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Full text of "Gesammelte Werke;"

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Ernſt von Wildenbruch 
Gejammelte Werfe 


Herausgegeben von 
Berthold Ligmann 


Band7 











G. Grotefche Verlagsbuchhandlung 
% Berlin 1912 





Ernit von Wildenbruch 
Gejammelte Werfe 


SWweIte Xtrde 
Dramen 
Siebenter Band 





6) 





6. Groteſche Verlagsbuchhandlung 
2 Berlin 1912 


Alle Rechte vorbehalten 
Buchausftattung von 
Hugo Steiner: Prag 


Drud von Fifcher & Wittig 
in Leipzig 





517 


Einleitung 


Die vier Dramen dieſes Bandes ſind recht eigentlich die 
Herolde von Wildenbruchs Ruhm geweſen. Wie eine vier- 
ſtimmige Siegesfanfare kündeten ſie eine neue Zeit an und einen 
neuen Mann. Vier Dramen eines bis dahin kaum Genannten 
eroberten im Laufe weniger Monate die deutſchen Bühnen und 
weckten ein Echo freudigen Erſtaunens von einer Stärke und einer 
Einmütigkeit, wie ſie in der Geſchichte des Dramas überhaupt 
zu den größten Seltenheiten gehört. Selbſt der törichte Übereifer 
einiger Schwärmer, die gleich von einem neuen Shakeſpeare ſprachen, 
konnte die Freude an der Tatſache nicht beeinträchtigen, daß nach 
einer ſchmerzlich empfundenen Epoche zaghafter, ſchwungloſer Epi— 
gonendichtung einer den Mut und zugleich die Kraft gefunden 
hatte, dem großen deutſchen Drama neue Wege und Ziele zu 
ſtecken. Das gab dem Worte des Dichters den Reſonanzboden 
und feiner Perſönlichkeit das Gepräge. Das hiſtoriſche Ge— 
präge, können wir heute ſagen. Denn, wie man auch im ein— 
zelnen ſich zu dieſen und der langen Reihe der ihnen folgenden 
Dramen Wildenbruchs kritiſch ſtellen mag, daß er der erſte war, 
der wieder in weiteren Kreiſen den Glauben an die lebendige 
Kraft heroiſcher Dichtung in der Gegenwart geweckt hat, und daß 
er durch die Stärke ſeiner impulſiven Perſönlichkeit Unzähligen 
die Befreiung aus dem Druck der ffeptifch nüchternen Blaſiertheit, 
die über der deutfchen Literatur im erften Jahrzehnt nach dem 
großen Kriege laftete, gebracht, daß er auch denen, die nach ihm 
und zum Teil im fchroffen Widerfpruch gegen ihn auffamen, die 
Wege gebahnt bat, darüber kann heute wohl nicht mehr geftritten 
werden. 

Die vier vorliegenden Dramen bat Wildenbruch zwifchen 
feinem 30. und 35. Lebensjahr gefchrieben, 1875 bis zum 
Frühling 1880. Gie bilden die Schwelle, von der die Be— 
trachtung der Gefamtarbeit des Dichters als Dramatiter aus- 
gehen muß. 

Die vor diefer Zeit liegenden dramatifchen Arbeiten find 
an ihnen gemeffen nicht mehr als Vorftudien, Präludien, die 
literarbiftorifch wohl intereffant find, weil fie die Bildungs: 
elemente des werdenden Dramatifers erkennen laffen, die aber 
deswegen anders betrachtet umd gewertet fein wollen, als die 
Werke feiner Mannesjahre. Das Wefentlihe und Charakte— 





vu 


riftifche aus diefen Jugendarbeiten wird der 15. Band unferer 
Ausgabe bringen. 

Als eine Borftudie ift auch noch das fchon in Frankfurt a. O. 
gefchriebene fünfaftige Schaufpiel „Auf der hoben Schule“ an- 
zuſehen, das im Dftober 1875 auf der Weimarer Hofbühne 
zwar zur Aufführung fam, aber wie an anderer Stelle noch 
zu berichten fein wird, ihm nur einen befcheidenen Achtungs- 
erfolg eintrug. Trotzdem bedeutete diefer Theaterabend, an dem 
er zum erftenmal an einem feiner Werke die Probe auf das 
Erempel machen konnte, für den werdenden Dramatiker Großes. 
Er zeigte ihm mit unerbittlicher Schärfe, was ihm fehlte und 
fpornte ihn zugleich zu neuer Tat: „Zu weich und breit in der 
dramatifchen Führung. Das Ganze ein volljaftiger, junger Körper, 
noch gar nicht zu klarer Form entwidelt, aber aus dem fich 
Form entwideln fann! Biel zuviel Igrifches Element!“ fchreibt 
er unter dem unmittelbaren Cindrud der Aufführung vom 
7, Dftober 1875 an die Frankfurter Freunde Dr. Stange und 
Balzer. Uber er fährt gleich weiter fort: „Harold wird beffer 
fein. Guten Mut, dem Mut gehört die Zukunft und der Zukunft 
die Welt!“ 

Die Lebensfreudigfeit und Tatkraft, die aus diefen Worten 
fpricht, ift wohl an erfter Stelle die Frucht feines Erfolges auf 
epifchem Gebiet: die Aufnahme, die fein Heldengedicht „DVion- 
ville“ in weiten Kreifen gefunden und das dadurch zu fich felbit 
geivonnene Vertrauen, daß er berufen fei, „im Lied der Nach- 
welt zu verkünden, was meines Volkes Herzen einft beivegt.“ 
Und diefen Beruf vindizierte er fih wieder aus der unter dem 
Eindrud der großen Ereigniffe der jüngften Vergangenheit ge: 
wonnenen Erkenntnis deffen, was dem deutfchen Volk und der 
deutjchen Dichtung, vor allem dem Drama, im gegenwärtigen 
Augenblick nottue. 

Nach taftenden Verſuchen hatte er für fich felbft die Richtung 
gefunden, „die biftorifche”, wie er fie felbft bezeichnet hat, „die 
bewußte Vereinigung menfchlich dramatischer Schickſale mit großen 
geichichtlichen, insbefonders nationalgefchichtlichen Vorgängen“. In 
diefer Richtung hatten ſich ſchon inftinktiv einzelne der früheren 
Dramen bewegt; zum vollen Bewußtfein einer ihm perfönlich 
vom Schickſal damit vorgezeichneten Linie war er aber erft in 
den eriten Frankfurter Jahren gefommen. Wie fich ihm damals 
diefe Aufgabe daritellte, hat er in dem 1898 gefchriebenen Auf: 


vm 


fat „Das deutfche Drama“ *) ausgefprochen: „Zweierlei war mir 
Har, einmal, daß ein Wiederaufleben großen dramatifchen Emp- 
findens im deutfchen Volke nur möglich war, wenn ihm gezeigt 
wurde, daß es größere Fragen und wichtigere Konflikte für die 
Menschheit gibt, als die in den deutfchen Dramen der legten Zeit 
nach franzöfifchem Mufter abgehandelten Eheftandsfragen und 
Eheftandskonflifte, fodann aber, daß, wenn je eine Seit ge- 
fommen war, um zu den großen Aufgaben der dramatifchen 
Kunft zurück zu gelangen, diefe Zeit jest war und daß, wenn 
jegt der Augenblick verfäumt werde, fie vielleicht nie wieder ge— 
fommen fein würde. Richard Wagner hatte durch feine Mufik- 
dramen die Augen Deutjchlands wieder auf den Quell gelenft, 
der aus der deutjchen Sagenwelt entjpringt; aber in weiſer 
Erkenntnis, daß die Muſik Sagengeftalten verkörpern kann, nicht 
aber wohl biftorifche, hatte er die Hand von der eigentlichen 
Geſchichte abgelaffen. Hier lag das Aufgabenfeld für den rezi- 
tierenden Dramatiker. Deutfchland war politifch reif geworden. 
Nur für ein politifch veifes und zugleich hoffnungsftarfes Volt 
fann der Dichter hiftorifch -politifche Dramen ſchaffen.“ 

Die erfte Frucht diefer neuen Erkenntnis war Harold, 
mit dem er ſich wohl fchon feit 1874 herumtrug, der aber erft 
im Laufe des Sahres 1875 geftaltet und vollendet wurde. Wie 
ihm der Stoff nahegefommen, muß dahingeſtellt bleiben. Sicher 
ift dagegen, daß er ihm aufgegangen ift in der Beleuchtung und 
Einftellung, wie fie I. M. Lappenberg im erften Bande feiner 
„Beichichte von England“ **) bot. Auf Lappenberg als unmittel- 
bare Quelle weit nicht nur die Schreibung des Namens „Eadiward“ 
in einem erhaltenen Bruchftüd der erften Faffung***), fondern 


*) „Blätter vom Lebensbaum“, ©. 162 f. Vgl. auch Berthold 
Litzmann: „Rede zur Wildenbruchfeier des afademifch -Literarifchen 
Vereins am 17, — 1911.” Nord und Süd 1912 (. Sanuar- 
heft), ©. 8 f. 

*) Hamburg 1834. 

*=*) Oappenberg I. 366 erzählt auch die Sage von Eadward 
und Egwine, aus der Wildenbruch die Ballade „Zung Edward und 
Egwine* („Lieder und Balladen“ ©. 109) gefchöpft hat, Die in der erften 
Faflung des Harold von Edith Schwanenhals gefungen wird. Vgl. 
Grundlagen und Varianten ©. 522f: „Das Hirtenmädchen Egwine, 
die fchönfte des Tals, fieht in einem Traumgeficht aus ihrem un- 
beflecften Schoß einen Mond emporfteigen, deſſen Strahlen ganz 
England erleuchten. Eine Landfrau, Die Amme des königlichen Kindes, 





IX 


vor allem auch die eigentümliche Wertung der gefchichtlichen 
Lage, die er bei Lappenberg fand und die ihm den Stoff eigent- 
lich erſt innerlih nahe brachte. Ich meine die Stelle: „Wie 
Eadward das erfte Beifpiel des dem fpäteren Europa fo ver- 


derblich gewordenen krankhaften Wohlgefallens an fräntifcher 


Hoflitte und Sprache gab, fo erbliden wir in dem Widerftreben 
der Angelfachfen und dem Anſchließen an Godwine eine noch 
nicht wider feindliche Heere, wohl aber wider entgegengejegte 
Geiftesrichtungen, vielleicht zum erften Male in diefer Weife 
im Mittelalter, fich fräftig vordrängende Nationalität*).“ 

Diefe biftorifche Perfpeftive, und das poetifhe Motiv, 
das ihm aus Heines Romanze „Schlachtfeld bei Haftings“ in 
der Seele lag, famen wohl zufammen, um ihn für Harold den 
Angelfachfen als tragifchen Helden zu erwärmen **). Die Hauptpunfte 
einer tragifchen Entwicklung fah er fich in der Quelle vorgezeichnet: 
den Rampf zwifchen der höheren Kultur eines zugleich klugen 
und tapferen Eroberervolfs — der Normannen — und der dumpfen, 
durch die Jupulſe triebhafter Leidenschaften beftimmten Gebunden- 
beit der Angelſachſen; die Konflikte, die fih aus Paarung 
beider Raſſen im Familien- und Staatsleben ergeben. Ferner, 
von diefem Hintergrund ſich abhebend: die tragifche Verſtrickung 


findet dadurch fich Hingezogen, die wunderfame Maid in ihrer Hütte 
aufzufuchen. Der Königsjohn, auf der Jagd verirrt, elangt durch 
diefen Zufall zu feiner Amme und dem reizenden Geſchöpf in ihrer 
Umgebung. Jugendfraft und Jugendſchöne feiern den Bund, welcher 
in der überirdifchen Welt bejchlofjen war. Athelſtan wird geboren 
und auf fein Vaterland ftrahlen die herrlichen Himmelszeichen mit 
ungehemmtem Glanze.“ 
Lappenberg a. a. O. ©. 515. 

**) Dr. Rainer von Reinöhl in feinen „Studien zu Wildenbruchs 
Harold“ (im 32. Jahresbericht des niederöfterreichifchen Landes - Real- 
und Obergymnafiums in der Stadt Baden. Baden 1895, ©. 1—26) 
weijt u. a. auch auf Bulwers Roman „Harold“ als Anreger hin, vor 
allem für die Geftalt und den Charafter von Harolds er, von 
der die Quellen und daher auch Lappenberg wenig mehr, als den 
Namen berichten. Allerdings enthält die Charafteriftif, die Bulwer 
von Gytha gibt, wejentliche Züge, die auch der Mutter Harolds bei 
Wildenbruch eigen find. Es darf aber nicht überfehen werden, daß 
Wildenbruch ion in der Geftalt der Kaiſerin Elifabeth in jeinem 
Zugenddrama „Die Rache der Frau“ einen Frauentypus gefchaffen 
hatte, der wie eine Vorſtudie von Gytha erfcheint. Immerhin foll 
die Möglichkeit einer Anregung durch Bulwer in diejer Hinficht nicht 
ganz von der Hand gewiejen werden. 


X 


des typiſchen Vertreters der Angelſachſen durch die typiſchen 
Leidenschaften und Schwächen feines Stammes. Die Etappen: 
der erjchlichene, Teichtfertig im Rauſch des Bluts geleiftete 
Eid, der durch die höchite vaterländifche Pflicht ihm auferlegte 
Bruch diefes Eides und fchließlich die durch dieſen Eidbruch 
zwischen ihm und feinen Nächften, für die er ihn gebrochen, 
' berbeigeführte Entfremdung, die ihn im AUugenbli der Ent: 
Iheidung einfam, faft wehrlos dem Eroberer preisgibt. 

Um das zu einem Drama zu geftalten, bedurfte es einer 
Loslöfung der Fonftruftiven Elemente des ftragifchen KRonfliktes 
von allem überflüffigen Beiwerf nnd der Zufammenraffung der 
über Jahrzehnte fich erſtreckenden Begebenheiten in eine zeitlich 
und örtlich gefchlofiene Handlung. So ift — um nur einiges 
berauszugreifen — die Gewalttat des Euftach von Boulogne in 
Dover, die noch zu Lebzeiten von Harolds Vater Godwin ge- 
Ihab, in den Eingang des Dramas verlegt, und die Rolle, die 
bei diefem Ereignis „Godwin und feine Söhne“ fpielen, Harold 
allein zugeteilt, auch Harolds Brüder, die in der Gefchichte 
neben ihm in wechjelnden Rollen erfcheinen, find geftrichen*), bis 
auf Wulfnothb, der zum Knaben verjüngt ift, während Harold 
felbft aus dem vollreifen Mann und Familienvater, wie ihn die 
Gefchichte Fennt, in einen Füngling verwandelt ift, der kaum die 
Schwelle des Mannesalters überfchritten hat. Ein Zug, der 
für die pfochologifche Begründung feines Handelns von ent: 
fcheidender Bedeutung ift. Der winzige Reim der biftorifchen 
Überlieferung, daß Harald bei feinem Aufenthalt in der Mor: 
mandie Wilhelm verfpricht, dereinft eine feiner Töchter zu ebe- 
lichen, wird zu einem Kernmotiv der tragifchen Handlung in 
freier Erfindung und Verknüpfung der Begebenheiten heraus: 
gearbeitet und entwidelt. Denn mit Recht ift fchon von anderer 
GSeite**) hervorgehoben, daß nicht der hiftorifche, auf die Reliquien 
geleiftete Eid Harolds es ift, der ihn in „tragifche Schuld“ ver- 
ftrickt, fondern das ſich Verlieren des Angelſachſen in eine Leiden- 


) Sie waren allerdings in der erften und auch . in 
einer — Faſſung. Vgl. Grundlagen und Varianten ©. 532f. 
Ein Lberbleibfel diefer Gruppierung der Brüder um Harold ift J 
wenn auch noch in der legten Fa —— Gytha im fünften An auf 
Odos Ausruf Grafen Godwins Weib!” antwortet: „Und Mutter 
feiner Söhne.“ 

**) Rainer von Reinöhl a. a. O. 





xl 


fchaft für die Normannentochter, das ihn zum Führer feines 
Volkes untauglih macht. Aus diefer felben Wurzel wächſt die 
Geſtalt Gythas, in allen wefentlichen Zügen frei erfunden; die 
Frau, der die Willenskraft, durch die fie die Männer ihres 
Haufes und Volkes überragt, zum Verhängnis, zum Verderben 
für fih und ihr Volk wird, indem fie durch die Verweigerung 
der Huldigung das Volk führerlos und den König volflos 
macht. 

Gegen diefe den geborenen Dramatiker befundende vor- 
züglihe aufbauende Arbeit erjcheinen gewifle ebenfalls kon— 
ftruftive Schwächen verhältnismäßig belanglos. Sie machen fich 
bemerflih vor allem in der fonft höchſt gefchidten Erpofition, 
in jener für Wildenbruh auch nachmals fo charafteriftifchen 
Sorglofigfeit, die inneren und äußeren Porausfegungen der 
Situation, denen wir beim Aufgehen des Vorhangs gegenüber: 
fteben, zu begründen und glaubhaft zu machen (Gythas Gtel- 
lung zu Harold!) und ferner in der nicht genügenden Glaubhaft- 
mahung der Möglichkeit, dab ein Mann wie Harold den ver- 
bängnisvollen Eid ſchwört. Doch darf allerdings nicht verfannt 
werden, dab diefer Mangel in der fchier unübertwindlichen 
Sprödigfeit des quellenmäßig gegebenen Motivs feinen Grund 
bat, die auch durch das frei erfundene Motiv — die Harolds 
Seele umnebelnde Leidenschaft für Adele — zu fehmelzen und 
zu befeitigen ihm nicht hat glücden wollen. 

Daß Heines Romanze „Schlachtfeld bei Haftings“ auf die 
Schlußwendung einen jtarfen Einfluß gehabt hat, ift auch noch 
jest deutlich zu erkennen. Gie war aber in der erjten Faſſung 
noch viel bedeutender. Denn in ihr fpielte Edith Schwanenhals 
felbft eine Rolle, wie das einzige erhaltene Bruchftüd beweift*). 
Mit richtigem dramatifchem Inſtinkt aber ward nachmals dies 
„Igrifche”, die Einbeitlichkeit der Handlung zerfegende Element 
getilgt und es blieb nur als Nachklang das Auftreten der 
Mönche von Hyde; an die Gtelle Ediths trat in der legten 
Szene Gytha. 

Sn diefer erften Faſſung ward das Drama im Spätherbit 1875 
vollendet und bald darauf dem Königlichen Schaufpielhaufe in 
Berlin eingereicht. Monate vergingen, ohne daß der Dichter 
von dem Schickſal „Harolds des AUngelfachfen“ etwas erfuhr. 


*) Bgl. oben S. VIH und Grundlagen und PBarianten ©. 522. 


XI 


Im März endlich fam die Antwort: eine Ablehnung; und auch 
das Weimarer Hoftheater, auf das er nun feine Hoffnung gefest 
hatte, gab im Zuli den gleichen Befcheid. Ein hart empfundener 
Schlag, der aber nur vorübergehend entmutigte., Während der 
folgenden Jahre, zwifchen der QUrbeit an neuen werdenden Dramen, 
ward Harold in verfchiedenen Etappen völlig umgearbeitet*) und er: 
ſchien in diefer neuen Geftalt — A**) — im Sommer 1879 in den von 
Mar Stempel herausgegebenen „Deutfchen Monatsblättern“**) als 
„Harold, Trauerfpiel in fünf Akten.“ Aber auch in diefer Ge- 
jtalt befriedigte er ihn ſelbſt innerlich noch nicht, ohne daß er 
ih einftweilen über das Was und Wie einer Umformung Klar 
geworden wäre, Die Erleuchtung fam ihm erft am 6. März 1881 
während der Aufführung der Rarolinger in Meiningen. „Wenn 
ih ein Stück von mir aufführen ſehe, verwandelt fich mein 
Inneres gewiffermaßen in einen Brei von heißem, flüffigem 
Metall, aus dem man alles formen und geftalten kann, oder 
richtiger, das was ich in Gedanken habe, wird folch ein Brei, 
der jeglicher Neugeftaltung fähig wird. Go zerſchmolz mir an 
jenem Abend der Harold; ich wußte plöglich, daß er in der bis- 
berigen Geftalt, wo Adele nur eine vorüberraufchende Epifode 
war, nicht möglich für die Bühne fei, meine Phantafie griff mit 
beiden Händen in das aufgelöfte Stüd***)“, 

Die Umarbeitung — B— war jchon Mitte April beendet****) 
und wies wefentliche Veränderungen auf. In A (Faffung von 1879) 
fchloß fih unmittelbar an den Schluß des erjten Aktes (Harolds 
Berbannung) im ziveiten Akt die Rückkehr des verbannten Harold, 
und in der Szene der Wiederbegegnung Harolds und feiner 
Mutter vor König Eduard erfuhren zum erftenmal die Zufchauer 
mit den Hauptbeteiligten, daß der Heine Wulfnoth fich bei Wil- 
helm in der Normandie befinde. Zum erftenmal auch ward 
Adele erwähnt, bei der Überreichung ihres Bildes an Harold 


*), Einen Einblick in die verfchiedenen Stadien Diefer Arbeit, 

das Werden, Wachfen und Wechfeln der Motive, auch Anhalts- 
punfte für die Datierung der Arbeitsfchichten, gewähren die Bruch- 
ftücfe in den Grundlagen und Varianten ©. 524 \ 
st, —* Grundlagen und Varianten, ©. 517. 
r, SöoL base; von Ernft von Wildenbruch aus den Jahren 1881 
und 1882, mitgeteilt von Berthold Ligmann. Deutfche Rundfchau, 
38. Jahrgang (1911), ©. 82 (Brief vom 16. IV. 81). 

"+, In dieſer Faffung erfehien Harold im Sanuar 1882 als Buch. 


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X 


durch König Eduard: „Du gebft in ein gefährlich Land, mein 
Sohn“ ufw*). 

Erſt im dritten Akt trat Adele felbft auf, hörte in einem 
einleitenden Gefpräch mit ihren Damen zum erjten Male vom 
„Ihönen Herzog Harold“ der „jo viele Siege ſchon erfocht, als 
er an Jahren zählt“ erzählen und erfuhr auch bei diefer Gelegen- 
beit, daß der ihrer Obhut anvertraute Knabe Wulfnoth das 
Brüderhen von Harold fei. Lnmittelbar daran ſchloß fich die 
erfte Nachricht von Harolds Ankunft in der Normandie, und an 
diefe fein Auftreten felbit. 

Zweifellos bedeutet die jegige Faflung (B), in der Adele fchon 
im zweiten Akte auftritt und wo durch die Aufnahme Wulfnoths 
in ihre Obhut ein Band zwifchen ihr und Harold gefnüpft wird, 
eine wefentliche Verbefferung; nicht nur ift dadurch die Geftalt 
Adelens ihres epifodenhaften Charakters entkleidet, ſondern auc) 
dag Llbel der früheren Faffung, in der das Stück in zwei Hälften 
— erſter und ziveiter Akt einerfeits, dritter bis fünfter Ukt 
andererſeits — auseinanderfiel, befeitigt, jedenfalls weniger fühlbar 
gemacht. Aus diefer wefentlichen Anderung ergab fich dann im 
dritten Ute eine völlige Llmgeftaltung der Szenen von Harolds 
erftem Sufammentreffen mit Adele in Rouen. In A ver- 
ſchwand Adele mit dem dritten Att**) nach dem Abſchied von 


) Das Spiel mit dem Bilde Adelens ift ficher einer der jchwäch- 
jten Punfte des Dramas. In A doppelt bedenklich, weil bier jede 
Andeutung fehlt, wie König Eduard zu dem Bilde gefommen und wes- 
halb er ihm die Kraft eines Talismans zutraut. Urfprünglich war, 
wie aus den PVBorarbeiten zu A hervorgeht (vgl. Grundlagen und 
Barianten Harold Ib) dies befjer begründet. a ift im en At 
ein Zufammentreffen Eduard mit Wilhelm, bei dem Wilhelm jelbit 
Eduard das Bild feines „Patenfindes“ Adele übergibt, und Eduard, 
das Bild in feinem Kleide bergend, die Worte fpricht: 

„KRomm junger Mai an mein verwelftes Herz. 
Wilhelm, ich weiß, wie feuer dir dein Kind, 
Drum ſchick' ich jemals einen Mann zu Dir, 
Der diejes Bild dir zeigt, dann ſollſt du wiſſen, 
Dat er Gefandter meines Herzens ift.“ 

*) An den Vorarbeiten zu A findet fich allerdings jchon eine 
Faflung, in der Adele ähnlich wie nachmals in B noch einmal im 
vierten Aft vor dem Aufbruch der Normannen nach England auftritt 
und in einer vifionären Verzückung Harold vom Pfeil durchbohrt 
und vom Rofje ihres Vaters zertreten fieht. Vol. Grundlagen und 
PBarianten ©.528. Harold IV b. 


XIV 


Harold aus dem Stück; der vierte und fünfte Akt ward allein 
durch Harold Kampf um die Krone und den Kampf zwifchen 
Mutter und Sohn ausgefüllt und beherrſcht. Nur in der 
Schlußfzene des fünften Aktes gab — wie auch jet — die 
Erwähnung ihres Todes gewiffermaßen dag Stichwort für Die 
Schlußpointe: „Gebt diefer Frau den Leichnam ihres Sohnes.“ 
Auch bier bedeutet B durch Einfchaltung der erften Szene des 
fünften Altes (Wulfnotds und Adelens Tod) eine wefentliche 
Berbefferung, die fowohl den Charakteren wie dem dramatifchen 
Aufbau zugute fommt.*) 

In diefer endgültigen Geftalt kam Harold zum erftenmal im 
Königlihen Schaufpielhaus in Hannover am 7. März 1882 **), 
am 21, April desjelben Jahres am Königlichen Schaufpielhaufe 
in Berlin zur Aufführung. Hier noch mit einer auf Wunfch 
des Generalintendanten Botho von Hülfen vorgenommenen 
Anderung der erften Szene des fünften AUktes**), 

Harold in feiner erften Geftalt ift noch ganz auf Frank: 
furter Boden erwachfen, in dem biftorifchen Poetenftübchen 
an der Dderftraße mit dem Blick auf den Strom, das wir aus 
der „Schweſterſeele“ fo gut kennen. Der Menonit ift in 
Berlin gefchrieben. Zwiſchen dem Abſchluß der erften Faſſung 
des Harold (Herbſt 1875) und der Vollendung des Menoniten 
(Herbit 1877) liegen das Affefforeramen (Herbit 1876) und 
die Lberfiedelung nach Berlin, wenn er auch befanntlich die 
Frankfurter Wohnung fich jahrelang als Ubfteigequartier be- 
wahrt bat. Diefe Veränderungen des äußeren Lebens konnten 
natürlich nicht ohne Einfluß auf die fchöpferifche Tätigkeit bleiben. 
Das Fahr 1876 brachte Umfchmelzungsarbeiten am Harold, eine 
neue Bearbeitung des älteren Dramas „Die Rache der Frau“, 
und die Redaktion feiner erften Gedichtfammlung „Lieder und 
Geſänge“; kein neues größeres Werk, Erſt im September 1877 


*) Vgl. auch Wildenbruchs Äußerungen darüber in dem er- 
wähnten Briefe vom 16. April 1881 an Berthold Ligmann. 

**, Über die Aufführung in Hannover berichtet ein Brief an 
Berthold Lismann vom 20. März 1882, Deutfche Rundfehau a. a. O. 
— — f. Vgl. auch „Blätter vom Lebensbaum“ („Das alte Haus“) 

‚I2f 


“) Deutfche berg a. a. O. S. 74 ff, (Briefe an Berthold 
Ligmann vom 9. und 14, November 1881). DBgl, auch Grundlagen 
und Varianten ©, 517 f. 





XV 


la8 er den Frankfurter Freunden den eben vollendeten Meno- 
niten vor. 

In der Problemftellung hängt der Menonit fehr eng mit 
dem Harold zufammen. Hier wie dort der Kampf jugendlich 
impulfiver Männlichkeit gegen Schwäche, Rabale, Eiferfucht und 
Berftändnislofigfeit einer fompaften Majorität, bier wie dort 
das erotifche Motiv den Konflikt verfchärfend und vor allem die 
DBlutsverwandten (Harold-Gytha, Maria: Waldemar) trennend, 
und bier wie dort das perfönliche Schickſal geadelt durch das 
Aufgehen und Llntergehen des einzelnen in einem Kampf um 
große nationale Güter. Die weltgefchichtlihen Vorgänge des 
Untergangs der AUngelfachjen verjüngt auf den Maßſtab einer 
bürgerlichen Tragödie im Rahmen einer weltgejchichtlichen Be— 
gebenbeit. Das war fein Zufall, noch weniger ein Notbehelf, 
vielmehr eine erfte Probe auf das Erempel, der erjte Verſuch der 
Berwirklichung eines neuen Ideals des vaterländifchen Dramas, 
wie es ihm wohl nicht zum wenigjten unter der Arbeit an den 
beiden Heldengedichten „Vionville“ und „Sedan“ aufgegangen 
war und das für die nächfte Folgezeit ihm auch maßgebend 
blieb. Lebhaft verfocht er, die Aufgabe des hiftorifchen Dramas 
fei nicht allein, Weltgefchichte in und an den Schidfalen und 
Derfönlichkeiten der großen Führer und Helden zu veranfchau- 
lichen und zu geftalten, fondern mindeſtens ebenfofehr, die großen 
Weltbegebenheiten ſich nur widerfpiegeln zu laffen in den Schid- 
falen namenlofer Zeitgenoffen, die unter den Großen und für die 
Großen fämpfen und leiden. 

Den Stoff hatte er in den Aufzeichnungen des Biſchofs 
Eylert aus dem Leben Friedrih Wilhelms III. gefunden*), der 
u.a. von dem fragifchen Schidjal eines „edlen, kräftigen, hoch— 
finnigen Jünglings aus der Mennonitengemeinde in der Gegend 
von Danzig“ erzählt, der „dem Zuge feines Herzens folgend“, 
fih „gegen den Willen der Eltern und gegen die kirchlichen Geſetze 
der Gemeinde“ 1813 freiwillig in die Reihen der KRämpfenden 
gejtellt hatte und dem bei feiner Rückkehr aus dem Feld als 
Dffizier, mit dem Eifernen Kreuz geſchmückt, die Eltern die Auf- 
nahme verweigerten, den die Gemeinde „wie einen Geächteten“ 


RR. Fr. Eylert, „Charafterzüge und hiftorifche Fragmente aus 
dem Leben des Königs von Preußen, — Wilhelm Ile, Zweiter 
Teil. Erfte Abteilung. Magdeburg 1844. ©. 229 ff. 


XVI 


ausſtieß. In ſeiner Not wandte ſich der Arme an den König: 
„Erbarme dich meiner. Ich habe getan, was ich nicht laſſen 
konnte und dein Wort ‚Mit Gott für König und Vaterland‘ 
bat mich in die Schlachten und Siege geführt. Ich wollte, ich 
wäre gefallen, freudig hätte ich mein Blut für dich und deine 
Sache vergoffen. Uber ich bin in allen Gefahren erhalten, und 
nun weiß ich nicht, wo ich unftet und flüchtig hin fol... 
Man fliehet mich als einen Mörder; mein Eifernes Kreuz ift 
der Gemeinde ein KRainszeichen; in den Bann getan liegt auf 
mir ein Fluh. Was fang’ ich an? Gerechter, gnädiger Rönig, 
bilf mir und rette mich.“ Vergeblich fuchte der tief erfchütterte 
König zu vermitteln, und verbannt und unverföhnt ftarb der 
Unglücliche wenige Jahre darauf. 

Aus Ddiefer ihm felbft ang Herz greifenden Begebenheit 
bildete fich Wildenbruch die Tragödie feines Menoniten*). Seines 
im eigentlichften Sinn. Denn wenn je in einem feiner Dra- 
men und in einem feiner Helden fein Herz fchlug, fein 
Stimmklang zu fpüren ift, fo ift e8 in Ddiefer Tragödie des 
Zweiunddreißigjährigen, die in gewiffen Sinne wie die Tragödie 
feines Lebens überhaupt berührt. Denn die Mächte und Ohn— 
mächte, mit denen Reinhold der Menonit kämpft, find Die- 
felben Feinde, an denen fih Ernft von Wildenbruch mehr 
als fechzig Jahre müde und wund gerungen hat. Diefe ftarfe 
perfönlihe Note, die auch, wer noch nichts vom Dichter 
weiß, beraushört, hat dem Werk von jeher die eigentümlich 
binreißende Kraft verliehen und jenen Zauber ungebrochener 
reiner Iugendlichkeit, an der man fich freut, ohne zu Eritifieren. 
Daß gerade der Menonit für eine nüchterne Kritik zahlreiche 
Angriffsflächen bietet, darf dabei nicht verfchiwiegen werden. Im 
noch böherem Grade als der Harold franft er an der An— 
wahrfcheinlichkeit, ja der Unmöglichkeit gewiffer Vorausfegungen 
(Waldemars Berhältnis zu Maria; Mathias und die Rolle, 
die er in der Gemeinde fpielt), ift im technifchen Aufbau vielfach 
anfechtbar, und fordert auch in der hiftorifchen Farbengebung 
und =verteilung zum Widerfpruch heraus, Vor allem gilt dies 
von den Mennoniten, die im Gegenfag zu allen fonftigen hiſto— 
rifchen Darftellungen ihres Verhaltens gerade in der Zeit der 


) MWildenbruch bediente fich merfwürdigerweife ſtets Diefer 
biftorisch nicht zu rechtfertigenden Schreibung. 


XxXVI 


Befreiungskriege, im Widerſpruch auch mit zahlreichen rühmenden 
Zügen, die Eylert im weiteren Verlauf ſeiner Erzählung von 
des Königs Verhältnis zu den Mennoniten gibt, im Intereſſe 
der Rontraftwirfung ab irato zu Fragen erbärmlichen Philifter- 
tums verzerrt find. Der Menonit erfchien gedruckt zuerft 
im Suni 1878 in den „Deutfchen Monatsblättern“*). Auf der 
Bühne leuchtete auch ihm zumächit Fein günftiger Stern. Der 
Leiter des Schaufpielhaufes in Berlin nahm Anſtoß am Stoff 
und entjeste fich über Bauern, die in Verſen fprechen. Otto 
Devrient, der als Mitglied der Weimarer Bühne für den Dichter 
von „Auf der hohen Schule“ Intereſſe gefaßt, hatte ziwar den 
Menoniten für Frankfurt a. M. angenommen, mußte aber, ehe 
er zur Aufführung fam, von feinem Poften zurüdtreten. Und 
eine „Wohltätigkeitsaufführung“, in der am 22. April 1879 
ein Kreis von jungen Schaufpielern und Mitgliedern des afa- 
demifch-literarifchen Vereins das Drama auf dem „National- 
Theater“ berausbrachte, fand zwar Beifall, auch feitens der 
Kritik, brachte aber feine Nachfolge**). 

Die einzige unmittelbare Wirkung war eine Llmarbeitung 
des vierten Aktes, die der Dichter im Mai vornahbm. Es 
handelte fih um die Verwandlung des „Trauerſpiels“ in ein 
„Schaufpiel“, dadurch herbeigeführt, dab Waldemar im ent- 
fcheidenden Augenblick ſich auf die Geite Reinholds fchlägt, 
infolgedefien Reinhold und Henneder enttommen und die nach 
der Flucht der beiden eintreffenden Franzofen erklären, milde 
Richter fein zu wollen***). 

Daß diefe Änderung feine Berbeiferung bedeutete, im Gegen- 
teil den Lebensnerv der Dichtung antaftete, ward ihm felbit 
nur zu bald Harz; die frühere Faflung ward endgültig wieder 
aufgenommen und die Handjchrift des verfehlten Schluſſes 
mit der Auffchrift „Zum Andenken an ein mißratenes Rind“ 
dem Freunde für feine Menonitenaften überantivortet. Inter: 
eifant ift aber an diefem übers Knie gebrochenen, verföhnenden 
Schluß, daß fih in den Ausſprachen zwifchen Henneder und 


) Bol. Grundlagen und Varianten ©. 518. 
=) Bgl. Berthold Ligmann, „Die erjte Aufführung voh 
Wildenbruhs ‚Menonit‘, am 22, April 1879 in Berlin“, Franf- 
furter Zeitung 2. April 1909 Nr. 111. Erites Morgenblatt. 
+), Bol, Grundlagen des Tertes und Varianten ©. 534f. 
Dramen VII b 


XVIII 


Waldemar ſowie Reinhold und Waldemar ſchon Valentin und 
Heinrich Bergmann („Väter und Söhne“) ankünden. 

Die erſte Aufführung des Dramas auf einer öffentlichen 
Bühne fand am 29. November 1881 im Schauſpielhaus zu 
Frankfurt a. M. ftatt*), von dort wanderte der Menonit dann 
fchnell über alle deutfchen Bühnen, 

Merkwürdig genug war aber nicht den beiden, wie fich 
fpäter zeigte, bübnenwirkffamften Dramen feiner Schaffensepoche 
der fiebziger Sabre befchieden, ihm die Bahn zu bereiten, fondern 
dies blieb einem Werke vorbehalten, das im Gegenfag zu feinen 
Vorgängern, verhältnismäßig viel mehr einer bewußten, in jedem 
einzelnen Zuge wohlberechneten Ingenieurfunft, als dem intuitiv 
geftaltenden impulfiven Schöpferdrang feinen LUrfprung und 
feinen Erfolg dankt. 

Das Preisausfchreiben der Münchener Generalintendanz von 
1878**), in dem u. a. ein Wettfampf um eine Tragödie aus der 
deutfchen Gefchichte eröffnet wurde, deren Stoff jedoch ungelöfte 
Tagesfragen des religiöfen und politifchen Parteifampfes zu 
meiden hatte, gab die Anregung, die den Dichter des Harold 
und des Menoniten, der in der Zwifchenzeit fih an einem 
bürgerlihen Drama, „Die Herrin ihrer Hand“ verfucht hatte, 
auf das Gebiet der großen Tragödie zurückrief. Im Februar 
1878 faß er bereits über dem „Münchener Stüd“ und fühlte, 
daß er fich „eine harte Nuß zu knacken gegeben habe“, Mitte 
Zuli war er fertig und konnte den Frankfurter Freunden das 
neue Werk vorlefen, das in den folgenden Wochen noch eine ziem- 
lich durchgreifende Llmarbeitung erfuhr***). In diefer Geftalt las er 
das Drama am 3. Auguft****) zuerft im afademifch-literarifchen 


) DBgl. darüber den Brief an ee Lismann am 13. Dez. 
1881. Deutfche Rundfchau a. a. O. ©. 77 f, 

*) Bol, Berthold Litzmann. „Das deutfche Drama in den litera- 
A en der Gegenwart“, Hamburg-Leipzig 1894. (5. Aufl. 


*) An Dr. Stange am 26. VII. 1878: „Bon den Rarolingern ift 
der erſte ftarf gefürzte Alt beim Abfchreiber. Am zweiten bajtele 
ich vielfach herum, damit ich ihn in Den Strom des Stückes hinein- 
befomme. Gie werden ihn äußerft verkürzt und den Anfang etwas 
umgeändert finden.” 

++), Bol, Briefe von Ernft von Wildenbruch aus den Sahren 
1878—1880, herausgegeben von Berthold Ligmann. er: 
der Literarhiftorifchen Gefellfihaft Bonn, 4. Jahrgang Nr. 6. ©. 142 ff 





XIX 


Berein zu Berlin vor und Mitte Auguft wanderte das Manu: 
ſtript, das inzwifchen noch einige Änderungen erfahren hatte, 
nah München, um, als die Zeit erfüllet war, ungefrönt auf 
den Schreibtifch in der Potsdamer Straße zurüdzufehren. Das 
waren Die Rarolinger. 

Auf der Llniverfität hatte Wildenbruch außer den vor- 
gefchriebenen rechtsgefchichtlihen Vorleſungen ſich mit der 
deutſchen Gejchichte planmäßig nicht befchäftigt, wohl aber hatte 
er jeit der Seit, da ihm das Ideal des biftorifch-politifchen 
Dramas aufgegangen war, fih mit Darftellungen der älteren 
deutfchen Gefchichte vertraut zu machen gefucht, aus denen er ftoff- 
lihe Anregung für die dichterifche Geftaltung typiſcher und be— 
deutender Vorgänge der deutfchen Vergangenheit glaubte ſchöpfen 
zu Eönnen. Eine folche boten ihm die „Jahrbücher des Deutfchen 
Reiches unter Ludwig dem Frommen“ von Bernhard Simfon, die 
1874 und 1876 in zwei Bänden erjchienen waren*): die annaliftifche 
quellenmäßige Darftellung des Zerfalls des Reiches Karls des Großen 
durch die Schwäche feines Sohnes Ludwig, durch die Ziwietracht 
feiner Enkel, eine durch ein Jahrzehnt etwa fich hinziehende Rata- 
ftropbe im Haufe und im Reiche der Karolinger. Ein Kampf 
zwifchen Männern, in dem aber eine Frau eine verhängnisvolle 
Rolle fpielt, die ziveite Gemahlin Kaiſer Ludwigs, Judith, 
die Tochter Welfs, die für ihren Sohn Karl die Gleichberechtigung 
mit den Söhnen aus erfter Ehe, Lothar, Ludwig und Pippin 
mit ebenfoviel Leidenschaft wie politifhem Gefchief führt, die 
vor allem mit Hilfe des intriganten und gewalttätigen Grafen 
der fpanifchen Mark, Bernhard von Barcelona, den fie für ihre 
Sache zu gewinnen und als Kämmerer des Reiches in ihre 
Nähe zu ziehen gewußt, eine Zeitlang auf den ſchwachen Raifer 
einen Einfluß gewinnt, der nicht nur den um ihr Erbteil bangenden 
KRaiferföhnen aus der erften Ehe, jondern auch allen um die Er- 
haltung des Reiches beforgten Fürften und Großen fo gefahr: 
drobend erfcheint, daß eine plöglich anfchwellende Flutwelle der 
Empörung die Raiferin ins Gefängnis, ihren Ratgeber und, wie 
man munfelt, Buhlen in jäher Flucht in die Abgelegenhelt der 
fpanifchen Mark zurücichleudert (Compiegne 830). Bernhards 


*) Daneben hat er wohl auch die ältere Schrift von Friedrich 
Fund, „Gejchichte Der Auflöfung des großen Franfenreiches“. Frant- 
furt aM. 1832, benutzt. 

b* 


XX 


Rolle iſt damit im weſentlichen ausgeſpielt, nicht aber die Judiths, 
die bald wieder mit dem Kaiſer verſöhnt, durch einen Eid von 
dem Verdacht ehebrecheriſcher Beziehungen zu Bernhard gereinigt, 
allein den Kampf für ihren Sohn mit dem Gemahl und den 
Stiefſöhnen wieder aufnimmt, bis wenige Jahre ſpäter auf dem 
Lügenfelde zu Rolmar eine neue Kataſtrophe erfolgt, in die dies- 
mal auch der Kaifer ſelbſt verftrictt wird. Er wird gefangen 
und entthront. Der Zwiefpalt aber unter den drei fiegreichen 
Söhnen, Lothar auf der einen, Pippin und Ludwig auf der 
anderen Seite führt auch diesmal fehr bald wieder einen Lm- 
Ihwung herbei. Mit Hilfe der beiden jüngeren Söhne wird 
Ludwig der Altere wieder eingefegt. Als fünf Jahre fpäter ihn 
der Tod ereilt, ift die Ronftellation abermals eine andere. Pippin 
ift tot, Lothar verfühnt, aber Ludwig ift in Fehde mit dem 
Pater. Doch auch diefem vergibt der Sterbende. 

Das ift in großen Zügen das Bild der gefehichtlichen Vor— 
gänge, aus denen der Dichter die Tragödie der KRarolinger ge- 
ftaltete, getreu dem Motto, das er nachmals vor die Buchaus- 
gabe ſetzte: 


Der Hiftoriker lieſt im Buch der Gefchichte die Zeilen, 
Zwiſchen den Zeilen den Sinn lieſt und erklärt der Poet. 


Was die Quellen als Gerücht bald breit geſchwätzig, bald 
zaghaft andeutend melden, wird Mittelpunkt und Hauptfache: 
die junge einfame Kaiferin, die für ihren Sohn kämpft‘), und 
dag Bündnis, das fie fchließt, mit Leib und Seele, mit dem 
einzigen, der ihr zu helfen verfpricht und dem fie die Kraft 
zutraut, fein Verfprechen zu halten; ein tragifcher Konflikt, der 
fih Daraus zwiſchen Mutter und Sohn ergibt, der den 
Liebhaber der Mutter verabfcheuen, der zum Ankläger der Mutter 
werden muß, ein Konflikt, der nur lösbar ift durch das Schwert**), 
das den Ehebrecher fällt von der Hand des Sohnes, Diefer 
Samilienkonflift verfehmolzen und verflochten mit der Tragödie 


*) Urfprünglich hieß auch das Drama, wie die Handfchrift be- 
weift, nicht „Die Rarolinger“ fondern „Raiferin Zudith“, 

*+) Ein Weg, ſchon vorgezeichnet Durch Die fpätere Sage, Karl 
habe Bernhard (jeinen — Pater!) bei Toulouſe niedergeſtoßen 
mit den Worten: „Stirb, Frevler, der du das Bett meines Baters 
geſchändet haſt.“ 


XXI 


eines fürftlichen Haufes, das die Welt regiert: ein KRaifer, der nur 
ftarf in der Schwäche ift, drei Söhne, die wider den eigenen 
Bater Verrat fpinnen, aber fchließlich doch einer nach dem 
andern fich mehr oder minder freiwillig wieder der väterlichen Auto— 
rität beugen. } 

Sn der gefchichtlichen Lberlieferung ein Wirrfal von Wort- 
brüchen, Intrigen und Glüdswechfeln, Begebenheiten ohne Ziel und 
Einheit. Hier in eine gefchloffene, aus den verfchiedenen Phaſen 
des jahrelangen Rampfes herauskriftallifierte, raſch fortfchreitende 
Handlung zufammengefaßt. Die typifchen Züge diefer weltgefchicht- 
lichen Rataftrophe in ein Bild zufammengedrängt. Das gilt ſowohl 
von den Charakteren, wie von den Vorgängen. Dem Typifchen, 
das in diefem Fall zugleich das Dramatifche ift, zuliebe auch mit 
den im zweiten Gliede jtehenden Geftalten, wie z. B. Wala, will: 
fürlich fchaltend. Und fchließlich noch eine frei erfundene Neben- 
handlung — Hamatelliva- Abdallah — um für die Hauptgeftalt 
einen individuellen Hintergrund und für die dämoniſche Erotik des 
verbrecherifchen Paares wirkſame KRontraftfarben zu gewinnen, 

Ein Hug und Fed zugleich aufgebautes Drama, keck in der 
ffrupellofen Herbeiführung und Ausnugung prägnanter drama- 
tifcher Situationen — die Szenen des 3. Aktes; die maurifche 
Gefandtjchaft mit der Botſchaft Pippins u. a. — klug in dem plan- 
mäßig mit ficherer Hand geregelten Tempo und Rhythmus der 
Handlung, der ſtets ſchwingenden Federfraft der für die innere und 
äußere Handlung eingeftellten Motive. Immerhin ift es charafte- 
riftifch, daß gerade dies Drama, das vom Herzblut des Dichters 
am wenigjten hat und das in der Stoffwahl wie in der Seich- 
nung der Charaktere am meiften „epigonenhafte” Züge aufweift, 
über Harold und den Menoniten zunächft den Sieg davontrug 
und als erftes am 6. März 1881 im Hoftheater in Meiningen 
auf die Bühne kam. Mit Meiningen ſchwebten ſchon feit dem 
Sommer 1879 Verhandlungen, bei denen der Flügeladjutant des 
Herzogs, Major von Schleinig, den Vermittler fpielte.e Man 
ſchwankte dort lange zwifchen dem Menoniten und den Rarolingern, 
um jchließlich doch fich für die letzteren zu entfcheiden. Die 
Bedenken, die man dort gegen das Verhältnis des jungen Karl 
zu feiner Mutter und die auf die Spige getriebene Einheit des 
Drtes imdritten Aktvorbrachte, veranlaßten Wildenbruch im Sommer 
1880 zu einer Neubearbeitung des dritten und vierten Aktes. Schließ- 
lich aber blieb man in Meiningen doch bei der früheren Faſſung 


XXI 


des dritten Aktes“) und gab nur dem neuen vierten Akt den 
Vorzug. Da Wildenbruch aber die urfprüngliche Redaktion des 
Schlußaktes für die Dichterifch wertoollere hielt, wurde in der 
eriten Buchausgabe (A) dieſe ebenfo wie der alte dritte Akt bei- 
behalten. Im der zweiten, Anfang 1882 erfchienenen Ausgabe B, 
die er durch das charakteriftifche, die Anderung rechtfertigende 
Vorwort einleitete, gab er dagegen einen neuen vierten Akt, der 
auf eine Kombination der erjten Faffung mit der in Meiningen 
gegebenen hinauslief*). Diefe durch die Erfahrungen der Ber— 
liner Aufführung am Piltoriatheater unter Direktor Ernft am 
26. Dftober 1881 (mit dem vierten Akt in der Faffung von A) 
veranlaßte Neubearbeitung ift dann für die Folge beibehalten. 
Unleugbar hat der Schluß des Dramas dadurch fehr gewonnen. 

Auf der Rückſeite eines Blattes der Handfchrift der Raro- 
linger (Schluß des erften Aktes) ftehen Verfe, die mit dem Drama 
nicht8 zu fun haben und doch hineingehören: 


Der Frühling naht — es regt fich in den Bäumen 
Des Knoſpens und des Blühens alte Luft, 

Das ift die Zeit, wo fonft die Quellen fchäumen 
Zu neuem Schaffen in des Dichters Bruft. 

Wie anders heut: von wilden, heißen Tränen 
Rollt durch mein Herz die bitterliche Flut — 

Ich fehne mich — doch Zorn ift diefes Sehnen, 
Ich glühe — doch es fengt mich diefe Glut. 

Tor, der im Reich der Poefie verloren 








*) Der (fchließlich nicht verwertete) neue Dritte Akt (vgl. Grund: 
lagen und Varianten ©, 536ff.) bildete aber mit dem neuen vierten 
eine organifche Einheit und ein Vergleich fowohl mit dem vierten 
Alt der Meininger Fafjung (M), wie mit Dem auf diefer fußenden 
vierten Akt von B läßt erfennen, wie eigentlich Diefer dritte QUft 
die DVorausfegung für jene ift. Auch für fich betrachtet, bietet er 
nicht nur in feiner äußeren Anordnung, jondern auch in der Heraus- 
arbeitung und inneren Begründung der Charaktere und Situationen 
unleugbare Vorzüge vor der urfprünglichen und fchließlich beibehal- 
tenen Faffung, jo daß man faſt bedauern möchte, daß der Dichter 
nie wieder auf ihn zurücgefommen ift. Vermutlich war es eine ge- 
wifje, von dem lafonifchen Stil der übrigen Akte abjtechende Breite 
der TIEFEN, die ihn veranlaßte dem erften Wurf Doch den Vorzug 
zu geben. 

**) Bol, darüber den Brief an Berthold Lismann vom 13. XII. 
1881. Deutfhe Rundſchau a. a. O. ©. 78, 


®- 


XXI 


Die Niedrigkeit vergaß der Menfcheniwelt, 
Hörft du den Ruf, der nun zu deinen Ohren 
Wie eines Teufels Hohngelächter gellt? 

Es ift das Todesurteil deines Lebens: 

„Du boffe neu, fo oft der Tag fich hebt; 
Und jeden Abend fprih: Es war vergebens. 
Bergebens haft dein Leben du gelebt“. 


Aus diefer verzweifelten, durch die Ablehnung des bürger- 
lihen Dramas „Die Herrin ihrer Hand“ durch Hülfen — im 
März 1878 — gewecten Stimmung find die Karolinger ge— 
fchrieben. Und diefe Stimmung beherrfchte auch, nur vorübergehend 
von Lichtbliden unterbrochen, die beiden folgenden Jahre. Jeder 
Heine Erfolg ward aufgewogen durch um fo berbere Enttäufchungen. 
Auch die KRarolinger teilten zunächſt das Schickſal ihrer Vor: 
gänger: in kleineren Kreifen weckten fie Intereife, Bewunderung, 
die Bühnenleitungen verharrten in Teilnahmlofigkeit. Guftav zu 
Dutlis, der Karlsruher Intendant, beſchwor ihn in einem gufgemein- 
ten Brief, „lieber Herr von Wildenbruch, ich befchivöre Sie, geben 
Sie das Drama auf. Sie machen fi mit diefem Kämpfen 
und Enttäufchtwerden unglücklich fürs Leben, wenn Gie’s nicht 
ſchon find.“ Die Menonitenaufführung in Berlin (1879) erwies 
fih als ein Schlag ins Waffer, Otto Devrient, der einzige, der 
bereit war, etwas für ihn zu fun, mußte vor der Zeit feinen Poſten 
räumen, und in Meiningen, wo ihm endlich im Sommer 1879 
ein Stern aufzugeben fchien, erkrankte der Herzog fchwer, fo daß 
um die Zahresiwende 79/80 gar nicht abzufehen war, ob und wann 
dort an eine Wiederaufnahme der Verhandlungen zu denfen fei. 
Seit den Rarolingern hatte die fchöpferifche dramatifche Arbeit 
gerubt. Im Sommer 1879 war der Meifter von Tanagra ge- 
fchrieben. Es konnte faft fcheinen, als ob die dramatifchen Lebens- 
pulfe überhaupt ftocten. Da trat um die Wende des Jahres 79/80 
die Wandlung ein. Die Göttin, die dem einfamen Grübler in 
der GSilvefternacht erfcheint, trägt die Züge der Hoffnung und 
gibt dem Klarheit Begehrenden die Antwort: 

Willft mein Geheimnis du erzwingen? 
Es gibt auch Rätjel ohne Trug — 

Da frage nicht, was Götter bringen, 
Wenn Götter fommen, iſt's genug*). 


) Neujahr (1880). „Lieder und Balladen“. 9. Auflage, ©. 104 f. 


XXIV 


Und das neue Jahr findet ihn wieder über einem großen 
Werke. „Wenn e8 etwas gibt,“ fehreibt er am 3. Februar 1880 
an den Freund Stange, „was mir immer wieder das Bewußtſein 
erneut, daß mein Beruf der des fchaffenden Dichters ift, fo ift 
e8 dieſe tiefe, innige Beglücktheit, die mir aus meinem Schaffen 
ſelbſt erwächft. Gie willen ja, wieviel Bitteres ich in jüngfter 
Zeit wieder erlitten habe. Sie können ermeffen, daß ich wirklich 
blutige Tränen geweint babe, als durch einen rein äußerlichen 
Unglücsfall, die Erkrankung des Herzogs von Meiningen, meine 
Ihönen Hoffnungen auf Meiningen vertagt worden find ... 
aber Sie fünnen mir auch glauben, daß der neue Stoff, der mich 
erfüllt, mich in diefen böfen Stunden getragen, gehalten und 
tiefenftarf gemacht bat. Das Bewußtfein einen wirklich großen 
dramatischen Gedanken im Herzen zu tragen, gewährt ein Gefühl 
königlichen Reichtums und noch glaube ich, habe ich feine größere 
dramatifche Konzeption gehabt. Man fühlt, wie fich alle Schwie- 
tigfeiten der äußeren Geftaltung des Stoffes beugen müſſen und 
beugen, wenn nur die Grundidee fruchtbar und gut iſt; und daß 
fie es ift, dafür fpricht e8, wenn man fie, wie ich es gefan, bei- 
nah ein Jahr lang unter anderen XUrbeiten ruhen läßt, und wenn 
fie im Augenblid, da man zu ihr zurückkehrt, mit der inftinkftiven 
Macht einer Naturkraft da ift.“ 

Fünf Wochen fpäter ſchon war das Werk beendet und an 
einem Abend in der zweiten Hälfte des März las er in feiner 
befcheidenen Behaufung in der Potsdamer Straße einem engeren 
Freundeskreife zum erften Male Väter und Söhne vor. 
Wer diefen Abend mit erlebt bat, wird ihn nicht vergeffen. Alle 
Kritik trat zurück hinter dem einen Gefühl, daß hier ein vater: 
ländifcher Stoff von ungewöhnlicher fragifcher Gewalt zu einem 
Drama Ddichterifch geftaltet war, wie wir es bisher noch nicht 
befeffen hatten und zugleich, daß unfer Freund fich damit ein 
ganz neues Feld für die Zukunft erobert habe. Es war die 
Krönung jener auf die Schaffung eines neuen gefchichtlichen 
Dramentypus gerichteten Beftrebungen, die ihm als deal ſchon 
beim Menoniten vorgefchtwebt hatten. Wohl feit jenen Tagen 
hatte ihm auch der Stoff als Reim in der Seele gelegen und 
erfte Spuren feiner Entfaltung waren ja fchon in der Umgeſtal⸗ 
tung des vierten Aktes des Menoniten im Frühling 1879 zu 
fpüren. Daß die Anfänge von „Väter und Söhne“ in eben 
diefe Zeit fallen, wird außerdem durch die oben erwähnte 


XXV 


brieflihe Äußerung an Dr. Stange beſtätigt. Die allgemeinen 
Anregungen aber gehen ficher viel weiter zurüd, auf Eindrücke, 
die in feiner Seele haften geblieben waren aus der Lektüre des 
vierten Bandes von Freytags „Bildern aus der deutjchen Ver— 
gangenheit“. Wer dort im achten Kapitel „Aus der Zeit der 
Serftörung“ S. 359—374*) die Schilderung der Zuftände der 
preußifchen Monarchie nach dem Tode Friedrichs des Großen, 
vor allem der Armee und des Dffiziersforps, und bejonders die 
Charakteriftif der überalterten Fejtungstommandanten (S. 373) 
lieft, wird fich des Eindruds nicht erwehren können, daß diefe 
Bilder Wildenbruch bei der Schilderung des alten Ingersleben 
vor der Geele ftanden. Als unmittelbare biftorifche Quelle hat 
ihm für die Kapitulation KRüftrins Eduard v. Höpfners, „Der Krieg 
von 1806 und 1807“ **) gedient. Hier fand er alle Einzelheiten 
der ſchmachvollen Rataftrophe, auch die wenigen Lichtpunfte: die 
Hägliche Schwäche des Kommandanten von Ingersleben, Die 
zaudernde Haltung der älteren Offiziere, Oberft Weyherr, Dberft 
Boumann, Oberſt Manteuffel, das tapfere und energifche Auf— 
treten des „Ingenieurs vom Pla“, Leutnant Thynfel, der im 
Kriegsrat betont, daß „auch nach dem PBerlaffen der Außen 
werfe der Hauptwall fich hinlänglich halten könne“, und der 
fchließlich feine Unterfchrift bei der Kapitulation verweigert. Und 
ebenjo fand er bier die Nachricht, daß der Kommandant im Be— 
griffe, fich über die Dder fegen zu laflen, „von feinem Weibe 
angehalten und flehentlich gebeten fei, feine Familie nicht unglüd- 
lich zu machen“. Hiftorifch ift auch die Tatfache, daß General 
Gudin in der Nacht zum 1. November mit dem größeren Teile 
des DBelagerungstorps abrücte und General Gautier mit „einem 
einzigen Regiment“ zurückließ. Hiftorifch fchließlich, daß fich der 
Kommandant, „überhäuft von den Vorwürfen der Gubaltern- 
offiziere”, vom Marftplag retten mußte. Nicht biftorifch ift, daß 
er fich jelbjt gerichtet hat. Er ward vielmehr „wegen beiviejener 
Feigheit“ durch Kriegsrecht zum Tode verurteilt, doch zu lebens: 
länglicher Feftungshaft begnadigt. 


*) Ich zitiere nach der fünften Auflage von 1867, die Wilden- 
bruch bejaß. 

*) „Der Krieg von 1806 und 1807. Ein Beitrag zur Gefchichte 
der preußifchen Armee nach den Quellen des Kriegsarchivs bear- 
beitet, Erſter Teil. Der Feldzug von 1806“. Zweiter Band. Berlin, 
1850, ©. 324—27. 


XXVI 


So feit alfo die Handlung auf biftorifchem Boden fteht, 
folange fie zwifchen den Wällen und Mauern Küſtrins fich 
abipielt, fo ſchnell Löft fie fich in freie Phantafiegebilde auf in 
dem Augenblick, wo fie aus diefem Bannfreis hervortritt. Die 
geichichtlichen Vorgänge find gleichfam nur das Sprungbrett, von 
dem die Helden des Dramas fich ins Meer der Begebenheiten ftürzen, 
wobei allerdings diefes Meer felbft wieder Beleuchtung, Farbe 
und Wellenfchlag durch die Gewitter der Weltbegebenbeiten er- 
hält, die fich bald näher bald ferner vom Schauplatz der 
Handlung entladen. Das tragifche Problem wächſt auch dies: 
mal aus derfelben Wurzel wie im Harold, wie im Menoniten. 
Es ift eine neue Variante des typifchen Kampfes zweier Gene- 
rationen, die in allen drei Fällen ein individuelles Gepräge da— 
durch erhält, daß es ſich um den Gegenfas der Anfchauungen 
über die höchſten und Testen Ziele nationaler Pflichterfüllung 
handelt. Im Harold bleibt diefer Widerftreit durch die pofi- 
tiven gefchichtlichen Tatfachen, die dem Dichter den Weg weifen 
und eine Zufpisung dieſes Konfliktes oft im entſcheidenden 
AUugenbli verhindern und abbiegen, noch mehr im Hintergrunde, 
als latent wirkende Kraft; im Menoniten beftimmt er ſchon den 
Gang der Haupthandlung, in Väter und Söhne beberrfcht er 
Haupt: und MNebenhandlung vom erften bis zum letzten Akt. 
Man hat das Gefühl, daß fich bier auch etwas von perjün- 
lihen Kämpfen jüngerer Jahre zur Geftaltung Tosgerungen, 
daß fich damit auch ein Stück eigener Vergangenheit von ihm ge- 
löft und ihm den Weg zu neuen Zielen freigegeben bat. 

Ein GStilunterfchied fällt fofort in die Augen: die Unter: 
brechung des hochgefpannten tragischen Pathos durch humoriftifche 
Epifoden im Berliner Dialekt. Ich möchte annehmen, daß er 
zu Ddiefem fcheinbaren Bruch mit feiner eigenen Vergangenheit 
weniger durch die Bedenken gegen die „wie Profefloren fprechen- 
den” Bauern feiner Menonitengemeinde gekommen ift, als infolge 
einer Entdeckung, die er in der Zwifchenzeit an fich ſelbſt gemacht 
hatte, die Entdeckung feiner Begabung für die draftifche Situafions- 
fomif in der eigentümlichen Färbung des Berliner Volkshumors. 
Seit Rindertagen war ihm Glasbrenner vertraut und durch Vorträge 
aus dem „Edenfteher Nante“ hatte er im Familienfreife manches- 
mal heitern Beifall geerntet. Gleichwohl war in feinen Luft- 
fpiel- und Schwankdichtungen bis vor kurzem feine Beherrſchung 
des Berliner Jargons nur. gelegentlih und andeutungsweife in 


XXVI 


einer Nebenfigur von ihm verwerfet worden. Ausgang des Jahres 
1878 hatte er jedoch zum erftenmal einen Berliner Philiftertypus zum 
Mittelpunkt eines draftifchen Schwanfes („Theorie und Praris“) 
gemacht und ſelbſt jehr viel Freude an der — in diefer Haupfigur 
auch gelungenen — Arbeit gehabt. Was war nafürlicher, als daß 
ibm, als er ein Jahr darauf Väter und Söhne geftaltete, im 
dritten Akt, bei der Verlegung des Schauplages nach Berlin, 
unmillfürlich bei den erjten Worten des Kalfaktors Riekebuſch 
der Dialekt in die Feder floß und dadurch zugleich ein äußerſt glüd- 
liches Gegengewicht gegen das herbe, hohe Pathos des erjten Aktes 
fich einftellte! Urfprünglich war auch Niefebufch in den drei legten 
Akten eine, wenn auch nicht innerlich bedeutendere, jo doch viel wort- 
reichere Rolle zugefallen, die erft nach und nach im Laufe der vielen 
Imarbeitungen, die nach feinem Abſchluß das Drama erfuhr, auf 
ein bejcheidenes Maß zurücgeführt wurde, nicht ohne daß dabei 
wirflich ſehr glüdliche und wirffame Momente zum Opfer fielen. 

Überhaupt ift Väter und Söhne von allen Dramen Wil: 
denbruchs dasjenige, an dem er im Laufe der Jahre am meiften 
nicht nur gefeilt, fondern auch wefentlich geändert hat. Das gilt 
allerdings nicht von den beiden erften Ukten, die mit Ausnahme 
einer gleich zu erwähnenden früh vorgenommenen Underung und 
abgejehen von Kürzungen und Zufammenziehungen des Dialogs 
intakt geblieben find. Nicht zum Vorteil des Werkes, das wie 
fo viele Dramen Wildenbruhs an einer unwahrfcheinlichen, ja 
faft unmöglichen Vorausfegung*) krankt, die übrigens mit ge— 
ringer Mühe, ohne an den Nerv der Dichtung zu rühren, hätte 
aus der Welt gefchafft werden können. 

Dagegen hat vom dritten Akt an immer wieder die Hand 
des Dichters in das Gefüge ausbauend eingegriffen und der 
vierte und fünfte Akt find, wie ſchon unfer Tert zeigt, bis in 
den Anfang der neunziger Jahre flüffige Maffe geblieben. 

Schon im Dezember 1880 wurde der fünfte Akt, der ihm 


*) Die Unwahrfcheinlichkeit, Da der vor den Toren Küftrins 
aufgewachjene Heinrich Bergmann bis zum Aufgehen des Vorhangs 
nichts von dem Schickſal feines älteren Bruders gehört haben ſoll 
und daß auch zwifchen Bater und Sohn in den zwanzig Jahren ihres 
einfjamen Zufammenlebens nie auf den verftorbenen Bruder die 
Rede gefommen ift. 


XXVI 


von Anfang an nicht genügt hatte”), umgearbeitet, ehr durch- 
greifend im einzelnen, aber ohne einftweilen an den Grundlagen 
des Stüces zu rüfteln. Und diefe Grundlagen waren, im Gegen- 
ja zu ſpäter, die Ausſöhnung der Bergmanns und Ingerslebeng 
durch die Liebe der Kinder. Adelheid war nicht Ferdinand 
von Ingerslebens Braut fondern Schwefter. Zwiſchen ihr 
und Heinrich flochten fich Beziehungen, die den Szenen zwifchen 
beiden im dritten Akt und vor allem natürlich der Schlußwen— 
dung ein anderes Gepräge gaben. Im fünften Akt kam es an 
der Bahre des ſchwer verwundeten Heinrich zum gegenfeitigen 
Bekenntnis und Heinrich ftarb nicht! 

Sn diefer Faffung wurden „Väter und Söhne“ zum erften- 
mal am Lobetheater in Breslau am 15. November 1881 ge- 
geben. Unter den Eindruck diefer Aufführung, fowie der 
Einwendungen Adolf Wilbrandts”*), vor allem gegen den 
vierten Akt***), Fam es Ende November 1881 zu einer teil: 
weifen Umarbeitung des vierten und fünften Akts, die aber auch 
diesmal fich auf die äußere DOrganifation der Handlung befchränfte. 
Uber noch ehe das Drama in diefer Form in Hannover die Feuer: 
probe beftehen konnte, entjchloß fich im Februar 1882 der Dichter 
zu jener durchgreifenden Umarbeitung der Grundlagen, die dem 
Werke jedenfalls für die drei erften Akte die endgültige Geftalt 
gaben, in der es gedrudt wurde und in der e8 auch hier vorliegt. 

Zweifellos war diefe Umgeftaltung eine entfchiedene Ver— 
befferung; die Befreiung Heinrich von der Rolle des Liebhabers 
und fein Tod am Schluß hoben auch dieſe Geftalt und vor 
allem ihr Ende in die tragifch heroifche Atmoſphäre, die ihr nach 
ihrer QUnlage wie nach ihrer Verwicklung in die tragiſche 
Handlung durchaus gebührt ****). 

Zweifelhafter Eonnte dagegen der Wert der neuen Umgeſtal⸗ 
fung des vierten und fünften Aktes erfcheinen, zu der fich der 
Dichter im Herbit 1887 unter dem Eindrud der Aufführungen 


*, Bergl: Briefe von Ernſt von EEE aus den Zahren 
1878—80. Mitteilungen der Literarhiftorifchen Geſellſchaft Bonn, 
4. Jahrg. Nr. 6 Seite 164 (Brief vom 25. XIL 80). 
**), Der das Drama im Burgtheater aufführen wollte. 

*) Bol, Briefe von Ernft von Wildenbruch aus den —— 1881 
und 82. Deutfche Rundfehau a. a. DO. Seite 76. (Brief vom 25. XI. 81.) 

“er, Bol, Briefe von Ernft von Wildenbruch aus den Jahren 
1881/82. Deutfche Rundſchau a. a. DO. Seite 194 (Brief vom 13. II. 82), 
195 (Brief vom 2. II, 82), 199 (Brief vom 25, V. 82). 


XXIX 


am Berliner Dftendtheater entjchloffen hatte. Sie lief nicht nur 
auf eine Zufammenziehung des vierten und fünften Aktes zu 
einem hinaus, fondern fchaltete damit auch die Großbeerenftim- 
mung aus, die bisher in den blutigen Ernft des Todes der 
beiden DBergmanns mit verflärendem Morgenrotfchein binein- 
geleuchtet hatte. Und es fchien angefichts diefes Verluftes zweifel- 
baft, ob der Gewinn der dadurch erzielten befferen Ronzentration 
der zum Schluß eilenden Handlung nicht zu teuer erfauft fei*). 
Keiner empfand das lebhafter als Wildenbruch ſelbſt, und jo 
entjchloß er fih, als 1891 zur KRörnerfeier am 23. September 
im Berliner Theater eine neue Aufführung vorbereitet wurde, 
zu einer nochmaligen und diesmal legten Llmgeftaltung des 
Schluffes, die ziwifchen dem 1. und 11. Juli beendet wurde, 

Damit hatte er den ihn befriedigenden Abſchluß endlich ge- 
funden, der zweifellos, wenn man fich auf die Bafis der Um— 
arbeitung von 1887 ftellt, gegen den erften Verſuch eine ent- 
fchiedene Verbeſſerung darftellt, und der deshalb auch bier, 
unmittelbar hinter der Faſſung der Buchausgabe eine Stelle ge- 
funden hat. Uber er kann ebenfowenig wie die Redaktion von 
1887 verleugnen, daß zwifchen der Zeit feiner Entftehung 
und dem der eriten Gejtaltung des ganzen Dramas ein Zeit: 
raum von mehr als zehn Jahren liegt, dab er ein Anbau 
aus jpäterer Zeit ift, der einem in einheitlihem großem Wurf 
entjtandenen, in fich gejchloffenen Runftiverfe nachträglich hinzu— 
gefügt worden if. Auf der Bühne wird er nach den bis- 
berigen Erfahrungen, wegen der mit überlegener Treffficherheit 
berausgearbeiteten, unmittelbar bühnenwirkſamen Pointen wohl 
auch in Zukunft den Vorzug vor der Faffung der Buchausgabe 
verdienen, der Leer wird die Sonne von Großbeeren und den 
Klang der Gloden, die dem alten Valentin den Frieden mit 
dem Vaterlande einläuten, ebenjowenig miſſen wollen, wie das 
erlöfende Wort Ferdinand von Ingerslebens: 

„Am diefe Wunden 

Sollft du nicht forgen, denn fie ſchmerzen nicht; 

Das ift der Saft, der von den Bäumen träufelt, 

Zum Zeichen, daß es Frühling werden will.“ 


*) Ein Druck diefer Umarbeitung ward u, d. T. „Änderungen 
zu Bäter und Söhne, Trauerjpiel [I] von Ernft von Wildenbruch“ feit 
= — Auflage des Dramas (1888) den Buchausgaben an— 
gehefte 











Derjonen 


Eduard, König von England 
aut: —— des oe —— 

arold, Herzog von Anglien 
Wulfnoth ihre Söhne 
Wilhelm, genannt der Eroberer, Herzog der Normandie 
Adele, feine Tochter 


Seat — angelſächſiſche Große, Vettern des Grafen Godwin 


Graf Euſtach von Boulogne 
2. Seneſchall 
o 


Radulph 

Montgomery 

Robert von Jumieges, Erzbiichof von Canterbury 
Stigand, Bifhof von Winchefter 

Der Abt des Kloſters Hyde 

Wilfrid, ein angelfähfifcher Diakon 


normännifche Barone 


Drdgar 
Edric Bürger von Dover 
mel 
ice 
Leonore } Hofdamen Adelens. 


Ein angelfächfifcher 
Ein normännifcher } Herold 
Bürger. Ritter. Diener. 
Zeit: 
Bor und während der Eroberung Englands durch die Normannen. 


Ort: 
1. At: ©over. I. Alt: Rouen und London. II. Alt: Rouen, 
IV. Att: London, V. Akt: In Rouen und bei Haftings. 


Zum erfien Male au rt am KRönigl. Hoftheater in Hannover 
” teens 7. März 1882, ” 


1* 





Erſter Akt 5 


Erſter Akt 


(Szene: Großer Saal auf Godwins Schloß zu Dover. Fenſterwand 

im Hintergrunde, recht3 und links Türen. An der Hinterwand eine 

Eſtrade, zu der Stufen führen, auf der Ejtrade ein Ihronfefjel, im 
PVordergrunde Gefjel; an den Wänden Waffen.) 


Erſter Auftritt 


Gytha (ganz in ſchwarzer Tracht; fist im Vordergrund). Bifhof Stigand (ſteht 
neben ihr) 





Stigand 
Noch immer fehe ich auf Eurem Haupt, 
Erlauchte Frau, der Schwermut düftre Wolfe 
Um Grafen Godwin Eures Gatten Tod? 


Gytha 
Noch immer? Dieſer Troſt der Herzensarmut 
Klingt ſonderbar von Grafen Godwins Freund. 


Stigand 
Weil ich ſein Freund war, weil mein blutend Herz 
Mir jede Stunde ſagt, was Ihr verloren, 
Hab' ich in Schmerzen mir das Recht erworben 
Zu bitten: legt ein Maß der Trauer an. 


Gytha (ſtreckt ihm die Hand zu) 
Biſchof Stigand, gefreuer legter Freund, 
Soll!’ ih Euch ſchelten? — aber jagt es jelbit, 
Kann etwas bitterer das Leid vergiften, 
Dies weihevolle Angeficht des Grams 
Schneller zur Larve grimmen Haſſes zerr'n, 
Als wenn wir fehen, daß die Todesitunde 
Des Manns, mit welchem unfer Leben binfanf, 
Für andre nur die langerfehnte Lofung 
Der Freiheit ift? 

Stigand 
Wen meint Ihr, Gräfin? 


Gytha 
Wen? 
Und ſo fragt Ihr? And kennet dieſes Reich 
Doch zwei Jahrzehnte länger ſchon als ich, 
Und dieſes Reiches Herren — 


Harold 





Stigand 
König Eduard? 
Gytha 
Ia diefen König! Diefen Eduard! Ihn! 
Stigand 


Wär’ diefer Ton, der feinen Namen nannte, 
Ein Schwert gewesen, auf fein Herz gezüdt, 
Er lebte länger nicht. 


Gytha 
Wäre es ſo! 
Wär’ ich ein Mann! Ich hätte mehr als Worte! 
Stigand 
Der König, Gräfin. 
Gytha 


Und durch wen denn ward er's? 
Wer gab fein Blut für ihn in hundert Schlachten? 
Wer fchlug herab des Aufſtands kecke Fauft, 
Die nach ihm griff? 

Stigand 

Sch weiß es wohl. 
ey Graf Godwin! 
D jeder Atemzug in feiner Bruſt 
Müßte ein Dank für meinen Gatten fein. 

Stigand 


Das eben, fürcht’ ich, raubt Euch feine Huld, 
Dank, fagt man, drüct den Menfchen. 


Gyt 

Den Elenden! 

Kein ſichrer Zeichen gibt's für niedren Sinn. 
Stigand 


Zu laut ſpricht Euer Zürnen: König Eduard, 

Iſt er gleich ſchwach, iſt doch von Herzen gut. 
Gytha 

Gutmütig — ah ein jammervolles Lob, 

Wenn es das einz'ge iſt für einen König. 


Erfter Aft 7 





Zweiter Auftritt 
Wulfnoth (von einer Dienerin geführt, fommt von ts. Er ift ſchwarz gefleidet; 
geht zur Mutter und umarmt e) 
Stigand 


Nun feht, der alte Stamm hat doch noch Knoſpen. 
(Sest fich, zieht den Knaben an fich) 
Teures Vermächtnis des verehrten Mannes, 


Gott ſchütze dich vor Seoft, — junges Holz. 
Und wo iſt Euer letter, — Harold? 


Wulfnoth 
In London iſt er, mir ein Schwert zu kaufen. 


Stigand (nimmt den Knaben auf das Knie) 
Brauchit du ein Schwert fchon, Kleiner Mann? 


Wulfnoth 
Jawohl, 
Bald werd' ich groß ſein, und dann kämpfen wir 
Zuſammen gegen die Normannen. 


Stigand 
(weißt den Knaben in plöglicher Bewegung an das Herz) 


D Godwins echtes Blut in feinen Söhnen! 
Sch werd’ es nicht mehr fehen, liebes Kind, 
Wenn du zum Manne einft erwachien wirft — 
Du junger, fchneid’ger, funfenfprühn’der Stahl, 
Werde ein Schwert du für dein Vaterland. 


Gytha 


Geh jest und ſpiele, Wulfnoth. 
(Stigand jest den Knaben nieder, Wulfnoth und Dienerin nach rechts ab) 


Diejes Kind 
Hat Euch bewegt? 
Stigand 
Sagt mir, erlauchte Frau, 
Wie denkt zu diefem Zuftand unfres Landes 
Harold, der Herzog, Euer Sohn? 


Gytha 
O Biſchof, 
Mit Kummer ſprech' ich's aus: er ward mir fremd. 


Harold 





Raum fah ich ihn feit meines Gatten Tode, 
Denn unabläffig ift er jest auf Reifen, 
Um Meer, in London und auf feinen Gütern. 


Stigand 
Seht diefe edlen Herren unfres Landes, 
Wie fie fich Eleiden nach der Franken Urt, 
Wie fie verachten ihres Volkes Sitte, 
Wie ihr Gefühl ihr Vaterland verrät — 


Dritter Auftritt 


Diener (meldet) 
Die beiden Grafen Edwin und Morcar. 


Gytha 
(Salbtau) Ich wollt” es wär’ ein anderer. «aud) 


Willkommen. 
(Diener öffnet links) 


Vierter Auftritt 


Edwin, Morcar (kommen von links. Ste find normänniſch bunt gekleidet) 


Edwin (verneigt fich) 
Zum Gruß, erlauchte Schwägerin. 


Morcar (verneigt fich) 


Zum Gruß. 


Gytha 
Seid mir gegrüßt, Ihr Herr’n. 


Edwin 
Sn Trauerkleidern? 
Erfuhrt Ihr nicht, daß heut der König kommt? 


Gytha 
Der König? Heute? Hier? Ich wußte nichte, 
Er ward mir nicht gemeldet — 


Erfter Akt 





Morcar 
Sehr erklärlich ! 
Der König fragt nicht beim Vaſallen an, 
Wann’s ihm gefällig fei, ihn zu empfangen. 


Gytha (wvechſelt einen Blick mit Stigand) 


Edwin 
Wollt Ihr in Trauerkleidern ihn empfangen? 


Gytha 
Wenn mir Graf Edwin nicht die Kleidung nennt, 
Die beſſer anſteht Grafen Godwins Witwe? 


Edwin 
Bei Gottes Glanz, wir wiſſen, daß er ſtarb, 
Doch das iſt nun ein Jahr. 


Stigand 
Sehr edler Herr, 
Das iſt ſehr lang für dieſes Landes Heil, 
Kurz für den Schmerz um einen ſolchen Mann. 
Edwin Gu Stigand) 
Es gab und gibt noch andre neben ihm. 


Stigand 
Das wünſcht' ich, daß ihm viele gleichen möchten. 


Morcar 
Biſchof Stigand, erlaubt mir eine Frage: 
Gedenkt Ihr, hier den König zu eriwarten? 


Stigand 
Wenn Gräfin Gytha es geitattet, ja. 


Morcar 
Ich weiß, Ihr feid bei meiner Schwägerin; 
Doch mir erlaubt, dem AUlteften des Haufes, 
Daß ich Euch fage, was Ihr ſelbſt wohl wißt, 
Ihr freut den König nicht mit Eurer Näbe, 


Stigand 
Welch einen Grund — 


10 


Harold 





Morcar 
Ihr kennt den Grund, Herr Bifchof: 
Shr feid das Haupt der Unzufriedenen. 
Ihr haft den Erzbifchof von Canterbury 
Herrn Robert von Jumidges, weil er Normann’ ift; 
Ein jeder Funke ftill verborgnen Grolls, 
So taufendfach durch diefes Volk verftreut, 
Bläſt fih, auf Euch vertrau’nd, zur Flamme an. 


Stigand 
Und jeid Ihr nicht von diefem Volke? 


Morcar 


Rein! 
Denn unfer Haus, e8 ift nicht unzufrieden. 


Fünfter Auftritt 


Harold (£ritt unbemerkt von links auf, bleibt ftehen. Er iſt ſchwarz gekleidet; 


trägt zum Interfchiede von Edwin und Morcar Iangwallendes blondes Haar) 


Morcar 
Dies dumpfe Trogen wider alles Fremde, 
Nur deshalb, weil das Fremde man nicht Fennt! 
Nichts ift verderblicher für Land und Volk, 
Als das Gefchrei der Unzufriedenheit, 
Zu der fein Grund ift. 


Harold (tritt heran) 
Uber wenn fich’s fände, 


Daß guter Grund dazu vorhanden wäre? 
(Altes blickt überrafcht auf ihn) 


Gytha 
Harold — Du hier? 
Harold Gerneigt ſich vor Edwin und Morcar) 


Ich grüß' Euch, meine Ohme. 
(ärtlich die Mutter umfaſſend) 
Du ſtauneſt mich zu ſehn? And glaubteſt du, 


An ſolchem Tage würde ich dir fehlen? 


Gytha 
So weißt du, Harold, daß der König kommt? 


Erfter Aft 


11 





Harold 
Darum, gehorchend der Vafallenpflicht, 


Siehft du mich hier. 
Edwin 


Doch mein’ ich, dem Vaſallen 
Gezieme, zum Empfange feines Herrn, 
Ein reicher Kleid als dies, 


Harold 
Mir aber nötigt 

Swiefacher Grund dies Kleid der Trauer auf. 
Mag der Normanne gehn im bunten Rod, 
Für ihn iſt's Freudenzeit; dem Angelſachſen 
Ziemt allzumohl das Kleid der Trauer. 

Morcar Neffe, 
Sch hoff” Euch auf der Geite nicht zu finden, 
Wo jene unzufriednen Schreier find. 


Harold 
Sch fürchte, Ohm, Ihr fcheltet Sie zu Unrecht. 


Morcar 
Ich fürchte, Neffe Harold, Ihr vergeßt, 
Daß ich fo alt wie Euer Vater bin 
Und Ihr fo alt — wie Eures Vaters Sohn. 


Harold 
Drum wollt mich immer auf der Seite fuchen, 
Auf der mein Vater ftände, lebt’ er noch. 


Morcar 
Wir fprechen mehr davon an andrem Orte. — 
Wißt Ihr den Grund, warum der König fommt? 


Harold 
Ich denke, unfre Treue zu erproben, 
Ob wir ihm willig öffnen unfre Burg? 
Morcar 


Das nicht allein — Beſuch erwartet er, 


Wilhelm der Herzog der Normannen kommt. 
(Harold, Gytha, Stigand in gewaltiger Erregung) 


12 


Harold 





Harold 
Rein! 


a, es ift fo. 


Morcar 


Harold 
Doch e8 darf nicht fein! 


Morcar 
Dacht’ ich es doch, Ihr würdet ganz entlodern 
Sn Leidenfchaft — 

Harold 

Verdammnis treffe mich, 

Hörte ich ruhig folche Nachricht an! 
Ihr wart zugegen, Dheim, an dem Tage, 
Als ihm zu Winchefter mein hoher Vater 
Die Sachfenfrone feste auf das Haupt! 
Welch einen Eid gelobte König Eduard 
An jenem Tage? — Warum fcehweigt Ihr, Oheim? 
Ihr wißt den Eid, denn Ihr und alle Edlen 
Des Sachfenvolfes ftandet um ihn her 
As Hüter diefes Schwurs! — Go bitt! ih Euch, 
Ehrwürd’ger Bifchof, nennt ihm diefen Eid. 


Stigand 
Bor Gottes Angefiht ſchwur König Eduard, 
Keine Normannen in das Land zu rufen. 


Morcar 
Das alles weiß ich ja, 
Harold 
Das alles wißt Ihr 
Und beifchet, ruh'gen Blutes ſollt' ich hören, 
Daß er den Herzog felbft ins Land uns ruft? 


Morcar 
Ich jagt’ Euch: zum Befuche kommt der Herzog! 
Heißt das ins Land ihn rufen? 


Edwin 
Soll man fagen, 
Die Angelfachien find das einz’ge Volk, 
Das nichts von Sitte weiß und Höflichkeit? 


Erfter At 13 





Harold 
Zur Hölle mit dem Firnis Höflichkeit, 
Wenn er Verbrechen überdeden foll! 


Morcar 
Wer Spricht bier von Verbrechen? 


Harold 
Sch, mein Oheim! 
Ein Hirt, der felbjt dem Wolf die Türe öffnet 
Zur anverfrauten Herde — 


Edwin 
Tolles Zeug. 


Harold 
Za, eh’ noch fraue ich dem gier'gen Wolf, 
Der um die Hürden fchnobert, eh’ ich glaube, 
Daß diefer Herzog kommt als Freund! 


Morcar 
So hört doch. 

Wilhelm it Eduards Neffe — wißt Ihr das? 
Gut — Eduard liebt ihn — Ihr nennt das Verbrechen, 
Die andern Menfchen nennen das Natur. 
Eduard hat Länder in der Normandie 
Bon feiner Mutter ber; wißt Ihr das auch? 
Gut — bis zu Eduards Tod foll Herzog Wilhelm 
Dies Land zu Lehn, nach König Eduards Tode 
Zu eigen haben. — Habt Ihr das verftanden? 
Und heute leistet Wilhelm ihm den Lehnseid, 
Denn einen Lehnseid, wißt Ihr, ſchwört man felbit. 
Nun jagt mir, fann es einen Anlaß geben, 
Unfchuldiger als diefen auf der Welt? 


Harold. 
Und Klängen hundertfach unfchuldiger 
Die Gründe, die Ihr feinem Kommen leiht, 
Den Einlaß weigr’ ich ihm auf meiner Burg. 


Morcar 
Ihr werdet’s nicht! 


14 


Harold 





Harold 
Sch werde es! 


Edwin 


Wird's Euch gebieten! 

Harold 

Und ich werd’ e8 weigern; 
Dem Feind des Landes meine Burg zu öffnen, 
Nicht Gott vom Himmel fol es mir gebieten. 


Der König 


Morcar 
Sprecht Eurem Sohn Vernunft zu, Schwägerin. 


Edwin 
Er raſ't Euch alle ins Verderben, Gräfin! 


Gytha 
Verlangt Ihr, daß ich rede? Wohl, ſo hört: 
Jeglichem Wort, das Euch mein Sohn geſprochen, 
Stimme ich bei, als ſei es meins. 


Morcar 
Ihr billige — 

Gytha 
Nein, mehr als das: in ſeine Hände leg' ich 
Mein Schickſal und das Schickſal meines Hauſes, 
Daß er's verwalte; ihm vertraue ich 
Im Wogenſchlage dieſer böſen Zeit 
Das Steuerruder — er ſei der Pilot, 
Des Wille Richtung meinem Willen gibt. — 


Sechſter Auftritt 


Diener (von links) 


Erlauchte Frau und edle Herr'n verzeiht, 
Es ſtehen Bürger Dovers vor dem Tor 
Und bitten dringend Einlaß und Gehör. 
Gytha (wink) 
Diener (öffnet links) 


Erfter Aft 15 





Siebenter Auftritt 


Drdgar (mit verbundenem Kopf). Edric, Baldwulf, Wilfried (treten von 
linfs auf) 


Edwin u Drdgar) 
Was kommt Ihr in jo widerwärt'gem Aufzug 
Zu uns? 
Drdgar (mit wild vollenden Augen) 
Ja widerwärtig — ja fo iſt's — 
Drum jtrafe Gott den, der mich jo gekleidet ! 


Morcar 
Wer ift der alte laute Mann? 
Gytha 
Ich dene, 
Ich kenne Euren Namen: Drdgar — nicht? 
Drdgar 


Za, edle Frau, und lebte Euer Gatte, 
Der leider, leider, leider nicht mehr lebt, 
Er fennte mich! 

Morcar 

Nun alfo, Drdgar, fprecht: 

Was wünfcht Ihr? 

Drdgar 

D vergebt mir, gnäd’ger Herr, 

Wenn ich nicht wohlgeordnet reden kann, 
Es ift nur eins — allein das ift foviel — 


Morcar 
Sprecht deutlich, endlich ! 


Drdgar 
Laßt mir Zeit, ich bittel — 
Fänd’ ich das Wort — es liegt mir auf der Bruft — 
Würgt mir den Hals — 
Edwin 
Meint Ihr, wir hätten Zeit — 


Drdgar 
Nun dann ftatt aller dieſes einz'ge Wort, 


16 


Harold 





Das heilig ift, weil e8 geboren wurde 
Um erjten Tage mit dem erften Menfchen: 
(beide Hände emporhebend) Gerechtigkeit! 


Edric md Baldwulf 
Gerechtigkeit, Ihr Herren ! 
Morcar 
Wer tat Euch unrecht? 
Drdgar 
Der Normanne tat’s, 


Morcar 
Natürlich der Normanne. 


Drdgar 
Seht mein Haupt, 
Auf das er feinen blut’gen Namen fchrieb, 
Der Friedensbrecher | 
Morcar 


Was fol alles das? 
Heut ift nicht Zeit, Gefchichten anzuhören 
Bon Prügelei — kommt morgen wieder — gebt. 


Drdgar 
Was? Prügelei?t Was? 


Edric 
Gnäd’ger Herr, verzeiht, 
Ein unerhörter Friedensbruch geſchah. 
Morcar 
Das kenne ich; wir unterfuchen’s morgen, 
Für heute geht. 
Harold 


Erlaubt ein Wort. 


Morcar 
Was wollt Ihr? 
Harold 


Ihr Leute, gegen wen erhebt Ihr Klage? 


Morcar (u Harold) 
Was foll das heißen? Habt Ihr nicht gehört, 


Erſter Akt 


17 





Daß ich, Eu’r Oheim, Eures Haufes Alt'ſter, 
Gehör verweig’re? 
Harold 
Graf Morcar, vergeßt nicht, 
Daß ich der Graf von Dover bin, nicht Ihr. 


Morcar Gu Edwin) 
Der Burjche wird noch toll vor Lbermut. 


Harold 
Sprecht, alter Mann. 

Ordgar 

D gnäd’ger Herr, heut morgen 
Kam Graf Euftach in unjre Stadt geritten 
Mit fünfzig Schwerbewaffneten. 


Harold 
nd weiter? 
Drdgar 
Darauf, als fie zum Markt gefommen find, 
Springt er vom Roß und ruft den Geinen zu: 
„Macht uns und unſerm Herzoge Auartier 
Bei diefen Pudelköpfen.“ 


Harold 
Was geſchah darauf? 


Ordgar 
Darauf, als wäre Dover Feindes Stadt, 
Fallen ſie rechts und links in unſre Häuſer 
Und brechen mit Gewalt die Türen auf. 


Harold 
Das taten fie? 
Drdgar 


Sie taten's. 


Edric md Baldwulf 
Wir bezeugen’s! 


Drdgar 
Und da die Bürger ihnen Eintritt weigern, 
Reiben von ihren Hüften fie das Schwert 


Dramen VII 2 


18 


Harold 





Und — o ich kann nicht reden — Fluch auf fie — 
Mitten im Frieden, Herr, mitten im Frieden — 


Harold 
Sprecht ruhig — 
Drdgar 
Dreißig Bürger Eurer Stadt 
Liegen erichlagen in den Gaffen Dovers, 


Stigand 
Beſchütze Gott ung! 
Gytha 
Ungeheure Tat! 


Harold 
Erſchlagen? — Dreißig? 


Edric Geigt auf Wilfried) 
Diefer junge Priefter, 
Der jüngft aus Rom kam, foll e8 Euch bezeugen. 


Harold au Wilfried) 
Ihr ſaht es an? 
Wilfried 
O gnäd’ger Herr, ich ſah's. 


Harold 
Denkt, daß Ihr Eure Lippen Gott geweiht: 
Das Wort aus Eurem Mund fei wie die Taube, 
Die überm Meer der Leidenschaften ſchwebt — 
Sagt nicht, ich ſah, wenn Ihr nicht deutlich ſaht, 
Denn wenn Ihr jenes Alten Wort bejtätigt — 


Edwin 
Ja freilich, wenn — 
Harold 
Wer fpricht in Godwins Haufe, 


Bevor ihn Godwins Erbe fprechen hieß? 
(zu Wilfried) 


Noch einmal frag’ ih — 
Wilfried 
Und verhüt’ es Gott, 
Daß ich noch einmal fehe, was ich fah. 


Erfter Akt 19 





2* 


Verhüt' es Gott, daß ich noch einmal höre, 
Wie grimme Schwerter krachend niederfallen 
Und knirſchend beißen in des Menſchen Haupt. 


Harold 
Ihr ſaht es alles? Hörtet's? 


Wilfried 
Jedes Wort, 
Das dieſer Mann Euch ſagte, ſtand vor mir, 
Ein leibhaft blutig fürchterliches Bild, 
Auf ewig mir den Traum der Nacht vergiftend. 


Harold 
Nun denn beim Angedenken meines Vaters, 
Bei meiner Mutter und bei allen Dingen, 
Die heilig mir gleich dieſen beiden find: 
Ih will für Euch vor diefem König fprechen. 


Morcar 
Befinnt Euch, Harold! 

Harold 

Freilich doch, ich finne 

Wie ih aus Groll und Schmerz ein Wort mir fchmiede, 
Zermalmend gleich dem fchiweren Keil des Donners, 
Das endlich diefes Königs Ohr durchichüttre, 
Das ihn aufrüttle aus dem dumpfen Schlaf 
In den Normannenzungen ihn gelullt. 


Morcar (ruft nach links) 
Heißt mein Gefolge auf der Stelle fatteln! 
Sch babe nichts mit diefen mehr gemein. 


Edwin 
Ich geh’ mit Euch. 
Harold 
So geht und geht zur Hölle 
Morcar 
Das deinem Ohm? 
Harold 


Ja, du abtrünniger Sachſe! 
Berräter deines DVaterlands und Volks! 


20 


Harold 





5 ; ag (zu Gytha) 
r hört das an? 
* Gytha 


Und meine Seele jauchzt ihm! 
Harold, mein Sohn, den ich bis heute nur 
Dem Namen nach als Godwins Sohn gekannt, 
Stolz meines Schoßes, herrliches Geſchenk, 
Das mir dein königlicher Vater gab, 
Ganz England ſieht dich an aus dieſen Augen 
Voll Mutterſtolz! 

(Sie breitet die Arme aus, Harold umarmt fie) 
Morcar 

Auf Euer beider Häupter 
Denn alle Folgen Eurer Raferei | 
Graf Edwin fommt. 


Harold (reht ihnen den Rüden zu) 
Geht hin, armjel’ge Drober. 


Mprear (im Abgange nach inte) 
Wir werden Rechnung halten. 


Edwin ; 
Rechnung; ja. 
(Beide ab nach Links) 
Harold 
Ja, ſchlügen alle AUngelfachfen- Herzen 
Gleich unfren wenigen, es wär’ ein Klang, 
Daß dieje fränffche Gaufelfpielerei 
Davor verhallen müßte gleich der Schelle, 
Wenn hoch vom Dom herab die Glode ruft! 
(Zrompetenftoß draußen) 
Gytha 
Horht — hörtet Ihr? 
Stigand 
Normännifche Trompeten. 


| Harold 
So fündet fi der Sachjenfönig an, 
Wie hart, wie herzlos dieſes Erz ertönt! 
Ganz wie ein Ruf zu Hader und zu Streit — 
Komm’ er denn an, ich bin zum Kampf bereit! 


Erfter Alt 21 





Achter Auftritt 


Herold (von links) 


Eduard, Sohn Etelreds, der Sachſen König, 
Heifcht Einlaß auf Schloß Dover. 


Harold 
Sagt dem König, 
Schloß Dover ftehe jedem Sachen offen. — 
Was zaudert Ihr? 
Herold 
Bringe ich den Beicheid ? 


Harold 
Bringt den Bejcheid. 
Herold 
Sch gehe, gnäd’ger Herr. 
(Ab nach lints) 
Stigand 


Mein teurer Harold, reizt den König nicht. 
Ich fürcht’, e8 kränkt ihn, wenn er diefe Leute 
(zeigt auf die Bürger) 

Hier bei Euch fieht? 

Harold 

Laßt diefe Leute bleiben. 
Diefe Gefichter, deren jedes einz’ge 
Ein aufgejchlagnes Buch des Rummers ift, 
Will ih ihm zeigen; —— graue Haupt, 

gt auf Ordgar) 

Blutig gefärbt von = Normannenfauft, 


Halt’ ich ihm vor, er ſoll hinein mir fchauen, 
In's bleiche, ftrenge Angeficht der Wahrheit. 
Er, der nur leben fann vom Lifpelhauch 

Der fränffchen KRuppler! 


Gytha 
Laß — hier kommt der König. 


22 Harold 





Neunter Auftritt 
König Eduard, Robert von Zumieges, Graf Euftah von Boulogne, 
Odo, Radulph (kommen von links, alle in normännifcher Tracht) 


Eduard 
(zu Gytha, welche fich, ebenſo wie alle Anwefenden, tief verneigt) 


Willkommen, Gräfin. 
Gytha 
Seid gegrüßet, Herr, 
In Godwins Haus, 
Euftach Galblaut zu Eduard) 
Hört Ihr's? Wie ftolz das Elingt. 
Sein Haus — ich den, Ihr gabt es ihm zu Leh’n? 


Eduard 
(jest fi auf die thronartige Erhöhung, die Normannen ftellen fich hinter ihn) 


Eduard 
(betrachtet Die Bürger; zu feiner Umgebung) 


Wer find die Leute, die er um fich hat? 


Robert (alblaut) 
Gemeines Volk. 
Euftach (Haldlaur) 


Er ift der Bauernfönig; 
Das ift fein Hofftaat. 


Eduard (ebenfo) 

Wie fie mich anglogen, 
Stumpf wie die Fiſche — nicht ein Wort des Grußes! 
Wie fie mich haffen — mwiderwärtig Volk! 

(laut zu Harold) 

Sch jeh’, Ihr habt Beſuch? 

Harold 

Nein, gnäd’ger Herr. 


Eduard 

Nein, fagt Ihr, und ich fehe Eure Gäfte? 
Harold 

Das find nicht Gäfte, gnäd’ger Herr. 


Eduard 
Was dann? 


Erfter Att 23 





Harold 
Mein gnäd’ger König, es find arme Leute, 
Die zu mir famen, ihre Not zu Klagen. 


Eduard 
Wer leidet Not in meinem Reich? 


DOrdgar 
Wir, Herr! 
Eduard 
Warum denn fommt Ihr nicht zu Eurem König? 
Was drängt Ihr Euch zu andren? 


DOrdgar 
Weil — 


Ich kenn’ Euch! 


Shr traut mir nicht! Warum? Bin ich von Stein? 
Ihr jollt mir trau'n! Ich wills! 


Harold 


Sie frauen Euch! 
Eduard 


Mein, Herzog; jagt nicht, was Ihr ſelbſt nicht glaubt! 


Harold 
Mein gnäd’ger König, wollt mir doch erlauben: 
Dies bier find Bürger Dovers — 


Eduard 


Eduard 


Bürger Dovers? 
Harold 


Ja allerdings, und ich bin Graf von Dover. 
Robert um König) 
Heifcht Rechenschaft von ihm! 


Eujtach (edenio) 
Denkt Eurer Schmach! 
Eduard (bald umgewandt) 
Das weiß ich ohne Euch. «Eau Ich fürchte, Herzog, 
Mit einem Strafgericht muß ich beginnen 
Meinen Beſuch bei Euch, 


X 


24 


Harold 





Harold 
Wie das? 
Eduard 
Ihr hörtet 
Von jenem Schimpf, den Dover mir getan. 


Harold 


Eduard 
In meinem 
Dem, als er kam, im Namen ihres Königs 
Quartier zu machen dem Normannenherzog, 
Dem Neffen ihres Königs, wie Ihr wißt, 
Sie bäurifch das Yuartier verweigerten. 
Harold 
Sprecht Ihr im Ernte? 
Eduard 
Wenn Ihr meint, ich feherze, 
Wil ich Euch zeigen, daß ich ernfthaft bin, 
Harold 
Ja, darum bitt’ ich — denn ich fürchte, Herr, 
Dies Ding ift ernft — 
Eduard 
Gewiß — 
Harold 


Euch? Schimpf? 


So ernſt, mein König, 
Daß alle Späße Eurer fränk'ſchen Herren 
Euch nicht zum Lachen drüber bringen werden. 


Eduard 
Was für ein Ton? 
Harold 


Der Ton — 
d 
Rn Sch hoffe, Gräfin, 
Euer Sohn vergißt nicht, daß er vor dem König fteht. 


Gytha 
Mein Sohn iſt mündig, Herr. 


Erſter Akt 25 





Die Bürger 
Heil unſrer Gräfin! 
Eduard 
Und ob Euch zehnfach Beifall ſchreit der Pöbel, 
Vergeßt nicht, daß ich Euer König bin! 


Euſtach 
Ich bitt' Euch, laßt mich reden! 


Harold 
Laßt ihn reden; 
Er will von ſeiner Heldentat erzählen, 
Die er verübte an wehrloſen Männern 
In Dovers Gaſſen! 
Euſtach 
Wärt Ihr nicht ein Sachie, 
Der nichts von Sitte weiß und Ritterart, 
Ich gäb' Euch eine Antwort — 


Harold 
Statt der Antwort 
Nimm denn mein Wort, du hämiſcher Franzoſe, 
Daß, wo ich dir im freien Feld begegne, 
Sch dir mit dreißig angelſächſ'ſchen Hieben 
Die Namen auf den Rüden fchreiben will 
Der dreißig Bürger, die du mir erjchlugft! 


Drdgar 
Gott jegne unfern Herzog! 
Edric und Baldwulf 
Heil dem Herzog! 


Eduard (Hält Euftach zurüd) 
Graf von Boulogne, wie Ihr es mir berichtet, 
Als ich nach jener Sache Euch befrug, 
Ganz alſo war’3? Nicht mehr, nicht weniger? 


Euftadı 


Harold 
Graf von Boulogne, Ihr lügt! 


a, gnäd’ger Herr. 


Harold 





Die Normannen 


Schlagt diefen pudelköpf'gen Sachen nieder ! 


Drdgar 
Verſucht's, Ihr hafenfüßigen Sranzofen ! 


Harold 
Still, alter Mann — mein gnäd’ger Herr und König, 
Ich weiß, der Zorn reift mir die Zunge fort — 
In Ehrfurcht neig’ ich mich vor Euch, mein König, 
Doch bitt' ich, hört die Leute, 


Eduard 
Welche Leute? 


Harold Gieht Ordgar heran) 
Hier diefen Alten — ſehet wie das Blut 
Mit heißen, roten, vorwurfsvollen Augen 
Durch diefe Tücher blickt — er ift ein Bürger 
Des Landes, wo Ihr König feid! Normannen 
Taten ihm das, 


Eduard (wender fich ab) 
Kein Blut — ich will fein Blut fehn! 


Harold 


Doch tauſend, abertauſend blut'ge Tränen 
Fließen in Eurem Land! Ihr müßt ſie ſehn! 


Euſt ach 
Auf meine Seele nehm' ich dieſes Blut, 
Und jeden Teil der Tat nehm’ ich auf mich. 


Stigand 
Berwegner Mann — 
Eduard 
H Sch denke, guter Bifchof, 
Ihr wißt mir’s Dank, daß ich Euch hier nicht ſehe; 
Sorgt, daß ich Euch nicht höre, 
(Zrompetenftoß Draußen) 


Eduard - 
Wer kommt hier? 


Erfter Akt 27 





Zehnter Auftritt 
Normänniiher Herold (von links) 


Eduard, dem Sachfenkönig, bietet Gruß 
Wilhelm, der Herzog von der Normandie. 


Die Normannen 
Heil unferm Herzog! 
Euftad 


Gebt Erlaubnis, Herr, 
Daß wir enfgegengehn, ihn zu empfangen. 

Eduard 
Wir find zu Gaft, Ihr Herrn, dort ftehn die Wirte, 
Ich bitt? Euch, Gräfin, geht, empfangt den Herzog. 


Gytha 
Fragt meinen Sohn, er ift der Herr der Burg. 
(Paufe) 
Eu ſt ach Gu Sarold) 
Wie lang' ſoll unſer Herr an Eurer Tür ſtehn? 


Harold 
So lange als ich Herr bin auf der Burg. 


Euftach Gu Eduard) 
Ihr habt's gehört — gebt uns Erlaubnis, Herr, 
Ihn zu empfangen. 
(Die Normannen fteigen von der Erhöhung herab) 
Harold (eritt ihnen in den Weg) 
Das verbiete ich! 
(Bewegung unter den Normannen) 
Eduard 
Es ijt ein Mißverftändnis — Herzog Harold, 
Der König bittet. 
Harold 


Und ich weigr' es. 
Eduard 


* 


Harold! 
Stigaud (u Harold) 


Seht ihm in diefem einz’gen Dinge nad. 


28 


Harold 





Eduard 
Sch dent’, Ihr feid doch nicht im Stall geboren? 
Ihr wißt, was Höflichkeit und Gitte ift? 


Harold 
Es gibt für Menfchen höhere Gefege 
Als Höflichkeit. 

Eduard 


Eu'r Sohn ift rafend, Gräfin. 
Gedenkt des Schimpfes, welchen er mir tut: 
Der Herzog kommt, den Lehnseid mir zu leiften 
Für feine Erbfchaft in der Normandie, 
Soll ein VBafall im eignen Land mir wehren, 
Was ich mit meinem Königswort verfprach, 
Ihm zu erfüllen? 

Gytha Geige auf Harold) 

Dort fteht mein Gebieter, 

Sein Wort ift meins und fein Beſchluß der meine. 


Eduard 
Aufrührerifch feindfeligs Gefchlecht ! 
Zum lestenmal bedenft. 
Harold 
Zum erften Male 
Den?’ deines Eides du vom KRrönungstag | 


Drdgar 
Die Bürger 
Der Eid von Wincheiter! 


Eduard 

Zum Zeugen ruf” ich Gott, daß Ihr mich zwingt. 
Harold 

Meineid'ger Mann, ruf' Gott zum Zeugen nicht! 


Eduard 
Meineidig? Und das mir? Das deinem König? 


Harold 
Ja, dir ins Angeſicht, du morſcher Aſt 
Am alten Baum der Sachſenkönige! 


Der Krönungseid! 


Erfter Akt 29 





Stigand 
Harold — um Gott — bedenkt! 


Harold 
Sort, laßt mich reden! 
Gebt acht, wie diefe mürben Lenden brechen, 
Wenn ich die Hälfte nur von all dem Jammer, 
Den er auf jedes Sachſenherz gehäuft, 
Aufs Haupt ihm wälze. — Dir ins AUngeficht, 
Du Duppe der Normannen — 


Robert 
Hört Ihr das? 
Eduard 
Wer rettet mich vor diefem Wiütenden? 
Euſtach 
Wir, gnäd'ger Herr! 
Guft) 


Normannen — für den König! 
Zn den Türen rechts und links erſcheinen Normannen mit bloßen Schwertern) 
(Dumpfe Pauje) 
Eduard (erhebt ſich) 
Ihr alle hörtet, was der Mann hier ſprach. 


Die Normannen 

Das hörten wir, 
Eduard 

Daß er auf meine Ehre 
Das Brandmal feiner fchnöden Worte drüdte — 
Daß des Vaſallen jchuldigen Gehorſam 
Er keck ins Antlitz mir verweigerte, 
Mir wehrend, mein Verſprechen einzulöſen, 
Bezeugt mir das! Bezeugt mir das! 


Die Normannen 
Wir zeugen! 
Eduard 
Verluſtig ſeiner Güter, ſeiner Lehen 
Erklär' ich Harold, Godwins Sohn. Verbann' ihn 
Und gebe ihm von heut drei Tage Friſt, 
Daß, wenn ich ihm am vierten Tag begegne, 


30 


Harold 





Sein Haupt dem Henker foll verfallen fein. 


(Gemurr unter den Bürgern) 


Was murrt das Volk zu jedem meiner Worte? 


Drdgar 
Sucht Euch den Henker drüben überm Meer! 


Eduard 
Mit dir rechn’ ich noch ab! Aus Gnaden, Gräfin, 
Geftatt’ ich, daß Ihr wohnt auf Dovers Schloß. 


Gytha (mit bittrem Lachen) 
Aus Gnaden? Ihr? 
Eduard 
Was ſoll's? Warum dies Lachen? 


Gytha 
Begnadigt den, den Ihr beſtrafen dürft. 


Eduard 
Ihr wollt nicht Gnade? 


Gytha 
Schändet diefes Wort nicht, 
Den wundervollen Schmuck des ftarfen Mannes. 
Schwachherz’ger Mann, dem Angſt zu Kräften hilft! 


Ruft mir den Knaben Wulfnoth, Bifchof — 
(Stigand ab nach rechts) e 
erne, 


Unkönigliher Mann, an unfrer Urt 

Die ftolzge Sprache Füniglichen Blutes. 

Und ging’s von hier gleich auf den Henkersblock, 
So legt’ ich meinen Naden neben feinen. 

Ich ftand dabei am Tag von Winchefter, 

Als Godwin diefen da zum König machte. 

Bei diefen blonden Loden meines Sohns, 

Mein Herz war nicht jo groß, fo frei, fo fröhlich 
Als heute, da ich rechtlos, heimatlos 

Mit meinen Söhnen in Verbannung ziehe. 


Erfter Akt 31 





Elfter Auftritt 
Stigand (fommf von rechts mit) Wulfnoth 


Stigand 
Hier bring’ ich Euch den Raben. 


Gytha 
Komm, mein Kind. 
(Sie legt den rechten Arm um Harolds Nacken und drückt mit dem linken Wulfnoth 


an fich) 
Nun, diefe meine Söhne fo im Arme, 
Ruf ich die Mütter von ganz England auf: 
Iſt ihrer eine glüdlicher als ich? 


DOrdgar 
Nein, große Gräfin! 
Harold 
Auf, und laßt uns gehn, 


Das Recht — — die Gewalttat redet. 
Zu Eduard) 


Und ſcheidend laſſ' ih zum Vermächtnis dir 
Die jchlummerlofe Ruh’ gequälter Nächte, 
Don des Gewiffens dumpfem Schrei durchhallt, 
Bei Tag den Anblick eines grol’nden Volkes, 
Und Tag und Nacht das Zittern und das Zagen 
Bor jener Stunde — 
, Euſtach 
Welche Stunde meint Ihr? 
Harold ſchüttelt drohend die Fauſt) 
Garold, Gytha, Wulfnoth wenden ſich zum Abgehen nach rechts) 
Robert 
Laßt Euch von Ihnen Geiſeln ſtellen. 


Eduard 
Robert 
Heiſcht ihren jüngſten Sohn. 
Eduard 
Ich tu' es ungern. 


Euſt ach 
Allein die Not verlangt's. 
(Laut) 


Geifeln? 


Harold 





Gräfin, der König 


Wünſcht noch zu Euch zu reden, 
(Alles wendet fich zurück) 


Eduard 
Gräfin Gytha, 
Mich ſchmerzt's — doch brauch’ ich Euren jüngften Sohn 
Als Geifel. 
Gytha 
Diefes Kind? Dies junge Kind? 


Eduard 
Für Eures ält’ften Sohnes böfen Willen, 


Gytha 
Mein Kind ihm laſſen! Töte mich auf einmal, 
Nicht Glied für Glied! 


Euftach (packt Wulfnoth) 
Behaltet Euer Leben, 
Den Knaben wollen wir. 


WulfnotH (ich fträubend) 
Hilf, Bruder Harold! 


Harold 
(reißt den Knaben aus Euftachs Händen) 


Shr nehmt den Rnaben nicht! 


(Die Bewaffneten rechts und links treten je zwei Schritte näher; Harold blickt 
umber, jehüttelt Das Haupt und wendet fich zu König Eduard) 


Beim Licht der Sonne, 
Die alles fieht, was heut Ihr an uns tut, 
Schwört, daß dem Kinde hier fein Leid gefchieht. 


Eduard 
Kein Leid gefchieht ihm — das verfpreche ich. 


Harold (Hebt den Knaben an dag Herz) 


Mut, Heiner Bruder, Mut; wir fehn uns wieder, 
(Sett den Knaben zur Erde) 
Küß' deine Mutter. 
(Zu Gytha) 
Mut, geliebtes Herz, 
Sn diefer Stunde. 


Erfter Akt 33 





Gytha 
Mutig — will — ich fein — 
Mein füher Knabe — 
Wulfnoth 
Mutter — 


Gytha 
Nein, ſprich nicht, 
Denn wenn ich deine Stimme höre, Kind — 
ſinkt plötzlich vor dem Kinde nieder und reißt es an ſich) 
Welch eine Ahnung ſchaudert mir durchs Herz: 
Nie werd' ich dieſen Knaben wiederſehn! 


Harold 
Du wirſt's — ich ſchwör' es. 


Gytha (u Eduard) 
Halte deine Wölfe 
Bon meinem Lamme fern; ich fage dir, 
Der Menfch, durch den ich diefes Kind verliere, 
Berbrennen fol er mir in meinem Haß! 
Zerbrechen unter meinem Grimm! Vom Throne 
Der Gnade fol am Züngſten Tage ihn — 
Mein Fluch hinweg ihn geißeln! — Ab, mein Rind, 
In ſolchen Panzer graufenvoller Flüche 
Muß ich dein unfchuldvolles Leben Heiden --- 
(fie erhebt fich) 
Harold, komm fort, ich will vor diefen Teufeln 
Nicht weinen — (u Eduard) wahre mir mein Kind! 
Ich fordr' es einſt von dir — Wulfnoth — nein nicht mehr — 
Denn geh’ ich jest nicht, Fan ich nie mehr gehn — 
Fort, blicke nicht zurüd zu ihm — fort — fort. 
(Harold, Gytha unterftügend, mit ihr ab nach rechts; die Bürger langjam Hinter 
ihnen ber, nach rechts ab) 


Vorhang fällt. 


Ende des erften Aftes. 


Dramen VI 3 


Harold 





Zweiter Akt 


Erſte Szene 


Na zu Rouen. Dichtes blühendes Gebüſch. DVorn rechts ein 
afenhügel, auf welchem ein blühender Roſenſtrauch. Vor Auf- 
gang des Vorhangs ein Hörner- Chor hinter den Kuliſſen) 


Erſter Auftritt 


Adele, Alice, Leonore, Gefolge von Pagen (von rechts) 


Adele 
Alice, Leonore, Herzensjeelen, 
War je ein Morgen diefem Morgen gleich? 
Die Sonne ift verliebt in ihren Himmel, 
Der Himmel in die Erde — 


Alice 
Kurz und gut, 
Das alte Lied vom Lieben und geliebt fein. 


Leonore 
Alice feufzt. — Adele, Königin 
Bon Wäldern und von Feldern, meines Herzens 
Allmächt'ge Herrin, nennt die Taten ung, 
Die diefer Tag uns foll vollbringen fehn. 
Adele 
KRriegsrat gehalten | 
(Sie jest fich auf den Nafenhügel, Alice ihr zu Füßen, Leonore ſteht) 
Leonore 
Seid ung heut Diana, 
Sp wollen wir Euch folgen durch die Fluren 
Gleich AUtalante aufgefchürzt zur Jagd. 
Adele 


Was fagt Alice? 
Alice 


Laßt Lenore jagen, 
Sch weiß Euch befferes. 


Leonore 
Sie wird Euch raten, 
Daß wir, gelagert unterm Rofenbufch, 


Zweiter Aft 35 





3* 


Den Nachtigallen lauſchen; ſeht, Prinzeſſin, 

Ihr Köpfchen, ganz von Träumerei erfüllt, 

Senkt ſich wie eine taubeſchwerte Roſe. 
Alice 


Wollt Ihr den neuen Selter nicht erproben, 
Den Euch der Vater jchenfte? 


Adele 
D vortrefflich ! 
Und Ihr begleitet mich ! 


Leonore 
Ich auf dem Rappen! 


Alice 
Den Salben nehme ich. 


Adele Gum Gefolge gewandt) 
Hallo — der Page! 


Dage (tritt von) 


QAdele 
Die Pferde vorgeführt! Und — höre noch — 
Sest meinem Falken auch die Haube auf. 


Dage 
Sehr wohl, Prinzeffin; welchen wollt Ihr brauchen 
Bon Euren Falken? den norwegifchen? 


Adele 
Mein, den der Vater mir gejchenft. 


Dage 
Berzeiht mir, habt Ihr beide! 
Adele 


Vom Herzog, 


Sa, fürwahr! 
Was auch beſäß' ich, das mir nicht vom Vater 
Gefchenkt ward! Du glüdjelige Adele! 
Den Island- Falken mit den ſchwarzen Fleden 
Auf weißer Bruft, den bringft mir — und den andern 
Für meine Freundin Bin: für Leonore. 
(Dage ab) 


36 


Harold 





Leonore 
O Liebenswürd'ge, Ihr verdient das Glück; 
Ihr braucht es zum Beglücken. 
(Küßt ihr die Hand) 


Adele 
Unterwegs, 
Alice, mußt du Märchen uns erzählen 
Von Artus' Hof. 


Leonore 
Jawohl, das muß fie fun. 


Adele 
Und von der Melufine. 


Alice 
Ihr habt mir meinen Schag rein ausgeplündert; 
Ich weiß nichts mehr. 
Leonore 
Prinzeſſin, glaubt Ihr das? 


Adele 
Nein, Leonore, Dichter und Erzähler 
Berlangen, wie die Vögel, Zuderbrot. 
Man fol die holden Träume ihres Innern 
Mit fanftem Schmeicheln auf die Schwelle locken. 
imarmt Alice) Geliebter Trogkopf, nenne mir den Preis, 
Für den du artig fein willit? 


Alice 


Vom Lanzelot. 


Süße Herrin 
Und allerreizendfte Gebieterin, 
Dies ift die Näfcherei, die mich gefügig 
Zum Dienft Euch macht. 
(Küßt fie auf den Mund) 


Page (kommt zurüc) 
Wenn Ihr befehlt, Prinzeffin — 
Die Pferde find bereit. 


Adele (pringt auf) 
Auf, in den Sattel! 
O wüchſen an den. Schultern Flügel mir, 


Dann mit dem Falken ftieg’ ich in die Lüfte! 
(Adele, Alice, Leonore wollen eilend links ab; in dem Augenblid:) 


Zweiter Akt 





Zweiter Auftritt 
Wilbelm, ——— Barone (von links) 
(Wilhelm fängt Adele, die enteilen will, in den Armen auf) 
Wilhelm 


Halt, fliege deinem Vater nicht davon, 
Mein wilder Falk, er braucht dich noch auf Erden. 


Adele 
Mein Bater heim aus England? 


Wilhel 
— Wie du ſiehſt. 
Adele (umarmt ihn) 
Zum froben Willlomm, mein geftrenger Herr! 


Wilhelm 
Geftrenger Herr, ſeht diefes fchlimme Kind, 
So fpottet es der Schwäche feines Vaters. 
Adele 
Und bift du nicht der hochgeftrenge Herzog, 
Bor dem die Hohen und die Niedren zittern? 
Wilhelm 
Das bin ich ihnen, und was bin ich dir? 


Adele 
D, einen Redner gebt mir in den Dienft, 
Der mir die Antivort lehrt auf folche Frage. 
Mein teures Haupt, mein vielgeliebter Vater ! 

(Rüßt ihn) 

Wilhelm 
Mein Blütenzweig, mein frifcher Morgenduft 
Im ftaub’gen Handwerfstage meines Lebens, 
Wie lebte meine Tochter unterdes? 


Adele 
Gut, ich behielt dein Herz mir bier zurüd, 
Hat's dir in England drüben nicht gefehlt? 


Wilhelm 


Ich weiß nicht, denn ich nahm dich ſelbſt hinüber 
Und ließ in England dich. 


38 


Harold 





Heißt England. 


Adele 
Wie das, mein Pater? 


Wilhelm 
Komm, fieh mich an, fuchft du die Kette nicht, 
Die ih am Halfe trug, mit deinem Bilde 
In goldner Kapſel? 
Adele 
Fa, fürwahr — mo blieb fie? 


Wilhelm 
Bei König Eduard, deinem Großoheim. 
Ich zeigte ihm dein Bild, und da er’s fah, 
Wollt’ er's nicht laffen. 
Adele 
Hilf mir Gott im Himmel — 
Ich hörte, er fei an die fiebzig Jahr, 
Haft du mir den zum Bräut'gam auserdacht? 


Wilhelm (mit erhobenem Tone) 
Das nicht, doch auf die Brauffahrt ging ich aus. 
Sch felber war der Bräut’gam, und die Braut 


Seneſchall 
Was bedeutet das? 


Wilhelm 
Barone, 
Das Angeſicht der Welt wird ſich verändern 
Von heute binnen kurzem. Hört und wißt, 
Daß König Eduard mich kraft heil'gen Eides 
Zum Erben eingeſetzt nach ſeinem Tode. 


Seneſchall 
Zum Erben? 
Wilhelm 
Ja — zum Erben ſeiner Krone; 
Stirbt er, ſo werd' ich König ſein von England. 


Seneſchall 


Stern der Normannen, laß den Tag mich ſchau'n! 
Das ſchwur Euch König Eduard? 


Zweiter Akt 39 





Wilhelm 
Allerdings, 
Fragt Robert von Jumieges, den Erzbijchof, 
Er war dabei. 
Die Barone 


Heil Wilhelm, Englands König! 


Wilhelm Gu Adele) 
Was jagt das königliche Kind von England 
Zu folhem Bild der Zukunft? 
Adele 
Nichts, mein Vater. 
Wilhelm 
- Wie? nichts? daß ich die junge Stirne dir 
Mit Föniglihem Diadem umfange? 
Adele 


Der Himmel Englands, hört’ ich, wäre grau. 
Sch bleibe lieber in der Normandie. 


Senejhall (lie Links in die Kuliſſe) 
Verzeiht mir eine Frage, gnäd’ger Herr, 
Wer ift der Knabe, den Ihr ung aus England 
Herüberbrachtet? 
Wilhelm 
Nun, bei Gottes Glanz, 
Beinah vergaß ich ihn; wo ift er? 
Senejchall (winkt nad links) 
Hier — 
Ganz übermannt von Müdigkeit und Schlaf. 


Dritter Auftritt 


Ein normänniſcher Baron, welcher Burtnoth ſchlafend auf dem Arme trägt 
ſkommt von linfs 


Adele 
D güt’ger Himmel — ſeht doch, was fommt da? 
Alice, ſahſt du je jo Reizendes? 
Alice (tritt zu Wulfnorh) 
Ein allerliebiter Knabe. 


Harold 





Adele 

Wed’ ihn nicht — 
Sieh, wie der Schlaf ihm rote Wangen malte, 
Und diefe Haare — mie gefträhntes Gold — 
D das holdfel’ge Kind. 


Wilhelm 
Hör’, meine Tochter, 
Berliebe dich zu fehr nicht in den Burfchen, 
Denn er ift mein Gefangner. 


Adele 

Dein Gefangner? 

Das ift dein Ernſt nicht, Vater! 
Wilhelm 

Voller Ernit. 
Als Geifel nahm ihn König Eduard feiner Mutter 
Und feinem Bruder Harold, dem Empörer, 
Der jest in Flandern weilt, und mir vertrauf’ er 
Den Knaben an zu größrer Sicherheit. 


Adele 
So arm an Jahren und fo reich an Anglück? 
D ftill, gebt acht. 
WulfnotH (erwacht, blickt um fich) 
Mutter — wo bift du? Mutter? 
Wo ift mein Bruder Harold? 


Wilhelm 
Setzt ihn nieder, 
(Wulfnoth wird auf die Erde geſtellt) 
Nun, Meiſter Wulfnoth, komm, gib mir die Hand — 
Wulfnoth 
Laßt mich zu meiner Mutter — (will entfliehen) 


Senefchall (Hält ihn lachend feft) 
Halt, Patron! 
Adele 
Faßt ihn fo rauh nicht am! (Knier vor dem Knaben nieder) 
Du armer Schelm, 
Scheuft du dich auch vor mir? 


Zweiter Akt 


41 





Wulfnoth 
Nein — du biſt gut — 
Doch der Geist auf Wilhelm) iſt böſe. 


Adele 
Mein, er ift es nicht. 
Wie du das Söhnchen deiner Mutter bift, 


Siehft du, jo bin ich diefes Mannes Kind. 
(Wulfnoth wirft die Arme um ihren Hals und weint bitterlich) 
Gott tröfte dich, du armes Feines Herz. 
(Sie exbebe ih) 
Bertraue mir den Knaben an, mein Vater, 


Sch bitte drum! 
Wilhelm 
Es kann nicht fein, Adele, 
Du börft, er ward als Geifel mir verfraut. 


Adele 
Sieh das befränte AUngeficht des Kindes, 
Es wendet Hagend fih an die Natur 
Und heifcht von ihr das Necht des Kindes, Liebe: 
Mein Bater, der in jeder Stunde du 
Dein Kind mit deiner Liebe überjchütteft, 
Du wirft der Mann nicht fein, dies fühe Necht 
Dem Kind zu nehmen? Denke, wenn Adele 
In fremder Männer Händen — 


Wilhelm 
Wohin denfft du? 
Hör’ auf, ih wills! 
Adele 
Wenn fie von dir gefrennt, 
Im fernen Kerker weinend deiner dächte? 


Wilhelm 
(ihließt Adele plöglich leidenſchaftlich in Die Arme) 
Du mir entriffen!? — Nimm den Knaben hin — 
Doch wahre ihn mir gut. 


Adele 
D trauter Vater, 
Wie meinen Augenftern bewach' ich ihn! 


Komm, füßer Schelm; Wulfnoth — nicht wahr, fo heit du? 


42 Harold 





Vierter Auftritt 
Montgomery (von links zu den vorigen) 

Gewicht’ge Botfchaft, gnäd’ger Herr, aus Flandern: 
Harold mit zwanzig Schiffen, die er warb, 
Brach gegen England auf. 

(Bewegung) 

Wilhelm 

Fluch — wann gejchah’s? 


Montgomery 
Herr, vor drei Tagen ftach er in die See. 


Wilhelm 
So kann er heut fchon auf der Themfe ſchwimmen? 


Montgomery 
So den? ich, Herr. 
Seneſchall 
Dann wehe König Eduard. 
Das Küſtenvolk und die Bewohner Londons 
Erheben ſich in offener Empörung, 
Sobald ſein Banner weht. 


Wilhelm 


Kommt augenblicklich, 


Kundſchafter will ich ſenden übers Meer. 
(Wendet ſich zum Abgang nach links, tritt noch einmal zu Adele, die ſich mit Alice 
und Leonore um Wulfnoth bejchäftigt) 


Wilhelm Glickt auf Wulfnoth) 
Harold, Sohn Godwing, fei auf deiner Huf, 
Wenn du mir läftig würdeſt — 


Adele 


Wie fchredlich blickſt du? 


Wilhelm 
Denke dran, Adele, 
Es gibt nur einen einz’gen auf der Welt, 
Der mir verderblich werden könnte, Harold. 
Des Feindes Herz hältft du in deinen Händen — 
Ernft ift die Gabe, die ich Dir verfrauf. 


D mein Bater, 


Zweiter Uft 43 





Adele (prüdt Wulfnoth an fich) 
Still, armer Junge, ftil, ich bin bei dir, 


Berwandlung) 


Zweite Szene 


(Ein Zimmer im Palaft zu London, Türen rechts, links und in der 
Mitte. Zu der legferen, Mae ein Vorhang bededt, führen einige 
Stufen empor) 


Erjter Auftritt 


Robert von Jumieges, Euftah von Boulogne (kommen von rechts) 


Euſt ach 
Wie ſteht es? Hat der König unterſchrieben? 


Robert 


Euſt ach 
Wann endlich wird er unterſchreiben? 


Robert 
Wenn er ein andrer fein wird, als er ift. 
Wohl zehnmal legt’ ich ihm das Llrteil vor, 
Und zehnmal wollt’ er’s in Erwägung ziehn 
Und zehnmal zehnmal unterfchrieb er nicht. 
D, folhem Manne dienen, ift Verzweiflung. 


Euſtach 
Ihr wißt, daß Harold vor den Mauern ſteht. 
In London ſelber gärt die Rebellion, 
Ein dumpfes Grollen wühlt in den Gemütern. 
Die Bürger Dovers müſſen heut noch ſterben, 
Nur kurz entſchloßne, ſtrenge, blut'ge Tat, 
Die dieſe Liebe in Entſetzen tötet, 
Rann ung noch retten. 

Robert 

Alles diefes weiß ich. 
Doch jeit der Stunde, da er unferm Herzog 
England verfprach, haft Eduard die Normannen. 


Noch nicht. 


44 


Harold 





König Eduard (ein Papier in der Hand, auf Wilfried geftügt, kommt durch 
die Mitte) 


Euſtach 
Ah, dieſes Muſterbildnis aller Schwäche, 
Den immer heut die Tat von geſtern reut, 
Sagt ihm, es gehe um ſein eigen Leben. 


Robert 
Dies Mittel, wird er ſagen, ſei verbraucht. 


Euſtach 
Verbraucht! Verbraucht! O, eine einz'ge Waffe 
Gab die Natur den Schwächlingen: das Mißtrau'n. 


Robert 
(geht an die Mitteltür, lüftet den Vorhang) 
Ich höre ſeine Schritte, geht hinaus. 


Euſtach 
Gut denn, Ihr findet mich im Vorgemach. 
Doch heißt ihn eilen mit dem Urteilsſpruch, 
Denn die Geduld in mir hat kurzen Atem. 
(Ab nach rechts) 
Robert 
Ich reiße ihm das Arteil von der Seele. 


Zweiter Auftritt 


Robert (gebt ihm entgegen) 
Ihr unterfchreibt das Urteil, gnäd’ger Herr? 
Eduard 
(abwechjelnd Robert und Wilfried anfehend) 


Laßt Euer beider AUntlig mich vergleichen — 
(zu Wilfried) 


Du bift ein Sachfe? 
Wilfried 
Sa, mein gnäd’ger König. 
Eduard (zu Robert) 
Ihr feid Normanne, Bifchof. 


Robert 
Wie Ihr wißt. 


FEN 


Zweiter Akt 





Eduard 
Ihr habt etwas vom Habicht im Geficht, 
Wie alle Eures Volkes, 
Robert 
Gnäd’ger Herr, 
Gebt mir das Lrteil, wenn Ihr’s unterfchriebt. 


Eduard , 
Gleich einem Habicht ftößt er auf die Beute — 


Robert 
Gebt mir das Lrteil, denn es drängt die Seit. 


Eduard 
Es drängt die Zeit — o die verruchte Zeit! 
Zu was für böfen Dingen fie ung drängt! 
Seid Ihr ein Priefter nicht des fanften Chriftus, 
Den Liebe fterben hieß? 


Robert 
Ihr wißt, ich bin’s, 


Eduard 
Wär’t Ihr ein Priefter, fchaudern müßtet Ihr 
Bor diefem blutgefüllten Greuelblatt ! 

Robert 
Ich ſchaudre, Herr; doch ftärfer ald mein Schauder 
Spricht meine Pflicht. 

Eduard 


Sprecht nicht jo klug und kalt. 


Pflicht ift ein Edelftein, doch in den Händen 
Hartherziger wird fie zu einem Felfen, 

Der unjres Nebenmenfhen Haupt zermalmt! 

Hier ftehen dreißig Männer aufgefchrieben — 

Die dreigig Männer haben dreißig Weiber — 

Ein jeder diefer Männer war ein Baum, 

Der Knoſpen trieb — die Männer haben Kinder — 
Und nun aus meinem Mund ein einzig Wort, 

Und wie ein Pefthauch fegt es drüber hin 

Und mordet all das Leben. Hört Ihr nicht, 





46 


Harold 





Welch ein Geheul von Sammer und von Leid 
Aus dieſem Blatt erklingt? D Ihr feid Hug: 


Ihr ſchiebt mich zwifchen Euch und zwifchen Gott — 


Nur meine Seele foll am Süngften Tage 
Mit diefem Blutfled vor dem Richter ftehn — 


Robert 
Zu milder Richter ift auch ungerecht; 
Sie griffen Euren Schwager an mit Waffen — 
Sie müffen fterben, wenn Ihr leben wollt. 


Eduard 
All diefe dreißig — was den Tag gefchah 
Zu Dover, ward noch einmal unterfucht? 


Robert 
Es wurde unterfucht — und laßt Euch fagen, 
Was ich erft heut erfahren: Herzog Harold 
Rückt auf Euch an mit einem mächt’gen Heer. 


Eduard 
Harold rüdt an? 
Robert 


Er fteht vor Londons Mauern; 
An Londons Tore donnert feine Fauft 
Und aus dem Innern brüllet taufendftimmig 
Der Aufruhr ihm fein grollendes „tritt ein.“ 
Rennt Ihr das Ziel, nach dem er feine Hand redt? 
Das Rronengold auf Eurem Haupte iſt's! 


Eduard «iftig lächelnd) 
Das wär’ denn freilich fchade. 
Robert 
Was wär’ fchade? 
Eduard 
Wenn er die fchönen Pläne Eurer Herr’n 
Mit diefem Tölpelftreich vernichtete? 
D Ihr beforgten Herrn — ich kenne Euch! 
Robert 


Sit das erhört? Ihr fpottet Eurer Retter? 
Und wenn die Mutter ihm mit wilden Worten 


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Zweiter Akt 47 





Das Herz zur Wut fhürt? Wenn das Kind fie fordert 
Und Ihr’s nicht geben könnt? 


Eduard 
Das Kind — 
Wer riet mir das mit diefem Kind? Wer war’s? 
Ach — wie Ihr mich in Eure Netze fingt! 


Robert 
Laßt das PVergangne, denft der Gegenwart. 


Eduard 


Kommt ber — legt Eure Hand an diefes Blatt — 
(Robert faßt das Blatt auf einer Seife, Eduard hält es auf der andern) 


Und aljo teil’ ich diefe Tat mit Euch. 

Nehmt halb die Ehre hin, wenn guf fie ift, 

nd halb den Fluch — nein, allen Fluch auf Euch, 
Wenn fie verdammt ift. 


Robert 


Auf mein Haupt den Fluch! 
(Er reißt das Blatt an ſich und geht eilend nach rechts ab) 


Eduard 
Bewahre, Gott, mich vor unfchuld’gem Blut! 
Ich weiß — Fein Mensch geht fündenlos durchs Leben, 
Doch Blut vergiegen — — Seit ich denken fann, 
Begriff ich nie, daß Menfchen morden können! 
Mord — welch ein Klang in diefem Worte liegt, 
Als täte eine Totengruft ſich auf, 
In der der Wahnfinn des Entjegens hauft — 
Blut — Menfchenblut — welch jchaudervolles Rätfel 
Birgt diefe rote, heiße, dunkle Flut — 
Das Herz gerinnt mir, ſeh' ich Menfchenblut — 
Laß diefe Menfchen ſchuldig fein, mein Gott, 
Daß ich nicht Mörder — ab — ift bier denn Niemand? 
Kein lebend Herz — (gewahrt Wilfried) 

ach, du bift da, mein Sohn — 
Das ift mir lieb — dein Antlitz ſeh' ich gerne. 
Du warft in Rom? Komm, fomm, erzähle mir — 
Vom blauen Simmel rede, der dort ift — 
Der nicht jo bleiern drückt wie diefer Himmel — 


48 


Harold 





Wilfried 
Ich kann Euch nicht vom hohen Rom erzählen, 
Mein Herz ift mir zerriffen! Jene Männer — 


Eduard 
Die dreißig? 
Wilfried 
a, die heute fterben müffen — 
Ach, Eenntet Ihr den unermeßnen Sammer — 


Eduard 
Ich kenn' ihn! 
Wilfried 
Nein — Ihr faht nicht, was ich ſah 


Eduard (blicke ihm ſchrecklich am) 
Mich warnt etwas — als follt’ ich dich nicht fragen, 
Was du gefehn? Was fahit du? 


Wilfried 
Jene Tat 
Am Tag zu Dover, 
Eduard 
Sahſt du die mit an? 


Wilfried 
Ich fah fie, gnäd’ger Herr. — 


Eduard 
Dann ftill — fei ſtill! 
In deinen Augen fteht ein Wort gefchrieben — 
Die Tat — war anders — als man mir gejagt? 


Wilfried 
Ja, fie war anders, anders, gnäd’ger Herr — 
Mit Schwertern griff fie der Normanne an — 
Brach mit Gewalt in ihre Häufer ein 


"Und dreißig Bürger Dovers ſchlug er tot! 


Eduard (furchtbar Iachend) 
Und darum ſchickt der Sachſen König ihnen 


Zur Freude der Normannen dreißig nach! 
(Draußen erhebt fich ein dumpfes Glockengeläut) 


Zweiter Alt 


49 





Wilfried 
Betet, o Herr, für diefer Männer Seelen — 
Hört Ihr’3? Das find die Gloden des Gerichts. 


a Eduard 
Kain ſchlug nur einen — dreißig morde ich! 
Wende dich ab von mir — nein, fort hinunter, 
Schrei’ ihnen Halt! 
Wilfried 
Es ift zu fpät, mein König. 


Eduard 
Zu fpät — in Lüften geht es beulend um — 
Hörft du, wie diefe Glocden heulen: Mord! 
Das ift ein Volk, das feinem Kön'ge flucht. 


Dritter Auftritt 
Stigand (fommt in höchſter Eile von links) 
König von Sachſen — habt Ihr das befohlen, 
Daß man zum Tod die dreißig Männer führt? 
Schuldlofe Männer? 
Eduard 
Ich befahl es, Bifchof, 
Weil der Normanne mir’s befahl. 


Sti d 
sche Mein König, 
Euer Herz, ich hör’s, ift diefer Sache fremd; 
Eilt — ändert den Befehl. 
Eduard 
Es ift zu jpät. 


Stigand 
Noch nicht, o Herr — ein Mann ift noch vorhanden, 
Der retten fann. 
Eduard 
Nennt ihn! 


Stigand 
Soll ich ihn nennen 
Und werft Ihr von Euch alten Haß und Groll? 


Dramen VII 4 


50 


Harold 





Eduard 


Nennt mir den Mann! Gein Name foll mir tönen 
Wie meines Heilands Name! Nennt den Mann! 


Stigand 
Harold jteht vor den Mauern Londons, Herr; 
Heißt ihm die Tore Londons öffnen, Herr, 
Gebt mir Befehl, jo ei! ich auf die Gaffen 
Und was des Lebens lang ertragne Mühe 
An Rraft in diefen alten Lungen ließ, 
Raff' ich zufammen dann zu einem Schrei, 
Daß König Eduard Harold in die Stadt ruft — 
Wie ein Orkan fteht dann das ganze Volk 
Bon London wider die Normannen auf, 
Und die verlornen Dreißig find befreit! 


Eduard 
Ich weiß, er wird mich töten, wenn er kommt — 
Sei er gejegnet, wenn er diefe rettet 
Und meine Seele löft von diefem Blut! 
Die Tore auf, ruft Harold in die Stadt! 


Stigand 


Die Zeit verfchlingt mein Wort — lebt wohl, mein König! 
(Eilend nach linfs ab) 


Eduard au Wilfried) 
Sieh mich nicht an mit folchen hohlen Augen, 
Du ftauneft, daß es Menfchen gibt, wie mich, 
Denn du bift jung, und Jugend richtet ftreng, 
Und richtet ſchnell — und falſch — du weißt es nicht, 
Daß das Gefes, das zwifchen Nacht und Tag 
Das Zwielicht feste, auch für Menfchen gilt, 
Daß Menfchen find, die weder Licht noch Dunkel, 
Die immer Schatten nur. 


Wilfried 
D diefe Menfchen, 
Sie müffen, den? ich, ſehr unglücklich fein? 


Zweiter Aft 


51 





Vierter Auftritt 


Robert, Euſtach, Odo, Radulph (kommen eilend von links und jchleppen) 


Stigand (mit fich) 


Robert 
Herein! bringt ihn herein den falſchen Priefter ! 
Wer find die Zeugen wider diefen Mann? 


Euſtach 
Ich bin der Zeuge; Leben, Leib und Blut 
Sprech' ich ihm ab um ſchurkiſchen Verrat! 
Mit meinen eignen Ohren hörte ich, 
Wie er dem Pöbel Londons Aufruhr ſchrie. 
Beitreitet, wenn Ihr könnt! 


Stigand 
Ich ftreite nicht, 
Was mich mit Stolz erfüllt. 


Euſtach 
Erzbiſchof Robert, 
Sprecht ihm das Urteil. 
Eduard (critt auf die Stufen vor der Mitteltür) 
Lbermütiger, 
Sieht du nicht, wo der Richter ſteht? 


Euſt ach 


Eduard 
Du ſollſt mir Rede ſtehn, ob du mich ſiehſt. 


Euftach Gallt die Fauſt) 
Ich ſehe einen, dem es beſſer wäre, 
Ich ſäh' ihn nicht. 
Eduard 


Hebſt du ſo keck die Stimme? 
Ballſt du die Fauſt mir? And wie war's mit Dover? 


Eujtad 
Was fol uns Dover bier? Habt acht und jeht, 


Wie man PVerräter ftrafl. Macht Euch bereit. 
(Er zieht das Schwert und fritf zu Stigand) 


Das Lrteil! 


52 


Harold 





Stigand 
Was fol das Schwert? 


Euſtach 
An deinen Nacken ſoll's. 


Eduard 
Noch nicht genug des Menſchenblutes? 

Eufta 

nen Rein! 

Unnütz ift diefes Haupt auf feinen Schultern, 
Wo es nur Tücke finnt und Rebellion. 
Vom Rumpf gehauen jol’s mir nüslich fein: 
Als Antwort fchleudr” ich es dem Pöbel hin, 
Sp fürchtet der Normanne fich vor Euch. 


Stigand (flieht zu Eduard) 
Rettet mich, Herr, vor diefem wilden Tier ! 


Eduard 
Der König Englands fchüget diefen Mann, 
Wer wagt die Hand an ihn zu legen? 


Eufta 
ſt ach Ich! 

Für Englands echten König töt' ich ihn. 

Eduard 
Wen nennt du Englands echten König? 

Euſt 

— Wilhelm, 

Den Herzog der Normannen, meinen Herrn. 

Eduard 


Ah, du Skorpion, der unter meiner Ferſe 

Sich eingeniſtet, ſeiner Stunde harrend, 

Um mich zu ſtechen! Warum gingſt du nicht 
Mit deinem Herren nach der Normandie, 

Daß du begraben lägſt im Schlund des Meeres? 


Euftach (tritt vor Eduard) 
Sind wir foweit? Nun, dann hinweg die Larve, 
Die ich zu lang ſchon ungeduldig trug: 


EEE 


Zweiter Alt 53 





Ich haſſe dich, du Irrtum der Natur, 

Aus dem ein Mann ward, weil fie ſich verariff! 
Za, als Verwalter Wilhelms blieb ich bier; 
Und feine Erbichaft will ich ihm bewahren, 

Sp wahr Normannen- Mutter mich gebar, 

Und fein plattfüßig Angelfachien- Weib ! 


Fünfter Auftritt 
Ein normännijher Herold (ftürzt von links herein) 
Flieht, Herren, flieht! Sie brechen in das Schloß! 


Robert 
Wer ftürmt das Schloß? 


Herold 
Harold ift in der Stadt. 


Stigand 
Ich dank' dir, Gott. 

Herold 

Sein weißer Schimmelbengit 
Trägt ihn im Sturm heran — und hinter ihm, 
Als wäre jeder Stein in Londons Gaffen 
Ein Kopf geworden, drängt ein Meer von Menfchen. 
Auch die Gefangnen find durch ihn befreit. 


Euftadh 
Die Seuche fchlage ihn! 


Eduard 
Die Dreißig leben ? 
Erretter meiner Seele, babe Dank. 


Robert 
Das Eure Antwort auf die Botſchaft? Das? 


Eduard 
Robert, ich zeigt! Euch den verborg’'nen Gang 
Zum Themſe-Ufer — nehmt die beiten Roffe 
Aus meinem Gtalle, jest Euch auf und fliebt. 


54 


Harold 





Robert (tritt mitten auf die Bühne) 

Die Kirche Gottes geht aus diefem Lande, 
PBerraten von dem Könige des Lands. 
Ich, Robert, Erzbifchof von Canterbury, 
Un meine Seite ruf? ich jeden ber, 
Der Sohn der heiligen Kirche beißt. 

(Wilfried tritt zu ihm) 

Eduard Gu Wilfried) 

Mein Sohn, 

Geh nicht mit ihm, 's ift nicht zu deinem Heil! 


Wilfried 
Sch muß, o Herr, er ift von Gott geweiht, 
Und ihm ward ich beftellt als Diakone. 


Robert 
Verflucht fei jeder, welcher anders denkt. 
Kommt, Graf Euftach. 


(Robert, Wilfried und die Normannen bis auf Euftach ab durch die Mitte) 


Euſt ach 
Ich will nicht, will nicht fliehen 

Vor dieſem plumpen Bauernkönige! 
Ein ſolcher Plan, voll Feuer, Mut und Geiſt, 
Wie in der Eſſe des Vulkan geſchmiedet, 
Und ausgeführt vom kühnen Gott der Tat — 
Zerſtört von ſolchem Wichtel Wer verwehrt mir 
In Stücke dich zu hau'n? 

(Dringt auf Eduard ein) 


Sechſter Auftritt 
Harold (von links, ſpringt auf ihn zu, fällt ihm in den Arm) 
Das wehre ich; 
Harold der Sachſe! 
Euftach (nirfchend) 
Harold, der Verdammte ! 


Harold (vingt ihm das Schwert aus der Hand) 


Heraus das Schwert, heraus aus diefer Hand! 
Und in den Staub hinab das freche Haupt! 


Zweiter Alt 55 





Eduard (bevedt die Augen) 
Kein Blut vor meinem AUngefiht! Kein Blut! 


Euftach (reißt ſich los) 
Por deiner Meute muß ich jegt mich bergen — 
Den grimmiten Fluch, der je aus Höllenglut 
Geboren ward, nehmt beide ihn zum Abſchied! 

(Entflieht durch die Mitte) 

Harold 

Ih ſchwur Euch, König, da ich wiederfäme, 
Hier werf’ ich Elirrend mein gelöftes Wort 
Zu Füßen Eud. 


(Wirft Euftahs Schwert vor Eduard hin) 


Siebenter Auftritt 


DOrdgar, Edric, Baldwulf, andere Bürger (brechen, mit Ärten bewaffnet, 
von linfs ein) 


Die Bürger 
Brecht ein ins Weſpenneſt! 


Drdgar 
Heil Harold, Godwins Sohn! 


Die Bürger 
Heil, Heil dem Retter! 


Drdgar 
Wir find zu jpät gefommen! Gie find fort! 
Doch Tod dem Bundsgenofjen der Normannen ! 
(Schwingf die Art gegen Eduard) 
Die Bürger 
Nieder mit ihm! 
Drdgar 
Test gebt uns Rechenichaft: 
Wer büßt ung die erlittene Todesangit ? 
Den Henkerftrid um unfern Hals? Die Schmad, 
Die jeder Tag wie ein dienftfert’ger Rnecht 
Auf ung gewälzt? 
Die Bürger 
Nieder mit ihm! Und Race! 


56 


Harold 





Stigand 
Hört mich, Ihr wilden Männer ! 


Eduard 
Biſchof, laßt — 
Nicht halb jo ſchwer ift fterben, als zu töten, 
Harold, ich weiß, dein zürnender Entſchluß 
Ruft wie die Todesglode meinem Leben, 
Daß es zum Ubend geht. — Im AUngefichte 
Der dreißig Männer, die du refteteft, 
Hab’ Dank, daß du es tateft. 

(Wende fich nach rechts) 


Harold 
Herr und König, 


Wo geht Ihr hin? 
Eduard 
Wohin du mir befiehlft. 


Harold 
Nun dann, in fehuld’ger Ehrfurcht bitt' ich Euch: 
Bleibt auf dem Throne, welcher Euch gebührt. 

Eduard cfieht ihn ftaunend an) 

Fit dies ein Traum? Harold, wuchs diefes Wort 
In deinem Herzen? 

Harold 

Beim allmächt’gen Gott, 

In meines Herzens allerbeftem Teil. 


Eduard 
D du — was ziwingft du mich, gleich einem Bettler 
Bor dir zu ftehn, der nur empfangen kann? 
Und machit mein altes Aug' in Tränen fließen? 

Die Bürger 

Die Buße! 

Harold 

Still davon; ift diefes Antlitz, 

Dies tränenvolle, Buße nicht genug? 


Drdgar 
Herr — untern Galgen bat er uns geftellt! 








Zweiter Akt 57 





Die Bürger 
Leben um Leben! 
Stigand 
Inter diefem Himmel, 
Der feierlich auf diefe Stunde blidt: 
Er felber riß Euch aus des Henkers Händen, 
Er felbft rief Herzog Harold in die Stadt! 


Drdgar 
Wenn’s Wahrheit ift. 


Stigand 

Seht auf mein graues Haar, 
Ein Pförtner ſteht's am Ausgang meines Lebens 
Und warnet mich vor Meineid. Wahrheit jprech’ ich. 


Harold 
Nun, dann in des Vergeſſens nächt’gen Schlund 
Werf' ich den Hader der vergang’'nen Tage. 


Heil König Eduard! 
Güßt Eduard die Hand) 


Die Bürger Galblaut) 
Heil dem Sachfenkönig! 


Eduard weinend) 
Staunt nicht — lacht nicht, wenn Ihr mich weinen jeht. 
Ach, diefe Tränen Hagen bitterlich 
Ein Leben an, das freudlos, liebelos 
Durch Wüften mich gefchleppt. Unſel'ger Eduard, 
Muß fih dein Leben in den Abend ſenken, 
Daß du den erften Laut der Liebe hören darfit? 


Stigand Glickt nad) links 
Gebt Raum der Gräfin. 


Achter Auftritt 


Gytha (kommt von links) 


Die Bürger (laun 
Heil der Mutter Harolds! 


58 


Harold 





Harold (geht ihr entgegen) 
Zur guten Stunde, teure Mutter, fommit du, 
Hilf ung Verföhnung feiern. 


Gytha 
Herr und König, 
Dem Mutterherzen wollet es verzeihn, 
Wenn ich zuerſt in ſolchem Freudenreichtum 


Des einen Kleinods denke, das mir fehlt. 
(Paufe) 
Ich bitt' Euch, Herr, gebt mir mein Kind zurück. 


Eduard 
Glaubt, edle Frau, es ift gut aufgehoben. 


Gytha 
Gebt mir’s, ich bitte. 
Eduard 
Doch es ift nicht hier. 


Gytha 
Nicht hier? Wo iſt mein Kind? 


Eduard 
Ihr werdet zürnen 
Doch er iſt Kindern freundlich, glaubt es mir, 
Es iſt bei Wilhelm in der Normandie. 


Gytha 
Was ſagt Ihr mir? Bei Wilhelm, dem Normannen? 
Das ſtreitet wider das, was Ihr verſpracht! 


Harold 
Nein, zürne nicht in dieſer Stunde, Mutter, 
Ich gehe ſelbſt zu Wilhelm übers Meer 
Und bringe dir den Knaben. 


Eduard 
Harold, du? 


Harold 
Ja, gnäd'ger Herr. 








a 


Zweiter tt 59 





Eduard 
Mein, Harold, gehe nicht. 
Es heißt zum Löwen in den Käfig gehn. 


Harold 
Gebt mir ein Zeichen mit von Eurer Hand, 
Das mich als Euren Abgeſandten Fünde. 


Eduard 
Iſt es beſchloſſen, daß du gehſt? 


Harold 
Ich gehe. 
Eduard 


So weit denn meine Arme reichen, Harold, 
Will ich ſie ſchützend übers Haupt dir ſtrecken. 
Du gehſt in ein gefährlich Land, mein Sohn, 
Ein lichter Engel wohnt in dieſem Lande, 
Und unter ſeine Flügel ſtell' ich dich. 
(Er nimmt von ſeinem Halje eine goldene Kette, an der ein Bild hängt, und reicht 
ihm die Kette) 
Harold (betrachtet das Bild) 


Welch Himmelsangeficht ift bier gemalt? 


Eduard 
Es ift das Bild AUdelens, feiner Tochter. 


Gytha Mmimme das Bild aus Harolds Händen) 

Der Tochter weilen? 

Eduard 

Wilhelms, des Normannen. 
Gib ihm das Bid; im Herzen diefes Mannes, 
In dem der Ehrgeiz wuchert, ift ein Drt, 
In dem ein unberührter Frühling blüht, 
Da wohnt Udele, fein geliebtes Kind. 
Und er verjprach mir, daß wer jemals käme, 
Bon mir gefandt, gefeit mit diefem Bilde, 
Der follte heilig wie der Freund ihm fein. 


Harold 
So bitt! ih um Entlaffung. 


60 


Harold 





Eduard 
Zieh denn bin — 
Und kehre heim fo fröhlich als du gebft. 
(Eduard mit Stigand nach der Mitte ab) 
Drdgar 
England wird vaterlos, wenn Ihr uns fehlt — 
Kehrt bald zurück zu uns, mein gnäd’ger Herr. 


Harold 
Trübt nicht mit Wehmut diefen Tag der Freude, 
Ihr guten Leute, bald bin ich zurück, 

Gytha 
Laßt mich allein mit meinem Sohne, geht. 


(Die Bürger nach links ab. Sie tritt vor Harold, ihm in die Augen ſtarrend) 


Das Bolt der Sachjen fteht am Strand des Meeres, 
Zählt jede Welle, die von Süden raucht, 

Sucht jedes Wimpel, das vom Mafte weht — 
Wann taucht aus Wellen das erfehnte Schiff? 
Wann fehrt der Held zurücd zu feinem Volke? 


Harold 
Welch düftre Sorge fragt aus deinen Worten ? 
Gib mir das Bild, es fichert dir den Sohn. 


Gytha 


Wer aber ſichert ſeine Seele mir? 
(Dicht an ihn herantretend, ihn umarmend) 


Denk' deiner kinderloſen Mutter, Sohn! 
Denk' deines führerloſen Volkes, Sohn! 
Bring Godwins Sohn mir wieder wie er war! 


Harold 
Geliebtes Herz, was bangſt Du? 


Gytha 
Frage nicht, 
Gefahren nennen, heißt Gefahr beſchwören. 


Harold 
Ia, wenn fie nur in Einbildung beruh’n. 
(Blickt fie Tächelnd an) 
DI Mutterherz, bift du jo arm an Sorgen, 
Daß du fie felber dir gebären mußt? 


—— el a null m u 





Dritter Akt 61 





Eh’ du es denfft, bin ich zu dir zurüd, 


Und diefer Traum der Sorge ift verfräumtf. 
(Er legt den Arm um ihren Hals und geht mit ihr zur Linfen ab. Währenddeſſen 
fällt der Vorhang.) 


Ende des zweiten Aktes. 


Dritter Akt 


Erfte Szene 
(Eine dichte, wilde Waldlandichaft) 


Erfter Auftritt 


Odo, Radulpb, dann Euſtach von Boulogne (von linfs, Alle drei bewaffnet) 


Euftadh 
Der Ort ift gut gewählt; dort ift die Straße, 
Die nah Rouen ihn führt Geist nach lints) 
Die Späher melden, 
Daß er nicht fern mehr ift — bier laßt uns warten, 
Und er entgeht uns nicht. 


Ddo 
Rommt er allein? 


Euſt ach 
Ganz unbegleitet; ſein Gefolge wurde 
Vom Grafen von Ponthieu, in des Gebiet 
Er landete, am Meer zurückgehalten, 
Er machte ſich alleine auf den Weg. 


Radulph 
Und fol Rouen jo wenig jemals jehen, 
Wie fein Gefolge. 

Euſt ach 


Gut — wir ſind entſchloſſen, 
Daß er nicht leben darf? 


Radulph 


Hier ſoll er liegen 
Und modern im Gebüſch. Den Tod auf ihn, 
Der ung zu Spott und Hohn aus England jagte. 


62 Harold 





Odo 
Habt Ihr des Herzogs Meinung eingeholt 


Zu unſrem Plan? 
Euſt ach 


Ein Narr, wenn ich es tat. 
Bei ſolchen Dienſten fragt man nicht vorher. 


Odo 

Der Herzog wird es bill'gen? 

Euftach 

Gottes Tod, 
Er muß es bill’gen. Harold Eduards Freund, 
Und England ift dahin für unfern Herzog. 
Begreift Ihr das? x 
do 


Hinunter mit dem Sachen! 
Und keinen Auffchub ! 


Radulph daufcht nach rechts) 
Still — was rafchelt da 


Und Eniftert im Gebüfch ? 
(Eile nach der Kuliſſe rechts) 
Berdammter Zufall 


Prinzeß Adele fommt mit ihren Damen, 


Euftach Glickt nach rechts) 
Dodo, Ihr feid befannt mit Leonore, 
Nehmt fie beifeit und heißt fie, die Prinzeffin 
Auf gute Urt aus diefem Walde fchaffen. 


Wir unterdes verbergen ung im Dickicht. 
(Euſtach und Radulph nach links, Odo Durch Den Hintergrund rechts ab) 


weiter Auftritt 


Adele, Wulfnoth (an ihrer Hand). Alice (von rechts; fie tragen furze Jagd⸗ 
ipieße, jegen fich auf Steine, die im Vordergrunde liegen) 


Adele 
Glaubt du e8 auch, was Leonore fagte, 
Die Liebe fei den Männern nur ein Spiel? 
Alice 
Ach, Leonore weiß nichts von der Liebe, 
Ich glaub’ es nicht. 





Dritter Alt 


63 





Adele 
Ich kann es auch nicht denken, 
Und ficher, du haft recht. 
(Zu Wulfnotb) 
Bift müde, Schag? 


Wulfnoth 
Nein, nicht. 
Adele 
So ſei ein art’ger Heiner Ritter 
Und pflük uns von dem wilden Roſenſtock 
Dort ein paar Rofen. 


(Wulfnoth gebt auf die linfe Seite der Bühne und reift von einem dort befindlichen 


Roſenſtrauch Blumen ab) 
Wie mir diefes Kind 
So tief ins Herz hinein gewachſen ift. 


Alice 
Er hat ein liebes, zärtlihes Gemüt. 


Adele 
Sieh nur fein Haar — liebit du die blonden Haare 
Auch jo wie ich? 
Alice 
Mein, braune find mir lieber, 
Sp wie die Euren. 
Adele 


Lieber Schmeichelmund. 
(Wulfnotd fommt mit drei Nojen zurücd) 
Nun Sprich, für wen ift diefe? 


Wulfnoth 
Für die Mutter. 
Adele 
Gut — umd die zweite? — Nun? Du überlegit? 


Wulfnoth 
Für did und Bruder Harold. 


Adele (zu Alice) 
Sein zweites Wort ift ſtets der Bruder Harold, 


64 


Harold 





Für zweie eine Rofe? Komm, gib ber, 
Liebjt du ganz gleich uns beide? 


Wulfnoth (umarmt fie) 
Fa, ganz gleich. 


Dritter Auftritt 
Leonore (von rechts zu Den vorigen) 


Genug geraftet, kommt, Prinzeß Udele, 
Kommt, bitt’ ich, wir verfäumen unsre Jagd. 


Adele 
Und immer Jagd — ich mag heut nicht mehr jagen. 


Leonore 
So laßt nach Haus uns reiten. 


Adele 
Nein, noch nicht; 
Es rauſcht der Wind, die Vögel fingen. füß, 
Und herrlich ruht fich’S auf dem mooſ'gen Steine, 


Leonore 
Seid Ihr ermüdet, oder hat Alice 
Euch angefteckt mit füßer Schwärmerei ? 


Adele (u Alice) 
Ach, wie du leiden mußt durch Leonore. 


Alice 
Fa, wenn fie ihre Zunge fo regierte 
Wie ihre Pferde — 
Leonore 
Nein, im Ernſte, kommt. 
Es iſt in dieſem Walde nicht geheuer. 
Ihr wißt, man ſagt, es hauſen Zaubergeiſter 
In dieſem Dickicht. 
Adele 
Sagt man das, Alice? 


Dritter Akt 


65 





Alice 
Ja, doch es follen gute Geifter fein. 


Leonore 
Nein, glaubt ihr nicht; die Geifter find nicht gut. 
D bitte — fommt! 
Adele 
Du fprichit, als hätteft wirklich 
Du einen Geift gejehn? 


Leonore 
nd — wenn’s fo wäre? 


Adele 
Wie, Leonore, redeſt du im Ernſt? 
Was ſahſt du? 
Leonore 
Laßt es draußen mich erzählen, 
Nur fommt hinweg aus diefem Walde, fommt. 


Adele 
Zit hier nicht auch der Boden meines Vaters? 
Was fahit du? 
Leonpre (füfternd) 
Männer find in diefem Walde, 
Sie lauern bier auf jemand — find beivaffnet 
Bis an die Zähne — Eifen ganz und Stahl. 


Adele (ipringe au) 
Du Spricht von Räubern? 


Leonore 
Räuber find es nicht; 
Barone find’ vom Hofe Eures Vaters; 
Ddo ift einer, und der Graf Euftach, 
Und noch ein Dritter, den ich nicht erkannte, 


Adele 
Euftah und Ddo? die aus England famen? 
Sie lauern? und auf wen? 


Dramen VI 5 


66 


Harold 





Leonore 
Sch weiß es nicht, 
Doch wenn ich Menfchenaugen jemals ſah, 
In denen blut’ger Vorſatz ftand gefchrieben, 
Sp waren's diefe. Süße Herrin, kommt, 
Sonft, ahnt mir, werden wir Zufchauer werden 
Bei graufenvollem Schaufpiel. 


Adele 
Rommt hinweg. 


(Im Augenblid, da fie rechts abgehen wollen, läuft Wulfnoth links hinüber und 


zeigt in die Kuliſſe) 


Wulfnoth 
Mein Bruder Harold! 
(Links ab) 


Adele 
Jeſus der Erbarmer ! 
(Sinft auf den Sit zurücd) 
Nun weiß ich, wen der blut’ge Anfchlag gilt! 


Leonore 


KRommt dennoch fort — kommt fort — 
(Hinter der Szene erfchallt ein langer gellender Pfiff) 


Adele (ipringt auf) 
Bernahmt Ihr das? 


Was tun? Was laffen? Hilf mir, Gott im Himmel! 
} (Sie drückt die Hände in ratloſer Verzweiflung vor die Augen) 
Ein fremder Mann — ’8 ift wider Zucht und Gifte — 


Was, Zucht und Sitte! ift er nicht ein Menfch? 
(Sie ftürzt in die linfe Kuliffe, ruft hinein) 
GSteigt ab, mein Herr — fteigt augenblidlih ab — 


Bindet das Roß am Zügel an — und kommt — 
(wendet fich zu Alice und Leonpre) 


Ihr meine Lieben — zeigt, daß Ihr mich liebt — 
Werft Euch aufs Roß, fliegt hin zu meinem Vater — 
Es hält Euch niemand auf, fie wagen’s nicht — 
Sagt, daß fein Kind nach feinem Vater fchreit! 


a Leonore 
Wir eilen. 
Alice 


Mut, geliebte Herrin, Mut! 
(Beide eilend rechts ab) 


Dritter Akt 67 





Adele 
(einen Schritt in die Kuliſſe links) 


Ihr müßt — die Hand mir reichen — fommt, ich bitte — 


Vierter Auftritt 


Harold (von Adele geführt). Wulfnoth (an feiner andern Hand von links) 


Adele 


Ich fürchte jehr, Ihr haltet mich für frei — 
Das ift — Gebrauch fo — in der Normandie. 
(Läßt feine Hand los) 


Harold mer fie ftaunend betrachte) 
(Für fih) Leibhaftig jenes Bild, das er mir gab — 
Anmut des Himmels, reizendes Gefchöpf. 
Eaut) Zch irre nicht, Ihr feid des Herzogs Tochter? 
Prinzeß Adele? 


WulfnotH (ftürzt auf fie zw 
Das hier ift Adele! 


Adele 
Ich kann's nicht leugnen, da er mich verriet. 


Harold 
Dann wehrt mir nicht Erfüllung füßer Pflichten 
Und laßt mich danken meinem holden Schußgeift. 


Kennt Ihr den Talisman, der bier mich ſchmückt? 
(Er küßt ihr die Hand und zeigt auf Adelens Bild, Das er um den Hals trägt) 


Adele 
Mein Bid — 
Harold 
Das König Eduard mir vertraute, 
Daß es mir Einlaß ſollt' und Schutz gewähren. 


Adele 
Ihr kommt hierher — hielt Furcht Euch nicht zurück? 


Harold 
O nein, ich fürchte nicht. 


5 


68 Harold 





Adele (fieht ihn groß any 
Ihr — fürchtet nicht. 


Harold 
Pflicht hat mich hergeführt. 


(Ein abermaliger gellender Pfiff Hinter der Szene) 
Horb — was war das? 


Schön einmal hört! ich dag — 


Adele (auffchreiend) 
Gebt Eure Hand mir! 


Harold (wendet fich um) 


Was kommen dort für Männer? 


(Im Hintergrunde erfcheinen Euftach, Odo und Radulph in wild bewegter Gruppe 
mit vermummten Gefichtern. Harold geht auf Den Hintergrund zu) 


Adele 
(Hält ihn zurücd, indem fie ihn unmwillfürlich umklammert) 
Bleibt, geht nicht! 
Bleibt ftehn! Ich flebel 


(Harold bleibt ftaunend ftehen, Adele wendet fich mit dem Gefichte nach dem 
SHintergrunde, ruft) 


Geht nach Haus, Ihr Herren, 
Die Jagd ift aus — Ihr feid nicht mehr vonnöten — 
(Euſtach, Radulph und Odo verfchwinden nach links) 
Harold 
Zagd? Geht man hier mit Schwertern auf die Jagd? 
Sturmhauben auf dem Kopf? 


Adele 
O — find fie — fort? 
Wie — fagtet Ihr? 
Harold 
Prinzeß Adele — 
Was fol ich denken? Beim allmächt’gen Gott — 


Adele 


Zagd — 8 war nichts — als Jagd — (allend) 
o — wie Ihr feht — 
Man bat zu Land hier feltfame Gebräuche, 


Dritter Akt 69 


Fünfter Auftritt 


Herzog Wilhelm, der Senefhall, Alice, Leonore (fommen von rechts 
zu den vorigen) 


Adele 
Da kommt — mein Vater — ah — nun ift es gut. 
‚(Brit ohnmächtig zufammen, Harold hält fie in den Armen) 
Alice (ftürzt auf fie zu) 
D meine füße Herrin, was geſchah? 
(Alice, Leonore nehmen Adele aus Harold8 Armen und führen fie, die allmählich zu 
fih fommt, zu dem Sisplas) 
Wilhelm 

Bleih wie der Tod mein Kind! And diefer Fremde — 
(Zu Sarod) Ihr ſeid? 





Harold dich ehrerbietig verneigend) 
Harold aus England, gnäd’ger Herr. 


Wilhelm 
Harold, Sohn Godwins? 


Harold 
Der mit dieſem Zeichen 


* Euch geſandt von König Eduard kommt. 
Rimmt die Kette vom 5 überreicht ſie Wilhelm) 


Wilhelm 
(blickt ſchweigend auf Adele, dann auf Harold) 


Bertrauen beißt, den Nebenmenfchen fchägen 

Nah eignem Inhalt — Ihr vertraufet mir — 

Don nun an fenn’ ih Euch. — Wir waren Feinde, 
Harold, wollt Ihr’s mit mir als Freund verfuchen? 


Harold 
Das will ich, Herr, mit meinem ganzen Herzen. 
Eãßt ſich auf ein Knie vor Wilhelm nieder) 
Wilhelm 
(Hänge ihm die Kette wieder um) 
Sp fängt zum zweitenmal Euch dieje Kette; 
Steht auf und ſeid gegrüßt an meinem Hof. 


(Berwandlung) 


70 Harold 





Zweite Szene. 


(Park zu Rouen. Dorn rechts eine Raſenbank. Diener und Pagen 

fommen in großer Zahl von rechts, Waffen, Kiffen und Sierate 

allerart, welche auf ein bevorftehendes Feft deuten, in den Händen; 
fie gehen in den Hintergrund und dann links ab) 


Erfter Auftritt 


Erfter, zweiter Diener (von rechts) 


Erfter Diener 
Was für ein Pferd fol Herzog Harold reiten 
Beim heutigen Turnier? 


Zweiter Diener 
Den Eifenfchimmel 


Des Herzogs. 
Erſter Diener 


Was? Gein eignes Lieblingspferd? 


Zweiter Diener 
Er will’s jo haben. 


Erfter Diener 
Du, wir müffen wetten! 
Sch wette auf Montgomery. 


Zweiter Diener 


Sch auch. 


Erfter Diener 
Wir können nicht auf einen beide wetten, 
Ich hab's zuerft gefagt. 


Zweiter Diener 
Iſt mir gleichgültig, 
Sch wette immer auf Montgomery. 


Erfter Diener 
Dann wett’ ich auf den Sachſen. 


Zweiter Diener 
Meinetivegen. 


Dritter Akt 71 





Erfter Diener 


Er wird Montgomery zur Erde fegen i 
Wie einen Sandfloh! 


Zweiter Diener 
Sag’ das noch einmal, 


So Schlag’ ich dir die Zähne in den Hals. 
(Beide ab) 


Zweiter Auftritt 


Harold, der Senejhall (von rechts) 


Seneſchall 
Seht, wie das alles ſeine Glieder rührt. 
Ja, ein Turnier bleibt ſtets der Feſte größtes 
Für unſre ſchöne, luſt'ge Normandie. 
Doch Euch gefällt ſie nicht. 
Harold 
Ihr tut mir unrecht, 
Wem ginge nicht das Herz im Buſen auf 
Bei ſolcher kriegeriſchen Freudigkeit? 


Seneſchall 
Doch iſt's und bleibt's beſchloſſen, daß Ihr geht? 
Vor dem Turnier? 
Harold 


Jawohl, ich muß hinweg — 
Beſtelltet Ihr dem Herzog meine Bitte? 
Gibt er den Knaben mir? 


Seneſchall 
Habt Ihr gezweifelt? 


Harold 
Er tat es ohne Weigrung? Ohne Zögern? 


Seneſchall 
Es ſcheint Euch zu verwundern? Allerdings. 


Harold (für ſich) 


So bin ich frei. — 
(Ein Page geht vorüber, auf einem Kiffen einen geſtickten Schleier fragend) 


72 


Harold 





Senejhall (Hält ven Pagen an) 
Seht diefen zarten Schleier, 
Das ift der zweite Preis, die Richterin 
Steckt ihn dem zweiten Gieger an den Helm. 


Harold 
Der zweite Preis — worin bejteht der erſte? 


Seneſchall 
Im goldnen Kranze, den die Richterin 
Dem Helden ſelber auf die Locken drückt; 
Und während ſie es tut, neigt ſie ſich nieder 
Und küßt ihn. 


Harold 
Küßt den Sieger, ſagt Ihr? 


Senef Hall 
Die alte Sitte billigt folche Freiheit. 


Harold 
Wer ift die Richterin? 


Seneſchall 
Des Herzogs Tochter. — 


Harold 


a, 


Prinzeß Adelel? 
Seneſchall 
Ja, ſeht hier, der Herzog — 


Dritter Auftritt 
Wilhelm (von recht zu den vorigen) 


Wilhelm 
Der Senefchall bringt mir betrübte Runde, 
Ihr wollt hinweg? 

Harold 


Pflicht ruft mich, gnäd’ger Herr. 


ne ————— —— 


Dritter Alt 


73 





Wilhelm 
Es hat Euch wenig, ſcheint's, bei ung gefallen, 
Da Ihr jo eilt? 
Harold 
Nein, wahrlich, glaubt es nicht, 
Vielleicht nur, weil es mir zu wohl gefiel, 
Muß ich hinweg. 
Wilhelm 
D Ihr ſchwerblüt'ger Sachſe — 
So reich beſchenkt mit allem, was Natur 
Dem Menſchen gibt, um Freude zu genießen, 
Und ſo erſchreckt Ihr vor der Freude? — Harold, 
Ich ſpreche ernſt: es ſchmerzt mich, daß Ihr geht. 


Harold 
O Herr — nicht weiter. 


Wilhelm bedeutungsvolh 
Laßt mich ſprechen, Harold, 
Wenn mit der Sachſen ſtrenger, treuer Art 
Der Feuergeiſt ſich des Normannen einte, 
Es müßt' ein Volk ſein, wie es dieſe Erde 
Nicht zweimal trägt. 
Harold 

Doch ſolche Einigung 

Bedeutet: einer herrſcht, der andre dient. 


Wilhelm 
Doch wenn ſie beide einem Herrſcher dienten, 
Der beide kennt und beide richtig ſchätzt? 
(Paufe) 
Harold 


Ihr gebt mir meinen Bruder, gnäd’ger Herr, 
Daß ich das Kind zurück zur Mutter bringe? 


Wilhelm 
Der Rnabe fteht zu Euren Dienften, Harold; 
Dort fommt Adele, die ihn ſelber bringt. 


74 


Harold 





Vierter Auftritt 
Adele (feftlich gekleidet), Wulfnoth (von rechts) 


Wilhelm (u Adele) 
Befchleunige den AUbfchied, meine Tochter, 
Denn unfern allzu ungeduld’gen Gaft 


Berlangt’s nach England heim. 
(zu Harold) 


Gefchäfte rufen 
Aus Eurer Nähe mich für kurze Zeit; 
Entſchuldigt mich. 
(Wil abgehen, fein Blick fällt auf Wulfnoth, der ſich an Adele fchmiegt) 
Seht, wie das junge England 
Sich mit der jungen Normandie umarmt. 
Aus Rindern fpricht Natur — Harold, Natur 
Weiß nichts von Feindfchaft zwifchen Euch und uns, 
(Wilhelm und Seneſchall rechts ab) 
Adele 
Sp willft du fort von mir, du fehlimmer Wulfnoth ? 
Adele wird nun bald vergeffen fein, 
Nicht wahr? 
Wulfnoth ſchmiegt ſich zärtlich an fie) 
Nein, niemals — 
eg Wirſt mich nicht vergeffen ? 
Wirft manchmal an mich denken? 
— Bitte, komm, 
Komm mit zu meiner Mutter! 


Adele 
Was du ſchwätzeſt. 


Harold 
Für alles, was Ihr an dem Kinde tatet, 
Nehmt Eures Dieners ehrerbiet'gen Dank. 


Adele 


Ach, Ihr beſchämt mich, für ſo leichten Dienſt 
Soll mir ſolch ernſter Mann ſo ernſt nicht danken. 


Dritter Akt 75 





Harold 
Wenn Ihr denn meinem Danfe Euch verjchließt, 
So dentt, die Mutter dieſes Knaben redet 
Durch mich zu Euch und dankt Euch Eure Güte. 


Adele 
Ja — feine Mutter; und die Eurige — 
D, es muß fchwer für fie geweſen fein, 
Euch beide unter Feinden bier zu willen? 


Harold 
Sa, denn fie fannte nicht den holden Schußgeift, 
Der ihre Söhne bier behütete. 
Ihr nennt es leicht, was Ihr dem Kind getan; 3 
Fühlt, wie von diefem blauen Himmelszelte 
Das Leben ftrömt und ung mit Wonne füllt, 
Nennt Ihr es leicht, was Ihr dem Manne tatet, 
Der heut nicht leben würde ohne Euch? 


Adele 
Denkt nicht an jene Stunde mehr, ich bitte. 


Harold 
Nie mehr mit Worten, doch in meinem Herzen 
Bermählt Erinnrung fie mit Eurem Bilde 
Für ewig, ewig — bolde Herrin, jagt, 
Es reut Euch nicht, daß Ihr mir Schuß gemwährtet? 


Adele 

D wahrlid — nein. — Und heute wollt Ihr fort? 
Harold 

Ih muß, ih muß. 
Adele 


Ja freilich — wenn Ihr müßt — 
Bertraut mir einmal noch den Knaben an, 
Sp rüft ich ihn zur Reife. 


Harold 


Wohl, Prinzefjin, 
Und fo heißt's AUbjchied nehmen. — Wunderbar — 


76 


Harold 





Adele 
Was nennt Ihr wunderbar? 


Harold 
Sch kann nicht denken, 
Daß eine Zeit in meinem Leben war, 
Da ich Euch nicht gekannt. — Prinzeß Adele, 
Dies Schmerzenswort „ade“ wird ſüß mir Elingen, 
Weil halb es Euren Namen wiederholt. 


D fo — ade — ade. 
(Ab nach links) 


Adele 
(fteht in tiefen Gedanken, dann wendet fie fich zu Wulfnoth) 


D Wunder — wie er feinem Bruder gleicht. 


(Sie Iniet vor dem Knaben nieder, nimmt feinen Kopf zwifchen die Hände und 


betrachtet fein Geficht) 


Wulfnoth 

Was tuft du denn? 
Adele 

Sei ruhig, lieber Schelm. 
Die Stirn — wie er. — Der Mund beinah’, nicht ganz, 
Noch nicht fo feſt — doch ganz und gar die Augen! 
D, Gott hat diefe Menfchen lieb gehabt, 
Als er fie ſchuf; er fügte in ihr Haupt 


Ein Stückchen feines blauen Himmels ein. 
(Sie füßt den Rnaben auf Die Augen) 


Shr Quellen lautren Lichts, fo trink' ich Euch. 
Liebft du den Bruder Harold? 


Wulfnoth 
a. 


Adele 


a i Güßt ihn) 
Gib ihm den wieder — 


Wulfnoth 
Wem? 


Adele 


D Kind — 


Hinweg — an. 
(Sie erhebt fich und geht mit Wulfnoth rechts 
(Harold, der während Der lebten Worte links wieder — TERRS® iſt) 


Dritter Att BUNT 77 





Harold 
(kommt in den Vordergrund) 


Und ging e8 um mein eiw’ges Geelenheil, 

Nichts mehr von Abſchied jegt und nichts von Scheiden, 
Hier ift die Stätte, wo ich felig bin! 

Gib ihm den wieder — mwonnevoller Ton, 
Dring’ in mein Herz und laß in meinem Herzen 
Die Grabesitimme des Gewiſſens fchweigen. 
Dies ift die Stelle, wo ihr holdes Knie 

Sich eingeprägt in den beglüdten Boden, 

Wo fie des Rnaben unentweihten Mund 

Die DBotfchaft ihrer Lippen anverfraufe — 

O diefe ganze Stätte ift geweiht 

Vom keuſchen Opfer ihrer füßen Liebe. 


Fünfter Auftritt 


Wilhelm, Senefchall (won rechts) 


Harold 
Ich fürchte, Herr, daß Ihr mich launiſch ſcheltet; 
Wenn Ihr geſtattet, bleib' ich zum Turnier. 
Und bleibe, bis Ihr ſelbſt mich gehen heißt. 


Wilhelm 
Harold, bei Gott, den Tag erlebt Ihr nie! 
Zum zweiten Male heiß' ich Euch willkommen 
Aus ganzem Herzen! Führt ihn, Senefchall, 
Mit meinen eignen Waffen laßt ihn kämpfen. 
Und nun zum Giege. 

Harold 

Ja, das hoffe ich. 
D GSiegesgott, komm, fegne meine Waffen! 

(Harold, Senefhall ab nach rechts) 
Wilhelm (allein) 

Schickſal, mach’ diefen Menfchen mir zum Freund! 
Wenn du die Tochter Wilhelms lieben Fannft, 
Warum denn kannſt du Wilhelms größren Plan 
Nicht lieben, Harold, und ihm dienftbar fein? 


78 


Harold 





Sechſter Auftritt 


Robert von Zumicges, Wilfried (von links) 


Wilhelm (gebt Robert entgegen) 
Gut, daß Ihr kommt, — glaubt Ihr, daß Harold weiß, 
Daß König Eduard England mir vermachte? 


Robert 
Nehmt meinen Ropf zum Pfand, er weiß es nicht; 


Denn feid gewiß, daß Eduard nichts gejagt hat. 
(Hörnertufch hinter der Szene) 


Wilhelm 
Hört Ihr? 
Robert 
Fa, doch ich weiß nicht, was ich höre? 


Wilhelm 
Mit allen Kräften ftreitet Harold dort 
Um einen Ruß von meiner Tochter Lippen. 


Robert 
Ah — Steht es jo? 

Wilhelm 

Ihr kennt den Sachſen, Bifchof — 

Sch weiß, Ihr liebt ihn nicht; mir geht eg anders, 
Mich reißt das Herz zu dieſem Manne hin — 
Weiß ich doch faum warum. — Ich will ihm fagen, 
Was Eduard mir verfprach. 


Robert 
Gut — und was weiter? 


Wilhelm 
Den Preis, nach dem fein brünftig Herz verlangt, 
Adele, meine Tochter, geb’ ich ihm 
Und mir zum Dank verfpricht er Englands Krone — 
Biſchof — ob er bereit fich findet? 


Robert 
Mein. 
Wilhelm 
Ah, Fluch und Tod! 


Dritter Akt 79 





Robert 

Wenn ih Euch fchmeicheln wollte, 
So könnt' ich jagen ja, weil ich Euch Freund bin, 
So fag’ ich was ich weiß: er tut es nie. 


Wilhelm 
Berloren und zerjchlagen meine Hoffnung 
Mit einem Wort. 

Robert 

Nichts ift verloren, Herzog, 

Wenn Ihr nur richfiger die Frage ftellt: 
Heifcht, daß er Euch zu alledem verhelfe, 
Was Eduard Euch verfprah — fprecht allgemein, 
Und jagt ihm von der Krone Englands nichts. 


Wilhelm 
Der weiſe Rat; und wenn er mich befragt, 
Was Eduard mir verfprah? 


Robert 
So laßt ihn denken, 
Es handle fih um die Belehnung nur 
Mit Eduards Gütern in der Normandie, 
Bon der ibm Eduard jprach. 


Wilhelm 
Das fol ih fun? 


Robert 
Sa, wenn Ihr Hug feid! Gebt ibm Eure Tochter, 
Laßt feines Herzens keuſche Sprödigfeit 
Zerſchmilzen an Adelens holder Sonne, 
Und wenn er, von Gewöhnung eingewiegt, 
In Sohnesliebe ganz mit Euch verwuchs, 
Dann jagt ihm alles, laßt ihn dann erfahren, 
Was er mit heil'gem Eide Euch verfprach. 


Wilhelm 
Eid? Welcher Eid? 

Robert 

a, ich vergaß zu jagen — 
Dat Ihr ihn ficher habt, verlangt von ihm, 


Harold 





Daß er Euch leifte feierlichen Eid 

Bor den Baronen, Euch zu dem zu helfen, 

Was Eduard Euch verjprach. — Und wär’ es denkbar, 
Daß fpäter fein Verfprechen ihn gereute, 

So hält auf Tod und Leben ihn fein Eid. 


Wilhelm 
Nein — das gefällt mir nicht. 


Robert 
Herzog, bedenkt, 
Dies ift nur Vorfiht. Wenn er es erfährt, 
Dann wird in Liebe feine Neue fchwinden. 


Wilhelm 
Errötend werd’ ich einftmals vor ihm ftehn 
Und drum gefällt's mir nicht. 


Robert 
Dann bleibt nur eins: 
Er kehrt nicht lebend mehr nach England heim. 


Wilhelm 
Mich hält mein Wort; das Bild, das er mir brachte, 
Verbürgt ihm Sicherheit. 


Robert 


Ja freilich, Herzog, 
Dann rat’ ich, laßt die Krone Englands fahren. 


Wilhelm 
Mit Hinterlift ihn fangen — meine Tochter 
Wie einen falfchen Stein im Würfelbrett 
Ausfpielen wider ihn — e8 ift undenkbar, 
Daß er zur Krone mir verhilft? 


Robert 
Undenkbar. 
(Paufe) 


Wilhelm 
Sei's denn, — D England, muß ich dich erfaufen 
Mit falfchem Geld! 


Dritter Att 81 





Robert 
Zum Eidſchwur rufet mich, 
Er ſoll den Eid in meine Hände leiſten, 
Dann ſteht die Kirche hinter feinem Eid. 


Wilhelm 


Ich laſſſ Euch rufen — aber was ijt das? 
Gewahrt Wilfried) 
Hat Euer Diafone uns gehört? 


Robert 
D, das ift nichts, denn feine Geele lebt 
Einzig in meiner. 
Wilhelm 
Wohl denn, auf nachher. 
(Ab nach rechts) 
Robert Gu Wilfried) 
Du haft gehört, was bier gefprochen ward? 


Wilfried 
Ich hab's gehört. 
Robert 


So wife, deine Pflicht 
It, daß es niemand je von dir erfährt. 
Wilfried 
Iſt's Gottes Wille, Herr? 


Robert 
GSeltjamer Frager, 
Hörſt du nicht, daß dein Bifchof dir es jagt? 
Wilfried 
Niemand erfährt's von mir. 


Robert 


Geh mir voran. 
(Wilfried ab nach links; im Augenblid, da Robert geben will, erjcheint eilig von 
rechts Adele) 


Dramen VII 6 


82 


Harold 





Siebenter Auftritt 


Robert, Adele 


Robert 
Wie nun? ift das Turnier zu Ende? 


Adele 
Doch bald — doch gleich! 


Robert 
Und vor dem Ende geht Ihr? 


Adele 
O, helft mir meinen Vater bitten — 


Robert 


Rein ! 


Was? 
Adele (wirft fich auf die Raſenbanh 
D Gott, mein Gott! wie wird dies Ende fein? 


Achter Auftritt 
Wilhelm (von rechts) 
Find’ ich dich hier, du pflichtvergeßnes Rind? 


Robert 
Vergaß fie ihre Pflicht? 

Wilpelm 

Bon dem Turnier, 
Dem fie als Richterin beimohnen mußte, 
Stahl fie ſich fort. 
Adele (ihn Leidenfchaftlich umarmend) 
Nein! nein! nicht Richterin ! 

Wilhelm 

Wer fonjt ale du? Willft du die Sitte brechen ? 


Adele 
Laß mich die Sitte brechen eines Spiels, 
Bevor ib — ah — 


Dritter Akt : 83 





Robert 
Was ift Euch, meine Tochter? 


Adele 
Bevor ich heilig ernite Sitte breche! 
(Berbirgt ihr Gefiht am Fr. des Baters; Wilhelm und Robert wechjeln einen 
be deutungsvollen Büd) 
Robert 
Mir fcheint es befler, daß ich Euch verlafle. 
(Robert ab nach links) 
Wilhelm 
Adele — kenn’ ih dih? 


Adele 
Hör’ mich, mein Vater: 
Laßt mich ihm nicht den Preis des Sieges reichen! 


Wilhelm 
Dem Harold? Wie? 


Adele 
Dem Harold. 


(Schaudernd) 
D mein Gott! 
Wilhelm 
Du mußt. Ich will’. 


Adele 
Ih kann es nicht! 


Wilhelm 
Warum? 
Adele 


Warum? Ad, lebte meine Mutter noch, 
(fieht ihn tief an, ſchüttelt langſam das Haupt) 
Und du — fo klug, jo groß, du fragit mich jo? 


Wilhelm 
ft er dir fo verhaßt? 


QAdele 


Ein ſolcher Mann! 
6* 


84 


Harold 





Wilhelm 
Dann aljo liebſt du ihn? 


Adele 
Frage mich nicht! 
Wilhelm 


Adele 
Ach, wär’ er nie gelommen ! 


Wilhelm 
Du töricht Kind — und wenn ich dir num fagte, 
E3 freut mich fehr, daß Ihr Euch beide liebt? 


Adele 
Sp dächteft du? und feine Täufchung wär's? 
Du, der Normannen Herzog? Und der Mann, 
Der Sohn von deinem Feind? fo dacht’ ich doch? 


Wilhelm 
Doch deine Liebe macht ihn mir zum Freund. 


Adele 
O, welch ein fel’ger Traum! Ach du, mein Vater, 
Nicht wahr, du fpielft mit deinem Kinde nicht? 
Du fprichit im Ernſt? 
Wilhelm 
Im Ernfte red’ ich, Kind, 


Adele 
Erlaubt denn wäre plöglich all die Wonne? 


Wilhelm 


Adele 
Daß mir ſein leuchtend Antlitz 
Im Herzen wie lebend'ges Feuer wohnt? 
(Fanfaren von rechts) 
Wilhelm 
Horch — die Drommeten fünden, daß er naht. 
Der Page bringt den Kranz — den?’ deiner Pflicht. 


Er liebt dich auch? 


Sie ift erlaubt. 


Dritter Att 





(Bon rechts freten auf) Pagen (von denen einer auf einem 
goldenen Kranz trägt); dann der Sene 


Kiffen und ſteht in 


Neunter Auftritt 


Senejchall 
Mein gnäd’ger Herr, wir bringen Euch den Gieger. 
Ein Held, wenn Helden ich zu fchägen weiß. 
Wilhelm 
(geht auf Harold zu, faßt ihn an der Hand und zeigt auf Adele) 
Mein edler Gaft, dort jteht die Richterin. 
Geht, bittet fie um den verdienten Lohn. 


Harold (kitt vor Adele) 
Nicht mein Verdienſt, nur Gnade kann gewähren 
Sp hohen Lohn; aus Gnade, holde Maid, 
Hebt Eure Augen auf mich — reicht den Preis. 


Adele 
Soll meine Hand die Stirn des Helden ſchmücken, 
Sp muß ich bitten: neigt das hohe Haupt. 


Harold (äßt fih vor ihr auf ein Knie nieder) 
Beugt’ ich mich jo genug? 


Adele 
Ach, Ihr beſchämt mich. 


(Sie jegt ihm den Kranz auf) 
Und wie fih nun dem Golde Eurer Locken 
Dies Gold vermählt — jo möge Ruhm und Ehre 


Auf ewig Herzog Harold fich vermählen. 


Harold 
Ach — Ihr vermählet mich mit hohen Dingen! 
Doch Süß’res weiß ich; wer mich dem vermählte ! 
Adele 
Wollt Ihr Euch nicht erheben ? 
Harold 


Laßt mich Inien, 
Bis daß Ihr ganz mir Euren Preis gewährt. — 


Adele fieht 15 ed ihrem Vater um. — Wilhelm zieht fich mit den Baronen langjaın 
Hintergrund ab) 


zurüd und ee gehen nach rechts 
DD — — nicht. 


Purpurkiſſen einen 
ch all und —— dann Harold, dann 
wieder ——— rap ig e geht auf Adele zu; fie nimmt den Kranz von dem 
des Vordergrundes, den Bike zur Erde geneigt) 


86 Harold 





Adele 
Ach, wißt Ihr? 


Harold 2 i 
ga, ich weiß. 
Adele 
(fieht ihm ins Geficht, dann ftüst fie fich mit den Händen auf feine Schulter und 
ſenkt ihr Haupt zu ihm) 


Ach, Herzog Harold — 
(Sie küßt ihn) 


Harold 


Geligfeit des Himmels. 
PT (Er umfängt fie janft mit den Armen und tüpt fie) 
„Gib ihm den wieder”, feht, ich gebe wieder. 


Adele (want 
Sch bin verloren! 


Harold (ipringt auf, umfängt fie) 
Doch Ihr feid gefunden 


Bon dem, der weiß, daß er ein Kleinod fand! 
(Er führt fie an die Raſenbank, auf der fich beide niederlafjen) 


Harold 
Teure — laßt mich länger nicht verweilen 


Im Vorhof unermeßner Oeligfeit: 
Bon ganzem Herzen lieb’ ich Euch, Adele. 


Adele 
Ach, ift das wahr? 
Harold 
Ihr zweifelt? 


Adele f 
Nimmermehr. 
Wißt Ihr, ich nannt' Euch einen ernften Mann, 
Als ich zuerft Euch ſah? 


Harold 
Gewiß, ich weiß. 


Adele 
Ein ernfter Mann — nicht wahr, dies Wort Hingt einfach? 
Doch kenntet Ihr den Inhalt, den mein Herz 


Dritter Akt 87 





In diefes Wort legt, o gewiß, Ihr fagtet, 

Daß Frauenmund fein größer Lob befist. 
Harold 

Und folches Lob galt mir? 


Adele 
Es ift ein Mann, 
Der tändelnd nicht und nicht in lofem Spiel 
Die holden Worte fpricht, die Ihr mir fagtet. 
Harold 
D nein, im Spiel? Ich fprach in heil’gem Ernit. 


Adele 
Dann darf auch ich Euch länger nichts verhehlen: 
Als Euer Aug’ ich ſah zum erjtenmal, 
Dacht' ich: dies ift ein unverfälichter Quell, 
Durch den man fieht auf fiefen, reinen Grund. 


Harold 
O reiner Engel, habt Ihr das gedacht? 


Adele 
Geliebter Harold — innig lieb' ich Euch! 
Sie umarmen ſich) 
Harold 
Stark für die Ewigkeit ſei dieſer Bund! 
Noch heut erfleh' ich mir von Eurem Vater — 


Adele 
O Lieber, höret gute Neuigkeit: 
Der Vater weiß von allem. 


Harold 
Wie? er weiß? 


Adele 
Er weiß und freut ſich unſrer Liebe. 


Harold 
Be Wirklich? 
Er will mir wohl? 


88 


Harold 





Adele 
Er will, daß Ihr fein Freund feid. 


Harold cerhebt fich) 
D, dann erkenne ich — 


Adele 
Was, teurer Harold ? 


Harold 
Daß Ihr fürwahr ein Geift des Lichtes feid, 
Por dem Mißtrau'n entflieht. — 
(Blickt nach rechts) 
Dort kommt der Vater, 


Adele (fpringe auf) 
D, dann hinweg! 


Harold (Hält fie und umarmt fie) 
Nein, wartet noch, Adele — 
Laßt mich noch einmal Euer Antlig fehn. 
D Hoffnungs- Morgenlicht in diefen Augen ! 
Sp red’ ich jegt zu ihm? 


Adele 
D ſprecht, o fprecht! 


(Ab nach links) 


Zehnter Auftritt 


Wilhelm (kommt von rechts) 


Harold 
Herzog, Ihr wißt: ale Ihr nach England amt, 
Ertönte mir fo unheilvoll fein Name, 
Wie Eurer, Herr; wohlan, dies wurde anders, 
Seit ich den Inhalt diefes Namens Eenne, 
Laßt mich zu Euch, mein teurer Herzog, reden, 
Sp mie ein Mann zu einem Manne fpricht! 
Ich liebe Euer Rind. 


Wilhelm 
Adele ? 


Dritter Akt 


89 





Harold 
Sa! 
nd werb’ um ihre Hand! 


Wilhelm 
D bittere Nöt’gung. 
Da Ihr mich jest zur erften Weig’rung zwingt. 


Harold 
Wie, Herr? Ihr weigert? 


Wilhelm 

Nein, bei Gott, ich nicht. 
Wär’ ich ein Edelmann von Heinem Land 
Und Ihr desgleichen, und Ihr freitet dann, 
Bei Gott, ich riffe diefe bolde Blume 
Adele blutend aus dem Herzen mir 
Und pflanzte fie in Euren Lebensgarten. — 
Denn Ihr gefallt mir, Harold! — Doch wir Großen, 
Wir find die Knechte der Verhältniffe ! 
Das andre wißt Ihr felbit, drum laßt mich ſchweigen. 


Harold 
So ift es nur die Rüdficht auf das Volk, 
Was Euch zur Weig’rung nötigt? 


Wilhelm 
Weiter nichts, 
Doch das genügt; es fieht in Euch den Feind, 
Und würde folhen Bund mir nie vergeben. 


Harold 
Sp will ih Euch im AUngeficht des Volkes 
Beweifen, daß ich nicht mehr Feind Euch bin: 
Stellt eine Ford’rung für Adelens Hand. 


Wilhelm mac einer augenblicklichen Paufe) 
Ihr wißt den Grund, der mich nach England führte, 
Und was in England Eduard mir verjprach? 


Harold 
Er fagte, daß er Euch fein Wort verpfändet 


90 Harold 





Für eine Erbfchaft in der Normandie — 
Sprecht Ihr von dem, was mir der König fagte? 


Wilhelm 
Bon Eduards Erbſchaft — ja — fommt denn, gelobt mir, 
Daß Ihr mir helfen wollt, das zu erlangen, 


Was Eduard, Englands König, mir verſprach. — 
(Hält ihm die Hand hin) 


Dünkt's Euch zu viel? Ihr zaudert? 


Harold 
Sei's darum — 
Die Gegengabe, die ich Euch verſchulde 
Für Euer königliches Gaſtgeſchenk, 
Will ich nicht wie ein Wucherer beſchneiden — 
(Schlägt ein) 
Was Eduard, Englands König, Euch verſprach, 
Hilft Harold Euch erlangen. 


Wilhelm 
An das Herz mir 
Und wachſe dran mit tauſend Wurzeln feſt! 


(Sie umarmen ſich) 
ee Doch nun vergib, 
Wenn ich dich quälen muß mit läft’ger Form. 
(Zeigt nach rechts) 
Dort kommen die Barone meines Hofes, 
Willſt du vor ihnen einen Schtwur mir leiften, 
Das wiederholend, was du mir verjprachit? 
Du weißt, die Form verlangt’s. 


9 Id 
. Ich weiß und will; 
Was ich verfprach, das will ich auch beſchwören. 


Elfter Auftritt 
Senefhall, Montgomery, andere normännifhe Barone (von rechts zu 
den vorigen). Pagen (weiche Becher und Kannen fragen, von links) 
Wilhelm 
Becher und Wein! Zum Willlomm laßt uns trinken; 


Sch bitte, Harold, koſte dieſen Wein. 
(Die Pagen gehen umher, füllen die Becher und bieten den Anweſenden an) 


Dritter Akt 91 





Harold (inte 
Sagt, welch ein Wein ift das? In welcher Rammer 
Der heißen Werfitatt glühte Mutter Erde 
Den Wonnetranf? 
Wilhelm 
Mich freut’s, daß er dir mundet, 
Blut der Normannen nennen wir den Wein. 


Harold 
So fließt Normannenblut in meinen Adern. 


Seneſchall 
Mein gnäd'ger Herr, es iſt am rechten Ort. — 
Von unſrem ſangeskund'gen Taillefer 


Lernt' ich ein neues Lied — 
Gu Wilhelm) 
Wenn Ihr erlaubt — 


Wilhelm 
Kommt, Seneſchall, und würzet uns den Wein. 


Seneſchall (ritt in den Vordergrund, ſpricht) 
Seht an die Erde in ihrer Pracht, 
Wie ſie bergig ſich türmt, wie in Fluren ſie lacht; 
Verſteht Ihr, was lockend Ihr Auge Euch ſpricht? 
Die Blüte iſt dem, der die Blüte bricht. 
Wem wagender Mut die Adern ſchwellt, 
Dem gehorchet die Erde, gehöret die Welt! 
Drum will ich preiſen, ob Sachſ', ob Normann', 
Den Freien und Kühnen, den Rittersmann! 


Harold (inte) 
Das iſt ein Lied, jo wie ich Lieder liebe, 
Es macht das ftumme Herz in uns beredt! 


Seneſchall 
Die Blumen ſeht, die auf Erden ſtehn, 
Die Frauen und Mädchen holdſelig und ſchön! 
Verſteht Ihr, was ſchüchtern ihr Auge Euch ſpricht? 
Die Blüte iſt dem, der die Blüte bricht. 
Wer zu fangen uns weiß und zu halten mit Kraft, 


92 a Harold 





Dem gibt unfer Herz fich in liebende Haft. — 
Drum will ich preifen, ob Sachſ', ob Normann’, 
Den Freien und KRühnen, den Rittersmann ! 


Montgomery 
Was Sachie, was Normann’ ! 
Den Becher bier auf jeden Rittersmann ! 
(Alle ftogen lärmend an) 
Wilhelm (erhebt den Becher) 
Dies bring’ ich Harold, meinem Schwiegerfohn ! 


Seneſchall 
Wem? rs 


Was? Montgomery 
Wilhelm 
Ihr Herrn, heut endet alte Feindſchaft: 
Ich gebe ihm Adele, meine Tochter, 


Dafür macht er zu Eduards Erben mich. 


Seneſchall 
Das tut er? 
Montgomery 


Wirklich? 


Wilhelm 
Daß Ihr's alle glaubt, 
Wird er es feierlich vor Euch beſchwören. 
Harold, iſt's ſo? 
Harold 
Ihr wißt, daß ich es will. 


Seneſchall (blickt nach links) 
Das trifft fich gut; dort eben kommt der Bifchof. 


Zwölfter Auftritt 
Robert, Wilfried (kommen von links. Wilfried trägt ein Rruzifir in den Händen) 


Harold (gewahrt Robert, zuckt fchrecklich zufammen) 


Robert 
Ihr wißt, welch einen Eid Ihr ſchwören follt? 


Dritter Akt 93 





Harold 
Bin ih ein Kind? Zur Sache nur, zur Sad. 


Robert 


So legt die Hände auf dies KRruzifir. 
(Wilfried Iniet nieder, das Kruzifir emporbaltend) 
Die Erbichaft, welche Eduard ihm veriprach, 


Helft Ihr erlangen Wilhelm dem Normannen. 


Harold (für jich) 
Erbichaft? 
Die Erbichaft in der Normandie — 


Sa, ja — Fr — — al fagte König Eduard — 
fir mif beiden Händen) 
Die Erbfchaft, rt ee ihm verfprach, 


Helf ich erlangen Wilhelm dem Normannen. 


Das fchwöre ich. 
(Läßt die Hände finfen) 
Und alſo iſt's vollbracht. 


Wilhelm 
Und dein mit Leib und Seele ift Adele. 
(Eilend ab nach links 
Wilfried (erhebt fich) 


Robert 
Ihr wiſſet Herr: Ihr ſchwurt aufs heil’ge Kreuz. 


Harold 
Das weiß ich, denn ich ſah's. Eid ift mir Eid. 


Seneſchall 
Und alle Not, die Ihr jetzt ausgeſtanden, 
Wird er als König reichlich Euch vergelten. 


Robert (auffahrend) 
Schweigt, Seneſchall! 
Harold 
Was gibt's hier zu verſchweigen? 
Was König? Wer? 


Harold 





Dreizehnter Auftritt 
Euftach (plöglich von rechts) 
Nun wer? Wilhelm von England, 


"Harold 
Graf von Boulogne? Beim Kreuze des Erlöfers — 
Eduard verjprach ihm — 


Euſtach 
Daß nach ſeinem Tode 
Wilhelm der König ſollte ſein von England. 


Harold 
Tod Gottes — nein! 


Euſtach und die Barone 
Beim Glanze Gottes, ja! 


Harold Gricht zur Erde) 


Zerreiße, Erde! Sonnenglanz, liſch aus! 
Verrat! Verrat! am Allerheiligſten! 


Seneſchall 
Kommt zu Euch ſelber, Herr. 


Harold 
Und ich beſchwor es, 
Aufs heil'ge Kreuz! Fort alle, fort von mir, 


Komm' keiner mir zu nah — laßt mich, laßt mich! 
(Springt auf und geht taumelnd nach rechts ab) 
(Bewegung unter den Normannen) 


Euſtach 
Jetzt iſt nicht Zeit, ihm ratlos nachzuſehn! 
Montgomery, beſetzet jeden Ausgang 
Bon Garten und Palaſt mit ſichren Leuten. 
Tod Euch, wenn er entkommt! 


Ein Normanne 


Das ſoll er nicht, 
(Ab nach rechts) 


Dritter Akt 





Euſtach 
Und nun zum Herzog — ab, hier iſt er ſelbſt. 


Vierzehnter Auftritt 


Wilhelm (von links zu den vorigen) 


Euftach Ghm entgegen) 
Mein gnäd’ger Herr, der jchöne Plan mißlang. 
Als er den Inhalt feines Schwurs erfahren — 


Wilhelm 
Verdammnis treffe Euch, wenn es geſchah! 
Durch wen erfuhr er’s? 


Euſtach 
Gnäd'ger Herr, durch mich. 


Wilhelm 
Berwünfcht fei Eure Übereifrigkeit 


Robert) 
Ihr war’t dabei und fonnter 8 nicht verhindern? 


Robert 
Es kam zu plöglich, Herr, eg war unmöglich. 


Euſtach 
Es ſchmerzt mich, Herr, wenn Euch mein Eifer kränkt, 
Doch überlegt, was nun mit ihm zu tun. 
Ihn reut ſein Eid, laßt Ihr ihn jetzt entkommen, 
Dann ſeinem Eid entrinnt er wie Euch ſelbſt. 


Wilhelm 
Biſchof — es reut ihn? 


Robert 
Ja, es reut ihn, Herr. 
Gleich einem Raſenden erhob er ſich 
Und floh dort in den Park. 


Euſt ach 
Noch iſt er ſicher; 
Palaſt und Garten ließ ich gleich umſtellen, 
Er iſt in Eurer Hand. 

(Pauje) 


96 


Harold 





PBertraue ich das Weitere. 


Wilhelm (furchtbar) 
So lerne, Sachfe, 
Daß diefe Hand, die dir freigebig ivar, 
Wie Gottes Hand Leben und Tod verfchentt ! 
Ihr, Senefchall, geht hin zu meiner Tochter, 
Den Knaben Wulfnoth nehmt aus ihren Händen 
Und bringt ihn mir in ficheren Gewahrfam. 


Seneſchall 
Es ſoll geſchehen, Herr. 
(Ab nach links) 
Wilhelm 
Euch, Graf Euſtach, 


Euſtach 
Vrenrtraut mir! 
Bei Gott, er ſoll gut aufgehoben ſein! 


(Wilhelm, Robert und Wilfried ab nach links; Euſtach mit den Baronen ab nach rechts) 


Fünfzehnter Auftritt 


(Nach einer Paufe kommt) Harold (von rechts und jest fich auf die Rafenband) 


Gewaffnete an jedem Tor des Gartens — 


Gefangen der Verräter vom Verrat — 
(E8 dunkelt) 


Verbirg mich, Nacht, du Hehlerin des Frevels, 
Serfließt, Gedanken, in ein graues Nichts, 
Werdet nicht deutlich, Klarheit wäre Tod. 


Sechzehnter Auftritt 


Adele (kommt von rechts) 


Harold 


Wer naht fih bier? Die Schritte kenne ich ! 
(Blicke fich um) 
Die Tochter des —— 


Adele Gleibt erſchreckt ſtehen) 
Harold, du? 


Dritter Att 





Harold (critt auf fie zu, blickt fie an) 
Du Mädchen, deflen Antlitz Gott der Herr 
Nach feines Lieblingsengels Antlis ſchuf, 
Steh Rede mir auf diefe einz’ge Frage: 
Betrogſt du? oder wurdejt du betrogen? 


Adele 
Was tat ich dir, daß du mich alfo fragſt? 


Harold 
Nein, dieſe Lippen wiſſen nichts von Lüge. 
So ſchonte er des eignen Kindes nicht? 
Ach, armes Herz. 
Adele 
Sprich, Harold, was geſchah? 


Harold 
Nein, nein, zum Reden iſt jetzt nicht mehr Zeit, 
Hör’ an, mein Kind, Gefahr bedräuet mich. 


Adele 
Welche Gefahr? 
Harold 
Gefahr für Leib und Geele, 
Ih muß entfliehn. 
Adele 


Wer ift’s, vor dem du fliehft? 


Harold 
Bei andren forſche; mich befrage nicht! 
Denn diefer Name, wenn du ihn vernimmft, 
Wird wie ein fpäter Reif in Frühlingsnacht 
Den Glauben deiner jungen Bruft vergiften. 


Adele 
D, graufenvolles Rätfel. 


Harold 
Nun vernimm: 
Ih muß hinweg; doch jedes Tor des Gartens 
Iſt mir verriegelt von gezückten Schwertern ; 
Dramen VI 7 


98 


Harold 





Berrammelt alle Pforten des Palafts. 
Weißt einen Ausgang du, fo nenn’ ihn mir. 


Adele 
Komm, geb mit mir, aus meinem Zimmer öffnet 
Ein Gang fich, ein verborgner, in das Feld; 
Ich zeig’ ihn dir — 

Harold 

Und nun noch eins, Adele: 

Wulfnoth, den Rnaben, haft du in Verwahrung: 
Bring’ mir das Rind. 


Adele 
D höre, was gefchah: 
est eben, da ich dich im Garten fuchte, 
Entriffen fie den Knaben mir. 


H Id 
su Verderben! 


So muß ich fliehen ohne ihn. — Adele, 
In deine Hände leg' ich meinen Bruder, 
Sei des verlaßnen Kindes guter Geiſt. 


Adele 

Wann kommſt du wieder, Harold, ihn zu holen? 
Harold 

Adele — wann? 
Adele 


Wann ſehen wir uns wieder? 


Harold 
In dieſem Leben heut zum letztenmal. 


Adele Gricht zufammen) 
Schredlicher Tod! Das Herz zerbricht in mir! 
; ; (Rlammert fih an ibn), 
Geh nicht von mir! Harold, geh nicht! 
Harold 


Adele 


Ich muß. 
Wo gehſt du hin? 











Bierter Aft 99 





Harold 
Weit fort. 


Adele 
Sort — übers Meer? 
Harold 
Ja, übers Meer. 
Adele 
O weh um unſre Liebe! 
Im tiefen kalten Meer muß ſie ertrinken. 


Harold 
Nein denn fie lebt in meiner ew'gen Geele. 
Du füßer Engel, wahre nun mein Bild, 
Wie man das Bildnis hegt des Hingegangnen, 
An dem Barmherzigkeit die Fleden tilgt. 
Und wenn du börft, da bier man den Geliebten 
Mit Flüchen nennt, ihn graufen Frevels zeihend, 
Dann denke: jener Harold ift es nicht, 
Den du gefannt; der ftieg in jener Stunde 
Rein in den Todesjchoß des reinen Meers, 
Als er zum lestenmal die Lippen Füßte, 
Die einft fein Himmel waren. Ach, Adele, 
Traum meiner füßen Jugend — fahre wohl. 
(Sie umarmen und füfjen fich) 
Vorhang fällt 


Ende des dritten Aktes. 


Vierter Akt 


Erſte Szene 


(Saal im Schloſſe zu London. Rechts und links Türen und Fenſter, 
den Hintergrund bildet eine durch Vorhänge gejchloffene Säulenreihe) 


Erfter Auftritt 

König Eduard (in einem Armfefjel zurückgeſunken, neb Edwin und 

r — er ſitzt ———— 8 atmen Andere enge 

Morcar 
(fommt von rechts zu den vorigen) 

Ja, es beftätigt fich, was das Gerücht 

Bon Mund zu Munde flüfternd umgefragen ; 
7* 


100 Harold 





Er ift zurüd. In einem Fifchernacdhen, 
Dhne Gefährten, mitten in der Nacht, 
Umgähnt von allen Schredniffen des Dunfels, 
Das ihm der Sterne Fadellicht verfchlang, 
Durchkämpfte er das aufgewühlte Meer, 

Und heute morgen fam er an zu Dover, 


Edwin 
Sn einem Boot? Bei Naht? Sagt, daß Ihr fabelt. 


Moprcar 
Mein, es ift Wahrheit. Menfchen fahen ihn, 
Wie er im grauen Zwielicht diefes Morgens 
Ans Ufer fprang; zerzauft von Wind und Wellen, 
Wie ein Gefchöpf, das Nacht und Meer gebar. 


Eduard (mit gefchloffenen Augen) 
Wer ift der Menfch, um welchen Eure Worte 
Solch ein Geheimnis weben? 


Edwin 
Harold, Herr. 


Eduard (ich aufrichtend) 
Ram Harold wieder aus der Normandie? 


Morcar 
Er ift’s, von dem ich fpreche, gnäd’ger Herr — 
Und ohne feiner Mutter Gruß zu gönnen, 
Noch Raft zu ſchenken dem erfchöpften Leibe, 
Reißt er den fehnellften Hengft aus feinem Stall, 
Und aufgefchwungen — aljo fagt man mir — 
Schlägt er dem Roß die fpornbewehrten Ferjen 
So in den Leib, daß wie ein Pfeil vom Bogen, 
Es wütend binfliegt unterm wilden Reiter. 


Stigand | 
Wen fuchte diefer ungeftüme Ritt? 
Morcar 


Er ritt nach Winchefter, wo, wie ihm Irrtum 
Gemeldet, König Eduard Sei. 








PVierter Alt 101 





Eduard 
Sch wußt' es, 
Daß mir der Ritt gegolten — träger Tod! 
Was mußte diefer Tag dich überholen! 


Stigand 
Was bangt Ihr, Herr? 


Eduard 
Biſchof, wenn je Shr hört, 
Daß einer klagt, weil ihn zu früh der Tod ruft, 
So fcheltet ihn als Toren, denn ich fag’ Euch: 


Beſſer zu frühe fterben, als zu fpät! 
(Er richtet ſich Halb aus dem Seſſel auf, nach der Hinteriwand ftarrend) 
Da — was kommt da? Geht das — 


Zweiter Auftritt 


Harold (kritt den Borbang der Hinterwand ein. Er ift bleich, verftört; e 
—— — PEngE wire Berap, fotn Stand Murten "7 


Stigand 
Bei Gott, er ift es. 
Morcar 
Und iſt's doch wieder nicht — Neffe, feid Ihr das? 
Harold 


Heißt dieſe ſich entfernen, König Eduard. 
(Eduard blickt ihn ſprachlos an) 
Edwin 
Sind wir nicht wert, zu hören, was Ihr bringt? 


Harold (mit furchtbarer Heftigkeit) 
Heißt diefe Männer gehn — 


Morcar 
Kommt, fommt für jegt. 
(Edwin, Morcar, Stigand nach rechts ab) 
Harold ſchließt Hinter ihnen ab) 


Eduard 
Welch graufenvolles Werk bereiteft du? 
Harold — ich bin ein jchwacher alter Mann. 


102 Harold 





Harold 
Gott wolle, daß Ihr je was andres waret. 


Eduard 
In deiner Stimme ift ein fremder Laut — 
In deinem AUngeficht ein neuer Zug — 
Was ftarrft du mich fo an mit glühnden Augen? 


Harold 
Weil ih in Eurem Herzen leſen muß — 
Eduard, Sohn Etelveds, der Sachſen König, 
Sch habe eine Frage Euch zu fun: 
An jenem Tag, als Wilhelm bei Euch war, 
Sagt, was verjpracht Ihr ihm? — — Drei Tag’ und Nächte 
Kämpfte ich mit dem Tode Bruſt an Bruft, 
Um Euch zu fragen — reden follt Ihr — fprecht! 


Eduard 
Der Tod pocht an die Pforte meines Lebens — 
Frag' nicht, was ich verfprach, Harold, frag’ nicht! 


Harold 
Heißt da8 — bei dem gefreuzigten Erbarmer — 
Daß Wahrheit ift, was der Normanne fagte, 
Daß Ihr die Krone Englands ihm verfpracht 
Nah Eurem Tod? 
Eduard 
Erfuhrft du e8 von ihm? 


Harold 
Unheilberatner König, tatet Ihr's? 


Eduard 
nd wenn ich’S tat, erbarm’ dich meiner, Sohn. 


Harold 


Sa, ich dein Sohn, denn Schuld macht uns verwandt! 
(Eduard ſinkt Fraftlos zurück 


Nein — finft noch nicht zurüd, Ihr follt noch leben, 
Die Schuld verfehlingt mich, welche Ihr gezeugt; 
Auf Höllenwegen lockte Wilhelm mich, 

Daß ich ihm fchwur in graufig heil'gem Eid, 

Zu helfen ihm zu dem, was Shr verfpracht! 





Bierter Akt 103 





Eduard 
Hätt’ ich eg nicht getan! Anſel'ger Harold; 
Hätt' ich's an jenem Tage dir gejagt, 
Als du hinüber gingft zur Normandie — 
Hätt’ ich, o hätt? ich — jammervolle Summe 
Berlornen Lebens — ränkevoller Wilhelm! 
Sp wird er König denn? 


Harold 
Das wird er nicht. 


Eduard 
Was jpielft mit Hoffnung du? Wer wehrt ihm? 


Harold 


Sch! 
Eduard 
Du, der ihm ſchwur? Schredlicher Menſch, was finnft du? 


Harold 
Zerbrechen will ich den erfchlichnen Eid! 
Nicht geben diefes Land der AUngeljachien 
In des Normannen räuberifche Fauft ! 


Eduard 
Harold — das wollteft du? 


Harold 
Das ſchwöre ich! 
Nein freilihd — ſchwören darf ich nun nicht mehr! 
D unermeßlich ſchrecklich! Jammervoll! 


Harold, Graf Godwins Sohn, — nicht mehr ſchwören! 
(Bricht in die Kni 
Hier lieg’ ich nun vor Dir, allmäche‘ ger Gott, 


Schöpfer des Menfchen und der Menſchenſchwäche, 
md tue ab von mir, frei, mit Bewußtfein, 

Was meine ftolze Mannheit einft gefchmückt ! 

Doch eh’ du dich von-meiner fünd’gen Blöße 

Mit Abſcheu wendejt, höre mich, o Gott: 

Du gabft dem Mann den Arm voll Mark und Kraft, 
Gabſt ihm das Haupt voll Rats und Hugen Sinus, 
Daß er das Land, das feine Wiege trug, 


104 


Harold 





Das ihm der Menschheit wundervolles Erbteil 
Die Sprache, übermittelte, bewahre ! 

Vertilge mich von deinem AUngeficht ! 

Doch mit dem Blitz, der mich zur Tiefe fchleudert, 
Zermalme auch das Haupt der Schändlichen ! 


Eduard 
Ein Eid aufs heil’ge Kruzifix geſchworen, 
Der Cherub Gottes mit dem Flammenfchwert 
Steht da als Wächter folchen Eids, 


Harold 
Ich weiß. 
Eduard 
Verflucht von Gott ift, wer ihn bricht, 
Harold 
Sch weiß. 
Eduard 


Gibts folhen Mut? Das hätt’ ich nicht gedacht. — 
Gelobe mir, daß du am Süngften Tage 
Gott jagen willft: Eduard hat mich gewarnt. 


H 1d 
Das will ich, Herr. hg 
Eduard 
Ruf mir Stigand, den Bifchof! 
Harold 
Was habt Ihr vor? 
Eduard 


Ruf mir den Bifchofl Eile! 
(Harold öffnet die Tür rechts) 


Harold Hinausrufend) 
Biſchof Stigand, der König ruft nach Euch! 
Dritter Auftritt 


Stigand (komme von rechts) 
Herr — was begehrt Ihr? 


is 








Vierter Alt 105 





Eduard 
Biſchof — eilt und bringt 
Das Zeichen mir der qualenvollen Ehre, 
Darunter ich mein Leben bingefeufzt, 
Die KRönigskrone! 


Stigand 
Herr? 


a Eduard 
Eilt — fraget nicht! 
Laßt alle Gloden läuten durch die Stadt, 
Ruft Bolt und Edle, Biſchof — 


Stigand 
Herr, ich eile. 
(Stigand ab durch den Hintergrund) 


Eduard 
Du Erbe meiner Schuld! Bis an das Ende 
Furchtbar verflochten geht nun unſer Weg! 
Sei Erbe auch der goldnen Dornenkrone, 
Die Könige ſchmückt! Nichts Gutes geb’ ih dir — 


Harold 
Zu jedem Eurer Worte fpricht mein Herz 
Sein feierliches „Sa“ und „Amen“, Herr. 


Vierter Auftritt 


Gytba, Morcar, Edwin (kommen von rechts) 


Gytha 
Nein, dieſes alles klingt ſo rätſelhaft — 
An mir vorbeizugehn — 


Morcar 
Dort fteht der Mann — 
Seht, ob Ihr ihn erkennt. 


Gytha Gleibt jtehen) 
Harold, mein Sohn! 


106 


Harold 





Harold 


(geht ihr entgegen, umarme fie) 


Mein irdifch Heiligtum, o meine Mutter. 


Gytha Gärtlich) 
Dein Antlitz trägt die Spuren böſer Tage, 
Doch das verſteht ſich, denn du warſt beim Feind, 
Der Feigling nur kommt ſauber aus dem Feld — 
Du haft mir nicht den erften Gruß gegönnt — 
Dich trieb gewicht’ge Pflicht zum Könige? 
Nicht wahr, mein Sohn? 


Harold 
a, meine teure Mutter. 


Gytha 

Das wußte ich — es war fein andrer Grund — 

Nun ift die Pflicht erfüllt — bedenfe nun, 

Wie lang ich ohne meine Kinder war, 

Wo ift mein jüngfter Sohn, dein Bruder Wulfnoth? 
(Paufe) 

Steinerne Lippen, fprecht, — to ift mein Kind? 

(Sie fritt entſetzt zurück) 
Schirmer der Menfchen, ſchütze mich vor Wahnfinn 


Harold 
Mutter — 


Gytha 
Und doch iſt's meines Harolds Stimme - 
Ich bin geduldig — war das Kind geftorben, 
Als du hinüberfamft? Verweigerte 
Wilhelm, den Rnaben dir herauszugeben? 
Hörft du mich nicht, fo höre Gottes Stimme — 


Harold 

Nur jest, nur heute, Mutter, frage nicht. 
Gytha 

Hat ſie's verboten? 
Harold 


Wer? 








Vierter Akt 107 





Gytha 
Was trägſt du da 
An deinem Hals? Was blickt mich gleißend an? 
Ich kenne es, das Angeſicht der Schlange, 


Die mir die Seele meines Sohnes ſtahl! 
(Sie greift nach der Kette mit Adelens Bild an ſeinem Halfe) 


Harold (fahr ihren Arm) 
Und hättet du zehn Leben mir geſchenkt 
Statt diefes einen — fort die Hand, fag’ ich! 


Gytha 
(teht mit erhobenem Arm; dann Ai fie langſam den Ärmel vom Arm) 
Dies ift die Stelle — jeht fie alle an — 
Auf die fein rauher Panzerhandſchuh griff! 
Auf diefem Arme trug ich ihn ins Leben; 
Des Knaben Lode flo um diefen Arm; 
Die Hand hier zeigte Berge ihm und Täler, 
Wenn ich ihm fprach: fieh bier dein Vaterland. 
D diefe Arme waren Wiege ihm, 
Gefüllt mit jedem edlen Gut der Erde — 
Heut ift der Tag, heut ftieß er fie hinweg 
Und hing fih an die Dirne des Normannen. 


Harold 
Hör’ fie nicht, Gott — denn es ift meine Mutter, 
Die deinen Engel läſtert! Nimm den Donner 
Und triff mein Haupt! 


Gytha 

Harold, hätt' er's getan 

Am Tage, da du gingſt zu den Normannen! 
(Zu Edwin und Morcar) 

Ich weiß, Ihr freut Euch meines tiefen Falls ! 
Ja, ich war ftolz auf diefen — nicht zu ftolz! 
Ich liebte ihn — ja, alfo liebt’ ich ihn, 
Daß fein Verrat mein Herz zur Wüfte macht! 
Noch keine Mutter weinte folhe Tränen; 
Mit welchem Sammer brichjt du mir das Herz! 


108 Harold 





Fünfter Auftritt 
rag beginnt) Stigand (kommt durch den Hinfergrund, auf purpurnem 
Kiffen die Krone tragend; der Vorhang wird aufgefan und man fieht an der Halle 
draußen eine große Menge Volkes jtehen: Darunter) Ordgar, Edric, Baldwulf 
Stigand 

Gerufen durch den feierlichen Mund 

Der Glocken, drängt das Volk zu Euren Toren, 

Und bier zu Füßen leg’ ich, König, Euch 

Dies teure Zeichen — 


Eduard 

Aus den Augen mir! 
Dual meiner Tage, Schrecken meiner Nächte, 
Brandmal des Fluchs, auf meine Stirn gedrüdt, 
Mein Lebensbaum, vom Todesfroft gefchüttelt, 
Wirft von fich den verhaßten Parafiten, 
Der ſich vom Marke meines Friedens nährte. 
Fahr hin — mag fich die tolle Wut der Menfchen 
Zerfleifchen über deinem Lügenglanz — 
Dem törichtften der Menfchen fei vermacht! 


Stigand 
Wohl — Eure Rrone, Herr, ift nur Metall — 
Doch wen vermacht Ihr, König, Euer Vol? 


Harold 
Es iſt vermacht ſamt dieſer Krone. 


Morcar und Edwin 


Wem? 
Harold 
Mir ber die Krone, Biſchof. 
Morcar 
Was ift das? 
Stigand 


Ein Wort nur, König Eduard, fprecht ein Wort: 
Soll diefer Jüngling König fein nach Euch? 


Eduard 
Er ſei der Erbe der gefrönten Dual, 








Vierter Akt 109 





Morcar 
Der Rnabe unfer König? 


Eduard 
Diefer Mann, 
Der Dinge weiß, bei deren Wifjenfchaft 
Das forgenlofe Angeficht der Jugend 
In eisgrau forgend Alter fich verwandelt ! 


Morcar 
Was weiß er mehr als wir? 


Eduard 
Dinge der Zukunft, 
In blut'gen Wolfen des Verhängniſſes 
Auffteigend — 
Edwin 
Das find Fieberfräumerei’n. 


Eduard 
Nicht Träumerei’n! Die Schattenhand des Todes 
Reißt prophezeihend Aug' und Ohr mir auf: 
Ich hör’ das Rad der Zeit, das faufende; 
Im Sturm gewälzet, rollt es durch die Welt, 
Länder und Städte brödeln unter ihm, 
Durch feine Speichen quillt das Blut der Völker, 
Das Menfchgeborene ift fein Geleis — 
Nur wer fich losreißt von der Menfchen Satzung, 
Die heilige Schwäche des Gewifjens abiwirft, 
Durch Höllenglut von Schwachheit rein geglübt, 
Der greife in die Speichen, rufe halt; 
Solch einen fenn’ ih — 
(Harold anftarrend) 
Gebt die Krone ihm. 


Stigand Gu Sarold) 
Sp nehmt die Krone denn aus meinen Händen, 
Aus meinem Mund die erfte Huldigung. 


Harold 
(nimmt die Krone von dem Kiffen) 


Nun, du zum Ring gekrümmte goldne Schlange, 
Krieh auf mein Haupt, mit deinem falten Hauche 


12T a a a ar 


110 Harold 





Ertöte die Erinn’rung mir im Hirn, 
An alles das, was Menfchen fromm und weich macht. 
Dich, vielgeftaltiges Gefühl des Herzens 
Schmied’ ich in einen ehernen Entſchluß: 

(er jegt die Krone auf) 
Wilhelm, Normannenherzog, dies die AUntivort, 
Die Harold dir, der Gachjenfönig gibt! 


Drdgar 
Heil König Harold! 


Volk ctobend) 
Heil dem Godwinsfohn ! 


Harold u Edwin und Morcar) 
Ihr hörtet Eduards, Eures Herren Wort, 
Auf, buldigt mir. 
Morcar 
Gut denn, wir huldigen, 
Geloben Treue dir mit Herz und Hand 
Sobald die eigne Mutter dir gehuldigt. 


Harold (zu Gytha flüfternd) 
Siehſt du nicht die gefpaltene Schlangenzunge | 
Der Bosheit, die aus diefen Worten Ieckt? 
Zerbrich die Hoffnung diefer Feinde, Mutter, 
Sie hoffen „nein“ aus deinem Mund, Sprich „ja“. 


Gytha 


(Ebenſo, ee ER anzufehen) 
Sag’, was du fatejt in der Normandie, 


Harold 
Laß es mich Herz an Herz und Aug’ in Auge 
Dir fagen, nur vor diefen Leuten nicht, 
Um Englands Heil. — 


Gytha 
Sprich nicht vom Vaterland, 
Denn deine düftern Worte geben Kunde, 
Daß du's verrieteft. 








Bierter Akt 


111 





Eduard 
Huldigt, Gräfin! 


Gytha (mad innerem Kampfe) 


Rein! 
(Sie wendet fich kurz, geht rechts ab) 
Harold 
Mutter ! 
Morcar Gu Edwin) 
Sch zieh’ vom Hofe, fommt Ihr mit? 
Edwin 
Sch geh’ mit Euch; zäumt auf die Roffe! 
Eduard 


Bleibt! 
Bei diefem legten Hauche meiner Bruft, 
Bei diefem legten Krampfe meines Lebens, 
Bleibt, buldigt ihm! 
Morcar 
Er hole fih die Huldigung 


Harold 
Sch komme! 


Morcar 


Auf meiner Burg! 


Romme denn, 
Doch Leitern bringe mit und Sturmgerät, 
Denn meine Wälle, wie granitne Lippen, 


Bergen das Wort, das ich dir weigere. 
(Morcar, Edwin rechts ab) 


Eduard (richte fich auf) 


Ihr jollt nicht gehn — inte zurüch Hilf Gott — der eif’ge Tod 


Schleicht mir die Bruft herauf — 
Stigand 


Wie bleich er wird! 


Eduard 


Hebt auf den Stuhl, hebt auf, 


Tragt mich hinaus aus dem verfluchten Leben. 
(Der Stuhl wird aufgehoben) 


D ſeht den König, 


112 


Harold 





Sn Ruhe laßt mich fterben — meh’ auf Euch 


Und wehe dem verlornen Volk der Sachfen ! 
(Er wird hinausgefragen) 


Drdgar 

(tritt auf Harold zu. Das Volk dringt in die Halle) 
Zch weiß es nicht und ich verftehe nicht, 
Was hier verhandelt ward, — ich weiß nur dies, 
Daß, als der Arm des Galgens nach mir griff, 
Als meine Lebenshoffnung dämmernd auslofch 
Im Todesgraufen — plöglich um mein Haupt 
Die Mähne Eures weißen Hengftes flog — 
Wie eines Cherubs Flügel — weiß es noch, 
Wie Shr, vom Sattel Euch berunterbiegend, 
Den Henkersfnecht mit einem Griffe packtet 
Und niederwarft — Harold, mein teurer Herr, 
Der Donner Gottes ſchmett're mich zugrunde, 
Hätt' ich ein Wort, ein ander Wort als dies: 


Gott fegne Harold, Englands echten König! 
(Er kniet vor ihm nieder, küßt ihm die Hand) 


Das Volk cherandrängend) 
Harold fei unfer König, Godwins Sohn! 


Edric (feine Hand ergreifend) 
Heil unferm König Harold! 


Baldmwulf 
Heil ihm, Heil! 


Harold Den Arm erhebend) 
So hör’ mich du, um deffen Thron die Sterne 
Gleich feuerflammenden Trabanten ftehn: 
Hier nun verpfänd’ ich mich dem Volk der Sachen: 
Fühllos mein Herz für anderes Gefühl; 
Mein Leib fein Schild, der Arm bier feine Waffe! 
Sein Feind mein Feind, fein Grab mein Grab! 


Stigand 
Gott hört es. 
Drdgar 
Wir fchwören Treue unferm König Harold, 
Solange unfre Fauft die Art umfpannt. 








Vierter Akt 113 





Bolt 
Das ſchwören wir, das ſchwören wir! 


Stigand 
Gott hört es. 


@Qerwandlung) 


Zweite Szene 


(Eine VBorhalle im Palafte zu London. Rechts und linfs Türen. 

Die Hinterwand durch eine offene Säulenreihe gebildet, welche auf 

die Straße führt. Links ein auf Stufen erhöhter Thronſitz; über 

dem Ihron an der Wand eine von Gtreifärten umgebene Fahne. 
Naht. Fadeln an den Wänden) 


Erfter Auftritt 


Mehrere königliche Trabanten 


Eriter Trabant 
(ftebf an der Säulenwand, blickt zum Himmel empor, wendet fich dann zu den übrigen) 


Hier kommt heran, von hier aus könnt Ihr's fehn. 
(Die anderen treten berzu) 


Erjter Trabant Geigt nach dem Himmel) 
Dort — wo mein Finger zeigt. 


Zweiter Trabant 
D ſeht das an! 
Ein jchredlih Ding — wie eine Feuerrute 
Stredt es am Himmel fih von Nord zum Süd, 
Ft das ein Stern? 


Eriter Trabant 
Das iſt ein Rutenftern; 
In vielen hundert Jahren, hört’ ich jagen, 
Kommt das ein einzig Mal, und wenn es kommt 
Verkündet's ſchwere Seit. 


Zweiter Trabant 
Das will ich glauben — 
Nie ſah ich ſolches. 


Dramen VI 8 


114 Harold 





Erfter Trabant 
Horcht, was für ein Lärm? 


Zweiter Auftritt 
Ein Boltshaufe (Männer, Weiber, Kinder kommen von links, außerhalb der 


Säulen; in ihrer Mitte ein phantaftifch aufgepuster), Alter (welcher eine Harfe 
; trägt. Vor der Halle Dee fie ſtehen) a 


Der Alte (mit lauter Stimme) 
Der Himmel brennt, die Zeiten find erfüllt! 
Die Stunde, von den Vätern ung verkündet, 
Die legte Stunde Fam! 


Dritter Auftritt 
Edric, Baldwulf draußen von rechts) 


Edric 
Macht Euch nach Haufe! 
Was ängftigt Ihr die Leute! 


olf 
Er foll Sprechen ! 


Der Alte 

Hört, was die Väter ung verfündigten: 
Wenn der König fommt, welcher Eide bricht, 
Wenn vom Mittagsftrand wehen wird der Wind, 
Wenn der Rutenftern rot am Himmel flammt, 
Dann auf Wellen wird reiten der Normann’, 
Schlimme Zeit wird fein, ſchlimme Zeit wird bleiben, 
Volk der Sachfen wird dann nicht mehr fein! 


Edric 
Wer ift der König, welcher Eide bricht? 


Baldwulf 
Reißt ihm die Zunge aus, dem Unheilsraben! 


Vierter Auftritt 


Drdgar (raußen von rechts zu den vorigen) 
Habt Ihr's gefehn? Habt Ihr das Ding gefehn? 


Vierter Akt 115 





Edric 
Seid ruhig doch. 
Drdgar 
Saht Ihr den Rutenſtern? 


Edrie 
Ordgar, hat Euch die Furcht auch angeſteckt? 


Ordgar 
Mich fürchten? Ich? Wer ſagt, daß ich mich fürchte? 
Doch jetzt iſt eine Zeit — Normannenwölfe, 
Kommt an, ich bin ein Stier mit Huf und Hörnern 
Und ſtoßen will ich, eh' Ihr mich verſchlingt. 


Ein Weib (sellend) 
Normannen find im Land! 


Edric 
Das tft nicht wahr! 


Weib 
Warum verläßt der König ung? 


Bolt 
Der König!! 
(Die Volksmaſſe drängt in die Halle, die Trabanten jperren den Eintritt) 


Erjter Trabant Gält die Hellebarde vor) 
Zurück — Ihr follt nicht ein — 


Edric 
Ihr guten Herrn, 
Seht jelbit, wir find ja wie der. Kork im Waſſer, 
Die Welle trägt ung ein — 
(Die Bolfsmenge, unter ihnen Edric, Baldwulf, Ordgar, dringt in die Halle ein) 


Bolt 
Wo ift der König? 


Edric 


Dies Volk wird rafend noch aus lauter Angit. 
8* 


116 Harold 





Fünfter Auftritt 
Ein Herold (lomme von Links, ſtößt in die Drommete) 
Gebt Raum für König Harold, Godwins Sohn! 


Sechfter Auftritt 


Harold (im Panzer von lints) 


Drdgar 
Troft deines Volkes, Heil dem König! 


Bolt 
Heil! 
Harold (erfteigt die Thronesitufen) 
Was drängt Ihr Euch in diefer heil’gen Stunde, 
Da die Natur den Friedensmittler fchickt, 
Den Schlaf, der das Feindfel’ge ausgleicht, 
Die Leidenschaft in Ruhe, den Gedanten, 
Den gärenden, in Rindestraum verwandelnd, 
In folhem Aufruhr an des Königs Thron? 
(Die Weiber werfen fich zu den Stufen des Throneg nieder) 
Weiber 
Rette uns, König Harold! 


Bolt 
Rette uns! 
Harold 


Vergaß ich fo denn meine KRönigspflicht, 
Daß Ihr mit diefem AUngftgeheul des Schreckens 
Mich daran mahnen müßt? 


Ein Weib 
Der Himmel droht uns! 
Normannen find im Land | 


Harold 
Wer jagt mir das? 


Stimme dm SHintergrunde) 
Gebt Raum dem mwürd’gen Bifchofe Stigand. 


PBierter Akt 


117 





Siebenter Auftritt 


Stigand, Wilfried ſkommen aus dem Hinfergrunde) 


Stigand 
Mein Herr und König, aus der Normandie 
Kommt diefer junge Priefter hergefandt. 


Drdgar 
Bon den Normannen kommt er? 


Edric 


Hört das an! 
(Alles drängt binfer Stigand und Wilfried auf den Thron heran) 


Stigand 
Bor Wochen, jagt’ er, ging er aus Rouen, 
Doch widerwärt'ge Winde hielten ihn 
Bis heute fern. 
Harold 
Was kommt er in der Nacht? 
Iſt dies die Zeit Gefandte zu empfangen? 


Wilfried 
(der bis dahin geſenkten Hauptes geftanden hat, richtet das Haupt auf) 


Mir ward Befehl, fobald ich Englands Boden 
Berührte, ob bei Tage oder Nacht, 
Dir zu verfünden, was ich künden foll. 


Harold (ftarıt Wilfried an) 
Wo ſah ich diefes Angefiht — Du kommt 
Herüber aus der Normandie? 


Wilfried 


Ja, König. 
(Gemurmel unter dem DBolfe) 


Harold 
Der Herzog der Normannen ſendet dich? 


Wilfried 
Nein, König Harold. 


118 


Harold 





Harold 
Nicht? 


Wilfried 
| Mich fchiekt ein anderer. 
Es ſchickt mich — 


Harold 


(mit einem Sprunge vom Throne herab, faßt ihn an der Schulter) 


Halt — dann weiß ich, wer dich fchidt. 
(Leife) 
Dich ſchickt die Kirche? 


Wilfried (aut, eintönig) 


Ja, mich ſchickt die Kirche, 


Harold deife flüfternd) 


Bei deinem Leben denn — fprich nicht, ſchweig' ftill! 
(Laut) 

Ihr habt gehört: nicht der Normanne fchiekt ihn; 

Die Botfchaft, die die heil’ge Kirche fendet, 

Ft nur für mid — gebt drum aus diefem Saal, 


Wilfried (drüce die Hand aufs Herz; für fich) 


Dein Wille ift’s, furchtbarer, ftrenger Gott. 
(Lauf zu Harold) 


Der Kirche Botfchaft ift nicht nur für Euch. 


Harold 
Du fchweigft, wenn du dein Leben Liebft! 


Wilfried (chüttelt traurig das Haupt) 
Mein Leben 
Ft mir nicht lieb; ich darf nicht fchweigen, Herr. — 
(Mit erhobener Stimme) 

So Spricht zu dir der, dem Gott Macht verlieh, 
Zu binden und zu löfen, aufzutun 
Des Paradiefes Pforten, und zu fchließen: 
Weil du den Eid gebrochen, den du ſchwurſt — 


Stigand 
Welch einen Eid? 


PBierter Aft 119 





Wilfried 
Aufs heilge Rruzifir, 
Dat Wilhelm, der Normannenherzog, König 
Bon England jollte fein nach Eduards Tod, 


Harold 
dchlägt ſich vor die Stirn) 


Schling' mich in deinen Rachen, ew'ge Nacht! 


Bolt 
Verrat! 
Ordgar 
D fürchterlich! Ihr tatet's nicht! 
Sagt uns, o Herr, daß Sr den Eid nicht ſchwurt! 


(Daufe) 


Wilfried (mit erhobener Stimme) 


Sollft du nicht wohnen, wo die Sel’gen wohnen, 
Du wohne im Geheul und Zähngefnirfch ! 

Sollft du nicht foften von des Himmels Freuden, 
Im Senfeit3 und hienieden fei verflucht ! 
Berflucht der Boden, der dich trägt und nähıt; 
Wer dir gehorcht, wer dir in Treue folgt 


nd wer dich liebt, * AS verflucht wie du! 
ür ji) 
Es ift vollbraht — — ee Seele gnädig. 
(Dumpfe, ſchreckli 
(Das Volk tritt in leiſe flüfternden $ —* en ng HER fieht einzelne durch den 
Mittelgrund abgeben; dann drängt plöglich die ganze Menge der Anwejenden, mit 
Ausnahme von Harold, Stigand, Drdgar, Wilfried und der Trabanten zum Abgange 
nad) dem Mittelgrunde) 
Harold 
Wachen ans Tor! Hört, Sackhjenmänner, hört! 
(Trabanten ftellen fi an den Ausgang und drängen die Menge in den Saal zurüd) 
Drdgar 
Bleibt! Hört den König! Redet, teurer Herr! 


Edric 
Schwurt Ihr den Eid? 

Harold 

D, du im Himmel, Gott, 
Haft du zum Leuchten deine Sterne nur? 
Gieß aus dein Licht auf diefen Höllentrug ! 


120 Harold 





, Edric 
Schwurt Ihr den Eid? 


Harold‘ 
Sch ſchwur — doch diefen nicht! 


Ein Weib 
Er fchwur! Hört Ihr's? 


Edric 
nd wir mit ihm verflucht! 


Baldwulf 
Wir wollen nicht zur Hölle! Plag! 


Bolt 
Platz! Platz! 

(Das Bolt ſtürzt ſich auf die Trabanten, welche ihm den Ausgang verſperren, ringt 
mit ihnen und ſtößt fie zur Geite, ein Teil verläßt den Saal in wilden Tumult) 
Drdgar wirft ſich zur Erde) 

Tief, Grab, fei tief, in dem Graf Godwin fchläft, 
Daß er nicht höre, was fein Sohn getan! 


Harold 
Herz, halte ftand; zerfpringe nicht, mein Hirn! 
Ah, du verdammter Bringer der Verdammnis, 
Du bift ein Sachje? 


Wilfried 
Ja — und Gottes Rnecht. 


Harold 
Heran, Trabanten! Geh zu deinem Gott, 
Sag’ ihm, dich fchieft der König deines Landes, 


Der wie der Natter dir das Haupt zerfrat! 
(Zwei Trabanten treten rechts und links von Wilfried; ziehen Die Schwerter) 


Stigand 
König — erbarmt Euch des Lnfeligen ! 


= Harold 
Hinweg! Stoßt zul 
(Die Srabanten ftoßen Wilfried nieder) 


Vierter Akt 121 





Wilfried 
(inkt, Stigand fängt ihn auf) 


Erbarm’ dich meiner — Jeſus — 

Bifhof Stigand — geweihter Priefter Gottes, 

Mit mir geboren von demjelben Volk, 

Mir teurer drum in jedem höchiten Sinn, 

In diefer Stunde, da der graufe Tod 

Ein bingetäufcht unfelig Dafein endet, 

Das, Friede fehnend, nur zum Kampf gedient, 
Empfangt von mir ein fchredliches Geheimnis, 

Das düfter liegt auf meiner armen Geele, 


Stigand 
Sprich, was dich quält. 
Wilfried 
Der Eid, der graufe Eid — 
Sti d 
Was iſt's damit? — 
Wilfried 


Ein trügeriſcher Eid, 
Bon Höllenlift geſponnen und gewebt, 
Don Robert und von Wilhelm auserfonnen, 
Den dort zu fangen. 


Stigand 
Harold ? 


Wilfried 
Harold — ja — 
Ich war dabei, am Tage zu Rouen, 
Als fie vatfchlagten, jenen Eid zu fchmieden — 
Hebt mir das Haupt — die Zunge wird mir ſchwer — 
Ah Tod — gib mich noch frei — Schuld und Verrat! 
Denn Harold wußte nicht, was er beſchwor! 


Stigand 

Unſel'ger, warum ſchwiegſt du vor dem Volk? 
Wilfried 

Weil Biſchof Robert Schweigen mir gebot. 


122 Harold 





Stigand 
Fluch treffe ihn! 
Wilfried 
Mein Vater — tat ich unrecht? 
Stigand 
Fa, du Verlorner! 
Wilfried 


Robert, gib mein Leben, 
Mein Leben, mein betrognes mir zurück! 
Gräßlicher Tod — laß deine Hand von mir — 
Zertreten wie ein gift’ger Wurm, dies Herz, 
Das feines Menfchen Feind war — 


Harold (beugt fich zu ihm) 
Unglückjel’ger, 
Schwer wird dein Blut auf meiner Seele fein. 


Wilfried (aßt jeine Hand) 


Mein König — und — mein vielgeliebter — Herr — 
(Stirbt) 


Achter Auftritt 


Der Abt und zwölf Mönche Des Kloſters Hyde (alle ganz in ſchwarzen 
- Rutten, fommen durch die Mitte; fie fingen) 


Dies irae, dies illa 
Solvet saecla in favilla. 


Harold 
Was wollen diefe finftern Naben mir? 
Was bringt Ihr? 
Abt 
Was dies Kleid dir jagt: den Krieg! 
(Der Abt und die zwölf Mönche reißen ihre Rutten ab und ftehn in lichten 
Panzern Da) 
Abt 
Auf König Harold, Sachjfenmänner, auf! 
Der Tiger ſchwamm herüber übers Meer, 
Normannen landeten in England! 


Harold 
Ha! 


— —— 


Vierter Alt 123 





Abt 
Aus unfrem Klofter, das von fteiler Klippe 
Das weite Meer nach Süden überblidt, 
Sahn wir fie nahn auf fiebenhundert Schiffen, 
Ihr Schlachtruf überdonnerte die Flut, 
Als fich ihr Herzog, der furchtbare Wilhelm, 
Im Fieberfturme feines Ungeftüms 
Mit einem Sprung zum Üferftrande ſchwang — 


Harold 
Wo ftehen fie? 
Abt 
Bei Haftings, König. 


Harold 

Wohl, 
Nun in des Weltenfchikfals großem Buche 
Soll Haftings’ Name bei den Namen jtehn, 
Die purpurrot darin verzeichnet find, 
Weil das Geſchick die blutverbrämte Hand 
Darauf gelegt als ein Erinnerungszeichen 
Für fünft’ge Zeit: „an diefem Tag gejchah“. 


Stigand 
Herr, dies heißt fterben, noch bevor Ihr kämpft, 
Blickt um Euch ber, Ihr ſeid ein einziger! 


Harold ſ(chwingt die Arme) 
Zwei Löwen habe ich in meinem Dienft, 
Mit ihnen, Wilhelm, fpringe ich dich an 
Und morde dich inmitten deines Heeres! 


Bringt meine GStreitart, fattelt mir mein Roß, 

(er reißt die Fahne von der Wand und ſchleudert ſie mitten in den Saah 
Hier werfe ich das Sachſenbanner hin, 

Wer hebt es auf? 


Drdgar (ftürzt ſich auf die Fahne, rafft fie auf) 
Mir her die Sahne, mir! 


Harold 
Ja, du verwittert Denkmal meines Landes, 
Du kämpfſt heut neben mir! 


124 Harold 





Drdgar 
Sohn Godwing, Herr, 
Die Fauft an diefen Fahnenſtock gejchmiedet, 
Mein Leben an dein Leben angefeftet, 
In Not und Tod, wo du bift, da bin ich! 


Stigand 
Verſchanzt Euch hinter Londons Mauern, König, 
Hört auf mein Wort, zieht nicht in diefen Rampfl 


Harold 
Sprecht mir von Vorſicht nicht in diefer Stunde, 
Rache heißt das Gefes, dem fie gehorcht ! 
Komm, Schickſal, blafe Sturmwind und PVerderben, 
Wirf Schiff und Mannfchaft in ein einzig Wrad; 
Du fchredit nur den, der an den Ausgang denkt! 
Mir ift der Augenblick allein Gefes, 
Und feine Lofung: kämpfen bis zum Todel 
Der König ruft, wer folgt? 


Alle 
Wir alle! Alle! 


Harold 
(ergreift die Streitart, Die ihm ein ar reicht, und ſchwingt fie über jeinem 
aupf) 


Und fterben wir, jo fol der Ozean 

Das Grablied donnern über unfrem Hügel 
Und rollend fol er durch Jahrhunderte 

Bon Land zu Land die ſtolze Botjchaft tragen: 
Voran den König ging es in den Tod, 


Herrlich und hoch, das Volk der Angeljachfen ! 
(Stürmend nach dem Hintergrunde ab) 





Drdgar 
Voran den König; Heil ihm! 


Alle 
Heil! Heill Heil! 


(Alle in ftürmendem Tumult hinter Harold durch Die Mitte ab) 
Vorhang fällt 


Ende des vierten AUftes 





Fünfter Aft 125 





Fünfter Aft 


Erite Szene 


(Ein düfteres enges Gewölbe, Türe links, eine ſchwere verriegelte 
Pforte in der Mitte) 


Erſter Auftritt 


Seneſchall, Leonore 


Seneſchall 
Setzt alles dran, daß die Prinzeß nicht herkommt; 
Sagt ihr, und das iſt Wahrheit, daß der Herzog 
Jeglichen Eintritt zu dem Kind verbot. 


Leonore 
Das alles ward gejagt, doch blieb’s vergeblich, 
Sie läßt nicht ab und will den Rnaben fehn. 


Seneſchall 
Es iſt ein kläglich jammervoller Anblick. 


Zweiter Auftritt 


Adele, Alice (von links zu den vorigen) 


Adele 
Du Böfe, warum bältft du mich zurüd? 
Habt Ihr Euch alle wider mich verſchworen? 


Alice 
D feht mich an; erkennt Ihr mich nicht mehr, 
Süße Prinzeffin? Bin ich nicht Alice? 
Ach, feine Bosheit iſt's, wenn ich Euch bitte, 
Kommt fort von diefem fehaudervollen Drt. 


Adele 


Ein Drt des Schredens — ja — und dies die Wohnung 
Für ein verlaßnes Rind. 
(Zum Senejchall) 
Ihr jeid der Mann, 
Der mir mein Kind zurücdhält — gebt es mir. 


126 


Harold 





Senefhall 
Prinzeffin, Euer Vater felbjt verbot mir — 


Adele 
Ich babe größres Recht an diefem Kinde 
Als es mein Vater bat — gebt mir mein Rind. 
Dort, hinter diefer Tür? Nicht wahr, dort ift e8? 
D — aus Barmherzigkeit, tut auf die Tür. 
(Sie finft an der Mitteltür weinend nieder) 


Seneſchall 
Zum Kerkermeiſter wurde ich beſtellt, 


Doch nicht zum Henker. — Kommt, gebt Raum, ich öffne. 
(Er riegelt die Mitteltür auf) 


Dritter Auftritt 
Wulfnoth (liegt auf einem Bett hinter der Tür) 


Adele 

O ſtill — Seid leife — weckt ihn nicht, er fchläft. — 
Sonft wenn er fchlief, war feine holde Wange 
Rot wie die Roſe. — Heute ift fie blaß. — 

(Tritt näher an Wulfnoth) 
Blaß — blaß wie Schnee — wie regungslos er liegt — 

(fie faßt Alice an der Hand) 
Mein Auge nur trägt Schuld — nicht wahr, Alice? — 
Sonft — könnt’ ich glauben — fiehft du, wie er atmet? 
Nicht wahr! Du fiehit es Doch! 


Seneſchall 


Kommt, kommt hinweg, 
Prinzeſſin, laßt Euch bitten — 


Adele 
Diefes Kind — 
Sch glaube wirklich — diefes Rind — ift tot! 
Wulfnoth ! 
Wirft ſich über Das Bert) 


Seneſchall 
O dies iſt ſchlimmer, als ich dachte. 
(Paufe) 








Fünfter AUft 127 





Abele 
(wichtet ſich auf wie geiſtes abweſend) 
Wer von Euch ſagte das? — 


Alice 
Was, teure Herrin? 

Was börtet Ihr? 

Adele 

Es ſagte jemand, Harold — 

Harold iſt tot. 

Leonore 

Kein einz’ger fagte jo. 


Adele 
Harold ift tot. — (Sie kommt langſam, in die leere Luft jtarrend, nach vorn) 


D dort — ſeht das — ſeht das — 


Alice 
Was jeht Ihr dort? 


Adele 
Ein weites — breites Feld, 
Ringsum voll Toten — und in ihrer Mitte — 
Dort — dort — o dort — web mir, wer tat ihm das? 


Alice 
Was? Güt’ger Himmel, was? 


Seneſchall 
O, dieſer Geiſt 
Hält grauſenvollen Irrgang im Zukünft'gen. 


Adele 
O — wie entſtellt das teure Angeſicht — 
Grad' in ſein Auge ſchoſſen ſie den Pfeil, 
Den ſchrecklichen, warum denn in dies Auge, 
In dies geliebte — trauteſter Gemahl — 


(Sie kniet nieder und macht eine Gebärde, als ob jemand am Boden vor ihr läge) 


Leonore 


Hinweg jest, mit Gewalt. 
(Sie faſſen Adele unter den Armen) 


128 Harold 





Adele 
Nein, laßt mich bei ihm, 

Reißt mich nicht fort! Geht Ihr den Reiter nicht, 
Der dort herangefprengt fommt? Halt — halt uf — 
Halt auf dein Roß — es tritt auf ihn — o Himmel — 
Schlag’ dein Viſier zurüd, daß ich dich Tenne! 
Jeſus erbarme dich, es ift mein Vater ! 
Zur Ruhe, Trauter, gib zur Ruhe dich, 
Adele kommt, dich in den Schlaf zu wiegen — 
Sch komme — ich fomme — 
(Berwandlung ohne Zwifhenvorhang. Gewitterfturm) 


Zweite Szene 


(Das Schlachtfeld von Haſtings. Nacht. Den Mittelgrund der 

Bühne bildet eine hügelige Landfchaft, in deren Hintergrunde man 

das Meer fieht; nach vorne zu fallen die Hügel in einzelnen ſchroffen 

Felſen ab, deren einer eine höhlenartige, Dunkle Vertiefung am Fuße 

zeigt; ein Felfenfteig leitet aus dem Mittelgrunde zum flachen 
PBordergrunde der Bühne herab) 


Erfter Auftritt 


‚Sti ‚der Ab Syd links, 
Sr me gone 
Abt 
Schwarz wie das Schickſal Englands ift die Nacht — 

Rommt mit der Fadel, laßt uns fuchen bier. 


Stigand 
Ich fürchte ſehr, daß wir ihn nimmer finden — 
Ein Pfeil zerriß ſein Auge. 


Abt 
Ja, ſo iſt's. 
Drei Spannen ragte ihm der Schaft vom Haupte — 
Er aber riß ihn aus, zerknickte ihn 
Und kämpfte ſchäumend weiter. 


Stigand 
Seinen Leib 


Zerſtampften ſchmählich die Normännerroſſe. 


Fünfter Akt 129 


Abt 
Fa, wenn uns Unterftüsung fam aus London, 
Dann hatten wir die Schlacht; wohl dreimal wandt’ er 
Das blutbeitrömte Haupt nach London zu — 
Und niemand fam. — 


Gytha 


Sie ließen ihren König 
Hilflos im Stich — ſie werden es bereuen. 





Abt (zeigt nach oben) 
Dort muß es fein — hart an dem Rande droben 
Der Felſen ftand der König in der Schlacht — 
Und dort verſank mir fein umlocdtes Haupt. 


Stigand Gu Gytha) 


Wenn Ihr Euch ſtark fühlt, ‚Sein, u. hinauf. 
piBoti auf die Beriefung Im elfen au 6 ——2 —— 
die Hände auf Das berg und bieibt In Cödlicher ftehen) 
Gytha 
O — — mie er feinem toten Vater gleicht. — — 


; Abt (flüfternd zu Stigand) 
Seht dort — hört das — 


Stigand 
Sie fand den Sohn? 


Abt 
So ſcheint's. 
a TE SE 
Gytha (niet zu Harold nieder) 
Ich tat dir weh, weil du mir weh getan — 
D Iammer, daß es war in legter Stunde — 
Du meines Schoßes Stolz — mein Sohn — mein Sohn — 


Stigand (chluchzend) 
Nimm diefe legten Tränen deines Volks, 
Den einz’gen Schmud, den es in feinem Elend, 
Geliebter König, dir noch ſchenken kann. 
Dramen VI 9 


130 Harold 





Zweiter Auftritt 


Wilhelm, Odo, Radulph, Montgomery (kommen auf dem obern Rande der 
Selfen von rechts. Einige fragen Fadeln) 
Abt 
Ich ſehe Fackeln, höre Menfchenftimmen — 
Hebt auf, wir fragen ihn hinweg — 
(Der Abt und Stigand legen Hand an Harold, um ihn fortzufragen) 


Wilhelm 
(beugt fich von oben über die Felſenwand) 


Halt dal — 
Wer ift der Tote, den Ihr dort beftattet? 


Abt 


Gott ſei uns gnädig — der Normannenherzog! 
(Sie treten von dem Leichnam zurück) 


Wilhelm 
Wer ift’s? 


Gytha erhebt fich, tritt in den Vordergrund) 
Sieh ihn dir an, wenn du es wagft. 


Wilhelm 
Sprach da ein Weib? 


Ddo 
Und eines Weibes Keckheit! 
Laßt mich doch ſehn — 
(Odo und Radulph fteigen den Pfad hinab, Odo reift Gytha die Hülle vom Haupf) 
Gytha 
Nun, Ddo, Fennft du mich? 


Odo 
Graf Godwins Weib! 


Gytha 
Und Mutter feiner Söhne! 


Wilhelm 
(der unterdefjen mit Montgomery gleichfalls heruntergeftiegen tft) 


Laßt mich dag AUntlig diefes Toten fehn — 
PBorwärts die Fackeln! 


BE Sn be ll mm > oe nn 








Fünfter Akt 131 





9 


Radulph (leuchter auf Harold) 
Gnäd’ger Herr, er iſt's! 


Wilhelm 
Hab’ ich dich, Harold! An dem Strand des Meeres, 
Wo e8 am Ödeften, da fcharrt ihn ein! 
Ein Frevel wär’s an chriftlihem Begräbnis, 
Wenn es ihm würde — Gräfin — hebt Euch fort — 
Harold bleibt hier. 

Gytha 

Herzog, ich bitte Euch, 

Gebt meinen Sohn mir, und ich gehe hin, 
Stumm — ſage nichts von alledem, 
Was ich Euch ſagen könnte — 


Odo 
Der Herzog ſoll ſie fürchten? 


Gytha 
Lache nur! 
Dein Herr verſteht mich wohl. 


Wilhelm 
Bei Gottes Glanz, 
Treibt's nicht zu weit — ich ſag' Euch, der Meineid'ge — 


Gytha 

Wilhelm, ruf' Gott nicht wach mit deinem Schwur! 
Es kommt die Stunde, ſchrecklicher als dieſe, 

Wo nichts dein Heer dir hilft und nichts dein Sieg, 
Und nichts der Troſt, den Argliſt dir erſann! 

Dann wird ſein Angeſicht dir Gott verhüllen, 
Schwarz, ſchrecklich wie in dieſer grauſen Nacht, 
Auf einer Wage wird er dann Euch wägen, 

Robert und dich und Harold, meinen Sohn — 


Radulph 
Still, Wahnprophetin. 
Gytha 
Und zuſammen Ihr, 
Ihr werdet leichter fein! Robert und Wilhelm, 


Hört dies Weib! 


132 


Harold 





Verderber und Zerftörer meines Haufes, 
Die Ihr ins ernfte AUngeficht des Todes 
Zu lügen wagt — 
Odo 
Fürchtet den Zorn des Herzogs! 


Gytha 
Ach, Tor, du haft noch nicht geſtanden 
Bei zwei verlornen Söhnen; fürcht' er mich, 
Wenn Gott er fürchtet! 


Wilhelm 
Solch ein rafend Weib 
Wagt mehr als zwanzig Männer. Geht Ihr nun? 


Gytha 
Nicht, eh” du meinen Sohn mir gibft — ich ſchwör's! 


Wilhelm 
Und eh’ nicht Gott ein fichtbar Zeichen fut, 
Geb’ ich den Sohn dir nicht; ich ſchwör's! 


Dritter Auftritt 
Der Senefhall (kommt ven Steig herab zu Den vorigen) 


Wilhelm 
Was bringt ung 
Der Seneſchall mit folcher düftren Miene? 


Senefhall 
Mit düftrer Miene düftre Runde, Herr. 


Wilhelm 
Bon wo fommt Eure Runde? 


Seneſchall 


Aus Rouen: 
Adele — Eure holde Tochter — ſtarb. 


Wilhelm (werbütt ſich die Augen) 
Tot! — — — Dachte fie noch fterbend ihres Vaters? 


Fünfter Akt 133 





Seneſchall 
Ein Name wohnte auf den bleichen Lippen, 
In tauſend Schmerzen tauſendfach genannt — 


Wilhelm 
Der Name? — — 


Seneſchall 
Herr — 


Wilhelm 
Der Name? 


Seneſchall 
Harold. 
Wilhelm 
Harold! — — 
Gebt diefer Frau den Leichnam ihres Sohnes! 


Vorhang fällt 


Ende. 





Der Menonit 
Trauerfpiel in vier Akten 





Derjonen 


Waldemar, Ültefter einer Menoniten- Gemeinde 
Maria, feine Tochter 


Beat: fein iegefopn 


eg - Mitglieder 
Sofepb der Menoniten- Gemeinde 
Hieronymus 


a h Hauptleute der franzöfifchen Garnifon in Danzig 


Henneder, ein Weftfälifcher Bauer 
Ein Rnabe ® 
Menoniten und franzöfifche Soldaten 
Drt der Handlung: ein Dorf bei Danzig 
Zeit: 1809, während der Befegung Danzigs durch die Franzofen 


Male im 
Zum erften — zu Frankfurt a. M. 





Erfter Akt 139 


Erfter Akt 


Szene: Ein mit dichtbelaubten Bäumen beftandener Garten, defjen 

Hintergrund ein Gitter mit Gittertür abſchließt. Rechts ein länd- 

liches (er mit einem Vorbau in der Art einer offenen Laube, zu 

welhem aus dem Garten einige Stufen hinaufführen; über dem 

Vorbau ein Giebel mit einem nad) dem Garten gehenden Feniter, 

neben dem Vorbau ein Glodenftrang mit daran befeftigter Glocke, 
Unter den Bäumen vorne eine Ban. 





Erfter Auftritt 


Waldemar (fteht in tiefen Gedanken an einen Baum im Vordergrunde gelehnt, 

den Rüden nach dem Haufe gewandt). Maria (erjcheint aus dem Haufe, bleibt eine 

Zeitlang, den Vater befrachtend, in der VBorlaube jtehen; dann gebt fie zu ihm heran 
und legt ihm janft die Hände auf die Schultern) 


Maria 
So tief geträumt: Laß mich vom AUngefichte 
Dir Iefen, ob der Traum ein fchöner war. 


Waldemar wendet fich lächelnd zu ihr) 
Bift du zufrieden? 
Maria 
Als du vor mir ftandeft, 
Erfchienft du mir wie einer der Propheten 
Der alten Zeit, die Seele ganz verjenft 
In heil'ge Bilder; woran dachteft du? 


Waldemar 
Ich laufchte auf das Schweigen der Natur. 
Horh — der Infeften jchwirrendes Gefumme, 
Der Blätter Raujchen und der Blumen Hauch 
Vereinen fih zum feierlichen Klange 
Der großen, fanften Weltenharmonie. — 
Wie alles blüht in ftiller, füher Wärme. — 
D Friede, Traum des alten Paradiefes, 
Ewig erfehnt von den bedrängten Menfchen 
Und immerdar verfcherzt durch eigne Schuld. 


Maria 
Iſt Friede ſolch ein feltner Erdengaft, 
Sp wohnt er doch bei ung? 


140 Der Menonit 





Waldemar 

Das will ich hoffen; 
Doch wenn’s fo ift, jo darf ich mich nicht rühmen. 
Schnee deckt mein Haupt, und unter diefem Bahrtuch 
Welkt Leidenschaft und jchläft in Frieden ein. 
Doch eh’ es Winter ward auf diefem Scheitel, 
War e8 auch Sommer einft in diefer Bruft. 
Ya, liebes Rind, wie du mich heute fiehft, 
Sp war ich früher nicht; e8 gab auch Seiten, 
Da ich in Städten Handel treibend lebte, 
Bon Hoffnung ſchwankend Fünftigen Gewinns 
Zu der Befürchtung dräuenden Verluftes. 


Maria 
Davon erfuhr ich nie bis heut, mein Vater, 
Sp wardſt du nicht als Landmann bier geboren? 


Waldemar 
Nein, ich gehörte einft der großen Welt. 
Was fie bewegt, das hat auch mich bewegt. 


Maria 
Sp weiß ich nun, woher die Weisheit ftammt, 
Die ich jo manchesmal an dir beivundert, 
Wenn du zu mir von Welt und Menfchen fprachit. 


Waldemar 
Ja, aus Erfahrung; und Erfahrung nur 
Gibt ficheren Befis. Pas ift der Grund, 
Warum ich Reinhold, meinen Pflegefohn, 
Zu feiner Reife in die Welt entjandte. 
Die Zeit war gut gewählt: Er wird die Welt 
In greulich hadernder Serrüttung finden 
Und doppelt glüclich fein als Menonit. 
Ich habe von den Dingen dir gefagt, 
Die jest fo ſchwer die Menfchenwelt erjchüttern. 


Maria 
Du fprachft mir von dem Kaiſer der Franzoſen, 
Dem fchrecklichen Napoleon. 


Erſter Aft 141 





Waldemar 
Samwohl. 
Welh Meer des Leids geht von dem Manne aus. 
Ach, unfer ftilles Dorf gleicht der Daſe, 
Um die die Wüftenlöwen brüllend gehn. — 
Geliebte Bäume; bier gedeiht in Rube, 
Wen ihr befchattet — ſieh' doch, welch ein Zeichen 
Seh’ ich in diefe Rinde bier gefchnitten ? 
(Er betrachtet den Baum, an dem er fteht) 
Zwei Herzen — und in jedem ein Buchitabe? 
Bier R — hier M diese Maria an Wie nun? 


Maria 
E63 war vor Zeit — 
Waldemar 
Als Reinhold diefes ſchrieb? Nicht wahr? 
Maria 
O Bater, 
Du rieteft — 
Waldemar 


Was nicht ſchwer zu raten war. 
Wann alfo fchrieb er das? 


Maria 
Bevor er ging 
Zu feiner Reife; geftern war’s ein Jahr. — 
Du blickſt fo ernft; eg war ein Spiel, mein Vater. 


Waldemar 
Sp, fo, ein Spiel. 
Maria 
ft er gleich nicht mein Bruder, 
So lebten wir als Bruder doch und Schwefter 
In deinem Haus. Den Ruß, den er mir gab, 
Ih nahm ihn als den Abſchiedskuß des Bruders. 


Waldemar diest ſich auf die Bank) 
Mein liebes Mädchen, andre Väter lächeln, 
Wenn fie den erften ſüßen Liebestraum 
In ihres Kindes Seele blühen fehn. 


142 


Der Menonit 





Wir leben in fo drangvoll ſchweren Seiten, 

Daß uns nicht Zeit zum Lächeln bleibt. Maria, 
Sch liebe Reinhold ganz als wär's mein Sohn; 
Denn eine Flamme fprüht in feiner Seele, 

Die einen edlen Mann ung reifen fann. 

Noch aber flackert diefe fchöne Flamme, 

Noch läßt an ihr fich nicht der Herd erbau’n, 
Er wird ein Mann dereinft, noch ift er’s nicht. 
nd wir, die wir im Meer fo vieler Feinde 
Den Nachen unferer Gemeinde führen, 

Wir brauchen Männer, die am. Ruder ftehn. 
Drum höre mich: was dir an jenem Tage, 

Als Ihr gefpielt, das junge Herz bewegt, 
Maria, trautes Kind, e8 darf nicht fein. — 

Du ſenkſt das Haupt — du zürneft deinem Vater? 


Maria 
Nein — denn ich glaube, daß ich nichts verliere. 


Waldemar 
Dies ift ein ernfter Tag für dich, mein Rind: 
Du kennſt Mathias — 

Maria 
Wie ich alle kenne 

Bon der Gemeinde. 

Waldemar 

Diefer Mann bat nichts 
Bon dem, was Reinhold liebenswürdig macht; 
Er ift ein erniter, ftrenggefaßter Mann; 
Allein die dunfle Stimme unſres Blutes, 
Die mehr vielleicht für Reinhold fpricht als ihn, 
Das ift die Stimme der Verführerin, 
Die um das Paradies die Menfchen fchwagte. 
Auch weißt du, ift er älter weit, als Reinhold, 
Und ihm ſteht's an, daß er ein Haus fich gründe 
Sn der Gemeinde — höre an, mein Rind: 
Mathias warb bei mir um deine Hand. — 
Sagſt du mir nichts? 

Maria 


Du willft, daß fein ich werde? 


Erfter Akt 143 





4 Waldemar 
Das ift mein Wunfd. 
Maria 
Ich weiß nichts von dem Mann; 
Gleichgültigkeit Liegt endlos zwifchen uns, — 
Du aber lobſt ihn, wohl, jo fenn’ ich ihn — 


Waldemar düst fie 
D Gottes Segen auf dein junges Haupt. 


Maria (küht ihn auf die Stirn) 
Tät' ich doch alles, um auf diefer Stirn, 
Die Sorge mit fo tiefen Spuren furchte, 
Nur eine einz’ge Falte auszuglätten. 


Zweiter Auftritt 
Mathias (kommt aus dem Hintergrunde zu den vorigen) 
Mathias 
Frieden mit Euch! 
Waldemar 
Das gleiche dir, Mathias. 


Mathias Gu Waldemar) 
Spracht Ihr mit Eurer Tochter ? 


Waldemar 
Ja, mein Sohn. 
Mathias 
Nun — und die Antwort? 


Waldemar 
Sieh fie felber an, 
Wie fie verfchämt in ftummen Gluten prangt — 
Braucht du noch Antwort? 


Mathias (zu Maria) 


Reicht mir Eure Hand! 
(Er bietet ihr die Hand, in welche Maria fchüchtern die ihrige legt) 


Ich kann Euch nicht, nach eitler Laffen Weiſe, 
Den Weihrauch ſüßer Worte ftreu'n; — genug 


144 Der Menonit 





Mit diefem Wort: mich freut’s, daß Ihr einwilligt; 
Und fo veriprech’ ich Euch, ich will Euch halten 
Als die rechtjchaffne Frau rechtichaffnen Mannes, 
Dies hier, Ihr wißt es, ift noch nicht Verlobung; 
Noch muß von der verfammelten Gemeinde 

Der Bund genehmigt werden — doch ich denfe, 
Daß die Beftätigung nicht fehlen wird — 

Doch bitt' ich Euch, verfprecht mir heute ſchon, 
Daß Ihr von diefer jeg’gen Stunde an 

Euch fühlen wollt alg mein vermähltes Weib. 


Maria 


Ich gab Euch meine Hand — 


Mathias 
Berfteht mich recht: 
Sn Eurer Seele foll von diefer Stunde 
Kein Bildnis wohnen neben meinem Bil. 


Maria 
Doch meines Vaters? 
Mathias 
Eures Vaters freilich, 
Allein fein drittes. 
Maria 


Wie verfteh’ ich Euch? 


Waldemar 
Du ängftigft fie, mein Sohn. 


Mathias 

Mein, Waldemar; 
Iſt fie die Tochter echter Menoniten, 
Sp muß fie wiffen, daß die heil’ge Kraft, 
Die in der Sündflut fündenvolleer Menfchheit 
Unſre Gemeinde trägt, die Wahrheit iſt; 
Verſteht mich recht: nicht jene äußere Wahrheit, 
Die auch die Rinder diefer Welt bejigen, 
Die „ja“ nicht jagt ftatt „nein“, — die heil’ge Wahrheit, 
Die furchtlos mit der Fackel niederfteigt 
Zn die verborgnen Schlünde unfrer Seele. 


Erfter Akt 145 





Des Menfchen Herz, es ift nicht unergründlich ; 
Dies Lügenwort erfand nur fünd’ge Schwäche, 

Die nicht ergründen will. Gebt Ihr das Herz mir, 
Sp fordr’ ich’ ganz. Laßt Euer Herz nicht gleichen 
Den Herzen jener weltgefinnten Srauen, 

In denen ftet3 verfchloßne Rammern find, 

In welche nie der Blick des Gatten dringt. 

Des Weibes Herz fei ihres Mannes Tempel, 

In den er flüchtet, um zu Gott zu beten — 

Darum verfprecht mir — 


Maria 
Laßt, es ift genug — 
Ihr denkt nicht hoch von Frau’n, da Ihr jo oft 
Mich zu verfprechen zwingt — wohl, ich verſprech' Euch, 
Weil's meines Baters heil’ger Wille ift, 
Will ich die Eure fein. 


Mathias 
Ich acht’ es ſehr, 
Daß Ihr jo hoch des Vaters Willen achtet, 
Doch — ift es das allein, und nichts als das, 
Was Euch bewegt? 
Maria 
Braucht Ihr denn mehr, Mathias? 


Mathias 
So fei es denn. — Das, was ich Liebe nenne, 
Sit nicht die Spielerei der müß’gen Geelen, 
Mit der man Bräute liebt, doch feine Frau'n; 
» Die biete ich Euch nicht. 


Waldemar 
Kommt, meine Rinder, 
Reicht Euch die Hände. Niemals wurde noch 
Ein hoffnungsvoller Band geknüpft als diefes: 
Dir, lieber Sohn, wird ihre milde Nähe 
Die Strenge mildern; du, mein teures Kind, 
Wirft deines Mannes große Seele lernen, 


In welcher ficher die Gemeinde ruht. 
(Er legt ihre Hände zufammen, dann fällt ibm Maria lautlos um den Hals; es 
entiteht eine furze Pauſe) 
+» Dramen VII 10 


146 


Der Menonit 





Mathias 
Mich rufen dringende Gefchäfte ab; 
Ihr wißt: heut gilt e8 hundert Scheffel Weizen — 


Waldemar 
Nach Danzig einzuliefern ? 


Mathias 
Sa, nach Danzig. 
Ganz unerträglich werden fchier die Laften, 


Die der Franzofe ung vom Leben preßt. 

(Wendet fich zum Abgehen und bleibt im Abgehen ftehen) 
Nun feht, das hätt’ ich beinah doch vergeſſen: 
Ihr wißt, daß Reinhold wiederkam? 


Maria 
Reinhold ? 


Mathias die betrachtend) 
So Sagt’ ih — 
Waldemar 


Wir hören es durch Dich, wir wußten nichts ! 
Wann kam er? 
Mathias 
Heut. Gut, daß er endlich heimkommt, 
Man braucht ihn nöt’ger hier — 


Waldemar 
Laß mich doch ſehen — 
Wo diefer böfe Wandervogel bleibt. 
(Seht nach dem Hintergrunde) 


Dritter Auftritt 
Reinhold (erfcheint in der Tür des Haufes) 


Maria 
D Bater, bier! 
Reinhold 


(eilt auf Waldemar zu, umarmt und küßt ihn) 
Fa, Vater Waldemar, 
Hier ift der Neinhold! Tauſendmal grüß’ Gott 


Waldemar 
Mein lieber Junge — 


Erfter Alt 147 





Reinhold 
Wo auch fucht Ihr mich? 

Denkt Ihr, ich follte durch das Gartenpförtchen 
Wien Fremdling fchleihen? Dein, ich fam durchs Haus, 
Durch diefes Haus, wo jeder meiner Schritte 
Ein Echo mir glückjel’ger Stunden wedt! 
D diefer ganze traute Erdenfleck, 
Ein Angeficht mit wohlbefannten Zügen, 
Sieht er den Heimgefehrten freundlih an — 
Und wie mit weichen Armen des Empfangens 
Umfängt es meine Seele — wißt Ihr auch, 
Ein ganzes Jahr lang war ich fern von Euch — 
Freut's Euch ein wenig, daß ich wiederfam? 


Waldemar 
Su läßt mir nicht den Atem, dir's zu fagen. 


Reinhold 
Und wie erging es Euch, Jungfrau Maria? 


Mathias 
Welch ein feltfamer Gruß. 


Reinhold 
Im Süden unten, 
Wißt Ihr, Fam ich in jene Kirchen oft, 
In denen fie zur Mutter Gottes beten; 
Maria beißt fie — hörte ich den Namen — 


Mathias 
Das tadle ich, daß du, ein Mennonit, 
‚In Kirchen gingft, wo Katholiken beten. 


Reinhold 
Glaubſt du, daß ich deshalb abtrünnig ward? 
Sei nicht fo ftreng, Mathias, fchilt mich nicht; 
Nie war mein ganzes Herz fo freu bei Euch 
Wie in den Stunden. 

Mathias 

War dein Herz bei uns? 


Bei allen uns? 
10* 


148 


Der Menpnit 





Reinhold 

Bei wen denn fol!’ es nicht? 
Ach, hätteft du wie ich die Welt gefehn, 
Den Klageruf der Menfchen angehört, 
Die unterm Odem diefer Kriegesſtürme 
Verwelken wie das Gras im erften Froft, 
Du wüßteſt es, wie täglich fih mein Herz 
Nach diefem ſel'gen Frieden heimgefehnt, 
Der Euch umgibt. 


Mathias 
Der Friede wird erworben 
Durch unfere Urbeit — darum bitt! ich, Reinhold, 
Geh jegt mit mir, denn ernftejte Gefchäfte 
Sind heut mit den Franzofen abzutun., 


Reinhold 
Noch immer ganz der eifrige Mathias. 
Dein Fleiß beſchämt mich, doch ich bitte dich, 
Gewähr” mir jetzt noch Ruhe, 


Mathias 
Du willft bleiben ? 


Reinhold 
Nun, habt Ihr ohne mich ein ganzes Jahr 
Mit den Franzoſen Euch zurechtgefunden, 
Sp mein’ ich, könnt Ihr’s diefen einen Tag. 


Mathias 
Was jagt Ihr, Waldemar? 


Waldemar 

Was foll ich jagen? 
Zt dies ein Anlaß auch zu ernften Reden? 
Komm ber, Mathias, ich will mit dir gehn 
Und deine Mühen teilen — diefer hier 
Mag heut das Recht verwöhnter Rinder haben, 
Die lange man entbehrt — ing Haus, mein Junge, 
Und ruh' dich von der Reife. 


Erfter Akt 149 





Reinhold 

D mein Vater, 
Nie follt Ihr fürder meine Arbeit tragen — 
Mein fei, was Euch bedrückt. Mein frifches Leben 
Verknüpfe ich mit Eurem greifen Alter, 
Gleich einem Stab, der willig feine Kraft 
Zur Stüge altehrwürd’ger Bäume leiht — 
Heut denn, zum legenmal, tragt meine Arbeit, 
So fei e8 mir ein vorbedeutend Zeichen — 


Waldemar 
Mein Sohn, du fprichit in feltfamer Erregtheit; 
Zeichen — wofür? 


Reinhold (mit einem Bd auf Maria) 
Wofür? — Nun dafür denn, 
Daß Ihr mich liebt, wie ich Euchuherzlich liebe. 


Waldemar 
Seltfamer Junge, braucht’S dafür noch Zeichen? 
Maria fol dir einen Imbiß richten. 


Mathias 
der mit fich kämpfend geftanden bat, ob er mit Maria — ſolle) 


Ich denke nun, wir gehn. 


Waldemar 
Ja ja, wir gehen; 


Der Junge ſchwatzt uns noch um den Verſtand. 
(Waldemar und Mathias nach dem ne ab; Mathias wirft einen düfteren 


Reinhold. Maria. 


Maria 
Nun wartet einen Augenbliet hier draußen, 
Bis ih den Imbiß Euch — 
(Sie erhebt ſich von der Bank, auf der fie geſeſſen und wendet ſich dem Haufe zu) 
Reinhold 


Maria, bleibt. 
(Ex zieht fie fanft auf die Bank zurüd und tritt neben fie) 
Denn jest, Maria, kam die große Stunde, 


Vor welcher lange meine Seele ftand, 


150 


Der Menonit 





In Hoffnung fehauernd, gleich dem ſel'gen Rinde, 
Das an verjchloßner MWeihnachtstüre laufcht — 


Maria 
Welch eine Stunde meint Ihr? 


Reinhold (tritt an den Baum) 
Hebt die- Augen — 
Kennt Ihr dies noch? Geht, wie der liebe Baum, 
In den ich fpielend diefe Zeichen grub, 
In Sturm und Hiße treulich fie bewahrte. 


Maria 


Sch bitt' Euch, Reinhold — 


Reinhold 
Nein, feht her, ich bitte. 

Jung war der Baum und- weich noch feine Rinde, 
Als ich ihm diefe Namen anvertraut, 
Doch blüht er fort, fowie er heut gedeiht, 
Wird er fie fragen bis zu unfren Enfeln. 
Zung war dies Herz, und zitternd ganz vor Wonne, 
Als Euer Name fih und Euer Bild 
Kraft eignen Reizes tief hineingeprägt. 
Maria, deren Bild mit mir gegangen, 
Gleich diefem Lebenshauch in meiner Bruft: 
Wie eine DOpferfchale voller Glut 
Leg’ ich dies Herz zu Euren Füßen nieder: 
Sch liebe Euch, Maria. 


Maria 
Reinhold — hört mich. 


Reinhold 


Nichts andres will ich als Euch hören; ſprecht. 
(Maria blickt in ſtummem Rampf zur Erde) 


Maria (für fich) 
O feiges Zittern — (aut diefes Schweigen, Reinhold, 
Darf Euch nicht täufchen — hört mich an, ich bitte, 
Sp ruhig, wie ich ruhig zu Euch fpreche: 
Mathias hat um meine Hand geiworben. 


Erfter Akt \ 151 





Reinhold 
Mathias? Wann? 
Maria 
Heut, kurz bevor Ihr famt. 


Reinhold 
Maria 
Sch weiß nicht, was Ihr meint. 
Reinhold 
⸗ Maria! 


Ihr wißt nicht, was ich meine? D dies Wort 
Erfchriet vor feiner eigenen Beerheitl Gagt mir — 
m Gottes willen, nein, es kann nicht fein, — 

Er fand Erhörung? 


Ind Ihr? 


Maria 
Ihr habt recht verjtanden — 


Reinhold 
Erbörung, ee? Mathias, Eure Hand? 
(Paufe) 


Maria 
Ich flehe, Reinhold, hört mich — 


Reinhold 
Mein, jet nicht — 

Beim ew'gen Leben Eurer ew’gen Seele, 
Liebt Ihr Mathias? — Unglüdfelige — 
Noch zittern dir die Lippen von dem „ja“, 
Das du vor fünf Sekunden zu ihm fagteft 
Und jest jchon weißt du nicht, ob du ihn Tiebit? 
Nein — dies Geficht, das fo zu Boden finkt, 
Klagt Schrecklich ftumm dich an: Du liebft ihn nicht! 
Und höre mich, du wirft ihn niemals lieben! 


Maria 


Was tat ih Euch, dab Ihr fo ſchwer mich peinigt? 


Reinhold 
Was du mir tateft? Alles tatjt du mir! 
Warum verfchiworet Ihr Euch wider mich? 


152 


Der Menonit 





Er nannte meinen Freund ſich — diefer Mann — 
Und ich, ich war fein Freund! Er mußte alles, 
Wußt' e8 von mir — mein Herz war ihm ein Buch 
Mit offnen Seiten, und auf jeder Geite 

Las er gefchrieben meine tiefe Liebe — 

Und hinter meinem Rücken geht er hin 

Und ftiehlt das Kleinod, das ich ihm vertraute! 


"Maria 
Ihr dürft nicht jo von diefem Manne fprechen, 


Ihr Täftert! 
Reinhold 


Ah — verteidigft du den Bräut’gam? 
Das lobe ich — o Weiber lernen fchnell, 
Schneller als Männer — doch beim eiw’gen Gott, 
Du liebſt ihn nicht, warum denn fprachft du ja? 


Maria 
Weil ich nicht meines Vaters graues Haupt 
Mit Rummer furchen konnte — 


Reinhold 
Deines Vaters — 
Maria 
Mein Bater — ja — vor dem mein Wille auslifcht 
Wie vor dem Willen Gottes — 


Reinhold 
Deines Vaters? 
Dein Vater wollte dies? D kann es fein — 
Warſt du fo furchtfam, daß du ihm verjchtwiegit, 
Was wir einft fprachen an dem beil’gen Baum? 
Sagteft du nichts von dem? 


Maria 
Reinhold, la ab — 
Reinhold 
Du fagteft nichts ? 
Maria 


Sch fagte ihm — 


Erfter Akt 153 





Reinhold 
Er wußt' es? 
Und dennoch — ab, bei Gott, das tut mir leid — 
Denn diefen alten Mann, ich liebt’ ihn ſehr — 
Wie feinen eignen Sohn empfängt er mich 
Und unterdes — ab, lift’ger alter Mann! 


Maria (fpringt auf) 

Was fagjt du? Liftig? Schmähe auf Mathias, 
Doch meinen Vater nicht — ich will es nicht, 
Sch duld’ es nicht, dai deine böfen Worte 
Sein teures Haupt beichimpfen! Reinhold, Reinhold, 
Sch habe nichts auf Erden mehr als ihn, 
Willft du auch das mir nehmen? 

(Sie finkt weinend auf die Band) 


Reinhold 
D der Ton 

Klang fait jo füß wie der, als du zuerft 
Mich Reinhold nannteft — jage mir, Maria, 
-Da du fo mutig kämpfſt für deinen Vater, 
Strittft du nur halb jo mutig denn für mich? 
Haft du ihm denn gejagt von jenem Menfchen, 
Der feinem Weibe in das Antlitz ſah, 
Weil’s nicht das deine war? Drang er denn in dich 
Mit finftrer Strenge, als du ihm gejagt, 
Daß du mir Treu’ verſprachſt? 


Maria 
Das tat ich nie! 
Niemals verfprach ich dir — 


Reinhold 
Du tat'ſt es nicht? 
An jenem Baume nicht? 


Maria 
Mit feinem Wort. 


Reinhold 
Und diefes Herz, das Elopfend lag an meinem, 
Und diefer Ruß und diefer Bli des Auges, 


154 Der Menonit 





Der wie ein Glutſtrom in das meine floß, 
Es war fein Wort? 


Maria 
Wir waren Kinder, Reinhold. 


Reinhold 
Fa, und Mathias ift ein kluger Mann — 
KRaltherz’ge, weife Tugend — zeig’ mir doch 
Den Ring, den dir der Bräut’gam mitgebracht. 


Maria 
Wir find noch nicht verlobt. 


Reinhold 

Noch nicht verlobt? Gei alles denn vergeflen, 
Was zwifchen jenem Tag und diefem war; 
Komm, geh mit mir, wir -treten vor den Pater 
Und vor Mathias und vor die Gemeinde, 
Und unfre junge Liebe wird um uns 
Ein folches Lichtkleid breiten, daß fie ſprechen: 
„giebt Euch, Ihr Kinder“ — fühes Mädchen, Mut! 
Könnt’ ich die Glut, die mir im Herzen lodert, 
In dir entfachen, deine Sorgen alle 
Zergingen wie ein Nachtgewürm im Licht! 

(Er will fie an fich ziehen) 

Maria (wendet fich ab) 
D Stimme des PVerfuchers, fehmweige ftill ! 


Reinhold 
Und das ift deine Antwort? 


Maria 


Dieſe Antivort 
Haft du mir leicht gemacht. 


Reinhold 
Nun denn, fo bade 
Im falten Waffer deiner Tugend dich, 


Bis daß du drin erftarrft! 
(Wendet fich zum Abgehen nach dem SHintergrunde) 


Erfter Akt 155 





Maria 
(nach einem furzen, ſchweren Kampf) 
Reinhold ! 


Reinhold 
Was ijt noch? 
Maria 
Bleib’ meines Vaters Sohn — und — ſei mein Freund. 


Reinhold 
Aus FSreundfchaft, hört’ ich, könne Liebe werden; 
Liebe, die Freundfchaft wird, war Liebe nie. 

(Rafch durch den Hintergrund ab) 

Maria (allein) 
Ich tat nach deinem heil'gen Willen, Gott; 
Warum dies dumpfe Schweigen meines Herzens? 
Ih habe dem Verſucher widerftanden — 
Er ein Verſucher? Wer find dann die Reinen! 


Vierter Auftritt 
Mathias. Tiſſot. Despreaur (kommen aus dem Haufe und bleiben in der 
Vorlaube jtehen) 
Mathias 
Der Weizen, wiederhol’ ich, wird heut abend 
In Danzig fein. 
Tiffot 

Ah bah, la bagatelle! 
Langweilit Volk die Deutfch! (Gewahrt Maria) Mais voyez la — 
Mais — ſeh Gie, Herr Ram’rad, das fchöne Kind, 


Despreaur 
Wir fommen auf Befehl des Kommandanten. 


Tiffot 
C'est cela — le commandant. Braves Soldat, 
Doch viel Bu mild. (Zu Mathias) 
Sag’ Sie, wie heißt das Mädchen? 


Mathias 
Der Rommandant — 


156 Der Menonit 





Tiffot 
Mais oui, le commandant. 
Mon camarade, fu’ Gie mir den Gefallen, 
Sag’ Sie ihm den Befehl. 


(Steigt die Stufen herab, Maria will nach dem Hintergrunde abgehen, Zifjot eilt 
auf fie zu und vertritt ihr den Weg) 


Eh, eh, bleib’ Sie — 
Nit fortgehbn — non! 


Mathias 
Herr Kapitän, ich bitte — 


Tiffot 
Frag’ Sie nur ce monsieur. Spricht deutfche Spraf, 
ft von Gen’ralftab. 
(Segt ſich auf die Bant) 

Eh, venez, la belle — 
Komm, fe’ ſick Bu mir hier auf diefer Bank. 
Causons un peu. Wie beißen fchönes Rind? 

(Er faßt Marias Hand, welche diefe zurückzteht) 


Maria 
Mein Name, den?’ ich, tut bier nichts zur Sache. 


Despreaur (zu Mathias) 
Es bat ein preußifcher Major von Schill 
Mit Waffen wider Frankreich fich erhoben 
Und fendet Werber aus für feinen Aufftand. 


Mathias 
Herr Rapitän, Sie werden felbft nicht glauben, 
Daß unfre Dorfgemeinde Unteil hat? 


Despreaur 
Das will ich glauben. Ihre Lehre, hört’ ich, 
Berbietet Ihnen Kampf und Waffen? 


Mathias g 
q, 
Wer Blut vergießt, der fol duch Menfchen fterben, 
Wer Waffen führt, ift nicht mehr Menonit. 


Erfter Akt 


157 





Tiffot wendet fich zurüc) 
Ah tas de,läches! Sehn Gie, mon camarade, 
Dies Volk bier fein wie Bienen ohne Stachel, 
Sie können nir als jchluden und als ſammeln. 


Despreaur 
Bon einem diefer Werber wiſſen wir, 
Daß er in diefen Gegenden umberzieht 
Und einen Aufruf des Empörers Schill 
Im Land verteilt. Drum diefes der Befehl: 
Falls diefer Mann in Ihrem Dorf fich zeigt, 
Sp werden Sie ihn greifen und nach Danzig 
Gefangen liefern; wer den Aufruf annimmt, 
Und wen wir im Befis desfelben finden, 
Ob Mann, ob Weib, der gilt ung als Empörer 
Und kommt in Danzig vor das KRriegsgericht. 
Ihre Gemeinde wird danach fich richten? 


Mathias 
Der Kaiſer Frankreichs ift ung Obrigkeit; 
Ihr zu gehorchen heißt uns unſre Lehre. 


Tiſſot wie oben) 
Das Bolt fein jo friedfertif, widermwärtif 
Wie Fifche in das Waffer. — Eh enfin — 
(Er zieht Maria an fich) 
Maria 
Herr Rapitän — 
Tiffot 


Ah bah — n’ayez pas peur. 


IE fein aus der Provence; in der Provence 
Gibt Schönes Mädchen einen ſchönen Kuß 
An jeden neuen Gaft. 


Maria 
Bei ung, mein Herr, 
Fit das nicht Brauch und Sitte, 


Tiffot 
Muß bübjches Mädchen lernen, 


Gute Sitte 


158 Der Meuonit 





Maria 
Helft, Mathias ! 
Mathias 
Herr Kapitän, Sie ängftigen die Jungfrau. 


Tiffot 
Jungfrau? Mais &coutez done, mon cam’rade. 
(Zu Mathias) Sag’ Sie, hat Sie mit Abraham und anderes 
Prophetenzeug zu Abendbrot gegeffen? 
Geh Sie Bu Ihre heilige Gemeinde, 
Mach’ Sie mu — mu — und bei’ Sie Rofenfranz 
Und Fehr’ fich nicht an Sach’, die Sie nir angeht. 


Mathias 
Die Jungfrau ift fo gut wie meine Braut. 


Tiſſot 
So werd' ich geben Kuß an Ihre Braut 
Und Sie fo gut wie Ruß — fo, Naſenſtüber. 


Mathias u Despreau) 
Ich bitte Sie, mein Herr — 


Despreaur 
Eh bien, Tissot, 
Sp mac)’ ein Ende, 
Tiſſot 
Mais, ick ſein dabei. 
Ce n’est que le premier pas qui coüte — komm Sie — 


(Zieht Maria gewaltfam an fich) 
Zier' Sie fih nit — 


Maria (fträube fich) 
Er tut Gewalt mir an! 


Fünfter Auftritt 


Reinhold (aus dem Hintergrunde zu den Vorigen, gebt auf Tiſſot zu, ſtößt ihn 
zurück und jtellt fich neben Maria) 


Was geht bier vor? Was unterftehn Sie fich? 


Erfter Art 159 





Tiſſot 
Peſt — wer ſein das? Sie hab' mick angefaßt! 
Reinhold 


Das weiß ich, und ſobald Sie ſich erlauben 
Das Mädchen frech noch einmal zu berühren — 


Tifſot 

Hé quoi gredin! Sein das auch Menonit? 

⸗ Reinhold 

Jawohl, das bin ich, doch zugleich ein Mann. 
Tiſſot 


Ze ſchneid' ihm ab die Ohr? — 


Reinhold (bolt aus) 

M Noch einen Schritt, 
Und Ihre Ohren follen meine Hände 
In allernächiter Nähe kennen lernen. 


Tiſſot 
Sacre tonnerre — ick will dick tanzen lehren! 
(Zieht) 
Despreaur (fällt ihm in den Arm) 
Halte lä, cam’rade, der Mann ift ohne Waffen. 


Tiffot 
Er bat mick angefaßt — vous l’avez vu! 
Ick will satisfaction! Das feige Zeug 
Kann fie nit fchlagen. 


Reinhold 
Meinen Sie? Gie irr’n. 
Ich werde mich mit Ihnen fchlagen. 


Tiſſot 
Ah — 
C'est autre chose. (Stedt ein) 
Despreaur 
Doch, Sie find Menonit? 


160 Der Menonit 





Reinhold 
Sch weiß, doch gilt's mir gleih. Sie ſoll'n nicht denfen, 
Daß wir aus Feigheit feine Waffen führen. 


Despreaur 
Sie haben diefen Herren ſchwer beleidigt 
Und müſſen auf Piftolen mit ihm kämpfen. 


Reinhold 
Ich bin bereit, doch muß ich Ihnen fagen — 


Despreaur 
Sie haben feine Waffen? 


Reinhold 
Allerdings. 


Despreaur 
(sieht aus der Piftolentafche, Die er umgejchnallt trägt, eine Piftole) 


Hier ift die meine. Gie find voller Mut 
Und Sie gefallen mir, 


Reinhold (nimmt die Waffe) 
Sch danke Shnen. 
Wann aljo? 
Despreaur dieht Tiffot an) 
Morgen? 
Tiffot 
Morgen früh, Glod’ acht. 


nd . Reinhold 
nd wo? 
Despreaur 


Im Wäldehen an der Weichfel. 


Reinhold 
Gut. 
Tiffot 
Spisbub’, auf morgen früh. 


Despredaur 


D pfui, das paßt nicht. 
Auf Wiederfehen, Herr — Ihr Name? 


Erfter Akt 161 





Reinhold 
Reinhold. 


Despreaur (reicht ihm die Hand) 
Nun denn, Herr Reinhold, bis auf morgen früh. 


Reinhold 


Auf morgen früh — ich werde pünktlich fein. 
(Despreaur und —— * Sintergrunde ab) 


Mathias 


(itebt, als wollte er ſprechen; dann geht er raſch nach hinten ab) 
Maria 
Was tateft du! 
Reinhold 


Sch werde tun, Maria! 
Sch werde tun — das ift das Machtgebot, 
Mit dem der Mann den finftren Riefen „Zukunft“ 
Gebietend unter feine Füße zwingt! — 


Maria 
Getötet werden — oder jelber töten — 
Beihüge Gott dich! 


Reinhold (ie Heiß umarmend) 
Ah — nun bift du mein! 

Mein, wie die Schönheit, die dem Mut gehört! 
Mein diefe Lippen und die fühe Frucht 
Bon deinen Lippen, diefer frunfne Ruß, 
Den fo ich pflüde — nun, o Ewigkeit, 
Magft du die ſchweren Fittiche des Todes 
Ums Haupt mir rollen, Tod und Leben beugen 
Bor einem mächt'gen Gotte fih: dem Mut! 


Vorhang fällt. 


Dramen VII 11 


162 Der Menonit 





Zweiter Akt 


Szene: Ein geräumiger Saal im Haufe Waldentars, Bänke an den 
Seiten, links ein Tiſch mit Stühlen, auf dem Tifche Bibeln; Türen 
rechts, links und in der Mitte, und auf beiden Geiten Fenfter 


Erfter Auftritt 


Mathias (komme fpähend durch die Mitteltür) 
Noch niemand bier — es ift noch früh am Morgen — 
Gewiß, fie fchläft noch — dieſes ift die Pforte, 
Die ihren Schlaf von meinem Wachen trennt. 
Glückſel'ge Nacht, in deren trunkne Arme 
Sich diefe Wonne hüllenlos ergibt — 

(Er bleibt an der Tür rechts ftehen, mit Düfter glühenden Blicken fie betrachtend) 
D — mie fie ſchön fein muß, wenn füßer Schlummer 
Die ftrenge Pracht der Glieder ihr gelöft — 

(Er tritt unwirſch an Das gegenüberliegende Fenſter und öffnet es) 

Graufeuchter Himmel fchütfe deine Flut 

In meine heiße Bruft — wie durft’ge Tiger 

Belauern meine Sinne ihren Reiz. — 

Gewiß auch träumt fie, und im Traume lächelnd 

Redt fie die Arme, und es führt der Traum 

Ein Bild ihr vor — das Bildnis weſſen? Meins? 
(Bitter in ſich hineinlachend) 

Meins? Lächelt fie denn auch, wenn fie mich fieht? 

Reckt fie denn auch nach mir die Arme? Nein! 

Du Fupplerifcher Traum, ich Fenne ihn, 

Den du an deiner Buhlerhand ihr vorführft: 

Sein Bildnis! Seins! Ich weiß es, ihre Seele 

Liegt ihm zu Füßen feit dem Augenblick, 

Da er fie aus der viehifchen Imarmung 

Des Feindes riß — und ih? — Dort geht der Weg 

Ins Wäldehen an der Weichjel — ab, Franzofe, 

Ich haſſe dich, doch wenn du heute träfeſt! — 

Dann wär’ er tot — und fort — wäre er tot? 

D Fluch der Srauenart: in ihrer Seele 

Wird er zu ew’gem Leben auferftehn, 

Sn blut’gem Lorbeer prangend wird fein Bild 

Sich ewig drängen zwijchen unfre Herzen 

Und jeden Ruß, den ihr die Pflicht entringt, 

Wird der Gedank' an ihn zum Schauder wandeln — 


Zweiter Akt 163 





Und wenn er fiegt — und Menfchen feiner Urt, 

Ich kenne das — umpfchmeichelt diefe Hündin, 

Die man das Glüd nennt — dann — zivar diejer Zweikampf 
Stieß’ ihn aus der Gemeinde — ab, die Gemeinde! 

Was fchiert mich die! Dort drinnen liegt die Gottheit, 
Nach der mich dürftet — dann bin ich ein Hausherr, 

An deffen morfche Tür der Räuber pocht. 

Er wird verbannt — fo leidet er für fie 
Zedwede Nacht, dab fie aufs Lager finkt, 
Seufzt fie und denkt, wo ruht nun der Verbannte? 
Und in Verbannung zieht ihr Herz ihm nach. 

Er darf nicht mehr des Ruhmes auf fich häufen; 
Sei’s, wie es ei, der Zweikampf darf nicht fein! 





Zweiter Auftritt 


Waldemar dm Hausrod, von links) 
Nun, das ift wahr: dich weckt der Morgen nicht, 
Du weckſt den Morgen. Waderer Mathias, 
Der erjte zur, der letzte von der Arbeit, 
Wenn es zum Dienjte der Gemeinde gebt. 


Mathias 
D lobt mich nicht — wär’ ich ein Menonit 
Und täte wen’ger? 
Waldemar 
Dächten alle jo, 
Wir wären eine wetterfefte Schar. 
Was gibt's nun heut? 


Mathias 
Ihr wißt es, der Gemeinde 
Bekannt zu machen, was der Rommandant 
Bon Danzig uns befahl. 


Waldemar 
Sa, ſag' mir doch, 
Was gab es gejtern hier mit den Franzoſen? 
Ich fand Maria totenbleich im Haus 
Und fo erregt — 
11* 


164 


Der Menonit 





Mathias 
Nun, jener Hauptmann Tiffot, 
Shr kennt ihn ja — 
Waldemar 
Wer fennt den Buben nicht? 


Mathias 
War ungeziemend gegen Eure Tochter 
Und beifchte einen Ruß — 


Waldemar 
Sit es erhört, 
Daß wir fo Schmähliches erdulden müfjen? 
Zu großem Danke bin ich dir verpflichtet; 
Du retteteft Maria vor der Schmach. 


Mathias 
Er wagt’ es nicht im Ernfte, fie zu küſſen, 
Das ift gewiß — doch Fam zum Schluffe Reinhold, 
Und diefer gute Junge braucht’ ein Mittel, 
D ich muß lachen, es war gut erfunden, 
Das den Franzoſen gleich zu Paaren trieb. 


Waldemar 
Neugierig machft du mich. Was tat denn Reinhold ? 


Mathias 
Er forderte den Hauptmann zum Duell. 
Erſchreckt Euch nicht, er tat es ja zum Schein. 


Waldemar 
Zum Schein? D nimmermehr, das tat er nicht, 
Das wär’ ein Schurfenftreih. Sag’ mir um alles 
Du haſt's mit eignen Ohren angehört, 
Daß er ihn forderte? — 


Mathias 
Nun allerdings. 
Auch muß ich leider dies hinzu noch fügen, 
Daß er fo unvorfichtig war, von den Franzofen 
Gleich die Piftole in Empfang zu nehmen. 


Zweiter Uft 165 





Waldemar 
Vergaß er fo das heiligfte Gefes 
Der Menoniten? 

Mathias 

Wenn es denn fein Ernft war, 

Blut zu vergießen — doch unglaublich ſcheint's mir — 
Dann freilid — 

Waldemar 

Komm und laß uns überlegen: 

Wir müflen der Gemeinde es verbergen 
Was er getan; Unrecht, daß ich, u ÄAlt'ſte, 
Solch ein Verſtecken ſpiele, doch du weißt, 
Wenn ſie's erfährt — 

Mathias 

Sp ift er ausgeftoßen. 


Waldemar 
Der tolle Junge. 


Mathias 
Uber unterdeflen 
Geht er hinaus ins Wäldchen an der Weichfel 
Und jchlägt den Zweikampf? 


’ Waldemar 
Nein, das wird er nicht! 


Mathias 
Und warum nicht? 
Waldemar 


Weil ich’S verbieten werde, 


Mathias 
Und glaubt Ihr, daß er willig dem Verbote 
Sich fügen wird? 
Waldemar 
Was jol’3? Haft du vergefjen, 
Da ich der Alt'ſte bin, dem Ihr gehorcht? 


Mathias 
D ich, mein Vater, nicht — auch dent’ ich wohl — 


166 Der Menonit 





Waldemar 
Bei Gott — ich rate Euch, daß Ihr es denkt! 
Sch will doch fehn, ob ich noch Manns genug bin, 
Solch einen jungen ftörr’fchen Hengft zu bänd’gen | 


Mathias 
Nur zürnt nicht mir. 


Waldemar 

Sch zürne nicht, mein Sohn; 
Wann gabit du jemald Grund zum Zürnen mir! 
Und ihm auch zürn' ich wen’ger, als ich follte, 
Dem wilden Tolltopf. Geb doch, ruf ihn her. 


Mathias 
Gleich will ich gehn. 


Waldemar ibm nachrufend) 
Ich möchte gern ihn Sprechen, 


Noch ehe die Gemeinde fich verfammelt. 
(Mathias ab durch die Mitte) 


Waldemar 

D Reinhold, meine eigne wilde Jugend 

Tritt mir in dir entgegen. Sa jo geht's: 
‚Die Fehler unfrer jungen Tage Elopfen 

Beim grauen Ulter wie Bekannte an 

Und ſehn uns liftig lächelnd ins Geficht; 

Muß man verfolgen, kann man doch nicht haffen. 

Maria noch nicht auf? (Pot an die Tür rechts) Ho — Schläferin. 
Nun — feine Antwort? find Was ift das, Maria? 


Dritter Auftritt 
Maria (tritt langfam aus der Tür rechts) 


Waldemar 


Wie fiehft du aus! Bleich — übernächtig, Rind! 
Komm, bift du Frank? 


Maria 


Sch weiß es nicht. 


Zweiter Akt 167 





Waldemar 
Du weißt nicht? 
Maria 
Web tut das Herz mir. 
Waldemar 
Wie? Das Herz? 
Maria 


Ach, Bater. 
Waldemar (iest ih auf einen Stuhl mitten auf der Bühne) 
Das ift von geftern noch? Der böſe Bube 
Hat dich fo tief erjchredt? 


Maria 
Wär’s das allein, — 
Sp — laß mich fisen jo auf deinem Knie 
(Sie jest fih auf Waldemars Knie und legt den Arm um feinen Hals) 
Weißt du, jo jaß ich bei dir an dem Tage, 
Als fie die Mutter uns begruben. 


Waldemar 





Kind — 
Maria 
Den Arm um deinen Hals, ganz fo wie heute, 
In diefer öden, leer geiword’nen Welt 
Das einz’ge feitzuhalten, was mir blieb — 
Denkſt du daran, mein Vater? 


Waldemar (cüßt fie) 
Ia, Maria, 
Doch warum mahnft du mich an alles das? 


Maria 
In deine teuren Augen blickt’ ich auf, 
Wie heut ich's tu’, und las darin gefchrieben, 
Daß du von nun an Pater mir und Mutter, 
Berater meiner forgenvollen Stunden, 
Troſt würdeft fein für mein bedrängtes Herz. 


Waldemar 
Und hielt ich alles diefes nicht, Maria ? 


168 Der Menonit 





Maria 
D ja, du bielteft es. Du warft die Quelle, 
Aus der mein Herz, das fich nach Liebe fehnte, 


Tiefes Genügen trank, Geliebter Vater, 


(während der folgenden Worte läßt fie ſich langſam von Waldemars Knie nieder- 
u f gleiten, bis Daß fie vor ihm kniet) 


Iſt heute alles noch wie fonft e8 war? 

Sieht noch dein Auge mit dem janften Blick 
Wie einft in deines Kindes Bruft hernieder? 
Iſt noch dein Herz der Friedensort der Beichte, 
Zu dem ich alle meine Schmerzen trug? 

Darf ich dir alles, alles noch vertrau'n? 


Waldemar 
Mein Kind, mein Rind, was tat dein Vater Dir, 
Daß du an feiner Liebe heute zweifelit? 


Maria 
Ich glaube, daß ich nicht Mathias liebe. 
Waldemar 
Du glaubjt? 
Maria 


Dein, feine, feine Lüge jest: 


Ich lieb’ ihn nicht! 


Waldemar 
So jo? Und das fo plöglich? 


Maria 
D füßer Vater, du haft auch geliebt; 
Du haft ihn auch gefühlt, den Wonnefchauer, 
Wenn Liebe mit der heißen Sauberhand 
Die Hülle nimmt von unfrem tiefften Herzen — 
Wie e8 dann hilflos bang und zitternd liegt 
Im hellen Licht, und felig doch im Bangen, 
Bis daß er fommt, der eine, der erjehnte, 
Der es emporhebt mit den janften Händen, 
Un feine Bruft e8 fchmiegend — Vater — Bater, 
Zwinge mich nicht an dieſes Mannes Bruft; 
Mich warnt etwas vor ihm — ich fürchte ihn! 


TEE BEREIT We 


Zweiter Uft 169 





Waldemar 
Welch törichtes Gerede. 


Maria 
Ab, trauter Vater, hüte dich vor ihm! 


Waldemar 
Sorg’ du für dich, mein Kind, und fprich zu Ende. 
Maria 
Sch bin zu Ende. 
Waldemar 


Nein, du bift es nicht, 
Das Schlußwort fehlt zu deinen fchönen Worten, 
Soll ih’s dir nennen? Reinhold! - 


Maria 
Reinhold — Achl 
Waldemar 
D er bat gut gehauft in meinem Garten. 
Maria 
Ach, er ift beffer, beſſer als Mathias! 
Waldemar 
Sp liebft du Reinhold? 
Maria 
Sa — ich liebe ihn. 
Waldemar 
D Rummer, den mir meine Tochter mad. 
Maria 


Nein, warum Rummer, mein geliebter Vater? 
Du liebt ihn auch, du haft es mir gejagt, 
Du liebſt ihn mehr ja, weiß ich, als den andren. 


Waldemar 
Sieh, wie du klug wardft: meine eignen Worte 
Gebrauchſt du wider mich. 


170 


Der Menonit 





Maria 
Ach, zürne nicht. 
KRomm, blick' nicht finfter; Groll jteht dir fo fremd, 
Daß ich dich nicht erfenne — fei die Sonne, 
Die ung erwärmt — o denke, welch ein Leben, 
Wenn wir an dir in Liebesglüdf aufranfend, 
Dein greifes Haupt mit jungen Rofen kränzen. 


Waldemar 
Du haft in wenig Stunden viel gelernt. 
Doch fchmeicheln alle deine ſüßen Worte 
Das Wort hinweg, das du Mathias gabit? 


Maria 
Allein — wir find noch nicht verlobt, mein Vater. 


Waldemar 
Tochter — iſt's der metallne Ring allein, 
Der dich vermählt? und nicht das heil’ge „Sa“, 
Das du ihm fprachft? And als du’s zu ihm fagteft, 
War dir nicht alles, alles dies bewußt, 
Was jest du zu mir ſprachſt? 


Maria 
Nein, Bater, nein, 
Im Traume lag mein Herz; ich wußte nicht, 
Daß fo ich Reinhold liebte. 


Waldemar 
Töricht Ding — 
Saft muß ich lachen — ja, nicht wahr, feit geitern ? 
Seitdem er den Franzofen angefahren, 
Der dir ein wenig nah kam? 


Maria 
Mir — ein wenig? 
Verzeih' mir Gott, du ſprichſt nicht recht, mein Vater. 
War's deine Tochter nicht, um derentwillen 
Der Wüterich den Säbel nach ihm 309? 


Waldemar 
Er 309 den Säbel? 


Zweiter Alt 171 





Maria 
Weißt du davon nichts? 


Waldemar 
Nun, davon fagte mir Mathias nichts. 
Doch was gefchah dann weiter? Nun? Du fchweigit, 
Du weißt das fchwere Anrecht, das er tat, 
Und jchweigit? 
Maria 
Hat man es dir gefagt? 


Waldemar 
Er forderte zum Zweikampf den Franzoſen. 
Kein fchwerer Anrecht gibt’s für Menoniten. 


Maria 
Unrecht hat er getan als Menonit — 
Us Mann hat er getan nah Mannes Urt! 


Waldemar 
Tochter! 
Maria 
Ich wäre deine Tochter nicht — 
Berdammt ihn alle, dürft’ ich ihn verdammen? 
Mein Vater, nein, du weißt, es gibt Fehltritte, 
Sn welche nur der edle Menfch verfällt, 
Bor denen der Gemeine ficher bleibt. 


Waldemar 
Welch neuer böſer Geift regt fich in dir? 


Maria 
Kein neuer Geift — die Stimme fpricht zu dir 
Des Blutes, das in deinen WUdern fließt! 
Nicht diefe böfe Falte auf der Stirn — 
Sprich fanft zu ihm, jo geht er nicht zum Kampfe — 
Sag ihm, daß wenn er kämpft, ihn die Gemeinde 
Hinausftößt, daß er ewig mich verliert — 


Waldemar 
Und wenn er nicht kämpft, folljt ihm du gehören? 


172 Der Menonit 





Maria 
Sag’s ihm und mache diefes Wort zur Tat, 


Nie haft du eine beffere getan! 
(Waldemar fieht fie Eopfjchüttelnd an) 


D ſchweige nicht; fprich, ſüßer Vater, Sprich ! 


Waldemar (füht fie) 
Geh jest hinaus — die Männer hör’ ich kommen. 


Maria (gebt zur Tür rechts, kehrt noch einmal um) - 
Bon deiner Weisheit lernte ich bis heut — 
Heut nur fei töricht, lerne heut von mir; 


Du lernſt nichts Schlechtes: Menfchen glücklich machen. 
(Ab nach rechts) 


Vierter Auftritt 
Mathias. Joſeph. Zuftus. Hieronymus (und andere Mitglieder der 
Gemeinde treten Durch die Mitte auf) 
Zuftus Gu Mathias) 
Wie nannteft du den Mann? 


Mathias 
Major von Schill. 


Zuftus 
Major von Schill — hab’ nie von ihm gehört. 
Gott grüß' Euch, Waldemar, 


Joſeph und die übrigen _ 
Gott grüße Euch. 


Waldemar 


Und Euch befcher er frohen Morgen, Nachbarn. 
(Sie ſchütteln fich Die Hände) 


Zuftus 
Habt Ihr gehört von diefem WUbenteurer ? 
Immer vergeff’ ih — 


Joſeph 
Schill. 


Zweiter Aft 173 





Zuftus 
Bon diefem Schill? 
(Die Menoniten jegen und gruppieren ſich um den Tiſch links) 


Waldemar 
Ich hörte — hat Mathias den Befehl 
Des Kommandanten Euch ſchon mitgeteilt? 


Mathias 
Sch war dabei; dies alfo der Befehl: 
Daß, wenn ein Sendling diefes Manns erjcheint, 
Wir ihn zu halten und fogleich nach Danzig 
Dem Rommandanten auszuliefern haben. 


Juſtus 
Und da wird man ihn warm empfangen, denk' ich. 


Joſeph 
Ja ja, mit einem Gruß von heißem Blei. 


Hieronymus 


Man fchießt ihn übern Haufen, das ift ficher. 


Zuftus 
Nichts Böfes wünfch’ ich meinen Nebenmenfchen — 
Doch mir joll fol ein Hungerleider fommen, 
Der Hab’ und Gut mir aus der Taſche ſchwatzt! 
Ih will ihn faſſen. 


Die übrigen 
Sa, er foll nur kommen. 


Suftus 
Sch bin ein alter Mann und diene Gott 
Und frage gar nichts nach den Herrn der Erde; 
Was fümmert’s mich, ob der Napoleon 
Mein Herr ift, oder der da in Berlin — 
Der König von Preußen. 


Die übrigen 
Sa, wir dienen Gott. 


174 Der Menpnit 





Mathias 
Ihr jprecht, wie fich’8 für Menoniten ziemt. 


Juſtus 
Dies Zapplervolk von Menſchen, man muß lachen, 
Wenn man ſie ächzen hört in eitlen Sorgen. 
Lies deine Bibel, pflanze deinen Acker, 
Und Krieg und Not und Drangſal hat ein Ende. 


Joſeph 
D hört, was Juſtus ſagt! 


Die übrigen 
Sehr gut, fehr gut. 


Juſtus 
Seht ihr, ich war den Tag juſt in Berlin, 
Als von der Schlacht bei Jena kam die Nachricht — 
Dies Preußenvolk — ihr wißt, ich lüge nicht — 
Dies ganze Volk war an dem Tag verrückt. 
Da ſprach ich einen auf der Straße an: 
Freund, ſag' ich, wenn nun wirklich der Napoleon 
Statt Eures Friedrich Wilhelm Euer Herr wird, 
Bleibt Euer Herr da oben nicht der alte? 


Joſeph 
Was gab er darauf dir zur Antwort? 


Juſtus 


Gar nichts — 
Die übrigen 

Nichts? 

Juſtus 
Nein, er ſchwieg und zeigte mir den Stock. 

Alle 

Seht ſo was an. 
Juſtus 


Da ſchüttelt' ich den Staub. 
Bon meinen Füßen und marfchierte heim. 
Seht ihr, es war zur Morgendämmerung, 
Als bier ich anfam — wie ich nun von ferne 


Zweiter Akt 175 





Die Hähne Frähen hörte, kniet' ich hin 
Und fprach: Hab’ Dank, daß du mich würdig fandeft, 
Einer der wen’gen Glüdlichen zu fein. 


Joſeph 


Hieronymus 
Wackrer Juſtus. 


Alle 
Ganz vortrefflich. 
(Sie umdrängen ihn und unterhalten ſich plaudernd) 


Waldemar 


@er, ohne auf das Geſpräch zu —— unterdeſſen aus dem Fenſter rechts geſehen 
at, zu Mathias) 


Wo Reinhold bleibt. 
Mathias 
Ich fand ihn nicht zu Hauſe. 


Waldemar 


Vortrefflich. 


Ich ſorge faſt — 
Mathias Geigt hinaus) 


Seht dort hinaus — da geht er — 
Im Wäldchen an der Weichjel ift der Ort. 


Waldemar 
nd dies der Weg dahin! 


Mathias 
Gebt Raum — ich ruf ihn: 
(Ruft laut hinaus) Reinhold! 
Juſtus 
Wen rufſt du? Ja, wo ſteckt denn der? 


Waldemar 
Er winkt dir zu, als ſollteſt du nicht rufen, 
Als wollte er nicht kommen. 


Mathias 
So ſieht's aus. 
Ruf) Komm, Bruder, die Gemeinde ift verfammelt. 


176 


Der Menonit 





Juſtus 
Dies junge Huhn läßt die Gemeinde warten? 


Waldemar 
Laßt nur, er fommt — er war wohl in der Wirtfchaft. 


Fünfter Auftritt 
Reinhold (durch die Mitte zu den vorigen) 


Reinhold 
Gott grüß' Euch alle. 
Alle 
Grüße Gott dich, Reinhold, 


Reinhold (baftig zu Waldemar) 
Ihr rieft nach mir, was habt Ihr mir zu fagen? 


Waldemar (alblaut) 
So haſtig? Drängt e8 dich fo ungeftüm, 
Hinaus zu fommen in den Weichjelwald? 


Reinhold 


Der Weichfelwald? Was jagt Ihr? 


Waldemar (balblaut) 
Was ich weiß. 
Reinhold 
Alſo erfuhrt Ihr — 


Waldemar (Halblaut) 


Daß du heute früh 
Dich draußen fehießen willft mit dem Franzoſen. 


Reinhold (mit einem Blick auf Mathias) 
Es wär’ mir lieb, Ihr hättet nichts erfahren. 
Waldemar 
Das glaub’ ich Dir. 
Reinhold 


Doch weil Ihr nun erfuhrt, 
Frag’ ich jegt nicht, durch wen Ihr es erfuhrt, 


Zweiter Aft 177 





Und bitt' Euch dringend, prüft nachher, mein DVater, 
Ob gut, ob fchlecht jei, was ich unternahm, 
Laßt jest mich gehn. 

Waldemar 

Sch ſoll dich gehen laffen? 


Reinhold 
Sie warten draußen, es verrinnt die Zeit — 
Wenn fie vergebens mich erwarteten ! 
D laßt mich gehn — ich bitte! 


Waldemar (kopfichüttelnd) 
Reinhold — Reinhold. 


Reinhold (mir der Bewegung zum Abgehen) 
Habt Ihr mir alfo weiter nichts zu Jagen? 


Waldemar 
Reinhold, du bleibit! 


Reinhold 
Bringt mich nicht zur Verzweiflung. 


Mathias 
Sprich nicht fo laut, ſonſt hört dich die Gemeinde, 


Reinhold 
Beſſer zu laut, als leife hinterm Rüden 
Zu zifcheln ! 
Mathias 
Noch einmal, fprich nicht jo laut, 
Sonſt machſt du's ung unmöglich, dich zu retten. 


Reinhold 
Zu retten? Mich? 
Mathias 
Du weißt, was dir bevoriteht, 
Wenn die Gemeinde deinen Frevel hört. 


Reinhold 
Mein Srevel? 
Dramen VI 12 


178 Der Menonit 





Mathias 
Ja, dein Frevel, der du gebit, 
Um einen Menfchenbruder umzubringen. 


Reinhold 
Ah, Heuchler — war er auch dein Menfchenbruder, 
Als du zähn’fnirfchend ftandft in ftummer Wut, 
As er Maria — 
Juſtus 
Nun, Ihr dreie da, 
Was habt denn Ihr? 


Mathias 


Siehſt du, nun iſt's gefchehn. 
(Zu den übrigen) 
D Brüder laßt — er wird fich wiederfinden, 


Zuftus 
Das macht mich noch nicht Flüger, als ich war. 


Mathias 
D er war töricht — einen AUugenblid — 
Er ift es fchon nicht mehr. 


Reinhold 
Nicht töricht war ich! 
Berleumdender Verteidiger — 


Juſtus 
Ei ſo redet! 
Reinhold 
Ja, laßt mich reden. Lieben Freunde, hört — 


Juſtus 
Wer iſt denn eigentlich dies junge Huhn, 
Daß es jo laut vor alten Hähnen gadert? 


Reinhold 
Hört mich, denn meine Seit ift kurz bemeffen: 
Ein fremder Mann bat fehimpflich die Gemeinde 
Beleidigt. 


Zweiter Akt 179 





Sofeph und Hieronymus 
So? Wer war’s? 


Reinhold 
Tiffot, der Hauptmann, 


Joſeph 
Ja, ja, den kennt man. 
Juſtus 
Nun, was tat er denn? 


Reinhold 
Maria — hier die Tochter Waldemars — 
Wollte er küſſen mit Gewalt. 


Alle 
Der Bube! 


Juſtus 
Unrecht gewiß, doch ich verſtehe nicht, 
Wieſo beleidigt das denn die Gemeinde? 


Reinhold 
Hört nur — als ich darauf zurück ihn ſtieß, 
Zog er nach mir den Säbel, weil er ſagte, 
Wir Menoniten führten keine Waffen 
Und könnten uns nicht ſchlagen. 


Juſtus 
Nun? Was weiter? 
Ich warte noch auf die Beleidigung. 


Reinhold 
Wir könnten nicht, habt Ihr mich nicht verſtanden? 
Juſtus 
Ja, ‘ganz genau — der Mann ſprach ja die Wahrheit. 
Reinhold 


Nein, lieber Zuftus, nein; wir könnten nicht! 
Hätt' er gejagt, wir dürften ung nicht chlagen, 
Weil's die Rel’gion verbietet — 
12* 


180 


Der Menonit 





Juſtus 
Sag' mir doch, 
Wie heißt denn der Klopffechter, der dich ſo 
Mit Worten ſtechen lehrte? 


Jo ſeph (achend) 
O hört, Juſtus. 


Reinhold 
Wir könnten nicht, weil wir zu feige wären! 
Verſteht Ihr das? 
Juſtus 
Ja, wenn mich's kränken ſollte, 
Was ſolch ein wüſter Raufbold von mir ſagt. 


Mathias 
Das jagt’ ich auch. 


Hieronymus 
Warſt du dabei, Mathias? 


Mathias 
Ja freilich war ich. 
Juſtus 


So erzähle du, 
Daß man die Sache doch vernünftig hört. 


Reinhold 

So ſprich, ob ich ein Wort zuviel geſagt! 
Mathias 

Nein, nein, es iſt ja wahr, das ſagte er — 
Reinhold 

Mehr ſagte er! Das feige Zeug, ſo ſagt' er — 

Mathias 

Auch möglich — 

Reinhold 


Nein, gewiß, fo nannt' er ung! 
D lieben Freunde, als ich diefes hörte, 


Zweiter Akt 181 





Dies böfe, jchändliche, verdammte Wort, 
Da bäumten Euer aller Seelen fich 
Sn meiner auf, ich fprach zu diefem Buben: 
Zum Seichen, dag du wie ein Prahlhans lügſt, 
Zum Zeichen, daß wir Männer find wie du, 
Will ich mich dir zum Zweikampf heute ftellen. 
Und die Gemeinde diejer janften Männer 
Wird zu mir jagen: heute jei’s erlaubt. 
(Er gebt mit ausgeftredten Händen unter die übrigen) 
D lieben Freunde, ſehet, Waldemar 
Will hier mich halten in zu großer Sorge; 
Kommt, fprecht für mich, jagt ihm, daß Ihr erlaubt, 
Daß ich vor foviel keuſche Männerehre 
Als einen Schild die junge Bruft binftelle — 
Reicht mir die Hand — ich bitt' Euch, meine Freunde — 
Wer weiß, ob wir ung lebend — — 


Alles zieht jich, us —2 et eh uueeiue. BEN > —— fe) Reinhold läßt be» 


Zuftus 
Ich ſagt' Euch immer, lieber Waldemar, 
Daß Ihr den Burfchen da zu ſehr verzieht. 
est, rat’ ih Euch, legt Eis ihm auf den Kopf 
Und eine ſpan'ſche Fliege binters Ohr. 


Reinhold 
Juſtus! 
Juſtus 
Was willſt du? 


Reinhold 
Keine ſolche Antwort! 


Juſtus 
Gut denn, ich will dir eine andre geben: 
Lies deine Bibel, baue deinen Acker, 
Und nähr' dich redlich, nicht von Hirngeſpinſten. 


Joſeph 


Mathias 
Trefflich. 


O höret Juſtus. 


182 


Der Menonit 





Alle 
a, fehr wahr. 


Reinhold 
Dies Hirngefpinfte? Und Ihr ftimmt ihm bei, 
Daß man aus Eurer Bruft die Mannesehre, 
Euer Heiligtum, herausreißt und bejpeit? 


Juſtus 
Nun wird's mir bald zu arg mit dieſem Burſchen. 
Sag' mir einmal, du biſt ein Menonit 
Und machſt uns, wie ein ſchlechter Taſchenſpieler, 
Kunſtſtückchen vor mit jenem hohlen Topf, 
Sn den die Menſchen alles Schlechte, Falſche, 
Was unter ihnen fpuft, von je geftopft, 
Den diefe Sappelmenfchen Ehre nennen? 


Alle murmelnd) 
Bortrefflih, ganz vortrefflich. 


Juſtus 
Bibel her — 
Schlag auf, lies nach, von Anfang bis zu Ende, 
Ob du das Wort drin findeſt! 


Alle (murmelnd) 
Wahr, ſehr wahr. 
Juſtus 
Lies deine Bibel, ſag' ich dir, du Burſche. 
Den rechten Baden ſollſt du dem hinhalten, 
Der dir den linken ſchlägt. Wie nun? 


en Sehr wahr. 
Reinhold 
Bin ich der einz’ge Narr denn unter Weifen? 
Juſtus 
Jawohl, das biſt du. 
Reinhold 


Nein, ich bin es nicht; 
Denn eine Stimme iſt in meiner Bruſt, 


Zweiter Alt 


183 





Die lauter Spricht als Euer Angſtgeſchrei. 

Die redet mit dem Gotteston des Donners: 
Es fol der Mann nicht Anterdrückung leiden! 
Sie warten meiner, und ich komme nicht! 


Gebt Raum! Laßt mich hinaus! 
(Dringt auf den Hintergrund zu) 


Alle 
Die Türe zu! 


Joſeph 
Ein Menonit und Zweikampf; unerhört. 


Mathias 
Fühlſt du denn nicht dein Anrecht? 


Reinhold 
Nein, nein, nein! 

Du ſahſt es ja, wie fich ihr holder Leib 
In des Verruchten rauhen Armen wand! 
Gott, heil'ger Gott, den man allmächtig nennt, 
Zum Seichen, daß du Vater bift der Kraft, 
Was ift noch Recht, wenn diefes Unrecht ift, 
Daß man zum KRampfe den VBerruchten fordert, 
Der deiner heil’gen Schöpfung fchönften Traum, 
Das Weib, mit ſchmutz'ger Frechheit uns bejudelt? 


Suftus 
Sch fordre, dab man diefen Burfchen fragt, 
Ob er noch länger Menonit ift! 


Alle 
Fragt ihn! 


Juſtus 
Sonſt fort mit ihm, hinaus aus der Gemeinde! 
Keine Gemeinſchaft mit dem Blutvergießer! 


Waldemar (tiefbewegt, halblaut zu Reinhold) 
Reinhold, mein Sohn, weißt du, daß ich dich liebe? 


Reinhold 
Das glaubt’ ich einſt. 


184 Der Menonit 





Waldemar 

Rnabe, ich liebe dich 
In diefer Stunde mehr, denn je zuvor — 
Geliebter Sohn, entjage diefem Zweikampf. 
Sch weiß, du hätteft taufendfach den Mut, 
Mit ihm zu kämpfen, drum kannſt du entfagen. 
Dies heilige Geſetz der Menoniten, 
Das Rampf verbietet, glaube, es ift gut; 
Rein Schwächling war’s, fein Feigling, der es ſchrieb. 
Blut trägt fein ſchreckliches Gefes in fich: 
Bergoff’nes Blut fcehreit immerdar nach neuem, 
Und es erfäuft die heil’ge Gotteswelt. 
D eine Menfchenbruft voll Kraft und Mut 
Birgt fopiel Segen der gequälten Menfchheit, 
Wenn fie mit fanfter Liebe fich vermählt — 


Reinhold 
Wer wies Euch fo den Weg zu meinem Herzen? 
Sch glaube doch, daß Ihr mich herzlich liebt. 


Waldemar 
(der mit Reinhold unterdefjen Dicht an der Tür rechts zu ftehen gekommen ift) 


Du trägft bei dir die Waffe des Franzofen, 


Reinhold 
Wißt Ihr das auch? 


Waldemar 
Gib mir die Waffe ber. 
Mein Sohn, du follft nicht töten! Gib die Waffe! 
(Reinhold zaudert) 


Sechſter Auftritt 


Maria (plöglich von vechts) 
Die Waffe gib und rette die Geliebte! 


Reinhold 


Maria | 
Waldemar 
Meine Tochter ! 


Zweiter Aft 185 





Reinhold 
D ihr beide — 

War’s jo gemeint? Hier ift die Waffe, nehmt fie. 
(Zieht die Piftole aus der — und — ſie Waldemar, dann fällt er 
Und hier, hier bin ich ſelbſt, dein Sohn nun wieder, 

Dein Reinhold — nun verftehe ich 
Den ganzen Inhalt deiner milden Worte, 
Beitanden ift die Prüfung nun — Maria, 
Im Sturme riß ich dich aus Feindes Hand, 
Nun ruh' in Frieden bei dem Mann des Friedens. 
(Er umarmt fie) 
Maria 
Er wird nicht kämpfen, Vater! 


Reinhold 
Nein, nein, nein. 


Mathias (wütend zu Maria) 
Wie darfit du deine Hand in feine legen? 
Einspruch erhebe ich vor der Gemeinde! 


Zuftus 
Was geht hier vor? 
Mathias 
Hört mich, Ihr Freunde. 


Reinhold 


Juſtus 
Wir woll'n Mathias hören. 


Alle 
Ja, Mathias. 


Mathias 
Vor Gott, vor Himmel und vor ihrem Vater 
Verſprach dies Mädchen geſtern — hört Ihr? Geſtern — 
Mein Weib zu werden. (Su Maria) Gage, ob ich lüge. 


Hört mich! 


Maria 
Ihr lieben Leute — 


186 Der Menonit 





Zuftus 
Nichts da — ob das wahr ift, 
Das follit du fagen. 
Mathias 
Schweigt Ihr? 


Maria 
Es ift wahr. 
Juſtus 
Nun das iſt allerliebſt; ſolch eine Dirne. 
's iſt Eure Tochter, Waldemar. 


Alle (murren) 


Jawohl. 


Waldemar 
Was ſoll das heißen? Was En 2“ Gemurr? 


(Das Gemürre wäch 


Sch will nicht, dab Ihr a Sc fag’ Euch: ſchweigt! 


(S 
Glaubt Ihr, daß Blut in mir fei fo verfälfcht, 
Daß meine Tochter Wortbruch von mir erbte? 
Sie gab dem Mann ihr Wort und wird e8 halten. 


Maria 
Mein Vater, nein! 


Waldemar (fie von Reinhold fortreißend) 
Ih fage Euch, fie wird! 


Reinhold 
Du darfit fie dem da nicht zu Füßen werfen | 
Mathias, mach’ der Schacherei mit Herzen 
Ein Ende; gib fie frei, die dich nicht liebt. 


Mathias (Höhnifch lachend) 
Vielleicht weil dir’3 beliebt, mein junger Held? 


2 Alle 
Mathias ſoll ſie haben! 


Reinhold 
Nein! 


Zweiter Alt 187 





Zuftus 
Ja doc. 
Alle 
Sie gab ihr Wort. 
Reinhold 
Doch bier ift mehr als Wort 
Und mehr als Vater und mehr als der Wille 
Einftimmiger Gemeinde, bier ijt Liebe! 
(Er faßt Marias Hand, deren andere Waldemar hält) 
Gib deine Tochter — halte dein Verfprechen. 


Waldemar 
Welch ein Verfprechen? 


Reinhold 
Welches? Das, wofür 
Sch dir die Waffe gab! 


Waldemar 


Aus meinen Augen! 
Meint du, ich hätte mit dir unterhandelt, 
Als ich dich deiner Pflicht erinnerte? 


Reinhold 
Alſo betrogft du mich? Du Romödiant! 
Maria 
Reinhold ! 
Stimmengewirr 


Er hat den Alteſten beleidigt! 
(Großer Tumult) 


Juſtus 
Wir müſſen uns beraten. — Still — was kommt da? 


Siebenter Auftritt 


Ein Knabe (mit einem offenen Blatt Papier tritt durch die Mitte ein) 


Rnabe 
Das fol ich bier an Reinhold bringen. 


188 Der Menonit 





Reinhold ! 
Zeig’! 
(Die Menpniten, die zwifchen Reinhold und dem Knaben ftehen, nehmen dieſem den 
Zettel ab) 
Juſtus 
Wer gab dir das? 
Knabe 


Einer von den Franzoſen, 
Die mir im Weichſelwald begegneten. 


Reinhold (urchtbar auffahrend) 
Gebt her! 
Juſtus 
Laßt ſehn, es iſt ein offner Zettel. 
(Er erhebt das Blatt und lieſt) 
„An Herrn Reinhold. Ich, Hauptmann Tiſſot, ſage, und 
ih, Hauptmann Despreaur, atteſtiere, daß Sie ein — 


Reinhold 
Mir her damit! 
(Er entreißt ihm das Blatt, lieſt, —3* die Hände vor das Geſicht, dabei entfällt 
ihm das Blatt) 


Ahl! 


Mathias (afft das Blatt vom Boden auf) 


Was enthält dies Blatt? 
Eieſth „Daß Sie ein elender — 


Reinhold 
(ſtürzt fih auf Mathias und entreißt ihm das Blatt) 


Hüte dich | 
Den Mund verfchließe Tod, der mir den Inhalt 


Des Blattes wiederholt ! 
(Er zerdrüct Das Blatt in der RO Dal geballten Fauft, dann fchiebt er e8 in Die 
ruſttaſche) 


Hinweg mit dir — 
Hier, wo die Ehre ſtarb, ſei deine Stätte. 
Weh! Meine Ehrel! 


(Bricht zuſammen) 


Der Vorhang fällt 
Ende des zweiten Aktes 


Dritter Akt 


189 





Dritter Akt 


Szene: wie im erften Alt. (Nacht; gegen Morgen) 


Erfter Auftritt 


Reinhold (ist auf der Bank) 
Schwarzäug’ge Nacht, geheimnisvolle Mutter 
Der guten und der fchredlichen Gedanten, 

Dich ruf ich an; fomm zu mir wie die Wölfin, 
Die Romulus und Remus groß gefäugt; 

Dies Herz, das voll Geduld und voll Gehorfam, 
Boll Eindifch angelernter Narrheit war, 

Erfülle es mit deiner eif’gen Milch. 

Die AUmmeniweisheit „Demut“ werde Groll, 
Und die Geduld, die Inochenlofe Puppe, 

Die ein Betrüger in die Welt gefest, 

Damit die hungrige und nackte Menfchheit 

Ein Spielzeug babe, das die Not binweglügt — 
Sie fei verdammt! Hinab mit ihr zur Hölle 
Des Rachedurftes, der mein Herz verbrennt! 

Es efelt mich vor dem beſchmutzten Menfchen, 
Der meinen Namen trägt! Wo ift der Quell, 
Der diefen Schmus von meiner Seele wäſcht? 
Ab, du grauhaar’ger Fuchs, der du die Bibel 
Wie eine lendenlahme Mähre reiteft, 

Ich fenne meinen Katechismus auch: 

Waſſer tut's freilich nicht — fo tut es Blut! — 
Blut trägt fein fchredliches Gefes in fih — 

Ja, alter Schwäger, doch gefchändet Blut 
Schreit durftiger nah Blut als das vergoff’ne! 


(Das Gitterfor im Hintergrunde wird leiſe Inarrend geöffnet) 
Reinhold (erhebt ſich, nach Hinten jpähend) 
Was rafchelt an der Pforte? Was kommt da? 


Zweiter Auftritt 


Senneder 


(in einen Mantel gebüllt, kommt aus dem Hintergrunde, um fich fpähend) 


Iſt jemand bier? 


190 Der Menonit 





Reinhold 
Das, mein’ ich, frag’ ich Dich, 
Der du wie eine Eule hier hereinfliegit. 
Wer bift du? Woher kommſt du und wen fuchft du? 


Senneder 
Frag’ mich nicht, wer ich bin. Ich war ein Mann, 
Der feinen AUder baute in Weftfalen — 


Reinhold 
Und kommſt von dort? 


Henneder 


3a, von der roten Erde! 
Weit ift der Weg, doch weiter tönt der Schrei 
Des großen, deutfchen Leides, 


Reinhold 
Und wen fuchft du? 


Hennecker 
Sch ſuche dich. 
Reinhold 
Mich? Doch du Fennft mich nicht. 


Henneder 
Nein, doch die Sprache fenn’ ich, die du fprichit; 
Bei ihrem Klange brennt mein Herz im Buſen. 


Reinhold 
Welch eine Sprache? 


Hennecker 


Deutſch. 


Reinhold 
Und ſuchſt du alle, 
Die deutſche Zunge ſprechen? 


Hennecker 
All' die ſuch' ich, 
Denn ſie verſtehn die Botſchaft, die ich bringe. 


Dritter Akt 191 





Reinhold 
Wer bift du, Menfh? Was bringjt du uns für Botfchaft? 


Hennecker 
Botſchaft des Rachegeiſtes, der mich ſchickt. 
Ihr, die Ihr liegt in Ketten und in Banden, 
Ihr, die Ihr winſelnd Eurem nächt'gen Pfühl 
Das Leid vertraut, das vor dem Blick des Schergen 
Bei Tag in Eures Herzens Tiefe flieht, 
Ihr, die Ihr ſprecht die heil'ge deutſche Zunge, 
Die aus der Menſchheit klangerfülltem Munde 
Geriſſen werden ſoll — der Tag bricht an! 
Der Wecker ruft — ſteht auf zum heil'gen Kampf! 


Reinhold 
Kampf gegen wen? 


Hennecker 

Biſt du der einzige, 
Der nichts erfuhr vom fürchterlichen Geier, 
Der ſeinen Horſt im Mittelmeer verließ, 
Um Krieg, Verzweiflung, Wehgeſchrei und Tod 
Hinabzufchütteln auf die Menfchenwelt ? 


Reinhold 
Napoleon ? 
Hennecker 
Sprich leiſe dieſen Namen, 
Alles gehorcht ihm, auch die ſtumme Luft. 


Reinhold 
Kampf wider ihn? 

Hennecker 

Nicht wider ihn allein; 
Rache an allem, was Franzoſe heißt! 


Reinhold 
Ha, Schickſalsbote, den die Nacht mir ſchickt! 
Komm, ſag' mir mehr — die Farbe deiner Seele 
Paßt zu der meinigen — wer ſtählte dich, 
Daß du es wagſt, ſolch eine Todesbotſchaft, 


192 


Der Menonit 





Tödlich für fie, doch tödlicher für dich, 
Bis unter Danzigs dräuende Ranonen 
Mit dir zu tragen? 


Henneder 

Und weißt du denn nicht, 
Für wen ich's wage? — Gieh doch diefen Boden, 
Auf dem wir ftehn — das ift die deutfche Erde — 
Rings um dich liegt fie ganz in Dämmerung, 
Ein ungeheures AUntlig voller Sammer, 
In deffen Augen die Verzweiflung wohnt. 
Hört du die Bäume flüfternd ſich bewegen ? 
Du meinft, es fei der Wind, du irreft dich, 
Die Seufzer find es, welche Deutfchland ftöhnt. 
Siehſt du die Tropfen perlen bier im Gras? 
Du meinst, e8 fei der Tau — du irreft dich, 
Die Tränen find es, welche Deutfchland weint — 
D heil’ges Land, wann enden deine Schmerzen? 


Reinhold 
Sie werden enden, wenn die Männer aufftehn ! 
Faß diefe Hand und fühl an ihrem Griffe, 
Daß Kräfte der Vernichtung in ihr ruhn! 
Komm, einen Helfer haft du dir erworben. 
Sa, du leibhaft’ger Geift empörter Rache, 
Des Rabenlied mein aufgewühltes Herz 
Wie eine AUmmenmelodie zur Ruh' fingt, 
Dir ganz ergeb’ ich mich mit Leib und Geele. 


Henneder (feierlich feine Hand ergreifend) 
Sei mir gegrüßt in unfrem großen Bunde! 


Reinhold 
So feid Ihr mehr? 


Henneder 
Sch bin ein einziger 
Bon Hunderten. 
Reinhold 
Wer feid Ihr? 


Dritter Akt 193 





Henneder 
Boten find wir 
Des einz’gen und des legten deutfchen Mannes. 
Deffen, ohn’ den es Aberglauben wäre, 
Daß Deutjchlands Erde Männer je gebar! 


Reinhold 
So gibt's noch folche? 


Henneder 

Einen von Millionen. 
Wiffe, als diefes ganze deutſche Volk 
Ein Bettler lag zu des Tyrannen Füßen, 
Als jedem Machtgebote des Verdammten 
Ein bündifch winfelnd Echo „ja“ erjcholl, 
Da unter allen als der einzige 
Kam diefer Mann und donnerte ihm „nein!“ 


Reinhold 
Wer ift der Mann? 

Henneder 

Bewahre feinen Namen: 
Das tat der preußifche Major von Schill; 
Sein Name ijt die Sahne, die uns fammelt, 
Das legte flatternde Panier der Hoffnung 
In diefem Meer der Hoffnungslofigkeit. 
Er hatt! ein Weib — hin gab er feine Liebe, 
Weil in den Armen der Geliebten ihn 
Der Schrei des Baterlands vom Schlummer weckte — 
Er war gejchloffen in den Herdenpferch 
Der Dienftordnung, wie ein ftahljehn’ger Hengit 
Sp überfprang er den verhaßten Ring 
Und wurde frei, uns alle zu befrei’n. 


Reinhold 

Wo geht der Weg zu diefem Manne bin? 
Henneder 

Ich weiß den Weg, du follit ihn finden, warte, 


Reinhold 


Nein, warum warten? Komm, ich bin bereit. 
Dramen VII 13 


194 


Der Menonit 





Henneder 
Die Nacht allein darf meine Pfade jehn. 
So lang die Dämm’rung währt, muß ich hinüber 
Zum nächften Dorf. Du unterdeffen fag’, 
Wie ift dein Name? 


Reinhold 
Reinhold. Und der deine? 


Henneder 
Sch heiße Hennecker. — Du unterdeffen 
Gib diefen Weckeruf des Helden Schill 


Un die Bewohner deines Dorfes, Hört a 
(Üidergibt ihm ein gedrudtes B 


Heut, wenn die Macht finkt, hol’ ich * Beſcheid 
Und ſag' dir, welchen Weg du gehen mußt, 
Zu Schill und zu den Seinen zu gelangen — 
Find' ich dich hier? 

Reinhold 

An dieſer Stelle hier. 


Hennecker 


Gut, wenn die Nacht kommt, ſehen wir uns wieder. 
(Ab nach dem Hintergrunde) 


Reinhold Glickt ihm nach) 
Da taucht er wieder in die Nacht zurück, 
Aus der er fam — war alles dies ein Traum? 
Ein Spuf, den die willfähr’ge Nacht mir fchickte, 
Die meinen Ruf erhört? Nicht Spuk — nicht Traum. 
Doch ein Betrüger? — lab — bier ift das Blatt, 
Das er mir gab — hilf, — des Morgens: 

Geſt) 
„Schills Aufruf an die deutſche Nation“ — 
(läßt das Blatt ſinken) 

Bei Gott, da ſteht's gefchrieben, wie er fagte. 
D Heiner Name für jo großen Mann. — 
Derweil ich bier die Nachtgeftirne wecke 
Mit meinem Rachefchrei für eignes Leid, 
Berglüht dies Herz in feinen großen Qualen 
Fürs Vaterland. — 
Dies Wort, ich denk', ift deutſch — 


! 


\ Dritter Akt 195 





Und aus Weftfalen muß, in Nacht und Dunkel, 

Gleich einem Räuber, fih ein Mann mir nahn 

Und muß mich lehren, daß der Diamant, 

Den ich fo lange Jahr” in meinem Herzen 

Wie einen fauben Kiefeljtein getragen, 

Ein Diamant jei? Ah — Ihr Heil’gen Gottes, 
(Schüttelt die Fauft gegen das Haus) 

Ich babe Rechenfchaft von Euch zu fordern 

Fürs Menfchenerbteil, das mir zugefallen 

Und das Ihr unterfchlugt! O beil’ger Boden, 

Ich ſchäme mich vor dir! So lange Jahre 

Betret' ich dich, gefühllos wie das Tier, 

Das fih nur darum um den Boden kümmert, 

Weil Futter drauf für feinen Magen wählt? 

Nein, du, der Menoniten Falter Gott, 

Los ſag' ich mich, du biſt mein Gott nicht mehr! 

Du nimm mich auf an deinen Feuerbufen, 

Gewalt’ger Geift, der du dem fchlichten Mann 


Das Herz erfüllteft mit dem Geift des Helden! 
i i (Das Morgenrot Ihimmert durch die Bäume) 
Wie meine Seele dir entgegenatmet, 


Du DBlutpanier der neuen großen Zeit, 

Das du emporfteigit aus dem wolk'gen Morgen — 
D fo verftrömt der Tropfen eignen Wehs 

Im großen Meer des allgemeinen Leidens. 


Dritter Auftritt 
Maria (kommt langjam aus dem Haufe) 
Reinhold 


Wer kommt fo fchweren Ganges aus dem Haufe? 
Maria, du? Wen fuchft du hier? 


Maria 
Ach — er! Eintt auf die Band) 


Reinhold 
Kühl ift der Morgen und dein Kleid fo leicht — 
Die Kälte macht dich fchauern. 


Maria 
Nicht die Kälte, 


13* 


196 Der Menonit 





Reinhold 
Und doch — ich fühl’s an deiner Hand — du zitterft. 


Maria Reinhold mit großen Augen anblictend) 
Furchtbarer du, was machteft du aus mir? 


Reinhold 

Ich furchtbar dir? 
Maria 
Ja, weil für mich allmächtig. 

Mein PBater fprach, und zürnend fprach er das, 
Du hätteft arg gehauft in feinem Garten. 
Du alter Mann, wie wahr fprach deine Angſt! 
Ach, diefer Sturm bat dein’ und meinen Garten 
So tief durchwühlt! Weh mir, in meinem Herzen 
Blüht nichts von all den ftillen Blumen mehr: 
Bon Sanftmut, Demut, Eindlichem Gehorfam, 
Sie find dahin, gewelft vom Glutenhauch 
Der Feuerlilie, die in ſchwüler Pracht 
Zählings empor in meinem Herzen flammte — 
Sch weiß — der Hauch von diefer Blume tötet — 
Tätft du's und ftürb’ ich fo in deinem Kuß! 

(Amarmt ihn) 

Reinhold 
Bin ich nicht mehr der Reinhold, der dich liebt, 
Warum dies Zittern, füßes Rind? 


Maria 
Du liebſt mich? 
Reinhold 
Fragſt du mich das? 
Maria 
Sch will’s dich täglich fragen; 
Blickt man nicht täglich zu den Sternen auf? 
| Reinhold 
Der Reinhold, den du liebteft? 


Maria 
Mein, nicht der — 


Dritter Akt 197 





Reinhold 
Wie denn? Nicht der? 


Maria (fest fih — Reinhold neben fie) 
Komm — diefe einz’ ge Stunde 

Kehrt niemals wieder — jteh nicht fern von mir — 
Noch mußt du bei mir fein — mein Süßer, Trauter, 
Wenn ich bisher dich liebte, war es Liebe? 
Ihr Licht war Dämmern, mit dem Licht verglichen, 
Das jest mich blendet, Kälte ihre Glut, 
Der Glut verglichen, die mich jeßt verzehrt. 
Dies ift die erfte Stunde unfrer Liebe, 
Ach — eine düftre Stimme ift in mir, 
Daß es die Teste fei. 


Reinhold 
Warum die legte? 


Maria 


Die Menfchen, die zum Glück erwählet find, 

Sie feiern ihre Liebe vor den Menfchen 

Am hohen Mittag — wir Unfeligen, 

Wir tragen unfre Liebe fern von Menfchen 

Zn diefe bange Schauerjtunde bin, 

Die weder Tag noh Naht — zum düftren Zeichen, 
Daß feine Zeit für fie auf Erden ift. 


Reinhold 


Halt’ ich dich nicht in meinem Arme bier? 
Weißt du nicht, daß der Arm dich fchügen kann? 


Maria 


Du weißt, ich habe feine Mutter mehr, 
Du börft, ich habe feinen Vater mehr, 
Nur eins noch blieb mir, doch in einem alles: 
Reinhold, ich habe dich — verlaß mich nicht! 


Reinhold 
Niemals, Maria. i 


198 Der Menonit 





Maria 
Nein, nicht wahr? Niemals. 
Nun fprich, was wird nach dem, was geftern war? 
Wo gehit du hin? 
Reinhold 
Sp weißt du, daß ich gehe? 


Maria 
Das wußt' ich geftern, daß du gehen würdeſt. 


Reinhold 
Prophetengeift der Liebe. Trautes Kind, 
Sa, ich muß fort; und das noch heut zur Nacht. 
(Matbias erjcheint in der Vorlaube und bleibt regungslos an einen der Pfeiler ge- 
ſchmiegt ftehen) 
Maria 
Wohlan — wo gehn wir hin? 


Rei Id 
— O nein, Geliebte, 
Auf dieſem Weg kannſt du mich nicht begleiten. 


Maria 
Reinhold! 
Reinhold 
O höre mich: in dieſer Nacht 
Geſchah etwas — 


Maria 
Etwas Entſetzliches, 
Das zwiſchen dich und deine Liebe trat! 


Reinhold 
Nein, doch es ſchlug ein Ruf an meine Seele, 
Der mich hinweg zu einem Pfade ruft, 
Der nicht geſchaffen iſt für deine Füße — 


Maria 
Was brachte dieſe Nacht? Wer kam zu dir? 


Reinhold 
Fern aus Weſtfalen kam ein Mann hier an, 
Der Bote eines heldenmüt'gen Mannes — 





Dritter Alt 199 


Maria 
Ein Bote Shills? 
Reinhold 
Was? Woher fennft du ihn? 


Maria 
Du fprachit mit ihm? Er warb dich? 


Reinhold s 
Höre mid: 
Sieh — diefen Wederuf des Fühnen Schill, 
Den bracht’ er mir — 


Maria 
(veift das Blatt an fich und birgt es am Bufen) 


Um Gott — gib ber das Blatt! 


Reinhold 
Was jol’s? Was tuft du? 


Maria 
Reinhold — diefes Blatt, 

Dein Todesurteil iſt's — bör’, was ich weiß: 

Befehl vom Rommandanten fam zu Danzig, 

Daß, wer fih werben läßt für jenen Schill, 

Des Todes fterben ſoll — allmächt’ger Gott, 

Wenn es bei diefen Menfchen ruchbar wird, 

Daß du — 

Reinhold 
Du meinft, fie würden mich verraten ? 


Maria 
Wer ift dein Freund in der Gemeinde? Keiner. 
Wer ift dein Feind in der Gemeinde? Alle. 


Reinhold 
Und heut zur Nacht fommt er an diefe Stelle 
Und holt aus meinem Munde fi Befcheid. 


; Maria 
Sp mußt du vor dem Dorfe ihn erwarten, 
Dort fag’ ihm alles, was ich dir verfrauf; 
Führ' ihn nicht in das Dorf. 


200 


Der Menonit 





Sprich mir nicht fo! 


Reinhold 
‚Nein, du fprichft wahr. 
Dort vor dem Dorfe will ich ihn erwarten; 
Maria — und mit diefem Manne dann 
Geh’ ich hinaus zum Schill. 


Maria 
Reinhold! And ich? 


Reinhold 
Allmächt'ger Gott — 
Maria 
Hör’ zu, ich will dir's jagen: 
Dann kommt Mathias her mit der Gemeinde 
Und faßt mich an der Hand — nicht an der Hand, 
An meinen Haaren faßt Mathias mich 
Und fchleppt mich wie ein Wolf zu feinem Bette — 


Reinhold 


Maria 
Und wenn zu Gott ich ſchreie, 
So ftopfen fromme Sprüche mir den Mund; 
Zieh denn hinaus und laß mich unter diefen, 
Doch in das Glocenläuten deines Giegs 
Wird fich das Üchzen der Geliebten mifchen, 
Die vor Entfegen ftarb im Hochzeitbett ! 
Reinhold 
— vor ihr nieder und drückt ſein Geſicht in ihren Schoß) 
Mein! Mein! O nein! Maria, meine Seele, 
Ich riß dich aus den Händen des Franzofen, 
Heut rett' ich ganz dich! Komm und geh mit mir! 


Maria 
Geh nicht von mir, Verzweiflung ohne dich! 


Reinhold 
Ich führe dich hinunter nach Berlin; 
Dort fand ich werte Freunde auf der Reife, 
Da wohnst du dann, bis daß ich wiederfehre 


Dritter Akt 201 





Vom GSiegeszuge Schills — dann wird Gott helfen, 
Biſt du bereit? — 


Maria 
Bereit mit Leib und Seele. 


Reinhold 
Gut, wenn die Sonne heufe niederjinft, 
Am Dorfrand bei der Linde, 


Maria 
Wo du willit, 
Bei dir nur laß mich fein. 


Reinhold (fie mit tiefer Zärtlichkeit umarmend) 
D du mein Leben, 

Was drängt mir fo die Tränen in die Augen? 
Wir werden nicht in Reichtums Armen ruhn, 
Nicht in des Braufjtands füßen Spielen tändeln, 
Doch unſre Liebe ift das Königreich, 
Zn dem wir leben, jeden Leides fpottend. 
Der Tag nimmt zu, — geh jest zurück ins Haus; 
Fahr wohl denn bis heut abend! 


Maria 

Wär’s jo weit! 
So gehſt du jest? Und freilich, muß es fein — 
Und dennoch wollt ih — 

(Gebt, an feinem Halje hängend, einige Schritte mit ihm in den Hintergrund) 
ach, wo blieb mein Mut? 

Was weckt mir ſolchen Schauer — bleibe noh — 
Ich wage nicht zum Haus zurücd zu fehn, 
Mir ift, als fchliche was in meinem Rüden — 


Reinhold 
Mein, dort ift nichts — nur Mut, geliebtes Herz, 
Das ift die einz’ge Mitgift, die ich fordre — 


Maria 
Hier ift der Baum, wo wir zuerjt uns fanden, 


Und bier mit diefem legten Ruß — leb' wohl — 


(Sie umarmen fih. Reinhold nach dem Hintergrund ab. Maria ſteht eine Zeitlang, 
ihm nachblickend, dann wender fie ſich zum Haufe) 


202 


Der Menonit 





Vierter Auftritt 
Mathias (kommt ihr aus dem Haufe entgegen) 


Maria 
Was naht fich hier? 
Mathias 
Dein richtendes Gewiſſen. 
Maria 
Mathias? 
Mathias 


Ga, Mathias, der dir fagt, 
Daß du vergebens feiner harren wirft 
Heut abend an der Linde vor dem Dorf, 
Daß ihr zufammen nicht entfliehen werdet, 
Nicht heut noch morgen, nirgend und niemals. 


Maria 
Du börteft? 
Mathias 
Wölfe fchleichen in der Nacht — 
Die gift'ge Zunge wußte ja fo gut, 
Daß ich ein Wolf fei. 


Maria 
Hörteft du auch das? 
Ach, nun find wir dahin. 


Mathias 
Das fönnte fein. — 


Maria deife flehend) 
Mathias | 
Mathias 
Was? 
Maria 
Du — und nur du allein 
Haft uns gehört; dein Herz ift die Behaufung, 
Wo diefes tödliche Geheimnis wohnt. 
Gedenf an Stunden, welche einft geweſen — 
Mathias, fei barmberzig, rede nicht! 


Dritter Akt 203 





Mathias 
Ich fol gedenken an geweine Stunden? 
Zede von ihnen, Mädchen, Hagt dich an. 


Maria 
Wenn ich gejagt, was ich nachher nicht hielt, 
Wenn ih — o Gott, gedenfe nicht an mich, 
Denke an das, was du dereinft gefühlt: 
Du fagteft mir dereinft, du Tiebteft mi — 
Kannſt du den Sammer fehn, der mich zerreißt? 
(Sie fintt vor ihm zu Boden, das Geficht in den Händen bergend) 

Mathias (fie glühend betrachtend, halblaut) 
Ab ſchön wie Eva, die die Sünde zeugte — 
Und ganz in meiner Macht — — (berührt fie leiſe Maria, höre: 
Fühlſt du nun ganz, daß ihr mit Leib und Geele 
In meiner Hand feid? 


Maria 


a. 


Mathias 
Ein Drud der Hand, 
Ein Wort von diefen Lippen, und er liegt 
Zu Danzig morgen auf dem blut’gen Sand. 


Maria (ftöhnend) 
Heiland, erbarm’ did — 


Mathias 
Gut — ih rede niht — 


Maria (umfaßt feine Knie) 
Ach dafür jegne Gott dich! 


Mathias 
Er mag fliehn — 
Doch du, Maria, hörſt du, du gebt nicht, 
Du Schönes Weib, du bleibit, bit mein, wie jegt! 
(Er umfaßt fie plöglich und bededt fie mit Küffen) 
Maria (fpringt entſetzt auf) 
Jeſus — der Wolf! «Sie inte ſchaudernd auf die Bank) 


204 


Der Menonit 





Mathias 
Das mir? 


Maria (won Schauder gefchüttelt) 
Bon ihm geküßt ! 


Mathias 
Ha — diefen Schauder follft du mir bezahlen. 


Maria 
Um Gottes willen, höre mich, Mathias; 
Laß mich zu Atem kommen, höre mich; 
Ich will nicht fliehen — 


Mathias 
Das ift nicht genug. 
Willſt du mein Weib fein? — Spare deine Worte, 
Denn die Geduld ihn mir.fängt an zu Enirfchen, 
Am Narrenfeil von dir herumgeführt. 


Maria 
Du haft gehört, was ich mit Reinhold ſprach — 
KRannft du noch wollen, daß ich Dir gehöre? 


Mathias 
Ah ſo — der Neidifche, der Hinterlift’ge, 
Der Feigling kann dein Mann nicht fein; nicht wahr? 
Und diefe Worte — ab, der Weiberfrechheit — 
Die ich vergaß in diefem Uugenblic, 
Du rufft fie mir zurüd? Du pochſt darauf? 
Du nannteft mich den fehredlichen Mathias; 
Ich war eg nicht; nun will ich ſchrecklich fein! 


Maria 
Was willft du tun? 


Mathias 
Was meine Pflicht gebeut. 


Maria 
Pflicht gegen wen? 


Dritter Akt 205 





Mathias 

Pflicht gegen die Gemeinde, 
Die ich erretten muß vor dem Verderben, 
Das ein verräterifcher Bube ihr 
Und eine ehrvergeſſ'ne Dirne zubereitet. 


Maria 


Aus Pflicht, Mathias? 


Mathias 
a. 


Maria (erhebt fich) 


Feigherz'ger Heuchler ! 
Rabe und Haß, jo nennt fich deine Pflicht! 


Mathias 
Wahr’ dich! 
Maria 
Bor dir? Ah, Natter, die zu jtechen, 
Doch nicht mit Zähnen zu zerreißen wagt! 
Was hab’ ich noch zu wahren? Vater! Vater! 
Das ift der Bräutgam, den du mir erwählteſt! 


Mathias 
Wirfft du nun endlich ab die Heuchlermasfe? 
Gut — fo wie ihn, Dirne, fo haſſ' ich dich! 
Du willft mir nicht gehören? Du bijt mein: 
Ich lache jener Narrenheuchelei, 
Die Liebe heißt — mehr als das Weib, das liebt, 
Gehört das Weib mir, das ich martern kann! 
Ruf’ deinen Mut zu Hilfe, rat’ ich Dir, 
Du follit ihn brauchen! (Bit in den Hintergrund) 

Ha — der kommt zurecht! 

Du, Burſch', fomm ber — nun vorwärts, gaffe nicht! 


Fünfter Auftritt 
Der Knabe (mit dem Schäferftod, fommt aus dem Hintergrunde) 


Mathias 
Du wollteit auf die Weide treiben? 


206 Der Menonit 





Rnabe 
a. 
Mathias 
Laß deine Herde fein und bier paß auf: 
(Er bejchreibt haſtig einen Zettel, den er aus der Taſche zieht, mit Bleiſtift) 
Erfennft du wohl die Dffiziere wieder, 
Die geftern dir den Zettel gaben? 


Rnabe 
Fa. 
Mathias 
Mit diefem Zettel gehſt du gleich nach Danzig 
Auf die Rommandantur. Verſtehſt du? 


Rnabe 
Ja. 
Mathias 
Dort wirſt du einen von den beiden finden, 
Dem gibſt du dieſes Blatt. 


Maria (fpringt auf) 
Nein! 


Mathias f 
Ich fag’ dir, 
Hör’ nicht auf diefe — jo — (gibt ihm das Blatt) nun mach’ dich 
fort — 
(Faßt den Knaben beim Arım und führt ihn gewaltfam zur Gittertür hinaus. Während: 
defien ſpringt Maria auf und verjucht, an ihm vorbei gleichfalls Hinauszufommen) 
Mathias (Hält fie feft) 
Nein, Jungfer, nein, wir beide bleiben bier. 


Maria 
Befudle mich mit deinen Händen nicht, 


Du Ungeheuer! Reinhold, Reinhold, Reinhold! 
(Sie ſinkt vernichtet auf Die Ban) 


Mathias 
Geh in dein Haus, — ich rufe die Gemeinde — 
Hörſt du mich nicht? Nun gut, mir gilt e8 gleich. 
(Er ergreift ein neben der Haustür hängendes Seil und läutet die Glocke) 


Dritter Akt 


207 





Sechſter Auftritt 
Waldemar (kommt eilend aus dem Haufe) 


Wer gab das große Zeichen der Gemeinde? 
Wer zog die Glode? 


Mathias 
Ich. 


Waldemar 
Was gibt’, Mathias? 


Mathias 
Ihr follt es hören, unglückſel ger Mann, 
Wenn die Gemeinde ſich verſammeln wird. 


Waldemar 
Du nennſt mich unglüdfelig? 


Mathias Geige auf Maria) 


Fragt die hier — 
Ihr nennt fie Eure Tochter, wenn mir recht ift? 


Waldemar 
Ich nenn’ fie — wenn dir recht ift? 


Mathias 
Sa, jo ſagt' ich. 
Fragt fie, ob fie Euch noch gehorchen will, 
Ob fie ein Weib noch ift, das Scham empfindet, 
Und dann gebietet ihr, ins Haus zu gehn. 


Waldemar 
Menſch — was bedeutet das? 


Mathias 
Berfchließt fie drinnen, 
Sonft, unglückſel'ger Mann, erlebt Ihr heute, 
Daß fie mit ihrem Buhlen Euch davonläuft. 


Waldemar 
Reinhold ?! 


208 Der Menonit 





Mathias 
Das ift der Name ihres Buhlen. 


Waldemar (blidt auf Maria) 
Und du verftummft? — Steh auf und geh ing Haus. 


Maria (fteht auf und fieht Waldemar groß an) 
Du börft, daß diefer da — nennt’ ich ihn Mann, 
Sp ſchmückt' ich ihn mit unverdienter Ehre — 
Bis in das Herz die Tochter dir beleidigt — 


Waldemar 
Sprich nicht und geh ins Haus, 


Maria 
Bater ! 


Waldemar 
Ins Haus! 
Maria 
Und du erwiderft diefem nichts? 


Waldemar 
Jawohl: 
Ich danke dieſem Mann, daß er mich warnt, 
Daß ich beizeiten mich bewahren kann, 
Daß meine Tochter nicht zur — Dirne werde. 


Maria (fteht einen Augenblick ſtarr) 


Ach — das war fchade, daß du das gefagt haft. 
(Sie geht langjfam in das Haus ab) 


Waldemar 
Nun fage mir, was ift mit diefen beiden? 


Mathias 
Laßt kurz mich fein, dort naht fich die Gemeinde. 
Der Zufall leitete mich heute ber, 
Als diefe beiden unter Küffen, Seufzern 
Und ſüßen Eiden fich beredeten 
Heut abend in die weite Welt zu gehn, 


Dritter Alt 209 





Waldemar 
dhwanft und jest ſich Dann ſchwer auf die Bank nieder) 


Dann mußt du jest zu der Gemeinde fprechen. 
Seit heut bin ich zu alt für diefes Amt. 


Siebenter Auftritt 


Zuftus, Joſeph, Hieronymus (und andere von der Gemeinde fommen aus dem 
Hintergrunde) 


Joſeph 
Nun ſoll's mich wundern, was es wieder gibt. 


Hieronymus 
Jawohl, daß ſie uns mit der Glocke rufen. 


Mathias 
Gott grüß' Euch, Freunde. 


Juſtus 
Spute dich, mein Junge, 
Ich hab' nicht Zeit. 


Mathias 


Gleich — doch ich ſehe, daß noch ein'ge fehlen. 
Geh einer doch und rufe Reinhold ber. 


Zuftus 
Was ift denn das mit dem nichtsnug’gen Schlingel — 
Läßt der ung wieder warten? 


Mathias 
Geh doch einer, 


(einer von der Gemeinde nach Hinten ab) 
Er hält uns auf, doch grade er muß bier fein. 


Juſtus 
Der Schlingel kommt ja immer noch zu früh, 
Fang’ an, Mathias. 


Alle 


Angefangen; ja. 
Dramen VII 14 


210 


Der Menonit 





Mathias 
So hört: dem feierlichen Glodentone, 
Der Euch gerufen, will ih Worte leihn: 
Ihr hörtet, was der Kommandant von Danzig 
Uns anbefahl, daß wenn ein Sendling käme 
Bon dem aufrührerifchen Preußen Schill — 


Alle 
Wir willen. 
Mathias 
Das Entjegliche geſchah. 
Sn diefer legten Nacht, derweil Ihr ruhtet, 
Schlich der Zerftörer unſres Friedens ein, 
Sn unfrem Dorfe war ein Bote Schills. 


Alle 
Ein Bote Schills? 
Juſtus 
Leiſe, um Gottes willen, 


Es geht um unſer Leben und Vermögen. 
Woher erfuhrſt du das? 


Alle (wild flüfternd) 
3a, woher weißt du’s? 


Mathias 
Einer von der Gemeinde fprach mit ihm. 
Juſtus 
Und weiter? 
Mathias 


Weiter — ja, er tat noch weiteres: 
Er ließ ſich werben von dem Boten Schills, 
Und er beſtellt' ihn her für heute abend. 


Alle 
Wer tat das? 


Mathias 
Wollt Ihr wiffen, wer das tat? 
Sp hört, der Menpnit, der folches tat, 
Der an die Habe, die uns lange Jahre 


Dritter Akt 211 





Im Schweiße unfres Angefichtes reiften, 

Die Fadel der Zerftörung frevelnd warf, 

Der in die blutig dargebotne Hand 

Des Aufruhrs einfchlug, der mit dem Mordbrenner 
Heut abend fliehen wird aus unferm Dorf, 

Us Nachlaß uns die Rache der Sranzofen, 

Die er auf unfer Haupt beſchworen, laffend — 


Der ift es, der dort kommt! 
(Zeigt mit ausgeredtem Arm in den Hintergrund, wo) 


Achter Auftritt 


Reinhold (mit dem Menoniten auftritt) 


Alle (erichrect zurückweichend) 
Reinhold! 


Waldemar 
Das dacht’ ich. 
Reinhold 
Was fchreit Ihr mich fo an? 


Juſtus 
Seid alle ſtill. 


Joſeph 
Laßt Juſtus reden. 
Hieronymus 
Hört, was der ihm ſagt. 


Juſtus 
Hör' du, das haſt du wirklich klug gemacht, 
Daß du den Mann heut abend herbeſtellteſt. 


Reinhold 
Den Mann? 


Juſtus 
Sieh, ſieh; haſt du das ſchon vergeſſen? 
Wie es geht deinem Freunde Schill, mein Junge? 


Reinhold 
Ha — alſo wißt Ihr, daß der Mann hier war? 
14* 


212 Der Menonit 





Suftus 
Du weißt, der Mann hat ein’gen Wert für uns; 
Es könnt' ung ein’ge Kleinigkeiten koſten, 
Wenn er entwifcht, als Leben, Hab’ und Gut — 
Nun das war brav — der Kerl entwifcht ung nicht — 
Du haft ihn prächtig auf den Leim gelockt. 


Reinhold 
Ich bitte dich — 
Juſtus 
Nur immer zu, mein Junge; 
Du haft die Sache gar zu hübſch gemacht. 
Heut abend zappelt ung der Fisch im Mes, 
Und morgen fit er in den Rafematten 
Bon Danzig — 
Reinhold 
Zuftus, hör,’ fag’ ich dir — 


Zuftus 
Daß wir beim Kommandanten dich empfehlen? 
a, fei gewiß, haarklein ſoll er's erfahren. 
Du kriegſt vielleicht ’nen Orden noch, wer weiß. 


Reinhold (fährt wütend auf ihn los) 
Daß ich die Frage dir, die grinfende, 
Berdammter Spötter, nicht vom Antlitz reiße! 


Mathias 

Dir fteht e8 gut, den Zorn’gen bier zu fpielen. 
Reinhold 

Wahr ift e8 denn, der Mann war bier zur Nacht. 


Joſeph 
Sprachſt du mit ihm? 


Reinhold 
Ich tat's. 


Mathias 
Da hört Ihr es. 


Dritter Akt 213 





Reinhold 
Und hättet Ihr vernommen, was er fprah — 


Mathias 
Wir wiffen’s, Aufruhr ſprach er. 


Reinhold i 
Stille, du; 
So hoch die Sonne wandelt überm Wurm, 
So hoch gehn die Gedanken dieſes Herzens 
Über dem deinigen. 
Joſeph— 


Kommt er heut abend? 


Reinhold 
Und wenn er wieder kommt, o Freunde, Männer, 
Wenn er heut kommt, was habt Ihr vor, zu fun? 
(Ciefe Stille) 
D, diefes Schweigen iſt die beite Antwort. 
Wenn er heut fommt, fo tut wie jest, und fchweigt. 
Wendet Euch ab, hört feine Schritte nicht; 
Seht nicht den Pfad, auf dem er zu Euch kommt, 
Und nicht den Weg, auf dem er von Euch geht; 
Stumm wird der Mann von dannen wieder gehn, 
Kein Wort von ihm wird Euren Frieden ftören, 
Und wenn Ihr morgen aus dem Schlaf aufiteht, 
So könnt Ihr denken, alles war ein Traum 


Aus einer Welt, die nichts mit Euch gemein bat, 
(Ex hebt flehend die Hände) 
D nur verratet ihn dem Feinde nicht! 


Mathias 
Stellt du fo fchamlos dich zu unfern Feinden? 
Weißt du nicht, daß die Freiheit diefes Mannes 
Der Widerfacher unfers Lebens ift? 
Der Wurm in unferm Korn? Die Obrigkeit 
Befiehlt, daß wir den Mann ihr überliefern. 


Zuftus 
Ja, und die Obrigkeit die ift von Gott! 


Joſeph 
Jawohl, ſo iſt es. 


214 Der Menonit 





Alle 
Ja, fo ſteht's gefchrieben. 


Reinhold 
Die Obrigkeit, die das von Euch verlangt, 
Sie ift der Todfeind Eures PVaterlandes ! 


Zuftus 
Was Baterland! Der Acker, der mich nährt, 
Die Scheuer, die mein Gut bewahrt, das Haus, 
Das mich bedeckt, das ift mein Vaterland. 


Joſeph 
Ja, das war gut geſagt! 


Alle 
So iſt's, ſo iſt's! 


Juſtus 
Und wer mir mein Getreide holt vom Acker, 
Und mich hinaus aus Scheuer wirft und Haus, 
Der geht ans Leben mir und iſt mein Feind, 
Und alles dieſes tut mir dieſer Mann, 
Drum denk' ich meiner Haut mich zu erwehren. 


Alle 
Ja, er wird ausgeliefert. 


Reinhold 
Männer, Männer, 
Ihr fprecht von Gott — was diefen Mann getrieben, 
War eine Kraft, fo echt von Gott entjprungen, 
Wie das fündlofe, heilige Gefühl 
Des erften Menschen in der erſten Stunde, 
Seht, diefer Mann kam fernher aus Weftfalen — 


Zuftug 
Viel beffer war’s, wenn er zu Haufe blieb, 


Joſeph 
Wer hieß ihn kommen? Riefen wir ihn her? 


Dritter Akt 215 





Reinhold 
Ihn trieb fein Herz, fein glühend drängend Herz. 
Noch hat fein Unfall feinen Weg gehemmt, 
Noch hat ihn Fein Franzofe ausgefpäht, 
Soll er nun heute hier — o Männer, Männer, 
Fühlt Ihr fie nicht, die ungeheure Schmach, 
Soll er von Deutfchen heut verraten jein? 


Waldemar pilöglich vortretend) . 
Dies alles wäre gut in andrem Munde; 
Sn deinem nicht, du fprichit für jenen Mann, 
Weil du ihn brauchen willft zu eignen Sweden, 
Er fol den Weg dir in die Freiheit zeigen, 
Damit du buhlen kannſt mit deiner Liebiten, 
Die du vom Herzen ihres Vaters ftahlit. 


: Mathias 
Hört, was der WUltjte der Gemeinde fpricht! 


Juſtus 
Wie nun, mein Bürſchchen? 


Alle 
Er wird ausgeliefert. 


Mathias 
Ich habe der Gemeinde vorgeſorgt: 
Den Kommandanten ließ ich unterrichten. 
Wenn heute abend jener Fremde kommt, 
Sind die Franzofen bier. 


Alle 
Da tatjt du recht. 


Reinhold 
(will fih auf Mathias ftürzen und wird von den übrigen gehalten) 

Das tateit du? Vermaledeiter Hund! 

Laßt mir den Weg zu feiner Kehle frei! 

Beihüst Ihr ihn? 

(Er reißt jich los und fritt gewaltig in ihre Mitte) 
Ihr allefamt, Ihr Schurken, 

Hier vor der Sonne heil’ger Majeftät 


216 Der Menonit 





Werf' ich das Schandwort von mir, Menonit. 
Verflucht der Tag, der mich in Eurer Mitte 
Zum Licht gebar! Fluch allen fpätren Tagen, 
Die mich an Eure Sippe feflelten! 
Falle der Blis auf Eure Häufer nieder 
Und vaffe Euch hinweg vom deuftfchen Boden, 
Den Ihr beſchmutzt; und wenn der Blitz fich weigert, 
Lebt und verfommt in Eurem eignen Dunft! 
(Er wender fich zum Abgehen) 


Mathias 
Greift ihn und bindet ihn! 


Alle 


Nieder mit ihm! 


(Sie werfen ſich auf Reinhold und binden ihm mit Stricken, die fie aus den Taſchen 
ziehen, Die Hände) 





Mathias 
Ihr hört, daß er nicht Menonit mehr ift; 
Ihr wißt, daß er für Schill fich werben ließ. 
Stimmt ab, wir überliefern ihn an die Franzoſen! 


Zuftus 
Stimmt ab; ich bin dafür. 


Joſeph 
Ich auch. 


Hieronymus 


Ich auch. 
Alle 


Ja, er wird ausgeliefert! Fort mit ihm! 
(Während Reinhold in das Haus geſchleppt wird, fällt der Vorhang) 


Ende des dritten Aktes 


Vierter Akt 217 


Pierter Akt 


Szene: Wie im driffen Akt. Es ift Abend, dunkel. In der Tor- 

laube fist Waldemar an einem Tifche, auf welchem zwei Windlichter 

ftehen und eine Bibel aufgefchlagen liegt. Er fist in tiefen Gedanfen, 

über das Buch hinwegbrütend. Ein Fenfter des Haufes ift erleuchtet. 
Nach einiger Zeit fommt 


Erfter Auftritt 
Mathias (von hinten) 

Mathias (ritt zu Waldemar und ſpricht halblaut) 
Alles fteht gut. Der Knabe, den ich jchidte, 
Ram eben heim aus Danzig. Pie Franzoſen 
Sind unterivegs. 





Waldemar 
Jawohl — alles fteht gut. 
Mathias 
(fieht zu dem erleuchteten Fenſter auf) 
Dort oben ſeh' ich Licht — ſitzt er da drinnen? 


Waldemar 
Er dort — und ich als Kerfermeifter hier — 
Trauriges Amt. 
Mathias 
Ich jeh’, Ihr leſt die Bibel? 


Waldemar 
Ja, dag Kapitel vom verlornen Sohn. 


Mathias 
Das paßt nicht ganz, der fam bußferfig wieder, 
Und diefer ift verſtockt. 


Waldemar 
Sa, doch fein Vater 
Gedacht' in Schmerzen feiner — ſchade — Schade — 
(Er legt den Kopf, in beide Hände geftüst, auf die Bibel 
Mathias Getrachtet ihn mit einem böſen Blic) 


KRindifcher alter Mann, er liebt ihn noch. 
(Er gebt an die Hausfür und klinkt fie auf) 
Die Tür ift offen? 


218 


Der Menonit 





Waldemar 
Nun, was fchadet das? 
Die oben ift ja zu. 
Mathias 
Ihr habt den Schlüffel? 


Waldemar 
Hier liegt er — fiehft du, unter meiner Bibel. 
Gebt das Buch auf und zeigt auf einen Darunter liegenden Schlüffel) 


Mathias 
Ich fragte nur — 
Waldemar 
Sch weiß fchon, du gehſt ficher. — 
Was, meinft du, wird fein Schicfal fein in Danzig? 
Mathias 
Das KRriegsgericht in Danzig wird's Euch jagen, 
Ich wittre was von Pulver und von Blei. 


Waldemar (wiegt das Haupt) 
Erfchießen — wenn wir die Sranzofen bäten — 


Mathias 
Um was? Um Gnade? 


Waldemar 
Hm? 


Mathias (zudt die Achjeln) 
Es find Franzofen, 
Und die begnad’gen ihre Feinde nicht. 


Waldemar 
Daß ich den Sammer noch erleben muß. 


Mathias 


Die Nacht rückt vor; bald, denk' ich, fommt der Mann. 


Ich gehe jet, die Leute zu beitellen, 
Mit denen ich den Ausgang hier befege. 


Sp lange gebt wohl acht; auf Wiederfehn ! 
(Ab nach Hinten) 








a Finn Du Race L Sinn nal nat a m Zul Lu 


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b a oT 


Bierter Akt 


219 





Waldemar ſieht ihm kopfſchüttelnd nach) 
Feſt wie der nimmer irrende Magnet, 
Und kalt wie er. — Erfchaffer diefer Welt, 
Der du dich nennft den Gott der ew’gen Liebe, 
Sch werde irr' — herzlos ift deine Welt! 
Hier fig’ ich nun, daß er ung nicht entfomme, 
Der oben liegt mit den verftrickten Gliedern, 
Der bier an diefem Drt auf meinen Rnien, 
Ein blondes Rnäblein, fpielend einftmals ſaß — 
Ein Knabe — ad, fo hold und liebenswürdig, 
Ein Süngling — fo voll heißer Liebeskraft, 
Ein Mensch, gefchaffen zu der Menfchen Freude. 
Du Gott der falten Sterne, jage mir, 
Warum denn machteft du den Herzensreichtum 
Zum Fluche für den Menfchen? Warum ewig 
Gibft du den Sieg dem herzlofen Verſtand? 
Ih bin ein Mann von fiebzig alten Jahren; 
Durch fiebzig Jahre ſucht' ich das Geſetz, 
Das diefe Welt regiert, und fiebzig Jahre lang 
Glaubt’ ich, es wäre heilig — fürchterlich: 
An diefem düftren Markſtein angelangt, 
Erfenn’ ich: das Gefeg der Welt ift böfe! 
Maria hält fich fern — ich weiß, weshalb — 
Einfamer, alter Mann. 


Zweiter Auftritt 
Maria (tritt aus dem Haufe, ein gefülltes Glas in der Hand) 
Maria 


Bier ift Maria, 


Waldemar 
Das freut mich ſehr. Wo weilteft du, mein Rind? 


Maria 
Sch habe einen Nachttrunf dir bereitet, 
Wie du ihn gern magft, von gewürztem Wein, 
(Sie jest Das Glas auf den Tifch und bleibt ftehen) 
Waldemar 
Sonſt, wenn du einen Becher mir Eredenzteft, 
Tateft du mir Befcheid. 


220 Der Mensnit 





Maria 


Wenn du es wünfchit — 
(Sie nippt von dem Glaſe und ſetzt es zurück 


Waldemar (inte 
Du ftehit jo fern, daß ich dich faum erkenne — 
Willft du dich nicht an meine Seite fegen? 
Maria 

Du weißt, ich tue, was du mir befiehlit. 

(Sest fih auf die Banf neben ihn) 

Waldemar 

Was quälft du deinen alten Vater fo? 


Maria (in fohrecklicher Erregung) 
Mein Vater, fprich nicht jo — nicht jegt — nicht jegt mehr. 
Sch bin ja bei dir — fomm, ruh' aus bei mir. 

(Sie legt fein Haupt an ihre Bruft) 

Waldemar 
Doch künftig wird es befjer fein wie fonft; 
Nicht wahr, mein Rind? 
Maria 
Sa, künftig — ja, wie fonft. 


Waldemar 
Der Trank ift ſchwer. 


Maria 
Fa, denn die Nacht wird kühl. 


Waldemar 
Ich bin fo müde — habe noch Geduld — 
Bald fchließ’ ich ganz die alten Augen zu — 
Bis dahin — bleibe bei mir — 


Maria 
O — mein Herz. 
(Waldemar finkt fchlafend an die Rücklehne der Bank, Maria fteht auf und bleibt 
mit gerungenen Händen vor ihm ſtehen) 
Maria 
Sn jeder Falte diefes AUngefichtes 
Hat einft ein Lächeln für fein Rind gewohnt, 


Ze 1 nn er an re 


Zu ee 


Vierter Akt 221 





Und dieſe Hände, ſo durchfurcht von Schwielen, 
Sind wie zwei Bücher, drin geſchrieben ſteht: 
Sei dankbar, denn wir mühten uns für dich. 
Und dieſes Haupt, durch deſſen weiße Locken 
Ehrwürdigkeit wie Gottes Odem rauſcht — 
Muß ich, dein Kind, mit Schmach und Leid beflecken, 
nd dich mit ihm verlaſſen — Vater — Vater, 
So nehm' ich lebend Abſchied auf den Tod. 
Geliebtes Haupt, auf ewig fahre wohl. 
Zum letztenmal denn, ſuchet, meine Lippen, 
Den Ort, wo ihr ſo manchmal ſelig war't, 
Sn letztem, ſchmerzvergeſſ'nem Kuſſe — nein — 
Ich darf dich nicht mehr küſſen, denn dein Schlummer 
Iſt ſeine Rettung; hier von ferne denn, 
Ihr Küſſe, die ihr ſchlaft auf meinen Lippen, 
Wie Engelsſcharen lagert euch um ihn, 
Und ſchirmt ihn vor Verzweiflung — es iſt Zeit — 
Schwer finkt die Nacht herab — 

(Sie nimmt den Schlüffel rn 07 Bibel) 

b’ wohl — leb' wohl, 
(Sie geht eilend in Das = ab) 
(Paufe) 


Dritter Auftritt 


Maria, Reinhold (kommen vorfichtig aus dem Haufe) 


Maria 
Du ſiehſt, er ſchläft; fei leife, we ihn nicht. 
Hier an den Stufen hüte dich zu ftraucheln. 
(Sie fteigt vor ihm Die Stufen binab und reicht ihm die Hand) 
Geliebter Mann, nun ift es überstanden, 


Frei bift du! 


Reinhold (vet die Arme) 

Frei! Dir nun verlob’ ich mich, 
Freiheit, Eriwederin der großen Seelen, 
Tödliche Feindin der Erbärmlichkeit | 


Maria 
Ein jeder Augenblick kann ihn erwecken, 
Was zaudern wir? Geliebter, laß uns gehn, 
Komm, komm, die Sterne leuchten unferm Weg. 


222 


Der Menpnit 





Reinhold 
Die Sterne fehimmern rot. 


Maria 
Nein, ganz wie immer; 
Die Gartentür ift frei; nicht lange mehr, 
So fommen fie und fperren uns den Weg. 
Zch ließ das Licht in deiner Rammer brennen ; 
So denfen fie, daß du noch oben ſei'ſt, 
Und laffen Vorfprung uns, 


Reinhold " 
Die Borficht lob ich. 
Maria 
Sp fomm, was zauderft du? 


Reinhold 
Mir fehlt noch eines! 
Wo tat dein Vater die Piftole hin, 
Die ich ihm gab? 
Maria 
Die des Franzofen ? 


Reinhold 
ga. 
Maria 


Er hing fie an fein Bett, 


Reinhold 
Sch muß fie haben, 
Geh, bring’ fie mir. 
Maria 
Reinhold, was haft du vor? 


Reinhold 
Nichts, was dich fchreden dürfte, 


Maria 
Sage mir — 
Reinhold 
Auf einem Weg wie unferm braucht man Waffen. 








Bierter Akt 223 





Maria (mad kurzer Überlegung) 


Geh unterdes und fattle deine Pferde. 
(Ab in das Haus) 


Reinhold (ige nachiprechend) 
Seit heute mittag ſtehen fie bereit. 
(Er frift an die Brüftung des VBorbaues und betrachtet den jchlafenden Waldemar) 
Schläfſt du jo ruhig, unvorficht’ger Ulter, 
In deffen Nähe, dem du unrecht tatſt? 
So ganz in Schlaf verfunfen Herz und Hirn? 
Kein Warnerruf des flüfternden Gewiffens: 
Schlaf” nicht, dein Schickſal wacht an deiner Seite? 
Doch fie ift deine Tochter, darum fchlafe. 


Vierter Auftritt 
Maria (kommt aus dem Haufe, die Piftole in der Hand) 
Hier ift fie — doch bevor ich fie dir gebe — 


Reinhold (mimme ihr Haftig die Waffe ab) 
Triumph, nun woll’'n wir auf die MWolfsjagd gehn. 


Maria 
Wie? Was bedeutet das? 


Reinhold 
Werwölfe gibt's — 

Geſchöpfe find es, die beim Licht des Tages 
In der Vermummung eines Menfchen fchleichen. 
Doch mitternachts, da kommen fie hervor 
In greulich angeborener Natur. 
Nicht in der Fabel nur,.fie leben wirklich. 
Und einen folchen haben wir im Ort. 


Maria 
Um Jeſus des Erbarmers willen, komm! 


Reinhold 
Noch ift nicht Zeit. 
Maria 
Sag’ mir, auf wen du warteit. 


224 


Der Menonit 





Reinhold 
Auf den Gefandten Schills, auf den fie lauern, 


Maria 
(legt die Arme um feinen Hals, blickt ihm in die Augen) 


So hintergehſt du mich? 


Reinhold 
Ich ſpreche Wahrheit. 


Um ihn zu retten — 


Maria 

Nein, nicht Retterpflicht 
Heißt jene finftre Hand, die hier dich hält. 
Den Werwolf kenne ich, von dem du fprichft. 
Mathias heißt der Mann, auf den du warteft. 


Reinhold 
Ah nun — wenn er mir heut die Wege kreuzt — 


Maria 
Sprich nicht zu Ende, dränge ihn zurüd — 
D nicht zurück — aus deinem Herzen dräng’ ihn, 
Diefen Gedanken, der aus deinen Augen 
Mich wie ein Ungeheuer anblict! Reinhold, 
Bon deinen Lippen atmet Blutgeruch, 
Auf deinem AUntlig fteht ein Wort gefchrieben, 
Das meine Seel’ in Graufen tötet — Mord, 


Reinhold 
Er hat's gewollt. 
Maria 

Weh — tilge es hinweg, 
Das DBrandmal, von den vielgeliebten Zügen. 
In deine Hände hab’ ich mich verfrauf 
Mit Leib und Leben; Hände tötet nicht! 
Soll ich in mordbefledten Armen ruhn? 


Reinhold (in tiefer Bewegung) 
D trautes Herz, ziwiefach von Leid gepeinigt, 
Durch den Verhaßten und durch den Geliebten. 
D fanfter Mund voll ftarfer Überredung. 


a an a nn Kran Sa 


1 as re 5 ln un le — 


— 


— PETER, OEENN 


Vierter Akt 225 





Nein, füßer Engel, zittre nicht vor mir. 

Dir fchenfe ich das Leben diefes Mannes — 
Ward jemals Braut vom Bräutigam fo bejchenft? 
Horch — Schritte nahn. (Er eilt an die Gitterfür) 


Maria 
Iſt es der Bote Schills? 


Reinhold (ehrt zurüch 
Mathias ift es mit den Menoniten. 


Maria 
Nun helf' ung Gott. 
Reinhold 
Ruf’ Gott für ihn zu Hilfe, 
Daß er ihm wende den hartherz’gen Sinn. 


Romm — bier im Dunkel birg’ dich neben mir. 
(Sie treten in die erjte Kuliſſe rechts) 


Fünfter Auftritt 


Mathias, Joſeph, Hieronymus und andere (erjcheinen an der Gartentür) 


Mathias 


Tretet herein. 
(Alles tritt durch die Gartenfür ein und bleibe ftehn) 


Hieronymus und Joſeph, 
Ihr beide ftellt Euch an die Pforte bier, 
Doch fo, daß er von draußen Euch nicht ſieht; 
Die Türe nicht ganz auf, das regt Verdacht, 
Und nicht ganz zu; lehnt fie nur gerade an, 
So ahmen wir den Schein des Zufallg nach. 


Reinhold (für ji) 

Du Fallenſteller. 
Mathias 

Wenn er nun bereinfchleicht, 
So jteht Ihr ohne Laut und ohne Regung 
Und laßt ihn weiter in den Garten gehn. 
Wenn er dann bis dort vorn gefommen it, 
Dann werd’ ich rufen: „Greift ihn!“ Dann fpringt vor 
Und werft die Tür ing Schloß — doch früher nicht, 
Habt Ihr verftanden? 


Dramen VII 15 


226 Der Menonit 





Joſeph 
Nicht bevor du rufſt. 


Mathias 
Nein, früher nicht, als bis ich: „Greift ihn!“ rufe, 


Hieronymus 
Gut, wir verſtehn. 
Mathias 
Ihr anderen verteilt Euch 
Hinter den Bäumen — drückt Euch recht ins Dunfel — 
Sp fteht auch Ihr und regt Euch nicht — 


Sechſter Auftritt 


Juſtus (kommt haſtig durch die Gartentür) 
Mathias | 
Mathias 
Leife, nur leife; wer fommt da? 


Sofeph 


Zuftus 
Der Vogel fommt ins Garn, wir haben ihn: 
In einen Reitermantel eingehüllt 
Schleicht fich ein Mann entlang an unfern Häufern. 
Das ift der Bote Schills. 


Alle 
Er iſt's — er iſt's. 
Juſtus 
Gleich muß er hier ſein. 


Mathias 
Habt Ihr alle Stricke? 


Alle 


's iſt Juſtus. 


Wir haben ſie. 
Mathias 
Wenn ich dann rufe: „Greift ihn!“ 
So ſpringt Ihr vor, und dann mit lautem Schrei 





Bierter Akt 227 





Werft Ihr Euch über ihn, reißt ihn zu Boden 
Und bindet ihn. Nun alle auf die Pojften. 
(Alles verſteckt fich Hinter den Bäumen des Gartens; Mathias kommt jpähend in 
den Vordergrund) 
Mathias (blickt zu den Fenftern auf) 
Die Leuchte brennt — wirklich es ift mir lieb — 
Ich weiß nicht, wie es fam, doch war's mir plößlich, 
Als wär’ er frei und ftünde hinter mir — 


Reinhold 
Fühlſt du den Geier über deinem Haupt? 


Mathias 
Der Alte fchläft — das nenn’ ich einen Wächter, 
Die Leuchte brennt — doch wenn — da kommt es wieder — 
(blickt entſetzt um fich) 
Mir ift, als glogten mich zwei wüt'ge Augen 
Aus diefem Dunkel an — ich muß doch fehn, 
Ob auch der Schlüffel noch an feinem Ort iſt. 


(Er geht die Stufen hinauf, währenddefjen kommt Reinhold hervor und ftellt ſich an 
die Stufen, jo daß er Mathias —* — ligne Mathias hebt die Bibel 
auf und fu 


Mathias 
Der Schlüffel fort! «Er ſchüttelt Waldemar) 
Wo ließeſt du den Schlüffel? 


Waldemar (aufwahend) 
Wa—? Was? 
Mathias 
Wo du den Schlüffel ließeft, frag’ ich. 
©» ift er frei — bier irgendwo veriteckt 
Steht er und lauert — blide hinter mich — 
Sieht du etwas? (Waldemar ftiert ihn dumpf an) 


Wart — gib mir eins der Lichter — 


(Er nimmt eins der Lichter aus dem Gehäufe und tritt auf die Treppe, um fich 
leuchtend) 


Bon hier aus will ich jehn — ha — 
(Er leuchtet Reinhold in das Geficht) 
Reinhold ſchlägt ihm das Licht aus der Hand) 
KRennft du mich? 


228 Der Menonit 





Siebenter Auftritt 


Hennecer (erſcheint in der Tür und fchleicht langfam nach vorn) 


Reinhold 
(ſpannt die Piftole, jo dag man den Hahn zweimal knacken hört) 


Hörſt du, was diefer Burfche fpricht? „Sal — jal” 

Das ift der alte Schwur der Menoniten. 

Wohlan, ich ſchwöre: Täfjeft du den Mann, 

Der dort heranfchleicht, ungefährdet gehn, 

So follft du leben — „Greift ihn!“ beißt: Du ftirbft! 
(Mathias ſinkt ächzend auf Die Stufen) 


Hennecker (fchleicht langſam nach vorn) 
Dies ift der Garten doch, — ich irre nicht, — 
Sit jemand bier? — da vorne fchimmert Licht. 
He, Reinhold, bift du da? 


Reinhold 
(die Piſtole auf Mathias richtend, ihn drohend anblichend, mit ruhiger, lauter Stimme) 


| a, ich bin hier, 
(Man hört ein dumpfes Flüftern hinter den Bäumen) 


Henneder 
Was ift das? — find wir nicht allein? — mich deucht, 
Es flüftert hier — 
Reinhold 
Dom Fleck aus, wo du ftehft, 
Dreh’ um — fu feinen Schritt — du bift verraten! 


Henneder 
Hal 

Reinhold 
Nicht durch mich — die Straße rechts hinunter, 
Bis an das dritte Haus — der Stall ift offen — 
Zwei Pferde ftehn gefattelt — nimm den Braunen — 
Fort, Henneder, und trage dich der Sturm! 


Zuftus (freifchend) 
Mathias! Warum fehweigit du? 


Reinhold (donnernd) 
Weil er muß! 





Bierter Akt 229 





Mathias (pringt auf) 
Greift ihn! 
Alle Gorbrechend) 
Ergreift ihn! 


Reinhold 
Hölle, nimm dein Recht! 
ae an 
die Gittertür) 
Reinhold 
(hleppt Mathias in den Vordergrund, jchleudert ihn zu Boden) 
Dieb meiner Liebe, Mörder meiner Ehre, 
Berräter des, was Menjchen heilig ift, 
Fahre zur Hölle, wo du bingehörft ! 
Echießt auf Mathias) 
Mathias 
Ermordet! 
Reinhold 


Nein! Gerichtet! 


Maria ie hervorgetreten ift) 


Mörder! Mörder! 
(Sintt zur Erde) 


Achter Auftritt 


(Srommelwirbel in nächjter — —** —— ur franzöfiihen Soldaten erjcheint 
Despreaur 
Beſetzt den Ausgang, bleibt bier draußen ftehn. 
: (Er tritt in den Garten ein) 
Hier fiel der Schuß? 
Alle 
(rängen fih an ihn, auf Reinhold zeigend, welcher im Vordergrunde ſteht) 
Der ift der Mörder! Der da! 


Despreaur 
Blutige Tat! Wo ift der Bote Schills? 


Reinhold 
Es tut mir leid, für den fommt Ihr zu fpät. 


230 Der Menonit 





Despreaur 


Alle 
Durch den! 


Reinhold 
Jawohl durch mich. 

Es ift mein Roß, das ihn zur Freiheit trägt, 
Und wenn er morgen zu dem Manne fommt, 
Den ich nun nicht mit Augen fehen werde, 
Wird er ihm fagen, daß, wenn es in Deutſchland 
PBerräter gibt, auch Männer find in Deutfchland, 
Die den Verräter ftrafen. Diefen da 
Erſchoß ich, weil er Euch den Boten Schills 
Ausliefern wollte. — 


Despreaur 
Nun, wer fo entjchloffen 
Als unfern Feind fich zeigt, wird fich nicht wundern, 
Wenn wir zu ftrafen auch entfchloffen find. 


Reinhold 


Er fam davon? 


Sch bin bereit, — 
(Er wendet fich, wie um Abjchied zu nehmen, zu Maria; diefe verbirgt ihr Geficht an 
der Bruft —B—— der mittlerweile ganz von den Stufen berabgeftiegen iſt) 
Reinhold (vüfter abgemwender) 


Sie wendet fich hinweg — 


Despreaur (zu den Menoniten) 
Nehmt den Gefall’nen auf und tragt ihn fort. 
(Zuftus und die übrigen treten heran, um Mathias aufzuheben) 
Mathias (vichter ſich mit halbem Leibe auf) 
Hauptmann — der Aufruf Schills (intt zurüc) 


Despreaur 
Ah — was jagt der? 
(Zu Reinpow) Ihr habt den Aufruf Schills? 
Reinhold 


Den babe ich. 
Despreaur 


Nun freilich, das befiegelt Euer Schidjal. 


—— 0 


Vierter att 231 





Reinhold (greift in die Bruſttaſche) 
Wo kam er hin? — Wlögtich mit einem Blick Maria ftreifend) — 
Ah Gott — 


Mathias 
(vichtet fich auf, auf Maria zeigend, mit legter Kraft) 


Die da — die da! 
Despreaur 
Was zeigt der Mann auf diefes Mädchen hier? (Zu Maria) 
Habt Ihr den Aufruf Schills? 


Maria 
Sch babe ihn. 
Despreaur 
Das tut mir leid — für Euch und Euren Vater. 
Reinhold 


Auf Eurem Antlig fteht die heil’ge Schrift 
Des Edelmuts — Hauptmann — es iſt ein Weib! 


Despreaur 
Wir leben in der Zeit der Rebellion, 
Sn folcher Zeit wird auch das Weib gefährlich. 
Das Kriegsgericht in Danzig wird’s entjcheiden. 


Waldemar 
Ihr wollt mein Kind erfchießen?! 


Reinhold 
Fluch auf mich! 
Mörder des gütigen, geliebten Herzens | 
(Rniet nieder) 


Nicht mehr vergeben ſollſt du mir, nur hör' mich! 
Maria (eilt auf ihn zu und fällt ihm um den Hals) 
Mußt du dich gegen mich verteidigen? 
Geliebter Reinhold — damals — heuf und Fünftig 
Und ewig, ewig, ewig bin ich dein! 
Mathias (ftöhne Heifer auf und ftirbe) 


Reinhold 
Maria! 


232 Der Menonit 





Maria 
Blutig, ja, ift deine Hand — — 
Doch rein dein Herz, wie dein geliebtes Antlitz. 
Sp woll’n wir morgen ftehen Hand in Hand 
Und Herz an Herz und Auge tief in Auge — 
Bor den Franzoſen — und vereinigt fo 
Ziehen wir dann hinauf zum Throne Gottes — 


Waldemar au Despreaur) 
Könnt Ihr den Sammer fehn? 


Despreaur (für fich) 
Zum erjten Male 
Berfluch’ ich heute, daß ich ein Soldat. 
Doch das Gefes ift eifern über mir, 
Wie über Euch. (Rufe nach Hinten) 
Drei Mann zur Wache vor. 


(Drei — —— Soldaten kommen in den Vordergrund. Maria blickt entſetzt auf. 
Die Soldaten legen Hand an Reinhold und Maria) 


Despreaur 
Nehmt diefe zwei — fie find Gefangne. 


Maria (Hammert ſich an den Vater) 
Bater — 
Waldemar 
Mein Rind — mein Rind — 


Maria 
D hilf mir doch, mein Vater — 
Der Himmel fällt herab — die ſchweren Sterne 
Fallen mir auf die Bruft — weh, ich erftide — 
(Sie ſinkt in Waldemars Arme) 
Waldemar 
So ift Natur barmberziger als Menfchen. 


Maria (elig Lächelnd) 
Ach, nun ift alles gut — da kommt mein Trauter — 
Und Hand in Hand mit ihm mein alter Vater — 
In weißen Kleidern — o wie ſchön — o Frieden — 
(Sie ſinkt zurück und ftirbt) 


Bierter Akt 233 





Reinhold (ihluchzend) 
Ach, es ift beſſer jo. 


Despreaur (nimmt die Müge ab, feierlich) 
Ja, e8 iſt beffer. 


Reinhold (beugt das Haupt vor Waldemar) 
Ih muß nun gehn — einjt war ich Euer Sohn — 
Denkt heut, ich fei es noch, und fegnet mich. 





Waldemar 
Mein Sohn — mein Sohn, ich tat nicht gut an dir, 
Qu, der du welfen folljt vor deiner Zeit, 
Nimm diefen Ruß von meinen welfen Lippen, 
nd drüben — wo wir den Geigt auf Mathias) nicht finden 
werden — 
Dort drüben fage mir, daß du vergabft. 


Reinhold (erhebt fich) 
Nun bleibt noch eins: (Sieht das Blatt Tiffots aus der Bruſttaſche) 
Hauptmann, auf diefem Blatt 
Schriebt Ihr mir auf, dab ich ein Feigling fei. 
Gewährt mir eine Bitte. 


Despreaur 
Redet ! 


Reinhold 

Morgen, 
Wenn ich zu Danzig auf dem Sande Enie, 
Sp fommandiert das Feuer Eurer Leute, 
Und wollt Ihr nicht, feht meinem Tode zu: 
Erkennen follt Ihr, daß Ihr Euch geirrt, 
Ihr werdet feinen Feigling knien fehn. 
Ihr werdet jehn, wie deutſche Männer fterben. 

(Während er fich mit Despreaur zum Abgehen wendet, fällt der Vorhang) 


Ende des Stücdes 


n: 
2 HN 
REEL 





Die Rarolinger 
Trauerfpiel in vier Alten 





Motto: 


Hiftoriker Kieft im Buch der Geſchichte die Zeil 
er den 6 n lien und erklärt Ve Bot. 


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Vorwort zur zweiten Auflage 


In die erfreuliche Notwendigkeit verfest, der erjten Aus— 
gabe meiner „Rarolinger“ jegt ſchon eine zweite Auflage folgen 
zu laſſen, fühle ich mich im Hinblid darauf, daß dieſe neue 
Auflage gleichzeitig als eine teilweife neue Bearbeitung des Stückes 
erfcheint und einen von der früheren Faſſung abweichenden, nicht 
unerheblich veränderten Schluß aufweift, denjenigen gegenüber, 
welche das vorliegende Drama in feiner erften Geftalt kennen ge- 
lernt und für dasfelbe Interejfe gewonnen haben, zu einigen 
Worten der Erklärung veranlaßt. 

Die Eigenartigkeit der dramatifchen Dichtungsweife bringt 
es mit fih, dab das Werk mit feiner Entjtehung auf dem 
Papiere noch nicht vollendet und abgefchloffen ift, jondern erſt 
in der Berührung mit der Bühne, unter der lebendigen Mit- 
wirkung der Zuhörerfchaft zu voller Körperlichkeit fih entwidelt. 

Erſt wenn er als Zufchauer unter Zufchauern die eigenen 
Geftalten an ſich vorüberwandeln fieht, ift der dramatifche Dichter 
in die perfpeftivifch richtige Entfernung von feinen? Werke gerückt, 
um prüfen zu können, ob fein dramatifcher Gedanke imjtande 
geivefen ijt, fich einen dramatifchen Leib zu ſchaffen; das eigene 
Werk löſt ſich von ihm los und tritt ihm wie ein fremdes gegen- 
über, und je mächtiger der in ihm treibende dramatifche Inftinkt 
ift, um fo energijcher wird diefe Loslöfung fich vollziehen. 

Mit der Stunde der Aufführung, mit welcher das Publi- 
fum das Werk des Dramatifers für beendet hält, beginnt daher 
für legteren, vorausgefest, daß er fich nicht am eigenen Werfe 
beraufcht, und daß er ein nicht nur für Furze Augenblicke blen- 
dendes, fondern auf fernere Zeiten hinaus wirfendes Gebilde zu 
Schaffen fich beftrebt, die eigentliche Tätigkeit, denn mit dem Be— 
wußtfein von den Unzulänglichkeiten feiner Schöpfung wird ihm 
gleichzeitig das unabweisliche Bedürfnis geboren werden, nac)- 
befjernd in das eigene Werk zu greifen, um alles, was an dra- 
matifcher Wirkungsfähigkeit in feiner Erfindung jchlummert, zu 
nachdrüdlichitem Leben bervorzurufen. 

Dieſes Bedürfnis erfcheint mir als ein fo entjcheidendes 
Merkmal wahrhaft dramatijcher Begabung, daß ich nicht anftehe, 
zu behaupten, daß aus dem Mafe der Schonungslofigfeit, mit 
welcher der Dichter fein eigenes Gebilde wieder und immer wie- 
der in die umgeftaltenden Hände nimmt, ein unmittelbarer Rüd- 


Ihluß auf das Maß feiner dramatifchen Fähigkeit überhaupt ge: 
zogen werden kann. 

Nicht Willkür, fondern innerfte drängende Notwendigkeit 
ift e8 daher gewefen, welche mich trieb, den Karolingern den- 
jenigen Schluß zu verleihen, mit dem fie jegt vor das Auge des 
Leſers treten. Durch das Gefagte aber hoffe ich den Einwen- 
dungen derer begegnet zu fein, die geneigt jein möchten, dem 
Dichter diefes unaufhörliche Ringen mit feinem Stoffe ala Schwäche 
auszulegen. 

Diejenigen, welche fo urteilen, befinden fich im Irrtum; es 
it nicht Schwäche, denn nur derjenige, der das Feuer des 
Prometheus in feiner Hand empfindet, darf es wagen, Die 
eigenen Gejtalten zu vernichten, um neue, befjere an ihre Stelle 
zu jeßen. 


Berlin, am 31. Dezember 1881, 


Ernft von Wildenbruch 





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Derjonen 


Ludwig (genannt der Fromme), Kaifer der Franken 
Zudith ( ter Welfs), feine Gemahlin zweiter Ehe (etwa vier- 


N a Sabre alt) 
othar, König von Italien, eine Söhne aus erfter Ehe mit 
Ludwig = Deutjche), König —— im beſten Mannesalter 


Rarl, Ludwigs und Zudiths Sohn (etwa jechzehn Jahre alt) 
Ebo, Biſchof von Rheims 

Agobard, Bifhof von Lyon 

Wala, Abt von Corvey 

Eliſachar, Ranzler des Kaiſers 

Matfried, Herzog von Orleans 

Hugo, Graf von Tours 

Bernhard, Graf von Barcelona 

Rudthardt, 

Ottgar, deutſche Große 

Humfried, 

Hamatelliwa, eine Maurin 

Abdallah, ein alter Maure in Bernhards Dienften 


eat edle Mauren 
Frechulf, Hausmeifter des faiferlichen Palaftes 
Diener und Ritter, Drei Herolde 


Ort der Handlung: 
In den erjten drei Akten Worms. Im vierten Akt bei Kolmar 


Zum erften Male aufgeführt am Herzogl. Hoftheater in Meiningen am 6. März 1881 


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Erfter Akt 241 
Eriter Akt 


Szene: Ein geräumiger Saal in der Pfalz zu Worms. Türen rechts 

und links. Die Hinterwand ift durch eine offene Säulenreihe gebildet, 

durch welhe man in einen Garten hinausblict, der die Tiefe der 

Bühne füllt. Stufen leiten aus dem Saale zum Garten hinunter. 

An den Wänden des Saales einige alterfümliche Stühle. Rechts 
ein Ruhebett 





Erfter Auftritt 


Samatelliva Abdallah 


Hamatelliwa 
(ist an eine der Säulen der Hinterwand zurückgelehnt. ve Augen loſſen, 
ſie bietet das Bild dußerfter 3 — — 


Abdallah (teht Hinter ihr, düſter auf fie niederblickend) 


Hamatelliwa (ohne die Augen zu öffnen) 
Abdallah — 


Abdallah 
Was begehrt Hamatelliwa? 


Hamatelliwa Ebenſo) 
Sieh mich nicht an mit deinen düſtern Augen, 
Sie ſcheuchen von den Wimpern mir die Ruh'. 


Abdallah 
Dein Auge iſt geſchloſſen, und du ſiehſt? 


Hamatelliwa Ebenſo) 
Durch die geſchloſſnen Augenlider fühl" ich 
Wie kummervoll du blickſt. 


Abdallah 
So geh' ich! 


Hamatelliwa 


Nein! 
(Sie Öffnet die Augen und ergreift ſeine Hand) 


Wer bleibt der Tochter El Moheiras noch 
Wenn auch Abdallah geht? 


Dramen VI 16 


242 


Die Rarolinger 





Abdallah 
Dann bleibt ihr niemand — 
Die weite Reife, die von Barcelona 
Nah Worms ung führte, raubte deine Kraft — 


Hamatelliwa 
Worms nannteft du die Stadt? 


Abdallah 
Das iſt ihr Name. 


Hier iſt der Hof des Chriſtenkaiſers Ludwig. 


Hamatelliwa 
Wie weit von hier mag unſre Heimat fein? 


Abdallah 
Wohl hundert Meilen find’s von Saragoffa. 


Hamatelliwa 
Wie dieſer holde grüne Garten mich 
Un meines Vaters Haus erinnert. Pater, 
Den ich verließ, um diefem Mann zu folgen — 
D Bernhard, der du wie ein Meteor 
Um Himmel meines jungen Lebens aufgingft, 
Warſt du ein Stern des Unheils? 


Abdallap 

Beim Allmächtigen — 
Samatelliwa 

Nein — du Prophet des Zorns. — Du fahelt ihn, 

Als er am Tage nach der Maurenfchlacht, 

Verfolgt von meines Vaters grimmen Schwertern 

Berzweifelnd kam ins Schloß, darin ich wohnte — 


Abdallap 
Daß ihm zehntaufend Damaszenerklingen 
Den Weg verfperrten in das ftille Tal, 
In dem die Tochter EI Moheiras wohnte ! 


Samatellimwa 
Blutdürſtend griff nach ihm der Tod — Abdallah — 
Du ſahſt ihn, wie er mir zu Füßen fanf, 


en nn einig. 


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Erfter Aft 


243 





Mein zitternd Knie anpreffend an fein Herz — 
Und feine Augen — weh’ mir, diefe Augen — 
Wie fie fih rollend, eine Welt voll Leid, 
Flehend zu mir erhoben! Schuld und Sünde, 
Daß ich ihn rettete vor meinem Vater! 
Zwiefahe Schuld — Abdallah, könnt’ es fein, 
Daß er vergäße was ich fat für ihn? 


Abdallap 
Solang wir reiften mied er deine Augen — 
Seit wir in Worms find fennt er dich nicht mehr. 


Hamatelliwa 
Du Echo meiner ftummen Sorgen, nein! 


Abdallah 
Hamatelliwa, Tochter meines Herrn, 
Mit der ich floh aus unſrem Vaterlande, 
Weißt du, warum ich ſolche ſchwere Schuld 
Aufs graue Haupt mir lud? Weil ich dich liebe, 
Wie man ſein Kind liebt; nahe dir zu ſein, 
Wenn niemand nahe fein wird der Verlornen, 
Wenn dich der Chriftenhund verlaffen wird. 


Samatelliwa 
Dann wär” das Blut in feinen Adern Gift! 
Es kann nicht fein! 
Abdallah 
Es kann's, doch darf es nicht. 

Hüte dich, Bernhard, Graf von Barcelona, 
Die Rofe, die du brachft in Spaniens Flur, 

Hat einen Dorn nur, doch er heißt Abdallah. 


Hamatelliwa 
D ftill — 
Abdallap 

In fein Vertrauen bohrt' ich mich, 
An jedem Tag ein bundertfacher Heuchler 
Derfteckt? ich unter Demut meinen Haß, 
Und er, der feinem feines Volkes traut, 
Er traut auf mich. Er weiß, daß ich fie fenne 


16* 


244 Die Rarplinger 





Die Pflanzen, deren Saft den Tod gebiert, 
Gr traut mir, wie der Schlangenbändiger 
Der KRlapperfchlange, die er ſich gezähmt. 
Hüte dich, Chrift — 
Hamatelliwa 
Still, graufenvoller Mann ! 
Nach Liebe dürft’ ich, und du gibft mir Rache? 


Zweiter Auftritt 


Bernhard (kommt von rechts und Aache * einiger Entfernung von den vorigen 
ehen 


Bernhard 


Abdallah! 
Hamatelliwa 


Horch die Stimme! 


Abdallah (eiſe) 
Es iſt er. 
(Abdallah tritt mit tiefer Verbeugung auf Bernhard zu) 
Was forderſt du, Gebieter? 


Bernhard (eiſe auf Hamatelliwa deutend) 
Führ' fie fort 
Zu den Gemächern, die ich Euch gewieſen. 


Hamatelliwa (leife zu Abdallah) 
Was jagt er dir? 
Abdallah (ebenfo zu ihr) 


Sch fol hinweg dich führen 
Zu deinen Zimmern, 


Hamatellimwa (zu Bernhard) 
Währt der Augenblick 
Da ich dich ſehen darf nach langen Tagen 
Dir ſchon zu lang? 
Bernhard 
Wir ſind am Hof des Kaiſers. 


Hamatelliwa 
Doch du — biſt du nicht Bernhard mehr? 


Erfter Akt 


245 








Bernhard 
Ich bin's, 
Allein der KRaifer naht — es ift nicht Zeit 
Zu Liebeständeleien Barcelonas, 


Hamatelliwa 
Was fagit du, Bernhard? Liebeständelei? 
War es ein Spiel, was mich von meinem Vater — 


Bernhard 
Mein, es ift Ernft, was dich und mich verband. 
Meinft du, daß ich vergaß was du getan? 


Hamatelliwa 
D fprich noch einmal das geliebte Wort, 
Nein — du vergaßejt nicht? 


Bernhard 
Heißblütig Kind, 
Ein jeder Pulsfchlag, der mir jagt, ich lebe, 
Mahnt mich an dich. 


Hamatelliwa 
D, Himmel Spaniens, 

Tiefblauer, heißer, wahre mir fein Herz, 
Daß es der fahle Himmel nicht erfalte 

Der bier herabfieht. O, geliebter Chrift, 
Nun geh’ ich ruhig — 

Bernhard 
Geh, Hamatelliwa. 


Hamatelliwa 
Wie hold und ſüß von diefen fränffchen Lippen 
Mein Name tönt. — Abdallah laß uns gehn. 
(Hamatelliwa, Abdallahb nach) rechts ab) 


Bernhard (allein) 
° Liebe, du DBetrügerin der Frauen. — 
Gutherzig Kind, du retteteft mein Leben, 
Doch nicht in Barcelonas fonn’ger Flur 
Gedenk' ich's dir am Herzen zu vertändeln. 


246 Die Rarolinger 





Mein Leben ift mein Gut; ich will es mir 

Zu einem Bau von Macht und Ehre fürmen. 
Dein Werk ift abgetan; du warſt die Schwelle, 
Hier fei die Werkftatt, hier am Hof zu Worms; 
Dies Haupt der Meifter, Werkzeug diefer Arm; 
Maurin fahr” wohl — mir winken andre Sterne. 


Dritter Auftritt 


König Lothar. König Ludwig Hugo von Tours Matfried von 
Drleans und andere Großen (frefen aus dem Garten in den Saal ein) 
Bernhard (mifcht fich unbemerkt unter Das Gefolge) 

Lothar 

'nen Preis für den, der etwas auserſinnt, 
Das dieſen Tagen, die wie Greiſe ſchleichen, 
Den gliederlahmen Stundenlauf beſchwingt! 

Wo iſt der fromme Kaiſer, unſer Vater? 


Hugo 
Mit Ebo ging er und mit Agobard, 
Den Biſchöfen von Rheims und von Lyon, 
Verſunken in Geſprächen. 


Lothar 
Wette biet' ich — 


Ludwig 
Wette worauf? 

Lothar 

Daß er im Pſalter Davids 

Mit ſeinen beiden Heiligkeiten forſcht, 
Wie man Beſchwornes unbeſchworen macht, 
Wie man geſchmeidig das Gewiſſen macht, 
Daß es die läſt'ge Feſſel des Verſprechens 
Glatt von ſich ftreife — wie man feinen Söhnen 
Gelobtes Erbteil Fürzt. 


Ludwig 

Auf deinen Vater 
Laß deiner Worte gift’gen Regen ſprühn, 
Doch von dem meinen will ich es nicht hören. 


Erfter Akt 


247 





Matfried 
Eintracht, Ihr Herren, es verlangt’s die Zeit. 


Vierter Auftritt 


Eliſach ar (von links zu den vorigen) 


Lothar 
Wir werden fehen was die Zeit uns bringt! 
Hier kommt der Schreibefinger Kaiſer Ludwigs, 
Ranzler Elifachar. 

Ludwig 
Ihr wart beim Kaiſer? 


Elifahar 
Ja, mein gnäd’ger Herr. 


Matfried und Hugo 
Nun, was beipracht Ihr? 


Elifabar 


Edle Herren, erlaubt — 


Lothar 
Ja, diefe Herren find zu ungeftüm. 
Bon andrem laßt uns plaudern. Kanzler jagt, 
Ihr wißt mit Pergamenten umzugehen — 


Ludwig 
Wo führt das hin? 
Lothar 
Wenn auf ein Pergament 
Ich geftern fchrieb, was heute mich gereuf, 
Wißt Ihr's wie man fih Ruhe jchafft dafür? 


Elifabar 
Iſt's weiter nichts, als nur ein Pergament, 
Nun, fo vernichtet man’s. 


Lothar 
Sehr wahr geiprochen. 
Doch wenn es mehr ift als ein Pergament, 


248 


Die Rarplinger 





Wenn das Gefchriebene feftgeankert liegt 


Mit heil’gem Eidfehwur an dem Grund des Rechts, 


Wie Schafft man fol Verſprechen aus der Welt? 


Elifahar 
Rein redlich Mittel Fenn’ ich, Herr, dafür, 


Lothar 
Und wenn zu Aachen Kaiſer Ludwig einſt 
Sein Reich verteilte unter die drei Söhne, 
Die ihm die blonde Irmengard gebar — 


Hugo 
Ja, Irmengard ift tot und Judith lebt. 


Ludwig 
Doch ihre Söhne Ieben. 


Matfried 
Judiths Sohn lebt auch. 


Lothar 


Wenn er na Worms den Reichstag dann beruft, 
Ratfchläge hält mit Geiftlichen und Herrn — 
Welch Mittel fann er aus, ich will eg wiffen, 

Daß ihn zu Worms der Eidfchwur nicht mehr hält, 
Der ihn zu Aachen band? Liegt diefes Worms 
Auf anderem Planeten denn als Aachen? 

Gilt hier ein ander Menfchenrecht als dort? 


Elifahar 
Schmäht Euren Vater nicht, fein weiches Herz 
Ringt bitterlichen Rampf, von zwei Gewalten 
Heiß angefallen: An dem Tag zu Aachen 
Berteilt’ er unter Euch das Reich der Franken 
Und „Amen“ fchrie das Volk, „fo foll e8 fein“, 


Hugo 
Auf ewig foll es fein, fo rief das Bolt, 





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Eriter Akt 


249 





Eliſachar 
Auf ewig, ja. Geſprochen war das Wort, 
Doch Irmengard ging hin und Judith kam. 


Lothar 
Fluch ſei dem Tage! 


Eliſachar 
Und ſtatt dreier Söhne 
Zählt Kaiſer Ludwig vier. 


Lothar 
Und dieſer vierte 
Er iſt zu viel! 
Ludwig 
Wahr iſt's. Wo Raum für drei iſt, 
Da ift nicht Plag für vier. 


Eliſachar 
Doch Kaiſer Ludwig, 
Wie er Lothar, Pipin und Ludwig liebte, 
So liebt er Karl. 


Lothar 
Unwahr geſprochen, Kanzler, 
Den Nachgebornen liebt er mehr als uns. 


Ludwig 
Und Karl zuliebe will er neu verteilen? 


Lothar 
Kanzler Eliſachar, Ihr ſeid ein Mann, 
Der Ludwigs Herz, dies große Meer der Launen, 
Ofter befuhr und beſſer kennt als wir — 
Welche der Stimmen wird in ſeiner Bruſt 
Die Macht behalten: Ehre, Pflicht und Recht? 
Oder das lüſtern buhlende Geflüſter 
Erhitzter Sinne? 

Eliſachar 

Nennt Ihr ſo die Liebe, 

Die er zu Judith hegt? 


250 


Die Rarolinger 





(Bernhard, der bisher fchweigend unter den übrigen a igpee bat, geht in den 


Lothar 
Geht mir mit Liebe! 
Ein alter Mann bei einem jungen Weib — 


Ludwig 
Sprich nicht von unſrem Vater ſo, ich will nicht. 


Lothar 
Welche der Stimmen? Sagt! 


Eliſachar 
Ich weiß es nicht. 
Ludwig 
So wär' es möglich — 


Eliſachar 
Aber dieſes weiß ich, 
Daß wer ein Schwert im Frankenreiche trägt 
Und wer den Krummſtab führt der heil'gen Kirche, 
Ihm ſagen wird: bleib deinem Worte treu, 


Lothar 
Iſt das gewiß? 
Eliſachar 
Ich kenne die Gemüter 
Von Volk und Geiſtlichkeit; es iſt gewiß. 


Lothar 
Dann ſteht es gut. — 
Wohlan, Ihr fränk'ſchen Herren, 
Ihr wart dabei, als er auf unſre Häupter 
Die Kronen der drei Königreiche ſetzte. 
Soll nun die Tochter Welfs, die kecke Judith, 
Zerbrechen unſre Kronen und die Zacken 
Hinwerfen in den Schoß dem Buben Karl? 


Hugo 
Solang' ich lebe nicht! 


Matfried 
Sie foll es nicht! 


Hintergrund und dann nach dem Garten ab) 








Erfter Att 


251 





Lothar 
Wohlan — hier ſtehn die Söhne Irmengards, 
Wer iſt für ſie? 
Alle 
Wir alle! 


Lothar 
Wer für Judith? 
iefe Stille) 
Ludwig 
Wer war der Herr, der eben uns verließ? 


Eliſach ar 
Wen meint Ihr, König Ludwig? 
Ludwig 


Ein Geſicht, 
Das ich noch nie am Hof des Kaiſers ſah. 


Lothar 
Ich gab nicht acht; er ging? 


Ludwig 
Ja, eben jetzt, 
Da du die Herren frugſt: wer iſt für uns. 


Lothar 


So laßt uns ſehn — 
(Geht auf den Garten zu) 


Fünfter Auftritt 


Karl (aus dem Garten zu den vorigen) 


Lothar 


Ah — ſeht, welch ein Beſuch. 


Karl (geht auf Lothar zu) 
Ich grüße Euch, mein Faiferlicher Bruder, 


Lothar (ftredte ihm die Hand zum Kuſſe entgegen) 
Ich grüß’ dich, Rarl — wie nun? 


252 Die Rarolinger 





Karl (tritt zurüch 
Dem Bruder brauch’ ich nicht die Hand zu küſſen! 


Lothar 
D hört doch, wie die Mutter aus ihm ſpricht. 


Ludwig 
Er ift nicht fchuld, daß er geboren wurde, 
Quäle ihn nicht. 
Lothar 
Die Augen aus dem Kopf 
Laſſ' ich dir ftechen! Sage, Bruder Karl, 
Was meinst du- zu der Rutte eines Mönche? 


Rarl 
Ich will fein Mönch fein. 


Lothar 
Überlege dir's. 
Die Welt iſt voll Gefahren. Schwerter gibt es, 
Die ſich verirren. 
(Er tritt auf ihn zu und blickt ihm in die Augen) 
Denke, welch ein Schade, 
Wenn fich in diefe hellen jungen Augen 
Stahlipigen tauchten. 


Rarl (weicht vor ihm zurüc, ihn entfegt anblickend) 
D mein Bruder Ludwig — 


Sechiter Auftritt 
Ju dith (aus dem Garten zu den vorigen. Bei ihrem Eintritt entfteht eine peinliche 
Stille, während fich alle ehrfurchtsvoll verneigen) 
Zudith (u Lothar) 
Ihr feid bei Laune, Faiferlicher Sohn, 
Ihr fcherzt mit Eurem Bruder, wie ich hörte. 


Lothar 
Euer Euger Geift, wie immer, hohe Mutter, 
Traf ganz die Sache. 





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Erfter Akt 253 





Rarl ur Mutter gewandt) 
Heiß’ ihn anders fcherzen! 
Mir grauft vor feinen Scherzen! 


Zudith (eiſe zu Karl) 
Törichter — 
— (gu den andern) 
Berzeiht ihm — er ift jung. 


Karl (flüfternd) 
Hör’ was er Sprach! 


Zudith (baftig, leiſe) 
Still — Sprich fein Wort! 


Rarl (ebenfo) 
Aus meinem Haupt die Augen — 


Judith 
Ich weiß — ſei ſtumm! 

(Sie gebt mit Karl bis in den Vordergrund der Bühne und bleibt mit ihm, den Rücken 
egen die anderen gewendet, jteben, jo daß ein Zwijchenraum zwijchen ihnen entjteht. 
othar unterhält fih flüfternd mit den —— wig blickt ſtumm auf die Gruppe 

Ludwig 
Wie ſteht es mit der Jagd? 
Wir wollten jagen. 
Lothar 


Ja, wir wollen jagen. 


Ludwig 
Nun, Bruder Karl, gehſt du mit uns zur Jagd? 


Judith 
Geht, bitt' ich, heute ohne ihn zur Jagd, 
Ich hab' ein Wort mit meinem Sohn zu ſprechen. 


Ludwig 
Wie Ihr es wünſcht. 


Lothar (su JZudith) 
Erhabene Frau Mutter, 
Wir nehmen Urlaub, 


254 Die Rarolinger 





Judith 
Geht mit Gott, Ihr Herren. 
All meine Wünſche folgen Euch. 


Lothar 
Wir wiſſen 
Und danken Eurer Gnade — kommt Ihr Herren. 


(Alle verneigen ſich ehrerbietig vor Judith, welche ihren Gruß leicht erwidert und 
gehen nach dem Garten ab) 


Judith 
(bleibt unbeweglich ſtehen, bis daß der legte aus dem Saale tft, dann öffnet fie die 
Arme und umarmt Rarl, während fie in leidenfchaftliche Tränen ausbricht, die ihr 
zuerst Die Sprache rauben) 


Ihr Sterne meines Trofts, geliebte Augen, 
Euch will er blenden! Kind und Kindeskinder, 
Berdirb ihm, Gott, wenn du gerecht dich nennft! 
(Rarl weint) 
Nicht weine, Knabe, laß die Mutter weinen, 
Sie ift ein Weib, du aber bift ein Mann, 
Du haſſe ihn! 
Rarl 

Ich wollt’ ihn lieben, Mutter, 

Doch warum haßt er mich? 


Zudith 
Nicht lieben follft du! 
Ein Tiger ift er, Tiger liebt man nicht! 
KRomm, laß mich deine füßen Augen küſſen — 
Sn diefe Augen feine Stachel bohren — 


Rarl 
Nicht er alleine, alle diefe Männer, 
Sie alle haffen mich. Für welche Schuld? 


Judith 
Daß du geboren wardſt iſt deine Schuld, 
Daß du zum Vater einen Kaiſer haſt, 
Doch keinen Mann, das iſt dein Anheil, Karl! 
Verlaßner Sohn — unglücklich du wie ich, 
Und dennoch glücklicher als deine Mutter, 
Dir lebt ein Herz, in dieſem Buſen ſchlägt's, 
An das du flüchten kannſt in deiner Not — 
Doch ich — in dieſe böſe Welt geſtoßen — 


en nn Ba FE a Va u ee ee 


Erſter Akt 255 





Gekrönt mit Ehren, die mein Leid verhöhnen — 

Weib eines Mannes, der mich nicht beſchirmt — 

Bin ich nicht Fleiſch und Blut? Ich brauche Menſchen, 
Und wilde Tiere lagern um mich her! 

Im Zwinger leb' ih! — Still — der Kaiſer naht — 
Glätte dich, Stirne, lächle, Angeſicht — 

Lächeln iſt der Gekrönten bittre Pflicht. 


Siebenter Auftritt 


Kaiſer Ludwig. Ebo von Rheims. Agobard von Lyon. Wala von 
Corvey ſtreten von links) 
Gudith und Karl ſinken beim des Kaiſers in die Knie) 


Ludwig Die Knienden betrachtend) 
Seht, welch ein Bild. — Liebreizende Gemahlin, 
Erhebt Euch, kommt, ich biet! Euch meine Hand. 
i (Er reicht ihr die Hand) 
Zudith (erhebt fih, ebenjo Karl) 
Erhabner Raifer — ! 
Ludwig _ 
Nein, von diefen Lippen, 
Die heute noch in gleicher Blüte prangen 
Wie damals, als ich fie zuerjt gefüßt, 
Laßt meinen Namen zärtlicher ertönen. — 
Wie geht es meinem füßen Sohne Karl? 


Zudith 
Es geht ihm wohl, mein gnädiger Gemahl, 
Wenn ihn fein Vater liebt. 


Ludwig 


D dann mein Sohn, 
Geht es dir wohl. Glaubt du, daß ich dich liebe? 


Karl (küdt feine Sand) 
Ja, gnäd’ger Vater. 
- Ludwig 
Ihr geliebten beiden — 
Ihr ftrengen Männer, feht den Raben an: 
Iſt diefes Haupt nicht ganz fo königlich 
Wie meiner andren Söhne? 


256 


Die Rarolinger 





Sudith 
Fa, das ift’g! 
Ebo 

Wir wiffen wohl — 

Judith 

Das Blut in ſeinen Adern 
Stammt aus dem Quell, aus welchem ſeine Brüder 
Das ihre tranken. Judith, Tochter Welfs, 
Iſt ſchlechter nicht als Irmengard es war! 


Agobard (u Ludwig) 
Mein gnäd’ger Herr, wir hören, was wir willen, 
All dies ift ung befannt und wohl erwogen. — 


Ludwig 
Und dennoch heifcht Ihr, daß ich diefem Jungſten 
Unväterlich das Teil der Altren weigre? 


Ebo 
Ihr ſeid nicht nur der Vater Eurer Söhne, 
Ihr ſeid der Kaiſer, Herr, des Frankenreichs, 
Das heißt, der Vater vieler Millionen — 


Judith 
Doch zwiſchen ihm und dieſen Millionen 
Ward nicht das heilig große Band geſchürzt 
Wie zwiſchen ihm und dieſem ſeinem Sohn, 
Sie ſind nicht ſeines Bluts — 


Agobard 
Erhabene Frau, 
Dies hier iſt Reiches Sache. 


Judith 
Meine Sache 
Geht vor: es iſt die Sache der Natur! 


Ludwig 
Geliebtes Weib, feid ruhig; glaubt, mein Herz 
Spricht fo für Euch und unfern teuren Sohn, 
Daß es unnötig ift — 





Erfter Akt 257 





Judith 
O mein Gemahl, 
Ich weiß, des Weibes Stimme iſt verbannt 
Von da, wo ſtaatsklug Männer ſich beraten, 
O mein Gemahl, den Worten jener Männer 
Leiht Euer Ohr — doch Eures Weibes Worten 
Leiht Euer Herz, denn aus dem Herzen kommt es: 
Der Ruf des Sohnes iſt es an den Vater, 
Der große Schrei der Menſchheit an das Recht. 


Wala 
Wer nimmt ſein Recht dem Knaben? 


Judith 
Dieſe dort; 
Und wenn Ihr dieſen beiden zuſtimmt, Ihr! 


Wala 
Beim Himmel, Ihr ſprecht kühn. 


Judith 
Und Ihr, beim Himmel, 
Ihr fprecht nicht fein zu Eurer Raiferin! 


Wala 
Nun ſolches — 
Ludwig (su Judith) 
Mein — ſeid nicht zu hisig, Liebe. 


(Zu Wala) 
Denkt, werter Abt, fie oje — ihren Sohn. 


Geh, Karl, mein Sonn, dies bier F nicht für dich. 
(Karl durch die Mitte 


Judith 
Und weil ich's tue, darf er kühn mich ſchelten? 
Wer darf zum Sohne ſagen, du tuſt unrecht, 
Wenn er vom Vater, der ihm Leben gab, 
Den Boden heifcht, auf dem er leben kann? 


Wala 
Wer nimmt den Boden ibm? Noch einmal frag’ ich. 
Gebt Eurem jüngjten Sohne, Kaiſer Ludwig, 


Dramen VII 17 


258 


Die Rarolinger 





Soviel an Land und Leben als er braucht, 
Daß er der Erfte fei der fränffchen Edlen — 
Doch König fei er nicht. . 


Zudith 
Up! 


Ludwig (zu Zudith) 

Laßt — ich bitte, 
Wala ? 
Ich ſaß im Rate Eures Vaters, Kaiſer. 

Zm Namen denn des allgewalt’gen Karl, 
Der von der Oſtmark, wo die Slawen haufen, 
Bis an die Küften, die der Ozean 

Dumpf brandend anfpült, baute diefes Reich, 
Und der e8 frug auf dem granitnen Naden, 
Zerbrecht das heil’ge Reich der Franken nicht, 


Ludwig 
Gott fchüge mich — Ihr meint, daß ich zerbräche — 


Wala 


Es ward geteilt; noch einmal teilen heißt 
Zerfpalten dieſes Reiches große Einheit. 


Ludwig (u Zudith) 
Wie dünkt Euch, Liebe? 


Judith 
Nein — er rät Euch falſch. 


Wala 
Tollkühne Frau, ſo meiſtert Ihr den Willen 
Des großen Karl? 

Judith 

Der große Karl iſt tot, 

Doch mein Sohn lebt, und mit ihm lebt ſein Recht. 
Er ſoll Vaſalle ſeiner Brüder ſein? 
Kraft welchen Rechtes? 

Wala 

Kraft des Rechtes, Weib, 

Das Ihr nicht ändern ſollt, der Erſtgeburt. 


Erfter Akt 259 





Kaiſer, e8 drängt die Zeit, frefft Eure Wahl: 

Dort Euer Weib, mit wilder Geele eifernd 

Für ihren und den Vorteil ihres Sohns, 

Hier Walas fchneebededtes Haupt, und drunter 
Ein Wunſch, ein Ziel: das Heil des Frankenreichs. 


Ludwig 
Wie von zwei Seiten Ihr mein Herz zerreißt. 


Wala 
Entjcheidung, Herr; der Reichstag endet morgen, 
Auf Euren Lippen ruht das große Wort, 
Das Frieden birgt und Krieg: haltet den Schwur, 
Und friedlich rollt das heil'ge Neich der Franken 
Den großen Lauf ins Meer zufünft’ger Zeit; 
Zerbrecht den Eid — und pflanzet die Zerftörung, 
Neid, Gift und Haß in Euer eignes Haus, 


Ludwig 
Wer fol den Eid verlegen, den er ſchwur? 
Und wer ein Herz zerbrechen, ein geliebtes? 


Wala 
Beiler, ein Herz gebrochen, als ein Eid! 
Entfcheidet Euch: bleibt’s bei dem Schwur zu Aachen? 


Ludwig 
Es kann nicht anders fein, geliebte Judith. 
D — feht mich nicht mit folhen Augen an, 
Dies Wort zerreißt mich ganz fo jehr wie Euch — 
Ich kann nicht anders teilen, als ich teilte, 
Gudith zudt auf; dann ſteht fie ſtumm und ftarr da) 


Wala 
Gefegnet feid für diefes Wort. 


Ebo und Agobard 
Geſegnet! 
Wala 
Kommt, Kaiſer Ludwig — folgt uns zur Kapelle, 
Tragt Euer Herz vor Gott, und wenn ſie ſingen 
17* 


260 Die Rarolinger 





„Frieden auf Erden“, dann erhebt das Haupt, 
Denn Frieden ſchenktet Ihr der Chriftenheit. 


Ludwig 
Sp gehen wir. — (Su JZudith) D tröſtet, Teure, Euch, 
Sp reichlich ftatt? ich unfern Rnaben aus — 


(Er wendet fih mit Wala, Ebo und Agobard zum Abgehen nach links, in demſelben 
Augenblick kommt) 


Achter Auftritt 


Bernhard (durch die Mitte zu den vorigen, gebt auf Ludwig zu und läßt fich auf 
ein Knie nieder) 


Ludwig 
Wer naht ung hier? 
Bernhard 


Ich grüße meinen Kaiſer. 
Bernhard bin ich, der Graf von Barcelona ! 


Ludwig 
Der Graf der fpan’fchen Mark? 


Bernhard 
Den Ihr zum Pförtner 
Um Porenäenfelfentor beitellt. 


Ludwig 
Ich wähnt Euch Fämpfend mit den Sarazenen? 


Bernhard 
Der Kampf ift aus! Der dunkle Wüftenfturm 
Er ift gebrochen — rückwärts bis Toledo — 


Ludwig 
Sie find befiegt? 
Bernhard 
Sie find es, gnäd’ger Herr, 
Durch Gottes Gnade und durch Bernhards Schwert. 


Ludwig 
D hört, Ihr Herrn, die große Freudenbotfchaft ! 
Ach, wacrer Streiter für die Chriftenheit, 


 E — 


Eriter Akt 261 





Gebt ung Bericht nachher — doch dies fogleich: 
Bon heute feid Ihr Kämmerer des Reiches. 


Bernhard 
In Ehrfurcht dank’ ich meinem gnäd’gen Herrn. 


Ludwig 
KRommt zum Gebete, Dank gebühret Gott 
Für folhe Gnade. 


(Im Abgehen zu Judith) . 
Folgt uns, meine Liebe. 
(Ludwig, Wala, Ebo, Agobard ab nach links) 


Bernhard 
(ift ihnen bis an die Tür gefolgt, dann bleibt er ftehen und ſchließt Hinter ihnen) 


(bat den Abgehenden den Rüden u {2 dag fie Bernhard nicht gewahrt) 

Nicht zur Kapelle will ih! Nicht zu Gott! 

Du danke ihm, daß er dir Männer fendet, 

Die dich, du halber Mann, zum ganzen machen. 

Mut — Hoffnung — Leben — nun lifch aus, liſch aus! 
Denn was fol Mut, dem feine Hoffnung leuchtet? 

nd was ſoll Leben, deſſen Zweck dahin? 

(Ste wirft fich verzweifelnd, das Haupt in den Kiffen bergend, auf Das Ruhebett) 
Der Hirſch befämpft den Hirſch für feine Hindin — 
Das Weib des Menfchen nur ift ausgeftoßen 
Aus dem Gefes der liebenden Natur. 

Mönchifche Lehre ftampft mit rohen Füßen 
Das Weib in Staub! D Welt der Feiglinge, 
Die fich verfchwören wider eine Frau! 

So viele taufend Männer und fein Mann! 


Bernhard 
(tritt auf fie zu und wirft fich vor dem Ruhebett nieder) 


Hier ift er, den Ihr fucht und der Euch Hilft! 


Zudith (eichtet das Haupt auf) 
Seid Ihr nicht jener Graf von Barcelona? 
Was wollt Ihr? Hebt Euch auf. 


Bernhard 
Mein, laßt mich knien 
Bor diefer fchmerzgebrochenen Geftalt, 


262 


Die Rarolinger 





Bor diefen Augen, die in Tränen ſchwimmend, 
Mich anſchaun — ein verlegtes Götterbild — 


Judith (ichter ſich mit dem Leibe auf) 
Was fol mir diefer Überfal? Was wollt Ihr? 


Bernhard 
Euch dienen will ich! 


Qudith 
Mir? 


Bernhard 
Und Eurem Sohn, 
Dem ich, zum Troß den Söhnen Irmengardg, 
Zur Rrone helfe! 


Judith (fpringt auf) 
Sagt mir wer Ihr feid! 
Wenn ich vertraute — Doch ich traue nicht! 
Sie ſchicken Euch! Zeig’ mir das Netz, Verräter, 
Das du um meine Füße fehlingen willſt! 


Bernhard (erhebt fich) 
Sp ſchwör' ich denn bei Gott — 


Judith 


Schwört nicht bei Gott, 


Denn Eid und Meineid hört er ſchweigend an, 


Doch etwas iſt in Euch — — ah — wenn Ihr täuſcht 


Und ſo mich fangt, dann brecht den Ritterſchild, 
Denn keine Kaiſerkrone deckte jemals 
Die unermeßne Schande ſolchen Siegs! 


Bernhard 
Bei meiner Seele denn — o, meine Herrin — 


Herz, Leib und Leben geb’ ich Euch zum Pfand — 


Nicht heut zum erften Male ſeh' ich Euch. 


Zudith 
Ihr faht mich ſchon? 








Erfter Aft 263 





Bernhard 
Am Tage war’s, zu Straßburg, 
Als nach dem Tod der blonden Irmengard 
Ludwig der Kaifer fich die ſchönſte wählte 
Bon all den ſchönen Franfenjungfrauen — 
Judith 
Ihr wart dabei? 
Bernhard 
Ich war es, und ich ſah 
Den holden Kranz von blühnder Frauenſchönheit — 
Doch da kam eine — und ein ſtaunend Flüſtern 
Lief durch die Reihen — und mein knirſchend Herz 
Schrie auf zum Himmel: Alle laß ihn wählen, 
Nur dieſe nicht! Nicht Judith, Tochter Welfs — 
Und unter allen wählte Ludwig Euch! — — 


Judith 
Euer Herz ging hohen Gang. 


Bernhard 
Den Gang des Blutes, 
Das edel iſt wie das des Karolingers! 
Wilhelm erzeugte mich, Graf von Toulouſe. 
Und alſo raubte mir der Karolinger, 
Kraft des Verdienſts, daß er geboren ward 
Als Sohn des Kaiſers — 


Judith 
Wißt Ihr, was Ihr redet? 


Bernhard 
Ja, denn ich weiß, was ich gefühlt! Er gab Euch, 
Was ich nicht geben konnte, eine Krone, 
Doch was er nicht zu geben Euch vermocht, 
Das hatte ih! O Herrin meiner Seele, 
Biel taufend Tage gingen hin jeitdem; 
Diel taufendmal vom Purpurftrahl des Abends 
Sah ich gefüht das Haupt der Pyrenä'n — 
Allein ihr AUntlis voller Majeftät 
Nie glich’8 dem wonneholden AUngefichte, 


264 


Die Rarolinger 





Das tieferglühnd in bräutlich füßer Scham 

Zu Straßburg fih vor Kaifer Ludwig neigte. 

Und während Ihr zum Bett des Kaifers gingt, 

Trug ich mein Herz wie einen wunden Adler 

Hinunter in den Sarazenenftreit! 

Nicht für dies Reich, nicht für die Chriftenheit 

Rang ich mit ihnen wütend Jahr um Jahr — 

D Weib, in deffen Leid mein Herz dahinfiecht — 

Hier lieg’ ich vor Euch (wirft ſich auf die Knie) — geht nun hin 
zum Raifer, 

Sagt ihm, was ich gejagt — 


Judith 


Ich könnt' es tun — 
Doch wenn ich ſchwiege? 


Bernhard 
Dann ſeht dieſe Hand 
Und dieſes alles, Mannheit, Kraft und Mut, 
Bereit zu Eurem Dienſt, erſehnte Frau. 


Zudith 
Tödliche Schuld ift jedes diefer Worte — 
Berbrecher, wer fie fpricht, und Frevlerin, 
Wer ihnen laufcht! Sch weiß — dies war die Sprache, 
Die in der Menfchheit unbewachter Stunde 
Bom Sündenbaume der VBerfuchung Hang — 


Bernhard 
Nein, warum quälen folche Bilder Euch? 
Zudith 
Ein Bangen gibt’s, dawider hilft fein Mut: 
Das DBangen vor ung felbft. 


Bernhard 
Für Euren Sohn 
Sp glaubt’ ich, wollt Ihr kämpfen? 


Zudith 
Soll ich mich Euch vertrauen? 


Rarl, mein Sohn — 


Nicht vom Himmel, 





EZ 











Erfter Akt 265 





Nicht von der Sterne fanften Friedenslicht 
Stammt Eure Glut — 


Bernhard 
Herrin, vertraut Euch mir. 


Zudith 
Sei’s Himmelsliht — ſei's wilde Höllenflamme, 
Berater meiner Not, o, feid mir freu, 


Wie ich mich Euch vertraue. — Hier das Pfand. 
(Sie ftredt ihm die Hand zu) 


Bernhard (fpringt auf) 
D, Hand — wie aus dem AUlpenfchnee geformt 
Und bei durchglüht vom Purpurquell des Lebens; 
Geftalt der Wonne, AUntlig meiner Luft, 
Nun feilelt ung ein königlich Geheimnis. 
Und alfo weih’ ich den verſchwiegnen Bund. 

(Er füßt ihre Sand) 

Ihr zittert? 


Zudith 
Sa — weil Ihr von Weihe fpracht. 


Bernhard 
Nein, unfern Feinden bleibe Angſt und Zittern, 
Für ung Triumph! Mag diefes Frankenreich 
Zerkrachen unter unfrem Schritt; das ift 
Gefes der Welt: was morfch ift, das zerbricht. 
Stellt Wächter auf die Zinnen Eures Haufes, 
Ihr KRarolinger! In den Pyrenäen 
Hebt fih ein Wetter — — langſam ftieg’s herauf; 
Schnell wird es wandeln — Schickſal heißt jein Lauf. 


Der Vorhang fällt 


266 Die Rarplinger 


Zweiter Akt 


Szene: Ein anderer Saal zu Worms. Türen recht8 und links. An 
der Hinterwand eine Erhöhung auf Stufen 





Erfter Auftritt 
Diener (ftellen auf der Erhöhung zwei Shronfeflel und üßen der Erhöhung 


u 
rechts und links davon je einen Satbtreis von Stühlen auf, 5 daß man vom Zu- 
ſchauer aus in den geöffneten Kreis — Sie ſchwatzen und lärmen bei der 
rbe 


Erſter Diener (um zweiten) 
Du willſt mich Sarazenen kennen lehren? 
Wenn ich Euch ſage, daß ich ſie geſehn. 


Zweiter 
Alſo wie ſahn ſie aus? 


Erſter 
Wie ſahn ſie aus — 
Geſichter gelb wie Quitten. 


Dritter 
Das trifft zu. 


Erſter 
Bart, Haar und Augen — alles teufelſchwarz, 
Und auf dem Kopfe ſolch eine rundes Ding — 
Wie nennt man's — 


Zweiter 
Turban? 


Erſter 
Richtig — einen Turban. 


Dritter 
Nun, Sarazenen ſind's — es iſt fein Zweifel. 
Du ſahſt ſie? 
Erſter 
Ja, ich ſah ſie alle beide, 
Als ich heut morgen an dem Tor der Pfalz 
Beim Pförtner ſaß — mein Vetter, wie Ihr wißt. 








Zweiter Aft 267 





Zweiter 
Was woll’n die Heiden? 


Erfter 
Wie der Pförtner meint, 
Mein Better, ſind's Gefandte. 


Dritter 
Sind wir Heiden, 


Daß man uns foldhe Heiden jchiden darf? 
Erſter 


Sie fragten nach dem Graf von Barcelona 
Und dann nach unſerm Könige Lothar. 


Zweiter Auftritt 
Frechulf (der während der legten Worte von links zu den vorigen gefommten tt) 
Frechulf 
Was ſchwatzt Ihr dal Wollt Ihr an Eure Arbeit! 


Heil'ger Euſtach, der Lohn für meine Sünden, 


Daß ſolche Sr meine Rnechte find! 
e Diener ab nach linfs) 


Frechulf (uft dem erften Diener nach) 
Du da — was fchwagteft du von zivei Gejandten — 


Erfter Diener 

Zwei Mauren, ganz gewiß, ich fah fie jelbit, 
Die nach Lothar, dem König, fragten. 

Frechulf 

Fort. 
Erſter Diener hinter den anderen ab) 
Dritter Auftritt 
Matfried von Orleans, Hugo von Tours (von linfs) 

Matfried 

KRämmrer des Reiches — wie gefällt Euch das? 


Hugo 
Ganz fo wie Euch — Ihr könnt's danach bemeifen. 


268 


Die Rarolinger 





Matfried 
Die KRarolinger waren Rämmerer 
Der Merovinger, und fie wurden groß, 
Heut in den Schlund des Pyrenäenwolfes 
Geben fie felbft ihr Haupt. 


Hugo 
Die Rarolinger? 
Der alte Ludwig tut's — doch, Gott fei Dank, 
Er ift nur einer — 


Matfried 
Und die anderen? 


Hug» 
Die andren werden fehlagen, wenn man fchlägt. 
Frechulf 
(der ſich bis dahin mit den Stühlen zu ſchaffen gemacht hat, tritt heran) 
Geſtrenger — wollt verzeihn! 


Matfried 
Wer iſt der Mann? 
Hugo 
Der treue Frechulf; nun was gibt's, mein Wackrer? 


Frechulf 
Die Knechte ſagen von zwei Sarazenen, 
Die heut als Boten kamen für Lothar. 


Hug» 
Ha, das ift eine Botfchaft von Pipin. 
Matfried 
Was? Von Pipin? 
Hugo 


Ihr follt fogleich erfahren — 
(Zu Frechulf) 


Frechulf 
Herr, ich hab’ fie nicht gefehn. 


Wo find fie? 








Zweiter Akt 269 





Hugo 
Geh gleich, fieh zu, ob wahr ift, was man jagt, 
Und ſiehſt dur fie, bring augenblids Beſcheid. 


Frechulf 


Immer zu Euren Dienſten. 
Eib nach links) 


Hugo 
Das iſt wichtig. 


Matfried 
Was iſt das mit Pipin? 


Hugo 

Matfried, Ihr wißt, 
Um was e8 fich beim heut’gen Reichstag handelt. 
Abrede ift getroffen mit Pipin: 
Wenn heut der alte Ludwig töricht iſt 
Und heut noch einmal teilt zugunften Judiths, 
Sp dringt Pipin, der mit den Aquitaniern 
Nicht eine Stunde Wegs von Worms mehr fteht, 
Sn diefe Pfalz — wir greifen Kaiſer Ludwig 
Samt Judith und dem Buben — 


Matfried 
Gut erdadht! 
Doch Ludwig, hört’ ich, läßt es bei der Teilung? 
Hugo 


Sp wollt! er — doch von gejtern bis zu heute 
it grad’ jo weiter Weg als wie vom Wollen 
Bis zum Vollbringen. 
Matfried 
Und die Boten, denkt Ihr — 


Hugo 
Sie bringen, der Verabredung gemäß, 
Die Nachricht, daß Pipin bereit fteht. 


Matfried 
Doh Mauren? Sollt' er Mauren ſchicken? 


270 


Die Rarolinger 





Hug» 


Freilich. 
Er kann von feinen Leuten feinen jenden, 
Wil er Verdacht nicht weden; wer fommt da? 


Vierter Auftritt 


Bernhard und Abdallah (von rechts zu den vorigen) 


Matfried (leife zu Hugo) 
Der Pyrenäenwolf. 
Hug» 
So laßt uns gehn. 
(Beide links ab, fich kalt mit Bernhard begrüßend) 
Bernhard (ipnen nachblidend) 


Wenn Blicke töten könnten, wär’ ich tot. 
(Zu Abdallah) 


Die Mauren find bei dir? 


Abdallap 


In meinem Zimmer 
Kehrten fie ein, weil fie bei Hofe fremd. 
Zwei Boten El Moheiras. 


Bernhard 
Führ' fie vor. 


Abdallah (öffner die Tür rechts) 
Der KRämmrer wartet Eurer — fretet ein. 


Fünfter Auftritt 
Satilatlad Temin (von rechts zu den vorigen) 


Bernhard 
Wir, den? ich, ſahn uns fchon? 


Satilatlas 
Ihr faht uns, Herr, 
So oft Ihr an des Ebro grünen Ufern 
Das Sarazenenbanner flattern ſaht. 


Bernhard 
Satilatlas? 





a ae 





Zweiter Aft 


271 





Satilatlas 
Sp nannte mich mein Vater, 


Bernhard (su Temin) 
Und Euer Name, edler Herr? 


Temin 
Temin. 


Bernhard 
Euch ſendet El Moheira. 


Satilatlas 
Wißt Ihr's ſchon? 


Bernhard 
Und da ich's weiß, ſo glaub' ich auch den Grund 
Zu kennen, der Euch führt: Hamatelliwa. 


Satilatlas 
Jawohl, das ift der fchmerzensvolle Grund. 


Temin 
Gebt fie ung wieder, Graf von Barcelona. 
Das ift es, was der Emir uns befahl. 


Bernhard 
Ei — er befiehlt? Es fcheint mir richtig, Herrn, 
In Bitte den Befehl zu überfegen. 


Satilatlas 
Wohlan, er gibt fein Recht als Vater auf, 
Der Emir bittet, gebt jein Kind zurüd, 


Bernhard 
Ihr wißt, dab ich Hamatelliwa liebe, 
Und mitten in das Herz der Chriftenheit 
Schickt EI Moheira feine Boten mir 
Mit folcher Fordrung? Euer Emir baut 
Auf meinen Ritterfinn. 


Satilatlas 
Er ift bereit, 
Die Tochter auszulöfen, nennt den Preis, 


272 Die Rarolinger 





Bernhard 
Was? Preis? Soll ich für Gold und Gilber 
Mein Herz verkaufen? 


Temin 
Chrift, mich freut dies Wort, 
Birgt es gleich wenig Gunft für unfre Wünfche, 


Satilatlag 
Ward EI Moheiras Tochter Euer Weib? 


Bernhard 
Sie ward e8 nicht. 
Satilatlas 
Sp ward fie — beim Propheten — 
Doch davon nichts. — Gie ward die Eure nicht, 
So blieb fie ihres Vaters — gebt fie wieder. 


Bernhard 
Ward fie gleich nicht mein Weib, fo ward fie mein 
nd bleibt bei mir. 


Satilatlas 
Iſt's Euer legtes Wort? 


Bernhard 
Fa, Maure. 


Satilatlas 
Nun wohlan, jo find wir fertig, 
Zu betteln hieß ung El Moheira nicht. 


Temin 
Doch feid gewiß, Herr Graf von Barcelona, 
Wir rechnen nach. 


Bernhard 
Nur nicht fo ftolz, Ihr Herren; 
Denkt, wo Ihr feid; des Kämmrers guter Wille 
Schüst Euer Leben — Kämmerer bin ich. 


Satilatlas 
D Herr, Ihr irrt; ung ſchützt wohl noch ein andrer. 








Zweiter Alt 273 





Bernhard 
Wer wäre das? 
Temin 
Lothar, des Raifers Sohn, 
An den wir Botjchaft haben. 


Bernhard 
Botihaft? Was? 
Botichaft von wen? 


Satilatlas 
Vom Könige Pipin. 


Bernhard 
Sch bin der Kämmrer; Botſchaft für Lothar 
Iſt auch für mich — fagt mir — 


Satilatlas 
Nein, edler Herr — 
Ausdrüclich wurde Weifung uns gegeben, 
Nur an Lothar — 
Bernhard 
Nennt Eure Botjchaft mir 
Und Euer foll Hamatelliwa fein. 


Temin 


Verſprecht Ihr das? 


Bernhard 
Bei meiner Ritterehre! 


Satilatlas 
Nun, ſo erfahrt: Als auf dem Weg hierher 
Wir bei Lyon die Rhone überſchritten, 
Da ſtießen wir aufs kriegeriſche Lager, 
In dem der Aquitanierkönig lag. 
Er heiſchte unſer Reiſeziel zu wiſſen, 
Und da er's hörte, gab er für Lothar 
Uns dieſe Botſchaft: Alles iſt bereit; 
Ich bin vor Worms zum feſtgeſetzten Tag, 
Und halte Euch das Netz — ſchafft Ihr die Fiſche. 


Dramen VII 18 


274 


Die Rarolinger 





Bernhard 
Schafft Ihr — 


Temin 


So ſagt' er, wir verftanden nicht. 


Bernhard (für fich) 
Doch um fo beffer ich. 


Satilatlas 
Ihr wißt es nun, 
Gebt Ihr das Mädchen ? 


Bernhard 
Sa, doch eines noch: 
Ihr follt die Botfchaft an Lothar beftellen ; 
Doch jetzt noch nicht, nicht ohne mein Geheiß. 
Ich werde Euch beftimmen, wann und wo. 


Satilatlas 
Wo fol’s gefchehn? 
Bernhard 
Bor Kaifer und vor Reich. 


Temin 
Das, fürcht’ ich, widerfpricht dem Willen 
König Pipins. 
Bernhard 
Was fümmert Euch Pipin? 
Diefe Bedingung ftell ich. 
Satilatlas und Temin 
(beraten fich einen Augenblic Leife) 
Satilatlas 
Gut — e8 fei; 
Ihr laßt uns rufen? 
Bernhard 
Sa, bis dahin wartet. 
(Satilatlags, Temin ab nach rechts) 
Bernhard u Abdallah) 
Geh jegt — doch fei gewärtig meines Winks, 
Wenn ich fie brauche — nun, was blickſt du fo? 








Zweiter Aft 





Abdallah 

Vergib mir, Herr — du willſt Hamatelliwa — 
Bernhard 

Zum Vater ſchicken, haſt du nicht gehört? 
Abdallah 


Ich gab nicht acht — ſo hab' ich recht gehört. 
Ab nach rechts) 
Bernhard (allein) 
Mit feinem Heerbann rücdt Pipin auf Worms. — 
Haupt werde fruchtbar, zeuge mir Gedanfen, 
Berdoppelt, Taten, euren Sturmesjchritt. 
Er hält das Neg — ah wart’, in deine Netze 
Spring’ ich hinein, daß Euch die Mafchen reißen! 
Nun ſoll's ein Krachen geben durch die Welt, 
Wenn ich dies Band der KRarolingerfreundfchaft, 
Dies Eägliche, mit meinen Händen faſſe 
Und fo und fo in die vier Winde reife. 
Lothar — Pipin, ei jeht, Ihr mut'gen Füllen 
Im wurmzerfrefifnen Rarolingerftall 
Schlagt Ihr jo mutig aus? Geid auf der Hut, 
Der Pyrenäenwolf fteht vor der Türe, 


Sechſter Auftritt 


Rudthardt. Ottgar. Humfried und andere deutſche Herren (von links 


zu dem vorigen) 


Bernhard (für fi) 
Die Stunde naht — bier fommt bereits der Vortrab; 
@aur) Ich grüß' Euch, edle Herrn. 


Rudthardt (eiſe) 
Wer ift der Herr? 
Dttgar (ebenfo) 
Kennt Ihr ihn nicht? Das ift der neue Rämmtrer. 


Rudthardt 
Nun Herr, Gott grüß’ Euch; und da Ihr's vermögt, 
Sp laßt den Reichstag heut zu lang nicht dauern. 
18* 


276 


Die Rarolinger 





Matfried von Orleans, Hugo von Tours und andere Franken (von links 


Bernhard 
Dem Kaiſer meld’ ich Eure Pünktlichkeit. 
(Mit Höflicher Verneigung nach links ab) 


Rudthardt 
Ein art’ger Herr. 
Ottgar 


Er kommt von Spanien drunten, 
Es iſt der Graf von Barcelona. 


Humfried 
Der? 
Der mit den Sarazenen focht? 


Ottgar 
Der iſt es. 
Rudthardt 
Ein gutes Schwert nach allem, was man hört. 


Ottgar 
Und gar kein Freund der Franken, wie man ſagt. 


Rudthardt 


Das lohne ihm der heil'ge Bonifaz. 

(Sieht ſich um) 
Dies alſo ſind die Schranken des Turniers, 
Wo Irmengard und Judith ſtreiten ſollen? 


Siebenter Auftritt 
zu den vorigen) 


Hugo (u Matfeied) 
Als hätte fie der Boden eingefchluckt. 
Sch fand fie nicht. 
Matfried 
Bielleicht war's nur Geplauder. 


Hugo (zu Rudthardt und den andern) 
Was fagen diefe Herrn zum neuen Kämmrer? 


Rudthardt 
Bon Paderborn iſt's weit nach Barcelona. 











Zweiter Akt 277 





Hugo 
Was meint Ihr mit dem Worte? 


Rudthardt 
Daß wir Schlechtes 
Bon ihm fo wenig je gehört als Gutes. 


Ditgar (u Rudthardt) 
Sie hofften eine andre Antwort. 


Rudthardt 

Möglich ; 

Und darum eben gab ich ihnen diefe. 
Matfried (gu Hugo) 

Laßt diefe deutfchen Büffel. Ah — gebt acht! 


Achter Auftritt 
Bon links fommen: Chorfnaben — dann die — — Ebo und Dauer art — 
und der Abt Wala — dann Ludwig, Judith lints neben ibm — dann Lothar, 


(Raif ——— A ae Si „auf Die &hro —5———— Chorfnaben) 
er Ludw udith e Throner 9; Bernhard hinter 
See Chorfnaden fchreiten fingend rund um die Bühne) 


Chorfnaben 
Der du flammend in der Wolfe 
Zeigteft Sfrael den Pfad, 
Neige dich dem Frankenvolke, 
Gib ihm Weisheit, fchenfe Rat — 


(Die Chorknaben ftellen fich jo, daß Le —— er rechts und links abjchließen. 


Bernhard 
(fteigt herab, tritt auf die unterjte Thronesftufe, das Geficht zur Verfammlung) 


Im Namen Kaifer Ludwigs frag’ ich Euch, 
Seid Ihr verfammelt bier zu rechtem Reichstag? 


Alle (fi kurz erhebend und gleich wieder jegend) 
Das find wir. 
Bernhard 
Kamt Ihr zu dem Tag des Kaifers 
Ohne Gefährde? Friedlich? 
(Zimmer langfamer jprechend) 


278 


Die Karolinger 





(Alles erhebt fich,-die fränkiſchen und Die deutſchen Großen teilen fich in zwei Gruppen 


Ohne Waffen ? 
Ohn' böfen Willen, freies Wort zu hindern 


Durch eigne Macht — oder die Macht von andren, 


Die Ihr bewaffnet wißt zu Eurem Dienft? 


thar 


Lo 
(wendet ſich haſtig und unwillkürlich zu ——— und Hugo, die hinter ihm ſitzen) 


Die Frag’ erfand er! Weiß er von Pipin? 


Matfried (ebenfo) 
Unmöglich. 
Hugo (leife) 
Still nur. 


Alle (fich wie oben erhebend) 
Alſo kommen wir, 


Ludwig 
Ehrwürdig Denkmal unfres alten Reiches, 
Abt von Gorvey, tut diefen Edlen Fund 
Den Zwer und Grund, warum wir fie beriefen. 


Wala (erhebt fich) 
Sp preif’ ich Gott, daß ich zu froher Botfchaft 
Die Lippen heut den Franken öffnen kann: 
Ihr wißt, daß Karl, des Kaifers jüngfter Sohn, 
Den Judith ihm, die Tochter Welfs, gebar, 
Zu feinen Jahren fam. Das Herz des Kaifers 
In fchwerem Kampfe mit dem Vaterherzen 
Wog hin und her, ob er des Reiches Teilung, 
Die er am Tag zu WUachen feitgefegt, 
Zugunften feines jüngften Sohnes ändre. 
Doch Gott erleuchtefe fein Haupt und hieß ihn, 
Dem Kaifer heut den Vater unterorönen. 
Dies ift der Wille Ludwigs, unfres Herrn: 
Drei Kronen follen fein, doch viere nicht 
Im Sranfenreich. Lothar, Pipin und Ludwig, 
Sie follen Erben fein des großen Karl, 


Sp ward's befchiworen an dem Tag zu Aachen — 


Erhebt Euch denn, gebt Euren Willen fund, 
Soll dies beftätigt fein am Tag zu Worms? 


und freten in flüfternder Beratung zufammen) 


20 tt —— ———— 7 





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Zweiter Att 


279 





Ludwig (mad einer Heinen Paufe) 
Wenn Ihr berietet, Tprecht. 


Matfried 
Sa, wir berieten. 
Wir beißen gut den Ratfchluß unfres Herrn 
Und wie er teilte an dem Tag zu Aachen, 
So bleibe es bejchiworen und geteilt. 


Rudthardt 
Eh’ wir entfcheiden wünjchen wir zu willen, 
Wodurch entjchädigt man den jungen Karl 
Für den Berluft? 
Wala 
Durch reichliche Verleihung 
Bon Gut und Lehn für feinen Hausbefig. 


Rudthardt 
Zwar iſt es altes Recht bei unſren Vätern, 


Daß jüngſter Sohn gleich ält'ſtem Sohne erbt; 


Doch, weil der Kaiſer ſelber ſo entſchied 
Und weil es gut iſt für des Reiches Einheit, 
So fagen wir: die Teilung bleibe ftehn, 


Einmütiger Beſchluß! 
Agobard und Ebo 
Einmütig; jal 
Matfried und Hugo 
- Beil fei den Söhnen Irmengards | 


Die Franfen 


Heil ihnen! 


Zudith 
ie bis dahin ftarr und ohne Lebenszeichen geſeſſen hat) 


PBerlangt Ihr, daß ich länger bleibe, Herr? 
Ludwig 


Geliebte, bleibt. — Nicht folchen Ruf, Ihr Herrn, 
Er mahnt an alte Schmerzen der Parteiung. ” 


280 Die Rarplinger 





Wala 

Nein — nichts von Hader jetzt und nichts von Streit. 

D Sohn des Himmels, wundervoller Friede, 

Durchwandle nun die Gauen diefes Reichs, 

Und wer an diefem hohen Freudenfefte | 

Noch eigne Schmerzen leidet, geb zu dem | 

Und zeige ihm das Antlitz deiner Schönheit | 
1 








Und fprich: Du leideft — doch du bift ein einz’ger, 
Die Leiden deines Herzens find der Preis, 
Der für Millionen Glück und Heil erfaufte. 


Ludwig (su Judith) 
Er Spricht zu deinem Troſt. | 
| 


Judith 
Ich höre es. 


Ebo und Agobard 


Der Reichstag iſt beendet. Heil dem Kaiſer. 
(SFreudige Bewegung. Alle drücken ſich wechſelſeitig die Hände. Dann ſammeln ſich 


die Chorknaben, um nach links abzugehen, wie ſie gekommen) 
Chorknaben (ingend) 
Der du flammend in der Wolfe — 


Bernhard 


Chorknaben halt! Verſtumme der Gefang | 
(Shorfnaben fchweigen) 
Der Kämmrer hat zu fünden, ob der Reichstag | 
Beendet ift. | 
Matfried 

Worauf denn wartet Ihr? 
Er iſt's. | 
Bernhard 
Der Reichstag ift noch nicht beendet. 
(Allgemein ftaunende Bewegung) 


Ludwig 
Was ift noch, Herzog? 


Bernhard 
Diefes, gnädiger Herr: 
Ungültig ift, was bier befchloffen ward. 


Ze a mr pe nn a m a u m me u > 


hl 37 


Zweiter Aft 281 





Lothar 
Ungültig, was das ganze Reich beſchloß? 


Bernhard 
Za, denn dem Reichstag ward Gewalt getan. — 


Matfried 
Durch wen? 
Hugo» 


Durch wen? 


Bernhard 
Durch Euch, die Ihr mich fragt! 


Lothar 
Das lügft du, Elender! 


Matfried 
Er lügt! 


Hugo 


Er lügt! 
Matfried 
(wirft den Sandſchuh zu Bernhards Füßen) 


Sch fordre Urteil nach dem Recht der Franken, 
Hier liegt mein Handſchuh. 


Hugo (Pesgleichen) 
Und der meine bier, 
Lothar 
Sch trete ein für diefe edlen Herrn. 


Bernhard (u Lothar) 
Braucht Euer Anfehn für Euch felber, rat’ ich, 
Ihr werdet's brauchen. 


Ludwig der Deutſche 
Welch ein Ton ift das? 


Lothar 
Was unterfteht fich diefer Herr von geftern? 
Welch giftig lauernde Verdächtigung 
Verbirgt in Euren Worten fich? 


282 


Die Karolinger 





Bernhard 
Berbirgt fich? 
Nun denn, Ihr wollt, fo follt Ihr's deutlich haben: 
König Lothar, auf deſſen Haupt die Krone 
Italiens prangt — und Ludwig, deffen Stirn 
Die Bayernkrone ſchmückt — auf Eure Häupter 
Schleudr' ich Anklage. 
(Allgemeiner Tumulkt) 
Raifer Ludwig 
Herzog — 


Wala 
Du Berleumder | 
Bernhard 


Und Hag’ Euch an, daß Ihr auf meine Frage 

Falſch' Antwort gabt; daß vor der Pfalz von Worms 
Ein Heer für Euch in Wehr und Waffen fteht, 
Bereit, das Recht der Söhne Irmengards 

Mit Waffen Eurem Vater abzutrogen, 

Wenn er zugunften heute Karls entfchied. 


Kaiſer Ludwig 
Iſt Wahrheit dies? 
Bernhard 
Sagt nein, wenn Ihr es dürft! 


Ludwig der Deutfche 
Rein! 


Lothar (mit dem Fuße ftampfend) 
Nein! 
Bernhard 
Ah — nun mit einem einz’gen Wort 
Zerſchmettr' ich Euer fedes „Nein“ — Pipin! 


Raifer Ludwig 
Was foll e8 mit Pipin? 


Bernhard 
Mein Herr und KRaifer, 
Ward Euer Sohn Pipin zum heut’gen Tag 
Nicht eingeladen? 


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Zweiter Alt 283 





Raifer Ludwig 
Nun, ich denfe fo. 
Und ich erftaune, daß er nicht erfchien. 


Bernhard 
Fragt Euren ältften Sohn, er wird Euch fagen, 
Warum er nicht erfchien. 


Raifer Ludwig 
Lothar — mein Sohn, 
Was weißt du von Pipin? 


Lothar 
Mein Herr und Vater — 
Hier ftehe ich, dein Selbſt, dein Blut, dein Sohn, 
Und dort ein Knecht, aus deiner Gunft geboren, 
Und aufgefchoffen wie ein giftig Kraut, 
Reit ihm das Wort vom Mund! 


Wala 
Tut e8, o Herr, 


Schenkt diefem Manne, der fich wie ein Wolf 
Auf diefes Tages heil’gen Frieden ftürzt, 
D fchenkt ihm fein Gehör! 


Bernhard 
Ehrlojer Priefter! 
Herr, meine Klage fteht gleich einem Turm, 
Beweife ſchaff' ich Euch für meine Worte, 


Raifer Ludwig 
Könntet Ihr das — 
Rudthardt 
Beweis! 


Alle 
Er ſoll beweiſen! 


Bernhard (ruft nach dem Sintergrunde) 


Führt die Gefandten El Mobheiras vor. 
(Ein Ritter nach rechts ab) 


284 


Die Karolinger 





Raifer Ludwig 
Wenn diefes Mannes Worte fich beftättgen — 
D, meine Söhne — Garazenen? Wie? 


Neunter Auftritt 


Satilatlas Temin (von rechts zu Den vorigen) 


Bernhard 
Sa, Sarazenen, doch fo echte Ritter, 
Als jemals fochten in der Chriftenheit. 


Matfried (u Hugo) 
Die Mauren — Fluch und Tod. 


Hug» 
D das wird fchlimm, 
Bernhard 
Mein Herr und Raifer, diefe edlen Mauren, 
Sie haben Botſchaft; wollt Ihr es erlauben, 
Daß fie des Auftrags fich entledigen? 


Raifer Ludwig 
Für wen ift Eure Botfchaft? 


Satilatlas 
Für Lothar, 
Den König von Italien, 


Raifer Ludwig 
nd von wen? 


Satilatlas 
Vom WUquitanierfönige Pipin, 
(allgemeine Bewegung) 
Den vor zehn Tagen wir am Strom der Rhone 
Sm Lager fanden. 


Raifer Ludwig 
Meldet Eure Botichaft. 








Zweiter Alt 





Satilatlas (su Lothar) 
Herr, alfo hieß uns Euer Bruder prechen: 
„Ich bin vor Worms am feftgefegten Tag, 


Und halte Euch das Neg — — * die Fiſche.“ 
Große ſtürmiſche Bewegun 


Kaiſer Ludwig 
Fluchwürd'ger Hohn! Das mir von meinen Söhnen? 


Wala 
Ein Wort nur Herr — 


Kaiſer Ludwig (erbebt fi) 
Mein Herz ſteht in mir auf 
Und fieht mich mit den Augen meines Jüngjten 
Borwurfsvoll an. — Karl, mein geliebter Sohn, 
Komm an mein Herz, das Unrecht will ich fühnen, 


Das ich Dir tat. 
(Karl erhebt fich, fritt zum Vater) 
hier aus meinem Herzen 
Stoß' ich Euch aus, Euch beide, fort mit Euch! 
Heim nach Italien, du, der Wall der Alpen 
Türme, Lothar, ſich zwiſchen dir und mir, 
Und Ludwig, heim zur Donau! 


Ludwig der Deutſche 
Bater ! 
Du tuſt mir unrecht! 


Raifer Ludwig 
Brut der Annatur. 
Ihr küßt des Vaters Hand, folang fie fchenkt 
Und beißt hinein, wenn fie zu ſchenken aufhört. 


Ludwig der Deutjche 
Ha, ſchnödes Unrecht! 


Lothar 
Bruder Ludwig, laß, 
Man rechtet nicht mit Kindern und mit Greifen. 


Raifer Ludwig 
Aus meinen Augen, gottverlaff’ner Sohn! 


286 Die Rarolinger 





Wala 
AUlmächt’ger Gott, erbarme dich der Franken! 
Gedenkt, o Herr, was Ihr zu Aachen ſchwurt! 


Bernhard 
Was geht ung Aachen an! Wir find in Worms! | 
Des Reiches einft’ge Teilung ift zerriffen | 
Durch den Verrat der Söhne Irmengards, 


Lothar 
Sprich das ein einzig Mal noch — 


Bernhard (winkt) 
Rrone ber! 


Mit Händen follt Ihr meine Antwort greifen! 
(Bon rechts ein Ritter, welcher eine goldene mit bunten Steinen bejegte Krone auf 


purpurnem Kiffen trägt) 
Bernhard (nimmt ihm Kiffen und Krone ab) 
Dies Kleinod riß ich, Herr, im Maurenftreit 
Vom Haupte des gefrönten Sarazenen. 
Erweift mir Gnade, nehmt es zum Gefchenf 
Und krönt damit das Haupt des jungen Rarl. 


Lothar 
Raifer, du nimmft fie nicht! 


Ludwig der Deutſche 
Bedenk' dich, Vater! 


Raifer Ludwig 
Gebt mir die Krone ber. | 


Lothar und Ludwig 
Nein — wir veriwehren’s | 
(Stellen fich zwifchen Bernhard und die Thronesſtufen) 


e 


Zudith (feige vom Throne herab) 
Laßt ſehn, ob Ihr auch mir zu wehren wagt. | 
Herzog, die Krone, 


Bernhard (weicht ihr die Krone, leiſe) 1 
Königliches Herz. | 





ı Zweiter Akt 287 





Lothar 


Ah! Wär’t Ihr etwas andres als ein Weib — 
(Tritt mit Ludwig zurüch 

Beforgt für KRaifer Ludwig eine Spindel 

Und aus dem Flachs macht feinem Weib nen Bart! 


Zudith (au Bernhard) 


D Mann und Held — Bernhard, du haft gefiegt. 
(Sie erfteigt mit der Krone den Thron) 


Raifer Ludwig (mimme ihr die Krone ab) 
Knie' nieder, Rarl. 


Wala (ftürze fih vor dem Kaiſer nieder) 
Hört mich in legter Stunde 
Zum Iegtenmal! Hütet Euch vor der Krone 
Und vor der Hand, die Euch die Krone reicht! 
Mir fagt mein Herz — 


Bernhard 
Ein Narr mit Eurem Herzen! 
Wo zielen Eure gift’gen Worte hin? 
Wen meint Ihr, Abt? 


Wala 
Dich mein’ ich, du Verderber! 
Noch ſehe ich die düftre Quelle nicht, 
Die deinen Eifer nährt — 


Bernhard 
Spart Euch die Mühe, 
Und laßt's genug fein mit der Litanei ! 
Hört nicht auf diefen Schwäger, Herr und Kaifer, 
Krönt Euren Sohn. 


Wala 
Noch nicht, o Herr, noch nicht! 
Tritt auf Bernhard zu) 
Arm kam ich in die Welt, arm werd’ ich gehn, 
Ein Gut nur hatte ich, es war das Reich 


Des Großen Karl, das du mir heut zertrümmerft, 
(Legt die Hand auf Bernhards Schulter) 
Sieh mir ins Angeficht und ſchwöre, Bernhard, 


288 


Die Rarplinger 





Daß du dies alles, was du heute tateft, 

Daß Haß du fä’teft zwifchen Kind und Vater, 
Zwieträchtig machteft Raifer und Vaſall, 

Schwör’, daß du's tat'ſt aus Abſicht reinen Wolleng, 
Aus Treue nur für Ludwig, deinen Herrn. 


Raifer Ludwig 
Laßt e8 genug fein. 


Lothar, Ludwig, die Franken 
Schwören! Er foll ſchwören! 


Bernhard (erhebt die Rechte) 
So. fehmett’re mich der Donner Gottes nieder 
Und tilge mich hinweg von diefem Fleck, 
Wenn Falfehheit wohnt in meinem Eid — ich ſchwör's! 


Judith 
Was ſagt Abt Wala nun? 


Wala 
Er — hat — geſchworen. — 
(Bricht auf den Thronesſtufen zuſammen) 
Kaiſer Ludwig 


Auf deine Knie, Karl. 
(Karl kniet vor dem Kaiſer) 


Blickt her, Ihr alle, 
So heb' ich ihn aus Staub und Niedrigkeit 


Zu gleichem Recht empor mit ſeinen Brüdern — 
Setzt ihm die Krone aufs Haupt) 


Und fo fteh auf als König. 


Lothar 
Büberei! 
Ah! Du ſcheinheil'ger, gleißneriſcher Graubart! 


Biſchof Ebo 
Um Jeſus, denkt, Ihr ſprecht zu Eurem Vater! 


Lothar 


Dort predigt Buße, wo man Eide bricht! 
Komm, Bruder Ludwig, fommt, Ihr Edlen alle, 








Zweiter Aft 





Sein männlich Angeſicht erhebt der Zorn, 
Nichts von Verföhnung mehr, Parteil Partei! 


Ludwig der Deutſche 
Fa gegen diefen ungerechten Vater 
Wird Annatur Gebot; empor das Banner 
Und unjer Recht! 
Die Franfen 
Für Ludwig und Lothar! 


Bernhard 
Rebellen Ihr vom erften bis zum legten, 
ft feiner, der für feinen Kaiſer fteht? 


Rudthardt 
Heil Kaiſer Ludwig! 


Die Deutſchen 
Für den Raifer wir! 


Ludwig der Deutſche 
Bedenkt Euch, deutfche Herrn! 


Rudthardt 
Es ift bedacht, 
Treulos undankbar pflichtvergeßne Söhne! 


Lothar 
Nichts mehr zu diefen, und in diefen Staub, 
Den fcheidend ich von meinen Füßen fchüttle, 
Tret' ich hinunter jedes legte Band, 
Das zwifchen mir und diefem Vater war! 


Wala (itürzt auf Lothar zu, ihm zu Füßen) 
Geht nicht, Lothar, die heilige Natur 
Wirft jammernd fich zu Euren Füßen nieder 
Und fleht Euch an, laßt ab von diefem Streit! 


Ludwig der Deutſche 
Natur ift tot, nur eins noch iſt geblieben: 
Auf unfrer Seite fteht das gute Recht! 


Eothar, Ludwig, die Franken ftürmijch links ab) 
Dramen VII 19 


290 Die Rarolinger 





Wala 


Weh’, Reich der Franken, wehe, großer Karl! 
(Er ſinkt in die Arme der Geiftlichen) 


Vorhang fällt 


Hritter Akt 


Szene: Ein Saal, durch defjen offene, von Säulen gebildete Hinter- 

wand man in den mondfcheinbeleuchteten Garten fieht. Links, von 

einem Vorhang nach recht3 und gegen den Hintergrund abgefchlofjen, 

ein Ruhebett. Türen rechts — Eine Leuchte gibt ſchwaches 
t 


Erſter Auftritt 


Karl (liegt ſchlafend auf dem Ruhebett). Judith (ſttzt neben ihm, ihn in Gedanken 
befrachtend; fie trägt einen dunklen, von Haupt zu Füßen niederwallenden Schleier) 


Judith 

Schlaf, trauter Sohn; nicht ſcheuchet mehr Gefahr 
Den ſüßen Schlummer fern von deinem Lager. 
Auf dieſer Stirn, umduftet und umweht 
Vom Fittiche der Jugend, laſtet nicht mehr 
Der dunkle Schatten der Rechtloſigkeit; 
Der königliche Tag ift angebrochen. 

(Sie erhebt ſich und beugt fich über ihn) 
In diefes Antlig fchrieb mit tiefen Zügen 
Natur das Zeugnis, daß du Ludwigs Sohn — 
Und das Geſetz des angeftammten Blutes 
Hält Hammernd dich an ihn. — Sei Leibeserbe, 
Doch Erbe feiner Schwachen Seele nicht. 
D, könnt’ ich deinem Geift den Vater geben, 
Ich wüßte, Rarl, wen ich für dich erwählte. — 
Du, König nicht, doch aus dem Löwenmarf 
Entfproffen, das die Könige gebiert — 
Bernhard — — Sprich Teife diefen Namen, Herz, 
Daß er nicht töne in den Traum des Sohnes. 
Shr wilden Ströme, die in diefem Buſen 
Aufbrandend fteigen, wo ift euer Ziel? 








Dritter Akt 291 





Zweiter Auftritt 
Bernhard (in Mantel und Barett, kommt aus dem Garten heran) 
Zudith 
ur den Bettvorbang verhindert ihn zu ſehen, horcht) 
Horh — weflen Gang? Geräufchlos wie der Wille — 
Und jeder Schritt das Denkmal einer Tat. — 


Bernhard (ritt in den Saah 
Zudith 


(gebt ihm entgegen, nachdem fie rajch den VBorbang vor Karl gezogen) 
D Gott, er iſt's! — 


Bernhard 


Sch bin’s, geliebtes Leben, 
(eitt auf fie zu, ftredt ihr die Arme entgegen) 
Warum erfchridit du? — 


Judith (weicht zurüd) 
Bernhard, gib mich frei — 


Bernhard 
Dich zu befreien, Judith, komm’ ich ber! — 
Pflicht ift ein Wort, das Menfchen fih erfanden, 
Natur war längft geboren vor der Pflicht, 
Und dies ift ihre Stunde. — Glanzgeſtirn, 
Das meinem Tage leuchtend, in der Nacht 
Mit ſüßem Da mir nie emporfteigt, Judith — 
nimmt fie in die Arme) 
Judith 
O leiſe — wecke nicht den Schläfer auf. 


Bernhard 
Dort hinterm Vorhang? Karl? 


Judith 
Dort hinterm Vorhang — 
Wenn er vernähme, Bernhard, wenn er ſähe — 


Bernhard 
So ſäh' er heute das, was ſich der Welt 
Dereinſt im Lichte offenbaren ſoll. 
19* 


Die Rarolinger 





D, dies Geheimnis ift ein Rnechtsgewand 
Für unfrer Herzen königlichen Bund. 
Soll unfre Liebe ewig wie ein Bettler 
Almoſen beifchen von der blinden Nacht? 


Zudith 
lieg’ nicht fo wild, du ungeftümer Adler — 
Rann ich dich anders lieben als geheim? 
Du ftolzges Herz, es ift dir nicht genug, 
Wenn du mich ſiehſt, vom Sturm, den du entfachteft, 
Sn deine Arme willenlos getrieben? 
Laß mich zerfchellen nicht an deiner Bruft. 


Bernhard 
Doch dies ift nur der Anfang unfres Glücks. 
Sprich, Judith — wenn das Hindernis nicht wäre, 
Das zwifchen ung fich drängt, das unfre Liebe 
Zu fchmählicher Verborgenheit verdammt — 


Zudith 
Das Hindernis? 
Bernhard 


Ga, — dies grauhaarige, 
Das feiner greifen Tage dürft’gen Reft 
Auf Borg vom Leben hat — 


Zudith 
Um Gott — was finnft du? 


Bernhard 
Glück finne ich, das deiner wert und meiner | 
Wir leben einmal nur auf diefer Erde; 
Nur einmal einen Willen fih und Kräfte 
Und jagen uns: gebrauche, wir find da, 
Ein Stümper, wer aus diefem Leben gebt, 
Das halb er koſtete, die andre Hälfte 
Zur Beute laffend fchwachgefinnten Toren, 
Sprich — wenn du frei wärſt — 


Judith 
O — bei dieſem „wenn“ 


Erftarrt mein Herz — fag’ mir, furchtbarer Mann — 


tn un 





Dritter Akt 203 





Bernhard 
Nein, la mich fchiweigen, wenn mein Wort dich fchrect, 
Doch diefes eine fage: liebjt du mich? 


Zudith 
Wenn Liebe ift, was fo in dunklen Tiefen, 
Aus Widerftreben und allmächt'gem Drang, 
Aus Scheu geboren wird und aus Bewundrung — 
D dann — 
Bernhard 
nd wenn — ich fage nicht, es wird — 
Wenn jenes eine fehlte, das uns jcheidet, 
Weib meines Lebens — wärſt du mein? 


Zudith (füfternd) 
Ich glaube. 
Bernhard (küt fie) 
D dies „ich glaube“ mwandle diefer Ruß 
Zum Zauberwort des großen Glüdes, „ja“. 


Judith 
Hinweg von hier — mir deucht, er regte ſich — 


Bernhard 
Siehſt du den Garten, der uns ſchattend winkt? 
Der Wangen Glut erliſcht in ſeinem Dunkel — 
Geh in den Garten, bitt' ich, harre mein. 


Judith 
Und du bleibſt noch? And wenn er nun erwacht? 


Bernhard 
Er ſoll erwachen, denn ich weck' ihn ſelbſt. 


Judith 
D du, vor dem ſich Schrecken und Gefahren 
Wie zahm gewordne Tiger niederbeugen, 
Iſt's Schuld, die mich zu deinem Herzen reißt, 
So iſt es Sünde, der fein Weib entginge, 
Die dich gefehn! 


294 Die Rarplinger 





Bernhard 
Im Garten find’ ich dich. — 


(Er führt Zudith bis an Den Ausgang Des — Zudith kehrt noch einmal haſtig 
um 


Zudith 3 
Sag’ mir noch eins: — Du fehwureft einen Eid — 
Bernhard 
Erſchreckt dich das? 
Judith 


Wie konnteſt du ihn ſchwören? — 
Denn ſchwurſt du wahr, ſo hintergingſt du mich, 
Und ſchwurſt du falſch, wie ſoll ich dir vertraun? 


Bernhard 
Kraft meiner Liebe ſollſt du mir vertraun. 
Judith 
Und fürchteſt du nicht Gott? 
Bernhard 


Holdſel'ge Törin, 
Man fürchtet nur den Gott, an den man glaubt. 


Judith (nach dem Hintergrunde ab) 


Bernhard (tritt an das Fußende des Lagers) 
Heut morgen ward er König — und er ſchläft. — 
Knabe, du haft zu viel von deinem Vater, 
Zu wenig von der Mutter ftolzem Geift. 
Karl — ganz und gar in Schlafes Banden — Karl! 


Rarl Erwacht) 
Mutter, bift du's? 
Bernhard 
Nein, König, nicht die Mutter. 


Karl ichter fih auf) 
König? — Ia fo — Schlaf macht mein Auge trübe — 
Wer bift du? Wie? der Graf von Barcelona? 
Ich grüße Euch — doch warum brecht Ihr fo 


ut ca A ee 


ee 








Dritter Akt 


295 





Ins friedliche Gehege meines Schlafs ? 
So in der Nacht? 
Bernhard 

Was gilt hier Tag und Nacht? 
Die Zeit, in der wir leben, hat das Fieber, 
Die Stunden rollen wie empörtes Blut, 
nd fern am dunkel nächt'gen Firmamente 
Zuct die Gefahr. 

Rarl 
Gefahr? Wem dräut Gefahr? 


Bernhard 
Seltjame Frage; Ludwig und Lothar 
Sind bei Pipin. Muß ich Euch mehr noch jagen? 
(Schlägt den Mantel auseinander, zeigt aufs Schwert) 
Seht Ihr dies Schwert? Ich felber halte Wache 
Und Rundgang heute in der Kaiſerpfalz; 
Befürchtend jede Stunde und? Minute — 


Rarl 
Befürchtend? Was? 
Bernhard 
Das Mordgefchrei zu hören, 
Wenn fih Pipin mit feinen Aquitaniern 
Auf Euch und Eure Mutter ftürzt! 


Karl (erhebt fich) 

So jehlief ich 
Arglos an des DVerderbens Schwelle — Herzog, 
Denkt nicht, ich bitte, daß ich furchtiam fei, 


Wenn Ihr mich fchaudern feht. — Ihr hieltet Wacht — 


Reicht mir die Hand — Ihr mögt es unflug fchelten, 
Wenn ich Euch fage, was ich jagen muß — 


Bernhard 
Was müßt Ihr fagen? 
Rarl 
Bis zu diefer Stunde 
War etwas in mir — nein, ich bitte, zürnt nicht — 
Das mir verwehrte ganz Euch zu vertraun, 


296 


Die Rarolinger 





Bernhard 
D junger Fürft, die Luft geht feharf und rauh 
Auf jenen Höhen, wo die Throne ftehn. 
Freundſchaft ift eine Blume, die im Tale, 
Nicht auf der Menfchheit ftrenger Höh' gedeiht. 
Euch feßle Liebe nicht und nicht Gefühl. 
Glaubt dem Gefühle nicht, es ift ein Maler, 
Der falfch die Dinge fchildert. Der Verſtand 
Sei Euch Genoffe — er allein betrügt nicht. 
Left jedem Herzen feine ftummen Wünfche 
Und jedem Auge feine Ziele ab; 
Und wo Ihr Vorteil feht, der mit dem Euren 
Verſchwiſtert geht, von gleichem Feind bedroht, 
Wie Euer Vorteil, da vertrauet Euch. 


Rarl 
Ihr malt mir diefe Welt mit düftren Farben. 


Bernhard 
Die Wirklichkeit führt eine rauhe Sprache, 
Wer mannbar werden will, muß fie verftehn. 
Der Kaiſer, Euer Vater, Herr, ift alt. 


Rarl 
Alt? Nun bei Gott, ich dachte nie daran, 


Bernhard 
Ihr feid der legte heut von Euren Brüdern, 
Stirbt Euer Vater, feid Ihr vogelfrei, 
Und Rampf mit Euren Brüdern Euer Leben. 
Und wenn Ihr fiegt, was ift der Preis des Sieges? 
Ihr werdet König, Raifer wird Lothar. 
Ein König neben größrem Könige, 
Was ift e8 anders als ein großer Knecht? 


Karl 
Wahr — allzuwahr. 
Bernhard 
Nun denn, ſtatt dieſes Lebens, 
Unköniglich, unmenſchlich, unfruchtbar, 
Hört, was ich biete. 








Dritter Att 297 





Rarl 
Was könnt Ihr mir bieten? 


Bernhard 


Herrfchaft für Rnechtichaft, Ehre für Gefahr: 
Wollt Ihr der Kaifer fein des Frankenreichs? 


Rarl 
Was jagt Ihr mir? 
Bernhard 
Was ich zu halten denke. 


Rarl 
Könnt’ es denn möglich fein? 


Bernhard 
Ya, wenn Ihr wollt. 
KRaifer der Franken — in der Menjchenwelt 
Nicht einer, neben dem Ihr zweiter jeid — 
Der erfte überall — von Eurem Haupte 
Geht Ehrfurcht wie ein heil’ger Sturmwind aus 
Und beugt die Menfchenhäupter vor Euch nieder — 


Rarl 
Ihr malt zu üppig mir dies Bild — hört auf. 


Bernhard 
Warum wollt Ihr’s nicht hören? 


Rarl 
Weil — ich weiß nicht — 
Iſt's Torheit, ift es Weisheit; diefe Krone 
Ward mir vom Schiefal, dent’ ich, nicht beftimmt. 


Bernhard 
Wollt! Menfchenwille ift des Menfchen Schickſal! 
Rarl 
Zu’ ich nicht Unrecht an den ältren Brüdern? 
Bernhard 


Karl, Euer großer Ahnherr, wie Ihr wißt, 


298 


Die Rarolinger 








War Karlmanns jüngrer Bruder — Karl ward Kaiſer 
Und Karlmann mußte weichen. 


Rarl 
Mußte weichen — 


Bernhard 
Das heißt, daß Unrecht nur ein Wort ift, 
Dem jeder Inhalt gibt, ſoviel er will, 


Rarl 
Säh’ ich das legte Ziel von Euren Worten — 
So fürchte ih — 


Heißt das — 


Bernhard 

Ach laßt — und fürchtet nichts, 
Dies Wort, das ich wie eine Wünfchelrute 
Sn Euer Herz getaucht, um Stahl zu finden, 
Ihr wägt es ängftlich forgend hin und her? 
Karl will nicht Kaifer fein, fo ſei's Lothar; 
Doch legt die Rrone heut noch, rat’ ich, nieder, 
Denn nie vergißt er Euch den einen Tag, 
An dem Ihr König wart — 


Rarl 
Herzog, dies eine 
Erklärt mir nur — fo fu’ ich wie Shr wollt, 


Bernhard 

Was ift dies eine? 
Rarl 

Seht; Ihr türmt auf mich 
Bon Stund’ zu Stunde wachfend Ehr’ auf Ehre. 
Den Reichstag fprengtet Ihr — es war für mich. 
Des Reiches Drdnung ftoßt Ihr um — für mid — 
Für Ludwig fonntet Ihr und für Lothar 
All diefes tun — Ihr tatet es für mid — 
Was ift’s, das fo mir Euer Herz gewonnen? 


Bernhard ; 
Seltfam — Ihr feid jo jung noch an Entfchlüffen 
Und fchon fo alt an Zweifeln und an Fragen? 





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Dritter Alkt 299 





Karl 

Sagt mir — 
Bernhard 
Wohlan denn — für das Wohl des Reichs 

Erſah ich Euch zum Kaiſer. 

Karl 

Sprecht Ihr wahr? 

O zürnt mir nicht — doch wenn Ihr fühlen könntet 
Was dieſes Wort mir gilt — 


Bernhard 
Wollt Ihr? 


Es ſei. 


Rarl 


Bernhard 
Nun denn, im KRampfgebiet der großen Dinge 
Begrüß’ ich Euch, gefrönter junger Karl. 
Nun Feines Auges feiges Blinzeln mehr! 
Kein Schaudern, wenn der Taten großer Sturm 
Den blut’gen Schaum Euch bis zum Kinn emporwirft! 


Rarl 
Ihr gabt zwei Kronen mir an einem Tage — 
Ich gebe Euch dafür den Frieden bin 
Des Herzens — das ift wenig nur für Euch, 
Doch alles ift eg mir — o teurer Herzog, 
Sch bitte Euch, feid fparfam mit dem Gut. 


Bernhard 
Nein, feid nicht weich — ein zu gefühlvoll Herz 
Sn harten Seiten, ift jelbjtmörderifch. 
In meinen Händen ruhen Eure Taten. 


Karl 
Ich will nun gehn. 
Bernhard 


Wohin? 


Karl 
Dort in den Garten; 
Laßt mich für einen kurzen Augenblick 
Die Stirn mir kühlen. 


300 


Die Rarolinger 





Bernhard 
Geht nicht in den Garten. 


Rarl 
Warum? 
Bernhard 
Der Garten hat verborgne Gänge 
Und Eure Brüder haben Meuchelmörder. 


Rarl 
D Raiferkrone, wirft du folche Schatten? 
Die Mutter faß vorhin an meinem Lager — 
Wißt Ihr, wohin fie ging? 


Bernhard 
Sch weiß es nicht. 


Rarl 
Sp mein’ ich, find’ ich fie in ihren Simmern — 


Denn meine Mutter, denk' ich, ſchlummert nicht. 
(Ab nach links) 


Bernhard (betrachtet ſeine Hand) 
Betracht’ ich’8 recht, fo gleicht die Hand des Menfchen, 
Wenn fie die Finger ausreckt, einer Spinne — 
Ein Griff — fie hält — und läßt nicht wieder los. 
Doch folche Kunſt gehört in die Paläfte — 
Im Blachfeld nun, Ihr Söhne Irmengards 
Zeig” ich die Künſte Euch, die ich mir lernte 
In hundert Kämpfen wider’ krumme Schwert. 
Ja, Tod fei mein Genoß; du Bluterfrifcher 
In diefes Lebens fchalem Einerlei, 
Tragöde du im Poffenfpiel der Welt. 


Ludwig, du mußt hinweg, du bift zuviel — 


Und diefe Welt ift dann für Karl und mich. 

Für Karl? Jawohl, fo lang in Judiths Herzen 
Auf gleichen Schalen Karl und Bernhard ruhn — 
Doch du, armfel’ger Knabe, bift zu leicht; 

Nein — fommen fol die Stunde, da ihr Herz 


Nur noch den Namen Bernhard fennt — und dann — 


Dann Rarolinger, Bernhard über Euch! 
(Er geht an den Ausgang, blickt hinaus und winkt) 





lm m m rn Bude 1 dl nn Kinn 2 m a Sr 


ar a le nein 








Dritter Akt 301 





Dritter Auftritt 
Abdallah (kommt aus dem Garten zu dem vorigen) 


Bernhard 
Nun — bift du da? 


Abdallah 
Zu deinem Dienſt, Gebieter. 


Bernhard 
Du ftandft dort im Gebüfch ? 
Abdallah 
Dort in den Büfchen, 
Wie du's befahlit. 
Bernhard 
Du ſahſt, mit wem ich ſprach? 


Abdallah 
Ja, Herr — 
Bernhard 


Du ſahſt's? 


Abdallah 
Du ſprachſt mit König Karl. 


Bernhard 
Doch vorher? 
Abdallah 


Vorher? War noch jemand da? 
So kam ich vorher nicht — denn als ich kam, 
Sprachſt du mit Karl. 


Bernhard 
So lange ich dich kenne, 
Mir fällt es ein, ſah ich dir nie ins Auge, 
Denn immer ſtehſt du tiefgeſenkten Haupts — 


Abdallah 
Wie es dem Diener ziemt vor ſeinem Herrn. 


Bernhard 


Doch heut, gebiet' ich, ſieh mir ins Geſicht. 
(Abdallah ſieht auf) 


302 


Die Rarolinger 





Sch feh’, du fannft, was man von dir verlangt. — 
Iſt das Gerücht begründet, welches fagt, 

Daß du, vertraut mit graufer Lehre, jedes 
Giftkraut der Erde kennſt? 


Abdallah 
Es iſt begründet. 


Bernhard 
Und iſt es wahr, daß tief in Afrika 
Ein Kraut gedeiht, das, wenn man's richtig braucht, 
Den Tod wie einen Diener uns beſtellt, 
Pünktlich auf Tage, Stunden und? Minuten? 


Abdallah 
Solch Kraut iſt da. 
Bernhard 
Beſitz'ſt du's? 
Abdallah 
Ich beſitz' es. 
Bernhard 
So ſchaff' mir das — und bald. 


Abdallah 
Du ſollſt es haben; 
Doch muß es ſorgſam zubereitet werden. 


Bernhard 
So tu dein Werk und bring's mir, wenn's getan. 
(Will gehen, wendet fich) 
Abdallah! 


Abdallah 
Herr? 


Bernhard 
Du lachſt? 


Abdallah 
Ich lache nicht. 


Bernhard 
Mir ſchien, du lachteſt, weil ich dir vertraute. 








Dritter Akt 303 





Abdallap 
Schatten find ftumm und faub — ich bin dein Schatten. 


Bernhard Mach dem Garten ab) 


Abdallah (blick ihm nach) 


Schatten find ftumm und taub — doch fie find dunfel — 
Weh’ dem, auf deſſen Weg ein Schatten fällt! 
(Er wendet fich zum Abgehen nach rechts) 


Vierter Auftritt 
Satilatlas. Temin (kommen von rechts) 
Satilatlas 
(gebt auf Abdallah zu und faßt ihn an der Bruft) 
Treulofer Maure, halt! 


Temin 
Wo ift die Tochter 
Bon El Moheira? 
Abdallap 


Beim Propheten Gottes — 


Satilatlas 
Bernhard verfprach fie uns, doch fie ift fort — 
Seit heute morgen bält fie fich verborgen 
Und fpottet unſres Suchens — Hund, du weißt, 
Wo fie ſich barg; du ftehft im Bund mit ihr; 


Abdallap 
Bei dem Propheten, nein, ich weiß es nicht. 


Temin 
Wo ift der" Herzog Bernhard? 


Abdallah 
Dort im Garten. 


Temin Gu Satilatlas) 
Halt’ diefen feſt — ich fuche Bernhard auf. 
: Wendet fich nach dem Garten, bleibt ftehen) 
Still — was fommt da? 
(Im Garten fieht man Hamatelliwa erfcheinen) 
Sie iſt's. Hamatelliwa! 


304 Die Rarolinger 





Satilatlas 
Abdallah, du bleibft ftehn und rührt dich nicht. 
Mir nach, Temin, der Vorhang bier verbirgt ung, 


(Satilatlas und Temin treten hinter den Vorhang — Abdallah mitten auf der 
Bühne, den Rücken nach) dem Garten) 


Fünfter Auftritt 


Hamatelliwa chuſcht aus dem Garten herein) 


Hamatelliwa (flüfternd) 
Abdallah ! 
Abdallah (Gumpf vor fich Hin) 


Unglücfelige; woher? 


Hamatelliwa 
Im Garten war ich — und ich ſah allda — 
D — wo iſt Bernhard? 
(Satilatlas und Temin kommen hinter dem Vorhang vor) 
Satilatlas 
Frage nicht nach ihm. 


Hamatelliwa 


Die Tiger, die mein Vater ſchicktel Weh! 
(Sie fpringt auf und will nach dem — entfliehen. — Temin verſperrt ihr 


den Weg) 

Temin 
Treuloſe! Deines Vaters treue Diener! 
Weh’ dir, daß du vor ihnen zittern mußt. 


Hamatelliwa 
Wie fie die Schwerter Iodern! Wie ihr Auge 
Mich wild durchbohrt! Laßt mich nicht doppelt fterben 
Durch Tod und Todesangft! 


Satilatlas 
Nicht wir find Richter, 
Dein Richter figt auf EI Moheiras Thron. 
Komm, fei bereit, wir gehn nach Saragofja. 


Samatelliwa 
Und er ift fern von mir in diefer Stunde! 


Dritter Alt 305 





Abdallah 
Verlorene, er ſelber gab dich preis. 
Hamatelliwa 
Das lügſt dul Nein! 
Abdallap 


Befrage diefe Männer. 


Sehfter Auftritt 
Rarl (komme von links) 


Bergebens fuch’ ich fie in ihren Simmern — 
Wo ging fie hin? Ah — was ift das? 


Hamatelliwa 
(eilt auf ihn zu, fällt ihm zu Füßen, umfaßt feine Knie) 


x Erhöre! 
Dein Außeres kündet einen Hohen mir, 
Du bift noch jung — dein Antlitz ward noch nicht 
Durchätzt von diefes Lebens Bitterniffen, 
Laß deine Seele deinem Antlig gleichen, 
Du wirft noch Unglück ſehn auf diefer Erde, 
Nie fchiwereres als dies, das vor dir liegt! 


Satilatlas 
Sohn Ludwigs, höre diefes Weib nicht an. 


Rarl 
Was willit du, Maurin? 


Satilatlas 
Hör’ fie nicht zu Ende, 
Denn eine Bitte wird fie an dich fun, 
Sp unnatürlich, daß das Herz des Sohnes 
Sich fchaudernd fchließen wird — 


Rarl 
So ſprich, was willſt du? 


Hamatelliwa 


Dort — diefe Männer — 
Dramen VII 20 


306 Die Rarolinger 





Satilatlas 
Diefe Männer, wiffe, 
Ihr Vater ſchickt fie, deffen ftolzes Haupt 
Der graue Reif des Ulters überfiel 
Als fchmählich ihn fein Kind verließ. 


Hamatelliwa 
Mein Vater! 
Zerbrach mein Herz nicht, als ich dich verließ | 
Und blieb die eine Hälfte nicht bei dir? 


Rarl 

Iſt's wahr, was diefe Männer fagen? 

Samatelliwa Wahr! 
Wahr, daß ich freulos floh von meinem Vater 
Und daß mir grauft vor feinem heil’gen Haupt! 
Wahr, daß ich bei den Feinden meines Volkes 
Schuß fuche vor den Männern meines Volks: 
Wahr jeder Vorwurf graufer Unnatur, 
Der mich getroffen — aber eins noch ift, 
Was fie nicht fagten — Sohn des Chriſtenkaiſers — 
Wende dein Ohr noch nicht von der Verlornen, 
Ruf Bernhard ber, den Grafen Barcelonas, 


Rarl 
Bernhard, den Herzog? Was haft du mit ihm? 


Samatelliwa 
Zu fragen hab’ ich ihn, ob über Chriften 
Der Gott nicht ift, der über Mauren thront! 


Abdallap 
Hier kommt der Mann, nach dem du fuchteft. 


Siebenter Auftritt 


Bernhard (aus dem Garten zu den vorigen) 


Hamatellima (ipringt auf, ihm entgegen) 
Bernhard | 


Ach, du bift da. — Ins Graufen diefer Nacht 


Dritter Akt 307 





Trägft du wie eine unbeirrfte Sonne 
Dein teures Angeficht — ich träumte, Bernhard, 
Furchtbaren Traum, 


Bernhard Gu Satilatlas) 
Wie nun? Ihr feid noch hier? 


Hamatelliwa 
D, nicht zu ihnen — mein fei Bli und Wort; 
Sieh diefe grimmen Jäger, die mich hetzen — 
Aſyl an deiner Bruft, gib mir Afyl! 


Satilatlas 
Ihr haltet fchlecht uns das Verſprochne, Herzog. 


Temin 
Wir fuchten fie umfonft den ganzen Tag. 


Samatelliwa 
Berftumme nicht! Er mahnt dich an Verfprechen — 
Bernhard, ein Wort! Gag’, daß du nicht verfprachit! 
(Paufe) 
Bernhard 
Hamatelliwa, geh mit ihnen. 


Samatelliwa 
Bernhard! 


Bernhard 
Dein Vater heifcht dich, und des Vaters Rechte 
Sind größer als die meinen — Fehr’ zurück, 


Hamatelliwa 
Des Vaters Rechte. — Graf von Barcelona, 
Wit Ihr, daß mich mein Vater töten wird? 


Bernhard 
Das wird er dir nicht fun. 


Hamatelliwa (türzt Abdallah um den Hals) 
Prophet — Prophet! 
Wer lehrte dich die Schrift in diefem Herzen 
20* 


308 


Die Rarolinger 





Su leſen, die ich, ach, fo falfch verftand? 

So tut der Mann — Abdallah tritt vor ihn, 
Denn du und Gott, Ihr habt's mit angehört, 
Erinnre ihn des Weibes, deffen Rnie 

Er einft umfchlang — frag’ diefen Mann, Abdallah, 


Ob fie gefprochen, wie er heute Spricht? 


Bernhard 
Abdallah, laß; hör’ mich, Hamatelliwa, 
Mit Schmerzen tu' ich, was mir Pflicht gebietet. 


Hamatelliwa 
Chriſt, fürchte deinen Gott und lüge nicht! 


Bernhard 
Wer darf mich Lügen ſtrafen? 


Hamatelliwa 

Deine Lippen, 
Die heute wie zerſprungne Glocken tönen 
Und welche einſt — o Mond und ew'ge Sterne, 
Ihr keuſchen Geiſter lauſchender Natur, 
Ihr habt gehört, wie ſie zu ſprechen wußten! 
Dies Herz, in dem ich jeden Pulsſchlag zählte, 
Nachrechnend dran die Stunden meines Glücks, 
So ganz zum Bettler ward es, daß es heute 
Nichts für mich hat als ſchal erlognen Troſt! 


Karl (eiſe zu Bernhard) 
Mich jammert dieſes Weibes, Herzog Bernhard; 
Muß es ſo ſein, wie Ihr beſchließt? 


Bernhard 
Faſſe dich, Mädchen. 


Hamatelliwa 
Nennt mich, wie ſich's ziemt. 
Bernhard — ſo geh' ich nun? 


Bernhard 
Geh und leb' wohl, 
Und ſei beglückt durch deines Vaters Liebe. — 


Es muß. 


Dritter Akt 309 





Samatelliwa 
Wie du freigebig bift mit fremder Liebe. — 
Und nur weil Pflicht gebietet, nur dem Rechte 
Des Baters beugend, fcheideit du? 


Bernhard 
Nur darum, 
Samatelliwa 
Kein Vorwurf quält did? Treulos wardft du nicht? 
Im Herzen, wo Hamatelliwa wohnte, 
Lebt jest Fein ander Bild? Kein ander Weib? 


Bernhard 
Fein. 
Hamatelliwa 
Mein und nein Du Fels, an dem ich fcheitre — 
Wer war’s, den ich im Garten jah? 


Bernhard 
Im Garten? 
Hamatelliwa 
Wo ich auf dunkel ſchwellndem Raſenſitz, 
Verborgen ganz von hangenden Gebüſchen, 
Verſtohlen wie ein ſchuldiges Gewiſſen, 
Jetzt eben einen Mann ſah — 


Bernhard 
Was ſoll mir das — 
Hamatelliwa 
Und tief in dieſes Mannes Arm geſchmiegt 
Haupt dicht an Haupt, und flüſternd bang und ſüß, 
Worte, wie man fie lernt an Bernhards Herzen — 
Ein Weib — 
Bernhard 
Nehmt fie hinweg. 


Samatelliwa 
Warum erfchridit du? 
Wär’s jo und wüßteſt du von diefem Weib? 


Abdallah (die nach dem Garten) 
Ah — mas ift das? Im Garten — 


310 Die Rarolinger 





Rarl 
Was, im Garten? 
Abdallah 


Kam eben jetzt ein Weib den Gang herauf, 
Ganz eingehüllt in langen, dunklen Schleier, 
Und da ſie uns erblickte, trat ſie ſeitwärts 
In das Gebüſch. 
Karl 
Im langen, dunklen Schleier? 
Was ficht mich an? Laßt ſehn — 


(Er geht auf den Garten zu; Bernhard vertritt ihm den Weg) 


Bernhard 
Bleibt, König Rarl! 


Karl gu Abdallah) 
Welch nächtliches Geheimnis fpinnt fich hier? 
Sahſt du in ihr Geficht? 


Abdallap 
Laßt, gnädiger Herr, 
Die Frau hat nichts zu tun mit diefer Sache, 
Denn frog mein Auge nicht, fo war's — 


Rarl 
Sp war’s? 
Abdallah 
Laßt, gnäd'ger Herr — 
Rarl 
Sp war’s? 


Abdallah 
Die Kaiſerin. 
Karl 
Die Kaiſerin? 
Hamatelliwa (u Bernhard) 
Sn langem, dunklem Schleier 
Saß jenes Weib gefchmiegt an deine Bruft!! 


Bernhard 


Wagſt du, zu läftern meine KRaiferin? 
(Er reißt einen Dolch vom Gürtel und ſtößt ihn Hantatelliwa in die Bruft) 


el ie hen a 3 ne a ae 


Dritter Att 311 








Hamatelliwa 


Ach — konnt'ſt du das mir fun? 
(Sie ſinkt in Abdallabs Arme) 


Abdallah 
Hamatelliwa ! 
Rarl 


D blut'ge, blut’ge, allzufchnelle Tat! 


Hamatelliwa 
(um welche die Mauren in dumpf betäubter Gruppe ftehen) 


Laß mich dein Antlitz ſehn, greifer Abdallah, 
Es gleicht dem feinen — geh’ zum Vater beim 
Und wenn er zürnt, fo fag’ ihm, was du fah’it, 
Dann wirft du ſehn, was du nie ſah'ſt zuvor: 
Tränen in EI Moheiras Heldenaugen. 
Kein Weib auf Erden trug je Schuld, wie ich; 
Kein Weib auf Erden litt je ſolche Buße. 
(Stirn) 


Satilatlas 
Meineidiger, verräterifcher Chrift! 


Temin 


Rache für unſre Herrin! 


Satilatlas 
Wahre dich! 
(Sie ziehen) 
Bernhard Gieht) 
Kommt an, ich bin dabeil Die Klinge hier 
Durchichnitt jo manchen Turban fchon. 


Achter Auftritt 


(Ein plöglicher Drommetenftoß außerhalb der Szene. Gleichzeitig kommen von rechts 
und aus dem Garten) Rudthardt, Dttgar, Humfried und andere 


Rudthardt 


Gebt Frieden. 
(Stellt fich zwifchen fie) 
Nach draußen, Herzog, brauchet jetzt das Schwert, 
Hört Ihr die Stimme der Drommeten nicht? 


312 


Die Rarolinger 





Bernhard 
Was bringen fie? 
Rudthardt 
Den Frieden ficher nicht. 
Drei Herolde der Söhne Irmengards 
Drommeten fie ung auf den Hals, 


Bernhard 
Willlommen! 
Sturmwind der Taten blafe mir durchs Herz — 
Nun bin ich wieder ich! 


Dttgar 
Welch Weib ift dies? 


Bernhard 
Hier ward Gericht gehalten über eine, 
Die fih an ihrer Kaiſerin verging. 


Satilatlas 
Lält’rer der Toten, wagft du, ihrem Schatten 
Noch Steine nachzuwerfen? Deine Buhle 
Entlarvte fie! 
Rarl wie rafend) 


Verdammter! Sprich's noch einmal 
Und aus dem Haupt die Zunge reif’ ich dir! 


Rudthardt 
Was geht hier vor? 
Bernhard 


Erklärung foll Euch werden, 
Wenn’s Zeit fein wird. Jetzt ift e8 Zeit für dieſe. 


Neunter Auftritt 


Dret Ritter (ganz dunkel gepanzert, durch Die Mitte) 


Erfter 
Mich ſchickt Lothar, der König von Stalien. 


Zweiter 
Pipin der AUquitanier fendet mich. 








iur le Pi a ne Z Si 0 





Dritter Akt 313 





Dritter 
Und Ludwig fendet mich, der Bayernkönig. 


Erfter 
So fprechen fie zu Ludwig, ihrem Vater: 


Zweiter 
Und fo zu ihrem jüngften Bruder Karl: 


Dritter 
So fprechen fie zu Judith, Tochter Welfs: 


Eriter 
Wir drei, vereint, zu wahren unfer Recht 
Und abzuwehren Ungerechtigkeit, 
Euch dreien fünden Fehde wir und Krieg 
Und laden Euch zur blutigen Entjcheidung 
Aufs rote Feld bei Kolmar. — Rommt Ihr? 


Bernhard und alle Deutſchen (laut und wii) 


all 
Eriter 


So wolle Gott dem guten Rechte helfen. 


Bernhard 
Gott helfe ihm und ar —— Schwert! 


Gedenkt an das, was 3 — Euch ſagte: 
Die Kaiſerroſe blüht Sm Feld. 


Und nun kein Säumen rel ans Werk, zur Tat. 
Wedt auf die Pfalz; zu feinen Völkern jeder, 
Zählt jeden Ropf und wäget jedes Herz. 

Ihr, König Karl, zum Kaifer, bitt’ ich, gebt, 
Und jagt ihm, wenn die Sonne morgen früh 
Aufs ftahlbefchuppte Blachfeld niederfunkelt, 

Wird ihm das tauſendarm ge Reich der Franken 
Bereitet ſtehn, ein einz'ges mächt'ges Schwert, 


Gericht zu halten 2. feine Feinde. 
u den drei Herolden) 
Nah Haus Ihr drei 


Noch nie zu Tanz und Reigen 
Schlug fo das Herz mir wie zu diefem KRampfl 


314 Die Karolinger 





Satilatlas 
Ein jeder Fluch, der Unheil je gebar, 
Begleite dich zum Rampfe ! 


Temin 


Fluch dir! Fluch! 


(Bernhard mit den Deutſchen und den Herolden nach der Mitte ab) 
Der Vorhang fällt 


Vierter Akt 


Erſte Szene 


Nacht. Eine offne Halle, im Hintergrunde der Rhein. Fackeln be— 
leuchten die Szene 


Erſter Auftritt 
König Ludwig. Hugo von Tours. Matfried von Orleans. Andere 
fräntifhe Große (kommen aus Dem Hintergrunde) 
Ludwig 
Nein, jagt mir, edle Herrn, es ift nicht wahr. 
Noch denke ich, es ift nur ein Gerücht, 
Entjtanden aus dem heiß erregten Blute, 
Das diefe Zeit regiert. 
Matfried 
Nein, gnäd’ger Herr, 
Gott wollte, daß e8 wäre, wie Ihr glaubt, 
Doch leider fah ich’8 an mit eignen Augen. 


Zweiter Auftritt 
Lothar (aus dem Hintergrunde zu den vorigen) 


Lothar 
Was regt die Herren auf? Was ift gefchehn? 


Ludwig (gebt ihm entgegen) 
Ein fchweres Unheil, das uns plöglich traf; 
Erfuhrft du von Pipin? 








Bierter Akt 315 





Lothar 


Ich börte nichts — 
Was ift mit ihm gefchehn? 


Ludwig 
Pipin ift tot. 
Lothar 
Nein, das verhüte Gott! 


Matfried 

Und dennoch ift’s fo. 
Heut nachmittag ritt er aus feinem Lager, 
Des Feindes Stellung drüben zu erfpähn — 
Er ritt das Pferd, vor dem man oft ihn warnte, 
Den ungeftümen, jchwarzen Berberhengit — 
Und als wir gerad’ der Stelle gegenüber, 
Wo drüben lag das kaiſerliche Zelt, 
Fügt fih’s, daß plöglich fih ein Wind erhebt, 
Der von des Faiferlichen Zeltes Spitze 
Das Wimpel reißt und der es gradenwegs 
Zu ihm binüberwirft. — Sein Pferd darauf, 
Wie angepadt von einem wüt’gen Schreden, 
Dreht zweimal, dreimal wirbelnd fich im Kreis, 
Und eh’ wir noch zu Hilfe eilen können, 
Wirft es den König frachend in den Sand 
Und fchmettert ihm das Haupt an einen Felditein, 
Daß augenblids das Leben ihn verließ. 


Lothar 
Das iſt ein düſtrer Anfang unſrer Sache, 
Denn morgen, rechn' ich, haben wir die Schlacht. 


Ludwig 
Dem kaiſerlichen Zelte gegenüber — 
Ein ſonderbarer Zufall, in der Tat. 


Lothar 
Ein Zufall, weiter nichts, doch ſorgt dafür, 
Daß man im Heer den Umſtand nicht erfährt, 
Sonſt nährt's den Aberglauben in den Köpfen 
Und ängſtigt die Gemüter. 


316 


Die Rarplinger 





Matfried 
Gnäd’ger Herr, 
Ich fürchte fehr, es fprach fich fchon herum. 


Lothar 
Das wär’ nicht gut. 
Hug» 
Daneben ift noch eins, 
Das feltfam ſchreckend alle Herzen aufmwühlt: 
Ein alter Maure fam von drüben an, 
Mit abenteuerlicher Nachricht, fagt man. 


Ludwig 
Was bringt er? 
Hug» 
Herr, ich weiß es nicht genau, 
Doch munkelt man im Volk, er brächte Runde 
Bon graufigen Verbrechen, die am Hofe 
Des Kaiſers fich begeben. 


Lothar 
Nun, bei Gott, 
Das wäre günſtige Fördrung unſrer Sache, 
Schafft mir den Mauren her, wir woll'n ihn brauchen 
Wie den gemalten Teufel, unſre Tugend 
So heller dran zu zeigen — (lachend) unfre Tugend! 


Ludwig 
Im Angeſicht des väterlichen Zelt! — 


Lothar 
a, er ift tot, daran ift nichts zu ändern, 
Und da, Ivo dreie waren, find jest zivei. 
Kommt, nichts von Weichheit jegt und Grübelei; 
Die Herren feh’ ich, find zumeift verfammelt, 
So laßt uns Kriegsrat halten und beraten, 
Denn morgen, dent ich, rücen wir ins Feld. 








Vierter Alt 317 





Dritter Auftritt 
Wala (aus dem Sintergrunde zu den vorigen) 
Wala 
Eh’ ihr zum Kriegsrat ſchreitet, höret mich. 


Ludwig 
Wala, der Abt. 
Wala 
Sa, Wala, der Euch beide 
Am Herzen trug, als Ihr noch Knaben wart — 


Lothar 
Wir wiſſen, daß wir's waren — was beliebt? 


Wala 
Der Euch die jungen Hände falten lehrte 
Zum erſten, heiligſten Gebet des Chriſten: 
„Vater vergib!“ Euch beide und Pipin. — 


Lothar 
Wir ſind beſchäftigt, Herr. 


Ludwig 
Nein, er ſoll ſprechen. 
Was habt Ihr uns zu ſagen, werter Abt? 


Wala 
Den Preis ſollt Ihr mir nennen, Söhne Ludwigs, 
Den Ihr auf Eures Vaters Kopf geſetzt. 
Ihr follt mir jagen, wie Ihr's tragen werdet, 
Wenn morgen fih, im Staub vor Euren Roffen, 
Der blut’ge Leichnam Eures Vaters wälzt 
Und wenn fich die empörte Kreatur, 
Mit einem dumpfen Auffchrei des Entjegens 
Bon Euch, den DVatermördern, wenden wird? 


Lothar 
Ihr ſprecht ſehr ſchön, nur leider etwas lang 
Und nicht am rechten Ort. Was predigt Ihr 
Vor unfren Ohren Buße? Gebt hinüber 
Und predigt da. 


318 


Die Rarolinger 





Wala 


Ich war bei Eurem Vater, 
Ich fah das gramgefurchte AUngeficht, 
Den müden Naden und das graue Haupt — 
Sein Haupt — o, eines Vaters graues Haupt 
ft heilig, jedes Haar auf feinem Scheitel 
Ruft feine Rinder auf zu Schug und Ehrfurcht; 
Wahrzeichen ift’s der mahnenden Natur, 
Daß ung das teure Gut nicht lange mehr 
Gehören wird! 


(Er faßt Ludwig und Lothar an der nn und gehf mit ihnen zwei Schritte nach 
vorn 


Sagt mir, Ihr Schredlichen, 
Was eilt Ihr der Natur fo wild voraus? 
Iſt Euch ihr Schritt zu langfam? Geid beruhigt, 
Mißgönnt ihm feine legten Tage nicht, 
Nur wen’ge find’s noch. 


Ludwig 
Sagt, um Gottes willen, . 
Was wißt Ihr, Abt? Wie fteht’s mit meinem Vater? 


Wala 
Schlecht, König Ludwig. 


Ludwig 
Iſt er Eranf? 


Wala 
Er iſt's. 
Es gibt nen Ausdrud in des Menfchen Zügen, 
Wenn Ihr den feht, dann wißt, daß ihn der Tod 
Gezeichnet hat, daß er ihn wiederfinde 
Auf feinem nächften Rundgang durch die Welt. 


Vierter Auftritt 


Abdal lah (erfcheint im Hintergrunde, von Den übrigen vorläufig noch nicht bemerft) 


Ludwig gu Wala) 
Saht Ihr in feinem Antlig diefen Ausdruck? 


ee En 


——— — a nn 


DBierter Akt 


319 





Wala 
Ich ſah in feinem AUngeficht die Krankheit, 
Die keine Heilung kennt: gebrochnes Herz. 


Abdallap 
Ha ba ha! 
(Alles wendet ſich zu Abdallah) 


Ludwig 
Wer wagt es, bier zu lachen? Wer ift da? 


Matfried 
Der Maure, wie es fcheint, von dem wir fprachen. 


Lothar 
Verzeiht ihm, Abt, es iſt ein blinder Heide, 
Der nichts von prieſterlicher Würde weiß. 
Komm, du Aushängeſchild für unſre Tugend, 
Du führſt dich trefflich ein. — 


(Abdallah kommt vor) 


Was lachteſt du 
Zu dieſes Prieſters Worten? 


Abdallah 
Weil er ſpricht, 
Als kenne er die Krankheit Kaiſer Ludwigs, 
Die er nicht kennt. 
Wala 
Die ich nicht kenne, Maure? 
Die ich nicht kenne? 
Abdallah 
Nein, die du nicht kennſt. 
Nur einer weiß den Keim zu dieſer Krankheit? 


Ludwig 
Was iſt der Keim zu ſeiner Krankheit? 
Ab dallah 
Gift. 
(Allgemeine tiefe Bewegung) 
Ludwig 
Gift? Anſerm Vater? 


320 


Die Rarolinger 





Lothar 
Laßt — das Ding wird ernſthaft. 
Maure — wer ſo viel weiß, weiß auch noch mehr — 
Wer gab dem Kaiſer Gift? — Maure, du weißt es — 
Sag's — oder — 
Abdallah 
Meinſt du, daß ich zum Verſchweigen kam? 
Hr kennt ihn alle, alle haft Ihr ihn — 
Zu zahm war Euer Haß, verdoppelt ihn — 
Erfchlagt, zerreißt ihn, tilget feinen Namen 
Aus der befleckten Reihe der Lebend’gen. — 


Ludwig 
Wer gab ihm Gift? 
Abdallah 
Bernhard von Barcelonal! 
(Bewegung) 
Lothar 
Ha — ob ich dieſen gift'gen Molch erkannte! 


Ludwig 
Bernhard von Barcelona. Nein — unmöglich! 


Abdallah 
Unmöglich? Ihm? 
Ludwig 
Ich weiß, du haſſeſt ihn, 
Weil er die Mauren zwang. Haſſ' ich ihn gleich, 
Als meinen ſchlimmſten Feind, doch glaub' ich's nicht — 
Solch grauſe Tat verlangt nach einem Grund — 


Abdallah 
Der Grund? Der Grund? Ich weiß es, bei Euch Chriſten 
Muß alles Namen haben und getauft ſein — 
Wenn es ein Recht zum Daſein haben ſoll — 
Wohlan, der Grund zu ſeiner Freveltat 
Hat einen Namen — taufen will ich ihn — 
Und er heißt Judith! 
Lothar 
Ab — hört alle, hört! 


Vierter Aft : 321 





Wala 
Was fpielft du mit verruchten Rätfeln, Maure? 
Was mengft du bier die Kaiſerin hinein? 


Abdallah 
Weil zwiſchen ihr und Bernhard, ihrem Buhlen 


Ludwig, der Kaiſer ſtand. 
(Wilde Bewegung) 


Ludwig 
Um Gottes willen 
Seid leife, Herrn, laßt dies verdammte Wort 
Nicht weiter dringen. Maure, hör’ mich an, 
Gib mir Beweis untrüglich, unzweideut’gen, 
Sonft ſamt der Läfterzunge fchlag’ ich dir 
Das Haupt vom Rumpf. 


Abdallah 
Schatten Hamatelliwas 

Sieh, wie Abdallah ganz ſich dir ergibt! 
Das Gift, das Bernhard KRaifer Ludwig reichte, 
Erfahrt, ich hab’ es felber ihm gemifcht! 

Eautloſe Paufe) 

Ludwig 

D Vater — Bater — 


Wala 
Gottverfluchte Zeit! 


Fünfter Auftritt 
Ein fräntifher Edler (fommt aus dem Hintergrunde, winkt Matfried zu fich 
beran und ert ihm einige Worte zu, dann kommt Matfried in den Vordergrund) 
Matfried 
Höchft fonderbar — _ 
Lothar 
Was iſt's? Was bringt Ihr uns? 


Matfried 
Mir wird gemeldet, daß am Rand des Lagers 
Ein Reiter hält, auf ſchaumbedecktem Roß, 
Der Einlaß zu den Königen begehrt. 


Dramen VII 21 


322 


Die Rarolinger 





Lothar 
Nannt' er ſich nicht? 
Matfried 
Er wollte ſich nicht nennen, 
Und mit dem Mantel barg er das Geſicht. 
Doch — faſt unglaublich — nach dem Klang der Stimme 
Glaubt man, es ſei — 
Lothar 
Wer? 


Matfried 
Euer Bruder Rarl. 
Lothar 
Ah! Judiths Brut! Läufſt du in unſre Hände? 
Fort — laßt ihn ein. 
(Matfried will abgehn) 
Ludwig (riet ihm in den Weg) 


Halt da — bier bin noch ih. — 
Te (zu Lothar) 
Was haft du mit ihm vor? 


Lothar 
Das wird ſich zeigen, 
Wenn wir ihn haben. Fort, noch einmal. 


Ludwig 
Nein. 
Er ſoll nicht kommen, eh' du nicht geſchworen, 
Daß er frei bleiben ſoll und ungefährdet. 


Lothar 
O hört des frommen Ludwigs frommen Sohn! 


Wala 
Den Segen Gottes, König Ludwig, Euch. 
Lothar — ’8 iſt Euer Bruder. 


Lothar 
Was, mein Bruder! 
Der Schößling aus dem Blute, das ich haſſe — 
Des abgefeimten Weibs dummdreifter Sohn — 


a u ae 


a 


Er — ——— 


Vierter Alt 





Ludwig 
Iſt er dein Bruder nicht, ſo iſt's der meine 
Und unſres Vaters vielgeliebter Sohn! 
Schwörft du ihm Sicherheit? 


Lothar 


Schwachherz’ge Torheit! 


Wenn wir ihn halten, fchreiben wir dem Kaifer 
Jede Bedingung vor, die uns gefällt, 


Ludwig 
Fühlloſer Wucherer! Du folljt mir nicht 
Die Hand auf meines Vaters Kehle jegen! 
Und dir Gewinn aus feinem Sammer ziehn | 


Lothar (u der Umgebung) 
Entfcheiden diefe Herren — Jollen wir 
Sp großen Vorteil aus den Händen lafjen, 
Weil’ dem weichmüt’gen Manne dort gefällt? 


Alle dumpf murrend) 
Wie König Ludwig fagt, jo fol es fein. 


Lothar (giftig lachend) 
Sp fol es fein. — 
(Wintt Matfried, diefer ab durch den Hintergrund) 
Ich mer, es kommt die Zeit, 
Wo Klugheit Frevel wird und Dummheit Tugend. 
Nun will ich mein Geficht in Falten ziehn 
Und Liebe heucheln. 


Sechſter Auftritt 
Karl (erjcheint auf der Schwelle der Halle) 


— 


Lothar (der ihn bemerkt) 


Ah — das Maskenfpiel. 
(Dreht fich kurz um) 


Karl Gögert auf der Schwelle) 
Eh’ ich eintrete, jagt mir, ob ich komme 
Us Bruder unter Brüdern? 


21* 


324 Die Rarolinger 





Ludwig 
(geht auf ihn zu, reicht ihm die Hand, führt ihn vor) 


Hier die Antwort — 
Ich bin dein Bruder Ludwig. 


Rarl 
Ja, ich ſeh's — 
Un deinen Augen, — D, mein Bruder Ludwig, 
Wie wenig Tage und wie viele Dinge 


Sind zwifchen ung, — Mein teurer Bruder Ludwig | 
(Fällt ihm um Den Hals) 


Ludwig 
Du weißt, daß unfer Vater fcehwer erkrankt ift? 


Rarl 


Sch weiß — und darum hinter feinem Rüden 
Ram ich zu Euch — o, hört mich, meine Brüder, — 


Lothar 
Wir brauchen’s nicht, wir willen ohne dich, 
Was Bernhard tat an unfrem Vater, 


Rarl 


| Wie? 
Was — Bernhard fat —? 


Ludwig 
Faſſe dich, Bruder Karl. 


Lothar 


Dein Vater fteht nicht mehr vom Lager auf, 
Er ftirbt am Gift, das Bernhard ihm gegeben. 


Karl 
Nein — ew'ger Gott im Himmel! Bruder Ludwig! 
Ich glaube dieſem nicht, ſprich du — ſprich du! 


Ludwig 


Hier iſt der Mann, der ſelbſt das Gift ihm miſchte — 
Sieh dieſen Mauren. 


PBierter Akt 


325 








Karl au Abdallah) 
Höllifches Gefpenft! — 
(Stürzt auf Abdallab zu) 
Berdammter, wenn du ihm den Trank gebraut, 
So weißt du auch das Mittel, das ihn reftet, 
Nenn’ mir das Mittel! 


Abdallap 
Ihn errettet nichts, 
Es wächſt fein Kraut auf diejer weiten Erde, 
Das jenes Gift bewältigt. 


Rarl 

D — verloren. 
Mein greifer Vater rettungslos verloren | 
Sein mildes Herz, in dem die Güte wohnte, 
Bedeckt von einem Falten, fchweren Stein — 
Sein Angefiht von Grabesnacht umfchattet, 
Sein Auge — Gott bejchüse mich in Gnaden 
Sch ſehe ihn — fein Auge blickt mich an 
Mit einem langen ſchweren Blie des Vorwurfs — 
Mein Heil und Glück war feine Tagesforge, 
Sein Traum zur Nacht. — E83 bleichten feine Haare 
In Sorg’ um mich — und ich, ich fteh’ dabei 
Und jeh’ die Schlange, die ans Herz ihm kriecht — 
Und ich zertrat ihn nicht, den Höllenwurm! 
Und ich vertraut ihm, folgte feinem Rat. 
In meinem Herzen war die Warnerftimme 


Des Abicheus, der ung vor dem Feinde warnt, — 
(Zu Abdallah) 


Giftmifcher, fag’, wie lange bat mein Vater 
Noch Friſt zu leben? 
Abdallap 
Wen’ge Stunden noch. 


Rarl mah dem Hintergrund) 


Führt auf der Stelle mir mein Roß heran. — 
Wir waren Feinde, Brüder, find wir’s noch? — 


(Paufe) 
Ihr zürnt mir? Jedem Anspruch, der Euch kränkte, 
Entjag’ ih, Brüder — lauter als der Zorn 


326 


Die Rarolinger 





Tönt durch die öde Nacht das Sterberöcheln 
Des alten Manns, der einfam drüben liegt, 
Berlaffen, ohne Kinder — zürnt Ihr noch? 


Ludwig (fällt ihm um den Hals) 
Gott fol fein Antlig ewig von mir wenden, 
Wenn ich dich wen’ger liebe, als mich felbt! 
Mein Roß herbei, mit dir reif’ ich hinüber 
Und fleh’ um meines Vaters Segen. 


Lothar 
Ludwig — 
Gehſt du ins Netz, das Bernhard dir geftellt? 
Rarl 


Weh über dich, daß du in diefer Stunde 
Sp denten kannſt! Hier reiß’ ich Bernhards Namen 
Aus meiner Bruft und weih’ ihn meiner Rache, 


Lothar 
Berfprich zu viel nicht, fei vorfichtig, Rabe, 
Es möchten Stimmen fich für ihn erheben, 
Gewicht’ge Stimmen — 
Rarl 
Weſſen Stimme meinft du? 


Lothar 
Du haft die Hälfte nur von dem erfahren, 
Was diefer Maure brachte, hör’ ihn ganz. 
Maure, tritt ber. 

Ludwig 


Lothar! 


Lothar 
Maure, tritt her! 


Ludwig 
Maure, du ſchweigſt! Lothar, es iſt dein Bruder. 


Lothar 
Zch will doch fehn, ob du auch mir den Mund 
Verbieten wirft. 


Bierter Akt 327 





Ludwig (tritt drohend auf ihn zu) 
Erfahr’ es denn: Du fchweigft! 


Karl (gu Ludwig) 
m Gott, was geht hier vor? 


Ludwig 


Still — forjche nicht — 
Ich führe deine Sache. 
Lothar 
Seine Sache? 
Tritt deinem ältern Bruder aus dem Weg, 
Was maheft du für Recht dir an? 


Ludwig 
Das Recht, 
Bon dem dein unnafürlich Herz nichts weiß, 
Weil die Natur es gab. 


Lothar 
Aus meinem Wege, 
Du täppifcher Gefell! Den will ich ſehn, 
Der mir das Recht verwehrt, fchandbaren Frevel 
Uns Licht zu ziehn. 


Ludwig (weißt das Schwert heraus) 
Sp wende Gott die Augen 
Vom Haus der Rarolinger! Sprich ein Wort 
Und diefe Klinge, in dein Herz geftoßen, 
Soll prüfen, ob es fühllos fei für Stahl, 
Wie für die Menfchlichkeit! 


Lothar Gur Amgebung) 
Seht Ihr das an? 
Bor Euren Augen droht man Eurem König 
Mit blanfem Schwert? 
(Dumpfes Gemurr der Anwejenden) 


Matfried (trite vor) 


Vergebt ung, gnäd’ger Herr, 
Wir können es nicht bill’gen, was Ihr tut, 


328 


Die Rarolinger 





Lothar 
Wer hat nach Eurer Meinung Euch befragt? 
Mein Wille ift der Eure. 


Matfried 
Nein, mein König, 
Wir dienen Eurem Recht, nicht Eurem Haß. 


Hugo 
Wir alle hatten einmal eine Mutter, 
Und was Ihr tut an Eurem jüngften Bruder, 
Iſt wider Sagung und Gefühl! 


Alle 
So ift es! 


Rarl 
Was fpricht er von der Mutter! Was geht vor? 
Erklärt es mir — \ 
Wala 
Laßt, teurer, junger König, 
Es ift nur ein Gerücht, das uns erfchredt. 


Abdallah 
Gerücht? Nur ein Gerücht? 


Karl 
Was weiß der Maure? 


Ludwig 
Nichts weiß er, nichts! 


Abdallah 
Du Sohn der ſchönen Judith, 
Des Schleiers denke, der im Garten rauſchte, 
Zur Mitternacht, zur Zeit verbuhlter Liebe. 


Ludwig 
Reißt ihn hinweg! 
(Alle ſtürzen ſich auf Abdallah) 
Abdallah (ſträubt ſich) 
Ihr ſollt mich reden laſſen — 
Hamatelliwas denke, welche drüben 


es N Ad Ka nn “U on Br mn ia Zu re a te u al u a da 


Vierter Akt 329 








AM — ———————— 
— —ú —— de et 


Dan 


Erſchlagen liegt vom Buhlen deiner Mutter — 
Erfahre ſeinen Namen — 


Ludwig 
Reißt ihn fort. 
Sperrt den verfluchten Mund ihm! 
(Sie reißen Abdallah hinaus) 
Abdallah wendet im Abgehen das Haupt) 
Bernhard! ! 


Ahl! 


Karl (aufjchreiend) 
(Brit in die Knie) 


Wala (tritt zu ihm) 
Starf, junger Fürft, feid ſtark — 


Rarl 
Hier kommt etwas, 
Das wie der Wahnfinn ausfieht! Bringt mein Pferd, 
Bringt augenblids mein Pferd! 


Ludwig 
Ich reite mit dir. 
Rarl 
Niemand begleite mich! Verflucht das Auge, 
Das meinem Wege folgt, verflucht das Ohr, 
Das meine Worte hört! Laßt mich allein fein 
Auf diefer Welt mit einer Einzigen! 
(Er fpringt auf und ftürze durch die Mitte ab) 


Ludwig 
Hier nun verbünde ich mich feinem Rechte: 
Karl foll der König fein von Aquitanien. 
(Beifälliges Gemurmel) 


Lothar 
Ei, feht, wie rafch man hier die Kön'ge macht. 
Ich denk', man fragt auch mich? 


Ludwig 
Erkennt du ihn 
Us König an? 


330 


Die Karolinger 





Lothar 
Und wenn ich ſagte nein? 


Ludwig 
Dann mit der ſtahlbewehrten Fauſt des Krieges 
Greif' ich dich an, bis daß du ja geſagt. 


Matfried 
Es ſcheint uns gut, was König Ludwig ſagte. 


Hugo 
Karl ſoll der König ſein! 


Alle 
Er ſei's! Er ſei's! 


Lothar 
Spart Euch den Lärm, ich weiß auch ohne Euch, 
Daß zwanzig Stimmen lauter find als eine, — 
So fei er König. 

Ludwig 

Das ift nicht genug. 

Du follft mit mir vor unferes Vaters Antlitz 
Bekräft'gen dein Verfprechen. 


Lothar 
Ha — auch das noch? 


Matfried 
Ihr follt e8 tun, Ihr follt mit Eurem Vater 
Berföhnung fchließen. 
Alle 
Ja das follt Ihr! Sollt Ihr! 


Lothar 
Ah — Felonie! 
Matfried 


Noch nicht, Doch treibt's nicht weiter! 
Bafallen find wir, aber feine Knechte. 
Ihr kennt nicht Sohnespflicht, nicht Bruderspflicht, 
Sp follt Ihr auch nicht Pflichten fordern dürfen 
Bon andren — vor die Füße werf’ ih Euch 


Vierter Akt 331 





Die Treue des PVafallen, kämpft alleine 
Für Euer Recht! 
Alle 
Alleine, kämpft alleine! 
(Paufe) 
Lothar 


Die Pferde vor und auf den Weg zum Kaiſer! 
(Verwandlung) 





Zweite Szene: 
Inneres des Faiferlichen Zeltes; in der Mitte eine große gefchloffene 
Zelttür; rechts und links Lleinere Türen 


Erfter Auftritt 
Bernhard, Rudthardt. Ottgar. 


Rudthardt 
Herzog, nun ſagt, wie geht es mit dem Kaiſer? 


Bernhard 
Ihr Herrn, ich darf Euch nicht mit Hoffnung täuſchen, 
Der Kaiſer iſt weit kränker, als man glaubt. 


Ottgar 
Solch plötzlich Unheil — 
Bernhard 
Ja, ſehr wahr — ſo plötzlich, 
Daß man — — nun wohl, Ihr wißt ſo gut ich, 


Wem dieſe Krankheit Nutzen bringt und Vorteil. 
Natur iſt unſren Feinden ſeltſam günſtig! 


ET DENE EN 


Rudthardt 
Ihr ſcheint noch mehr zu meinen, als Ihr ſagt? 


Bernhard 
Ei nun — ich dachte, daß es Mittel gibt, 
Nach unſrem Willen die Natur zu leiten. 


332 


Die Karolinger 





Rudthardt 
Arzneien, meint Ihr das? 


Bernhard 
Man ruft auch Krankheit, 
Wenn die Gefundheit überläftig wird. 


Rudthardt 
Das wäre — Gift! 
Ottgar 
Um Gott, was ſprecht Ihr da? 


Bernhard 
Sch fage nicht, fie taten’g — doch ich fage, 
Betrachtet, welchen Gang die Dinge gehn, 
Und fagt, es fei undenkbar. 


Rudthardt 
Gift! Dem Bater! 
Und dennoch — greuelvolle Möglichkeit. 


Bernhard 
Setzt nun den Fall, der Kaifer ftirbt — was dann? 


Ottgar 
Ja freilich auch — was dann? 


Rudthardt 
Dann kommt Lothar. 
Bernhard 
Und dann? 
Rudthardt 
Nun, was dann weiter noch geſchieht, 
Wird feine Sorge fein; gut wird es nicht. 


Bernhard 
Euch jagt des Herzens richtiges Gefühl, 
Was wir von diefem Mann zu hoffen haben. 
Sagt, wollt Ihr willig an den Bloc Euch geben? 
Und fol Lothar der KRaifer fein? 





Vierter Akt 333 





Ottgar 
Was tun? 


Er iſt und bleibt des Kaiſers ältſter Sohn; 
Wer kann ihm wehren? 


Bernhard 
Wir, wenn Ihr mir folgt. 


Rudthardt 
Das wäre — laßt uns wiſſen. 


Bernhard 
Hört mich; 
Den Augenblick, da Kaiſer Ludwig ſtirbt, 
Den laßt uns wahren. Dieſem Frankenreich, 
Das wie ein kopflos ungeheurer Rumpf 
Im Taumel gehn wird, laßt ein Haupt uns finden 
Und unſer iſt der Sieg. 


Rudthardt 
Und dieſes Haupt? 


Bernhard 
Iſt Karl. Er ſoll der Kaiſer ſein der Franken! 


Rudthardt 
Kühn — kühn bei Gott. 


Ottgar 
Ein Plan der mit dem Rechte 
Sich ſchwer vereint. 
Bernhard 
Im Buch der Weltgeſchichte 
Gibt's nur ein einzig Recht, es heißt Erfolg. 
Und den verjprech’ ich Euch. 


Rudthardt 
Berfprecht Ihr den? 
Seid Ihr gewiß, daß Karl bereit fich findet? 


Bernhard 
Karl iſt bereit. 


334 Die Rarolinger 





Rudthardt 
So fpracht Ihr fehon mit ihm? 


Bernhard 
Es ift gefchehn. Wenn ich Euch Pläne biete, 
So feid gewiß: es ift geflärter Wein. 


Rudthardt 
Wahr ift’3, und ich erfenn’ es willig an. 
Karl, Ludwigs jüngfter Sohn, fei unfer Kaiſer. 


Dttgar 
Nun, Rudthardt, wenn Ihr meint — ich bin dabei, 


Bernhard dftrede ihnen die Hände zu) 
Schlagt ein, Ihr Herrn — fo darf ich auf Euch zählen? 


Rudthardt (ihlägt ein) 
Ruft mich, Ihr follt mich finden. 


Dttgar Desgleichen) 
So auch mich. 
Rudthardt 


Ich gehe jetzt und muſtre unſre Stellung; 
Begleitet Ihr mich, Ottgar? 


Ottgar 
Ja, ich komme. 
(Beide ab nach rechts) 


Bernhard (allein) 
Wißt Ihr’s, wen diefe Krankheit Vorteil bringt? 
Ah — mie fih Stufe mächtig baut an Stufe, 
Wie Ring in Ring fich füge — und diefe Hände, 
Gleich zwei Titanen voll allmächt’ger Kraft, 
Zu Füßen mir zu fetten diefe Welt! 
Nun könnt' ich wie ein König der Agypter 
Anbetend knien vor meinem Genius. 
Wohl weiß ich, unterm Grundftein meines Bau’s 
Liegt ein begrabener Kaiſer; aus der Tiefe 
Sieht Ludwig mich mit toten Augen an 


Bierter Akt 335 





Und murrt mit fahlen Lippen: „Du“. Ga, ich denn! 
Mit meiner Mutter rechtet, der Natur. 

Auch fie trägt Blutſchuld; eine jede Stunde 

Sieht taufendfält'gen Tod, dem Schwächeren 

Bom Stärferen verhängt. — Und dies Wort „Schuld“ 
Iſt nur der Seufzer der Ertrinfenden, 

Die in dem Lebensozean der Kräfte 

Zu ſchwach zum Schwimmen. — Du fei meine Göttin, 
Die du den Abgrund zwifchen Necht und Lnrecht 

Im Löwenfprunge überwältigt: Tat! 


Zweiter Auftritt 
Zudich (von Finke) 


Qudith 
D Herzog, er ift Frank, zum Tode krank. 
Bernhard 


Mut, teures Herz, ich weiß, daß er es ift, 
Kön’ge find Menfchen, Tod ift Menfchenlos. 


Judith 
Doch jest in dieſer Stunde der Gefahren, 
Wenn jest er ftirbt? 
Bernhard 


So bijt du heute abend 
Die Mutter eines Kaiſers. 


Judith 
Bernhard? 


Bernhard 
Hör’: 
Sag’ deinem Sohne, alles ift bereit, 
Das Heer ift unfer, wenn fein Vater ftirbt, 
Sp ruf ich ihn zum Kaifer aus der Franken. 


Judith 
Wär's möglich, Bernhard? 


336 


Die Karolinger 





Bernhard 

Mehr, es ift gewiß. 
Gieß in das Herz ihm deine Flammentoorte, 
Damit er ftark ſei — Mut — die Wogen rollen, 
Noch einen Ruderfchlag — wir find am Siel. 


\ 


Judith 
Doch Karl — er fehlt ſeit geſtern — weißt du das? 
Bernhard 
Was ſagſt du mir? 
Judith 


Er ließ das Roß ſich zäumen 
Und ritt hinaus zur Nacht. 


Bernhard 


Höchſt ſonderbar — 
Und kam noch nicht zurück? 


Judith 
Ich ſah ihn nicht. 


Bernhard 
Er wird auf Kundſchaft ausgeritten ſein, 
Ich gehe gleich und ſuche ihn im Lager; 
Befürchte nichts. 
Judith 
O wäre ich wie du — 
Bernhard, ich fürchte mich. 


Bernhard 
Du fürchteſt dich 
Und weißt, ich lebe? Mut, geliebtes Herz, 
Wer landen will, darf nicht die Brandung fürchten — 
O Judith — bald iſt nichts mehr, was uns trennt. 


(Er führt fie nach rechts, Dort verläßt er fie, indem er nach rechts abgeht, während- 


deſſen erjcheint) 


Dierter Alt 337 





Dritter Auftritt 
Karl (aus der Mitte und bleibt, beiden nachjehend, ftehen) 
Zudith wendet fi, gewahrt ihn) 
Ah — du Famft wieder? 


(Geht auf ihn zu) : ; 
Sprid, wo gingft du hin? 


Rarl 
(tritt einen Schritt zurüd, da fie die Arme ausbreitet, um ihn zu umarmen) 
Bernhard war bei dir? 


Judith 
Ja, er ging hinaus, 
Im Lager dich zu ſuchen; ſag', wo warſt du? 


Karl 
Bernhard war bei dir? 
Judith 
Alſo ſagte ich. 
(Paufe) 


Judith 
Dein Aug' iſt düſter, was geſchah dort draußen? 
Du blickſt mich an, als kennteſt du mich nicht? 


Karl 
Die Augen ſind's voll ſüßer Majeſtät — 
Die Stimme — alles iſt's was ich beſaß — 
O nein — nicht wahr, du biſt noch meine Mutter? 


Judith 
Welch düſtre Geiſter zeugte dieſe Nacht, 
Die zwiſchen dich und deine Mutter traten? 


Rarl 


Geifter von Fleifh und Blut. — Er war bei dir, 
Was war’s, wovon Ihr fpracht? 


Judith 
Du warſt es. 
Karl 
Ich? 


Dramen VII 22 


338 Die Rarolinger 





Judith 
Ja, trauter Sohn, dein Heil und deine Größe, 
Die ihm am Herzen ruhn. 


Karl 


An ſeinem Herzen 
Will ich nicht ruhn! Verdammt ſei der Gedanke! 


Judith 
O, dies iſt undankbare Unnatur! 
Du weißt, was er getan, ſo höre denn 
Das Größte, was er dir zu tun gedenkt: 
Die Großen unſres Heeres ſind gewonnen, 
Bereit iſt alles, wenn dein Vater ſtirbt, 
So wirſt du Kaiſer ſein des Frankenreiches. 


Karl 
Ah — ſagt' er das? 


Judith 

Er hat es mir geſagt. 
O du, mein Rind, für das ich jahrelang 
Sn Angft gelebt, die Stunde ift gefommen, 
Die all mein Sehnen krönt in dir — o Rind, 
Bergälle nicht der Mutter diefe Stundel 


Rarl 
Und nannt’ er auch den Preis für diefe Krone? 


Judith 
Den Preis? Was meinſt du? 


Rarl 
Mutter — mas ich meine? 


Qudith 
Um Gott — was lauert dir im Auge? 


Rarl 
Mutter, 
Die Krone will ich nicht, die du mir bietet, 
Biel Höh’res, Teureres verlang’ ich! 


a ur linn. 
F an sa Tr 


Bierter Akt 


339 





Judith 
Was? 


Rarl (fällt vor ihr nieder, fie umſchlingend) 
Mutter, gib meine Mutter mir zurüd! 


Zudith 
Gott helfe mir! 


Rarl 
Weißt du, was du mir warjt? 
Dies Licht des Lebens, das du mir gejchenft, 
Es einte alle feine holden Strahlen 
Sn einem bimmlifch leuchtenden Juwel. 
Dein Tun und Denken Mufter war's des meinen, 
Und wenn ich betete, fo trat dein Bild 


Dicht neben Gottes Bildnis. — Mutter — Mutter — 


Gib das mir wieder. 


Zudith 
Karl — verlorſt du es? 


Karl 
Sage mir du, ob ich es noch beſitze! 
War's Dankbarkeit, war's Mutterliebe nur, 
Die dir für ihn ſo heiß das Wort entflammte, 
Oder — 
Judith 
Karl! Karl! 


Karl 

Oder — o einen Raum mir 
Ode und leer, wo nie der ſüße Laut 
Der Menſchlichkeit erklang — oder iſt's wahr, 
Daß fih ein Räuber fcehlich in meinen Himmel? 
Mutter, man fagt — web, unter diefem Worte 
Zerbricht die Zunge wie ein Scherben mir — 
Mutter, man jagt mir, daß du Bernhard liebjt? 

(Paufe. Judith wendet fih zum Abgehen) 


Karl (pringt auf) 
Mutter ! 


22* 


340 Die Rarolinger 





AZudith (bleibt ftehen) 
Darfit du der Richter deiner Mutter fein? 


Rarl 
Nacht, wirf dich über die entweihte Erde, 
Das Heilige ift tot! Go fei die Krone 
Verflucht, die Ihr mir botet, und die Hände, 

„ Die fie mir reichten — 
Zudith 
Karl — was tuft du mir? 

Willft du der Mutter fluchen ? 


Rarl 
Sage „nein“, 
Und Segen einem jeden, der dich ſegnet! 
D, nur die Lippen rege, denn mein Herz 
Spart deinem Wort den Weg und ruft „unfchuldig”. 


Judith 
Denk', o gedenk', im Lauf ſo vieler Jahre 
Wie viele Bitten hab' ich dir erfüllt, 
Für all die tauſende, nur eine einz'ge: 
Karl, frage nicht! 

Karl 

Ah! 
Judith 
Bohre nicht die Augen 

Ins Herz, an dem ich dich getragen! 


Karl 
Ah! 
Zudith (inkt in die Knie) 
Natur, ſieh mich nicht Inien vor meinem Kinde. 
In Schmerzen gab ich Leben dir, in Schmerzen 
Bewahrte ich dein Leben unter Feinden, 
Sei dankbar, Sohn; ich lernte Haß ertragen, 
Nur deinen nicht; Karl, Rarl, nicht deinen Haß. 


Karl (ritt zurück) 
Ich habe nichts zu ſchaffen mehr mit dir. 


Bierter Akt 341 





Zudith 
Das meines Kindes Dank! 


Rarl 

Dank dir? Wofür? 
Für diefe Krone? Ah, des fchändlichen 
Erfages für mein Herz! Für diefes Leben? 
D, eine Blume war’s, die ihren Duft 
Aus deinem Leben fog — heut aus der Wurzel, 
Aus der vergifteten, jog es ſich Gift. 
Die Schuld ift abgetragen — Weib, fteh auf. 


Zudith 
Schredlicher Sohn! Gott, fprich zu ihm! 


Karl Geigt nad) links 
Sieh dorthin! 
Sp redet Gott! — — Sieh an, o fieh ihn an, 
Den alten, heil’gen Mann. — Mutter, o Mutter, 
Heut muß auch ich ihn bintergehen, fomm, 
Bor feinem Antlitz bin ich noch dein Sohn. 
Gudith erhebt fi, von Karl unterftüst) 


Zudith 
Betrug ift feine Liebe, nur fein Haß 
Sit Wahrheit — fo erfüllte fih mein Sehnen. 


Vierter Auftritt 
Raijer Ludwig (auf Diener geftüst, von links zu den vorigen) 


Rarl 
Fühlt fih mein gnäd’ger Herr und Vater beiler? 


Ludwig 

Ja — denn zwei Stunden näher meinem Gott. 

Die Luft ift dumpf und ſchwer in diefem Zelte, 

Öffnet den Vorhang — o, der Mattigkeit! — 

Eäßt fih in einen Armjefjel nieder, den Diener bereingefragen haben. Der Zelt- 
vorhang wird aufgezogen) 

Wie ſchön die Erde ift — und wie fo häßlich 

Die Menfchen auf der Erde. — Gebt, der Tag 

Kommt wie ein heiliger Apoſtel Gottes, 


342 


Die Raroplinger 





Sanft und voll Frieden; feine lichten Füße, 
Sie werden waten durch der Menfchen Blut, 
Und wenn er fchaudernd in die Nacht verfinkt, 
Dann wird das AUngeficht des Gottgefandten 
Unkenntlich fein durch Menfchenfreveltat. — 
Bier Söhne hatt! ich — Gott, ich danfe dir, 
Daß ihrer einer meinen Tod nicht wünfcht! 


Rarl 


(niet neben ihm nieder, während Judith fich über Die Lehne des Gefjels beugt) 


Nein teurer Vater, lebel Laß mich nicht! 

D, diefe Stunde voller Schmerzen bricht 

Die lang getragene Feſſel Falter Sitte — 

Du nicht mein Herr, nicht KRaifer, du mein Vater, 
D, dies mein Herz, das fich an deines Hammert, 
Hält flehend dich in diefem Leben feit! 


Ludwig 
rückt Karl an fich, ſtreckt Judith Die Hand zu) 


Zudith, hab’ Dank, daß du den Sohn mir fchentteft. 


Zudith 
Danke mir nicht — o Ludwig — mein Gemahl! 


Ludwig 

Sa, Ihr verliert heut viel, Ihr, meine Teuren. 
Der Menfch braucht Liebe, wie die Blume Licht, 
Das Herz, das Euch geliebt, nehm’ ich hinunter 
Und laſſ' Euch einfam in feindfeliger Welt. 
AUlmächt’ger, der du Berge rüdft vom Ort, 
Du kannſt noch mehr, du läßt das Herz des Menfchen 
Den weiten Weg vom Böfen gehn zum Guten, 
Gott, rühre meiner ältern Söhne Herz! 

(Ein Hornruf hinter Der Szene) 


Ludwig 
Hoch — hörtet Ihr? 


Karl citeht aud 
Gott hörte deine Bitte, 


Und Gott erfüllt fiel 


EAN F N 


Vierter Att 343 





Ludwig 
Was bedeutet das? 


Fünfter Auftritt 


Rudthardt, Ottgar, Humfried, andere Deutjche (aufgeregt von rechts) 


Rudthardt 
Verzeiht den hajt’gen Eintritt, gnäd’ger Herr, 
Die beiden Kön’ge, Ludwig und Lothar, 
Berlangend, Euer Angefiht zu ſehn, 
Sind vor dem Lager. 


Ludwig (aufichreiend) 
Meine Rinder kommen! 


Rarl 
Za, diefe Teile deines Herzens, Vater, 
Die fih in Haß und Hader losgeriffen, 
Ich bringe fie zurück in deine Bruft. 
Rein Haß, fein Streit mehr — wir find Brüder wieder 
Und Friede, Vater, ift in deinem Haus! 


Sechſter Auftritt 


Ludwig der Deutſche, Lothar, Bernhard, andere Deutjhe (von rechts) 


Ludwig der Deutſche 
Lebt unſer Vater noch? Gott fei gepriefen, 


Daß fih mein Knie vor ihm noch beugen fann! 
(Rniet nieder) 


Schenk' deinem Sohne Ludwig deinen Segen! 


Lothar (niet nieder) 
Bergib auch deinem ältjten Sohne. 


Raifer Ludwig Cichtet ſich langſam auf) 
Ach — 
Ein König bin ich heut — denn ich bin reich — 
(greift mit zitternden Händen um fich) 
Legt meine Händ’ auf ihrer aller Haupt — 


r 3 want) ä 
Ah — meine Kinder — meine lieben Kinder — 
inte zurüd, ſtirbt) 


344 Die Rarolinger 





Siebenter Auftritt 


Wala Matfried. Hugo. (Eine große Zahl von Rittern und Edlen find 
unterdeflen eingetreten und füllen den Hintergrund, Karl, Ludwig und Lothar Enten 
am Geflel des Kaiſers. Zudith Iehnt über die Rücklehne des Seſſels. Rudthardt 
tommet mit Bernhard in den Vordergrund. Dffgar, Humfried zu ihnen) 
Rudthardt 
Was wird aus dem, was wir vorhin befprachen, 
Da er mit feinen Brüdern fich verföhnte? 


Bernhard 
Seid ſtark und feft, Lothar und Ludwig dürfen 
Nicht lebend mehr hinaus aus diefem Zelt! 
(Rarl, Ludwig, Lothar erheben fich) 
Lothar 
Nun kraft des zwiefach heil'gen Rechts, das mir 
Natur verlieh und diefes Reiches Satzung, 


Leg’ ich die Hand auf diefe Krone. 
(Berührt die Stirnbinde auf Raifer Ludwigs Haupt) 


Sprecht — 
Soll diefes Zeichen heil'ger Majeftät, 
Das feinen altehrwürd’gen Platz verlor, 
Auf meinem Haupte wieder Ruhe finden? 


Bernhard 
Das fol es nicht! 


Lothar (läßt die Hand finfen) 
Wer ſprach? 


Rudthardt 
Er ſprach für uns! 
Wir wollen nicht, daß Ihr der Kaiſer feid. 


Bernhard 
Hier fteht der Kaifer, den ung Gott bejtimmte: 
Karl, Judiths Sohn! 


Alle Deutſchen 
Karl ſei der Frankenkaiſer! 


Bernhard 
Und Tod auf jeden, der ſich widerſetzt! 


a a Fa u u 


Vierter Akt 345 





QRudthardt 
Tod jedem! 
Alle Deutſchen 
Nieder mit den Söhnen Irmengards! 


Bernhard (tritt auf Kaifer Ludwig zu) 
(Zu Ra) Aus meiner Hand ward Euch die Königskrone, 
Empfangt nun bier den dreimal heil’gen Reif. — 


Rarl 
Sort, deine blut’ge Hand von meinem Vater! 
Sieht du nicht, wie der Tote auferwacht 
Und wie die welfe Hand, zur Fauſt geballt, 
Nach deinem mörderifchen Herzen zudt? 


Bernhard 
Das mir — von Euch — — 


Rarl 

Das dir vom Sohne Ludwigs! — 
Das dir von dem, den du dreimal VBerdammter 
Zum Werkzeug deiner Höllenpläne ſchufſt! 
Das dir, du Mörder meines Vaters! 


Zudith 
Rarl! 
Rudthbardt 


Mörder? Was fagt Ihr? 


Ottgar 
Mörder? Weſſen? 


Humfried 
Wer? 
Bernhard 
Und wärſt du König der geſchaffnen Erde 
Und nicht ein König nur durch meine Gunſt — 
Du ſollſt mir Rede ſtehn — (wirft den Sandſchuh bin) 
nimm auf mein Pfand! 


Karl cuft) 
Wo ift der Maure? Ruft Abdallah her! 


346 


Die Rarplinger 





Bernhard 
Abdallah? Fluch und Hölle! 


Karl 
Kennſt du ihn? 


Achter Auftritt 


Abdallah (erſcheint in der Zeltpforte) 


Abdallah 
Hier iſt Abdallah! — Wer verlangt nach ihm? 
Bernhard 
Schleichender Hund! 
Abdallah 


Bernhard, was fchmähft du mich? 
Da du mir danken follteft! — Dort ſieh hin — 
Pünktlich, wie du befahlit, ift er gefommen, 
Der Tod, den ich aus Afrika berief. — 


Rudthardt 
Wem fchufft du Tod? 


Ottgar 
Wer gab dir Auftrag? 


Abdallah 


Nicht in dem dunklen Schoße der Natur, 

Im Hirn des Menſchen ward der Keim geboren, 
Der dieſes Leben tödlich überwuchernd, 

Zu Tod den Kaiſer ſtreckte. — — Dieſer da — 
Bernhard von Barcelona iſt der Mann — 


Wißt: 


Rudthardt (wütend) 
Nieder den Raifermörder! 


Alle 
Nieder! — Nieder! — 


Zudith 
Sag’, daß fie dich verleumden, Bernhard! 





Vierter Uft 347 





Abdallah (mir geliender Stimme) 
Ach! 
Die Buhle hört, die für den Buhlen ſpricht! 


Judith 
(inkt am Seſſel des Kaiſers nieder, ihr Geſicht in die Hände gedrückt) 


Rarl 
Schurke! Ergreift den Mauren, fchleppt ihn fort! 
Gebt ihm zehnfachen Tod! — 


Abdallah 
Hamatelliwa, 
Du biſt gerächt, nun lache ich des Todes! 
Abdallah wird abgeſchleppt, kurze Pauſe) 


Rarl 
Sch weiß, es ift nicht einer unter Euch, 
Der glauben fünnte — — 


Lothar 
Nein, doch nach dem Recht 
Laßt uns verfahren; und es fcheint mir gut, 
Dat Ludwigs Mörder falle durch den Spruch 
Bon Ludwigs Witwe. — 


Rudthardt 
Ja, das fcheint mir auch! 


Alle 
Die Kaiſerin fol richten! 


Karl balblaur zu Judith) 
Hörteft du — 


Zudith (erhebt fi, von Karl unterftügt) 
Ihr Herrn — ich bin ein Weib — bin nicht gefchaffen 
Zu folchen ſchweren Dingen. 


Wala 
Raiferin, 
Gekrönte Frauen tragen Mannespflichten. 


348 Die Rarolinger 





QZudith 
Und dieſes — Urteil — wäre — 


Lothar 
Tod durchs Schwert, 
Wie es dem Mörder zukommt. 


Zudith (allend) 


Tod durchs Schwert. 


(Sie ſteht, die Hände ineinander gekrampft; ihre Lippen bewegen ſich lautlos; dann 
wendet fie langjam das Haupt zu Bernhard hin) i 


Bernhard — ich fol dich — ad — — 
(Sintt ohnmächtig zufammen) 


Rarl cftürze zu ihr) 
Mutter! 


Judith! 


Bernhard (ftürze zu ihr) 


Karl (fährt zurüd) 
Bermaledeiter — fort von. diefem Weib! 


Bernhard (iniend bei Zudich) 
Aus meinem Wege du! Verderben jedem, 
Der mir mein Recht an diefem Weibe nimmt! 
Mein war fie, eh fie Eures Vaters war, 
Mein ift fie heute, und mein fol fie bleiben 
Diesfeits und jenfeits, mag der Schlund der Hölle 
Sich vor uns öffnen, jauchzen werden wir 
Sn ihren Flammen, und Euch nicht beneiden 
Um Euren Himmel! 


Rarl (reißt fein Schwert heraus) 
Wehr’ dich deines Lebens! 


Bernhard (fpringt auf, zieht) 
Feuer der Hölle, ftähle meinen Arm, 
Zudith, fo räch’ ich dich an deinem Sohne! 


Lothar, Ludwig Giehen) 
Stirb, Schänder unfres väterlichen Betts! — 


Rudthardt Gieht) 


Stirb, Kaiſermörder! 
(Site dringen auf Bernhard ein, kurzer Kampf, Bernhard fallt) 





PBierter Akt 349 





Bernhard 
Di a 


Wala 
Das Urteil Gottes! 


Bernhard 

Serriffen von der Karolinger Meute — 
Die Flammen, die die Welt durchloderten, 
Erftickt vom Schwalle der Alltäglichkeit! 

(Richter fich bald auf, ftarrt auf Zudith) 
Wer tat mir das? Wer riß die tote Maurin 
Aus ihrem Grab? Ihr wollt mich glauben machen, 
Sie lebe — doch ich weiß es, fie ift tot! 
Bleib — fie erhebt vom Boden fih — fie fommt — 
Das tote Antlitz beugt fie über mih — 
Hamatellima — o — Kalt ift der Tod. — — 

Etirbt) 


Karl wirft das Schwert weg) 
Dich rufe nie mehr der Drommeten Stimme 
Aus deiner Scheide, Waffe des Gerihts — 
Ing Grab, ing Grab, wo unfer aller Ende. — 
Die Welt ift tot. — Das fchweigende Entjegen 
Sigt auf den Trümmern und gebiert das Nichts. 


Ludwig 
Bruder, dir lebt dein Bruder! 


Lothar 
Hör' auch mich — 
Reich' mir die Hand, mein Bruder. 


Karl au Lothar) 
Mein, dir nicht. — 

Nah Recht verfuhrft du, fieh hier, was dein Recht 
Un mir getan hat — von der Stunde heut — 
Sei zwifchen dir und mir nur noch das Recht. — 

(Aniet zu Zudith, wendet fich zu den Anweſenden) 
Der König hat gefprochen und gerichtet, 
Geht, laßt den Sohn mit feiner Mutter fein, 


350 


Die Rarplinger 





Wala (tritt zu Karl) 


Reißt vom PVergangnen Eure Seele los — 
(Zeigt hinaus) 

Dort ift das Licht, das Leben umd die Tat. 

Rommt, auf die Zukunft richtet Eure Augen, 

Die Zukunft ift des Mannes wahre Zeit. 


(Der Borhang fällt) 
Ende 








Bu Le = 1 PU BZ nn ln DT a Bi nn 2 be un 


Bäter und Söhne 
Schaufpiel in fünf Akten 





Derjonen 


von Sngersleben, Oberft und Rommandanf von Küftrin 
Frau von Ingersleben 

Adelheid, feine Nichte 

Ferdinand, fein Sohn, Leufnant 

von Weyherr, Oberit 


von Manteuffel, Obe ziere 
Boumann, Oberft ® der ——— Garniſon 
Thynkel 


Wille Leutnants 


General Gudin 

Dberft Gautier franzöfifhe Offiziere 
Hauptmann Delacour 

Lepetit, Sekretär des franzöfifchen Gouvernements 
Valentin Bergmann, früherer Dorffchullehrer 
Heinrich, fein Sohn 

Rieke buſch, Ralfaktor 


Preußiſche Offiziere. Franzöſiſche Offiziere. Franzöſiſche Polizei- 
beamten. Preußiſche Soldaten. Bürger 


Zeit und Ort: 
Die beiden erſten Akte in der Nacht vom letzten Oktober zum erſten 
November 1806 in und um Küſtrin; die drei legten 1813 in Berlin 


Zum erften Male aufgeführt am Lobe- Theater in Breslau am 15, November 1881 


Dramen VII 23 





Erſter Akt 355 


Erſter Akt 


Szene: Ein Zimmer bei Valentin Bergmann. Dürftige Ausſtattung; 
Türen links und in der Mitte; vorn linf3 ein Tifch, auf dem ein 
zinnerner Leuchter mit Licht fteht. Nacht 


Erfter Auftritt 


Balentin Bergmann (ist am Tiſch) 





Balenfin 
Das Licht verfchivelt. — Bald, den? ich, muß er fommen 
Und Nachricht bringen, wie es draußen fteht. — 
Heinrich wird kommen, aber Wilhelm nicht. — 
(Zn der Ferne Hornfignale) 
Dies Licht erzeugt Gefpenfter — wie die Hörner 
Dumpf heifer gellen — Wilhelm, hörſt du nicht? 
Sie rufen dich. — Mein, er vernimmt nicht mehr, 
Denn aus dem Senfeits führen Feine Brüden 
Ins Reich der Lebenden. 
Mochen an der Mitteltür) 
Horh da — es klopft. — 
(Er erhebt fich) 
So Hang es, wenn er fam. — D, wenn er käme. — 
Wahnfinn’ger Traum, hinab. — 
(Öffnet die Mitteltür) 
Heinrich, bift du's? 


Zweiter Auftritt 


Heinrich (im Mantel, durch die Mitte) 


Heinrich 
Grüß' Gott, ich bin's. 
Valentin 


Tritt ein und ruh' dich aus; 
Den ganzen Tag heut warſt du unterwegs. 


Heinrich 
Ja, ſeit heut früh; die Oder auf- und abwärts. — 
Das Land iſt ausgefegt wie eine Tenne, 
Wir ſind die letzten Deutſchen hier im Ort. 


(Wirft den Mantel ab) 
23* 


356 


Bäter und Söhne 





Nun, den? ich, könnt' ich auf den Mann berechnen, 
Wieviel Franzofen vor Küſtrin heut ſtehn. 


Balentin 
Wie viele find es? 
Heinrich 
Eine Divifion, 
Noch find fie nicht verloren. 


PBalentin 
Wer? 


Heinrich 
Nun, wer? 
Die Unfrigen. 
Balentin 


Die Preußen? 


Heinrich — 
Ja, wer ſonſt? 
Sie haben ihre Stellung ausgedehnt 

Und hoffen ſo, die Garniſon zu täuſchen. 

Der Kommandant iſt alt, der Ingersleben. 


Valentin 


Der Ingersleben — ja — der Ingersleben — 
Ich denke, du biſt hungrig? Hier iſt Brot. 


(Er nimmt aus einem Wandſchrank einen Laib Brot, den er vor Heinrich auf den 
Tiſch legt. Dann ſetzt ſich Heinrich an den Tiſch, Valentin auf die Ofenbank, Heinrich 


betrachtend) 


Valentin (für fich) 
Wie er ihm ähnlich fieht — ich könnte denken, 
Wilhelm fein Bruder wär’s, der vor mir figt. — 
Doch Wilhelm fist nicht mehr an meinem Tifche 
Und ißt nicht mehr von feines Vaters Brot. 
(Heinrich ſchiebt Das Brot zurüc) 
Bift du ſchon fatt? 


Heinrich 
Mir ſchmeckt nicht Trank noch Speife, 
Gedenfe ich der Preußen in Küſtrin. 











Erfter Akt 357 





Balentin 

Noch find fie nicht verloren, ſagteſt du? 
Heinrich 

Doch morgen werden fie verloren fein! 
Balentin 

Sag’, was du weißt. 
Heinrich 


In Frankfurt an der Oder 
Steht Marſchall Davouſt mit dem ganzen Korps. 
Morgen in aller Frühe bricht er los 
Und dann — 

Valentin 


Dann wird es übel ſtehn um deine Preußen. 


Heinrich Glickt ihn an) 


Um meine — Preußen? 
(Lärm von links) i ; 
Horch — was für ein Lärm? 


Balentin 
Das ift die Einquartierung der Franzofen; 


Gen'ral Gudin figt drin mit feinem Stab. 
(Lauterer Lärm von links) 


Heinrich 
Heida — die Herren fcheinen guter Laune? 
5 : (Springt auf) 
Ach ja — fie dürfen lachen! 
Balentin 


Za, mein Sohn. 
Sie haben, was des Mannes Herz beruhigt 
Und was den Wein in feinem Becher würzt: 
Rache an ihren Feinden. 


Heinrich 


Ihre Feinde 
Das find die Unſrigen, das find wir felbit! 


Balentin 
Nicht jeder ift darum ihr Feind. 


358 Väter und Söhne 





Heinri 
EREND. nike fepert 
Sch denke, wer ein Preuße ift — 


Balentin 
Nicht jeder, 
Weil er ein Preuße ift, liebt drum die Preußen. 


Heinrich Glickt ihn erftaunt an) 
Was fagft du? Sch verfteh’ dich nicht. 


Balentin 
Wohl möglich — 

Alt werden heißt erfahren, und Erfahrung 
Schlägt uns das große Buch des Lebens auf. 
Du laſeſt wen’ge Seiten erft darinnen, 
Sch aber las es beinah’ big zum Schluß. — 
Nur ein Rapitel hoff’ ich noch zu finden, 

Heinrich 
Noch ein Kapitel? 

Balentin 

Ja — noch ein Kapitel, 

Sonft, fag’ ich, war's ein Stümper, der es ſchrieb. 


Dritter Auftritt 


Gudin, Gautier, ——— e Offiziere (kommen von links. Sie tragen 
Lichter, Weinflaſchen und Gläſer) 


Gautier 
Ha — es iſt heiß in dieſen engen Stuben. 


Hier laßt uns ſitzen, Herren, hier iſt Luft. 
(Sie ſetzen ſich um den Tiſch und rings umher) 


Gudin 
Die Türe auf, denn e8 ift draußen warın, 


Gautier 


Raum glaublich, daß wir morgen ſchon den erften 
November fehreiben. 





Gudin 
Wie die Zeit vergeht. 
Sp waren's ebegeftern vierzehn Tage j 
Seit Auerftädt und Jena? i 








Erſter Aft 359 





Ein Offizier 
Mein Gen’ral, 
Am vierzehnten Oktober war die Schlacht. 


Gautier 
Laßt fie geivefen fein, wann Ihr es wollt; 


Geweſen ift fie, darauf kommt es an. 
(Heinrich durch die Mitte ab) 


Gudin Geigt auf ihn, während er abgeht) 
Seht da die Wirkung Eurer Worte, Oberft. 
Gautier 
Wär’ ich ein Preuße, tät’ ich ebenfo. 
Ein Offizier 
Der Vater, fcheint’s, denkt ruhiger. 


Gautier 
Laßt das; 
Man fpottet nicht mit folchen Schmerzen. 
Balentin 
Oberſt, 


Mir tut es keine Schmerzen, was Ihr ſagt. 


Gautier 
Nun, um ſo beſſer denn für dich, mein Alter. — 
Kam'raden, unſer Wein geht auf die Neige, 
Der letzte Trunk ſei würdig dargebracht, 
Wem bringen wir’s? 
Dffizier 
Dem Falle von Küftrin ! 


Gautier 
Was ift Küftrin? in Stein, der fich vermißt, 
Sich auf der Heeresitraße des Triumphs 
Dem Giegeswagen in den Weg zu legen. 
Man ftößt ihn auf die Seite, 


Gudin 
Ihr habt recht. 
Küftein fällt ſowieſo; was anderes, 


360 Bäter und Söhne 





Gautier 
Ich weiß was Befleres: Der Tag von Jena, 
In Nebel, wie Ihr wißt, ftieg er empor 


Gudin 
Ein Nebel, wie ich feinen je erlebte. 
Man fah faum noch das Pferd, auf dem man faß, 
Und hörte nur das KRrachen der Gefchüge, 


Gautier 
Doch als die Sonne, die zum Mittag ftieg, 
Die Nebelflut zerteilte, war's gefchehn, 
Und ihre Strahlen fehrieben auf die Fahnen 
Frankreichs das Wort des Gieges: Auerftädt. 





Gudin 
Gut, Oberſt, gut! 


EEE ar 


Gautier 
Ram’raden, unfrer Sonne, 
Dem Raifer gilt's! 
Alle Franzofen 
| Napoleon, dem Kaifer! 





Vierter Auftritt 
Heinrich (durch die Mitte) 


Heinrich 
Gen’ral, ein Dffizier, der nach Euch fragt. 


Gudin 
Wer ift’8? Herein! 


ME a nen u az 


RAT 


Fünfter Auftritt 
Delacpur (durch die Mitte) 


Gudin 
Shr feid eg, Delacour? 


a u Al ann a 


Was bringt Ihr? 


Ja nn ze fr ah Fe SZ he a lan u hc nn 


Erfter Akt 361 








Delacour 
Gute Botichaft, General. 
Sch komme aus dem Hauptquartier des Kaiſers — 
Der ganze Reft der preußifchen Armee, 
Den Fürften Hohenlohe an der Spitze, 
Der feinem Kön’ge diefe legten Trümmer 
Zu retten hoffte, bat fapituliert. 
(Die Franzofen jpringen lärmend auf) 
Gudin 
Rapituliert ? 
Delacour 
Bei Prenzlau vor drei Tagen. 


Gautier 
Sieg und Triumph! 
Gudin 
Laßt Delacour erzählen. 


Delacour 
Der Fürft von Hohenlohe, wie Ihr wißt, 
Zufammenraffend auf dem Feld von Jena 
Was er noch fand von preuß’fchen Regimentern, 
Begab fih auf den Rüdzug nach Stettin. 
Verzweiflung ſpornte die erjchöpfte Mannfchaft, 
Denn hinter ihnen dröhnten fchon die Hufe 
Der Reiterei des Großherzog von Berg. 
So waren fie bei Prenzlau angelangt, 
Als der Großherzog fie mit den Gefchiwadern 
Der Generale Grouchy und Beaumont 
Im Rüden griff und in der rechten Flanke. 
Um Tor von Prenzlau warfen drei Schwadronen 
Preuß'ſche Dragoner fih in unfren Weg, 
Doch Grouchys Reiterfturm ging über fie 
Wie Meeresflut hinweg; in Prenzlaus Gaſſen 
Geſchah ein legter mörderifcher Kampf, 
Und hinter Prenzlaus Toren jammelte 
Der Fürft die Seinigen zum lestenmal, 


Gautier 
Und war die Straße nach Stettin noch frei? 


362 


Bäter und Söhne 





Delacour 
Sie war’s, doch falfche Nachricht kam dem Fürften, 
Sie fei verfperrt — und dort nun ftanden fie — 
Hunger und Tod in den erlofeh’nen Augen, 
Die Bataillone diefer Infanterie, 
Auf deren Sturmfchritt einft Europa laufchte ; 
Schlaff hing der Zügel in der Hand der Reiter, 
Und ihre Rofje fogen am Gebiß, 
Als träumten fie der Mahlzeit vor drei Tagen — 


Gautier 
Und nun ergab er fich? 


Delacour 
In diefer Stunde 
Loſch Friedrichs Stern am Firmamente aus: 
Zehntaufend Mann mit fechzehnhundert Pferden, 
Mit Waffen und mit Fahnen und Kanonen 
Ergab der Fürft in des Großherzogs Hand. 


Gudin 
D ungeheure Nachricht! 
Alle 
Ruhm und Sieg! 


Delacnur 
Gebt ein Glas Wein, denn ich bin fcharf geritten 
Und fühle Durft. 
Ein Offizier 
Nun das bedaure ich: 
Wir tranfen eben unfren legten Tropfen. 


Gautier 
Bei Gott, das Schickſal wird auf Frankreich neidisch, 
Da es uns wehrt, auf einen folchen Tag 
Mit Gläfern anzullingen! 


Balentin 
Oberſt, laßt. 
Sch habe eine Flaſche noch im Keller — 
Die follt Ihr haben. 





Erfter Alt 363 








Gudin 
Was? Ihr hättet Wein? 
Balentin 
(entzündet eine Laterne; zu Heinrich) 
Heinrich, nimm die Laterne, fteig’ hinab — 
Rechts in der Ede — grabe unterm Sand — 


Gudin 
Gebt ihm ’nen Spaten, rat’ ich. 


Balentin 
Nein, Gen’ral — 
Sonft bricht die Flaſche — und der Wein ift guf. 


Heinrich Gogernd) 
Ih foll — für diefe — 


Balentin 


Nimm die Leuchte — geh! 
(Heinrich nimmt die Laterne und geht durch die Mitte ab) 


Delacour 
Seid Ihr fo reich, da Ihr in Eurem Keller 
Euch edle Weine haltet? 


Balentin 
Ich bin arm — 
Der Wein war nicht für mich. 


Gudin 
Für einen andren? 
Nun und der trank nicht? 


Balentin 
Tote durften nicht. 


Gautier 
Ah — unterdeffen ftarb der andre? 


Balentin 8 
a — — 
Und damals grub ich tief ihn in den Boden 


364 


Väter und Söhne 





Und ſchwur, daß er da ruhn und raften follte, 
Bis daß ein Tag mir käm, fo reich an Freude 
Wie jener Tag furchtbar an Schmerzen war. 


Gudin 
Und diefer Tag — ift jest gekommen? 


Valentin 
Ja. 


(Die Franzoſen unterhalten ſich leiſe) 
Gautier (tritt auf Valentin zu) 


Ich glaube, Freund, Ihr habt uns falfch verjtanden, 
Wißt Ihr, worauf wir frinfen? 


Balentin 
Wort für Wort. 
(Paufe. Die Franzofen jehen fich erftaunt an) 
Gudin 
Was ift mit diefem Menfchen ? 


Delacour 
Kümmert's mich? 
Iſt nur fein Wein fo echt, wie feine Narrheit! 


Sechiter Auftritt 


Heinrich (kommt mit einer Flaſche durch Die Mitte zu Den vorigen) 


Heinrich 

Hier ift der Wein; ich öffnete die Flafche. 
Balentin 

Ein Glas noch. 
Dffizier 


Släfer haben wir genug. 


Balentin 
Nein — ih will mit Euch trinken. 
Delacour 
Das ift billig; 
Der Wirt trinkt mit den Gäften — nun, ſchenkt ein. 








Erſter Akt 365 





Offizier 
Und tut Beſcheid uns, Alter! 


Valentin (üllt die Gläſer) 
Rot und heiß — 
Rot iſt der Wein und heiß wie Menſchenblut. 


Delacour 
Zum Teufel — ſind wir hier beim Abendmahl? 
Was ſchwatzt Ihr da von Blut? 


Valentin 
Beim Abendmahl — 
Ja — der Erinn’rung gilt es an die Toten! 


Gautier (jest das Glas nieder) 
Ihr tut ung widerwärtigen Beſcheid. 


Balentin 
Schredt Euch das Blut? Saht Ihr den Scharlachteppich 
Nicht ausgebreitet fchon auf hundert Feldern, 
Auf denen Ihr beim Donner der Gefchüge 
Den Reigen tanztet? Mein — des Feindes Blut, 
Siegreich vergoffen im gerechten Rampfe, 


Erquict das Auge — 
(er erhebt das Glas) 


doch es gibt ein andres, — 
Das hat ein Auge wie der Bafılist — 
Seht es nicht an — fein Anblick zeugt Entfegen — 


Gautier 
Was meint Ihr mit dem Blut? 


Balentin 
Das ift das Blut, 
Das ungerecht vergoff’ne Menfchenblut ! 


Gautier 
Und habt Ihr es gefehn? 


Balentin 


Ih jah’8 — ich feh’s — 
Es ftrömt mir nach — wo ich auch geh’ und ftehe 


366 Bäter und Söhne 





Iſt's um mich her — es fiedet wie die Hölle 
Le „(erhebt das Glas) 
Und hier iſt's wieder — 
Gautier 


Wo? 


Balentin 
In diefem Glafe — 
Wilhelm — fo trinke ich dein Abendmahl. 
(Zrinft) 
Gautier 


Mir ift, als ſchwämme Blut in meinem Glas. 
Erklärt ung das Geheimnis — 


Gudin 
Kommt, feid ruhig 
Und jagt ung, wer der Mann ift, deffen Namen 
Ihr nanntet — 
Balentin 
Trinkt! 


Gautier 
Nicht eh' Ihr uns geſagt — 


Valentin 
Trinkt — denn der Mann, des Namen ich Euch nannte, 
Regt ſich im Grab und ſegnet Euch den Trank. 


Siebenter Auftritt 
Ein franzöſiſcher Ordonnanz-Offizier (durch die Mitte zu den vorigen) 


Drdonnanz-Dffizier 
Liegt General Gudin hier in Quartier? 


Gudin 
Hier ift Gudin; was fol’? 


Drdonnanz-Dffizier 
Befehl vom Marfchall: 
Gen’ral, Ihr follt mit Eurer Divifion 





ae 


Erfter At - 367 





Euch augenblids in Marſch auf Frankfurt jegen 
Und mit dem Korps des Marfchalls, das dort fteht, 
Bereinigen. 
Gudin 
Und was wird aus Küftrin? 


Drdonnanz- Offizier 
Dem Marfchall ging Befehl vom Kaifer zu, 
Nach Polen aufzubrechen. 


Gudin 
Wohl, ſehr wohl; 
ft die Belag’rung aufgehoben? 


DOrdonnanz-DOffizier 

Nein, 

Dberft Gautier mit feinem Regiment 
Bleibt vor Küſtrin — 


Gautier 
He? Zur Beobachtung? 


Drdonnanz-Offizier 
Ihr ſollt Küſtrin erobern. 


Alle Franzoſen 
Ha ba hal 


Drdonnanz-DOffizier 
Ihr Herren, es ift Ernft. 


Gautier 
Gut, daß Ihr’s jagt, 
Sonft dächte man, es wär’ ein Faftnachtsjcherz ! 
Achtzig Ranonen ftehen auf den Wällen. 
Dreitaufend Mann dahinter, ich bier draußen 
Mit einem Regiment und zwei Geſchützen — 


Drdonnanz-DOffizier 
Das alles ift dem Kaiſer wohlbefannt. 
Und dennoch iſt's fein wohlerwog’ner Wille — 


368 


Bäter und Söhne 





Gudin 
Der Raifer jelbit befahl es? 


Drdonnanz-Dffizier 
Allerdings. 


Gudin 
Befehl des Kaiſers — Dberft, der Befehl, 
Das ift im Krieg das Schickſal des Soldaten. 


Gautier 
Euch brennt es nicht, wenn ich mich bier verbrenne, 


Drdonnanz-DOffizier 
Doch wenn’s gelingt, jo feid Ihr General, 


Gautier 
Dann fürcht’ ich, werd’ ich ewig Dberft bleiben. 


Drdonnanz- Offizier 
Der Raifer ſchickt Euch einen Bundsgenoffen, 
Der zwanzig Negimenter gilt. 


Gautier 
Das wäre? 


Drdonnanz-DOffizier (fieht fich um) 
Sind wir hier unter ung? 


Gudin 
a, fprecht heraus. 


Drdonnanz-Dffizier (auf Valentin zeigend) 
Doch — jener Alte? 


Gudim (eiſe) 
Fürchtet nichts von dem, 
Er ift auf unfrer Geite, 


Drdonnanz-Dffizier Geigt auf Heinrich) 
Doch — der andre? 





a a a ⏑——— 
ee er nun Y erden 


Erfter Aft 369 





Gudin 
Ja, Ihr habt recht. 


(Zu Heinrich) 
Ihr da, verlaßt das Zimmer, 
(Heinrich will zur Mitte ab) 


Gudin 


Nicht da hinaus! Geht nebenan hinein. 
(Zeigt nach links. Heinrich links ab) 


Nun jagt, was ſchickt der Kaifer uns? 
Drdonnanz-DOffizier 


Und das heißt „Prenzlau“. 


Ein Wort, 


Gautier 
Prenzlau — und was weiter? 


DOrdonnanz- Offizier 
Zum Teufel, wenn Ihr jest noch nicht verfteht ! 
Ihr wißt doch, was geſchah? 


Gudin 
Sawohl, wir wiffen’z, 
Und ich verſteh' des Kaifers kühnen Geift. 
Dberft, das Glück ftredt Euch die Hände zu, 
Greift zu! 


Gautier 
Ih weiß noch immer nicht — 


Gudin 
So hört doc: 
Wir täufchen die Befagung von Küſtrin, 
Und fie erfahren Eure Schwäche nicht. 
Kein Trommelfchlag begleitet meinen Abmarſch, 
Wir brechen lautlos auf, die Lagerfeuer 
Laſſen wir brennen — 


Gautier 
Das ift für die Nacht, 
Doch morgen, wenn es Tag ift, wird man fehn. 
Dramen VII 24 


370 


Väter und Söhne 





Gudin 
Drum laßt Ihr noch in diefer felben Nacht 
Von Prenzlau die Befagung drüben wiſſen 
Und fordert fie zur Übergabe auf. 


Gautier 
Glaubt Ihr im Ernfte, daß fie fich ergeben 
Bloß daraufhin? 

Gudin 

Mein Wort darauf: fie tun's. 

Der Kommandant ift alt und altersfchwach, 
Die preußifche Armee ift am Bankrott, 
Wie Fieber ſteckt Rapitulieren an. 
Laßt an fein Unglück nur den Menfchen glauben, 
So hat das Unglück über ihn Gewalt, 


Gautier 
Es wär’ nicht dagewefen, wenn's gelänge. 


Drdonnanz- Offizier 
Blind ift das Glück; wenn Ihr Schritt halten wollt, 
Geht blindlings mit, 
Gautier 
Wo aber find’ ich jemand, 
Der ſich hinüberfchleiche nach Küſtrin 
Und ihnen „Prenzlau“ in die Ohren fchreit? 


Gudin (eiſe) 
Vergaßt Ihr jenen ſonderbaren Alten? 
Sein Weſen von vorhin? 


Gautier 
Ha — in der Tat! 
Gudin 
Ich denke mir, daß Ihr ihn brauchen könnt. 
Ordonnanz-Offizier 
Seid Ihr bereit? 
Gautier 


Nun denn — ich will's verſuchen. 








Erfter Alt 371 





DOrdonnanz-DOffizier 
Zum Aufbruch, General. 


Gudin 
Jawohl, zum Aufbruch. 
Ihr Herren, zu Euren Truppen; laßt die Mannfchaft 
Zu ihren Waffen treten, aber lautlos, 
Schickt leife den Befehl von Mann zu Mann, 


DOrdonnanz- Offizier 
Und laßt die Feuer frifch noch einmal ſchüren. 


Gudin 
Tut fo: die Lagerzelte bleiben ftehn. 
Kommt jest; was fonft noch zu befehlen bleibt, 
Sag’ ich Euch unterwegs — kommt, Oberſt Gautier. 


(Die Franzojen durch die Mitte ab. Sobald fie hinaus jind, fommt Heinrich von 
lints, jchleicht an die Mitteltür, blickt ihnen nach, kehrt zu Valentin zurück) 


Heinrich 
Wo gehn ſie hin? Was wurde hier beſprochen? 


} (Paufe) s 
Was wurde bier befprochen? Vater, ſprich! 


Balentin 
Gen’ral Gudin rückt ab, und DOberft Gautier 
Mit einem einz’gen Regiment bleibt hier. 


Heinrich 
Dann follt Ihr von mir hören, meine Herren! 
(Nimmt den Mantel um) 


Balentin 
Heinrich — wohin? 
Heinrich 
Hinüber nah Küſtrin. 


Valentin 
Was willſt du dort? 

Heinrich 

Dem Kommandanten ſagen, 
Daß ſeine Feſtung frei iſt, wann er will. 


WBalentin ſtellt ſich vor die Mitteltür) 
24* 


372 Väter und Söhne 





Du fürchteft dich für mich? Sei unbeforgt; 
Sch kenne eine Furt, die fie nicht kennen, 
In zehn Minuten bin ich in KRüftrin. 





Valentin 
Und darum eben will ich, daß du bleibſt! 





Heinrich 
Wie foll ich das verftehn? 

Balentin } 
Weil ich nicht will, $ 
Daß mir mein eigner Sohn die Rache ftiehlt, 
Die mir das Schickſal ſchuldet! 
: 
Heinrich 
Rache dir? 


Vater, ſprich deutlich! 


Valentin 
Fallen muß Küſtrin, 
Weil es ein Schickſal gibt und einen Gott! 


Heinrich 
Iſt dies ein gräßlich unerhörter Traum? 
Das klingt wie Haß? 


Valentin 
Das klingt? Nein, es iſt Haß! 


Heinrich 
Vater! — So haſſeſt du dein Vaterland? — | 
Sch bin dein Sohn und jedem deiner Worte 
Gab Ehrfurcht Widerhall in meiner Bruft — 
Doch diefer Boden zeugte dich und mich; 
Dein Wort macht ihn zu Staub. — 


Balentin 
Nun denn, fo wähle 
Heut zwifchen Vaterland und Vaters Fluch ! 


u Sie ln > 


Erfter Alt 373 





Heinrich 
Furchtbarer Mann! Was tuft du deinem Sohn? 
Treib’ mich zum Wahnfinn nicht, nenn’ das Geheimnis, 
Das blutig fo in deiner Seele wühlt ! 


Balentin 
Seit zwanzig Jahren brütet meine Geele 
Gleich einem Drachen über diefen Dingen — 
Wenn du unwürdig wärft, e8 zu vernehmen? 


Heinrich 
Nenn’ deinem Sohne dein Geheimnis. 


Balentin 
Romm! 
(Öffnet die Mitteltür) 
Dort ift Küſtrin — ſiehſt du den roten Schein, 
Der dampfend über feine Zinnen fteigt? 


Heinrich 
Die Truppen biwafieren auf den Plätzen, 
Das ift der Widerfchein der Feuer. 


Balentin 

Nein — 
Es ift der MWiderfchein vergoßnen Bluts! 
Blutſchuld liegt auf der Stadt; von ihrem Pflaiter 
Schreit ungefühntes Blut zum Himmel auf! 
Kein Regen fpült es ab, es dampft — es dampft 
Kein ITrommelwirbel übertönts — es jchreit — 
Und einer hört's: ſiehſt du es ſchwarz und finfter 
Vom Himmel niederflattern? 


Heinrich 
Schwarz und finſter 
Hängt Nachtgewölk. 


Valentin 

Nein, nicht Gewölk der Nacht — 
Ein Geier iſt's, er kommt in jeder Nacht 
Und trinkt den heißen Blutgeruch ins Herz; 
Ebern find feine Klauen und er fchlägt. fie 


374 


Väter und Söhne 





In diefer Wälle bröcelndes Geftein, 

Und eines Vaters Fluch — das ift fein Name! 
Heinrich. 

Wer ift der Vater? 
Balentin 
Wer der Vater ift? 


Heinrich 
Wer war es, deffen Blut dort drüben floß? 


Balentin 
Der, deſſen Angeficht du trägft. 


Heinrich 
Mein Bruder? 
Valentin 
Dein Bruder, welcher drüben in Küſtrin 
Furchtbaren, grauſen, unerhörten Tod 
Durch die Spießruten ſtarb! 


Heinrich 
Allmächt'ger Gott! — — 


Valentin 
Du ruhteſt damals noch im Schoß der Mutter; 
Du haft ihn nicht gekannt, du weißt es nicht, 
Wie er hervorging aus der Hand des Schöpfers, 
Das Haupt befprengt mit ſüßem Tau des Himmels, 
Das junge Herz gleich einer Frühlingsflur, 
Verheißung deffen, was die Welt entzüdt. — 
Du ſahſt fein Auge nicht — 9 dieſes Auge, 
Sp groß, jo ſchön, zur Hoffnung fo geboren, 
Und troftlos fo gebrochen — Heinrich — Heinrih — 
Wende dich ab, du gleichft ihm allzufehr, 
Mein toter Liebling fteigt vor mir empor 
Und fieht mich an mit jenem Blick des Jammers 
Wie an dem Tag — 

Heinrich 

Vater, geliebter Vater, 
In welcher Einſamkeit haſt du gelebt! 











Erfter Alt 375 





Entlafte deinen Kummer in mein Herz, 
Ich hab’ ein Recht an deines Rummers Hälfte, 


Balentin 
Sein Herz und meins durch Alter fo verfchieden, 
Berfchwifterten in einem Wunfche fich: 
Studieren fol!’ er auf der hohen Schule. 
Ich rang, ich darbte, hungerte für ihn, 
Und als ich ihm das Nötigfte erfpart, 
Ram das Gefes — o dies Geſetz der Hölle, 
Das feine eignen Kinder fo zertritt — 
Ram das Gefes und fprach: es foll nicht fein! 


Heinrich 
Das tat Geſetz? 

Balentin 

Wiffe: in diefem Land 

Gibts Rechte für den Adligen und Reichen, 
Der Arme ift der Stuhl, auf dem fie figen, 
Wenn fie am Tifch des Lebens praffend ſchwelgen — 
Der Sohn des Reichen ift vom Kriegsdienft frei, 
Der Sohn des Armen aber wird Soldat! 


Heinrich 
Das ift Gefeg? 

Balentin 

Das iſt's. Man griff ihn auf, 

Ihm Teuchtete Fein Stern — man ftellt’ ihn ein, 
Und ftatt der hohen Schule tat fich ihm 
Die Rafematte auf — die Rafematte 
Für zwanzig Jahre! 

Heinrich 

Zwanzig Jahre lang 
Mußte er dienen? 

Valentin 

Zwanzig, zwanzig Jahre! 

Da griff Verzweiflung wütend ihm ans Herz,| 
Er ward zum Deferteur, — Im Winter war’s, 
Da kam er flüchtend an — 


376 


Väter und Söhne 





Heinrich 
Hier fam er her? 


Balentin 
Vom Feftungswall erfcholl die Lärmfanone, 
Als bier er ftand — ftil — dort, fieh dort — 
(ftarrt ins Leere) 
Heinrich 
Was fiehft du? 
\ Balentin 
Siehſt du ihn nicht? 
Heinrich 
Ich fehe nichts, mein Vater. 


Balentin cheifer flüfternd) 
Allnächtlich fteht er dort feit jener Nacht. — 
Hier Iniete deine Mutter neben ihm 
Und wifchte ihm den Todesfchweiß vom Haupte, 
Und plöglich fat die Tür fich krachend auf, 
Die Meute der Verfolger brach herein, 
Sie pacten ihn, fie riffen ihn hinweg, 
Auf ihren Ferſen fchleppte ich mich nach 
Und vor der aufgezognen Feftungsbrüce 
Lag und durchheulte ich die Winternacht. 


Heinrich 
Und als es Tag ward? 


Balentin 
Auf der Zitadelle 
Lag ich vor dem Major von Ingersleben — 


Heinrich 
Bon Ingersleben? 


Balentin 
Sa, das Bataillon 
Vom Regiment von Zenge, das dort ſtand, 
Er führte es — zu feinen Füßen lag ich, 
Ich fprach zu ihm — doch fprechen war es nicht — 
Sch meinte; doch e8 waren feine Tränen — 








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Erfter Alt 377 





Blut meines Herzens, Üchzen meiner Seele: 
Denkt, daß Ihr Vater feid, erbarmt Euch meiner! a 


Heinrich 
nd er erbarmte nicht? 


Balentin 
Er — fat es — nid. 
Ein Trommelwirbel jcholl vom Hof herauf — 
Ich fpringe auf — ich ffürze an das Fenſter — 
Da ftanden fie — Spießruten in den Händen, 
Zur langen Gaffe ſchweigend aufgejtellt — 
Und da — kam einer — 


Heinrid 
Vaͤter — höre auf! 


Balentin 
Das Haupt gefentt — und da ih „Wilhelm“ rufe, 
Sieht er mich an — der Blick — der Blick — der Blick — 


Heinrich 
Laß es genug ſein, du erträgſt es nicht. 


Valentin 
Den Blick ertrug ich, was ertrüg' ich nicht? 
Die Hände ſchlug ich krallend vors Geſicht, 
Doch ich vergaß, daß es ein Schauſpiel war, 
Bei dem es auch zu hören gab — 

Heinrich 

O gräßlich! 

Valentin 
And plötzlich — hörte ih — vom Hof herauf 
Solch ein Geräuſch — wie wenn — ach Wilhelm — 

(er fällt plötzlich ohnmächtig zur Erde) 
Heinrich qirfe fich über ihn) 
Bater ! 

Du trugft den Tod im Herzen zwanzig Jahre, 
D widerfteh’ ihm heut! 


Balentin ihrer ſich auf) 
Du weißt nun alles, — 
Die Tür ift frei — geb denn zum Ingersleben. 


378 Väter und Söhne 





Heinrich 
Verdorre und erlahme mir der Fuß, 
Der einen Schritt zu feiner Rettung tut! 
(Ergreift ein gefüllte Glas vom Tiſch) 
Du in der Erde nächt’gem Schoß Begrabner, 
Bruder, dein Bruder ruft dich, wache auf! 
Blutbrüderſchaft ſei — dir und mir! 


Und wie ich dieſes Glas 4J ———— ſchmettre, 
So werf' ich Euch zertrümmert vor die Füße 
Dies meines Herzens heiliges Gefühl, 
Das Ihr durch Zwang entweihtet — 
(chleudert das Glas zur Erde, Daß es in Scherben fliegt) k 
Hab und Rache, 
Das fei die Lofung zwifchen mir und Euch! 


PBalenfin cällt ihm um den Hals) 


Komm an mein Herz, du Bruder meines Wilhelm, 
Du Blut von meinem Blut — ich fegne dich! 





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Achter Auftritt 


Ferdinand von Ingersleben (in bäuerlihem Mantel und Huf blidt vorfichfig 
Durch die Mitteltür) 


Sngersleben 
Hola — gut Freund? # 


Balentin 
Wer feid Ihr und was wollt Ihr? 


Sngersleben (tritt ein) 
Landsleute, wie ich höre — Gott fei Dank, 
Die erften, die ich hier im Orte finde. 


Heinrich 
Ihr feid nicht das, was Euer Anzug kündet — 
Sngersleben 
Das bier bin ich. 
(Wirft Mantel und Hut ab und fteht in der Uniform Da) 
Heinrich 
Ein preuß’fcher Offizier ! 


Erfter Akt 379 





Balentin 
Ihr kommt von drüben, von Küftrin? 


Sngersleben 
So ift e8. 

Ich fchlich mich durch die Poften der Franzoſen — 
Ein heißer Weg troß diefer Winternacht — 
Laßt einen Augenblid mich niederfigen — 

(fest fi) 
Sind wir hier ficher? 

Heinrich 

Nein — denn diefes Haus 
Iſt das Quartier des feindlichen Gen’raljtabs. 


Sngersleben tipringt auf) 
Habt Ihr vielleicht gehört, daß die Franzofen 
Vom Fürft von Hohenlohe fich befprachen? 


Heinrich 
Jawohl, das taten fie. 


Sngersleben 
Was fpracen fie? 
Man fagt, er rüde zum Erfas heran 
Und fei nur wen’ge Stunden von Küftrin? 
Ob's möglich ift, zu ihm fich durchzufchlagen? 


Heinrich 
Zum Hohenlohe? Dächtet Ihr daran? 


Sngersleben 
Und wär’ der ganze Weg von hier zu ihm 
Gepflaftert mit Franzofen, es muß fein! 
Ich muß ihm fagen, wie es bei uns fteht, 
Daß wir umlagert find vom Korps Davouft, 
Und daß, wenn der Entjag nicht eilend kommt, 
Der Kommandant die Feftung — o Ihr Freunde — 
Wir find Landsleute, darum find wir Freunde — 
Ich weiß, mein Plan fieht ganz dem Wahnfinn ähnlich, 
Doch, wenn Ihr wüßtet, welch ein Ungetüm 


380 Bäter und Söhne 





Auf meinen Ferſen fist — der Kommandant 
Mein Bater — 


Balentin 
Bon wen fprecht Ihr und wer feid Ihr? 


Sngersleben 
Ich bin der Sohn des Feftungstommandanten, 





Balentin 
Bon Ingersleben? 


Sngersleben 
Ingersleben, ja. 
Ihr kennt den Namen, wie ich höre? j 


PBalentin 


(Paufe) 


Heinrich 
Euer Vater will Fapitulieren? Meint Ihr das? 





Sngersleben 
Sprecht es nicht aus, denn folche Taten nennen, 
Heißt halb fie tun! Dies denken, ift der Tod, 
Nun fommt die Zeit, wo man in preuß’fchen Schulen 
Den Buben ftraft, der nicht zu jagen weiß 
Wie jener hieß, der ohne Schuß und Schwertitreich 
Küftrin dem Feind ergab! Gebucht auf ewig 
Im Buch der Schmach! Ehrlos, fo lang’ Gefchichte 
Den Griffel führt! Kommt, kommt, die Zeit vergeht, 
Sagt mir, wo fteht der Fürft von Hohenlohe? 


ERS 


DR 


Balentin 
Geht in der Richtung auf Nordweften fort, 
Nah Prenzlau zu. 


Sngersleben 
Nah Prenzlau? 


Balentin 
Bei der Gtadt, 
Da ftand der Fürft zulegt mit feinem Korps. 


Erfter Akt 381 





Sngersleben 
Dann fürcht' ich, ging er weiter bis Stettin? 


Balentin 
Nein, feid gewiß, er ging nicht nach Stettin. 


Sngersleben 
Wißt Ihr’3 von den Franzoſen? 


Balentin 
Sa, ich hört’ es, 
Sragt meinen Sohn, er bat es auch gehört. 


Heinrich 
Er ging nicht nach Stettin, das fagten fie. 


Sngersleben 
Er ftand bei Prenzlau? Ging nicht nach Stettin? 
Dann iſt's wahrfcheinlich, daß er bier heranrückt? 
Und unterwegs vielleicht begegn’ ich ihm? 


Balentin 
Sehr möglich, dab Ihr unterwegs ihn frefft. 


Sngersleben 
So kann mein Plan gelingen! D Ihr Freunde, 
Ihr ſchenkt mir neuen Mut — habt Dank! 


Heinrich 
Dankt nicht! 


Ingersleben 
Nun ja, Ihr tut, was jeder Preuße täte. 
Jetzt bleibt noch eins — 
(su Heinrich) 
Ihr kennt bier Weg und Steg? 


Getraut Ihr Euch hinüber nah Küftrin? 


Heinrich 
Was foll ich dort? 
Sngersleben 
Zu meinem Vater geht 
Und jagt ihm, was Ihr hier von mir gehört. 


382 


Väter und Söhne 





Heinrich 
So geht Ihr ohne Willen Eures Vaters? 


Sngersleben 
Hätt' er's gewußt, er hätt! es nie erlaubt — 
Und daß ich ihn befchwöre, fich zu halten 
Bis Hohenlohe kommt. 


Balentin 
Doch wenn’s mißlingt, fo feid Ihr Deferteur? 


Sngersleben 
Du fieh ing Herz mir, gramverftörtes Auge 
Des Vaterlands, und richte meine Tat, — 
(Nimmt den Mantel um und bedeckt das Haupt) 
Nun fort — zeigt mir den Weg, wo muß ich gehn? 


Balentin Geigt hinaus) 
Der Weg ift frei — von unfrer Tür zur Linken, 
Dort jenen Steig, bei den geföpften Weiden — 


Sngersleben 
Geköpft — ein häßlich Wort — 
(ergreift Heinrich8 Hand, kommt mit ihm nach vorn, halblaut) 
Ihr werdet drüben 
Zwei Frauen finden. — Wenn mein Werk mißlingt, 
Sagt meiner Mutter: ehrlich ftarb dein Sohn. 
Der jüng’ren ſagt — in feiner legten Stunde 
Gedacht er deiner jo — 
(zieht einen Ring vom Finger, küßt ihn, fteckt ihn wieder an) 
lebt wohl — lebt wohl! (Ab) 


Balentin 
Zieh hin in des Verderbens offnen Schlund! — 
Sa, du dort oben, wir verftehen ung; 
Eiferner Gott, ich höre deinen Schritt, 
Wie er den großen Gang, den wandellofen, 
Bon Menſchenſchuld zu Menfchenbuße geht. 
Du zählt die Tränen, die verborgen fließen, 
Und fammelft fie im ehernen Gefäße 








MR 


Pe 


2 a Ze er re ae nn el m 


Ei; 


Erfter Akt 383 





Bis zu der Stunde der Gerechtigkeit, 
Da du den Trank des Fluchs und der Verzweiflung 
Dem Unterdrüder an die Lippen zwingſt. 


Neunter Auftritt 


Gautier (zu den vorigen) 


Valentin (geht ihın entgegen) 
Dberft, ich wünfch” Euch Glück zum General! 


; Gautier 
Was meint Ihr mit dem Worte? 


Balentin 


Gehört Küftrin Euch, 

Gautier 

Redet Ihr im Fieber? 
Wollt Ihr mir’s fchenfen ? 


Balentin 
Ja. — Ich weiß den Schlüffel, 
Der Euch die Tore öffnet und das Herz 
Des Kommandanten aufreißt — Ingersleben, 
Du weißt ja, wie man Deferteure ſtraft — 
Zeig’ deine Kunſt! — Heinrich, bift du bereit? 


Heinrich 
Ich bin bereit, mein Vater. 


Morgen früh 


Balentin 


An das Werf. 


Vorhang fällt 
Ende des erjten Aftes 


384 Väter und Söhne 





S 


Zweiter Akt 


vr. Saal auf der Zitadelle zu Küftrin. Nacht. Türen in der Mitte und zu 


beiden Seiten; ein Fenfter rechts, an den Pfeilern eine Fahne; Stühle an den 


änden; links ein runder Tiſch mit Lichtern 


Erfter Auftritt 


Oberft von Ingersleben (fteht am Fenfter), Frau von Ingersleben, 
Adelheid (jisen uinks am Zifche) 


Ingersleben Gückt hinaus) 
Dort — dort — und dort noch eines — WUdelheid, 
Komm, leihb mir deine Augen, hilf mir zählen. 


Adelheid (erhebt fich, tritt zu ihm) 
Was foll ich zählen, lieber Oheim? 


Sngersleben 
Dort — 


Die Feuer dort find auf dem rechten Afer 
Der Dder? Wie? 


Adelheid 
Jawohl, fo feheint es mir. 


Sngersleben 
So ift der Feind herüber übern Fluß — 
Die Dder hat e8 fich gefallen laſſen — 
Natürlich, denn fie ift ein preuß’fcher Strom, 
Und alles was da preußiich heißt, muß nieder 
In Schmach und in Verderben. 


Adelheid 
O — wie fchredlich ! 


Sngersleben 
Und diefe da find auf dem linken Llfer, 
Da — da und da — ein Feuer an dem andren — 
Sieht du in diefem Ring von Lagerfeuern 
Noch eine Lüde? 


Adelheid 
Nein, ich ſehe keine. 


ee A 


Geb es rn re a nn En Ei m 3, m ne 


Zweiter Att 385 





Sngersleben 
Das ganze Land dort draußen ift jegt Frankreich. 


Frau von ISngersleben 
Du aber bijt der Kommandant KRüftring, 
Und bier ift Preußen. 


Sngersleben 
Fa — ein Haufen Steine, 
Den fie in Grund und Boden morgen fehießen, 
Das ift der Reft von Friedrichs ftolzem Reich. 


Frau von ISngersleben 
Wenn du vom großen Friedrich fprichit, fo denke, 
Wie er zu Bunzelwig im Lager ftand 
Umringt von Feinden — 


Sngersleben 
Ja — wir kennen das, 

Er war der große Genius feiner Tage, 
Und uns verfchlingt der Genius unfrer Seit, 
Denn jede Zeit hat ihren großen Mann, 
Dem feine Zeitgenoffen dienen müſſen, 
Die einen willig, andere durch Zwang — 
Wir haben’s leider ungefchiekt getroffen, 
Daß wir auf feiten der Geziwung’nen ftehn. 


Frau von Ingersleben 
Wir trafen's ungeſchickt? D Richard, Richard, 
Haft du dein Vaterland dir ausgefucht? 
Darfit du des Vaterlandes blutend Herz 
In folcher Zeit mit deinem Hohn verwunden? 


Sngersleben 

Schaffe mir Heilung für mein eignes Herz! — 

Ich denke mir — er fist jegt in Berlin, 

Weit ab von ung — und aus der Ferne jeßt 

Richtet er feinen Drachenblid auf ung — 

Sein Geift wie ein blutfaugerifcher Vampir 

Umfchtwebt mich, faugt das Blut mir aus dem Hirn; 

Er zählt mir jeden Mann auf meinen Mauern, 
Dramen VII 25 


386 


Bäter-und Söhne 





Jeden Gedanken, der nach Rettung jucht, 
Lieft er mir aus den Falten des Gehirns — 


Adelheid 
Mein Oheim, welche Träume! 


Sngersleben 


Träume? Träume? 


Sch fpreche Wahrheit — Widerftand ift Traum | 
Lern’ diefen Korſen kennen! Raum und Seit, 
Die andre Fnechten, Inechtet er. Sein Wille 
Berfchlingt den Raum wie ein gefräß’ger Wolf; 
Die Zeit ift fein Gefchöpf, denn feine Taten 
Schlagen die Stunden an der Lhr der Zeit, 
Und wie ein Rechenmeifter des Verderbens 
Sagt er dem Unheil Stunde und Minute, 

Da e8 auf unfre Häupter fallen fol, 


Frau von Sngersleben 
Laß ihn berechnen alles was er mag; 
Sei er der Größte, Menfchen feid auch Ihr, 
Was er befist, das habt auch Ihr: ein Herz — 
Und feine Formel wird ihm je berechnen 
Die Taten, die Begeifterung vermag. 


Sngersleben 
Begeifterung! Ein Raufch in jungen Köpfen! 
Zeig’ mir den Wein, der mich beraufchen fol, 
Bier ift nur Hefe. 


Frau von ISngersleben 
Und das Vaterland, 
Das hoffend blickt auf feine legten Söhne? 


Sngersleben 
Preußen ift tot feit Auerftädt und Jena. 


Frau von Sngersleben 
Richard! — Es hängen preuß’fche Fahnen bier 
Und hören was du fprichft ! 


Sweiter Akt 


387 





Ingersleben 
Mein, fie find taub! 
Denn als der Sturm berüberfchnob aus Frankreich, 
Wo blieben fie? Sie riffen durch wie Feten 
Und ließen uns im Gtich. 


Frau von ISngersleben 
Das tatet Ihr! 
Bon Euch find fie verlaffen und betrogen, 
Und du — verrätjt fie heut! 


Ingersleben 
Frau! 


Adelheid 
Hadert nicht 

In diefer Stundel Geit ich denfen fann, 
Lag über meinem frühverwaiften Haupte 
Einträchtig Eure Liebe — Pater, Mutter, 
Zum erjtenmal in diefer bittren Not 
Nenn’ ich mit diefem ſüßen Namen Euch. 
Wir leben bier wie auf der öden Klippe 
Und haben nur uns ſelbſt noch — badert nicht 
In diefer graufen Stunde! 


Frau von ISngersleben 
Romm, mein Rind, 
Wir wollen gehn; er braucht uns länger nicht. 
Erhebt ſich und wendet fich zum Abgeben) 
Sngersleben 
Die Kugel aus franzöfifchem Gewehr, 
Das ift es, was ich brauche, 


Adelheid (umarmt ihn) 
Helf’ ung Gott; 
Der Tod hängt über unfer aller Häuptern, 
Ihn jest verlaffen? 


Frau von Ingersleben (eilt in feine Arme) 
Bleib dir jelber freu, 
Und Gott verftoße mich von feinem Antlitz, 
Wenn ich dich je verlaffe! 


25* 


388 


Väter und Söhne 





Sngersleben 

Geht nicht von mir, 
Ich habe niemanden! Dreitaufend Mann 
Stehn in der Feftung bier — von diefen allen 
ft Feiner, der mich liebt! Im ihren Herzen 
Grollt die Erinnerung erlitt'ner Strafen, 
Ich wollt', ich wär ein mildrer Mann gewefen 
Als ich es war. 


Frau von Sngersleben 
Laßt das PVergang’ne ruhn, 
Erinnerung an Dinge, die gewefen, 
Raubt ung die Kraft zu gegenwärt’gem Tun, 


Sngersleben üfter vor fich hinftarrend) 
Sch wollte — was — wie fommt mir dies Geficht 
Plöglich zurück? 
Adetheid 
Sage mir, was dich quält? 
Was ftarrft du vor dich nieder? 


Sngersleben 
Sonderbar — 
So lang iſt's ber, fo gänzlich war's vergeſſen — 
Und plötzlich kommt's zurück. — 
(Sucht mit den Augen am Boden) 
Hier, glaub’ ich, war's — 


Frau von ISngersleben 
Was fiehft du an der Erde dort? Was war? 


Sngersleben 
Nein — bier war’s nicht — 
(geht durch Das Zimmer) 
Er fag auf feinen Rnien — 
An diefer Stelle war's — und dann von hier 
Stürzt’ er ans Fenfter — dort — 


Frau von Sngersleben 
Du marterjt ung, 
Richard, was war? 





Zweiter Aft 389 





Sngersleben 
Der Trommelwirbel war’s, 
Der von dem Hof der Zitadelle fchallend 
Ihm fagte, daß fein Sohn Spießruten lief. 


Srau von Sngersleben 
Davon fprachit du mir nie? 


Sngersleben 
Du wareft damals 
Zu deinen Eltern nach Berlin gereift 
Mit unfrem Sohne, unfrem Ferdinand — — 
Wer dacht’ auch, daß er gleich dran fterben würde — 


Frau von Ingersleben 
Starb der Unglüdliche? 


Sngersleben 
Sprich nicht fo laut — 

Sch feh’ ihn noch, es war ein zarter Knabe 
nd er ſah aus wie guter Leute Kind, 
Er war als Deferteur davongelaufen — 
Ich konnte die Spießruten ihm erlaffen, 
Es war das erjte mal — er hatte einen Blick, 
Der mich an unfren Ferdinand erinnert — 
Wo bleibt heut Ferdinand? Zur AUbendmahlzeit 
Ram er heut nicht? 

Adelheid 

Ich ſah ihn heute mittag. 


Ingersleben 
Und ſeitdem nicht? 


Frau von Ingersleben 
Er iſt bei den Kam'raden. 


Ingersleben 
Sah man ihn dort? 


Frau von Ingersleben 
Ich denke, er iſt dort. 


390 


Väter und Söhne 





Sngersleben 
Sch will ihn rufen laffen. 


Frau von Sngersleben 
Deine Seele 
ft Frank von Sorgen, was befürchteft du? 


Sngersleben 
Sch muß ihn fehn, ich muß ihn fprechen hören — 
Ich weiß nicht, was mir fo das Herz umkrampft — 
D diefe Todeskrankheit unjres Landes 


Verdunkelt mir dag Blut — 
(gebt an die Mitteltür, ruft hinaus) 


be — Rorporal! 


Zweiter Auftritt 


Ein Rorporal (zu den vorigen) 


Sngersleben 
Er bat die Wache? 


Rorporal 
Zu Befehl, Here Oberft. 


Sngersleben 
Sah man den Lieutenant von Ingersleben 
Heut auf der Zitadelle? 


Rorporal 
Nein, Herr DOberft. 


Sngersleben 
Shif! Er von feiner Wache einen Mann, 
Er fol ihn fuchen in der ganzen Feftung 
Und augenblids mir rufen. 


Rorporal 
Zu Befehl. 
(Ab durch die Mitte) 
Sngersleben 
Was fagft du dazu? 


Zweiter Aft 391 








Frau von Ingersleben 
Nichts; ich ftaune nur, 
Daß du die Schreden diefer Wirklichkeit 
Durch Wahngebild’ verdoppelt — 


Sngersleben 
Wahngebilde — 
Sch fange an zu glauben — 


AdelHeid (fäte ihm um den Hals, bricht in Tränen aus) 
Bater! Nein! 
Sp wird der gnäd’ge Gott ung nicht verlaffen, 
Daß er fein teures Haupt mit Anheil fchlägt. 


Dritter Auftritt 


Rorporal (zu den vorigen) 


Ingersleben (gebt ihm entgegen) 
ft er gefommen? Band er meinen Sohn? 


Rorporal 
Der Mann ijt eben erſt hinausgeſchickt — 
Zu rapportieren, daß die Herrn Offiziers 
Zum Kriegsrat ſich verfammelten. 


Sngersleben 
Zum Kriegsrat? 


Frau von Sngersleben (baldlauf 
Richard, du felber haft fie berbeftellt. 


Sngersleben 


Gut — laß fie ein, 
(Rorporal ab) 


Frau von Ingersleben 
Der Sohn, um den du bangit, 

ft auch der meine — denke nicht an ihn; 
Dich ruft die Pflicht — verbanne die Gefpenfter — 
Richard — fo wie dein Weib bier vor dir Fniet, 

(fie finkt ihn langſam zu Füßen) 
So liegt dein Vaterland zu deinen Füßen, 
Das dir fein lestes Bollwerk anvertraut. 


392 Bäter und Söhne 





Sngersleben 
Steh auf — ſteh auf — 


Frau von Sngersleben 
Nicht eh’ du mir geſchworen, 
Daß du ein Mann fein willft und ein Soldat! 


Sngersleben 
Ich höre ihren Schritt. 


Frau von Sngersleben 
Berfprichit du's? 


Sngersleben 
a. 
Frau von ISngersleben (erhebt fich) 
Komm, meine Tochter. — 
(Im Adgehen Fehrt fie zurücd und fällt ihm um den Hals) i 
Richard — zürnft du mir? 
Sngersleben (ftarrt fie an) 

Tritt vor den Korſen du mit diefem Blick 


Und er wird zittern — gebt, fie fommen, geht. 
(Frau von Ingersleben, Adelheid rechts ab) 


Dierter Auftritt 
Oberſt von Weyherr, DOberft von Manteuffel, Oberft Boumann, 
Leutnant Thynfel, Leutnant Wille, andere jüngere Offiziere (freten Durch 
die Mitte ein). Spldaten (kommen hinter ihnen mit Lichtern, welche an ven Wän- 
den in Hängeleuchtern befeſtigt werden) 
Dberft von Weyherr Gu Boumann) 


Gleich tot? Go Jagten Gie? 


Boumann 
Tot, auf der Stelle. 
Die Kugel ging ihm mitten durch die Stirn. 
Ingersleben 
Wer iſt gefallen? 
Weyherr 


Leutnant Falkenhayn 
Vom Regiment von Zenge. 








Ka La al 





Zweiter Att 393 





Sngersleben 
Sp — ſo — der? 


Boumann 


Als er den Brückenkopf zu halten ſuchte, 
In welchen die Franzoſen eingedrungen. 


Weyherr 
Und der nun doch in ihren Händen iſt — 
Ein nutzlos Opfer. 

Thynkel 

Aber ehrenvoll. 


Weyherr 
Wer ſprach da? 
Thynkel 


Ich. 


Weyherr 
Ach ſo — der Leutnant Thynkel — 
Der Jüngſte hier, nicht wahr? 


Thynkel 
Jawohl, Herr Oberſt, 


Und außerdem der Ingenieur vom Platz. 


Bpumann 
Und Ingenieure wiſſen alles befjer — 
Das kennt man ja. 
er en en von Weyherr, von rg Boumann jegen fich mit Ingersleben 
an den Tiſch. Leutnant Thynkel * be — die jüngeren Offiziere füllen den 
infergrund 
Sngersleben 
Der Brückenkopf verloren — 
Wie fteht e8 mit den andren Außenwerfen ? 


Boumann 
Ich glaube nicht, daß wir ſie halten können, 
Wir ſind zu ſchwach. 

Weyherr 

Und unſre Garniſon 
Beſteht aus ſchlechten, ungeübten Leuten. 


394 


Väter und Söhne 





Man hat uns fchlecht armiert; die Herrn da oben 
Haben ſich's wieder mal bequem gemacht. 


Sngersleben 
Schlimm — alles fchlimm — 


Thynkel 


Iſt mir erlaubt, zu ſprechen? 
Wir brauchen keine Außenwerke. 


Weyherr 
Was? 

Wir brauchen keine? 

Thynkel 

Nein, uns bleibt der Hauptwall; 
Den zu beſetzen, reicht die Garniſon 
Zweifach und dreifach. Er iſt unverſehrt, 
Achtzig Geſchütze ſtehen auf dem Wall, 
Ein jedes hat zweihundert ſcharfe Schuß 
An Munition — 

Boumann 

Das ſind unreife Worte. 

Sie ſind ein unerfahrner junger Mann. 


Thynkel 
Ich beuge mich, wenn man mich widerlegt. 


Boumann 
Sobald wir auf den Hauptwall uns beſchränken, 
So rückt der Feind bis an die Mauern vor 
Und bombardiert die Stadt. 


Sngersleben 
Iſt das gewiß? 


Boumann Cuft nach dem Hintergrunde) 
Der Leutnant Wille von der Artill'rie! 
(Leutnant Wille tritt vor) 
Sie Sprachen, den?’ ich, den Parlamentär, 
Der heute fam vom Feind? 





Zweiter At 395 








Wille 
Jawohl, Herr Oberſt. 
Er führte mich zum General Gudin, 
Dem Kommandierenden. 


Ingersleben — 
Was ſagte der? 


Wille 
Er zeigte drei Batt'rien mir von Haubitzen, 
Mit denen er, ſo ſagt' er, morgen früh 
Die Stadt beſchöſſe — wenn nicht — bis dahin — 





Ingersleben 
Wenn nicht bis dahin? Warum ſtocken Sie? 


Wille 
< Befehlen Sie, Herr Oberft, daß ich fpreche? 
Es war befchimpfend — 


Sngersleben 
Wenn nicht bis dahin? 


Wille 
Wenn wir — bis dahin — nicht Fapituliert. 
(Dumpfe Stille. Die jüngeren Offiziere flüftern untereinander) 


Ingersleben 
Sch fürchte, es ſteht ſchlimm mit unfrer Sache. 


. Tyynkel 
5 Wir haben Rafematten in den Wällen — 
Sie mögen bombardieren Tag und Nacht! 





® 

3 Weyherr 

Sie find ein Hitzkopf — 

: Thynkel 

Durch die Kaſematten 
1 Schlägt feine Bombe durch. 





396 


Väter und Söhne 





Sngersleben 
Doch in der Stadt 
Sind Häufer, in den Häufern leben Menfchen — 
Iſt diefes alles nichts? Sie künnen reden, 
Sch bin verantwortlich für diefe Stadt. 


Thynkel 
Ich denke, erſt die Feſtung, dann die Stadt. 


Weyherr (zu Thynkel) 
Herr, wiſſen Sie nichts mehr von Diſziplin, 
Daß Sie ſo dreiſt zum Kommandanten ſprechen? 
Wer gab denn Ihnen hier das Wort? 


Thynkel 


Der König, 


Der mich zum Ingenieur vom Platz gemacht. 


Wey b err 
Da hat er auch was Recht's daran getan! 
(Unruhe unter den jüngeren Offizieren) 
Thynkel 
Dies Wort, Herr Oberſt — 


Ingersleben 
Ruhe, meine Herrn! 
In Frankfurt, hör' ich, ſteht Marſchall Davouſt? 


Boumann 
Dort ſtand er geſtern, morgen iſt er hier, 
Denn in der Nacht hat man Geräuſch gehört 
Wie von Rolonnen — 


Sngersleben 
Morgen ift er bier — 
Dann wär's nur eine Frage noch der Seit. 


Manteuffel 
Doch — wenn ich meine Meinung fagen darf — 


Sngersleben 
Oberſt Manteuffel? 


cr Da a TE te 





Zweiter Akt 


397 





— ENT — 


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ai — VENEN and 


3 Sg en udn 
ae Pk F * —— 


Manteuffel 
Ein’ge Tage, mein’ ich, 
Läßt fich die Feftung immerhin noch halten. 
Bis dahin fommt der Fürft von Hohenlohe 
PBielleicht ung zum Entfaß, der, wie ich höre, 
Im Anmarſch ift? 
Thynkel 


Jawohl! 


Die jüngeren Offiziere 
So iſt's! So iſt's! 


Weyhe rr Creht ſich um) 
Was iſt? Nichts iſt! Was wiſſen dieſe Herren? 
Es iſt ganz ungewiß — 


Wille 
Erlauben Sie! 
Es iſt gewiß, daß er von Jena aus 
Der Oder zu marſchierte — 


Ingersleben 
Wenn er käme! 


Thynkel 
Er kommt, Herr Oberſt! 


Weyherr 
Wer ſagt Ihnen das? 
Er nahm die Richtung auf Stettin. 


Thynkel 
Sehr wahr, 
Doch aus der Richtung drängte ihn der Feind 
Nah Süden. 
Sngersleben 
Wär’ es ficher und gewiß — 
(gebt im Saale auf und ab) 


Nun denn, noch einmal leucht” uns, Stern von Roßbach, 


Wir halten uns, bis Hohenlohe kommt. 
(Freudige Bewegung unter den jüngeren Offizieren) 


398 


Väter und Söhne 





Fünfter Auftritt 
Korporal (durch die Mitte zu den vorigen) 


Rorporal 
Herr Oberſt — 


Sngersleben 
Iſt mein Sohn herein? 


Rorporal 
Noch nicht. 
Zu rapportieren, daß zwei Leute famen 
Von überm Fluß, wo die Franzoſen ftehn. 


Sngersleben 
Was wollen fie? 
Rorporal 
Es heißt, fie bringen Nachricht 
Vom Fürft von Hohenlohe. 


Die jüngeren Offiziere 
Hohenlohe! 


Thynkel 
Er kommt mit der Entſatzarmee. 


Die jüngeren Offiziere 
Triumph! 


Weyherr 
Das ſoll mich wundernehmen. 


Ingersle ben (um Korporah 
Führ' ſie ein. 
Gorporal ab) 


Sah einer dieſer Herren meinen Sohn? 
(Allgemeines Schweigen) 
(für ſich) 
Berdammte Träume — fort. Ihr feid nur Schatten, 
Aus dem erhigten Quell der Phantafie 
Aufdampfendes Gewölk — 





SERIEN 





Zweiter Akt 399 





Sechſter Auftritt 


Balentin, Heinrich (gu den vorigen) 


Sngersleben (fährt entjegt auf) 
Nein — fie find wirklich! 
Die Toten ftehen auf! Wer fommt mir da? 


Balentin er ihn einen Augenblid ſchweigend angejehen bat) 
Botfchaft für Sie, Oberft von Ingersleben, 


Sngersleben (tarrt ihn an) 
Er ift es, ich erfenne feine Stimme, 


Manteuffel 
Herr Dberft — jeder Augenblick hat Wert, 
Befragen Sie den Mann. 


Sngersleben (werftörd 
Was war es doch, 
Was ich ihn fragen follte? 


Thynkel 
Was es war? 
Wanteuffel 
Was iſt das mit — ——— 


Manteuffel 
Unfaßbar — 
Thynkel Gu Wanteuffel) 
So nehmen Sie die Sache in die Hand. 


Manteuffel Gu Valentin) 


Was wiht Ihr von dem Fürften Hohenlohe? 
Wo fteht er und wann kann er bier fein? 


Balentin 
Nie! 
Thynkel 
Was ſoll das heißen? 


Valentin 
Fürſt von Hohenlohe 
Samt ſeinem Heere hat kapituliert. 
Furchtbare Bewegung unter den Offizieren) 


400 Bäter und Söhne 





Thynkel 
Kapituliert? Verdammter Anheilsrabe, 
Von wem erfuhrſt du das? 


Valentin 
Ich war dabei, 
Als man Gen'ral Gudin die Meldung brachte. 


Manteuffel 
Noch laßt uns ruhig bleiben, meine Herren — 
Wo wäre das geweſen? Wann? 


Valentin 
Bei Prenzlau, 
Drei Tage find es her. — Hier fteht mein Sohn, 
Er hörte es, wie ich. 


Manteuffel 
Ihr hörtet das? 


Heinrich 
Zehntaufend Mann, mit Fahnen und Gefchügen, 
Den ganzen Reft der preußifchen Armee 


Ergab er an den Großherzog von Berg. 
(Dumpfe Paufe) 


Sngersleben (inkt auf den Stuhh 
Verderben über mich! 


Manteuffel 
Den ganzen Reit — 
D Baterland — nun bift du ohne Waffen. — 
Du blauer Waffenrod, geliebtes Kleid, 
Der du vor Wetters Unbill mir die Glieder 
Und vor Unehre meine Geele fchirmteft, 
Sei Fraß der Motten jegt — von diefer Stunde 


Gibt's feine preußifchen Soldaten mehr, — 
(Er tritt an die an der Hinterwand hängende Fahne) 
Ihr Fahnen, als ich einft auf eure Narben 
Den Eidfehwur des Soldaten Teiftete, 
Dacht’ ich nicht an ein folches Ende — o — 
(Er drüdt den Fahnenz * vor das Geſicht. Die Offiziere ſtehen in düſtrem 


Schweigen, einige drücken Die Hände vor Die Augen, Draußen ertönt ein ſchmetterndes 
Trompetenfignal) 





Zweiter Aft 401 





Ingersleben (ipringt auf) 
Das ift fein Klang von preußifchen Trompeten. 


Siebenter Auftritt 


KRorporal (zu den vorigen; er frägf ein verfiegeltes Schreiben in Händen) 


et da de he a cken er 


Rorporal GEberreicht Ingersleben das Schreiben) 


Ein Schreiben für den Herren Rommandanten 
Gehorfamft abzugeben. — 


Ingersleben (nimmt) 
Bon wen fommt das? | 





Rorporal 
Dom kommandierenden DOff’zier der Wache 
Um Ddertor. 
Sngersleben 


Dom Feind dort abgegeben? 


Rorporal 
Von einem feindlichen Parlamentär. «ıs) 


Ingersleben (entfaltet langfam das Schreiben) 
Dom Führer der Belagerungsarmee — — 
Man bietet ung die Übergabe an. — 
: (Paufe) 
Lei’ ich den Herren die Bedingungen? 


Thynkel 
Unnötig! Nein! 


Die jüngeren Offiziere 
Wir wol’n uns nicht ergeben! 


Weyherr 
Wer nicht zum Kriegsrat hier gehört, der ſchweigt! 
Iſt das noch Diſziplin? Sind Sie noch Preußen? 


Wille 
Ja — preuß'ſche Offiziere! 


Dramen VII 26 





402 


Bäter und Söhne 





Die jüngeren Offiziere 
Dffizierel 


Manteuffel 
D meine Herren, wohin fol das führen? 


Wille 
Dberft Manteuffel, Sie verftehen ung 
Beſſer als jene andren Herren dort, 
Bon meinem König hab’ ich meinen Degen, 
Darf mir ein Kriegsrat meinen Degen nehmen? 


Weyherr 
Sie haben zu gehorchen — weiter nichts! 
Wille 
Und weiter nichts? 
Ingersleben 
Wer nicht vom Kriegsrat iſt, 
Verläßt den Saall — — Soll ih, der Kommandant, 


Es zweimal ſagen? 


Wille Gu den anderen) 
Kommt — wir müfjen gehn. 


(Die jüngeren Offiziere bis auf Thynkel verlaffen dumpf murrend die Szene; 


Balentin, Heinrich mit ihnen ab) 


Sngersleben 
Wir müffen uns beeilen, denn der Feind 
Berlangt Befcheid. 


Boumann 
Wohl — die Bedingungen. 


Ingersleben (left) 


Die Garniſon der Feſtung ſtreckt die Waffen, 
Der Feind beſetzt die Feſtung und die Stadt. 


Manteuffel 
Ganz unerhört! 


Zweiter Aft 403 





Weyherr 
Tatſachen ſprechen hier: 
Gibt's noch Entſatz für uns? Sie hören's — nein — 
Wenn wir uns haͤlten, bleibt Erfolg zu hoffen? 


Ingersleben 
Ich bitte abzuſtimmen. 


Weyherr 
Nimmermehr. 


Boumann 


Nein, ſag' auch ich. 


Sngersleben Gu Manteuffel) 
Und Sie? 


Manteuffel 
Sch glaube — nein. 


Sngersleben 
Was jagt der Ingenieur vom Plag? 


Thynkel 
Wo iſt die Breſche in der Feſtungsmauer? 


Ingersleben 
Ih bitt' um Antwort, kann's erfolgreich fein? 


Thynkel 
Erfolgreich? nein — mit Ehren? allerdings. 


Weyherr 
Tatſachen, Herr, und keine Redensarten! 


Thynkel 
Tatſache denn: die Breſche in der Mauer, 
Das iſt das einz'ge Tor, durch das mit Ehren 
Die Garniſon aus einer Feſtung zieht. 


Boumann 
Geſetzt, wir halten uns noch zwei, drei Tage, 


Am vierten finken wir der Lbermacht, 
26 * 


404 Bäter und Söhne 





Sp haben wir bis dahin ohne Zweck 
Dreitaufend Mann geopfert, die wir fonft 
Dem Vaͤterland für Fünft’ge Zeit erhielten. 


Sngersleben 
Läßt fich dem widerfprechen? 


Weyherr 
Nein, es iſt fo. 

Thynkel 
Man ſoll uns loben noch, daß wir die Feſtung 
Ohne Kanonenſchuß und ohne Schwertftreich 
Ergaben? Wie? 

Boumann 

Man wird es billigen; 

Sie raten Selbſtmord! 


Weyherr 
Kommen wir zum Ende. 


Ingersleben (erhebt fich) 
Iſt's diefer Herren wohlerivogne Meinung, 
Daß es notwendig und erfprießlich ift, 
Daß wir Küftrin dem Feinde übergeben? — 
Dberft von Weyherr? 


Weyherr 
Ja! 


Ingersleben 
Herr Oberſt Boumann? 


Boumann 


Su 
Sngersleben 
Dberft von Manteuffel? 


Manteuffel 
Leider — ja. 
Sngersleben 
Der Leutnant Thynkel? 


Zweiter Akt 


405 











Thynkel 
Nein! 


Weyherr 
Iſt überſtimmt. 


Ingersle ben dest ſich an den Tiſch. Schreibend) 
Zu — den Bedingungen — die Sie mir bieten — 
(faltet und fiegelt) 
Herr Lieutnant Thynkel, machen Sie fich fertig, 
Sie bringen diefen Brief — 


Thynkel 
Das tu' ich nicht! 
Suchen Sie dazu einen andren ſich. 


Ingersleben 
Sie weigern ſich — mir ins Geſicht? 


Thynkel 
Das tu' ich. 
Sie ſind nicht mehr des Königs Offizier, 
Sie ſelber ſchrieben ſich den Scheidebrief. 


Weyherr 
Herr — wiſſen Sie, was darauf ſteht? 


Thynkel 
Der Tod. 


Wenn ich den Tod ſo fürchtete wie Sie, 
Hätt' ich's vielleicht mir anders überlegt. 
(16) 


Weyherr 
Das mir von dieſem Buben? 


Manteuffel 
Ruhe — Ruhe — 
Wer bringt den Brief hinüber an den Feind? 


Boumann 
Das tut der Kriegsrat. 


406 


Bäter und Söhne 





Mantenffel 
Mein — der Kommandant. 


Weyherr 


Der Kriegsrat tut es — geben Sie den Brief. 
(Nimmt den Brief von Ingersleben) 


Ingersleben 
Noch einen Augenblick — — ſoll es denn ſein? 


Weyherr 
Dreitauſend Mann dem Kön'ge zu erhalten, 
Ja, das ſoll ſein — kommen Sie, meine Herrn. 
(Weyherr, Boumann, Manteuffel ab) 


Ingersleben 
„Sie ſind nicht mehr des Königs Offizier“ — 
Was bin ich nun? Ein alter, toter Mann — 
Ins Grab gehören Tote — wär' ich da. 
Horch — das ſind ſie — 

(geht ans Fenſter) 


Achter Auftritt 


Valentin, Heinrich (treten auf und bleiben hinter ihm ſtehen) 


Ingersleben Ginausblickend) 
Da tragen ſie den Brief, 
Der mich vom Vaterland und meinem König, 
Bon allem feheidet, was mir feuer war — 


Balentin 
Bielleicht auch von der Ehre. 


Sngersleben (fährt herum) 
Wer ift da? 
Was willft du noch? 


Balentin 

Dir fagen, Ingersleben, 
Daß du dreitaufend Mann, achtzig Geſchütze 
Berfchenkt haft an den Feind, 


Zweiter Alt 407 





Sngersleben 
Unhod! Was weißt du? 


Balentin 
Daß vor der Feftung, die du übergabft, 
Ein einzig Regiment vom Feinde fteht. 





Sngersleben (chreit auf) 
Warum verfchwiegft du das? 


Balentin 
Weil du gefchiwiegen, 
Als ihn ein Wort von dir von den Spießruten 
Erretten konnte! 


Ingersleben (ftürzt an die Tür) 
Ah — der Rorporal! 


Neunter Auftritt 


Rorporal (zu den vorigen) 


Sngersleben 


Fort — lauf dem Oberften von Weyherr nach; 
Den Brief, den. ich ihm übergab — den Brief — 


Rorporal 
Was fol er mit dem Brief? 


Sngersleben 
Ihn nicht beftellen ! 


Er fol zurüd ihn bringen, diefen Brief! 
(Korporal ab) 


Zehnter Auftritt 


Thynkel moch außerhalb der Szene) 


Wo ift der Kommandant? 
(Tritt auf) 
m Gottes willen, 
Herr Dberft, ſchicken Sie den Brief nicht ab! 


408 


Bäter und Söhne 





Ein Irrtum war's: der Lärm, den man vernommen, 
Bedeutete den Abmarſch der Franzofen ! 
Wo find die Herrn vom Kriegsrat? 


Ingersleben dit auf den Stuhl gefunten) 
Sie — find fort. 
Thynkel 
Fort mit dem Brief? 


Ingersleben 
Ich ſchickte — ihnen nach — 
O eilen Sie — und holen Sie ihn ein! 
(Dumpfes Getöſe außerhalb der Szene, näher und näher kommend) 


Elfter Auftritt 
Rorporal (ftürzt herein) 


KRorporal 


Ich kann nicht fort — die Herren Offiziere 
Dringen in Scharen in die Zitadelle 
Und fperren jeden Schritt! (Ab) 


Zwölfter Auftritt 
Wille (zu den vorigen) 


Wille 
Wo ift der Oberft? 
Wo ift er, der uns an den Feind verkauft? 


Sngersleben Guckt ſchrecklich auf) 
Ah! 
Thynkel gu Wille) 
Still — ich bitte, Herr Kam'rad! 


Wille 
Was, ſtill! 


Er ſoll mir meine Ehre wiedergeben. 








NE ENTER 


Da a a a rl 


Zweiter Akt 





Dreizehnter Auftritt 


Eine Schar von Offizieren (komme eilend herein) 


Offiziere 
Wir wollen unfre Ehre wiederhaben ! 


Wille 
Das ift ein fchändlich abgefartet Spiel: 
Seit geftern abend, hinter unfrem Rüden 
Wird mit dem Feinde unterhandelt! 


Sngersleben 
Rein! 
Wille 
Ein Offizier der Feftungsgarnifon 
Schlich geftern abend fich zum Feind hinüber. 


Sngersleben 
Nennen Sie mir den Namen des Dff’ziers! 


Alle 
Den Namen! 


Wille 
Seinen Namen weiß man nicht — 


Thynkel 
So iſt's ein töricht körperlos Gerücht. 


Wille 
Man ſagt es für beſtimmt. 


Vierzehnter Auftritt 
Korporal Qu den vorigen) 


Rorporal 
Herr Rommandant, 
Der Mann, den ich gefchickt, Fam eben wieder: 
Er hat die Feftung auf und ab gefucht, 
Ihr Sohn, Herr Oberſt, ift nicht aufzufinden. 


410 


Väter und Söhne 





Ingersleben 
Wo — iſt — mein Sohn? 


Wille 
Ja, Herr, wo iſt Ihr Sohn? 


Thynkel 
Beim heil'gen Gott — er fehlt ſeit geſtern abend. 
(Tritt auf Ingersleben zu) 
Der Kommandant ſteht für den Offizier, 
Der Vater doppelt für den Sohn — Herr Oberſt, 
Wo iſt Ihr Sohn? — Im Namen Ihres Königs! 


(Sngersieben ſtarrt ihn, wie geiſtesabweſend, an) 


Balentin 
Bielleicht, daß ich etwas zur Sache weiß. 
(Alles blickt in ftummer Spannung auf Valentin) 
Auf Wahrheit ruht's: ein preuß’fcher Offizier 
Schlich geftern abend ſich zum Feind hinüber, 
(Bewegung unter den Offizieren) 
Thynkel 
Wer ſah ihn dort? Wo ſah man ihn? 


Valentin 








Ich ſelbſt 
In meinem eignen Haus, in dem Gudin, 
Der feindliche Gen'ral, Quartier gemacht. 


Wille | 
Im Hauptquartier des Feinds | 


Thynkel 
Ihr ſaht ihn ſelbſt 
Kommt, ſeht Euch um — war's einer dieſer Herrn? 
(Zeigt auf die Offiziere) 


Balentin 
Keiner von diefen. — Iener Offizier 
Ging nicht zurück zur Feſtung. 


Thynkel 
Nicht zurück? 
Denkt, was Ihr ſagt! 


Zweiter Alt 411 





Balentin 
Ich fage, was ich fah: 
Er lie Küftein in feinem Rücken liegen 
Und fchlich fih gen Nordweiten. 
Die Offiziere 
Defertion! 
Heinrich (halblaun 
Bater — 


Thynkel 
Der junge Mann will etwas ſagen? 


Valentin Glickt Heinrich an) 
Er will beſtät'gen, daß auch er ihn ſah. 


Thynkel Gu Heinrich) 
Saht Ihr den Offizier? 


Heinrich 
Sch ſah ihn — ja. 
Valentin 
Wir ſahen ihn und hörten ſeinen Namen. 
Thynkel 


Heraus damit! 
Die Offiziere 
Den Namen! Nennt den Namen! 


Valentin 
Sein Name war — von Ingersleben! 


Ingersleben 
Ahl 


Er bricht auf dem Stuhl zuſammen) 
Mein Sohn! Mein Ferdinand! 
Ein lauterer Trompetenſtoß außerhalb der Szene) 


412 Väter und Söhne 





Fünfzehnter Auftritt 
Ein Dffizter (kommt hereingeftürzt) 
Dffizier 
Verloren alles! 
Die Feftung ift dahin — der Kommandeur 
Des Feinds betrat die Stadt — 


Thynkel 
Gen'ral Gudin? 


Offizier 
Nein, Oberſt Gautier! Schande, Fluch und — 
Man übergibt uns an ein Regiment. 


Wille 





Ein Regiment? 
Offizier 
Ein einzig Regiment! 


Wille (zu Ingersleben) 
Wie hoch verfaufft du eine preuß’fche Feftung? 
Wo ift das Geld, das dir der Feind gefchidt? 


Ein Offizier 
Das nahm der Sohn und hebt es für ihn auf. 


Alle 


Reißt ihm den Rock des Königs ab! Reißt ab! 


(Sie dringen wütend auf Ingersleben ein; letzterer figt am Tiſche, Die Arme auf den | 
Tiſch, Das Haupt in Die Arme gedrückt) 





Thynkel (ritt zwifchen fie, mit gewaltiger Stimme) 
Laßt diefen da und hört, was ich Euch fage: | 

(Er geht an die Hinterwand, reißt Die Fahne herunter) 
Sn diefer Stunde, da Verrat und Feigheit | 
Das Schwert uns bricht, fürs Vaterland gezückt, 
Laßt uns allbier auf diefes heil’ge Zeichen 
Dem Baterlande unſren Schwur erneu’n, 

(Alle legen die Hand auf die Fahne, die er mitten unter fie hält) 
Kein Feind fol diefes Banner uns verlegen, 
Ein jeder reiße fich ein Stück davon, 
(fie zevreißen das Fahnentuch) 

Und fo verbergen wir’s auf unfrem Herzen, 





ER 


— 


Zweiter Att 413 











Bis daß die Trommeln, wirbelnd durch das Land, 


Ein neu Gefchleht zu neuem Kampfe rufen. 
(Sie fteden die Fetzen der Fahne in die Bruft) 


Wille 
Und Rache denen, die das Vaterland 
Heut an den Feind verrieten! 


Thynkel 
Rache! 
Alle 
Rache! 
(Ste geben ab) 
Ingersleben (richtet das Haupt auf) 
Mein Name — meine Ehre — und mein Sohn — 


Ein Deferteur vorm Feind! 
(Stebt auf) 
Bater und Sohn, 


Der ganze Stamm verfault vom Fuß zum Wipfel — 
Den einen hab’ ich bier, ihn zu beftrafen, 
Den anderen — Gott meines Vaterlandes, 
Laß meine Buße fein für mich und ihn! 
(Eilend nach links ab; man hört die Tür von außen verriegeln) 
Heinrich 
Vater — wo glaubt du, daß der Mann bingeht? 


Balentin 
Um feinem Gotte Rechenschaft zu geben. 


Sechzehnter Auftritt 
Frau von Ingersleben, Adelheid (kommen baftig von rechts) 


Frau von Ingersleben 
Welch ein Getöfe war in diefem Saal? 
Nur Ihr allein noch hier? 


Adelheid 
Wo ging er hin? 
Sagt, lieben Leute, jaht Ihr? — 


414 Väter und Söhne 





Heinrich Geigt auf die Tür links) 
Fräulein — dort! 


Frau von Sngersleben 
(ftürzt an die Tür und rüttelt Daran) 


Berfchloffen — höre deines Weibes Stimme — 
(inf Hinter der Szene fällt ein Schuß) 


AdelHeid 
Jeſus mein Heiland | 
(Sinft ohnmächtig zur Erde) 
Frau von ISngersleben (ehnt kraftlos an der Tür) 
Richard, mein Gemahl — 


Heinrich (fängt Adelheid in feinen Armen auf) 


Er war ein Menſch — er hatte Weib und Kinder | 
Zu welchem Werke lieh ich meine Hand! 


PBalentin (tritt ang Fenſter, reift es auf) 


Wenn du's vergaßeft, fomm und fieh den Blutfleck, 
Wo er den Bruder dir zu Tod gepeitjcht! 


Siebzehnter Auftritt 


Gautier (umgeben von) franzöfifhen Dffizteren (erfcheint auf der Schwelle 
der Mitteltür) 


Vorhang fällt 
Ende des zweiten Aftes 


Dritter Akt 


Szene: Vorzimmer im franzöſiſchen Gouvernement zu Berlin. Türen 
rechts, links und in der Mitte. In der Mitte des Raumes ein mit 
Papieren bedeckter Tiſch. Ein Kamin. Einige Stühle 


Erſter Auftritt 


Riekebuſch (komme mit einem Holzkorb, jest denſelben vor dem Kamin nieder, 
beginnt Feuer im Kamin zu machen) - 


Riekebuſch 
Nu wollen wir mal den Franzoſen einheizen. — Kaltes 
Jahr dieſes Jahr, Anno dreizehn. — Schad’t nichts, Kälte ift gut 








Dritter Akt 415 





gegen Mäufe und Franzofen. (Gebt in der Stube auf und ab, die Arme 
zufammenfchlagend) Man wird janz fteif — fo, nu hab’ ich die 
Arme wieder flott — nu kann's losgehen. — Himmeldonner- 
wetter, ob's denn noch mal losgehen wird? — (Er nimmt einzelne 
Scheite aus dem Korbe, indem er fie nacheinander betrachte) Mal 'ran bier 
— was ijt das für eine magere Gerte? Wer bift du? Napoleon 
— ein Heiner Rader, aber ein feiner — ’rin ins euer! (Stedt 
das Scheit in den Kamin) Nummer zwei: ein dider Knollen — der 
die, faule Marfchall Augerau — rin ins euer — (tecktt das 
Scheit in den Kamin) Wer kommt nu? Du fiehft mir aus wie 
Marſchall Davouft — immer rin ins Vergnügen. (Wie ode Das 
ift der Ney; eine alte filsige Borfe, das ift der VBandamme — 
rin mit dir, du Kujon! Feuer an die ganze Bagage! Pud — 
Put — Puck — wie der Napoleon vor Wut ſpuckt! — Ich 
glaube gar, der Dandamme will nich brennen? Was? Du 
willit bloß Leute ſchinden können? Ich werde dir Zunder auf 
den Frack legen — fo, mein Junge, fiebft du, wie du nu fingen 
kannſt? Ich werde dir die Flötentöne ſchon beibringen. — 


Zweiter Auftritt 
Lepetit (von links zu dem vorigen) 
Lepetit 
Abſcheulich Falt — wieder zu fpät geheizt, Monfieur Riefe 
— Rieke — (set fröftelnd auf und ab) 


Riekebuſch 
Riekebuſch, Musjeh, wenn's gefällig iſt. Ich dachte, die 
Herren Franzoſen hätten ſich an dem Frieren gewöhnt? 


Lepetit 
Wieſo dachten Sie? Warum dachten Sie? 


Riekebuſch 
Ich dachte ſo in meine dummen Gedanken — von wegen 
das Wintervergnügen in Rußland. 


Lepetit 
Ah! Halten Sie das — 


Riekebuſch 
Das Maul — Musjeh Lepetit — das liegt an den Kami— 
nen, Musjeh Lepetit — bei uns find die Ofen nicht drauf ein- 


416 Bäter und Söhne 





gerichtet — es gibt nämlich noch andre Menfchen außer den 
Herren Franzofen auf der Welt, aber eg muß Ihnen nicht un- 
angenehm fein, Musjeh Lepetit. 

(Lepetit ift an den in der Mitte des Raumes ftehenden —— etreten; er bricht die 


auf dem Tiſche liegenden Briefe einen nach dem andern auf und wirft fie Riekebuſch, 
der noch am Kamin kniet, zu) 


Lepetit (vor ſich hin, die Briefe durchfliegend) 
Betteleien — Quengeleien — ab — bah — bah — wirft 
Riekebuſch zyu da — nehmen Sie — 


Riekebuſch 
Was ſoll ich denn damit, Musjeh Lepetit? 


Lepetit 
In's Feuer ſtecken, damit es warm wird — und da — 
und da — Wwirft ihm zu) 


Rietebufch 
Das find ja Bittſchriften? 
Lepetit 
Mais oui — in den Ramin damit, 
Rietebufch 


Auf die Art wird man wohl bald fertig mit fo ein paar 
Dutzend Bittgängern, Herr Lepetit? 


Lepetit 
Das denke ich. 
Riefebufch (wirft die Papiere ind Feuer) 


Sit recht, Herr Lepetit, ins Feuer mit dem Rrempel — wer 
bei Euch Franzofen bettelt, verdient’S nicht beifer. 


Lepetit ‘ 
Was fagten Sie, Herr Riefe — Buſch? 
Rietebufch 
Ich fage nur, es ift unrecht von den Leuten; die Sranzofen 
haben jchon foviel für uns getan — meine Tante felig in 
Podelzig — 
Lepetit 


Sie fprechen fehr viel, Herr Riefe — Buſch. 








Dritter Akt 417 





Riekebuſch 
Bloß weil Sie's ſind, Musjeh Lepetit — meine Tante 
ſelig in Podelzig hatte drei Kühe und einen Mops — die 
Franzoſen haben ihr bloß die Kühe aufgegeſſen und nicht mal 
den Mops. — Soll denn das hier auch ins Feuer, Musjeh 
Lepetit? (Zeigt ein gedrucktes Blatt) 


Lepetit 
Ins Feuer damit, ins Feuer! 


Riekebuſch 
Ich dachte man — das ſieht doch nicht wie eine Bittſchrift 
aus? „Aufruf zur Bildung von freiwilligen Jägerkorps ?“ 


Lepetit 
Stecken Sie ſie ins Feuer! 


Riekebuſch 
Sehr wohl, Musjeh Lepetit. 
Stectt das Blatt in die Bruſttaſche) 
Lepetit (dat ihn beobachten) 
In den Kamin, babe ich gefagt! Iſt das der Kamin? 


Riekebuſch 
Es iſt nur von wegen meinem Aujuſt, Musjeh Lepetit; der 
Junge hat ſo 'nen dicken Kopp, ich will ihm das Leſen bei— 
bringen. 
Lepetit mimmt ihm das Blatt wieder ab) 
Geben Sie ber — wie alt ift denn Ihr Au — Ihr Auguft? 


Riefebufch 
Ach Jott, man jo en Piepmägefen, faum enen Ropp größer 
wie Gie, 
Lepetit 
Sie find eigentlich ein unverfchämtes Menſch, Herr Riekebuſch. 


Riekebuſch 
J glauben Sie doch fo was nicht, Musjeh Lepetit. 


Lepetit 
Wie alt er ift, habe ich gefragt. 


Dramen VII 27 


418 . Bäter und Göhne 





Rietebufch mimmt feinen Korb auf) 


Sp genau weiß ich das felber nicht; aber wenn’s fo weit 
ift, dann wird er auch gerade jo weit find, 


Lepetit 
Wenn was fo weit ift? 


Riefebufch 
Der große Weihnachtsmarkt, Musjeh Lepetit, wo fie den 
ollen Fritz mit feinen Schimmel und Dreideder verkaufen — 
aber was ich Sie fagen wollte — diesmal Friegt man den ollen 
Srig nicht mehr fo billig — er Eoftet einige Srofchen mehr. 
Na einen fchönen bon jour, Musjeh Lepefit. 
(Ab nach rechts) 
Lepetit (jest fih an den Tiſch) 
Wenn diefer Kerl der Barometer für feine Landsleute wäre, 
fo würde ich fagen: Dies Volk ift aufgefaut und fängt an zu 


gären. — 
(Er klingelt) 


Dritter Auftritt 
Diener (durch die Mitte) 
Lepetit 
Der Dolizeilommiffär draußen? 


Diener 
Aufzuwarten, Herr Sekretär. 


Lepetit 
Soll eintreten. 
(Diener ab) 


Vierter Auftritt 
Ein franzöſiſcher Polizeikommiſſär (urch die Mitte) 
Lepetit 
Herr Kommiſſär — der Befehl iſt bekannt gemacht, daß 


an den Toren von Berlin ſtrengſte Kontrolle über alle Einpaf- 
fierenden geübt wird? 








Sn et a Zr 


Dritter Akt 419 





Rommijfär 
ft befannt gemacht, Herr Sekretär. 


Lepetit 
Bekannt gemacht, daß alle Einpaffierenden fich bier auf der 
KRommandanftur zu melden und ihre Päffe vorzuzeigen haben? 


KRommiffär 
Iſt befannt gemacht, Herr Sekretär, 


Lepetit 

Achten Sie auf die genauefte Ausführung der Befehle, es 
iſt von bejonderer Wichtigkeit. 
Rommiffär 

Werde nicht ermangeln. — Steht fonft noch — 

Lepetit 
Ich danke Ihnen. 

(KRommifjär durch die Mitte ab) 


Lepetit (klingelt) 


Fünfter Auftritt 
Ein Diener 


Lepetit 
Der Herr Kommandant fchon zu fprechen ? 


Diener 


General Gautier ift feit mehreren Stunden auf feinem 
Bureau. 


Lepetit 
Allein? 
Diener 
Nein — er hat Beſuch. 
— Lepetit 
Es iſt gut. 
Diener 


Herr Sekretär verzeihen, es ſind Bittſteller draußen. 


27% 


420 Väter und Söhne 





Lepetit 
Schicken Sie fie fort. 


Diener 
Sie hätten Briefe abgegeben? 


Lepetit 
Sie follen fih zum Teufel ſcheren. Wir find heut für 
niemanden zu fprechen. (Diener a0) Das Wintervergnügen in 
Rußland — der Halunfe! 


Sechiter Auftritt 
Delacour (von rechts) 
Lepetit 
Ah — hochwillkommen, Hauptmann Delacour! 


Woher des Wegs? Ich glaubte Sie da oben 
In Preußen noch bei Marſchall Macdonald? 





Delacour 
Da komm' ich her. — Gen'ral Gautier zu ſprechen? 





Lepetit 
Gleich; ſetzen Sie ſich einen Augenblick. — 
Was führt Sie zu uns? 


Delacour 
Packen Sie die Akten | 
Zufammen, rat’ ich, und die Schreiberei’n, 
Denn Ihres Bleibens wird bier in Berlin 
Nicht allzulang mehr fein. 


Lepetit 
He — be — was gibt’3? 


Delacsur 
Der Teufel geht in Preußen los, das gibt's. 
Erfuhren Sie vom General von Vork? 


Lepetit 
Gerücht, Gerücht. 


Dritter Alt 


421 





Delacour 
Ih bringe die Beſtät'gung: 
Gen’ral von Vork mit achtzehntaufend Preußen 
Hat ung die Freundfchaft plöglich aufgefündigt 
Und fteht jest bei den Ruffen. 


Lepetit 
Tod und Hölle! 
Wie fam das? 


Delacour 
Auf der Pofcheruner Mühle 
Am dreißigften Dezember vor’gen Jahres 
Schloß er mit General Diebitſch von den Rufen 
Die Konvention. 


Lepetit 
So muß ſein König ihm 
Den Kopf zu Füßen legen, dem Rebellen! 
Sehn Sie, was — hier geſchieht. 
eicht ibm das Blatt) 
Delacour (deft) 
„Aufruf zur Bildung freitwilliger Jägerkorps“ — 
Zum Teufel, was ift das? 


Lepetit 
Mir fcheint, die Antwort 
Auf die Anfrage, welche Vork geftellt. 


Delacour 
So führen Sie mich endlich zum Gen'ral. 
Lepetit 
Er hat Beſuch. 
Delacour 


Ah — ich bin auch Beſuch, 
Und wicht'ger, denk’ ich — 


Lepetit 
Rommen Sie, 


422 


Bäter und Söhne 





Siebenter Auftritt 


Heinrich (durch die Mitte zu den vorigen. Er ift ald Student gekleidet) 


Lepetit 


Wer nun? 


Was wünfhen Sie? Wie famen Gie herein? 


Heinrich 
Verzeihen Sie, man hat mich herbeitellt 
Auf heute vormittag. 


Lepetit 
Ah fo — Ihr Name? 
Heinrich 
Mein Nam’ ift Heinrich Bergmann. 
Lepetit 


Der Student? 
Herr Bergmann, der Student? 


Heinrich 
Ja, allerdings, 
Lepetit 
Der Sohn des Dorffchullehrers Bergmann? 
Heinrich 
38. 
Lepetit 
Ganz recht, ganz recht. Gedulden Gie fich bier, 
Der Kommandant wünfcht Sie nachher zu Tprechen. 


Delacvur (zu Lepetit) 
Mir ift als hätt! ich dies Geficht gefehn? 


Lepetit Gu Delacour) 
Wir können diefe Sorte jegt gebrauchen; 
Er und fein Vater find Spione, 


Delacour (ebenfo) 


Das fiehbt man ihm nicht an, 








Dritter Akt 423 








Lepetit (eiſe) 
Das eben macht ihn 


So fehr geeignet. 
(Lauf) 


Kommen Sie, Rap’tain. 
(Delacpur, Lepefit ab nach links) 


Heinrich (allein) 

Man ruft mich ber, und während man den andren 
Die Türe fchließt, fteht jede Tür mir offen? 
ch nenne meinen Namen — ein „Aha“, 
Begleitet fo von einem halben Lächeln, 
Sagt mir, daß man mich fennt? — Das ift Begünft’gung, 
Doch die Begünftigung gefällt mir nicht, 
Weiß ich gleich nicht den Grund. — 

Lärm an der Mitteltür) 

Ho, was ift hier? 
(Er öffnet die Mitteltür) 


Achter Auftritt 


Adelheid, Diener (außerhalb der Tür) 


Heinrich (für fich) 
Bei dem allmächt’gen Gotte — das ift fie! 


Diener (zu Adelheid) 
Bedaure, mein Fräulein, bedaure aufrichtig, der Eintritt ift 


für niemanden geſtattet. 


Adelheid 
Sch glaubte, es fei die Stunde, in welcher Gejuche an- 


genommen werden? 


Diener 


Für heute nicht, wir find heute zu ſehr befchäftigt, ich darf 


Sie nicht einlaffen. 


Adelheid 
O — es ift für mich fo wichtig — den Herrn Romman- 


danten zu jprechen — 


Diener 
Bedaure, bedaure aufrichtig, meine Befehle find gemeffen. 


424 Väter und Söhne 





Heinrich 
Laflen Sie die Dame eintreten. 
Diener 
Mein Herr? Ihre AUutorifation, mir das zu befehlen? 
Heinrich 
Ach nun — 
Diener 
Ah — Gie find Herr Bergmann? 
Heinrich 


Das ift mein Name. 


Diener (mit einem bedeutungsvollen Blict) 


Das ift etwas anderes. (Zu Adelheidd Bitte, mein Fräulein, 
treten Sie ein. 
(Qidelheid fritt ein. Diener ab. Adelheid ift ſchwarz gefleider) 


Adelheid 
(bleibt unweit der Tür ftehen, ängftlich zur Erde blickend. Heinrich mehr im 
Vordergrund. Pauſe) 

Heinrich 
Der Kommandant iſt ſehr beſchäftigt heute; 
Er wird Sie warten laſſen, fürcht' ich — 

(ſchiebt ihr einen Stuhl zu) 
Bitte, 

Gebrauchen Sie den Stuhl und ruhen Gie. 


Adelheid (est ſich) 
Sie find — bier angeftellt — beim Kommandanten? 


Heinrich (für fich) 
Mein Bild entfchwand ” — glüclich, wenn’s gefchah. 


ut) 
Das bin ich nicht, Fräulein von Ingersleben. 


Adelheid 
Wie nannten Sie mich? 


Heinrich 
Fit dies nicht Ihr Name? 
Und war Ihr Vater nicht der Rommandant 
Bon — 








N U 


Dritter Akt 425 





Adelheid 
Stil! Um Gottes willen, ftill davon! 
Sie find ein Preuße? Willen Sie denn nicht, 
Welch einen Widerhall in diefem Lande 
Der Name wedt? 


Heinrich 
Sch weiß es, doch ich ſchwöre: 
Mein Wort fol feinen Schlummer nicht entweihn. 


Adelheid 
Sein Schlummer — ja — aus dem nur Gott der Herr 
Am jüngjten Tag den Schläfer auferweckt. 
Ihr nennt ihn ſchuldig, Ihr verflucht ihn alle, 


Doch einer Waife Tränen fegnen ihn. 
(Sie weinf bitterlich) 


Heinrich 
Er war Ihr Vater nicht? 


Adelpeid 
Mein Oheim war er, 
Doch wie ein Vater nahm er mich ins Haus. 


Heinrich (für fi) 
Kein Baterblut ijt zwifchen mir und ihr — 
Allmächt’ger, habe Dank! 
(Lauf) 
Berzeihen Sie 
Dem Fremden, zürnen Gie ihm nicht, mein Fräulein, 
Der Ihnen jagt — 


Adelheid (waffe ih zufammen) 
D laffen Sie uns ſchweigen, 
Sch bitte drum. Ich muß den Kommandanten 
Gefaßt und ruhig fprechen, doch mein Herz 
Sit fo voll Tränen, daß ein jedes Wort 
Es überftrömen läßt. 


Heinrich 
Was Sie gelitten 
Seit jenem Tage bis zum heutigen, 
Ich weiß es alles, — Fräulein, o mein Fräulein, 


426 


Väter und Söhne 





Wüßt' ich, wo Troft für folches Weh gedeiht, 
Und müßt ich mir den Weg dahin erbetteln, 
Sch brächte ihn für Sie; heut hab’ ich nichts 
Als dies mein Herz, das jede Ihrer Tränen 
Snbrünftig trinkt wie eignes tiefites Leid. — 
D allen Troft, den Menfchenmitgefühl 

Dem Herzen des gequälten Menfchen ſpendet, 
Sch flehe — nehmen Gie ihn an von mir, 


Adelheid (ieht ihn groß an) 
Wer find Sie? 


Heinrich 
Warum fragen Sie mich das? 


Adelheid 
Weil feit ſechs Jahren niemand zu mir fprach, 
Wie Sie heut tun. — Sie leben in Berlin? 


Heinrich 
Zu Halle war ich auf der hohen Schule. 


Adelheid 
Und dennoch willen Sie von meinen Schieffal? 
Wenn Sie mich täufchten — Unglück fucht nach Troft, 
Unglücliche zu täuschen ift To leicht. 


Heinrich 
D ich beſchwöre Sie, vertrauen Giel 
Was Sie mir jagen, fol mir heilig fein. 


Adelheid 
Wenn Sie mich täufchten — nein, eg wär’ nicht recht! 
Denn ach, ſechs Jahr wie ausgeitoßen leben, 
Raum in der eignen Wohnung ficher, auf der Straße 
Berfolgt von dem Geheul der Gafjenbuben, 
Wenn fie erfuhren, wem man angehört; 
Die Tränen, die man weint um feine Teuren 
Berbergen müffen vor den Menfchen — o — 
Und einen Menfchen finden — 








Dritter Akt Ba - 





Heinrich 
Einen Menfchen, 

Den diefes Elend, das Ihr Leben heißt, 
So tödlich trifft! — Gie leben bier mit Frau 
Bon Ingersleben? 

Adelheid 

Wenn es leben beißt, 

Daß man nicht fterben kann, dann lebt fie, ja. 
Sie ftirbt nicht, weil fie eines Menfchen wartet — 


Heinrich 
Sie wartet? Und auf wen? 


Adelheid 
D — davon nichts. 


Heinrich 
Ich bitte — ſagen Sie — 
Mauſe) 
Adelheid 
Auf ihren Sohn. 


Heinrich 
Ihr Sohn? Ah — das war jener Offizier, 
Der in der Nacht damals Küftrin verlieh? 


Adelheid 
Sit denn Fein Winkel auf der weiten Erde, 
Der unfren Sammer vor der Neugier birgt! 


Heinrich 
Nicht Neugier fragt aus mir — er ward gefangen? 
Und ſeit der Zeit vernahm man nichts von ihm? 


Adelheid 
Nur ein Gerücht, daß er am Leben fei 
Und ferne in den Pyrenäen fchmachte. 
Und feinetwegen fomm’ ich heute ber. 


Heinrich 
Doch — die Gefang'nen wurden ausgewechſelt? 


428 


Väter und Söhne 





Adelheid 
Er ward e8 nicht. 
Heinrich 
Wie fol ich das begreifen? 
Es ift undenkbar, daß man ihn vergaß? 


Adelheid 
Sa — aber denkbar, daß man nicht gewollt. — 
Sie haben aus dem Buch des PVaterlandes 
Wie einen Flecken ihn hinweggetilgt — 
DD — Ferdinand! — 
(Site ringe die Hände) 


Heinrich 
Nur eines jagen Gie: 
Geſchah es, weil man glaubt — 


Adelheid (ipringe auf) 
Sragen Sie nicht! 
Was ich vermochte, habe ich gefagt, 
Doch eine Stelle ift in meinem Herzen — 
Sch decke meine Hände drüber ber, 
Die letzte Schutzwehr des fchuglofen Weibes — 
Dingen Sie nicht mit Fragen da hinein, 
Es tut zu wehl 
Heinrich 

Sch frage nicht, ich weiß; 

Ich weiß, daß man ihm Schuld gibt — 


Adelheid 
Nein — o nein — 
Still — aus Barmherzigkeit — Gie find fein Mann, 
Der ſich ergögt an eines Weibes Qualen | 
Wenn Sie fie fühlten! — Gein geliebtes Herz 
Hinausgeftoßen aus dem Vaterlande, 
Für das e8 bradh! D, wo in Gram und Sammer 
Dein teures Haupt fich, Ferdinand, verbirgt, 
Hier lebſt du, hier — 
(fte drückt die Hände aufs Herz) 

und taufend Tränen baden 
Dich täglich rein vom Fluche diefer Menfchen, 
Die dich nicht Fennen! 








Dritter Akt 





Heinrich 
Einer kennt ihn noch, 
Noch einer weiß, daß er unjchuldig war! 


Adelheid (in zitternder Wonne) 
Ah — was war das? Was fagen Sie, mein Herr? 


Heinrich 
Ich ſage, daß er kein Verräter war, 
Daß er getan hat für das Vaterland, 
Was keiner derer tat, die ihn verdammen, 
Glickt fie tief an) 
Und daß der Mann, dem ſolche Tränen fließen, 
Glückſelig iſt in Kummer, Not und Leid! 


Adelheid (ftredt ihm die Hände zu) 
Welch einen Tröfter hat mir Gott gefandt — 
Was willen Sie von ihm? 


Heinrich (ergreift ihre Hände) 
D Teure — Teure — 
(er neigt ſich auf ihre Hand und fährt zurüd, Für fich) 
Allmächt'ger Gott — fein Ring an ihrem Singer! 


Adelheid 
Was willen Sie von ihm? D reden Gie! 


Heinrich (für fih, in Gedanken verfintend) 
Der Auftrag, den er fcheidend mir vertraute, 
Kehrt mir zurück — die graufe Nacht des Schredeng 
Steigt mir empor und wedt mich zur Verdammnis. 


AdelHeid (tritt ihm dringend näher) 
Sie wiffen mehr von ihm, ald Sie mir fagten! 
D laſſen Sie Ihr Werk nicht halb vollbracht, 
Sie müſſen fprechen — fühlen Gie es nicht? 
Sagen Sie alles! 


Heinrich (in furchtbarem inneren Kampfe für ſich) 
Nein — ich kann es nicht — 
Ich kann ihre nicht von jener Nacht verraten, 
Nicht wie ein Scheufal plöglich vor ihr ftehn! 


430 Bäter und Söhne 





Adelheid 
Sie wollen fprechen, Ihre Lippen zittern, 
Wenn Sie ein Mensch find, reden Sie, mein Herr! 


Heinrich 


(ftarrt ihr einen Augenblick in das Geficht, dann — er ihre Hand mit beiden 
Händen. Aufgeregt flüfternd) 


Sn jener Nacht, da er Küftrin verließ, 
Ward er gejehn. 


Adelheid (ebenfo) 
Wer ſah — wo fah man ihn? 


Heinrich 
Sleichgültig, wer ihn fah. 


Adelheid 
‚Landsleute? 


Heinrich 
Ia — 
An feinem Finger ſah man einen Ring, 
Er küßt' ihn und er fandte diefen Ruß 
Hinüber einem Weibe nah Küftrin — 
Und diefes Weib — find Giel 


Adelheid 
Ach — Gott im Himmel — 
Er dachte mein — und ich erfuhr es niht — 


Heinrich 
Sie hören's heut. 


Adelheid (ergreift feinen Arm mit beiden Händen) 


Sie felber find der Mann, 
Der ihn gejehn — 


Heinrich Weiße fih mit einem dumpfen Laute von ihr 108) 


Adelheid 
Sie felber hörten ihn! 
Sie willen, was in jener Nacht geſchah — 





N 


Dritter Akt 





Seinrid 
Fragen Sie nicht, denn jede Ihrer Fragen 
Reißt einen Abgrund zivifchen mir und Ihnen! 


Adelheid 
Ih muß es wiffen — ab — der Kommandant. 


Neunter Auftritt. 


Gautier (Papiere in der Hand), Delacour, Lepetit (von links) 


Lepetit 
Bier, Erzellenz, ift jener junge Mann, 
Bon dem ich Ihnen fagte. 


Gautier 
Er ift pünktlich — 
Gu Heinrich) 
Wir fennen ung von früher, junger Freund? 
Heinrich 
Gen’ral Gautier? 
Gautier (bemerkt Adelheid) 
Und diefe junge Dame? 


Lepetit 
Ich gab Befehl, niemanden einzulaffen, 
Und dennoch — 
Gautier 
Laſſen Sie, ich kenne fie. 
(Zu Adelheid) 


Sie fommen in der Angelegenheit, 

Die Sie ſchon mehr als einmal bergeführt, 

Dom Herrn von Ingersleben zu erfahren. 
AdelHeid 

Das allerdings — 


Gautier 
Dann wünfchte ich aufrichtig 
Sie wären nicht gefommen, 


432 


Väter und Söhne 





Adelheid 
D mein Gott — 


Gautier 
Weil ich nicht gern — befonders nicht für Damen — 
Der Überbringer böfer Nachricht bin. 


Adelheid 
Was hörten Sie? — Ich bitte, Herr Gen’ral — 


Gautier 
Erlaffen Sie mir alles Weitere. 


Adelheid 
Starb er? 
Gautier 


Noch nicht. 


Adelheid 
Dies „noch“ iſt wie die Stufe, 
Die den Verdammten vom Schafotte trennt. 


Gautier 
Der Herr von Ingersleben, wie Sie wiſſen, 
Gefangen auf der Feſtung Mont Louis, 
Entwich vor ein'gen Wochen ſeiner Haft 
Und iſt in Deutſchland. 


Adelheid 
Iſt in Deutſchland? 


Gautier 


Doch freuen Sie ſich ſeiner Heimkehr nicht. 
Die Herren denken, Frankreich ſei zu Ende, 
Weil es in Rußland ein'ge Mann verlor — 
Sie irren ſich, Frankreich wird ihnen zeigen, 
Daß es zu halten weiß, was es beſitzt. — 
Vom Kaifer fam gemeffener Befehl, 

Zeden Gefang’nen, der ſich ranzioniert — 
Und zu der Gattung rechnet auch der Herr — 


a, 


Dritter Akt 





Adelheid 
Was weiter — Herr Gen’ral — 


Gautier 
Erlaffen Sie mir — 


Adelheid 
Ich bitte — ich beſchwöre — 


Gautier 
Aufzugreifen 
Und ſtehnden Fußes zu erſchießen. 


Adelheid 
Up! 
Gautier 


Es tut mir leid — 
(Adelheid wantt) 


Mein Gott, das arme Kind — 
interftüsgf fie, führt fie an den Stuhl) 


Adelheid (auf dem Stuhle figend) 
Es wird vorübergehn. — D wir Verlor'nen — 
(Paufe) 

Lepetit 
Wir find befchäftigt. 

Adelpeid 

D verzeihen Sie — 
Sch will nicht ftören. 


Gautier (ichter fie auf) 
Rommen Sie, mein Fräulein, 
Erholen Sie fi. 
Adelheid 
Nein, Herr Rommandant, 


Das ift ein fchlimmer Wunfch in unfrer Lage. 
(Adelheid, von Gautier geführt, Durch die Mitte ab) 


Gautier (lehrt von der Tür zurüc) 
Wüßt' ich, warum das Schicfal grade mich 
Zum Henker auserfah für die Familie! 
Den Bater erft und jest auch noch den Sohn — 
Dramen VII 28 


434 


Väter und Söhne 





Delacour 
Was kümmert Sie der Sohn? Sie werden ſchwerlich 
Ihn zu erſchießen brauchen, denn ich denke, 
Man griff ihn längſt und gab ihm ſeinen Teil. 


Lepetit 
Nein — von der Polizei wird uns berichtet, 
Er ſei hier in der Gegend von Berlin. 


Delacour 
Hier in der Gegend? Ja, dann allerdings — 


Gautier 
Bleibt er für mich. — Ein widerwärt'ger Auftrag. 


Genug davon. 
(Wendet ſich zu Heinrich) 


Ich ließ Sie etwas warten, 

Verzeihen Sie. 
Heinrich 

Sie haben mich beſtellt? 


Gautier 


Das tat ich. 
Heinrich 
Darf ich nach dem Grunde fragen? 


Gautier 
Mich freut’s, daß Sie durch Pünktlichkeit und Eifer 
Sich Frankreich dankbar zeigen, junger Mann. 


Heinrich 
Danfbar — Herr General? 


Gautier 
Schon gut, Sie wifjen. 
Sch bin zu fehr in meiner Zeit bejchränft, 
Sonft fagt’ ich Ihnen Ihren Auftrag felbft. 
Statt meiner ſchick' ich Ihnen einen Mann, 
Der unfre AUbficht weiß — Gie fennen ihn — 


Heinrich 
Sch kenne ihn? 


Dritter Akt 435 





Gautier 
Er wird mit Ihnen fprechen, 


Und Sie auf das genaufte unterrichten. 
(Klingel) 


Zehnter Auftritt 


Diener Pur die Mitte) 


Gautier 
Der Herr, der drüben wartet im Bureau, 
Ich laſſ' ihn bitten. 
(Diener links ab. Zu Heinrich) 
Hören Sie genau, 
Und laffen Sie mich bald, verjtehen Gie, 
Recht bald von Ihren Refultaten willen. — 


Sch bitte, meine Herr’n, zum Gouverneur. 
(Gautier, Lepefit, Delacour durch die Mitte ab) 


Heinrich (allein) 
Wo zielt das hin? Was hat das zu bedeuten? 
Man fpricht vor mir, als wär’ ich ein Franzofe? 
Frankreich zu Dank verpflichtet — ih? Mein Auftrag — 
Was für ein Auftrag? nd der Unbekannte, 
Der mich einweihen ſoll? — Bier liegt ein Rätjel — 
Berhüte Gott, daB ich die Löfung fand, 


Elfter Auftritt 
Balentin Bergmann (von links) 
Heinrich 
Bater! Du bier? 
Balentin 
Warum verwundert’sS dich? 


Heinrich 
Der Kommandant fprach mir von einem Manne, 
Der eingeweiht in feine Pläne fei. — 
Bift du der Mann, von dem er fprach? 


PBalentin 
Sch bin’s, 
(Paufe) 


28* 


436 Väter und Söhne 





Du mußt mir fchon erlauben, mich zu fegen, 
Sch bin nicht mehr der Rüftigfte, 


Heinrich 
O — bier! 
(Bringt ihm einen Stuhl, Valentin jest fich und hält Heinrich, der zurücktreten till, 
an der Hand feft) 

Balentin 
Bleib doch ein wenig bier bei deinem Vater — 
Mein Auge muß die Dinge, die e8 liebt, 
Sn feiner Nähe haben. 





Heinrich (degt den Arm um feinen Hals) 


Iſt's jo recht? 


Balentin 
Mein liebes Rind — ich glaubte, du ſei'ſt ftolz, | 
Und mwollteft jest, als ein ftudierter Mann, | 
Nichts mehr vom alten Dorffchulmeifter willen? | 


Heinrich | 
Das dachteft du? Sieh, wie du dazu lächelft. | 
Küßt ihn) i 
Wir fahn uns lange nicht. | 





Balentin 
Doch, Gott fei Dank, 
Freut's mich, daß ich dich alfo wiederſehe. 
Du ftehft vor mir wie ein erfüllter Wunfch, 
Du bift nun das, was er nicht werden durfte. 


Heinrich 
Durch deine Güte, die mich Jahr für Jahr 
Mit Mitteln ausgerüftet zum Studieren. 
Das hat mich oft gewundert, lieber Vater, 
Sch dachte ftets, du wärft ein armer Mann, 
Doch jedes Jahr haft du mit Geld und Mitteln 
Sp reichlich mich verfehen — 


PBalentin 


Lab das jetzt. — 
(Betrachtet ihn) 


Dritter At 437 





Er fünnte anders nicht ausſehn als du, 
Wenn er noch lebte. 

Heinrich 

Lab die Toten ruhn. — 
Sieh’, eine neue Seit ift aufgegangen; 
Das Baterland ward eine Mutter ung 
nd Eniet, ein büßend Weib, an Wilhelms Grabe, 
Die Wunden Füffend, die vor Zeit es fchlug. 


Balentin 
Weil man die Geißel aus der Hand ihm riß — 
Weil man Gerechtigkeit erzivang. 


Heinrich 
Nicht jo — 
Balentin 
Ohnmächtig war’3 und darum war es fanft, 
Jetzt kehrt der alte böſe Geift zurüd, 
Es regt fih ihm die Kraft. 


Heinrich 
Doch dieſen Kampf, 
Zu dem es rüſtet, wirſt du nicht verdammen? 


Valentin 
Laß andre alſo denken; du, mein Sohn, 
Darfſt ſo nicht denken, deine Freunde ſtehn 
Auf andrer Seite. 


Heinrich 
Auf — der Seite Frankreichs? 


Valentin (erhebt fi) 
Denkſt du des Schwurs, mit dem du deinem Bruder 
Blutbrüderſchaft gelobtejt in das Grab? 


Heinrich 
Sch ſchwur's, ich weiß — und weiß auch, daß ich’S hielt. 
Balentin 


Du bielt’ft eg einmal — ewig ift der Tod — 
Drum bindet folh ein Schwur für alle Zeiten. 


438 


Bäter und Söhne 





Heinrich 

Sollft du mir das von den Franzofen jagen? 
Balentin 

Ja — denn e8 fchreibt dir deine Pflichten vor. 
Heinrich 

Und diefe Pflicht — 
Balentin 


Heißt fie zu unterftügen 
Auf Tod und Leben. 

Heinrich 

Die Sranzofen? 


Balentin 
a. 
(Paufe) 
Heinrich 
Sage mir deutlich, was man von mir fordert. 


Valentin 
Man wirbt und rüſtet, junge Männer ſtrömen 
In Scharen den freiwill'gen Jägern zu. 
Erkunde das geheime Loſungswort, 
Das ſie verbindet; zähle ihre Stärke; 
Die Orte, wo ſie heimlich ſich verſammeln, 
Die Orte, wo ſie ſich in Waffen üben, 
Erforſche die. 

Heinrich 


Sprich deutlich. 


Valentin 
Tat ich's nicht? 
Heinrich 
Bei Namen nenn's, was du von mir verlangſt, 
Sch fol Spion für die Franzoſen fein! 


Balentin 
Nenn’s, wie du willft — gedenfe deines Bruders 
Und fo tritt unter fie. Wo du ein Auge 








nd ee ie 


Dritter Akt 439 





Sm Grimm entlodern ſiehſt, dent’ deines Bruders 
Und zürne grimmiger; wo fich ein Plan 
Zur Tat beranfchleicht, denke deines Bruders 
Ind wie ein Geier fall’ darüber her! 
(Paufe) 

Heinrich 
Der Mann ift tot, der deinen Sohn getötet; 
Sein Weib und Kind verfchmachten in Verziveiflung ; 
Sein Sohn ein ehrlos heimatlofer Mann — 
Bater — bift du noch nicht zufrieden? 

Balentin Kein! 
Gebt meinen Sohn mir wieder! Könnt Ihr’s nicht, 
Dann feinen Frieden zwifchen Euch und mir! 


Heinrich 
Dem Baterland erklärſt du Krieg? 


Balentin 
Mein Sohn! 
Die Tyrannei erjchlug mir meinen Sohn 
Und aus dem blut’gen Staub von Auerſtädt 
Erhebt fie wieder das verfluchte Haupt. 
Heinrich 
Das — ift nicht wahr! 
Balentin 
Heinrich ! 
Heinrich 
Sieh diefes Blatt: 


(nimmt den Aufruf vom Tiſch) 
Urkunde iſt's für neue, beſſ're Seit: 
Für jeden gleiche Pflicht und gleiches Recht, 
Der Arme blutet nicht mehr für den Reichen, 
Und wenn die Trommel jest zum Streite ruft, 
Steht Arm an Arm gefchloffen arm und reich! 


Balentin 
Wer find die Narren, die freiwillig wieder 
Ins Joch, das man von ihrem Naden riß, 
Sich beugen werden? 


440 


Bäter und Söhne 





Heinrich 
Bon den Taufenden, 
Die fo zu tun gedenken, fieh bier mich! 


Balentin 
Du wollteft? 


Heinrich 
Sch! 
Valentin 


Heinrich, du wirft es nicht. 


Heinrich 
Wer hindert mich? Und wer verwehrt's? 


Balentin 
Dein Eid! 
Heinrich 
Eid gegen Eid! Des Mannes ganzes Leben 
Sit ftummer Treueſchwur dem Vaterland, 


Balentin 
Dem Land, das deinen Bruder mordete? 


Heinrich 
Man rechtet nicht mit feiner Mutter Sünden. 


Balentin 
Dein Bruder, merk' ich, ift für dich vergeffen, 
So höre, was dein Vater dir befiehlt! 


Heinrich 
Befiehl nicht, was ich nicht erfüllen kann, 
Befehl mir nicht, daß ich ein Schurfe werde! 


Balentin 
Du wirft es, wenn du gegen jene kämpfſt, 
Denen du alles danfft, was du bejigeft. 


Heinrich (furchtbar auffahrend) 
Ha — was war das? Wem danf ih? Was verdanf ich? 
(Paufe) 
Der Kommandant fprach mir vorhin von Dank, 








ai 57 Misch Ba da a 


N ana nd nn 


Dritter Akt 441 





Den ih an Frankreich fchulde — ich verftand’s nicht — 
Mir jcheint — du weißt — 


PBalentin 
Erklärung fol dir werden: 
Daß du erlangtejt, was dein Herz begehrte, 
Daß du ftudierteft auf der hohen Schule, 
Das dankſt du Frankreich. 


Heinrich 
Wie verfteh’ ich das? 
Balentin 
Das Geld, das du empfingit — 
Heinrich 
Um Gotteswillen — 
Valentin 
Erhielteſt du von Frankreich. 
Heinrich 
* Fluch und Tod! 
* (Schlägt die Hände vor das Geſicht) 
Vater — das tateſt du an deinem Sohn? * 
Valentin 


Was tat ich dir? War's nicht dein tiefſtes Sehnen, 
Das ich erfüllt? 
Heinrich 

Vom Blute meines Landes, 
Das ſie erpreßten, hab' ich mich gemäſtet! 
Verkauft mein Wille! Mein Gefühl gefeſſelt! 
Der Armut bitterlicher Jammerſchrei, 
Des Kindes Winſeln, und die ſtumme Träne 
Der Mutter, der das letzte Brod man nahm, 
Sie galten mir! Sechs Jahr' lang gaben ſie, 
Sechs Jahr' lang ſtrich ich ein, was ſie gegeben, 
Und ließ mich füttern von den Anterdrückern! 


Balentin (legt ihm die Hand auf die Schulter) 
Hör’ mich, mein Sohn — 


442 


Bäter und Söhne 





° Heinrich (tritt zurück) 


Lab deine Hand von mir! 
Spionenfold Hebt dran! 


Balentin 
Du Undankbarer ! 
Sieh dir die Hütte an, in der wohne 
Und fieh, ob ich von diefem Geld genof, 
Sch nahm's für dich. 


Heinrich 
Und hätt'ſt du mich gefragt, 
So hätt ich’8 vor die Füße dir geworfen | 


Balentin 
Rnabe — auf deinem Schickſal hat mein Auge 
Snbrünftig fechsundzwanzig Jahr' geruht. 
Sch blieb im Staub, damit.ich meine Söhne 
Befreite aus dem Staub, der fie gebar, 
Dein Leben war das Ziel des meinigen! 
Für Wilhelm Eonnt’ ich fchaffen — ich war ſtark — 
Für dich konnt’ ich's nicht mehr, denn ich bin alt — 
Sohn — machft du meine Armut, meine Liebe, 
Sohn machſt du meine weißen Haare mir 
Und meine müden Glieder mir zum Vorwurf? 


Heinrich 
Vater — für deine Liebe liegt mein Herz 
Zu Füßen dir — doch daß du mich befchenkteft 
Auf KRoften meines Vaterlandes — dafür — 


Dafür fei — 
Balentin 
Heinrich! Deinem Vater das? 
Heinrich 


Du biſt mein Vater — ſchweigend laß mich gehn, 
Ein andrer richte zwiſchen dir und mir. — 
(Wendet ſich zum Abgehen) 








EN VE EN 


Dritter Akt 443 








Zwölfter Auftritt 


Lepetit (eilig durch die Mitte zu den Vorigen) 


Lepetit 
Halt, halt, mein Lieber, gehen Sie noch nicht — 
Bortrefflich, daß ich hier Sie beide finde — 
Sie fennen ja den Leutnant Ingersleben ? 


Balentin 
Was ift mit dem? 

Lepetit 

; Soeben wird ein Mann 
Hierher gewiefen durch die Polizei — 
Sein Ausfeh’n ift verdächtig — täufcht nicht Alles, 
Sp haben wir den Fuchs. — Warten Sie bier, 
Sie werden ung den Schelm entlarven helfen. 
(Ab durch die Mitte) 


Heinrich (nad einer Paufe vol innerlichen Kampfes) 

Bater — wenn es der Ingersleben ift, 
Was wirft du fun? 

Balentin 

Sp werd’ ich ihnen fagen, 
Daß er es ift. 

Heinrich 

Er wird erfchoffen, Vater, 

Wenn du es fagit. 

Balentin 


Sch weiß. 


Heinrich 
Und dennoch? 
Balentin 
Ja! 
Heinrich (alt knirſchend die Fäuſte) 

Nun denn, fo wähle zwifchen deiner Rache 
Und deinem Sohn! 

Valentin 

Was hat das zu bedeuten? 


a Bäter und Söhne 





Heinrich 
Es ift ein Eidfehwur unter den Studenten, 
Jeden Spion zu töten. — Hör’ genau: 
Verrätſt du ihn, fo geb ich bier vom Fleck aus 
Und zeig’ mich an, daß ich ſechs Jahre lang 
Geld als Spion empfing! 


Balentin 
Das — wollteſt du? 


Heinrich 
Das ſchwör' ich dir bei Wilhelm, deinem Sohn! 
Ich höre ihre Schritte vor der Pforte — 
Bater — ich ſchwör's bei Wilhelm, deinem Sohn! 








Dreizehnter Auftritt 


Lepetit, Ferdinand von Ingersleben (letzterer in ziemlich verwilderter, 
bürgerlicher Kleidung, bärtig). Franzöſiſche Diener und DOffizianten, 


NE 


Sngersleben (u Lepetit) 
Sch weiß nicht, was Sie länger von mir wollen? 


Lepetit 

Nur eine Kleinigkeit. 
(Plöglich zur Umgebung) 
Berfchließt die Türen | 
(Zu Sngersleben) 

Sie find der eh’mals preuß’fche Offizier 
Bon Ingersleben | 

Heinrich 

(welcher hinter Ingersleben ſteht, flüſtert, ohne ſich zu bewegen) 
Nein — ſagen Sie nein! 


Ingersleben 
Sie irren ſich — 


Lepetit Geigt auf Heinrich und Valentin) 


Betrachten Sie die beiden, 
Und bitte, meine Herrn — 
(Sngersieben wendet fich) 
Rennen Sie die? 





Dritter Alkt 445 





Ingersleben (ichrlich erſchreckend; für fich) 
Wo fah ich die — 


Lepefit gu Heinrich) 
Sit er's? 


Heinrich 
Ih kenn' ihn nicht. 
Lepetit 
Doch er erfchraf, als er Sie ſah; er Fennt Sie! 


Heinrich 
Ich babe dieſen Mann niemals geſeh'n. 


Lepetit (zu Valentin) 


Bielleicht ift Ihr Gedächtnis wen’ger ſchwach; 


(Heinrich, ohne fich zu regen, blickt Valentin mit furchfbarem Ausdrud an. Valentin 
fieht an Ingersleben vorbei auf Heinrich) 


Seh’n Sie den Mann fich an, nicht ihren Sohn. 
Sit dies der Sohn des Mörders Ihres Sohnes? 


Valen tin (zgude fchredlich zufammen) 
Ich — kenne — ihn nit. 


Lepetit . 
Deutlih! Noch einmal! 


Balentin (mit erlöfchender Stimme) 
Nein — 
Lepetit (ftampft mit dem Fuße) 
Und dennoch ift er’s! Meinen Kopf darauf! 


Es Sngersleben 
Bin ich entlaffen? 
Lepetit 
Tod und Teufel, nein! 
Heinrich 
(gebt bei Ingersleben vorbei zu Lepefit. Im Vorübergehen flüftert er Ingersleben zu) 
Still — fprechen Sie fein Wort! 


(zu Lepetit) 
Herr Sekretär, 
(Zeife) 


446 Bäter und Söhne 





Sechs Jahre in Gefangenfchaft verändern — 
Ich hänge mich dem Manne an die Ferfen — 
Erkenn' ich ihn und ift es Ingersleben — 


Lepetit (ebenfo) 
So bringen Sie mir Nachricht auf dem Fleck. 


Heinrich 
Ich tu’s, fo wahr ich Frankreichs treuer Diener. 


Borhang fällt 
Ende des dritten Aktes 


Vierter Akt 


Erſte Szene 


Ein einfaches Zimmer. Türen links und in der Mitte. Rechts ein 
Fenſter. An den Wänden einige Familienporträts, an denen man 
Blumen angebracht ſieht. 


Erſter Auftritt 


Adelheid (figt am Tiſche links vorn; fie iſt Damit beſchäftigt, Blumen in einer Vaſe 
zu ordnen; hell gekleidet), Frau von Zngersleben (komme von links, bleibt 
auf der Schwelle ftehen, indem fie die Blumen an den Bildern und dann Adelheid, 
die fie nicht bemerkt hat, mit erftaunten Blicken muftert; fie ift ganz ſchwarz gekleidet) 


Frau von Sngersleben 
(tritt zu Adelheid, der fie die Hand auf die Schulter legt) 
Wem duften diefe Blumen, Adelheid? 
Wem fehmücft du fo das Zimmer? Und für wen 
Haft du zum erftenmal die fchwarze Trauer 
Bertaufcht mit diefem freundlichen Gewand? 
Sag’ warteft du auf Semand? 


Adelheid citeht auf, fällt ihr um den Hals) 
Mutter, ja, 
Ich wart auf einen, und du weißt auf wen! 


Frau von Sngersleben 
D Kind — vergaßeft du, was du verfprachjt? 
Was greifft du wieder in die alte Wunde? 


— ER: 
ah Da A eh a re a are 


Dritter Akt 


447 





Adelheid 
Sch fah ihn wieder diefe Nacht im Traum — 
Glaubt du an Träume? 


Frau von Ingersleben 
Glaube ihnen nicht! 
Ich weiß, fie lügen, denn fie zeigen uns 
Menschen lebendig, die es nicht mehr find. 


Adelheid 
Doch wenn er diesmal wahr gefprochen hätte? 
Es kann ja doch noch fein, daß er noch lebt? 


Frau von Ingersleben 
Es kann noch fein — der Troft, den man uns reicht, 
Zi Maßſtab für die Größe unfres Elends! 


Adelheid 
D bitte, hör’ mich — 


Frau von Ingersleben 
Sieh mir ins Gefiht — 
Kannſt du im Ernft noch hoffen? 


Adelheid 
Ganz im Ernite, 


Frau von Ingersleben 
Ach, daß die Jugend niemals doch empfindet, 
Wie graufam mit dem Alter fie verfährt. 


Adelheid 
Graufam? Nennft du mich graufam? 


Frau von Ingersleben 
Adelheid — 
Ich hab gehofft — ich hab’ auf ihn gewartet — 
Hoffnung, die leben fol, muß Nahrung haben, 
Verwelfte Hoffnung blüht nicht wieder auf! 
Er kommt nicht mehr — dort drüben harrt er meiner, 
Und die Verleumdung figt auf feinem Grab! 
(Sie tritt ans Feniter) 


448 Väter und Söhne 





Du ſtrahlend Aug' im Angeſicht der Welt, 

Sonne, ob im Bereiche deines Lichtes 

Noch ein Planet ſich ſchwingt, bewohnt von Weſen, 
So mit der Fähigkeit zum Leid begabt, 

Wie es die Menſchen ſind auf dieſer Erde, 

Sage mir das — Du biſt nur ſtummes Licht, 

Und in das aufgeſchlagne Buch des Himmels 
Schreibſt du das ewig alte Einerlei: 

Ein Tag und noch ein Tag — nach allen Tagen 
Die Nacht doch endlich — wären wir ſo weit. 


Adelheid 
Wenn du dich meinem Glauben ſo verſchließeſt, 
So hör', was ich erfuhr beim Kommandanten: 
Er lebt — er riß ſich aus Gefangenſchaft — 
Er iſt in unſerm Vaterlande — 


Frau von Ingersleben 
Ah — 
(ſie ſinkt krafllos in den Seſſel am Fenſter) 
Kein Wort mehr — alles was du ſagen könnteſt, 
Es wäre Mißklang neben dieſem Wort - — 


Komm her zu mir — 
ge! fniet neben ihr) 


Sp heimlich und fo leife, 
Daß es das neid’fche Schickſal nicht vernimmt, 
Sprich mir noch einmal das geliebte Wort: 


Er lebt? 
Adelheid dielig flüfternd) 
Ja, Mutter meines Ferdinand, er lebt. 
Frau von Ingersleben 


(drückt Die Hände in ftummer, —— Freude ans Geſicht, Dann zieht fie Adel- 
heids Haupt an fich) 


Ach — Sei der Mund gefegnet, der fo Sprach, 
Ich will ihn küſſen! Küffen! Du im Himmel, 
Gott, fieh hernieder auf dies Angeficht ! 

Wenn du der Mutter ihren Sohn verfagit, 
Berweig’re nicht fein heilig Necht dem Rinde: 
Dies Antlig — hat e8 feinen Anteil nicht 
Um füßen Recht der Frau, geliebt zu fein? 


Adelheid (richtet lauſchend den Oberkörper auf) 
Horch da — 


Vierter Akt 449 





Frau von Sngersleben 
Was hörſt du? 


Adelheid 
Draußen — einen Schritt — 
Den Schritt — ich kenn' ihn! 
(Sie fpringt auf) 


Zweiter Auftritt 


Ferdinand (reißt die Mitteltür auf) 


Ferdinand 
Mutter! 


Frau von Ingersleben (richter ſich im Seſſel auf) 


Ferdinand! 
(Sie finkt in Adelheid Arme, Ferdinand fritt Herzu, nimmt fie in die jeinigen) 


Adelpeid 
Es überwältigt fie! 


Frau von Ingersleben 
Nein — jest nicht fterben! 
Nur nicht in diefer Stunde — Ferdinand! 


Ferdinand 
D Mutter, Mutter! AUnd mein trautes Herz, 


Geliebte Adelheid ! 
(Drüct beide mit beiden Armen an fich) 


Adelheid 
Mein Ferdinand! 
Willſt “ dich fegen, Mutter? 


Frau von Sngersleben 
Laß mich bier, 
Sonft kann ich ja fein Herz nicht fchlagen hören; 
Sechs Jahre lang erſehnt' ich diefen Laut. 


Ferdinand 
Ja, eine lange, fürchterliche Zeit 
Für Eu, für mich und für das Vaterland. 


Dramen VI 39 


450 Bäter und Söhne 





Frau von Ingersleben 
Doch jett in meinen Armen, lebend wieder. 


Ferdinand 
Sch hätt’ im Grabe feine Ruh’ gefunden, 
Denn ohne Lebewohl verließ ih Euh — 
Damals — entfinnt Ihr Euch? 


Frau von Ingersleben 
Laß diefes Damals 

Vergehn in gegenmwärt’ger Geligfeit. — 
Romm, laß uns fchweigend Aug' in Auge ſchauen 
Und diefen AUugenbli des tiefen Glücks 
Loslöfen von Vergangenheit und Zukunft. 
Denn fo wie damals, ald du mir im Schoß 
Gleich einer reinen Blütenflode lagſt, 
©» biſt du heut aufs neue mir gegeben 
Und zeitlos fo ift einer Mutter Liebe. 


Ferdinand 
Geliebtes Haupt, wie haben dich die Sorgen 
Mit Reif bedeckt! — Euch beide hab’ ich wieder — 
Wir waren dreie, als ich Euch verließ? — 
Ihr ſchweigt auf meine Frage? 


Adelheid 
Frage nicht. 


Ferdinand 
Nein — dann bedarf es feiner Frage mehr. — 
Wahr aljo iſt's, was mir Gerücht verlündet — 
Wann ftarb er? 


Srau von ISngersleben 
Wann? Er ftarb in jener Nacht — 


Ferdinand 
Als ich Küftrin verließ? So furchtbar plöglich ? 
Erfuhr er auch, warum ich in der Nacht 
Küftrin verließ? 


Vierter Att 451 





Frau von Sngersleben 
Sag's deiner Mutter, Sohn, 
Warum du gingft? 


Ferdinand 

So hörtet Ihr e8 nicht, 
Daß ich es unternahm, mich durchzufchlagen, 
Um Hohenlohe zum Entſatz zu rufen? 


Frau von Ingersleben 
Gott jei gelobt! Sch wußt' es! 


Ferdinand 


Mutter! Mutter! 
Was bat das zu bedeuten? — Wenn du fchweigft, 
Dann, Adelheid, ſprich du. 


Adelheid 
Stage mich nicht. 


Ferdinand 
a, ich will wiffen, wie man es gedeutet, 
Daß ich die Feftung in der Nacht verließ! 


Frau von Ingersleben 
Jawohl, du haft ein Recht zu folcher Frage, 
Und follit es wiſſen. 


Adelheid 
Mutter — 


Frau von Ingersleben 
Still, mein Rind, 
Die Klage dem Verklagten hehlen wollen 
Heißt, ihn für fchuldig halten. — Ferdinand — 
Man jagt — o es ijt ftärker alg mein Mut — 


Ferdinand 
Man fagt? Was jagt man? Sprich! 


29* 


452 


Bäter und Söhne 





Dritter Auftritt 
Heinrich (durch die Mitte zu den vorigen) 
Seinri 
9 Sind Sie noch hier? 
Berbergen Sie fih, Herr von Ingersleben, 
Man ift auf Ihrer Spur. 


Adelheid 
Wer? 
Heinrich 
Die Franzofen. 
Ein jeder Ihrer Schritte ward belaufcht, 
Man ſah, daß Sie in diefes Haus getreten, 
Wo Ihre Mutter wohnt — 


Adelheid 
j D retten Sie — 


Ferdinand 
Die Wohnung ift zu eng, mich zu verbergen! 
Heinrich) 
Bielleicht daß ung der Ausgang offen blieb; 


Warten Sie bier! 
(Ab Durch die Mitte) 


Ferdinand 
Wo Jah ich diefen Menfchen? 


Adelheid 
Sabit du ihn ſchon im Leben? Kennt du ihn? 


Ferdinand 
Ich fah ihn kürzlich erft beim Rommandanten — 
Doch mein’ ich, daß ich früher fchon ihn ſah — 
Wüßt' ich zu jagen, wo es war und wann, 


Vierter Auftritt 
Heinrich (durch die Mitte zurück) 
Heinrich 


Das Haus ift von franzöfifchen Soldaten 
Allſeits umftellt. 


Vierter Att 





Ferdinand 
Das beißt — ich bin verloren! 


Heinrich (in fliegender Haft) 
Noch nicht — hören Sie mi — Gen’ral von PVorf, 
So hört’ ich, ift im Marfche auf Berlin. 
Ihr Haus ift zwanzig Schritte Faum vom Tor, 
Ich bahne mir den Weg durch die Franzofen, 
Ich eile ihm entgegen und ich rufe 
Die Preußen ber zu Ihrer Mutter Haus! 


Adelheid 
D eilen Sie, mein Herr, o eilen Gie! 


Heinrich 
Sie unterdeffen, wenn der Kommiſſär 
Sie hier verhaften will — Gie halten ihn 
So lange hin, bis daß ich wiederfomme — 


Ferdinand. 
Und Sie — Sie werden wirklich wiederfommen? 


Heinrich 
Sonft follen Sie mich lebend nicht mehr ſehn! 
Eilend durch die Mitte ab) 


Adelheid (türzt Frau von Ingersieben um den Hals) 
Noch laß uns nicht verzweifeln, Mutter, Mutter! 
Gott wird ihn nicht verlaffen! 


Ferdinand 
Hoffet nicht! 
Ich bin verraten, und mir jagt mein Herz, 
Sch bin’s durch diefen Mann, und dem Verräter 
Vertrau' ich meine legte Rettung an! 
D Hohn des Schicfals! 


Frau von Ingersleben 
Ferdinand. — du glaubit, 
Daß diefer dich verriet? 


454 


Bäter und Söhne 





Adelheid 
D wenn es wäre — 
Wahr ift’s, ich jah ihn auch beim Rommandanten, 
Und ein Geheimnis waltet um den Mann! 


Ferdinand 
Wer ift er, diefer Menfch, der wie ein Schatten 
Sich ruhelos an meine Ferfen beftet? 
Die Züge des Gefichtes jahn mich an 


Wie halberlofch’ne Zeilen der Erinn’rung — 
(auſcht an der Mitteltür) 


Still da — es dröhnen Schritte auf der Treppe — 
Sie kommen — o — bleibt mutig — 


Frau von Ingersleben (umfhlingt ihn) 
Sohn — mein Sohn! 
(Schläge an der Mitteltür) 
Lepetit (von draußen) 


Öffnet die Türe, in des Kaiſers Namen | 
(Adelheid wirft jich, indem fie die Augen verhült, auf den Seſſeh 


Ferdinand (aut) 
Die Tür ift offen, ſparen Sie den Lärm. 


Fünfter Auftritt 
Lepetit. Zwei Polizeibeamte (durch die Mitte) 


Frau von Ingersleben 
Was fuchen Sie? Wen fuchen Sie, mein Herr? 


Lepetit 
Den, welchen Sie in Ihren Armen halten, 


Den Heren von Ingersleben, Ihren Sohn. 
(Zu Ferdinand) 
Sch wußte, daß Sie's waren, folgen Sie. 


Frau von Sngersleben 
Wohin mit ihm? 
Lepetit 
Das werden Gie erfahren, 
; { * ‚Su Ferdinand) 
Sind Gie bereit, freiwillig mitzugehen? 


PBierter Akt 455 





Ferdinand 
(Halblaut zu Adelheid gewandt, die am Fenfter lehnt, welches fie aufgeftoßen bat) 
Siehft du von Rettung nichts? 


Adelheid 
Bon ferne hör’ ich 
Lärm und Gefchrei und Klang wie von Mufik! 


Lepetit 
Noch einmal: kommen Sie freiwillig? 


Ferdinand 
Rein! 
Lepetit 
Dann alfo mit Gewalt! 


Sechſter Auftritt 
Ein franzöfifher Polizeitommiffär Glick durch die Mitteltür herein) 


Herr Sekretär! 
Das Volk macht einen Auflauf vor dem Haufe! 


Lepetit 

Hinunter! Jagen Sie ſie auseinander! 

(Kommifjär ab. Er winkt den übrigen Beamten zu) 
Und vorwärts — Hand an diefen angelegt! 
(Die Polizeibeamten dringen auf Ferdinand ein, er ſtößt fie zurüd) 

Ferdinand 

Nehmt Eure Händ’ in acht und Eure Köpfe! 
Shr Frauen — tretet hinter meinen Rüden! 


Lepetit 
Sie folgen, ſag' ih — 
Siebenter Auftritt 


Heinrich Puch die Mitte) 
Folgen Sie ihm nicht! 


Lepetit 
Sie unterſtehen ſich? 


456 Bäter und Söhne 





Heinrich 
3a, Schöner Herr! 


Jetzt find Sie mein Gefang’ner! 
(Näher und näher dringender mächtiger Lärm. en Muſik; dann in nächfter 


Nähe der Vorkſche M 
Hört Ihr das? 
Wie e8 von Gafje donnernd rollt zu Gaffe? 
Die Freiheit naht! 


Ferdinand (ftürzt ans Fenfter) 
Stimme des Paterlandes ! 
Die Schlachtmufif der preuß’fchen NRegimenter! 


Achter Auftritt 


Der Polizeifommiffär (durch die Mitte) 
Was machen Sie bier noch, Herr Oefretär? 
Gen’ral von Vork mit achtzehntaufend Preußen 
Rüdt in die Tore von Berlin! 


Lepetit 
Berflucht! 
Das ift ein Aufftand ! 


Rommiffär 
Nein, es ift der Krieg! 
Sort, ſchnell, nur fchnell, denn eine Rompagnie 


Rückt geradenwegs heran. 
(Zu Heinrich) 


Sie find es, Schurke, 
Der fie hierherwies! 
Heinrich 
Den Spionenfold 
Zahl’ ich mit Sinfen Ihnen heute wieder! 


Neunter Auftritt 


Sauptmann Thynkel BE BEEN TIDER EDER OLE" und gefolgt von Bürgern 
unter welchen Riekebuſch (erjcheint in der Mittelfür) 


Thynkel 
Sie ſehn, daß Widerſtand hier nicht mehr fruchtet, 
Ergeben Sie ſich. 





Vierter Akt 457 





Zepetit: 
Kriegsgefangen ? 


Thynkel 
a, 

Als Kriegsgefang'ne. 

Lepetit 

Nun, hier iſt kein Ausweg. 

(Zum Kommiſſãär) 

Bis daß der Wind uns wieder günſtig weht, 
Kommen Sie, Freund! 


Thyn kel 6u den Soldaten) 
Führt dieſe Herren ab. 


Riekebuſch 
Gu'n Morgen, Herr Lepetit. 


Lepetit 
Ah, Patron — iſt Er auch wieder da? 


Riekebuſch 
Allerdings, oui Musjeh. Nu wollen wir Ihnen mal den 
ollen Frig zeigen — durch 'nen Guckkaſten — verjtehen Sie? 
mit blau angelaufene Augen. — Hurra Jungens, alleweile wird’s 
Iuftig! Alleweile jeht’s los! 
Eepetit, Kommiſſär, Riefebufeh, Bürger und Soldaten durch die Mitte ab) 


Thynkel Per unterdeffen Ferdinand ſcharf betrachtet Hat) 
Hier ift fein Irrtum möglich — es ift er. 
Critt auf Ferdinand zu) 
Von Ingersleben — kennen Sie mich noch? 


Ferdinand (itrede ihm die Hände zu) 
Mein Freund und mein Ram’rad. 


Thyn kel (tritt zurüc) 
Das war ich einſt — 


Ferdinand 
O — Hölle — 


458 


Bäter und Söhne 





Thynkel (u Frau von Ingersleben) 
Sch bedaure, gnäd’ge Frau, 
Dies ift der ſchwerſte Teil von meiner Pflicht — 
Bon Ingersleben — ich verhafte Sie. 


Frau von Ingersleben (fintt auf den Stuhl) 
AUlmächtiger — 
Ferdinand 
Berhaften? Mih? Weshalb? 


Thynkel 
Als Deſerteur und Vaterlandsverräter! 


Ferdinand 
Wer nennt mich ſo? Wer wagt's? 


Thynkel 
Das wage ich; 
Das wagt die ganze preußiſche Armee. 
Erfparen Sie den Ihrigen das Schlimmifte 
Und folgen Sie freiwillig. 


Ferdinand 


Mutter, Mutter, 
Das war’s, was du zu jagen nicht vermochteft — 


rau von Ingersleben und Adelheid (umarmen ihn) 
Wir gehn mit dir 

Thynkel 

Nein — ich bedaure ſehr — 


Ferdinand 
Was hängt Ihr Euch an den ehrloſen Mann? 
Laßt ab, bleibt hier — denn das iſt unſer Schickſal, 
Allein zu ſein in letzter Stunde — o — 
Dies, fürcht' ich, wird ein langer Abſchied werden. 
(Ab mit Thynkel durch die Mitte) 


Frau von Ingersleben 


Ehrlos — verdammt — mein Sohn, mein Fleiſch und Blut! 


Ich will nicht leben, tötet mich mit ihm! 


Vierter Akt 459 





Heinrich (tritt zwifchen Frau von Ingersleben und Adelheid) 
Nicht fterben wird er; aus der Nacht der Schmach 
Wird feine Ehre leuchtend auferftehn. 


Adelheid 
Was fagen Sie, mein Herr? 


Frau von Sngersleben 
D Ieerer Troſt! 
Bor den Franzoſen konnten Sie ihn retten, 
Wer rettet ihn vor feinem Volke? 


Heinrich 


Ich! 
(Zu Adelheid) 
Ein einzig Wort, ein lestes Wort an Gie. 
€ t enüber, fie mit l U - 
(Paufe. Er fteh —— geg —— einen A —— rg em Blide an 
Adelheid (entt jhamvoll das Haupt) 
Was — haben Sie — zu fagen? 


Heinrich (ergreift ihre Hand) 
Ilnermeßnes, 
In einen Laut gedrängt: Fahren Sie wohl! 
D diefe Hand, fie war betaut mit Tränen, 
Als ich zum erjten Male fie gefüßt — 
Der Hand vertrau’ ich fcheidend mein Vermächtnis: 
Glückſelig wird Ihr Leben fünftig fein! 
(Er füht ihre Sand) 


Adelheid 
Sie gehen, meinen Ferdinand zu retten? 
Haben Sie Dank! 


Heinrich (inkt vor ihr in die Knie) 


Ach! 


Adelheid Geugt ſich über ihn) 
Tröfter meiner Seele — 
Auf meinem Herzen laftet eine Schuld: 
D edler Mann, vergeben Sie dem Weibe, 
Das zweifelnd Ihrem Herzen unrecht tat! 


460 Bäter und Söhne 





Heinrich 
Der Himmel fegne Gie für diefes Wort! 
Und wenn Gie nun von Dingen hören werden, 
Bon denen heut Ihr fühes Herz nichts ahnt, 
Bon einem Menschen, dem auf diefer Erde 
Rein Vater bleibt, fein Freund, fein Vaterland, 
Nichts als Erinn’rung fcehaudervoller Dinge 
Und als ein Traum von Menfchenfeligfeit — 
Wenn diefes Menfchen unglüdfel’ger Schatten 
An Shre Seele klopft — fein Sie barmherzig — 
Er wird fich nicht in Ihren Frieden drängen, 
Ihr Glück nicht ftören durch Erinnerung — 
Bon fern nur wird er ftehn — 


Frau von Sngersleben 
Wer Sie auch find, 
Dem Retter meines Sohnes jollen ewig 
Zwei Herzen offen ftehn! 


Heinrich (pringt auf) 
D Herr des Himmels, 
Der Traum nimmt überhand, und vor der Türe 
Steht Fraufe Wirklichkeit — lebt wohl — fahrt wohl. 
(Eilend ab durch die Mitte) 


Verwandlung 


Zweite Szene 


(Ein großer Saal, Tür in der Mitte, zu welcher Stufen führen. 
Links vorn ein langer Tiſch mit Stühlen) 


Erfter Auftritt 


Thynkel. Wille Andere Offiziere (aus dem zweiten Aft, links am Tiſche). 
Ferdinand (fteht auf Der rechten Geite Der Bühne) 
Thynkel (gu den Offizieren) 
Ihr kennt die Pflicht, die man. uns auferlegte: 
Ein Wort von uns filgt eines Mannes Ehre 
Für ewig aus, ein Wort gibt fie ihm wieder — 
Nicht Haß noch Liebe meiftre unfern Spruch. — 


Vierter Att 461 





Nur wer zur Garniſon Küſtrins gehörte 
Sol richten dürfen — bier ift mein Beweis, 
Daß ich in jener Nacht dabei geweſen. 


Wille 
Und bier der meine, 
Dffiziere 
Und der unfrige. 
(Sie ziehen die Segen des Fahnenfuches vor, legen fie auf den Tiſch) 
THhynfel Qu Ferdinand) 
Sie ſchwuren einft auf diefe Fahne? 


Ferdinand 
Sal 
Thynkel 
Bon Ingersleben, Sie find angeklagt, 
Daß Sie der Fahne Ihren Schwur gebrochen; 
Belennen Sie fich deflen ſchuldig? 


Ferdinand 
Rein! 
Wille (fährt auf 
Fragen Sie ihn, ob er Küftrin verließ, 
Als die Franzoſen vor der Feſtung ftanden | 


Thynkel 
Erklären Sie ſich. 
Serdinand 
Hört mich, Rameraden — 


Wille 
Wir find nicht mehr Ram’raden! 


Alle 
Rein! Nein! Nein! 


Thynkel 
In jener Nacht, als ſich Küſtrin ergab, 
Sah man Sie in dem Hauptquartier des Feindes. 
Geſtehen Sie's? 
Ferdinand 
Im Hauptquartier des Feindes? 


462 


Bäter und Söhne 





Thynkel 
Ja, im Quartiere Generals Gudin, 
Der die Franzoſen damals kommandierte. 


Ferdinand 
Gen'ral Gudin, — bei Gott, es fällt mir ein — 
Der Zufall leitete mich in ein Haus — 
Von den Bewohnern hört' ich — 


Wille 
Hörten Sie? 
Ein ſonderbarer Zufall, in der Tat. 


Ferdinand 
Warum? Was hätt' ich bei Gudin geſollt? 


Wille 
Das Geld empfangen! 


Ferdinand 


Hölle! Welches Geld? 


Wille 
Den Kaufpreis für Küſtrin! 


Ferdinand 


Der ſteht mir Rede, 
Wenn er kein Feigling iſt, der das mir ſagt! 


Wille 
Ich ſag's! 
Erſter Offizier (pringt auf) 
Und ich! 


Zweiter Offizier 
Ich auch! 


Alle 
Wir alle! alle! 


Ferdinand (tarrt ſie entſetzt an) 
Ah — das iſt ſchrecklicher, als ich gedacht. — 
Bin ich verurteilt, eh' man mich gehört? 


re are 


u ine 


DBierter Akt 463 





Thynkel 
Erklären Sie, warum Sie aus Küſtrin 
Ohne Erlaubnis in der Nacht entwichen? 


Ferdinand 
Um Hohenlohe zum Entſatz zu rufen, 
Den ich im Anmarſch wähnte auf Küftrin. 


Thynkel 
Um Hohenlohe? — Doch Sie wußten, daß der Fürſt 
Bei Prenzlau mit dem Heer Fapitulierte? 


y Ferdinand 
Ich wußt' es nicht. 


Thynkel 
Ich war dereinſt Ihr Freund — 
Sie ſprachen die Bewohner jenes Hauſes 
Und hörten nichts von Prenzlau? 


Ferdinand 
Nein — Fein Wort! 


Thynkel 
Glickt die Offiziere an, dumpfes Gemurre unter letzteren) 
Nun, das beklag' ich, daß Sie das geſagt — 
Durch jene beiden hörten wir von Prenzlau. 


Ferdinand 
Durch jene? 


Thynkel 
Ja — noch in derſelben Nacht. 


Ferdinand 
Dann weiß ich nicht mehr, was ich ſagen ſoll. 


Thynkel 
Unnötig wäre jedes weitre Wort — 
KRam’raden, brauchen wir noch mehr Beweiſe? 


Wille 
Zum Sprud! 


464 


Väter und Söhne 





Alle 
Zum Spruch! 
(Zautes Pochen an der Mittelfür) 
Ferdinand 
Hört mich! bei meiner Ehre, 
Bei allem, was mir heilig ift — 


Alle 
Zum Spruch! 
(Abermaliges Rlopfen) 
Thynkel 


Wer ſtört die Sitzung? Einen dieſer Herrn 
Bitt' ich, zu ſehn — 
Wille (geht an die Mitteltür, die er öffnet) 


Zweiter Auftritt 
Heinrich (außerhalb) 


Wille 
Wer find Sie und was woll’n Sie? 


Heinrich 
Zeugnis will ich ablegen für das Recht. 


Thynkel 
Was dringen Sie hier ein? In welcher Sache 
Kommen Sie her? 


Heinrich (tritt ein) 
Die Sache, die mich führt, 
Diefelbe ift’3, die nach Küſtrin mich führte, 
Us ich von Prenzlau Nachricht Ihnen brachte — 
Und fie heißt Ingersleben. 
(Die Offiziere fpringen auf) 


Thynkel 
Näher her! 


Ferdinand 
Ha — nun erkenn' ich ihn — ja dieſer war es, 
Den ich mit feinem Vater damals traf! 


Vierter Akt 465 





Thynkel 
Bei Gott — wenn die Erinn’rung mich nicht täuſcht — 


Wille 
Er ift es. 
Alle 
Sa, er iſt's. 
Thynkel 
Sie ſagten uns, 
Daß Ingersleben in dem Hauſe war, 
Sn dem Gen'ral Gudin Quartier gemacht? 


Heinrich 
Jawohl — doch ich verſchwieg, daß, als er's hörte, 
Vom Platz er ſprang und aus dem Hauſe eilte. 


Thynkel 
Und hörten Sie, wohin er eilte? 


Heinrich En 
a. 
Um für den Vater und das Vaterland 
Sich preiszugeben tödlicher Gefahr, 
Um Hohenlohe zum Entfag zu rufen! 


Thynkel 


Heinrich 
Den er auf Küſtrin 
In Anmarſch wähnte. 


m Hohenlohe — 


Thynkel 
Wie begreif' ich das — 
Sie wußten doch von Prenzlau? 


Heinrich 
Ja — ich wußt' es. 
Thynkel 
Und ſagten's ihm? 
Heinrich 
Nein! 


(Bewegung unter den Offizieren) 
Dramen VII 30 


466 Väter und Söhne 





Thynkel 
Sie verſchwiegen es? 


Heinrich 
Ja — ich verſchwieg's. 


Thynkel 


Warum? 
(Paufe) 


Alle 
Antwort! Warum? 
Heinrich 
Weil ih — verfchweigen wollte. 
(Zumult) 


Thynkel 
Herr des Himmels! 
Sie wußten, daß er ins Verderben ging 
Und konnten ſchweigen? 


Heinrich 
Weil ich's wußte, ſchwieg ich, 
Denn ſein Verderben war's, was ich gewollt. 


Ferdinand 
Was tat ich dir, daß du das wollteſt? 
(Paufe) 
Heinrich 
Nichts. 


Thynkel 
O ſchändlich, unerhörtes Bubenſtück! 
(Schwere Pauſe, die Offiziere flüſtern) 


Wille (tritt auf Ferdinand zu, reicht ihm den Degen) 
KRam’rad — wenn Gie mein Leben haben wollen, 
Hier iſt's — ftoßen Sie zu — ein jedes Wort 
Macht mich zum Schelm an Ihnen, das ich fprach. 


Ferdinand 
Mein Urteil fordr’ ich. 


Vierter Aft - 467 





Alle 
Sa, zum Spruch! Zum Sprud! 
(Die Offiziere Drängen ſich zufammen) 
Thynkel 

So ſprechen wir: Der Mann, der vor uns ſteht, 
Tat wider das Gebot der Diſziplin — 
Wir taten's auch in jener Schreckensſtunde 
nd feine Schuld iſt unſre; dieſer Mann, 
Sein Leben gab er offnem Tode preis, 
Und dem Berdachte gab er feinen Namen 
Fürs Vaterland — darum — du Mann — du Held — 
Nimm heut zurück aus der Ram’raden Händen, 
Was du niemals verloreft: Deine Ehre! 


Ferdinand (ihlägt die Hände vor das Geficht) 


Thynkel (türzt auf ihm zu) 
Ingersleben! Freund und Ramerad! 


Wille 
Sag’ ob du mir verzeibit? 


Alle 


D Ingersleben! 
(Sie umdrängen ihn, ſchutteln ihm die Hände) 


Ol! 


Ferdinand 
D meine Freunde, dieſe eine Stunde, 
Sie wiegt ſechs lange Jahre auf der Schmad! 


Dritter Auftritt 


Mehrere freiwillige Jäger (in ftudentifcher Kleidung treten d die o 
öetlebene icteitie Haftia auf) s .. — 


Erſter Zäger 

Verzeihen Sie den ungeſtümen Eintritt — 

Auf der franzöſiſchen Kommandantur 

Ward ein Spion entdeckt. Er und ſein Sohn, 

So ſagt man, überlieferten dem Feinde 

Den preußiſchen Off'zier von Ingersleben. 

Der Alte ward ſogleich vom Volk ergriffen, 

Der Sohn, ſo heißt es, trat bei Ihnen ein? 
30* 


468 Väter und Söhne 





Ferdinand 
Der Ingersleben, den Ihr fucht, fteht hier. 


Erfter Zäger 
Sind Gie’s, der aus der Pyrenäenfeſtung 
Bis Deutfchland fich hindurchfchlug ? 


Ferdinand 
3a, der bin ich. 
Erfter Jäger 
Dem die Franzofen Schritt und Tritt belauert, 
Shn zu erfchießen? 
Ferdinand 
Davon weiß ich nichts. 


Heinrich 
Ich aber hört' es — ja dies iſt der Mann. 


Erſter Jäger 
Ruft Heil auf ihn, der für das Vaterland 
Not und Gefahr ertrug! 


Alle Jäger 
Heil, Ingersleben! 


Erſter Jäger 
Uns, den freiwill'gen Jägern, ward das Recht, 
Uns ſelber unſre Führer zu erwählen; 
Ihr Name klingt ſo laut in unſren Herzen, 
Führen Sie uns im Kampf fürs Vaterland! 


Alle Jäger 
Führe uns, Ingersleben! 


Ferdinand 
Ja — ich will, ich will. 


Vierter Att 469 


Bierter Auftritt 


¶ Tumultuariſches Stimmengewirr, welches von außen näher und näher kommt, dann) 
Balentin Bergmann (eilend durch die Mitte, mit ihm ein großer Haufe Volks, 
die ihn gepadt Halten) 





Balentin (eiöt fih 109) 
Laßt Eure Hände von mir! 


Bolt 
Haltet ihn, 
Und an den Galgen! An den Galgen! 


Heinrich (türzt auf Valentin zu, umklammert ihn) 
Bater! 
Erfter Jäger 
Iſt das der Sohn des PVBaterlandsverräters? 


Thynkel 
Jawohl, das iſt er. 


Volk 
Hängt ſie, die Spione! 
(Stürzen ſich auf Valentin und Heinrich) 


Balentin 
Ihr habt mir meinen einen Sohn erfchlagen, 
Ich habe nur noch diefen einzigen, 
Ihr jollt ihn mir nicht töten, dürft es nicht! 


Erjter Jäger 
Zum Tod mit ihm! 


Heinrich 

Ich bitte nicht ums Leben, 
Doch laßt mich kämpfend für mein Vaterland 
Im Schlachtfeld ſterben. 


Erſter Jäger 
Nein! 


Alle 
Nein! An den Galgen! 


470 Väter und Söhne 





Balentin 
Unfehuldig ift er! Alles, was er tat, 
Und was gefchah, entfprang aus meinem Willen! 


Thynkel 
Zwiefach verflucht, daß du den eignen Sohn 
Mitriſſeſt in Verrat und in Verbrechen! 


Volk 
Laßt ihn nicht weiter ſprechen! 


Valentin 

Laßt mich ſprechen. 
In meinem Auge ſpiegelt ſich die Welt 
Ein halb Jahrhundert länger als in Eurem, 
Hört eines Greiſen Wort: blickt her, Ihr Knaben, 
Ein Denkmal blut'ger Leiden ſteh' ich hier. 
Ihr heut ſeid frei — ich war ein hör'ger Mann, 
Ein Knecht — ein Sklav' — auch Knechte haben Rinder 
Und lieben fie — hat man auch Euch getan, 
Was mir dies Land an meinem Sohne tat? 
Mit dem geworbnen Auswurf fremden Volkes 
Sperrt' es zufammen mein geliebtes Kind, 
Und des zertretnen Geiftes Todesfchrei 
Erftict es mit Spießruten. Hörtet Ihr, 
Was ich gehört? Gah’t Ihr, was ich gefehn? 

(Zeigt auf Ferdinand) 

Als mir der Vater jenes Mannes dort 
Unter Spießruten meinen Sohn erfchlug, 
Wo blieb das Recht? Was fagten die Gefege? 
Wer ftillte meinen blut’gen Sammer? Niemand | 
Wer ftrafte meines Sohnes Mörder? Niemand | 


Ferdinand (für fich) 
D blut'ge Löfung fürchterlichen Rätfels ! 


Balentin 
Doch in den Wolken ſaß der ew’ge Gott, 
Der Aug’ um Auge, Zahn um Zahn gefprochen, 
In meine Hände legt er die Rache, 
Des Feindes Sohn gab er in meine Hand — 


Vierter Akt 


471 





Thynkel 
Der Teufel war dein Gott! 


Valentin (ftarrt ihn mit weit aufgeriſſenen Augen an) 
Das deine Antwort? 


Thynkel 
Die Antwort dir, der du dein Herz verhärtet 
Dem heiligen Naturlaut „Baterland“. 
Die Antwort dir Verwegnem, der du wähnteit 
Richter zu fein, wo du Verbrecher warft! 


Alle 
Reißt fie zum Galgen! 


Balentin 
Wider ein Gefes 
Empört’ ich mich, das Euch im Mutterleibe 
Zu Rnechten ſchuf! Für Euch empört’ ich mich! 


Erfter Jäger 
Nimm unfren Fluch dafür! 


Alle 
Zum Tod! Zum Tod! 


Balentin Glickt dumpf ftaunend umher) 
Das meines Lebens Iester Widerhall? 
Heinrich — fo hab’ ich unter meinem Leben 
Das deinige begraben — 


(wanft) 


Alle 


Greift fie! 
(Alle jtürzen fich von neuem auf Valentin und Heinrich) 


Ferdinand 


Halt! 
(Wendet ſich an die freiwilligen Jäger) 


Kraft Euren Rechts, das Euch der König gab, 
Ermwäbhltet Ihr zu Eurem Führer mich. 

Stebt auch dem Führer die Befugnis zu 

Eich feine Mannfchaft auszuwählen ? 


472 


Väter und Söhne 





Eriter Zäger 
fter Jäg ga, 


So ſagt's der Aufruf der freiwil’gen Jäger. 


Ferdinand (ergreift Heinrichg Hand) 
Sp wähl ich dieſen hier in meine Schar. 


(Bewegung) 
Erjter Jäger 
Was — den Spion? \ 
Alle Jäger 
Wir wollen ihn nicht haben! 
Ferdinand 


Dann bin ich länger Euer Führer nicht. 
Denn ich will ihn zum Rameraden haben, 
Der mich erreftete vor den Franzoſen! 
(Bewegung) f 
Erſter Zäger 
Wie das? Man jagt — 


Ferdinand 
Unwahr ift, was man jagt. 
Sein Leben gab er für das meinige, 
Und feine Ehre ftarb für meine Ehre. 
Hier geb’ ich beides ihm zurüd. Erklärt Euch, 
Wollt oder wollt Ihr nicht? 


Eriter Jäger 

Wenn du's vermagft, 
Ihm zu verzeihn, dann lebt fein Menfch auf Erden, 
Der ihn verdammen darf. — Wohlen, Ram’raden, 
Wir grüßen den Ram’raden. 

(Tritt auf Heinrich zu, ergreift feine Hand) 
Heinrich 

Sngersleben — 

D edler Mann 


Balentin 
Mein Kind wird übrig bleiben — 
Das ift mir lieb — ja — ja — das ift mir lieb — 
Heinrich — ich gehe nun — 





& 
R 
N 
&, 
* 


Vierter Att 


473 





Heinrich (türzt auf ihn zu) 
Nicht ohne mich! 


Volk Balentin ergreifend) 
Hinweg von ihm! 
Balentin 
Bleib da, mein Kind, bleib da. 


Heinrich 
Mag dich die Welt verdammen, wo du bleibit, 
Da bleibt dein Sohn! 


Bolf 
Der Alte wird gehangen! 
Laß deinen Vater los! 


(Setümmel) 


Ferdinand 
Die Hände fort! 


Der alte Mann ſoll leben, wie fein Sohn! 
(Schweigendeg, allgemeines Staunen) 


Wir ziehen aus in einen beil’gen Kampf, 

Die Wunden unjres Vaterlands zu fchließen, 

Die ihm der Fremde fchlug — es gibt noch Wunden, 
Tiefblutende, die nicht der Fremde fchlug. 

Kommt, wir find jung, es ift das Recht der Söhne, 
Zu lieben, wo die Väter einjt gehaßt. 

Bor uns der Kampf, doch hinter ung ſei Friede, 


Verſöhnung jedem, der durch Knechtſchaft litt. 
(Stredt die Hand nach Valentin aus) 


Balentin 
(wie aus einem Traum zu fich fommend. Zu Heinrich) 


Sag’ mir — das ift — fein Sohn? 


Heinrich 
Er iſt es, Vater; 
Sieh diefe Hand, die zur Verfühnung ruft. 
Balentin 


Laßt fein u id ſehn — u fann’s nicht glauben ! 


ritt auf Ferdin 
Ja — es find feine Zügel Sir a Gott! 
(Schlägt die Hände vors Gehe) . 


474 Bäter und Söhne 





Erfter Jäger 
Auf deine Knie! 
Bolt 
Küffe diefe Hand! 


Balentin (nad furhtbarem Kampfe. Zurücktaumelnd) 
Wilhelm, dein brechend Auge fieht mich an! 
Ich kann nicht zu ihm! — Ach — 
(bricht zufammen) 
Der Vorhang fällt 


Ende des vierten Aktes 


Fünfter Akt 


Szene: Öffentlicher Plag am Halleſchen Tore zu Berlin. Abend. 
Sn der Ferne Hört man einzelne Kanonenſchüſſe; eine große Zahl 
von Bürgern, Männer, Frauen und Rinder in aufgeregten Gruppen. 
Links, beinah ganz in die Kuliſſe gefchoben, ein Leiterwagen, neben 
legterem liegen Kleidungsftüde und Lebensmittel am Boden. 


Erfter Auftritt 


Riefebufch (in Mantel, Hut und Kanonenftiefein, ift damit befchäftigt, die am 
Soden liegenden Sachen zu fortieren) 


Ein Paar wollene Strümpfe — zwei Paar wollene Strümpfe 
(uft in die Rutiiie) Willem, fieh zu, daß die frifchen Pferde bald 
fommen — drei Paar, vier Paar wollene Strümpfe — ein 
jroßer Tag, meine Herrſchaften, ein jroßer Tag. 


Zweiter Auftritt 
Ein kleines Mädchen (eine Zade im Arm) 


Riekebuſch 
Was willſt du, meine Dochter? Was abjeben? Immer 'ran, 
geniere dir nich. 
Mädchen 
Mutter läßt fragen, ob Sie das brauchen können, Herr 
Riekebuſch? 


* 


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Fünfter Akt 475 





Riekebuſch 
Was is es? Eine wollene Anterziehjacke. Wollene Jacken 
ſind jut. Hat Mutter noch mehr davon? 


Mädchen 
Ne, Mutter ſagt, das war die letzte. 


Riekebuſch 
Is recht von Muttern, Mutter is 'ne jute Frau. Man 
immer 'ran, meine Herrſchaften, immer 'ran mit die wollenen 
Sachen, die Fuhre jeht gleich wieder los. Unſere Jungens haben 
heiße Arbeit draußen jemacht, und in den Regen auf die Erde 
liegen, iſt kein Verjnügen. 


Dritter Auftritt 


Zwei Bürger (von rechts) 


Erjter Bürger 
Trebbin ijt in den Händen der Franzoſen. Mir fcheint, 
der Ranonendonner kommt näher. 


Zweiter Bürger 
Wenn die Franzofen gewinnen, find fie beufe nacht in 
Berlin. Berlin wird geplündert. 


Riekebuſch 
Da ſind Sie man janz ohne Sorge, Männeken; da draußen 
bei Iroß-Beeren ſteht ein jewiſſer General Bülow, und der ver— 
ſteht den Rummel. 


Erſter Bürger 
Bei Groß-Beeren wird gekämpft? 


Riekebuſch 
Nu weeß der das nich! Als id vorhin von draußen rin- 
gefahren fam, ging's gerade tambour battant mit's Bajonett uf 
Iroß-Beeren los; alleweile, den? ich, find fie ſchon drin. 


Zweiter Bürger 
Sie find felbft auf dem Schlachtfeld geweſen? 


476 Bäter und Söhne 





Riefebufch 
Uber feite, das kann ich Sie jagen, mitten damang. Es is 
ein jroßer Tag, meine Herrfchaften, ein jroßer Tag. 


Vierter Auftritt 


Ein Fleifherburfche @u den vorigen) 
Ju'n Abend, Herr Riefebufch, und hier bringe ich was von 
Herren Fleifchermeifter Blankenfeld. 


Riekebuſch 
Is recht von Herrn Blankenfeld, jrüßen Sie ihm von mir, 
Fritzeken. — Ein Schinken — zwei, drei Schinken, fünf Schlad- 
würſte — eine Leberwurſt — die is für meinen Aujuſt (teckt die 
Wurſt in die Taſche) Damit das Wurm doch och was zu knabbern hat. 
Aujuft Riefebufch is ein Deibelsferl, hat fein Hauptmann gejagt, 
ein Deibelsferl, hat er gejagt. 


Fünfter Auftritt 
Ein alte Dame (mit einer Muffe) 

Könnte ich vielleicht mit diefer Muffe aufwarten? Ich hätte 

fonft nichts weiter — 
Riekebuſch 

Immer jeben Sie her, junge Frau; die kann eener von 
unſere Jungens als Kniewärmer anziehn. — Wie mein Aujuſt 
ausmarſchiert is, hat er geſagt: Vater, ſagt er, ick komme mit's 
eiferne Kreuz wieder — oder der Deibel ſoll mir frikaſſieren. 


Eine Schar von Knaben 
(die ſich mittlerweile um Riekebuſch geſammelt haben) 


Hurra — Papa Riekebuſch ſoll leben hoch! 


Riekebuſch 
Schreit nich, Jungens, macht die Pferde nich ſcheu. 


Wilhelm (won außerhalb) 
Herr Riekebuſch, nu fommen die Pferde. 


Riekebuſch 


Ma denn man alle Mann ’ran! 


(Riefebufch und die Knaben greifen zu und werfen die Sachen, Die am Boden gelegen, 
auf den Wagen) 


Fünfter Akt 477 





Ein Knabe 
Papa Riekebuſch, kann ick mitfahren nach Iroß- Beeren? 


Riekebuſch 

Ja Junge, kannſt dir hinten ufſetzen uf den Wagen, daß 
du ſpäter och mal ſagen kannſt, ick hab's mit angeſehen, wie es 
ausſah bei Jroß⸗Beeren — denn das kann ich Sie ſagen, meine 
Herrſchaften, wenn der olle Fritz heute ſeine preußiſchen Jungens 
hätte ſehen können — Dunderwetter, hätt' er geſagt, es ſind doch 
noch janz verfluchte Kerle! 

(Der Wagen wird in die Kuliſſe gezogen, Riekebuſch und die Knaben links ab) 











Sechſter Auftritt 


Balentin (von rechts) 
Brecht mir den Kopf entziwei, fchafft mir das Blut 
Aus meinem Hirn. — Bringt mir die Toten fort, 
N Die toten preußifchen Soldaten — o — 
| Das ift nicht wahr — ich bin nicht Schuld daran, 
| Daß Ihr da liegt — dreht Eure weißen Augen 
Nicht auf mich — hebt die Finger nicht nach mir — 
Sch habe den Franzofen nicht geholfen ! 
(Srompetenftoß hinter der Szene) 
D — — das find die Trompeten von Küſtrin! 


(Gebt in den Hinter d und ſinkt eine dort ftehende Bant, 
Bürger in verftärtter JabL. Frau nn —— Adelheid) 


ann d En 


Siebenter Auftritt 
Ein Rnabe (dommt von links gelaufen) 
Viktoria! Großer Sieg! Riefiger Sieg! 
Erfter Bürger 
; Nachricht vom Schlachtfeld? 
Zweiter Bürger 
Nachricht vom Schlachtfeld ? 


Rnabe 


Es kommt ein Offizier den Tempelhofer Berg ’runter geritten 
mit einem Trompeter binterdrein ! 


478 Väter und Söhne 





Erfter Bürger 
Wo ift er? 


Zweiter Bürger 
Was bringt er? 


Achter Auftritt 
Ein Offizier. Ein Trompeter (zu Pferde von links) 


Alle 


Da ift er! Hurral Da ift er! 
(Der Dffizier hält ein Papier Hoch) 


Erfter Bürger 
Ruhe meine Herrfchaften, er will fprechen. 


Alle 
Ruhe. Rube. 
Dffizier 
Botſchaft vom General von Bülow an die Stadt Berlin. 


Rnabe (ihreit) 
General von Bülow fol leben — 


Zweiter Bürger 
Stille doch der Zunge! 


Alle 
Ruhe. 
Dffizier 
Großer, glänzender Sieg beim Dorfe Groß-DBeeren. Mar- 
ſchall Dudinots Armee, die gegen Berlin heranrücte, ift zurücd- 
geworfen, Marfchall Reyniers Korps, das Groß: Beeren befegt 
bielt, ift gefprengt, der Feind in vollem Rüdzuge, Berlin ift 
gerettet, 
Alle 
Hoch General Bülow! General Bülow fol Ieben hoch! 
hoch! hoch! 
(Man umarmt ſich gegenfeitig) 
Offizier 
Vierzehn Kanonen mit dem Bajonett in der Fauft genommen. 


Fünfter Akt 479 





Alle 
Vierzehn Kanonen! 
Dffizier 
Fünfzehnhundert Mann Gefangene gemacht. 
Alle 


Fünfzehnhundert Gefangene! Hoch unfre fapfren Soldaten! 


Hoch! Hoch! 
Geſchrei hinter der Szene) 
Macht den Plag frei für die Verwundeten! 


Erjter Bürger 
Die Verwundeten fommen! Bringt VBerbandzeug ! 


Zweiter Bürger 
Bringt zu frinfen! Wir wollen ihnen enfgegengehn. 


Eriter Bürger 
Nein, wir bleiben bier; tretet zurüd, alle, daß fie nicht ge- 
ftoßen werden; laßt die Kinder nach vorn treten, damit fie die 
Männer von Groß-Beeren ſehen fünnen. 


Die Bollsmafje drängt in - Hintergrund, fo Beagle der vordere Teil der Bühne 
— — frei wird. Tiefe Still 


Neunter Auftritt 


V d i Soldat links und 
erwundete preußiſche nach rechts über Die Bühne) paarweije ziehen 
Erfter Bürger 
Nehmt die Hüte ab, da find fie. 


Alle 
Hüte ’runter! Hüte ’runter! 
(Ale entblößen ſchweigend die Häupter) 


Zehnter Auftritt 


Qier — BE hi (tragen eine Babre, auf der ein mit dem Soldatenmantel 
Bededter gig von Ingersieden mit verbundenem Ropf, den Arm 
der Binde, geht neben der Bahre ber) 


Adelheid (fürze auf Ferdinand zu) 
Mutter — er ift eg! 


480 Väter und Söhne 





Frau von Ingersleben (tritt auf ihn zu) 


Ferdinand, du lebft. 
(Die Zäger jesen die Bahre nieder) 


Ferdinand 
ga, Mutter, ja, geliebte Adelheid, 
Sch Iebe und das Vaterland mit mir! 


Frau von Ingersleben 
Du bift verwundet — 


Ferdinand 
Nein, um diefe Wunden 
Sollft dur nicht forgen, denn fie fchmerzen nicht; 
Das ift der Saft, der von den Bäumen träufelt 
Zum Zeichen, daß es Frühling werden will. 

Mir dürfen mit dem Schieffal nicht mehr hadern, 
Nicht jeder Fam fo glüclich heim wie ih — 
Erkennt Ihr diefen? 

(Er jchlägt den Mantel zurüc) 


Adelheid 
Heinrich! 


(Sinft an der Bahre in die Knie) 


Frau von Ingersleben 
D mein Gott! 
Hart unterm Herzen drang die Kugel ein. 


Ferdinand 
Er regt fich, hebt das Haupt, kennſt du uns, Bruder? 


Heinrich 
Du bift’s und deine Mutter dort — und hier — 
Ach Adelheid — 


Adelheid 
D — fühl in diefen Armen 
Allmächt'ge Kraft, die dich dem Tod entreißt; 
Aus diefem Herzen, das an deinem jchlägt, 
Laß neues Leben in dein Leben jtrömen — 


Fünfter Akt 481 





Heinrich 
(eichtet fich auf, faßt Adelheid und Ferdinand an den Händen, legt ihre Hände in- 

einander) 

Legt Eure Hände beide ineinander, 

Laßt meines Lebens gutes Werk mich ſehn. 

(Wendet das Haupf zu Frau von Ingersleben) 
Den Gatten kann ich dir nicht wiedergeben, 
Hier, arme Frau, fieh deine Kinder. 


Frau von Ingersleben 
(ftürzt über ihn, umarmt ihn unter Tränen) 


— 
Du trateſt zwiſchen mich und die Verzweiflung, 
Und zwiſchen dich heut frei’ ich und den Tod! 


Heinrich 
Haltet mich nicht, mein Tagwerk ift getan, 
Und ich bin müde, denn das Werk war ſchwer — 


Balentin (aus dem Hintergrunde) 
Sch babe eine Witterung im Herzen 
Die mir verrät, wenn meine Kinder fterben — 
(er gewahrt Heinrich, bleibt ftehen) 
Ah — dort — Seht das — jeht, wie der tote Preuße 
Die Augen auf mich richtet! 


Heinrich 
Vater! 


Valentin 
Still — 
Still, alle — das war meines Wilhelm Stimme. — 
Eucht mit den Augen in der Luft) 


Heinrich 
Bater, erkennſt du deinen Heinrich nicht? 


PBalentin 
(eichtet die Augen auf ihn, dann ftürzf er an der Bahre nieder) 


AUhll — — 
(Betajtet ihn mif zitternden Händen) 
Dein Herz ift feucht — dein Kleid ift rot von Blut — 
Heinrih — wo fommit du * 
Dramen VII 31 


482 


Bäter und Söhne 





Heinrich 
Bon wo ich fomme? 

Bom Schlachtfeld kehrt dein Sohn dir wieder, Vater, 
Und in den blut’gen Händen bringt er Dir 
Das lang verlorne Vaterland zurüd. 
Sieh hier dein Blut in deines Sohnes Blut, 
Das fich fürs Vaterland mit ihrem mifchte. — 
Und wie ich deine grauen Locken küſſe, 
So ſenkt's die heiligen Lippen auf dein Haupt 
Zum Friedenskuß und fpricht: Ich bin verföhnt. — 


(Er richtet fich halb auf und küßt des Vaters Haupt; fällt zurüd, ſtirbt. Paufe) 


Adelheid (fäue Valentin um den Hals) 
Ach armer alter Mann — 


Valen tin (ftarıt fie an) 


Horcht — horcht — o horcht 


‘ Den füßen Laut — num- weiß ich, wer du bit — 


Du bift das junge gute Vaterland, 
Das heut geboren ward? Das auch den Armen 
Gerecht und gütig fein wird? 


(Siocengeläute hinter der Szene. Valentin erhebt fich lang und ftarr, die Augen 


emporgerichtef) 
Ab — die Öloden — 
Hört wie fie rufen „ja“ — ihr Schall dringt auf, 
Er fprengt des Himmels Wölbung — ſeht — ſeht alle — 
Dort oben ftehn fie — Wilhelm — hör’ den Vater — 
Wilhelm — Verſöhnung unfrem Vaterland. 
(Er ſinkt zur Erde; ſtirbt) 


Der Vorhang fällt 


Ende 


Dritter Alt (Redaktion 1891) 483 


Schluß des dritten und vierter Akt 
in der legten Bühnenbearbeitung (1891) 





Bis ©. 445 unverändert: 
Lepetit: 


ee 


„Iſt dies der Sohn des Mörders Ihres Sohns?“ 


Balentin (sudt jchredlich zufammen) 
Der Mörder meines Sohns! Ah — laßt mich fehn, 
Ob ich ihn kenne! 
(Er will fih auf Ferdinand zuftürzen) 


Heinrich (ieht ihm ftarr ins Geficht, laut) 
Mörder deines Sohnes ! 
(Balentin, wie gebannt von Heinrihs Blick, prallt zurüc) 


Lepetit gu Heinrich) 
Was fol’3? Was fagten Sie? 


Heinrich Pie Augen fortwährend auf Valentin gerichtet) 
Sch wiederholte, 
Was Sie ihm fagten: Mörder deines Sohnes. 


Lepetit gu Valentin) 
Sie ſoll'n mir fagen, endlihd — 


Balentin (tarrt Heinrich an) 
Laßt mich alle — 
Mit diefem hab ich's — das find Wilhelms Augen — 
Und das find Wilhelms Lippen — und er nennt 
Mich feinen Mörder ! 
(Er faßt Heinrich an den Schultern, Heinrich blickt ihn regungslos an) 
Widerruf’s! Gag’ nein! 
Sag’, dab du leben wirft! Zu deinem DVater, 
Der alles tat um feine Kinder, ſprich! 
Sch tue, was du willft; nur lebel Lebe! 
Ich will ihn nicht verraten — 
31* 


484 


Väter und Söhne 





Lepetit 
Nicht verraten? 
Ha, was war dag? 


Heinrich 
Hören Sie nicht auf ihn, 
Gr weiß nicht, was er Tpricht ! 


Lepetit 
Wen nicht verraten? 
Balentin 
Niemanden! Laßt! Ihr follt mich nicht mehr fragen! 
Ich tat genug für Euch, als ich Küſtrin 
Euch fchaffte und den Alten von Küſtrin 
In Tod gebegt! 
Ferdinand (unwillfürlich auffchreiend) 
Mein Vater? 
Lepetit 
a Ah! Gewonnen! 
— (Zu der Amgebung) 
Ergreift mir den! 
(Die Franzoſen ftürzen fich auf Ferdinand, ſchleppen ihn nach links ab) 


Heinrich (u Valentin) 
Mörder hinweg von mir! 
(Er reißt ſich vom Vater los) 
Valentin (geht auf Lepetit zu) 


Sch wollte nicht! Ihr habt mir aus dem Munde 
Das Wort geftohlen! Gebt es mir zurück! 


Lepetit 
Verrückter alter Narr! 


Balentin (fadt Lepetit an, ſchüttelt ihn) 
Den einen Mann 
Gebt mir zurück! Ich gab Euch eine Feſtung! 
Gebt mir den einen einzigen! Der Preis 
Sit mir zu hoch, es Foftet meinen Sohn — 


Lepetit (ftößt ihn von fich) 
Gehn Sie zum Teufel! 


Dritter Akt (Redaktion 1891) 485 





Balentin (taumelt in die Knie, hebt die Hände empor) 


Meine, meine Schuld ! 

Verrat hab’ ich genährt an meinem Herzen 
Ein Leben lang! Zum Diener meiner Rache 
Zog ich ein reißend Tier; heut bricht es aus, 
Der Knecht wird Herr und meiftert meinen Willen! 
Sch will nicht mehr verraten — und ich muß! 
Sch ſpreche — und mein Wort wird zum Gefchrei! 
Sn Frieden möcht ich mit den Menfchen leben — 
Und wie den blut’gen Wolf, fo best es mich 
Den Menfchen an die Kehle! — Nein! — Ich will nicht: 
Nicht mehr verraten! Meine Rache ift fatt, 
Unheils genug! Genug daß fich der Alte 
Den Kopf zerfchoß!l Genug des Blut's ſag' ih — 
Was haltet Ihr den blut’gen grauen Kopf 
Mir vor die Augen? — Fort — er wird lebendig, 
Wenn Ihr ihn immer fo in Händen haltet! 
Er jchlägt die Augen auf — gleich wird er fprechen — 

(jpringt auf, hält fich die Ohren zu) 
Ich will’s nicht hören! Was er fagen will, 
Das weiß ich — und jest kommt's — und es iſt da — 
Die ganze Welt ein heulendes Gefchrei: 
Mörder! Laßt mich entfliehen! Ich will fort! 
Fort aus der Welt! — Nicht da hinaus — da liegt 
Mein Sohn in meinem Weg, und der ift tot! 
Wohin? Wohin? Da droben fißt der Gott, 
Der eiferne — er nit — was fagjt du? Mörder! 
Er hebt den Fuß — in meinem Naden fühl ich 
Die Ferfe — eifern — jet — o — 

(finft zur Erde) 


tot — tot — tot — 
(ftirhe) 

KRommiffär 

Der Mann — ich glaube wirklich — 
Lepetit 
Was gefchieht? 

Ohnmächtig? 

Kommiſſär 


Mehr als das — ein Schlagfluß — ſcheint mir. 


486 Bäter und Söhne 





Lepetit 
Ruft einen Arzt! 


Heinrich (beugt fich tief zum Vater) 
Er bat den Arzt gefunden 


Der ihn erlöft — fein Leben war fein Leid; 
(fniet nieder) 


Ach, alter Mann — fo ſchwer war diefe Krankheit, 
Daß fie, fortwuchernd noch, dein ganz Gefchlecht 
Bernichten wird. Pater — in diefer Stunde 

Hab' ich von dir den Tod als Pflicht geerbt. 


Der Vorhang fällt 
Ende des dritten Aktes 


Vierter Akt 


Szene: Ein großer ebenerdiger Flur im franzöſiſchen Gouvernement 
zu Berlin. In der Mitte des Hintergrundes führt eine Treppe zu 
den oberen Stockwerken empor. Dieſe Treppe mündet auf einen Ab— 
ſatz, auf den fich rechts, links und in der Mitte Türen öffnen. Rechts 
unten die große Eingangstür; neben derfelben ein Fenſter. An der 
Iinfen Wand eine Kleinere Tür. An der Hinterwand eine Bank. Es 
ift Nacht. Bon der Mitte der gewölbten Decke hängt eine bren- 
nende Laterne, 


Erfter Auftritt 
Franzöſiſche a een (ftehen in meta Gruppen), Heinrich 
(gt auf der Bant, fcheinbar teilnahmlos, Das Haupt in Die Hände gejtügt), Polizei- 
Kommiſſär (kommt aufgeregt von rechts) 
Rommiffär 


Herr Sekretär! (Sieht ih um) Iſt der Sekretär nicht da? 


Erfter Dffiziant 
Der Herr Sekretär ift oben in feinem Zimmer; fol ich ihn 


rufen? 
Rommiffär 


Rufen Sie ihn! Rufen Sie ihn fchnell! 
(Dffiztant eilend über die Treppe im Hintergrunde und dort Durch die Mitteltür ab) 
Rommiffär (auf Heinrich blickend) 
Wer figt da? 


Vierter Akt (Redaktion 1891) 487 





Zweiter DOffiziant 
Der Student Bergmann. 


Rommiffär 
Der Sohn des — (eiſe zu den Offizianten) ift der Alte noch im 
Haufe? 
Zweiter DOffiziant (ebenfo) 
Sa, aber es ift Auftrag gegeben, ihn hinaus zu jchaffen. 


Rommiffär 
Wann? 
Zweiter Offiziant 
Noch in diefer Nacht. — Der KRalfaktor Riekebuſch iſt hinaus, 
um Träger zu bejtellen. 


Zweiter Auftritt 


Lepetit. Erfter Dffiziant (fommen die Treppe des Hintergrundes herab) 


Lepetit 
Sie haben nach mir gefragt, Herr Kommiſſär? Woher 
fommen Sie? 
Kommiſſär 


Von der Kommandantur. 


Lepetit 
Was gibt's ſo Eiliges? 


Kommiſſär 
Die preußiſche Armee unter General von Vork iſt im An— 
marſch auf Berlin. 
Lepetit 
Was ſagen Sie?! 
Kommiſſär 
Ich war vor einer Stunde auf dem Marienkirchturme — 
bei Weißenſee und Lichtenberg ſieht man die Lagerfeuer der 
preußiſchen Avantgarde. 
Lepetit 
Teufel? Das heißt, ſie ſind ſo gut wie an den Toren? 


Kommiſſär 
Allerdings. 


488 Bäter und Söhne 





Lepetit 
Und was tun wir? 


Rommiffär 
Das iſt's was mich herführt: wir marfchieren ab. 


Lepetit 
Marfchieren ab? 


Rommiffär 
Allerdings; morgen in aller Srühe. Die Stimmung im 
Volke ift fo, daß, fobald fie die preußifche Feldmufif hören, fie 
über uns berfallen. 
Lepetit 
Gut alfo — Sie marfchieren ab — und ich? 


e KRommiffär 
Sie paden die Akten ihrer Ranzlei zufammen und fchließen 
ih an. 
Lepetit 
Um die Akten fortzufchaffen, brauche ich Wagen. 


Rommiffär 
Natürlich, und die hat der Berliner Magiftrat Ihnen zu 
ftellen. 
Lepetit 
Iſt er benachrichtigt? 


Rommiffär 
Noch nicht; ich gehe fogleich aufs Rathaus, die Wagen 
zu vequirieren. 
Lepetit 
Uber dann habe ich auch den Gefangenen noch — 


Rommiffär 
Den Dffizier von Ingersleben ? 


Lepetit 
Sa, foll ich den auch mitfchleppen ? 


En a rn he 


Vierter Alt (Redaktion 1891) 489 





Rommiffär 
Kein unnötiger Ballaft! Für den ift geforgt: morgen mit 
Tagesanbruch fommt ein Detachement Soldaten hierher; fie führen 
den Ingersleben auf den Hof hinunter und laffen ihn füfilieren. 


Lepetit 
Gut. 
Rommiffär 
Entwifchen fann er nicht? 


Lepetit 
Nein — er ſitzt in einem verriegelten Alkoven neben meinem 


Büreau. Die Schlüſſel trage ich bei mir. 
(Zeigt ein Schlüſſelbund, den er dann wieder einſteckt) 


Kommiſſär 
Alles gut; das Detachement, von dem ich ſprach, wird 


Ihrem Wagen nachher als Bedeckung dienen. Ich gehe. 
(Rechts ab) 


Lepetit (u den Offizianten) 
nd wir, meine Herren, an die Akten! 


Dffizianten (lahend) 


An die Akten! 
(Alle über die Treppe im Hinfergrunde nach der Tür links ab) 


Heinrich 
(erhebt das Haupt; er ift leichenblaß, verſtört) 
„Wenn morgen Tag anbricht, wird er erichoffen, “ 
Der eine fprach’s, — der andre ſagte „gut.“ 
War’s jo? Vernahm ich es? War’s wirklich fo? 
Bielleicht nur eine Phantafie des Fiebers, 


Das in mir heult? 
(Drückt Die Hände an die Schläfen) 


Hier war's — bier ftanden fie — 
„Wenn morgen Tag anbricht, wird er erfchoffen,“ 
Der eine fprach’8 — der andere fagte „gut.“ 

(Er jpringt auf) 
So hörte ih’s!l So war's! Go wird e8 fein! 
So wird's gefchehn — ein Menfch — ein Sohn — ein alles 
Für eine Mutter — ihres Sammerdafeing 
Einziges Gut, der einzige Gedanfe 


490 Bäter und Söhne 





Sn ihrem Denken. — Stellt ihn an die Mauer — 
DBlaft aus — und wenn die Schollen niederrollen, 
Wird e8 ein dDumpfes Echo geben: „Gut.“ 
Gut — warum gut? Was hat der Mann getan? 
War’s ein Verbrecher? Nein! Ein Eigenfücht’ger, 
Bedacht auf eignen Nusen? Nein! Nein! Nein! 
Bon allem diefen ganz das Gegenteil _ 
Hat ihn hinausgefrieben ins Verderben 
In jener Nacht, als er Küſtrin verließ. 
(Sein Blief wird ftarr) 

Sn jener Nacht — da fing e8 an — da war’s 
Da ward der Tod gefät in diefes Leben, 
Der morgen reifen fol. Die Zeit fehrt um — 
Die Nacht ift wieder da — die Nacht der Blutfehuld — 
Die Nacht des Fluchs! Nicht die Franzofenkugeln, 
Der Mörder diefes Manns bin ih! Bin ich! 

(Ein Klopfen an der Tür rechts) 
Horh da — es pocht — das Echo meines Herzens, 


Des pochenden ! 
(Abermaliges KRlopfen) i 
Noch einmal — diefes Klopfen, 
Leife wie Ungft und haftig wie Verzweiflung — 
(er Öffnet die Tür rechts) 


Dritter Auftritt 
Adelheid (erjcheint in der Tür) 


Heinrich 
Wer fommt? Das Fräulein — 


Adelheid (wendet das Haupt) 


Mutter, komm berein, 
(Adelheid führt Frau von Ingersleben langjam herein. Beide find ſchwarz gekleidet; 


Frau von Ingersleben in ſchneeweißem Haar, gebeugt und äußerſt gebrechlich) 
Adelheid (flüftert ihr zw 
Es ift der junge Mann, von dem ich fprach, 
Den ich beim Rommandanten traf. 


Frau von ISngersleben 
(erhebt die gefalteten Hände; jucht, wie ein Blinder, Heinrich mit den Augen) 


Mein Herr — 
Sch babe fieben Iahr auf ihn gewartet, 


a a 


Vierter Akt (Redaktion 1891) 491 





Heinrich (wie geiſtesabweſend) 
Die Stimme — hab’ ich einmal ſchon gehört! 


Frau von Ingersleben 
Es ift fo dunkel hier — ich fehe faum — 
Sch höre faum — mein Ohr ift dumpf geworden 
Bor Alter — eine alte Srau, mein Herr — 
Sch babe fieben Jahre lang gewartet, 
Sch habe feine Zeit zum Warten mehr. 
Heinrich 

(wie vorhin, auf ihre Stimme laufchend) 
Sie iſt's — fie iſt's — mit Händen der Verziveiflung — 
An der verjchloff’nen Türe griff fie hin — 
„HDör’ deines Weibes Stimme“ — 


Frau von Ingersleben 
Adelheid — 
Spricht er zu mir? Was jagt er, Adelheid? 


Adelheid (eiſe zu ihr) 
Ich weiß nicht, Mutter; feine Lippen flüftern, 
Sein Auge blickt, wie irr. 


Frau von ISngersleben 
Herr — lieber Herr — 
Ich babe feine Zeit zum Warten mehr. 


Heinrich 

(wie vorhin, die Augen ftarr auf fie gerichten) 
Damals war dunkles Haar auf ihrem Haupte, 
Noch aufrecht die Geftalt, noch Leib und Geele 
Zum Widerftand bereit — jetzt taucht das auf 
Dies Menfchenwrad, aus ſolchem Meer des Leids, 
Mit trüben Augen fucht fie nach dem Menjchen, 
Der ihr den Gatten nahm — die Hände greifen 
Nah ihrem Sohn — und greifen in die Luft — 
Und gäb’ ich Leib und Geel’ und Leben ihr — 
Was Hülf’ es ihr? — Ah — geht hinweg, Ihr Frauen! 
Ich weiß, warum Ihr kommt — 


Frau von Ingersleben (Inter ſchweigend nieder) 


492 


Bäter und Söhne 





Heinrich (Fähre zuruch 
Rnien Sie nicht! 


Ftau von Ingersleben 
Wenn Sie das Unglück fennten, das bier liegt — 


Heinrich 
Und wenn Sie wühten, wen Ihr Knie fich beugt — 


Frau von Sngersleben 
Sp graufam nicht! 


Heinrich 
Grauſam, wie die Verzweiflung ! 
(Leife zu Adelheid) 
Dulden Sie nicht, daß fie noch länger kniet. 


Adelheid (werfucht fie aufzurichten) 
Komm Mutter, Mutter fomm — 


Frau von Sngersleben 
(träubt fich, bleibe auf den Knien) 


Nicht fort von bier! 
Hier in der Nähe ift er — irgendwo — 
Er denkt an mich — er fucht mich mit den WUugen — 
Die Witt'rung meines Kindes ift in mir! 
Das fühl’ ich — weiß ich — wenn ich von bier gebe, 
Seh’ ich ihn niemals wieder! Hilfe! Hilfe! 


Adelheid u Heinrich) 
Sie fehen felbft, daß es unmöglich ift — 
Sei'n Sie barmherzig. 


Heinrich 
Ihnen nichts zu fagen, 
Das ift Barmherzigkeit! 


Adelheid 
Ein Offizier, 
Sagt das Gerücht, ein preuß’fcher Offizier, 
Ein friegsgefangner, fei ergriffen worden — 


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Vierter Akt (Redaktion 1891) 493 





Iſt's jo —? Am Gotteswillen, fprechen Gie, 
Iſt's jo? 


So ift’s. 
Adelheid 


Und die Franzofen halten 
Ihn hier gefangen — ? Iſt es fo? 


Heinrich 


Heinrich 
So iſt's. 
Adelheid 
Und dieſer Offizier iſt — 
Heinrich 


Ja, ja, ja! 
Ihr wißt es ja; warum mit Euren Fragen 


Reißt Ihr das Herz mir ſtückweis aus dem Leib? 


Adelheid 
Iſt Ferdinand von Ingersleben? 


Heinrich 
Ja. 


Adelheid (umarmt Frau von Ingersleben) 
Mutter fei ftark; wir haben ihn gefunden! 
Der Ferdinand ift wieder dal 


Frau von Ingersleben (iteht auf) 
Do —? Wo —? 


Heinrich 
Wo — wo und wo? (Zu Adelheid Nun tragen Sie die Wahrheit, 
Die Sie mir von der Seele riffen — Geigt auf die Sinterwand) dort — 
Drei Schritt von Ihnen — und fo weit von Ihnen, 
Wie Tote von Lebend’gen! 


Frau von Ingersleben 
(ergreift das Treppengeländer, will die Treppe erjteigen) 
Hier — entlang — 
Nicht wahr? Hier geht's zu ihm? 


494 


Väter und Söhne 





Heinrich (zu Adelheid) 
Es kann nicht, fein! 
Er fist verfchloffen und verriegelt drinnen ! 
Sagen Sie's ihr!- Sie kann zu ihm nicht ein! 


Adelheid 
(werfucht Frau von Ingersleben zurüczuhalten) 


Mutter — der Herr da fagt — 


Frau von ISngersleben 
(arbeitet fich mübjelig wankend hinauf) 


Hilf mir — hilf mir — 


Adelheid 
Der Herr da fagt — du Fannft zu ihm nicht ein, 
Er fist verriegelt und verjchloffen drinnen! 


Frau von Ingersleben 
Dann — bis zu feiner Tür — durchs Schlüffelloh — 
Rann ich ihn fehn — 


Heinrich (u Adelheid) 


Im Vorraum find Franzofen 
Sie lafjen niemand durch! 


Adelheid (u Frau von Ingersleben) 
Der Herr da fagt, 
Im Vorraum find Franzofen, Mutter; 
Sie laffen dich nicht durch! 


Frau von Ingersleben 
(legt Das Haupt auf Das Geländer der Treppe, fängt an, laut zu weinen) 


)—-09 —9 — ol 
Ich kann nicht mehr — auf diefen einen Tag 
Hab’ ich gewartet fieben lange Jahr' — 
Nun ift er da — und fo fieht er nun aus! 
Sch will nicht fragen mehr, ich kann nicht mehr. 
Nicht mehr — nicht mehr — 


(fie finte auf den Stufen zufammen) 
Adelheid 


D Mutter, Mutter, Mutter, 
Bis morgen nur Geduld! Bis morgen nur! 





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a) 


Vierter Alt (Nedaktion 1891) 


495 





Frau von Ingersleben 
Sch bin zu alt für morgen. 


Adelheid 
Eine Stunde, 
Nur eine Stunde, Mutter, noch Geduld! 
Du wirft ihn ja noch lebend wiederfehn, 
Sie werden morgen früh ihn weiterführen 
Nach einer andern Feftung — glaub’ mir doch — 
Dann gehn wir beide nach der Feftung mit — 


Mehr kann ja nicht gefchehn — nicht wahr, mein Herr? 
Mehr kann ja nicht gefchehn? Nicht wahr? Nicht wahr? 


Heinrich 
Ich ſage nichts mehr — fragen Sie mich nicht! 
Adelheid (tritt zu ihm heran) 
Sie willen noch etwas — 
Heinrich (wendet fi in ſtummem innerem Kampf ab) 
Ich fage nichts, 
Adelheid 
Sch frage Sie im Namen einer Mutter. 
Heinrich 
Und einer Mutter kann ich das nicht jagen. 


Adelheid 
(greift ihn an der Hand, geht mit ihm zwei Schritte nach vorn) 


Dann aljo mir — was wird mit ihm gefchehn? 


Heinrich 
Es ward beſchloſſen — 
Adelheid 
Ward beſchloſſen — was? 
Heinrich 
Fragen Sie nicht! 
Adelheid 


Es ward beſchloſſen — was? 


496 Väter und Söhne 





Heinrich 
Wenn morgen früh der Tag graut — 


Adelheid 
Wenn der Tag graut — 


Heinrich 
Hinunter ihn zu führen in den Hof 
Und dort — 


Adelheid 
Und dort — 


Heinrich 
Wird er erjchojlen. 


Adelheid (unmwilfürkich mit furchtbarem Schrei ausbrechend) 
Ahl! 
Sie wendet Ag wanfend zu — von Ingersleben, welche ſich aufgerichtet hat und 


ſtarr auf ſie niederſchaut; Frau von Ingerslebens Lippen bewegen ſich tonlos. 
Adelheid ſtürzt zu ihr, drückt ihr die Hand auf den Mund) 


Sprich nicht — frag' nicht — ſei ſtumm und taub und blind! 
Und wenn ein Gott noch iſt, läßt er dich ſterben 
Bevor der Morgen graut. 

(Geräuſch an der Tür rechts) 


Heinrich 
Seien Sie leiſe — 
Man kommt — die einz'ge Möglichkeit 
Verlieren Sie, ihn einmal noch zu ſehn. 


(Er legt mit Adelheid ſtützend die Hand an Frau von Ingersleben, führt fie die 
Stufen herab) 


Sch helfe Ihnen — hierher — zu der Bank, 


(Frau von Sngersleben fest fich auf Die Banf, Adelheid, ihr Haupt in ihren Schoß 
legend, kniet vor ihr nieder) 


Vierter Auftritt 


Riefebufch (mit einer großen en Kokarde am Hute, kommt durch Die 
Tür re 


Riekebuſch 
Herr Lepetit — ich habe Ihnen was zu ſagen, Herr Lepetit! 


Vierter Akt (Redaktion 1891) 497 





Heinrich (gebt ihm raſch entgegen) 
Was haben Sie ihn zu jagen? 


Riekebuſch 
Eine Überrafhung! immt den Hut ab, zeigt auf die Kotarde) Sehn 
Sie das? DBon jest ab is das wieder neufte Mode in Berlin. 


Heinrich 
Was bedeutet das? 


Riekebuſch 
(fieht ſich raſch nach allen Seiten um, dann flüfterf er ihm ſchreiend ins Ohr) 


Unfere Jungens kommen | 


Heinrich 
Die Preußen? 
Riekebuſch 


Und nu will ich dem Herrn Lepetit bloß ſagen, daß er ſeine 
Beine unter die Arme nehmen ſoll, ſonſt kann er ſich für ſeine 
geehrte Seele nach ein anderes Logis umſehn. In einer halben 
Stunde ſind ſie rin! 

Heinrich 
In einer halben Stunde? In Berlin? 


Riekebuſch 
Die Avantjarde von Gen'ral von Vork marſchiert aufs neue 


Königstor! Und was die franzöſiſche Wache ans neue Königstor 
is — die is futſch! 


Heinrich 
Iſt abmarſchiert? 
Riekebuſch 


Abmarſchiert? Ja, wenn Sie das abmarſchieren nennen, 
wenn der Haſe vorm Hunde abmarſchiert! 


Heinrich 

Und das Tor iſt frei? 
Riekebuſch 

Es is ſo frei. 


Heinrich 


Und der Weg von hier zum Tore iſt frei? 
Dramen VII 32 


498 Bäter und Söhne 





Riefebufch 
Sch komme ja eben von da ber. 
Heinrich 
(nach einem augenbliclichen Äberlegen) 


Dann wäre es möglich — wenn man ihm ein Pferd ver- 
ſchaffte — daß er von hier hinausfommen könnte zu den Preußen? . 


Riekebuſch 
Von wem — reden Sie denn? 
Heinrich 
Der da oben gefangen ſitzt, der preußiſche Offizier. 
Riefebufch 
Ach jo — der Ingersleben? 
Heinrich 
Freilich, freilich, freilich. 
Riekebuſch 


Aber — er ſitzt doch da oben hinter Schloß und Riegel? 


Heinrich 
Wollen Sie mir helfen, Herr Riekebuſch? Wollen Sie mir 
helfen, ihn zu befreien? 


Riekebuſch 
Ob ich Sie dazu helfen will? Und das fragen Sie mir, den 
Kalfaktor Riekebuſch? Das war einmal zuviel gefragt. 


Heinrich 
Gut — gut — er ſitzt im Alkoven eingeſchloſſen — neben 
dem Bureau? 
Riekebuſch 
Stimmt. 
Heinrich 
Und in dem Bureau — liegt der — Tote? 


Riekebuſch 
Stimmt. 








Bierter Akt (Redaktion 1891) 499 





Heinrich 
Und — es find Träger beftellt, um den Toten hinaus zu 
Ichaffen? 


Riekebuſch 
Sind ſchon draußen vor die Tür. 
Heinrich 
Haben eine Bahre bei ſich? 
Riekebuſch 
Eine Tragbahre. 
Heinrich 
Und ein Tuch? 
Riekebuſch 
Ein Tuch wird wol auch dabei ſein. 
Heinrich 


Alſo hören Sie: ich führe die Träger nachher hinauf — 
und dann — wenn fie zurück kommen — wird unter dem Tuch 
auf der Bahre nicht der Tote liegen — fondern — 


Riefebufch 
Sondern der Ingersleben? 
Heinrich 
Der Ingersleben. 
Riekebuſch 
Dunner — wetter! (faßt ſich an den Kopf) 
Heinrich 
Nun —? 
Rietebufch 


Weiter nifcht — mein Kopp kam mir bloß mit einemmal 
jo ein bisfen wadlig vor, 


Heinrich 
Wollen Sie? Wollen Sie? 
Riekebuſch 


Als wie icke? Ja! Ich will! 
32* 


500 Väter und Söhne 





Heinrich 
Dann tragen Gie ihn dort hinaus — auf die Strafe — 
und auf der Straße muß ein Pferd bereit ftehn. 


Rietebufch 
Des beforge ich: es fommt ein DBagagewagen für Die 
Sranzofen; da ftränge ich ein Pferd ab und da fann er ’ruf. 


Heinrich 
Gut, Herr Riefebufh, gut. Nun gehen Sie und führen 
Sie die Träger herein. 


Rietebufch 
Is jut. (Geht rechts ab) 
Heinrich (ritt zu den Frauen, ruft leiſe) 
Fräulein — 


Adelheid (wendet das Haupt) 


Heinrich (winkt fie zu fich heran) 

Fräulein — ein Wort — die Preußen ftehn vor den 

Toren Berling — vielleicht, daß wir den Herrn von Ingers- 
leben retten | 


Adelheid (fährt mit unterdrücktem Laut auf) 


Heinrich 
Leifel Um Gottes willen! Es liegt in diefem Haufe, dort 
oben, ein Toter, Träger werden fommen, ihn hinauszufchaffen — 
auf der Bahre, unterm Tuche verdeckt, wird nicht der Tote liegen, 
fondern Ferdinand von Ingersleben. 


Adelheid (wie vorhin) 
Ferdinand — 


Heinrich (umklammert ihre Hand) 


Man wird ihn hinaustragen — er wird ein Pferd finden — 
binausreiten zum neuen Königstor. 


Adelheid 
D — mein Gott — 


PBierter Akt (Redaktion 1891) 501 


Fünfter Auftritt 


Lepetit, Offizianten (lestere mit Aftenbündeln bepadt, freten aus der Tür, durch 
welche fie vorhin abgegangen find, auf die Treppe heraus) 





Heinrich (zu Adelheid) 
Stil jest, — fie fommen — ein Lauf jest — ein Atem— 
zug — und alles ijt verloren! 


Adelheid 
Sch — werde jtark fein. 


Lepetit 
Legen Sie die Alten da unten hin — ie Offisianten laden die 
Attenbündel am Fuße der Treppe ab) jchließen Sie das Bureau ab — 


geben Sie mir die Schlüffel. — (Ein Offiziant ſchließt die Tür, aus der fie 
getreten jind, ab, überreicht Lepetit das Schlüfjelbund) 


Lepetit (zu Heinrich) 

Wer find die Frauen da? 
Heinrich 

Es ift die Mutter jenes Ingersleben, und feine Braut. 
Lepetit 

Sie fprachen mit ihnen. Was fprachen Sie mit ihnen? 
Heinrich 

Sie wollten den Gefangenen noch einmal ſehen — ich fagte 

ihnen, daß es unmöglich fei. 

Lepetit 

Warum haben Sie fie nicht gleich fortgeſchickt? 
Heinrich 

Sie wollen feine Vernunft annehmen. 


Sechiter Auftritt 


Zwei Männer (eine Bahre, mit en Tuche bededt, fragend, kommen von 


Heinrich 
Das ſind die Träger, um den Leichnam fortzuſchaffen. 


502 Väter und Söhne 





Lepetit 
Ach jo — ja — nur rafch, nur raſch! 


Heinrich 
Sie werden nicht gern dabei fein wollen? 


Lepetit 
Tote find mir ein Greuel — beforgen Sie das gefälligft allein. 


Heinrich 
Er liegt im Bureau; Sie haben das Bureau abfchließen laſſen. 


Lepetit 
Ach ſo — na — hier ſind die Schlüſſel — aber nur raſch. 
Gändigt ihm das Schlüſſelbund ein) 


Heinrich (zu den Trägern) 
Folgen Sie mir, 
(Heinrich ſchließt Die Bureautür auf, geht mit den beiden Trägern durch dieſelbe ab) 


Siebenter Auftritt 


Der Polizeikommiſſär (kommt von rechts) 


Rommiffär 
Niemand verläßt das Haus! Alles, was jest im Haufe ift, 
bleibt im Haus! Geben Sie Dbacht, Herr Sefretär, geben Sie 
gut Dbacht. 


Lepetit 
Auf was fol ich denn noch Dbacht geben? Geit einer Stunde 
tu’ ich nichts anderes als das. 


Rommiffär 
Sp? Und wer find denn die Frauen, die Sie da herein- 
gelafjen haben? 
Lepetit 
Die find hereingefommen, während wir die Akten packten. 
(eif) ES ift die Mutter von dem Ingersleben. 


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Vierter Akt (Redaktion 1891) 503 





KRommiffär 


Sehen Gie wohl? Sehen Sie wohl? 


Lepetit 
Was ſoll ich ſehen? 
Kommiſſär 
Das Volk draußen wird unruhig; ſie fangen an, ſich um 
das Haus hier zu ſammeln. Es ſieht ſo aus, als hätten ſie 
Luſt, den Gefangenen zu befreien. 


Lepetit 
Ja — wo bleibt denn aber das Exekutionskommando? 


Kommiſſär 
Es iſt auf dem Wege hierher. Wo iſt der Kerl, der Kal— 
faktor — wie heißt er gleich? 


Lepetit 
Der — Rieke — buſch? 


Kommiſſär 
Wo iſt er? 
Lepetit (fieht ſich um) 
Ja — ich weiß nicht. 


Kommiſſär 
Das ſollten Sie aber wiſſen. Dem Patron iſt nicht zu 
trauen; er geht hin und her zwiſchen den Preußen draußen und 
der Stadt; das ſollten Sie wiſſen, ſollten Sie wiſſen. 


Lepetit 
Ich kann den Kerl doch nicht an die Kette legen? 


Achter Auftritt 


Heinrich tommt aus der Tür oben links). Die beiden Träger (kommen hinter 
ihm, die Bahre tragend; auf der Bahre liegt ein mit dem Zuge bedecdter Körper) 


Rommiffär 
Was wird das? Was kommt da? 


504 Väter und Söhne 





Lepetit 

Das ift der alte Bergmann, der hinausgefchafft wird — 

Sie wiſſen ja? 
Rommiffär 

ber doch nur jegt nicht, wenn das Volk draußen den Aufzug 
fieht, geht der Teufel los. (gu den Trägern, die inzwifchen mit Heinrich die 
Treppe heruntergefommen find) Geben Gie die Bahre nieder, Na, 
hören Gie nicht? 

(Die Träger jegen die Bahre am Fuße der Treppe nieder) 
Heinrich (gibt Lepetit die Schlüffel zurüch 
Es war mir doch aber erlaubt worden, ihn hinauszubringen? 


Rommiffär 
Das kann morgen gefchehn, wenn wir fort find; jest bleibt 
er bier. Niemand und nichts verläßt das Haus, bis das Ere- 
futionsfommando kommt, 


Heinrich (wicht ſich über die Stirn, für fich) 
Nun find zwei Tote bier im Haufe, 


Adelheid 
(welche die ganze Zeit hindurch ftarr aufgerichtef neben Frau von Ingersleben ge- 
itanden bat, preßt jest in — 5 ee a das Geficht der alten Frau an 
— er 


Der du am Kreuze für uns ſtarbſt — Jeſus — Jeſus — 
(der Kommiſſär tritt mit Lepetit * a einen Augenblic nach 
n nten 


Heinrich 
Gehalt bicpe am Geftege Die Inter Dem Tucle Derborgenen fin) befindet, Teife läfterno) 
Draußen vor der Tür fteht ein Wagen — an dem Wagen 
ein abgefträngtes Pferd — ich gehe an die Tür — ich rufe: 
„Die Tür ift frei“ — fobald Sie das hören, |pringen Sie auf — 
gewinnen die Tür — 
KRommiffär 
Was — macht denn der? Es fieht ja aus, als fpräche er 
mit dem Toten? 
Lepetit 
Es ift ein aufgeregter Menſch — betet vermutlich. 


Heinrich (wie vorhin) 
Reiten zum neuen KRönigstor hinaus — 


Bierter Akt (Redaktion 1891) 505 





Rommiffär (greift Heinrich an der Schulter) 
Iſt jest Zeit zum Beten? 


Heinrich (erhebt fich, tritt in den Vordergrund) 
Sch bin ſchon fertig. 
Lepetit 

(geht an das Fenfter, ftößt den Fenjterladen auf; grauendes Tageslicht dringt ein) 

Endlid — da hör’ ich den Schritt einer marfchierenden 
Kolonne — 

Rommiffär 
Es wird das Erefutionsfommando fein. 


Neunter Auftritt 


Eine Abteil öft Soldat einem Korporal geführt, triet 
ee A er 
Lepetit 
Es ift das Exekutionskommando. 


Frau von Ingersleben 
Adelheid — die Soldaten! Was wollen die Soldaten? 


Adelheid Crückt fie an fich) 
Stil, Mutter, bete, bete, bete, Mutter ! 


Kommiffär 
Holen Sie den Gefangenen, Herr Sefretär. 


Lepetit 
Ich hole ihn. (Zu den Offizianten Begleiten Sie mich. 
(Cepetit geht mit den Offizianten die Treppe hinauf, lints hinaus) 


Heinrich (tritt an das Fenſter, für fich) 
Riekebufh — Riekebufh — (er ftößt das Fenfter auf) 


Rommiffär 
Was foll das heißen, dab Sie das Fenfter aufmachen? 


Heinrich 
— ih — der Bagagevagen — 


506 Bäter und Söhne 





Rommiffär 


Machen Sie das Fenfter zu! 
(man hört von oben einen Schrei Lepetits. Die Offizianten fommen durch) die Tür 
zurüc, bleiben auf dem Treppenabjaß ftehen) 
Rommiffär 
Was ift — mas ift — was ift? 


Lepetit (won innen rufend) 
Der Gefangene ift fort! Der Gefangene ift fort! 


Rommiffär 
Ale Teufel — 


Lepetit (kommt herausgeftürzt) 


Suchen Sie nach — auf der Bahrel Auf der Bahrel 


Rommiffär 


Auf der — Bahre? 


Lepetit 
Der Tote iſt an ſeinem Orte! 


Riekebuſch (wuft durch das Fenſter herein) 
Was die Pferde ſind — die ſind fertig! 


Kommiſſär 
Ah — Totenvogel! (Er tritt heran, um das Tuch von der Bahre zu ziehen) 
Heinrich 
(ift mit einem Sprunge an der Tür rechts, reißt fie auf, ſchreit) 
Die Tür ift freil! 
Ferdinand 
(wirft dag Tuch zurüd, jpringt auf, ſtößt den Rommiffär zurüd) 
Und Preußen wieder lebendig! 


Ä Heinrich 
Bier entlang ! 
Ferdinand 
(ftürzt zur Tür hinaus, Die Heinrich Hinter ihm zufchlägt, den Schlüffel abdrehend 
und an ſich reißend) 
Rommiffär 
Schießt! Schießt! Schießt ihn tot! «Er ftürze ſich gegen die Tür, 
eine augenblicliche vatlofe Verwirrung) Den Schlüffel! Den Schlüffel! 


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Vierter Akt (Redaktion 1891) 507 





Lepetit 
(der inzwifchen die Treppe herabgekommen ift, zeigt auf Heinrich) 


Der hat den Schlüffel!l Der da! 


Rommiffär (ftürze fih auf Heinrich) 
Her mit dem Schlüffel! 
Heinrich 
Mein — (einge ſich nach der Treppe Hin) 


Kommiffär weißt den Säbel heraus) 


Beitiel Canaille! 
allen über Heinrich her, de .R är die Klin 
ae gehe ach fäle mit —— — por ge Stufen a —— 
entreißt ihm den Schlüffel, läuft an die Tür, ſuͤeßt auf) 


Hinter ihm drein! Alle mir nah! Alle! 


Lepetit (änsitlich) 
Ich auch —? Soll — ih au? 


Rommiffär 

Bleiben Sie, wo Gie wollen! (Er eilt mit den Offizianten und 

Soldaten zur Tür hinaus) 
Lepetit 

Dann — wähle ich das Bureau! (Er läuft die Treppe hinauf, ver- 

ſchwindet nach links) 
Rie kebuſch Praußen) 

Einen Poſttag zu ſpät, Herr Kum'zarius! Eben reitet er 

um die Ecke! 


Frau von Ingersleben 


(die im Augenblick, da Ferdinand aufgeſprungen, emporgefahren iſt und ſeitdem mit 
weitgeöffneten Augen geftanden bat) 


Der Mann — der von der Bahre aufiprang — 
War das nicht — Ferdinand? ' 


Adelheid 
(traftlos vom Äbermaße der Aufregung) 


Ga, Mutter — ja. 


Frau von Sngersleben 
Sp —- lebt er ja? Iſt frei? 


Adelheid 
Lebt und ift frei. 


508 


Bäter und Söhne 





Frau von Ingersleben 
(fährt wie im Traum, mit beiden Händen über die Stirn) 


Und einer war — der ihm die Türe aufriß — 
Und der den Schlüffel — 
(hr Blick richtet ſich auf Heinrich) 
und da liegt er ja? 
(fie tritt auf Heinrich zu) 
So bat der Mann ja meinen Sohn gereftet? 


Heinrich (mit ſchwachem Lächeln) 
Saft — glaub’ ich's felbft. 


Frau von Ingersleben (Enier jählings zu ihm nieder) 
Wer bift du? Wer bift du? 


Der du für andre ftirbft und dazu lächelit? 
(Sie ftarrt ihm ins Geficht) 


Bift du ein Menfch wie unfereines? Ia — 
Und jung dazu — auch einer Mutter Sohn, 
Die nun ftatt meiner weint. 


Heinrich 
Es weint um mich 
Nicht Vater mehr noch Mutter, die find tot. 


Frau von Ingersleben (umfchlinget ihn mit den Armen) 
So beffer denn — fo fannft du mir gehören! 
Mein Sohn — mein Rind! Ach — alles feucht von Blut — 
Die Bruft ift Eaffend offen — Tücher — Tücher — 
(fie drückt ihr Tuch auf feine Bruft; Adelheid reicht ihr Das ihrige) 
Heinrich Wehrt ihnen) 


Das — hilft nichts mehr — ich fühle — 


Frau von ISngersleben 
Laß mich gewähren — 
Sch fürchte mich vor blut’gen Menfchen nicht — 
Ich ſah ſchon Wunden. 
Heinrich 
Ja — das weiß ich wohl — 


Frau von Ingersleben 
Das — weißt du? 


Vierter Akt (Redaktion 1891) 509 





Heinrich 

Stau von Ingersleben, ja, 
Sch weiß noch mehr; die Wunde, die Sie meinen, 
Ward auch durch Ihre Tücher nicht geheilt. 


Frau von Ingersleben 
Wer bift du? Wovon ſprichſt du? 


Heinrich 
Bon dem Schuß, 
Der hinter der verfchlofj’nen Tür erdröhnte 
Einft — in Küftrin. 


Frau von Ingersleben (fährt zurüc) 
Damals? Du warft dabei? 


Heinrich (wirft den Arm um fie) 
Nein — nicht entfliehn — jest nicht mehr vor mir fliehn — 
(er richtet fich mit halbem Leibe auf, drängt fih an fie, flüſtert) 
Ja Weib — ich fah did — und ich weiß es alles, 
Was du ertragen fieben Jahre lang! 
Den Gatten fonnt ich dir nicht wiederjchaffen, 
Doch weil ich heute dir den Sohn zurüdgab — 
Siehſt du — das ift’s, warum ich lächelnd fterbe. 
Frau von Ingersleben 
(umarme ihn unter leidenjchaftlichen Küſſen) 
Ach du — ah du — 
(außerhalb der ee Ben ng Ei —— Gym Vork ſche Kriegs- 
Heinrich 
Stimme des Vaterlandes! 
Die Schlachtmufif der preuß’fchen Regimenter ! 


Ferdinand (außerhalb der Szene) 
Hier ift das Haus! 


Zehnter Auftritt 
Ferdinand (ftürzt herein) 


Ferdinand 


Mutter ! 


510 Bäter und Söhne 





Frau von Ingersleben (taumelt in feine Arme) 


Mein Sohn! 


Ferdinand (reißt Adelyeid in feine Arme) 
Geliebte ! 
Adelheid 
Ferdinand | 

Frau von Ingersleben 
Und das — ift Wahrheit? Was ich in den Armen 
Hier halte — was ich an mir fühle — 
Das — ift mein Ferdinand? 


Ferdinand 
Dein Ferdinand! 
D, keine Worte — fieben Jahr des Elends 
Berfinken fchweigend fo in diefem Ruß. 
(Er küßt fie lange und innig) 


Elfter Auftritt 
Thynkel, Wille, andere Offiziere (drängen herein). Preußifhe Spldaten 
(erjcheinen in der Zür). Männerund Frauen des Volkes (außerhalb am enter) 
Thynkel 
Wo iſt er der Gefang'ne, der Franzoſen? 
Iſt's der da? 
Ferdinand 
Thynkel — kennſt du mich nicht mehr? 


Thynkel (rallt zurüc) 
Iſt das nicht — Ingersleben? 


Wille 
Ingersleben? 
(Flüſternde Bewegung unter den Offizieren) 


Ferdinand 
Wer anders denn? Hab' ich mich ſo verändert? 
's iſt lange her, ſeit wir zuletzt uns ſahn. 
Kam'raden — 
(er geht mit ausgeſtreckten Händen auf ſie zu, die Offiziere treten zurück) 


nt die 1 en TE te el ned — 


N RT NE 


Vierter Akt (Nedaktion 1891) 511 





Thynkel 
Nein, ich bitte, davon nichts. 
(Ferdinand läßt die Hände ſinken, blickt ihn dumpf erſtaunt an) 


Thynkel 
Der Überläufer, der ſich aus der Feſtung, 
Aus der belagerten, zum Feinde ſchlich — 
Iſt ung nicht mehr Ram’rad. 


Ferdinand 
Der — LÜberläufer? 
Wer tat mir das? Wer fagte das von mir? 


Frau von Ingersleben 
Still — ſprich Fein Wort — 
(die legt die Hände auf jeine Schultern, blickt ihm ins Geſicht) 
fieh mir ins Angeſicht — 
Set — nah und feit — ich fehe nicht mehr gut — 
Nun ift e8 gut — (wendet fich zu Thynkeh mein Herr, Sie irren fich; 
Der Mann ift fein Verräter. 


Thynkel 
Gnäd'ge Frau — 
Wenn ich nur meinem Herzen folgen dürfte — 
Nun denn — ſo fragen Sie ihn ſelbſt, 
Warum er aus der Feſtung ging? 


Ferdinand 
Warum? 
Um Hohenlohe zum Entſatz zu rufen, 
Den ih im Anmarfch wähnte auf Küftrin. 


Thynkel 
Sie wußten aber doch — daß er bei Prenzlau 
Mit der Armee kapitulierte? 


Ferdinand 
Nein. 


Thynkel 
Sie hätten's — nicht gewußt! 


512 


Bäter und Söhne 





Ferdinand 
Sch fage Ihnen 
Bei meiner Ehre: Nein, ich wußt' es nicht. 


Thynkel 
Bei Ihrer — Ehre? 


Heinrich (wichter ſich mit letzter Anſtrengung auf) 
Und bei feiner Ehre, 


Die rein und fleckenlos — der Mann fpricht wahr. 
(Aller Augen richten fich auf Heinrich) 


Thynkel 
Wer iſt der Mann? 

Heinrich 

Komm einer mir zu Hilfe, 
Damit ich ſprechen kann — daß ſie mich hören. 


(Adelheid tritt zu ihm, von ihr geſtützt, erholt er ſich. Er ſteht aufrecht auf den Stufen) 


Thynkel 
Wer ſind Sie? 
Heinrich 
Einer, der der ew'gen Wahrheit 
In kurzem Aug' in Auge ſehen wird. 
Drum will ich Zeugnis geben für das Recht. 


Tynkel 
Was wiſſen Sie? 
Heinrich 
Von der Oktobernacht 
Weiß ich, als heimlich er Küſtrin verließ — 
Daß ihn Verrat auf falſche Fährte wies, 
Daß man ihm nichts vom Untergang des Heers 
Bei Prenzlau fagte und ihn glauben ließ 
Er fände Hohenlohe zum Erſatz — 
Das weiß ich. 
Thynkel 
Und woher? Woher? Woher? 


Heinrich 


Das weiß ich — weil ich ſelbſt das alles tat. 
(Dumpfe, ſprachloſe Paufe) 


Vierter Akt (Nedaktion 1891) 513 





Ferdinand (fährt zu Heinrich herum) 
Sn jener Hütte dort — am Dderftrand — 
Bon jenen zweien warft du einer? 


Heinrich 
Ja. 
Ferdinand 
Und warum tatſt du ſo? 
Heinrich 
Laß ruhn die Toten. 
Ferdinand 


Was tat ich dir, daß du ſo teufliſches 
An mir getan? 
Heinrich 
Rühr' nicht an alte Wunden — 


Ferdinand 
Du ſahſt die Not, die mir im Nacken ſaß, 
Unheil, das meiner harrte, ſahſt das alles 
Und ſchwiegſt? Warum? 


Heinrich 
Weil einſt dein Vater ſchwieg, 
Als er mit einem Worte meinen Bruder 


Von dem Spießrutentod erretten konnte. 
Er ſinkt auf den Stufen zuſammen. —— weicht entſetzten Blickes von ihm 


Thynkel 
¶ Tritt auf Ferdinand zu) 


Ich habe Ihnen meine Hand verweigert — 

Ich babe nach kurzſicht'ger Menfchenart 

Unglück mit Schuld verwechjelnd, angeklagt, 

Den großen Schmerz befleddend durch Verdacht — 
Für diefes alles kann ich Ihnen heute 

Ein Wort nur geben, Herr von Ingersleben, 

Das Wort, das Männern ſchwer fällt, auszufprechen: 
Verzeihn Sie mir. 


Ferdinand (fäut ihm um den Hals) 


Thynkel, mein alter Freund! 
Dramen VII 33 


514 


Bäter und Söhne 





Thynkel 
Bin ich dir's noch? 
Ferdinand 
Ja wirklich. 


Thynkel (cüßt ihn) 
Lieber — Alter — 

Du wackrer Mann! Nun hab’ ich eine Bitte: 
Sieb, du bift ohne Degen — ehrenvoller 
Hat ihn kein Offizier je eingebüßt — 
Die Trommeln rufen und jegt ift die Seit, 
Da jeder Preuße feine Waffe braucht — 

(er jchnallt feinen Degen ab) 
Romm — mir zuliebe nimm bier meinen Degen 
Und trag’ ins Feld ihn! Willft du? 


Ferdinand ergreift den Degen) 
a, ja, ja! 
Ich will ihn nehmen und ich will ihn tragen 
Sn Ehren! In Ehren! 


Wille und die andern Offiziere 
(drängen heran, ſchütteln ihm Die Hand) 


Bruder! Freund! Ram’rad! 


Ferdinand 
D, Mutter — Adelheid — Herr Gott im Himmel, 
Was foll mein Leben mir noch fürder fpenden 
Nach diefer Stunde voller Überfluß? 


Frau von Sngersleben 


Noch einer ift, zu dem du fprechen mußt. 
(Sie wendet das Geficht zu Heinrich) 


Ferdinand 
Der — da — 
rau von Ingersleben 
Und weißt du, wen das Blut dort fließt? 
Und wer e8 var, den er errettete 
Mit eignem Leben? 





Bierter Akt (Redaktion 1891) 515 





Ferdinand 
Ja — ich Schuld’ ihm Dank — 
(Er nähert fich ihm mit Überwindung, ſtreckt ihm die Hand hin) 


Heinrich (obne feine Hand zu ergreifen) 
Gib nicht die Hand, die du nicht willig gibit; 
Für Pflichterfüllung braucht es feinen Dan. 


Ferdinand 


Pflicht? Welche Pflicht? 


Heinrich 
DBlutrache zu beenden, 

Die zwifchen deinem Haus und meinem ivar, 
Und die nur endet, wenn von beiden einer 
Freiwillig ftirbt. Blutrache war in Preußen 
Zwifchen dem armen und dem reihen Mann — 
Heut endet fie — freiwillig zieht der Sohn 

Des armen Mannes mit dem Sohn des Reichen 
Zum beil’gen Rampf hinaus fürs Vaterland — 


(Stodengeläute beginnt hinter der Szene. Er richtet ſich langjam wie in Verzüdung, 
auf den Füßen ftehend, Ri 


Die Gloden hört — fie läuten ung den AUnbruch 
Des neuen guten PVaterlandes ein, 
Das auch den Armen gütig und gerecht wird, 


Ferdinand (itredt beide Hände aus) 
Die Hand mir gib! 


Heinrich Glickt ihn tief an) 
Gibſt du fie nun freiwillig? 


Ferdinand (umjchlingt ihn) 
Die beiden Hände geb’ ich und mein Herz, 
Du Retter mir und Bruder! Anſre Väter 
Sie waren feind — es ift das Recht der Söhne 
Zu lieben, wo die Väter einft gehaft. 


Heinrich (inte an feine Bruft) 
Ich hatte dich verloren, Vaterland, 
Sch hab’ dich wieder — 


(er nimmt Ferdinands Hand, führt fie Adelheid zu) 
33* 


516 


Bäter und Söhne 





Lege deine Hand 
Sn diefer Sungfrau Hand, im Bild der Zukunft 
Laßt meines Lebens gutes Werk mich fehn. 
(Er ſinkt langſam nieder) 
Nun gebe ich der Hoffnung meine Seele — 
Und — fo — entfchlumm’re ih im Morgenrot. 
(Stirbt) 


Der Borhang fällt 
Ende 





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517 


Grundlagen und Varianten des Textes 


Die Grundlagen des Textes der in diesem Bande enthaltenen 
Dramen bilden: 


1. Harold. Trauerspiel in fünf Akten von Ernst 
von Wildenbruch. Berlin, G. Grote’sche Verlags- 
buchhandlung. 7. Auflage. 1903. 152 Seiten. 

2. Die Karolinger. Trauerspiel in vier Akten 
von Ernst von Wildenbruch. Berlin, G. Grote’sche 
Verlagsbuchhandlung. 18. Auflage. 1898. 136 Seiten. 

3. Der Menonit. Trauerspiel in vier Akten von 
Ernst von Wildenbruch. Berlin, G. Grote’sche Verlags- 
buchhandlung. 6. Auflage. 1908. 107 Seiten. 

4. Väter und Söhne. Schauspielin fünf Akten. 
Berlin, G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung. 4. Auflage. 
1903. 144 Seiten. 


Von früheren Drucken wurden verglichen: 


1. Für „Harold“: 


A. Harold. Trauerspiel infünf Akten von Ernst 
von Wildenbruch. Deutsche Monatsblätter, Centralorgan für das 
literarische Leben der Gegenwart. Herausgegeben von Max 
Stempel. Zweiter Jahrgang. Dritter Band, Heft III und IV, 
Juni-Juli 1879. Bremen 1879. Verlag von J. Kühtmann’s 
Buchhandlung u. L. Fr. Kirchhof 4. Seite 277—321. 


B. Harold. Trauerspiel in fünf Akten von Ernst 
von Wildenbruch. Berlin 1882. Verlag von Freund & Jeckel. 
160 Seiten. 

Darin (Seite 151—60) die für die Aufführung am Kgl. 
Schauspielhause in Berlin umgeschriebene erste Szene des 
V. Aktes: Adelens Zimmer im Palaste zu Rouen. Ein niedriger 
gewölbter Raum ... unter dem Fenster ein Ruhebett; es ist 
Nacht, ein verschleiertes Licht beleuchtet die Szene. Die kranke 
Adele auf dem Ruhebett im Halbschlummer. Alice, Leonore 
und der Seneschall in leisem Gespräch. Man beschwört den 
Seneschall, ihren Wunsch zu erfüllen und ihr den von ihr ge- 
trennten Wulfnoth zu bringen. Adele selbst fleht. Sie fällt 
ihm zu Füßen. Widerstrebend geht der Seneschall. Durch das 
aufgelassene Fenster beobachtet Adele den „Aufenstern“ : 


518 


Der blut’ge Stern ist über Harolds Scheitel — 
Mein Bräut’gam sendet mir den letsten Gruss. 


Sie bricht ohnmächtig zusammen. Der Seneschall mit dem 
sterbenden Wulfnoth auf den Armen. Das Kind stirbt in 
Adelens Armen. 
Adele (richtet das Haupt auf) 

Kommt — seht und hört: unschuldig, unbefleckt, 

Kehrt diese Seele heim zum Schosse Gottes, 

Aus dem sie kam. Gott wird sie wiederkennen, 

Kein fremder Zug entstellte ihr Gesicht. — 

Ein Antlitz kenn’ ich, diesem Antlitz gleich, 

Und eine Seele, ähnlich dieser Seele: 

So rein, so schön, voll Treue, ohne Falsch, 

Von aller Welt betrogen und verlästert, 

Erkannt von einer Einz’gen und geliebt, 

Harold bist du, geliebter Bräutigam! 

(Sie richtet sich geisterhaft auf, das Kind in den Armen.) 

Mein Vater gab dies Kind in meine Hände 

Und sprach, es sei dein Herz — Harold so drück’ ich 

Dein Herz an meines, küsse so dein Herz, 

Und in den Armen dieses Pfand der Liebe, 

Tret’ ich die dunkle Reise an zu dir — 


Harold — tu auf die Arme — nimm uns auf — 
Harold — wir kommen — kommen — 
(sie sinkt langsam auf das Lager nieder.) 
(Zwischenvorhang) 


2. Für den „Menoniten“: 


A. Der Menonit. Trauerspiel in vier Akten 
von Ernst von Wildenbruch. Deutsche Monatsblätter, Centralorgan 
für das literarische Leben der Gegenwart. Herausgegeben von 
Heinrich Hart und Julius Hart. Erster Band. Drittes Heft Juni 
1878. Bremen, 1878. Verlag von J. Kühtmann’s Buchhandlung 
u. L. Fr. Kirchhof 4. Seite 262—302. 

B. Der Menonit. Trauerspiel in vier Akten von 
Ernst von Wildenbruch. Berlin 1882. Verlag von Freund 
& Jeckel. 111 Seiten. 


3. Für die „Karolinger“ : 
M. Die Karolinger. Trauerspiel in vier Akten 





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* a meter 0 — Tor —— — ae un N 


519 


von Ernst von Wildenbruch. (Zum ersten Male aufgeführt am 
Herzogl. Hoftheater in Meiningen am 6. März 1881.) Berlin 1881. 
Als Manuskript gedruckt. Für sämtliche Bühnen im ausschließ- 
lichen Debit der Theater- Agentur von Felix Bloch in Berlin. 
118 Seiten. Darin Seite 89—118: 

„Vierter Akt. Zweite Fassung. Akt IV ist auf der Bühne des 
Meininger Hoftheaters in folgender, vom Dichter nachträglich verfasster 
Gestalt gespielt worden. Vicbemerkang‘ Für den Fall, dass diese 
letztere Fassung des vierten Aktes bei der Aufführung des Stückes 
gewählt wird, fallen die eingeklammerten Worte im achten Auftritt des 
dritten Aktes, sowie das stumme Spiel Abdallahs am Schlusse des 
dritten Aktes fort.)“ 

Die erste Szene dieses Aktes ward später unverändert in 
B übernommen. Die zweite Szene beginnt nach zwei kurzen 
einleitenden Auftritten mit dem Gespräch Judiths und Bernhards 
(BIV, 2, 2); ihnen folgt ein Auftritt zwischen Rudthardt, Ottgar 
und Humfried, zu denen sich Bernhard gesellt: Erwähnung, daß der 
junge Karl spät noch aus dem Lager geritten; auf Bernhards Rat 

ereinkommen, Karl nach Ludwigs Tod zum Kaiser auszurufen. 
Am Schluß von Bernhards Monolog (AA, wie sich Stufe mächtig 
baut an Stufe) erscheint der kranke Kaiser auf Judith gestützt, 
Abschieds- und Trostworte des Kaisers an Judith, der sie in 
Bernhards Schutz empfiehlt (zum Teil sich berührend mit B IV, 2, 
4). Meldung Rudthardts, daß der junge Karl nicht zu finden. 
Hornruf: durch die geöffnete Zelttür sieht man auf der Anhöhe 
die drei Brüder mit Wala kommen. Von da an bis zum 
Schluß wie B. 


A. Die Karolinger. Trauerspiel invier Akten 


von Ernst von Wildenbruch. 


Motto: Der Historiker liest im Buch der Geschichte die Zeilen, 
Zwischen den Zeilen den Sinn liest und erklärt der Poet. 


Berlin 1882. Verlag von Freund & Jeckel. 114 Seiten. 
Diese Ausgabe enthält den 4. Akt in der ursprünglichen Fassung 
ohne Szenenwechsel, vergl. Einleitung S. XXIf. 

Er beginnt mit dem jetzigen ersten Auftritt der zweiten 
Szene (BIV 2,1). Am Schluß von Bernhards Monolog erscheint der 
totkranke Kaiser von Judith und Karl unterstützt, während Karl 
noch mit dem Vater beschäftigt ist, folgt das Gespräch zwischen 
Judith und Bernhard, das — natürlich ohne die Bemerkungen 
über das Fernsein des jungen Karl — dem 2. Auftritt der 
2. Szene in B entspricht. Nach Bernhards Abgang das Gespräch 


520 


zwischen Ludwig, Judith und Karl im wesentlichen entsprechend 
dem 4. Auftritt in B. Karl über die Schuld seiner Mutter durch 
Abdallah unterrichtet*). Zu diesen plötzlich Wala als Friedens- 
bote der durch die Kunde von der schweren Krankheit des 
Vaters erschütterten Söhne Ludwig und Lothar; und auf die 
Frage nach Pipin mit der lakonischen Nachricht: 


Pipin, o Herr, ist tot! 
Ein schneller Trunk nach allzuhitz’gem Ritt — 


Lothar und Ludwig Aehen um friedliche Besprechung ! 
Geht, heisst sie eilend kommen, erwidert der Kaiser und ver- 
läßt dann von Judith und Karl unterstützt die Bühne. Wala 
vertraut den Zurückkehrenden, Mutter und Sohn, als furchtbares 
Geheimnis, daß der Kaiser durch Gift stirbt: 


Und man sagt noch mehr, der es ihm mischte 
Ist Bernhard, sagt man, Graf von Barcelona. 


Auf Judiths: Verleumdung, dreimal schändliche! 


die Antwort: ....ein Mann ist da 
Ins Antlitz ihn des Mords zu zeihen . 
Ein alter Mann, der in unsrem Lager 
Plötzlich erschien. 
Karl 
Abdallah ? 


Wala 
So sein Name. 
Er ist bei Euren Brüdern; bring’ ich ihn? 


Karl 
Es sei denn — bringt ihn her. 


Nun die Aussprache zwischen Mutter und Sohn, inhaltlich 
im wesentlichen dem 3. Auftritt der 2. Szene von B ent- 


*) Eine Hindeutung darauf, wie der Zuschauer dies erfahren sollte, 
gab in A die szenische Bemerkung am Schluss des dritten Aktes: Während 
Bernhard mit den Deutschen und den Herolden nach der Mitte abgeht, springt 
Abdallah auf, stürzt auf Karl zu, welcher unterdessen, düster sinnend auf 
Hamatelliwa geblickt hat, fasst ihn an der Hand und eilt mit ihm, indem er 
den Finger an den Mund legt, als wollte er ihm etwas Schreckliches an- 
vertrauen, nach rechts ab. 


le En 


—— — —— 


521 


sprechend. Sie werden unterbrochen durch Wala, dem Lothar 
und Ludwig auf dem Fuße folgen. Während Wala eilt, dem 
Kaiser die Ankunft zu melden, kurze Aussprache und Versöh- 
nung Karls mit den Brüdern. Wala zurück mit der Botschaft 
vom Tode des Kaisers. Judith, nach ihr die Brüder und Wala 
verlassen die Szene. Zu den verstörten Deutschen, die auf die 
Bühne dringen, Bernhard; Beschluß die Mörder (Ludwig und 
Lothar) zu erschlagen und Karl zum Kaiser auszurufen. 


Bernhard (für — 
Die Fluth bricht ein ins Haus der Karolinger! 
Karl, letztes Wrack, nun schwimme, denn du musst. 


Der Leichnam Kaiser Ludwigs im Krönungsornat wird auf einem 
Katafalk hereingetragen. Judith, die Söhne, Wala. Das Folgende 
bis zum Schluß übereinstimmend mit B IV, 2, 7 und 8, (von den 
Worten Lothars an: Nun kraft des zwiefach heil’gen Rechts usw.). 


B. DieKarolinger. Trauerspiel iin vier Akten 


von Ernst von Wildenbruch. 


Motto: Der Historiker liest im Buch der Geschichte die Zeilen, 
Zwischen den Zeilen den Sinn liest und erklärt der Poet. 


Zweite Auflage. Berlin 1882. Verlag von Freund & Jeckel. 
Vorwort unterzeichnet Berlin am 31. Dezember 1881. 2 Seiten 
und 124 Seiten, vergl. Einleitung S. XXI. 


4. Für: „Väter und Söhne.“ 

A. Väter und Söhne. Schauspiel in fünf Akten 
von Ernst von Wildenbruch. Berlin 1882. Verlag von Freund 
& Jeckel. 143 Seiten. 

B. Väter und Söhne. 2. Auflage. Berlin 1888. 
Verlag von Freund & Jeckel (Carl Freund). 143 Seiten. An- 
gebunden: Änderungen zu Väter und Söhne. Trauer- 
spiel von Ernst von Wildenbruch. 32 Seiten. 

C. Neuste Änderungen zu Väter und Söhne. 
Trauerspiel von Ernst von Wildenbruch. 38 Seiten. 


522 


Handschriften. 


I. Harold. 

Die erste Fassung von 1875 ist in ihrem Hauptbestande 
als verloren anzusehen. Die vom Dichter bei der Neubear- 
beitung achtlos beiseite gelegten Bogen der alten Handschrift 
wurden von seiner Frankfurter Wirtin zur „Dichtung“ der Fenster 
und Türen verbraucht*). Nur ein kleines Bruchstück, das 
W. Fräulein Elisabeth Schwarze, der Tochter seines Frankfurter 
Freundes Dr. Schwarze schenkte, ist erhalten. 

Ein Blatt gelbes Konzeptpapier**), auf beiden Seiten be- 
schrieben, mitten im Satz beginnend: 


(sie spricht träumerisch vor sich hin:) 


„Jung Eadward war eines Königs Sohn“ — 


Egive 
Denkst du schon wieder an Jung Eadward? 


Eaith 
O süsse Mutter! eine traute Stunde, 
Recht zum Erzählen. 
Egive 
Quälst du schon wieder ? 
Eaith 
OÖ eine nur! 
Egive 
Und immer Eadwardı. 


Eaith 
O die! ja die! 
Egive 
Ich sollt's nicht tun, mein Kind), 
Die alten Mähren sind wie Zaubergärten: 
Man geht und geht und kehrt nicht wieder heim. 


*) Vgl. die Erzählung in „Schwesterseele“ GW II Seite 266. 

**) Da Wildenbruch stets mit verschwindenden Ausnahmen — auf 
Foliobogen (gelben oder weissen Konzeptpapiers) geschrieben hat, ist, 
wenn nichts anderes bemerkt wird, das — immer Folio. 


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3 Ze Tr et an inne 





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523 


Denk nicht so viel daran. 


Edith 
Nur heute noch. 


we 
(droht ihr, halb ernst, halb lächelnd). 
Nur heut — dies Heute ist ein langer Tag. 


Jung Eadward war eines Königs Sohn 

Er rief seine Diener und Herr'n, 

Hiess alle sich waffnen mit Bogen und Spiess, 
Zu jagen am blauen Severn. 


Husch, husch durch den Wald kam ein milchweisser Hirsch. 
Jung Eadward husch hinterdrein 

Tal auf und Tal ab, bis die Sonne versank, 

„Wo mag mein Gefolge nur sein?!“ 


„Was duftet von Blumen?“ Jung Eadward sprach; 
„Was blinket dort unten im Tal? 

Im Gärtchen von Blumen ein Hüttchen so traut — 
Was gilt es, ich klopfe einmal.“ 


Wer trat vor das Tor? Seine Amme, die war’s, 
War alt und weiss wie der Schnee! 

„Gott grüss mein Liebling, jung Eadward dich, 
Tritt ein, dass ich besser dich sch’ !“ 


Edith 
[gestrichen:] (Klatscht in die) 
O nun, nun kommt es, das ist meine Stelle. 


Wer sass in der Kammer, wer drehte das Rad? 
Wer webte so kunstreich den Flachs? 

Ein Mägdlein so jung und so hoch und so schön, 
Ein Mägdlein wie Blut und wie Wachs. 


„Ich hab’ dich geheget und hab’ dich gefflegt, 

Ich gab dir zum Trinken die Brust. 

Ich gab dir manch Spielzeug, jung Eadward, nun 
Nun geb’ ich dir Liebe und Lust. 


524 


Ich hab’ dich geheget und hab’ dich gepflegt, 
Ich gab dir zum Wohnen) ein Haus. 

Du Hirtenmädchen, du Schönste vom Land), 
Egwina, die Armut ist aus.“ 


Zgwinen träumte, ihr stiege der Mond 

Aus dem Schosse helleuchtend und hehr — 
König Athelstan hiess jung Eadwards Sohn. 
Kein König war jemals wie er. 


Die Handschrift der zweiten Fassung A (Deutsche Monats- 
blätter 1879) ist verschollen. Wohl aber sind vorhanden Hand- 
schriftenbruchstücke**) verschiedener Arbeitsschichten, die 
sich (entstanden 1876—78) als Vorstufen zu A erweisen: 


I. Zum ersten Akt. 


a. Ein Bogen weißes Konzeptpapier, alle Seiten beschrieben, 
zahlreiche Korrekturen, mit Bleistift beziffert 2: Fragment von 
dem Gespräch Gythas mit Stigand und der Zwischenszene 
Wulfnoths (I, 1). 

b. DreiBogen gelbes Konzeptpapier, alle Seiten beschrieben, 
viele Korrekturen, mit Bleistift beziffert 13, 14, 15: Schluß 
des 10. Auftritts, 11. Auftritt, mit dem nicht wie in A der 
Akt schließt, sondern es folgt als 12. Auftritt eine Begeg- 
nung zwischen Eduard und Wilhelm. Die Szene 
schließt mit den Worten Eduards: 


Komm Wilhelm nun, nach London lad’ ich dich; 
Der König hat den Herzog nun begrüsst 

Dort legen beide wir die Kronen ab 

Und plaudern Herz zu Herz und Mensch zu Mensch 


den Akt. Daß dies Fragment die unmittelbare Vorstufe zu A ist, 
erhellt daraus, daß die in A den Akt schließende Wendung 
nach London ruft ihn, dort empfang ich ihn, hier mit Rotstift 
eingesetzt ist. 


*) Über gestrichenem: ein Dach und 
**) Mit Ausnahme von Ib (Eigentum des Herausgebers) alle im 
Nachlass des Dichters. 


BET Wr 





ET WR 


525 


I. Zum zweiten Akt. 


a. Ein Bogen gelbes Konzeptpapier (Stempel Königliches 
Stadtgericht Berlin). 3 Seiten beschrieben, mit Rotstift be- 
ziffert 16: AA I7. Grosser Saal im Schlosse zu London. (An 
der Rückseite ein Thronsessel auf Stufen. Rechts und links 
Türen) 1. Auftritt. Morcar, Eustach (kommen von rechts), 
Gespräch über das Versprechen Eduards an Wilhelm, von dem 
in den späteren Fassungen nur die Rede ist. Nachricht von 
Harolds Nahen (kürzer als in A). Die Bürger Dovers müssen 
sterben, ehe Harold kommt. Morcar: Ich kann nicht anders 
sagen: Ihr habt, recht (auf der vierten Seite oben). 

b. Ein Bogen gelbes Konzeptpapier, alle Seiten beschrieben, 
viel Korrekturen, mit Bleistift beziffert 17*): [gestrichen] 44777. 
Erste Scene (Saal im Schloss zu London) 2. [verändert aus 7.] Auf- 
tritt (Robert von links [gestrichen:] Zustach von rechts Wilfried 
hinter ihm) Eustach: Wie ist es, hat der König unter- 
schrieben? — Gespräch über Eduards Schwäche. Mit den Worten 
Roberts: 


Wartet draussen, Graf — 
Seit jenem Tag, da Euer Herzog hier war 


bricht das Fragment ab. 

c. ZweiBogen gelbes Konzeptpapier, alle Seiten beschrieben, 
viel Korrekturen, mit Bleistift beziffert 21, 22**): Schluß des 
3. resp. 5. Auftritts (in B resp. A) Worte Eduards an Wil- 
fried 3. Auftritt [A 5, B 4] Zodert; gleich darauf Eustach, 
Odo, Radulph, Stigand mit sich schleppend von links. 4. Auf- 
tritt [A 8, B 5] Normannischer Herold. Bricht mit Eustachs 
Worten: ZA will nicht fliehen vor diesem flumpen Bauern- 
könige ab. 


II. Zum dritten Akt. 


a. Anderthalb Bogen weißes Konzeptpapier, alle Seiten be- 
schrieben, Korrekturen, mit Bleistift (vom Herausgeber) beziffert 


*) Papier und Ziffern weisen auf dieselbe Arbeitsschicht wie Ib; 
Ila ist ersichtlich etwas später, als Ersatz für einen ausgeschiedenen 
Bogen, der die erste Szene des zweiten Aufzugs in anderer Form ent- 
hielt, eingeschaltet. Darauf weist auch !die Szenenbezeichnung in IIb. 
Letzteres schliesst jetzt unmittelbar an IIa an. 

**) Gleiche Arbeitsschicht wie IIb. 


526 


1—5: Akt III. Erste Szene. Park zu Rouen. I. Auftritt. Wil- 
helm. Robert (kommen von rechts) Von allen späteren Fassungen 
abweichend. Harold ist auf dem Wege nach Rouen. Soll er 
mit Gewalt gezwungen werden die Thronfolge Wilhelms in Eng- 
land zu verbürgen oder mit List?: 

Wilhelm 


Ich berge unter Blumen meinen Dolch, 
Die Kette, die ihn fesselt, sei von Gold, 


Harold ist vom Sturm verschlagen in den Händen des Grafen 
von Ponthieu, hat Wilhelm um das Lösegeld gebeten und 
dabei Adelens Bild geschickt. Er soll befreit und dadurch ver- 
pflichtet werden. Rat Roberts, ihn durch Adele noch fester zu 
binden. Anfängliches Widerstreben Wilhelms gegen den ver- 
hassten Mann wird überwunden. Mit den Worten Wilhelms: 
Dort kommt sie selbst — o Bischof seht sie an bricht das 
Fragment ab. 

b. Ein Blatt gelbes a beide Seiten beschrieben, 
unbeziffert: Vorstufe zu II 15 (A) resp. 11 (Bl. Wühelm: 
Becher und Wein — zum Willkomm lasst uns trinken usw. 
Schluß: Seneschall: Das trifft sich gut — dort eben kommt der 
Bischof mit seinem Diakonen — gleich ans Werk. 

c. Ein Blatt weißgelbliches Konzeptpapier, beide Seiten 
beschrieben, unbeziffert: 76. Auftritt [A 15, B 16] Seneschall 
und Normännische Barone; Pagen usw. Spätere Fassung von 
b. doch nur bis zu den Worten Wilhelms: Kommt Seneschall 
und würzet uns den Wein. 

d. Zettel weißes Konzeptpapier, zweiseitig beschrieben, 
Monologfragment Harolds: 


Ich will sie haben, denn ich muss sie haben! 
Hinunter jetzt, du graues Angesicht, 

Ich will dich jetzt nicht sehn! Zerfliess in Nebel 
Vor diesem Antlitz, wo der Himmel wohnt! 

O — solch ein Kind ist Bürgschaft für den Vater! 


(mit Rotstiftzeichen am Anfang und Ende als Einschiebsel in 
eine vollständige Hs. bezeichnet). Auf der Rückseite (mit Rot- 
stift geschrieben) Worte aus der Unterredung Wilhelms mit 
Robert, die etwas anders gefaßt i im 10. (A) resp. 6. (B) Auf- 
tritt sich finden. 








527 


IV. Zum vierten Akt. 
a. Ein Bogen gelbes Konzeptpapier, nur die erste Seite 
beschrieben: Vorstufe zu A 4 (B 4). Harold: Höre mich, 
Mutter bis Gytha: 


Nenn ihn nicht meinen Sohn, 
Denn dieser Mann hat keine Mutter mehr. 


b. Ein Bogen gelbes Konzeptpapier, alle Seiten beschrieben: 
Schluß des 4. und Anfang des 5. Auftritt. Vorstufe zu A 4 
und 5 (B 4 und 5)*). Von Harold: Höre mich, Mutter bis 
zum Schluß der Szene. (Von Gytha: Harold, hätt’ er’s getan 
bis zum Schluß in doppelter Fassung.) 5. Auftritt. Unter be- 
ginnendem Glockengeläute öffnet sich der Vorhang des Hinter- 
grundes; man sieht eine grosse Menge Volks versammelt: Dar- 
unter Ordgar; Eadric; Baldwulf. Stigand (kommt aus dem 
Hintergrunde, auf purpurnem Kissen eine Krone tragend). Stigand 
(tritt mit der Krone vor Eduard) 


Auf diesem Kissen ruht der Sachsen Krone, 
An Eurem Throne steht der Sachsen Volk. 


Eduard (zum Volke gewendet) 
Ihr die der feierliche Mund der Glocken 
Vom Werkeltage rief — seht Euren König 
usw. (5 Verse)... 

Ich prophezeie Euch in dieser Stunde 
Graunvolle Not in schwerer künft’ger Zeit. 

Stigand 
Von wem, o Herr? 

Eduard 
Vom Meere kommts, vom Meer! Schwarz wird die Flut 


— Im Meere schwimmt’s heran mit heisrem Lechzen 
— Wölfe — lauter Wölfe — bricht hier ab. 


c. Ein Bogen weißes Konzeptpapier, alle Seiten beschrieben, 
Korrekturen, mit Rotstift beziffert 47; dazugehörig ein Bogen 
gelbes Konzeptpapier (auf den ersten 3 Seiten den Schluß der 
Szene und des Aktes enthaltend, auf der 4. Überschrift für den 


*) Zwischenstufe IVa und A4 und 5. 


528 


V. Akt.) unbeziffert. Beides zusammen Bruchstück des 2. Auf- 
tritts einer zweiten Szene des IV. Aktes, die in der Normandie 
spielt: 2. Auftritt. Eustach, Seneschall, Barone (kommen in 
Gesprächen von links). Unmittelbar vor dem Aufbruch nach 
England. Jedem der ein bemanntes Schiff stellt ist eine Graf- 
schaft verheißen. Wilhelm zu den vorigen; als Wilhelm der 
Eroberer begrüßt. Rede Wilhelms, das Ergreifen des engel- 
ländischen Bodens antezipierend (11 Verse). Schläge an der 
Tür. Zrzbischof Robert stehet an der Pforte und heischet 
Einlaß, hergesandt vom Papst. 4. Auftritt. Robert (im Ornate), 
Wilfried und andere Kleriker (kommen von links. Sie steigen 
auf die Estrade). Segen für die Normannen vom Papst Alexander 
Verkündigung und Verlesung der Bannbulle über Harold (Text 
wie B IV, 7); bei den Worten und wer dich liebt, der sei 
verflucht wie du: 


Adele (hinter der Loge) 


Wen! 
(Alles fährt auf.) 


Wilhelm 
Was war das? 


Seneschall 
Wie eines Weibes Stimme. 


Wilheim 
Von hinten kam’s (eilt hinter die Loge), Hah, Gott — 


(Die Barone drängen sich heran) 


Barone 


Was ist? Wer ists? 


Seneschall (Wilhelm zunächststehend) 


Des Herzogs Tochter liegt wie tot am Boden. 


(Wilhelm trägt Adelen heraus, zur Estrade und läßt sie auf die Stufen derselben 
nieder.) 


Adele erwacht. Vision: der durch den Pfeilschuß ins Auge 
getötete Harold (wie in B V, 3, 1), wird von dem Pferde eines 
Gepanzerten zertreten: Jesus erbarme dich, mein Vater ist's! 
Über der ohnmächtig wieder zusammen Brechenden Racheschwur 





529 


Wilhelms an dem meineidigen Mann. Ende des Aktes. (Vierte 
Seite:) Akt V. Szene: Nacht. Rechts bis in den Mittelgrund 
reichend eine feste Burg mit Zinnen und Zugbrücke (welche auf- 
gezogen ist). Einzeine Fenster der Burg erhelli. Den übrigen 
Hintergrund und die Szene links füllt ein hügliges Land. 

d. Ein Bogen gelbes Konzeptpapier (Stempel Königliches 
Staditgericht Berlin) auf allen Seiten beschrieben, unbeziffert: 
V. Akt. Erste Szene. Nacht. Rechts ein befestigtes Schloß, 
durch einen Graben von der übrigen Bühne getrennt; die Zug- 
Drücke ist aufgezogen; an einzelnen Fenstern sieht man Licht. 
Links und im Hintergrunde hügeliges Land*), Erster Auftritt 
(von links kommen Bewaffnete mit Äxten und Sturmhauben) 
Edric, Baldwulf, andere (und bleiben am Rande des Grabens 
stehen). Das Schloß ist die Burg Morcars. Man steckt ein 
Lager ab; wenn Morcar nicht dem König huldigt, soll sie er- 
stürmt werden. Trübe Stimmung — Schlimm fängt die Herr- 
schaft dieses Königs an, Bürgerkrieg — nennt Ihr den Anfang 
“ gut? — Zweiter Auftritt, Ordgar (zu den vorigen). Der Komet. 
Die Prophezeiung vom „Rutenstern“, der den Untergang des Angel- 
sachsenreiches verkündet. (Vgl. BIV, 2, 2 und 3.) Mit Edrics 
Worten: Dies alles nennt’ ich Einbildung und Träume, gäb ihm 
die Wirklichkeit nicht Fleisch und Blut. — Daß ihm die Mutter 
Huldigung versagte bricht das Fragment ab. 

e. Vier Bogen gelbes Konzeptpapier (Stempel Königliches 
Stadtgericht Berlin) und zwei Blätter gelbes Konzeptpapier, viele 
Korrekturen, zusammengehörig in der Weise, daß zwischen den 
ersten (vom Herausgeber) 1—4 bezifferten Bogen sich als 5 und 6 
und 7 und 8 die beiden Blätter einschieben, und dann die anderen 
drei Bogen als 9—20 anschließen. Das Ganze eine unter sich 
zusammenhängende Szenenreihe, die auch von d nur durch 
einen in der Hs. fehlenden 3., 4. und 5. Auftritt getrennt 
sind. Mitten in dem 6. Auftritt setzt e ein: Leidenschaft- 
licher Versuch Harolds, Morcar**) den Quell des Unheilsmeers 
zu sich hinüberzuziehen; als er schließlich auf Morcars Drängen 
bekennt, den Eid geschworen zu haben, ruft Morcar: Wer 


*) Vgl. IVe am Schluss. Dieser fünfte Akt entspricht nach den 
Redaktionen A und B noch dem vierten Akt. 
Die Szene spielt vor der Burg, Morcar spricht oben am 
Fenster oder von der Mauer. 
Dramen VII 34 


530 


bleibt noch länger bei dem Gottverfluchten? Das Burgtor öffnet 
sich. Die Volksmenge mit Ausnahme Ordgars, Stigands und Wil- 
frieds zieht in die Burg Morcars hinein. Nachdem der letzte 
in das Tor hinein ist, schlägt dieses mit dumpfem Schall zu. 
Verzweiflungsausbruch Harolds (16 Verse). 7. Auftritt. 


Eine Stimme (hinter der Szene) 
Wo sind die Männer die für England fechten ? 
Wo ist der König und das Heer des Königs? 


Gytha, vermummt in der Tracht eines sächsischen Bauernweibes, 
tritt auf*) und erwidert auf die Frage von wannen kommt Ihr 
her?: Vom Jüngsten Tag! |Normannen sind im Land. Sie 
berichtet, was sie an dem Strand zu Dover, achthaltend überm 
Land der Angelsachsen gesehen. Leidenschaftliche Schilderung 
des Normannenheeres. 


König, was säumst du? -Ruf dein Volk zum Kampf! 


Harold 
Was nennst du König mich? Was redest du 
Von meinem Volk, das nicht mein Volk mehr ist? 
er wer weigerte zuerst 
Als König mir zu huldıgen. 


Gytha ist bereit jetzt zu huldigen. Auf Stigands Antwort, daß 
die Huldigung zu spät komme: Dor? drüben bei Morcar sucht 
das Volk, das Eures Sohnes war, fragt sie entsetzt: 


Normannenher20g, 
Welch einen Teufel nahmest du in Sold, 
Daß er mit Wahnsinn schlug die Angelsachsen? 


Ordgar (Wilfried packend) 
Das ist der Teufel! 


Ordgar hebt die Axt gegen Wilfried, Wilfried begrüßt den 
Tod als Erlösung**). Wilfrieds Enthüllung über den Eid. 


*) Was von hier an bis zu dem Augenblick, wo der von Ordgar 
mit der Axt bedrohte Wilfricd den Tod als Erlösung begrüsst, sich 
begibt, steht auf den beiden losen Blättern 5—8. 

**) Hier enden die beiden losen Blätter 5—8. 





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531 


8. Auftritt. Ein Herold mit der Meldung, daß die Normannen 
auf Hastings anrücken. Harold: Gebt mir den Helm und 
sattelt mir mein Roß. Vergebliche Warnungen Gythas. 


Harold 

Ei wer sich fürchtet gehe zum Morcar 

Und küsse morgen des Normannen Füße. 

Herold, was bläst du nicht? 
(Der Herold bläst in die Trompete, aus der Ferne antwortet ein Trompetenstoß [von 

den Normannen].) 

Harolds Aufbruch, Ordgar mit dem Sachsenbanner, Stigand und 
Wilfried auch in Waffen. Harolds Apostrophe an den Tag 
von Hastings (in etwas anderer Fassung als in B IV, 2, 8). Er- 
neute leidenschaftliche Beschwörung Gythas (in zwei Fassungen): 
Wenn nicht für England, lebe deiner Mutter! Adelens Ge- 
stalt taucht vor Harolds Seele auf; er mahnt die Mutter zu 
fliehen und gibt ihr Adelens Bild. Sie nimmt es (sei mir ge- 
segnet, weil du ihn geliebt). Aufbruch Harolds unter Heilrufen 
seines Gefolges. Nachdem sie die Szene verlassen, Gyfha 
(stürzt an den Grabenrand und ruft wie verzweifelnd zur Burg 
hinüber) Morcar! Morcar! usw., beschwört ihn und die Insassen 
der Burg noch einmalHarold nicht zu verlassen. Von innen Rufe 
(9. Auftritt). Die Brücke sinkt herab, aus dem geöffneten Tor stürmen 
Baldwulf, Edric usw. unter Heilrufen auf Harold (10. Auftritt). 
Morcar sucht ihnen mit dem Schwerte zu wehren (11. Auftritt), 
wird im Handgemenge erschlagen und von der Brücke in 
den Graben geworfen. Mit Baldwulfs Worten: 


Da liege und verpeste deine Burg, 
Im Tode noch ein Greuel und ein Fluch! 


bricht e ab. 

f. Zwei Bogen gelbes Konzeptpapier (Stempel Königliches 
Stadtgericht Berlin), unbeziffert: Variante des Aktschlusses, be- 
ginnend mitten in einer Schilderung Gythas von der Landung 


der Normannen, besonders Wilhelms. Harold das Sachsenbanner 
aufpflanzend : 


Zu Not und Tod, der König ruft ins Feld, 
Wer ist der Schurke, der zurück sich hält? 


Niemand kommt. Gytha erfährt die andern sind im Schlosse 


Morcars. Aufbruch zum Kampf, auch Wilfried will mit fechten. 
34* 


532 


Ordgar reißt ihn zu Boden: Nein, du sollst nicht, verdammte 
Natter du! usw. jetzt Wilfrieds Enthüllung über den trüge- 
rischen Eid. Gythas Verzweiflung, Trompetengeschmetter aus der 
Ferne. Das sind Normannische Trompeten. Abschied Harolds 
von seiner Mutter. Auch hier die auftauchende Erinnerung an 
Adele, aber nicht mehr vom Bilde die Rede. Schlußworte Harolds. 
Heilrufe der Sachsen. (Schluß des Fragments unten auf der 
Seite ohne Bemerkung, daß dies der Schluß des Aktes sei.) 

g. Ein Oktavblatt Briefpapier auf beiden Seiten beschrieben. 
Variante der Worte Harolds über den Tag von Hastings. 

h. Viereinhalb Bogen weißes Konzeptpapier, auf allen Seiten 
beschrieben, viel Korrekturen, rot beziffert 63, 64, 65, 66, 67. 
Dazu ein weißes Briefbogenblatt zu Bogen 65 gehörig: Variante 
der zweiten Szene des IV. Aktes — spätere Fassung als IV 
a—g. Beginnend mitten in dem 3. Auftritt der zweiten Szene 
des IV. Aktes (B IV, 1, 4), diese wie auch die folgenden Auf- 
tritte im wesentlichen schon mit B resp. A übereinstimmend (A 
3—6, B 6—8), nur mit dem Unterschied, daß Wilfried auch hier, 
nicht erschlagen wird. Die Erzählung der Vorgänge bei der Eides- 
leistung in Rouen ausführlicher. Harold durch Stigand vom Banne 
losgesprochen. Zum ersten Mal der Abt von Hyde mit seinen 
Mönchen, denen sich Wilfried anschließt. 


V. Zum fünften Akt. 


a. Drei Seiten, ein Bogen, ein Blatt weißes Konzeptpapier, viel 
Korrekturen rot, beziffert 67 *), 68, 69: 2. Szene. Tiefe Nacht. 
Vorn, dem Zuschauer zunächst, flach, dann allmählich zu einem Hügel- 
lande ansteigend, das sich im Dunkel des Hintergrundes verliert. 
I. Auftritt. Odo, Radulph, Montgomery (kommen von rechts 
hinten. Sie tragen Fackeln und gehen bis an den dem Zuschauer 
zunächst liegenden Hügelabhang. Beim Scheine der Fackeln sieht 
man Gruppen von Toten liegen.) Suchen nach Harolds Leichnam. 
Fiel er bei der Fahne? Mit seinen Brüdern, ja! Schilderung 
der Verwundung Harolds, wie in A und B. 2. Auftritt. 
Wilhelm, ebenfalls mit Fackeln: Das war ein teurer Sieg, Ihr 


*) Die Hs. hängt mit IV h zusammen, Bogen 67 von IV h enthält 
auf der ersten Seite den Schluss des vierten Aktes. Auf der folgenden 
Seite desselben Bogens beginnt: Zweite Szene. Tiefe Nacht usw. d.h. 
der jetzige fünfte Akt! 





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933 


Herrn! Eustach ist tödlich verwundet. Erneutes Suchen nach 
Harolds Leichnam. Ein Licht von ferne. Drei Menschen mit 
Leuchten. 

Sachsen vielleicht, die ihren König suchen. 

Zur Seite kommt, sie suchen ihn für uns. 


3. Auftritt. Von links kommen schwarz verhüllt; Stigand, der 
Abt, Gytha. Gespräch ähnlich wie in A und B. Dann 


Abt. 
Hier muß es sein — hier standen Eure Söhne — 


Gytha 
Zweien gab ich Abschied 
Mit einem Segenskuß — dem dritten, Liebsten 
Mit einem solchen Wort! Harold mein Sohn! 


Auffindung der Leiche wie in A und B. 4. Auftritt: Die 
Normannen dazu. 
Odo 
Graf Godwins Weib! 
Gytha 
Und Mutter seiner Söhne. 


Wilhelm 


Nehmt Eure Söhne Gurth und Leowin 
Harold bleibt hier. 


Schluß des Aktes im wesentlichen wie in A und B. 


Von der letzten Fassung B ist eine Handschrift insofern 
erhalten, als in ein gedrucktes Exemplar von A die Änderungen 
(vor allem Streichungen) eingetragen sind und die neuen Szenen 
handschriftlich dem Buch auf einzelnen Bogen und Blättern bei- 
gefügt sind (Eigentümer: der Herausgeber). Ebenso ist hand- 
schriftlich die für das Königl. Schauspielhaus geänderte erste 
Szene des 5. Aktes erhalten (Eigentümer: der Herausgeber). 


2. Der Menonit. 


Handschriften der ersten Fassung (Deutsche Monatsblätter) 
und der Fassung des ersten Buchdrucks sind nicht mehr vor- 


534 


handen. Erhalten ist dagegen das Regiebuch der Aufführung vom 
22. April 1879 im Nationaltheater — mit den in das Exemplar 
der Monatsblätter für die Aufführung eingetragenen Änderungen 
— (Eigentümer: der Herausgeber). Erhalten ist ferner: Die 
Handschrift der Umarbeitung des 4. Aktes vom 
Mai 1879*): Zehn Bogen und vier Blätter gelbes Konzeptpapier, 
zum Teil blau beziffert. Auf dem Umschlag Meinem Freunde 
Berthold Litzmann zum Andenken an ein missratenes Kind. 
Himmelfahrt 1879. Ernst von Wildenbruch. 

Ein einleitender Monolog Waldemars vor der Szene mit 
Mathias deutet den Zwiespalt in der Seele des Alten an; nach 
dem Monolog Marias im Anblick des entschlummerten Waldemar 
tritt Hennecker auf, Reinhold suchend. Er weckt den Alten, 
gibt sich ihm als Bote Schills zu erkennen. Waldemar will die 
Gemeinde alarmieren, Hennecker hält ihn zurück und weckt in 
ihm das schlummernde vaterländische Pflichtgefühl. Sie hören 
Stimmen und verbergen sich: Reinhold und Maria treten aus 
dem Haus. Gespräch der beiden ungefähr wie in der vor- 
liegenden Fassung. Maria, verzweifelt über Reinholds Mordabsich- 
ten, bricht mit den Worten: 


Vater im Himmel — hör mich — 
Lenke sein Herz, erbarm dich meiner Not! 
Hört mich niemand? 


zusammen. Waldemar tritt vor, ruft Hennecker, weist Reinhold 
auf den Pfad der Pflicht, mit Hennecker zu gehen. Die Aus- 
sprache und Versöhnung der beiden wird durch dasNahen der Meno- 
niten unter Mathias unterbrochen. Waldemar tritt unter sie, 
bekennt sich zu Reinhold, bekennt sich zu Hennecker. Botschaft, 
daß die Franzosen nahen. Hennecker erschießt Mathias mit 
Reinholds Pistole. Abschied Reinholds von Waldemar und 
Maria. Dann Hennecker und Reinhold ab. Despreaux mit 
Soldaten. Verhör. Waldemar nimmt alle Schuld auf sich, be- 
kennt den beiden zur Flucht verholfen zuhaben. Da schlägt auch bei 
den Menoniten die Stimmung um, sie erklären sich — mit Ausnahme 
des sterbenden Mathias — mit dem Ältesten solidarisch. Auch 
Despreaux zeigt ein menschliches Rühren. Nichts von Gefangen- 
schaft und Tod: sirafen werd’ ich Euch an Eurer Habe 


*) Vgl. Einleitung S. XVII. 











535 


So fest steht Frankreichs Majestät gegründet, 
Daß dieser Aufstand dran verrauschen wird 
Machtlos, wie Wellen — noch erkenn’ ich nicht, 
Was hier geschah, doch eine Stimme sagt mir 
Von Dingen so voll Trübsal und voll Not, 
Daß Euch bestrafen doppelt strafen hieße — 
Wohlan — zum Henker ward ich nicht bestellt, 
Und Eure Buße soll gelinde sein. 


Waldemar 
O Herr, so helen wir in gute Hand, 


Despreaux 
Ja, eine Hand, deren Beruf die Waffe 
Und alles das ist, was Euch Sünde heißt. — 
Merk, alter Mann — er führte keine Waffen 
Der Mann, der deine Tochter dir verriet — 
Entscheidet nun — wer war von uns der Mensch. 


3. Die Karolinger. 

a. Originalhandschrift in Halbpergament gebunden (Eigen- 
tümer Professor Robert Hoeniger in Berlin. Auf dem ersten 
Blatt: Meinem Freunde Robert Hoeniger das Manuskript der 
Karolinger. Ernst von Wildendruch. Berlin 28. II. 1882. 

An der Spitze des Personenverzeichnisses der Titel: Die 
Karolinger (über gestrichenem: Kaiserin Judith.) Der 
Text, verschieden beziffert, setzt sich aus einander zum Teil 
widersprechenden Fassungen verschiedener Arbeitsschichten zu- 
sammen. Akt 1 begann ursprünglich mit dem jetzigen dritten 
Auftritt. Die beiden Szenen Abdallah — Hamatelliva — Bern- 
hard sind erst später an den Anfang gesetzt. Im Gefolge der 
Kaiserin Judith im 4. resp. 6. Auftritt ist noch eine Gotin 
Doda aufgeführt, die aus einer älteren Fassung stammt 
und der, nach einigen gestrichenen Versen zu schließen, ursprüng- 
lich eine gewisse Rolle zugedacht war. Den 2. Akt sollte ur- 
sprünglich ein Gespräch Bernhards und Abdallahs im Thronsaal 
(über Ankunft der Mauren) beginnen. Der Schluß des Aktes 
viel ausführlicher und wortreicher, als in den gedruckten Fassungen. 
Auch im III. Akt sind mehrere Arbeitsschichten vereinigt, das 
Ganze breiter, als im Druck. Der IV. Akt entspricht im wesent- 


536 


lichen dem IV. Akt des Bühnenmanuskripts (M), ist aber nicht die 
unmittelbare Vorlage dafür. So sind auch Walas Schlußworte 
anders. Angebunden sind der Handschrift der neue Ill. und 
IV. für Meiningen umgearbeitete Akt. 

b. Abschrift des für Meiningen umgearbeiteten (un- 
gedruckten) 3. Aktes, mit einzelnen eigenhändigen Korrekturen. 
(Im Nachlaß des Dichters). 

Der Akt zerfält in zwei Szenen, deren erste 
in jenem Saal spielt, in dem der junge Karl schläft. 
Bernhard am Lager des Königssohnes; mit dem Er- 
weckten ein langes Gespräch, bestimmt, in Rede und Gegen- 
rede, den Charakter des Königssohnes breiter zu entwickeln 
und zugleich in Bernhards Inneres einen tieferen Einblick zu 
gewähren, die sympathischeren Seiten seines Übermenschentums 
herauszukehren. Daran anschließend die Szene zwischen Bernhard 
und Abdallah (mit dem Auftrag das Gift zu liefern), ebenfalls 
breiter und auch Nebensächliches — z. B. den nächtlichen Auf- 
enthalt der Mauren im Garten — besser begründend. Nach 
Bernhards Abgang Hamatelliwa aus dem Garten zu Abdallah 
auf der Flucht vor ihren Verfolgern. Rat Abdallahs bei der 
Kaiserin Schutz zu suchen. Er weist ihr den Weg zu Judiths 
Gemach. Verwandlung: Zweite Szene. Judiths Gemach, nach 
hinten durch eine balkonartige Galerie abgeschlossen, die zur 
Hälfte durch einen Vorhang verdeckt ist. Gespräch zwischen 
Judith und ihrem Edelfräulein Dodana*). Es ist tief nach 
Mitternacht, nur drüben in einem Flügel des Palastes ein Licht. 
Da, glaub’ ich, wohnt der Graf. Judith allein, starrt zu dem 
Licht hinüber. Monolog . . . 


‚nur er, der Eine, 
Wacht über dieser dunklen, müden Welt. — 
So dacht ich früher, müßten Kön’ge sein. — 


.„ Bernhard, stolzes Bild 
Der Mannheit, wie ich sie dereinst mir träumte, 


*) Der Gotin Dodana (oder Doda) war wie eben schon erwähnt, 

in früheren Stadien der Arbeit eine grössere Rolle zugedacht. Im 

IV. Akt der Meininger Fassung erscheint sie noch einmal am Eingang 

— zweiten Szene bei den ———— im Zelt für den kranken 
aiser. 








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537 


Wenn ich zu Straßburg dich gefunden hätte 
Statt Ludwigs . . - 


Geräusch an der Tür, Hamatelliwa stürzt herein. Erzählung 
ihrer Schicksale, ohne zunächst Bernhards Namen zu nennen, 
doch so, daß Judith ihn sofort erraten muß. In dem Augenblick 
wo ihr der Name entschlüpft erscheint Bernhard. Leidenschaftlich 
anklagende Fragen Hamatelliwas. Bernhard kalt und finster, be- 
fiehlt ihr zu ihrem Vater zurückzukehren. Bei ihrer Frage: 


Im Herzen wo Hamatelliwa wohnte 
Lebt jetzt kein ander Bild?2 Kein ander Weib? 


bietet die wankende Judith ihr ein Asyl am kaiserlichem 
Hofe. Wilder Eifersuchtsausbruch Hamatelliwas, die mit der 
Drohung das ehebrecherische Einverständnis in der Pfalz laut zu 
verkünden aus dem Gemach stürzt. Der nacheilende Bernhard stößt 
sie draußen nieder. Leidenschaftssturm Bernhards und Judiths; 
er offenbart seinen Plan, Karl zum Kaiser zu machen. Von unten 
Lärm. Bernhard mit der Lampe hinaus auf die Galerie, ruft in 
das murrende Getön den Befehl, den jungen Karl zu rufen, und 
heißt alle drunten Stehenden herauf kommen. Mit Judith er- 
wartet er die Gerufenen. Karl, die Mauren und deutsche 
Ritter treten auf. Bernhard begrüßt den erstaunten König und 
verkündet ihm von dem Mordanschlag auf die Kaiserin. 


In meinem Zimmer drüben, 
Wo ernsteste Geschäfte wach mich hielten 
Hört ich von hier erhitzter Stimmen Laut — 
Ich stürzte her — und heil mir, daß ich's tat — 
Denn eben kam ich recht, als die Verlorne 
Die Hand erhob wider die Kaiserin ... . 


Wilde Empörung der Mauren, als sie die tote Hamatelliwa er- 
kennen. Ihre Anklagen werden von Bernhard pariert mit der 
Gegenanklage, daß dieser Mordplan von den Söhnen Irmengards 
ausgesonnen und daß die Mauren als Werkzeug gedungen seien. 
In den darüber sich erhebenden Tumult klingen Hornsignale: 
im Hof der kaiserlichen Pfalz steht ein Herold der Irmengard- 
söhne mit der Fehdeansage. Tumultuarischer Aufbruch, Judith 
segnet auf Bernhards Aufforderung die Waffen, bricht dann 
zusammen. Judith und Karl, nachdem Bernhard und die Ritter 
aufgebrochen, allein. Innigster Gedanken- und Gefühlsaustausch 


538 


zwischen Mutter und Sohn. Nachdem Karl Judith hinausgeleitet, 
kehrt er in das Gemach zurück; der Gedanke an die hinter 
dem Vorhang ermordet liegende Maurin läßt ihn nicht los, er 
zieht den Vorhang zurück und sieht sich vor Abdallah, der am 
Leichnam Hamatelliwas kauert. Gespräch. Abdallah nennt 
Bernhard als Schänder und Mörder. 


Abdallah 
Hör’ mich, du Sohn des Christenkaisers, höre : 
Trau’ nicht, ich kenne ihn, trau’ nicht, trau’ nicht! 


Da er nur in dunklen Andeutungen spricht, verlangt Karl Be- 
weise. Abdallah weicht aus, verweist auf die Zukunft. 


Karl 
Hier auf der Stelle sollst du sprechen, jetzt! 


Abdallah 
Nein, du von Bernhards Gnaden König, nein! 
Du schuldet Dank ihm — sei ihm dankbar, dankbar, 
Bis daß du hörst, wofür du ihm gedankt! 
Du bist sein Freund, Ihr alle seid ihm Freunde, 
Und ein’ge — sind ihm mehr noch. — 


Karl 
Einige — 
Noch mehr ihm? 
Abdallah 


Ja — du Sohn der schönen Judith. 


Karl (zuckt zusammen) 
Teufel — was war das? 


Abdallah (führt ihn vor den Leichnam Hamatelliwas) 
Wende die Augen nicht von dieser Toten — 
Rühr dich nicht, Christ — ein schaudervolless Wunder | 
Wirst du erschaun — es wird ihr kalter Mund { 
Dir sagen — was sie schaute — Dinge — Dinge — 





Abdallah entweicht lautlos. Karl aus seinem Brüten auf- 
fahrend : 





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539 


Wie sagte er — du Sohn der schönen — ah! — 
Er ist bei meinen Brüdern — ich will nach — 
Nein — das ist Wahnsinn! Doch ich muß wissen, 
Was dieser Maure weiß. 

(Bricht in die Knie) 

Gib mir Gewißheit 

Gott, der du weißt, was war und kommen wird, 
Errette meine Seele vom Verdacht, 
Der wie ein Ungetüm darin emporkriecht — 
Und die Gewißheit — sei barmherzig Gott, 
Laß sie nicht schwerer sein als Menschen tragen! — 
Törichte Bitte — am Geschehenen 
Zerbricht der Gott ohnmächtig wie der Mensch. 


4. Väter und Söhne. 

a. Originalhandschrift in Halbleder gebunden. (Eigentümer: 
der Herausgeber.) Die vier ersten Akte in der im März 1880 
vollendeten Fassung; der fünfte in der zweiten Redaktion vom 
Dezember 1880. 

b. Ein teils aus Originalhandschrift, teils in Abschrift her- 
gestelltes Konvolut, die Änderungen und umgeschriebenen Szenen 
und Akte der Umarbeitung vom Februar 1882 enthaltend *). 
c. Handschrift des Schlusses des III. und des ganzen IV. Aktes 
in der Fassung von 1887. 22 Blätter gelbes Konzeptpapier. 
(Großherzogliche Bibliothek in Weimar, aus dem Nachlaß des 
Großherzogs Carl Alexander.) 


*) Dieses Manuskript diente mir in Verbindung mit der Original- 
handschrift als Text bei meinen Vorlesungen des Dramas in den Jahren 
1881/82. Deutsche Rundschau a.a.O. 5.58 und 66. 








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