sein.  Glück  auf  die  Reise,  Otto,  und 
Glück  fürs  weitere  Leben. 

Pause. 

OTTO.    Was  wirst  du  tun,  wenn  ich  fort  bin  ? 

GENIA.  Ich  weiß  es  nicht.  Heute  weiß  ich's  nicht. 
Was  wußten  wir  zwei  vor  wenigen  Wochen,  vor  Tagen ! 
.  . .  Man  gleitet.  Man  gleitet  immer  weiter,  wer  weiß 
wohin. 

OTTO.  Wie  kannst  du  .  .  .  Oh,  ich  verstehe  dich! 
Du  redest  heute  so,  um  mir  das  Scheiden  leichter  zu 
machen.    Genia  .  .  .    Erinnere  dich   doch,   Genia  .  . . 

GENIA.  Ich  erinnere  mich.  O  ja,  ich  erinnere  mich. 
Bitter.    Aber  das  Vergessen  fängt  auch  nicht  anders  an. 

OTTO.  Tut  es  dir  sehr  wohl,  mir  Schmerz  zu  be- 
reiten ? 

GENIA.  Warum  hältst  du  mich  für  besser  als  ich 
bin  ?  Ich  bin  nicht  besser  als  andere  .sind.  Merkst  du's 
denn  nicht  ?  Ich  lüge,  ich  heuchle.  Vor  allen  Leuten 
spiel'  ich  Komödie,  —  vor  Herrn  Natter  und  vor  Frau 
Wahl .  .  .  vor  deiner  Mutter  so  gut  wie  vor  meinem 
Stubenmädchen.  Ich  spiele  die  anständige  Frau  — 
und  nachts  lass'  ich  das  Fenster  offen  stehn  für  meinen 
Liebhaber.  Ich  schreibe  meinem  Sohn,  er  möge  sich 
länger  bei  seinen  Freunden  aufhalten,  meinem  gelieb- 
ten Sohn  schreib'  ich  das  . . .  nur  damit  er  mein  Aben- 
teuer nicht  störe,  —  und  ich  schreibe  meinem  Gatten, 
daß  Percy  durchaus  noch  in  Richmond  bleiben  will, 
nur  damit  er  selber  länger  fortbleibt.  Und  wenn  er 
heute  zurückkommt  und  dir  die  Hand  reichen  wird, 
werde  ich  daneben  stehn,  lächeln  und  mich  wahr- 
scheinlich meiner  Geschicklichkeit  freun.  Findest  du 
das  alles  sehr  schön?    Denkst  du  —  ich  bin  eine,  der 

«•  387 


man  trauen  darf  — ?    Ich  bin  wie  die  andern,  Otto, 
glaub'  es  mir. 

OTTO.  Du  bist  nicht  wie  die  andern.  Kein  Mensch 
würde  dich  anklagen.  Du,  du  warst  frei.  Du  warst 
ihm  keine  Treue  schuldig.  Niemand  würde  dich  ge- 
ringer achten. 

GENIA.    Niemand... 

OTTO.    Niemand Ich  weiß,  was  dir  durch 

den  Sinn  geht.   Niemand.   Auch  meine  Mutter  nicht, 
wenn  sie's  ahnte. 

GENIA.    Warum  ist  sie  heute  nicht  dagewesen? 

OTTO.  Weil  sie  größere  Gesellschaften  nicht  liebt. 
Das  ist  der  einzige  Grund.  Sie  ahnt  nichts.  Gestern 
war  sie  doch  hier.  Was  sollte  sie  gerade  heute  abge- 
halten haben. 

GENIA.  Das  will  ich  dir  sagen.  Sie  dachte,  Fried- 
rich werde  schon  da  sein.  Und  es  wäre  ihr  peinlich  ge- 
wesen, dich,  ihren  Sohn  ...  es  wäre  ihr  unerträglich 
gewesen,  uns  drei  beisammen  zu  sehen  .  .  .  den  Mann  . .. 

die  Frau  .  .  .  und  den  Liebhaber Davor  fürchtete 

sie  sich.  Darum  kam  sie  nicht  her.  O,  ich  kann  sie  ver- 
stehn.    Wie  gut  kann  ich  sie  verstehn. 

FRIEDRICH  erscheint  auf  dem  Balkon,  spricht  gleich.  Habe 
die  Ehre,  meine  Herrschaften. 

Genia  und  Otto  sind  am  Schlüsse  des  Gespräches  beinahe  unter  dem 
Balkon. 

GENIA  nicht  erschrocken.    Friedrich! 

OTTO.    Guten  Tag,  Herr  Hofreiter. 

FRIEDRICH.    Grüß'  Sie  Gott,  Otto. 

GENIA  heiter.    Seit  wann  bist  du  denn  da? 

FRIEDRICH.  Vor  zehn  Minuten  gekommen.  Er 
grüßt  «um  Tennisplatz  hinüber,  wo  man  ihn  bemerkt  hat.  Guten 
Abend,  guten  Abend  —  Zu  Genta.  Ich  hab'  mich  nur 
gleich  umgekleidet.  Zu  Otto.  Es  freut  mich,  daß 
ich  Sie  noch  antreffe.  Ich  hab'  gefürchtet,  daß  Sie 
schon  wieder  in  Pola  sind  .  .  .  oder  gar  schon  draußen 
im  Weltmeer. 

OTTO.    Morgen  reis'  ich,  Herr  Hofreiter. 

388 


FRIEDRICH.  So  . . .  morgen  . .  .—  ?  Na,  ich  komm 
gleich  herunter.    Verscbvnndet  vom  Balkon. 

Otto  und  Genta  hinüber.    Das  nächstfolgende  sehr  rasch. 

OTTO.    Du  kannst  nicht  hier  bleiben. 

GENIA.    Sei  vernünftig,  Otto. 

OTTO.  Jetzt  fühl'  ich  es.  Du  bist  nicht  geschaffen, 
zu  lügen.  Du  würdest  dich  verraten.  Oder  gar  frei- 
willig gestehn! 

GENIA.    Das  wäre  möglich. 

OTTO  mit  einem  plötzlichen  Entschluß.  So  lass'  mich  mit 
ihm  reden. 

GENIA.    Was  fällt  dir  ein! 

OTTO.  Ja!  Es  ist  ja  das  einzig  Mögliche.  Du 
fühlst  es  selbst,  alles  andre  wäre  unwürdig,  schmäh- 
lich— 

GENIA.  Ich  werd'  es  ihm  sagen,  sobald  du  fort  bist. 
Morgen.    Vielleicht  noch  heute  .  .  . 

OTTO.    Und  was  wird  geschehn? 

GENIA.  Nichts,  wahrscheinlich.  Und  du  wirst 
hierher  nicht  wiederkommen,  nie.  Versprich  mir  .  . . 
nie  .  .  .  auch  in  zwei  Jahren  nicht  .  .  .  nie  .  .  . 

OTTO  wie  erleuchut.  Du  liebst  ihn  —  du  liebst  ihn 
wieder!  —  Dahin,  dahin  gleitest  du. 

Es  kommen  Frau  Wahl,  Natter,  Frau  Natter,  Stanzides  und  Gustl 
vom  Tennisplatz. 

ERNA   und  PAUL  spielen  weiter. 

FRIEDRICH  er  scheint  im  Tenniskostüm.  Grüß'  dichGott, 
Genia.  Küßt  sie  auf  die  Stirn.  Er  begrüßt  auch  die  andern.  Zu 
Frau  Wahl,  die  ihm  nicht  die  Hand  gibt.  Na,  Mama  Wahl, 
noch  immer  bös'  auf  mich? 

FRAU  WAHL.  Ich  rede  kein  Wort  mit  Ihnen.  Ich 
werde  auch  mit  Doktor  Mauer  kein  Wort  reden. 

FRIEDRICH.    Das  wird  sich  zeigen. 

GENIA.  Der  hat  sich  überhaupt  noch  nicht  sehen 
lassen. 

FRIEDRICH.  So?  —  Heut  wird  er  hoffentlich 
kommen,  ich  hab'  ihm  geschrieben.  Na,  der  Paul  und 
die  Erna,  die  lassen  sich  natürlich  nicht  stören. 


389 


GENIA.  Sag*  doch,  wann  bist  du  denn  eigentlich 
in  Wien  angekommen? 

FRIEDRICH.  Gestern  abend.  Ja.  —  Ich  war»  sehr 
gern  schon  zu  Tisch  heraußen  gewesen,  aber  es  war 
leider  absolut  nicht  möglich. 

GENIA.  Wir  hatten  ein  Empfangsdiner  dir  zu  Ehren. 

GUSTL.    Großartig  haben  wir  gegessen. 

FRIEDRICH.  So  ...  ?  VieUeicht  bist  du  so  gut, 
Genia,  und  laßt  mir  wenigstens  noch  einen  schwarzen 
Kaffee  bringen.  Er  setzt  sieb  unter  den  Baum  und  zündet  sieb 
eine  Zigarette  an. 

NATTER.  Sie  sind  länger  fortgeblieben,  als  Sie  be- 
absichtigt hatten,  lieber  Hofreiter? 

FRIEDRICH.  Ja.  Fixiert  ihn  sebarf.  Ja.  Sind  das 
nicht  Ihre  Kinder,  die  da  draußen  auf  der  Wiese 
herumhüpfen  ? 

ADELE.  Ich  hab'  gedacht,  der  Percy  war'  schon  da. 

Stanzides  und  Frau   Wahl  sind  indes  gegen   rüektvärts  gegangen. 

FRIEDRICH.  Na,  wann  kommt  er  denn  endlich. 
Laßt  sich  auf  englische  Schlösser  einladen  . . .  der 
Lump! 

GENIA.  Ich  glaub',  er  überrascht  uns  noch  heut 
oder  morgen  mit  meiner  Schwester  Mary  .  .  .  weil 
schon  drei  Tage  keine  Nachricht  von  ihnen  da  ist. 

ERNA  und  PAUL  vom  Tennisplatz. 

PAUL.    Mein  Kompliment,  Herr  Hofreiter. 

ERNA.    Guten  Abend,  Friedrich.    Händedruck. 

FRIEDRICH.    Na,  wie  geht's  denn? 

PAUL.  Ja,  das  Fräulein  Erna  hat  mich  schon  wie- 
der geschlagen. 

FRIEDRICH.  Na,  war's  noch  schön  am  Völser 
Weiher  ? 

ERNA.  Ja,  denken  Sie  sich,  sehr  schön,  auch  ohne 
Sie.  Nett  war  das  übrigens  wirklich  nicht,  so  plötz- 
lich zu  verschwinden.  Ja  richtig,  danke  für  die  Kar- 
ten ...  Sie  haben  ja  noch  sehr  schöne  Partien  gemacht. 

FRIEDRICH.  Heut  ist  ja  Ihr  Ruhm  verkündet  in 
der  Zeitung,  Erna. 


390 


FRAU  WAHL.    Wir  haben  schon  gelesen. 

FRIEDRICH.  So,  Sie  haben  schon  —  Ist  dieses 
Blatt  auch  hierher  gelangt  ?  —  Eine  interessante  Zei- 
tung —  nicht  wahr  ?  Pause.  Ihn  amüsiert  die  Verlegenheit 
der  andern.  Es  war  übrigens  schön  auf  dem  Aignerturm. 
Ja,  richtig,  Otto.  Wo  ist  er  denn  .  . .  ?  Otto  steht  etwas 
abseits  mit  Frau  Natter.  Ihnen  hab'  ich  Grüße  ZU  über- 
bringen, das  heißt  Grüße  sind  es  wohl  nicht.  Ich 
habe  nämlich  Ihren  Vater  gesprochen. 

OTTO.    Ihre  Frau  Gemahlin  erzählte  mir. 

FRIEDRICH.  Schade,  daß  Sie  schon  morgen  fort- 
fahren. Ihr  Vater  wollte  nämlich  in  ein  paar  Tagen 
nach  Wien  kommen. 

OTTO.  Sie  wissen  doch,  Herr  Hofreiter,  daß  zwi- 
schen meinem  Vater  und  mir  niemals  Beziehungen  be- 
standen haben. 

FRIEDRICH.  Könnten  sich  noch  immer  entwickeln. 
SoUten  sich  sogar.  Daß  Sie  jetzt  da  ins  Weltmeer 
hinaussegeln  auf  so  lange  .  .  ohne  Ihren  Vater  gesehn 
zu  haben  ...  es  sollt'  nicht  sein  .  ,  .  glauben  Sie  nicht  ? 

OTTO.  Ja,  Sie  mögen  vielleicht  recht  haben  — 
aber  nun  ist  es  wohl  zu  spät. 

PAUL  der  mit  Erna  und  Frau  Wahl  stand,  tritt  her.  Also, 
Herr  Fähnrich,  unser  Single,  wenn's  gefäUig  ist.  Zu 
Friedrich.  Wir  spielen  nämlich  heute  lauter  Singles.  Sie 
dürfen  sich  nicht  ausschheßen,  Herr  Hofreiter,  der 
Herr  Fähnrich  reist  morgen  ab,  und  da  muß  heute  das 
Verhältnis  endgültig  festgestellt  werden. 

FRIEDRICH.  Aber  natürlich.  Ich  stehe  zur  Ver- 
fügung. Bitte  sich  nicht  stören  zu  lassen.  —  Ich  trink' 
nur  meinen  Kaffee  aus. 

'Herr  Natter^  Stanzides,  Genia  —  nach  den  ersten  Worten  Friedrichs 

an  Otto  über  Aigner  —  und  Gustl  sind  schon  etwas  früher  weggegangen^ 

jetzt  folgen  Paul,  Adele  und  Otto. 

ERNA.     FRIEDRICH. 

ERNA  ist  hinter  seinem  Sessel  stehn  geblieben, 
FRIEDRICH.    O  Erna  .  . .  Bleibt  sitzen. 


391 


ERNA.    Ich  bin  so  froh,  daß  du  wieder  da  bist. 

FRIEDRICH.  Im  Ernst  ?  Er  küßt  ihre  Hand  über  dit 
Lehne.  Ich  auch. 

ERNA.  Und  jetzt  möcht'ich  so  geschwind  als  mög- 
lich den  wahren  Grund  wissen,  warum  du  fort  bist. 

FRIEDRICH.  Du  bist  aber  komisch,  Erna.  Ich 
hab'  dir's  ja  gesagt.  Du  warst  doch  drauf  vorbereitet. 
War*  ich  dort  gebüeben,  in  wenigen  Tagen,  ach  Gott 
—  am  selben  Tag  hätt'  es  das  ganze  Hotel  gewußt. 
Das  ist  schon  so.  Du  weißt  ja  .  .  .  Der  Schein  um  den 
Kopf.    Wir  haben  ihn  uns  ja  redlich  verdient. 

ERNA.    Und  wenn  man  ihn  gesehn  hätte! 

FRIEDRICH.  Kind  ...  So  was  soll  man  der  Welt 
nicht  verraten.  Umsoweniger,  je  mehr  man  sie  ver- 
achtet. Die  Welt  versteht's  ja  doch  nicht.  Oder  auf 
ihre  Weise  —  was  noch  schlimmer  ist!  Du  kannst  mir 
dankbar  sein,  daß  ich  dich  nicht  „kompromittiert" 
habe.    Später  hättest  du  mir's  doch  übel  genommen. 

ERNA.  Später  ?  .  .  .  ach  so !  .  . .  Ich  werde  nicht 
heiraten,  Friedrich. 

FRIEDRICH.  Nicht  von  der  Zukunft  sprechen, 
Kind.  Man  soll  nichts  vorhersagen,  für  sich  nicht  und 
für  andre.  Nicht  für  die  nächste  Minute!  Glaub'  mir. 

ERNA.  Und  denkst  du,  wenn  ich  wirklich  einen  lieb 
hätte  nach  dir  —  ich  könnt'  ihm  verschweigen  .  .  . 

FRIEDRICH.  Gewiß  könntest  du.  Hättest  auch 
recht.  Ich  versichere  dich,  wir  verdienen  nichts  an- 
dres .  .  . 

ERNA.  „Wir"  ...  Es  gibt  doch  auch  —  bessre 
als  du. 

FRIEDRICH.    Glaubst  du  ?   Steht  auf. 

ERNA.  Was  hast  du  denn  ?  Warum  bist  du  so  zer- 
streut ?  Was  guckst  du  immer  zur  Tür  hin  i  Erwartest 
du'  wen  ? 

FRIEDRICH.    Ja,  den  Doktor  Mauer. 

ERNA.  Den  Doktor  Mauer  ?  Was  willst  du  von  ihm  ? 

FRIEDRICH.  Es  handelt  sich  um  geschäftliche 
Dinge. 


39a 


ERNA.    Mauer  ist  doch  kein  Advokat  .  . . 

FRIEDRICH.    Aber  ein  Freund. 

ERNA.    Glaubst  du,  er  ist  es  noch  immer? 

FRIEDRICH.  Ja.  Solche  Dinge  hängen  nämlich 
nie  von  dem  ab,  was  man  miteinander  .  .  .  für  Erfah- 
rungen macht.  Sonst  täten  ja  Enttäuschungen  nicht 
weh  .  .  .  wenn  damit  die  innern  Beziehungen  einfach 
aus  wären.  Aber  daß  man  doch  immer  aneinander 
hängen  bleibt  .  .  .  das ...!...  Es  gibt  nur  ewige  Liebe 
und  ewige  Freundschaft.  Und  der  Mauer  ist  und  bleibt 
mein  einziger  Freund.  Das  steht  fest  .  .  .  Auch  wenn 
er  mich  einmal  erschießen  sollte,  es  wird  nicht  anders. 

ERNA.  Was  hast  du  denn  so  wichtiges  mit  ihm  zu 
besprechen  ? 

FRIEDRICH.  Es  hängt  mit  meiner  Reise  nach 
Amerika  zusammen. 

ERNA.    Du  fährst  also  hinüber? 

FRIEDRICH.  Ja  .  .  .  Und  da  gibt  es  eben  manches 
zu  ordnen  —  aus  früherer  Zeit,  wozu  ich  nur  den 
Mauer  brauchen  kann. 

ERNA.    Aus  .  .  .  früherer  Zeit .  .  .  ? 

FRIEDRICH.  Aber  Kind!  Eine  Gattin  könnte 
nicht  neugieriger  sein.  Sind  übrigens  lauter  sehr  lang- 
weilige Geschichten. 

ERNA.  Die  dich  doch  sehr  nervös  zu  machen 
scheinen. 

FRIEDRICH.  Mach'  ich  den  Eindruck?  Keine 
Spur,  ich  bin  nur  etwas  übernächtig  vielleicht; 

ERNA.  Wieso?  Du  bist  doch  nicht  die  Nacht 
durchgefahren  ? 

FRIEDRICH.  Nein,  aber  geschlafen  hab'  ich  auch 
nicht  viel.   Ich  hab'  eine  Fensterpromenade  gemacht. 

ERNA.    Heute  nacht? 

FRIEDRICH.  Ja,  heute  nacht.  Warum  wunderst 
du  dich  denn  ?  Ich  hab'  dir  ja  gesagt,  an  einem  gewissen 
Abend  .  .  .  daß  ich  alle  diese  Dinge  plötzlich  begreife 
—  Fensterpromenaden,  Serenaden  —  Totschlag  . . . 
Selbstmord 


J9r 


ERNA.  Ich  versteh*  dich  nicht.  Wem  hast  du  .  .  . 
eine  Fensterpromenade  .  .  . 

FRIEDRICH.    Na  dir,  selbstverständlich. 

ERNA.    Mir  ?    Was  sind  das  für  .  .  . 

FRIEDRICH.  Du  glaubst  mir  nicht  ?  Also  hör*  gut 
zu!  Ich  bin  nämlich  gestern  abend  noch  herausge- 
fahren. Gleich  nach  meiner  Ankunft  in  Wien.  Es  war 
beinah  Mitternacht  wie  ich  unter  deinem  Fenster  war. 
Du  hast  noch  Licht  brennen  gehabt.  Ich  habe  deinen 
Schatten  an  den  Vorhängen  vorbeigleiten  gesehn. 
Wenn  dein  Zimmer  ebenerdig  läge  .  .  .  wer  weiß. 

ERNA.  Du  warst  vor  meinem  Fenster?!  —  Und 
dann? 

FRIEDRICH.  Dann  bin  ich  eben  wieder  fort.  Ich 
hatte  deinen  Schatten  gesehn,  war  in  deiner  Nähe  ge- 
wesen.   Danach  hatt'  ich  mich  gesehnt. 

ERNA.  Du  hast  dich  . . .  Friedrich  .  .  . !  Und  wo- 
hin bist  du  dann? 

FRIEDRICH.  Nach  Wien  zurück.  Mein  Auto 
hat  auf  dem  Pfarrplatz  gewartet.  Ich  hab'  nämlich 
heute  früh  um  acht  Uhr  schon  im  Bureau  zu  tun 
gehabt. 

ERNA.  Du  warst  vor  meinem  Fenster  .  .  .  Friedrich ! 

FRIEDRICH.  Warum  sollt'  ich  dir  denn  so  was 
erzählen,  wenn's  nicht  wahr  war*  .  .  .  Wobei  soll  ich 
dir  schwören  ?    Beim  heiligen  Weilier  von  Völs  ? 

ERNA.  Du  warst  vor  meinem  Fenster!  . . .  Mein 
Geliebter! 

FRIEDRICH.     Still,   still.    Er  geht  zur  Türe  des  Hauses. 

MAUER  tritt  aus  dem  Haus.  Grüß'  dich  Gott,  Fried- 
rich.   Guten  Tag,  Fräulein  Erna. 

FRIEDRICH.    Servus,  Mauer. 

ERNA  ruhig.    Guten  Tag,  Doktor. 

MAUER  ganz  unbefangen.  Schon  lang  zurück,  Fräulein 
Erna? 

ERNA.  Erst  seit  zwei  Tagen  .  .  .  Zu  Friedrich.  Sit 
haben  mit  dem  Herrn  Doktor  zu  sprechen.  Auf 
Wiedersehn.  Ab  zum  Tennisplatz. 


394 


MAUER.    FRIEDRICH. 

MAUER.    Du  hast  mir  geschrieben,  ich  bin  da. 

FRIEDRICH.  Ich  danke  dir  nochmals,  daß  du  ge- 
kommen bist.  Hoffentlich  hab*  ich  dich  von  nichts 
wichtigem  abgehalten. 

MAUER.  Du  schreibst,  daß  du  meines  Rats  be- 
darfst.   Ich  nehme  an,  du  fühlst  dich  krank. 

FRIEDRICH  siebt  ihn  an.  Ah  so!  Nein,  ich  habe 
nicht  den  Arzt  zu  mir  gebeten,  sondern  den  Freund. 

MAUER.    Den  Freund,  so  .  .  .    Nun,  ich  bin  da. 

FRIEDRICH.  Es  handelt  sich  nämlich  um  ein  blöd- 
sinniges Gerücht,  von  dem  du  vielleicht  schon  gehört 
oder  gelesen  hast. 

MAUER.    Welches  Gerücht? 

FRIEDRICH.    Daß  Korsakow  . . . 

MAUER.    Nun? 

FRIEDRICH.  Daß  Korsakow  als  Opfer  eines  ameri- 
kanischen Duells  gefallen  ist. 

MAUER.    Ah. 

FRIEDRICH.    Du  hast  gelesen? 

MAUER.    Gehört,  um  die  Wahrheit  zu  sagen. 

FRIEDRICH.  Also,  ich  frage  dich:  Was  soll  ich  tun  ? 

MAUER.  Was  du  tun  sollst  ?  Duhast  ja  den  Gegen- 
beweis in  der  Hand.  Der  Brief  Korsakows  an  deine 
Frau  .  .  . 

FRIEDRICH.  Was  hilft  mir  der?  Den  kann  ich 
doch  nicht  .  .  .  das  wäre  doch  geschmacklos  .  .  . 

MAUER.  Ja,  dann  .  .  .  kümmere  dich  einfach  nicht 
darum.  Das  Gerücht  wird  verschwinden,  wie  es  ge- 
kommen ist.  Es  ist  nicht  wahrscheinlich,  daß  vernünf- 
tige Leute  so  was  von  dir  im  Ernst  glauben  könnten. 

FRIEDRICH.  Wenn  auch  —  etwas  wird  hängen 
bleiben.  Und  einer  muß  diese  Infamie  als  erster 
ausgesprochen  haben.  Wenn  man  sich  an  den  halten 
könnt'. 

MAUER.    Der  Mann  wird  kaum  zu  eruieren  sein. 

FRIEDRICH.  Für  mich  ist  er  eruiert.  Es  ist  Natter. 

MAUER.    Du  glaubst? 


395 


FRIEDRICH.  Es  ist  seine  Rache  ...  Er  hat  näm- 
lich alles  .  . . 

MAUER  rasch.    .  .  .  gewußt? 

FRIEDRICH.  Ja.  —  Es  gibt  überhaupt  weniger 
betrogene  Ehemänner  als  die  Gattinnen  und  manch- 
mal sogar  die  Liebhaber  glauben. 

MAUER.  Hast  du  Beweise,  daß  das  Gerücht  von 
ihm  ausgeht  ? 

FRIEDRICH.    Beweise,  nein. 

MAUER.    Da  kannst  du  nichts  machen. 

FRIEDRICH.    Ihn  stellen. 

MAUER.    Er  wird  natürlich  leugnen. 

FRIEDRICH.    Ihn  züchtigen. 

MAUER.    Damit  besserst  du  nichts. 

FRIEDRICH.    Vielleicht  meine  Laune. 

MAUER.  Dazu  wäre  der  aufgewandte  Apparat  doch 
etwas  zu  groß. 

FRIEDRICH.  Find'  ich  nicht.  Gute  Laune  ist  die 
Hauptsache  auf  Erden. 

MAUER.  Ich  ließe  die  Angelegenheit  auf  sich  be- 
ruhn.  Einen  andern  Rat  kann  ich  dir  nicht  geben, 
beim  besten  Willen  nicht.  —  So,  nun  will  ich  deiner 
Frau  guten  Abend  sagen  und  dann  meiner  Wege  gehn. 

FRIEDRICH.    Mauer  ...  du  bist  mir  böse  ? 

MAUER.  Ich  dir  böse?  Nein.  Aber  mein  Ver- 
langen, mich  hier  aufzuhalten,  ist  gering. 

FRIEDRICH.  Du  Mauer  ...  Du  weißt  doch,  daß 
ich  sehr  bald  nach  dir  vom  Völser  Weiher  abgereist 
bin? 

MAUER.    „Sehr  bald"  ist  gut. 

FRIEDRICH.  Gleich!  ...  am  Tag  drauf!  . . . 
Weißt  du,  warum?    Ich  habe  die  Flucht  ergriffen. 

MAUER.    Ah!  — 

FRIEDRICH.  Ja,  vor  mir,  vor  mir  selbst.  Denn 
daß  ich  sehr  verliebt  war  in  die  Erna,  das  gesteh'  ich 
dir  ohne  weiteres  zu. 

MAUER.  Du  hast  mir  keine  Rechenschaft  abzu- 
legen. 

39« 


FRIEDRICH.  Gewiß  nicht.  Tu'  ich  auch  nicht. 
Ich  seh'  nur  nicht  ein,  warum  ich  deine  falschen  Ver- 
mutungen .  .  . 

MAUER.  Was  immer  ich  vermutet  habe,  ob  mit 
Recht  oder  mit  Unrecht,  die  Sache  ist  für  mich 
erledigt.  —  Darf  ich  deiner  Frau  guten  Abend 
sagen  ? 

FRIEDRICH.  Später  darfst  du.  Jetzt  wirst  du 
freundUchst  hier  bleiben.  Wir  müssen  uns  aussprechen. 
Ich  versichere  dich,  daß  du  dich  irrst.  —  Ich  habe  sie 
geküßt,  ja.  Einmal .  .  .  Das  leugne  ich  nicht.  So  eine 
Umarmung  im  Freien,  bei  schönem  Wetter,  in  zwei- 
tausend Meter  Höhe  hat  gar  nichts  zu  bedeuten.  Das 
nenn'  ich  .  .  .  Höhenrausch  .  .  . 

MAUER.  Na  .  .  .  wenn  du's  nur  so  nennst . .  .  dann 
ist  ja  alles  gut. 

FRIEDRICH.  Glaubst  du,  es  laufen  viele  ungeküßte 
Mädeln  auf  der  Welt  herum  ?  Auch  in  der  Ebene  soll's 
manchmal  passiert  sein!  Sich  deswegen  einbilden,  daß 
man  zu  gut  für  eine  ist . . .  das  ist,  mit  Verlaub,  Größen- 
wahn. 

MAUER.    Es  macht  dir  viel  Spaß  zu  lügen,  was? 

FRIEDRICH.  Manchmal  schon.  Aber  diesmal  tu' 
ich's  nicht  einmal.  Und  jetzt  werd'  ich  dir  noch  was 
sagen.  Selbst  wenn  mehr  vorgefallen  wäre...  als 
dieser  Kuß  .  .  . 

MAUER.  Ich  habe  dich  nicht  gefragt.  Und  ich 
versichere  dich,  mir  ist  es  heute  im  Grunde  ziemlich 
gleichgültig,  wie  weit  es  zwischen  euch  gekommen  ist. 

FRIEDRICH.  Daran,  mein  lieber  Mauer,  tust  du 
unrecht. 

MAUER.    Ah... 

FRIEDRICH.  Die  Sache  stünde  vielleicht  besser 
für  dich,  wenn  sie  meine  GeUebte  gewesen  wäre.  Es 
wäre  eine  abgetane  Sache  .  .  .  Da  wärst  du  gewisser- 
maßen sicherer. 

MAUER.    Du  fängst  an,  mich  zu  amüsieren. 

FRIEDRICH.    Das  freut  mich.    Das  ist  doch  das 


397 


wichtigste  bei  jeder  Unterhaltung.  Ob  man  die  Wahr- 
heit zu  hören  kriegt,  weiß  man  ja  doch  nie. 

MAUER.    Von  Erna  selbst  würde  ich  sie  erfahren. 

FRIEDRICH.    Du  glaubst? 

MAUER.  Lügen,  das  ist  wirklich  das  einzige,  des- 
sen ich  sie  nicht  für  fähig  halte. 

FRIEDRICH.  Da  könntest  du  recht  haben.  Und 
darauf  kommt  es  doch  am  Ende  an.  Ich  halte  es  über- 
haupt für  sehr  einseitig,  die  Frauen  nur  aufs  erotische 
hin  zu  beurteilen.  Wir  vergessen  immer  wieder,  daß 
es  im  Leben  jeder  Frau,  auch  wenn  sie  Liebhaber  hat, 
eine  Menge  Stunden  gibt,  in  denen  sie  an  ganz  andre 
Dinge  zu  denken  hat  als  an  die  Liebe.  Sie  liest  Bücher, 
musiziert,  sie  veranstaltet  Wohltätigkeitsakademien,  sie 
kocht,  sie  erzieht  ihre  Kinder,  —  sie  kann  sogar  eine 
sehr  gute  Mutter  sein,  ja  manchmal  auch  eine  vor- 
treffliche Gattin.  Und  hundertmal  wertvoller  —  als 
eine  sogenannte  anständige  Frau.  Denk'  nur  an  Adele 
Natter. 

MAUER.  Du  hast  mich  hoffentlich  nicht  herge- 
beten, um  mir  deine  philosophischen  Ansichten  vor- 
zutragen. 

FRIEDRICH.  Nein,  das  ergibt  sich  nur  so.  Aber 
weil  wir  schon  bei  diesem  Thema  sind,  ich  möcht'  dich 
doch  fragen,  ob  dir  schon  etwas  von  der  Affäre  zwischen 
meiner  Gattin  und  dem  Herrn  Fähnrich  zu  Ohren  ge- 
kommen ist? 

MAUER  ü}>errascht.  Von  deiner  Frau  und  .  .  .  Kein 
Wort .  .  .  Woher  hätt'  ich  auch  .  . .  Ich  bin  ja  seit 
drei  Wochen  nicht  hier  gewesen. 

FRIEDRICH.  Also  hörst  du  die  Neuigkeit  von  mir. 
Na,  was  sagst  du  dazu  ? 

MAUER.  Es  ist  vielleicht  nicht  wahr.  Und  wenn 
es  wahr  sein  sollte  .  .  . 

FRIEDRICH.  So  gönnst  du  mir's  von  Herzen.  Ich 
weiß.  Aber  ich  will  dir  nur  sagen,  daß  deine  Schaden- 
freude gegenstandslos  ist.  Denn  dazu  müßte  ich  die 
Sache  ja  als  etwas  schmerzliches  oder  mindestens  als 

398 


ärgerlich  empfinden.  Und  das  ist  absolut  nicht  der 
Fall.  Im  Gegenteil.  Es  ist  mir  eher  wie  eine  innere 
Befreiung.  Ich  gehe  nicht  mehr  als  Schuldiger  in 
diesem  Hause  herum.  Ich  atme  wieder  auf.  Es  ist 
gewissermaßen,  als  hätte  sie  Sühne  getan  für  den  Tod 
Korsakows,  und  zwar  in  einer  höchst  vernünftigen  und 
schmerzlosen  Weise.  Sie  fängt  an  mir  wieder  mensch- 
lich nah  zu  sein.  Wir  leben  wieder  sozusagen  —  auf 
demselben  Stern. 

MAUER.  Du  bist  sehr  gefaßt.  Mein  Kompliment. 
Offenbar  glaubst  du's  nicht.  Da  man  ja  so  was  doch 
nie  mit  absoluter  Bestimmtheit  wissen  kann  .  .  . 

FRIEDRICH.  Ah,  manchmal  schon.  Zum  Beispiel, 
wenn  man  den  Liebhaber  nachts,  halb  zwei  aus  dem 
Fenster  seiner  Frau  steigen  sieht. 

MAUER.    Wie? 

FRIEDRICH.  Na,  was  sagst  du  dazu  ?  Heute  nachts 
um  halb  zwei  hab'  ich  Herrn  Otto  von  Aigner,  Fähnrich 
in  Sr.  Majestät  Marine,  aus  dem  Fenster  der  Fabrikan- 
tensgattin  Genia  Hofreiter  steigen  gesehen.  Gerichtlich 
zu  beeiden! 

MAUER.    Heute  Nacht,  halb  zwei? 

FRIEDRICH.  Ich  war  nämlich  schon  gestern  abend 
heraußen. 

MAUER.  So  — ?  Und  wo  warst  du  bis  halb  zwei, 
wenn  man  fragen  darf. 

FRIEDRICH.  Haha,  mir  scheint,  du  denkst  schon 
wieder  an  Erna.  Na,  also  damit  ich  dich  beruhige,  ich 
bin  mit  dem  letzten  Zug  herausgefahren  von  Wien; 
von  der  Bahn  zu  Fuß  hierherspaziert  und  bin,  wie  ich 
das  manchmal  tue,  durch  das  kleine  Türl  von  der  Wiese 
aus  in  den  Garten  herein.  Und  da  hab'  ich  zu  meiner 
Überraschung  Stimmen  gehört.  Ich  schleiche  mich 
näher  und  sehe  einen  Herrn  und  eine  Dame  hier  unter 
dem  Baum  sitzen.  Genia  und  Otto.  Um  Mitternacht 
hier  im  Garten.  Was  sie  gesprochen  haben,  das  hab'  ich 
natürlich  nicht  verstehen  können.  Ich  bleibe  in  ge- 
messener Entfernung,  nach  wenigen  Minuten  schon  er- 


399 


heben  sich  beide  und  verschwinden  im  Haus.  Ich  ver- 
lasse rasch  den  Garten,  wieder  durch  die  Hintertür,  gehe 
rund  um  die  Villa  und  postiere  mich  so,  daß  ich  sehn 
muß,  wenn  wer  aus  dem  Haustor  herauskommt.  Es 
kommt  niemand.  Eine  halbe  Stunde  lang  niemand. 
Die  Lichter  im  Haus  verlöschen.  Ich  geschwind  wieder 
um  das  Gitter  herum  auf  die  Wiese,  wo  ich  das  Fenster 
von  Genias  Schlafzimmer  im  Auge  habe.  Es  war  dunkel. 
Die  Nacht  war  wunderschön,  ich  lege  mich  auf  die 
Wiese  hin,  in  den  Schatten  der  Bäume,  die  am  Gitter 
stehn.  Und  warte.  Bis  halb  zwei  hab'  ich  gewartet. 
Um  halb  zwei  öffnet  sich  das  Fenster,  ein  Herr  steigt 
heraus,  verschwindet  auf  eine  Weile  für  mich  im  Dunkel 
des  Gartens,  ich  höre  die  Gartentüre  gehn,  und  gleich 
darauf  direkt  an  mir  vorüber,  schwebt  die  schlanke  Ge- 
stalt des  Herrn  Fähnrich  Otto  von  Aigner. 

MAUER.    So.    Und  was  hast  du  dann  getan? 

FRIEDRICH.  Ich  hab'  mich  auf  die  Wiese  hingelegt. 

MAUER.    Du  bist  ja  schon  gelegen. 

FRIEDRICH.  Richtig.  Aber  bequemer  als  vorher 
hab'  ich  mich  hingelegt,  weil  ich  ja  nicht  mehr  hab'  auf- 
passen müssen.  Und  hab'  prachtvoll  geschlafen,  bis 
sieben  Uhr  früh.  Es  ist  wirklich  herrlich,  im  Freien  zu 
schlafen  in  schönen  Sommernächten.  Erst  neulich  hat 
mir  wer  davon  vorgeschwärmt. 

MAUER.  Du  denkst  hoffentlich  nicht  daran,  es  Genia 
oder  ihn  entgelten  zu  lassen.  Das  einzige,  was  du  jetzt 
tun  kannst  und  darfst,  —  das  ist  ein  klares  Ende  machen. 

FRIEDRICH.    Wer  spricht  von  Ende? 

MAUER.  Selbstverständlich.  Es  könnte  jetzt  auch 
ohne  besonderes  Aufsehn  geschehn.  Du  brauchst  nur 
etwas  früher  nach  Amerika  zu  fahren  als  deine  Absicht 
war. 

FRIEDRICH.  Nach  Amerika  wird  Genia  mit  mir 
reisen. 

MAUER.    So  —  ? 

FRIEDRICH.    Ja. 

MAUER  acbulzuckend.   Du  erlaubst  mir  diese  Mit- 


400 


teilung  bis  auf  weiteres  als  den  letzten  Beweis  deines 
Vertrauens  entgegenzunehmen.    Jetzt  .  .  . 

NATTER  kommt.  O,  guten  Abend,  Doktor  Mauer, 
wie  geht's  ?  Lieber  Hof reiter,  ich  wollte  Sie  nämlich 
fragen,  da  wir  leider  nicht  mehr  lange  bleiben  können  . .. 

MAUER.  Du  erlaubst  also,  daß  ich  deiner  Frau 
guten  Abend  sage  .  .  . 

FRIEDRICH.    Sie  wird  sich  sehr  freuen. 

MAUER   zum  Tennisplatz. 

FRIEDRICH.     NATTER. 

NATTER.  Ich  wollte  Sie  fragen,  lieber  Hof  reiter, 
ob  ich  Sie  morgen  im  Bureau  sprechen  kann.  Ich  habe 
Ihnen  viel  mitzuteilen.  Das  bewußte  Konsortium  hat 
sich  wieder  gemeldet.    Man  bietet  .  .  . 

FRIEDRICH.  Morgen  die  Geschäfte,  Herr  Natter. 

NATTER.    Wie  Sie  wünschen. 

FRIEDRICH.    Heute  wollen  wir  plaudern. 

NATTER.    Gern. 

FRIEDRICH.  Sagen  Sie  mir,  Natter,  was  halten 
Sie  von  Demeter  Stanzides  ? 

NATTER.  Stanzides  ?  —  Ein  ganz  sympathischer 
Mensch.  Etwas  sentimental  für  einen  Husarenober- 
leutnant.   Aber  im  ganzen  ein  netter  Kerl. 

FRIEDRICH.    Hat  er  nicht  Schulden? 

NATTER.    Nicht,  daß  ich  wüßte. 

FRIEDRICH.  Mißhandelt  er  nicht  seine  Unter- 
gebenen ? 

NATTER.    Mir  nichts  davon  bekannt. 

FRIEDRICH.    Ist  er  nicht  etwa  Falschspieler? 

NATTER.    Glauben  Sie  das,  Hofreiter? 

FRIEDRICH.  Nein.  Ich  will  es  Ihnen  nur  erleich- 
tem, etwas  über  ihn  zu  erfinden,  für  später,  wenn  die 
Geschichte  zwischen  ihm  und  Ihrer  Frau  Gemahlin  zu 
Ende  sein  sollte. 

Sie  stebn  Au^  in  Au^. 

NATTER.  Es  freut  mich,  daß  Sie  mich  für  keinen 
Dummkopf  halten,  Hofreiter. 

Theaterstücke.  IV,  a6  4^1- 


FRIEDRICH.    Nein,  für  einen  .  .  . 

NJTTER.  Ich  warne  Sie  davor,  mich  einen  Schuften 
zu  heißen.  Es  würde  mir  wahrscheinlich  nicht  kon- 
venieren, die  Angelegenheit  durch  eine  Karambolpartie 
zu  erledigen. 

FRIEDRICH.    Aber  auf  andere  Art. 

NATTER.  Wenn  ich  dazu  Lust  gehabt  hätte  .  . . 
vor  nicht  allzulanger  Zeit  war  bessere  Gelegenheit  dazu. 

FRIEDRICH.  Warum  haben  Sie's  nicht  getan? 
Man  wird  doch  nicht  mit  einemmal .  .  .  Ich  weiß  doch, 
daß  Sie  als  junger  Mensch  um  weniger  Ihr  kostbares 
Leben  in  die  Schanze  geschlagen  haben. 

NATTER.    Um  weniger?    Um  andres. 

FRIEDRICH.  Wenn  es  Ihnen  so  nahe  ging*  — 
warum  bleiben  Sie  mit  Ihrer  Frau  zusammen  ? 

NATTER.  Das  will  ich  Ihnen  erklären.  Weil  mir 
eine  Existenz  ohne  Adele  als  vollkommener  Unsinn  er- 
schiene. Ich  bin  nämlich  rettungslos  verliebt  in  sie. 
Das  kommt  vor,  Hofreiter.  Dagegen  hilft  nichts. 
Ahnen  Sie  denn,  was  ich  alles  versucht  habe,  um  inner- 
lich von  ihr  loszukommen  — ?  Vergeblich  .  .  .  Alles 
vergeblich  .  .  .  Ich  liebe  sie  .  .  .  trotz  allem  — !  Un- 
geheuerlich, wie?  —  Es  ist  nun  einmal  nicht  anders. 

FRIEDRICH.  Und  Sie  rächen  sich  an  mir,  indem 
Sie  eine  Ungeheuerlichkeit  erfinden? 

NATTER.  Vielleicht  indem  ich  die  Wahrheit  ver- 
breite. 

FRIEDRICH.  Mensch,  Sie  glauben  wirklich  ?  . . . 
daß  ich  .  .  .  ein  amerikanisches  Duell  .  .  . 

NATTER.    Beweisen  Sie  mir  das  Gegenteil. 

FRIEDRICH.  Das  könnt'  ich  .  .  .  Ich  kenne  den 
Grund  von  Korsakows  Selbstmord.  Ich  weiß,  daß  .  .  . 
O,  wo  gerat'  ich  hin  ?  Mich  vor  Ihnen  zu  rechtfertigen, 
Sie  .  .  .  Sie  ... 

NATTER.    Hüten  Sie  sich. 

FRIEDRICH.  Ich  schwöre  Ihnen,  daß  Sie  sich  irren. 
Ich  schwöre  Ihnen  .  .  . 

NATTER.  Bei  der  Tugend  Ihrer  Frau  Gemahlin,  ja  ? 


402 


FRIEDRICH.    Herr  ...   Auf  ihn  «u. 

NATTER  packt  seinen  Arm.  Ruhe,  kein  Aufsehn.  Ich 
werde  mich  nicht  mit  Ihnen  schlagen.  Aber  noch  ein 
Wort  und  .  .  . 

FRIEDRICH. Gerade  gegen  Sie  sollt'  ich  wehrlos  sein  ? 

NATTER.    Zuweilen  ist  man's  eben. 

FRIEDRICH.    Ja  .  .  .  gegen  einen  .  .  . 

NATTER.  Gegen  einen,  der  das  Leben  fabelhaft 
amüsant  findet .  .  .  lieber  Hofreiter  —  und  nur  das. 

PAUL  vom  Tennisplatz.  Bitte  sehr  um  Entschuldi- 
gung, wenn  ich  störe.  Herr  Hofreiter,  —  Ihr  Single 
mit  dem  Herrn  Fähnrich  wäre  an  der  Reihe. 

FRIEDRICH.  Ja  .  .  .  ja  .  .  .  bin  schon  bereit  — 
Das  Verhältnis  muß  endgültig  klargestellt  werden  .  . . 
ich  weiß  .  .  . 

NATTER.  O  bitte,  lassen  Sie  sich  nicht  stören. 
Leise.   Etwa  auch  auf  Tod  und  Leben  ? 

FRIEDRICH.    Vielleicht. 

MAUER  und  GENIA  kommen  eben  von  rücktoärts. 

MAUER  toill  sieb  verabschieden.     Also,  lieber  Freund. 

FRIEDRICH.  Nein,  du  darfst  einfach  nicht  gehn. 
Du  mußt  ihn  zurückhalten,  Genia  —  mit  allen  deinen 
Verführungskünsten. 

Friedrich^  Paul,  Natter  xum  Tennisplatz, 

MAUER.     GENIA. 

GENIA.  Ich  fürchte,  daß  meine  Künste  versagen 
werden. 

MAUER.    Ich  muß  leider  fort,  gnädige  Frau. 

GENIA.  Und  es  ist  wohl  anzunehmen,  daß  man  Sie 
in  der  nächsten  Zeit  hier  nicht  sehn  wird  .  . . 

MAUER.    Es  ist  anzunehmen,  gnädige  Frau. 

GENIA  siebt  ihn  an.  Es  tut  mir  leid,  daß  ich  einen 
Freund  verloren  habe.  Auch  ich,  die  wahrhaftig  ohne 
Schuld  ist,  wenigstens  gegen  Sie.  Warum  antworten 
Sie  mir  nicht,  Doktor  ?  Ich  will  mich  nicht  in  Ihr  Ver- 
trauen drängen,  umsoweniger,  als  ich  mir  ja  denken 
kann,  was  Sie  von  hier  forttreibt. 

*•  403 


MAUER.  Es  ist  diesmal  kein  Anlaß,  Ihnen  über 
Ihren  Scharfblick  ein  Kompliment  zu  machen.  Sie 
gestatten  mir  jetzt,  gnädige  Frau,  mich  zu  entfernen. 

GENIA.  Ich  habe  Ihnen  nichts  zu  gestatten  und 
nichts  zu  verbieten.  Besonders  als  .  .  .  gnädige  Frau. 
Leben  Sie  wohl,  lieber  Doktor!  —  Und  —  bitte  lassen 
Sie  mich  Ihnen  noch  eine  Mahnung  mit  auf  den  Weg 
geben!  —  Nehmen  Sie's  nicht  gar  zu  schwer.  Es  wäre 
doch  lächerlich,  wenn  Sie,  ein  Mensch,  der  das  Leben 
von  seiner  ernstesten  Seite  kennt,  dergleichen  Spielerei 
und  Spiel  wichtig  nähme.  Liebessachen  sind  nichts 
andres,  Doktor,  glauben  Sie  mir.  Und  wenn  man  erst 
drauf  gekommen  ist,  sehr  lustig  anzusehn  —  und  mit- 
zumachen. 

MAUER.    Wenn  man  drauf  gekommen  ist  .  .  . 

GENIA.  Werden  Sie  auch,  lieber  Freund.  Die 
dummen  schweren  Worte,  die  Ihnen  durch  den  Sinn 
gehn,  die  blasen  Sie  nur  gefälligst  in  die  Luft.  Und 
Sie  werden  sehn,  wie  leicht  sie  eigentlich  sind.  Sie 
fliegen  .  .  .  alle  ...  sie  verwehn,  diese  schweren  dum- 
men Worte  .  .  . 

MAUER.  Es  gibt  vielleicht  wirklich  nur  ein  schweres 
auf  der  Welt  —  und  das  heißt  Lüge. 

GENIA.  Lüge?  Gibt's  denn  das  in  einem  Spiel? 
List  oder  Spaß  heißt  es  da. 

MAUER.  Spiel  — ?!  Ja,  wenn  es  so  wäre!  .  .  .  Ich 
versichere  Sie,  Genia,  nicht  das  geringste  hätt'  ich  ein- 
zuwenden gegen  eine  Welt,  in  der  die  Liebe  wirklich 
nichts  andres  wäre  als  ein  köstliches  Spiel  .  .  .  Aber 
dann  .  .  .  dann  ehrlich,  bitte!  Ehrlich  bis  zur  Orgie. 
.  .  .  Das  liess'  ich  gelten.  Aber  dies  Ineinander  von 
Zurückhaltung  und  Frechheit,  von  feiger  Eifersucht  und 
erlogenem  Gleichmut  —  von  rasender  Leidenschaft  und 
leerer  Lust,  wie  ich  es  hier  sehe  —  das  find'  ich  trüb- 
selig und  grauenhaft  —  ...  Der  Freiheit,  die  sich  hier 
brüstet,  der  fehlt  es  am  Glauben  an  sich  selbst.  Darum 
gelingt  ihr  die  heitre  Miene  nicht,  die  sie  so  gerne  an- 
nehmen möchte . . .  darum  grinst  sie  . . .  wo  sie  lachen  will. 


404 


GENIJ.  Sie  sind  ungerecht,  Doktor.  Wir  geben 
uns  ja  alle  Mühe.  So  rasch  geht  das  freilich  nicht. 
Aber  wir  haben  die  beste  Absicht.  Merken  Sie's  nicht  ? 
Adele  Natter,  zum  Beispiel,  bringt  ihre  Kinder  mit  in 
unser  Haus,  ich  plaudre  mit  Erna,  als  wäre  der  Weiher 
von  Völs  das  harmloseste  Wasser  von  der  Welt,  Fried- 
rich spielt  seine  Tennispartie  mit  dem  Herrn  Fähnrich 
von  Aigner  .  .  . 

MAUER.    Warum  sollte  er  nicht? 

GENIA.    O,  Doktor!  .  .  . 

MAUER.    Ja,  ich  weiß  .  .  .  auch  das  ,  . . 

GENIA.    Wer  hat  es  Ihnen  gesagt? 

MAUER.  Wer  —  ?  Geben  Sie  acht,  Genia.  Fried- 
rich selbst. 

Du  Tennispartie  ist  zu  Ende.    Die  Teilnehmer  kottmen  aUmäblicb 
näher. 

GENIA.  Friedrich  .  .  .  ? !  Natürlich  ahnt  er.  Ich 
hab'  es  gleich  in  seinem  BHck  gelesen  ...  als  er  uns 
vom  Balkon  aus  begrüßte  .  .  .  Aber  wozu  dies  war- 
nende „Geben  Sie  acht"  —  ?  Er  wird  es  mir  nicht  übel 
nehmen.  —  Vielleicht  hätte  sich  Otto  auch  umgebracht 
— wie  jener  andre.  Und  man  darf  doch  einen  jungen 
Menschen  einer  solchen  Kleinigkeit  wegen  nicht  in  den 
Tod  treiben.  Friedrich  wird  zufrieden  mit  mir  sein. 
Morgen,  wenn  .  .  .  mein  Geliebter  fort  ist .  .  .  werd' 
ich  ihm  die  ganze  Geschichte  selbst  erzählen. 

MAUER.  Das  dürfte  nicht  mehr  notwendig  sein. 
Er  ahnt  nicht,  er  weiß  .  .  .  Er  hat  den  Herrn  Fähnrich 
heute  nacht  gesehn  .  .  .  um  halb  zwei .  . . 

GENIA    zuckt  zusammen,  faßt  sich  rasch. 

Paul^   Gustl,  Erna,    Stanzides,   Adele,  Frau  Wahl,  Natter,  Otto 
und  Friedrich  vom   Tennisplatz. 

GENIA.    Nun,  wer  war  Sieger? 

PAUL.  Die  alte  Garde  lebt  noch.  Herr  Hofreiter 
hat  gewonnen.    Neun  zu  acht. 

STANZIDES.  Schade,  daß  Sie  nicht  zugesehn  haben, 
gnädige  Frau.    Es  war  eine  schöne  Partie. 


405 


FRIEDRICH.  Na,  Mauer,  du  bist  ja  doch  geblieben. 
Das  ist  nett  von  dir! 

PAUL.  Jetzt  käme  noch  das  Match  Fräulein  Erna 
und  Herr  Hofreiter. 

ERNA.  Es  ist  schon  zu  dunkel,  das  verschieben  wir 
auf  morgen.  Und  wir  telegraphieren  dem  Herrn  Fähn- 
rich das  Endresultat  des  Tourniers. 

OTTO.  Meine  Herrschaften,  ich  muß.  mich  nun 
leider  wirklich  empfehlen.  Er  beginnt  sieb  zu  verabschieden. 

FRIEDRICH  folgt  ihm  mit  den  Blicken.  Schade,  daß 
wir  nicht  morgen  noch  eine  Partie  spielen  können,  Otto ! 
—  Ich  hab'  heut  gar  keine  rechte  Freude  an  meinem 
Sieg. 

PAUL.  Warum  denn?  Der  Herr  Fähnrich  hat 
famos  gespielt,  und  Sie,  Herr  Hofreiter  noch  besser. 

FRIEDRICH.  Ich  weiß  nicht.  Sie  waren  nicht  recht 
in  Form,  Otto.  Einen  Schlag  haben  Sie  gehabt,  wie 
ich  ihn  von  Ihnen  gar  nicht  gewohnt  bin.  So  einen 
zerstreuten,  so  einen  undezidierten,  so  einen  ängst- 
lichen Schlag  .  .  .   Abschiedsstimmung  wahrscheinlich. 

OTTO.  Vielleicht  Befangenheit  einem  so  starken 
und  ausgeruhten  Gegner  gegenüber.  Nun,  wenn  ich 
wiederkomme,  in  drei  Jahren,  sollen  Sie  mehr  Freude 
an  meinem  Gegenspiel  haben,  Herr  Hofreiter. 

FRIEDRICH.  Ja,  wenn  man  das  so  sicher  wüßte, 
daß  man  sich  wiedersieht!  .  .  .  Ich  rede  nie  von  so 
fernliegenden  Dingen  .  .  .  drei  Jahre!  .  .  .  Denken  Sie, 
was  indessen  alles  passieren  kann.  Man  hat  doch  nicht 
alles  so  in  der  Hand.  Es  gibt  Ereignisse,  denen  gegen- 
über alle  Voraussicht  versagen  kann  .  .  .  und  alle  Vor- 
sicht. 

NATTER.    Und   gerade   diese   dürfte   nicht   eine 
Haupteigenschaft  des  Herrn  Fähnrich  sein. 
.OTTO.    Das  furcht'  ich  selbst,  Herr  Natter. 

FRIEDRICH.  Das  können  Sie  selber  gar  nicht  wis- 
sen, Otto,  ob  Sie  von  Natur  aus  vorsichtig  sind  oder 
nicht  ...  In  einem  Beruf,  der  so  ganz  auf  Haltung  und 
Disziplin  gestellt  ist,  wie  der  Ihre,  hat  man  sozusagen 

406 


keine  Gelegenheit,  sich  selbst  kennen  zu  lernen.   Glau- 
ben Sie  nicht? 

MAUER.  Genug  Psychologie  für  die  späte  Abend- 
stunde, denk'  ich.  Zu  Otto.  Wir  gehn  vielleicht  gleich 
zusammen. 

FRIEDRICH  kümmert  sieb  gar  niebt  darum.  Ich  zweifle 
natürlich  nicht,  daß  Sie  jederzeit  bereit  wären,  für 
Kaiser  und  Vaterland  und  auch  für  viel  geringere  Dinge 
Ihr  Leben  hinzugeben,  aber  da  spielt  doch  der  äußere 
Zwang  eine  gewisse  Rolle.  In  der  Tiefe  Ihrer  Seele 
ganz  in  der  Tiefe,  Otto,  sind  Sie  feig. 
Große  Pause. 

OTTO.  Ich  habe  nicht  recht  verstanden,  nicht  wahr  ? 

FRIEDRICH.  Ich  weiß  nicht,  was  Sie  verstanden 
haben.    Ich  werde  es  auf  alle  Fälle  wiederholen:  feig. 

OTTO  einen  Schritt  auf  ihn  zu. 

FRIEDRICH     ihm  rasch  entgegen. 

OTTO.    Sie  werden  von  mir  hören. 

FRIEDRICH.  Hoff  ich,  leise  und  bald.  In  einer 
Stunde,  im  Park  .  .  . 

OTTO  ab. 

PAUL  sagt  leise  etzoas  vsu  Gustl,  folgt  mit  ibm  dem  Otto, 

ERNA  steht  regungslos. 

GENIA  regungslos. 

FRAU  WAHL  sieht  ticb  ratlos  um,  wendet  sieb  an  Adele, 

NATTER.    Wir  wollen  nun  nicht  weiter  stören. 

FRIEDRICH.  O  nein,  das  tun  Sie  nicht  —  im 
Gegenteil.  Zu  Mauer  abseits.  Auf  dich  hoff  ich  zählen 
zu  können. 

MAUER.    Nein.    Dabei  tu*  ich  nicht  mit. 

FRIEDRICH.  Als  Arzt,  Mauer.  Das  darfst  du  mir 
nicht  verweigern,  das  ist  deine  Pflicht. 

MAUER   zuckt  die  Achseln,     Bitte. 

FRIEDRICH.    Danke.    Lieber  Stanzides. 
STANZIDES.    Ich  bitte  über  mich  zu  verfügen. 
FRIEDRICH.    Ich  danke  Ihnen.    Natter,  darf  ich 
Sie  bitten  ? 
NATTER.    Lieber  Hofreiter  . . . 


407 


FRIEDRICH  zieht  Natter  nach  vorn.  Ich  denke,  wir 
sind  einig  in  unserer  Ansicht  über  das  Leben,  nicht 
wahr  ?    Zum  Totlachen. 

NATTER.    Ich  hab'  es  immer  gesagt. 

FRIEDRICH.  Der  neueste  Spaß  hätte  eine  Würze 
mehr  für  mich,  —  wenn  Sie  mein  Sekundant  sein  woll- 
ten. 

NATTER.  Gern.  Der  Herr  Fähnrich  schießt  ge- 
wiß nicht  schlecht. 

GENIA  mit  einem  plötzlichen  Entschluß  zu  Friedrich  hm. 
Friedrich  .  .  . 

FRIEDRICH.    Später. 

GENIA.    Jetzt. 

FRIEDRICH  zu  den  andern.    Sie  entschuldigen.  Mit 

ihr  nach  vorn. 

FRAU  WAHL  zu  Erna  hin,  will  sie  zum  Fortgehen  ver- 
anlassen. 

ERNA  weist  sie  ab,  steht  an  der  Mauer  des  Hauses. 

FRAU  WAHL  wendet  sich  zu  Adele,  die  unter  dem  Nuß- 
baum sitzt  und  ihrem    Gatten  nachsiebt. 

NATTER   und  ST^NZIDES  gehn  nach  rückwärts. 

MAUER  steht  allein. 

FRIEDRICH  zu  Genia.     Nun? 

GENIA.  Was  ist  dir  denn  eingefallen  ?  Wie  durf- 
test du  .  .  . 

FRIEDRICH.  Na,  furcht*  dich  nicht.  Ich  werd'  ihm 
nicht  viel  tun,  wahrscheinlich  gar  nichts. 

GENIA.  Warum  also?  Wenn  dir  an  mir  noch  das 
geringste  läge  .  .  .  wenn  es  Haß  wäre  .  .  .  Wut  .  .  .  Eifer- 
sucht .  .  .  Liebe  .  .  . 

FRIEDRICH.  Na  ja,  von  all  dem  verspür'  ich  aller- 
dings verdammt  wenig.  Aber  man  will  doch  nicht  der 
Hopf  sein.    Wendet  sich  von  ihr  ab,  folgt  Natter  und  Stanzides. 

GENIA  steht  vorn  regungslos. 

ERNA  steht  an  der  Mauer  des  Hauses. 

Die  Blicke  der  beiden  Frauen  begegnen  sich, 

Vorhang, 


FÜNFTER  JKT 

Zimmer  in  der  FiUa,  das  an  die  aus  dem  ersten  Akt  bekannte  Veranda 
stößt.  Liebt  und  freundlich.  Eine  große  Glastüre,  die  auf  die  Veranda 
führt,  steht  offen.  Rechts  und  links  von  der  Glastür  Schränke.  In 
der  Mitte  ein  großer  Tisch,  Decke  darauf,  Zeitschriften,  Bücher.  — 
Sessel.  An  der  linken  Wand  ein  Kamin,  davor  ein  kleines  Tischchen^ 
Stühle  usw.  Bilder  an  den  Wänden,  rechts  eine  «weite  Türe.  Stand- 
uhr links  vorn.    Etagere  rechts  vom  Kamin  mit  Büchern. 

GENIA  kommt  von  rechts  im  MorgcnJdeid.  Sehr  blaß  und 
erregt.  Zur  Verandatür,  tritt  auf  die  Veranda  hinaus,  wieder 
zurück,  setzt  sich  an  den  großen  Tisch,  nimmt  eine  der  dort  liegen- 
den Zeitschriften,  starrt  hinein,  dann  wieder  vor  sich  bin, 

ERNA  ohne  Hut,  im  Sommerkleid,  sehr  rasch  von  der  Veranda 
herein. 

GENIA  auf,  rasch  gefaßt.   Erna  ?  .  .  .    Was  gibt's  ? 

ERNA.  Sie  sind  noch  nicht  zurück  ?  Ist  noch  keine 
Nachricht  da  ? 

GENIA.  Wie  sollte  denn  eine  Nachricht  da  sein? 
Kommen  Sie  doch  zu  sich,  Erna.  Vor  heute  nach- 
mittag —  kann's  ja  gar  nicht  sein.  Wahrscheinlich  erst 
morgen  früh.  In  dieser  Stunde  finden  wohl  die  Vor- 
besprechungen statt. 

ERNA  siebt  sie  an.  Ja,  natürlich.  Verzeihn  Sie,  daß 
ich  weiterfrage.  Ich  weiß,  daß  ich  kein  Recht  habe, 
aber  die  seltsamen  Umstände  .  .  . 

GENIA.  Sie  haben  so  gut  ein  Recht,  um  jemanden 
zu  zittern,  wie  ich  es  hätte. 

ERNA.  Ich  zittre  nicht,  Frau  Genia.  Das  ist  nicht 
meine  Art.  Ich  wollte  nur  fragen,  ob  Sie  Ihren  Herrn 
Gemahl  heute  schon  gesehn  haben  ? 

GENIA.  Mein  „Herr  Gemahl"  ist  schon  gestern 
abend  in  die  Stadt  gefahren.  Allerlei  bei  seinem  Ad- 
vokaten zu  ordnen  jedenfalls.  Das  ist  ja  nun  einmal 
üblich,  auch  wenn  es  ganz  überflüssig  ist.  Er  wird 
Verfügungen  treffen.  Vielleicht  sogar  irgendwelche 
Briefe  und  Papiere  verbrennen.  Kurz  sich  geradeso 
benehmen,  als  wenn  es  eine  ungeheuer  ernste  Sache 


409 


wäre,  obwohl  es  nichts  ist  als  eine  lächerliche  Eitelkeits- 
und  Ehrenkomödie,  wie  wir  ja  alle  wissen. 

ERNA.  Ich  bin  davon  nicht  überzeugt,  Frau  Genia. 

GENIA.  Ich  bin  es.  Kommen  Sie,  Erna,  wir  wollen 
in  den  Garten  gehn,  der  Tag  ist  so  schön.  Wir  wollen 
plaudern.  Sie  haben  mir  ja  noch  gar  nichts  von  Ihrer 
Reise  erzählt.  Sie  haben  interessante  Dinge  erlebt  .  . . 
am  Völser  Weiher  .  . . 

ERNA.  Ist  es  möglich,  daß  Sie  in  dieser  Stunde 
spotten  können,  Genia? 

GENIA.  Ich  spotte  nicht.  Ah,  ich  bin  fern  davon  . . 
Sie  lieben  ihn  wohl  sehr  .  .  .  meinen  „Herrn  Gemahl", 
nicht  wahr  — ?!  Nun  ja,  es  ist  kein  Wunder.  Der 
erste  —  das  ist  doch  immerhin  ein  Erlebnis.  Oder 
bedeutet  das  auch  nichts  mehr  ?  Sie  müssen  mir  dar- 
über Aufschluß  geben,  Erna.  Ja!  —  Ich  finde  mich 
nämlich  nicht  mehr  zurecht.  Das  Leben  ist  um  so  viel 
leichter  geworden  in  der  letzten  Zeit.  Als  ich  so  jung 
war  wie  Sie,  nahm  man  gewisse  Dinge  noch  furchtbar 
ernst.  Es  sind  nicht  viel  mehr  als  zehn  Jahre  seither 
vergangen,  aber  mir  scheint,  die  Welt  hat  sich  seitdem 
sehr  verändert. 

STUBENMÄDCHEN  mit  einem  Telegramm  von  recbu. 
Gebt  gleich  wieder. 

GENIA  öffnet  et  rasch.  Von  meiner  Schwester  Mary. 
Sie  kommt  heute  mittag  mit  Percy  an.  Hier  Sie  gibt 
Erna  das  Telegramm.  Es  wird  ein  lustiges  Wiedersehen 
werden.  Aber  wollen  wir  nicht  doch  in  den  Garten, 
Erna  ?  Oder  machen  wir  eine  kleine  Spazierfahrt.  Ja  ? 
Der  Tag  ist  so  schön.  Die  Luft  wird  Ihnen  wohltun. 
Sie  sind  blaß  ...  Sie  haben  vielleicht  nicht  sehr  gut 
geschlafen. 

ERNA.  Nein.  Ich  habe  gewacht.  Und  um  fünf 
Uhr  früh  hab'  ich  meinen  Bruder  fortgehn  sehn.  In 
jedem  Augenblick  können  wir  erfahren,  wie  es  aus- 
gegangen ist.  Denn  während  wir  hier  reden,  ist  alles 
längst  vorüber. 

GENIA.   Erna  —  ich  sagte  Ihnen  doch,  Friedrich 


4x0 


ist  in  die  Stadt  gefahren,  zu  seinem  Advokaten  . . . 
wahrscheinlich. 

ERNA.  Er  ist  nicht  zum  Advokaten  gefahren.  Ich 
weiß  es.  Ich  habe  meinen  Bruder  gesprochen  heut  früh, 
als  er  fortging.  Gestern  abend  noch  ist  alles  abgemacht 
worden.  Heut  morgen  um  acht  hat  das  Duell  statt- 
gefunden. Ich  nehme  an  —  nicht  gar  weit  von  hier. 
Im  Heiligenkreuzerwald  wahrscheinHch.  Und  jetzt  ist 
alles  .  .  .  vorbei. 

GENIA.  Nun,  so  ist  es  eben  vorbei  . . .  Jetzt  ist 
nichts  mehr  zu  ändern,  nicht  wahr?  Im  Heiligen- 
kreuzerwald, glauben  Sie?  —  So  sitzen  sie  jetzt  alle 
zusammen  im  Stiftsgarten,  unter  dem  schattigen  Laub 
und  feiern  die  Versöhnung  .  .  .  Das  Frühstück  war 
schon  vorher  bestellt  von  den  Herren  Sekundanten. 
Und  versöhnt  ist  man  ja  schnell,  wenn  man  einander 
nie  wirklich  böse  war.  Was  denken  Sie,  Erna,  trinken 
sie  auf  unser  Wohl  ?  Warum  nicht.  Das  Leben  ist  ja 
so  lustig.  Vielleicht  erscheinen  sie  zusammen  hier.  Arm 
in  Arm.    Ja  .  .  .    Wir  sollten  ihnen  entgegengehn. 

ERNA.  Ich  vnll  nach  Hause  . .  .  Vielleicht  ist  mein 
Bruder  schon  zurück  .  .  . 

GENIA.  Gut  —  gehn  Sie  nach  Hause,  Erna  . . . 
Ich  warte  hier  ... 

ERNA  scheint  nach  draußen  zu  lauseben. 

GENIA.    Was  haben  Sie?  —  Ja.  es  sind  Schritte. 

ERNA  zur  Verandatür.     Es  ist  Frau  Meinhold. 

GENIA  zuckt  zusammen.    Wie  .  .  .  ? 

ERNA.  Sie  kommt  ganz  ruhig  heran.  Sie  weiß  nichts. 

GENIA.    Was  will  sie  so  früh  .  .  . 

ERNA.  Sie  weiß  sicher  nichts.  Sie  geht  langsam. 
Ihre  Züge  scheinen  mir  ganz  unbewegt.  Wenn  sie  nur 
die  leiseste  Ahnung  hätte,  sähe  sie  anders  aus.  Woher 
sollte  sie  auch.    Fassen  Sie  sich,  Frau  Genia! 

FRAU  MEINHOLD  kommt.    Guten  Morgen. 

ERNA.    Guten  Morgen,  gnädige  Frau. 

GENIA.  Sie  sind  es,  Frau  Meinhold  ?  Ah  ...  5t« 
siebt  auf. 


411 


ERNA.    Ani  Wiedersehn! 

FRAU  MEINHOLD.  Sie  gehn  schon  ?  HoffentUch 
bin  ich  es  nicht,  die  Sie  davontreibt? 

ERNA.  Durchaus  nicht,  gnädige  Frau.  Ich  hatte 
mich  gerade  empfohlen.    Adieu,  Frau  Genia.  Ab. 

GENIA.    FRAU  MEINHOLD. 

GENIA  mit  ungeheurer  Selbstbeherrschung.  Ich  freue  mich 
sehr,  Sie  wiederzusehn,  Frau  Meinhold.  Es  hat  mir 
sehr  leid  getan,  daß  Sie  gestern  gefehlt  haben. 

FRAU  MEIN  HOLD.  Sie  hatten  ja  größere  Gesell- 
schaft, da  tu'  ich  nicht  gern  mit.  Heute  bin  ich  um  so 
früher  da,  wie  Sie  sehn,  Frau  Genia. 

GENIA.  Es  ist  gar  nicht  so  früh.  Auf  die  Standuhr 
sehend.  Richtig  erst  zehn  Uhr!  Ich  dachte,  es  müßte 
bald  Mittag  sein.  Friedrich  ist  schon  längst  in  die 
Stadt  gefahren.  Sie  wissen  ja,  Frau  Meinhold,  er  ist 
gestern  angekommen. 

FRAU  MEINHOLD.  Natürlich  weiß  ich  das. 
Lächelnd.  Otto  hat  mir  ja  abends  seine  Grüße  über- 
bracht. 

GENIA.  So.  —  Ihr  Herr  Sohn  verläßt  Sie  schon 
heute .  .  .  ? 

FRAU  MEIN  HOLD.  Mein  Herr  Sohn  ist  sogar 
schon  fort.  Noch  gestern  mit  dem  letzten  Zug  ist  er 
hineingefahren.    Und  heute  abend  fährt  er  nach  Pola. 

GENIA.    Heute  abend  schon?    Ah! 

FRAU  MEIN  HOLD.  Sollten  Sie  das  wirkhch  erst 
von  mir  erfahren  ? 

GENIA.  O,  das  wüßt'  ich  wohl.  Ich  dachte  mir 
aber,  den  heutigen  Tag  wollte  er  ganz  seiner  Mutter 
widmen. 

FRAU  MEIN  HOLD.  Er  hat  heute  in  der  Stadt 
noch  eine  Menge  zu  tun,  so  haben  wir  uns  schon  gestern 
abend  adieu  gesagt  ...    Es  ist  besser  so. 

GENIA.    Gewiß  ist  das  besser. 

FRAU  MEINHOLD.  Können  Sie  sich  denken, 
Frau  Genia,  wie  mir  das  heute  morgen  war,  als  ich  nun 


4IS 


wieder  so  ganz  allein  in  meiner  Laube  beim  Frühstück 
saß.  Nun  ist  mein  kleines  Haus  mit  einem  Mal  so 
leer  .  .  .  wie  ich's  lange  nicht  gewohnt  war.  Ich  bin 
nun  eine  Zeitlang  doch  recht  verwöhnt  gewesen  —  trotz 
allem.  Und  der  Gedanke,  daß  er  diesmal  auf  so  lange 
fort  ist  und  so  weit,  das  macht  das  Haus  noch  leerer 
und  trauriger.    Drum  bin  ich  lieber  fortgegangen  .  .  . 

GENIA.    Ich  versteh's. 

FRAU  MEINHOLD.  Nicht  mit  der  Absicht,  Sie 
so  früh  zu  stören,  Frau  Genia,  das  muß  ich  Ihnen  ge- 
stehn.  Durchaus  nicht.  Ich  wollte  einen  Spaziergang 
machen  .  .  .  einen  einsamen  Waldspaziergang.  Und  nun 
bin  ich  doch  da.  Weiß  Gott,  wie  das  kommt.  Es  muß 
mich  wohl  irgend  was  hergetrieben  haben.  Siebt  tu 
lange  an. 

GENIA  erwidert  ihren  Blick.    Ich  danke  Ihnen. 

FRAU  MEIN  HOLD.  Danken  Sie  mir  nicht.  Ich 
hatte  nur  die  Wahl,  Ihnen  sehr  böse  —  oder  sehr  gut 
zu  sein.  Und  als  ich  meine  Wohnung  verließ,  war  es 
noch  lange  nicht  entschieden.  Denn  in  diesen  letzten 
Tagen,  jetzt,  da  er  fort  ist,  darf  ich's  Ihnen  wohl  sagen, 
Genia  —  ist  mir  manchmal  recht  bang  gewesen  .  . . 

GENIA.    Bang  —  ? 

FRAU  MEINHOLD.  Ich  kenne  ja  meinen  Sohn  .  . . 
Und  ich  hab's  ihm  angesehn,  wieviel  er  gelitten  hat  in 
dieser  letzten  Zeit.  Er  ist  so  gar  nicht  geschaffen  .  .  . 
in  unwahren  Beziehungen  zu  leben  .  .  .  Ich  hatte  .  .  . 
Angst  um  ihn  .  .  .  Sie  haben  ihm  so  viel  bedeutet, 
Genia!  Mehr  als  sein  Beruf,  als  seine  Zukunft,  als  ich, 
als  sein  Leben.  O  Gott,  was  hab'  ich  alles  gefürchtet. 
Und  habe  geschwiegen.  Mußte  schweigen.  Und  sogar 
begreifen  mußt'  ich's.  Ich  hab'  es  ja  kommen  gesehn, 
vom  ersten  Tag  an,  da  Otto  Ihr  Haus  betrat.  In  all 
meinem  Groll,  meiner  Angst,  meiner  Eifersucht,  mußte 
ich  es  doch  begreifen.  Sie  waren  ja  so  allein,  Genia, 
und  so  schwer  gekränkt  .  .  .  durch  lange  Jahre!  Auch 
wenn  am  Ende  ein  Schiechterer  gekommen  wäre  als 
Otto  —  ich  hätte  es  Ihnen  nicht  übelnehmen  können. 


413 


Und  nun  —  da  er  fort  ist,  ist  all  mein  Groll  und  meine 
Eifersucht  dahin  und  ich  frage  mich  nur:  Wie  wird  sie 
e«  tragen?    Sie  —  die  ihn  doch  geliebt  hat! 

GENIA.  Frau  Meinhold,  ich  bin  wahrhaftig  so 
viel  Teilnahme  gar  nicht  wert.  —  Ich  werde  versuchen, 
ihn  zu  vergessen.  Und  es  wird  mir  gelingen.  Das 
ist  gewiß,  —  so  gewiß,  als  es  ihm  gelingen  wird.  Ich 
habe  den  festen  Willen  ihn  zu  vergessen.  Wie  sehn 
Sie  mich  denn  an,  Frau  Meinhold  ?  Glauben  Sie  mir 
denn  nicht  ?  Sie  müssen  keine  Angst  haben.  Es  ist  nichts 
verabredet  zwischen  uns.  Ich  schwör*  es  Ihnen  .  .  . 
Wir  werden  uns  nicht  einmal  schreiben.  Das  steht 
fest. 

FRAU  MEINHOLD.    Sie  sind  sehr  gut,  Genia. 

GENIA.  Ich  bin  nur  .  .  .  klug,  Frau  Meinhold.  Nur 
klug  .  .  .  Plötzlich  bricht  sie  in  ein  heftiges  Schluchzen  aus.  Sinkt 
mit  dem  Kopf  auf  den  Tisch. 

FRAU  MEINHOLD.  Genia,  Genia.  Sie  streicht  ihr 
über  die  Haare.  Weinen  Sie  nicht.  Genia!  E)s  ist 
freilich  ein  geringer  Trost,  —  aber  wir  werden  es  ge- 
meinsam tragen,  daß  er  fort  ist .  .  .  Sie  sehen  ja  doch, 
daß  meine  Wahl  getroffen  ist,  und  daß  ich  mich  ent- 
schlossen habe,  Sie  .  .  .  nicht  zu  hassen.  Kind,  Kind, 
—  beruhigen  Sie  sich  doch.  Wir  wollen  Freundinnen 
sein,  Genia.  Es  geht  ja  wohl  nicht  anders.  Genia  . .  . 
Genia! 

GENIA.  Frau  Meinhold  .  .  .  Sie  faßt  ihre  Hand,  als 
toollte  sie  sie  küssen. 

FRAU  MEINHOLD.  Finden  Sie  wirkHch  keinen 
andern  Namen  für  mich  ?   Ich  bin  seine  Mutter. 

GENIA  schüttelt  wild  den  Kopf.  Nein,  nein,  nein,  ich 
kann  nicht  mehr  .  .  . 

FRAU  MEINHOLD  sieht  sie  lange  an.  Ich  will  Sie 
nun  doch  Heber  allein  lassen  .  .  .  Leben  Sie  wohl.  Aber 
wenn  Sie  des  Alleinseins  müde  sind,  —  so  kommen  Sie 
zu  mir.  Sie  finden  mich  immer  bereit  Sie  zu  empfangen. 
Adieu,  Genia,  — 

FRIEDRICH  von  der  Terrasse  aus  herein.    Dunkler  Paletot 


414 


über  dem  schwarzen  Gebrock.  Schließt  rasch  den  Paletot,  spannt 
seine  Züge. 

GENIA  starrt  ihn  tcie  fragend  an. 

FRIEDRICH  lächelt  starr  ohne  zu  nicken.  Zu  Frau  Meinhold 
in  seiner  lachend  boshaften  Art,  die  nun  tvie  eine  Maske  toirkt. 
Küss'  die  Hand,  gnädige  Frau.  Er  nimmt  ihre  dargehotetu 
Hand  mit  einem  kaum  bemerklichen  Zögern.     Wie  geht's  ? 

FRAU  MEIN  HOLD.  Danke.  Schon  so  früh  aus  der 
Stadt  zurück  ? 

FRIEDRICH.  Aus  der  Stadt?  Nein.  Ich  fahre  jetzt 
erst  hinein.  Ich  hab'  nur  meinen  Morgenspaziergang 
gemacht.    Ein  .  .  .  herrlicher  Tag  .  .  . 

FRAU  MEINHOLD.  Sie  haben  eine  schöne  Reise 
gehabt. 

FRIEDRICH.  Ja,  sehr  schön.  Sehr  schön.  Ich  bin 
höchst  befriedigt.  Gutes  Wetter,  interessante  Men- 
schen, was  will  man  mehr. 

FRAU  MEINHOLD.  Ja  richtig,  ich  habe  Ihnen 
einen  Gruß  zu  bestellen. 

FRIEDRICH.    Einen  Gruß?    Mir? 

FRAU  MEIN  HOLD.  Sie  werden  sich  ein  wenig 
wundern.    Einen  Gruß  von  Herrn  von  Aigner. 

GENIA.    Von  Ihrem  Gatten? 

FRAU  MEINHOLD.  Ja,  heute  früh.  Eh'  ich  von 
Hause  fort  ging,  ist  nämlich  ein  Brief  von  ihm  gekom- 
men, nach  vielen,  sehr  vielen  Jahren  der  erste.  Und 
in  wenig  Tagen  kommt  er  selbst.  Eine  Konferenz  mit 
dem  Minister,  wie  er  schreibt. 

FRIEDRICH.  Ja,  natürlich,  wegen  der  neuen  Bahn. 
Wird  großartig  werden,  die  neue  Bahn.  Übrigens  wird 
er  auch  noch  einmal  Minister  werden,  Ihr  Herr  Ge- 
mahl. Überhaupt  ein  merkwürdiger  Mensch,  ein  höchst 
merkwürdiger  Mensch.  Er  hat  noch  eine  große  Zu- 
kunft. 

FRAU  MEINHOLD.    Glauben  Sie  das  wirklich? 

FRIEDRICH.    Warum  denn  nicht? 

FRAU  MEIN  HOLD.  Er  spricht  nämlich  in  dem 
Brief  auch  von  seiner  schwachen  Gesundheit . . . 


41S 


FRIEDRICH.  Schwache  Gesundheit!  ..  .  Auf  Fel- 
sen klettern  kann  er  allerdings  nicht  mehr,  aber  Mini- 
ster werden,  das  strengt  ja  weniger  an.  Und  der  Ab- 
sturz ist  weniger  gefährlich.  Er  ist  übrigens  gar  nicht 
krank.  Er  ist  das  Leben  selbst.  Der  überlebt  uns  alle. 
Pardon,  ich  kann  natürlich  nur  von  mir  sprechen,  wir 
können  ja  alle  immer  nur  von  uns  sprechen  .  .  .  Lacht. 
Ein  sehr  interessanter  Mensch  .  .  .  wir  haben  viel  mit- 
einander geredt  ...  in  den  paar  Tagen  .  .  .  Ich  hab' 
ihn  gern. 

FRAU  MEINHOLD.  Er  scheint  Sie  auch  sehr  ins 
Herz  geschlossen  zu  haben.  Ja,  es  ist  ein  sonderbarer 
Brief.  Rührend  beinah.  Und  ein  bißchen  affektiert. 
Das  wird  er  sich  wohl  nicht  mehr  abgewöhnen. 

FRIEDRICH.    Nein,  das  kaum  mehr  .  .  . 

FRAU  MEINHOLD.    Also  auf  Wiedersehn. 

FRIEDRICH.  Auf  Wiedersehn,  gnädige  Frau.  Und 
wenn  Ihr  Herr  Gemahl  hierher  kommt,  unser  Haus  ist 
natürlich  .  .  .  Les  amis  de  nos  amis  .  .  .  und  so  weiter  .  . . 
Adieu,  gnädige  Frau. 

GENIA  begleitet  sie  ein  paar  Schritte. 

FRAU  MEIN  HOLD.  Bleiben  Sie  doch,  bleiben  Sie 
doch,  liebe  Frau  Genia.    Auf  Wiedersehn.    Ab. 
GENIA  rasch  zurück. 

GENIA.     FRIEDRICH. 

FRIEDRICH  stand  regungslos. 

GENIA.    Nun  ?  .  .  .    Alles  ...  gut  —? 

FRIEDRICH  sieht  sie  an.    Na  .  .  .!  — 

GENIA.    Er  ist  verwundet?!      Friedrich!  .  .  . 

FRIEDRICH.    Tot  ist  er! 

GENIA.  Friedrich,  treib  es  nicht  zu  weit!  Hier 
hört  der  Hohn  auf. 

FRIEDRICH.  Er  ist  tot.  Ich  kann*s  nicht  anders 
sagen. 

GENIA.  Friedrich,  Friedrich  .  .  .  Auf  ihn  zu,  packt 
ihnbeidenSchullern.  Du  hast  ihn  umgebracht,  Fried- 
rich .  .  .   Und  —  seiner  Mutter  die  Hand  gedrückt. 

416 


FRIEDRICH  xuckt  du  Acbuln.  Idi  hab  nicht  gewußt, 
daß  sie  da  .  .  .  bei  dir  ist.    Was   hätt  ich  tun  sollen  ? 

GENIA.  Tot . . .  tot!  . . .  Plötzlich  auf  ihn  au.  Mörder! 

FRIEDRICH.  Es  war  ein  ehrlicher  Kampf,  ich  bin 
kein  Mörder. 

GENIA.    Warum,  warum  .  .  . 

FRIEDRICH.  Warum  —  ?  Offenbar  .  .  .  hat's  mir 
so  beliebt. 

GENIA.  Es  ist  ja  nicht  wahr!  Mach'  dich  nicht 
fürchterlicher  als  du  bist.  Du  hast  nicht  wollen.  Ein 
entsetzlicher  Zufall  war's !  .  .  .  Du  hast  nicht  wollen  . . . 
es  ist  nicht  wahr  .  .  . 

FRIEDRICH.  In  dem  Augenblick,  da  er  mir  gegen- 
übergestanden ist,  da  ist  es  wahr  gewesen. 

GENIA.  Grauenhafter  Mensch!  Und  hast  seiner 
Mutter  die  Hand  gedrückt.  Hast  ihn  nicht  einmal  ge- 
haßt und  ihn  doch  umgebracht.  Bösewicht,  eitler, 
grauenhafter  Bösewicht. 

FRIEDRICH.  So  einfach  ist  das  nicht.  Hinein- 
schaun  in  mich  kannst  du  doch  nicht.  Kann  keiner. 
Die  arme  Frau  Meinhold  tut  mir  leid.  Auch  mein 
guter,  alter  Herr  von  Aigner.  Aber  ich  kann  ihnen  nicht 
helfen.  Nein.  Auch  dir  nicht.  Und  ihm  nicht.  Und 
mir.    Es  hat  sein  müssen. 

GENIA.    Müssen?  — 

FRIEDRICH.  Wie  er  mir  gegenübergestanden  ist 
mit  seinem  frechen,  jungen  Blick,  da  hab'  ich's  gewußt 
...  er  oder  ich. 

GENIA.  Du  lügst,  er  hätte  dich  nicht  ...  er  nicht . . 

FRIEDRICH.  Du  irrst  dich.  Es  war  auf  Leben  und 
Tod,  Er  wollte  es  so  gut  wie  ich.  Ich  hab's  in  seinem 
Aug'  gesehn,  wie  er  in  meinem.    Er  .  .  .  oder  ich  . . . 

ERNA  und  MAUER  aus  dem  Garten. 

ERNA  bleibt  an  der  Tür  stehen. 

MAUER  rasch  zu  Genia,  drückt  ihr  die  Hand. 

FRIEDRICH.    Ah,  Mauer,  du,  schon  da? 

MAUER.    Ich  habe  nichts  weiter  zu  tun  gehabt. 

GENIA.    Wo  ist  seine  Leiche? 

TlMatentOcke.  IV,  37  4*7    ' 


MAUER.    Auf  dem  Weg. 

GENIA.    Wohin? 

MAUER.    In  das  Haus  seiner  Mutter. 

GENIA.    Weiß  sie  .  .  .  wer  wird  ihr  ...  f 

MAUER.    Es  hat's  noch  keiner  gewagt. 

GENIA.  Ich  will  es  ihr  sagen.  Es  ist  meine  Pflicht. 
Ich  geh'  zu  ihr. 

FRIEDRICH.  Genia  .  .  .  Einen  AugenbUck.  Wenn 
du  zurückkommst,  bin  ich  kaum  mehr  da.  Ich  kann 
nicht  von  dir  verlangen,  daß  du  mir  die  Hand  reichst, 
aber  —  wir  sagen  uns  halt  adieu. 

GENIA  sieb  erinnernd.  Percy  kommt.  Noch  in  dieser 
Stunde. 

FRIEDRICH.  Percy?  Den  erwart'  ich  noch... 
Dann  .  .  .  die  übrigen  ...  na  .  .  . 

GENIA.    Was  hast  du  vor? 

FRIEDRICH.  In  die  Stadt  hinein.  Das  beste  wird 
wohl  sein,  ich  stell'  mich  selbst.  Geschehn  wird  mir  ja 
nichts.  Ich  hab'  ja  nur  meine  Ehre  gerettet.  Vielleicht 
daß  sie  mich  gegen  Kaution  .  .  .  allerdings  Fluchtver- 
dacht ist  vorhanden. 

GENIA.  Daran  denkst  du !  Und  der  andere  liegt  er- 
schossen — ! 

FRIEDRICH.  Ja,  der  hat's  freilich  leichter  als  ich. 
Für  den  ist  alles  erledigt.  Aber  ich  —  ich  bin  auf  der 
Welt.  Und  ich  gedenke  weiter  zu  leben  .  .  .  Man  muß 
sich  entscheiden.    Entweder  —  oder. 

GENIA  starrt  ihn  an.    AuS  .  .  .   Will  geben. 

MAUER.  Frau  Genia  ...  Sie  dürfen  diesen 
Weg  nicht  allein  gehn.  Erlauben  Sie  mir,  Sie  zu  be- 
gleiten. 

GENIA  nickt.    Ich  danke  Ihnen.    Kommen  Sie. 

MAUER  und  GENIA  ab. 

ERNA.    FRIEDRICH. 

FRIEDRICH  steht  nocb  starr  wie  früher. 

ERNA  an  der  Türe,  bewegungslos.     Was   wirst  du   tun  ? 

FRIEDRICH.  Wie  immer  es  ausfällt,  Verurteilung 


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oder  Freisprechung,  selbstverständlich  fort  aus  der 
Gegend  .  .  .  aus  dem  Weltteil. 

ERNA.  Und  —  wo  immer  du  hingehn  willst,  Fried- 
rich, —  ich  folge  dir. 

FRIEDRICH.    Danke.    Wird  nicht  angenommen. 

ERNA.  Ich  fühl'  es  stärker  als  je,  Friedrich,  wir  ge- 
hören zusammen. 

FRIEDRICH.  Irrtum.  Du  stehst  jetzt  unter  dem 
Eindruck  dieser  Sache.  Wahrscheinlich  imponiert's  dir 
sogar,  daß  ich  .  .  .  aber  das  ist  Täuschung.  Alles  ist 
Täuschung.  Nächstens  schnapp'  ich  doch  zusammen. 
Aus  Erna,  auch  zwischen  uns.  Du  bist  zwanzig,  du 
gehörst  nicht  zu  mir. 

ERNA  immer  auf  demselben  Platz.  Du  bist  jünger  als 
alle. 

FRIEDRICH.  Still!  Ich  weiß,  was  Jugend  ist.  Es 
ist  noch  keine  Stunde  her,  da  hab'  ich  sie  glänzen  gesehn 
und  lachen  in  einem  frechen,  kalten  Aug'.  Ich  weiß, 
was  Jugend  ist.  —  Und  man  kann  doch  nicht  jeden  .  . . 
Bleib  wo  du  bist,  Erna,  amüsier'  dich  gut  und  . . . 

ERNA  lauscht.    Ein  Wagen. 

FRIEDRICH  bleibt  starr.    Percy. 

ERNA  jetzt  etwas  näher  zu  ihm.  Glaube  mir,  Fried- 
rich, ich  liebe  dich,  ich  gehöre  dir. 

FRIEDRICH.  Ich  niemandem  auf  der  Welt.  Nie- 
mandem.   Will  auch  nicht  .  .  . 

KINDERSTIMME  IM  GARTEN.  Mutter!  Vater! 

FRIEDRICH.  Percy.  Er  wimmert  einmal  leise  auf.  Ja, 
Percy,  ich  komm'  schon.  Da  bin  ich.  Rasch  hinaus  auf 
die  Veranda. 

ERNA  bleibt  suben. 


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