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GESCHICHTE DES ALTERTUMS
GESCHICHTE
DES
ALTE RTUMS
VON ' '
EDUARD MEYER
ZWEITER BAND
ZWEITE, VÖLLIG NEUBEARBEITETE AUFLAGE
ERSTE ABTEILUNG:
DIE ZEIT DER ÄGYPTISCHEN GROSSMACHT
Mit 8 Tafeln Abbildungen
J. G. COTTA'SCHE BUCHHANDLUNG NACHFOLGER
STUTTGART UND BERLIN 1928
I
Alle Rechte vorbehalten
Druck der Union Deutsche Verhigsgesellschal't in Stuttgart
Vorwort
Mit dem vorliegenden Bande, der im Anschluß an die
ursprüngliche Gestaltung des Werkes die Bezeichnung Bd. IP
erhalten mußte, nehme ich die vor drei Jahren in dem Nachtrag
zum ersten Bande („die ältere Chronologie Babyloniens, As-
syriens und Ägyptens") angekündigte Fortführung meiner Ge-
schichte des Altertums wieder auf. Ich habe damals aus-
gesprochen, daß es mir nicht möglich sei, den ersten Band
noch einmal wieder zu überarbeiten, wenn ich überhaupt noch
weiterkommen wolle; so habe ich mich darauf beschränkt,
in dem ersten Abschnitt des neuen Bandes ein Bild der Zu-
stände des Orients vor und in der Hyksoszeit zu entwerfen,
wie es sich gegenwärtig auf Grund des so wesentlich be-
reicherten Materials gestaltet. Im übrigen behandelt dieser
Band die Zeit der ägyptischen Großmacht, die Epoche vom
Beginn des 16. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts, in der die
einzelnen Gebiete des vorderen Orients mit Einschluß der
ägaeischen Welt sowohl politisch wie kulturell in enge Ver-
bindung und Wechselwirkung untereinander treten und sich
so ein Staatensystem herausbildet, dessen geschichtlichen Ver-
lauf wir trotz der Trümmerhaftigkeit der Überlieferung doch
noch in den Grundzügen zu erkennen vermögen. Wenn ich
schon vor nahezu einem halben Jahrhundert den Versuch
einer solchen zusammenfassenden Darstellung gewagt habe, so
ist das jetzt in noch viel höherem Maße geboten; erst dadurch
tritt die Eigenart und das innere Leben der einzelnen Kulturen
deutlich hervor. Vor allem gilt das von dem Verhältnis der
ägyptischen zur kretisch-mykenischen Kultur; daher war es un-
vermeidlich, so befremdend das zunächst manchem erscheinen
mag, die Darstellung der letzteren der der ägyptischen Kultur
des Neuen Reichs voranzustellen. Ich glaube mich in der An-
nahme nicht zu täuschen, daß dadurch eine wesentliche Ver-
YI Vorwort
tiefunf^ der Anschauung' gewonnen werden konnte, die neben
der fortdauernden beiderseitigen Beeinflussung den zwischen
ihnen bestehenden inneren Gegensatz herauszuarbeiten ge-
stattet. Für die chetitische Kultur und Geschichte gilt das
gleiche. Hier tritt dann der starke Einfluß von Assyrien und
Babylonien hinzu. Nur umso deutlicher erkennen wir dabei
zugleich, daß, im Gegensatz zu weitverbreiteten populären An-
sichten, die Kultur dieser Gebiete während der ganzen Epoche
und noch Jahrhunderte später vollständig stagniert und sie
irgend etwas Bedeutendes nicht zu schaff"en vermochte. Daran
hat auch das vor allem durch die deutschen Ausgrabungen in
Assur erschlossene neue Material nichts geändert; die Ge-
schichte der Staaten am Euphrat und Tigris verläuft ein Jahr-
tausend lang in ermüdender Monotonie und vermag ein tieferes
Interesse nicht zu erwecken, erst im 9. Jahrhundert beginnt
hier von Assyrien aus langsam eine neue Entwicklung.
Im Gegensatz dazu hat die Geschichte Ägyptens und
seiner Kultur im Neuen Reich au innerem Leben und ver-
tieftem Verständnis ständig gewonnen. Mir ist es vergönnt
gewesen, diese Epoche nach der Behandlung in der ersten
Auflage (1884) und in meiner Geschichte Ägyptens (1887)
jetzt zum drittenmal eingehend darzustellen; und immer von
neuem ist mir dabei der gewaltige Fortschritt ins Bewußtsein
getreten, der, ganz abgesehn von der ununterbrochenen Er-
schließung neuen Materials, durch die intensive Arbeit zahl-
reicher hervorragender Gelehrten aller Kulturvölker hier im
Verlauf eines halben Jahrhunderts erreicht ist. Zugleich ist
sowohl durch gediegene Einzelarbeiten wie durch Zusammen-
fassung des gesamten Materials die Arbeitsmöglichkeit ge-
waltig gesteigert worden: ich nenne hier mit warmem Dank
vor allem Breasted's Ancientßecords, Sethe's Bearbeitung der
Inschriften der achtzehnten Dynastie und Heinrich S:^häfer's
grundlegende Werke über die ägyptische Kunst, und daneben
das große von Adolf Erman geschaffene Ägyptische Wörter-
buch, dessen Material mir in zahlreichen Fällen die wertvollste
Hilfe gewährt hat und das, wenn es in wenigen Jahren voll-
Vorwort yjj
ständig vorliegt, eine neue Epoche der Forschung eröffnen
wird. Daneben hat mir das prachtvolle von Burchardt und
Koch in den Photographien der Fremdvölkerexpedition ^) zu-
gänglich gewordene Material durchweg die größten Dienste
geleistet.
Auch auf babylonisch -assyrischem Gebiet hat sich seit
der ersten Auflage die Lage ganz anders gestaltet. Damals
bildeten die Arbeiten von Eb, Schrader und George Smith
fast die einzige wirkliche Hilfe; im übrigen habe ich mich da-
mals an der Hand des RAWUNsoN'schen Inschriftenwerks mit
den kläglichen, von den stärksten Fehlern strotzenden „Über-
setzungen" Menant's herumschlagen müssen. Erst durch Eber-
fiARD S ;hrader's Keilinschriftliche Bibliothek (seit 1889) wurde
dem Historiker eine zuverlässige und übersichtliche Samm-
lung des geschichtlichen Materials in Transkription und
Übersetzung geboten, das dann durch zahlreiche Einzelpubli-
kationen ständig vermehrt und vertieft worden ist.
Daß wir vom Chetiterreich erst seit wenigen Jahren
wirkHch etwas wissen, bedarf keiner Bemerkung. Hier wird
meine Darstellung notgedrungen vielfach nur einen provisori-
schen Charakter tragen, zumal es mir nicht mehr möglich ge-
wesen ist, mich selbst noch irgendwie in die Sprache hinein-
zuarbeiten. In wenigen Jahren wird sich hier ein viel lebens-
volleres Bild zeichnen lassen.
Etwas anders Hegen die Dinge bei der kretisch-mykeni-
schen Kultur. Freilich die Darstellung, die ich 1893 im zweiten
Bande der G. d. A. versucht habe, war alsbald völlig überholt;
aber ein wirkliches Verständnis wurde erst ermöghcht, seit
1899 die Ausgrabungen Evans' und der Italiener auf Kreta be-
gannen und uns in rascher Folge eine ganz neue Kulturwelt
erschlossen und dadurch zugleich die mykenische Kultur erst
in das richtige Licht gerückt wurde. Auf diesem Gebiet habe
') Ich zitiere die Photographien nach dem von mir in den Be-
richten der Berliner Akademie 1913, 769 S. veröffentlichten Katalog.
Ergänzend treten die großen Aufnahmen des Tempels von Abusimbel
hinzu, die mir Herr Breasted freundlichst zur Verfügung gestellt hat.
yiJ]; Vorwort
ich die Erj^ebnisse andauernd genau verfolgen und durch-
denken können, so daß ich hoffe, daß mir hier nichts Wesent-
liches entgangen ist.
Auch sonst habe ich, sooft auch andere Aufgaben da-
zwischentraten, die Beschäftigung mit dem Gesamtgebiet bis
zum Kriegsausbruch niemals unterbrochen, sondern es immer
von neuem vor allem in meinen Vorlesungen eingehend be-
handelt. In den ersten Monaten des Krieges habe ich dann mit
der Ausarbeitung begonnen und einzelne Abschnitte damals
niedergeschrieben. Aber alsbald sah ich, daß das unter den
damaligen Verhältnissen nicht möglich war; und so ist eine
lange Unterbrechung eingetreten, bis ich 1924 nochmals von
vorn begonnen habe. Dabei zeigte sich, daß ich niemals zum
Ziele gelangen würde, wenn ich in alter Weise darauf ausgehn
wollte, alles Material erschöpfend zusammenzufassen und zu
jeder neueren und neuesten Arbeit Stellung zu nehmen; ich
mußte mich beschränken, und dem habe ich auch äußerlich
dadurch Ausdruck gegeben, daß ich die äußere Form der An-
merkungen geändert habe. So wird man vielleicht manche
Einzelheit und manches Zitat vermissen; aber ich hoffe, daß
ich wenigstens Grundlegendes nicht übersehn habe.
Im Winter 1925/26 ist dann noch einmal eine Unter-
brechung eingetreten dadurch, daß mir durch ein mit tief-
gefühltem Dank emiDfangenes Geschenk zu meinem siebzigsten
Geburtstag die Möglichkeit gewährt worden ist, Ägypten in
seiner ganzen Ausdehnung bis zum zweiten Katarakt und zur
Großen Oase sowie Palaestina und Phoenikien eingehend zu
bereisen und außer den Küsten Kleinasiens auch Griechenland
noch einmal wieder zu besuchen und nach Knossos hinüber-
zufahren. Wie sehr die dadurch gewonnene eigene Anschauung
meiner Arbeit zugute gekommen ist, wird der Leser an zahl-
reichen Stellen erkennen können.
Ich hoffe, daß ich die Fortführung, mit der ich bereits
begonnen habe, wesentlich rascher werde schaffen können,
da hier verhältnismäßig viel weniger neues Material hinzu-
gekommen ist und ich daher den alten Text vielfach werde
Vorwort IX
benutzen können. Ob es möglich sein wird, die gesamte
Geschichte des Orients und GriechenLands nebst Italien vom
12. Jahrhundert bis zur Aufrichtung des Achaemenidenreichs
und den Perserkriegen in einem Bande zu behandeln, oder
ob eine Teilung in zwei weitere Bände erforderlich sein wird,
kann erst die Ausarbeitung selbst entscheiden. Die Neu-
bearbeitung der drei Bände der griechischen Geschichte des 5.
und 4. Jahrhunderts soll dann unmittelbar daran anschließen.
Von Einzelheiten will ich nur noch erwähnen, daß ich in
der Transkription der assyrischen, chetitischen und sonstigen
westlichen Namen nicht die von den Assyriologen befolgte
babylonische Aussprache der Zischlaute gegeben habe, die, wie
vollkommen feststeht, der wirklichen Aussprache nicht ent-
spricht, sondern vielmehr diese eingesetzt habe. Ich schreibe
daher s und s, wo die Assyriologen und die ihnen folgenden
Chetitologen umgekehrt s und s schreiben. Manche Inkonse-
quenzen sind allerdings geblieben; so hätte ich z. B. besser
durchweg Tesub und nicht Tesub schreiben sollen. Eine metho-
dische Durcharbeitung dieser ganzen Frage ist ein dringendes
Bedürfnis.
Berlin,, den 14. Februar 1928
Eduard Meyer
Inhalt
Seite
I. Der Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
Die Sprachen und Volksstämme Kleinasiens 3
Das Eingreifen Babyloniens. Die Assyrer in Kappadokien und die
vorderasiatische Gesamtkultur 11
Die indogermanischen Chetiter 20
Die Anfänge des chetitischen Reichs 24
Das charrische Reich Mitani 28
Arische Stämme in Vorderasien und die Heimat der Indogermanen 33
Die Zeit der Hyksosherrschaft 41
Umwandlung des Kriegswesens 44
II. Die Wiedererhebung Ägyptens und die
Gründung des Neuen Reichs
Der Sturz des Hyksosreichs durch die Könige von Theben. Be-
ziehungen zu Kreta 47
Die Organisation des Neuen Reichs 58
Die ersten Könige der achtzehnten Dynastie 74
III. Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Die ägyptischen Eroberungen: Nubien, Libyen, Syrien .... 79
Städte und Bevölkerung Palaestinas und Syriens 83
Thutmosis' I. Feldzug nach Syrien 104
Beziehungen zu Kreta. Die Kafti 105
Königin Flatsepsut 110
Die Kriege Thutmosis III 120
Die Organisation des ägyptischen Weltreichs 134
Die Nachfolger Thutmosis III. Das Reich unter Amenophis III. 146
Die Beziehungen zu den Nachbarstaaten: Babylonien, Assyrien,
Mitani, das Chetiterreich 151
IV. Kreta und die kretische Kultur
Die Entwicklung Kretas. Aufkommen und Charakter einer neuen
Kultur 162
Ägyptische Einwirkungen und innerer Gegensatz zur ägyptischen
Kunst. Die Architektur 175
Die Eteokreter (Kafti) und ihre Religion 182
Inhalt XI
Seite
Gräber und Totenkult 201
Staatliche Verhältnisse. Bewaffnung und Kriegswesen .... 203
Handel, Industrie und Schiffahrt 208
Die Minossage und die Beziehungen zum Ausland. Die Inselwelt
und der Westen. Der Diskus von Phaestos und die Philister . 212
V. Das griechische Festland und die mykenische
Kultur
Griechenland unter dem Einfluß der kretischen Kultur. Die Schacht-
gräber von Mykene 221
Die Eroberung Kretas durch die Achaeer 235
Mykene und Tiryns. Die Kuppelgräber. Das argivische Königreich 239
Der übrige Peloponnes. Boeotien. Der Krieg gegen Theben . . 2ö3
Orchomenos und die Minyer. Thessalien, Kuboea und Athen. Die
Kykladen 2-59
Die Verteilung der griechischen Stämme. Ältere Schichtungen.
Epiros und Makedonien 269
Die Götterwelt. Athena 274
Achaeer und lonier. Apollon 279
Stoffe und Heimat der Heldensagen 285
Die Entwicklung der griechischen Sagendichtung im Vergleich
mit der germanischen 288
Der Trojanische Krieg 296
VI. Kultur und Religion Ägyptens unter der
achtzehnten Dynastie
Gestaltung der Kultur. Gräber und Totentempel 303
Die Göttertempel der achtzehnten Dynastie. Schlachtengemälde.
Einwirkung der kretischen Kun.st 307
Idee und Gestalt des ägyptischen Tempels 313
Amenophis III. und Teje. Die Blütezeit der ägyptischen Kunst . 318
Religion und Theologie 325
VII. Niedergang der ägyptischen Machtstellung in
Syrien. Vordringen der Beduinen und der Chetiter
Quellen und Chronologie 334
Eindringen der semitischen Nomadenstämme ins Kulturland. Ara-
maeer und Israeliten 342
Die Aufstände unter Amenophis III. Erstes Eingreifen Mitanis und
der Chetiter 347
Der Thronwechsel in Ägypten. Fortgang der "Wirren in Syrien . 3.56
Die Zustände in Palaestina 362
yjj Inhalt
Seite
Eroberung Syriens durch die Chetiter. Niedergang des Reichs
Mitani, Vordringen der Assyrer 368
VIII. Versuch der Durchführung des solaren Mono-
theismus und Restauration der Orthodoxie
Amenophis IV. Die Einführung des Sonnenkults 380
Die Krisis und die lleligionsverfolgung 389
Die Sonnenstadt Amarna 393
Der Ausgang Echnatens und die Reaktion. Tut'anch-amon und
Haremhab. Wiederunterwerfung Palaestinas 397
Die Restauration der Orthodoxie und des Staats 407
Die Nachwirkungen der Krise auf das Geistesleben Ägyptens . 413
Die Darstellung der Bewegung in der Überlieferung bei Manetho 420
IX. Die neunzehnte Dynastie. Ägypten und das
Chetiterreich
Ramses I. Der Säulensaal von Karnak. Organisation der Armee 427
Sethos I. Feldzug gegen die Beduinen Palaestinas und gegen die
Libyer 431
Das Chetiterreich unter Mursil IL und Muwattal 436
Chronologie 447
Sethos' Krieg gegen die Chetiter und Amoriter 449
Ramses IL und der große Chetiterkrieg 4-55
Wirren im Chetiterreich. Chattusil III. Fortschritte Assyriens und
Untergang Mitanis 471
Friedensschluß und Bündnis zwischen Ägypten und dem Chetiter-
reich 479
X. Die Kultur der Ramessidenzeit
Die untertänigen Gebiete. Der Verkehr 486
Die Verwaltung. Die Ramsesstadt und die übrigen Städtegrün-
dungen 494
Tempelbauten und bildende Kunst. Die Schlachtgemälde . . • 496
Literatur und Religion. Das Tempelgut 506
XL Das Chetiterreich und seine Nachbarn.
Babylonien und Assyrien
Organisation und Charakter des chetitischen Reichs 512
Literatur. Kunst. Die Königsstädte. Die hieroglyphischen Inschriften .520
Die Vasallen. Beziehungen zu Ägypten 528
Assyrien und Babylonien. Ausgang des Kossaeerreichs. Elamitische
Invasion 530
Kultur und Kunst Babyloniens und Assyriens 539
Inhalt XIII
Seite
XII. Die großen Wanderungen. Ausgang der
niykenischen Zeit, Ende des Chetiterreichs
und Niedergang Ägyptens
Das westliche Kleinasien. Die Lykier. Die Achaeer in Pamphylien
und auf Cypern .544
Die Seevölker und die ethnographischen Probleme. Tyrsener und
Achaeer .555
Die große Völkerwanderung 566
Merneptah. Der Angriff der Libyer und der Seevölker .... 576
Thronwirren und Fremdherrschaft in Ägypten. Setnacht . . . 579
Ramses' III. Kriege mit den Libyern und den Seevölkern. Unter-
gang des Chetiterreichs 585
Ramses' III. Regierung. Kultur und Kunst 593
Ramses III. Ausgang. Die späteren R amessiden. Niedergang Ägyptens 599
Königslisten 608
1. Ägypten. 2. Das charrische Reich Mitani (C'hanigalbat). 8. Das
Chetiterreich. 4. Babylonien. 5. Assyrien
Index 612
Abbildnn^en
Tafel I. Semitische und arische Gefangene, aus dem Grabe I.Iareraliabs.
II. Kreter (Kafti) aus den Gräbern des Senmut und RechmerO.
„ III. Ägyptische und kretische Darstellungen der Kreter.
„ IV. Chetitische und syrische Streitwagen aus der Schlacht bei
Qades.
„ V. Serdana und chetit.sche Ililfstruppen aus der Schlacht bei
Qades.
, VI. Tursa und Philister bei Ramses III. Mykenische Krieger.
„ VLI. Myken'sche Silbervase. Philister und Serdana^ Tursa, Neger
im Heere Ramses' III.
„ VIII. Mykenische und kretische Siegel.
Geschichte des Altertuins
Die Zeit der ägyptischen Großmacht
Meyer, Creschichte des Altertums. Ui.
I. Der Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
Die Sprachen und Volksstämme Kleinasiens
Das 18. und 17. Jahrhundert ist in der Geschichte des
vorderen Orients eine Epoche großer Völkerbewegungen, in
denen die bisherige Gestaltung der Staatenwelt durch das
Auftreten neuer Volksstämme schwer erschüttert und vielfach
von Grund aus umgewandelt worden ist. Schon früher zeigten
einzelne Spuren, daß dabei der Einbruch indogermanischer
Volksstämme eine Hauptrolle gespielt hat (Bd. I 455 f. 465.
468); die Entdeckungen des letzten Jahrzehnts lassen immer
deutlicher erkennen, daß der entscheidende Anstoß von diesen
ausgegangen ist^).
Die Grundlage der neuen Erkenntnis ist durch die Er-
schließung der gewaltigen Ma.sse von Urkunden und literari-
schen Texten geschaffen worden, welche das Archiv von
Boghazkiöi, im Inneren des späteren Kappadokiens, der
Hauptstadt des großen Chetiterreichs des 14. und 13. Jahr-
hunderts, bewahrt hat. Geschrieben sind diese Schriftstücke
sämtlich in babylonischer Keilschrift und bieten daher der
Lesung wenig Schwierigkeiten. Dadurch, daß sie zahlreiche
babylonische (sumerische und akkadische) Ideogramme ver-
wenden, vor allem gerade für die geläufigsten Worte, ist die
Erschließung des Inhalts wesentlich gefördert worden, so daß
jetzt, so viel auch noch im einzelnen zu tun bleibt, doch das
allgemeine Verständnis der Texte und auch ein Einblick in
') Die in diesem Kapitel behandelten Fragen habe ich in dem
Aufsatz: Die Volksstämme Kleinasiens, das erste Auftreten der Indo-
germanen in der Geschichte und die Probleme ihrer Ausbreitung, Ber.
Berl. Ak. 1925, 244 fl'., besprochen; den Hauptteil der dort gegebenen
Ausführungen habe ich hier wiederholt.
4 I. Der Orient bis y.nm Beginn des 16. Jahrhunderts
den Bau der Sprachen wenigstens in den Grundzügen ge-
wonnen ist. Es ist aber nicht nur eine Sprache, die wir hier
kennen lernen, sondern eine ganze Anzahl; und mit einem
Überblick dieser neuerschlossenen Sprachen und Volkstümer
müssen wir daher beginnen.
Die Sprache des chetitischen Großreichs hat sich, so
fremdartig sie auf den ersten Blick erschien, dennoch, wie
zuerst Fh. Hrozny im Jahre 1915 erkannt hat^), ihrem gram-
matischen Bau nach als eine indogermanische erwiesen. Aber
daneben enthält sie viele ganz fremdartige Elemente, vor
allem im Wortschatz — dieser Eindruck wird noch dadurch
gesteigert, daß gerade die wichtigsten Worte, wie Vater,
Sohn, Gott, die Zahlwörter u. a., immer nur ideographisch
geschrieben sind, wir also ihre Aussprache nicht kennen — ;
diese Sprachmischung beweist, daß hier ein indogermanischer
Stamm erobernd eingedrungen sein muß, der dann in seiner
Sprache sowohl lexikalisch wie auch grammatisch von der
älteren Bevölkerung eine tiefgreifende Einwirkung erfahren hat.
Weiter aber hat sich gezeigt, daß dieser Ilauptsprache
der Name „chetitisch" gar nicht zukommt; unter diesem
Namen (Chatti, mit Suffix cliatüU) erscheint vielmehr in den
Texten eine ganz andere Sprache, von der gleichfalls zahl-
reiche Proben vorliegen. Die Sprache des herrschenden Volkes
dagegen wird in einem Ritualtext einmal mit nasill („nasisch")
bezeichnet; danach hat Forrer vermutet, sie sei korrekter
') Zuerst in einer kurzen Skizze Mitt. DOG. 5-5, Dez. 1915, dann
in systematischer Darstellung: Die Sprache der Hethiter (Boghazkiöi-
Studien, herausg. von 0. Weber, Heft I und II), 1916 f. Seitdem hat
die Chetitologie bereits eine reiche Literatur entwickelt. Wenn sich
auch gar manche der ersten Kombinationen Hrozny's als übereilt und
unhaltbar erwiesen, ist doch sein Grundergebnis jetzt allgemein an-
erkannt. Dadurch ist zugleich bestätigt, daß in der Tat Bugge, Torp und
Knudtzon recht hatten, wenn sie im J. 1902 die mit dieser Sprache
identische der beiden Briefe aus Arzawa (in Kilikien) aus dem
Amarnafund für indogermanisch erklärten, was ich Bd. I 474 Anm.
abgelehnt habe, weil der Wortschatz einen ganz fremdartigen Eindruck
machte.
Die Sprachen Kleinasiens 5
kanisisch (Sprache der Stadt Kanis) zu nennen i). Gesichert
ist das freilich keineswegs, und der Chetitername, den Reich
und Volk sowohl bei den Fremden, mit denen sie in Be-
rührung gekommen sind, Ägyptern, Babyloniern, Assyrern,
wie in den einheimischen Texten durchweg führen, wird sich
auch in der Beziehung ihrer Sprache nicht vermeiden lassen:
so ist es wohl das ratsamste, die ältere, einheimische Sprache
als protochattisch zu benennen.
Im Protochattischen sind außer religiösen Kultformeln
mehrere größere Texte, Götterlegenden und Gesänge, erhalten,
zum Teil mit „chetitischer" Übersetzung. Vom Indogermani-
schen ist es völlig verschieden. Im Sprachbau ist es vor allem
dadurch charakterisiert, daß die grammatischen Beziehungen
größtenteils durch Präfixe ausgedrückt werden. Sichere Be-
ziehungen zu anderen Sprachstämmen sind bis jetzt nicht
nachgewiesen.
Neben 1. dem Protochattischen und 2. dem „Chetitischen"
(Kanisischen) erscheinen in den Texten aus Boghazkiöi noch
drei weitere Sprachen''), deren Namen da, wo in ihnen ab-
gefaßte religiöse Formeln, Anrufungen und Beschwörungen im
Kultus verwendet werden, ausdrücklich genannt sind. Es sind:
3. Das Charrische (char/i-Ii), die Sprache des Volkes, das
') Ihm verdanken wir den ersten Nachweis der verschiedenen
Sprachen: E. Forreb, Die acht Sprachen der Boghazkiöi-Inschriften.
Ber. Berl. Ak. 1919, 1029 tf. Gleichzeitig Hrozny, Über die Völker und
Sprachen des alten Chatti-Landes (Boghazkiöi-Studien Heft .5, 1920). Die
beste Orientierung gibt zur Zeit Forrer. Die Inschriften und Sprachen
des Hattireichs ZDMG. 76, 1922, 174 ff. (kürzer in MDOG. 61, Dez. 1921).
Daß im einzelnen noch gar manches problematisch bleibt und im Fluß
ist, bedarf kaum der Erwähnung. Eine gute Übersicht aller bis jetzt be-
kannten Sprachen Kleinasiens bietet Jon. Friedrich, Altkleinas. Sprachen,
in Ebert's Reallexikon der Vorgeschichte I 126 ff.
^) Hinzu kommen das für Verträge und andere Schriftstücke.
unter den ältesten Herrschern auch in ihren einheimischen Urkunden
vielfach verwendete Akkadisch (hier als babili-li ^babylonisch" be-
zeichnet) und das für die Erlernung der Schrift unentbehrliche Su-
merisch, und endlich die unten S. 35 besprochenen arisch -indischen
Wörter.
6 I. Der Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
unter dem Namen Charri^) mehrfach schon in den früher
bekannten Texten vorkam (Bd. I. 455 A. 4C5). Die damals an-
genommene Deutung als Arier hat sich jetzt als völlig un-
möglich erwiesen. Ihre Sprache, in der Bruchstücke von
mehreren umfangreichen Texten religiösen Inhalts vorliegen, ist
vielmehr mit der Mitanischen im nördlichen Mesopotamien und
Nordsyrien nahezu identisch, und Charrier ist der auch in den
Urkunden und geschichtlichen Berichten häufig verwendete
Name der Bevölkerung dieser Gebiete^), deren Einwirkungen
auch in Assyrien im somatischen Typus und in den Namen
der ältesten Könige (Bd. I 433a. 463) stark hervortreten-'').
4. Das Balaische (balmmmi-U), das für die Rezitation
von Weihsprüchen mehrfach erwähnt wird, von dem jedoch
sichere Überreste bis jetzt nicht gefunden sind, so daß sich
weder über seinen sprachlichen Charakter noch über das Ge-
biet, dem es angehört, etwas Bestimmtes aussagen läßt.
5. Eine weitere wiederholt zu Beschwörungen verwendete
Sprache ist das Luwische (luivi-Jl). das sich, soweit man bis-
her sehn kann, vom „Chetitischen" nur dialektisch zu unter-
scheiden scheint. Auch da sind noch weitere Aufklärungen
zu erwarten. Es scheint vor allem ins spätere Kilikien zu
gehören; der hier heimische Gott Sandon (Bd. I 484) er-
scheint in luwischen Texten in der Form Santas, der Gott
Tarchu oder Tarqu (Bd. I 476) als Tarchundas.
') Hrozny, Ungnad u. A. ziehen die gleichfalls mögliche Lesung
Churri vor.
^) Die weitverbreitete Ansicht, daß Charri auch ein Name der
Bevölkerung des armenischen Gebirgslandes gewesen sei, beruht da-
gegen auf einem Mißverständnis, s. u. Abschnitt VII.
') Mit den Choritern in Palaestina und dem Wüstenlande im
Süden mit dem Gebirge Se'ir (Bd. I 467) können dagegen diese Charri
nichts zu tun haben, da die choritischen Stamm- und Ortsnamen echt
semitisch sind; die Vorliebe für Benennung der Stämme nach Tieren
zeigt deutlich, daß sie Wüstenstämme sind, [die in die Grenzgebiete
des Kulturlandes eindringen. Der bei ihnen herrschende Sonnenkult
findet sich ebensogut bei den semitischen Nomaden (so auch den Ak-
kadiern von Sippara) wie bei den Chetitern und sonst.
Die Sprachen Kleinasiens 7
Weitere früher schon bekannte Sprachen dieser Gebiete
sind im Osten in den armenischen Gebirgen das Alarodische
oder Chaldische (Bd. I 475) und weiter die zahlreichen Sprachen
des Kaukasus, unter denen nur das Georgische (Iberische)
über ein größeres Gebiet verbreitet ist; im westlichen Klein-
asien das Ljdische, in das uns jetzt Inschriften aus Sardes
einigen Einblick gewähren^), das Karische, von dem uns nur
wenige Wörter erhalten sind, und das Lykische. Damit ist
aber der Sprachbestand des alten Kleinasiens noch in keiner
Weise erschöpft^); so ist im Norden nach Strabos Zeugnis
das Paphlagonische eine gesonderte Sprache^), und im Süden
treten die Gebirgsstämme von Pisidien nebst den Solymern
und andrerseits die Kiliker in ihren Eigennamen als scharf
gesonderte Gruppen hervor. Dazu kommt die neuerdings durch
einige Inschriften aus Amathus bekannt gewordene Sprache
der Urbevölkerung von Cypern'), und endlich im Osten Kretas
das Eteokretische der Inschriften von Praisos (Bd. I 505),
So bietet das alte Kleinasien sprachlich ein buntes Bild.
Es ist ein Zustand, wie wir ihn. im Gegensatz zu der erst im
Verlauf der geschichtlichen Vorgänge sich vollziehenden Aus-
breitung einiger weniger Sprachstämme über Ländermassen
von gewaltigem Umfang''), in primitiven und von dem großen
') Sardis Vol. VI, Lydian Inscriptions Parti by Enno Littmanx. 1916.
-') Von den wahrscheinlich erst im 12. Jahrhundert aus Thrakien
eingedrungenen indogermanischen Sprachen, dem Phrygischen mit dem
Armenischen und dem Mysischen sowie dem Bithynischen können wir
hier absehn.
^) Von dem kleinen Stamm der Mariandyner vermutet Strabo XII
3, 4 EOtXiV ouv xal toüto Öpaxtov OKäp^rxi xb tpüXov.
*) Siehe die übersichtliche Zusammenstellung Oberhummer's im
Artikel Kypros bei Paui.y-Winowa XII 89 f.
^) Die gangbare Betrachtung der Sprachen steht viel zu sehr
unter dem Eindruck dieser Gestaltung, die sich überall erst im Ver-
lauf der Geschichte herausgebildet hat, bei den indogermanischen und
semitischen Sprachen so gut wie bei den türkischen, den melanesischen
und den Bantusprachen; auch für die Ausbreitung der hamitischen
Sprachen über Nordafrika wird das gleiche gelten. Dadurch erscheint
die Zusammendrängung fundamental verschiedener Sprachen auf ein
8 I. Der Orient bis zum Beginn des 16- Jahrhunaerts
Gang des historischen Lebens wenig oder garnicht berührten
Gebieten fast überall vorfinden: auf engem Raum stoßen zahl-
reiche Sprachen oft von ganz verschiedenem Bau hart an-
einander, bis dann vielleicht einer dieser Stämme die anderen
unterwirft und damit auch seine Sprache die Herrschaft ge-
winnt. Der gleiche Zustand herrscht auch weiter östlich bei
den nichtarischen Stämmen Mediens und der Randgebirge
Irans bis zu den Völkerschaften Elams und den Sumerern
hinab, zwischen die sich dann von West und Süd seit alters
die aufeinanderfolgenden Schichten der Semiten, später von
Osten her die iranischen Arier eingedrängt haben. Verschie-
bungen und Invasionen fremder Volksstämme werden wie in
den geschichtlich erkennbaren Epochen so auch vorher oft
genug vorgekommen sein: aber sichere Ergebnisse lassen sich
hier nur in den seltenen Fällen erzielen, wo, wie bei den
indogermanischen Chetitern, die Sprache einen festen Anhalt
gibt. Im übrigen ist nie zu vergessen, daß solche Vorgänge
sich, wo auch unsere geschichtliche Kunde zuerst einsetzen
mag, auch vorher schon immer von neuem abgespielt haben
und daß sich daher die Hypothesen hier schließlich ins Un-
kleines Gebiet, wie sie in überwältigender Fülle bei den Indianern
aller Teile Amerikas besteht und sich in der alten Welt im Kaukasus
erhalten hat, fälschlich als Anomalie. Natürlich soll damit in keiner
Weise bestritten werden, daß nicht selten auch bei primitiven Ver-
hältnissen große Gebiete in Sprachbau und Sprechweise einen gemein-
samen Typus zeigen, wie die finnisch-ugrischen und die ihnen gleich-
artigen samojedischen, mongolischen, türkischen, tungusischen Sprachen,
deren Zusammenschluß zu einem großen üralaltaischen Sprachkreise
vor allem Heinrich Winkler nachdrücklich verficht, oder wie die ein-
silbigen Sprachen Ostasiens. Wie weit aber dabei von wirklicher Sprach-
einheit und Entwicklung aus einer Ursprache nach Art des Indoger-
manischen die Rede sein kann, wie weit lediglich psychische und soma-
tische Anologien und daneben immer erneute gegenseitige Beeinflussung
vorliegen, das sind Fragen, die sich, so weit ich sehn kann, einer unan-
fechtbaren Entscheidung noch entziehn und eine definitive Lösung viel-
leicht nie finden werden ; und das gleiche scheint auch von der Frage zu
gelten, wie weit sich eine Verwandtschaft des Indogermanischen mit
dem Finnisch-ugrischen erweisen läßt.
Isolierte Sprachen und gegenseitige Beeinflussung 9
endliche und in Gebiete verlieren, auf denen eine geschichtlich
verwertbare Erkenntnis unmöglich ist.
Andrerseits hat es auch in Kleinasien nicht an gegen-
seitigen Beeinflussungen und Sprachmischungen gefehlt. Dar-
auf wird es zurückgehn, daß, im Gegensatz zu den in
den Personennamen stark hervortretenden Unterschieden der
Einzelgebiete ^), die Bildung von Ortsnamen und Gebirgs-
namen auf -ncla und -ndos (in Griechenland -nilios und -nth
ohne Endvokal) und auf -assos und -issos über das gesamte
kleinasiatische Gebiet einschließlich der ägaeischen Welt und
des griechischen Festlandes verbreitet ist (Bd. I 47G). Welcher
der verschiedenen Sprachen diese Bildungen ursprünglich an-
gehören, hat sich bisher nicht ermitteln lassen; es ist sehr
wohl möglich, daß in ihnen ebenso wie dann in der Aus-
breitung der griechischen und in der Neuzeit der türkischen
Ortsnamen oder in der der keltischen in Gallien und Britan-
nien, Spanien, Norditalien und Oberdeutschland die Nach-
wirkung politischer Vorgänge sich erhalten hat. Auch auf
religiösem Gebiet tritt dieser über die einzelnen Volkstümer
hinausgreifende Zusammenhang klar hervor; er gestattet, die
kleinasiatische Religion, einschließlich Kretas, in ihren Grund-
anschauungen geradezu als Einheit zu betrachten (Bd. I 477 ff.),
und manche Götternamen, wie Tesub, Tarku, vielleicht auch
Attis u. a., finden wir als Hauptgötter über weite Gebiete
verbreitet, bei den Chetitern, Kilikern, (Jharriern (Mitani).
Alarodiern, Tarku auch im ganzen Südwesten (Bd. I 476), ohne
') Eine reiche Sammlung aller kleinasiatischen Orts- und Per-
sonennamen hat J. SuNi'WALL, Die einheimischen Namen der Lykier nebst
einem Verzeichnis kleinasiatischer Namenstärame, Klio, 11. Beiheft 1913,
gegeben, aber sie leider aus allen Gebieten einheitlich alphabetisch zu-
sammengefaßt; eine Sonderung nach den einzelnen Landschaften und
Volksstämmen würde die Verwertung wesentlich gefördert haben. Daß
manche Personennamen weit über einen einzelnen Volksstamm hin-
aus verbreitet sind (so Mursilis Müf.atXo<;, Panamü navotfji'jYji;), soll damit
natürlich nicht bestritten werden; das ist das notwendige Ergebnis jeder
politischen und kulturellen Entwicklung, aber eben darum für ethno
graphische und sprachliche Fragen ohne Bedeutung.
10 ^- Der Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
daß sich feststellen ließe, bei welchem dieser Volksstämme
sie ursprünglich heimisch gewesen sind.
Anthropologisch bildet der ganze Osten Kleinasiens, über
alle sprachlichen Unterschiede hinweg, ein einheitliches Ge-
biet mit einem scharf ausgeprägten, von allen anderen ge-
sonderten Rassentypus. Ganz anschaulich und naturgetreu
tritt er uns in den ägyptischen Darstellungen der Chetiter aus
den Kriegen der neunzehnten Dynastie entgegen: ein kur-
zer, hyperbrachykephaler Schädel mit abgeplattetem Hinter-
kopf, stark zurückweichender Stirn, vorspringender, leicht ge-
krümmter Nase, kleinem Mund und Kinn und etwas ver-
kniffenen Gesichtszügen. Damit stimmen die einheimischen
Skulpturen überein, wenn sie auch die charakteristischen Züge
nicht so prägnant und lebendig wiederzugeben vermögen wie
die ägyptischen Künstler. Dieser Typus hat sich, untermischt
mit anderen Gestalten, in Kleinasien und Armenien bis auf
den heutigen Tag weithin erhalten und hat auch die Be-
völkerung Nordsyriens und Assyriens stark beeinflußt (Bd. I
330. 476). Neben der vollen Übereinstimmung in der Körper-
bildung bestehn in der Tracht der „chetitischen" Stämme
charakteristische Unterschiede. Bartlos sind sie alle, so gut wie
die Sumerer, im Gegensatz zu den Amoritern, den Assyrern
und den übrigen Semiten, aber die Haartracht ist verschieden :
neben den Kriegern mit langem Haar, das in zwei Strähnen
auf den Schultern liegt, steht eine andere Gruppe, die das
Haupthaar bis auf einen vom Hinterkopf herabhängenden
Zopf abrasiert hat. Dem entspricht, daß in diesen beiden
Gruppen auch der Schild und der Kriegswagen verschiedene
Gestalt haben. Auch die einheimischen Skulpturen zeigen
den gleichen Unterschied, und zwar bereits die primitiven
Siegelzylinder aus der assyrischen Ansiedlung vom Kültepe^).
Wie sprachlich hat sich also die somatisch einheitliche Be-
') Das Material siehe in: Reich und Kultur der Chetiter S. 12 fif. 55
78 ff. Auch auf dem ganz alten Siegelabdruck vom Kültepe S. 54 (u. S. 17)
ist eine Gruppe mit Zöpfen und eine andere ohne solche deutlich er-
kennbar. — Die ägyptischen Darstellungen siehe auf Taf. IV.
Rassentypus und Haartracht der Chetiter H
völkerung des Hochlandgebietes in Gruppen gespalten, die
ihre Eigenart in der Behandlung des Haupthaars lange Zeit-
räume hindurch eben so zäh festgehalten haben wie z. B. die
Semiten.
Das Eingreifen Babyioniens. Die Assyrer in Kappadol(ien
und die vorderasiatische Gesamticultur
Die Eigenart dieser Volksstämme tritt uns seit dem
2. Jahrtausend sowohl in der Gestaltung ihres Staates wie in
der ihrer Religion und Kunst entgegen. Aber ins geschicht-
liche Leben und in einen größeren Kulturzusammenhang sind
sie schon weit früher hineingezogen worden durch die Ein-
wirkung, die von dem zentralen Kulturgebiet Vorderasiens vom
Euphrat und Tigris aus auch diese Landschaften ergriffen
hat. Dadurch erklärt es sich, daß der Schwerpunkt der Ent-
wicklung Kleinasiens im 3. und 2. Jahrtausend in der weiten
kahlen Hochebene im Osten liegt, die der Halys in großem
Bogen durchzieht ohne sie zu befruchten, also in einem Ge-
biet, in dem man ihn am wenigsten suchen würde, während
die reichen Landschaften des Westens völlig zurücktreten.
So unzulänglich auch unsere Kunde über die Ausdehnung
der alten Reiche von Sinear immer noch ist, so kann doch
kein Zweifel sein, daß das von Sargon von Akkad um 2650^)
begründete „Reich der vier Weltteile" nicht nur Elam und
die Zagrosgebiete, Mesopotamien und Nordsyrien nebst Cypern
umfaßt, sondern auch tief ins östliche Kleinasien hinein-
gegriffen hat (vgl. Bd. I 398. 402a). Aus den Sagen von
Sargon besitzen wir jetzt den Eingang einer Erzählung, wie
aus dem weit abgelegenen, durch unwegsame Gebirge von
') Die chronologischen Daten sind hier und im folgenden auf
Grund der Darlegungen im Nachtrag zu Bd. I gegeben; dabei habe
ich mich begnügt, die niedrigeren einzusetzen, die ich für die wahr-
scheinlichsten halte (bei denen die sog. 2. Dynastie von Babel oder vom
Meerlande völlig gestrichen wird); nach der Chronologie Fotheringham's
und seiner Anhänger wären alle diese Daten vor 1750 um 120 Jahre
zu erhöhen.
12 I- Der Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
Akkad getrennten Lande am Berge Galasu die Kaufleute ihn
zu Tlilfe riefen gegen den König von Bursachanda oder
Buruschanda, und er sich nach langem Zögern und vielfachen
Wechselreden zu dem Kriegszug entschließt^). Die Stadt
Buruschanda wird in den aus Kappadokien stammenden Texten
häufig erwähnt; danach kann an der Lokalisierung kein
Zweifel sein. Daß die Sagenerzählung, wenn sie auch erst
viel später gedichtet ist, einen historischen Kern enthält,
wird dadurch bestätigt, daß ein in Form einer Königsin-
schrift gefaßter Bericht über die Taten Naramsins unter den
von ihm bekämpften Völkern auch die „Scharen der Manda",
der Barbarenstämme des Nordens, erwähnt und von einer
Koalition von siebzehn Königen berichtet, die er besiegt habe;
unter diesen erscheint Pamba, der König von Chatti, Chu-
tuni, der König von Kanis, ferner neben denen zahlreicher
anderer Orte der von Kursaura, d. i. Garsaura im westlichen
Kappadokien in der Nähe des Tattasees, sowie der König
von Amurri und der König von Arman im Zagrosgebiet,
dessen Besiegung auch das Fragment einer Platte aus Teile
erwähnt^).
Die Erzählung von Sargon setzt voraus, daß zu seiner
Zeit bereits akkadische Kaufleute (tamlcarö) im östlichen
') Von dieser umfangreichen Erzählung im epischen Stil, die
den Titel sar tamchari, ,der König der Sehlacht% führt, hat sich
die erste Tafel in eigenartiger, chetitisch beeinflußter Orthographie in
einem Privathause in Teil el Amarna (MDOG. 55, 1914), ein kleines
Bruchstück in Assur gefunden, bearbeitet von Weidner, Der Zug Sargons
von Akkad nach Kleinasien, Boghazkiöistudien Heft 6. 1922. Ein Frag-
ment einer chetitischen Übersetzung bei Forrer, Boghazkiöitexte in
Umschrift no. 1. Ebenda no. 2 ein weiteres von Sargon handelndes
Fragment.
2) Das Material s. Bd. I 400; das Bruchstück der Königsinschrift
Cun. Texts XIII 44 aus der Bibliothek Assurbanipals wird jetzt wesentlich
ergänzt durch das Fragment einer chetitischen Übersetzung bei Forreb,
Boghazkiöitexte in Umschrift no. 8. wo von den Namen der koalierten
Könige und Ortschaften 14 erhalten sind. Weitere Bruchstücke von
Übersetzungen der Erzählungen von Naramsin ebenda no. 4. 5.
Eingreifer r_. _.^_-_ .: ■ - - '.loEJie la KME-asi'ir 13
Kleiaasien inmitten der fi-emden BeTölkemng ansässig waren
Tind Handel treiben: ihr Führer trägt den Namen >f^ürdagan^>.
Dieser Zustand tritt uns dann in der Folarezeit ganz aasekaa-
lich entgregen in zaKtreiehen Dokumenten, die in ?tets wach-
sender Zahl an fersehiedenen Stellen Kappadokieii? ratage
getreten sind, vor allem im Költepe:. dem Zentrum dieser
Ansiedhingen östlich von Kaisarije nnd dem Argaeo« Bd. 1 4:^-5 >.
Tielleieht der Stätte der in diesen Texten häufig genannten
Stadt Kanic I vgL ö. S. 5 1. aber z. B. aach in Boghazkiöi. E^
sind Tontäfelehen mit Geschäfeiniiniden Terschiedenster Art
:n bsbTlonisclier Keilschrift- Eine ron ihnen trägt den Siegel-
abdmek des Ibisin- König? Ton Ur ( 22«X» — 2176». und beweist
«omit daß da? Reich Ton Samer und Aktad nnter dieser Dy-
nast aneh diese Grebiete umfaßt hat: auf einer andern sieht der
des Sargon (Sarrukin«. Patesi tod. Assur. Sohn des Ekrünum.
der wahrscheinlich um V^z*J anzusetzen ist-': daraus ersehen
sich als Zeit für die Hauptmasse dieser Urkunden die letzten
Jahrhunderte des 3. Jahrtausends. Dazu stimmt sowohl die
Gestalt der Schriftzeichen wie die DarsteUunsren derienicren
SiegeL die babTionis/rhen Tvpus tragen- während andere p'ri-
TTritiTe einheimische MotiTe verwenden ' ~^ o. S. 10 . Das
ganz überraschende und rätselhafte ist nun aber. da£ in
ibnpm nicht etwa Babylonien. sondern Assrrien als m^gebend
herrortritt- Da&ert werden sie nach den assjnsehen Jahr-
beamten Oimu/. der Kalender ist der assTrische. das Recht
«las Ton Asur. .ror dem D«;»lchschwert Assurs" wird Zeugnis
abgelegt auch die Sprache zeigt ul einzelnen Abweiehunzen
Tom Akkaüschen Sinears assrrische Färbung Unter den
?ers>3neiinamen überwieg^en die sp-eziäsch aäsrrischen wie
Fkirn-Tr u. a.. darunter Tor allen die Tnir dem Gottesnam^en
Assur ^nd I^rar 2-' ~-~^~ ■ " -----en finden sieh natürlich auch
5d. I 4^-5 A. .
-i Band I 4.S-5 isrd 5. Tül .äer -3- A^ilas^.
14 T. Der Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
akkadische und viele, die der einheimischen Bevölkerung
angehören^).
Diese Tatsachen zwingen zu der Annahme, daß sich
die Assyrer im 3. Jahrtausend weithin über die Gebirgs-
lande in Nordwesten bis tief nach Kleinasien hinein aus-
gebreitet und das ganze gewaltige Gebiet unter der Oberlei-
tun<y der Regierung von Assur zu einer Einheit zusammen-
gefaßt haben. Es ist aber, soweit wir bis jetzt sehn können,
nicht sowohl eine kriegerische Eroberung gewesen, als eine
friedliche Invasion durch Händler und Kaufleute und daneben
durch Kolonisten, die sich als Bauern in den einzelnen Ort-
schaften niederließen und damit zugleich kultivierte Zustände
unter festgeregelten Rechtsordnungen in diese fernen Gebiete
getragen haben. So wird es sich auch erklären, daß der
Assyrername an den Landschaften des östlichen Kleinasiens
bis über den Halys hinaus nach Sinope an dieser Land-
schaft bis ins 5. Jahrhundert hinein haften geblieben ist")-
Den militärischen Schutz dagegen übernimmt der Großkönig
in Sinear, wie es die Sagenerzählung darstellt. Ein selb-
') Das Material hat sich über das Bd. I 435 gegebene beträcht-
lich vermehrt, vor allem durch die Veröffentlichung der zahlreichen
Texte des British Museums durch Sidney Smith, Cun. Texts from Cappad.
Tablets. Weiter gefördet ist das Verständnis vor allem durch die
Arbeiten von J. Lewy, Studien zu den altassyr. Texten aus Kappad.
1922 und weiter Z. Ass. 36, 1925, 19 ff. 1.39 ff., ferner seinen Artikel
Kappad. Tontafeln im Reallexikon der Vorgeschichte I 212 ff- [ab-
weichend Landsberger, Z. Ass. 35. 22 ff. 220 ff.], ferner in der zusammen-
fassenden Darstellung: Zur Gesch. Assyriens und Kleinasiens im 3.
und 2. Jahrtausend, Orientalische Lit.-Ztg. 1923, 538 ff. [Vgl. weiter die
zusammenfassende Skizze von Landsberger, Assyr. Handelskolonien in
Kleinasien aus dem 3. Jahrtausend, Der Alte Orient Bd. 24 Heft 4, 1925.1
2) Die seltsame Behauptung, daß der Name Aeuxoaüpot, den die
Griechen seit Hekataeos wegen der helleren Färbung im Gegensatz
gegen die Syrer südlich des Taurus neben Soptoi (so durchweg bei
Herodot) und 'Aooopia für diese Bevölkerung verwenden, den Volks-
namen Lukki (Lugga) enthalte („Lukki-syrer«), ist eben so widersinnig
wie die, daß -t] xotX-r] Sopiot und KotXooopot den Namen der Choriter
bewahre.
Die Assyrer im östlichen Kleinasien 15
ständiges Reich und gar eine Großmacht ist Assyrien im
3. Jahrtausend und noch bis zum Ende des Amoriterreichs
von Babel hinab niemals gewesen; keiner der Fürsten von
Assur führt den Königstitel, sondern neben der Bezeich-
nung seiner sakralen Stellung lediglich den eines Patesi^).
Das wird vermutlich mit der eigenartigen politischen Ge-
staltung Assurs zusammenhängen; die Fürsten sind die
Hohenpriester Assurs, aber neben ihnen stehn die weltlichen
') Über die ältere Geschichte Assyriens ist unser Wissen immer
noch ganz dürftig. Zwar hat die Aufdeckung der ältesten Schichten
des Istartempels von Assur durch Andrae (Die archaischen Ischtartempel
von Assur, 39. VeröflFentl. der DOG. 1922) einen lebendigen Einblick
in die Kultur des 3. Jahrtausends gebracht, die hier, wie in dem von
Baron v. Oppenheim ausgegrabenen Teil Haläf bei Resaina an der
Chaborasquelle (vgl. Bd. I 466), im übrigen noch ganz unter sumerischem
Einfluß steht, nur daß der Tempel hier nicht ein Breitraum ist wie in
Sinear, mit dem Kultbild in der Mitte der Langwand, sondern ein
Langraum wie dann in Syrien und Kleinasien, mit dem Kultbild auf
erhöhtem Unterbau an der hinteren Schmalwand. Aber die Ausbeute
an Inschriften ist in den älteren Schichten, die bis über die Mitte des
Jahrtausends hinaufgehn, nur ganz gering: der vierten Schicht von
unten gehört eine Gipssteinplatte mit der Bauinschrift des Zariqu,
Regenten (sakkanak) von Assur und Vasalls des Pursin L, des dritten
Königs der Dynastie von Ur (2220—2212) an, wahrscheinlich der vor-
hergehenden die eines Ititi, dessen Titel zu pa (Patesi?) abgekürzt
ist. Mit dem Neubau (fünfte Schicht) des Uusuma (um 2040, Zeitgenossen
des Sumuabu, des Begründers der amoritischen Dynastie von Babel
2049 — 203-5, vgl. Bd. I 437) beginnt dann die fast vollständig wieder
herstellbare Reihe der Patesi von Assur (s. Nachträge zum ersten
Bd. S. 12 ff., wodurch die Angaben in Bd. I 463 Anm. wesentlich er-
gänzt und berichtigt werden). Sein Urenkel ist Sarrukin (Sargon I.)
von Assyrien; der in späterer Abschrift vorliegende Text des sog.
„geographischen Lehrbuchs" bei Schroeder, Keilschr. aus Assur ver-
schiedenen Inhalts no. 92, der den Umfang und die J^traßen des Reichs
eines Sargon „Königs der Welt (sar kissaW, schildert, gehört aber
wahrscheinlich nicht diesem, sondern der Sage von Sargon von Akkad an
(s. Nachträge S. 23). — Samsiadad, der zeitweilig ein Reich aufrichtete,
das sich über Mesopotamien hinaus nach Nordsyrien und dem östlichen
Kleinasien erstreckte, und daher den Titel sar kissati annahm (Bd. I,
464), ist wahrscheinlich Samsiadad IL. um 1700—1680 (s. Nachträge
S. 21 f. und unten S. 27).
16 l. Der Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
Beamten mit dem eponymen Jahrbeamten an der Spitze, der
in der alten Zeit ähnlich den griechischen Archonten und Pry-
tanen wirklich eine selbständige Macht besessen haben muß.
Auch die Rechtspflege lag nicht in den Händen der Könige,
und die assyrischen Rechtssätze, von denen uns jetzt um-
fangreiche Aufzeichnungen aus der zweiten Hälfte des 2. Jahr-
tausends vorliegen^), sind nicht etwa ein vom Herrscher
erlassenes Gesetzbuch wie das Chammurapis und anderer
babylonischer Könige, sondern Kodifikationen des geltenden
Volksrechts. Dem entspricht es, daß wir in den Ortschaften
Kappadokiens, Kanis, Buruschatu u. a. Gerichtshöfe (garum,
karrum) finden — offenbar aus den Altesten gebildet, wie
in den babylonischen Städten auch — und als Oberinstanz das
Gericht „der Stadt", d. i. wahrscheinlich das von Assur selbst.
Wie die Einzelgestaltung auch gewesen sein mag,
zweifellos ist, daß sich in Vorderasien unter babylonischer
Vorherrschaft ein großes Kulturgebiet mit assyrischer Fär-
bung gebildet hat, das die Landschaften vom Schwarzen Meer
und dem Halys bis zur arabischen V^üste, von Cypern und
der Mittelmeerküste bis nach Elam und weit in die Gebirgs-
ketten des iranischen Hochlandes hinein unter wohlgeordneter
Verwaltung und festen Rechtssätzen in regem Handelsverkehr
zusammenfaßt. Dieser Verkehr führte zu einer ständig an-
wachsenden Mischung der Bevölkerungen, die in den Per-
sonennamen, in der Verbreitung assyrischer und babylonischer
Namen in Kleinasien und Syrien, der von Mitaninamen in
Babylonien und Assyrien deutlich erkennbar ist (Bd. 1 433. 454).
Daraus erwächst, über alle Sonderart der einzelnen Volks-
stämme hinweg, eine homogene „vorderasiatische" Kultur.
Sie beherrscht alle Seiten der materiellen Lebensgestaltung
und tritt im Geschäftsverkehr und den für diesen maßgeben-
den Rechtsanschauungen und Rechtsformen ganz anschaulich
') Ein altassyr. Rechtsbuch, übersetzt von H. Ehelolf, mit Ein-
leitung von P. KoscHAKER 1922 (Mitt. aus der Vorderas. Abt. der Ber-
liner Museen, Heft I).
Gestalt des vorderasiatischen Verkehrs 1 7
zutage, in der Verwendung der schriftlichen Urkunden aus
Ton (mit einer Umhüllung, auf der der Wortlaut wieder-
holt ist) und der Beurkundung durch eine große Zahl von
Zeugen unter Beidruck ihres Siegels^), in den Formen des
Kaufs, in Darlehen und Zinsfuß, im Pfandrecht, in den Pach-
tungen der Grundstücke, in der Verdingung zu Lohnarbeiten,
und nicht minder im Eherecht sowie im Sklavenrecht und in
der Vermietung der Sklavenarbeit auf bestimmte Frist; dazu
kommt die überall herrschende Geldrechnung nach reinem
Silber, mit babylonischem Gewicht (1 Mine = 60 Scheqel).
Wie im Warenverkehr, so besteht in Handwerk und Technik
ein reger Austausch. Für die Lebensformen sei angeführt, daß
neben dem Wein ein primitives Gerstenbier überall verbreitet
ist; da in dem Getränk die Gerstenkörner schwammen, wird
es durch knotenlose Rohrhalme aus dem Kruge gesaugt^)-
Auch auf religiösem Gebiet geht die Wechselwirkung an-
dauernd weiter: babylonische Götter mit ihren Mythen und
Zauberformeln, Symbolen und bildlichen Darstellungen ver-
breiten sich wie nach Syrien so nach Kleinasien, und um-
gekehrt haben die „chetitischen" Stämme es vermocht, für
ihre von der babylonischen gänzlich verschiedene Auffassung
der Welt und der göttlichen Mächte durch die Mittel einer
noch ganz primitiven Kunst dennoch eine anschauliche und
eindrucksvolle Verkörperung zu schaffen, die sowohl auf Assy-
rien wie auf die syrischen Lande stark eingewirkt hat^).
') Wenn die Zahlung erfolgt und der Gläubiger befriedigt ist, wird
diese Urkunde gerichtlich vernichtet.
2) In derselben Weise, wie Xenophon Anab. IV 5. 26 f. das
Trinken des ^süßen Gerstenweins" bei den Armeniern beschreibt und
Archilochos fr. 32 [dazu Wilamowitz, Hermes 33, 515] es bei den Thrakern
und Phrygern kennt, zeigen es seit ältester Zeit babylonische Zylinder,
in Kappadokien ein ganz altes Siegel vom Kültepe (o. S. 10, 1), und im
U.Jahrhundert die Grabstele eines syrischen Söldners aus Ägypten:
Reich und Kultur der Chetiter S. 55 f. 154. Erman, ÄZ 36, 129.
3) Siehe Bd. I 478 ff. und weiter Reich und Kultur der Chetiter
S. 76ff.
Meyer, Geschichte des Altertums. II'. 2
Ig l. Der Urieut bi» zum Begiim des IG. Jahrhunderts
Es ist für die Geschichte Sinears charakteristisch, daß
keine der zahlreichen aufeinander folgenden Dynastien ihre
Macht lange hat behaupten können. So ist auch das Reich
von Ur nach einem Bestände von wenig mehr als einem Jahr-
hundert — die fünf Könige der Dynastie haben zusammen
117 Jahre regiert, ca. 2296—2180 — einer elamitischen In-
vasion erlegen, die den letzten König, Ibisin, gefangen fort-
führte. Dann zerfällt das Reich in eine Anzahl kleinerer
Staaten, unter denen die nebeneinander stehenden Dynastien
von Isin und von Larsa die bedeutendsten sind, die beide
den Titel von Königen von Sumer und Akkad führen, von
denen aber namentlich die von Larsa nur ein Spielball in den
Händen der Elamiten gewesen zu sein scheint \). Daneben
entsteht in Babel seit 2049 da*^ Amoriterreich-), und diesem
1) Siehe Bd. I 41G ö". und weiter Nachträge S. 28 ff.
2) Neuerdings hat Th. Bauer, Die Ostkanaanäer, 1926, das ge-
samte sprachliche Material über die Amoriter in Babylonien gesam-
melt und grammatisch und lexikalisch bearbeitet. So wertvoll diese
Arbeit sprachlich ist, so wenig kann ich seinen historischen Folge-
rungen zustimmen. Aus dem noch immer rätselhaften Titel des Ela-
miten Kudurmabuk „adda von Martu und von Emutbal" schließt er
im Anschluß an Landsbkrgeb, Z. Ass. 3-5, 236 tf-, daß das ideographisch
Martu geschriebene Land, dessen Aussprache als Amurru sicher steht,
im Nordosten Babyloniens zu suchen sei; daneben sei es eine Bezeich-
nung des Westwindes und der westlichen Weltgegend, und davon auf
das Libanongebiet als das „Land am Westnieer" übei'tragen. Dabei
ist vollständig verkannt, daß Amurru und Amoriter nach Ausweis so-
wohl der Texte aus Amarna und Boghazkiöi wie der ägyptischen In-
schriften und der israelitischen Angaben hier ein einheimischer, scharf
umgrenzter Name für Volk und Land ist. Das läßt sich von den
Amoritern in Babylonien unmöglich trennen, und so muß ich an der
früheren Ansicht festhalten. l]s kommt hinzu, daß die Sprache, wie
Bauers Bearbeitung aufs neue bestätigt, eben ein westsemitischer (kana-
'anäischer oder hebräischer) Dialekt ist. Wie der Titel Kudurmabuks
zu erklären ist, bleibt nach wie vor ganz unsicher, zumal wir absolut
nicht wissen, was adda bedeutet; der amoritische Ursprung der Dy-
nastie Chammurapis dagegen ist m. E. ganz unverkennbar. — In der
Ablehnung der Phantasien Clay's über die Amoriter hat dagegen Bauer
natürlich voilkommen recht.
Ausbreitung der babylonischen Sprache und Schritt 19
gelingt es, nach mancherlei Schwankungen, unter Chammurapi
(1947 — 1905) noch einmal das ganze Land zu einigen und
auch nach außen seine Macht kraftvoll zu entfalten. Trotz
des Fehlens aller direkten Zeugnisse wird sich kaum be-
zweifeln lassen, daß ihm, wie Assyrien und Mesopotamien,
so auch Nordsyrien und das östliche Kleinasien Untertan ge-
wesen sind ; die kappadokische Urkunde mit dem Siegel des
Sargon, Patesis von Assur (o. S. 13), fällt etwa in diese Zeit.
Jedenfalls hat in dieser Epoche, der letzten und ab-
schließenden Glanzzeit Altbaby loniens, das freilich damals
bereits mit raschen Schritten dem Versinken in innerer Er-
starrung entgegenging, der Zusammenhang des vorderasiati-
schen Kulturgebiets nicht nur fortbestanden, sondern sich
weiter ausgebildet. Sprache und Schrift Babyloniens haben
.sich über ganz Vorderasien verbreitet. Auch in Syrien, Pa-
laestina und Cypern vollzieht sich der gesamte rege Schrift-
verkehr in akkadischer Sprache und Schrift, und an den
Höfen jedes der lokalen Dynastien war ein Schreiber unent-
behrlich, der diese beherrschte, die diplomatische Korrespon-
denz führte, und die Erlasse der Regierung abfaßte und be-
kanntgab. Hier behalf man sich in der Regel damit, daß
man bei wichtigen oder zweifelerregenden Ausdrücken zur
Erleichterung des Verständnisses das einheimische Wort als
Glosse danebensetzte, sei es in kana'anäischer, sei es, im
Norden, in der charrischen oder Mitani-sprache: in dieser
Gestalt ist hier später, zur Zeit der ägyptischen Oberherr-
schaft, auch die Korrespondenz mit den Pharaonen geführt
worden. In dem zu Anfang des 2. Jahrtausends entstan-
denen Chetiterreich sind einige der ältesten Urkunden zwar
mit einem chetitischen Königssiegel verschlossen, aber der
Text ist akkadisch, und auch später hat man Verträge und
offizielle Schreiben in dieser -babylonischen" Sprache ab-
gefaßt. Das Schreibmaterial bildet überall die Tontafel —
daneben bei Staatsverträgen und bei zauberkräftigen reli-
giösen Urkunden die Metallplatte — nebst dem Schreibgrififel;
daß die ägyptische Kursivschrift mit der Rohrfeder nur auf
20 I- Dei" Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
Papyrus oder Leder, aber nicht auf Tontafeln verwendbar
ist, hat offenbar, neben der langen politischen Abhängigkeit
von Babylonien, das Hindernis gebildet, das ihr die Kon-
kurrenz mit dem Akkadischen unmöglich machte. Gelernt
wurde das Lesen in derselben, jahrelanges Studium erfor-
dernden Weise, wie in Sinear selbst, oder vielmehr noch
umständlicher. Die unentbehrliche Grundlage bildete die
Kenntnis der sumerischen Formen und Lesungen, also die Er-
lernung einer längst erstorbenen Sprache; dann folgte ihre
Umsetzung in die akkadischen Wörter, und diese wurden
dann wieder für die Schreibung der einheimischen Sprachen
benutzt, gerade bei den geläufigsten Wörtern in der Regel
so, daß man das akkadische Wort oder das dieses bezeich-
nende sumerische Äquivalent schrieb, es aber beim Lesen
durch das einheimische Wort ersetzte. Daher waren lexika-
lische und grammatische Hilfsmittel hier ebenso unentbehr-
lich, wie in Babylonien und Assyrien selbst, und weiter als
Leseübung literarische Texte, darunter Mythen und Sagen aller
Art, denen dann Übersetzungen beigefügt werden mochten.
Derartige Schriftstücke haben sich im Archiv von Boghazkiöi
in großer Zahl gefunden; und nicht anders sind die Ägypter
verfahren, wenn sie für den diplomatischen und Geschäfts-
verkehr die Tontafel und die Keilschrift verwenden und die
fremden Dokumente lesen und beantworten wollten.
Die indogermanischen Chetiter
In diese Welt ist nun mit der indogermanischen Schicht
der Chetiter ein weiteres Volkselement eingetreten. Über Zeit
und Verlauf ihres Eindringens besitzen wir keinerlei Kunde;
immerhin gestattet aber der eigenartige Charakter, den ihre
Sprache trägt, darüber wenigstens einige Vermutungen. Diese
Chetiter sind der erste Zweig der Indogermanen, der in
die Geschichte eingetreten ist; aber während alle anderen
indogermanischen Sprachen in der Gestalt, in der sie uns
geschichtlich zuerst entgegentreten, einander und daher auch
der rekonstruierten Ursprache — die natürlich immer schon
Die indogermanischen Chetiter 21
in Dialekte gespalten war — geradezu überraschend nahe
stehn^) und ebenso die Beschreibungen ihrer körperlichen
Erscheinung, wo solche vorliegen, überall den gleichen so-
matischen Typus zeigen^), ist diese am frühesten bezeugte
Sprache so stark mit fremden Elementen durchsetzt, daß ihr
indogermanischer Charakter nur mit Mühe erkannt werden
konnte und zunächst vielfach bestritten wurde. Erhalten hat
er sich — neben Neubildungen — in der Flexion der Nomina
und Verba, im Pronomen, in manchen Partikeln und in
einem Teil des Wortschatzes. Aber daneben stehn so viele
nichtindogermanische und offenbar aus den einheimischen
Sprachen übernommene Wörter, daß die Texte als Ganzes
einen durchaus fremdartigen Eindruck erzeugen; auch der
Satzbau, in dem sich die Denkweise der Sprache offenbart,
mutet keineswegs indogermanisch an. Das gleiche gilt von
der äußeren Erscheinung; alle Darstellungen von Chetitern
aus der Zeit ihres Großreichs, sowohl die ägyptischen wie
die einheimischen, zeigen den echten . kleinasiatischen " Typus
(o. S. 10), dagegen keine Spur indogermanischer Beimischung.
Daraus werden wir folgern dürfen, daß die Invasion
schon in früher Zeit erfolgt ist, spätestens etwa um die
') Das gilt gleichmäßig vom Indischen und Iranischen, dem
Griechischen, dem ältesten Lateinisch und Keltisch, dem Phrygischen,
und, trotz ihres späten Auftretens, vom Slawischen und Litauischen.
Über das Germanische s. u. S. 38 f. Analog dem Chetitischen ist nur
das in zwei Dialekten vorliegende Tocharische, das stark mit fremd-
artigen Elementen und Neubildungen durchsetzt ist, wenn auch, so-
weit ich sehn kann, lange nicht in dem Umfang wie das Chetitische.
Im übrigen aber vollzieht sich das volle Auseinandergehn der Sprachen
überall erst in einer Zeit, aus der geschichtliche Dokumente vorliegen,
und hat dann in manchen Fällen zu einer fast vollständigen Verwischung
des ursprünglichen Sprachtypus geführt, so beim Irischen und beim
Englischen.
^) So in den Schilderungen der Kelten, Germanen, Slawen. Auch
in den indischen und den griechischen Zeugnissen ist derselbe Typus
noch erkennbar. Ganz lebendig tritt uns dann dieser dem alten Orient
fremde „europäische" Typus in den ägyptischen Abbildungen der nicht-
semitischen Häuptlinge aus Syrien entgegen (s. u. S. 34-).
22 I- Dei' Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
Mitte des 3. Jahrtausends, und weiter, daß die Schicht der
eindringenden Eroberer nur dünn gewesen sein kann, etwa
wie die der Galater in Phrygien, der Germanen in den Pro-
vinzen des Römerreichs, der Normannen in Rußland, der Nor-
mandie, England, Sicilien, Palaestina, aber nicht eine Massen-
einwanderung wie die der Slawen auf der Balkanhalbinsel
oder der Phryger und Armenier in Kleinasien, und die der
Araber und dann die der Türken im Khalifenreich. In allen
diesen Fällen überrennt, wie bei der Invasion der „Indo-
skythen", der Hunnen, der Mongolen, der einbrechende
Kriegerstamm die seßhafte, durch die Plötzlichkeit des An-
griffs überraschte Bevölkerung; eine Überlegenheit der Be-
waffnung, die Metallwaffen der Bronzezeit im Gegensatz zu
den mit Steinspitzen versehenen Lanzen aus Rohrschäften
der Einheimischen, scheint hinzugekommen zu sein^), und
weiter die Verwendung des mit Rossen bespannten Streit-
wagens. Die Eindringlinge haben weite Gebiete unterworfen
— daher scheidet sich ihre Sprache in zwei Dialekte, das
Kanisisch-chetitische und das Lu wische'-) — und die Herr-
schaft behauptet; aber physisch haben sie (wie die Magyaren
') Eine Erinnerung an die Kämpfe, in denen das Land erobert
wurde, scheinen die Kampfspiele in einem Festritual zu bewahren,
das Ehelolf, Ber. Berl. Ak. 192-5, 269 ff., behandelt hat. Hier wird das
Heer in zwei Teile geteilt, die „Mannschaft von Chatti" und die
, Mannschaft von Masa (sprich Masa)" ; jene erhalten Waffen von Bronze,
diese Waffen von Rohr; natürlich siegen die Chetiter und überliefern
einen Gefangenen als Beuteanteil an die Gottheit. Masa lag wahi*-
scheinlich in den westkilikischen Gebirgen. Der Gegensatz der Be-
waffnung ist offenbar geschichtlich zutreffend; falls das Kampfspiel
wirklich in die Urzeit zurückgeht, müssen wir allerdings annehmen,
daß die Bezeichnung der Sieger als „Männer von (der Stadt) Chatti" —
beide Namen sind auch hier, wie durchweg in den chetitischen In-
schriften, mit dem Stadtdeterminativ geschrieben — erst später ein-
gesetzt ist, als Chatti der Name des Reichs und seines Volkes ge-
worden war.
^) Ob diesen beiden Sprachen irgendwie die oben S. 10 be-
sprochenen Unterschiede in Haartracht und Bewaffnung entsprechen,
liißt sich bisher nicht erkennen.
Eindringen der indogermanischen Chetiter 23
in Ungarn, die Osmanen in Kleinasien) durch die Mischung
mit der einheimischen Bevölkerung deren Typus angenommen,
und sowohl sprachlich wie kulturell, vor allem auch auf
religiösem Gebiet, die stärkste Einwirkung von diesen er-
fahren. Daher ist dann auch der alteinheimische Chetiter-
name auf ihr Reich und Volk und ihre Hauptstadt über-
gegangen.
Soweit sich bis jetzt erkennen läßt, gehört das Chetitische
dem westHchen Zweige der Indogermanen, den Kentum-
sprachen, an. Daß sie in derselben Weise, wie später die
Kimmerier. über den Kaukasus gekommen sind, wird man
kaum bezweifeln können, da sie sich sonst gewiß in den
reichen Ebenen des Westens angesiedelt haben würden. Sie
haben das Pferd und den Wagen nebst den Rennspielen mit-
gebracht, die dem alten Orient fremd, dagegen bei allen
Indogermanen altererbt sind. Einen mit vier Pferden be-
spannten Wagen, auf dem der Lenker sitzt, treffen wir be-
reits auf den ,,ka})padokischen" Tontafeln in Abdrücken ganz
primitiver Siegelzylinder offenbar einheimischer Arbeit; und
im Külte])e haben sich kleine mit Zaumzeug geschirrte Pferde-
köpfe aus Ton gefunden \). Aus Ägypten stammt ein leicht
gebauter Wagen altertümlicher Konstruktion, der aus Ulmen-
und Eschenholz gearbeitet ist; die Nabe ist mit den Speichen
durch Birkenbast verbunden, das vordere Ende der Deichsel
damit umwickelt^). Ägyptische Arbeit ist dieser Wagen nicht;
da die Birke über das südöstliche Europa und das Kaukasus-
') Reich und Kultur der Chetiter S. 51 &.. 1.5o ö'. (vgl. Bd. I 435 A.
455 A.).
^) Jetzt im Museum von Florenz (Bd. I 520 A. durch Flüchtig-
keit als Wagen Thutmosis' IV. bezeichnet), bei Nuoffer, Der Rennwagen
iin Altertum, 1904 S. 12 ff. und Tat'. I; über das Material siehe Schüch-
HARiiT, Praehist. Z. II 1910, 327 ff. und berichtigt IV 1912, 447. Die ganz
dünnen Räder haben nur vier Speichen, nicht sechs, wie später; die
Brüstung ist ein dünnes Geländer, nicht ein Wagenkasten. Gleichartig
sind nach den ägyptischen Abbildungen die Wagen in Syrien eur Zeit
der 18. Dynastie, so auch der als Tribut gebrachte im Grabe des
Mencheperi e'senib, Fremdvöl-kerphot. 721.
24 T. Der Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
gebiet nicht hinausreicht, wird er von den Chetitern bezogen
sein und man in ihm einen Beleg für deren Herkunft erblicken
dürfen.
Diese Erwägungen fuhren zu der Annahme, daß die
indogermanischen Chetiter zur Zeit der assyrischen Geschäfts-
urkunden bereits in den Ortschaften Kappadokiens , so vor
allem in Kanis, gesessen haben ^). Auch von Chammurapi
werden sie abhängig gewesen sein. Die Einwirkung dieses
Reichs tritt darin hervor, daß, als die Stämme des Chatti-
landes begannen, die Keilschrift zur Schreibung ihrer Sprache
zu verwenden, sie nicht die Schriftformen der „kappadoki-
schen" Tontafeln übernommen haben, sondern die unter der
ersten Dynastie von Babel gebräuchlichen^); durch möglichste
Ausscheidung der Mehrdeutigkeit der Lautzeichen ist sie dabei
wesentlich vereinfacht worden.
Die Anfänge des chetitischen Reichs
Auch das Reich der Amoriter hat die von Chammurapi
errungene Machthöhe nicht lange behaupten können. Schon
sein Sohn Samsuiluna hat aufs neue mit einem Rivalen
Rimsin zu kämpfen, wahrscheinlich einem Prätendenten, der
als Nachkomme des von Chammurapi besiegten Rimsin von
Larsa auftrat und dessen Reich wieder herzustellen versuchte.
Gleichzeitig entsteht im Süden ein Reich des „Meerlandes"
(die sog. zweite Dynastie), das sich dauernd behauptet hat ^).
Unter den folgenden Königen setzen sich diese Kämpfe fort;
da werden sich auch die Vasallen im Norden wieder un-
abhängig gemacht haben.
In diese Zeit, etwa seit 1900, fallen die Anfänge eines
chetitischen Reichs. Sein ältester Mittelpunkt ist die, auch
in den „kappadokischen" Texten gelegentlich vorkommende,
') Ob der bei Naramsin genannte König Pamba von Chatti (oben
S. 12) den Protochattiern oder den späteren Chetitern angehört, ist
natürlich nicht zu sagen.
-) FoRRER, Boghazkiöitexte in Umschrift I S. 1 ff.
3) Siehe Bd. I 452 und Nachträge S. 7 ff.
Die ältesten chetitischen Könige 25
Stadt Kussar, deren Lage noch nicht ermittelt ist. Der erste
König von Kussar, von dem wir Kunde haben, ist Anitta,
Sohn des Bidchäna, der in einer großen Inschrift von seinen
Taten berichtet; er hat u. a. auch mit Bijustis, „König von
Chatti" — mit der Hauptstadt Chattusas, d. i. Boghazkiöi —
gekämpft, das eigentliche Chetiterland also nicht beherrscht^).
Wesentlich erweitert ist das Reich durch Tabarna^), der zahl-
reiche Orte in Kappadokien unterworfen hat, darunter Chu-
bisna und Barsuchanta sowie Tyana (Tu wann a) in dem frucht-
baren Tal am Taurus am Rand der westlichen Steppe^).
Er hat den Titel „Großkönig" angenommen und damit sein
Reich als eine unabhängige ebenbürtige Macht neben das
Reich von Babel gestellt. Daher ist er als der eigentliche
Begründer des Reiches betrachtet worden: sein Name wird in
der Folgezeit vielfach titular als Bezeichnung des Herrschers
verwendet '). Unter seinem zweiten Nachfolger Mursilis I. ist
') Der Text bei Forrer, Boghazkiöitexte in Umschrift no. 7
und 30. Übersetzungsversuch von Jon. Friedrich, Aus dem hethit.
Schrifttum Heft I (Der Alte Orient 24, 3, 1925). — In dieselbe Zeit
gehört wohl auch König Bimbiras, Forrer no. 9, der neben anderen
Königen und Königinnen der alten Zeit auch in der Opferliste Forrer
28, 7 erwähnt wird.
") Auch Labarna geschrieben; als wahre Aussprache vermutet
Hrozny wohl mit Recht Tlabarna.
') Mit ihm beginnt der umfangreiche Bericht des Telibinus über
die Geschichte des Reichs, Forrer no. 23; Übersetzungsversuch von
Hrozny, Boghazkiöistudien III (dazu V 49 fl'.) und von Friedrich a. a. 0.
Auch von der akkadischen Fassung des Textes sind Bruchstücke er-
halten (Keilschrifttexte aus Boghazkiöi I no. 27).
*) So besonders deutlich in der zweisprachig (chetitisch und ak-
kadisch) vorliegenden „Tafel des Großkönigs Tabarna, als der Groß-
könig Tabarna in der Stadt Kussar erkrankt war und den Sohn
Mursilis zum Königtum berief; Forrer no. 8, übersetzt von Götze,
Z. Ass. 34, 1922, 170 ff. Hier „sagt der Tabarna zu seinen Beamten:
ich habe jetzt meinen Sohn zum Tabarna über euch eingesetzt". [Der
nach seiner Mutter geartete Sohn, gegen den der König die schwersten
Vorwürfe erhebt, kann aber nicht der jetzt eingesetzte Mursilis sein,
sondern nur sein jetzt entrechteter Bruder; ZI. 3 wird zu übersetzen sein:
„ihn, den Sproß seiner Mutter, habe ich, der König, gerufen" u. s. w.]
26 '• l>er Orient bis zum Beginn des Iß. Jahrhunderts
dann die Residenz nach der Stadt Chattusas, d. i. Boghaz-
kiöi, verlegt; damit ist der Chetitername die offizielle Be-
zeichnung des Reichs geworden. Von Mursilis erfahren wir,
daß er zuerst die Stadt Chalpa (Aleppo), damals Sitz eines
Großkönigtums^), dann Babel erobert und ausgeplündert, die
Beute nach Chattusas fortgeschleppt hat. Dieser Kriegszug
ist ofi'enbar identisch mit der Angabe einer babylonischen
Chronik, daß unter Sarasuditana, dem letzten König der amo-
ritischen Dynastie von Babel (1780 — 1750), die Chetiter gegen
das Land Akkad zogen (Bd. I 454). Damit i.st ein festes
Datum gewonnen; wir haben Mursilis I. um 1750, Tabarna
um 1800 anzusetzen, die ältesten chetitischen Könige, die wir
kennen, fallen ins 19. Jahrhundert.
Zugleich gewinnen wir dadurch einen Einblick in die
großen Umwälzungen, die in dieser Epoche eingetreten sind.
In Kleinasien haben die Chetiter die Suprematie der Assyrer
und des Reichs von Babel abgeschüttelt und ein selbständiges
Großreich begründet, und jetzt wenden sie sich gegen die
zentralen Kulturgebiete, zunächst gegen Syrien, wo die große
Handelsstadt Aleppo ihnen zur Beute fällt, dann gegen Babel
selbst. Auch mit den Charriern hat Mursilis Krieg geführt. In
diesen Kämpfen ist das Amoriterreich zugrunde gegangen, und
Babylonien verliert endgültig die Vormachtstellung, die ihm
Chammurapi und seine Dynastie noch einmal wiedergewonnen
hatte. Im Süden behauptet sich die ohnmächtige Dynastie
Der Vater kann nicht der König Tabarna sein, da auf diesen zunächst
Chattusilis I. und dann erst Mursilis I. gefolgt ist. — Ein Siegel des
Tabarna Großkönig Chuzzia (des vierten Nachfolgers des Mursilis)
bildet den Verschluß einer akkadisch geschriebenen Schenkungsurkunde
(FoRRER, ZDMG. 76, 1922, 183; abgebildet in Reich und Kultur der
Chetiter S. 44 no. 34); dagegen wird das von Forrer augeführte Siegel
„Tabarnas des Großkönigs" auf einer gleichartigen Urkunde in der Tat
von dem alten König stammen.
') So in dem Vertrage des Mursili II. mit Chalab ZI. 11, wo an-
gegeben wird, daß Chattusil I. mit diesem in guten Beziehungen stand,
aber Mursili I. „das Königtum von Chalab und das Land Chalab ver-
nichtete". Vgl. u. S. 30.
Niedergang Babyloniens. Chetitei- und Assyrer 27
des Meerlandes, über den Norden Sinears und Babel selbst
dagegen gewinnen die Kossaeer die Herrschaft; ihr Häuptling
Gandas gründet das Reich von Kardunias (Bd. I 457. 460).
Auch die Erfolge, die etwa um dieselbe Zeit Samsiadad von
Assur — wahrscheinlich der zweite Herrscher dieses Namens —
um 1720 V. Chr. ^) errungen hat, sind nicht von Dauer ge-
wesen. Er hat „das Land zwischen Tigris und Euphrat be-
zwungen", in Tirqa, der Hauptstadt des kleinen Reichs Ghana,
in der Nähe der Chaborasmündung (Bd. I 433), deren Grott
Dagan einen Tempel gebaut, „den Tribut des Königs von
Tukris und des Königs des oberen Landes in Assur ent-
gegengenommen und Stelen mit seinem Namen im Lande
Lab'an am Gestade des großen Meeres aufgerichtet" (Bd. I
464). Somit scheint es. daß seine Vormacht sich zeitweilig
bis ans Schwarze Meer erstreckt hat und auch der Chetiter-
könig — falls das für ihn vermutete Datum richtig ist, in
der Zeit des Rückganges ihrer Macht unter den Nachfolgern
des Mursilis — ihm gehuldigt hat. Samsiadad hat den Titel
eines „Königs der Welt" (sar kissati) angenommen, neben
dem die bis dahin in Assur üblichen religiösen Titel, auch
der eines Patesi, zurückgedrängt werden ; daher nennt er auch
gegen allen sonstigen Brauch in seinen Inschriften seinen
Vater nicht, wohl aber rühmt er, daß „Anu und Ellil seinen
Namen über die Könige vor ihm zu großen Dingen berufen
haben". Er preist den Wohlstand und die billigen Preise,
die in Assur bestanden, als er hier den Tempel des Assur
erbaute. Aber nach ihm findet sich von dieser assyrischen
Großmacht nichts mehr, seine Nachfolger begnügen sich jahr-
hundertelang wieder mit dem Titel eines Patesi von Assur.
Auch die Macht der Chetiter hat. wie schon angedeutet,
keinen Bestand gehabt. Nach der Ermordung des Mursilis
durch seine Magnaten erfahren wir durch den nur mit großen
Lücken erhaltenen Bericht seines fünften Nachfolgers Teli-
binus von wiederholten Usurpationen und Thronstreitigkeiten;
') Siehe o. S. 1-5 Anm. 1»
28 1- Dei" Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderlß
daneben werden Kriegszüge gegen Karkemis in Nordsyrien,
gegen Togarma (Tagarama) im östlichen Kappadokien, gegen
Arzawija in der Ebene Kilikiens erwähnt. Offenbar ist das
Reich im wesentlichen auf die Lande nördlich vom Taurus
beschränkt geblieben und wird auch hier durch die inneren
Wirren und durch Aufstände erschüttert worden sein. Erst
Mursilis' vierter Nachfolger, Chuzzija^), hat wieder Ordnung
geschaffen und unter den unbotmäßigen Hofbeamten auf-
geräumt. Sein Nachfolger ist sein Schwager Telibinus, der
als Einleitung zu einer festen Ordnung der Thronfolge und
der Reichsverfassung den dieser Darstellung zugrunde liegen-
den ausführlichen Bericht über die Schicksale seiner Vor-
gänger gegeben hat. Er befiehlt seinem Nachfolger, zwar
jeden „Königssohn", der ein Verbrechen begeht, rücksichtslos
hinrichten zu lassen, aber ihre Angehörigen und Diener zu
verschonen — eine zugleich streng rechtliche und humane
Auffassung, wie sie bei den Chetitern immer wieder hervor-
tritt. Eine Anzahl hoher Beamten, offenbar die Hauptstützen
seiner Regierung, soll dagegen nicht angetastet werden. Wir
werden Telibinus etwa um 1650 anzusetzen haben; mit ihm
bricht unsere Kunde ab, selbst die Namen der Könige sind
uns für einen Zeitraum von etwa zwei Jahrhunderten bisher
so gut wie unbekannt geblieben^).
Das charrische Reich Mitani
Die Vormacht in den vorderasiatischen Gebieten ist in
dieser Zeit auf das Reich von Mitani oder Chanigalbat über-
') Die Königsfolge ist: der Mundschenk Chantili ermordet mit
Zidantas zusammen den Mursilis. Nach seinem Tode rottet Zidantas
seine Nachkommen aus und wird selbst König. Er erliegt einer Ver-
schwörung, an deren Spitze sein eigener Sohn Ammunas steht. Auf
diesen folgt Chuzzijas.
2) FoRRER im Text zu den Boghazkiöitexten in Umschrift S. 1.3* fl'.
hat versucht, die Königsliste herzustellen. Aber auch wenn seine Kom-
binationen sich als im wesentlichen stichhaltig bestätigen sollten, wird
sie doch schwerlich schon vollständig sein.
Das Reich Mitani oder Chanigalbat 29
gegangen. Sein Schwerpunkt liegt in dem Hügellande östlich
vom Euphrat (dem „Stromlande" Naharain) am Fuß desMasios-
gebirges (Tür'äbdin, bei den Assyrern Kasijargebirge), das von
zahlreichen Bächen durchströmt ist, die sich zum Belichos
und Chaboras vereinigen. Hier liegen mehrere Ortschaften
alter Kultur, so Teil Chaläf (Guzana) bei Resaina, nahe der
Chaborasquelle, mit Reliefs und Statuen im sumerischen Stil
aus der ersten Hälfte des 3. Jahrtausends (Bd. I 466), ferner
Charrän im Belichosgebiet, Nisibis u. a. Im Chaborasgebiet
wird auch Wasuggani, die Hauptstadt des Mitanireichs, zu
suchen sein. Weiter nach Süden geht das Kulturland in die
felsige, lediglich von wandernden Nomadenstämmen bewohnte
Einöde über, die sich bis an die Grenzen des babylonischen
Tieflandes hinzieht; nur in den Tälern des Chaboras und des
Euphrat finden sich mehrere Städte, darunter das von Sam-
siadad II. eroberte Tirqa, zeitweilig der Sitz eines selbstän-
digen Fürstentums Ghana (S. 27). Dieser Name ist wahr-
scheinlich eine Verkürzung von Chanigalbat; und mit diesem
wohl in weit ältere Zeit zurückreichenden Namen wird das
Reich, das sich offiziell Mitani nennt, im populären Sprach-
gebrauch der Folgezeit ständig bezeichnet^).
') So von den Chetitern (Vertrag mit Aleppo ZI. 17. 19, mit Mitani
ZI. 23), dem Assyrerkönig (Amarna 10, 22. 26), einem palaestinensischen
Dynasten (Am. 255, 10. 20); auch Dusratta nennt sein Reich gelegentlich
Chanigalbat (Am. 18, 9. 20, 17. 29, 49). Kadasmancharbe von Babel hegt
den Verdacht, die seinem Sohn als seine Schwester gezeigte Harems-
dame sei in Wirklichkeit „die Tochter eines Armen [niuskinu) oder
eines Gagaeers oder Chanigalbataeers oder aus ügarit" (Am. 1, 37).
Gagaeer, wohl identisch mit den von den Chetitern oft erwähnten
Gasgaeern in Kleinasien (Gasgas auch im Arzawabrief Am. 31, 25),
scheint die Stämme im Norden im allgemeinen zu bezeichnen, wie
hebr. Gog. —Weiteres s. Bd. I 465 A.; bei Salmanassar I. (jetzt bei
Weidner, Inschr. der altassyr. Könige, S. 116 ZI. 20) wechselt Chani-
galbat mit Chani. Verfehlt war meine Annahme Bd. I 454. daß Chani
oder Ghana mit den Chetitern zusammenhänge und diese nach der
Ausplünderung Babels hier am Chaboras ihren Herrschersitz aufge-
schlagen hätten. — Woher der Name Mitani für das Reich kommt,
ist ganz dunkel.
30 J- Der Orient bis zum Beginn des Ki. Jahrhunderts
Durch die Aufrichtung des Mitanireichs sind die Assyrer
nach den vorübergehenden Erfolgen unter Samsiadad II.
wieder ganz auf ihren Stammsitz am Tigris zurückgedrängt.
Weiter im Süden hält das Reich von Kardunias zwar seine
großen Prätensionen aufrecht, ist aber unter der Herrschaft
der kossaeischen Kriegerhorden und des von diesen auf den
Thron gesetzten Königs ohne innere Kraft. Wenn König
Agum II. (um 1650) sich rühmt, er habe die Bilder des Mar-
duk und der Sarpanit aus Ghana zurückgeholt und wieder
im Tempel Esagilla in Babel aufgestellt, so ist das gewiß
nicht durch einen siegreichen Kriegszug geschehn^). sondern
er wird die bei einer Plünderung Babels — vielleicht der
durch Mursil — geraubten Götterbilder durch diplomatische
Verhandlung zurückgewonnen haben.
Die Bevölkerung des Mitanireichs bilden die Charrier
(o. S. 6). Wie zahlreiche Personennamen zeigen, hatten diese
sich auch nach Babylonien und Assyrien stark verbreitet^) und
auch ihre Götter dorthin gebracht. Auch die Namen Auspia
und Kikia, die uns als die ältesten Herrscher von Assur
und Erbauer des Assurtempels und der Stadtmauer genannt
werden, gehören diesem Sprachgebiet an (Bd. 1433 a). Außer-
dem hat Syrien zu ihrem Machtbereich gehört; im nördlichen
Syrien, so in Tunip, wird charrisch gesprochen, und charrische
(Mitani-) Namen finden sich im 15. und 14. Jahrhundert unter
den Dynasten bis nach Palaestina hinab zahlreich neben semi-
tischen und arischen. Daß im übrigen die Verhältnisse ebenso
schwankend gewesen sein werden, wie zur Zeit der babyloni-
schen Oberherrschaft, bedarf kaum der Bemerkung. Manche
Stadtherrscher werden sich zeitweilig oder dauernd unabhängig
gemacht haben, in Verbindung mit den Kossaeerkönigen von
Kardunias, die die von ihren Vorgängern aus dem Reich von
Sumer und Akkad oder der vier Weltteile ererbten Traditionen
nie aufgegeben haben, so wenig wie sie imstande waren, sie
zu verwirklichen. Von Aleppo (vgl. o. S. 26) erfahren wir,
') Wie ich fälschlich Bd. I 4.59 vermutet habe
■') Siehe Bd. I 433. 454.
Das charrische Reich Mitani. Älteste Denkmäler 31
daß es der Sitz eines Großkönigtums gewesen ist, bis es im
18. Jahrhundert dem Vordrängen der Chetiter erlag.
Über die Kulturzustände der Charrier und des Reichs
von Mitani läßt sich bei dem fast völligen Fehlen von Denk-
mälern aus dem Zentrum des Reichs und der Unsicherheit
der Datierung der ältesten Denkmäler aus Nordsyrien und
dem Taurusgebiet zur Zeit noch wenig aussagen. Nur das
ist sicher, daß diese Kultur diejenige Gestaltung trug, die
wir als „chetitisch" zu bezeichnen pflegen; es ist aber, wie
die Dinge jetzt liegen, sehr wohl möglich, daß sie richtiger
charrisch zu benennen wäre, und daß sie sich von den Landen
zu beiden Seiten des Euphrat und dem Taurusgebiet aus nach
Norden und zu den Chetitern verbreitetet hat. Die ältesten auf
uns gekommenen Zeugnisse dieser werdenden Kultur sind
die ganz primitiven Reliefs auf Steinplatten vom südlichen
Tor der kreisrunden Stadtmauer von Sendjirli (Sam'al) am
Fuß des AmanosO, Darstellungen dämonischer Mischweseu,
Menschenleib mit Vogelkopf und Flügeln, Löwen mit Vogel-
oder Menschenkopf. Krieger und Jäger, zwei Männer im Ge-
spräch miteinander, die mit der einen Hand einen Becher
zum Munde führen, während die andere einen langen Stock
hält. Diese tragen einen langen gegürteten Leibrock, der
Jäger und der Krieger wie die Dämonen dagegen nur einen
Schurz, auch hier mit einer Quaste am Gurt, sowie eine spitze
Filzkappe; die Waffen sind Bogen mit spitzem Pfeil und am
Gürtel ein Schwert. In ihrer grotesken Unbeholfenheit — an
der sich nichts ändert, auch wenn wir ihre Entstellung durch
lange Verwitterung noch so stark in Rechnung stellen —
haben diese Denkmäler nur etwa in primitiven indianischen
und in den ältesten sumerischen Skulpturen Parallelen; aber
wie die Tracht ist auch die Haltung der Figuren, die Be-
handlung der Muskulatur und der Bewegung der schreitenden
Tiere, kurz die ganze Art. die Außenwelt anzuschauen und
') Siehe Bd. 1466; v. Lüschan, Ausgrabungen in Sendschirli III
S. 202 ff. und Taf. 34—36. sowie die Löwen S. 232 ff. und Taf. 46.
Ferner Reich und Kultur der Chetiter S. 58 f.
32 I- Der Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
wiederzugeben, eine andere: wir schauen in die ersten An-
sätze zu einem eigenen, bodenständigen Stil. Dem entspricht
die Architektur, die Verkleidung der untersten Schichten der
Lehmziegelmauer mit Steinplatten (Orthostaten), die beim Tor
mit diesen Reliefs geschmückt sind. Dazu kommen hier weiter
am Eingang gewaltige Laibungsblöcke in Gestalt eines Löwen,
dessen mächtiger Kopf trotzig weit über die Mauer vor-
springt. Trotz oder vielleicht gerade durch ihre ganz elemen-
tare Plumpheit sind sie doch nicht ohne Wirkung: mit dem
riesigen Maul, den spitzen Zähnen und den glotzenden Augen
schrecken sie den Fremden, der der Festung naht; sie sind
die Urform, aus der schließlich in langer Entwicklung der
Gorgokopf hervorgegangen ist 0- Das alles sind Formen, die
der babylonischen Kunst und Technik ganz fremd sind, wohl
aber auf die Assyriens stark eingewirkt haben. Ihre Fort-
setzung finden sie wie in den jüngeren Skulpturen aus Sen-
djirli^) und den Nachbargebieten, so in der Kunst desChetiter-
reichs in Ujük und Boghazkiöi. Der enge Zusammenhang
beider Gebiete tritt von Anfang an hervor: auch die Männer
von SendjirH sind bartlos und haben den Haarschopf zu
einem langen, am Ende aufgerollten Zopf zusammengebun-
den, auch die Tracht ist die gleiche. Besonders überraschend
ist, daß hier schon das Pferd vorkommt, und zwar nicht am
Kriegswagen, sondern als Reittier, wie es sonst nur im Not-
fall verwendet wird: der Krieger, der in der Linken den ab-
geschlagenen Kopf eines Feindes trägt, sitzt auf dem Pferde.
Auch auf religiösem Gebiet ist eine sichere Scheidung der
Einzelgebiete noch nicht möglich; vor allem der Gewittergott
Tesub ist den Charriern (Mitani) und Chetitern gemeinsam
und findet sich als Teisbas auch bei den Alarodiern (Bd. I 475
Anm.). So kann auch das Beil oder die Doppelaxt als sein
Attribut und weiter die über das ganze Kulturgebiet ver-
') Reich und Kultur der Chetiter S. 110 ff.
') Hier sind die ältesten Löwen der Laibungen meist später über-
arbeitet und etwas naturwahrer gestaltet worden, wobei aber die ur-
sprüngliche Gestalt noch in nicht getilgten Resten erkennbar blieb.
Anfänge der charrisch-chetitischen Kunst 33
breitete und früh auch nach Babylonien eingedrungene Ver-
sinnbildlichung der göttlichen Macht dadurch, daß die Götter
über Berggipfel einherschreiten und auf dem Rücken von
Löwen, Panthern, Stieren stehn, sehr wohl zuerst bei den
Charriern und im Taurusgebiet aufgekommen sein^).
Die besprochenen Denkmäler von Sendjirli mögen schon
im Verlauf des 3. Jahrtausends entstanden sein. Ungefähr
gleichzeitig scheinen die primitiven Rehefs auf Steinplatten
aus dem Teil Haläf am Chaboras zu sein, die durch Verwen-
dung bei dem späteren Neubau eines Palastes erhalten sind.
In der folgenden Zeit ist dann ein langsamer Aufstieg er-
kennbar, in dem die Eigenart dieser Kultur sich, trotz aller
Entlehnungen aus Babylonien wie aus Ägypten, immer kräf-
tiger ausprägt, bis sie in den Denkmälern des chetitischen
Großreichs ihren Höhepunkt erreicht.
Arische Stämme in Vorderasien und die Heimat
der indogermanen
Zu den Volksstämmen, die wir kennen gelernt haben,
ist nun noch ein weiterer hinzugetreten in einer neuen Welle
indogermanischer Invasion, und zwar sind es die Arier, die
jetzt in die Geschichte eintreten. Wie weit in der Folgezeit
arische Namen in Vorderasien verbreitet waren, haben wir
früher schon gesehn (Bd. I 465. 468): im Mitanireich ist die
Dynastie dieses Ursprungs, in einem von ihr geschlossenen
Vertrage werden unter den als Zeugen angerufenen Göttern
neben den einheimischen (darunter zahlreichen aus Baby-
') Siehe Bd. I 478 ff. und Reich und Kultur der Chetiter 85 ff.
1.59 f. Von den Grabstelen, die eine Frau, einen Mann oder ein Ehe-
paar beim Totenmahl zeigen (a. a. 0. S. 37 ff.), dürfte dagegen keine
bis in die hier behandelte Epoche zurückgehn, so primitiv z. B. die
von Jarre am Sangarios und manche aus Mar'as und Malatia sind.
Sie stehen offenbar schon unter ägyptischem Einfluß, auch die vereinzelt
vorkommenden Streitwagen sind wesentlich jünger. Dann kommen Bei-
schriften in chetitischen Hieroglyphen, schließlich in aramäischer Schrift
auf. Die Sitte wird etwa um 1500 aufgekommen sein.
Meyer, Geschichte des Altertums. II'. 3
34 '• Der Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
lonien übernommenen) Mitra und Varuna, Indra und die Nä-
satjas genannt, die Hauptgestalten der Asuren und der Daivas,
der beiden Gruppen, in die die arische und vedische Götter-
welt zerfällt^). Der Kriegeradel trägt hier wie in Syrien die
indische Benennung marjanni „Mannen"^); zahlreiche arische
Dynastennamen erscheinen, neben charrischen und semitischen,
in Palaestina und Syrien bis zu den Taurusgebieten hinauf,
wo sie sich in Kommagene bis ins 8. Jahrhundert erhalten
haben, und zwar hier in jüngerer, spezifisch iranischer Laut-
crestalt (Kundaspi und Kustaspi). Ganz anschaulich führen uns
ägyptische Darstellungen aus der achtzehnten Dynastie dieses
Völkergemisch vor Augen, vor allem die prachtvollen Reliefs
aus dem Grabe Haremhabs^): unter den Gefangenen aus
Syrien erscheinen hier neben den scharf charakterisierten
Semiten und völlig verschieden von den Chetitern auf den
Reliefs der neunzehnten Dynastie ganz andersartige Gestalten,
bärtige und bartlose Köpfe, zum Teil Greise*), mit fein durch-
gearbeiteten Gesichtszügen und langem oben abgeplattetem
und in der Mitte ein wenig eingedrücktem Schädel, also im
Geo^ensatz gegen die Rundschädel der Semiten und die Kurz-
schädel der Chetiter ausgeprägte Dolichokephalen. Innerhalb
der vorderasiatischen Völkerwelt erscheinen sie als ein völlig
fremdartiges Element, zeigen vielmehr den Typus, den wir bei
den Europäern und den Persern finden, und bestätigen so die
sprachlichen Zeugnisse über die Herkunft der Marjanni.
Zu diesen Zeugnissen kommt weiter ein umfangreicher
Text aus der Bibliothek von Boghazkiöi, ein großes Werk
über Pferdezucht, verfaßt von einem Mann namens Kikkuli
>) Bd. I 585 f.
2) Vgl. u. S. 102 f. Daß viele dieser marjanni charrische (Mitani-)
Namen tragen, ist durchaus natürlich, spricht aber nicht gegen die
Ableitung dieses Wortes aus dem Indischen, wie Gustavs, Z. Ass. 36,
297 ff. meint.
») Siehe Abbildung Taf. I und unten Abschnitt VIII sowie S. 103.
*) Bezeichnend ist bei zweien dieser alten Männer die über die
Schläfe lang herabhängende Haarflechte, während im übrigen der
Schädel kahl ist.
Die indische Herrenschicht in Mitani 35
aus Mitani. Geschrieben ist es in „chetitischer" Sprache; aber
die technischen Ausdrücke für die Rundläufe sind indisch^).
Mithin muß eine indische Bevölkerung im Bereich der Char-
rier Mitanis gesessen haben, bei der, wie bei den Indern des
Veda, den Griechen und anderen Indogermanen, die Pferde-
zucht und das Wagenrennen in der Rennbahn so entwickelt
war, daß die Charrier und die Chetiter bei ihnen in die Lehre
gingen und die Behandlung des hier bereits heimischen Pferdes
und Wagens danach gestalteten. Dazu stimmt, daß der Kult
des Indra^) und der Nasatjas (asvins), des Mitra und Varuna
im Mittelpunkt der vedischen Religion steht, für deren früh-
zeitige Ausbildung uns hier weit im Westen ein sicher datiertes
Zeugnis entgegentritt.
Mehrfach hat man vermutet, diese Inder seien über den
Kaukasus eingebrochen, als Vortrapp einer großen arischen
Wanderung 2), die die Inder durch Iran ins „Siebenstrom-
') Zuerst erkannt von P. Jensen, Ben Berl. Ak. 1919, 367 fif. und
gleichzeitig von Hrozny, Bogh.-Stud. Heft 3 S. XH. Weiteres bei Forrer,
ZDMG. 76, 252 fi. Die Zahlwörter 1 aika [spezifisch indische Form],
Stera, hpanza, 1 satta, 9nava sind immer mit vartana = Sa.nskrit
vartnni „Geleise, Bahn" zusammengesetzt. In vasanna sucht Forrer
wohl mit Recht ein Lehnwort für die Rennbahn („Stadion"). Weiter
gefördert ist das Verständnis dieses Textes durch Sommer und Ehelolf,
Ritual des Papanikri, Bogh.-Stud. 10 S. 38 f.
^) Wahrscheinlich mit Recht sucht Jirku, Z. Ass .36, 74 f. 164
Indra auch in den Namen des Dynasten Indar-uta von Aksaf (Ekdippa)
in Phoenikien.
^) Forrer, ZDMG. 76, 247 sucht den Namen dieser Arier in den
Mandascharen (umman MandaJ, der in Babylonien seit alters üblichen
Bezeichnung der Nomadenstämme des Nordens oder Nord Ostens (Bd. I
395 A. 400); es sei die ältere Form von Madai oder Amadai Myj^o;.
Aber diese auch sonst aufgestellte Annahme (kritisch J. Lewy, Forsch,
zur alten Gesch. Vorderasiens, Mitt. Vorderas. Ges. 1924, 2 S. 3 ff.) ist
in keiner Weise erweisbar, die weiteren Kombinationen mit MavttavoJ,
I\IaTiY,vY], MdtpSoi ("AjjLapSoi), den Mannaeern der Assyrer u. a. sind vollends
gänzlich willkürlich. Später bezeichnet Manda die Skythen, die im
7. Jahrhundert Vorderasien überschwemmen und damals neben den
Medern stehn, auf die der Name Manda gelegentlich gleichfalls über-
tragen wird.
36 I- Der Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
land" des Indus und weiter an den Ganges geführt habe;
die Iranier müßten ihnen dann gefolgt sein. Aber dieser An-
nahme stehn die gewichtigsten Bedenken entgegen. Gerade
diejenigen Gebiete, in denen sich nach ihr diese Stämme zuerst
niedergelassen haben und zu geschichtlicher Wirkung gelangt
sein sollen, müßten sie dann vollständig geräumt haben, ohne
irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Denn in den zahlreichen
Personen- und Ortsnamen, die uns aus Armenien bis zum Ende
der Assyrerzeit überliefert sind, findet sich garnichts Indo-
germanisches, und auch die Randgebirge Mediens sind von
nicht-arischen Stämmen (Anariaken) bewohnt; deuthch sieht
man, daß die arischen Meder hier von Osten her allmählich
vordringen und die Herrschaft gewinnen. Andrerseits ist es,
wenn auch alle positiven Daten fehlen, doch ganz unmöglich,
die Anfänge der vedischen Zeit und der mit ihnen beginnen-
den Sonderentwicklung Indiens über 1500 v. Chr. hinab-
zurücken. Die Festsetzung der Inder im Siebenstromland
muß mithin schon Jahrhunderte vorher erfolgt sein; und
davor liegt die in ihrer kulturellen und religiösen Gestalt sehr
wohl faßbare arische Epoche, die sich, so unsicher auch ihre
Lokalisierung ist, doch schwerlich in die Landschaften Ar-
meniens und die des Kaukasus wird verlegen lassen (vgl.
Bd. I 573 ff.).
Dazu kommt nun, daß nicht nur die Ausbreitung der
Indogermanen, sondern — abgesehn natürlich von den von
Arabien ausgehenden Umwälzungen — überhaupt alle großen
Völkerbewegungen, die im Verlauf der Weltgeschichte immer
wieder die Gestaltung des europäisch-asiatischen Kontinents
umgewandelt haben, nicht von West nach Ost, sondern um-
gekehrt von Zentralasien aus weithin nach Westen verlaufen
sind^), von der ersten durch gleichzeitige geschichtliche Zeug-
*) Dabei ist natürlich von den nach China gerichteten Völker-
bewegungen Ostasiens abgesehn, bei denen aber auch wieder das
zentralasiatische Hochland den Ausgangspunkt bildet. Die einzigen
Ausnahmen sind der Einbruch der ägaeisch-thrakischen Stämme nach
Kleinasien und Syrien im 12. Jahrhundert, der sich in dem Vor-
Das Problem der Ausbreitung der Arier 37
nisse greifbaren, der von den Issedonen ausgehenden skythi-
schen an. Dann folgen die indoskythischen Stämme, die
Tocharer und ihre Genossen, darauf die Hunnen, die Hephta-
liten, die im 6. Jahrhundert n. Chr. beginnende und sich durch
Jahrhunderte hinziehende türkische Wanderung, schließhch
die Mongolen. Speziell bei den iranischen Stämmen tritt uns
in der Steppenlandschaft im Norden des Kaspischen und
Schwarzen Meeres ständig die gleiche Bewegung entgegen,
die in alter Zeit die Sigynnen, später die Jazygen bis in die
ungarische Ebene, die Alanen sogar bis nach Spanien führt.
Von der Ausbreitung in Iran wird durchaus das gleiche gelten;
sie ist der Überschwemmung dieser Gebiete und Kleinasiens
durch die türkischen Horden, Seldschuken, Turkmenen, Os-
manen, Kadscharen u. s. w. völlig analog. So ist es höchst
unwahrscheinlich, daß vorher einmal eine Bewegung in um-
gekehrter Richtung erfolgt sein sollte, die dann rückläufig
noch einmal wieder bis in dieselben Gegenden geführt haben
würde, die man damals geräumt hatte.
Somit spricht alles für die alte Annahme, daß die Aus-
breitung der arischen Stämme sowohl nach Iran wie nach
Indien von Nordosten, von Baktrien und seinen Nachbar-
gebieten, ausgegangen ist. Einzelne Häuptlinge sind dann mit
ihren Kriegerscharen (den marjanni), die teils einen indischen,
teils einen iranischen Dialekt sprachen^), weit nach Westen
dringen der Armenier in ihre späteren Sitze fortsetzt, die Kelten-
wanderung des 3. Jahrhunderts, die durch die Ablenkung der Kelten-
scharen aus Italien veranlaßt ist und schließlich die Galater nach
Kleinasien führt, und etwa noch die Ausbreitung germanischer Stämme,
der Bastarner, Goten u. a. in die südrussische Ebene. Aber alle diese
Wanderzüge sind in ihrem Umfang beschränkt und haben über die
Mittelmeerwelt nicht hinausgeführt; hinter den großen Bewegungen,
von denen hier die Rede ist, stehn sie weit zurück.
*) Die mit arta gebildeten Namen in Mitani und Syrien, wie
Artatäma, Artasumara, Artamanja und manche andere, haben eher
iranische als indische Färbung, und ebenso natürlich Kundaspi und
Kustaspi (o. S. 34); die letzteren Namen beweisen, daß die Berührung
dieser Dynasten im Taurusgebiet (Kommagene) mit den Stammes-
38 I- I^ß"" Orient bis zum Beginn des Ifi. Jahrhunderts
vorgedrungen und haben sich hier in einzelnen Ortschaften
festgesetzt, ganz wie etwa drei Jahrtausende später so viele
türkische Häuptlinge, die einen Heerhaufen um sich sammeln.
Auch das Mitanireich haben sie überrannt und hier die Herr-
schaft gewonnen; die arische Dynastie in Mitani steht zu
den Untertanen etwa ebenso, wie seit 1779 die kadscharische
D3'nastie in Persien. In größeren Massen dagegen, wie in
den Gebieten, die dauernd indogermanisch geworden sind,
sind sie hier offenbar nirgends aufgetreten; und so hat sich
ihre Nationalität und Sprache und auch ihr somatischer
Typus hier nicht erhalten können, sondern ist, wie in allen
ähnlichen Fällen, allmählich in den der Untertanen auf-
gegangen.
Mit der Festsetzung der indogermanischen Chetiter im
östhchen Kleinasien steht dies Auftreten arischer Stämme
weiter im Osten weder zeitlich noch räumlich in Zusammen-
hang; beides sind Einzelzüge aus der allgemeinen Ausbreitung
der Indogermanen über die europäisch-vorderasiatische Welt.
Was wir über sie erfahren und erschließen können, dient der
Annahme, daß diese Ausbreitung um die Mitte des 3. Jahr-
tausends begonnen hat (Bd. I 551), zur Bestätigung. Über
das vielverhandelte Problem der Heimat der Indogermanen
und des Ausgangspunkts dieser gewaltigen Bewegung da-
gegen lassen sich neue Aufschlüsse, die zu einem gesicherten
Ergebnis führen könnten, auch von hier aus nicht gewinnen.
In Ergänzung zu den Bd. I 561 ff. gegebenen Ausführungen
möchte ich noch hinzufügen, daß der gegenwärtig weit-
verbreiteten und in der populären Literatur oft als wissen-
schaftlich erwiesen behandelten Annahme, diese Heimat liege
auf germanischem Boden zu beiden Seiten der Ostsee, auch
von sprachlicher Seite die schwersten Bedenken gegenüber-
stehn. Denn von allen indogermanischen Sprachen sind die
genossen im Osten sich dauernd erhalten haben muß; die beiden
Namen Vindäspa und Vistäspa (Hystaspes) zeigen hier bereits im 9. und
8. Jahrhundert den Wandel des Anlautes vi- in gu-, der sich sonst erst
im Mittelpersischen vollzogen hat.
Die Frage der Heimat der Indogermanen 39
germanischen diejenigen, welche — wenn wir von Misch-
sprachen wie dem Chetitischen und Tocharischen absehn —
bereits in ihrer ältesten erreichbaren Gestalt von der Ur-
sprache am weitesten abstehn. Am bedeutsamsten ist, daß die
überreiche Entwicklung der Verbalforraen hier auf einen ganz
dürftigen Bestand zusammengeschrumpft ist: sie kennen, ab-
gesehn vom Imperativ, nur zwei Tempora, Praesens und
Praeteritum, selbst das Futurum ist verloren gegangen. Die-
selbe Erscheinung finden wir im Chetitischen^), wo sie deutlich
durch die Übernahme und Wandlung der Sprache durch eine
stammfremde Bevölkerung entstanden ist. Die gleiche Er-
klärung ist auch für das Germanische das Nächstliegende:
die indogermanische Sprache ist von einer Bevölkerung mit
ganz anderen Denkformen übernommen, die nur diese wenigen
Verbalformen kannte und daher die übrigen als unverwendbar
nicht mit aufnahm. Für diese Annahme spricht ferner die
Lautverschiebung, also eine andere Einstellung der Arti-
kulation; und dem entspricht, daß, während in den übrigen
indogermanischen Sprachen die Wörter nicht scharf gegen-
einander abgesetzt, vielmehr bei vokalischem Anlaut mit-
einander gebunden werden — das hat sich in den romanischen
Sprachen bis auf den heutigen Tag erhalten — , die germani-
schen Sprachen den Stimmeinsatz vor anlautendem Vokal
ganz wie die Semiten als Konsonanten (Alef) empfinden und
zweifellos auch schreiben würden, wenn sie die Schrift selbst
erfunden hätten") — daher allitterieren im Stabreim angeb-
lich die Vokale, in Wirklichkeit eben dieser Laut. Dadurch
werden in den germanischen Sprachen die Wörter im Sprechen
') Das Germanische hat daneben in beiden Tempora noch den
Konjunktiv bewahrt, das Chetitische dagegen das Medium. Außerdem
hat dieses noch eine zweite Konjugation gebiUlet, die in der ersten
Person Sing, des Praesens durch die Kndung -hi — gegenüber dem indo-
germanischen -t7ii der Mehrzahl der Verba — charakterisiert wird.
-) Beim Schreiben und Lesen empfinden wir oft genug peinlich
daß dafür ein Zeichen fehlt, namentlich bei Zusammensetzungen (z. B.
allein und all - ein).
40 I- Der Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
und in der Empfindung scharf voneinander getrennt^). Das
alles macht es sehr unwahrscheinlich, daß die Germanen allein
von allen Stammgenossen in den ursprünglichen Wohnsitzen
geblieben sein und sich nicht mit fremden Völkern gemischt
haben sollten.
Somit bleibt es das Wahrscheinlichste, daß die Heimat
der Indogermanen im Bereich der zentralasiatischen Gebiete
zu suchen ist. Im anderen Falle wären wir zu der An-
nahme gezwungen, daß die zu den westlichen oder Kentum-
sprachen gehörenden Tocharer zunächst in umgekehrter Rich-
tung, wie nicht nur die iranischen Nomaden, sondern auch
alle anderen oben genannten Völkerscharen, vom inneren
Europa aus bis ins Innere des zentralasiatischen Hochlandes
gewandert und dann, nach langem Aufenthalt in diesen Ge-
bieten, von hier aus wieder westlich ins Oxusgebiet gezogen
wären; wie sehr das aller geographischen und historischen
Wahrscheinlichkeit widerspricht, bedarf keiner Ausführung.
Wie dem aber auch sei, keinem Zweifel mehr kann
unterliegen, daß die gewaltige Bewegung und Umwälzung,
die etwa seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die vorder-
asiatische Welt ergriffen hat, durch das Vordringen der Arier
herbeigeführt worden ist. Auch der Einbruch der Kossaeer
in Babylonien steht offenbar damit in Zusammenhang. Die
Kossaeer kommen aus den Bergketten Irans, wo wir sie
noch in der Zeit Alexanders und später in dem Gebirge ober-
halb Susa's antreffen. Zuerst erwähnt werden sie im Jahre
1896, wo Samsuiluna mit ihren Scharen zu kämpfen hat; in
der Folgezeit begegnen sie uns mehrfach als Arbeiter und
Feldpächter (Bd. I 452. 457), bis sie sich dann im Jahre 1750
') Hierin wie in der beschränkten Zahl der Tempora und Modi
deckt sich die Gestaltung des Germanischen mit dem Semitischen. Die
Übereinstimmung ist dann dadurch noch größer geworden, daß infolge
des Ablauts und des Umlauts auch in den germanischen Sprachen die
Konsonanten in einem beträchtlichen Teil des Wortschatzes (wenngleich
nicht so ausschließlich wie im Semitischen) die alleinigen Träger der
Bedeutung, die Vokale die der grammatischen Form geworden sind.
Die Ausbreitung der Arier 41
der Herrschaft über Babel bemächtigten. Daß unter ihren
Göttern auch der Sonnengott mit dem arischen Namen Surias
d. i. sürja erscheint und vielleicht auch sonst manche arische
Wörter bei ihnen vorkommen, ist Bd. I 456 schon erwähnt;
noch zuversichtlicher als damals wird man jetzt daraus folgern
dürfen, daß der Anstoß zu ihrem Vordringen von den Ariern
ausgegangen ist').
Auch die Aufrichtung der Herrschaft der Charrier in
Mesopotamien und Syrien wird durch die Vorstöße der Arier
veranlaßt worden sein; ja es ist sehr Avohl möglich, daß die
arische Dynastie hier nicht erst später zur Herrschaft gelangt
ist — etwa in der Weise, wie z. B. die Türken in den islami-
schen Reichen, die Libyer in Ägypten, und in Babylonien
vielleicht schon die Amoriter (Bd. I 417. 436) aus Söldner-
führern zu Herren geworden sind — , sondern das Reich
Mitani überhaupt geschaffen hat. Auch der Zug des Chetiters
Mursilis gegen Babel mag dadurch veranlaßt oder ihm wenig-
stens der Weg dorthin geöffnet sein.
Die Zeit der Hyl(sosherrschaft
Um die Wende vom 18. zum 17. Jahrhundert ist das
wilde Kriegervolk, dessen Herrscher Manetho mit dem Namen
Hyksos bezeichnet, in Ägypten eingebrochen (Bd. I 305).
Damit greift diese Bewegung aus Vorderasien ins Niltal hin-
über. Daß in ihrem Gefolge zahlreiche Semiten nach Ägypten
gekommen sind, ist sicher und durchaus begreiflich; aber
das herrschende Volkstum ist ein anderes; so wenig es bis
') Mehrfach [so Hüsing und ihm folgend Forrer, Ber. Berl. Ak.
1919, 1036] hat man vermutet, der Name der Kassü, Ko33ato:, sei iden-
tisch mit dem der Kaairiot, Kaspier, letzteres eine Weiterbildung mit
dem elamitischen Pluralsuffix -p, -pe; die Kossaeer seien durch die
Arier vom Kaspischen Meer verdrängt worden. Aber diese Kom-
binationen schweben vollständig in der Luft; die Kaspier sitzen in
der persischen und griechischen Zeit im Westen des Meeres, das ihnen
den Namen verdankt, und haben mit den Kossaeern nicht das mindeste
zu tun. Mit Namensanklängen läßt sich jederzeit alle§ beweisen.
42 I- Der Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
jetzt möglich ist, die wenigen echten Hyksosnamen, die uns
erhalten sind (Salatis, Bnon, Chian-Jannas u. a.), sprachlich
zu deuten, so wird doch kaum mehr bezweifelt werden können,
daß wir in ihnen dieselben Volkselemente suchen müssen, die
wur in Syrien und Palaestina als Charrier und als Arier
kenneu gelernt haben ^). Ihr Hauptgott, dem sie in ihrer
Hauptstadt Auaris einen großen Tempel erbauen, wird kein
anderer gewesen sein als der Gewittergott Tesub; offiziell
wird er dem ägyptischen Seth gleichgesetzt, daneben sehr
oft nach semitischer Art als Ba'al bezeichnet.
Die fremden Barbaren haben in Ägypten arg genug ge-
haust, das Land ausgeplündert, die Tempel zerstört; sie haben
über die Lande, die sie heimsuchten und unterwarfen, auch
wenn sie unter ihrer Oberhoheit die einheimische Dynastie
weiter duldeten, wie in Theben und Xois, dieselbe Verheerung
gebracht, wie später die Seldschuken und Mongolen oder wie
früher in der Mitte des 3. Jahrtausends die Gutaeer in Baby-
lonien (Bd. I 411). Aber so wenig wie jene konnten sie die
Einrichtungen des Kulturstaates entbehren, sei es auch nur,
um die Abgaben zu erheben und ihren Herrschersitz auszubauen
und zu schmücken. Überdies war das Niltal wie die ertrag-
reichste so auch die kulturell weitaus am höchsten stehende
Provinz ihres Reichs, deren Anziehungskraft sich unwider-
stehhch geltend machte. So haben die Hyksos den Schwer-
punkt ihres Reichs hierher verlegt und nicht nur den Ver-
w^altungsapparat und das Schreib wesen Ägyptens übernommen,
sondern sich langsam ägyptisiert. Sie gestalten ihre Titulatur
nach dem für die Pharaonen geschaffenen Schema; sie be-
zeugen neben dem Seth auch den echten Hauptgöttern des
') Die früher versuchte Gleichsetzung der Hyksos mit den Kos-
saeern oder den Chetitern ist hinfällig. Die Kossaeer haben nie eine
wirkliche Großmachtstellung besessen, und chetitische Typen erscheinen
in den ägyptischen Darstellungen nicht vor der 19. Dynastie. Daß die
Ägypter die Hyksos oft mit der allgemeinen Bezeichnung der asi itischen
(semitischen) Stämme als *amu, „Völkerschaften", benennen, ist sehr be-
greiflich, sagt aber über ihre Nationalität nichts aus.
Das Reich der Hyksos 43
Niltals ihre Verehrung, sie setzen ihre Namen auf ältere
Königsdenkmäler, ja ägyptische Namen wie Apopi dringen
auch in die Dynastie ein.
Die von den Hyksos gegründete Hauptstadt Auaris liegt
am äußersten Rande des Delta, jenseits des östlichsten Nil-
arms. Schon daraus geht hervor, daß ihre Macht sich weit
nach Asien hineinerstreckt hat; die Stätte ist gewählt, um
die Verbindung mit diesem zu sichern, sie hat ihr Gegenbild
in der Gründung der arabischen Hauptstadt Fostät (Kairo)
durch den Eroberer 'Amr unter Omar auf dem Ostufer des Nil,
gegenüber von Memphis. Es kann denn auch kein Zweifel
sein, daß die ersten Hyksoskönige ein gewaltiges Weltreich
beherrscht haben, wie Attila und Dschingizkhan. „Umarmer
der Länder" nennt sich der „Fürst der Fremdlande " und
„der Jungmannen (nofni: das wird ägyptische Wiedergabe
der marjanni von Mitani sein)" Chian in seinen Horusnamen;
in dem Zusatz „geliebt von seinem Geiste (ha)'' gelangt der
Stolz des allmächtigen Weltbeherrschers, dem sich alles beugen
muß, unverhüllt zum Ausdruck (Bd. I 306). Chians Name
findet sich nicht nur in Ägypten und Syrien, sondern auch
auf einem rohen Basaltlövven aus Babylonien und auf dem
Bruchstück eines Alabastergefäßes in der Fundaraentschicht
des jüngeren Palastes von Knossos^). So hat sich seine Ober-
hoheit wahrscheinlich ebensowohl über die Könige von Kardu-
nias wie über Kreta erstreckt; und die Vermutung liegt nahe-),
daß die Zerstörung der älteren, aus der Kamareszeit stam-
menden Paläste von Knossos und Phaestos, die ins 17. Jahr-
') Siehe jetzt Fimmen, Die kietisch-mykenische Kultur, 1921, S. 172;
ebenda über die derselben Schicht angehörende Dioritstatue des Mittleren
Reichs (12.-13. Dynastie, vgl. Bd. I 518).
-) Siehe Bd. I 519. Der Einwand von Evans, Palace of Minos I
300, 1, daß der Alabasterdeckel mit dem Namen Chians „to the
penultimate epoch of Middle Minoan III' gehöre, die Zerstörung des
älteren Palastes (Middle Minoan II) aber älter sei, scheint mir wenig
treÖend: wenn Chian den Palast zerstörte, kann ein seinen Namen
tragendes Gefäß sehr wohl in dem folgenden Neubau gestanden haben
und dann weggeworfen worden sein.
44 1- Der Orient bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts
hundert fällt, eben durch Chian und die Hyksos herbeigeführt
worden ist. In der Folgezeit bricht dann, wie bei jedem
derartigen ephemeren, der inneren Konsistenz ermangelnden
Gebilde, die Macht des Reichs eben so rasch zusammen und mag
schließlich im wesentlichen auf Unterägypten und Palaestina
beschränkt worden sein; doch hält noch der letzte Apöpi (III.)
die alten Ansprüche aufrecht, wenn er auf einem „seinem Vater
Seth von Auaris" in Memphis errichteten Altar sich rühmt, daß
dieser „ihm alle Lande unter seine Sohlen gab" (Bd. I 308).
Umwandlung des Kriegswesens
Das Eindringen indogermanischer Stämme hat die vorder-
asiatisch-ägyptische Kulturwelt nicht nur schwer erschüttert
und damit zugleich einen nicht wieder unterbrochenen politi-
schen Zusammenhang zwischen den einzelnen Staaten und
Kulturen geschaffen, sondern ihr zugleich eine in alle Zukunft
nachwirkende militärische und geschichtliche Umwälzung ge-
bracht durch die Einführung des Pferdes. Nach Babylonien
ist dieser „Esel des Gebirgslandes" (Bd. I 455) etwa seit
dem 19. Jahrhundert wahrscheinlich zuerst durch Kossaeer
gebracht worden; in Syrien wird man es sowohl von den
Ariern wie von den Chetitern bezogen haben, und von hier
aus ist es dann nach Ägypten und weiter zu den Wüsten-
stämmen Arabiens gekommen. Benannt wird es überall mit
dem gleichen Worte unbekannter Herkunft, das babylonisch
und assyrisch sisü, kana'anäisch^) und hebräisch süs, ägyptisch
(aus dem kana'anäischen Plural gebildet) ssm-t^) gesprochen
wird. Verwendet wird es noch jahrhundertelang, außer in
Notfällen, niemals zum Reiten^), sondern lediglich als Kriegs-
') In einer^Glosse im Amarnabrief 268. 35, im Plural zu-u-[zi-ma]
geschrieben.
^) Geschrieben auch ss-t und smsm.
^) Die einzigen Fälle, wo geritten wird, sind meines Wissens
zwei der ganz primitiven Reliefs am südlichen Stadttor von Sendjirli
(v. LuscHAN. Ausgrabungen III 205 f. Taf. 34c u. d und Taf. 35, vgl. o. S. 32)
und die Darstellung der syrischen Kriegsgöttin 'Anat in Redesie unter
Sethos I (LD III 138).
Aufkommen und Wirkungen des Wagenkampfs 45
roß am Streitwagen'), bab.-assyr. narkahtu, kan. (hebr.) und
ägyptisch nierkahat. Dieser Wagen ist immer ein ganz leichtes,
zweiräderiges Gefährt, in dem der Krieger und neben ihm
der Kutscher auf dem durch eine Brüstung geschützten Tritt-
brett steht. Bei den Chetitern und ihren semitischen Bundes-
genossen kommt in dem engen Wagenkasten noch ein Schild-
träger hinzu, während wie der ägyptische und assyrische, so
auch der griechische Streitwagen der mykenischen wie der
homerischen Zeit nur Krieger und Wagenlenker kennt ^). Von
dem Wagen herab kämpft man vor allem mit Bogen und
Pfeil — an der Brüstung des ägyptischen Streitwagens hängt
dafür Futteral und Köcher — , bei den Chetitern wie bei den
Griechen und später bei den Assyrern aber auch mit der
Lanze. Der Vorteil, den er gewährt, besteht vor allem in
der raschen Bewegung auf dem Marsch wie auf dem Schlacht-
feld und in der dadurch gegebenen Möglichkeit, an ent-
scheidender Stelle in den Kampf einzugreifen. Dazu kommt
dann die Wucht des geschlossenen Ansturms der Wagen —
ein Vorgang, den wir uns nur schwer begreiflich machen
können, den aber die ägyptischen Schlachtbilder ganz an-
schaulich vorführen; dadurch wird das Fußvolk überrannt
oder stiebt in schleuniger Flucht auseinander.
Diese Umwandlung der Kampfweise hat nun zugleich
weitreichende wirtschaftliche und politische Folgen. Das alte
Aufgebot der zu Fuß mit Speeren und Streitäxten oder mit
') Daneben kommt dann der Lastwagen auf, hebr. und ägypt.
^aqdlat; aber dafür wird das kostbare Pferd zunächst nur selten ver-
wendet worden sein.
-) Auf den „hetitischen" Jagdreliefs von Malatia und Saktsche-
gözü fehlt dagegen der Schildträger. — Im einzelnen zeigen die Wa-
gen natürlich in der Gestalt der Räder und des Gestells oder Kastens
mancherlei Verschiedenheiten. Das Material ist sorgfältig bearbeitet
in den sich ergänzenden Arbeiten von Nuokfer, Der Rennwagen im
Altertum, erster (und einziger) Teil (der Orient) 1904. Studniczka,
Der Rennwagen im syrisch-phönikischen Gebiet, Arch. Jahrb. 22, 1907.
E. V. Merklin, Der Rennwagen in Griechenland, erster Teil 1909.
H. Nachod, Der Rennwagen bei den Italikern. 1909.
40 1- ^^^ Orient bis /.um Beginn des 16. Jahrhunderts
Bogen und Schleuder kämpfenden Mannschaften der Bezirke,
so wenig es entbehrt werden kann, tritt in den Hintergrund
und ebenso die gleichartig gerüsteten Soldtruppen. Der
Schwerpunkt verlegt sich in diejenigen Schichten, die Rosse
und Wagen nebst den zugehörigen Knechten halten und be-
nutzen können; und dazu gehört ein beträchtliches Vermögen
und andauernde Schulung und Übung. So entsteht in allen
Staaten, die sich selbständig behaupten wollen, eine neue
militärische Aristokratie, derselben Art, wie sie bei den
kriegerischen Wanderstämmen in naturwüchsiger Gliederung
des Volks besteht, aber jetzt eingefügt in den entwickelten
Aufbau eines Kulturstaats. Die Regierung muß alles tun, um
diese Aristokratie zu fördern, muß sie mit Grundbesitz und
Privilegien ausstatten und für kriegerische Verdienste reiche
Belohnungen und Ehren gewähren. Daher trägt die folgende
Epoche, so verschiedenartig im übrigen die kulturellen und
wirtschaftlichen Grundlagen der Staaten sein mögen, überall
einen ritterlichen Charakter. Der militärische Ehrgeiz erwacht
und das Selbstbewußtsein steigert sich. Auch die großen
Götter des Reichs, mögen sie auch aus einer ganz anderen
Vorstellungswelt entstammen, werden zu Kriegsgöttern, Amon
von Theben nebst Montu und dem jetzt eifrig verehrten
(und dem semitischen Ba'al gleichgesetzten) Seth so gut wie
in Palaestina und Syrien Astarte und *Anat — deren Kult
jetzt ebenfalls in Ägypten eindringt — und bei den Char-
riern und Chetitern Tesub, bei den Assyrern der diesem an-
geähnelte Nationalgott Assur. In Ägypten, wo uns das reichste
Material vorliegt, läßt sich diese Wandlung am deutlichsten
erkennen: in dem Kriegeradel des Neuen Reichs und in seinen
Königen lebt ein ganz anderer Geist als in den feudalen
Magnaten der älteren Zeit und den in stetigem Ringen mit
ihnen ihre Rechte und Machtstellung behauptenden Pharaonen
des Mittleren Reichs.
II. Die Wiedererhebung Ägyptens und die Gründung
des Neuen Reichs
Der Sturz des Hyksosreichs durch die Könige von Theben.
Beziehungen zu Kreta
Wir haben früher gesehii (Bd. I 309 f.), wie sich neben
den mächtigen Hyksosherrschern in Theben ein oberägyptisches
Fürstentum behauptet hat, mit fortwährendem Wechsel ohn-
mächtiger Könige und in voller Abhängigkeit von jenen.
Daneben wird es an lokalen Dynasten nicht gefehlt haben,
die dem jeweiligen Pharao den Gehorsam versagten^); und
vollends die Herrschaft über Nubien war offenbar schon unter
der dreizehnten Dynastie an einheimische Häuptlinge ver-
loren gegangen.
Zur Zeit des Hyksoskönigs Apöpi HI. (o. S. 44) finden
wir in Theben zwei Könige namens Ta'o, wahrscheinlich
Brüder-), die beide den Thronnamen Seqenjenre' tragen, der
') Allerdings hat sich die früher auch von mir geteilte Annahme
als irrig erwiesen, einzelne vom Königsring umschlossene Namen, die
sich gelegentlich (so in den Listen des Totenkultus aus Der el Medine.
LD. in 2 a. d. aus der 20. Dyn.) neben den ersten Königen, Königinnen
und Prinzen aus der 18. Djn. finden, seien solche Dynasten, die sich
den Thebanern angeschlossen und daher königliche Ehre erhalten
hätten. A'hmose se Pa'ar heißt im Pap. Abbott 3, 13 fälschlich König,
weil seine Grabpyramide zwischen denen von wirklichen Königen lag
(Sethe, Unters. I S. 4. 71), und gehört in die Zeit Amenophis' I. (Lacau,
Steles de nouvel empire no. 30004. 3400.5. 34029 = Mariette, Mon. div. 89.
Petrie, Bist. II p. 44); Uazmose ist ein Sohn Thuthmosis' I. (Sethe,
Unters. I 9, vgl. Daressy, Ann. du Serv. I u. a.); ebenso wird wohl auch
der Bd. I 309 A. erwähnte A'ahmose Binpu zu erklären sein [ebenda ist
das Zitat S. 326 ZI. 2 in PSBA. 25, 1903, 358 zu korrigieren].
^) In den Akten einer Untersuchung über Gräberdiebstähle aus
der 20. Dyn. (Pap. Abbott) werden ihre Grabpyramiden genannt; der
48 II. Die Wiedereihebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
deutlich dem des Apöpi 'Aqenjenre' nachgebildet ist. Allerdings
ist es kaum denkbar, daß zwei aufeinander folgende Brüder
denselben Thronnamen getragen haben, und so ist es recht
wahrscheinlich, daß der des ersten in dem späten Texte, der
ihn nennt ^), nur verschrieben und durch Senechtenre* zu er-
setzen ist.
Die Leiche des zweiten Ta'o, der den Beinamen qen
„der Tapfere" führt, zeigt einen Mann in der Vollkraft des
Lebens, der durch eine schwere Kopfwunde den Tod ge-
funden hat. Somit wird die Annahme kaum fehl gehn, daß
er im Kampf gegen die Hyksos gefallen ist. Von dem Aus-
bruch dieses Krieges erzählt im Märchenstil eine ägyptische
Sage, deren Eingang in einem Schulheft aus der neunzehnten
Dynastie erhalten ist^), wie König Apöpi von Auaris mit
dem ihm zinspflichtigen „Herrscher der Südstadt (Theben)"
Seqenjenre' Händel sucht und an ihn eine unerfüllbare Forde-
rung stellt, die ihn und alle seine Räte und Offiziere in die
größte Verlegenheit setzt. Damit bricht das Erhaltene ab.
Charakteristisch ist, daß der Gegensatz ganz wie später in
den israelitischen Erzählungen zugleich als ein religiöser ge-
faßt wird: Apöpi „machte sich den Seth zum Herren und
diente keinem der Götter des Landes außer dem Seth", Seqen-
jenre' dagegen hat, wie dem Apöpi seine eigenen „Schreiber
eine hat den Beinamen 'o „der Große" (d. h. der ältere), der andere
ist wahrscheinlich Ta'o qen („der Tapfere", so LD. III 2 a und auf dem
Sarge mit seiner Mumie. Maspero, Momies royales 5. 26. Daressy, Catal.
des cercueils roy. I., Petrie, Hist. II 6). unter ihm diente der Vater des
Admirals A'hmose von Elkab. Wurfholz seines Sohnes Zuju Mariette,
Mon. div. 51b = Sethe, Urk. der 18. Dyn. 13. Grabstatue seines Sohnes
A'hmose Sethe Urk. 12 f. (vgl. u. S. -50, 1). Thronname auf dem Siegel
Mariette, Mon. div. .52 c.
^) Pap. Abbott. Die sehr einleuchtende Vermutung stammt von
WiNLOCK, der die Königsgräber dieser ganzen Epoche in dem Aufsatz
Tombs of the kings of the 17. Dyn. im J. Eg. Arch. X 1924, 217 ff.,
sehr sorgfältig behandelt und die Fragen wesentlich geklärt hat. Über
Senechtenre' s. Bd. I 309 A., Karnak no. 26.
-) Pap. Sallier L; der Eingang schon in Bd. I 303 und 305; Über-
setzung jetzt bei Erman, Literatur der Ag. 214 f.
Beginn des Kriegs gegen die Hyksos 49
und Gelehrten" bemerken, den Götterkönig Amon-re' zum
Beschützer und vertraut auf keinen Gott als auf diesen.
So ist der Kampf zugleich ein Religionskrieg, und der Fort-
gang wird erzählt haben, wie Amon-re* seine Allmacht da-
durch erweist, daß er seinen Dienern, den Kleinkönigen von
Theben, gegen alles Erwarten den Sieg über den mächtigen
Verehrer des Seth verschafft. Dieser Glaube an die All-
macht des mit dem Sonnengott Re' identifizierten Amon von
Theben hat sich mit dem Fortschreiten der ägyptischen Macht
immer lebendiger durchgesetzt. Um so beachtenswerter ist,
daß die Könige dieser Zeit zwar, wie selbstverständlich, die
Hilfe des Re' und Amon durchweg nachdrücklich betonen,
daß aber neben diesen sehr stark der Mondgott hervortritt,
sowohl unter den Namen des Himmelskörpers selbst (a'li,
etwa Tob zu sprechen), wie unter dem des in diesem sich
offenbarenden Gottes Thout. Nicht nur die meisten Eigen-
namen des Königshauses werden jetzt mit diesen Götternamen
gebildet (A'hmose, A'hhotep, Thutmose), sondern König Ka-
mose sagt in der Inschrift auf seiner Speerspitze: „ich bin
ein tapferer Herrscher, geliebt von Re', Sohn des Mondes,
geboren von Thout", und König Amosis bezeichnet sich
zwar in üblicher Weise als den leiblichen Sohn und Erben
des Amon-re', rühmt aber zugleich, daß er „mit seinem Ge-
folge zu beiden Seiten hervortrete wie der Mond unter den
Sternen"^). Danach scheint es, daß die Dynastie der Be-
freier sich dem Mondgott — dessen Kultus unter dem Namen
Chonsu, Sohn des Amon und der Mut, in der Folgezeit in
Theben stark hervortritt — besonders nahe verbunden ge-
fühlt hat.
Aus der Todeswunde des Seqenjenre' Tao' wird man fol-
gern dürfen, daß seine Erhebung gegen die Hyksos unglück-
lich ausgegangen ist'^). Sein Nachfolger ist der eben er-
wähnte König Kamose (mit dem Thronnamen Uazcheperre*),
') Sethe, Ulk. der 18. Dyn. I 13. 18, 10.
2) Möglich bleibt natürlich auch, daß er das Opfer einer Ver-
schwörung geworden ist.
Meyer, Geschichte des Altertums. U' 4
50 n. Die Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
wohl zweifellos sein ältester Sohn'). Über ihn besitzen wir
den Eingang eines Berichts in Form einer Königsinschrift ^)
aus seinem 3. Jahr. Hier wird erzählt, wie der tapfere
König zu seinen Magnaten redet: „Ich möchte wissen, wozu
*) Kamoses Grabpyraiuide im Pap. Abbott, sein Sarg bei Daressy
Ann. du Serv. IX. Wer seine Eltern waren, erfahren wir nicht; eben-
sowenig wissen wir etwas von seiner Gemahlin oder seinen Kindern.
Aber da sein Andenken in Ehren blieb, kann er kein Usurpator sein;
somit wird er ein älterer Bruder des Amosis sein, der nur wenige Jahre
regiert hat. Auf dem Altar Clot-bey's in Marseille (Bd. I 309 A.) wird
er nach Seqenjenre' genannt; ein Priester des Amon, der Mut und
Thuthmosis' I. ist zugleich Totenpriester des Ta'o und ITazcheperre*^
(Kamose): Lacau, Steles du nouv. Emp. p. 64 = Legrain, Rep. geneal. I.
Vermählt ist Ta'o mit „der großen Königstochter und Genossin der
weißen Krone" A'hhotep [von den Eltern und zwei Schwestern ge-
stiftete Grabstatue ihres Sohnes A'hmose: Sethe Urk. 12 f.]. Der Sohn
der A'hhotep ist nach Sethe Urk. 80, vgl. 21 König Amosis; in der
Liste von Der el Medine LD. III 2 a sitzt sie neben König Ta'o, in2d
neben Amosis. Nach der Inschrift des Amosis Sethe Urk. 27 ZI. 8,
sind sein Vater und seine Mutter beide Kinder einer Königin Tetisere
(also die übliche Geschwisterehe). Daher heißt A'hhotep bei Sethe
Urk. 21 ZI. 24 f., „Gattin, Schwester, Tochter, Mutter eines Königs".
[Tetisere selbst ist nicht königlichen Geblüts, sondern stammt nach An-
gabe ihrer Mumienbinde von Privatleuten: Darkssv, Ann. du Serv. IX 137.
Mit welchem König sie vermählt war, wissen wir nicht. Ihre Statue
im British Museum bei Budge, Eist. 64.] Somit ergibt sich folgender
Stammbaum:
Königin Tetisere
Ta'o I. „der Große" Ta'o IL „der Tapfere" A'hhotep
Kamose Amosis Ahmes-nofretari
Amenophis I.
Über das Grab der A'hhotep mit ihrem Sarge s. u. S. 56, 1- Der Sarg
einer zweiten Königin desselben Namens ist in Der el Bahri gefunden.
Vielleicht war diese die Gemahlin Amenophis' I.; doch wird die Königin
A'hhotep, die in dessen 10. Jahre ihrem Beamten Kares einen Toten-
kult in Abydos schenkt (Sethe Urk. 45 f.), da sie „Königinmutter" heißt,
wohl seine Großmutter sein, die dann sehr alt geworden sein muß.
*) Erhalten auf der Holztafel eines Schülers; Übersetzung bei
Erman, Literatur der Äg. 83 f.
König Kamose gegen die Hyksos 51
mir meine Stärke dient ^). Ein Fürst sitzt in Auaris, ein
anderer in Kusch, und ich sitze da, zusammen mit einem
Asiaten und einem Neger, Ein jeder besitzt sein Bruch-
stück von Ägypten und teilt das Land mit mir". Die Be-
duinen sind bis Hermopolis vorgedrungen und ruinieren das
Land durch ihre Erpressungen. „Aber ich werde mich an
ihn heranmachen und ihm den Bauch aufreißen; mein Wunsch
ist, Ägypten zu retten und die Asiaten zu schlagen." Die
Magnaten haben keine Neigung, darauf einzugehn: „Auch
wenn die Asiaten bis Kusae (zwischen Hermopolis und
Siut) gelangt sind und höhnisch die Zunge ausstrecken (?j,
sind wir doch in Ruhe mit unserem Ägypten. Elephantine
(die Grenzfeste im Süden) ist stark, und die Mitte des Landes
gehört uns bis nach Kusae." Sie schildern, wie trotz der
Fremdherrschaft im Delta das beste Land für sie bestellt wird,
ihre Rinderherden ungehindert dort weiden können, und wie
sie von dort den Weizen für ihre Schweine beziehen. „Er
hat das Land der Asiaten, wir haben Ägypten." Der König
weist ihr feiges Verhalten scharf zurück: „man soll von mir
in Theben sagen: Kamose der Beschützer Ägyptens". „Nach
dem Befehl Amons, der die rechten Gedanken hat", zieht er
mit seinem tapferen Heer und der Hilfstruppe der Mazoi.
der Söldner aus Nubien, in den Krieg, durch die Ortschaften
am Strom reich verproviantiert. Den Teti, Sohn des Pepi,
einen Vasallen der Hyksos oder Rebellen, hält er in der
(sonst unbekannten) Stadt Nefruisi fest, erstürmt und plün-
dert den Ort und dringt weiter vor. Damit bricht das Er-
haltene ab. Daß er auch gegen Nubien gezogen ist, scheint
daraus hervorzugehn, daß sein Name an einer Felswand in
Toschqe steht (halbwegs zwischen Derr und Abusimbel). un-
mittelbar über dem seines Nachfolgers Amosis-).
') Seiner Stärke oder Tapferkeit rühmt er sich auch in der oben
S. 49 angeführten Speerinschrift. Auf der goldenen Barke aus seinem
Grabe ist vor jeden seiner beiden Namensringe an Stelle der üblichen
Titel das Bild eines Löwen gesetzt.
') Weigall, Antiq. of Lower Nubia pl. 65.
52 II- Die Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
Der kriegerische König kann nur wenige Jahre regiert
haben; sein Nachfolger Amosis (ca. 1580 — 1558), wahr-
scheinlich sein Bruder, hat den Kampf fortgesetzt und zu
Ende geführt. Kunde haben wir nur von dem Schlußkarapf
um Auaris durch die Biographie eines daran beteiligten
SchiflFsoffiziers, des A'hmose, Sohn des Abana — der selbst
schon die gleiche Stellung unter Seqenjenre' eingenommen
hatte — aus dem Nomarchengeschlecht von Elkab (vgl. Bd. I
302). Die Hauptstadt der Hyksos ist von den Ägyptern um-
lagert, zu Lande und zu Wasser wird gekämpft, auch im
Gebiet südlich von der Stadt ^); schließlich wird Auaris ge-
nommen und ist offenbar zerstört worden. Nach Manethos
Bericht hat Amosis den Hyksos freien Abzug mitsamt ihrer
Habe gewährt, und daran wird etwas Richtiges sein, da die
Beute auch nach AMimoses Angaben offenbar nicht groß ge-
wesen ist. Der Pharao ist den Feinden nach Asien gefolgt
und hat die Festung Saruhan im äußersten Süden Palaestinas
(s. u. S. 82) nach dreijähriger Belagerung^) erobert; damit war
ein Brückenkopf jenseits der Wüste gewonnen, der Ägypten
gegen erneute Angriffe aus Asien schützte.
Dann zog Amosis gegen die Nomadenstämme Nubiens^)
und stellte die Herrschaft Ägyptens bis zum zweiten Kata-
') „Man kämijfte in dem südlich von dieser Stadt gelegenen
Ägypten", d. h. in dem Teile des Landes, der südlich von Auaris liegt.
Breasted, Anc. Rec. II p. 7, 11 und Sethe in der Übersetzung der ürk.
der 18. Dyn. S. 2 verstehen unter „dieser Stadt" fälschlich Elkab und
finden hier eine Angabe über die Besiegung eines Aufstandes.
*) Sethe, ÄZ. 42, 136. — Von Manethos Bericht liegen bei Jo-
sephus c. Ap. zwei Auszüge vor, von denen der erste (I 84 — ^90) gröb-
lich entstellt ist und die Vertreibung der Hyksos dem Misphragmuthosis,
d. i. Mencheperre' Thutmosis III., und seinem Sohne Thummosis, d. i.
Thuthmosis IV., zuschreibt. In dem zweiten Exzerpt wird als Besieger
TeSfjLcuot; genannt, was durch Einwirkung des ersten Exzerpts aus
"Afioiai? entstellt ist. Dieser Name, den der echte Manetho natürlich
gegeben hat, ist in den Königslisten bei Africanus und Eusebius be-
wahrt, ebenso bei Apion (Tatian adv. gent. 38). Vgl. Ägypt. Chronol-
(Abb. Berl. Ak. 1904) S. 73 f.
3) Die Nubier des Landes Sti, vgl. Bd. I 165.
Amosis und der Untergang des Hyksosreichs 53
rakt wieder her. Er kehrte heim „geschwollenen Herzens über
die Siegeskraft, da er die Südvölker und die Nordvölker
bezwungen hatte". Jetzt konnte er auch die letzten Wider-
stände in Ägypten selbst niederwerfen. Unterägypten nebst
den angrenzenden Gauen des Südens, die fortan, wie wir noch
sehn werden, mit jenem unter einheitUcher Verwaltung zu-
sammengefaßt wurden, scheint sich ohne Kampf der theba-
nischen Herrschaft gefügt zu haben; weiter oberhalb dagegen
gab es noch Dynasten, die ihre Unabhängigkeit zu behaupten
versuchten. Aber jetzt „nahte ihnen ihr Todesschicksal, die
Götter des Südlandes packten sie" ; zunächst wurde ein Re-
bell am Nil selbst, dann „jener böse Teti'an, der die Übel-
gesinnten um sich versammelt hatte" und auch Mannschaften
aus den Wüstenstämmen herangezogen zu haben scheint, be-
siegt und vernichtet. Damit war die volle Einheit des Reiches
wiederhergestellt.
Es sind nur sporadische, durch Zufall erhaltene Notizen
über einzelne Vorgänge, die auf uns gekommen sind; zwischen
ihnen klaffen überall die größten Lücken, und von dem inneren
Zusammenhang, von den Bedingungen, die den Fürsten von
Theben die Wiederaufrichtung der ägyptischen Großmacht
ermöglicht haben, geben sie keine Kunde. Und doch ist klar,
daß ein weltgeschichtliches Ereignis wie der Untergang des
Hyksosreichs sich nur aus dem Zusammenwirken, aktiv so
gut wie passiv, aller Kräfte und Bestrebungen begreifen läßt,
welche die damalige Welt des Orients umfaßte. Die Macht des
Hyksosreichs muß innerlich bereits gebrochen, der feste Rück-
halt in Syrien verloren gewesen sein, als Amosis die Haupt-
stadt einschließen und schließlich erobern konnte. Wieweit
sei es das Mitanireich, sei es die Kossaeer von Kardunias hier
eingegriffen haben, entzieht sich jeder Erkenntnis^). Nach
der anderen Seite dagegen gewähren die Andeutungen einer
') Man wird sich das politische und militärische Ineinander-
greifen der einzelnen Mächte analog dem Untergang des Assyrerreichs
vorstellen dürfen, in den uns jetzt wenigstens einiger Einblick ge-
währt ist.
54 II. Die Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
Inschrift des Amosis die Möglichkeit, die Beziehungen zu er-
kennen. Der König zählt hier die reichen Geschenke aus Gold,
Silber und kostbaren Steinen auf, die er dem Amon von
Theben dargebracht hat. Voran geht ein langer Hymnus
auf den Pharao, den Sohn und Erben des Amon und das
Ebenbild des Re', „den König der Könige in allen Landen,
der den Umkreis der Sonne beherrscht, zu dem die Bewohner
des Südens und Nordens, des Ostens und Westens kommen" :
die drei Bevölkerungsklassen Ägyptens') werden aufgefor-
dert, bei seinem Namen zu schwören und ihn zu preisen und
zu verehren wie Sonne und Mond. Dann aber folgt ein Ab-
schnitt, der in der gesamten Masse der ägyptischen Königs-
inschriften nicht seinesgleichen hat : der Befehl, seine Mutter,
die Königin A'^ihotep zu preisen ; und diese erhält den Titel
„Herrin des Landes (d. i. Ägyptens), Fürstin der Gestade der
Haunebt". Haunebt ist die uralte, im getragenen Stil immer
beibehaltene Bezeichnung der Seevölker im Norden; hier,
wo es sich um reale Beziehungen des politischen Lebens
handelt, können damit nur die Kreter gemeint sein. Und nun
folgt der Preis der Königin: „ihr Name ist hoch in jedem
Fremdlaud, sie leitet die Menge-), die Gattin, Schwester,
Tochter, Mutter eines Königs, die Erhabene und Kundige,
die für Ägypten .sorgt; sie hat .seine Armee zusammen-
gebrachte?)^) und diese beschirmt^); sie hat zurückgebracht
seine Flüchtlinge, gesammelt seine Auswanderer, Oberägypten
(hnu, also das Reich von Theben) beruhigt und seine Re-
') Stele des Amosis aus Karnak, Sethe Urk. 14 tf. Die drei Klassen
ZI. 10 und 21 sind die rchit, d. i. wahrscheinlich die „Wissenden", die
das wahre Verständnis der Religion und ihrer Geheimnisse besitzen,
die hmnmt und diep't; dahinter steht zusammenfassend Ar wo „jeder-
mann''.
^) Wörtlich: „die den Plan macht für die Vielen^
*) 'wa ns mnfli-s. Das Verbum '«a bezeichnet immer eine ge-
walttätige Handlung wie „rauben"; so vermute ich, daß es hier „die
Soldaten zusammenraffen", „zu Soldaten pressen" bedeutet.
*) nbnh ns si; nbnb bedeutet .sich jemandes annehmen, be-
schützen".
Bündnis zwischen Ägypten und Kreta 55
bellen (Widerspenstigen) bezwungen, die Königsgattin A'hho-
tep, die Lebende".
In diesen Worten ihres Sohnes erscheint die Königin
als die Schöpferin des neuen Ägyptens, als die Seele seiner
Erhebung und seiner Erfolge. Zugleich zeigen die Worte,
daß sie im Auslande tätig gewesen sein muß: nur hier kann
sie die Flüchtlinge beschirmt und gesammelt, nur hier das
Heer aufgebracht haben. Danach werden wir annehmen
dürfen, daß sie nach dem Tode ihres Gemahls Tao dessen
Werk mit voller Energie fortgeführt hat und neben dem
kriegerischen Kamose — der noch sehr jung gewesen sein
mag; seine Äußerungen (o. S. 51) stehn dem nicht im Wege —
und dann unter Amosis die eigentliche Regentin des theba-
nischen Reichs gewesen ist. Zugleich aber muß sie mit Kreta
in enge Beziehung getreten sein und hat vermutlich dessen
König geheiratet — die Bezeichnung „Fürstin der Gestade des
Haunebt" läßt kaum eine andere Deutung zu.
So drängt sich die Vermutung auf. daß das Hyksos-
reich einem kombinierten Angriff erlegen ist, zu dem sich
das oberägyptische Reich von Theben und Kreta gegen den
gemeinsamen Bedränger verbunden haben: eben durch das
Eingreifen der Kreter wird die Einschließung und Eroberung
von Auaris ermöglicht worden sein. Eine weitere Bestäti-
gung und Ergänzung bietet der Hymnus auf den König
selbst: die drei Klassen der Bevölkerung Ägyptens , sagen:
unser Herr ist er; die Haunebt: wir sind in seinem Gefolge;
die Länder: wir gehören ihm". Deutlich werden hier drei
Gruppen geschieden: die eigentlichen Untertanen in Ägypten,
die verbündeten Kreter, die ihm Kriegshilfe leisten, und die
übrige Welt, d. i. Syrien und die Negerländer, über die er
seine Macht ausgedehnt hat.
Aus dieser engen Verbindung zwischen Ägypten und
Kreta ist die tiefgreifende Einwirkung erwachsen, welche
Kultur und Kunst beider Länder gebend und nehmend wie
schon seit alters so noch weit intensiver in der Folgezeit auf-
einander geübt haben. Ganz anschaulich tritt diese Wechsel-
56 II- Die Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
Wirkung der beiden Länder und Kulturen eben zur Zeit der
Hvksoskämpfe in zwei Prunkwaffen zutage, die den Naxnen
des Königs Amosis tragen und ebenso wie andere Schmuck-
sachen mit seinem Namen sowie dem des Kamose dem Grabe
ihrer Mutter A'hhotep beigegeben wurden^). Auf dem Dolch
des Amosis, mit goldener Schneide, ist in die Rippe aus Bronze
der Name des Königs eingelegt, jedes Zeichen von feinen
Goldstegen umfaßt, und darauf folgt, in gleicher Weise ge-
arbeitet, ein Löwe, der einen Stier verfolgt, und dann vier
Heuschrecken. Die in gestrecktem Lauf dahinjagenden Tiere,
mit übernatürlich in die Länge gezogenem Leib, und die
Andeutung der gebirgigen Landschaft zu beiden Seiten sind
nach kretischem Vorbild gearbeitet. Technik und Gestalt der
Waffe haben ihr Gegenbild in Dolchen aus Kreta und My-
kene. Aber die Arbeit ist ägyptisch, und so ist auch der dort
übliche schlichte Knauf des Dolches hier durch einen gol-
denen Knauf in Gestalt von vier Hathörköpfen ersetzt. Auf
der Streitaxt des Amosis ist ebenso unter seinen Namen und
die Szene, in der er einen Feind beim Schopf packt und
niederstößt, ein Greif in kretischem Stil gesetzt, der nach der
Beischrift „geliebt von Montu" offenbar den thebanischen
Kriegsgott Montu darstellen soir-).
Somit sind diese Waffen von einem ägyptischen Künstler
gearbeitet, der den Auftrag erhalten hatte, kretische Vor-
bilder zu verwerten und der ägyptischen Art anzupassen.
Als Gegenstück dazu kann eine Dolchklinge dienen, die um
dieselbe Zeit von einem kretischen Künstler für einen Für-
sten von Mykene gearbeitet und ihm ins Grab mitgegeben
') Über die Geschichte dieses Grabfundes und des fälschlich mit
ihm verbundenen aus dem Grabe des Kamose (v. Bissing. Theban.
Grabfund aus dem Anfang des Neuen Reichs, 1902) s. Daressy, Ann.
du serv. 1908, 61 ff. und 1912, 68, sowie jetzt die eingehende Unter-
suchung von WiNLOCK, J. of Eg. Archaeol. X 1924, 250 ft'.
^) Über die Nachahmung der kretischen Vorbilder siehe vor allem
FuRTWÄNGLER, Ant. Gemmen III 20 und Fimmen. Kretisch-myken. Kul-
tur 204 f.
Beziehungen zu Kreta. Die Serdana 57
ist^). Hier ist in die bronzene Rippe auf beiden Seiten in Gold-
blech eine Nillandschaft eingelegt ; in dem Fluß schwimmen die
Fische, am Ufer stehn ganz nach ägyptischem Vorbild gezeich-
nete Papyrusstauden, in denen Wildkatzen den Enten nachjagen.
Die Verbindung des Pharaonenreichs mit der Mittelmeer-
welt hat zur Anwerbung von Soldtruppen aus diesen Ge-
bieten geführt. Diese überseeischen Söldner, die Serdana,
kannten wir früher erst seit der Zeit Ramses' II. ; die Amarna-
tafeln haben gezeigt, daß sie schon unter Amenophis III. als
Besatzungen in Syrien verwendet worden sind. So ist es sehr
wohl möglich, daß ihre Anwerbung bereits in die Anfänge
des Neuen Reichs zurückgeht und Amosis sie im Kampf
gegen die Hyksos in derselben Weise verwendet hat, wie
nahezu ein Jahrtausend später Psammetich das Assyrerjoch
mit Hilfe der ionischen und karischen Söldner abgeschüttelt
hat, die ihm Gyges von Lydien zu Hilfe schickte. Daß diese
„Serdana von den Inseln des Meeres" in den weiteren Um-
kreis der kretisch-ägäischen Kultur gehören, ist nicht zweifel-
haft; ihre Hauptwaffe sind große spitze Dolchmesser, wie
sie dort geschaffen sind, im Gegensatz zu Lanze und Streit-
axt des ägyptischen Fußvolks, dazu ein kleiner Rundschild
und ein flacher, mit einem Knauf und Mondhörnern gezierter
Helm. Es sind große Gestalten, bartlos'^), mit eigenartig ver-
kniffenen Gesichtszügen von einem dem Orient ganz frem-
den Typus, der indessen auch anderswo eine sichere ethno-
graphische Anknüpfung nicht ermöglicht. Aus dem Gebiet des
Agaeischen Meeres stammen sie schwerlich; der Name legt
den Gedanken an Sardinien nahe, das von der kretischen
Kultur wenigstens nicht ganz unberührt geblieben ist 3), und
*) Aus dem fünften Schachtgrab, vgl. u. S. 177. Grundlegende Ab-
bildungen: Köhler, MAI. VI Taf.VIlI, Perrot, BCH. X Taf. I.
^) Siehe Taf. VI. Der gefangene Serdanahäuptling bei Ramses III..
ein älterer Mann mit schmaler, gebogener Nase, trägt dagegen einen
Bart. Weiteres s. u. in Abschnitt XII, auch über die bei ihnen übliche
Beschneidung.
*) Vgl. FIM.MEN S. 113. 119. 121. 1-22 f.
58 II- Die Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
einzelne Anklänge, namentlich in der Helmgestalt, finden
sich auch hier; so ist es nicht unmöglich, daß die kräftige
Jugend dieser Insel, wie allezeit die kriegerischen Barbaren-
völker, weithin über See in die Dienste des Pharao gezogen ist,
wo Beute und Ehre winkten. Aber Sicherheit ist hier, wie
in so mancher anderen Frage der Ethnographie dieser Zeit,
leider mit unserem Material nicht zu gewinnen.
Die Organisation des Neuen Reichs
Mit dem Untergang des Hyksosreichs und der Wieder-
aufrichtung des einheitlichen Pharaonenreichs um 1580 v. Chr.
beginnt für die gesamte Kulturwelt eine neue Epoche: die
asiatischen Mächte sind zurückgetreten und in tiefem Ver-
fall, Ägypten tritt in den Mittelpunkt der Weltgeschichte,
und mit ihm in enger Verbindung gelangt Kreta und seine
Kultur auf den Höhepunkt seiner Entwicklung. Auch die
Ägypter selbst haben den Einschnitt empfunden: obwohl das
Königshaus das gleiche blieb, beginnen sie mit Amosis eine
neue, die achtzehnte Dynastie; die gesamte Entwicklung der
Folgezeit pflegen wir unter dem Namen des „Neuen Reichs"
zusammenzufassen.
Neben der Gewinnung der Unabhängigkeit und Macht-
stellung nach außen war der Wiederaufbau im Innern die
wichtigste Aufgabe der siegreichen Herrscher. Wir haben
gesehn, mit welchen Widerständen sie hier zu kämpfen
hatten; der Kampf gegen die Hyksos ist nicht sowohl eine
einheitliche Erhebung des ägyptischen Volks gegen die
Fremdherrschaft, als vielmehr eine Eroberung des Landes
durch die Könige von Theben gewesen, bei der sie sich nur
auf die kriegerische Mannschaft ihres engeren Gebiets stützen
konnten. (Wenn in ähnlicher Lage die Könige der elften
Dynastie und dann Amenemhet I, bei der Neuschöpfung einer
starken Königsmacht doch an die überlieferten Zustände an-
knüpfen und daher auch die lokalen Machthaber ihrem Staat
einfügen konnten — bis dann Sesostris III. das Gaufürsten-
Gestalt des Neuen Reichs. Die Gaugrafen von Elkab 59
tum beseitigte^) — , so ist das Neue Reich ganz andere Wege
gegangen. Nur im äußersten Süden, in Eileithyia (Elkab), der
Stadt der Geiergöttin Nechbet, im dritten oberägyptischen Gau,
deren Bevölkerung sich den thebanischen Herrschern eifrig
angeschlossen und ihnen mehrere tüchtige Offiziere gestellt
hatte, hat sich das Fürstengeschlecht der dreizehnten Dynastie
(Bd. I 302) noch längere Zeit erhalten; diese Dynasten, jetzt
wie die übrigen Stadtregenten mit dem Grafentitel ausge-
stattet, haben sich noch einmal große Felsgräber im Stil
der alten Nomarchengräber angelegt, au deren Wänden ihr
Leben und Treiben dargestellt ist, sowohl die Szenen auf
ihrem Gutshof. die Ernte, das Beladen der Böte, die Ar-
beiten der Handwerker, wie die Verwaltung ihres durch das
benachbarte Esne erweiterten Bezirks, in dem sie die Na-
turalabgaben an die Magazine des Reichs erheben, die Vieh-
zählung leiten, die Felder inspizieren. Nach Thutmosis L.
der dem Paheri von Elkab die Erziehung eines früh ver-
storbenen Prinzen anvertraute, verschwindet auch dieses
Fürstentum. Überall sonst sind die lokalen Gewalten schon
durch Amosis beseitigt, zum Teil, wie erwähnt, nach hart-
näckigem Widerstände. Über den partikularen Bildungen hat
sich allmächtig der zentralisierte Einheitsstaat der absoluten
Monarchie erhoben, die sich in der straffen Organisation der
Armee und des Beamtentums eine festgefügte Grundlage schafft
und keinerlei Sonderbestrebungen mehr aufkommen läßt.
In der Gestalt, welche die Reichsverwaltung unter der
achtzehnten Dynastie erhält, ist das Ergebnis der geschicht-
lichen Entwicklung dauernd festgehalten. Theoretisch besteht
zwar die ursprünghche Zweiteilung in den Süden und das
Nordland weiter und kehrt in den offiziellen Formeln und
Titeln wieder. Aber tatsächlich ist das Südland jetzt das
^) Bd. I 285. Man wird damit etwa die Beseitigung des Feudal-
adels der Dere-beys durch Mahmud II. im osmanischen Reich ver-
gleichen können. An rücksichtsloser Gewaltsamkeit wird es in dem
einen Falle so wenig wie in dem anderen gefehlt haben, wenn auch
die Denkmäler davon natürlich nichts berichten.
60 n. Die Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
Stammgebiet der thebanischen Fürsten von Elephantine bis
nach Siut und Kusae, d. i. eben das Reich, über das Ta'o und
Kamose vor dem Beginn des Hyksoskriegs geboten; es ifet
in zwei Provinzen, oberhalb und unterhalb Thebens, geteilt,
die dem „Vezir und Oberhaupt der südlichen Hauptstadt"
(No', d. i. Theben) unterstellt sind. Die nördlichen Gaue des
Südlandes dagegen, von Hermopolis an, d. i. das im Hyksos-
kampf eroberte Gebiet, sind mit dem Delta verbunden und
stehn unter einem zweiten Vezir. dem des Nordlandes oder
von Memphis.
Diese Gestaltung des Neuen Reichs zeigt ein ganz eigen-
artiges Bild: der Sitz der Regierung liegt weitab von der geo-
graphischen Mitte im südlichsten Teil des Kulturlandes, längs
des Flußlaufs 700 Kilometer oberhalb von Memphis, nur
200 Kilometer unterhalb der Grenze am ersten Katarakt. Das
erscheint als ein Widerspruch gegen die von der Natur ge-
gebenen Bedingungen^), der auch dadurch kaum gemildert
Avird, daß jetzt Nubien wieder dauernd an das Reich an-
gegliedert wird. Nur umso anschaulicher gelangt darin zum
Ausdruck, daß das Stammland der Dynastie wirklich die Basis
ihrer Kraft gewesen und dauernd geblieben ist.
So tritt uns hier noch einmal ein Moment entgegen,
das für den gesamten Verlauf der ägyptischen Geschichte
von grundlegender Bedeutung gewesen ist. Alle großen po-
litischen Bewegungen, die zu Reichsgründungen geführt und
die Gestaltung Ägyptens auf Jahrhunderte hinaus entscheidend
bestimmt haben, sind vom Süden Oberägyptens ausgegangen.
Die Aufrichtung des Gesamtreichs, die „Vereinigung der
beiden Lande" ist das Werk der Horuskönige von Elkab
und ihrer Nachfolger aus dem thinitischen Gau; und wenn
auch König Menes bereits die Festung von Memphis, die
„weiße Mauer", gebaut hat, so liegen doch nicht nur die
') Die Gestaltung ist etwa dieselbe, wie wenn der Sitz der Re-
gierung der preußischen Monarchie in Königsberg gelegen hätte. Ver-
gleichbar ist die exzentrische Lage von Petersburg im russischen Reich
im Gegensatz zu der alten und natürlichen Hauptstadt Moskau.
Die Gestaltung des Neuen Reichs 61
Gräber der Thiniten und ihres Hofstaats, sondern auch
ihre Residenzstädte im Gebiet von Abydos. Erst seit der
dritten Dynastie wird das Gebiet von Memphis der Sitz der
Regierung und darum auch die Stätte der Königsgräber.
Nach der Auflösung des Alten Reichs mißlingt der Ver-
such der Herakleopoliten aus Mittelägypten, die Reichsein-
heit wiederherzustellen; nach langem Ringen erliegen sie
den Dynasten der elften Dynastie aus dem thebanischen
Gau. Durch die Könige der zwölften Dynastie wird die
Stellung Thebens und seines Gottes Amon begründet; aber
die Residenz haben sie wieder in den Norden verlegt, teils
nach Dahsür, teils in das neuerschlossene Faijüm. Bei der
Begründung des Neuen Reichs wiederholt sich der gleiche
Vorgang zum drittenmal; diesmal aber ist die Residenz
dauernd in Theben geblieben und Amon-re' wirklich der
Reichsgott geworden, vor dem alle anderen Götter in den
Schatten treten. Materiell, an wirtschaftlicher Leistungsfähig-
keit, haben die engbegrenzten Gaue des „Kopfs des Südens''
natürlich immer weit hinter den fruchtbaren Gefilden Mittel-
ägyptens und des Deltas zurückgestanden. Aber hier .saß
eine zwar arbeitsame und wohlhabende, doch eben darum
durchaus unkriegerische Fellachenbevölkerung, die sich jedem
Herrscher leicht unterwarf; nur im äußersten Süden war
kriegerischer Sinn und physische Kraft noch wirklich leben-
dig — bezeichnend dafür ist die Rolle der Magnaten von
Elkab in den entscheidenden Kämpfen — , die durch die
Heranziehung der Beduinenstämme Nubiens zum Kriegsdienst
gestärkt wurde. So ist ihm die Herrschaft zugefallen.
Daß diese Gestaltung des Reichs sich zwei Jahrhunderte
hindurch erhalten hat^), war nur möglich bei einer straff
') Nachdem Echnaten die Residenz nach Amarna verlegt hatte.
hat IJaremhab das Reich von Memphis aus regiert. Unter der Ein-
wirkung der Beziehungen zu Asien hat dann Ramses II. die Residenz
nach dem östlichen Delta verlegt. Nach ihm waren, wie die Mittel
des Reichs überhaupt, so auch die Kraft Oberägyptens erschöpft.
Fortan hat es eine entscheidende Rolle nicht mehr gespielt — als ein
62 II. Die Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
durchgeführten Organisation, die alle Mittel des Reichs fest
in der Hand hielt und keinerlei Widerstand aufkommen ließ.
Die Grundlage der Lokalverwaltung sind nach wie vor
die Gaue mit ihren städtischen Mittelpunkten und den Tempeln
ihrer Sondergottheiten geblieben; aber an Stelle der ortsan-
sässigen Magnaten, deren Rechtsansprüche der Staat anerkennt
und schirmt, sind jetzt königliche Beamte mit ihren Sekre-
tären getreten, und auch das „Kollegium" (qnht), das ihnen in
den Städten und den einzelnen Bezirken zur Seite steht, ist nicht
etwa ein Gemeinderat, sondern die Beamtenschaft so gut wie
die übrigen, zugleich als Gerichtshöfe funktionierenden Verwal-
tungsbehörden (zazatp). Die Spitze der Beamtenschaft und
Nachhall derselben kann die vorübergehende Erhebung der Äthiopen
gelten — ; wohl aber hat das Ägyptertum, sich immer mehr zu-
sammenziehend auf die völlig verknöcherte Religion, sich hier in
seiner Eigenart behauptet und durch die Jahrhunderte ungewandelt
weiter vegetiert, solange man es nicht antastete, in voller Passivität
und kaum irgendwie berührt durch die politische und durch die
kulturelle Entwicklung, die daneben einhergeht.
') Über die Organisation des Neuen Reichs sind wir viel schlechter
unterrichtet als über die des Alten und des Mittleren Reichs, weil
die Grabinschriften von der Lokalverwaltung kaum je reden, sondern
außer von den kriegerischen Taten nur von der Tätigkeit im Reichs-
dienst bei der Erhebung und Ablieferung der Abgaben und Tribute u. s. w.
und den vom König verliehenen Ehren. Darin spricht sich der ver-
änderte Charakter des Staats deutlich aus. An Einzelarbeiten fehlt
es auf diesem Gebiet noch fast ganz; eine zusammenfassende Skizze
gibt Erman, Ägyi^ten cap. 6. Die Angaben aus späterer Zeit (so die
Gerichtsakten aus Prozessen unter der 20. Dyn.) dürfen für die Blüte-
zeit des Neuen Reichs nicht verwendet werden, da sich hier offenbar
viel geändert hat. Die Hauptquelle für die 18. Dyn. sind die beiden
im Grabe des Vezirs Rechmere' (und bruchstücksweise in denen zweier
anderer Vezire) erhaltenen amtlichen Aktenstücke (Newberry, ITie Life
of Rekhmara; danach bei Sethe, Urk. der 18. Dyn. 1086 ff.; Über-
setzung bei Breasted, Anc. rec. II 266 ff.) : die Rede über die Art, wie
der Vezir sein Amt verwalten soll, die der König an ihn bei seiner
Einsetzung hält (neue, für den Text abschließende Bearbeitung durch
Sethe, Die Einsetzung des Vezirs, Untersuch, zur Gesch. Äg. V 2, 1909;
Sethe vermutet, daß der Text schon aus dem Mittleren Reich stammt),
und die Dienstordnung des Vezirs (bearbeitet von Farina, Le funzioni
Organisation des Reichs 63
der gesamten Verwaltung bilden die beiden Vezire, die ihre
Weisungen unmittelbar vom König empfangen und ihm für
del Visir faraonico , R. ac. dei Lincei XXVI 191G). Dazu kommt,
außer der Empfangnahme der Tribute der Fremdländer und der In-
spektion der Einkünfte und Arbeiten des Amontempels, die Inspektion
der Abgaben (Breasted S. 282 S., Sethe ürk. 1119 ff.) der beiden
oberägyptischen Provinzen: „Kopf des Südens" {tep smaHi, vgl. Bd. I
284), „von Elephantine und der Festung Snmt (Bige) an" bis nach
Hermonthis (Ani), südlich von Theben, und das Gebiet „von oberhalb
Koptos bis unterhalb Siut". Dazwischen liegt die unmittelbar unter
dem Vezir stehende Hauptstadt. Leider ist von den Titeln nahezu
die Hälfte zerstört, so daß sich ein vollständiger Überblick nicht ge-
winnen läßt. Als Organe der Verwaltung, die die „gemäß den alten
Schriften" erhobenen Abgaben in Naturalien (darunter überall auch
Gold und Silber in Ringform) abzuliefern haben, erscheinen: 1. die
Oberhäupter der Gaustädte und einiger aus dem alten Gauverband
ausgeschiedener Städte mit dem alten Grafentitel (hetCo); daneben
die Festungskommandanten von Bige und Elephantine un d in ein paar
Orten, darunter Esne (Anit), „Stadtregenten {hqa ht, vgl. Bd. I 283)" —
die altererbten Unterschiede der Titulatur werden eben so bedeutungs-
los geworden sein wie z. B. in den Städten Italiens in der Kaiserzeit.
2. Daneben finden wir in allen Städten eine „whm des Gaus" nebst
seinem „Schreiber"; der Titel, etwa „Sprecher', findet sich auch sonst
bei Beamten des Königs, des Vezirs u. a. und mag etwa den Adju-
tanten bezeichnen. [Unter den Persern werden ihnen die Azdakaras
entsprechen, Ber. Berl. Ak. 1911, 1043.1 3. Die Landbezirke (w) oder
„Felder" (aht) und besonders die „Inseln" im Stromgebiet stehn unter
solchen „Schreibern". 4. Außerdem besteht in allen Stadtbezirken die
qnht nw, das „Kollegium des Bezirks", das gleichfalls Abgaben zu
liefern hat. Dieser Terminus bezeichnet hier die lokalen Behörden
(die z. ß. auch für den Wasserstand zu sorgen haben, unter Aufsicht des
Vezirs, Dienstordnung ZI. 24 f.), so auch die bei den Schiffen (ebenda
ZI. 35); die „große qenbet" dagegen sind die Gerichtshöfe der beiden
Vezire in Theben und Memphis (Gardiner, Inscr. of Mes in Sethe's
Unters, zur Gesch. Äg. IV 1905, S. 33 ff. Vgl. das Edikt Haremhabs,
rechte Seite ZI. 4 ff.). Daneben scheint zazat die allgemeine Bezeich-
nung jedes Kollegiums der Verwaltung und Rechtsprechung zu sein,
das einem Beamten beigegeben ist (Dienstordnung ZI. 18. 22 ff. 29. 31).
— Das Gebiet, das Rechmere"^ unterstellt ist. entspricht dem Umfang
des thebanischen Reichs vor Beginn des Hyksoskrieges. Die beiden
Provinzen, in die es zerfällt, erscheinen in der Perserzeit als Tasetres
(„Südkanal", schon unter Dyn. 26) von Elephantine bis Hermonthis
<34 n. Die Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
alles was vorgeht verantwortlich sind. Über alle laufenden Ge-
schäfte wird ihnen ständig berichtet, sie geben die Weisungen
und kontrollieren durch ihre Beauftragten sämtliche Behörden.
Eine Trennung der Verwaltung und Rechtsprechung kennt der
Staat nicht; daher ist der Vezir zugleich der oberste Richter;
an ihn gehn die Berufungen gegen die von den lokalen
Gerichtshöfen, unter dem Vorsitz der hohen Verwaltungsbe-
amten ^), getroffenen Entscheidungen. Tagtäglich sitzt er in
der „Halle des Vezirs" auf seinem Amtsstuhl, die vierzig
Lederrollen der Gesetze aufgeschlagen zu seinen Füßen, sein
Kollegium, die „Großen des Südens", zu seinen beiden Seiten:
einer nach dem andern werden die Rechtsuchenden, Bittsteller
und Beschuldigten ihm vorgeführt. Besondere Sorgfalt ver-
langen die Grundbesitzsachen, wo sich, ganz abgesehn von
willkürlichen Übergriffen und Erbstreitigkeiten, die Grenzen
der Felder bei der Überschwemmung oft genug verschoben
und vermischten; da ist zur Einholung der Aussage des
Distriktsvorstehers und seines Kollegiums für die Umgebung
von Theben eine Frist von drei Tagen, für das übrige Land
von zwei Monaten festgesetzt ^). Auch alle Testamente werden
und „Provinz von No% d. i. 0Y]ßat(;, s. Ber. Berl. Ak. 1911, 1041 f. (wonach
Steindorff, Die äg. Gaue, Abh. sächs. Gd. XXVH 1909, S. 896 f. zu
modifizieren ist). Die Organisation des „Kopfs des Südens" stammt
aus der 12. Dyn., s. Bd. I 284. Das Gebiet von Hermopolis abwärts,
d. i. die sieben Gaue der Heptanomis, ist mit Unterägypten verbun-
den und dem zweiten Vezir, dem „des Nordlandes" mit dem Sitz in Mem-
phis, unterstellt, vgl. Gardiner a. a. 0. und A. Weil, Die Vezire Ägyptens
(1908) S. 63ff.; über dies Gebiet besitzen wir aber keine genauere
Kunde.
^) Die allgemeine Bezeichnung derselben ist sr, das (ebenso wie
das hebräische *Ti>) oft irreführend durch „Fürst" übersetzt wird. Meine
Annahme Bd. I 242, es bedeute im Alten Reich „Grundbesitzer", ist
schwerlich haltbar und jedenfalls für das Neue Reich nicht zutreffend.
2) Dienstordnung 17 ff. Es hat Anstoß erregt, daß alle diese Ge-
schäfte in so zeitraubender Weise an einer einzigen Stelle zentrali-
siert sind. Aber im römischen Reich, wo alle Berufungen an den
praefectus urbi resp. den praefectus praetorio und alle Prozesse über
höhere Beträge und alle Kriminalprozesse aus ganz Italien seit dem
Die Vezire und die Schatzmeister 65
dem Vezir vorgelegt und von ihm gesiegelt. Strenge Un-
parteilichkeit, ohne jedes Ansehn der Person, wird dem Vezir
nachdrücklich eingeschärft, nur das Recht, dessen Durch-
führung mit dem wahren Interesse des Königs identisch ist,
darf er im Auge halten, weder zu hart urteilen noch zu milde;
das Bild der Recbtsgöttin Ma'at trägt er am Halse ^). Daß
es vor allem bei Kriminalprozessen niemals ohne peinliches
Verfahren mit Bastonade abging, ist selbstverständlich; dazu
kommt dann als entscheidendes Mittel zur Bekräftigung der
Wahrheit der Eid beim Namen des Königs, der magische
Zwangsgewalt besitzt und zugleich den Meineidigen den
schwersten Strafen überantwortet ^).
Den Vezireu zunächst, und in fortwährendem Zusammen-
wirken mit ihnen, stehn die Schatzmeister, wahrscheinlich
gleichfalls zwei. An sie reihen sich die zahlreichen Vor-
steher der Schatzhäuser, der Magazine und Werkstätten, in
denen die Abgaben und Tribute aufgehäuft und verarbeitet
werden, Getreide, Wein, Öl, Vieh, Kleidung und Geräte aller
Art bis zu den Waffen und Kriegswagen und den Kunst-
werken der Bildhauer und Juweliere, weiter die Verwaltung
der königlichen Grundstücke, sowie die Baubüros nebst den
Ziegeleien und den Werkstätten der Steinmetzen und Holz-
arbeiter. Zu jedem dieser „Häuser" gehört eine unabsehbare
Schar von Arbeitern, meist Leibeigene, teils Ägypter, teils
Kriegsgefangene und Fronarbeiter aus den unterworfenen Ge-
13undesgenossenkrieg an die hauptstädtischen Gerichte gehn, sind die
Entfernungen noch viel größer. Man hielt eben eine unparteiische
Entscheidung nur hier für gesichert und nahm dafür die Kosten und
den Zeitverlust in Kauf. Gleichartig liegen die Dinge beim Gerichts-
zwang im attischen Reich.
') Vgl. Möller, ÄZ. 56, 67 f.
*) In der Perserzeit ist dann der Eid bei einem Lokalgott an
dessen Stelle getreten. Bei welchem Gott zu schwören ist, bestimmt
hier in Zivilprozessen, wenn die beiden Parteien verschiedenen Re-
ligionen angehören, das Gericht, eventuell gemäß der Forderung des
Klägers, s Ber. Berl. Ak. 1911, 1048 f.
Meyer, Geschichte des Altertams. II'. 5
C6 n. Die Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
bieten, und über ihnen das nicht minder zahlreiche Aufsichts-
personal in all seinen Abstufungen.
Das Wirtschaftsleben Ägyptens ist, im Gegensatz zu Baby-
lonien und Vorderasien, nach wie vor durchaus naturalwirt-
schaftlich und ist ja hier im Grunde allezeit so geblieben.
Zwar spielt auch hier das Edelmetall eine bedeutende Rolle
und ist, in der üblichen Ringform, so gut wie das Kupfer auch
als Wertmesser verwendet worden. Indessen maßgebend für
den Verkehr ist es weder im staatlichen noch im privaten
Geschäftsleben geworden, es bleibt vielmehr eine Ware so gut
wie Getreide und Vieh; wohl aber ist die Naturalwirtschaft
in Ägypten seit alters technisch so durchgebildet und den
Bedürfnissen der Verwaltung sowie des Verkehrs angepaßt,
daß sie hier eben so glatt funktioniert, wie anderswo die
Geldrechnung. Die Gehälter werden in Naturalien gezahlt, ab-
gestuft nach der Rangstellung und nach der Zahl der Unter-
gebenen und Diener, die jeder dieser Beamten und ebenso die
Königin, die Damen des Harems, die zahlreichen Königskinder
und das Personal der Hofhaltung zu ernähren hat; dazu dienen
die gewaltigen Massen, die in den Magazinen angehäuft sind.
Verdiente Offiziere und Beamte und gewiß auch gar manche
Günstlinge werden daneben vom König freigebig mit Grund-
stücken und mit Hörigen beschenkt, so gut wie die Götter und
ihre Tempel. Aber der Grundsatz, daß mit Ausnahme des
Götterguts alles Land abgabenpflichtig ist, also eigentlich dem
König gehört, ist voll durchgeführt; bekannt ist, welchen
Eindruck diese Ordnung, die ihnen als volle Unfreiheit er-
schien, den Israeliten gemacht hat, die sie daher auf eine
schlaue Spekulation des Joseph zurückführen, der zur Stel-
lung eines Vezirs gelangt sei^).
') Daß es noch Privateigentum an Grund und Boden gegeben
hat, geht, worauf H. Schäfer hinweist, aus der Äußerung Echnatens
hervor, das Land, auf dem er seine neue Stadt gründete, habe weder
einem Gott oder einer Göttin, noch einem Magnaten (hqa) oder einer
Magnatin noch sonst irgend jemand gehört (de G. Davis, Rock tombs
of Amarna V p. 29). Daß solche Grundstücke steuerpflichtig waren, ist
dadurch natürlich nicht ausgeschlossen.
Naturalwirtschaft. Die Beamtenlaufbahn 67
In der Tat ist es das Wesen des ägyptischen Staats,
daß jede Existenz, sowohl die des Privatmannes wie die
des Beamten, ausschließlich auf der Gnade des Königs be-
ruht. Umso mehr gilt es, sich seine Gunst zu verdienen
und dadurch der Belohnungen teilhaftig zu werden, die er
und nur er spenden kann; und der Weg dazu ist die volle
Fügsamkeit gegen seine Diener und Werkzeuge und der
Eintritt in das Beamtenheer, durch das er das Reich zu-
sammenhält.
Den Zugang zu dieser Laufbahn eröffnet die Erziehung
in der Schreibschule. In jahrelanger mühevoller Arbeit, in
der das Hauptmittel aller Erziehung, der Stock, bei Tag
und bei Nacht reichlich verwendet wird, wird hier der an-
gehende Beamte in alle Geheimnisse der Schreibkunst ein-
geführt; er soll die elegante Schönschrift der Bücher mit
ihren sorgfältig und gleichmäßig ausgeführten Schriftzeichen
ebensogut beherrschen wie die Schnellschrift der Akten, die
die Zeichen möglichst, oft fast bis zur Unleserlichkeit, ver-
kürzt und die es ermöglicht, eine mündliche Verhandlung pro-
tokollarisch aufzunehmen')- Zahlreiche Proben dieser Schrift-
übungen sind uns erhalten, sowohl aus der Elementarschule,
wo man, um die Kosten zu sparen, in der Regel Tonscherben
(Ostraka) als Schreibmaterial verwendet, wie aus den fol-
genden Jahren, in denen der junge Beamte, der schon zu
Verwaltungsgeschäften verwendet wird, sich fortdauernd weiter
zu üben hat und seine Hefte — Papyrusrollen mit Abschriften
von klassischen Literaturwerken vor allem aus dem Mittleren
Reich und von Schriftstücken (Briefen) aus der Verwaltung
— dem Vorgesetzten, dem „Lehrer", zu dem er dauernd in
einem Pietätsverhältnis steht, zur Korrektur vorlegt, bis er
als vollgültiger „Schreiber" anerkannt und ihm damit der
') Die Erlernung der Keilschrift in Babylonien und Vorderasien
war noch komplizierter, s. o. S. 19 f. Diejenigen ägyptischen Beamten,
die die Korrespondenz dorthin zu führen hatten, haben auch diese
lernen müssen; Proben davon geben einzelne Tontafeln aus Ägypten
mit babylonischen Texten.
(58 n. Die Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
Eintritt in die höhere Beamtenlaufbahn ermöglicht wird^).
Nicht selten hat er eine solche Rolle, den Beleg für die er-
reichte Ausbildung, mit ins Grab genommen. Durch diese Er-
ziehung scheidet sich der Stand der Gebildeten von der
Masse des unwissenden Volkes, auf das, wie im Alten und
Mittleren Reich, der „Schreiber" mit geringschätziger Ver-
achtung herabblickt; er allein kann kommandieren und re-
gieren, alle anderen, Bauern, Handwerker, Soldaten, unter-
stehn seinen Befehlen und Stockschlägen und haben von
ihren Mühsalen keinen Lohn. So wird der Schreibertitel der
Ausdruck für die soziale und kulturelle Stellung seines
Trägers: welche Bedeutung man ihm zuweist, tritt am deut-
lichsten vielleicht darin hervor, daß sogar die mächtigen
Magnaten von Hierakonpolis (Elkab) ihn regelmäßig in ihre
Titulatur aufgenommen haben-).
Neben dem Beamtentum steht' die Armee. Mit dem
Entschluß, all ihre Kräfte an die Abschüttelung der Fremd-
herrschaft zu setzen, haben die Könige von Theben das Na-
tionalgefühl wachgerufen; damit kommt ein neuer, mili-
tärischer Geist über Ägypten, der durch die Erfolge, die
Beute und die reichen Gaben, mit denen der Pharao jede
tapfere Tat belohnt, wach erhalten und gesteigert wird.
Dazu kommt die tiefgreifende Umgestaltung, welche der
Streitwagen in Heerwesen und Kriegführung gebracht hat;
auch in Ägypten erzeugt sie eine kriegerische Aristokratie,
die von ritterlichem Geiste beseelt ist und in tapferen
Waffentaten ihren Stolz, in der Züchtung und Lenkung der
Rossegespanne ihre wichtigste Aufgabe sieht, in der zugleich
der Glanz ihrer Stellung sinnfällig vor Augen tritt. Umso
mehr ist der König gezwungen, diesen Kriegeradel mit Gütern
und zahlreichen Knechten auszustatten, um ihm die wirt-
') Siehe Erman, Literatur der Ägypter 238 ff., ferner Erman und
Lange, Papyrus Lansing, Hist.-filol. Meddedelser der dänischen Ges. d.
Wiss. X 3, 1925, S. 5 ff , und vor allem Erman, Die ägypt. Schülerhand-
schriften, Abh. Berl. Ak. 1925.
») Sethe, Urk. S. 75. 76. 110. 113 ff
Die Armee 69
schaftliche Grundlage zu sichern i). Er selbst soll ihnen, wie
in allen Tugenden, so vor allem im Kriege vorangehn: von
Jugend auf ist er durch die Götter selbst im Waffenhandwerk
ausgebildet; er „sucht den Kampf"; auf dem Streitwagen,
den Wagenlenker zur Seite, stürmt er auf die Feinde ein 2)
und erlegt ihre Führer mit seinem nie irrenden Pfeil oder mit
seiner Lanze, oder zerschmettert sie mit der Streitaxt.
Neben den Kriegswagen stehn die Regimenter des Fuß-
volks^), bewaffnet mit Lanze und Streitaxt oder Sichel-
schwert, zum Teil auch mit Bogen und Pfeilen; als einzige
Schutzwaffe tragen sie einen flachen, etwa 1 Meter hohen,
oben abgerundeten Schild. Zu den einheimischen Truppen
kamen, wie ehemals, die zahlreichen Söldner aus Nubien"*) und
vielleicht auch schon aus der überseeischen Welt (0. S. 57).
In den Kämpfen in Ägypten und Nubien hat daneben die
Nilflotte eine bedeutende, wenn nicht die ausschlaggebende
Rolle gespielt, vor allem für den Transport der Truppen und
die Sicherung der Verbindung. Daneben stand eine Flotte auf
dem Mittelmeer, die bei der Eroberung Syriens stark mit-
') In dem Gedicht von der Schlacht bei Qades hält Ramses II.
seinen Fußsoldaten und Wagenkämpfern vor, wie er ununterbrochen
für sie gesorgt, sie verpflegt, die Abgaben erlassen, auch denen, die
nicht Offiziere waren, Grundbesitz gegeben habe (Krman. Lit. 331 f.).
2) Es ist vielleicht kein Zufall, sondern zeigt das allmähliche
Eindrirgen der neuen Kampfweise, daß in den Texten aus dem An-
fang des Neuen Reichs der Kriegswagen niemals erwähnt wird. Aller-
dings sind diese Texte äußerst düiftig, und bildliche Darstellungen
fehlen fast ganz. Die ältesten Z^ugnii^se sind ein Skarabäus Thutmosis' I.
auf dem Streitwagen (Newberry, Scarabs, pl. 27, 4) und die Erbeutung
eines Kriegswngens und seines Gespanns in Naharain durch den Admiral
A'hmose (Inschr. ZI. 39) unter Thutmosis I.
») Nach dem Edikt tjaremhabs ZI. 25 zerfällt die Armee in zwei
Korps, das des Südens und das des Nordens. Die ständige Bezeichnung
des Fußvolks kt pzt (eigentlich , Bogenschützen"), in den Amarnatafeln
pidati oder biiati. Die Offiziere h.eßen tc'w, in den Amarnabriefen
weu, icichu u. a. geschiieben.
*) In den Amarnatafeln als .Leute (Truppen) von Kasi" (d. i.
Kus)" oder „von Melucha" bezeichnet.
70 II. Die Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
gewirkt hat, sowohl beim Transport der Truppen, wie um
die Küstenstädte in Abhängigkeit zu halten.
Die Durchführung und Aufrechterhaltung dieses strafif
einheitlichen, von Beamtentum und Militär getragenen Staats-
baus war nur möglich durch die gewaltigen Mittel, die dem
König zur Verfügung standen. Wenn ganz allein der Pharao
und sein Hof die Quelle ist, aus der Leben und Gedeihen
der Gesamtheit der Untertanen gespeist wird, so muß er
imstande sein, diese Aufgabe durch ununterbrochene, wohl-
abgemessene Bezahlung, durch Belohnungen, Vergünstigungen
und Ehren zu erfüllen und so die Fügsamkeit und den guten
Willen der Untertanen zu sichern. Das ist im Neuen Reich
in der Tat, wenn auch zeitweilig Erschütterungen und innere
Wirren nicht ausgebheben sind, Jahrhunderte hindurch in
erstaunlichem Maße der Fall gewesen; die Einkünfte des
Königs, aus denen doch zugleich die gewaltigen Bauten und
die kostbaren Statuen, Geräte und Schmucksachen sowohl
des Hofhaltes wie der Tempel beschafft wurden, erscheinen
als geradezu unerschöpflich. Ein beträchtlicher Teil stammte
aus den reichen Erträgen des Königsguts mit seinen Fabriken
und Manufakturen; den Hauptteil der Einnahmen aber lieferte
das raffiniert durchgeführte Steuersystem. Von allem Acker-
land, mit Ausnahme des Priester- oder Tempelguts, wurde,
wie der israelitische Bericht über Josephs Finanzwirtschaft
angibt, eine Abgabe von zwanzig Prozent des Ernteertrags
erhoben^) — eine geradezu ungeheuerlich erscheinende Be-
lastung, wie sie nur in einem so fruchtbaren Lande wie
Ägypten überhaupt denkbar war. In derselben Weise war
jeder Zweig der Produktion und jedes Handwerk mit Natural-
abgaben belegt, ferner der Viehstand, die Bäume, die Ge-
bühren für die Benutzung und Instandhaltung der Kanäle
u. s. w. Auch eine Kopfsteuer hat off"enbar nicht gefehlt. Über
') „So führte Joseph die bis auf den heutigen Tag bestehende
Rechtsordnung für das Ackerland Ägyptens ein, daß sie dem Pharao
den Fünften geben; nur allein das Ackerland der Priester wurde nicht
Eigentum des Pharao", Gen. 47, 26.
Machtmittel und Einkünfte des Königs. Das Gold 71
den Personalbestand und das Vermögen jedes Haushalts
wurden Listen geführt und müssen, wie schon im Mittleren
Reich, Deklarationen eingeliefert werden. Dazu kamen die
Frondienste, zu denen die abhängigen Stände verpflichtet
waren und die allein die großen Bauten ermöglicht haben.
Immer wesentlicher aber wurden daneben, je höher die An-
forderungen stiegen, die Bezüge aus dem Auslande, teils die
Kriegsbeute, teils die ganz nach demselben Muster geregelten
Abgaben und Frondienste der unterworfenen Provinzen. Der
ägyptische Staat war, wenn er bestehn sollte, geradezu auf
Kriegführung und Eroberung angewiesen, ganz abgesehn da-
von, daß er die Produkte des Auslandes, das Bauholz des Li-
banon, die Manufakturen S3'riens, die Ausbeute der Minen
Nubiens und der Sinaihalbinsel garnicht entbehren konnte.
Vielleicht die wichtigste und für die Weltstellung des Reichs
entscheidende Einnahmequelle waren die Goldbergwerke Nu-
biens. Der Besitz dieses kostbaren Metalls gewährt dem Pharao
den Vorrang vor allen anderen Königen und ein selten ver-
sagendes Mittel im diplomatischen Verkehr; und nicht minder
begehrenswert erscheint es seinen Untertanen selbst. Ununter-
brochen verleiht der König „das Gold", die Dekoration mit
goldenen Ketten und Ringen, an tapfere Offiziere wie an
tüchtige Beamte, oft zu vielen Malen — der Admiral A'hmose
z. B. hat es siebenmal erhalten — , und immer hat er ge-
waltige Massen in seinen Schatzhäusern. Die Ausbeute der
nubischen Bergwerke muß in dieser Zeit geradezu uner-
schöpflich gewesen sein.
Bei oberflächlicher Betrachtung könnte es scheinen, als
sei von den thebanischen Königen die Staatsgestalt der vier-
ten Dynastie mit ihrem unumschränkten Gottkönigtum und
ihrem Beamtenregiment wiederhergestellt. Aber in Wirklich-
keit besteht doch ein fundamentaler Unterschied: sowohl die
Kultur wie die Weltlage ist eine ganz andere geworden, das
Neue Reich steht zum Alten wie die absolute Monarchie der
Epoche Ludwigs XIV. und des aufgeklärten Despotismus zu
dem Königtum Karls d. Gr., sie trätet den Charakter der
72 n. Die Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
modernen Zeit, in die Ägypten nach einer Entwicklung von
anderthalb Jahrtausenden eingetreten ist. Die wirtschaftlichen
Bedingungen, welche das Alte Reich alsbald in einen Feu-
dalstaat umgewandelt haben, bestehn nicht mehr; dafür sind
die Mittel so gut wie unbeschränkt, so daß die Einheit des
Staatswillens sich ungehindert durchsetzen und behaupten
kann, im Innern wie nach Außen. So ist das Reich von der
Idee der Universalität, der Weltherrschaft erfaßt; durch die
Vernichtung des Hyksosreichs ist diese von Vorderasien auf
Ägypten übergegangen. Schon in der oben erwähnten Pro-
klamation des Amosis ist sie vollbewußt als Grundgedanke
seiner Königsmacht ausgesprochen: er ist der Gottessohn
und Gott, niemand kann ihm widerstehn, alle Völker sind
ihm Untertan, er setzt seine Grenzen an den Enden der Erde.
In den Kundgebungen seiner Nachfolger tritt sie uns in
immer mehr sich überbietenden Ausdrücken ständig ent-
gegen. Im Besitz dieser Stellung ist Ägypten nicht nur für
die nächsten Jahrhunderte die führende Großmacht der Kul-
turwelt geworden, sondern hat als solche ihre aus den alten
Traditionen des Niltals erwachsene und jetzt zur vollen Reife
gelangte Kultur in Schöpfungen verwirklicht, die an Groß-
artigkeit und innerlicher Geschlossenheit in der gesamten Welt-
geschichte kaum ihresgleichen haben.
Indessen eine Macht gibt es, die der des Königs gleich-
berechtigt zur Seite, oder vielmehr in der Idee noch hoch
über ihr steht: das sind die Götter, die ihm Herrschaft
und Sieg verliehn haben. Je größer seine Erfolge sind, um-
so mehr ist er verpflichtet, ihnen durch reiche Geschenke
und Feste den Dank zu zahlen und sich ihre Gunst weiter
zu sichern. In erster Linie steht natürlich der Amon von
Theben, der jetzt zum Nationalgott des Reichs erwächst.
Der Glaube an seine Allmacht, an seine Identität mit dem
^inen Weltenherrscher Re', ist in den Königen ganz lebendig
und beseelt sie umso mehr, da sie sich als unmittelbar mit
ihm verbunden, auf geheimnisvolle Weise von ihm erzeugt
fühlen. Der bescheidene Tempel, den ihm die zwölfte Dynastie
Steigerung des Kultus und des Götterguts 73
in Karnak erbaut hat, erwächst seit dem Neubau Thut-
mosis' I. zum großen Reichstempel Ägyptens; alle folgenden
Könige haben an ihm gebaut, ihn ständig erweiternd und
sich durch immer gewaltigere Anlagen überbietend. Aber
diese Bauten sind nur ein kleiner Bruchteil dessen, was un-
unterbrochen dem Gotte zuströmte. Schon von Amosis be-
sitzen wir eine lange Liste der kostbaren Gefäße, Ketten und
Kränze, Schmucksachen und Kultgeräte aus Gold, Silber,
edlem Gestein, Zedernholz vom Libanon, die er seinem Vater
Amon-re' geschenkt hat; und dazu kamen der stets anw^ach-
sende Grundbesitz und die Scharen der Hörigen und Kriegs-
gefangenen, die ihm überwiesen wurden. So entsteht im
Eigentum des Gottes ein zweiter gewaltiger Güterkomplex
mit seinen Schatzhäusern, Magazinen und Werkstätten, dem
zugehörigen Verwaltungspersonal und den Massen der Hö-
rigen, der unabhängig neben dem „Königshaus" stand —
wenn er auch, wenigstens bei Rechmere' unter Thutmosis HI .
gleichfalls der Aufsicht des Vezirs des Südens unterstellt w^ar.
Natürlich haben auch die übrigen Götter des Landes
ihren Anteil erhalten, Atum von Heliopolis, Ptah von Mem-
phis, Thouth von Hermopolis, Osiris von Abydos, und wie sie
alle heißen, wenn auch nicht entfernt in dem Umfang wie Amon
von Theben. Die Sorge für den Kultus und die Errichtung
immer neuer Tempelbauten wird, den ge\valtig gesteigerten
Machtmitteln des Reichs entsprechend, in einem gegen die
älteren Zeiten ins Unendliche gewachsenen Umfang eine,
wenn nicht geradezu die Hauptaufgabe des Gottkönigs. Dem-
entsprechend schwillt auch der Umfang der Priesterschaft
immer an; sie wird ein privilegierter Stand, der von den Ein-
künften der Tempel lebt; die Sohne der höheren Stände
— denn eine erbliche Kaste ist die Priesterschaft noch nicht —
suchen und finden Eintritt in sie. Die Wirkung ist umso
zweischneidiger, da alles Tempelgut steuerfrei und damit den
Aufgaben des Staats entzogen ist, wenngleich dieser, wie
schon erwähnt, eine Kontrolle darüber auszuüben sucht. Auch
das Aufrücken der Anwärter von den untersten Stufen —
74 II- I'ie Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
des „Gottesvaters" und dann des „Reinen (lieh)" — bis zu
den höchsten des dritten, zweiten und ersten „Gottesdieners"
oder Propheten wird, wie jede Amtsstellung, vom Pharao ver-
geben. Aber tatsächlich entsteht so doch ein Staat im Staate,
der auf noch festeren Fundamenten ruht als dieser und der
als Träger der göttlichen Ordnungen und Offenbarungen in
noch ganz anderer Weise als die weltliche Macht mit dem
Nimbus des Geheimnisvollen und Unantastbaren umgeben ist.
Ohne es zu ahnen, haben so die Pharaonen des Neuen Reichs
eine Macht großgezogen, die schließlich ihnen über den Kopf
gewachsen ist und wesentlich dazu beigetragen hat, den von
ihnen geschaffenen Staatsbau zu zerstören.
Die ersten Könige der achtzehnten Dynastie
Nach der Wiedergewinnung der Unabhängigkeit und
Einheit des Reichs ist die Durchführung der Reichsorgani-
sation die Hauptaufgabe der Könige gewesen, die .sie in den
nächsten Jahrzehnten weit mehr beschäftigt hat als die
äußeren Kriege. Im einzelnen erfahren wir begreiflicherweise
wenig genug davon. In allgemeinen Wendungen wird ge-
legentlich von dem Ausgleich der durch die Barbaren über
das Land gebrachten Verwüstung, von der Wiederherstellung
der Tempel und ihres Kultus geredet; da wird es genug zu
tun gegeben haben. Einzelne Urkunden bezeugen die Bauten
des Amosis und Amenophis I. in Karnak, des letzteren in
Abydos; im Jahre 22 des Amosis wurde ein neuer Kalk-
steinbruch in Tura (Troja, vgl. Bd. I 233) im Mokattam-
gebirge (äg. 'Aian) gegenüber von Memphis eröffnet, vor allem
für die Bauten am Ptahtempel, und mit Gefangenen aus
Asien betrieben (vgl. u. S. 82, 3). Von den grundlegenden Er-
lassen und den zahlreichen Einzelbestimmungen dagegen, an
denen es nicht gefehlt haben kann, ist, abgesehn von der
Dienstordnung des Vezirs, nichts auf uns gekommen^). Daß
') In diesen Zusammenhang gehört vielleicht auch der Kalender
des Papyrus Ebers, dessen früher von mir gegebene Erklärung nach
Amosis und Amenophis I. Die Königinnen 75
hinter dem Neubau des Staats starke Persönlichkeiten ge-
standen haben, kann keinem Zweifel unterliegen: Amosis
(ca. 1580 — 1557) und sein Sohn Amenophis I.^) (ca. 1557 bis
ca. 1535) müssen bedeutende Herrscher gewesen sein. Zur
Seite standen ihnen, direkt an der Regententätigkeit beteiligt,
die Königinnen, unter Amosis seine Mutter A'hhotep, deren tief
eingreifende Wirksamkeit wir kennen gelernt haben, dann
schon unter ihm, vor allem aber unter Amenophis I., dessen
Mutter A'hmes-nofret'ari , die Schwester und Gemahlin des
Amosis. Bis in die späteste Zeit ist ihr Name wie der Ame-
nophis' I. hoch gefeiert geblieben, letzterer ist schließhch unter
die Götter Ägyptens aufgenommen und ein Monat (Phamenoth,
d. i, „Fest des Amenophis") nach ihm benannt worden^).
Auf ihn ist Thutmosis I. gefolgt. Sein Sohn ist er
schwerlich gewesen; in einem Erlaß, der seine Thronbestei-
gungr anzeigt und die bei seinem Namen zu leistende Eides-
den Ausführungen von Sethe, Die Zeitrechnung der alten Ägypter I,
Nachr. Gott. Ges. 1919, S. 314, und weiter in der Fortsetzung ebenda
1920, S. 80 ff. zu berichtigen ist. Er gleicht die Lage der an das
Naturjahr gebundenen Feste in den einzelnen Monaten mit den Daten
des Wandeljahres, auf die sie im 9. Jahre Amenophis' I. fielen; da-
mals werden also diese Daten als Regulativ aufgestellt worden sein,
von denen aus sich fortan die Kalenderdaten für jedes Jahr leicht
berechnen ließen.
*) Die richtige griechische Wiedergabe des Namens Amenhotep ist
'A[xtva)9-r]5. Aber in der manethonischen Überlieferung ist dafür durch-
weg'Afxevdupa-c? oder 'Api£vu)(pt<;, d. i. in Wirklichkeit der Name Amenem-
'ope, eingedrungen, und diese Namensform ist uns so geläufig geworden,
daß ich sie beibehalte.
2) Wenn dies Fest auch aus seinem Totenkult (vgl. dazu Erman,
Ber. Berl. Ak. 1910, 344 ff.) erwachsen ist, so spricht doch der Um-
stand, daß unter allen hier bestatteten Herschern nur er so ausge-
zeichnet worden ist, für die hervorragende Stellung, die ihm in der
Tradition zukam. — Weshalb A'hmes-Nofret'ari gewöhnlich mit schwar-
zer Hautfarbe dargestellt wird, läßt sich nicht erkennen; dabei mag
ein Zufall gewirkt haben, wie bei den schwarzen Marienbildern. Eine
nubische Prinzessin ist sie nicht gewesen, sondern nach LD. III 3 =
Sethe 25 Tochter, Schwester und Gemahlin eines Königs, mithin die
Schwester des Amosis.
76 n. Die Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
formcl festsetzt, erhält dieser den Zusatz „geboren von der
Königsmutter Senisenib"; seine Mutter ist also nicht etwa
die offizielle Gemahlin oder Tochter eines Königs gewesen.
Auf dem Denkstein in Nubien, auf dem der erwähnte Erlaß
eingegraben ist, steht hinter ihm seine Gemahlin A'bmose
und die Königin (A'hmose)-Nofret'ari, also die Witwe Ame-
nophis' L, die mithin seine Thronbesteigung begünstigt hat.
Ob aber, wie man vermutet hat, seine Gemahlin A'hmose
eine Schwester Amenophis' I. gewesen und er durch diese
Vermählung auf den Thron gekommen ist^), ist mit Sicher-
heit nicht zu erkennen; die intimen Vorgänge, die sich hinter
den Kulissen abgespielt haben, entziehn sich wie gewöhnlich
so auch hier unserer Erkenntnis.
Von einem wirklichen Dynastiewechsel kann jedenfalls
keine Rede sein; Thutmosis I. hat das Werk seiner Vor-
gänger fortgesetzt ^), und auch in ihm lebt ihr kriegerischer
Geist. Wohl aber empfindet man, daß jetzt die Epoche des
Wiederaufbaus im wesentlichen zum Abschluß gelangt ist.
Der Stil der ägyptischen Kunst fängt an über die aus dem
Mittleren Reich überkommenen Formen zu neuen selbstän-
digen Schöpfungen hinauszuwachsen. Thutmosis I. bricht mit
der alten Form des Königsgrabes, verlegt dieses in ein ab-
gelegenes Wüstental der thebanischen Nekropole, und trennt
von ihm den Totentempel am Rande des Kulturlandes-^),
') So Sethe, Unters, zur Gesch. Äg. I 5 [in einigen Annahmen
modifiziert ÄZ. 30, 25 f.], der sie im Anschluß an Lepsius mit der
aSsXep-fj 'Aptevat? oder 'A(iEoaT^(; identifiziert, die bei Manetho als Nach-
folgerin des Amenophis I. erscheint. Aber sprachlich ist die&e Glei-
chung sehr bed. nklich, und nach LD. IIl 8 b und 19, Ic (Sethe S. 5 u. 97)
scheint diese A'hmose vielmehr eine Schwester Thutmosis' I. gewesen
zu sein.
2) In Abydos sorgt daher Thutmosis III. für die Kapelle , seines
Vaters Amoi-is". Sethe ürk. 2C9 ZI. 12.
^) Eine Vorstufe da?u bildet das Grab Amenophis' I. im Hügel-
gebiet von Drah Abulnegga, tiefer einwärts von den Gräbern der
älteren Könige, mit Grabknmniern im Felsen, aber noch in alter
Weise mit einer Ziegelpyiamide gekrönt (Carter, J. Eg. Arch. 111 19U>).
In der Ebene davor liegt sein Grabtempel.
Timtmosis I. — Chronologie 77
während die hohen Beamten sich auf den Höhen hinter dem-
selben stattliche Felsgräber anlegen. Zugleich beginnen mit
ihm die großen Tempelbauten, die, unter seinen Nachfolgern
stetig weiter fortgebildet, der religiösen Idee eine der älteren
Zeit noch völlig fremde Verkörperung geschaffen haben. Nach
außen aber beginnt er die großen Eroberungen, die Ägypten
zur führenden Macht der Kulturwelt erheben^).
') Chronologie. Die Grundlage bildet das Datum des Papyrus
Ebers (vgl. o. S. 74, 1), daß im 9. Jahre Amenophis' I. der Siriusaufgang
auf den 9. Epiphi fiel. Ich halte gegen Borchardt an der zyklischen
Berechnung des Datums fest (vgl. Nachträge zum ersten Bande S. 45),
und setze es daher in die Jahre 1.550/49-1.547/6, von denen ich der
Kürze halber das erste wühle [auch Borchnrdt's Berechnung, die den
wirklich beobachteten Siriusaufgang zugrunde legt, gibt übrigens nur
eine Verschiebung um wenige Jahre]. Ferner ist nach einer Opfer-
liste aus Elephantine (LD. III 43e = Sethe Urk. 827) unter Thut-
mosis III. der Siriusaufgang einmal auf den 2S Epiphi gefallen; daraus
folgt, daß die Jahre 1474|3— 1471/0 in seine Regierung fallen; die
Jahreszahl ist leider nicht erhalten. Weiteren Anhalt bieten zwei An-
gaben über Neumondfeste in seinem 23. und '24 Jahr (Sethe Urk. 657, 2
und 836, 2f ); dafür habe ich, unter der Annahme, daß der Neumond
die Neomenie, das erste Wiedererscheinen der Mondsichel am Abend-
hiramel sei, Äg. Chronol. 49 f., die Jahre 1479/8 und 1478/7 berechnet,
seine Regierung daher in 1501—1447 gesetzt. Nach den Ausführungen
von Set- e, Nachr. Gott. Ges. 1919, 289, scheint es aber, daß die
Ägypter in der Tat, so unnatürlich das erscheint, die Tage des wahren
Mondmonats [der ja mit dem bürgerlichen Kalender und seinen Mo-
naten so wenig etwas za tun hat, wie bei uns] nicht von der Neomenie,
sondern vom astronomischen Neumond aus zählten oder vielmehr, da
dieser sich der Beobachtung entzieht, den Tag nach dem letzten Er-
scheinen der alten Mondsichel am Morgenhimmel als den ersten Tag
des neuen Monats betrachteten. Danach sind also diese Daten zu
korrigieren. Da indessen die Untersuchungen über diese Probleme
nicht abgeschlossen sind, vielmehr eine weitere Bearbeitung durch
Borchardt in Aussicht steht, habe ich mich begnügt, die 54 Jahre
Thutmosis' III. auf rund 1505-1450 anzusetzen; daß dieser Ansatz
annähernd, mit einem Spielraum von etwa 10 Jahren, zutreffend ist,
beweisen die babylonischen Synchronismen. — Von Amosis ist sein
22. Jahr überliefert; er ist also um 1580 zur Regierung gekommen,
sein Sohn Amenophis I. um 1558. Die Länge seiner Regierung kennen
wir nicht; daß er (und ebenso Thutmosis I.) das Setfest gefeiert hat
78 n. Die Wiedererhebung Ägyptens u. die Gründung des Neuen Reichs
(s. zuletzt Sethe, Nachr. Gott. Ges. 1921, 31), gibt für die Chronologie
keinen Anhalt, da gänzlich unerkennbar ist, welche Ereignisse zur
Feier dieses Festes den Anlaß gaben. Für Amenophis L, Thutmosis I.
und II. zusammenbleiben etwas über 50 Jahre (ca. 1557—1505). — Die
Königsliste steht durch die Denkmäler fest; bei Manetho dagegen ist
sie völlig entstellt und so gut wie unbrauchbar, s. m. Äg. Chronol. 88 ff.
und oben S. 52, 2. Was in dem König Chebron stecken mag, läßt sich
nicht enträtseln; die Königin Amensis oder Amesses scheint der Hatsepsut
zu entsprechen, zu der auch die Dauer ihrer Regierung (21 J. 9 M.)
stimmt. Die Listen sind:
Denkmä 1er
imosis, mindestens 22 J.
Manetho
Amosis (meist in Tethmosis ent-
stellt, s. 0.) 25 J. 4 M.
2. Chebron 13 J.
2. Amenophis 1 3. Amenophis I. 20 J. 7 M.
8. Thutmosis I.
4. Thutmosis II.
4. a?s).tp-/j Amesses (Amensis) 21 J. 9 M.
Misphres (d. i. MencheperreS ge-
sprochen etwa Mespere'j 12 J. 9 M.
Misphragmuthosis (d. i. Menche-
perre' Thutmose) 25 J. 10 M.
Thutmosis 9 J. 8 M.
Amenophis 11. 30 J. 10 M.
Koros 86 J. 5 M.
yatsepsut
21 J.
4.
zus.
58 J.
0.
10 M
26 T.
Thutmosis
III.
6.
Amenophis II.
Thutmosis IV.
9. Amenophis III. 36 J.
III. Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Die ägyptischen Eroberungen: Nubien, Libyen, Syrien
Die Wiedergewinnung Nubiens, sowohl des Niltals wie
der Goldminen in dem Berglande des Ostens, ist im wesent-
lichen von Amosis und Amenophis I. durchgeführt worden,
in wiederholten Kämpfen mit den nomadischen Bedjastämmen
des Wüstengebirges, den Trogodyten (luntiu), die die fried-
lichen nubischen Bauern immer von neuem mit Raubzügen
heimsuchten. Als dann beim Thronwechsel ein Aufstand aus-
brach, hat Thutmosis I. bei den Stromschnellen von Tangur,
oberhalb des zweiten Katarakts, den Durchzug durch das
„böse Wasser", durch das die Schiffe geschleppt werden
mußten, forciert, und in heftigem Kampf den Trogodyten-
häuptling mit dem Pfeil erlegt; seine Leiche wurde mit dem
Kopf nach unten am Bug des Königsschiffes aufgehängt
und nach Karnak gebracht. Durch diesen Feldzug ^) ist,
weit über die von Sesostris III. gewonnene Grenze bei den
Festungen Semne und Kumme oberhalb des zweiten Kata-
rakts hinauf (Bd. I 287 a), der langgestreckte fruchtbare
Distrikt von Dongola^) „bis zum Lande Kari" (d. i. dem
*) Zu den bei Sethe, Urk. der 18. Dyn., zusammengestellten Texten
kommen weiter die Inschriften von Sai und Tangur bei Breasted, Se-
cond preliminary report, American J. of Semitic Lang. XXV 1908,
100 ff. In der Stele von Tombos, LD. III 5 a, Sethe S. 82 ff. (deren
Anspielungen und Völkernamen noch viele Rätsel enthalten), aus deni
2. Jahr Thutmosis' I., erstreckt sich seine Herrschaft bereits bis an den
Euphrat, obwohl sein Zug dorthin erst auf den gegen Nubien gefolgt
ist [die Annahme, schon unter seinen Vorgängern habe sich das ägyp-
tische Reich bis an den Euphrat erstreckt, widerspricht allen Zeug-
nissen]; der Text der Inschrift ist also, wie so oft, erst wesentlich
später redigiert, als das Datum angibt.
^) Vgl. dazu Breasted a. a. 0. p. 44 f.
gQ III. Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Gebiet von Napata) dem Reich einverleibt und die Grenze
bis ans „Hörn der Erde" vorgeschoben, die unwegsame, völlig
öde Felslandschaft, in der sich der Nil auf eine Strecke von
25 Meilen durch die Granitniassen des vierten Katarakts hin-
durchzvvängt; weiter nach Süden in den Sudan sind die
Ägypter zwar, wie wir jetzt wissen, zur Zeit des Alten Reichs,
aber später nie wieder vorgedrungen. Am nördlichen Ein-
gang des Tals von Dongola, oberhalb des dritten Katarakts,
wo an den Felsen des Ostufers, gegenüber der Insel Tombos,
fünf Stelen die Macht des Königs verkünden, erbaute Thut-
mosis I. eine Festung „zur Abwehr der rebellischen Barbaren,
der Trogodyten Nubiens" ^). Auch den von Sesostris I. durch
die Felsen des ersten Katarakts gegrabenen Kanal hat er
wiederhergestellt, so daß die Nilflotte hier ungehindert vor-
dringen konnte. Der weit gewaltigere zweite Katarakt da-
gegen ist zu Wasser unpassierbar; somit wird man in Ober-
nubien eine besondere Nilflotte gehalten haben, soweit nicht
die Schiffe über Land hierhin geschleppt werden mochten. Auf
diesen Landweg, der durch die Festungen von Semne und
Kumme geschützt war, war natürlich auch der gesamte Waren-
verkehr einschließlich der Tributlieferungen angewiesen. Zum
Landesgott wird neben Dodun, dem alteinheimischen Gott
Unternubiens, Sesostris IIL, der Eroberer und Kolonisator des
Landes (Bd. I 287a) erhoben, in Napata am „heiligen Berge",
dem isoliert aufragenden Massiv des Gebel Barkai, dem Amon
von Theben eine Filiale gegründet.
Ganz Nubien ist schon von Amenophis L als einheit-
liche Provinz Kusch^) organisiert worden, der auch die süd-
lichsten Gaue Ägyptens, von Nechen (Hierakonpolis bei Elkab)
an, zugefügt wurden. Das Oberhaupt der Verwaltung ist
ein hoher Beamter mit dem Titel „Königssohn von Kusch
und Vorsteher der Südlande"; ihm sind sowohl die Bauern
der seßhaften Negerbevölkerung des Flußtals wie die Häupt-
') Inschrift Thutmosis' II. von Assuan, Sethe S. 138 ZI. 7.
^) Damals noch Kas gesprochen, in den Amarnabriefen Kasi.
Nubien und Libyen gl
linge der Nomaden unterstellt, er hat die Abgaben und die
Erträgnisse der Goldminen zu erheben und abzuliefern, und
auch die Soldtruppen aus den Bedjastämmen, die Mazoi, aus-
zuheben oder anzuwerben \).
Auch an der Westgrenze ist es gelegentlich zu Kämpfen
mit den libyschen Stämmen (den Zehenu) gekommen, so
unter Amenophis I. mit den Kahak; in der Regel aber scheint
Ruhe geherrscht zu haben'^). Die „ Sandbewohner " — dieser
Name (Heriusa') scheint jetzt nicht mehr die syrischen Be-
duinen (Bd. I 266), sondern die Bewohner der Sahara zu
bezeichnen^), — bringen alljährlich ihren Tribut nach The-
ben; von den Zehenu'*) erhält Königin Hatsepsut 700 Ele-
'j Der Umfang des Gebiets „von Nechen bis Napata (niwt-taui)"
oder „von Nechen bis Kari" ist bei der Investitur des , Königssohns
von Kus" Hui unter Tut*anch-amon genannt: Brugsch Thes. V 1133 ff.
Newberry, Scarabs pl. II. Dem entspricht, daß schon zu Anfang der
18. Dyn. der Tribut von Uauut von dem Grafen Harmeni von Nechen
erhoben wird: Sethe Urk. 77. Andrerseits empfängt der Vezir anter den
Abgaben des Tep-sma' (o. S. 63 Anm.) auch die von Elephantine, Edfu,
Nechen u. s. w.; wie sicli das zu einander verhält, ist völlig unklar. —
Liste aller „Viceroys of Ethiopia" Reisner, J. Eg. Arch. VI 1920. Schon
unter Amenophis I. hat Turi das Amt bekleidet (Sethe Urk. S. 7. 8.
80. 89. Brkasted a. a, 0. p. 108), der noch in den ersten Jahren Thut-
mosis' I. im Amt ist. Der Name seines Nachfolgers Sethe S. 89 f., ist
zerstört; dann wird Sen gefolgt sein, der „die Mazoi insgesamt in-
spiziert hat", Sethe S. 141 f. — Ein Angehöriger des Königshauses hat
das Amt niemals erhalten.
*) Zu beachten ist, daß eine Tochter des Königs Amosis den
Namen A'hmes hont-Zmhu, „Fürstin der Zmhu" trägt: Darresy, Ann. IX
95. Lec:rain, Repert. gen. no. 33.
^) Inschr. v. Tombos ZI. 3; Inschr. d. Aneni, Sethe 55, 6; Obelisk-
inschrift der Hatsepsut ZI. 27. 29. In der poetischen Stele Thutmosis' III.
ZI. 21 sitzen sie „am Anfang der Erde".
*) Die Angaben über die Libyer Bd. I 165. 167 sind nach den
weittragenden Ergebnissen G. Möller's (Die Ägypter und ihre liby-
schen Nachbarn, ZDMG. 78, 1924, 36 ff.) zu berichtigen. Die ältere
Bevölkerung sind die Zehenu, geschrieben mit einem auch sonst für
die Fremdvölker, speziell die Semiten famu) gebrauchten Zeichen, das
nicht, wie man gewöhnlich annahm, einen Bumerang, sondern einen
kräftigen Kampfstock darstellt. Sie sind den Ägyptern und den übrigen
Meyer, Geschichte des Altertums. II •. 6
82 JJf- Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
fantenzäbne sowie Pantherfelle; auch die Oasen sind abgabe-
])flichtig und werden wie die Gaue Ägyptens von Grafen ver-
waltet^).
Auf asiatischem Boden hat König Amosis gleich nach
der Einnahme von Auaris durch die nach dreijähriger Be-
lagerung gelungene Eroberung von Saruhan im Süden Palae-
stinas, jenseits der Sinaiwüste ^), festen Fuß gefaßt und diesen
Ort zu einer starken Festung ausgebaut'-). Später^) hat dann
Hamiten eng verwandt, rotbraun mit langem schwarzem Haar und
Stirnlocke, Spitzbart, die Tracht wie die älteste ägyptische (Phallus-
tasche, Tierschwänze, Straußenfedern, im übrigen nackt). Seit der
6. Dynastie dringen dann von Westen her, zunächst in den Oasen, die
Zemliu ein (von Möller Tuimah gesprochen und mit den 'ASupfxcitxiSai
bei Herodot IV 168 und Skjlax an der Westgrenze Ägyptens identifiziert)
liellfarbig, mit blauen Augen und rotblondem Haar, langem Zopf an
beiden Schläfen, in der Regel bärtig, bekleidet mit langem buntbemaltem
Lederrock, tätowiert, dazu gleichfalls Phallustasche und Federn im Haar.
Aus dieser Tracht, die sich bei den Guanchen der Kanarischen Inseln
bis ins 1.5. Jahrhundert n. Chr. erhalten hat, erklärt sich die Bezeich-
nung libyscher Stämme als clinuiiu, „ Tierfellträger " (geschrieben und
determiniert mit dem Tierbalg) in der Tombosstele ZI. 5. Zu ihnen
gehören die Libyer von Barka, die Masuasa (Maxyer) dagegen zu den
Zehenu.
') „Grafen (htfo) der Oase" Sethe S. 57. 963 („Graf von Thinis
und Oberhaupt der Oase", offenbar der von el-Charge, vgl. Bd. 1,
282 A.). Tribut der Oasen im Grabe des Puemre', Sethe S. 523 f.
") Das ergibt sich aus der Erwähnung im Eingang der Annalen
Thutmosis' IlL, u. S. 121. In der Liste Sosenq's I. wird der Name
Srliam geschrieben. Im AT. findet sich der Ortsname |m*Ti' nur Jos. 19, 6
am Schluß der angeblich zu Simeon gehörenden Ortschaften des Negeb
(in LXX durch xal ol «ypot aoxcöv, d. i. |n''TC', in Chron. I 4, 81 durch
C^IJ?:!? Sstupetfj. wiedergegeben), die Jos. 1.5, 21 ff. zu Juda gerechnet
werden; hier ist der Name v. 32 DTibtl' SctXv] oder SeXe£:|x geschrieben.
Offenbar war der Ort später völlig verschollen. Man wird ihn wohl
nördlich von Beerseba zu suchen haben [vgl. Albright, J. of the Pale-
stine Oriental Süc. IV 1924, 158].
^) Dieser Feldzug darf nicht, wie es gewöhnlich geschieht, mit
der Eroberung von Saruhan identifiziert werden. Der Admiral A'hmos©
hat an ihm nicht teilgenommen, wohl aber der ein paar Jahrzehnte
jüngere A'hmose Pennechbet, dessen militärische Laufbahn mit ihm
Phoenikien (Zahl) 83
Aniosis noch einen Feldzug gegen das Land Zahi, der Küsten-
landschaft Phoenikiens^), unternommen, durch den der ägyp-
tische Machtbereich wesentlich erweitert worden ist.
Städte und Bevölkerung Pa!aestinas und Syriens
Die Zustände der syrischen Landschaften lassen sich aus
den Feldzugsberichten der Ägypter, vor allem denen Thut-
mosis' IlL, und aus dem reichen in den Urkunden von Amarna
beginnt. Aus diesem Feldzug werden die semitischen Gefangenen „aus
den Fenchuländern' stammen, die Amosis in seinem 22. Jahr im Stein-
bruch von Turra arbeiten läßt (o. S. 74).
') Daß Zahi im wesentlichen Phoenikien bedeutet, hat W. M. Müller,
As"en und Europa 176 ff., erwiesen; die Angaben Thutmosis' III. über
die Feldzüge der Jahre 29 (Produkte und Wohlleben) und Si (die
Schiffe in den Häfen) lassen darüber keinen Zweifel. In den Jahren 31.
S5. 38. 39. 40. 41. 42. [die lückenhaften Texte ergänzen sich gegenseitig
und sind vtm Sethe richtig hergestelU] werden nacheinander auf-
gezählt: die Lieferungen der „Großen von Rezenu", die Ausstattung der
Häfen (ebenso im J. 34), die Abgaben des Libanon, und die Ernte von
Zahi; im J. 31 wird daneben für die Ernte von Rezenu auf die Auf-
zeichnungen des Schatzhauses verwiesen. Danach kann nicht zweifel-
haft sein, daß wir hier drei geographisch und administrativ geson-
derte Gebiete zu scheiden haben: das Küstenland Zahi mit den Häfen,
das Libanongebiet, und Rezenu = Palaestina. Mithin wird, wenn es im
J. 29. 34. :-5 zu Eingang eines Feldzuges in Mittelsyrien oder dem
Euphratgebiet heißt: „der König war in Zahi", er auf der Küsten-
stiaße gezogen sein (ebenso Ramses II. vor der Schlacht bei Qades),
während: „er war in Rezenu", J. 30. 33. 39, auf einen Zug durchs
Binnenland weist. Auch in der sog. poet. Stele sind die „Großen von
Zahi" ZI. 18 verschieden von den „*Amu von Rezenu" ZI. 14. — Da-
neben wird Zahi allerdings auch in umfassendem Sinne gebraucht,
ebenso wie Rezenu oder wie Kana'an in den Amarnabriefen. So be-
zeichnet Thutmosis III. selbst die bei Megiddo besiegte Koalition, die
er sonsl, Rezenu nennt, in der Inschrift des Ptahtempels, Seihe S. 767
ZI. 5, als „alle Gebiete von Zahi"; ebenso sfin Kriegssekretär Zeneni,
Sethe S. 1004, 5; und im Pap. hierat. de l'Eremitage ed. Golenischeff
pl. 17 und 22 heißen unter Thutmosis III. die Gesandten von Megiddo,
Gennezaret, Aksap, Sams'edom, Ta^nak, Mis'al, Saruna, Tnnj (= Tenni
Am. 260, 14, Ai.t, Z. PaL Ver. 89, 1916, 264), Askalon, Chasor „ma-
rjanna von Zahi".
84 III. Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
erhaltenen Material ^) einigermaßen erkennen, so vieles auch
im einzelnen unsicher und lückenhaft bleibt.
Für die Entstehung größerer Staaten ist das lang-
gestreckte und zerklüftete, im Osten und Süden von der
Wüste umschlossene Land ganz ungeeignet; so lange es sich
selbst überlassen bleibt, wird es immer in zahlreiche Klein-
staaten zerfallen, wird aber darum nur umso leichter fremden
Eroberern zur Beute. So hat, soweit hinauf wir die Ge-
schichte verfolgen können, in den Norden jede größere Macht
eingegriffen, die in Babylonien entstanden ist, während der
Süden und die Libanonküste dem Machtbereich Ägyptens an-
geboren. Daneben wird das Land immer von neuem von Süden
und Osten her durch die semitischen Nomaden, vom Norden
aus durch die Völkerschaften des kleinasiatisch-armenischen
Hochlandes überschwemmt. So sind die syrischen Lande zur
Hyksoszeit ein Bestandteil ihres Großreichs gewesen. Aber
mit der Erhebung der Könige von Theben und dem Fall von
Auaris ist dieses Reich zusammengebrochen, und in der Folge-
zeit ist Palaestina und Syrien wieder in eine Anzahl kleiner
Fürstentümer aufgelöst. In den in diesen regierenden Dynasten-
geschlechtern mit charrischen (mitani-) und arischen, und da-
neben mit semitischen Namen und in dem Kriegeradel der
Marjanna werden wir die Nachkommen der Volkselemente
erkennen dürfen, aus denen Heer und Beamtenschaft der
Hyksoskönige hervorgegangen ist. Vermutlich hat Syrien im
Innern unter ihrer Herrschaft nicht viel anders ausgesehn als
dann im 15. und 14. Jahrhundert^); aber das Oberkönigtum ist
jetzt weggefallen, eine Zusammenfassung der Einzeldistrikte
') Ich zitiere nach der Ausgabe (Transkription und Übersetzung)
von Knudtzon (auch unter dem Titel: Vorderasiatische Bibliothek II),
mit ausführlichen Anmerkungen von 0. Weber (abgeschlossen 1915).
Hinzu kommen sechs weitere von Thureau- Dangin, Rev. d'Assyr. XIX
1922, 91 ff.. veröflFentlichte Briefe.
'j Auf eine derartige Organisation auch in Aegypten selbst
weisen die Skarabaeen von , Herrschern der Fremdvölker " mit semi-
tischen und halbsemitischen Namen aus der Hyksoszeit hin (Bd. I 308).
Syrien und Palaestina im 16. Jahrhundert 85
ZU einem wenn auch noch so locker gefügten Reich besteht
nicht mehr^).
Diese Dynasten haben ihren Sitz in befestigten Städten,
zu denen ein Landgebiet von wenigen Quadratmeilen mit
offenen Dörfern und Gehöften gehört^). Neben dem Fürsten
wird wohl immer ein Rat der Ältesten gestanden haben, der
auch die Gerichtsbarkeit übte. Diese Städte liegen meist auf
einem langgestreckten Hügel, an dem ein in die Festung ein-
bezogener oder unmittelbar vor dem Tor liegender Quell ent-
') Nach Manetho sollen die Hyksos nach der Einnahme von
Auaris, bei der Amosis [in dem stark entstellten Exzerpt bei Jos.
c. Ap. I 84 ff. durch Misphragmuthosis = Thutmosis III. und seinen Sohn
Thummosis ersetzt, s. o. S. 32, 2] ihnen freien Abzug gewährt, nach
Syrien gezogen sein und hier Jerusalem gebaut haben, zum Schutz
gegen die damals Asien beherrschenden Assyrer [!]. Von hier aus
hätten sie dann Jahrhunderte später zusammen mit den aus Ägypten
verjagten Aussätzigen Ägypten nochmals erobert und ausgeplündert
(darin steckt die mit den Wirren am Ende der 19. Dynastie zusammen-
geworfene Reformation Echnatens, s. u. Abschnitt VIII und Äg.
Chronol. S. 73 ff. 91 ff.). Diese Erzählung, die den Ursprung der Juden
erklären will und daher von der jüdischen wie von der antijüdischen
Literatur vielfach benutzt worden ist, ist ge.-.chichtlich völlig wertlos ;
mit Unrecht haben Breasted, Eist, of Egypt. 219 f. 289 und Sethe,
ÄZ. 47, 83 sie zu weitgehenden Kombinationen verwendet und an
Stelle Jerusalems den König von Qades als Fortsetzer des Hyksos-
reichs gesetzt. — Sethe's Rekonstruktion des verstümmelten Eingangs
der Annalen Thutmosis' III. (ÄZ. 47, 74 ff., und danach in seiner Aus-
gabe), in den er eine Anspielung auf Auaris und die Hyksos hinein-
trägt, erscheint mir sprachlich wie sachlich unmöglich. Dagegen hat
er vielleicht (S. 84 f.) mit Recht einen Hinweis auf die Hyksos darin
gefunden, daß Thutmosis III. und Amenophis II. sich in der Titulatur
gelegentlich „Schläger der Herrscher der Fremdvölker (hqau chasut),
die ihn angegriffen hatten", nennen, und letzterer rühmt, niemand
unter seinem Heer, den Herrschern der Fremdvölker und den Rezenu
könne seine Bogen spannen: hqüu chasut bezeichnet ja speziell die
Hyksoslürsten; indessen der Ausdruck ist so allgemein und unbestimmt,
daß diese Deutung keineswegs als sicher gelten kann.
-} Im ersten Kapitel des Richterbucbs v. 27 (= Jos. 17, 11) wird
diese Organisation dadurch bezeichnet, daß den Städtenamen des
Karmelgebiets der Zusatz ,und ihre Töchter" hinzugefügt ist.
36 III- I^-P Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
springt. Umschlossen ist sie von einem doppelten Mauerring,
der durch viereckige Türme verstärkten Hauptmauer und
einer etwa halb so hohen Vormauer. Beide sind aus Lehm-
ziegeln erbaut und mit Zinnen und vorspringenden Balkons
gekrönt; der Zwischenraum ist durch Holzbalken überdeckt,
unter denen Kasematten liegen; so können die Verteidiger
gleichzeitig von diesem Wallgang und von der hoch darüber
aufragenden Hauptmauer und ihren Türmen aus kämpfen.
Die von großen Steinplatten eingefaßten Tore gehn durch
beide Mauern hindurch^). Die gleiche Anlage zeigt sowohl
die Befestigung der chetitischen Hauptstadt Boghazkiöi —
nur sind hier die Dimensionen weit größer und der Unter-
bau von mächtigen Steinen viel gewaltiger, und die Tore
sind von mächtigen Torgebäuden flankiert, die beide Mauern
durchbrechen und verbinden'') — als auch die Darstellung
einer offenbar in Asien zu suchenden Bergfeste auf dem
Bruchstück einer silbernen Vase aus dem vierten Schachtgrab
in Mykene"'), die von nackten Schleuderern und Schützen
') Die sehr anschaulichen ägyptischen Abbildungen stimmen
völlig überein mit der in Jericho aufgedeckten älteren Festung (Sellin
und Watzi.xger, 22. Veröffentl. der DOG. 1913, vgl. meine Rekon-
struktion im Archäol. Anzeiger 1913, 72 ff.). Wenn bei anderen Aus-
grabungen in Palaestina die Vormauer nicht gefunden ist, so liegt das
offenbar an starker Zerstörung und wohl auch an ungenügender Beob-
achtung der schwer erkennbaren Reste der Luftziegelraauer. In der
zweiten, weiter hinausgeschobenen Mauer von Jericho sieht Sellin
(Gesch. d. israel. Volkes I 1924 S. 97) und ebenso Watzinger jetzt, ent-
gegen ihrer früheren Annahme, wohl mit Recht die „Mauern von
Jericho* der Josuasage. Fortifikatorisch ist sie ein Rückschritt gegen
die ältere Mauer; sie ist ein längliches Oval ohne Türme und sonstige
Gliederung und ohne Vormauer; die Ziegelmauer stand auf einer
durchschnittlich .5 m hohen Böschung von roh behauenen Steinen. Daß
aber nur die ältere Mauer den ägyptischen Darstellungen Sethos' I.
und Ramses' II. entspricht und daher in deren Zeit gehört, kann
keinem Zweifel unterliegen. — Auffallend ist, daß Jericho in den
ägyptischen Berichten nie erwähnt wird, auch nicht in den Amarna-
briefen.
2) PüCHSTEiN, Boghazkiöi (19. Veröffentl. der DOG., 1912).
^) Siehe u. S. 232.
Die Festungen und Stadtfürstentümer Palaestinas 87
sowie von Kriegern mit Lanzen und großen Mänteln ver-
teidigt wird. Somit scheint diese Gestalt des Festungs-
baus über ganz Vorderasien verbreitet gewesen zu sein^);
auch für Auaris werden wir die gleiche Anlage annehmen
dürfen.
Aus den Amarnabriefen kennen wir mehr als sechzig
solcher Stadtfürstentümer-). Thutmosis III. gibt eine Liste
von 118 Ortschaften^), die sich unter Führung des Fürsten
von Qades gegen ihn verbündet hatten und die er auf seinem
ersten Feldzug bei Megiddo besiegt hat. Er bezeichnet sie
als Landschaften (Bezirke) von Oberrezenu; sie umfassen den
Hauptteil Palaestinas westlich vom Jordantal und im Nord-
osten darüber hinaus bis nach Damaskus. Ob alle hier ge-
nannten Örtlichkeiten, darunter solche mit Namen wie *Ain
„Quelle" (no. 86. 95), B'er und B'erot „Brunnen" (10. 50. 109),
Har „Berg" (77), Har-el „Gottesberg" (81), 'Amq „Tal" (107)
wirklich eigene Fürstentümer gebildet haben, wird man be-
zweifeln dürfen; von einer großen Zahl wird es jedoch durch
die Amarnabriefe bestätigt. Daß in diesem Gebiet kana-
'anaeisch" (d. i. hebraeisch) gesprochen wurde, lehren wie die
Ortsnamen so zahlreiche Glossen in den Araarnatafeln^). Die
') Die Mauern von Troja zeigen allerdings eine wesentlich an-
dere Anlage.
2) Wahrscheinlich ist die Zahl noch beträchtlich größer, da auf
den nur fragmentarisch erhaltenen Tafeln die Namen vielfach ver-
loren sind und überdies viele Dynasten ihre Stadt nicht nennen.
8) Da Kumidi der Liste b und c in Liste a in Bmai verschrieben
ist, zählt man sie fälschlich als zwei Orte (no. 7 und 8), und daher als
Gesamtzahl 119.
*) Die ägyptische Benennung Oberrezenu behält im getragenen
Stil den alten Namen des palaestinensischen Berglandes bei (Bd. I 289.
358. 467; daß er, wie Alt, Ein Reich von Lydda, Z. Pal. Verein. 47,
1924, 169 &., vermutet, von dem Namen der Stadt Lud, Lydda ab-
geleitet sei, der in der Liste Th. III. 64 Rutn geschrieben wird, ist
schwerlich zutreffend). Im realen Leben war er längst geschwunden.
Gelegentlich wird er auf ganz Syrien ausgedehnt; für Nordsyrien oder
Naharain wird dazu der Name „Unterrezenu" erfunden (Grab Amenem-
heb's, Sethe Urk. 907 und dann in den Völkerlisten). Nicht selten
88 III- Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Bewohner und danach auch das Land nennen die Ägypter
Choriter (geschrieben Charu); nach Angabe eines Papyrus^)
reicht „das Land Chor von Sile (der ägyptischen Grenzfeste)
bis Ubi (der Landschaft von Damaskus)", umfaßt also die
Sinaiwüste und Palaestina. Die Choriter sind, wie schon
erwähnt (o. S. 6, 3), nach Ausweis ihrer Stammnamen deutlich
eine Gruppe von Wüstenstäramen, die sich über das Kultur-
land ausgebreitet haben; einzelne choritische Stämme haben
sich auch später noch zwischen den Edomitern in der Wüste
erhalten (Gen. 36), in Resten sogar bis in die nachexilische
Zeit"). Daß sie einstmals weithin in Palaestina gesessen haben,
vor allem am Westabhang des Gebirges Juda und in Sichem,
läßt auch die israelitische Überlieferung noch erkennen, eben
so, daß bei ihnen ein Sonnenkult weit verbreitet war^). Die
Amarnabriefe erwähnen diesen Namen nicht, sondern ver-
wenden ständig den Namen Kana'an und Kana'anaeer*),
dehnen ihn aber gelegentlich auch auf ganz Syrien aus^).
Kana'an ist der einheimische Landesname, der, wie bei den
Israeliten, so auch bei den Phoenikern immer gebräuchlich
geblieben ist*'). Die ägyptischen Inschriften der achtzehnten
wird auch das ganz archaische Menziu oder Menziu Sätet (Bd. I 227)
verwendet.
*) Anast. III 1, 10. Bezeichnend ist, daß Thutmosis III., wo er die
Gesamtsumme der dem Amon geschenkten Gefangenen angibt, den rich-
tigen Volksnamen Charu braucht (Sethe S. 743, 8, gleich ''amu ZI. 4).
Als Eigenname ist Chor oder Pachor, fem. Tachor nicht selten.
^) Siehe meine Israeliten 337. 405 f.; so im Geschlechtsnamen Chür.
3) Vgl. Bd. I 467; Israeliten S. 330 ff. und über die Simsonsage
S. .528 ff.
*) Geschrieben Kinachchi = 'o Xvä (d. i. yjs) bei Philo Bybl. 2, 27
und Herodian, auf den die Angaben bei Steph. Byz. und Bekker,
Anecd. III 1181 sowie das Mißverständnis, daß dieser Name bei Heka-
taeos (fr. 21 = 272 Jacobv) vorkomme, zurückgeht; Ethnikon Kinachaju
Am. 9, 19. Die phoenikischen Fürsten von Byblos und Tyros schreiben
Kinachni = |yj2-
5) Am. 151, 50.
*) Die griechischen Angaben (Anm. 4) werden durch die Augustins,
daß die afrikanischen Bauern sich noch zu seiner Zeit Chanani nennen
Kana'an und die Choriter 8^
Dynastie verwenden ihn noch nicht, in der Folgezeit dagegen
ist er ganz geläufig, und zwar immer mit dem Artikel, „das
Kana'an" ^).
Auf die Besiedlung und die politischen Zustände Palae-
stinas gestattet das von Thutmosis III. aufgestellte Verzeichnis
der von Ägypten abgefallenen und nach der Schlacht bei
Megiddo wieder unterworfenen Ortschaften von Oberrezenu
einige Rückschlüsse^), die durch die Angaben der Amarna-
(epist. ad Rom. incohat. expos. 19) und durch die Münzen von Lao-
dikea (wahrsch. Umm el 'awämid zwischen Akko und Tyros) unter
Antiochos IV. bestätigt, das sich fj?j23 DU , Metropole in Kana'an"
nennt. Da die Deutung Eana'ans als „Niederland" noch immer wieder
auftaucht, sei nochmals darauf hingewiesen, daß sie sprachlich wie
sachlich ganz unhaltbar und widersinnig ist, ebenso wie die von
Aram als „Hochland".
') So bei Sethos I., Merneptali, Ramses III. (den Tempel, den er
dem Amon im Lande Zahl erbaut hat, nennt er „Tempel des Ramses
in dem Kana'an" Pap. Harris 9, 1); ebenso Pap. Anast. I 26, 9. Aber
auch Amenophis IV. sendet einen hohen Beamten als „Königssohn im
Lande Kana'an (Kinachchi)" Rev. d'Ass. 19, 100, s. u. S. 864, also mit
einem nach Analogie des „Königssohns von Kusch" gebildeten Titel.
Ein in zwei Abschriften erhaltener Musterbrief (Pap. Anast. III 8, 5 =
IV 16, 4; Erman, Literatur S. 266) sagt „Kana'anaische Sklaven aus
Chor" (hnu kiin'mnu [so geschrieben, d. i. D"':y:3 mit semit. Plural]
n Cham), verbindet also ganz zutreffend die beiden Volks- und Lands-
namen. Ähnlich auf einer saitischen Grabstele für einen „Gesandten
nach dem Kana'an von Philistaea" [n pa Kn"n n Prst, Bull, de l'Inst.
fr. I 98).
^) Nach den älteren Arbeiten von Maspero u. a. ist die Liste ein-
gehend von W. M. Müller, Palaestin allste Th. III., Mitt. Vorderas.
Ges. 1907, bearbeitet; ferner M. Burchardt, Die syllabische Schreibung
im Ägyjitischen. 1908. Die Liste gliedert sich in fünf Teile, inner-
halb deren die geographische Ordnung oft vernachlässigt wird: 1) Gali-
laea und seine Nachbargebiete, no. 3 — 59; 2) das Küstengebiet bis zum
Karmel, no. 60 — 68; 3) eine Reihe nicht identifizierbarer Orte (wohl
aus dem Hügel- und Gebirgsland) no. 69 — 86, darunter 70 ein zweites
Kntu wie 63 (Gat; vgl. 44). 71 Migdol „Feste", 77 Har „Berg" und
81 Har-el „Gottesberg", 78 das vielbesprochene Jsp'el (Joseph-el?), 88
und 84 zwei Orte Na'man, 86 'ain „Quell"; 4) Ortschaften von Ba-
tanaea, etwa 87 (oder schon von 85 an?) bis 102; 5) Ortschaften des
inneren Palaestina von 104 Gazer bis nach Betse'an (no. 110) und
90 III. Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs '
briefe ergänzt werden. Dicht besiedelt ist die fruchtbare
Küstenebene von Gaza an bis zum Karuiel hin, nebst dem
Hügellande am Fuß des hochaufragenden Felsengebirges des
inneren Palaestina ^). Nicht minder dicht besiedelt ist am
Nordabhang des Karmel das Qisontal und die Ebene Jezre*-el
bis zur Senke nach dem Jordan mit der wichtigen Festung
Betse'an-). und weiter das in zahlreiche Kuppen aufgelöste
Joqne'am (113), das auf'fallenderweise von den übrigen Städten des
Karmelgebiets (no. 42. 43) getrennt ist. Daß Qades und Megiddo (no. 1. 2)
vorangestellt sind, erklärt sich aus ihrer Bedeutung für den Verlauf des
Feldzugs.
') Die Liste nennt natürlich nur die zu der feindlichen Koalition
gehörenden Orte, nicht die den Ägyptern untertänigen wie Gaza, As-
kalon (Am. 296. 820 ff.), Lakis (Am. S28 f.). Von Süd nach Nord folgen:
60 Jursa (Am. 314 f.), etwa in der Gegend des späteren Asdod, dessen
Name hier nicht vorkommt; 61 Machas = Muchazi, Am. 298, 25;
62 Joppe =Japu, Am. 138, 6 und 85. 294, 20. 296, 33, hier mit Gaza
zu einem Vasallenstaat vereinigt; 63 Kntu, Am. Gimti und Gimtikir-
mil, also am Karmel, 288, 25. 289, 18 f.; 64 Ruten, d. i. Lod, Lydda;
65 Ono; 66 Apuqn = Apheq an der Philistergrenze, Sam. I 4, 1,
Tzöpfoi 'Atpsxoü bei Antipatris, Jos. Bell. II 513 [verschieden von Apheqa
im Gebirge Juda, Jos. 15, 53 und von Apheq in der Ebene Jezre'el,
Jos. 12, 18; Sam. 129, 1; Reg. 120,26. II 18, 17; assyr. Apku, s. m.
Israeliten 425, 1]; 67 Soko = Suweke südöstl. v. Käkun, verschieden
von den beiden Soko im südlichen Juda; 68 Jehem am Karmelpaß.
Vielleicht gehören auch die folgenden Orte (69 Chbsn, etwa Chubbeze
am Westabhang des Karmel östl. von Dor [das in dieser Zeit nie vor-
kommt]; 70 Kntu, ein zweites Gat; 71 Migdol, viell. = Stratons Turm,
Caesarea) noch hierher. — Von den auf den Vorhöhen des Gebirges
gelegenen Städten sind identifizierbar 76 Hdit = TTH el Hadithe im
Westen Benjamins bei Lydda; 104 Qaziru = Gazer (Am. 298 ff.);
105 Rbtu = Rubute westl. von Jerusalem, Am. 289, 13. 290. 11. — Ich
bemerke noch, daß 57 Ngbu unmöglich das Negeb im Süden Judas
sein kann, sondern nur ein anderer „Süden" in Galilaea, oder viel-
leicht mit W. M. Müller Dpj in Naphtali, Jos. 19, 33. Unhaltbar ist
auch die Gleichung von 18 und 35 Smn mit Sime'on und 80 Kruru
mit Gerar.
2) Genannt werden 2 Megiddo, 27 'Aruna (s. u.), 42 Ta'nak,
43 Jible'am, 44 Kntu 'sn = Am. 319 Gintiasna (so nach Knudtson und
Weber S. 1352 zu lesen), 113 'ain Qn'm = Joqne'am; ferner in der
Ebene 38 Sunem (Am. 250, 43 und Rev. d'Ass. 19 p. 97) und weiter
Die Ortschaften Palaestinas 91
Bergland Galilaeas bis zu den Quellfliissen des Jordan und
dem Übergang in die Biqa\ Coelesyrien^, nebsfc der fi^üsten-
ebene mit *Akko und dem „heiligen Vorgebirge" (Rosqa-
dos)^), das wohl mit der „Tyriertreppe" Ras ennäqüra iden-
tisch sein wird und die Nordgrenze des Aufstandsgebiets
bezeichnet.
An die Ortschaften am See Gennezaret^) schließt sich
weiter östlich das Kulturland zwischen dem Hermon und dem
Haurängebirge, im Norden bis zur Ebene von Damaskus (die
südlich 9 Tütjn = Dotain; sodann 110 Bts 'r = Betse'an (die Identität
steht jetzt durch die Inschrift Sethos' I. aus Baisan fest). Am. 289, 20
Bitsaani, und daneben 117 Brqn, jetzt Sech Barqän oberhalb von
Baisan, = Am. 250, 43, neben Sunem (auch Rev. d'Ass. 19, 97). Auch
116 Sfat wird hier zu suchen und mit dem Ort am Karmelpaß in
Thutmosis' Feldzugsberieht nicht identisch sein, und noch weniger
natüflich mit nsi Jud. 1, 17 = Chorma im äußersten Süden (vgl. Israeliten
S. 410).
') Hieher gehört zunächst die nach Megiddo im äußersten Nor-
den beginnende Liste zu Anfang: 3 Chazi = Am. 175. 185 f.; 4 Kitsun =
Guddasuna, Am. 177: 6 Tbchu = Tabichi, Am. 179, nnu Sam. II 8, 8:
8 (= 7, s. S. 87, 8.) Kumidi, Am. 198 u. a., jetzt Kämid el Löz jenseits des
Hermon östlich vom Litani. Sodann 12 Merom (Jos. 11, 5j, 13 Tmsqu ~
Damaskos, 15Abila, 16 Hmtu = Amatha, el-Hammi, s.u. S.92, 2; 26 Qa'nau
= Qanu, Am. 204, ,-i:p Jos. 19, 28 und bei den Assyrern, j. Qana südöstl.
von Tyros; 31 Ruis = Lai's (später Dan) ; 32 Chasor, Am. 227 f.; 39 Mis'al,
V«*^» Jos. 19, 26. 21, 30; 40 Aksap = Aksapa, Am. Rev. d'.-\ss. 19, 99,
f]tOi< Jos. 11, 1 u. a.; 46 'Ijon; 55 Chasabu = Am. 174; 56 Tasurt =
Tusulti, Am. 185. 186; 58 Asuschn = Saschimi, Am. 203. Auch 51 Sams-
edom (auch bei Amenophis II.) wird hieher gehören. — Beachtens-
wert ist, daß nicht wenige dieser nordpalästinischen Orte in der Liste
der von Josua besiegten Könige Jos. 12, 18 S. (vgl. c. 11) vorkommen,
nämlich Apheq (no. 66), Saron [so wohl statt fijiar'? zu lesen] (no. 21).
Chasor (no. 32). Aks.iph (no. 40), Ta'nak (no. 42). Megiddo (no. 2).
Joqne'am (no. 113). Außerdem genannt sind Madon, Qades, Dor, Tir.sa
und das offenbar eine Dublette enthaltende px~i!3 p"iaiy (ob aus Merom
no. 12 entstellt?) und Hji::,^,"^ q-'IJ.
') 47 'Akko = Am. 232 ff. 43 Rosqados, auch bei Ramses IL W.
M. Müller, Egyptol. res. pl. 60, 1.
') 34 Knnartu = m:3, revvY]oap; 35 Smn = Samchuna, Am. 225 ;
36 Atmm = nanx in Naphtali, Jos. 19, 86, am Abhang des Westrandes
des Beckens; 21 Saruna = Saruna, Am. 241, iTi'j; Jos. 12, 19.
92 lii- Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
damals den Namen Ubi führte), im Süden bis etwa zum
Jarmiik, also die Landschaft Basan (Batanaea)^). Weiter
südlich wird außer Hammät, bei den heißen Quellen am Ein-
gang des Jarmuqtals, und Pella gegenüber von Bet.^e'an^),
kein Ort oder Volksstamm aus dem Ostjordanlande er-
wähnt, auch nicht 'Ammon oder Moab. Offenbar hatte sich
hier eine seßhafte Kultur noch nicht entwickelt, wie sie ja
hier auch in der Neuzeit fast ganz geschwunden ist und erst
in der Gegenwart wieder beginnt. Eine intensivere Besied-
lung dieses an sich sehr fruchtbaren, damals noch weithin
mit Wäldern bedeckten Gebiets^) hat erst in der israelitischen
Zeit begonnen; vorher lag es den Invasionen der Beduinen
oflFen, die die hier hausenden Viehzüchter oft genug schwer
heimgesucht und ausgeplündert haben werden.
') Damaskos und Tebach s. S. 91, 1. Ferner 83 Phr (unmittelbar vor
Gennezaret, auch in anderen Listen oft genannt) = Pihilim, Am. 256 =
Pella (j. Fahl), wie Dhorme erkannt hat, jetzt durch die Inschrift Sethos' I.
aus Baisan bestätigt; 22 Tubi = Tob ToußEtvot, und 87 Rhbu = Ret
Rechob; darauf folgen 89 Hekalim , Tempel", 90 und 92 sowie 99 drei
Abel, 'prK, 91 'tr' = ':7-ns* Edre'i, ferner 28 'strtu = 'Astarot; auch 102
Ja'qob-el wird hieher gehören, da die Jakobsage wesentlich im Ost-
jordanlande lokalisiert ist, vgl. Israeliten 271 ff. Der Name Basan liegt
in der Stadt Ziribasani, Am. 201 = Zrbsn unter Merneptah vor (Mariette,
Abydos 11 50 = Catal. 1136).
-) 16 Hmtu (nach Damaskus und Abila) ist, wie Vincent erkannt
hat, nicht der berühmte Badeort Iiamat-'A(jifiaO'oü<; bei Tiberias, son-
dern 'EfXfAaö-ä bei Gadara, ev&a zä twv ■S-cpfxo'jv oSdxcuv tf^pixä Xoüxpa,
Euseb. Onomast. 23, 26 = der Festung 'AfiaSoü? .Jos. Arch. XIII 356.
374. XIV 91. Das wird jetzt durch Sethos' Inschrift von Betse'an be-
stätigt, ebenso wie Dhormes Gleichsetzung von Phr mit Pella (s. o.
Anm. 1).
^) Reste der Bewaldung haben sich bis in die Gegenwart er-
halten. Zu voller Entwicklung ist das Land erst unter römischer
Herrschaft gelangt, als nach Niederwerfung des jüdischen Raubstaats
durch Pompejus die hellenistischen Städte der Dekapolis sich voll ent-
wickeln konnten. Bis hier wie in dem übrigen Grenzlande der Wüste
die damalige Kulturhöhe wieder erreicht wird, wird, auch wenn der
jetzt von England geschaffene Staat Transjordanien Bestand hat, noch
eine intensive Arbeit mehrerer Generationen erforderlich sein.
Palaestina und die Beduinen 93
Diese kriegerischen Beduinenstämme, die das Kulturland
Palaestinas und Nordsyriens rings umschließen, tragen bei
den Ägyptern im Süden den Namen Sasu (Sös) und werden
allgemein unter der auch den Babyloniern und Assyrern ge-
läufigen Bezeichnung suti, „Schützen", zusammengefaßt^). In
den ägyptischen Darstellungen erscheinen sie als schlanke,
sehnige Gestalten, mit knochigen Gesichtern, kurzem Spitz-
bart und kurzgeschorenem Haupthaar, das mit einem Kopf-
tuch umwickelt ist^). Zu Aufständen und Raubzügen sind
sie immer geneigt , und so wenig sie geschlossen mit ihren
primitiven Waffen einem geschulten Heer Widerstand zu
leisten vermögen, so schwierig, ja unmöglich ist es, sie in
dem unwegsamen Wüstenlande wirklich zu Paaren zu treiben
und dauernd in Botmäßigkeit zu halten. Aber den Heer-
weg nach Syrien von der Grenzfestung Sile (Zaru, jetzt Abu
Sefe bei el Kantara, der schmalen Landbrücke zwischen dem
Menzale- und dem Bailächsee) über erAris am „Bach (Wadi)
Ägyptens" und Raphia nach Gaza wird schon Amosis in
derselben Weise, wie wir es später unter Sethos I. finden,
durch befestigte Brunnenstationen gesichert haben, so daß
die Armee den Marsch nach Palaestina ohne Schwierigkeit
zurücklegren konnte^).
') Die uralte ägyptische Bezeichnung der Asiaten als Setiu (kor-
rekt ^zfju, nicht zu verwechseln mit stju, der alten Benennung der
Bewohner von Nubien to stj) wird jetzt immer mit einer aus einem
Fell bestehenden Scheibe geschrieben, in der ein Pfeil steckt, also mit
dem Wort äfj „schießen, Schütze" zusammengeworfen. Die Aussprache
sutü, sutl geben die Amarnatafeln und die assyrischen Inschriften,
s. u. S. 843.
2) Weiteres s. u. bei dem Feldzug Sethos' I.
^) Zu dieser Straße vgl. Gardiner, The ancient military road
between Egypt and Palestine, J. Eg. Archeol. Vi 1920, 99 ff. — Von
Namen der Wüstenstämme findet sich bei den Ägyptern der Edoms
in der Angabe, daß unter Merneptah „Sasustämmen von Edom ('dm)"
das Passieren der Grenzfeste Sukkot bis zu den Teichen von Pitom (im
Wadi Tümilät) gestattet wird (Pap. Anast. VI 4, 14). Der aus dem
Eigennamen 'Obed-edom Sam. II 6, 10 (auch CI Sem. I 295 in Karthago)
bekannte Gottesname Edom liegt dem Ortsnamen Sams-edom in Ga-
94 Ili- l^ie Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Die Sinaiwüste geht im Nordosten, im „Südlande" (Ne-
geb) Palaestinas^), allmählich in ein Steppenland über, dessen
Boden, obwohl überall mit Steinen durchsetzt, doch bei ge-
nügendem Regen kulturfühig ist'-'), und in dem vereinzelte
Quellen einer viehzüchtenden Bevölkerung die Möglichkeit
einer oasenartigen Ansiedlung, zugleich aber auch zu fort-
dauerndem Hader den Anlaß bieten^). Weiter nach Norden
geht sie dann in den Gebirgskamm von Juda über, von dem
nach Westen zahlreiche Täler zur Küstenebene hinabführen,
während er nach Osten steil und völlig wüst zum Toten Meer
abstürzt. Auch in diesen Gebieten ist die ägyptische Herr-
lilaea (o. S. 91, 1) zugrunde. — Se'ir (S'ir) wird als Sasustamm von
Ramses III. im gr. Harrispap. 76 genannt; als Südgrenze Palaestinas
Am. 288, 26.
^) Negeb bei den Ägyptern erwähnt in der Biographie Amenem-
hebs u. S. 129, aber nicht in der Liste Th. ID no. 67, o. S. 90, 1.
^) Gegenwärtig wird dies Gebiet weit über Beeiseba' hinaus von
den Arabern unter den Pflug genommen; einen Ernteertrag, und dann
sehr reichlich, gibt es aber nur, wenn genügender Frühjahrsregen fällt,
durchschnittlich in jedem 3. Jahr; andernfalls wird es den Kamelen zur
Weide überlassen.
^) Sehr anschaulich werden diese Zustände und die Bedeutung
der Quellen, wie BeerSeba', Gerär, Qades, Lechai ro'i u. a., in den Pa-
triarchengeschichten der Genesis sowie Jud 1, 12 ff. geschildert. In
welch gewaltigem Umfang das Wüstenland auch hier bis zum Aus-
gang des Altertums für die seßhafte Kultur erobert worden ist, zeigen
die zahlreichen Ruinenstätten aus römischer und byzantinischer Zeit. —
Albright, A colony of Cretan mercenaries on the Coast of the Negeb, J.
Palest. Orient. Soc. I 1921, 18 ff. (dazu IV 1924, 136 ff) hält die Kap-
torim, die nach dem ins Deuteronomium eingelegten Kommentar 2, 23
die 'Auwiter im Süden von Gaza verdrängt haben sollen, für identisch
mit den später hier sitzenden Kretern (Ti~13 Sam. I 30, 14) und ver-
schieden von den erst später aus Kaptor eingewanderten Philistern;
sie seien eine seit Amosis hier angesiedelte (vielleicht aus dem Dienst
derHyksos übernommene) Militärkolonie von Kretern. Aber die D"'"inB3
sind doch in diesem späten Text nichts als ein gelehrter Archaismus
für Philister, und die ganze Hypothese (und vollends, daß der Name
V^'S dts Heerführers des 1 hilisterkönigs Abimelek von Gerar Gen. 26, 26
[daraus 21, 22. 32], verschrieben sei aus "^^^q und „der Lykier" bedeute
schwebt völlig in der Luft.
Das Gebirgsland Palaestinas 95
Schaft, gestützt auf die Festung Saruhan, nicht unterbrochen
worden, und sie werden daher in der Liste Thutmosis' III.
nicht berücksichtigt. Aus den Amarnabriefen wissen wir, daß
vor allem Jerusalem (Urusalim), hoch oben auf dem Kamme
des Gebirges, der Sitz eines ansehnlichen Fürstentums gewesen
ist^). Das Aufstandsgebiet wird erst nördlich von Jerusalem
begonnen haben ^), wie auf gleicher Linie im Westen mit
Gazer, Jursa und Joppe, während Gaza und Askalon unter-
tänig geblieben waren.
In scharfem Gegensatz gegen die zahlreichen Städte
aus dem Küstengebiet und aus Galilaea ist in der Liste Thut-
mosis' III. auch nicht ein einziger Ort aus dem zentralen Ge-
birgslande Palaestinas nachweisbar. In den Amarnabriefen
wird zwar einmal, in einem Schreiben aus Jerusalem, er-
wähnt, daß „das Land Sakmi", d. i. Sichem, in die Hände
der Chabiru gefallen ist^); aber ob es vorher ein Fürstensitz
war, wissen wir nicht, und weiter wird auch hier aus dem
ganzen Gebiet von Betse'an und dem Karmel bis nach Je-
rusalem, einer Strecke von etwa 60 Kilometern, kein Ort
und kein Fürstentum erwähnt. Nun mögen vielleicht einzelne
Briefe von Dynasten hierher gehören, die ihre Stadt nicht
nennen, und ebenso einige nicht lokalisierbare Namen der
Liste: aber daß weder hier noch sonst irgendwo einer der
') Ein weiteres Fürstentum ist Kielti = r\h^i>p Qe'ila, Am. 279 f.
Daß weitere Fürstenstädte hier in den Amarnabriefen nicht genannt
werden, ist sehr auffallend; vor allem würde man Hebron (oder ev.
Qirjat-arba") erwarten. Doch ist zu beachten, daß zahlreiche Briefe von
Dynasten, die ihre Stadt nicht nennen, diesem Gebiet angehören. —
Im Pap. Anastasi 1 22 werden Qirjat sopher = Debir südlich von Hebron
(Jud. ], 11 f. = Jos. 15, 15 f,) und das dicht daneben gelegene 'Anab
erwähnt als Qirjat-'anab und Bait sopher, mit Vertauschung von Bait
und Qirjat (W. M. Müller, Asien 174); Am. 256, 26 Chini-'anab, d.i.
'En-*anab.
*) Das wäre sicher, wenn in der Liste no. 114 Qb'u wirklich —
Geba' in Benjamin ist; aber die Anordnung spricht durchaus dagegen,
und so wird es ein anderer gleichnamiger Ort sein.
^) 289, 23. Sichem kommt vielleicht schon unter der 12. Dynastie
vor: Bd. I 290.
96 III- Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
zahlreichen aus der israelitischen Überlieferung bekannten
Ortsnamen vorkommt^), kann nicht Zufall sein. Vielmehr
dürfen wir daraus folgern, daß das Gebirgsland nördlich von
Jerusalem damals noch so gut wie unbewohnt gewesen ist^).
Es war ein Waldland, das abseits lag von der großen Ver-
kehrsstraße, die durch die Küstenebene und dann über den
Karmel in die Ebene Jezre'el und nach Galilaea führte, und
in dem es wohl einzelne, vielleicht gelegentlich befestigte Ge-
höfte und Dörfer geben mochte, aber noch keine größeren
Oemeinden mit selbständigem staatlichem Leben ^). So erklärt
es sich, daß die Israeliten sich hier festsetzen und behaupten
konnten, während sie die Festungen in den Tälern mit ihrer
kriegsgeübten Bevölkerung noch lange Zeit hindurch nicht
zu überwältigen vermochten.
Völlig öde lag auch das zwischen den Bergwänden zu
iDeiden Seiten breit und tief eingeschnittene, glühend heiße
Jordantal abwärts von Betse'an und Pella, das Ghor, das ja
bis auf den heutigen Tag so gut wie unbewohnt geblieben
ist. Es ist für den Volkscharakter bezeichnend, daß hier nie,
wie unter den im wesentlichen gleichen Bedingungen im Nil-
tal, der Versuch gemacht worden ist, durch systematische
Bewässerung, die hier ebensogut möglich wäre, den Boden
auszunutzen und ertragsfähig zu machen; erst durch diesen
Vergleich lernt man die Energie voll würdigen, mit der die
Ägypter Jahrtausende hindurch ihr Land zu dem ertrag-
reichsten Ackerland der Erde gemacht haben. Nur ganz im
Süden ist am Fuß des westlichen Gebirges, wo mehrere
Quellen hervortreten, in Jericho eine fruchtbare Oase mit einer
festen Stadt entstanden. Sie hat zur Zeit der ägyptischen
') Vor allem würde man Lüz-Bet'el erwarten.
') Zu vergleichen ist die späte Besiedlung der deutschen Mittel-
gebirge nicht nur in der Römerzeit (Hercynia silva), sondern bis weit
in das Mittelalter hinein.
^) Daß das Gebiet der Josephstämme ein von ihnen gerodetes
Waldland ist, wird Jos. 17, 14 f. ausdrücklich gesagt: vgl. Israeliten
S. 512 ff.
Das Jordantal. Phoenikien 97
Herrschaft bereits bestanden (o. S. 86, 1), und es kann nur
Zufall sein, daß sie damals nie erwähnt wird.
Nördlich von 'Akko und dem heiligen Vorgebirge beginnt
die Küstenlandschaft, welche die Ägypter Zahl (s. o. S. 83, 1),
wir mit dem von den Griechen gegebenen Namen Phoenikien
nennen^). Auch hier erstreckt sich, wie in Palaestina, längs
der Küste, nur wesentlich schmäler und mehrfach durch bis
ans Meer vorspringende Höhenzüge unterbrochen, ein Streifen
besten Ackerlandes, das dann allmählich zu den Vorhöhen des
Libanon aufsteigt; der Kamm des Hochgebirges liegt 2 bis
3 Meilen von der Küste entfernt und entsendet, ganz anders
als in Palaestina, außer zahlreichen Wadis eine große Zahl
wasserreicher Flüsse zum Meer"-)- So bildet Phoenikien ein
') Sethe, Mitt. Vorderas. Ges. 21. 191(5, 305 tf. hat (gegen W. M.
Müller, Asien 208 fl'., vgl. Bd. I 253 A.) die Ansicht \vieder auf-
genommen, in dem ägyptischen Ausdruck „die (oder .alle') Fenchu-
länder" liege bereits der Name Phoeniker vor. Dieser Ausdruck findet
sich schon unter Newoserre' als chaset neb fen[chli], „alle Fenchuländer",
ÄZ. 45. 140, und dann bei Sinuhe (B221); im Neuen Reich ist er als
allgemeine Bezeichnung der asiatischen Fremdlande ganz geläufig, oft
in Parallelismus zu Rezenu oder Menziu und im Gegensatz zu Nubien.
Determiniert wird fenchu meist mit dem Strick, daneben mit den
Zeichen für Ausländer oder Asiaten. Es wird ein altägyptisches Wort
für die besiegten und gefesselten Barbarenländer sein, das die ge-
tragene Sprache beibehalten hat; seine genauere Bedeutung läßt sich
nicht teststellen; aber m. E. ist es zweifellos ein Adjektiv und kein
Volksname. Zu OotvtxEi; stimmen weder die Konsonanten noch lassen
sich die Vokale in dieser Schreibung unterbringen, «totvi^i ist vielmehr
ein echt griechisches Wort, gebildet von «potvöi; „blutrot" mit dem
Suffix ik (vgl. W. Schulze, Ber. Berl. Ak. 1910, 803 f.), Name eines
Flusses an den Thermopylen und seines Heros, eines Berges in Boeotien
und in Karien, eines Gottes und eines Ortes auf Kreta, mit zahl-
reichen Weiterbildungen (Stadt Phoinike in Epirus, Hafen <t>oivwo5;
bei Erythrae, Thuk. VIII 34, und auf Kythera, Xen. Hell. IV 8, 7 u. a. m.).
Die Griechen haben wie die Produkte der fremden Händler (Purpur
und Palme), so auch diese selbst damit bezeichnet. Den Phoenikern
selbst ist dieser gänzlich unsemitische Name natürlich fremd; sie nennen
sich Sidonier, ihr Land Kana'an.
^) Der wahre Charakter der phoeuikischen Landschaft ist mir
Meyer, Geschichte des Altertums. H'. V
98 in. Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
fruchtbares Kulturland, dessen reicher Ernteertrag (Getreide
und Wein) von den Ägyptern oft hervorgehoben wird. Dazu
kommt der Waldreichtum des Hochgebirges, dessen Zedern
das beste Bauholz liefern, das für die holzarmen Länder Ägyp-
ten und Babylonien ein heißbegehrtes und unentbehrliches
Produkt bildet.
Politisch zerfällt dieses Gebiet nun nicht, wie in Palae-
.stina, in eine große Zahl kleiner, sondern in vier größere
Stadtfürstentünier, denen die Landorte Untertan sind : Tyros,
Sidon, Berytos und Byblos. Alle vier Städte liegen unmittel-
bar an der Küste. Zur Ägypterzeit sind sie bereits im vollen
Aufblühen, es herrscht ein üppiges Leben, die Häfen liegen
voll Schiffen^), die kunstvollen Metallarbeiten, darunter mit
Silber und Gold ausgelegte Kriegswagen und vor allem Prunk-
gefäße mit Blumenaufsätzen oder in Tiergestalt, sind ein be-
gehrter Artikel. Kein Zweifel, daß schon seit langem ein
reger Verkehr sowohl mit Ägypten wie mit Cypern und der
Welt des Ägaeischen Meeres bestand.
Tyros liegt, ebenso wie das sogleich zu erwähnende
Arados, auf einem kahlen Felseiland, dem das Wasser aus
der gegenüberliegenden Ortschaft Usu (Palaityros) in Kähnen
zugeführt werden mußte, Sidon an einem den Hafen schützen-
den Felsenriff, das ursprünglich offenbar auch einmal eine
Insel gewesen ist. So gewinnt man den Eindruck, daß die
kana'anaeischen Schiffer und Fischer, die sich Sidonier nennen,
sich an diesen vom Lande aus nicht angreifljaren Punkten
festgesetzt haben, um von hier aus das dicht besiedelte Binnen-
land zu beherrschen. Aus diesem bezogen sie ihre Subsistenz-
mittel und Arbeitskräfte, während in den Städten Handel
und Industrie sich entwickelten. Berytos und Byblos dagegen
liegen zwar auch am Meer, aber auf niedrigen, von der
Natur wenig geschützten Anhöhen, erscheinen also vielmehr
erst klar geworden, als ich sie selbst durchreisen konnte. Danach
sind die Äußerungen in Bd. I 356 zu berichtigen.
') Thutuiosis III. zählt hier als aus Zedern gebaute Schiffe auf:
Kfti-schiffe („Kretafahrer"), Byblosschiffe und skt-schiSe.
Die Phoenikerstädte 99
als die durch organische Entwicklung entstandenen Mittel-
punkte ihres Gebiets^). Dem entspricht es, daß Byblos (Gebal)
bis in die ältesten geschichthch erkennbaren Zeiten hinauf-
reicht. Seit den Anfängen der Geschichte Ägyptens ist es,
wie die neuesten Ausgrabungen noch weiter bestätigt haben'),
mit diesem eng verbunden. Es war der Hafen, aus dem die
Pharaonen das Zedernholz für ihre Bauten bezogen. So ist
hier der ägyptische Einfluß immer dominierend gewesen, die
Göttin (Ba'alat) der Stadt wird mit Hathör und Isis gleich-
gesetzt, der Osirismythus hier lokalisiert; es kann fast als
eine ägyptische Kolonie gelten. Unter der zwölften Dynastie
sind die Könige von Byblos Vasallen der Pharaonen. Dem
entspricht es, daß gleich nach der Wiederaufrichtung des
Reichs dies Verhältnis wiederhergestellt wurde: der Zug des
Amosis nach Zahi wird vor allem auf Byblos gerichtet ge-
wesen sein. Ernstlichen Widerstand hat er schwerlich ge-
funden, weder in den palaestinensischen Küstenstädten noch
in Phoenikien; den Handelsstädten gebot das eigene Interesse,
sich dem jetzt wieder neuerstarkten Reich zu fügen. So
haben, soweit wir sehn können, die Phoenikerstädte seine
Oberhoheit auch dann nicht angefochten, als Palaestina und
Syrien den Versuch machten, die Fremdherrschaft abzu-
schütteln.
An der Küste des Nosairiergebirges liegt noch eine fünfte,
weithin nach Norden vorgeschobene Phoenikerstadt, Arwad
(Arados). In späteren Berichten wird sie mehrfach genannt,
aber niemals unter Thutmosis HL; sie hat damals, wie die
Amarnabriefe bestätigen, gestützt auf ihre unangreifbare
') So hat es vielleicht wirklich auch ethnographische Bedeutung,
daß in der Völkerliste Jos. 13, 4 f. die Gibliter von Byblos [in dem
Paralleltext Jud. 3, 5 in Chiwwiter verschrieben, s. m. Israeliten S. 333 f-l
von den Sidoniern geschieden werden; die Grenze liegt bei Apheq an
der Quelle des Nähr Ibrahim, mit dem berühmten Heiligtum des
Adonis. — Berut wird im Alten Testament nicht erwähnt.
2) Übersicht bei Gressmann, Byblos, Z. Alttest. Wiss. 43, 1925, 22-5 ff.
Vgl. Bd. I 229. 265. 857.
100 III- Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Lage, ihre Unabhängigkeit bewahrt^). Südlich davon hegt
der tiefe Einschnitt des Eleutherostals (Nähr el Kebir), das
den Libanon im Norden begrenzt und durch das die große
Straße von der Küste ins Orontestal nach Nordsyrien und
dem Euphrat führt. Sie ist zu beiden Seiten durch eine An-
zahl befestigter Städte mit semitischer Bevölkerung besiedelt
('Arqa, Simyra, Ullaza, Ardata). Im nördlichen Libanon und
der Biqä' (Coelesyrien) sitzt der semitische, den Kana'anaeern
eng verwandte Volksstamm der Amoriter'^), die jetzt, nach
ihrer weiten Ausdehnung im 8. Jahrtausend, auf dies Gebiet
beschränkt sind. Sie bilden hier ein einheitliches Fürstentum
von beträchtlichem Umfang und haben offenbar vom Ge-
birge aus die Phoenikerstädte oft genug durch Raubzüge be-
lästigt.
Lii übrigen Syrien ist die Bevölkerung in dieser Zeit
noch nicht semitisch, sondern gehört zu den Charriern. Am
Eingang dieses Gebiets liegt die Stadt Kinza'^), eine starke
Festung auf einem durch den Orontes und einen Nebenfluß
inselartig eingeschlossenen Hügel^). Hier stoßen die Straßen
durch das Eleutherostal und durch Coelesyrien zusammen,
und die Stadt beherrscht daher auch den Zugang nach Nord-
syrien. Sie ist der Sitz einer großen Göttin, die nach den
in der Religion Kleinasiens und Syriens herrschenden An-
schauungen auf einem Löwen stehend dargestellt wird, nackt,
') Die bei Th. mehrfach [genannte Stadt 'rtut ist nicht Arados,
wie man früher annahm, sondern Ardata im Eleutherosgebiet, s. u.
S. 127, 1.
2) Vgl. 0. S. 18, 2.
') So heißt sie durchweg in den Texten aus Boghazkiöi; in den
Amarnabriefen wird bald Kinza, bald Kidsa, in den ägyptischen Texten
nur Qds geschrieben. Daß das nicht, wie man allgemein annimmt,
Varianten der Schreibung oder Aussprache, sondern nur zwei ver-
schiedene Wörter sein können, ist klar, und ebenso, daß Kinza der
eigentliche Name, Qades oder Kidsa „Heiligtum" nur ein Beiname ist.
*) Jetzt Teil Nebi Mindu südlich von Emesa und dem dortigen
See. Die Topographie und der Verlauf der Schlacht Ramses' II. ist von
Breasted, The battle of Kadesh, Decennial publications of the Univ. of
Chicago, 1903, eingehend behandelt.
Die Stadt Kinza oder Qades. Nordsyrien 101
mit Blumen und mächtigen Schlangen in den Händen^). Das
Ansehn, in dem diese Kultusstätte stand, wird dadurch be-
zeugt, daß die Göttin seit der neunzehnten Dynastie in Ägyp-
ten weite Verbreitung gefunden hat, vor allem bei den Weibern.
So erklärt es sich, daß die Ägypter die Stadt einfach Qades
„das Heiligtum" nennen und so auch die Göttin in der
Regel benennen'").
Nach chetitischen Berichten (o. S. 26) ist in Nordsyrien
Chaleb (Aleppo) ehemals der Sitz eines Großkönigtums ge-
wesen und dann vom Chetiterreich abhängig geworden. In
den Texten der achtzehnten Dynastie findet sich davon keine
Andeutung, die Stadt wird kaum je erwähnt, auch nicht in
den Amarnabriefen. Die Landschaften zu beiden Seiten des
Euphrat und das Hügelland im Norden der mesopotamischen
Wüste bis an und über den Tigris, mit Einschluß von Ninive
und wohl auch Südarmeniens, bilden das Reich Mitani unter
der Herrschaft seiner arischen Dynastie. In den Amarna-
briefen erscheint durchweg dieser Name, während die Königs-
inschriften ihn nur selten verwenden und statt dessen Naha-
rain „das Land am Strom" (Euphrat) sagen.
Weiter südlich, etwa im Bereich des unteren Orontes,
liegt das Reich Nuchasse, weiter oberhalb die Städte Sinzar
(jetzt Seidjar) und Tunip, sowie in der Nähe des Euphrat
Ni oder Neje, auf die wir .später noch zurückkommen. In
'■) In den ägyptischen Darstellungen ist sie zwar en face, aber
sonst ganz im ägyptischen Stil gebildet, mit Haar und Kopfschmuck
der Hathor. Gewiß sahen die einheimischen Kultbilder ebenso aus.
^) Auf einer Stele in London trägt sie statt dessen den nicht
erklärbaren Namen Knt oder Kst. Ihr Kultname wird vermutlich
Ba'alat von Qades oder Astarte gewesen sein; in den Verträgen aus
Boghazkiöi ist ihr Name ideographisch geschrieben und daher unaus-
sprechbar. Verbunden wird sie in Ägypten regelmäßig mit dem syri-
schen Kriegsgott Rsp und dem ithyphallen Min, dem ägyptischen Gott
der Zeugung und Fruchtbarkeit. — Eine weitere von den Ägyptern
übernommene Göttin ist die speziell in Palaestina heimische Kriegs-
göttin 'Anat, die mit Helm, Schild und Schwert bewaffnet auf dem
Roß dahersprengt.
102 III- I^e Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
den ägyptischen Texten erscheint hier noch ein ganz rätsel-
hafter Volksnarae Qt, Qedu. Thutmosis III. sagt in dem Be-
richt über seinen ersten Feldzug, daß sich die Fürsten aller
aufständischen Gebiete, „bis nach Naharain hin, ... die Charu
(Choriter) und Qedu mit ihren Gespannen und Kriegern" in
Megiddo vereinigt hätten. Später erscheint Qedi als Name
eines Gebiets in Nordsyrien, vielleicht mit Einschluß des ebenen
Kilikiens, aus dem die Ägypter Bier beziehn, das wir in Klein-
asien seit alters als einheimisches Getränk kennen (o. S. 17);
sein Fürst ist zur Zeit Ramses' II. ein Vasall des Chetiter-
reichs^). So scheint hier ein alter, später verschollener Volks-
name vorzuliegen.
Wie stark die Bevölkerung Syriens gemischt war, haben
wir früher schon gesehn. Unter den Truppen erscheinen als
das führende Element in den ägyptischen Berichten so gut
wie in den Urkunden aus Boghazkiöi^) die Marjanni; unter den
gefangenen Kriegern und Kindern werden die Angehörigen
dieses Militäradels oft besonders hervorgehoben^). Wir dürfen
*) In Luxor hat Ramses IL die Eroberung der „Festung Hm . . .
im Lande Qedi im Gebiet von Naharain" dargestellt (Fremdvölker-
phot. 395. Wreszinski, Atlas zur äg. Kulturgesch. II 72). Der Name
liegt vielleicht in der Angabe Amarnabrief 75, 37 vor, daß der Chetiter-
könig „alle KliiitiVAndev" erobert hat. — Die Lokalisierung von Qedi
im mittleren Syrien nebst Phoenikien bei W. M. Müller, Asien 242 ff.,
war ein Mißgriff; überdies hat er damit nicht nur die Stadt Qadna,
sondern auch mehrere Stellen zusammengeworfen, wo in Wirklichkeit
nbtu qt steht. Das ist ein allgemeiner Ausdruck für Feinde und Re-
bellen, und bedeutet, wie das Wörterbuch gelehrt hat, in Wirklichkeit
„bösartig von Charakter". (Daß nbtu immer mit der Haarlocke deter-
miniert wird, deutet nicht etwa die Tracht an, sondern erklärt sich
dadurch, daß das Wort nbt „Haarflechte" bedeutet.)
^) So in Neje {I\'iJ in dem Vertrage zwischen Subbiluljuma und
Mattiwaza ZI. 36 (Weidner. Polit. Dok. aus Kleinasien, Boghazkiöistudien
Heft 8); vgl. ZI. 36 über Mitani.
^) So von Thutmosis III., Amenemheb, Amenophis IL Noch unter
Ramses IL heißen die vorgeführten Gefangenen, jetzt teils mit cheti-
titischen, teils mit semitischen Zügen und Tracht, „Marjanni von
Naharain" (Fremdvölkerphot. 329, jetzt bei Wreszinski II 76). In der
Beate aus Tunip in Th.'s Annalen J. 29 werden die 329 Gefangenen
Die Volksstämme Syriens 103
sie in den Gestalten von rein „europäischem" Aussehn im
Grabe Haremhebs (o. S. 34) erkennen; den für sie charakte-
ristischen Langschädel zeigt auf dem Streitwagen Thut-
mosis' IV. der Fürst von Tunip, mit Vollbart, aber kahlem
Schädel, und der von Naharain, und später noch die aus
einer Statuenbasis plastisch herausgearbeitete Vollansicht
eines „Großen von Naharain"^).
Sehr anschaulich tritt die Verteilung der Bevölkerungs-
elemente in den Eigennamen der Amarnatafeln und der Texte
aus Boghazkiöi hervor. In ganz Nordsyrien und im Orontes-
tal bis nach Kinza — Qades hinauf fehlen semitische Namen
vollständig^), die große Masse der Namen gehört der char-
rischen oder Mitanisprache an, daneben finden sich einzelne
arische. Durchweg semitisch sind dagegen die Namen der
Amoriterfürsten und der Herrscher der phönikischen Städte
Tyros, Sidon, Berytos, Byblos^) — aus Arados sind keine
als üihr bezeichnet, wie unter Ramses IL das chetitische Fußvolk
heißt; das wird ein charrisches Wort sein.
') Aus Medinet Habu, jetzt in Kairo, Freradvölkerphot. 252 bis
254. Einzelne gleichartige Gestalten finden sich unter den gefangenen
Asiaten im Grabe des Huy in Amarna (Phot. 54) und in dem Relief
Haremhebs in Karnak (Phot. 304). Kahlköpfig und bärtig sind die
Fürsten von Qades und Tunip auch im Grabe der Mencheperre' senib,
Phot. 599. 600, im Gegensatz zu dem voran knieenden Chetiterfürsten.
— Abweichende Haartracht hat auf dem Streitwagen auch der Reprä-
sentant von Qades. Der von Sinear (Sngr, d. i. Babylonien) hat lang
herabfallendes gelocktes Haupthaar.
^) Die einzige Ausnahme bietet der assyrische Name des Adad-
nirari von Nuchasse (Am. 51). dessen Großvater aber den Mitaninamen
Taku trägt; auch die übrigen Namen der Dynastie (im Vertrage mit
Subbiluljuma) sind nicht semitisch. Ebenso trägt der Dynast Dagan-
takala in einem Orte Palae.>tinas (Am. 317 f.) einen assyrischen Namen.
Hier liegen assyrische Einwirkungen vor, die sich der Erkenntnis ent-
ziehn; zu ihnen gehört auch die Übernahme des Dagon als Stadtgott
der späteren Philisterstadt Asdod.
3) Auch Zimrida von Sidon (144) wird semitisch sein; denselben
Namen trägt 329 der Fürst von Lakis, dessen Vorgänger oder Nach-
folger S28 Jabniel heißt. — Daß zur Zeit des Mursilis II. der Enkel
des Aziru statt eines semitischen Namens den Namen Dubbitesup
104 1^1- Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Namen überliefert — , während die Herrscher von 'Akko
fremde Namen tragen^). In Palaestina dagegen sind zwar
natürliche semitische Namen auch vertreten, aber in verhält-
nismäßig geringer Zahl; weitaus überwiegen die fremden
Namen, und darunter neben den charrisch-mitanischen ge-
rade hier nicht wenige arische. Das stimmt zu den Gestalten
der Gefangenen, die im Grabe Haremhebs so lebenstreu dar-
gestellt sind; vielleicht sind es in der Tat die Nachkommen
der Hyksosscharen, die hier, in zahllose kleine Fürsten-
tümer zersplittert, die Herrschaft bewahrt haben.
Thutmosis' I. Feldzug nach Syrien
Gleich nach Bezwingung Nubiens ist Thutmosis I. „nach
Syrien (Rezenu) gezogen, um sein Herz zu baden unter den
Fremdvölkern". Wie es scheint, ist er in raschem Zuge bis ins
Euphratgebiet vorgedrungen; hier erfocht er einen großen
Sieg über den Fürsten von Naharain, zahlreiche Streitwagen
wurden erbeutet, Scharen von Gefangenen zu Fronarbeiten
nach Ägypten geschleppt. Im Gebiet der Stadt Ni (Neje),
westlich vom Euphrat, konnte er auf die Elefantenjagd gehn
— noch Jahrhunderte später gab es derer in diesen Gegen-
den — ; die erbeuteten Zähne hat er dem Amon von Theben
geweiht. Zum ersten Male erblickten die Ägypter hier wieder
einen großen Strom, der zu ihrem Erstaunen in umgekehrter
Richtung floß wie der Nil. Am jenseitigen Ufer errichtete
er, wie tief in Nubien bei Tombos, eine Siegestafel; er konnte
sich rühmen, daß seine Macht sich „vom Hörn der Erde bis
zu den Hinterlanden Asiens*)" erstrecke, daß „der ganze Um-
trägt, ist als Einwirkung der politischen Umwandlung durchaus be-
greiflich.
') Sarätum oder Zurata und sein Sohn Sutatna oder Zatatna,
Am. 8, 19. 232 ff.
2) pehu Sätet oderpe/m to. Mehrfach wird dann auch der Name
yaunebu und der ihres Meeres fpchr uerj auf die Euphratlandschaft
übertragen, so z. B. bei Mencheperre'senib, Sethe Urk. 930, 16 (neben:
Thutmosis I. in Syrien 105
kreis der Sonne ihm Frondienste leiste, überall bei seinem
Namen geschworen werde"; er habe „Ägypten zum Ober-
haupt, jedes Land zu dessen Leibeignen gemacht: nie war
unter einem anderen König desgleichen geschehn noch in
den Annalen der Vorfahren bis zu den Horusverehrern hinauf"
— Wendungen, die dann seine Nachfolger immer aufs neue
wiederholen und variieren. Weitere Kunde über die Einzel-
heiten fehlt in unserem dürftigen Material, und wir können
nicht feststellen, wie weit nach Norden hin der Machtbereich
des Pharao sich erstreckt hat und wie weit er wirklich ge-
festigt war; doch kann nicht zweifelhaft sein, daß neben der
Regelung der Abgaben der unterworfenen Gebiete mancherlei
diplomatische Verhandlungen mit den Nachbarstaaten, mit
dem jetzt auf das Land östlich vom Euphrat beschränkten
Mitanireich, mit Babylonien und Assyrien und wohl auch mit
dem Chetiterreich und mit Cypern einhergegangen sind.
Beziehungen zu Kreta. Die Kafti
Dauernd erhalten hat sich die Verbindung mit Kreta
und der ägäischen Welt. In den ägyptischen Texten wird
sie, wie herkömmlich, als Oberhoheit, die von den Gesandt-
schaften überbrachten Geschenke als Tribut dargestellt. So
rühmt sich Thutmosis I. der Herrschaft über die Haunebu
und die Inseln des großen Meeres^), und seine Nachfolgerin Hat-
sepsut nennt sich gelegentlich ^König (ati) der Haunebu"^).
Mitani 931, 1) und bei Ramses II. in Luxor (Kopien des Wörterbuchs):
„die Haunebu der phu Sätet sind unter deinen Füßen". Vgl. auch den
Konstantinopler Obelisken Thutmosis' III.. Sethe 584, 13.
1) Inschrift von Tombos ZI. 4 und 16; ähnlich Thutmosis II. Sethe
Urk. 13>:, 2, Thutmosis III. Sethe 203. 17. 573, 1.
2) Sethe 284, 4 und danach ergänzt 282, 3. In dem Text aus Der
el Bahri 233, 13 f. benutzt sie die Wendungen des Amosis bei Sethe
S. 17, 7 ff.; so erklärt es sich, daß hier die Haunebu widersinnig zwischen
den drei Klassen der Ägypter stehn, was dann in der Folgezeit bis auf
Ramses III. hinab immer wieder kopiert wird.
106 III. Die Aufrichtung des ägyiitischen Weltreichs
Eine Gesandtschaft haben ihr Minister Senmut^) und der
Vezir User^) in ihren Gräbern abbilden lassen: Männer mit
gerader Nase und Stirn, langem in Strähnen über die Schultern
fallendem Haupthaar, mit hochgekämmten Stirnlocken, ohne
Bart. Sie tragen stiefelartige Sandalen, deren Riemen um
die Waden gewickelt sind. Der Leib ist durch einen reich-
gezierten Gürtel eng zusammengeschnürt; ein buntgesäumter
Schurz liegt auf den Hüften, vorn hängt ein großes Futteral.
Gestalten und Tracht stimmen vollständig überein mit den
Darstellungen der Kreter auf den gleichzeitigen einheimischen
Denkmälern^), die zugleich zeigen, daß dieses Futteral eine
mißverstandene Nachzeichnung der kretischen Phallustasche
ist; offenbar hat der ägyptische Künstler, wie auch die wes-
penartige Einschnürung zeigt, nach einer kretischen Vor-
lage gearbeitet. Auch die Gaben, die sie bringen, Gefäße
von Silber, Gold und Kupfer, sind in Gestalt und Technik
und in der reichen Ornamentik echt kretische Erzeugnisse,
ebenso das Schwert, das einer der Männer, offenbar der
Führer der Gesandtschaft, in Paradehaltung an die Schulter
lehnt').
Im Grabe Senmuts ist den Kretern kein Name beige-
fügt''); bei User und in anderen Gräbern der Zeit Thut-
') Gegenwärtiger Zustand : W. M. Müller, Egyptol. Res. (1906),
Taf. 5—7; Fremdvölkerphot. 742 (danar-h auf Taf. II). Farbige Photo-
graphie bei Hall im Annual of the Brit. School at Athens XVI 1909,
Titelbild. Sehr wertvoll ist die sorgfältige Zeichnung von Hay im Brit.
Mus. (bei Hall 1. c. pl. 14), die noch zwei jetzt verlorene Figuren be-
wahrt.
2) Davies im Bull. Metropol. New York 1926, 41 ff.
^) Zusammengestellt bei Kurt Müller, Friihmyken. Reliefs, Jahr-
buch arch. Inst. 30, 1915. Im übrigen siehe die sorgfältige Behandlung
des gesamten Materials bei Fimmen, Kretiscli-myken. Kultur (1921) 181 ff.
*) Erhalten bei Hay; vgl. dazu den Becher von Hagia Triada bei
Kurt Müller S. 244 (danach auf Taf. III).
') Er fehlt auch in dem gleichzeitigen Grabe des Puemre' (s. die
große Publikation des Grabes von de Garis Davis; Fremdvölkerphot. 779).
Als „Magnaten der Fremdvölker, die in Frieden kamen", sind darge-
stellt ein Asiate in langem Rock mit kurzgeschorenem Haar, ein
Die Kafti von Kreta 107
mosis' III. heißen sie Kaftiu. Am wichtigsten ist das große
Oemälde aus dem Grabe des Vezirs Rechmere'^), des Nach-
folgers Users. In langer Reihe führt er dem König, neben
den Gesandtschaften anderer Völker, die „Magnaten von Kafti
und den Inseln im großen Meer" vor, „die in Frieden kommen,
das Haupt neigend vor der Majestät König Thutmosis' III.;
sie haben seinen Sieg über alle Lande gehört und bringen
ihre Gaben auf dem Rücken". Dargestellt sind, wie bei
Senmut und User, die Erzeugnisse des kretischen Kunsthand-
werks, Becher und Kannen, Deckel in Gestalt von Löwen-,
Stier-, Greifen-, Steinbockköpfen, daneben große Prunkschalen
aus Edelmetall mit auf den Rand aufgesetzten Blüten (da-
zwischen einmal der Kopf eines Steinbocks), die unter
dem Einfluß ägyptischer Vorbilder gearbeitet sind"^). Dazu
kommen Barren von Kupfer und Edelmetall in der dafür in
der ägaeischen Welt üblichen Form, Haufen von Silber und
Gold in Ringform, Perlenketten, ferner ein Elefantenzahn.
Gestalt und Haartracht dieser Kaftier stimmt mit den Ge-
sandten bei Senmut und User sowie mit den Kretern völlig
überein, ebenso das Schuhzeug; um die Lenden dagegen
tragen sie bei Rechmere' einen bunten Schurz mit gesticktem,
vorne spitz zulaufendem Saum, der die Scham verhüllt^).
anderer mit langem Haar unrl Linnenschurz, ein dritter, der in Ge-
sichtsbildung und Haartracht mit den Kretern Senmuts übereinstimmt,
aber (ofi'enbar irrtümlich) einen Linnenschurz trägt (auch die Schuhe
fehlen), endlich ein Libyer.
') Ältere Publikationen bei Hoskixs, Travels in Ethiopia, 1835
und WiLKiNSON, Manners and customs 1837; neue von Virey, Mem. de
la mission fran9. V 1, 1889. Texte bei Sethe ürk. 1093 ff. Viele Einzel-
abbildungen namentlich bei 1'risse d'AvENNES, Hist. de l'art eg. Fremd-
völkerphot. 772—774. Besonders wertvoll sind nuch hier die Zeichnungen
von Hay im Brit. Mus. (danach auf Taf. II 2 und III 1), die noch manche
seither verblaßte Züge erkennen lassen,
^) H. Schäfer, Die altäg. Prunkgefäße mit aufgesetzten Rand-
verzierungen, in Sethe's Untersuch, zur Gesch. Äg. IV 1905; zum Ur-
sprung siehe besonders S. 42 f.
'j Daher fehlt hier natürlich die Phallustasche. Bei dem ersten
108 III. Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Zwei Männer tragen statt dessen ein geflecktes Tierfell mit
langem haarigen Schwanz^). Dazu ist das Gegenbild auf
Kreta in den ebenso gekleideten Gestalten des sog. Prozes-
sionfreskos aus dem Palast von Knossos erhalten'-), die Ge-
fäße tragen, die mit denen bei Rechmere' übereinstimmen.
Man hat vermutet, das seien Abgesandte eines anderen,
demselben Kulturkreise angehörenden Volkes, etwa der Ky-
donen im Westen Kretas oder einer benachbarten Insel oder
Küste. Indessen erweisbar ist das nicht, und die Verfeinerung
der Tracht ist leicht begreiflich, zumal bei einer Gesandt-
schaft an dem Pharaonenhof; überdies ist auch auf Kreta
die ältere Tracht mehrfach in ein größeres Schurztuch um-
gewandelt^).
Wir dürfen daher die Kafti als Kreter betrachten'^), und
ihren Namen zugleich mit dem Namen Kaptor verbinden,
Mann endet die Schnur, mit der der Schurz um den Leib gelegt ist,
in Troddeln in Blütenform (in der vortrefflichen Zeichnung Hay's voll-
ständig erhalten), die später in den ägyptischen Darstellungen mehrerer
Seevölker sowie in den Elfenbeinschnitzereien von Enkomi (Excava-
tions in Cyprus, 1900, pl. I) wiederkehren.
') Auf der Abbildung Taf. II no. 3 und 12 der Reihe.
^) Die am vollständigsten erhaltene Figur bei Dussaud, Civil,
prehellen. p. 60 (danach Taf. III 2) und, sehr ungenau, bei Lagranüe,
La Crete ancienne auf dem Titelbild; eine andere ib. p. 142.
^) So auf den Siegeln bei Mackenzie, Annual XII 241 (= Evans,
Scripta Minoa 331). Auch bei der Bronze aus Tylissos, Hatzidakis,
E(p. apx. 1912, Tafel 17, ist die Phallustasche durch ein Schurztuch ver-
deckt; vgl. auch die Bronzefigur eines Kreters mit langem Haar in An-
betungsgestus aus der Lasithihöhle bei Evans, Palace 6^2.
*) Daß die Gleichsetzung von Keft mit Phoenikien im Dekret
von Kanopos, der man (so auch ich) früher unbedacht iolgte. in
schroffem Widerspruch zu den Darstellungen wie zu den Textangaben
der älteren Zeit steht, hat zuerst W. Max Müller, Asien und Europa
nach altäg. Denkm. (1893), S. 337 ff., erwiesen. Seine Deutung auf
Kilikien freilich (daß Wainwright, The Keftiu people, in den Liver-
pool Annais of Areheol. VI 1914 sie wieder aufgenommen hat, war
ein starker Mißgriff) war nicht haltbar; kurz darauf haben die Funde
auf Kreta die volle Aufklärung gebracht.
Gesandtschaften der Kafti von Kreta nach Ägypten 109
der in der israelitischen und assyrischen^) Überlieferung die
große Insel im Westmeer bezeichnet.
Bilder wie das bei Rechmere' kehren aus wenig späterer
Zeit, unter Amenophis IL, in den Gräbern des Schatzmeisters
und ersten Propheten des Amon Mencheperre'senib und des
Oenerals Amenemheb wieder. Aber hier haben die Künstler
nicht mehr sorgfältig gearbeitet und die verschiedenen Volks-
tünier durcheinander geworfen. So stehn bei Mencheperre'-
senib'0 an der Spitze der Gesandten ein Magnat von Kaftu, von
Cheta, von Tunip und von Qades — einige andere Beischriften
sind zerstört — ; aber der Kaftier hat kahlen Kopf, Bart und
Linnenschurz, der Chetiter semitische Züge und Haartracht,
der von Tunip, der seinen kleinen Sohn an den Hof bringt,
ist kahlköpfig und bärtig, in langem Leinenrock, ebenso der
von Qades. Dann aber folgt eine lange Reihe von wirklichen
Kaftiern in derselben Gestalt und Kleidung wie bei Rechraere'
und mit Gaben gleicher Art; darunter stehn zwei Reihen von
Asiaten, ein weiteres Bild stellt Gaben aus dem Süden dar.
Im Grabe Amenemhebs^) sollen nach den Beischriften die
Magnaten von Ober- und Unterrezenu und die von Kaftu dar-
gestellt sein; aber die ethnographischen Züge sind völlig ver-
nachlässigt ^ und das Bild daher für uns ohne Wert'^).
') Hier ist er zum ersten Male in dem Text aus der Sargonsage,
0. S. 15, 1 (Schröder, Keilschrifttexte verschiedenen Inhalts 92, 41), auf-
getaucht. — Kaptor klingt an Karpathos an; aber auf diesem lang-
gestreckten schmalen Felseiland wird niemand die Heimat der Philister
suchen. Möglich ist dagegen, daß beide Namen zusammenhängen, und
Kaptor wie Kafti einen größeren Teil der ägaeischen Inselwelt zu einer
Einheit zusammenfaßte.
-) ViREY, Mem. de la mission au Caire V 2, 1891. Fremdvölker-
phot. 596— 6Ü0. 721. Die Texte bei Skthe Urk. 928 ff.
3) Gleichfalls bei VmEY. Fremdvölkerphot. 594. 595. Text bei
Sethe 907 f. (Ganz verfehlt sind W. M. Müller's Bemerkungen darüber,
Mitt. Vorderas. Ges. 1904, 2 S. 39 ff.)
*) Sie sind alle bärtig, teils kahlköpfig, teils mit langem lockigem
Haupthaar, und tragen syrische Gewänder, und zwar abwechselnd den
langen Rock oder das streifenartig um den Leib gewickelte Tuch.
^) Erwähnt sei auch, daß sich im Grabe Thutmosis' IV. das Frag-
110 III- Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Der rege Verkehr mit Kreta und der ägaeischen Welt
wird durch die dauernde Wechselwirkung beider Kulturen auf
künstlerischem Gebiete bestätigt. Von einer Oberherrschaft
Ägyptens kann keine Rede sein, auch nicht zur Zeit Thut-
mosis' III., und an gleichartigen Gesandtschaften und Ge-
schenken von Ägypten aus wird es nicht gefehlt haben; aber
auch wenn wir die maßlosen Übertreibungen der Königs-
inschriften beiseite lassen, tritt die Machtstellung des Pharao-
nenreichs in den reichen Gaben, welche die Fürsten von
Kreta der Hatsepsut — und offenbar schon ihren Vorgängern
— gesandt haben, deutlich hervor.
Königin l;latsepsut
Thutmosis I. ist etwa um 1520 gestorben^); sein gleich-
namiger Sohn, der ihm nach dem Tode mehrerer älterer
ment eines Steingefäßes mit seinem Namen und der Inschrift „Gefäß
von Kaftu" gefunden hat (Tomb of Th. IV. p. 17 no. 46 082).
*) Da Thutmosis III. (Hatsepsut) um 1505 zur Regierung kam
(s. 0. 77, 1). bleiben für Amenophis L, Thutmosis I. und II. rund 50 Jahre
(1557/4—1505). Dazu stimmen die Biographien : der Admiral A'hmose,
geb. um 1595, stirbt unter Thutmosis I.; A'hmose pen-Nechbet, geboren
um 1580, hat noch unter hatsepsut als „Amme" ihrer Tochter Nofrure',
also bis nach 1500, gelebt; Pen'ati (Sethe ürk. 52) ist Oberbaumeister
unter Amenophis I., Thutmosis I. und IL; die amtliche Laufbahn des
Aneni (Sethe 53 ff) reicht von Amenophis I. bis IJutsepsut. Eine frag-
mentarische Inschrift bei Daressy, Ann. du serv. I 99, ist aus dem
18. J. Th. II. datiert; wenn Name und Zahl richtig sind, müßte dieser
schon etwa um 1520 zur Regierung gekommen sein; da er nach Aus-
weis seiner Mumie jung gestorben ist, kann er bei seiner Thronbestei-
gung kaum schon erwachsen gewesen sein. — Sethe, Die Thronwirren
unter den Nachfolgern Thutmosis' I., Unters, zur Gesch. Äg. I, 1896,
hat versucht, die ältere Anordnung der Königsfolge, zu der uh wieder
zurückgekehrt bin, umzustoßen : Thutmosis I. sei durch seine Gemahlin
auf den Thron gekommen (vgl. S. 76) und habe nach deren Tode
abdanken müssen, sein unmittelbarer Nachfolger sei Thutmosis IIL,
gegen den zeitweilig seine Gemahlin Hatsepsut und dann nochmals
Thutmosis I. sowie Thutmosis II. und dann wieder liatsepsut zu
Königen oder Mitregenten erhoben seien. Diese äußerst künstliche
Konstruktion ist vielfach ungeprüft als gesichert angenommen worden.
Thutmosis IL 11|
Brüder folgte, scheint noch ein Knabe gewesen zu sein. Der
Thronwechsel gab, wie gewöhnlich, das Signal zu einem
Aufstand in Nubien, unter Führung eines Häuptlings aus
dem Norden von Kusch und zweier Trogodytenhäuptlinge^).
Der König schwur, die gesamte männliche Bevölkerung, die
am Aufstand beteiligt war, auszumorden, und sein Heer
hat das Gelübde ausgeführt; nur ein Sohn des Kuschiten-
häuptlings wurde mit seinen Leuten nach Theben geschleppt
und hier beim Siegesfeste „unter die Füße des guten Gottes
gelegt". Offenbar sind sie dann vom König vor Amon nieder-
gehauen worden, wie Agag von Jahwe, eine Szene, die als
Abschluß der Kriegszüge regelmäßig in den Tempelreliefs
so von Steindorff und Breasted; bekämpft ist sie von Naville, ÄZ. 85
und 37, sowie Rec. 21, 201; dagegen Skthe, ÄZ. 36. Die Behauptung,
daß Tiiutmosis I. unter Hatsepsut im Tempel v n Der el Bahri als
lebend dargestellt sei, also abgedankt haben müsse, hat Naville, ÄZ. 37,
53 urkundlich widerlegt: nicht er selbst ist in einer Prozession dar-
gestellt, sondern seine Statue. Daß der von Thutmosis III. durchweg
getilgte Name der Flatsepsut vielfach nicht durch Th. III., sondern
durch Th. I. oder II. ersetzt ist, beweist nicht, daß diese selbst die
Änderungen vorgenommen haben, sondern daß Th. III. seine beiden
Vorgänger ehren wollte, was wir auch sonst wissen. [Ganz undenkbar
ist überdies, daß Hatsepsut, wenn sie, wie Sethe annimmt, nachher
noch wieder zur Herrschaft gelangt wäre, diese Zerstörungen nicht
wieder rückgängig gemacht haben sollte.] Völlig ignoriert hat Setiie
die Zeugnisse der Biographien, die sämtlich angeben, daß auf Th. I.
zuerst Th. IL, dann Th. III. mit I.Iatsepsut gefolgt ist: Biographie des
A'hmose pen-Nechbet, Sethe ürk. 34. 36. 38 f.; eines „Königssohns von
Kus" ib. 40 f.; des Aneni ib. 53 ff.; des Len'ati ib. 52. Auch ist die
Regierung Th. IL keineswegs in den Jahren des Th. IIL einbegriffen,
wie Sethe annahm, sondern wird immer gesondert gerechnet, und Th. IL
hat einen anderen Antrittstag als Th. III. (Sethe, Unters. S. 11), während
IJatsei)sut ihre Jahre natürlich ebenso zählt wie Th. III , und ihre
Regierung in der des letzteren inbegriffen ist. — Im übrigen wird
durch die Art, wie Sethe sowohl Hatsepsut wie Thutmosis III. lediglich
zu Werkzeugen eines ununterbrochenen Intrigensiiiels macht, der in
allen Zeugnissen deutlich hervortretende energische Charakter beider
Persönlichkeiten vollständig verkannt.
') Mit ünretht hat Sethe, ÄZ. 36, in einer hier gebrauchten Wen-
dung eine Anspielung auf Hatsepsut gesucht.
112 I'l- Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
dargestellt und gewiß nicht immer lediglich symbolisch zu
verstehii ist. — Sonst erfahren wir nur noch von einem
Feldzug gegen die Beduinen (Sos) in den Grenzgebieten
Palaestinas.
Thutmosisll. war vermählt mit seiner Stiefschwester Hatse-
psut. der Tochter der A'hmose, der Hauptgemahlin seines Vaters.
Er scheint nach Ausweis seiner Mumie kränklich gewesen und
jung gestorben zu sein. Söhne hatte er nicht; so adoptierte er
seinen jungen Stiefbruder, der gleichfalls den Namen Thut-
mosis führt, und erhob ihn zum Mitregenten, indem er, nach
dem dafür herkömmlichen Zeremoniell, den jungen Prinzen,
der eben erst ein untergeordnetes Priestertura bekleidete, auf
Geheiß des in der heiligen Barke von den Priestern getragenen
Fetisches Amons vor den Augen der Gläubigen aus der Tempel-
halle herausholen und krönen ließ^). Nach seinem Tode (um
1505) wurde er offiziell sein Nachfolger; tatsächlich aber hat
Hatsepsut, die schon unter Thutmosis II. das Regiment ge-
führt haben mag, die Herrschaft ergriffen. Sie erhob den
■) Ausführliche Schilderung im offiziellen Stil in einer Rede des
Königs aus späterer Zeit in Karnak: Sethe S. 155 ff. (Breasted, A new
chapter in Setue's Unters II); kürzere und sachlichere Darstellung
am 7. Pylon in Karnak: Legrain, Ann. du serv. II 274 ff., Sethe 177 ff'.,
wonach Th. III. durch Amon zum König erhoben wird ,zur Seite
seines Vaters Th. 11." und dann am 4. Pachons seine Alleinregierung
beginnt. Wie hier nennt Th. III. den Th. II. seinen Vater auch auf
dessen von ihm in seinem 42. Jahre restaurierter Statue LD. III 16b,
Sethe S. 606; ebenso bei Aneni, Sethe S. 59, 15. Da er aber auch den
Th. I. seinen Vater nennt (Annalen J. 33, ferner Sethe S. 840. 847),
kann Th. IL nur sein Adoptivvater gewesen sein. Aus der Zeit ihrer
gemeinsamen Regierung stammt die Architravinschrift aus Abydos:
Petrie, Abydos pl. 61 und 64, jetzt in Berlin: Äg. Inschr. der kgl. Mu-
seen II S. 389 no. 15 980 (bei Sethe Urk. S. 145 unvollständig!). —
hatsepsut, sicher Tochter des Th. L, heißt Schwester des Th. III. bei
Aneni, Slthe S. 60, 1, und in der Inschrift des Auebni, Sethe S. 4H4.
Auf der Berliner Stele Inschr. d. Museums 103 no. 15 699 [wenn dort,
m. E. mit Unrecht, die Echtheit bezweifelt wird, gibt sie doch sicher
ein Original zuverlässig wieder] = Sethe 148 f. erscheint sie als Ge-
mahlin des Th. IL mit dem Titel , Tochter, Schwester, Gattin des Kö-
nigs", neben der Königinmutter A'hmose.
Königin yatsepsut 113
jungen Thutmosis III. zu ihrem Gemahl und hat ihn bei
festlichen Anlässen als König paradieren lassen, vor allem
auf religiösem Gebiet; daher findet sich sein Name in den
zu Anfang der gemeinsamen Regierung erbauten Tempeln
in Nubien (Semne, Kumme, Wadi Haifa) teils allein, teils
neben dem der Königin^). Aber tatsächlich war sie die
Herrscherin; und alsbald hat sie schrittweise die volle Pharao-
nentitulatur angenommen, und ihren nominellen Gemahl noch
weiter in den Hintergrund gedrängt. „Als Thutmosis II. zum
Himmel eingegangen war, trat sein Sohn an seine Stelle als
König der beiden Lande und Herrscher auf dem Thron seines
Erzeugers; seine Schwester, das Gottes weib Hat§epsut, sorgte
für das Land und regierte es, Ägypten diente ihr, dem gött-
lichen Samen, vortrefflich war ihre Regierung, die beide
Lande zufrieden stellte, wenn sie sprach"^). In ihren In-
schriften redet sie ganz als männlicher Alleinherrscher, wie
sie sich auch mit dem zum König.sornat gehörenden Kinn-
bart darstellen läßt^); im Tempel von Der el Bahri hat sie
sogar die offizielle Version der politischen Dogmatik vom gött-
lichen Ursprung des Königs auf sich übertragen: Amon selbst
hat in Gestalt des Thutmosis I. die Königin A'ljmose aufge-
sucht und Hat§epsut gezeugt, alle Götter haben bei ihrer
Geburt geholfen und ihr die Weltherrschaft verheißen, Thut-
mosis I. hat sie feierlich zum Nachfolger erklärt, ihr huldigen
') Die früher vielfach falsch gedeutete Inschrift der Neba'aui,
Sethe Ulk. 208 f., vielfach berichtigt von Capart, ÄZ. 43, 162 [zur Er-
klärung s. Schäfer, Osirismjsterien S. 18, 1 u. 23] gehört nicht in
diese Zeit, sondern in die Alleinregierung Thutmosis' III., und die
in ihr vorkommenden Jahrzahlen sind nicht Regierungsjahre, sondern
geben die Zeiträume an, während deren der Verfasser die einzelnen
Ämter verwaltet hat.
^) Inschrift des Aneni. Sethe S. 59 f. Zu beachten ist, daß der
Name Thutmosis' JIJ. überhaupt nicht genannt wird, sondern nur der
der Königin.
') Nur die Benennung „kräftiger Stier", die seit Thutmosis I.
alle Könige in den Horusnamen eingefügt haben, hat sie, worauf
H. Schäfer mith aufmerksam macht, anzunehmen doch nicht gewagt.
Meyer Geschichte des Altertums. II'. 8
114 111. Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
und ihre Königsnamen festsetzen lassen, ja sie behauptet,
wie es die Theorie verlangt, am Neujahrstage (1. Thoth) ge-
krönt zu sein — während in Wirklichkeit ihr Krönungsfest
wie das Thutraosis' III. auf den 4. Pachons fieP) — ; die
Regierung Thutmosis' II. wird in dieser Darstellung, die von
Anfang bis zu Ende Fiktion ist, vollständig übergangen.
Der weibliche Pharao hat sich als wirkliche Herrscher-
natur erwiesen. Ihr auf einem Sphinx (in Berlin) erhaltener
Kopf zeigt die energischen Züge der Herrscherin. Aber
auch darin erinnert sie an Elisabeth oder Katharina IL, daß
sie trotz aller Betonung ihrer Selbständigkeit ihren Günst-
lingen einen großen Einfluß gewährte und daß sie, von maß-
loser Eitelkeit beseelt, Schmeicheleien sehr zugänglich war:
der Wust verherrlichender Phraseologie, mit dem sie selbst
sich in ihren Inschriften überschüttet, übertrifft alles, was
die darin wahrlich nicht kargenden Texte der übrigen ägyp-
tischen Könige bieten. Ein politisches Moment fehlt dabei
allerdings nicht: da sie, wenn auch, im Gegensatz zu ihren
Brüdern, von der Hauptfrau ihres Vaters geboren, doch nach
ägyptischer Anschauung als Frau nicht zur Herrschaft be-
rechtigt war — eben darum hat sie ihren jüngsten Bruder
geheiratet und neben sich geduldet 2) — , versuchte sie, ihre
Usurpation dadurch zu verhüllen, daß sie ihre unmittelbaren
Beziehungen zu Amon und ihre Erwählung durch den Gott
(und durch ihren Vater) und damit zugleich den Segen ihrer
Regierung möglichst stark betonte. Als der Mann ihres Ver-
trauens erscheint der Kanzler Senmut, dem die Verwaltung
sowohl des königlichen Hoflialts wie des Vermögens des
Amon unterstellt war. Er ist offenbar der leitende Minister
') Das ergibt sich aus der Obeliskinschrift Sethe Urk. 367, 3 ff.,
wonach vom 1. Mechir (1/6) des J. 15 bis zum 30. Mesore (30,12) des
J. 16 nur 7 Monate verlaufen sind. Das genaue Datum der Thron-
besteigung, 4. Pachons (4/9), gibt Th. III. in den Annalen J. 23 ZI. 13.
") Nach korrekter Auffassung hätte sie durch die Ehe mit diesem
lediglich dessen Stellung stärken können, während sie ihn in Wirk-
lichkeit völlig in den Hintergrund drängte.
Hatsepsut. Der Kanzler Senmut 1]5
gewesen. Die Ausführung aller Bauten der Königin stand
unter seiner Leitung; er nennt sich „der Große der Großen
des ganzen Landes; die Angelegenheiten beider Lande wurden
ihm gemeldet, die Abgaben des Südens und Nordens waren
unter seinem Siegel, die Tribute aller Fremdlande unter seinem
Amt"; so hat er auch die Gesandten aus Kreta empfangen
(o. S. 106). Auch die Erziehung der Prinzessin Nofrure', die
offiziell als Tochter der Königin von Thutmosis III. galt und
von der Mutter zur Thronerbin bestimmt war, wurde ihm
als „Vater und große Amme" derselben anvertraut^).
Die Regierung Hatsepsuts bildet den Abschluß der Neu-
organisation Ägyptens. Überall im Lande hat sie verfallene
oder zerstörte Tempel wiederhergestellt und neu aufgeführt und
mit Weihgeschenken und Einkünften ausgestattet. Der Löwen-
anteil fiel natürlich auf Theben, dessen glänzende Entwicklung
jetzt beginnt. Den von ihrem Vater begonnenen Amontempel
von Karnak hat sie weiter ausgebaut und hier bei dem im
15. Jahre ihrer Regierung gefeierten Setfest dem Amon zwei
gewaltige Obelisken errichtet, auf Geheiß des Gottes, der ihr
den Gedanken eingab, es ihrem Vater gleichzutun, der zwei
solche 23 Meter hohe Obelisken vor dem von ihm erbauten
Eingangstor des Tempels aufgestellt hatte. Sie hat ihn noch
beträchtlich überboten; in sieben Monaten hat Sennmt die
riesigen 20 '/> Meter hohen MonoHthe im Steinbruch von Syene
gebrochen, in einem dafür gebauten Boot nach Theben ge-
schafft, und hinter diesem Tor in der Säulenhalle ihres Vaters
auf den dafür bestimmten Sockeln aufgerichtet; die Spitzen
wurden mit einer dicken Goldschicht überzogen, so daß sie im
Sonnenglanz weithin durch das Niltal erstrahlten. Die Leistung
ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, welche Schwierig-
keiten nicht nur den Römern, sondern auch der Gegenwart
noch der Transport und die Aufrichtung dieser Kolosse
bereitet hat und wie stolz die Architekten und Beamten
') Die gleiche Ehrenstellung erhielt sein Bruder Senmen, Sethe
Urk. 418, sowie der alte Offizier A'hmose pennechbet Sethe 34.
116 III. Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Theodosius' d. Gr. gewesen sind, daß sie einen gleichartigen
Obelisken Thutmosis' III. mit Hilfe der an der Basis dar-
gestellten mechanischen Vorrichtungen auf dem Hippodrom
von Konstantinopel haben aufstellen können, nachdem sie
den unteren Teil abgesägt hatten, weil das Ganze ihnen zu
groß und zu schwer war.
Das glänzendste Denkmal der Königin ist der Tempel-
bau von Der el Bahri in der Totenstadt auf der Westseite The-
bens. Wie die Könige der elften und manche der dreizehnten
Dynastie hatten auch ihre Vorgänger aus der siebzehnten und
achtzehnten sich ihre Gräber, schlichte Ziegelpyraraiden, am
Rande des Gebirges^) angelegt. Hatsepsut dagegen hat, wie
schon ihr Vater-) und wie dann alle ihre Nachfolger, als
Ruhestätte ein weit abgelegenes Tal im Inneren des Gebirges
gewählt mit einer Grabkammer tief im Felsen, zu der lange
Korridore hinabführen^). Weit vor dem Grabe, durch den
Bergrücken von ihm getrennt, aber der Idee nach den Toten-
tempeln vor den Pyramiden entsprechend, liegt der große
Tempel, den sie dem Amon und zugleich ihrem eigenen und
ihrer Eltern Andenken errichtet hat, um durch das dauernde
Fortleben ihres Namens und ihrer Bilder sich die Unsterb-
lichkeit zu sichern. Ausgeführt ist auch dieses Werk, auf
das wir später noch zurückkommen werden, von Senmut,
') Bei Drah Abulnegga im Norden der Nekropole.
*) Vgl. S. 76, 2. Im einzelnen ist hier noch manches unklar. Die
in aller Stille ausgeführte Anlage seines Felsengrabes — „ganz allein,
niemand sah oder hörte es" — erzählt der Baumeister Aneni (Sethe
Urk. 57, 8 ff.). Aber seine uns erhaltene Leiche hat ihre Stelle mehrfach
gewechselt, wir haben drei Särge des Königs. Hatsepsut hat ihn in
ihr eigenes Grab überführen wollen und ihm hier einen Sarg neben
ihrem eigenen aufgestellt, der aber niemals benutzt worden ist: Th. M.
Davis, Tomb of Hatshopsuit, 1906.
') Das Grab ist vollständig ausgehauen, aber nie fertig geworden,
alle bildlichen Darstellungen und Inschriften fehlen. Vorher, als sie
noch nicht die volle Königstitulatur trug, hat sie sich hoch in einer
Felswand ein großes Grab angelegt, das sie dann aber durch das an-
dere ersetzt hat: Carter im J. Eg. Archeol. IV 1917, 107 ff.
Tempel von Der el Bahri. Expedition nach Punt 117
der dabei durch Anbringung seines Namens und Bildes an
verborgener Stelle, hinter den Türen, auch seine Existenz
verewigt hat. Die Königin und ihr Minister haben darin eines
der eigenartigsten und wirkungsvollsten Denkmäler geschaffen,
die Ägypten überhaupt aufzuweisen hat.
Kriege hat die Königin nicht geführt; und es ist recht
fraglich, wie weit die prahlenden Wendungen über ihre Welt-
herrschaft, die sie von ihren Vorgängern übernimmt, noch
der Wirkhchkeit entsprachen; der größte Teil Syriens hat
jedenfalls die ägyptische Oberhoheit abgeschüttelt. Dagegen
hat sie ein friedliches Unternehmen ausgeführt, auf das sie
besonders stolz ist : die Wiederaufnahme der Seefahrten nach
dem Weihrauchlande Punt an der afrikanischen Küste des
arabischen Meerbusens. Seit dem Niedergang des Mittleren
Reichs war der direkte Verkehr vollständig unterbrochen;
die kostbaren, für die Kultur unentbehrlichen Produkte ge-
langten nur durch Zwischenhandel nach Ägypten: sie wurden,
sagt Amon in dem Orakel, durch das er die Königin zu der
Expedition auffordert, „seit der Zeit deiner Urahnen von
einem zum anderen gebracht um den Preis vieler Zahlungen,
niemand gelangte dorthin mit Ausnahme deiner Karawanen",
— die vielen Seefahrten der Vorzeit sind vollständig ver-
gessen, das Unternehmen der Königin wird als etwas Neues
und Unerhörtes dargestellt. Im neunten Jahre ihrer Re-
gierung entsandte sie fünf große mit Ruderern und Soldaten
bemannte Schiö'e, mit hohem Mast und mächtigen Segeln, in
See, und zwar nicht mehr, wie ehemals, von einem Hafen
Jim Roten Meer, sondern direkt von Theben aus durch den
Kanal vom Nil nach Suez, der damals bereits bestanden haben
muß; denn von einem Umladen und einem Transport durch
die Wüste ist weder bei der Hinfahrt noch bei der Rückkehr
die Rede, die Schiffe landen in Theben selbst. An den „Ter-
rassen des Weihrauchs" im Lande Punt wurden die Fremden
freundHch aufgenommen, allen voran von dem Häuptling
Parhu mit seiner nach afrikanischer Art durch gewaltige
Fettleibigkeit charakterisierten Frau und seinen Kindern. So
118 III. Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
erstaunt man war, daß die Fremden den Weg „in dies den
Menschen (römez, d. li. den Ägyptern) unbekannte Land ge-
funden hatten" — „seid ihr auf den Himmelsstraßen herab-
gekommen oder seid ihr auf dem Wasser auf Erden ge-
fahren?" — , so hatte man doch Kunde vom Pharao und seiner
Macht, und auch an Dolmetschern kann es nicht gefehlt haben;
ein Verkehr hatte eben doch immer bestanden. So huldigten
die Magnaten von Punt der Königin und ein Tauschhandel
begann; die Ägypter hatten Schmucksachen, Lebensmittel,
Waffen u. a. mitgebracht, die offiziell als Geschenke für die
Göttin Hathor, die „Herrin von Punt", betrachtet werden. Das
Land wurde für Araon in Besitz genommen, Statuen des Gottes
und der Königin aufgerichtet. Zugleich aber sollte dieses Land,
das Amon sich zur Herzensfreude geschaffen hatte, in die
Residenz selbst versetzt werden: zahlreiche Weihrauchbäume
wurden ausgehoben und in Kübeln verladen, um damit auf
den Terrassen von Der el Bahri ein neues Punt zu schaffen.
Reich beladen mit allen Produkten des Landes kehrten die
Schiffe heim, mit Harzen, Weihrauch und Myrrhen, mit ge-
waltigen Massen Goldes, mit Ebenholz und Elfenbein, Panther-
fellen und lebenden Panthern, Geparden, Affen, zahlreichen
Rindern sowie „Leibeigenen mit ihren Kindern". Auch mehrere
„Magnaten von Punt" begleiteten die Heimfahrenden, um der
Königin persönlich zu huldigen. Fortan ist Punt jahrhunderte-
lang in Abhängigkeit von Ägypten geblieben und hat regel-
mäßig Abgaben geleistet; im Grabe des Rechmere' (o. S. 107)
und sonst mehrfach, so unter König Haremliab, ist die Emp-
fangnahme dieser Tribute dargestellt.
Die Erzeugnisse von Punt beweisen, daß es an der afri-
kanischen Küste gelegen haben nmß^). Nach den Abbildungen
') Das hat W. M. Müller, Asien und Europa 'S. 106 ff., gegen die
frühere Ansicht, die es in Südarabien (Saba) suchte, erwiesen; die von
ihm noch beibehaltene (später Mitt. Vorderas. Ges. 1898, 25. 42 zurück-
genommene) Annahme, es habe beide Seiten des Golfs umfaßt, beruhte
auf falscher Übeisetzung der Angabe Sethe Urk. 325, 13 und 32i!, 6,
es habe „zur Seite (hr gsui, mit der dafür gebräuchlichen Dualform)
Das Weihrauchland Punt 119
im Tempel der Königin war es ein flacher, fruchtbarer Strand,
auf dem zwischen Pahnen und Weihrauchbäumen die Rinder
weideten. Die runden Lehmhütten der Bewohner standen
auf einem von Pfählen getragenen Rost, zu dem eine Treppe
hinaufführt; der Boden muß also feucht gewesen sein. Im
Hintergrunde steigt das Gebirge terrassenförmig auf; hier
muß die Landschaft 'Amu gelegen haben, in der das Gold ge-
wonnen wurde. Trotz dieser sehr anschaulichen Darstellung ist
eine genauere Lokalisierung bisher nicht gelungen, und man
kann schwanken, ob es bei Suakin oder bei Massaua oder
jenseits der Straße Bab el Mandeb am Golf von Tedjura, oder
gar noch weiter draußen an der Somaliküste zu suchen ist.
Für eine nördliche Lage spricht, daß die Expedition auch
Häuptlinge und Produkte afrikanischer Negerstämme, wie
der Nemaju und Arem, mitgebracht hat, die in anderen
Texten zu Kusch gerechnet werden^). Ethnographisch frei-
lich sind die Puntier von den Negern durchaus verschieden;
sie gleichen, wie früher schon erwähnt (Bd. I 165. 167), in
Gestalt, Farbe und Tracht den Ägyptern, und gehören offen-
bar der hamitischen Rasse an, deren Typus sich in diesen
Gebieten vielfach bis auf die Gegenwart erhalten hat. Cha-
rakterisiert sind sie durch ihr voll auf den Nacken herab-
fallendes Haupthaar, das, wie bei den Kretern, in Locken
endet; am Kinn tragen sie, Avie die Ägypter, einen kurzen
Stutzbart. Einmal nennt Amon die Bewohner von Punt „Cha-
bestiu des Götterlandes''-); vermutlich ist das der einheimische
des Meeres" gelegen. — Die Gleichsetzung mit uiS, pers. Putija, da-
gegen scheint mir verfehlt.
') Bei Thutmosis III. erscheint im J. ,S4 unter den Abgaben von
Kusch der Sohn des Häuptlings von Arem; unter den tributären
Negern wird es im Pap. Koller 4, 3 f. (Gardiner, Egypt. hierat.
texts I p. 41 und 47) genannt, ebenso in der Liste der Südvölker bei
Th. in. Auch sonst wird Punt mit Kusch und den Südländern ver-
bunden, Amon heißt „Herr der Mazoi und von Punt", Setiie, ÄZ. 42, 96
(Urk. 319. 9); der nubische Gott Dodun hilft beim Wägen des Goldes
von Punt, Sethe Urk. 339, vgl. 31C.
*) Sethe Urk. 845, 14 f. Über Land und Stamm Habasat siehe Litt-
120 ni. Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Name, trotz des abweichenden Anlauts identisch mit Haba-
schat (Habesch), dem Namen, den später das Hochland von
Abessinien führt.
Die Kriege Thutmosis' 111.
Hatsepsut hat mehr als zwanzig Jahre lang (1501—1480)
die Regierung geführt^). Ob sie eines natürlichen Todes ge-
storben ist oder ob ihr jetzt längst zu voller Manneskraft her-
angewachsener Bruder und nomineller Gemahl sie beseitigt hat,
wissen wir nicht; jedenfalls aber hat Thutmosis III. ihr An-
denken mit erbittertem Haß verfolgt, ihren Namen und ihr
Bild auf allen Denkmälern, die er erreichen konnte, sorg-
fältig zerstören lassen, um so zugleich ihr Fortleben nach dem
Tode zu vernichten, und sie teils durch den eigenen Namen,
teils durch den seines Vaters Thutmosis I. oder seines Adoptiv-
vaters ersetzt — wie er auch sonst gleich nach dem Antritt
seiner Alleinherrschaft seine Vorfahren durch Erneuerunsr
MANN, Aksum Expeütion IV 7, wo er die Bd. I 41 vertretene Annahme
aufgibt, es habe ursprünglich in Arabien gelegen. — Determiniert
werden die Chabestiu mit der puntischen Haarlocke [über ihre Erwäh-
nung in späteren Texten s. W. M. Müller, Asien und Europa 116 f., der
(nach Erman) Chabe^-ti als Namen eines Hundes in Benhassan unter der
12. Dyn. neben einem anderen Hunde Nehesi , Neger" nachweist]; das-
selbe Determinativ steht neben dem Volk Gnbtu, das im J. 31 an Thut-
mosis III. eine Gesandtschaft mit Weihrauch schickt, also auch in
diesen Gegenden zu suthen ist. Sonst findet sich der Name nur noch
in der Überschrift über einer konfusen Volksliste Ramses' If. in Abjdos
[Mariette Abydos II 2. berichtigt nach Fremdvölkerphot. 286—288: »alle
Lande und Völker, liaunebu, Bassinländer (d. i. Mesopotamien), Gnbtu,
Böswillige {^ihtu qf, s. o. S. 102, 1), alle gegen deine Majestät rebellischen
Völker bis zur Gienze der Dämmerung und den vier Stützen des Him-
mels sind zu Füßen dieses guten Gottes"]; es wird wohl ,die Östlichen"
(arab. genüb) bedeuten.
') Die Annalcn Thutmosis' III. beginnrn mit dem Auszug nach
Syrien zu Ende seines 22. Jahres. Die vom 25./7. J. 21 des Th. II(. datierte
Inschrift mit dem Testament des Senamon, Ei ziehers des Prinzen
üazmose (des früh verstorbenen Sohnes des Thutmosis I.) ist das älteste
Datum aus seiner Alleinregierung: Daressy, Ann. du Serv. I 101 f.
Grebaut, Musee eg. I 2. Skthe, Unters. I S. 110.
Thutmosis III. 121
ihrer Statuen geehrt hat^); die Obelisken, welche sie in
Karnak aufgerichtet hatte, hat er durch einen hohen Umbau
den Blicken des Beschauers vollständig entzogen^) und durch
eigene überboten. Das gleiche Schicksal traf den Senmut
und nicht wenige andere ihrer Günstlinge"); offenbar ist auf
ihren Tod ein blutiges Strafgericht über ihre Werkzeuge ge-
folgt, die dem neuen Herrscher bisher den Weg versperrt
hatten.
Der Sturz der alten Regierung führte zu einem vollen
Umschwung der Politik. Hatsepsut hatte Kriege vermieden;
sie konnte ihren feindlich gesinnten Bruder und Gatten nicht
an die Spitze einer Armee stellen. Aber in dem neuen Herr-
scher lebte der kriegerische Geist seines Vaters und seiner
Vorfahren; lange zurückgehalten, trat er jetzt umso kräftiger
hervor.
Durch das friedliche Verhalten der Königin war die
ägyptische Herrschaft über Syrien größtenteils verloren ge-
gangen. „Von Jursa (an der Westküste Palaestinas, südlich
von Joppe) bis zu den Enden der Erde (d. h. bis nach Me-
sopotamien)", sagt Thutmosis HI. im Eingang seiner Annalen,
„ging man daran sich gegen seine Majestät zu empören"'*).
Nur der äußerste Süden Palaestinas, mit Gaza und der Fe-
stung Saruhan (o. S. 82), wurde von den ägyptischen Truppen
') Statue des Amenophis I. aus dem J. 22 des Th. III. sowie die
des Thutmosis II., und eine andere desselben aus dem J. 42 bei Mariette,
Karnak 38 sowie LD. HI 16 b (Sethe Urk. 60-5 f.).
*) Siehe Borchardt, Zur Baugeschichte des Amontempels von
Karnak, in Sethe's Unters. V 1, 190.5.
^) Auch die Prinzessin Not'rure' wird seitdem nicht mehr erwähnt.
^) Die überkühne Rekonstruktion des Eingangs der Annalen durch
Setke Urk. (54 f. und ÄZ. 47, 74 ff., der hier eine Erwähnung der Hyksos
und ihrer Herrschaft in Auaris sucht, scheint mir sprachlich wie sachlich
unmöglich; die , langen Jahre", in denen „Räuberei eines Jeden"
herrschte, können nur die Zustände Syriens nach dem Zusammenbruch
der vun Thutmosis I. begründeten Herrschaft schildern, und die Garnison,
in Saruhan kann nur die ägyptische sein. Aber der Text ist zu lücken
haft, um ihn völlig herstellen zu können.
1 22 m- ^iö Aufrichtung dos ägyptischen Weltreichs
behauptet, und auch die phoenikischen Küstenstädte haben
offenbar an der Rebellion nicht teilgenommen^). An die
Spitze der Erhebung trat der Fürst von Qade'5; das kann
nur die große Festung am Orontes sein, die auch später als
ein Hauptsitz des Widerstandes erscheint, nicht die Berg-
stadt in Galilaea. Zur Abwehr des Angriffes „sammelte er
um sich die Großen aller Lande, die unter Botmäßigkeit
Ägyptens gestanden hatten, bis nach Naharain (Mitani),
nämlich . . .'-')i <iie Choriter, die Qedu, ihre Kriegswagen und
Mannschaften."
Alsbald nach Ergreifung der Alleinregierung, zu Be-
ginn des Frühlings (Anfang April greg.) brach Thutmosis III.
mit seinem Heer von Sile, der Grenzfeste Ägyptens, auf.
Zehn Tage später feierte er in Gaza am 4. Pachons, dem
ersten Tage seines 23. Regierungsjahrs, das Thronbesteigungs-
fest; am folgenden Tage überschritt er die Grenze und ge-
langte in elf Tagen nach dem Ort Jehem"') am Fuß des
Höhenrückens des Karmel. Der Fürst von Qades hatte an seiner
Nordseite in der großen Schlachtenebene Palaestinas Stellung
') Vgl. 0. S. 99. Mit Unrecht hat aber Breastkd. A'new chapter
p. 28 f. und Ancient Records II 137 in der Erwähnung von Zedernholz
und von gefangenen Fürstensöbnen von Rezenu in der Bauinschrift
Thutmosis' III. aus Karnak ZI. 34 und 39 (Sethe Urk. 169, 17 und 172, 7)
einen Beleg dafür gesebn, daß die Herrschaft über Syrien zur Zeit
der Gesamtregierung der Hatsepsut und Th. 111. noch bestand. Er be-
zieht die Angaben auf die Zeit zwischen dem 15. und 22 J. des Th. HL;
der Text stammt aber aus weit späterer Zeit (vgl. Sethe S. 155) und
nimmt deutlich auf dessen große Kriegszüge Bezug. — Im Anschluß
an den ersten Feldzug wird in der Inschrift Sethe Urk. 760, 5 Tyros
erwähnt, in welchem Zusammenhang, ist nicht erkennbar.
'') Daß hier der Text zerstört ist, ist sehr empfindlich; in der
Lücke stand offenbar noch ein weiterer Volksname.
^) Nördlich vom heutigen Kakön, wahrscheinlich der Teil el-asä-
wir oder es-samrä genannte Ruinenhügel. Über die Topographie und
den Verlauf der Schlacht s. Schumacher, Mitt. u. Nachr. d. Palaestina-
vereins 1903 S.4ff., und ganz eingehend Nelson, The battle of Meggido,
Diss. Chicago 1918 (1920) und Alt, Thutmosis 111. in Palaestina, Palae-
stinajahrbuch X 1914.
Thutmosis IIL in Palaestina. Schlacht bei Megiddo 123
genommen, den rechten Flügel an die starke Festung Me-
giddo gelehnt, den linken weiter nach Südosten bis Ta'anak
ausgedehnt, da er den Angriff von hier aus erwartete.
Der Kriegsrat, den Thutmosis berief, riet, die feindliche
Stellung entweder im Norden oder im Süden auf einer der
bequemen Paßstraßen zu umgehn; aber der König entschied
sich, entgegen diesen Warnungen, zu einem direkten Vor-
marsch auf Megiddo durch den Engpaß von 'Aruna (im Wadi
'Ära), obwohl hier „Pferd hinter Pferd und Mann hinter
Mann" marschieren mußte und die lange Kolonne daher durch
einen Angriff von den Höhen herab stark bedrängt werden
konnte. Er empfand mit klarem Feldherrnblick, was ein kühnes
Vorgehn bedeutete: „sollen die Feinde denken: schlägt seine
Majestät einen anderen Weg ein? Da fürchtet er sich vor
uns!" Er selbst setzte sich an die Spitze des Marsches, und
es gelang ihm, seine Armee ohne Kampf aus dem Paß heraus-
zuziehn. Der König von Qades beabsichtigte eine Defensiv-
schlacht am Ausgang der Pässe und wollte die dafür gewählte
starke Stellung nicht auflösen. Thutmosis lagerte sich süd-
lich von Megiddo am Bache Qina (jetzt Wadi es Sitt), un-
mittelbar dem feindlichen Lager gegenüber; den nächsten Tag
(Anfang Mai greg.) bestimmte er zur Schlacht. Den linken
Flügel hatte er nach Nordwesten vorgeschoben, den rechten
an den Bach Qina gelehnt; so war den Feinden die Flucht
abgeschnitten. Dem Ansturm der ägyptischen Krieger und
Streitwagen vermochten die Syrer nicht standzuhalten ; in
eiliger Flucht suchten sie sich in die Stadt zu retten und
ließen Wagen und Rosse sowie die Lagerzelte mit ihren
Schätzen den Angreifern zur Beute; da die Tore geschlossen
waren, wurden die Fürsten von Qades und Megiddo nebst
anderen Flüchtlingen an ihren langen Gewändern über die
Mauern gezogen. Hätten die Soldaten nicht angefangen zu
plündern, erklärt Thutmosis, so hätte die Stadt sogleich ge-
nommen werden können. Jetzt mußte sie belagert werden ;
denn „die Einnahme von Megiddo ist soviel wert wie die
von tausend Städten, da alle rebellischen Häuptlinge hier
124 UI- Die Auflichtung des ägyptischen Weltreichs
versammelt sind". Megiddo wurde durch eine mächtige mit
Holzbalken verkleidete Umwallung eingeschlossen und durch
Hunger zur Ergebung gezwungen. Der Fürst von Qades war
entkommen, aber sein Harem fiel in die Hände der Ägypter.
Die um Gnade flehenden Dynasten wurden gnädig aufge-
nommen und gegen die Verpflichtung zu regelmäßiger Tribut-
zahlung in ihre Ortschaften entlassen. Die gesamte Kriegs-
rüstung fiel in die Hände der Ägypter, darunter 924 Kriegs-
wagen und 2041 Stuten nebst 191 Füllen und 6 Hengsten,
dazu zahlreiche Kostbarkeiten und Hausrat aller Art. Die
Ernte der Ebene von Megiddo wurde beschlagnahmt und zur
Verpflegung des ägyptischen Heeres verwendet.
Mit berechtigtem Stolz durfte der König sich des Sieges
rühmen; er hat eine ausführliche Darstellung dieses Feld-
zugs an den Wänden des Tempels von Karnak aufzeichnen
lassen. Für seine zahlreichen weiteren Kriegszüge dagegen
beschränkt sich die urkundliche Darstellung, die überdies nur
lückenhaft erhalten ist, auf knappe und vielfach ganz unzu-
reichende Auszüge aus den im Archiv niedergelegten Annalen,
die durch sonstige Erwähnungen in den Königsinschriften
sowie in der Biographie des Offiziers Amenemheb nur recht
mangelhaft ergänzt werden^). So erfahren wir gleich über die
Fortsetzung des ersten Feldzugs nur, daß er ins Libanongebiet
vorgerückt ist und hier drei Orte — Jenn'am, Anogas und
Herenkaru^) — dem Fürsten von Qades entrissen und dem
Amon von Theben geschenkt hat. Auch hier fiel reiche Beute
in seine Hände: unter den 2503 Gefangenen waren 43 Marjanna
') Das gesamte Material ist jetzt von Sethe in den Urkunden der
18. Djnaslie sorgfältig bearbeitet, mit vielen, ott sehr zutreffenden,
manchmal aber auch überkühnen Ergänzungen der Lücken. Über-
setzung bei Breasted, Ancient Records II. (in manchen Fällen nach
Sethe zu berichtigen).
2) Von den drei Orten „in Oberrezenu" (Sethe Urk. 744, 3) wird
nur Jenu'am auch in den Amarnatexten 197, 8 erwiihnt; der Ort Anogas
kann unmöglich mit dem hier und in den Texten aus BoghazKiöi oft
genannten Nuthasse in Nordsyrien identisch sein, s. Weber in den An-
merkungen zu den Amarnatexten S. 1103 ff. und unten S. 128,2.
Thutmosis im Libanon. Beziehungen zu Mitani 125
und 87 Fürstenkinder. Zur Sicherung der ägyptischen Herr-
schaft wurde inmitten der Fürsten des Libanon eine Festung
mit dem Namen „Thutmosis bezwingt d'e Barbaren* erbaut.
Dann kehrte der König heim, um in Theben die Siegesfeste
zu feiern und dem Amon durch reiche Geschenke aus der
Beute den Dank darzubringen.
Durch diese Erfolge war die ägyptische Herrschaft in
Palaestina und dem Libanongebiet ^) sowie dem Hauptteil
Phoenikiens wiederhergestellt; Erhebungen sind hier in der
Folgezeit kaum noch wieder vorgekommen. Die Widerstands-
kraft des Fürsten von Qadeä dagegen war trotz seiner Nie-
derlage noch ungebrochen, und ins nördliche S3'rien war
Thutmosis überhaupt noch nicht gelangt. Hier hatte um
dieselbe Zeit der Mitanikönig Saussatar eingegriffen und das
Reich von Aleppo, das bis dahin ein Vasallenstaat der Chetiter
war (o. S. 101), seiner Oberhoheit unterworfen-). Auch nach
Osten, gegen Assyrien, wird er schon jetzt seine Macht aus-
gedehnt oder neu befestigt haben. Um so willkommener war
^) Hier ist, wie schon erwähnt, der Sitz der Amoriter, deren
Name auffallenderweise bei Thutmosis III. und seinen Nachfolgern nie-
mals vorkommt, umso mehr dagegen in den Ainarnabriefen.
'') Wir erfahren von diesen Dingen aus der geschichtlichen Ein-
leitung des Vertrages des Chetiterkönigs Mursil II. (um 1350) mit dem
König von Aleppo (übersetzt von Weidner, Boghazkiöistudien VIII 80 ff.).
Danach fällt der (hier als freiwillig dargestellte) Anschluß Aleppos an
Mitani (Chanigalbat) in die Zeit des Chetiterkönigs Dudchalia IL, der
nach der Königsliste (über diese siehe Forrer, Boghazkiöitexte in Um-
schrift S. 17* ff.) in die Zeit Thutmosis' III. tällt. Wenn dann gesagt
wird, daß Dudchalia deshalb die Könige von Chanigalbat und Aleppo
vernichtet und Aleppo zerstört habe, so kann das nur starke Über-
treibung eines vorübergehenden P]rfolges sein, da sogleich berichtet
wird, daß der König von Aleppo die Sünden des Königs von Chani-
galbat weiter mitmacht, so besonders zur Zeit Chattasil's II. (um 1430).
Die Beziehungen zu Ägypten werden hier natürÜL-h übergangen. —
Daß Saussatar der Begründer der Macht Mitanis ist, ergibt sich aus
dem Vertrage Mattiwaza's mit Subbiluljuma ZI. 8 f. Er ist der Ur-
großvater Dusrattas, der etwa um 1380 zur Regierung kam, gehört also
in die Zeit Thutmosis' III.
126 in. Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
das Vordringen der Äpypter dem König von Assur; gleich
im nächsten Jahre sandte er Blöcke von Blaustein als Hul-
digungsgabe an den Pharao.
Thutmosis III. ist fast in jedem Jahre nach Syrien ge-
zogen i), hat aber, soweit wir sehn können, von einem An-
griff auf das schwer zu bezwingende Qades zunächst abgesehn.
Dap-egen versuchte er, von der phoenikischen Küste aus,
deren Städte und Dynasten sich, wie es scheint, ohne ernst-
lichen Widerstand gefügt haben, durch das Eleutherostal den
Zugang zum Orontes und nach Nordsyrien zu gewinnen.
Hier lagen in der breiten und fruchtbaren Mündungsebene
und auf den Höhen zu beiden Seiten zahlreiche befestigte
Ortschaften, wohl alle unter eigenen Dynasten. Von Osten
her griff der König von Tunip ein, einer bedeutenden Stadt,
die vielleicht in Kalat el Hösn am Südostrande des Nosairier-
gebirges gesucht werden darf ^). Er unterstützte die kleineren
Städte und hatte in die (sonst nicht bekannte) Festung Uarzet
eine Garnison (tuhir, o. S. 102, 3) gelegt. Auf dem fünften Feld-
zug wurde diese von Thutmosis erobert ; die gefangene Mann-
schaft betrug 329 Mann, was von den Dimensionen dieser
Kriege und der Kleinheit der Festungen ein anschauliches
Bild gibt^j. Dann wurden zwei reich beladene Schiffe auf-
') Der erste Feldzug fällt ins J. 23. Für das J. 24 wird nur eine
Tributliste gegeben, in die Jahre 25—28 fallen nur drei Feldzüge,
über die der Bericht verloren ist, der fünfte ist der des J. 29. In der
Fokezeit ist das J. .S2 ohne Feldzug, und aus den Jahren 39—41 er-
wähnen die Annalen nur Tribute. Sie schließen ab mit dem Feldziig
des J. 42.
^) Über die Lage s. Weber zu den Amarnabriefen S. 1123 if.
3) Auch der Fürst von Uarzet (nicht etwa von Tunip, wie man
gewöhnlich deutet!) wurde gefangen. Im übrigen bemerke ich, daß
zu scheiden ist zwischen haq „erobern einer Stadt", und sek «ver-
wüsten", nämlich des Gebiets. Ardata ist weder im J. 29 (Sethe ürk.
687, 4 ff.), noch im J. 30 (Sethe 689, 11 ff.) erobert, und das gleiche
gilt von Qades u. a. — Daß sk und sksk gelegentlich auch die Aus-
plünderung einer Stadt bezeichnen kann, soll natürlich nicht bestritten
werden.
Thutmosis in Syrien und am Euphrat 127
gebracht, und auf dem Rückmarsch das Gebiet der Stadt
Ardata^) ausgeplündert; in den üppigen Quartieren in Phoe-
nikien (Zahi, o. S. 83,1) konnten die Soldaten sich an der
reichen Beute gütlich tun, „sie waren trunken und mit Öl
gesalbt jeden Tag wie an einem Festtag in Ägypten". Im
nächsten Jahre wurde das Gebiet von Qades verwüstet und
ebenso das von Simyra (nördlich vom Eleutheros) und von
Ardata. Im Jahre 31 gelang es, hier „in einer kurzen Stunde"
die Stadt Ullaza zu nehmen; unter den 494 Gefangenen —
dazu 13 Kriegswagen mit 26 Rossen — war auch ein Sohn
des Fürsten von Tunip, der auch hier als der Organisator
des Widerstandes erscheint.
Vermutlich haben sich jetzt die meisten Dynasten dieses
Gebiets unterworfen und, wie das schon im Jahre 30 von
den Großen von Rezenu berichtet wird, ihre Söhne oder Brüder
als Geiseln gestellt, damit der Pharao, wenn einer der Dynasten
starb, aus ihnen den Nachfolger entnehmen könne. So hat
Thutmosis im Jahre 33, auf seinem achten Feldzug, den An-
griffauf Mitani (Naharain) unternehmen können^). Ernstlichen
Widerstand fand er nirgends; die ägyptische Streitmacht war
offenbar den asiatischen militärisch weitaus überlegen und
galt als unbesiegbar. Er konnte bis an den Euphrat vor-
dringen, den Strom weithin abwärts befahren^) und die Ort-
') Daß Art-tu nicht Arados sein kann, sondern nur das in den
Amarnabriefen neben den Eleutherosstädten oft genannte Ardata, hat
BuRCHARDT, Altkan. Fremdworte im Ägypt. no. 128, richtig erkannt.
Die für ein Landheer uneinnehmbare Inselfestung Arados (Arwad)
wird bei Thutmosis III. nie erwähnt; es wird sich immer unabhängig
behauptet haben, wie Tyros zur Zeit Nebukadnezars, und steht in den
Amarnabriefen durchaus feindlich gegen Ägypten.
^) Von diesem Feldzug war auch in der ganz verstümmelten
Inschrift am 7. Pylon von Karnak berichtet, Sethe ürk. 188. Er-
halten ist nur der Eingang, daß der König sich im Gebiet der Stadt
Qadna (im Orontesgebiet) befand, die wohl damals unterworfen wurde
(Amarna 52 fl'.).
^) Breasted hat diese Stellen mißverstanden, wenn er den König
nach Norden fahren läßt; der Euphrat ist bekanntlich nur stromab-
128 m- I^'® Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Schäften an den Ufern einnehmen, ihre Felder verwüsten.
„Wie Rudel Wildes in den Bergen flohen sie immer weiter,
niemand wagte zurückzublicken.* Am Ostufer des Stromes
stellte er seine Siegesstele neben die seines Vaters (o. S. 104),
und ebenso eine zweite auf dem Rückmarsch bei Ni (o. S. 101)
„zur Erweiterung der Grenzen Ägyptens". Dieser Erfolg
machte auf die Nachbarstaaten gewaltigen Eindruck; wie der
König von Assur^) sandte jetzt auch der von Sinear (ägypt.
Sangar) eine Huldigungsgabe von „8 Pfund echten, 24 Pfund
künstlichen Blausteins und Blaustein von Babel", und „das
große Chetiterland" „8 Silberringe im Gewicht von 41 Pfund,
zwei große weiße Steinblöcke und kostbares Holz". Darin tritt
der Gegensatz gegen Mitani deutlich zutage; so mag ein vor-
übergehender Erfolg, den der Chetiterkönig Dudchalia gegen
Aleppo und Mitani errang (o. S. 125, 2), in diese Zeit ge-
hören. Im nächsten Jahre (34) wurde die Unterwerfung der
Küstengebiete (Zahl) fortgeführt und im Lande Nuchasse —
der Landschaft des mittleren Orontesgebiets zwischen den
Gebieten von Kinza (Qades) und von Aleppo^) — zwei Städte
■wärts, nicht aufwärts schiffbar. Für abwärts (also auf dem Nil nach
Norden) fahren sagen die Ägypter cht, für aufwärts (also auf dem
Nil nach Süden) chnti; daß es auf dem Euphrat umgekehrt ist, hat
sie äußerst überrascht. Daher nennt Thutmosis I. in der Stele von
Tombos (Sethe 85, 14) ihn „den umgekehrten Fluß, auf dem man beim
Südwärtsfahren (m chnti) abwärts i'ähri (chtti)'^ ; und so gebraucht
Thutmosis III. hier cht für „abwärts — also südwärts! — fahren", und
nachher chntü für den Rückweg über Nt (Seihe 698, 15), der trotz der
Verwendung des Schiffahrts-'usdrucks sicher zu Lande erfolgte.
') Gewiß mit Recht hat Sethe diesen Urk. 701, 5 ff. eingesetzt.
'•') Die Lage ergibt sich aus dem Vertrage zwischen Subbiluljuma
und Tette von Nuchasse 2, 14 (Wkidner, Polit. Dok. aus Kleinasien,
Boghazkiuistudien Heft 8, S. 61). Ägyptisch wird es Anogas geschrieben,
wie der Ort im Libanongebiet (o. S. 124,2). Dieser kann aber hier un-
möglich gemeint sein, sondern es ist ein Gau (u) mit mehreren Städten,
und auch nach den Andeutungen über seine Lage identisch mit dem
Reich Nuchasse der Amarnabriefe (51) und der Boghazkiöitexte. Die
Vermutung, es sei mit dem Lande ry*? bei IJamät identisch, ist ganz
problematisch.
Thutmosis' Feldzüge in Syrien 129
erobert, während eine andere sich gutwillig ergab. In den
Hafenstädten nahm der König, wie in jedem Jahre, die Waren
und vor allem das Bauholz in Empfang, welche die See-
schiffe brachten. Durch den Besitz der Küsten war die Meer-
herrschaft begründet; so hat auch der König von CypernM
fortan regelmäßig Huldigungsgeschenke gesandt, vor allem
gewaltige Massen von Kupfer und Blei.
Beendet freilich war die Unterwerfung Syriens damit
keineswegs. Im Jahre 35 brachte der König von Naharain
ein größeres Heer zusammen, wurde aber bei Ar'ana völlig
geschlagen. Auch hier ist die Beute des Heeres lehrreich:
10 Gefangene, 60 Wagen und 80 Rosse und ein paar Rü-
stungen und Waffen, darunter zwei vom König selbst er-
beutete. Im Grunde können alle diese Schlachten doch nur
Scharmützel gewesen sein, wie so manche z. B. zwischen den
griechischen Städten; man wird sich die Heeresmacht, die
ausreichte, um Syrien zu erobern und in Untertänigkeit zu
halten, nicht klein genug vorstellen können.
Aus den nächsten Jahren sind die Berichte verloren. Im
Jahre 38 finden wir den König wieder in Nuchasse, das sich
jetzt völlig unterwirft; in den Amarnabriefen beruft sich Adad-
nirari von Nuchasse darauf, daß Manachbija (verschrieben für
-birija), d. i. Mencheperrija* Thutmosis III., seinen Großvater
Taku zum König in Nuchasse gemacht und Ol auf seinen Kopf
gegossen habe'-). Aus dem nächsten Jahr hören wir von einem
Kampf gegen die Sos, also gegen Beduinen, die in Palaestina
eingebrochen waren; das ist vermutlich identisch mit dem
Kampf im Negeb, dem Karstlande im Süden des Gebirges
') Äg. Asi, s. u. S. 139, 1.
2) Wo das Land Arrech zu suchen ist, dessen Fürst in diesem
Jahre Sklaven, zwei Blöcke Rohkupfer, und Holz von „Süßbäumen",
sowie wohlriechende Kräuter schickt, ist nicht zu sagen. Die Ver-
mutung, daß es identisch sei mit dem in Listen mehrfach vorkom-
menden Arrapcha (W. M. Müller, Asien und Europa 278 f.), ist mög-
lich. Aber schwerlich kann das mit dem abgelegenen Arrapachitis,
assyr. Arrapcha, im Zagros identisch sein; eher würde man es etwa
im Nosairiergebirge suchen.
Meyer, Geschichte des Altertums. H'. 9
130 III- I^if* Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Juda, mit dem die Biographie des Amenemheb den Bericht
über dessen Kriegstaten beginnt. Die beiden folgenden Jahre
— wo der „König des großen Chetiterlandes" wieder einmal
Silber schickte — sind friedlich verlaufen; im Jahre 42 da-
gegen kam es wieder zu größeren Kämpfen. Offenbar hatte
der König von Mitani den Versuch gemacht, in Verbindung
mit dem von Kinza (Qades), seine Herrschaft über Nordsyrien
wieder aufzurichten, und den Anschluß der lokalen Dynasten
gewonnen; in die Hauptfestungen hatte er seine Truppen ge-
worfen. Über den Verlauf des Feldzuges berichtet Thutmosis
nur ganz knapp: „Der König war auf der Küstenstraße
(also in Phoenikien), um die Stadt 'Arqat (an einem Bach im
Süden der Eleutherosebene, noch jetzt 'Arqä, in den Amarna-
briefen Irqat) zu verwüsten, nebst den Städten ihres Gebiets."
Das gleiche Schicksal erlitt ein Ort . . . kana und dann Tunip ;
im Gebiet von Qades wurden drei Städte genommen und die
in ihnen liegende Besatzung des Fürsten von Naharain ge-
fangen, 691 Männer und Weiber und 48 Rosse ^).
Damit schließt, nach der üblichen Aufzählung der Tri-
bute dieses Jahres-), die Annaleninschrift des Königs. Wie
man sieht, hält sich der letzte Feldzug, von dem sie berichtet,
innerhalb eines engbegrenzten Gebiets; von einer Wieder-
unterwerfung Nordsyriens bis an den Euphrat, von einer Er-
oberung von Tunip und Qades ist in ihm keine Rede. Es
ist klar, daß noch weitere Feldzüge gefolgt sein müssen, für
die Aufzeichnungen an den Tempelwänden nicht vorliegen.
') Dazu 29 Hände, die in üblicher Weise den Gefallenen ab-
geschnitten wurden.
*) Darunter erscheinen die Abgaben (richtiger Geschenke) der
Fürsten von T'nai (schwerlieh identisch mit Tenni, o. S. 83, 1, in
Palaestina, auch nicht nait Tunanat, Am. 53, 43), außer drei eisernen
Gefäßen und vier Silberhänden eine silberne Kanne von Kaftiarbeit,
die als sawahti bezeichnet wird — ein Ausdruck, der wie v. Bsssing,
ÄZ. 34, 166, erkannt hat, unter den Geschenken Amenophis' IV. an
Burnaburias (Amarna 14 III 61) als „Steingefäß namens su-i-ib da'^
wiederkehrt. Danach wird man wohl an ein überseeisches Gebiet
denken. Das Gesamtgewicht der Geschenke ist 56 ^/lo Pfund.
Thutmosis' Feldzüge. Eroberung von Qades 131
vermutlich weil der dafür bestimmte Saal dafür keinen Raum
mehr bot; und es ist ja ohnehin äußerst unwahrscheinlich,
daß die letzten zwölf Jahre des kriegerischen Königs tatenlos
verlaufen sein sollten. Die Ergänzung bietet die Biographie
des Amenemhebi). Nach dem Kriege im Negeb erzählt er
von einem Feldzug nach Naharain, bei dem es wiederholt
zu Kämpfen kam, so „auf dem Hochland von U'an westlich
von Chaleb (Aleppo)" und bei Karkemis am Euphrat, wo er
auf dem Ostufer mehrere Feinde gefangennahm und über
den Fluß vor den König schleppte. Hierher gehört auch eine
zweite Jagd des Königs bei Ni auf 120 Elefanten, bei der er
„am Wasser zwischen den beiden Felsen stehend" dem einen,
der den König angriff, den Rüssel abhieb. Es folgt ein
Kampf bei Sinzar (jetzt Kal'at Seidjar) am Orontes. Damit war
Qade§ (Kinza) isoliert, und so kann jetzt endlich die Be-
lagerung und Eroberung dieser Hochburg des Widerstandes
unternommen werden. Die tapfersten Krieger wurden gegen
eine — offenbar hinter einer Bresche — neu aufgerichtete
Mauer vorgeschickt, Amenemheb hat als der erste sie durch-
brochen. Weiter erfahren wir noch von einem Kampf in
einem Gebiet, dessen Name zerstört ist, und von einem weiteren
') Breasted, der annimmt, Thutmosis' Kriege hätten mit dem
J. 42 geendet, hat infolgedessen versucht, die einzelnen Taten Amenem-
hebs in die früheren Kriegszüge einzuordnen (Anc. Rec. II p. 228 f.),
und ist dadurch zu der Annahme gezwungen, Amenemheb habe die
einzelnen Kämpfe, an denen er teilnahm, ohne jede Berücksichtigung
der Zeitfolge aneinander gereiht: die Folge, die Breasted ihnen gibt,
ist 4. 3. 2. 7. 5. 6. 1. 8; und dabei ergeben sich doch keine wirklichen
Übereinstimmungen mit den Annalen. M. E. berichtet diese Inschrift
ebensogut chronologisch, wie alle ähnlichen Texte; nur die beiden
individuell gefärbten Episoden am Schluß, die Elefantenjagd (7) und
die Kämpfe bei Qades (8), sind ein Nachtrag. Daß die hier ZI. 30 fi".
erzählte PJroberung von Qades mit der vorher ZI. 14 f. erzählten iden-
tisch ist, wird dadurch bestätigt (was Breasted nicht beachtet hat),
daß beidemale die Gefangennahme von zwei Marjanna erzählt wird. —
Beachte auch, daß die Belohnungen, die A. erhält, jedesmal (abge-
sehn von 7) größer werden; auch das bestätigt, daß die Zeitfolge be-
obachtet ist.
132 Itl- Jöie Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
in der coelesyrischen Landschaft Tachas ^), bei dem ein Ort
Mero genommen wurde.
Wie sich diese Kämpfe auf die einzelnen Jahre verteilen,
läßt sich nicht sagen; es mögen daneben auch noch manche
andere vorgekommen sein, bei denen Amenemheb nicht be-
teiligt war oder sich nicht auszeichnete. Man sieht, wie müh-
selig, im Gegensatz zu der raschen Überrennung durch Thut-
mosis I., die wirkliche Unterwerfung Syriens und seine Ein-
verleibung in das Weltreich gewesen ist, begreiflich genug
bei der Kleinheit der Heere, die nur wenige Sommermonate
hindurch im Felde stehn konnten, und bei der Schwierigkeit,
die zahlreichen Festungen zu nehmen, so leicht man auch
ihr Gebiet verwüsten und ausplündern konnte. Aber der Sohn
ist ganz methodisch vorgegangen und hat mit beharrlicher
Ausdauer sein Ziel erreicht. Bei seinem Tode war, wie die
Amarnabriefe bezeugen, ganz Syrien bis zu der Küstenstadt
Ugarit weit im Norden, etwa in der Gegend der Orontes-
mündung, und bis zum Euphratknie hinauf, einschließlich von
Ni, unterworfen. Auch der Fürst von Qades ist fortan ein
Vasall des Pharao, und der von Tunip übergibt ihm, wie
die anderen Dynasten, seinen Sohn zur Aufziehung am Hofe
in Theben'^). In einem Schreiben der Amarnabriefe (59), in
') Gen. 22, 24 in der Liste der aramäischen Landschaften, die
als Bastarde Nachors aufgezählt werden (ferner Amarna 189 rev. 12
und 197, 19 Tachsi, in der Nähe von Ubi, der Landschaft von Da-
maskus), neben Tebach (Am. 179 Tubichi), Ma'aka am Hennon, und
dem sonst nicht vorkommenden Gacham.
*) Die Szene ist im Grabe des Mencheperre'senib dargestellt
(ViREY, Mem. miss. frang. V 200 ff- W. M. Müller, Egyptol. Res. II.
Sethe ürk. 928 ff. Fremdvölkerphot. 596—600. 721), wo der „Große"
von Tunip seinen Sohn auf dem Arm bringt. Vor ihm kniet ein „Großer
von Cheta", und der „Große von Kaftu" küßt den Boden. Das werden
aber nicht die Könige selbst, sondern Gesandte sein. In der zweiten
Reihe bringt der Fürst („Große") von Qades einen Krug und einen
Dolch in der Scheide. Über die zum Teil falsch gezeichneten Völker-
typen s. 0. S. 109; aber die Szenen selbst sind offenbar geschichtlich zu-
treffend.
Die Unterwerfung Syriens. Mitani und Assur 133
dem sie nach dem Tode des Akitesub um Zusendung seines
Sohnes bitten, erwähnen die Bewohner von Tunip die Ein-
nahme der Stadt durch Manachbirija (Thutmosis III., vgl. o.
S. 129); auch die ägyptischen Götter haben hier eine Kultstätte
erhalten, und das gleiche wissen wir von Uarzet (o. S. 126),
wo Thutmosis dem Amon und dem Har'achte in deren Kult-
stätte ein Opfer bringt.
Mit dem Mitanireich ist offenbar ein Abkommen ge-
schlossen worden, bei dem ihm der Norden Syriens mit Aleppo
überlassen blieb ^). So konnten sich zwischen beiden Staaten
freundschaftliche Beziehungen bilden, die sich in der Folge-
zeit immer intimer gestalteten. Dadurch wurde es dem Saus-
satar möglich, Assyrien in volle Abhängigkeit zu bi'ingen.
Aus dem Vertrage seines Ururenkels mit dem Chetiterkönig
Subbiluljuma (um 1360) ersehn wir, daß er aus Assur eine
Tür aus Silber und Gold fortgeführt und nach Wasuganni,
der wahrscheinlich im Quellgebiet des Chaboras gelegenen
Hauptstadt seines Reichs, in seinen Palast gebracht hat.
Fortan ist Assur dem Mitanikönig tributpflichtig"^). So er-
') Wie Aleppo ist auch Karkemis nie ägyptisch gewesen; daß
es in dem Fragment eines Briefes des Akizzi von Qatna, Am. .H, .51,
vorkommt, beweist natürlich nichts über seine Stellung. — Thutmosis III.
hat neben der Palaestinaliste auch eine lange, nur teilweise erhaltene
Liste von Ortschaften Nordsyriens und Mesopotamiens gegeben (Sethe
788 ff. W. M. Müller, Eg. Res. I.), von denen aber nur ein Teil dauernd
von Ägypten behauptet ist und nur ganz wenige identifizierbar sind:
127 Tunip. 1,32 Ni. 139 Arzkna = assyr. Araziqi, 'Epa-^ iC« bei Bambyke.
166 Ullaza. 173 Zunzar = Sinzara (Am. 53, 42 Zinzar). 189 Nerab bei
Aleppo. 213 Alasia ("rs). 252 Sura am Euphrat. 263 viell. Ediu (W.
M. Müller). 280 Petor, assyr. Pitru. 811 Charbu, Aleppo. 332 Zinnur =
assyr. Tinnüru öavvoüpiov am Chaboras (W. M. Müller, Asien und
Europa S. 291). — Der „Große von Nabarain", der im Grabe der
Amunezeh den Pharao kniefällig verehrt (Virey, Mem. miss. fran(;. V
337 ff. W. M. Müller, Eg. Res. II. Sethe Urk. 952: Fremdvölkerphot.
738 f.\. ist natürlich nicht der König von Mitani, sondern der Führer
einer Gesandtschaft.
2) Vertrag Subbiluljumas mit Mattiwaza ZI. 6 ff. (bei Weidner,
Boghazkiöistudien VIII).
134 ill- Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
klärt es sich, daß unter den Steintafeln, die hohe Beamte
Assyriens (wohl durchweg Eponymen) in einem kleinen Tal
vor der Stadtmauer von Assur als ihr „Bild" errichtet haben
— in Wirklichkeit Gedächtnismale, auf denen statt des Bildes
eine Inschrift in viereckigem Rahmen ihre Persönlichkeit ver-
ewigt^) — , zwei von Söhnen und eine von dem Urenkel
eines „Vezirs (suliallii rahü) des Königs von Chanigalbat"
stammen, die Statthalter der assyrischen Provinzen Ninive und
Kudmuch^) gewesen sind^). Daraus ergibt sich, daß die
Patesis von Assur in dieser Zeit (von denen wir denn auch
nichts als die nackten Namen kennen) ganz unter der Bot-
mäßigkeit der Könige von Mitani gestanden haben. Daher
können diese auch über die Göttin Istar von Ninive verfügen
und sie, um ihre Heilkraft zu bewähren, nach Ägypten
schicken^). Eine weitere Bestätigung bietet, daß auf den Sie-
gelzylindern aus Assur und aus Kerkük, die dieser Epoche
angehören, die „chetitischen" Motive ganz dominieren^).
Die Organisation des ägyptischen Weltreiclis
Neben der Kriegführung geht die Organisation des unter-
worfenen Gebiets einher; und auch hier hat sich Thutmosis III.
•) Vgl. dazu meinen Aufsatz Archaeol. Anz. 1913, 77 ff. = Kl.
Schriften II 1 ff.
^) Am rechten Tigrisufer beim Austritt aus dem Gebirge, s. Forrek,
Provinzeinteilung des Assjr. Reichs S. 17.
^) Andrae, Stelenreiben in Assur, no. 63. 129. 137 a.
*) Brief Dusrattas an Amenophis III. Am. 23, wonach schon
sein Vater sie ebenso verschickt hat. Er betont, daß sie „seine Gott-
heit" ist; in der Mitanisprache wird sie „Sauska von Ninive" geheißen
haben (so Jensen), die Dusratta in dem Mitanibrief III 98 {Messer-
schmidt, Mitanistudien, Mitt. Vorderas. Ges. 1899, 4, S. 75) in derselben
Weise „meine Göttin" nennt.
5) Siehe Reich und Kultur der Chetiter S. 62 ff'. Die beiden
später, im 11. Jahrhundert, zu Königsstelen verarbeiteten Basaltsäulen
bei Andrae, no. 15 und 16, stammen wohl nicht von „chetitischen*
Bauten in Assur, wie ich dort annahm, sondern sind eher Beutestücke
(so Herzfeld).
Thutmosis' Persönlichkeit. Organisation Syriens IcJS
nicht minder bewährt und einen Bau geschaffen, der fest ge-
fügt war und trotz einzelner Aufstandsversuche nach seinem
Tod ein halbes Jahrhundert unerschüttert bestanden hat. Er
war wirklich eine überlegene Herrschernatur, und es ist keine
Übertreibung, wenn sein vertrauter Vezir Rechmere' von ihm
sagt: ,Der König verstand, was immer geschah; es gab
nichts, wofür er nicht einen Weg wußte; er war Thout
(der Weisheitsgott) in allem; keine Sache gab es, die er
nicht zu Ende führte" ^). Auch seine Gesichtszüge zeigen die
energische Klarheit und innere Sicherheit seines Wesens; er
ist einer der wenigen Pharaonen, die auch jetzt noch innerlich
lebendig vor uns stehn-). Er hat versucht, die besiegten
Dynasten, die er bei der Unterwerfung gnädig aufnahm, an
Ägypten zu binden; ihre Söhne erwachsen am Königshof von
Theben im Zentrum der Weltkultur zu getreuen Anhängern
des Pharaonenreichs. Das ganze Land gilt, wie in den
Amarnabriefen immer wieder ausgesprochen wird, als Eigen-
tum des Königs: „Siehe, mich hat nicht mein Vater und
nicht meine Mutter :iuf diese Stelle gesetzt," schreibt z. B.
Abdchiba von Jerusalem, „sondern der mächtige Arm des
Königs hat mich in das Haus meines Vaters (d. h. in dies
Fürstentum) eingeführt." Gleich nach der Einnahme von Me-
giddo und der Eroberung des Libanongebiets hat Thutmosis
„die Äcker der Feldmark durch Feldmesser des Königshauses
aufnehmen lassen, um ihre Ernte einzuheimsen". Von den
Ernten von Palaestina (Rezenu) und von Phoenikien (Zahij
wird alljährlich eine feste Abgabe von Getreide, Ol, Wein
und Weihrauch erhoben. Gesondert daneben steht der Tribut
des Libanon; wie dieses Gebiet, soweit es nicht dem Amon
') Sethe Urk. 1074, von Breasted, Anc. Rec. II 664 mit Recht her-
vorgehoben.
^) Aus früherer Zeit gilt das gleiche etwa noch von Amenem-
het I., und auch einige der Könige des Alten Reichs lassen sich viel-
leicht noch einigermaßen erfassen. Von den späteren sind außer Ech-
naten noch Amenophis 111., Ramses II. und auch Ramses III. zu
nennen.
136 ni- Die Aufrichtung des äjjyptischen Weltreichs
geschenkt war (o. S. 124 f.), rechtlich gestellt war, ist nicht zu
ersehn. Außerdem haben die Dynasten von Rezenu jährlich
große Abgaben aus allen Produkten des Landes zu liefern,
vor allem zahlreiche junge Sklaven und Sklavinnen, ferner
Pferde, Rinder und Kleinvieh, Weihrauch, Wein und Ol, edle
Hölzer, Gold und Silber, Kupfer und Blei in Blöcken und
Ringen, sowie Elfenbein; dazu die Arbeiten der Industrie,
mit Gold und Silber beschlagene Wagen, Krüge und Schalen,
darunter große metallene Prunkgefäße, die mit Blumenauf-
sätzen geschmückt sind. Auch die Töchter der Stadtfürsten
verlangt der Pharao für seinen Harem. In den Gräbern der
hohen Staatsbeamten sind diese Tribute oft dargestellt; im
Grabe des Vezirs Rechmere' bringen „die Großen von Rezenu
und allen Nordländern von den Grenzen der Erde" ^) außer
den aufgetischten Schätzen und den Prunkgefäßen auch einen
Kriegswagen, ein Roß, einen Bären und einen kleinen Ele-
fanten. Dazu kam die Verpflegung des Heeres an allen
Marschstationen, die Ausrüstung der Hafenstädte mit allem
Proviant „für die Hinfahrt und die Rückfahrt". Zur Siche-
rung der ägyptischen Herrschaft dienten zahlreiche Festungen,
so in Palaestina vor allem Betsean. das den Übergang von
der Ebene Jezre'el ins Ostjordanland sperrte — hier haben
sich Reste eines Tempels aus der Zeit Thutmosis' III. und
Amenophis' III. gefunden — ; ferner die Festungen im Libanon
(o. S. 125) und vor allem am Eingang der Eleutherosebene,
im Süden 'Arqa, im Norden Simyra zur Deckung der Haupt-
straße nach dem Orontes und nach Norden^); Simyra ist
') So. phiiito, hat Hay (Zeichnung im Brit. Mus. uo. 27 710, 39)
noch deutlich gelesen; bei Sethe ürk. 1101, 15 steht fälschlich
phui sätet.
2) Die große Hauptroute nach Syrien geht durch die Küstenebene
Palaestinas, dann über den Karmel nach Megiddo, und von hier über
Akko auf der , Küstenstraße " durch die Phoenikerstädte bis zum Eleu-
theros (Nähr el Kebir), und dann durch dessen Tal entweder nach
Qades oder direkt nördlich über Hamät oder Sinzara nach Aleppo und
zum Euphrat.
Organisation Syriens 137
zugleich der Sitz des Gouverneurs und der Sammelplatz für
die Getreidelieferungen dieses ganzen Gebiets nach Ägypten^).
Hierher gehört wohl auch der „Kommandant der großen
Festung des Meeres (uazuer)" Set-amon, „der die Zustände
der Barbarenlande (fncliu) kennt und die Tribute der Wider-
spenstigen (nhtu qet) in Empfang nimmt, die zu seiner Ma-
jestät kamen, der Kommandant der Festungen des nörd-
lichen Auslandes" -) — leider fehlt auch hier, wie gewöhnlich,
jede genauere geographische Angabe. Diesen Kommandanten
(in den Amarnabriefen ra5?.? genannt)"), sind die Stadtfürsten
(chasan) unterstellt, die jene mehrfach als „Bruder" oder
„Vater" anreden"); daneben finden wir hohe Beamte, denen
die Oberleitung der Provinz von Ägypten aus obliegt. Die
Truppen, Fußvolk und Streitwagen, die ihnen zur Verfügung
standen, waren, wie die Amarnabriefe zeigen, größtenteils
Söldner aus den Kuschiten Nubiens'') und den Serdana der
Mittelmeerwelt. Dazu kamen die auch von den Stadtfürsten
angeworbenen Söldner aus den semitischen Nomadenstämmen,
vor allem Bogenschützen (sutn). Groß ist die Truppenzahl nie
•) Am. 60, 22.
'') Statue in Brüssel: Capart, Rec. 22, 105 ff.
3) Mehrfach erläutert durch die Glosse tiakin pD (7, 77; 256, 9
und Rev. d'Ass. 19, 91 zakin geschrieben) und 131, 21. 23 durch malik
sarri ,Rat (Bevollmächtigter) des Königs".
*) 73. 158. 164. 166.
^) Ribaddi von Byblos sagt in seinen Gesuchen um Entsendung
von Hilfstruppen für Nubien ständig Melucha; nur 131, 13 bittet er
neben 300 Kriegern und 30 Wagen um 100 Leute der inat(7ti KaM,
also von Kus (ebenso vielleicht 127, 22); und in dem verstümmelten
Text 133, 17 scheint er, nach Knudtzon's Ergänzung, Melucha durch
die Glosse Kasi zu erklären (erhalten ist nur . .] ha'^ka [. .). Abdchiba
von Jerusalem redet 287, 33. 72 f. von einem Frevel der KaSiwi (ZI. 72
Kasi geschrieben), also der nubischen Truppen. 49, 20 bittet Samaaddu
um zwei Pagen aus dem Lande Kasi. — Daneben steht Kassi als Be-
zeichnung des Kossaeerreichs von Babel 76, 15. 104, 20, in 116, 71
Kasi geschrieben (vielleicht auch 288, 36 verschrieben in Kapasi). —
vSerdani 81, 16. 122, 35. 128, 15.
138 III- I*iß Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
gewesen, wie übereinstimmend die Annalen Thutmosis' III.
und die Angaben der Amarnabriefe zeigen.
Neben dem Landweg durch die Sinaiwüste bestand die
Verbindung zur See, die vielfach auch zur Überführung der
Truppen benutzt wurde. Daß die Schiffe Phoenikiens zur Ver-
proviantierung und zum Transport der Beute und Tribute ver-
wendet wurden, haben wir schon gesehn. Die Grabinschrift
des Schatzmeisters Sennufe erzählt, wie der König ihn mit
einer Truppe über See nach Byblos schickte, um in den Wäl-
dern des Libanon Zedern zu schlagen^). Derartiges wird oft
genug vorgekommen sein. Der Seehandel und die Industrie
der Phoeuikerstädte wird durch die Zugehörigkeit zum Groß-
reiche wesentlich gewachsen sein. Eine Darstellung aus einem
thebanischen Grabe zeigt ein Geschwader phoenikischer Han-
delsschiffe, das in Ägypten landet und die Waren auslädt, die
von ägyptischen Beamten empfangen und kontrolliert werden:
die Kaufherren, mit langem Haupthaar und Bart, haben über
dem Unterkleid den bunten, reichgestickten Mantel um den
Leib geschlungen, den die vornehmen Syrer tragen, die Ma-
trosen haben kurzgeschorenes Haar und sind nur mit einem
Lendenschurz bekleidet^). Für die nach Ägypten gebrachten
Waren importieren die Phoenikerstädte, so Byblos und Tyros,
aus dem Delta ^) vor allem Getreide; in Fällen der Not, wie
in den Wirren seit den letzten Jahren Amenophis' HL, müs-
sen sie dafür ihre Söhne und Töchter als Schuldknechte hin-
geben.
Daß auch Cypern, das damals ein einheitliches Reich
bildete, an Thutmosis regelmäßig reiche Gaben gesandt hat,
wurde schon erwähnt. In den Amarnabriefen erscheint Cypern
') Sethe, Bar. Berl. Äk. 1906, 356 ff. Urk. 532 ff.
2) Veröffentlicht von Daressy, Rev. arch. 1895 vol. 27 ; danach bei
KösTER, Schiffahrt und Handelsverkehr im 3. und 2. Jahrtausend, Beiheft I
zum Alten Orient, 1924. Leider ist das Gemälde gleich nach der Auffin-
dung zerstört, s. W. M. Müller, Mitt. Vorderas. Ges. 1904, 2 S. 28.
*) In den Amarnabriefen führt das Delta durchweg den nicht
erklärbaren Namen Jarimuta.
Seehandel. Phönikien, Cypern, Kreta 139
(Alasia) als selbständiges Reich ^), sein König schreibt an den
von Ägypten als seinen Bruder, und wenn er ihm fortdauernd
große Massen Kupfer schickt, so erwartet er dafür Gegen-
gaben, vor allem Silber und Öl; eine gewisse Unterordnung
tritt vielleicht darin hervor, daß er weder seinen Namen
noch den des Pharao jemals nennt.
Ähnlich wird das Verhältnis zu den Kaftiern von Kreta
gewesen sein, nicht eine Oberherrschaft, wie die Königsin-
schriften es mit üblicher maßloser Übertreibung darstellen^),
sondern ein andauernd freundschaftliches Verhältnis mit ge-
genseitiger Übersendung reicher Geschenke, also im Grunde
*) Thutmosis III. nennt Cypern durchweg 's* [geschrieben mit
dem Silbenzeichen 's, das auch den Lautwert sb hat und im Dekret
von Kanopos (Sethe ürk. der griech. -röm. Zeit 131, 9) offenbar so
aufgefaßt wird, da hier Küi^po«; durch dies Zeichen mit der Ergän-
zung -binait wiedergegeben wird, also Sebinai(t), vgl. W. M. Mülleh,
Asien und Europa 336; wie man dies Wortungeheuer gesprochen hat.
wissen wir nicht]. Später kommt 'si nur noch in Völkerlisten vor.
Alasia = äg. 'rs (hierat. Bemerkung zu Am. 39) erscheint außer in den
Amarnatexten vielfach unter der 19. und 20. Djn. sowie in dem Reise-
bericht des Wenamon. Daß es Cypern, also mit 'si identisch ist [dies
wird eine verkürzte Schreibung sein; in einer Liste Sethos' L LD. III
131a stehn beide Namen nebeneinander], woran die Produkte und
die maritime Lage keinen Zweifel lassen, wird durch den Kult eines
ApoUon Alosiotas (in kypr. Silbenschrift, phoen. onV'lbK rj-zri) in Ta-
massos bestätigt; die gelegentlich, so von Oberhummer bei Pauly-
WissowA XII 86, dagegen geäußerten Bedenken sind ohne Bedeutung.
^) So sagt Amon zu Thutmosis IIT. in der sog. , poetischen Stele",
wo alle angeblich unterworfenen Länder aufgezählt werden : „Ich bin
gekommen und lasse dich das Westland niedertreten, Kafti und Cypern
stehn unter deiner Gewalt", und ebenso „die Bewohner der Inseln
des großen Meeres". Ähnliche Ausdrücke bei Hatsepsut o, S. 105. Auf
einer von Th. III. dem General Thouti geschenkten Goldschale heißt
es von diesem, daß er „die Wünsche des Königs erfüllt auf jedem
Fremdland und den Inseln im großen Meer", Sethe ürk. 999. [Dieser
Thouti ist der Held einer Sage, in der er durch List den rebellischen
Fürsten von Joppe tötet und seine Stadt wiedergewinnt: Er.man, Lit. der
Äg. 216 f.] Im Grabe des Amenemheb (Sethe S. 908) sagen die tribut-
bringenden syrischen Fürsten zum König: „die Furcht vor dir dringt
in alle Fremdlitnder, Kaftu . . ." (der Rest ist zerstört).
140 1^1- Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
nur eine andere Form des staatlichen Tauschhandels, nicht
anders als bei den Beziehungen zu Cypern, Mitani, Babel,
Assur und den Chetitern. Die Gesandtschaften, welche diese
Gaben überbringen, sind in den Magnatengräbern dieser Zeit
mehrfach dargestellt (s. o. S. 107); da sich die Begrüßung des
Königs natürlich auch hier in der Form der Proskynese, der
fußfälligen Verehrung mit Küssen des Erdbodens, vollzog, war
die Gleichstellung mit den wirklich untertänigen Völker-
schaften umso leichter.
Die Inschriften Thutmosis" III. reden wiederholt von
seinen Siegen über die Völker des Südens und geben lange
Listen der von ihm Besiegten, .,der Südvölker und der Trogo-
dyten Nubiens, unter denen er ein großes Gemetzel anrichtete,
deren Zahl nicht ermittelt ist, und deren Hörige er als Ge-
fangene nach Theben führte, um das Arbeitshaus seines Vaters
Amon-re' zu füllen". An der Sjiitze steht Kusch; dann folgen
in regelloser Folge zahlreiche Gaue, darunter Uauat, Mazoi,
Punt und z. B. das bei Hatsepsuts Expedition erwähnte 'Arem,
aus dem mit den Tributen im Jahre 34 auch der Sohn des
Häuptlings nach Ägypten geschickt wurde, wie die Söhne der
syrischen Fürsten. Genauer zu lokalisieren ist kaum einer von
diesen Namen; die Abbildungen in den Gräbern zeigen, daß
es sich um zwei grundverschiedene Rassen handelt, schwarze
bartlose Neger mit kurzem wolligem Haar, in dem eine Feder
steckt, und mit Ohrringen, und braune Hamiten mit einer
den Ägyptern und Puntiern ähnlichen Gesichtsbildung, mit
langem Haar und spitzem Kinnbart. An größere Kämpfe ist
nicht zu denken; wohl aber wird es im Wüstenplateau bis zum
Roten Meer mit seinen Goldminen und Karawanenstraßen
nie an Räubereien und an Versuchen der kriegerischen Stämme
gefehlt haben, das fremde Joch abzuschütteln und die Bauern
des Flußtals auszuplündern : das gab dann Anlaß zu Kriegs-
zügen und Razzias, bei denen Scharen von Sklaven fort-
geführt wurden. Der König selbst hat an diesen Kämpfen
kaum je teilgenommen außer im Jahre 50, wo er, wie früher
sein Vater, den wieder durch Felsblöcke verstopften Kanal
Die nubischen Provinzen 141
durch den ersten Katarakt aufs neue reinigen ließ und auf der
Rückkehr vom Kampfe durchfuhr^). Das Niltal selbst bis nach
Napata und bis zum vierten Katarakt hinauf, in zwei Bezirke,
in Uauat, d. i. Unternubien bis zum zweiten Katarakt, und
Kusch, d. i. das Tal von Dongola, geteilt, war jedenfalls fest
in den Händen des Reichs und seines Statthalters, des „Kö-
nigssohns von Kusch". Die jährlichen Ernteabgabeu sind iu
derselben Weise geordnet wie in Syrien. Dazu kamen die
sonstigen Leistungen, die in den Grabgemälden oft darge-
stellt sind^): Sklaven, Rinder mit mächtigen Hörnern, deren
Spitzen durch aufgesetzte Hände von Holz gesichert sind, Gold
in Ringen und Barren, Ebenholz, Elfenbein, Pantherfelle.
Straußeneier und Straußenfedern, dazu lebende Panther, Gi-
raffen, Affen, sowie Jagdhunde; ferner die Produkte des in
seiner primitiven Art, genau wie gegenwärtig, nicht unent-
wickelten Kunsthandwerks der Neger, Schilde, geflochtene
Körbe, getriebene Schaustücke von Goldblech mit Nachbil-
dung von Blumen und Sträuchern. Zahlreiche Weiber und
Kinder begleiten den Zug: die kleinen Kinder werden von
den Negerfrauen auf dem Rücken in Körben getragen. Auch
ein prächtiger mit Rindern bespannter Streitwagen fehlt nicht,
auf dem der hellfarbige Häuptling unter einem Sonnen-
schirm einherfährt. Eine Inschrift an den Felsen von Ibrim
in Unternubien (äg. Me'am) berichtet, wie für den Trans-
port dieses Tributs nicht weniger als 2667 Mann gebraucht
wurden^).
Daneben geht ständig fortschreitend die Kolonisation Nu-
biens einher, überall verbunden mit der Erbauung von Tem-
peln, zu denen natürlich städtische Ansiedlungen gehörten.
') Sethe Urk. 814.
^) Zu den früher erwähnten Gräbern kommt aus späterer Zeit
vor allem das Grab des Hui unter Tut'anch-amon LD. III 116 ff.; hier
wird auch eine Reihe von ägyptischen Grafen und Festungskomman-
danten genannt: Brugsch, Thes. V 1140. Breasted, Am. Reo. II 1041.
') Breasted, The Temples of Lower Nubia, Amer. J. of Semit.
Lang. 23, 1906, p. 38 f.
142 III. Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
die, wie in Ägypten, von Grafen oder von Festungskomman-
danten verwaltet werden. Schon in seinen ersten Jahren,
als tatsächlich Hatsepsut das Regiment führte, hat Thutmosis
den Tempel des zum Landesgott von Uauat erhobenen Se-
sostris III. in Semne (o. S. 80), und gegenüber in Kumme
einen des Clinum, in Buhan (Wadi Haifa) einen des Horus
erbaut; später folgen im Jahre 51 weiter abwärts die Kapelle
in der Grotte von Ellesie bei Ibrim und der von seinen
Söhnen und Enkeln vollendete Tempel des Har'achte in
Amada, und im „Zwölfmeilenlande" oberhalb des ersten Kata-
rakts der von Amenophis IL erbaute von Kalabse. Spär-
licher sind die Anlagen in Obernubien. Auf der Insel Säi,
in der Mitte zwischen dem zweiten und dritten Katarakt,
hat der „Königssohn von Kusch" Nehi, der auch sonst die
Bauten Thutmosis' III. leitete, eine Festung mit einem Tempel
angelegt ; etwas weiter oberhalb, am Gebel Dose bei Soleb, ließ
der König eine Felskapelle erbauen. Dann hat Amenophis III.
in Soleb einen prächtigen Tempel gebaut, in dem er als
Landesgott verehrt wurde, wie etwas weiter abwärts in Se-
deinga seine Gemahlin Teje. Die bedeutendste Ansiedlung
der Ägypter aber war Napata, die südliche Grenzstadt des
Reichs, wo Amon ein großes Heiligtum am „heiligen Berge"
Barkai erhielt; sie wird geradezu als ein zweites Theben be-
zeichnet. Von den hier errichteten Bauten des ägyptischen
Reichs hat sich nichts erhalten; sie sind durch die Neuge-
staltung unter der Äthiopenherrschaft geschwunden.
Von Libyen ist unter Thutmosis III. kaum je die Rede ^) ;
umso mehr dagegen von Punt und seinen „Wunderprodukten",
Weihrauch, Myrrhen und Gold; ferner Ebenholz, Elfenbein,
Pantherfelle, Straußeneier und seltsame Tiere aller Art. In-
dessen eine Provinz des Reiches ist es nicht gewesen, son-
') Der Tribut von Libyen (Zehenu) wird m. W. nur in der In-
schrift von Wadi Haifa aus dem J. 23, Sethe 809, 8 erwähnt, seine
Untertänigkeit poet. Stele 19, wo neben Zehenu die sonst nicht be-
kannten „Inseln der Wezentiu" stehn. Zehenu auch in der Liste der
Südvölker no. 88. Über die Oasen s. o. S. 82.
Tempelbauten in Nubien. Pant 143
dern steht zu ihm etwa wie Cyperu, nur daß in dem Ver-
kehr mit dem weit abgelegenen Lande immer wieder große
Pausen eintreten. In den Annalen des Königs werden gegen-
über den regelmäßig eingehenden Tributen von Syrien, Uauat
und Kusch Expeditionen, die die Produkte von Punt bringen,
nur unter den Jahren 33 und 38 erwähnt^), und nicht anders
wird es auch unter den folgenden Regierungen gewesen sein.
Umso lieber werden die Gesandtschaften, die mit ihren Gaben
von dort kommen, in den Gräbern dargestellt; dies „Götter-
land" ist für die Ägypter mit dem Nimbus des Geheimnis-
vollen umgeben.
Kaum der Erwähnung bedarf, daß die Minen auf der
Sinaihalbinsel wieder in vollem Betrieb waren 2).
Das Reich, das Amon von Theben seinem Sohn Thut-
mosis III. und dessen Nachfolgern verliehen hat, ist das erste.
das wirklich auf den Namen eines Weltreichs Anspruch er-
heben kann. Es hat, trotz mancher Wechselfälle, ein Viertel-
jahrtausend lang bestanden und die verschiedenartigsten Ge-
biete und Kulturen zusammengefaßt. Dadurch, daß diese
Kulturen wirklich in Wechselwirkung zueinander treten,
unterscheidet es sich ebensosehr von den älteren Reichen
Ägyptens und Babyloniens, die den gleichen Anspruch er-
hoben haben, wie durch den Umfang seines Gebiets und
durch die straffe und in den Grundzügen noch wohlerkenn-
bare Organisation, die seinen dauernden Bestand ermöglicht
') über die Gesandtschaft der Gnbtu im J. 31 s. o. S. 120, Anm.
') Im Osten Ägyptens, bei Sile, muß damals auch eine kultivierte
Oase mit Gartenland und Weinbau gelegen haben, die ^oruswege"
(vgl. Bd. I 227), deren Abgaben Puemre^ von einem Oberweingärtner
der Einkünfte des Amon empfängt (Sethe Urk. 523) und in der der
Vater des Sennufe Beamter war (Sethe .547. 4). Vgl. Erman. ÄZ. 43, 72 f.
[Die dort von Sethe ausgesprochene Bestreitung der Identität mit
den Horuswegen bei Sile erscheint mir unbegründet; der Distrikt,
etwa am Ballachsee, kann später sehr wohl, wie so manche Oasen, ver-
sandet sein. Am Süßwasserkanal vom Wadi Turailät nach Suez finden
sich auch jetzt zahlreiche Streifen bebauten Landes, ebenso bei Is-
mailije.]
144 III Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
hat. Es ist, im Gegensatz zu jenen, die Schöpfung einer
modernen Kultur, die über reiche Mittel verfügt und die
eben dadurch, daß sie sich in dem Großreich auswirken kann,
auf den Höhepunkt ihrer Entwicklung gelangt.
Zugleich aber ist dieses Reich ein ganz eigenartiges
Gebilde, das in aller Weltgeschichte nicht seinesgleichen hat.
Es erstreckt sich über mehr als 18 Breitengrade, von Napata
in den Tropen bis nach Nordsyrien; aber es kennt im Grunde
— denn die Wüstengebiete zu beiden Seiten des Nils, mit Aus-
nahme der Goldminen Nubiens, haben für das Reich keine
aktive Bedeutung — nur diese eine Längendimension von Süd
nach Nord. Selbst im Delta und in Syrien ist das Kulturland
kaum irgendwo breiter als 10—12 Meilen; im Niltal Ägyptens
beträgt die durchschnittliche Breite kaum mehr als 2 Meilen
und schrumpft oberhalb Thebens und vollends in Nubien auf
einen schmalen Ufersaum zusammen. Die Hauptstadt The-
ben, von der aus die Geschicke des Reichs geleitet wurden,
liegt nahezu im Mittelpunkt dieser Längsausdehnung. Auf
der Heerstraße zunächst im Niltal nach Memphis, dann von
hier zur Grenzfeste Sile auf der Landbrücke el Qantara
zwischen dem Menzale- und dem Ballachsee durch die
Sinaiwüste nach Gaza und weiter auf der Küstenstraße, und
dann durch das Eleutherostal nach Nordsvrien, beträgt der
Weg von Theben bis nach Neje oder zum Euphrat etwa
1800 Kilometer, von Theben bis Napata im Niltal etwa
1400 Kilometer^). Man muß sich diese Entfernungen an-
schaulich machen, um richtig zu erfassen, welche Energie
und welche Durchbildung der Organisation dazu gehört hat,
das Reich dauernd zusammenzuhalten, die Operationen der
Truppen zu sichern, die geregelte Überführung der Tribute
und der Gesandtschaften, den geordneten Verlauf der Ver-
waltung in Gang zu halten und ständig zu kontrollieren.
0 Von Theben bis Kairo mit der Bahn 674 km, von Kairo bis
Elkantara etwa 180 km, von hier bis Gaza ca. 240, von da bis Aleppo
ca. 700 km; von Theben bis Assuan mit der Bahn 213 km, von hier
bis Semne 420 km, von hier bis Napata im Niltal ca. 800 km.
Charakter und Organisation des Weltreichs 145
Von der Konzentration der gesamten Verwaltung gibt eine
Darstellung im Grabe des „Vorstehers der Kornmagazine "
Cha'enihet unter Amenophis III. ein anschauliches Bild: beim
Seifest, in dessen '60. Jahre, überreicht er dem König „die
Abrechnung über den Ernteertrag des hohen Nilstandes beim
Jubiläum durch die Vorsteher der Magazine des Pharao und
die Beamten des Südens und Nordens von Kusch bis zur
Grenze von Naharain" ; die Beamten werden belohnt, „weil sie
die Ernte (d. h. die Abgabe davon) erhöht haben", während
er selbst mit dem „Golde" bekleidet wird; der Gesamtbetrag
wird mit der seit alters bei den Ägyptern beliebten Zahlen-
spielerei auf 33, 333, 300 (Scheffel) angegeben^).
Rings um das Reich hausen in Afrika die nomadischen
Stämme der Steppe und Wüste, Libyer, Neger, Bedja und
andere Hamiten, und weiter die Beduinen der Sinaihalbinsel
und der syrisch -arabischen Steppe. Sie alle werden vom
Pharao in ununterbrochenen kleinen Fehden im Zaum ge-
halten und liefern zugleich außer großen Sklavenmassen auch
brauchbare Soldtrup[)en. Die See gibt die Verbindung mit
der ägaeischen Welt und ihrer Kultur. In Asien steht das
Reich in unmittelbarer Berührung mit den Kulturstaaten
ringsum, Babylonien, Assyrien, Mitani, dem Chetiterreich. Sie
alle mußten die Aufrichtung der ägyptischen Herrschaft über
Syrien als einen Einbruch in ihren Machtbereich empfinden;
wie der Fürst von Mitani bei der Organisation des Wider-
standes mitwirkte, mögen auch Agenten des Kossaeerkönigs
von Kardunias hier tätig gewesen sein, dessen altererbter
Anspruch auf die Oberhoheit über Syrien dadurch beseitigt
ist. Hätten sich alle diese Staaten zu gemeinsamem Handeln
verbunden, so hätten sie vielleicht dem Vordringen des Pharao
erfolgreich entgegentreten können. Aber eine derartige Ko-
alition war bei der zwischen ihnen bestehenden Rivalität nicht
') LD. III 76, 77. LoRET, Mem. miss. fran?. I 120. Dieselbe Spielerei
kehrt wieder in der bekannten Angabe Theokrits 17. 82 ff , Ägypten
habe unter Ptolemaeos II. 83 333 Städte gehabt. Bei Diodor I 31 ist
diese Zahl auf „mehr als 30 000" abgerundet.
Meyer, Geschichte des Altertums. II'. 10
140 III- I^iß Aufrichtung des Ugj^ptischen Weltreichs
möglich; und vereinzelt waren sie alle zu nachhaltigem Wider-
stände zu schwach. Die Überlegenheit Ägyptens beruht nicht
nur auf seiner militärischen Organisation, sondern mehr noch
auf den gewaltigen materiellen Mitteln, die dem Reich zur
Verfügung stehn, sowohl in den Erzeugnissen der Industrie
und des Kunstgewerbes, wie vor allem in den unerschöpflichen
Metallschätzen, darunter in erster Linie dem Golde, bei dem
jetzt zu dem Ertrage der nubischen Bergwerke noch die
reichen Goldmassen aus Punt hinzukommen. Keiner der an-
deren Staaten kann darin auch nur von fern mit ihm kon-
kurrieren; und so haben sie alle seine Suprematie als un-
vermeidlich gegeben hingenommen und es vorgezogen, durch
gefügiges Entgegenkommen von ihm zu profitieren. Wir haben
gesehn, wie die Könige von Babel, Assur, Cypern, dem
„großen Chetiterlande" und Arrapcha wiederholt reiche Ge-
schenke an Thutmosis senden, die dieser natürlich als schul-
digen Tribut darstellt; aber es kann nicht zweifelhaft sein,
daß dem, wie später in der Amarnazeit, mindestens ebenso
reiche Gegengaben von selten des Pharao gegenüberstanden.
Der geregelte, wenn auch nicht selten durch längere
Pausen unterbrochene diplomatische Verkehr, der dadurch
entstanden ist, erfolgt, wie schon erwähnt, durchweg in baby-
lonischer (akkadischer) Sprache und Schrift, auch mit Alasia;
nur ganz vereinzelt schreiben die Könige von Mitani und
dem Chetiterlande auch einmal in der eigenen Sprache. Auch
der Pharao muß sich dieser fremden Sprache bedienen und
dafür Kanzlisten ausbilden. Darin gelangt die enge Be-
rührung, in die die beiden uralten Kulturen des Orients jetzt
getreten sind, lebendig zum Ausdruck.
Die Nachfolger Thutmosis' lli. Das Reich unter Amenophislil.
Thutmosis III. ist um 1450, gegen Ende des 54. Jahres
seiner offiziellen Regierung, am letzten Phamenot (März), ge-
storben. Der Tod des großen Kriegsfürsten gab das Signal
zu einem Aufstande in Syrien. Aber sein Sohn Amenophis IL
Ameiiophis II. 147
hatte den kriegerischen Geist seines Vaters geerbt; er rühmt,
daß weder in seinem Heere noch unter den Fürsten Syriens
ein einziger imstande sei, seinen Bogen zu spannen. Im
Frühjahr des nächsten Jahres M zog er gegen die Rebellen,
eroberte die Stadt Sams-edom in Palaestina, unterwarf das
Libanongebiet, und zog über den Orontes zum Euphrat.
Ernstlichen Widerstand wagte man nirgends; ,die Fürsten
von Mitani kamen mit ihren Abgaben auf dem Rücken zu
ihm, um von ihm den Lebensatem zu erflehn, ein großes
Ereignis, wie man es seit der Götterzeit nie gehört hat".
Als er auf dem Rückmarsch an Neje vorbeizog, „standen
alle Asiaten dieser Stadt, Männer und Weiber, auf der Mauer,
ihn zu verehren". Die Stadt 'kt, vielleicht Schreibfehler für
Ugarit, die versucht hatte, die ägyptische Garnison zu über-
wältigen, wurde gezüchtigt; im Bezirk von Tachas in Coele-
syrien (o. S. 132) erschlug er vor Amon sieben rebellische
Fürsten, deren Leichen, wie die des Trogodytenhäuptlings
unter Thutmosis L (o. S. 79), am Bug des Königsschiffes
mit dem Kopf nach unten mitgeführt, sechs an der Mauer
von Theben, eine an der von Napata in Nubien aufgehängt
wurden. Außer reicher Beute wurden 550 Marjanni mit ihren
Weibern nach Ägypten gebracht '0-
') Mit Recht hat Breasted, Anc. Rec. II 782 den fragmentarischen
Bericht über den Feldzug (Maspero, ÄZ. 17, 56. Erman, ÄZ. 27, 89.
Lei. RAIN, Annual IV) ins 2. Jahr des Königs gesetzt: da Thutmosis III.
am 30./7 starb, konnte Amenophis II. unmöglich schon am 26-/9 des-
selben Jahres am Orontes sein. — Die Annahme von Sethe, Unters. I ob
und Breasted, Anc. Rec II, 184, Am. IL sei von seinem Vater zum Mit-
regenten erhoben worden, steht im Widerspruch zu dem Bericht des
Amenemheb über den Thronwechsel, und kann dadurch, daß Am. IL
dem Nebu'aui eine Statue „seines Vaters Th. III." schenkt und dieser
hier den Zusatz „ewig lebend" erhält (Marietie, Abydos II 33), nicht er-
wiesen werden. Am Tempel von Amada hat Am. IL nicht gleichzeitig mit
seinem Vater gebaut, sondern dessen Hauten fortgeführt, s. Breasted,
Temples of Lower Nubia, Amer. J. of semit. Lang. XXIII 1906, 48 ff.
') Das Material bei Breasted. Zu dem nur verstümmelt erhaltenen
Bericht gehört eine Liste von 24 besiegten Gebieten (Legrain, Ann.
148 Il'f- I*^^ Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Von weiteren Feldzügen Amenophis' IL hören wir nichts,
obwohl er lange, etwa bis 1415, regiert zuhaben scheint').
In diese Zeit fällt ein neues Vordringen des Mitanireichs
nach Nordsyrien (s. u. S. 157 f.), gegen das die Ägypter nichts
Ernstliches unternommen zu haben scheinen; vielmehr ist ein
Friedens- und Freundschaftsvertrag mit diesem Reich ge-
schlossen worden, der die Grenze regelte.
Amenophis' II. Sohn Thutmosis IV. ist dann noch einmal
nach Nordsyrien (Naharain) gezogen und hat die Tribute in
Empfang genommen, aber offenbar mit Mitani Frieden ge-
halten. Die rebellische Stadt Gazer in Palaestina hat er be-
siegt und hier in der Festung Choriter angesiedelt. In seinem
V .34. W. M. MüM.EB, Eg. Res. I pl 54 f.), in der erkennbar sind: Ober-
und Unterrezenu, Chor, . . . Qades, Chaleb, Neje, Sensar, Tunip, Qa Ina,
Chasor, Tachas, Aqitu ('?).
') Das höciiste erhaltene Datum ist sein 5. Jahr [das Datum J. 26
auf einem Weinkrug, Petrie, Six temples pl. 5, bezieht Griffith, Proc.
Soc. Bibl. Arch. 1909, 42 vielleicht mit Recht auf Am. III.]. Nach den
Daten für Thutmosis III. und Amenophis III. liegen zwischen beiden
einige dreißig Jahre, und Thutmosis IV. (höclistes Datum J. 8) kann nicht
sehr lange regiert haben, da er jung gestorben ist. So bleiben für
Am. II. weit über 20 Jahre. Einen weiteren Anhalt bietet, daß der heute
vor dem Lateran stehende Obelisk von Th. III. begonnen und dann 35 Jahre
liegen geblieben ist, bis Th. IV. ihn vollendete — leider gibt er nicht
an, in welchem Jahr. Falls die Arbeit durch den Tod Th.' III. unter-
brochen wurde, so würde auf Am. IL vielleicht dieser ganze Zeitraum
fallen. Andrerseits fallen die 36 Jahre Amenophis' III. rund 1405 .bis
1370 (s. u. S. 341). Wir werden also Amenophis IL rund 1450—1415,
Thutmosis IV. 1415— 1405 anzusetzen haben. Dazu stimmen annähernd
die manethonischen Daten (o. S. 78): Thutmosis (IV.) 9 J. 8 Mte.,
Amenophis IL 30 J. 10 Mte., Horos (= Amenophis III.) 36 J. 5 Mte., nur
daß die beiden ersten ihre Stelle vertauscht haben. Daß das Intervall
nicht größer gewesen sein kann, bestätigen die Biographien des Zanni
(Sethe Urk. 1004), der unter Th. IL, Am. IL. Th. IV. diente, des Amen-
mose (Sethe 1021 f.), der mit dem Wedel vor Th. III. und noch vor
Am. III. steht, des yaiemhab (LD. III 78a. b), der unter Th. IlL ge-
boren ist und unter Am. IL, Th. IV., Am. III. gedient hat. [Hier steht
hinter allen drei Namen nicht ma'achru, sondern tu 'onch, obwohl die
beiden ersten verstorben sind; das ist für analoge Inschriften zu be-
achten.!
ThutmosisIV. Amenophis III. 149
8. Jahr hat er einen Aufstand der Neger in Uauat nieder-
geworfen. Auf seinem uns erhaltenen Wagenkasten 0 ist dar-
gestellt, wie er auf dem Streitwagen mit Pfeil und Kriegsaxt
oder als Königslöwe alle Feinde niederwirft; als bezwungen
sind, mit scharf erfaßten Porträtköpfen (vgl. o. S. 103), dar-
gestellt Naharain, Sinear, Tunip, die Sos-beduinen, Qades und
Tachas sowie sechs Negerstämme.
Thutmosis IV. ist in jungen Jahren gestorben^); ihm
folgte sein Bruder Amenophis III., der 36 Jahre lang, ca. 1405
bis 1370, das Weltreich beherrscht hat. Der einzige Feld-
zug, der in seinen zahlreichen Inschriften erwähnt wird, ist
sein „erster Siegeszug", ein Feldzug nach Kusch im 5. Jahre
seiner Regierung — auch das zeigt, wie friedlich die Zeiten
gewesen sind. Zur Zeit des höchsten Wasserstandes, im
') Carter u. Neuberrv, Tomb of Thutmosis IV. Fremdvölkerphot.
13—27. 243. 244. — Daß die sog. Sphinxstele, die erzählt, wie dem
Th. IV. als Prinzen an dem großen Sphinx von Gize im Schlaf der in
ihm hausende Gott Harmachis erscheint und das Könii.tiim versprii ht,
ein Piiestermärchen aus späterer Zeit ist, 1 at Er.man, Ber. Berl. Ak. 1904,
428 ff. und lOfiS f. gezeigt. Die Einwände Spiegelberc's, Or. Lit. Z. 1904,
268 ff. 343, haben mich nicht überzeugt; inhaltlich hat die Inschrift
eine Paiallele in der l-!entie«stele und in Babjlonien in der gleichfalls
legendarischen Inschrift Sargons Bd. I 397.
^) Nach sicheren anatomischen Meikmalen seiner Mumie ist er
noch nicht 2-5 Jahre alt geworden (G. Elmot S-uth und Daressy, Ann.
du serv. IV 110 ff".): Amenophis III., der schon in seinem 2. Jahre die
Teje heiratet, kann also nicht sein Sohn, sondern nur sein Bruder ge-
wesen sein. Da er in der Bauinschrift von Elkab, LD. 11180 b, den Th. IV.
seinen Vater nennt {ebenso in der Inschrift des yaremhab, LD.III 78a),
wird er von diesem adoptiert worden sein; im Amarnabrief 51. 4 heißt
Manachbija. d. i. Thutmosis III.. koirekt sein Großvater. Seine Mutter
Wutemua kann also nicht GemaMin Th.' IV. gewesen sein [als solche
wird sie auch niemals bezeichnet]; ebensowenig ist sie na'ürlich ii.it
der M taniprinzessin, Tochter Artatämas, Am. 29, 16, identisch, wie man
oft angenommen hat (dagegen mit Recht Pridik, Mutemwija, Dorpat
1924). — Sehr wichtig ist, daß Thutmosis IV. das Setfest zweimal ge-
feiert hat (Bre'Sted, Temples of Lower Nubia, Amer. J. of Sem. Lang.
XXIII, 1906, p. 51), ein weiterer Beleg dafür, daß dieses Fest für die
Chronologie nicht verwendet werden kann, vgl. Bd. 1 212 A. 277 A. S. SGL
150 ^^^- ^^^ Aufrichtung des ägj'ptischen Weltreichs
Oktober, in den sein Krönungsfest fiel, fuhr er mit der Flotte
nach Nubien. Die Gefechte, bei denen etwas über 1000 Neger
erschlagen oder gefangen wurden, werden in üblicher Weise
als glänzende Siege geschildert. Er wird auch in einige der
schwer zugänglichen Täler zur Seite des Flusses eingedrungen
sein, in denen die räuberischen Wüstenstämme immer von
neuem versuchten, sich den Ordnungen des Kulturstaats zu
entziehn. Aber wenn der König sich rühmt, „er habe seine
Grenze so weit gesetzt wie er wollte, bis zu den vier Pfeilern
des Himmels", so ist er doch im Niltal schwerlich über
Napata hinaus in die unzugänglichen Gebiete des vierten
Katarakts vorgedrungen; nirgends findet sich hier eine Spur
ägyptischer Herrschaft, die Südgrenze des Reichs ist auch
unter ihm die Landschaft Kari.
Die asiatischen Länder hat Amenophis III. niemals be-
treten, trotz seines Rühmens, daß er Rezenu und Naharain
mit seinem Schwerte niederschlage; und ebensowenig Wert
hat es, daß er, wie seine Vorgänger, unter den untertänigen
Gebieten (unter denen auch die Stämme von Libyen und
Kusch sowie Punt nicht fehlen) neben den Namen aus Syrien
und Naharain auch Sinear, Assur und Arrapcha und sogar
die Kafti aufzählt^) — natürlich auf Grund der Geschenke,
die im diplomatischen Verkehr mit diesen Staaten ausge-
tauscht wurden. Das wahre Bild zeigt ein an ihn gerich-
teter Brief des Fürsten von Byblos (Amarna 85, 69), der
ihn dringend bittet, selbst zu kommen und den Übergriffen
des Amoriterfürsten Abdasirta ein Ende zu machen: „seit
dein Vater aus Sidon heimgekehrt ist, seit diesen Tagen
haben die Länder sich an die Beduinen (Gaz) angeschlossen".
Danach ist Thutmosis IV. in dieser Epoche der letzte Pharao
gewesen, der persönlich in Syrien eingegriffen hat.
1) LD. III 88, auf den Säulen von Soleb, sowie Lepsius Text IV 9
aus Karnak.
Amenophis III. Beziehungen zu den Nachbarn 151
Die Beziehungen zu den Nachbarstaaten:
Babylonien, Assyrien, l^itani, das Chetiterreich
Nach dem Tode Thutmosis' III. und der Niederwerfung
des syrischen Aufstundes durch Amenophis II. hat das ägyp-
tische Weltreich zwei Menschenalter lang im wesentlichen
unerschüttert bestanden. An neue Eroberungen und weitere
Ausdehnung über den Euphrat ins innere Asien dachte man
nicht mehr. Die Beziehungen zu den Nachbarstaaten haben
sich freundschaftlich gestaltet. In ihrer durch Gesandtschaften
vermittelten Korrespondenz herrscht strenge Etikette, der
Pharao und die auswärtigen Könige bezeichnen sich als
Brüder, jeder wünscht dem anderen Wohlergehn nebst seinem
ganzen Hause, seinen Magnaten, Rossen und Wagen und
seinem Lande, und berichtet über .sich das gleiche. Burna-
burias von Babel ist empört, daß Amenophis IV. ihm bei einer
Erkrankung nicht geschrieben und seine Wünsche nicht ge-
sandt hat, und läßt sich nur mit Mühe durch die Annahme
beruhigen, daß er infolge der weiten Entfernung nichts da-
von gehört haben werde. Durchaus geboten ist, den Namen
des Adressaten vor dem eigenen zu nennen; ein leider nur
fragmentarisch erhaltener Brief beschwert sich über einen
dagegen begangenen Verstoßt). Zu festigen sucht man die
Beziehungen durch Verschwägerung; aber gerade hier zeigt
sich, daß tatsächlich eine Gleichstellung nicht besteht. Der
Pharao erbittet und erhält bei jedem Thronwechsel die Töch-
ter der befreundeten Könige — namentlich Amenophis III.
') Am. 42, 15 Jetzt deine Tafel . . . warum [hast du] deinen Namen
über meinen [gesetzt?]". Die Vermutung von C. Niebui'R, das Fragment
sei die Antwort Amenophis' IV. auf den Brief des Chetiterkönigs Subbi-
luljuma (41), der sich in der Tat in der Grußformel vor jenem nennt,
ist trotz der Einwände Knudtzon's S. 1094 doch vielleicht zutreöend.
Allerdings nennt Amenophis III. sowohl in dem Brief an Kadasman-
charbe no. 5 (abweichend von no. 1) wie in dem an Tarchundarab von
Arzawa no. 31 seinen Namen voran, so daß der Vorwurf auch an den
Pharao gerichtet sein könnte.
152 HI- I^ie Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
ist darin geradezu unersättlich, seinem Harem geliört die
Schwester und dann die Tochter des Kada^mancharbe von
Babel, die Schwester und dann die Tochter des Dusratta von
Mitani, die Tochter des Tarchundarab von Arzavva an — ;
aber zur Hauptgemahlin, zur regierenden Königin wird keine
von ihnen erhoben, sondern das sind durchweg Ägypterinnen,
unter Amenophis HL Teje, die Tochter eines Privatmanns^).
Wenn dagegen der Babylonierkönig KadaSmancharbe es wagt,
eine ägyptische Prinzessin für sich zu begehren, so wird er
mit der Erklärung abgewiesen: „von alters her wird eine
ägyptische Königstocher an niemand gegeben"; und er schämt
sich nicht, da er empfindet, daß die Bemerkung, Amenophis
sei doch der König und könne tun was er wolle, ohne da&
Jemand darein reden könne, nicht viel nützen wird, ihm vor-
zuschlagen, er solle doch irgend ein schönes Mädchen als
seine Tochter ausstaffieren; dagegen werde er ihm seine
eigene Tochter nicht vorenthalten.
Das Entscheidende sind die gewaltigen Machtmittel und
Reichtümer, über die der Pharao verfügt, und in erster Linie
das Gold, das alle Könige begehren und für Kultbilder
und die Ausstattung der Feste brauchen, und das sie nur,
von Ägypten erhalten können. „In Ägypten", schreibt Dus-
ratta von Mitani, „ist Gold in Menge wie Staub"; und so
bittet er immer von neuem um „viel Gold, so daß es sich
garnicht zählen läßt" '''). In derselben Weise bittet der baby-
lonische König fortdauernd um Gold für die (meistens wohl
kultischen) Werke, die er ausführen läßt. Das übersandte
Gold wird dann im Feuer auf seine Reinheit geprüft, und
mehrfach hören wir den Vorwurf, daß es nicht vollwichtig
sondern legiert sei"'). Auch die Assyrerkönige werden reich-
lich bedacht, z. B. für einen Palastbau ■*). Bescheidener tritt
') Vgl. u. S. 323.
2) Am. 19, 61; 20, 52. 71; 26, 41; 29, 186. 186 Ebenso Assui-
nballit 16, 14.
») Am. 7, 70; 10, 18.
*) Am. 16, 14 flP.; 19 ff.
Vorrang Ägyptens. Das Gold 153
der König von Alasia (Cypern) auf, der sich offenbar halb-
wegs als Vasall des Pharao fühlt; er bittet nur um Silber und
daneben vor allem um ÖP). Im übrigen erfolgen die Ge-
schenksendungen, von denen mehrfach lange Listen erhalten
sind, von beiden Seiten durchweg im großen Stil, sowohl
dem Umfang wie dem Werte nach; auch die Boten und die
Frauen — die gelegentlich an der Korrespondenz gleichfalls
teilnehmen — werden reichlich bedacht. Babylonien sendet
vor allem den hochgeschätzten Blaustein {uknu, Lazur),
Cypern außer Elfenbein, Holz und Getreide große Massen
Kupfers; einmal erfahren wir, daß die Kupfersendung klein
ausfallen mußte, weil „die Hand Nergals (des Pestgottes) alle
Menschen meines Landes getötet hat", darunter auch den
Sohn des Königs"), so daß die Kupferbergwerke nicht bear-
beitet werden konnten; auch der ägyptische Gesandte wurde
dadurch drei Jahre lang festgehalten.
Mit Babylonien, dem Reiche Kardunias, gehn die ge-
regelten Beziehungen bis auf Karaindas I. zurück, den sech-
zehnten in der Reihe der kossaeischen Herrscher^); er ist einer
der Nachfolger des Königs von Sinear, dessen Geschenke
Thutmosis HI. erwähnt (o. S. 128), und gehört wohl in die
Zeit Amenophis' IL Mit ihm setzen, nach einer Lücke von
zwei Jahrhunderten, die spärlichen Urkunden aus Baby-
lonien wieder ein. Auf einem Ziegel vom Tempel Eanna der
Nanaia von Uruk nennt er sich „der mächtige König, König
von Babel, König von Sumer und Akkad, König der Ka^.sü,
König von Kardunias", berücksichtigt also in seiner Titu-
•) Am 34. 35. 37.
2) Am. 85, 10 if.; 37 f.
5) Am. 10, 8 (Vgl. Bd. I 4fiO). Bauziegel IV R 38, 3 f. Erwähnt
wird er not h in der ersten Angabe der sog. „synchronistischen Geschichte"
(Bd. I318A.). Ich bemerke gleich hiei-, daß der Name des Karaindas IL
in dieser einmal (col. I 8j in Karach.irdas verschrieben ist; die lichtigeie
Namensfurm geben col. I 14 und die Chronik P. Alleidings steht auch
in dem Biieflragment bei ScHROEf er, Keilschiifttexte aus Assar ver-
schied. Inhalts no. 97 [Karajchardas.
154 III- I^iö Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
latur noch den herrschenden Volksstaram, allerdings abwei-
chend von den älteren Königen der Dynastie an letzter
Stelle; bei seinen Nachfolgern werden die Kossaeer im
Königstitel überhaupt nicht mehr genannt, obwohl sie immer
noch die herrschende Kriegerschicht bilden. Man sieht, wie
sich das Reich wenigstens äußerlich immer mehr babyioni-
siert. An innerer Kraft freilich hat es nicht gewonnen.
Das Geschäftsleben bewegt sich in den herkömmlichen Formen
weiter^), und auch die überlieferte Kultur und Religion wird
fortgesponnen; aber irgend etwas Neues hat sie, in schrofistem
Gegensatz zu Ägypten, all diese Jahrhunderte hindurch nicht
geschaffen; besäßen wir Kunstdenkmäler aus dieser Zeit,
so würde uns der fortschreitende Verfall zweifellos drastisch
entgegentreten. Die weltgeschichtliche Rolle Babyloniens ist
eben mit dem Ende der ersten Dynastie von Babel ausge-
spielt, nur die erstarrten Formen schleppen sich inhaltslos
weiter.
So war denn auch an ein kraftvolles Auftreten nach
außen nicht zu denken. Als die Kana'anaeer sich gegen Ägyp-
ten empören wollten^) und sich deshalb an Kurigalzu IL, wahr-
scheinlich den zweiten Nachfolger des Karaindas, wandten,
hat dieser das Gesuch abgelehnt und an der Verbindung
mit Ägypten festgehalten^). Über die Beziehungen zu Elam
') Daß die Geschäftsurkunden aus Nippur (Bab. Exped. XIV. XV.
XVII.) erst mit Burnaburias einsetzen, ist lediglich Zufall der Erhaltung.
Die Erklärung, daß Nippur zeitweilig nicht zum Reiche gehört habe,
ist unhaltbar; denn wenn das und nicht der Zufall die Ursache wäre,
■würden uns nach anderen Herrschern datierte Urkunden erhalten sein.
-) Am. 9, 19. Dieser Vorgang gehört vielleicht schon in die Zeit
der Erhebung Abdasirtas.
') Die vielbesprochenen Schwierigkeiten, welche die Herstellung
der babylonischen Königsliste an dieser Stelle bietet, scheinen mit
unserem dürftigen und widerspruchsvollen Material nicht sicher lös-
bar. Der Tatbestand ist folgender:
1. Die babylonische Königsliste A (Bd. I 32-5) gibt die Namen
der Kossaeerkönige von no. 24 Kadasmanturgu (1296 — 1280) ab; vor-
her sind noch die Zahlen 22 (oder höher) und 26 Jahre erhalten, deren
Babylonien unter den Kossaeern 155
fehlt uns aus dieser Zeit jede Kunde. Im Tigrisgebiet gehörten
die Landschaften bis zum Diäla hinab den Patesi's von Assur,
die damals unter der Oberhoheit des Mitanireichs standen
Zuweisung an no. 22 Kurigalzu IH. 1344—1323 und 23 Nazimaruttaä IL
1322-1297 sicher ist. Bestätigt werden Königsfolge und Jahieszahlen
von Kurigalzu III. an durch zahlreiche Geschältsurkunden aus Nippur
(Clay, Bab. Exped. XIV); vorher liegen noch die nach Burnaburias
datierten (mindestens 25 J.).
2. Die Amarnabriefe enthalten die Korrespondenz des Kadasman-
charbe (geschrieben Kadasmanenlil) mit Amenophis III., dfs Burna-
burias mit Amenophis III. und IV. Nun nennt Burnaburias, Am. 9, 19 ff-
(vgl. 11 rev. 19), als „meinen Vater", der mit Am. III. in Verbindung
stand, den Kurigalzu, und nach der Fassung des Briefes ist es, wie
vor allem Schnabel, Mitt. Vorderas. Ges. 1908, 1 S. 1290 ff., betont
hat (ebenso Weber zu den Amarnabriefen S. 1029, u. a.), kaum
möglich, das anders als wörtlich zu verslehn [allerdings nennt auch
Assur uballit, Am. 16, 19, den Assur nadinache „mein Vater", obwohl er
nicht einmal sein Nachkomme, sondern nur sein zweiter Nachfolger
gewesen ist, s. S. 1-57, 1]. So wird man Kurigalzu nach Kadasman-
charbe und vor Burnaburias einschieben müssen: Briefe von ihm sind
nicht erhalten.
3. Außer Kurigalzu I., dem 10. Kossaeerkönig, Nachfolger des
Agumll. Kakrime (Königsliste aus Assur, siehe Nachtr. zu Bd. I S. 8f.;
von seinem Sohn Melisipak I. stammt die Inschrift Weissbach, Bab.
Mise. 2) kennen wir zwei Könige dieses Namens:
a) Kurigalzu, Sohn des Burnaburias, als solcher bezeichnet auf
Steinen aus Nippur, Hilbregut, Bab. Kxp. I 35. 36. 39, auf dem Onyx-
auge einer Statue, Lehmann, Z. Ass. V. 417 f., auf einem Kudurru des
„Nazimaruttas (IL), Sohnes des Kurigalzu, Enkels des Burnaburias,
des Königs ohne Gleichen", Scheil, Beleg, en Perse II 86 und einem
Kudurru des Kastilias IL, ebenda 93;
b) Kurigalzu, Sohn des Kadasmancharbe, der gemäß der Urkunde
Clav, Bab. Exped. XIV 39, geraume Zeit vor Nazimaruttas IL, dem
Sohn des Kurigalzu III. regiert (so richtig Ungnad, Or. L. Cit. Z. 1908,
11 ff,), als „König ohne Gleichen" in dem Kudurru bei Winckler,
Z. Ass. II 309 (King, Bab. boundary-stones no. 1) bezeichnet (ebenso
in dem Kudurru des Mardukbaliddin IV R. 38 col. 1. 33).
Besäßen wir nur dieses Material, so würde niemand zweifeln,
daß die richtige Königsliste wäre: Karaindas (L), Kadasmancharbe (L),
Kurigalzu IL, Burnaburias IL. Kurigalzu III., Nazimaruttas IL u. s. w.
156 III- Die Aufrichtung des ägj'ptischen Weltreichs
(o. S. 133 f.). Umso weniger konnten die Herrscher von Babel
daran denken, hier ihre Ansprüche auf Suprematie zu ver-
wirklichen; KaraindaS I. begnügte sich, mit Assurbelnisesu
4. Demgegenüber stehn nun aber zwei sich eng berührende und
doch stark voneinander abweichende Darstellungen der Vorgänge zur
Zeit des Assyrerkönigs Assuruballit, der etwa 1375—1340 regiert
hat, in der synchronist. Gesch. S und in der Chronik P (vgl. Bd. I
318 A). Beide kennen einen König Karaindas II. (zur Namensforra
s. S. 153, 3) als Vorgänger des Kurigalzu 111.; nach S ist er Sohn
einer Tochter Assuruballits. nach P mit dieser vermählt, und hat von
ihr einen Sohn Kadasmancharbe (IL). Nach P wird dieser, nach S
Karaindas von einem kossaeischen Usurpator (in P Suzigas, in S Nazi-
bugas geschrieben) getötet. Assuruballit tötet diesen und setzt nach
beiden den Kurigalzu „auf den Thron seines Vaters"; in P ist dieser
der Sohn des Kadasmancharbe (die Ergänzung \ Kurigalzu mär Ka]dat!-
mancharbe ina kusi>e [abisu itasab] ist nicht zweifelhaft), in S^ da-
gegen heißt er „der junge Kurigalzu, Sohn des Burnaburias". Von
den beiden bekannten Kurigalzu versetzt also S den einen (oben a),
P den anderen (oben b) nebst seinem Vater Kadasmancharbe hierher.
Die ^Entscheidung ist schwer, und die modernen Ansichten und Hypo-
thesen gehn daher weit auseinander. Nach langem Schwanken möchte
ich jetzt doch [in Abweichung von Nachtr. zu Bd. I S. 8] der Version
von S den Vorzug geben (also annehmen, daß P die beiden Kurigalzu
miteinander verwechselt hat), da sie mit den oben gewonnenen Er-
gebnissen übereinstimmt, nur daß man dann noch einen König Kara-
indas 11. einschieben und weiter annehmen muß, daß sein Vorgänger
BurnaburiaS noch einen Sohn, den jungen Kurigalzu, hinterlassen hat.
Danach ergibt sich als wahrscheinlichste Königsfolge:
17. Karaindas I. ca. 145C— 1415;
18. Kadasmancharbe (-enlil) ca. 1415—1390;
19. Kurigalzu II. ca. 1S90- 1376;
20. Burnaburias IL ca. 1376-1351;
21. Karaindas IL ca. 1350—1346
[der Usurpator Nazibugas 1345];
22. Kurigalzu III. 1344— 1323;
23. Nazimaruttas IL 1822—1297 u. s. w.
Ob Karaindas IL die Tochter des Assuruballit geheiratet hat (so
P) oder schon sein Vater, also doch wohl Rurnaburias, bleibt zweifel-
haft; einen Sohn Kadasmancharbe könnte er gehabt haben, der dann
bei dem Aufstande gleichfalls umgekommen wäre.
Babylonien, Assyrien, Mitani 157
von Assur einen Vertrag abzuschließen (um 1430) , der die
Grenze zwischen beiden Staaten festsetzte'^).
Das Reich Mitani oder Chanigalbat hat die durch Saus^atar
gewonnene Machtstellung (o. S. 125, 133) unter seinen Nach-
folgern behauptet und noch erweitert; im Vertrage mit Aleppo
erhebt der Chetiterkönig Mursil II. gegen die Könige von Chani-
galbat und Aleppo den Vorwurf, dal3 sie sich, nach dem Kriege
gegen Duchalia II. (o. S. 125, 2), ganz besonders gegen den
Chetiterkönig Chattusil II. (um 1430) vergangen hätten^). Die
') Damit beginnt der erhaltene Teil der „synchronist. Geschichte".
Darauf folgt die Angabe über einen gleichartigen Vertrag zwischen
Puzurassur und Burnaburias. Aber der letzte Puzurassur (IV.) ist
nach der assyrischen Königsliste vielmehr der vierte Vorgänger des
Assurbelnisesu. Ofl'enbar hat der Verfasser einen älteren Burnaburias
{wahrscheinlich no. 13 der Kossaeerkönige, etwa um 1.530), der wirklich
einen Vertrug mit Puzurassur IV, geschlo-ssen haben wird, mit Burna-
burias II. (seit ca. 137()) verwechselt und daher den Vertrag falsch ein-
geordnet. — Folge und Stammbaum der assyrischen Könige steht durch
ihre Bauinschriften und die Königsliste (Nachtr. zu Bd. I S. 14) völlig
fest. Der Stammbaum ist:
27. Puzurassur IV., um 1530.
I
23. Ellilnasir II.
I
29. Assurrabi I.
I . .
30. Assurnirari II.
31. Assurbelnisesu 32. Assurrimnisesu
um 1430
I
34. Erib.iadadl.
33. Assurnadinache. |
3">. Assuruballit I.
ca. 1375-1:140.
Von Assurnadinache besitzen wir nur eine kurze Bauinschrift
ohne Genealogie. Wenn Assuruballit ihn im Brief an Amenophis IV.
„mein Vater' nennt (Am. 16, 19), so kann das nur „einer meiner Vor-
gänger' bedeuten; er ist nicht einmal sein Vorfahre, sondern lediglich
sein zweiter Vorgänger (vielleicht etwa ein Sohn des Assurrimnisesu).
^) Aleppo vertrag 19 ff. 28, leider nur ganz lückenhaft erhalten;
die Ergänzungen Weidner's sind ganz problematisch. Die Darstellung
ist natürlich durchaus einseitig; wenn dabei von einem Eingreifen des
158 111- I^J^ Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Chetiter werden nicht nur aus Syrien völlig verdrängt, sondern
verlieren auch die Herrschaft über die Gebirgslande am oberen
Euphrat und im östlichen Kleinasien. Die Landschaft Isuwa
östlich vom Euphratknie bis zum Quellgebiet des Tigris schließt
sich dem Lande Charri, d. i. dem Mitanireiche an, die Gaue
im östlichen Taurusgebiet fallen ab und ihre Bewohner
suchen Aufnahme jenseits des Euphrats; weiter im Norden
löst der König von Kizwatna in den pontischen Gebirgen
bis zum Schwarzen Meer seine Verbindung mit dem Che-
titerreich und wird Vasall „des Charriers", des Königs von
Mitani^).
Durch diesen völligen Verfall des Chetiterreichs wird
es sich erklären, daß auch der König von Arzawa im ebenen
Mitanikönigs in Nuchasse die Rede zu sein scheint, so wissen wir aus
Am. M und sonst, daß dies in Wirklichkeit unter ägyptischer Ober-
hoheit stand. Vielleicht liegt dabei das Auftreten Dusrattas von Mitani
in Nordsyrien zur Zeit Abdasirtas (u. S. 351) zugrunde. — Die Liste
der Chetiterkönige dieser Zeit ist (nach Forreb, Boghazkiöitexte in Um-
schrift 17* ff.): Dudthaliä IL ca. 1480; Arnuwanda L ca. 1460; Chattu-
sillL ca. 1435; Dudchalialll. ca. 1410: Arnuwanda IL (kurze Regierung);
Subbiluljuma, Bruder des vorigen, seit ca. 138Ü. Nach einer von Fori er,
Forsch. II li, mitgeteilten Angabe ist Dudchalia III. ermordet worden.
') Nach den Verträgen Subbiluljumas mit Kizwatna und mit
Mattiwaza; zur Datierung und Deutung s. u. S. 371, 1. — Kizwatna grenzt
nach der Vertragsurkunde ans Meer; es produziert das in den ponti-
schen Gebirgen otfenliegende reine Eisen (Winckler, Vorderasien im
2. Jahrtausend, Mitt. Voideras. Ges. 1913, 4 S. 61; Meissner, ZDMG. 72,
61); in ihm liegt die Stadt Kummanni, in der der Göttin Chepa ein
großes Fest gefeiert ward (Forrer, BT. in Umschrift 58 B § 87 = Götze,
Z. Ass. 36, 306). Das kann nicht das kappadokische Komana am Saros
sein, wie Götze annimmt, da ein Reich, das hier seinen Mittelpunkt
hätte, nicht ans Meer reichen könnte, sondern nur das pontische am
Iris. Somit ist Kizwatna das Flußgebiet des Iris bis zum Meer, nord-
östlich von der Hochebene des Chetiterlandes. [Götze hat die Ansetzung
am Golf von Issos, Z. Ass. 3f.!, 305 ff. gegen Forrer, Forsch. II 38 f. in
den kleinas. Forschungen I 1927, 113 verteidigt, m. E. mit Unrecht.]
Sehr wahrscheinlich ist die zuerst von Hommel, dann von Herzfeld
(s. Reich und Kultur der Chetiter 156) aufgestellte Vermutung, daß
Kizwatna (mit Suffix -na) identisch sei mit Kat| atuka, KaüüaSoxia (mit
Pluralendung -iik).
Das Mitanireich und die Chetiter. Arzawa 159
Kilikien ') jetzt mit Ägypten in Verbindung trat. Amenophis III.
übersendet seinem König Tarchundaraba Geschenke und for-
dert seine Tochter; zu beachten ist dabei, daß er in der im
übrigen ganz dem Herkömmlichen entsprechenden Grußformel
ihn nicht seinen Bruder nennt, und daß er den eigenen
Namen voranstellt^). In ähnlicher Stellung mag das Land ge-
standen haben, aus dem ein „Königssohn" an „meinen Herrn,
den König von Ägypten, meinen Vater", berichtet (Am. 44),
daß er den aus dem Chetiterlande zurückkehrenden ägyp-
tischen Gesandten seine eigenen Boten nebst sechzehn Leuten
als Geschenk „an meinen Vater" mitgibt, natürlich verbunden
mit einer Bitte um Gold. Dieser Prinz ist also kein Unter-
tan, wie er denn auch die für diese obligatorische Formel
von siebenmaligem Fußfall vor dem König nicht verwendet,
sondern ein selbständiger Dynast: sein Fürstentum wird im
nördlichsten Syrien, etwa im Amanosgebiet, zu suchen sein^).
') An der Ansetzung Arzawas im oberen Kilikien halte ich mit
FoRHER, Forsch. I gegen Götze (Kleinasien zur Chetiterzeit und jetzt
Kleinas. Forsch. I 112, der es ins westliche Kleinasien setzen will) fest.
Die kilikische Ebene, die fruchtbarste und kultivierteste Landschaft
Kleinasiens, müssen die Chetiter immer in ihren Machtbereich gezogen
haben, wenn sie weiter in Syrien eingriS'en; und die Beziehungen
Arzawas zu Ägypten führen auf dieselbe Lage. Auch Forrek's Iden-
tifizierung des Gebirges Arinnanda mit dem Misis Dagh und der Stadt
Puranda mit Pyramos scheint mir zutreffend (gegen Götze).
^) Die seltsame sprachliche Form des Briefs (Am. 31), mit zahl-
reichen chetitischen Wörtern, dürfte sich so erklären, daß er dem Ge-
sandten aus Arzawa ägyptisch diktiert wurde und dieser, da er das Akka-
dische nicht genügend beherrschte, bei der Übersetzung die chetitischen
Wörter einsetzte. Eben deshalb mag er nicht abgesandt, sondern im
Archiv zuiückbehalten sein. [Die daran angeknüpften Kombinationen
Forher's (die pippid-Sprache, Forsch. II 60 ff.) sind sprachlich unhalt-
bar.] Der ganz in dieser Sprache abgefaßte „zweite Arzawabrief 32,
in dem wiederholt der Eigenname Labbaja vorkommt, ist noch völlig
dunkel.
') Götze, Klio 19, 1925 S. 350 und Forrer, Forsch. II 32. 1 wollen,
wie früher schon Winckleü, den Namen des „Königssohns" (bei KNunTZON
Zikar?) Zidä lesen, und halten ihn für den Bruder des Chetiterkönigs
Subbiluljuma, der in Kleinasien kommandierte. Aber der ganze Inhalt
1(50 ni. Die Aufrichtung des ägyptischen Weltreichs
Der Friedenszustand zwischen Ägyiaten und Mitani ist
nach ThutmosisIII. nicht wieder f]restört worden. Unter Sau^-
Satars Sohn Artatäma^) sind die Beziehungen weiter dadurch
bekräftigt worden, daß dieser dem Pharao — Auienophis IL
oder Thutmosis IV.") — seine Tochter zur Frau gab, aller-
dings, wie sein Enkel berichtet, erst auf die siebente Wer-
bung. Ebenso mußte dann Amenophis III. bei dem nächsten
König, Sutarna, um seine Tochter Gilucliepa sechsmal an-
halten, ehe er sie im 10. Jahre seiner Regierung (um 139j)
erhielt, mit einem Gefolge von 317 Frauen ihres Harems.
Amenophis war stolz auf diesen Erfolg, er hat ihn, in der
von ihm dafür geschaffenen Weise, durch Skarabaeen, die
diese „staunenswerte Neuigkeit" verkünden, dem Volk be-
kannt gegeben. Umso beachtenswerter ist, daß Giluchepa
«o wenig wie irgend eine der auswärtigen Prinzessinnen re-
gierende Königin geworden ist; eben dieser Skarabaeus nennt
vielmehr als „große Gemahlin des Königs" ausdrücklich Teje,
Tochter des Juja und der Tuja.
Eben dieses Verhalten zeigt, und die fortwährenden
Betteleien um Gold bestätigen, daß trotz aller Freundschafts-
versicherungen das Mitanireich dem ägyptischen nicht gleich
stand. Innerlich ist es offenbar kein starker Staat gewesen.
'des Briefes zeigt, daß er unmöglich von einem chetitischen Prinzen
geschrieben sein kann, sondern nur von einem von den Chetitern un-
abhängigen Dynasten.
') Der Stammbaum der Mitanikönige ist:
Saussatar, um 1475
I
Artatäma
I
Sutarna, um 1400
Artasuwara Dupratta Giluchepa
seit ca. 1380 Gem. Amenophis' III.
Mattiwaza Taduchepa
Gem. Amenophis' III. u. IV.
2) Ob der Vater Amenophis' III. in Am. 29, 16 ff. sein natür-
licher oder sein Adoptivvater gewesen ist, läßt sich nicht entscheiden.
Ägypten und das Mitanireich 161
Ihm fehlte eine feste Grundlage: die Masse der Bevölkerung
bestand aus Charriern, die Herrschaft lag in den Händen
der Oberschicht der Marjanni. Auch auf rehgiösem Gebiet
stehn diese Elemente unausgeglichen nebeneinander: auf
der einen Seite die charrischen Gottheiten Te§ub, Simike,
die Göttin Sauska (vgl. o. S. 131,4), auf der anderen die in-
dischen Götter, und dazwischen die babylonisch-assyrischen
Gottheiten Istar und Samas. Bei den Wirren nach dem Tode
Dusrattas führen die Gegensätze zwischen Charriern und Mar-
janni zu blutigen Kämpfen^). Gewiß haben sie auch früher
schon eine Rolle gespielt; sie mögen mitgewirkt haben, als
Sutarnas Sohn ArtaSuwara einer Verschwörung zum Opfer
fiel und sein Mörder Tuchi sich im Namen von dessen un-
mündigem Bruder Dusratta der Kegentschaft bemächtigte.
Diesem aber gelang es, sich freizumachen und die Mörder
seines Bruders nebst ihrem Anhang zu bestrafen (etwa um
1390), und dann einen Angriff der Chetiter siegreich ab-
zuwehren'-). Umso mehr Anlaß hatte er, die freundschaft-
lichen Beziehungen zu Ägypten weiter zu pflegen.
In engem Zusammenhang mit der Maclitentfaltung Ägyp-
tens nach außen steht die Neugestaltung und Umbildung
der Kultur und der geistigen Anschauungen, die sich gleich-
zeitig im Innern vollzieht und zu einer entscheidenden inneren
Krisis geführt hat. Indessen bevor wir auf diese Entwick-
lung eingehn können, ist es geboten, uns der Gestaltung der
Kultur zuzuwenden, die sich inzwischen auf Kreta und auf
dem griechischen Festland gebildet hat.
') Das ist in den Angaben des Mattiwazavertrags ZI. 12 ff. und
des Subbiluljamavertrags ZI. 53 ff. deutlich erkennbar, so unsicher im
übrigen das Verständnis noch ist.
2) Am. 17, weiteres s. u. S. 351. 373 f.
[eyer, Geschichte des Altertums. lU. 11
IV. Kreta und die kretische Kultur
Die Entwicklung Kretas. Aufkommen und Charakter
einer neuen Kultur
GlciclizeitifT mit Ägypten Ist auch Kreta auf den Höhe-
punkt seiner Entwicklung rrehingt^). Seit alters haben beide
Länder in regem Verkehr miteinander gestanden, von dem in
allen Epochen der kretischen Kulturentwicklung gar manche
aus Ägypten importierte Waren — vor allem Steingefäße,
ferner Elfenbein und Fayence — und Einwirkungen, so z. B.
in der Gestalt der als Eigentumsmarken dienenden Siegel
(Bd. I 510), Zeugnis ablegen. Mit der Inselwelt des Ägaei-
schen Meers steht Kreta ununterbrochen in lebendigster Ver-
bindung, gebend und nehmend, wie z. B. das für Messer und
Waffen (Pfeil- und Lanzenspitzen) verwendete Obsidian aus
Melos bezogen wird. Auf dieser kleinen Insel entsteht dadurch
eine dicht besiedelte Handelsstadt (Phylakopi, Bd. I 511 f.), die
das für Leben und Krieg unentbehrliche Material weithin über
die Inseln und auf das griechische Festland und nach Troja
exportiert; auch als dann die Verwendung von Bronze immer
') Von neueren Arbeiten über die kretisch-mykenische Epoche ist
grundlegend die das gesamte Material sorgfältig zusammenfassende
und sichtende Arbeit von D. Fimmen, Die kretisch-mykenische Kultur,
1921 [gefallen 24. Dez. 1916 in Rumänien; herausgegeb. von G. Karo;
die kunstgeschichtliche Entwicklung ist von Fimmen und E. Reisinger
gemeinsam bearbeitet.] Für Knossos liegt jetzt der er-ste Band des
zusammenfassenden Werkes von Evans vor, The Palace of Minos, 1921
(Vorzeit, erster Palast, und ältere Gestalt des jüngeren Palastes, bis
zum Ende von Middle Minoan III). Dazu zahlreiche Publikationen
über die einzelnen Fundstätten, vor allem von Hatzidakis und Xanthu-
DiDES. Zusammenfassende Darstellung des gesamten kretischen Mate-
rials durch G. Karo im Art. Kreta bei Pauly-Wissowa, XI 1922,
S. 1743 ff.
Die illtere Kultur Kretas 163
weitere Verbrcituncj findet, hat sich rliincben das billigere
und durch seine scharfen Schneiden und Sj)it7,en ausc^e/.eich-
nete Obsidian noch lange im Gebrauch erhalten. Mit Klein-
asien war, falls wir hier überhaupt in vorgriechischer Zeit
mit einem Eindringen neuer Volksstämme zu rechnen haben,
jedenfalls die älteste Schicht der Bevölkerung Kretas und
ebenso weithin die der Inseln und des griechischen Fest-
landes auch ethnographisch verbunden; in der Religion Kre-
tas, in den Götterdarstellungen und Kultsymbolen, in den
phantastischen Mischwesen der Dämonenwelt tritt diese Ge-
meinsamkeit anschaulich hervor. Auf diesem Wege scheinen
auch einzelne auf Babylonien zurückgehende Motive in die kre-
tische Religion und Kunst gelangt zu sein')- Mit den Küsten
Syriens und Phoenikiens sowie mit Cypern wird gleichfalls
schon seit alters ein Verkehr bestanden haben.
Wie dann zu Anfang des 2. Jahrtausends auf Kreta
aus den älteren Ansätzen eine höher entwickelte einheitliche
Kultur erwächst, ist früher schon dargelegt worden (Bd. 1
513 ff.). Die Osthälfte der Insel — die Westhälfte ist noch
wenig erforscht und scheint von der Entwicklung des Ostens
kaum berührt zu sein — ist mit zahlreichen dicht bebauten
Städten besiedelt, in den Königssitzen Knossos und Phae-
stos entstehn die großen Paläste, deren Grundmauern unter
dem Neubau der folgenden Epoche noch größtenteils er-
halten sind. Dazu kommen die Heiligtümer auf den Berg-
hohen und in Felsgrotten, sowie in den Palästen selbst, mit
ihren zahlreichen Weihgaben. Auch sonst geben die Funde,
Gefäße aus Stein, Metall und Ton, Waffen, Schmucksachen,
Siegel und Gemmen, ein Bild von der reichen Kultur dieser
Epoche. Charakterisiert ist sie durch den in bunten Farben
schwelgenden Dekorationsstil der feinen, deutlich die Nach-
ahmung metallener Vorbilder zeigenden Tongefäße, der sog.
') Auf den ältesten sicheren Beleg babylonischen Einflusses in
der iigaeischen Welt, das offenbar aus Cypern importierte Bleiidol der
Göttin des Geschlechtslebens in der zweiten Stadt von Troja (Bd. I
498), sei auch hier hingewiesen.
164 I^ ■ I'^reta und die kretische Kultur
Kamaresvasen. Auch eine Kursivschrift hat sich aus den auf
den Siegehl verwendeten Bildzeichen schon in dieser Zeit
entwickelt (s. u. S. 172 f.).
Über die politische Gestaltung der Insel, namentlich über
das Verhältnis der beiden großen Königssitze zueinander, läßt
sich nichts erkennen; daß wohlgeordnete Verhältnisse be-
standen und der Staat eine bedeutende Macht besaß, vor
allem zur See, kann nicht zweifelhaft sein. So wird es sich
erklären, daß im Gegensatz gegen die festländischen Städte
in Asien und Griechenland und z. B. gegen die gleichzeitige
Stadt Phylakopi auf Melos, die kretischen Städte unbe-
festigt sind: sie hatten keine feindlichen Angriffe zu be-
fürchten, auch auf der Insel selbst müssen friedliche Zu-
stände ohne Fehden untereinander geherrscht haben. Mit
dem Pharaonenreich der zwölften Dynastie stand man an-
dauernd in regem Verkehr; die geschmackvollen Tongefäße
des Karaaresstils waren hier ein begehrter Artikel und haben
sich mehrfach in den Überresten einer Stadt im Faijüm
(Kahun) und in Gräbern dieser Zeit bis tief nach Nubien
hinein (Anibe) erhalten. Vielleicht haben die Pharaonen nicht
nur durch Gesandtschaften, sondern zeitweilig auch mili-
tärisch auf der Insel eingegriffen (vgl. Bd. I 291); die Diorit-
statue eines ägyptischen Beamten etwa aus dem Ende der
zwölften oder der dreizehnten Dynastie hat sich in einer der
Kamareszeit augehörenden Schicht des Palastes von Knossos
gefunden.
Aber diese Gestaltung hat ein jähes Ende gefunden in
der großen Katastrophe, in der die alten Paläste von Knossos
und Phaestos zerstört worden sind. Das führt auf die Ver-
mutung, daß eine verheerende Invasion die ganze Insel heim-
gesucht hat, die mit der eben in diese Zeit fallenden Auf-
richtung des Hyksosreichs zusammenhängt (o. S. 43). Dafür
spricht nicht nur, daß sich der Deckel eines Alabastergefäßes
mit dem Namen des mächtigen Hyksoskönigs Chian in Knos-
sos in der ältesten Schicht des neuen Palastes gefunden hat,
.sondern vor allem, daß die ägyptischen Nachrichten eine
Aufkommen eines neuen Stils 165
enge Verbindung der Könige von Theben mit Kreta im Kampf
gegen die Byksos erkennen lassen (o. S. 55 f). Offenbar hat
Kreta alsbald seine Selbständigkeit wiedergewonnen; und da
hat man auch begonnen, die zerstörten Paläste wieder auf-
zubauen.
Mit dieser Umwälzung auf politischem Gebiet verbindet
sich nun ein tiefgreifender Wandel der Kultur, der uns vor
allem in der Kunst ganz lebendig entgegentritt')- An Stelle
der dekorativen Ornamentik des Kamaresstils, die auch da,
wo sie Vorbilder aus der Natur, wie z. B. Blätter und Blüten,
verwendet, diese in konventionell stilisierte Formen umsetzt
und deren Reiz auf der harmonischen Farbenwirkung beruht,
tritt eine von Grund aus entgegengesetzte Auffassung der
Kunst. Die geistige Einstellung hat sich gewandelt; es ist,
als ob das Gefühl für die Natur, für den unerschöpflichen
Reichtum ihres Lebens und den ununterbrochenen Wandel
') Wie Bd. I 504 A. muß ich auch hier betonen, daß ich die von
Evans auf Grund einer seltsamen Zahlenspielerei aufgestellte und all-
gemein angenommene Einteilung der kretischen Entwicklung seit dem
Ende der neolithischen Zeit in drei dreigliedrige Perioden (P]arly,
Middle und Late Minoan je I— III) für unglücklich und irreführend
halten muß. Vielmehr hebt sich, nach langen Vorstufen, ganz geschlossen
und einheitlich die Kamareskultur = Middle Minoan II von allem Vor-
hergehenden und Folgenden ab. Mit der Zerstörung der älteren Pa-
läste bricht sie schroff ab, wenn auch Nachwirkungen in einzelnen
Formen und Motiven in der Folgezeit noch erkennbar sind. Aber der
neue Stil, der jetzt aufkommt, ist ein total anderer, ja entgegen-
gesetzter; und diesem (und nicht der Mittelminoischen Zeit) gehören die
neuen Paläste auch in ihrer älteren Gestalt an. Diese neue Kultur
umfaßt Middle Minoan III und Late Minoan I. II; dann folgt die neue
Katastrophe und die „mykenische" Epoche = Late Minoan III. Weiter
kommen können wir nur, wenn man sich von Evans' Schema ent-
schlossen freimacht und die großen Kulturepochen einheitlich zu er-
fassen sucht, wofür zunächst eine Reihe scharf abgegrenzter Einzel-
untersuchungen erforderlich ist. In den bisherigen Darstellungen er-
scheint Middle Minoan III (die Zeit der älteren Gestalt der neuen
Paläste) in ganz verschwommenem Lichte, bald als eine Epoche des
Verfalls, bald als eine neuen Aufschwungs und höchster Blüte, bis man
unmerklich in Late Minoan I hinübergleitet.
IßQ IV. Kreta und die kretische Kultur
ihrer Erscheinung plötzlich erwacht sei: dieses Leben wieder-
zugeben, nicht das Objekt selbst in seiner dauernden Gestalt,
sondern die lebendigste Bewegung, den Sinneneindruck des
Moments festzuhalten und im Bilde zu verewigen wird die
Aufgabe der Kunst.
Dieser jähe Wechsel nicht nur der Formen, sondern vor
allem der Anschauung hat zunächst die Annahme nahe-
gelegt, daß auch in der Bevölkerung selbst ein Wandel ein-
getreten sei; ein fremdes Volk sei auf die Insel eingedrungen,
das die neue Kunst, die uns sogleich voll durchgebildet ent-
gegentritt, an seinen älteren Sitzen entwickelt und fertig
mitgebracht habe. Freilich ließ sich innerhalb der ägaeischen
Welt keine Stätte nachweisen, an der diese Entwicklung
stattgefunden hätte; die asiatischen Küsten aber kommen
dafür überhaupt nicht in Betracht, da hier überall ein ganz
anderer, fundamental abweichender Stil herrscht^). Die fort-
') Ich darf hier wohl erwähnen, daß, als im Frühjahr 1877 Sir
Charles Newton, von einem Besuch bei den Schliemannschen Aus-
grabungen zurückkehrend, in der Society of Antiquaries in London
die erste Mitteilung über die mykenischen Funde machte und auch
ich aufgefordert wurde, mich darüber zu äußern, ich als besonders
wichtig und überraschend hervorhob, daß sich in diesen garnichts
Phoenikisches finde. Dann aber habe ich in der ersten Auflage des
zweiten Bandes (1893) doch geglaubt, neben Kleinasien die Phoeniker
als Vermittler der orientalischen Typen in der mykenischen Kunst
betrachten zu müssen, obwohl „in merkwürdigem Kontrast dazu die
Tatsache steht, daß wir Erzeugnisse der phoenikischen oder klein-
asiatischen Kunst unter den Fundobjekten nicht nachweisen können" ;
denn die Annahme Helbig's, die Phoeniker hätten um die Wende des
Jahrtausends ihren Stil gewechselt, erschien mir auch damals schon
als ein höchst bedenklicher Verlegenheitsausweg. Seitdem ist durch
den Nachweis, daß die Kafti sowohl in ihrer körperlichen Erscheinung
wie in ihrer Kunst von den Phoenikern fundamental verschieden sind,
und vollends durch die Erschließung der Denkmäler Kretas die ganze
Frage gegenstandslos geworden (vgl. o. S. 106 ff.), und ich berühre sie nur,
weil DöRPFELD die Phoenikerhypothese wieder aufgenommen hat; er
läßt überdies die Phoeniker aus Südarabien kommen und den Stil der
jüngeren kretischen Kunst von dort her mitbringen. In Wirklichkeit
Ursprung der neukretischen Kultur 167
schreitende Untersuchung hat vielmehr gezeigt, daß auch die
neue Kultur auf Kreta bodenständig ist und daß in ihr gar
manche der älteren Formen weiterwirken oder nachleben, wie
denn auch die neuen Paläste unmittelbar auf den Fundamenten
der alten erbaut sind, deren Anlage und Raumverteilung
beibehalten und nur, wie immer bei Umbauten, in Einzel-
heiten verschieben oder erweitern, also in den für die Einrich-
tung der Wohnung maßgebenden Erfordernissen ein Wandel
nicht eingetreten ist^). Natürlich bleibt es, bei dem Fehlen
aller geschichtlichen Überlieferung, doch möglich, daß fremde
Eroberer auf die Insel gekommen sind und sich den dort
herrschenden Verhältnissen angepaßt haben; aber wahrschein-
licher ist, daß auch hier, wie so oft bei einem auf den
ersten Blick unvermittelt erscheinenden Stilwandel, eine or-
ganische Entwicklung vorhegt"-). Die Kultur der Insel ist
seit dem Ausgang des 3. Jahrtausends mächtig vorgeschritten,
das Leben ist reicher, die materiellen Mittel sind größer ge-
worden. Aber die Formen, die damals geschaffen sind, ge-
nügen auf die Dauer nicht mehr: sie schnüren die freie
Gestaltung in enge Grenzen ein. trotz aller technischen
Vollkommenheit erscheinen sie hohl und inhaltsleer; über-
ist dieser Stil ein total anderer als der des phoenikischen Kunsthand-
werks, und die in ihm ausgeprägte Anschauung den Phoenikern und
den Semiten überhaupt so fremd wie nur möglich.
^) Diese Zusammenhänge hat vor allem Karo betont (bei Pauly-
WissowA XI 1767, vgl. 1760), während z. B. Rodenwaldt, TirjnsII 198
die Herkunft des neuen Stils aus einem benachbarten Gebiet für wahr-
scheinlich hielt.
2) In Bd. I 522 habe ich eine Einwanderung für wahrscheinlicher
gehalten und darauf hingewiesen, daß die Votivfiguren von Petsofa
(Middle Minoan I) das Haar kurzgeschoren tragen (ebenso die Männer
auf dem Elfenbeinzylinder derselben Zeit aus Knossos bei Evans, Palace 1
197), nicht die üppige Haartracht der Folgezeit, und daß die beiden
Porträtköpfe auf Siegelabdrücken des knossischen Palastes der Kamares-
zeit (jetzt bei Evans, Palace I p. 272. 276) von dem späteren Typus
völlig abweichen, dagegen dem kleinasiatisch-chetitischen hyperbrachy-
kephalen entsprechen. Volle Sicherheit ist hier mit unserem Material
nicht zu erreichen.
168 IV. Kreta und die kretische Kultur
sättigt wendet man sich von ihnen ab, die innerlich gewandelte
Kultur schafft sich einen Stil, in dem die neu erschlossene An-
schauung der Außenwelt einen Ausdruck gewinnt, der die
Empfindung, aus der sie erwachsen ist, lebensvoll hervor-
zurufen und wiederzugeben vermag.
Auf dieser inneren Entwicklung beruht die bedeutsame
Stellung, die Kreta nicht nur in der Geschichte der Kunst,
sondern dadurch zugleich in der Geschichte der menschlichen
Kultur überhaupt einnimmt; die Individualität des Volkes
hat sich in der neuen Kunst einen seine Eigenart verkör-
pernden Ausdruck geschaffen. Man mag zum Vergleich
die Festlegung des ägyptischen Stils unter den ersten Dyna-
stien und weiter den jetzt durch die Ausgrabungen bei der
Stufenpyramide Zosers in Sakkara so anschaulich gewordenen
Gegensatz zwischen der Architektur der dritten und der vier-
ten Dynastie und dann die Fortentwicklung zu den Grab-
tempeln der fünften Dynastie und der Ausgestaltung der
Mastabagräber heranziehn, oder auch in Babylonien das
Fortschreiten von der primitiven altsumerischen Kunst zu der
im Reich von Akkad unter Sargon und Naramsin erreichten
Höhe. Aber die kretische Entwicklung geht darüber hinaus;
ein bereits voll ausgebildeter einheitlicher Kunststil wird be-
wußt beiseite geworfen und durch einen von ganz anderen
Anschauungen beherrschten ersetzt. So ist wirklich gleich-
artig vielmehr der Übergang vom geometrischen zum archai-
schen Stil in Griechenland oder der vom romanischen zum
gotischen Stil und dann die Bekämpfung und Verdrängung
des letzteren durch die Renaissance, ebenso aber auch die
tiefgreifende Umwälzung des Geschmacks und des Hausrats,
die wir im letzten Menschenalter erlebt haben ^).
Es sind geniale Künstler gewesen, die das neue Sehen
der Welt im Bilde verkörpert haben. Ihre größte Schöpfung
') Einen ähnlichen, ganz überraschenden Wandel in uralter Zeit
zeigt bereits die naturalistische Kunst des Magdalenien (Bd. I 597) im
Gegensatz zu der rein dekorativen Ornamentik der vorhergehenden
und der folgenden Epoche.
Charakter der neukretischen Kunst. Die Gemälde 169
sind die Freskogemälde an den Wänden der Paläste und die
gleichartigen Stuckreliefs. In reichster Fülle entfaltet sich
das Abbild der Natur, die Wiesen und Gärten in ihrer
Blütenpracht, das Leben des Meeres mit den zwischen den
Wasserpflanzen dahinschwimmenden Fischen und Polypen.
Alles ist auf den Augenblick gestellt. Die Blätter und
Sträuche schwingen sich im Winde, die Ölbäume zeigen ihren
knorrigen Wuchs; die gerade Linie, die in den ägyptischen
Gemälden durchaus vorherrscht, wird in Kreta grundsätz-
lich gemieden. Inmitten dieser Landschaften erscheinen Men-
.schen und Tiere immer, wie in Ägypten, im Profil gesehn,
aber in lobhaftester Bewegung mit der Landschaft zu ma-
lerischer Einheit verwachsen, die Löwen, Stiere, Hirsche,
Wildkatzen in gestrecktem Lauf, alle vier Beine vom Boden
losgelöst und übernatürlich lang gezogen — ein charakte-
ristischer Versuch, den Sinneneindruck des im Moment den
Raum durchfliegenden Körpers im Bilde wiederzugeben. Auf
einem der ältesten und schönsten dieser Landschaftsbilder,
aus Knossos, pflückt ein Knabe, dunkelblau gemalt, die auf
dem Felsboden des Parkes sprießenden Krokosblüten und
sammelt sie in einen Korb^). Auf einem Gemälde aus dem
Palast von Hagia Triada bei Phaestos beschleicht inmitten der
bunten Blumenpracht der Felslandschaft eine Katze einen
Fasan, ähnlich wie in der Nillandschaft auf dem Dolch aus
') Evans, Palace of Miuos I 2G5, möchte ihn noch dem älteren
Palast (Middle Minoan II) zuweisen, auf Grund von unsicheren Folge-
rungen aus der Fundschicht. Es erscheint mir kaum möglich, daß ein
derartiges Gemälde der Zeit der Kamareskultur angehört. Rodenwaldt.
Tiryns II 195 setzt es in dieselbe Zeit wie die Gemälde von Hagia
Triada, d. i. M. M. III oder L. M. I (S. 192 f.), ebenso Karo S. 1758 und
1778, bei dem sich ein merkwürdiges Schwanken zeigt: nach S. 1760
ist M. M. III „eine Phase des Niedergangs", nach S. 1768 „eine Periode
neuen Aufschwungs", nach S. 1776 „hat sich gegen Ende von M. M. III
ein tiefgreifender Umschwung des künstlerischen Stils vollzogen",
eben die Entstehung der neuen lebensvollen Kunst. Da rächt sich das
Festhalten an Evans' Periodisierung; solche Äußerungen zeigen deut-
lich, wie notier es ist. resolut mit ihr zu brechen.
170 ^^ • Kreta und die kretische Kultur
Mykene (o. S 57); auf einem anderen ergeht sich eine Frau
in bunten Gewändern im Lustgarten. Auch fremde und phan-
tastische Tiere werden in die Landschaft gesetzt; so lagert
in Wandgemälden des Thronsaals von Knossos ein riesiger
Vogelgreif zwischen den Stauden^), auf einem anderen lauert
inmitten des Gesträuchs ein Pavian. Dazu kommen die schon
erwähnten Seestücke. Andere Gemälde schildern das Treiben
am Fürstenhof, Reihen von Männern, die, wie in den gleich-
artigen ägyptischen DarsteUungeu, Gefäße als Tribut bringen,
Kulthandlungen, Stierkämpfe, die auf Kreta seit alters hei-
misch sind, denen das Volk, Männer und Frauen, zuschaut,
teils aus Balkonlogen, teils unter den Ölbäumen des Hofes
in dicht gedrängten, in flotter Umrißzeichnung skizzierten
Massen. Neben den Freskogemälden stehn die farbigen Re-
liefs, für die die einzelnen Figuren aus Stuck ausgeschnitten
und zusammengefügt sind. Derart sind z. B. die Fayence-
reliefs einer säugenden Wildziege und einer säugenden Kuh,
auch hier mit lebendigster Wiedergabe der Bewegung, und
die große Figur eines jugendlichen Fürsten (des „Prinzen
mit der Federkrone"), der in stolzer Haltung dasteht, die
Lilienkrone mit mächtig aufragenden Pfauenfedern auf dem
Haupt. Daran reihen sich die prächtigen Reliefs auf Prunk-
gefäßeu aus Stein (Steatit) und aus Edelmetall^) — letztere,
aus Kreta importiert, in den Gräbern von Mykene und Amy-
klae (Vaphio) erhalten. Bei der Gestaltung des menschlichen
Körpers wird, in dem Streben, die athletische Durchbildung
stark zu betonen, der Rumpf über den Hüften wespenartig
eingeschnürt, eine Bildung, die schon in den Tonfiguren der
älteren Zeit angebahnt ist.
Diesen Schöpfungen der Malerei gegenüber tritt die
Rundplastik völlig zurück. Die kretische Kunst ist eben, in
scharfem Gegensatz gegen das Dominieren der Plastik in
*) Ebenso auf dem Elfenbeinrelief aus Mykene. E-f. ap/. 1888,
Taf. 8, 14.
^) Grundlegend Kurt Müller, Frühmyken. Relief, Jahrb. d. Arch.
Inst. XXX, 191.=^.
Gemälde und Reliefs. Glyptik 171
Ägypten, durchaus malerisch. Größere Statuen zu bilden hat
man überhaupt nicht versucht, und die Kleinplastik lehnt sich
durchaus an die von Malerei und Relief geschaffenen Vorbilder
an und bleibt daher unselbständig. Gelegentlich führt das
Streben, die lebendige Bewegung des Moments auch im Rund-
bilde festzuhalten, zu Wagnissen, die dem Wesen der Plastik
"widersprechen, so in der Elfenbeinfigur eines Jünglings, der
frei in der Luft schwebend, mit Spannung aller Muskeln in
dem langgestreckten Leibe, über einen Stier hinwegspringt ^).
Umso bedeutender sind die in reicher Fülle, teils im
Original, teils in Abdrücken auf Ton, erhaltenen Werke
der Glyptik. Wie in der vorderasiatischen und ägyptischen
Kulturwelt besitzt auch auf Kreta jeder selbständige Mann
ein Siegel aus hartem Stein oder Elfenbein, bei Armen aus
Ton, mit dem er sein Eigentum bezeichnet und Urkunden
beglaubigt, ursprünglich in Form von Zylindern und Prismen,
dann als Petschaft oder in einen Ring gefaßt; so hat sich
hier die Technik der Steinschneidekunst schon früh ausge-
bildet (Bd. I 510). Jetzt gelaugt sie zur vollen Reife. Auch
hier dominiert durchaus das Streben, den Moment in leben-
digster Bewegung festzuhalten, so in den Kultszenen und,
in Mykene, in den Einzelkämpfen; aber was in den Wand-
gemälden rasch hingeworfen ist und daher oft zu flüchtiger
Behandlung verführt, ist hier mit erstaunlicher Kunstfertig-
keit auf kleinstem Raum sorgfältig in allen Einzelheiten
ausgeführt. So sind diese Werke der Kleinkunst neben den
in der Technik gleichartigen Goldbechern und Einlagen der
Dolche wohl die schönsten und eindruckvollsten Schöpfungen
der neukretischen Kunst-). Häufig werden diese Siegel jetzt
*) Wie diese und ilbnliche Figuren (Annual VIII pl. 2, 8 und
p. 72 fiP.) befestigt waren, ist nicht zu erkennen, der zugehörige Stier
ist nicht erhalten.
^) Neben sie stellen kann man vielleicht, so fundamental ver-
schieden der Kunststil ist, die Siegelzylinder des Reichs von Akkad
Bd. I 405 und ihre Fortsetzung in denen des Reichs von Sumer und
Akkad Bd. I 420.
172 I^'- Kreta und die Icretische Kultur
auch in Gold gearbeitet und als Ringe oder im Armband
als Schmuckstück getragen; gleichartige Darstellungen finden
sich vielfach auch auf Schiebern von Schmuckketten u. ä.
Zur Differenzierung der Eigentumsmarken werden auf
den Siegeln seit alters die verschiedensten Figuren verw^en-
det, Blätter und Zweige, Tiere, Geräte, Kombinationen von
Strichen, die in bunter Mannigfaltigkeit nebeneinander gestellt
sind. Jetzt werden vor allem Bilder von, meist geflügelten,
Fabelwesen üblich, und daneben ganz phantastische Ver-
koppelungen von menschlichen und tierischen Gliedmaßen,
Rümpfen und Köpfen, Beinen und Schmetterlingsfiügeln u. ä.,
nicht selten auch in Verbindung mit pflanzlichen Ornamenten.
Sehr beliebt ist ein symmetrischer Aufbau, so daß die Ge-
stalten gegeneinander aufgerichtet sind, oft zu beiden Seiten
einer Säule aufspringend oder mit Stricken an sie gebunden,
so Sphinxe, Löwen, Wildziegen, Hirsche; gelegentlich sind
auch die Köpfe der beiden Tiere zu einem einzigen ver-
schmolzen. Manche dieser Ungeheuer, so die aus dem Orient
und Ägypten übernommenen Greifen und Sphinxe — letztere
immer, wie in Syrien und Kleinasien, in weibliche Wesen
umgewandelt — , sind wirklich Darstellungen der bizarren
Gestalten, in denen man sich, wie in Babylonien und Klein-
asien, die Dämonen verkörpert dachte und mit denen man
daher auch die Tierwelt bevölkerte; meist jedoch sind es
deutlich freie Schöpfungen des Steinschneiders oder des Be-
stellers, der das Siegel möglichst individuell und von allen
anderen unterscheidbar zu gestalten sucht.
Aus den Abzeichen der Siegel scheint die sog. pikto-
graphische Bilderschrift (nebst ihrer Abkürzung in einer Kur-
sive) hervorgegangen zu sein, von der sich in den Palästen
der Kamareszeit manche Überreste auf Scherben und Ton-
täfelchen erhalten haben. Wie weit sie sich an die ägyptische
Schrift anlehnt, mit deren Hieroglyphen sich nicht wenige
Zeichen berühren, läßt sich mit irgendwelcher Sicherheit nicht
entscheiden; daß die Kenntnis der ausgebildeten Schreibkunst
des Pharaonenreichs und des vorderen Orients die Anregung
Die Siegel. Entwicklung der Schrift 173
und das Vorbild gegeben hat, wird sich nicht bezweifeln
lassen. Diese ältere Schrift ist dann weiter zu einer voll
ausgebildeten linearen Kursive fortentwickelt, deren Zeichen
mit spitzem Griffel in den Ton und die Gefäße eingeritzt oder
auch mit Tinte aufgemalt werden; sie ist weithin über die
Insel verbreitet und liegt in zahlreichen Inventarverzeichnissen
aus den Magazinen, Listen von Personen und Lieferungen u. ä.
sowie in der Inschrift einer Libationstafel in der Grotte des
Lasithigebirges (Psychro, Bd. I 521) vor. In Knossos ist sie
dann im einzelnen noch wieder umgestaltet und namentlich
auch kalligraphisch verbessert worden; doch ist diese Schrift-
gattung (Klasse B) auf Knossos beschi'änkt geblieben. Nach
der Zahl der eigentlichen Schriftzeichen (gegen 80) wird es
wohl eine einfache Silbenschrift gewesen sein, derselben Art,
wie wir sie dann auf Cypern finden; diese cyprische Schrift ist,
wie die Übereinstimmung der Zeichen zeigt, deutlich aus der
kretischen abgeleitet. Daneben stehn aber, wie in Ägypten,
nicht wenige Deutezeichen (Ideogramme); auch lineare Nach-
bildungen der durch die Lautschrift bezeichneten Gegenstände
— Gefäße, Dreifüße, Waffen, Wagen u. s. w., vereinzelt auch
Pferde, ferner Gewichte in Form von Stierköpfen — werden
in den Inventaren regelmäßig hinzugefügt. Rechtliche oder
geschichtliche Urkunden scheinen nicht erhalten zu sein, und
ebensowenig etwa Briefe. Ob es einmal gelingt, durch eine
glückliche Kombination diese Schrift zu entziffern, steht dahin,
und ist umso problematischer, da wir von der zugrunde liegen-
den Sprache und selbst von den Namen garnichts wissen, ab-
gesehn etwa von dürftigen Brocken des Eteokretischen, die
uns in mit griechischen Buchstaben geschriebenen Inschriften
erhalten sind (Bd. I 505)^). Sicher deutbar sind bis jetzt außer
') Grundlegead für die kretischen Schriftdenkmäler sind die
Arbeiten von Evans, für die ältere Zeit zusammengefaßt in seinen
Scripta Minoa Vol. I 1909 und Palace of Minos I 612 ff.; von den In-
schriften der Klasse A und B ist von ihm bisher nur ein Bruchteil
veröffentlicht, die Gesamtpublikation steht noch aus. — Besonnen und
umsichtig hat Sundwall die kretische Schrift behandelt, die Berührung
174 ^^- Kreta und die kretische Kultui"
den ideographischen Bildern nur die Zahlzeichen, die in einem
einfachen dekadischen System geschrieben sind.
In der Dekoration und Ornamentik hat der Kamaresstil
noch längere Zeit nachgewirkt, vor allem, langsam verküm-
mernd, auf den Gefäßen der Inseln und des Festlandes;
auf Kreta selbst wird er alsbald durch den neuen, ihm
diametral entgegengesetzten Stil vollständig verdrängt. Die
Ornamentik entnimmt ihre Motive, abgesehn von der Ver-
wendung von religiösen Symbolen wie der Doppelaxt und
dem Stierkopf auf Kultgefäßen, vorwiegend der Vegetation
und der Meereswelt mit ihren seltsamen Tiergestalten. Be-
sonders charakteristisch sind die Polypen, die zwischen Ko-
rallen und Seegras schwimmend mit ihren Fangarmen den
Bauch des Gefäßes umschließen, teils aufgemalt, teils plastisch
auf Steingefäßen oder auf einem großen Steingewicht; dazu
Nautili, Seesterne, Muscheln, auch Delphine. Nicht minder
reich ist die Pflanzenwelt des Festlandes vertreten, Gräser
und Sträucher, Efeu, Papyrus, Palmen, unter den Blumen
vor allem Lilien und Krokus. Durchweg herrscht auch hier
die lebendigste Bewegung; nicht sowohl das Objekt selbst
in seiner dauernden Erscheinungsform, als vielmehr den un-
unterbrochenen Fluß dieses Naturlebens zu erfassen und wie-
derzugeben ist auch hier das Streben der neuen Kunst. So
entstehn die reizvollsten Schöpfungen, Gefäße, auf denen, sich
der Gestalt des Kruges harmonisch anpassend, Lilien oder
Farnen aus dem Boden aufsprießen. Papyrusschilf in farbigem
mit der ägyptischen und der cy prischen weiter verfolgt und einzelnes
weiter aufgehellt. (Vorgriech. Schritt auf Kreta, Finska Vefenskap
Soc. 55, 1914; die kretische Linearschrift, Jahrb. archäol. Inst. XXX 1915,
sowie in vier Aufsätzen in den Acta Academiae Aboensis I. II. IV 1920.
1923. 1924). — Ob aus dem abweichenden Schriftsystem in Knossos
auf eine Verschiedenheit der Sprache zu schließen ist, ist sehr frag-
lich; vgl. z, B. die ganz verschiedenartige Gestaltung, welche die Keil-
schrift in Babylonien und in Assur erhalten hat. Dagegen können
ebensogut ganz verschiedene Sprachen mit denselben Zeichen ge-
schrieben sein.
Die Motive der Ornamentik 175
Relief das Grefäß umschließt, ein Rosenzweig sich auf den
Rand einer Fayencevase lagert. Dazu kommen dann rein orna-
mentale Elemente wie Rosetten und Spiralen, die ebenso, als
fortlaufende Friese, die Einfassung der Wände und den Decken-
schmuck oder auch die Umrahmung eines prächtigen, mit El-
fenbein und Gold ausgelegten Spielbretts aus dem Palast von
Knossos bilden. Nicht selten sind zwischen derartige Streifen
in langen Reihen Gemälde der großen, mit Rindshaut über-
zogenen kretischen Schilde eingesetzt. In anderen Fällen
werden die Zwickel zwischen den Spiralen mit stilisierten
Blüten ausgefüllt, eine Gestaltung, die uns am glänzendsten
in der skulpierten Decke der Grabkammer im Kuppelgrabe
von Orchomenos, und daneben in zahlreichen Bruchstücken
der Wandgemälde von Tiryns vorliegt^).
Ägyptische Einwirkungen und innerer Gegensatz
zur ägyptischen Kunst. Die Architektur
Die neue Kultur, die in dieser Kunst einen so leben-
digen Ausdruck gefunden hat, ist, auch wenn politisch ein
fremdes Volkstum auf die Insel eingedrungen sein sollte, doch
eine Fortbildung der älteren Gestaltungen, die sich auf Kreta
selbst entwickelt haben. Zugleich aber steht sie, ebenso wie
diese, in engster Verbindung und Wechselwirkung mit der
Entwicklung, die sich gleichzeitig in Ägj^pten vollzieht. Die
regen politischen und kommerziellen Beziehungen zwischen
beiden Ländern haben wir schon kennen gelernt; ägyptische
Waren, Gefäße aus Alabaster und hartem Stein sowie aus Fay-
ence, Glasperlen und ähnliche Schmuckstücke, Skarabaeen
mit den Namen Thutmosis' III. und seiner Nachfolger, Elfen-
') Eingehend bearbeitet ist das gesamte Material von Rodenvvaldt
in Tiryns II 1912. — Schlicht stilisierte Blumen zwischen den Rosetten
finden sich übrigens auch auf Kreta, z. B. auf dem bemalten Tonsarg
(Larnax) aus Isopata (Evans, Prehist. Tombs of Knossos p. 91, Fig.
102 a).
176 I^'- Kreta und die kretische Kultur
bein (das uuch aus Sjrien bezogen sein kann)^), Straußeneier
finden sich nicht selten sowohl in den kretischen Palästen wie in
den Gräbern des griechischen Festlandes^). Der Papyrus mag
ehemals auch auf Kreta angepflanzt oder sogar einheimisch ge-
wesen sein; aber wenn daneben die Lilien in der kretischen
Malerei und Dekoration ebenso eine führende Stellung ein-
nehmen, wie in der gleichzeitigen ägyptischen Kunst, und
auch die Palme vielfach dargestellt und dekorativ verwendet
wird^), so ist der Zusammenhang unverkennbar. Und wenn
wir auf Siegelsteinen an Stelle der in der kretischen Baukunst
gebräuchlichen dicken Holzsäulen, an die Tiere gebunden sind
(o. S. 172), schlanke als Stangen verwendete und im Boden
befestigte Stämme finden, die in eine Blätterkrone (Palm-
blätter P) ausgehn, auf der ganz unorganisch der Würfel liegt,
der das Gebälk trägt'), so ist hier einfach der in Ägypten seit
dem Alten Reich übliche Brauch übernommen, die Stangen
der Zelte und Säulen mit Blumen und Blättern zu schmücken,
aus denen die ägyptischen Pflanzensäulen mit Papyrus- und Pal-
menkapitell hervorgegangen sind. Auch nach Vorderasien haben
sich diese Formen weithin verbreitet; überall, wo die Pflanzen-
säule vorkommt, geht sie auf ägyptische Vorbilder zurück.
Wesentlich schwächer ist der Einfluß der asiatischen Welt,
trotz der engen Berührung der Religion und Kultformen
Kretas mit Kleinasien. Von hier mögen die phantastischen
*) Unter den nach Ägypten gesandten Geschenken findet sich bei
Rechmere' auch ein Elefantenzahn (wie bei den syrischen Tributen),
der nach Kreta nur aus Syrien importiert sein kann.
^) In der Lasithihöhle findet sich unter den Weihgaben auch eine
kleine bronzene Statuette des Amon (Hogarth Annual VI pl. 10, 1. 2.
= Marghiannis, Ant. cret. I pl. 29, 6).
^) Vgl. E. Würz, Der Ursprung der kretisch -mykenischen Säulen
(1913).
* Evans, Mycen. tree and pillar cult p. 56 Fig. 32, p. 58 Fig. 34;
statt der Zweige die runden Enden von fünf Balken p. 62 Fig. 40.
Die gleichartige, gleich zu erwähnende Darstellung im vorderasiatischen
Stil p. 57 Fig. 33. Die ägyptischen Parallelen bei Borchardt, die ägypt.
Pflanzensäule (1897) S. 9. 10. 14 f. 19. 22 f. 84.
Ägyptischer und vorderasiatischer Einfluß 177
Mischgestalten auf den Siegeln stammen. Der Löwengreif
und die in ein weibliches Wesen umgesetzte, meist geflügelte
Sphinx gehn zwar in ihrem Ursprung auf Ägypten zurück,
sind aber auf Kreta in der Gestalt übernommen, die ihnen
die syrisch -kleinasiatische Kunst gegeben hat^); in der kre-
tischen Form hat dann ein ägyptischer Künstler den Greif auf
die Streitaxt des Königs Amosis gesetzt (o. S. 56). Eine Gemme
aus Mykene zeigt zu beiden Seiten einer Palmsäule asiati-
schen Stils (mit den Früchten unter den Blättern) eine geflü-
gelte Sphinx mit der babylonischen Hörnerkrone auf dem
Kopf. Auch babylonische und chetitische Siegelzylinder haben
sich gelegentlich auf Kreta gefunden^).
Die von Ägypten gegebene Anregung führte mehrfach
zu einer direkten Übernahme und Nachbildung künstlerischer
Motive. Der oben S. 56 erwähnte Dolch aus dem fünften
Schachtgrab von Mykene, das Gegenstück zu den Wafi'en im
Grabe der A'bhotep, stellt nicht eine kretische oder griechische,
sondern eine ägyptische Landschaft dar: durch das Papyrus-
schilf schlängelt sich ein Nilarm mit seinen Fischen, da-
zwischen flattern Enten, die von Wildkatzen gejagt werden.
Die Gewänder kretischer Frauen, die in Fayence in den Vo-
tivgaben des Heiligtums der Schlangengöttin des Palastes
von Knossos nachgebildet sind^), zeigen eingewebt eine
Gruppe von Papyrusschilf, die aus einem Hügel aufsprießt,
in direkter Nachbildung und Umsetzung einer in Ägypten
ganz geläufigen, auch als Hieroglyphenzeichen für das Delta
verwendeten Darstellung. Neben einer Afi'enfigur aus Glas-
fluß mit dem Namen Amenophis H. aus Mykene stehn gleiche
Figuren von Lapislazuli aus dem Königsgrabe bei Knossos^);
') Vgl. den Artikel Gryps von H. Prinz bei Pauly-WissovpaVII 1911 fF.
-) Ein chetitischer Siegelzylinder aus Tiryns Arch. Anz. XXXI
1916, 146.
') In den sog. Temple Repositories, Annual Brit. School of Athens
IX 82. Evans Palace I 506.
') Hall, Annual Brit. School VIII 188. Evans, Prehist. tombs of
Knossos 152.
Meyer, Geschichte des Altertums. II'. 12
178 IV. Kreta und die kretische Kultur
in den Gemälden aus Hagia Triada schleicht durch das Ge-
büsch ein ganz lebenstreu wiedergegebener Pavian. Der Ein-
fluß Ägyptens^) erstreckt sich auch auf andere Gebiete: auf
der berühmten Schnittervase aus Hagia Triada schreitet dem
Chor als Vorsänger ein kahlköpfiger, mit dem Lendenschurz
bekleideter Ägypter voran, der als Musikinstrument das Si-
strum trägt.
So erscheint die Annahme nicht zu kühn, daß die Ent-
wicklung der kretischen Wandmalerei, des führenden Ele-
ments in der neuen Kunst, durch die Bekanntschaft mit
dieser in Ägypten seit einem Jahrtausend reich entwickelten
Kunst angeregt ist, wie sie dann umgekehrt wieder stark auf
diese zurückgewirkt hat. Nur umso deutlicher wird jedoch
eben durch diese fortdauernden gegenseitigen Einwirkungen
und Entlehnungen, daß ihrem inneren Wesen nach die beiden
Kulturen und ihr Kunstgefühl fundamental voneinander ver-
schieden sind. Der Stil ist in jeder von beiden ein ganz anderer,
und was immer die eine von der anderen übernimmt, wird inner-
lich umgebildet und in den eigenen Stil übersetzt. Die ägypti-
sche Kunst ist stets streng gebunden; sie wurzelt in einer mehr
als ein Jahrtausend alten Tradition und einer Technik, deren
Regeln und Formen sie festhält, auch wenn sie sie mit neuem
Inhalt erfüllt und neue Ideen oder fremde Anregungen be-
hutsam aufnimmt. Die kretische Kunst dagegen ist jugend-
frisch und keck; sie wagt sich an die kühnsten Aufgaben,
sucht das Unmögliche möglich zu machen, sie hat wohl ein
lebendiges Stilgefühl, aber kein Gefühl für die Grenzen der
Kunst. Daß sie durchaus auf die Wiedergabe des Moments
gestellt ist, bestimmt auch ihren Charakter; so bedeutend
und wirkungsvoll manche ihrer Schöpfungen sind, es fehlt
ihr die strenge Zucht, die den großen Werken sowohl der
ägyptischen wie denen der griechischen Kunst ihren Ewig-
keitswert verleiht. Eben darauf beruht freilich zugleich der
') Auch die metallenen Prunkgefäße mit aufgesetzten Blumen,
die bei Rechmeie' als Gaben an Kreta erscheinen, sind nach ägyp-
tischen Vorbildern gearbeitet (o. S. 107).
Einwirkung und innerer Gegensatz zur ägyptischen Kunst 179
hochmoderne Charakter der kretischen Kunst, durch den sie
eine einzigartige Stellung in der Kunstgeschichte einnimmt.
Sie ist durchaus heiter, das Erzeugnis einer Kultur, die mit
offenen Augen in die bunte Welt der Natur hineinschaut
und den Reichtum des Lebens behaglich genießen will. So
hat sie auch ihre helle Freude an der Erscheinung des
Menschen; sie legt großes Gewicht auf die athletische Durch-
bildung des Körpers, die sich in den Schaustellungen der
Feste in Ring- und Faustkämpfen und vor allem in den Stier-
kämpfen bewährt, bei denen Jünglinge und Jungfrauen
den anstürmenden Wildstier bei den Hörnern packen und
über ihn hinwegspringen — daß gar manche dabei aufge-
spießt werden oder sonst zugrunde gehn, wird als unver-
meidlich von den zuschauenden Massen gleichmütig hinge-
nommen und in den Gemälden und Reliefs dargestellt. Noch
charakteristischer ist das raffinierte Kostüm der Frauen, ein
bunter, mit Stickereien geschmückter Rock, der in Streifen
herabfällt, ein kokettes Jäckchen, das enganliegend Rücken
und Oberarm bedeckt und über das das Haupthaar lang
herabfällt, der Rumpf eng zusammengeschnürt durch einen ge-
stickten Gürtel und ein Mieder, das die prallen Brüste freiläßt
und in voller Nacktheit hervordrängt^). Auch das ist für das
Wesen der kretischen Kultur bezeichnend, daß die Frauen
gleichberechtigt neben den Männern stehn, sich in der Ge-
sellschaft frei bewegen und mit den Männern zusammen den
Spielen zuschauen und auch in ihnen auftreten.
Aus diesem Charakter erklärt es sich, daß, ganz anders
als in Ägypten und in Griechenland schon die gleichzeitige
Entwicklung auf dem Festland, die kretische Kultur eine
monumentale Architektur nicht geschaffen hat. Die Städte
bilden ein Gewirr von schmalen winkligen Gassen. Die dicht-
gedrängten mehrstöckigen Häuser, von deren Aussehn kleine
Fayencemodelle aus dem Palast von Knossos ein Bild geben.
') Das ist eine Modernisierung des vor der Brust offenstehenden
Rocks mit hohem Kragen, den die Frauenfiguren von Petsofa tragen.
180 ^^' Kreta und die kretische Kultur
sind ricach außen völlig abgeschlossen; die aus Quadern mit
Balkenlagen dazwischen erbaute Front liegt unmittelbar an
der Straße, die schmale Tür ist nicht selten in eine Seiten-
gasse verlegt, so daß nach der Hauptstraße nur ein paar
Fenster des oberen Stockwerks hinausschauen. Bei größeren
Häusern liegen die Zimmer, unter denen auch ein Bad nicht
fehlt, um einen offenen Säulenhof.
Inmitten der Städte liegt auf einem Hügel in mehreren
Stockwerken der riesige Palast, eine endlose Reihe von Zim-
mern, die sich um einen großen, nach allen Seiten geschlos-
senen Binnenhof gruppieren. Im Inneren schaffen lange Kor-
ridore die Verbindung, Lichthöfe und Schächte gewähren
dem Tageslicht Zutritt. Bequeme Treppen oder schräg an-
steigende Gänge führen in die oberen Stockwerke mit ihren
Prunkgemächern. Alles ist auf ein behaglich genießendes
Dasein eingerichtet; die Windungen der Treppen und Gänge
bereiten gefällige Überraschungen, die offenen Hallen und
Pfeilersäle des Obergeschosses gewähren einen freien Aus-
blick in die Landschaft ringsum. Auch für Badezimmer nebst
Klosett mit Wasserspülung und für durchgehende Kanali-
sierung ist vortrefflich gesorgt. Dazu kommen Kulträume
und die zahlreichen Zimmer für das Gesinde und die Scharen
der Handwerker und Künstler, die wie in Ägypten im Dienst
des Fürsten oder Mao-naten arbeiten; ferner eine lauge dem
Palast vorgelagerte Reihe von kellerartigen Magazinen mit
riesigen Tonkrügen (Pithoi), die die Vorräte und die Tribut-
gaben bewahren, darunter namentlich auch Ol, das in einer
großen Ölmühle gepreßt wird. Das Schema der gesamten
Anlage geht auf die alten Paläste der Kamareszeit zurück,
auf deren Grundmauern sich in Knossos und Phaestos die
Neubauten erheben; die Verfeinerung und vor allem die Aus-
schmückung der Gemächer mit Fresken und Reliefs gehört
dann der neuen Kunst an.
So anheimelnd und reizvoll diese Bauten in einzelnen
Teilen wirken, so vollständig fehlt ihnen die innere Ge-
schlossenheit und der große Stil des von einer einheitlichen
Architektur. Die Paläste 181
Idee beherrschten Bauwerks. Im Thronsaal, in den Vorhallen
an den Eingängen, an den Treppen, in Kapellen und sonst
wird das Gebälk teils von Steinpfeilern, teils von runden
Holzsäulen getragen, immer mit Verjüngung nach unten,
während auf dem breiteren Ende das wulstartige Kapitell
ruht, mehrfach mit Haken zum Aufhängen von Vorhängen.
Aber zu einer weiteren Entwicklung hat das nicht geführt,
eine wirkliche Säulenarchitektur, wie sie gleichzeitig in Ägyp-
ten zu so grandioser Entfaltung gelangt, ist der kretischen
Bauweise völlig fremd; diese Säulen sind in ihrer primitiven
Form nicht mehr als ein Mittel, um einen größeren lichten
Raum zu schaffen, der einen freundlichen Eindruck gewährt^).
Das Antlitz der Paläste ist ganz nach innen und nach dem
großen Binnenhof gewandt, in scharfem Gegensatz gegen
die festländischen Bauten, welche den Hauptraum nebst dem
davor liegenden, von einer Kolonnade umschlossenen Hof und
der Eintrittshalle dem Eintretenden zuwenden. Nach außen
sind sie, wie die ägyptischen und vorderasiatischen Tempel
und Paläste, durch die ungegliederte Außenwand abgeschlossen,
eine Fassade fehlt vollkommen; mehrere kleinere Eingänge
und an der Nordwestecke eine große Freitreppe führen ins
Innere. Ein monumentaler Eindruck, wie ihn jene erreichen,
wird überhaupt nicht erstrebt; darüber vermag auch der
große Hof an der Westseite des Palastes von Phaestos mit
einer mächtigen, senkrecht zum Haupteiugang verlaufen-
den Freitreppe, auf der die Zuschauer bei den Stierkämpfen
und ähnhchen Schauspielen Platz nehmen, nicht hinwegzu-
täuschen.
') Kannelierte Säulen, wie sie sich vereinzelt auf dem Festland
finden (^Schatzhaus der Frau Schliemann" in Mykene; kleine Elfen-
beinschnitzerei aus Kakovatos, Mitt. Athen. Inst 34 Taf. 14. 24), scheinen
auf Kreta nur in dem Kultraum des sog. Kleinen Palastes (u. S 184,1)
vorzukommen, wo ihre Gestalt in der Tonerde im Abdruck erhalten
ist (Evans, AnnualXI 7). — Daß man die ägyptische Palmensäule kannte,
zeigt die Nachbildung ihres Kapitells in dem Lampenschaft aus Knossos,
Evans, Palace I 345; aber in der Architektur ist sie nicht verwendet.
132 IV. Kreta und die kretische Kultur
Die Eteokreter (Kafti) und ihre Religion
Gestalt und Tracht der Kreter haben wir schon kennen
gelernt; dabei wurde bereits auf die Abweichungen in der
Haartracht und vielleicht auch im ethnographischen Typus
hingewiesen, die zwischen der älteren und der späteren Zeit
bestehn. Während bei den Männerfiguren aus Petsofa und
Sitia^) das Haupthaar ganz kurz geschoren oder abrasiert
ist, ist später sowohl in den einheimischen wie in den ägyp-
tischen Darstellungen das lang in Strähnen über die Schultern
herabfallende Haupthaar, mit einem gekräuselten Haarbüschel
über der Stirne, für die Kreter charakteristisch'*). Allerdings
finden sich daneben auch später noch rasierte Köpfe, so bei
den Männern der sog. Schnittervase von Hagia Triada (unten
S. 191) und auf manchen Siegeln; aber darin ist wohl eher ein
Unterschied des Standes, nicht der Abstammung zu suchen.
Der Bart wird zu allen Zeiten rasiert, Rasiermesser sind
vielfach erhalten. In der Kleidung der Männer ist der kurze
Lendenschurz mit Gürtel und Phallustasche beibehalten, da-
neben kommt gelegentlich ein größeres Lendentuch vor, das
die Scham verdeckt (o. S. 108).
Die Nachkommen der Kreter der Blütezeit werden wir
■in den „echten Kretern" (Eteokretern) erkennen dürfen, die
sich vor den eindringenden Griechen in den äußersten Osten
der Insel zurückgezogen und hier noch lange erhalten haben ^).
Bei den Ägyptern heißen sie Kafti (mit unbekannter Vokaii-
sation); und dieser Name scheint mit dem Volksnamen Japet
•) Ant. cret. I 33. II 34. Annual TX, pl. 8 ff.
2) Lange Haare tragen auch die vier Fischer der sog. Fischervase
aus Phylakopi auf Melos (pl. 22 u. p. 124); bekleidet sind sie mit einem
Lendentuch. Die Malerei dieses Gefäßes ist zwar viel unbeholfener als
die kretische — das Auge ist naiv ganz groß mitten in die Backe ge-
setzt — , zeigt aber denselben flotten Stil und sehr lebendige Bewegung,
steht also, wie die gesamte Kultur von Melos. deutlich unter kretischem
Einfluß.
^) Ebenso gab es in der attischen Zeit auf Karpathos neben den
Griechen eine Gemeinde der Eteokarpathier.
Die Eteokreter und die Religion 183
identisch, der, längst obsolet geworden, im israelitischen Völker-
stammbaura die Seevülker unter einem Ahnen zusammenfaßt^).
Die Sprache der Eteokreter scheint, soweit wir nach den
geringen Resten urteilen können, von dem Typus der klein-
asiatischen wesentlich verschieden zu sein'O- Umso enger da-
gegen sind die Übereinstimmungen in der Religion. In ihre
Gestaltung^) gewähren zahlreiche Denkmäler einigen Ein-
blick; auch hier setzen sich die Anschauungen und Kulte
der älteren Zeit ununterbrochen weiter fort, was natürlich
die Möglichkeit nicht ausschließt, daß in derselben Weise
wie später die Griechen so auch früher schon fremde Ein-
dringlinge die alteinheimische Religion übernommen haben
könnten. Altererbt ist vor allem der Kultus der Naturgötter
in den Höhlen und auf den Gipfeln der Berge, so auf dem
Gipfel von Petsofa an der Ostküste bei Palaekastro, auf dem
luktas südlich von Knossos, in der Kamareshöhle am Südab-
hang des Ida, in der Grotte des „Ziegenbergs", des Aigaion-
oros Hesiods, im Lasithigebirge (bei Psychro, Bd. I 521),
wo Bruchstücke eines Libationsaltars mit einer Weihinschrift
in kretischer Schrift erhalten sind, und zwischen diesem und
dem luktas in der Höhle von Arkalochori. Weitere Aus-
schmückungen fehlen völlig, ebenso Kultbilder; dagegen sind
sowohl die Höhlen wie die von einer schlichten Steinmauer
1) Sonst findet dieser Name sich nur noch als erratischer Block
in den griechischen Göttergenealogien als inhaltloser Name lapetos;
vgl. Bd. I 5'22.
*) Das legt immer wieder die Vermutung nahe, daß die Eteo-
kreter Eindringlinge sind, die die Religion einer älteren kleinasiatischen
(karischen) Bevölkerung übernommen haben, und daß diese sich viel-
leicht in den Kydonen im Westen erhalten hat,
') Von den zahlreichen Arbeiten über die kretische Religion, z. B.
auch in den Werken von Lagrange (La Crete ancienne) und Dussaud
(Civilisations prehelleniques), Einzeluntersuchungen von Della Seta,
Rodenwaldt u. a. nenne ich besonders Evans, Mycen. Tree and Pillar
Cult 1901 (= J. Hell. Stud.); H. Prinz, Bern, zur altkret. Religion. Mitt.
Athen. Inst. 35, 1910; Karo, Religion des ägaeischen Kreises, in Haas,
Bilderatlas zur Religionsgesch. 192-5.
184 IV. Kreta und die kretische Kultur
umsclilossenen heiligen Bezirke auf den Bergen angefüllt
mit den Überresten von Opfern und zahllosen schlichten
Weihgeschenken, Gefäßen von Kupfer und Ton, Waffen,
kleinen Rindern von Kupfer — darunter in der Lasithihöhle
auch ein kleiner mit Ochsen bespannter Wagen — , Votiv-
figuren von Männern und Frauen, Nachbildungen mensch-
licher Gliedmaßen, die entweder für eine von der Gottheit
gewährte Heilung danken oder eine solche bewirken sollen.
Sehr zahlreich sind darunter seit den ältesten Zeiten kleine
Doppeläxte von Kupfer, ein durch ganz Kleinasien verbrei-
tetes Kultsymbol (Bd. I 481) des kriegerischen Gewittergottes,
das auch auf Kreta überall wiederkehrt. An diesen Stätten
wird der Kultus schon in frühester Zeit aus denselben reli-
giösen Anschauungen erwachsen und gestaltet gewesen sein,
die dann die Griechen unter formeller Anpassung an ihre
Götterwelt übernommen und weiter gepflegt haben: ein mäch-
tiger Gott des Naturlebens, der im Frühjahr, bei dem Wieder-
erwachen der Vegetation, geboren und in der Höhle gegen
die feindlichen Mächte durch seine Verehrer und ihre Waffen-
tänze geschützt wird, dann als Himmelsgott (Zeus) die Welt-
herrschaft ergreift, aber im Sommer, beim Verdorren der
Pflanzenwelt, dahinstirbt — nach griechischer Überlieferung
liegt sein Grab in dem schon erwähnten heiligen Bezirk des
luktas — , um dann im nächsten Jahre aufs neue geboren zu
werden.
Den Zwecken des Kultus dienende Räume finden sich
mehrfach in den Palästen von Knossos, Phaestos und Hagia
Triada, sowohl den älteren wie den jüngeren, und in manchen
der großen Magnatenhäuser ^). Es sind jedoch nicht Kapellen,
sondern niedrige Kammern von ganz kleinen Dimensionen,
in denen sich kein Mensch bewegen oder gar Kulthandlungen
vollziehen könnte; wohl aber sind sie vollgestopft mit sa-
kralen Objekten und Weihgaben aller Art und haben ledig-
') So in dem sog. Kleinen Palast von Knossos (Evans, Annual XI, 2 ff.),
in Gurnia und Kumasa, und besonders instruktiv in Niros westlich von
Kandia (Xanthudides, Apx- Etp. 1922, 1 ff.).
Religion und Kultus 185
lieh zu ihrer Bewahrung gedient. Die große Zahl ganz un-
ansehnlicher, billig hergestellter Gegenstände völlig gleicher
Art — z. B. schlichte Schalen und Opfertafeln, mit Vertie-
fungen und Näpfen zur Aufnahme von Trankspenden, Früchten,
Blumen, ferner kleine kupferne Doppeläxte u. ä. — zeigt, daß
sie auf Vorrat hergestellt sind und die Hausherren, die ofiFenbar
zugleich eine Priesterstellung einnahmen, sie, wie im christ-
lichen Kultus, an die Gläubigen abgaben oder verkauften').
War dann die Kammer überfüllt oder konnte man sonst die
sich häufenden und beschädigt oder vielleicht altmodisch ge-
wordenen Weihgaben nicht mehr unterbringen, so wurden
die Kammern ausgeräumt und ihr Inhalt in Kellerräumen
zusammengehäuft — ein Verfahren, das bekanntlich ebenso
in Ägypten, in den Tempeln von Cypern und Griechenland
und in zahlreichen anderen Kulten befolgt wurde ^). Derart
sind die in zwei großen Steinkisten geborgenen „Temple Re-
positories" im Palast von Knossos. Dem aus kleinen Kammern
bestehenden Bezirk, in dem diese untergebracht sind, ist
später eine nach dem Zentralhofe sich öffnende tempelartige
Fassade vorgesetzt worden, die sich aus den Überresten mit
Hilfe der Abbildungen auf Wandgemälden und Gemmen hat
rekonstruieren lassen^). Auch zahlreiche hier gefundene Siegel-
abdrücke mit dem Bilde der Berggöttin bestätigen den sa-
kralen Charakter dieses Bezirks, der im übrigen im Verhält-
nis zu dem riesigen Umfang des Palastes nur einen sehr be-
scheidenen Raum einnimmt — die Front ist nur 5 Meter lang.
Ein wirklicher Tempel ist er nicht: wohl aber haben sich
vor ihm und an dem großen davor liegenden Altar im Hofe
^) So mit Recht Xanthudides a. a. 0. 15 ff. — Ein typisches Bild
eines solchen überfüllten Kämmerchens (im Quadrat von 1,50 m) bildet
der zu den jüngsten Bestandteilen des Palastes von Knossos gehörende
„shrine of tbe double axes", Evans, Annual VIII 9G ff. (= Karo, Religion
Fig. 59).
^) Analog ist die Unterbringung alter Manuskripte in der Rumpel-
kammer (Geniza) bei den Juden von Altkairo, der wir den hebraeischen
Sirach und zahlreiche andere Texte verdanken.
3) Evans im Journ. R. Instit. of Architects, 8. ser. XVIII, 9. 1911.
186 IV. Kreta und die kretische Kultur
die Kulthandlungen abgespielt. Die Unterbauten solcher frei-
stehenden Altäre sind auch sonst in den Höfen der Paläste
mehrfach erhalten. Außerdem liegen in dem sog. kleinen Palast
in einem kleinen Raum mit von Säulen getragener Bedachung
einige plumpe, unbearbeitete Steinblöcke von menschenähn-
licher Gestalt, in denen wir wohl primitive Idole zu sehn haben,
die hier verwahrt und wohl auch kultisch verehrt wurden^).
Wie Tempel sind auch Kultbilder der Gottheiten der
kretischen Religion völlig fremd; der Kultus vollzieht sich
durchweg in der freien Natur in unmittelbarer Verbindung
mit der göttlichen Macht. Neben den schon erwähnten Höhlen
und Bergen werden überall in der Landschaft zahlreiche Be-
zirke gelegen haben, die den Göttern und ihrer Verehrung
geweiht waren. Von ihrer Gestalt läßt sich aus den Abbil-
dungen auf Steinvasen und Gemmen einigermaßen ein Bild
gewinnen. In der Regel ist der Bezirk von einer niederen
Mauer von Feldsteinen umschlossen; darin steht ein aus
Quadern aufgemauerter Altar mit einem Aufsatz, dessen Enden
hörnerartig aufragen (die sog. „horns of consecration") —
ein seltsames, für uns nicht deutbares Symbol, das überall
wiederkehrt und in den Kultfassaden an die Seiten der Säulen
und aufs Dach gesetzt ist. Im Innern des Bezirks kann sich
dann ein rechteckiger Bau mit Portal erheben. Entweder
in diesem oder in dem äußeren Bezirk stehn die heiligen
Bäume, vor allem Feigenbäume, einer oder mehrere, die wohl
an keiner Kultstätte fehlten. Dazu kommen meist freistehende
Säulen innerhalb des Portals und draußen hohe aufgerichtete
Masten'-'). Ein vollständiger Kultbau, auf dem Tauben, die
') Evans, Annual XI 8 ff., danach Karo, Religion Fig. 34.
^) Der Schilderung sind die beiden Bruchstücke von Steafitvasen
(K. Müller, Arch. Jahrb. 30, 260 f. ; Karo, Rel. 64. 65) und die Gemmen
aus Knossos und Mykene, Evans, Palace I 160 f. (Fürtwängler, Gem-
men VI 3) zugrunde gelegt; s. Fig. c und e auf Taf. VIII nach Karo
74. 75. Abgekürzte Darstellungen auf dem Siegel mit der Berggöttin
(Karo 66, s. Taf. f Fig. VIII), sowie Evans, Tree cult p. 78. 84. 86. 87.
91. 92, und auf der Gemme aus Mochlos, Mitt. athen. Inst. 35, 343
(Karo 73); als Abkürzung sind auch die drei Säulen mit runden Deck-
Heilige Bezirke 187
heiligen Tiere der Göttin, sitzen, ist in getriebenem Goldblech
in den mykenischen Schachtgräbern mehrfach nachgebildet^).
Er entspricht durchaus der Fassade im Palast von Knossos:
zwischen zwei schmalen Säulenhallen liegt, weit höher auf-
ragend, über einem in Glasfuß bunt mit Rosetten u. ä aus-
gelegten Fries 2) der enge Kultbau, dessen Architrav von einer
oder zwei Säulen getragen wird; auf dem Dach ragen zahl-
reiche Kulthörner auf. Der Eintritt in die Räume ist durch-
weg durch Kulthörner gesperrt, die zwischen die Säulen ge-
setzt sind; dadurch wird bestätigt, daß diese Bauten keines-
wegs Tempel im eigentlichen Sinne gewesen sind, in denen
sich die Kulthandlungen abgespielt hätten, sondern eher Adyta,
in denen man sich die Gottheit hausend dachte und in denen
vielleicht auch, dem Menseben unnahbar, die heiligen Steine
oder ähnliche Gebilde verwahrt waren, in denen sie ihren Sitz
genommen hatte.
Ein vollständiges Bild des ganzen heiligen Bezirks bietet
ein Goldring aus Mykene^): auf einer in Stufen ansteigenden
Terrasse liegt ein umfriedeter Hof, dessen Türen offen stehn;
durch ihn führt ein gepflasterter Weg zu dem Portal des
Kultbaus, über dem die Zweige von Bäumen aufragen. Zu
beiden Seiten der Umzäunung steht ein Baum (Cypresse?)
und eine Adorantin; am Rande ist Gebüsch angedeutet. Diese
Gestaltung eines Heiligtums ist nach Cypern übertragen und
hat sich hier in Paphos dauernd erhalten; sein Bild auf den
kyprischen Münzen der Kaiserzeit zeigt den halbkreisförmigen
Zaun, der den Vorhof einschließt, mit offenen Türen, und
dahinter auf einer Terrasse dieselbe Fassade wie in Kreta:
zwei niedrigere Seitenflügel mit freistehenden Säulen in der
balken und Tauben darauf zu deuten, Annual VIII 29 (Karo 38). Dazu
kommen Altäre oder Opfertische mit Hörneraufsatz und Zweigen, Karo
77. 79 u. a.
') Scm.iEMANN, Mykene 306; Karo 55 u. a.
') Bekanntlich findet sich dieser sog. Kyanos- oder Triglyphen-
fries mehrfach auf Kreta sowie in Tiryns.
3) Evans, Tree and Pillar cult 85; Furtwängler, Ant. Gemmen
Taf. VI 2; Karo 76; danach auf Taf. d Fig. VIII.
138 IV. Kreta und die kretische Kultur
Halle und Tauben auf den Dächern, dazwischen der schmale
hochragende Mittelbau, eingerahmt von zwei hohen Pfeilern,
auf dem Dach das Kulthorn, im Innern der Steinkegel, das
uralte Symbol der Göttin^).
Die Gestaltung der heiligen Stätten zeigt, daß auch die
Kreter sich die Götter als in Bäumen und Holzpfählen ")
hausend und in diesen dem Verehrer sinnlich nahbar glaubten.
Daneben steht als ein Hauptsymbol des Kultus, wie schon
erwähnt, die Doppelaxt. Unter den Weihgaben der Höhlen
ist sie sehr zahlreich vertreten, mehrfach findet sie sich
auf Siegeln und Kultgefäßen, meist verbunden mit einem
Stierkopf ^). In dem Kultraum in Niros standen vier große
Äxte von Kupfer, eine in dem des Palastes von Knossos,
^) Blinkenberg, Le Temple de Paphos, Dan. Videnskab. Selskab,
hist.-phil. Meddelser IX 2, 1924; die Parallele der Gemme (S. 187,3)
hat er nicht herangezogen. Den Zusammenhang haben natürlich auch
Evans u. a. schon erkannt; Evans, Tree cult 40, vergleicht mit Recht
auch den Tempel von Byblos, in dem das Kulthorn auf dem Dach
und der heilige Kegel wiederkehrt.
^) Wie weit daneben auch Steinpfeiler in Gebrauch waren, läßt
sich nicht sicher erkennen; die altarartigen Pfeiler auf Glasplatten
aus Mykene, auf die Dämonen Libationen gießen (bei Evan-, Tree
and Pillar cult 19), scheinen von Stein zu sein. Ob aber die Säulen
und Masten der Gemmen, an die Löwen oder Mischwesen gebunden
sind (o. S. 175), und ebenso die Säule des Löwentors von Mykene
kultische Bedeutung hatten und nicht vielmehr einfach Wappen waren,
ist sehr fraglich. Das gleiche gilt von dem Kreuz, das sich auf Siegeln
(Evans, Palace I 515, Karo 87) und ebenso im Temple Repository von
Knossos findet (Evans, Palace I 516).
^) Auf der Gemme aus Argos bei Evans, Pal. I 435 Fig. 312c, sind
dargestellt die Axt, ein Stierkopf und zwei Frauenröcke, also vier
Weihgaben; ebenso auf der aus dem Heraeon bei Schliemann, Mykene
412 no. 541. Auf der Gemme aus Knossos bei Evans, Fig. 312 a (Annual
VIII 102) trägt eine Frau denselben Rock und die Axt in den Händen
als Weihgaben; auf dem Abdruck aus Zakro, Evans Fig. 312b, verehrt
ein Mann die Doppelaxt, ein anderer bringt den Frauenrock. Auf dem
Goldring aus Mykene bei Evans, Tree cult 61, Fig. 39, hängen an den
Deckbalken einer Säule, an die zwei Löwen gebunden sind, zwei solche
Röcke. — Gemme mit vier Beilen Annual VIII 103 = Karo 78, mit
Kultobjekte. Doppelaxt. Steine und Idole 189
eine in der Höhle des Lasithiberges und in der von Arkalo-
chori. Daß sie hier kultisch verehrt wurden, kann nicht
zweifelhaft sein^); ob aber der Steinpfeiler im Palast von
Knossos, bei dem auf jedem Block Steinbeile eingehauen
sind, sakrale Bedeutung hatte und sie nicht vielmehr einfach
Steinmetzzeichen sind, ist mindestens fraglich-). Unmittelbar
mit Gottheiten verbunden oder in deren Händen erscheinen
sie nirgends^); dagegen werden sie auch im Totendienst auf-
gerichtet').
Daß auch Steine in Form von Kegeln oder in menschen-
ähnlicher Gestalt verehrt wurden, ist schon erwähnt (S. 186).
Aus derartigen primitiven Kultobjekten und ihrer Nachbil-
dung in Ton mögen dann die ganz rohen Idole hervorge-
gangen sein, die sich in der Epoche des Niedergangs der
Kultur mehrfach in den Kulträumen gefunden haben ^): nie-
Beil über Ochsenkopf Annual IX 114 = Karo 81. Beile und Äxte
sowie Opfertafeln auf Krugscherben aus der Lasithihöhle: Annual \1 104
= Karo 49.
^) Siehe die Gemmen Evans 312b in der vorigen Anmerkung.
2) Bekanntlich hat Evans diese Ansicht aufgestellt und aus der
Annahme, die Doppelaxt habe wie im Karischen so auch auf Kreta
Xdtßpüi; geheißen, den Namen Xaßüf-iv&o? erklären wollen, der in Wirklich-
keit den Palast von Knossos als ,Haus der Doppelaxt" bezeichne. Diese
auch von Max Mayer und Kretschmer vermutete Erklärung des Namens
hat weithin Zustimmung gefunden, kann aber durchaus nicht als ge-
sichert gelten.
') Die Frau auf den Formsteinen aus Palaekastro (Sitia) E». äpy.
1900 Taf. 3 u. 47 = Karo 48. 50 (neben Formen für den Guß von Äxten u. a.),
die in jeder Hand eine Doppelaxt oder eine Blume trägt, ist nicht eine
Göttin, sondern die Votivfigur einer Verehrerin; vgl. die Gemme Evans,
Fig. 312 a (S. 188,8). Auf dem großen Goldring aus Mykene ist die
Doppelaxt nicht mit der Blumengöttin verbunden, sondern schwebt bei
der Kultszene frei in der Luft, wie die Schildgottheit.
*) Auf dem Sarkophag von Hagia Triada sowie auf der Larnax
von Palaekastro Annual VIII Taf. 18 = Karo 57.
^) In dem späten Kultraum in Knossos Annual VIII 99, auf einem
erhöhten Postament zwischen Kulthörnern mit Äxten aufgebaut (S. 97
= Karo 59); dazu Evans, Palace I 52 (bei Karo 14 mit falschem Zitat).
In Gurnia pl. 11, 1 = Ant. cret, I 36. Aus Hagia Triada Mon. Ant. XIV
190 I^'^' Kreta und die kretische Kultur
drige Tonzylinder, aus denen der bemalte Oberkörper einer
Göttin hervorwächst; die plumpen Arme sind an die Brüste
gepreßt oder nach oben ausgestreckt, gelegentlich mit einer
Schlange daran; bei einer sitzt auf dem Kopf eine Taube, sie
ist also die kretische Taubengöttin. Vielleicht sind diese Figuren
erst unter dem Einfluß der vom Festland her eindringenden
griechischen Eroberer entstanden; wir dürfen in ihnen den
ersten Versuch sehn, die Gestalten, in denen die Phantasie
sich die Götter denkt und in Kunstschöpfungen dargestellt
hat, nun auch in den Kultus selbst einzuführen; denn sonst
sind Kultbilder der Gottheiten der kretischen Religion, so-
weit unsere Kenntnis reicht, noch völlig fremd.
Charakteristisch für die kretische Kultur ist die sehr
stark hervortretende Beteiligung der Frauen am Kultus; dem
entspricht, daß, so weit wir sehn können, die weiblichen Gott-
heiten durchaus überwiegen. Auch den Göttern gegenüber
bewahrt der Kreter, und ebenso die Kreterin, dieselbe stolze
Haltung, mit der er im Leben überall auftritt; er begrüßt
sie mit erhobener Rechten — Votivstatuen in dieser Stellung
sind mehrfach erhalten — oder preßt, wie es dem Diener
geziemt, die Hände an die Brust, so mehrfach bei Frauen^);
aber Kniefall kommt in den Kultszenen nur ganz vereinzelt
vor^). Tieropfer, an denen es natürlich nicht gefehlt hat, sind
739 ff. = Ant. cret. I 26 (dazu auch die Frauenfigur, deren Leib mit
zahllosen Warzen bedeckt ist, die an die ephesische Artemis erinnern
könnten, ib. 725 = Ant. cret. I 20, 2: Evans, Pal. I 567; bei Karo 16
mit falschem Zitat). In Prinias Wide, Mitt. athen. Inst. 26, 247 ff. Taf. 12.
In Bd. I 517 habe ich die Annahme babylonisch -assyrischer Einflüsse
mit Recht abgelehnt, aber fälschlich noch ein Nachleben von Formen
aus älterer Zeit für möglich gehalten, für die auf Kreta jeder Be-
leg fehlt.
^) So aus Mykene, Schliemann S. 212; K. Müller, Arch. Jahrb 30,
302, Fig. 20 c. d. = Karo 56 c. d., mehrfach fälschlich als Göttin gedeutet.
*) Auf einer Gemme aus Ostkreta (in Kopenhagen, publiziert von
Bli>kenbbrg und Van Hoorn, Rev. arch. 1924, Bd. 19, 262), wo bei der
Epiphanie einer Göttin zwei Frauen stehend, zwei Männer, die ihre
Schilde auf den Boden gelegt haben, knieend die Hände erheben, ,
Gestalt des Kultus. Der Festzug von Hagia Triada 191
in unserem Material nur im Totenkult dargestellt^); dazu
kamen Trankspenden, Früchte und Blumen, sowie offenbar
aus Ägypten importierter Weihrauch, und die zahlreichen
Votivgaben, Figuren der Verehrer in Bronze, Stein und Ton^
Schalen und Krüge, kleine Tierfiguren, Opfertafeln, Doppel-
äxte und kleine Nachbildungen von Waffen, auch Nachbil-
dungen von Kultbauten, Altären und Kultgeräten, und zum
Dank für eine Heilung Modelle von Gliedmaßen. Auf einer
Gemme aus der idaeischen Höhle steht eine Frau vor dem
mit Zweigen bedeckten Opfertisch und bläst durch eine große
Tritonmuschel, wie sie sich als Blasinstrumente mehrfach
gefunden haben'). Prozessionen, Reigen und Kulttänze mit
Musik und Gesang haben, wie überall, einen Hauptbestand-
teil der Götterfeste gebildet; auch die so eifrig gepflegten
Stierkämpfe mögen dazu gehört haben.
Eine Steatitvase aus Hagia Triada stellt einen bäuer-
lichen Festzug dar. Geführt wird er von einer, wie es
scheint, weiblichen Gestalt, vermutlich einer Priesterin, mit
langem Haupthaar in einem seltsamen aus Maschen gear-
beiteten und in Fransen auslaufenden Gewände^), mit einem
langen Hirtenstab auf der Schulter als Abzeichen ihrer Kom-
mandogewalt. Hinter ihr schreiten paarweise im Stampf-
schritt in langer Reihe die Teilnehmer des Zuges, alles
Männer mit Lendenschurz und Phallustasche, deren breites
Ende an den hochgehobenen linken Oberschenkel gebunden
') Die Plakette Karo 86 stellt einen Dämon in Gestalt der ägyp-
tischen Nilpferdgöttin Tueris dar, der einem aufgehängten Kalb
den Leib aufschneidet, offenbar eine Opferszene. Ferner gehören die
schon erwähnten Ochsenköpfe, mit und ohne Beil, auf den Siegeln
hierher.
'-) Evans, Palace I 222 = Karo 80.
*) Ähnlich ist das Gewand einer schreitenden Frau auf einem
Siegelabdruck aus Zakro (Hogarth, Annual XVII 264) : auf der Schulter
trägt sie dieselbe Axt, wie die Schnitter der Vase. Die vor ihr schreitende
Frau, die in untertäniger Haltung, mit auf die Brust gelegten Händen,
auf sie zurückschaut, ist ihre Dienerin, die ihr den Weg bahnt. Es wird
das Siegel einer Priesterfürstin sein.
192 IV. Kreta und die kretische Kultur
ist, um dessen Bewegungen mitzumachen^); im Unterschied
von den sonst üblichen kretischen Gestalten ist hei ihnen,
wie schon erwähnt, auch das Haupthaar abrasiert und der
Kopf mit einer Kappe bedeckt. In der Linken tragen sie,
auf die Schulter gelegt, eine Axt mit langem Stil und ein-
gesetzter sichelförmiger Schneide, also wohl eine Feldhacke;
an jede gebunden sind drei lange Binsen- oder Schilfhalme ^),
die über den Köpfen sich mannigfach kreuzend den Eindruck
einer lebend bewegten Masse erzeugen und das Ganze zur
Einheit zusammenfassen. So wird der Zug wohl ein bäuer-
liches, aus dem Feldbau erwachsenes Fest darstellen, ob
gerade ein Erntefest, ist recht fraglich, ebenso wie die üb-
liche Bezeichnung des Gefäßes als Schnittervase. In der Mitte
des Zuges gehn drei Sänger, im Unterschied von den anderen
mit kurz geschnittenem Haupthaar und ohne Kappen, und
ihnen voran, wie schon erwähnt (S. 178), ein Ägypter als
Vorsänger mit dem Sistrum.
Von den kretischen Gottheiten kennen wir eine größere
Zahl vor allem durch die Darstellungen auf Siegeln und Gold-
ringen; allerdings erhebt sich hier die Schwierigkeit, daß ein
beträchtlicher Teil derselben aus dem griechischen Festlande
stammt, und daß sie daher, auch wenn sie von kretischen
Künstlern gearbeitet sind, doch Kulte darstellen können, die
der Insel selbst fremd waren. Andere sind dagegen offenbar
von dieser aus importiert; und im übrigen ist die Überein-
stimmung so groß, daß wir sie, da eine reinliche Scheidung
*) Gegen Ende des Zuges greift der eine, sich bückend, dem Neben-
mann mit einem Zuruf an dies Glied, und der wendet sich scheltend
um — ein aus dem Leben genommenes Motiv, das von dem Künstler
mit großem Geschick benutzt ist, um die Monotonie der Darstellung
zu unterbrechen. Auch sonst herrscht in ihr das volle Leben der
kretischen Kunst; die Arme folgen durchweg der Bewegung der Beine,
man sieht die Gestalten im Taktschritt vorüberziehn.
^) Die Deutung als Heugabeln und der Äxte als Sensen und
vollends manche andere Deutungen (vgl. Kurt Müller, Arch. Jahrb. 30,
251 ff.) scheinen mir der sehr deutlichen Darstellung gegenüber un-
haltbar.
Die Gottheiten. Darstellung der Epiphanie 193
nicht erreichbar ist, doch an dieser Stelle werden verwenden
dürfen^).
Alle diese Darstellungen geben niemals ein wirklich
vorhandenes Bild der Gottheit, sondern immer nur ihre von
der Phantasie geschaffene und dem Gläubigen im Bewußtsein
schwebende Erscheinungsform. In den besten Werken steigert
sich das zu einer Darstellung der Epiphanie der Gottheit;
wir schauen die geistige Welt, in der der Kreter und seine
Kultur lebt. So steht innerhalb des heiligen mit Gebüsch be-
wachsenen Bezirks vor dem Kultbau und dem davorstehenden
Mastbaum eine Frau mit erhobener Rechten : da erschaut sie
über sich in der Luft den Gott schwebend, mit einem Stabe
in der ausgestreckten Hand-). Oder der Verehrer steht vor
dem Heiligtum: da erscheint vor ihm die Göttin, in der
gleichen Haltung, auf einem hohen Berge, an dem zu jeder
Seite ein Löwe aufsteigt^). Am bedeutendsten ist ein Gold-
ring aus Mykene-^): zwei Frauen'') in kretischer Tracht stehn
vor einem heiligen Baum; die zweite bringt Blumen, die erste
streckt die Linke aus, und ihr bietet die Göttin, die unter dem
Baum sitzt, einen Zweig mit Mohnkolben. In der Luft schwebt
eine Göttin in Schildform, wieder mit einem Stab in der
Rechten; darüber ist der Himmel dargestellt, mit Sonne und
') Das gilt natürlich auch für ihre Verwendung in der Schilde-
rung der Kultstätten oben S. 186 f.
*) Evans, Tree cult 72. Palace 1 160 = Karo 74, aus Knossos. Danach
auf Taf. VIII e.
^) Evans, Annual VII 29 = Karo 66, in zahlreichen Abdrücken bei
der Fassade in Knossos. Abbildung Taf. VIII f.
*) Karo 72. Furtw.Xngler, Gemmen II 20. oft abgebildet und be-
handelt. Auf Taf. VIII b nach einer mir von Prof. Rodenwaldt freund-
lichst überlassenen Vergrößerung abgebildet.
') Dazu kommen zwei kleine Frauen in einfacherer Tracht, die
eine hinter dem Baum, die andere, gleichfalls mit Blumen in den
Händen, vor der Göttin auf einem Felsen, der ganz wie die Berge ge.
zeichnet ist, auf denen die chetitischen Götter stehn (Bd. I 478 f.). Ob
das auch Verehrerinnen (Kinder?) sind oder vielleicht Gestalten aus
dem Gefolge der Göttin, ist schwer zu entscheiden.
Meyer, Geschichte dos Älterturas. II'. 13
^94 I^- Kreta und die kretische Kultur
Mond^). In die Mitte des Bildes ist, wieder frei schwebend.
die Doppelaxt gesetzt, an den Rand eine Reihe von Löwen-
köpfen. Man sieht, die Absicht, die wirklichen Vorgänge zu
schildern, liegt dem Künstler ganz fern; er benutzt vielmehr
die Kultszene, um ein Gesamtbild der idealen Welt zu ent-
werfen.
In derselben Weise ist es zu verstehu, Avenn der Baum sich
dem auf ihn zueilenden Verehrer zuneigt -). Die Gottheit
ist nicht dargestellt, aber sie lebt in dem Baum. Demge-
mäß ist vielleicht auch die Szene zu deuten, wo ein Kreter
den im Kultbau stehenden Baum gepackt hat und zu sicii
herabzieht-'). Auf anderen Goldringen tritt eine Frau zum.
Altar, vor dem die Göttin sitzt, einen Spiegel in der Hand;
oder sie s'tzt auf dem Altar vor einem Strauch und streckt
dem Verehrer, der ihre Hand faßt, den Zeigefinger entgegen^).
Auch hier ist ebensowenig ein realer Vorgang dargestellt,
wie wenn Dämonen in einer der ägyptischen Nilpferdgöttiii
nachgebildeten Mischgestalt Kannen mit Trankopfern tragen
und die Göttin vor dem Altar auf einem Stuhl sitzt, den
') Das Band von Wellenlinien darunter soll weder die Milchstraße
noch Wolken darstellen, wie man gemeint hat, sondern lediglich den
Himmel gegen Erde und Luft abgrenzen. Analog ist die Darstellung
des Himmels mit Sonne und Mond auf dem Goldring aus Tiryns über
opfern'len Dämonen (s. S. 195 Anm. 1). nur daß hier seltsamerweise
auch Zweige dazwischen gesetzt sind.
-) Evans, Tree cult 78 = Palace I 432 Fig. 310 c. Tsountas-Mannat,
Myc. age p. 225 Fig. 112. Furtwängler, Gemmen H 19, aus Vaphio.
Hinter dem Mann steht eine Frau mit erregt ausgestreckten Armen:
am Rande ein großer Schild und oben ein kreuzförmiges Symbol. —
Ähnlich P^vANS, Tree cult 87, aus Kreta.
3) EvANS, Tree cult 79 = Palace I 161, Karo 75, aus Mykene. Ab-
bildung Taf. VIII c. Hinter ihm steht zuschauend eine Frau, eine an-
dere beugt sich über einen Altar. Völlig erklärbar ist das Bild nicht. —
Ganz rätselhaft ist der schöne Goldring aus Kreta, Mitt. athen. Inst. 35,
343 = Karo 73: auf einem Kahn, dessen Heck in einen Pferdekopf aus-
läuft [fälschlich als Meerungeheuer gedeutet], sitzt eine nackte Frau,
doch wohl eine Göttin, am Ufer steht ein Kultbau und ein einge-
friedeter Baum.
*) Evans, Tree cult 77 und 92, aus Mykene.
Darstellungen der Gottheiten. Dis Berggöttin 195
Becher in der Hand, hinter ihr ein Adler, ihr heiliges
Tieri).
In zahlreichen anderen Fällen ist lediglich die Gottheit
dargestellt, meist verbunden mit den Tieren, die ihr dienen
und in denen sich ihre Eigenart manifestiert. 80 lernen wir
nicht nur einen Teil des kretischen Pantheons kennen, son-
dern gewinnen zugleich einen Einblick in seine Beziehungen
sowohl zu der kleinasiatischen wie zu der sich unter ihrer Ein-
wirkung weiter ausgestaltenden griechischen Religion^). Die
auf dem Berge stehende Göttin mit den Löwen kehrt wieder
auf Siegelabdrücken aus Knossos und Zakro, in stolzer Hal-
tung, die ausgestreckte Rechte hält den gebieterisch vor-
gestreckten Stab, der Löw^e zu ihrer Seite schaut gehorsam zu
ihr auf^). Sie ist die große Naturgöttin Kleinasiens, die
Rhea der Kreter, die auf den Bergen haust und der die
Tiere des Waldes, vor allem die Löwen, dienen (Bd. I 485).
Wir dürfen sie in einer Gemme aus Mjkene wiedererkennen,
wo sie mit kretischem Rock und nacktem Oberkörper gebil-
det ist und zwei Löwen, ihr dienend, in üblicher Weise anti-
thetisch gestellt zur Seite stehn')- Weiter gehören die auf
Kreta wie in Griechenland weitverbreiteten Gemmen hierher,
1) Karo, Arch. Anz. 81, 147 (vgl. Anz. 40, 169f.) = K/bo 87,: aus
Tiryns. Darüber der Himmel (s. S. 194 Anm. 1), darunter der sog.
Triglyphensims.
^) Die weiblichen Gottheiten sind zus-timmengestellt von H Prinz,
Mitt. afhen. Inst. 85, 149 ö"., der aber zu weit geht, wenn er sie alle
identifizieren und der kleinasiutisthen Gtttermutter gleichsetzen möchte.
Auch in manchen Einzelheilen kann ich ihm nicht zustimmen, so
namentlich in der weitverbreiteten Deutung der Gestalten von Ad-
orantinnen als Göttinnen.
3) Annual IX 59 = Evaks, Palace I 505. Karo 70; Hog/rth, Annual
XVn 2(;5. Die Haltung ist dieselbe wie die des Fürsten auf dem
Becher aus Hagia Triada (Abb. Taf. I1I4). Auf dem Haupt tiägt sie
eine spitze Mütze, die auch bei Kriegern wiederkehrt.
*) EvA>s, Tiee cult 66 = Kai 0 67. Die Anordnung kehrt wieder
in dem „chetitischen" Relief unter der Hadadstatue am Tor von Sendjirli
(v. Luschan, Ausgrabungen IV Taf. 64, und mein „Reich und Kultur
der Chetiter" llOfl'.), wo ein Dämon zwei Löwen hält; das Relief stammt
196 I^ • f^reta und die kretische Kultur
auf denen eine Göttin einen Widder oder Bock packt oder
auch, auf den Meeres wellen stehend, mit jeder Hand einen
Schwan am Flügel ergriffen hat^). Wir dürfen darin die große
Jagdgöttin (Artemis) erkennen, die im Kultus und Mythus der
altgriechischen Welt durchweg als eine der am mächtigsten ins
Leben eingreifenden Gottheiten erscheint. Auch ein Karneol
aus Kreta wird sie darstellen, auf dem eine Frau in kretischer
Tracht, mit stark hervortretender Brust, knieend den Bogen
spannt"). Daneben findet sich ein männlicher Gott, der zwei
antithetisch aufgerichtete Löwen packt; auf einem Siegel-
abdruck aus Knossos ist er schreitend dargestellt, einen Panther
zur Seite, mit zylindrischem Türschild, Lanze und Krieger-
mütze, also zugleich ein Kriegsgott^).
Die eigentliche Verkörperung der kriegerischen Wehr
aber ist die Schildgöttin des Goldrings von Mykene. Sie kehrt
wieder in dem Gemälde einer Votivtafel aus Mykene. zwischen
zwei Adorantinnen"*), aber auch auf Siegelabdi-ücken aus
Knossos-^). Deutlich sieht man. daß der Kultus an die große
Schutzwaffe dieser Zeit, den riesigen Schild aus Rindshaut, an-
knüpft, und daß diesem dann in der Phantasie — gewiß nicht
schon in Kultbildern, wie später bei den Steinhermen und den
spätestens aus dem 9. Jahrhundert. Daraus ist dann wieder der Gor-
gogiebel von Korkyra abgeleitet.
') Zusammengestellt bei Prinz, Mitt. athen. Inst. 35, 163 no. 5
bis 8. 11. 12, aus Kreta. Vaphio. Elis; Fürtwänoler, Gemmen II 2-5 — 29.
MiLCHHÖFER, Anfänge der Kunst in Griechenland (1883) S. 86. Reighel,
Vorhellen. Götterkulte (1897) S. 59.
2) Reighel S. 59 Fig. 19. Furtwängler II 24.
') Gemme aus Kydonia, Evans, Tree cult 65 = Karo 68; ähnlich
aus Knossos, AnnualVIIlOl; Siegelabdruck aus Knossos, Annual IX
69 = Evans, Palace I 505, Karo 69.
*) RoDENWALDT, Mitt. athen. Inst. 38, Taf. 8 = Karo 58.
*) Evans, Annual VIII 77 = Karo 71; rechts und links von ihr
ist der Schild wiederholt. Evans' Beschreibung: group of three warrior.s
with 8 — shaped shields, spears and peaked helmets (man hat sogar
Kureten darin gesucht!) ist falsch, nur der mittlere Schild wird von
einer Kriegerin getragen; bei den beiden anderen müßten sonst Reste
der Gliedmaßen u. s. w. erhalten sein.
Jagdgöttin. Schildgöttin. Göttin des Naturlebens 107
Brettidolen — ein Kopf mit hoher Zipfelmütze, Füße und eine
Hand, die die Lanze hält, angesetzt werden. Es ist das Pal-
ladion der Griechen, das Kultbild der die Stadtburgen schir-
menden lanzenschwingenden Göttin, der Pallas oder Athenaia
Polias, dessen Urform uns hier entgegentritt.
Andere Göttinnen verkörpern die freundliche Seite des
Naturlebens. So die Göttin des Goldrings von Mykene, die
unter dem Baum sitzt und von den Frauen mit Blumen
verehrt wird; man wird sie in der Göttin Helena (oevSpiii?)
von Therapne wiedererkennen dürfen, die in Sparta in einer
Platane des Platanistas von Jungfrauchören verehrt wird;
der Baum wird mit einer Ölspende begossen, ein Kranz von
Lotosblüten daran aufgehängte. Nach einer bei Herodot er-
zählten Legende verleiht sie den Kindern Schönheit. So be-
rührt sie sich mit der oben erwähnten Göttin der Zeugung
und Fruchtbarkeit, die wie in Babylonien und auf Cypern,
aber auch in rohen Idolen der Balkanhalbinsel (Bd. I 509)
die Brüste mit den Händen faßt (vgl. S. 163, 1). Diese selbst
scheint identisch mit der Taubengöttin, deren Kultbau in
Weihgeschenken in Knossos und Mykene nachgebildet ist.
Sie selbst ist in Goldblechornamenten aus Mykene mehrfach
dargestellt und zwar nackt, also nicht in kretischer, sondern
in der aus Babylonien stammenden und durch Cypern über-
mittelten Auffassung; eine Taube sitzt auf ihrem Kopf, andere
flattern um sie herum. Unter dem wohl gleichfalls aus der
Fremde entlehnten Namen Aphrodite hat diese Göttin von
Cypern sich weithin über das ägaeische Meer und nach Grie-
chenland verbreitet.
Im „Temple Repository" des Palastes von Knossos haben
sich neben zahlreichen Weihgeschenken auch drei Fayence-
') Theokrit id. 18, vgl. Kaibel, Hermes 27, 2-55 ff. Wide, Lakon.
Kulte 340 ff. Herod. VI 61. Pausan. III 15, 3 und 19, 10, wonach sie in
Rhodos den Beinamen ÖEvSplxti; hat. Auch an die kretische Britomartis
(angeblicli „die süße Jungfrau") wird man denken dürfen. — Sie mag
identisch sein mit der auf der goldenen Ziernadel aus Mykene, Schlie-
MANN 223 = Karo 53 (darüber zuletzt Val. Müller. Mitt. athen. Inst.
43. 153 ff.) als Ornament verwendeten Vegetationsgöttin.
198 I^ • Kreta und die kretische Kultur
figuren von Frauen in der raffinierten kretisclien Tracht ge-
funden, die in den Händen Schlangen tragen; eine vierte aus
Elfenbein und Gold ist nach Boston gekommen^). Bei der
Hauptfigur winden sich die Schlangen auch um Gürtel, Arme
und Kopf, bis hinters Ohr; eine weitere schlingt sich um
ihre hohe Haube und ragt mit dem Kopf au dieser hervor^).
Man wird in dieser Gestalt wohl eine Göttin im Kostüm der
Schlangenbeschwörerinneu erkennen müssen, während die
übrigen eher diese letzteren darstellen, ebenso wie bei einer
kleinen, ganz rohen Frauenfigur aus einem Kultraum in Pa-
laekastro, die eine aufgerichtete Schlange am Arm hält und
von drei anderen Frauen umtanzt wird''). Dann hätten wir
also auch hier zwar nicht ein Kultbild — dazu ist die Figur
(34 Zentimeter hoch) viel zu klein — , aber wohl eine Vorstufe
dazu"*). Jedenfalls aber haben wir es hier mit einem Kult zu
tun, in dem der Schlangenzauber eine Hauptrolle spielte.
Kultische Verehrung von Schlangen ist daraus jedoch nicht
zu folgern; vielmehr kommen Schlangen in den Kultdenk-
mälern niemals vor, so wenig wie etwa Skorpione und ähn-
liches Getier. So wird es sich eher um die, in den Wohn-
stätten und auf den Feldern im warmen Klima ja ganz
unentbehrliche Aufsuchung und Vertilgung der Schlangen
handeln, für die, wie im Orient überall bis auf den heutigen
Tag, die daran anknüpfenden Kulthandlungen magische Kraft
gewährten.
Dieser Göttin scheinen als Votivgaben die hohen, ihrem
Kopfputz gleichartigen kegelförmigen Hauben von Ton an-
zugehören, die sich bereits in einem Kultraum von Gurnia
^) Evans, Palace I -501 ff. und Titelbild. Karo 39.' ;1
^) Eine der anderen Figuren trägt nach der Rekonstruktion bei
Evans, Palace I 504, eine niedrige kronenartige Kappe, auf der eine
Löwin sitzt.
3) Annual X 21 7 ff.
*) Dem entspricht das oben S. .189, 5 erwähnte rohe späte Idol
mit zylindrischer Basis aus Gurnia, an dessen Arm sich eine Schlange
windet: Boyd-Hawes, Gurnia pl. 11. 1 = Ant. cret. I 36. Karo 51. Da-
neben stehn mehrere der gleich zu erwähnenden Hauben.
Schlangengöttin und Schlangenzauber 199
aus der Blütezeit, und dann später mehrfach in Kumasa und
Prinia gefunden haben, mit scblangenförmig sich windenden
Griffen zu beiden Seiten und einem an die Vorderseite ge-
setzten Kulthorn. Bei zwei ähnlichen hohen Hauben aus
Hagia Triada ist darunter noch ein ganz roher Kopf er-
halten^). Sie entsprechen der hohen Mütze der kleinasiati-
schen Göttermutter, aus der sich die Mauerkrone entwickelt
hat. Gleichartige Aufsätze, an denen sich Schlangen ringeln
und auf deren Henkeln und fensterartigen Öffnungen Vögel
sitzen, haben sich jetzt in dem Tempel von Betse'an in Palae-
stina aus der Zeit Sethos' I. gefunden'-). Auch hier tritt die
Verbindung mit dem Osten deutlich hervor.
Im allgemeinen ist es für den Charakter der kretischen
Religion bedeutsam, daß von Naturobjekten zwar Bäume (und
wohl auch andere Pflanzen) sowie hölzerne und steinerne
Pfähle als Sitze der Gottheit eifrig verehrt werden, ferner
Schilde und Doppeläxte, daß sich aber von dem in anderen
Religionen und auch bei den Griechen eine so große Rolle
spielenden Tierkultus nichts findet^) — denn die Löwen sind
nur Begleiter der Göttin, ebenso die Tauben und andere Vögel.
Die großen Natunuächte werden durchweg weiblich gedacht,
als gebärend und daher schöpferisch. Die männlichen Gott-
heiten treten dem gegenüber ganz zurück; auch der kretische
Zeus, wie wir ihn aus der griechischen ÜberHeferung kennen
lernen, ist ja in erster Linie der Sohn der großen Naturgöttin
und wirkt nicht ewig, sondern wird in jedem Jahre neu ge-
boren und stirbt wieder, wie die ents])rechenden Götter Klein-
asiens.
') Sam Wide, Mitt. athen. Inst. XXVI 247 ff., sowie S. 198 Anm. 4,
Karo 51. 52, richtig gedeutet von Prinz, Mützenidole aus Kreta, in Fest-
schrift der schles. Ges. Breslau 1911. Dazu Val. Müller, Der Polos 14 f.
2) Siehe Gressmann in Z. Alttest. Wiss. 44, 1926, 73 mit Val. Möller's
Bemerkungen dazu.
') Gewöhnlich wird die Minotaurossage als Fortbildung eine»
kretischen Stierkultus mit Menschenopfern gedeutet; aber in den Mo-
numenten weist keine Spur auf etwas Derartiges hin, und so scheint
hier größte Zurückhaltung geboten.
200 I^- Kreta und die kretische Kultur
Neben der Götterwelt steht die der Dämonen, die als
unheimliche, gespenstische Wesen von der Phantasie reich
ausgestaltet und auf den Siegeln vielfach abgebildet werden^);
hier tritt der kleinasiatische und der durch ihn vermittelte
babylonische Einfluß besonders stark hervor. Daneben steht
als einziges auf diesem Gebiet aus Ägypten übernommenes
Element das Bild der Nilpferdgöttin Tueris^). In den Dar-
stellungen erscheinen auch diese Dämonen nicht selten im
Dienst der Götter und bringen ihnen Trankopfer dar^). In
Sagen und Mythen haben sie ohne Zweifel eine große Rolle
gespielt, und manches davon wird weiter gewandert und in
die Erzählungen der Griechen eingedrungen sein. So zeigt
der Rest eines Siegelabdruckes aus Knossos einen Kahn mit
einem kretischen Schiffer darauf, der von einem Seeunge-
heuer angefallen wird, und ruft die Erinnerung an die Skylla
wach^); und wenn auf dem Abdruck eines anderen knos-
sischen Siegels vor einem mit zahlreichen Ruderern bemann-
ten Kriegsschifi" ein riesiges Pferd steht ^), kann man kaum
umhin, darin die älteste Gestalt der Sage vom trojanischen
Pferd zu suchen.
'j Daß viele der auf diesen vorkommenden ganz phantastischen
Mischwesen lediglich Schöpfungen der Siegelschneider sind, ist oben
schon erwähnt.
^) Siehe o. S. 191, 1. Eine Nachbildung derselben aus ganz früher
Zeit (Early Minoan) kommt schon in den Gräbern der Messarä vor
(Xanthidues Taf. 14, 1075).
^) Siegel und Glasplatten aus Vaphio und Mykene bei Evans,
Pillar cult 3 und 19, sowie oben S. 194 f. (Karo 87). Vgl. ferner die Pro-
zession eselsköpfiger Dämonen, die eine lange Stange tragen, auf dem
Fragment eines Wandgemäldes aus Mykene: Tsountas-Manatt, Myc.
age 301. E(p. äpx. 1887 Taf. 10. Karo 62; ähnlich auf einer Muschel
aus Phaestos, Mon. ant. XII Taf. 8, 1, wo sie in der Hand das ägyptische
Lebenszeichen (Henkelkreuz) tragen.
*) Evans, Annual IX 58. Karo S'.',; vgl. Studniczka. Mitt. athen.
Inst. 81, 50.
''] Annual XI 18.
Dämonen und Sagen. Gräber 201
Gräber und Totenkult
Die Anlage und Ausstattung <ler Gräber hat sich in der
Blütezeit Kretas über die verhältnismäßig einfachen Formen
der ältesten Epoche hinaus nicht gesteigert, sondern ist eher
zurückgegangen; große aus rohen Steinen aufgeführte und
überwölbte Kuppelgräber, wie sie damals im Süden in der
Ebene der Messara (bei Phaestos) angelegt wurden^), finden
sich hier in der Folgezeit nicht mehr. Auf den Friedhöfen
der Ortschaften und in Einzelgräbern werden die Leichen,
in Hockerstellung, oft mit gewölbten Deckeln von Ton über-
deckt. Daneben werden tönerne Wannen und rechteckige Ton-
särge (Larnakes), die die Form hölzerner Truhen nachahmen,
immer häufiger; die reiche Bemalung verwendet neben rein
dekorativen Motiven mehrfach auch kultische Symbole, wie
die Doppelaxt, Kulthörner, Greifen, die wohl eine Bezie-
hung auf den Totendienst enthalten. Für die vornehmeren
Gräber werden im Kalkstein Kammern ausgehauen; aber nur
ganz vereinzelt finden sich Grabanlagen größeren Stils. Am
bedeutendsten ist das vielleicht einem Könige angehörende
Grab in dem Hügel Isopata nördlich von Knossos, eine große
rechteckige Kammer mit einer Vorhalle, zu der ein langer
Gang (Dromos) hinabführt. Die Mauern sind aus Quadern
erbaut und durch Überkragung spitzbogig überwölbt. Dieses
Grab gehört der letzten Zeit der kretischen Kultur an (Late
Minoan H) -). Eine späte Fortsetzung der alten Kuppel-
') Xanthudide«, The vaulted tombs of Messara 192.i.
'•*) Evans, Prehistoric tombs of Knossos (Archaeologia LIX 1906),
möchte aus den einer älteren Zeit angehörenden ägyptischen Ge-
fäßen aus Porphyr, Diorit und Alabaster folgern, daß das Grab be.
reits wesentlich früher angelegt und dann in spätminoischer Zeit neu
benutzt sei. Aber daß ältere Prunkgefäße aus dem Besitz des Fürsten
diesem mit .'.ns Grab gegeben wurden, ist doch begreiflich genug:
zur Datierung kann nur das bemalte Tongeschirr aus weit späterer
Zeit dienen, darunter prachtvolle Amphoren im „Palaststil". Das
Postulat S. 167, Kreta müsse den mykenischen Kuppelgräbern gleich-
wertige Bauten geschaffen haben, ist unhaltbar: derartige Bauten gibt
es eben auf Kreta nicht.
202 I^ • Kreta un l die kretische Kultur
gräber der Messani ist es nicht, sondern steht eher bereits
unter der Einwirkung der großen Kuppelgräber des griechi-
schen Festlandes. An künstlerischer Bedeutung und monu-
mentaler Wirkung steht es weit hinter diesen zurück: die
großartige Entwicklung des Steinbaus gehört dem griechi-
schen Festlande an, ist dagegen der kretischen Baukunst
völlig fremd.
In die Gestaltung des Totendienstes gewährt ein gleich-
falls dieser letzten Periode angehörender Steinsarg aus Ha-
gia Triada bei Phaestos einen Einblick. In den Gemälden,
mit denen die beiden Langseiten geschmückt sind, werden
die einzelnen Szenen dargestellt. Auf der einen liegt der
gefesselte Stier mit zerschnittener Kehle auf dem Opfertisch,
sein Blut wird in einem Eimer aufgefangen ; unter dem Tisch
liegen noch zwei gefesselte Wildziegen, die offenbar dann
auch geopfert Averden sollen. Eine Flötenspielerin begleitet
die Handlung mit Musik; ihr folgen fünf weitere Frauen,
deren erste die Hände weihend über das Opfer ausstreckt.
Rechts steht ein mit Kulthörnern geschmückter Kultraum,
der einen Ölbaum umschließt, davor auf hohem Pfahl die
Doppelaxt, auf der ein Vogel sitzt, und ein Altar. Auf diesen
bringt eine Priesterin, charakterisiert durch ein Wollfell, das
sie um die Hüften trägt, segnend die Opfergaben, zwei Körbe
mit Früchten und Kuchen und eine Kanne. Auf der anderen
Seite gießt die Priesterin das Opferblut in einen Krug, der
auf die Postamente von zwei hoch aufgerichteten Doppel-
beilen gestellt ist; auch hier sitzt auf jedem der beiden ein
Vogel. Ihr folgen zw^ei Frauen in der üblichen Tracht, die
eine mit einem zweiten Eimer, die andere spielt die Leier.
Rechts davon steht in kleinerer Gestalt, bekleidet mit einem
die Arme verhüllenden Wollgewande, der Tote^j vor einem
') Gegen Rodenwaldt, Mitt. athen. Inst. 37, 138 f., und Karo muß
ich an der Deutung dieser Gestalt als des Toten festhalten. Das ihm
von dem ersten der drei Priester dargebrachte Gerät mit gekrümmter,
hochaufragender Spitze hat schon der erste Herausgeber Paribeni für
das Totenschiff erklärt, ebenso viele andere, z. B. Düssaud. Civil, pre-
Der Sarkophag von Hagia Triada 203
Portal, vor ihm ein Baum und ein Altar. Au diesen bringen
drei Männer, bekleidet mit dem priesterlichen wolligen Fell,
die Opfergaben, einen Kahn (?) und zwei Kälber. Die beiden
Schmalseiten führen dann in die Phantasiewelt des Jenseits:
zwei Göttinnen fahren auf einem Wagen, der das eine Mal
mit Pferden, das andere mit Greifen bespannt ist. Man hat
in der einen der beiden Gestalten den verklärten Toten sehn
wollen, den eine Göttin ; davonführt; andere glauben seine
Seele in einem phantastisch mit einer Haube gestalteten Vogel
zu erkennen, der über den Greifen flattert. Als gesichert kann
keine dieser Deutungen gelten.
Die Gemälde des Sarkophags geben uns zugleich ein Bild
von der Weise der kretischen Opfer. Auch hier ist, wie in
so vielen Religionen, das Blut des Opfertiers die Gabe, die
den dämonischen Mächten zukommt; die materielle Verbin-
dung mit ihnen schaut das aufgerichtete Kultmal der Doppel-
axt und daneben der heilige Baum, und die Vögel, die sich
darauf setzen, bezeugen, daß sie wirklich anwesend sind.
Zur heiligen Handlung gehört Musikbegleitung. Bedeutsam
ist, daß auch hier die Frauen im Kultus und als Priesterinnen
stärker hervortreten als die Männer.
Staatliche Verhältnisse. Bewaffnung unü Kriegswesen
Von den staatlichen Verhältnissen Kretas läßt sich bei
dem völligen Fehlen irgendwelcher Nachrichten oder Doku-
mente ein Bild nicht gewinnen. Wie das Verhältnis der beiden
hellen., sowie Ebert, Praehist. Z. XI 1919.. 179; andere wie Karo sehn
darin einen Elefantenzahn. Eine sichere Entscheidung scheint unmög-
lich. Jedenfalls aber erscheint mir ebenso wie Karo die (z. B. auch
von RoDENWALDT a. a. 0. bestrittene) Deutung der Szene auf den Toten-
kult durchaus geboten; sie ist bei einem Sarkophag das allein natür-
liche, von dem man nur abweichen darf, wenn genügende Gründe da-
gegen sprechen [daß die Sarkophage der Kaiserzeit mythische Szenen
darstellen, kommt doch hier nicht in Betracht, sondern ist das p]r-
gebnis einer langen kunstgeschichtlichen Entwicklung]. Völlig abzu-
lehnen sind Deutungen wie die von E. Peters:;n, Arch. Jahrb. 24,
162 ff., der überall mit spezifisch griechischen Ideen operiert.
204 IV. Kreta und die kretische Kultur
Herrschersitze Knossos und Phaestos mit ihren Palästen und
weiter das des letzteren zu dem wenig weiter westlich nach
dem Meere zu gelegenen Hagia Triada gewesen ist, bleibt
für diese Epoche eben so dunkel wie für die frühere. Eben-
sowenig wissen wir, ob auch der für die ältere Zeit noch
völlig unerforschte Westen der Insel, in dem wir den Volks-
stamm der Kydonen zu suchen haben (Bd. I 521 f.), zu
dem Reich der im Zentrum und Osten sitzenden Eteokreter
oder Kafti gehörte oder ob er einen eigenen Staat bildete ;
kleine Ausgrabungen von Gräbern in Maleme Avestlich von
Kydonia (Kanea) und in Atsipas (an der Südseite, westlich
vom Ida) haben wenigstens gelehrt, daß auch hier dieselbe
Kultur herrschte wie im Osten ^). Im übrigen beweist der
Umstand, daß, im Gegensatz zu Phylakopi auf Melos und zu
den festländischen Herrschersitzen, alle kretischen Städte nach
wie vor unbefestigt geblieben sind, daß auf der Insel fried-
liche Zustände herrschten und man weder einen inneren Krieg
noch einen Überfall zur See befürchtete.
Die Insel ist dicht besiedelt, mit zahlreichen ansehn-
lichen, eng bebauten Städten. Daß an der Spitze des Reichs
ein König stand, mit großem Hofstaat beiderlei Geschlechts
und zahlreichen Beamten, ist an sich zweifellos und wird
durch die großen Paläste bestätigt. Aber in den Wandge-
mälden und den übrigen Denkmälern tritt, in bezeichnendem
Gegensatz gegen Ägypten, der König niemals hervor, es sei
denn, daß wir in dem „Prinzen mit der Federkrone" und in
dem mit Halsketten und Spangen geschmückten Fürsten, der
auf dem Steatitbecher von Hagia Triada in stolzer Haltung,
den Kommandostab in der Hand, die Meldung eines Offiziers
entgegennimmt (Taf. III), den König selbst zu erkennen haben.
Ganz fremd ist der kretischen (und ebenso der mykenischen)
Kunst jedenfalls der in Ägypten wie in Babylonien allgemein
herrschende Brauch, den Herrscher (und ebenso in Ägypten
den Grabherrn) in riesiger, alle anderen weit überragender
') Prinz, Mitt. athen. Inst. .85, 150. Karo. Arch. Jahrb. 30, 198.
staatliche Gestaltung. Waffen 205
Gestalt darzustellen. Daß den Herrschern mächtige Magnaten
mit großem Grundbesitz und zahlreichen Gefolgsleuten zur
Seite standen, kann nicht zweifelhaft sein; ihnen werden die
großen, palastartigen Wohnhäuser angehören, die in Städten
wie Tylissos, Gurnia, Palaekastro u. a. und auch in Knossos
selbst neben dem großen Königspalast liegen. Auch Priester
und Priesterinnen (vgl. das Siegel o. S. 191, 3) werden eine
große Rolle gespielt haben, falls nicht diese Funktionen mit
der Stellung der Grundherren verbunden waren.
In der Bewaffnung ist zu der Lanze und dem seit alters
am Gürtel getragenen Dolch das Schwert hinzugekommen,
in der Regel als langer, spitz zulaufender Degen mit Doppel-
schneide, der vor allem zum Stoßen dient; daneben kommen
neben starken Dolch messern auch breitere wuchtige Schwerter
vor, die einen kräftig durchschlagenden Hieb zu führen ge-
statten. Prachtexemplare mit reich mit Gold und Edelsteinen
besetztem Griff und feiner Ornamentik der Rippe sind in den
vornehmen Gräbern Kretas wie des Festlandes vielfach er-
halten. Das Schwei-t ist die charakteristische Waffe der
ägaeischen Welt geworden; es hat sich in dieser überallhin
verbreitet, und die Serdanasöldner haben sie nach Ägypten
mitgeführt (o. S. 57).
Durch das Aufkommen des Schwertes wird der Charakter
des Kampfes wesentlich geändert. Es erfordert eine ganz
andere Durchbildung und Schulung des einzelnen Mannes als
etwa der Ansturm eines geschlossenen Haufens von Lanzen-
kämpfern, und auch die Güte der Waffe kann entscheidend
werden. Wenn der Stoß mit der Lanze versagt hat und
das Schwert gezogen ist, wandelt sich das Gefecht in ein
Ringen der einzelnen Recken mit Hieb und Stoß. Das kann zu
einer vollen Auflösung des Gefechtes in lauter Einzelkämpfe
führen, in der Weise wie es die homerischen Epen schildern,
während die Massen ganz zurücktreten. Dem entspricht es,
daß in den kretischen Denkmälern, anders als auf dem griechi-
schen Festlande, Bogenschützen kaum je vorkommen. Aller-
dings sind Pfeilspitzen von Bronze garnicht selten; aber die
206 IV. Kreta und die kretische Kultur
vornehme Welt sieht offenbar auf diese den Barbaren ge-
läufige Fechtweise mit Verachtung hinab, und die Darstel-
lungen berücksichtigen sie daher nicht ^).
Unentbehrlich für diesen Kampf sind starke Schutzwaffen.
Der für die Epoche charakteristische Schild besteht in Kreta
wie auf dem griechischen Festland aus einer großen, über
einen Rahmen gespannten Ilindshaut, mit abgerundeten und
eingefaßten Rändern, in der Mitte gelegentlich durch einen
Metallbuckel verstärkt. Er wird an einem über der Schulter
liegenden Riemen (TsXafiwv) getragen und deckt den ganzen
Körper; an beiden Seiten ist er eingekerbt, um für die
Stoßlanze Raum und Bewegungsfreiheit zu schaffen. Gegen
das Anschlagen des Schildrandes werden die Schienbeine
durch Gam.aschen geschützt, an deren Stelle später eherne
Beinschienen (%vy][iio;c) treten. Daneben finden sich nicht
selten, so auf Dolchklingen und Goldringen aus den myke-
nischen Schachtgräbern, zylindrisch gewölbte Schilde von
gleicher Größe, oben abgerundet, unten rechteckig. Diese
riesigen Schilde decken den ganzen Körper und machen es
dem Angreifer, wenn der Versuch, sie mit der Lanze zu
durchstoßen, mißglückt ist, schwer, den Hals oder die Beine
mit dem Dolchmesser oder Schwerte zu treffen; aber eben-
sogut hindern sie die eigene Bewegungsfreiheit. Daher führen
andere Stämme der ägaeischen Welt, wie die Serdana, einen
M Von Figuren von Schützen aus Kreta kenne ich nur den nack-
ten und kahlköpfigen Jäger aus älterer Zeit (M. M. I) auf dem Elfen-
beinsiegel bei Evans, Palace I 197; dann den auf der Fayenceplakette
ausdem ^Loom-weightbasement" von Knossos (Palacel309 = Ann. V1II20)
und den knienden Schützen auf dem Steatitfragment aus Knossos,
Ann. VII 44, besser bei K. Möller, Arch. Jahrb. 30, 262. Beide führen
den einfachen Bogen. Ersterer ist nach Haartracht und Gestalt ein
Kreter mit Lendentuch, -wie der gleichartige Lanzenträger aus dem-
selben Funde. Der andere hat anderes Haar und Backenbart und
trägt Hosen, ist also wohl ein Grieche (u. S. 232). Ferner die Jagd-
göttin, die den einfachen Bogen spannt, oben S. 196. — Unter den Scbrift-
zeichen des Diskos von Phaestos findet sich der Pfeil und der zu-
sammengesetzte doppeltgekrümmte Bogen.
Waffen und Kampfweise 207
wesentlich kleineren, kreisrunden Schild, der sich als Schrift-
zeichen auch auf dem Diskos von Phaestos findet. Nach
Kreta ist er, soweit wir sehn können, erst nach dem Unter-
gang der Kaftimacht gelangt^), und hat dann auch auf dem
griechischen Festland immer mehr Verbreitung gefunden. Noch
das homerische Epos kennt beide Schildformen nebeneinander,
doch so, daß der riesige, den ganzen Mann deckende Schild,
wie ihn z. B. Aias trägt, gegenüber dem Rundschild (aairlc;
TrdvTOo' itarj) wohl kaum mehr als eine von der Tradition fest-
gehaltene Überlieferung aus der Urzeit ist^).
Den Kopf schirmt eine Lederkappe, oft mit Eberzähnen
besetzt, nicht selten mit Backenschienen und Nackenschirm.
In der Kegel fehlt auch ein mächtiger Helmbusch nicht. Es
ist auch für die Ethnographie beachtenswert, daß dieser nach
Herodot (I 176) ebenso wie der zum Rundschild gehörende
Griö (ö/avov) und die Wappenzeichen auf den Schilden kari-
schen Ursprungs sind und die Griechen sie den Karren ent-
lehnt haben.
Von der Kampfweise sowohl des Orients wie Griechen-
lands unterscheidet sich Kreta dadurch, daß hier der Streit-
wagen vöUig fehlt. Das Pferd ist auf der Insel offenbar erst
im Verlaufe der neukretischen Zeit importiert worden. In
den Inventarverzeichnissen der letzten Epoche des Palastes
von Knossos findet es sich vielfach^), daneben die leichten
Wagen; in den Magazinen wurden dann die einzelnen Teile
auseinandersrenommen — W^agenkorb mit Deichsel und die
') Er findet sich, zusammen mit Schwertern und Lanzenspitzen,
in späten Gräbern von Muliana im' Osten der Insel (Late Minoan III):
Etp. äpy. 1904 = Ant. cret. II 85.
2) Bahnbrechend ist hier das Werk von Wolfgang Reichei., Home-
rische Waffen (2. Aufl. 1901) gewesen, dessen einseitige Auffassung
von Robert, Studien zur Ilias (1901) S. 1 ff. in wesentlichen Punkten,
vor allem durch Scheidung der beiden Schildformen bei Homer, berich-
tigt worden ist. Robert's Versuch freilich, danach die Schichten der
Ilias zu scheiden, ist mißglückt.
^) Vereinzelt auch auf Siegeln. Evans, Scripta Minoa p. 43 Fig. 20 a,
sowie oben S. 200.
208 I^- Kreta und die kretische Kultur
Räder, immer mit vier Speichen, wie im Orient — und ge-
sondert verzeichnet. Aber größere Bedeutung hat es offenbar
nicht gewonnen^).
Die militärische Disziplin veranschaulicht das Relief eines
Steatitbechers von Hagia Triada^), wo ein Offizier in stram-
mer Haltung mit leicht geneigtem Haupt und geschlossenen
Beinen, das Schwert an der Schulter — in der anderen Hand
trägt er ein langes Blashorn — , dem stolz, gleichfalls mit
geschlossenen Beinen, vor ihm stehenden Fürsten drei Kreter
vorführt, die ganz in riesige Tierfelle eingehüllt sind — wie
das zu erklären ist, ist völlig dunkel.
Handel, Industrie und Schiffahrt
Die Kreter sind athletische Gestalten, durchgebildet in
gymnastischen Übungen und Wettkämpfen; aber ob ein wirk-
lich kriegerischer Geist in ihnen lebte, kann sehr fraglich
erscheinen. Bedeutsam ist jedenfalls, daß in ihrer Kunst, in
bezeichnendem Gegensatz zu der des griechischen Festlandes
sowohl wie zu der Ägyptens, weder Jagdszenen noch kriege-
rische Kämpfe dargestellt sind^). Auch das deutet auf ein
behagliches Genußleben, das sich in trügerischer Sicherheit
ergeht.
^) Daneben findet sich natürlich der Ochsenkarren; so z. B. eine
Votivbronze aus der Lasithihöhle, Ann. VI 108 = Ant. cret. I 29, 20,
mit zwei dicken viersi^eichigen Rädern. Dieselben Räder, deren Rad-
kranz mit einem breit übergreifenden Metallreifen beschlagen ist,
haben die Götterwagen des Sarkophags von Hagia Triada (o. S. 203);
auch das zeigt, daß der Streitwagen Kreta fremd geblieben ist. Vgl.
auch den vierrädrigen Wagen auf einer Schrifttafel von Tylissos (Eb.
apx- 1912, 214); das Vorderrad ist vierspeichig, das Hinterrad eine
große Scheibe.
^) K. Müller, Archaeol. Jahrb. 30, 244; die beiden Hauptszenen
auf Taf. in 3. 4. Die Deutung der Felle als Schilde lehnt er mit Recht
ab ; die müßten ganz anders aussehn.
') Ob die kleinen Bruchstücke von Fayenceplatten mit Gliedern
nackter schwarzer Gestalten aus dem Loom-weight basement von
Knossos, Evans, Palace I 309 f., aus einer Kampfszene gegen ein fremdes
Volk stammen, ist nicht zu entscheiden.
Handel und Seeverkehr 209
Umso größere Bedeutung für das Leben besitzen seit
alters Industrie und Seefahrt. Die Zersplitterung der Insel in
eine außerordentlich große Zahl kleiner Stadtgebiete, die für
Kreta immer charakteristisch geblieben ist — von neunzig oder
hundert Städten reden bekannte Stellen Homers — , erklärt
sich aus ihrer Bodengestaltung: die die ganze Insel durch-
setzenden hohen Gebirgszüge haben überall die anbaufähigen
Flächen und Täler eingeschnürt und isoliert. Aber die dichte
Besiedlung der größeren Städte mit ihren engen Gassen er-
fordert eine von Handwerk und Handel lebende Bewohner-
schaft; und vollends Seestädte wie die auf der felsigen Land-
zunge Mochlos und dem wasserlosen Felseiland Pseira im
Golf von Mirabello, die bis in die frühminoische Zeit hin-
aufragen (Bd. I 570) und jetzt neugebaut werden, ebenso wie
Gurnia im innersten Winkel des Golfs, setzen die volle
Entwicklung der Schiffahrt und des Seehandels voraus. Nur
durch den regen Verkehr ist denn auch die einheitliche
Kultur und vollends die Entstehung eines Reichs möglich
geworden, das mindestens die ganze Osthälfte der Insel bis
zum Ida umfaßt hat. Dieser Seeverkehr, teils Piraterie, teils
Handel, verbindet Kreta seit den ältesten durch die Funde
erkennbaren Zeiten sowohl mit Ägypten wie mit der Insel-
welt im Norden; die KaftischifPe, die Thutmosis III. in Phoe-
nikien findet (o. S. 98, 1), und die zahlreichen kretischen Scher-
ben in den phoenikischen Städten bezeugen ihn für das Ost-
becken des Mittelmeers. Durch ihn bezieht Kreta die fremd-
ländischen Stoffe und Techniken, die Kunst und Handwerk
so reichlich verwenden, wie Elfenbein, Alabaster, Fayence,
Glas, den in Kreta ebenso wie in Ägypten und dem Orient
besonders geschätzten Blaustein (Kyanos), vereinzelt auch den
auf dem griechischen Festlande weit häufiger vorkommenden
Ostseebernstein. Dazu kommt weiter Kupfer, Silber und Gold.
Kunstvolle Arbeiten in allen diesen Materialien werden dann
wieder von Kreta nach Ägypten gesandt (o. S. 107), ebenso
Körbe mit Blaustein, Kupferbarren, und auch ein Elefanten-
zahn. Wie stark daneben die künstlerischen und die religiösen
Meyer, Geschichte des Alterturas. II'. 14
210
IV. Kreta und die kretische Kultur
Einwirkungen und Beziehungen sind, haben wir schon ge-
sehn. Das Gold bezog man wohl meist aus Ägypten, dem Gold-
lande dieser Epoche, daneben aus den Minen und Gold-
wäschereien im Bereich der ägaeischen Welt, ebenso wie das
Silber, das vielleicht auch schon aus dem Westen (Spanien
und Sardinien) eingeführt wurde. Woher das hier wie überall
im Orient und Europa für die Bronzebereitung benutzte Zinn
stammte, ist für die gesamte Bronzezeit noch immer völlig
ungeklärt. Die große Masse des Kupfers kommt jedenfalls aus
Cypern; aber auch auf Kreta selbst haben sich nicht nur
Schlacken und Schmelztiegel, die vom Ausschmelzen der im-
portierten rohen Erzblöcke in den kretischen Werkstätten
stammen könnten, sondern auch Lager von Eisen- und Kup-
fererzen mit Spuren alter Schürfstellen gefunden i) Für den
Handelsverkehr dient, wie in Ägypten, Kupfer und Gold als
Wertmesser. Das Kupfer wird in rechteckige Blöcke mit kon-
kav ausgeschweiften Seiten gegossen; solche Blöcke haben
sich in den kretischen Palästen vielfach gefunden, ebenso
auf Amorgos, auf Euboea, auf Sardinien und sonst, und in
Ägypten unter den Gaben, welche die Kafti bringen; auf den
Schrifttafeln erscheint ihr Bild vielfach in Rechnungen. Neun-
zehn solche Kupferbarren lagen aufgereiht in einem Zimmer
in Hagia Triada. Sie haben ein Durchschnittsgewicht von
29 Kilogramm; dem entspricht genau ein großes, rings von
den Fangarmen eines Tintenfisches umschlossenes Steinge-
wicht aus dem Palast von Knossos. Das ist also das kretische
Talent. Siebzehn Kupferbarren in einem Funde aus dem Meer
bei Kyme auf Euboea — also offenbar von einem unterge-
gangenen Schiff stammend — haben sehr ungleiche, meist
wesentlich geringere Gewichte, die sich nicht als Bruchteile
dieser Einheit auffassen lassen. Kleinere Gewichte scheinen
runde Steinscheiben mit Zahlen darauf darzustellen. Daß im
') Nach einer freundlichen Mitteilung des deutschen Konsuls in
Kanea Herrn G. Krüger. Vgl. weiter Fimmen, Kretlsch-myk. Kultur 120 f.
Völlig geklärt ist die Frage noch nicht.
Metalle und Gewichte, Die Schiffe 211
kretischen Verkehr ein einheith'ches Gewichts- und Geld-
sjstem geherrscht hat, ist offenbar; aber es zu ermitteln,
ist bisher nicht möglich gewesen^). — Als Goldgewicht
scheinen goldene oder bronzene ) Ochsenköpfe gedient zu
haben, die sich auch als Schriftzeichen und ebenso unter den
Gaben nach Ägypten finden, wo sie, neben liegenden Löwen,
Kegeln u. ä., gleichfalls zum Abwägen von Goldringen be-
nutzt werden^).
Die kretischen Schiff'e') setzen die Form der Kähne
weiter fort, die wir aus früher Zeit (Bd. 1512) durch Zeich-
nungen auf Tongefäßen von den Kykladen (vor allem von
Syros) kennen. Charakteristisch für sie ist der Ramrasporn
und das hoch aufgerichtete Heck. Neben den Ruderbooten,
von denen mehrfach auch Modelle in Ton erhalten sind,
kennen wir schon aus den Zeichnungen der älteren Siegel
mit „piktographischen" Bildzeichen-') die Segelschiffe, mit
hohem Mast und Takelwerk, in denen wir die Handelsschiffe
zu erkennen haben. Manchmal steht eine Kajüte darauf, Avie
bei den ägyptischen Nilbooten. Die Kriegsschiffe haben ein
Oberdeck. Gelegentlich findet sich auch bereits oben am Mast
eine Rahe, an die das Segel aufgebunden werden kann, um
') Das Material bei Evans, Minoan weights anrl currency, in der
Corolla Numismatica 1906. S. 836 ff. Eva>s hat aber viele Objekte her-
angezogen, die keine Gewichte sind (so z. B. die Anhängsel in Tauben-
forra S. 3.51, vgl. Annual VIII 39), und die Gleiihung mit z. T. will-
kürlich konstruierten ägyptischen und anderen Gewichtssystemen ist un-
haltbar. Besonnen wie immer hat FtMMEN. S. 121 ff., diese Fragen be-
handelt. Vgl. auch Regling's Artikel Geld bei Pauly-Wissowa VII 970 ff.
— Goldene Wage aus Mykene bei Fimm.n 124; auf Schrifttafeln bei
Evans 353 und sonst.
^) Kin solcher, mit Blei gefüllt, bei Fa'ans p. : 53.
') So bei Rechmere' LD. 11139 a, und in Der el Bahri, Ann. du
Serv. IX 49 no. 2 = Erman-Ranke S. 553.
*} Grundlegend Köster, Das antike Seewesen, 1923, S. 56ff. Ferner
FiMMEN S. llÜf.
^) Zusammengestellt bei Evans. Scrip'a Minoa 203, ferner Palace I
p. 118 Fig. 87, 7 und 120 Fig. 89 b; daraus sind die Abbildungen bei
Köster entnommen.
212 IV. Kreta und die kretische Kultur
beim Kampf nicht behinderlich zu sein^). Natürlich werden
neben dem Segel immer auch Ruderer verwendet, die bei den
stets wechselnden Winden des Ägaeischen Meeres ganz un-
entbehrlich sind.
Die Minossage und die Beziehungen zum Ausland.
Die Inselwelt und der Westen. Der Diskus von Phaestos
und die Philister
Schon in der Kamareszeit hat Kreta auf die Kykladen
und das griechische Festland eingewirkt; Kamaresgefäße und
einheimische Nachahmungen derselben finden sich hier viel-
fach, so auch auf Ägina und in den Schachtgräbern von
Mykene Mit dem Wandel des Kunststils setzt dann zugleich
ein mächtiger Aufschwung der kulturellen und kommerziellen
und offenbar auch der politischen Stellung Kretas ein. Die
regen Beziehungen zu Ägypten haben wir bereits kennen ge-
lernt; die Inselwelt im Norden aber und die südlichen und
östlichen Landschaften Griechenlands werden geradezu eine
Dependenz der kretischen Kultur.
Die griechische Sage berichtet von einem mächtigen
König Minos von Knossos, der die See weithin beherrschte.
Man erzählte von seinen Kriegszügen nach Griechenland,
gegen Athen, das ihm einen Tribut von vierzehn Knaben und
Mädchen zum Opfer für einen menschenfressenden Stier, den
Minotauros, leisten muß^), gegen Megara, wo er sich auf
') So Evans 1. c. p. 15.5 no. P 27 a.
2) In der Minotaurossage, ebenso wie in der damit verwandten
Pasiphaesage, stecken gewiß alte mythische Elemente, deren Ursprung
und Bedeutung wir aber umso weniger erkennen können, da sie ganz
mit den ursprünglich völlig davon zu trennenden Sagen von Theseus
und von Ariadne und mit der von Europa vei schmolzen sind. Ob sich
unter den phantastischen Mischwesen der kretischen Siegel irgend eines
befindet, das mit Hecht als Prototyp des Minotauros gelten kann, ist
mindestens fraglich; die Gestalten, die dafür ausgegeben werden (z. B-
Annual VII IS. 19. 133), haben keineswegs einen Stierkopf. Jedenfalls ist
ein Stierkult der kretischen Religion, soweit wir sie kennen, völlig fremd,
und daß hier Menschenopfer üblich waren, ist wenig wahrscheinlich.
Die Minossage 213
dem nach ihm benannten Hügel Minoa neben dem Hafenort
Nisaea festsetzt'). Er steht in regem Verkehr mit Zeus,
von dem er die Rechtsordnung erhält, die auf der Insel
herrscht. Neben ihm steht Daidalos, der Vertreter und Ahn-
herr der Künstler — die Ilias kennt von ihm einen Reigen-
tanz, den er in Knossos für Ariadne gearbeitet habe — , dem
auch die Erbauung des Labyrinths zugeschrieben wird. Dann
aber entflieht er mit Flügeln, die er sich anfertigt, zu den
Sikanern auf Sicilien und findet hier beim König Kokalos von
Kamikos gastliche Aufnahme. Minos, der ihm mit seinem
Heere nachzieht, wird hier im Kampfe erschlagen 0-
Politische und ethnographische Fragen kennt die Volks-
sage nicht; ihr Interesse haftet ausschließlich an der glanz-
vollen Persönlichkeit und ihren außerordentlichen Schick-
salen. 80 ist Minos von Knossos für sie einfach der Re-
präsentant Kretas und seiner Macht in der Urzeit, und das
Epos macht daher die griechischen (achaeischen) Fürsten
Kretas, von denen es erzählt, zu seinen Nachkommen und
spinnt die Genealogie durch Hineinziehung zahlreicher, teils
mythischer, teils ethnographischer Gestalten immer weiter
aus^). Dieser Vorgang hat sich nochmals wiederholt, als
') Ebenso werden andere Orte des Namens Minoa natürlich auf
ihn zurücligeführt, so ein Vorgebirge in Lakonien, Ortschaften auf
Siphnos und Aniorgos u. a., bis zu Heraklea Minoa auf Sicilien hinab.
Wie diese Namen entstanden sind, läßt sich nicht erkennen. Scharf
betont werden muß aber, daß die oft ausgesprochene Behauptiing,
Minos sei ursprünglich ein Gott, vollständig unbegründet ist: die
Überlieferung kennt ihn nur als König von Kreta und Repräsentanten
der alten Macht der Insel, und wir haben keinen Anlaß und daher
auch kein Recht, etwas anderes in ihm zu suchen.
') Minos, Aiö; [XifäXou hapnxr^c, 9 Jahre lang [d;i rüber siehe im
nächsten Bande] König von Knossos Od. t 178; ferner II. N 450. Dai-
dalos II. S ,591. Die Europasage S 321, die von Theseus und Ariadne
X 321 ff. (daher erhält er hier den Beinamen oloöcppcuv). Seine Herrschaft
weittiin erwähnt Hesiod fr. 103 bei Plato Minos 320d. Sein Untergang
in Sicilien Herod.VII 169 f. und sonst, so bei den Tragikern.
^) Dazu gehört außer den schon genannten Gestalten sowie Sar-
pedon, dem Repräsentant der Lykier, und Deukalion, dem Vater des
214 IV- Kreta und die kretische Kultur
dann die Dorier sich auf der Insel festsetzten: sie haben die
Gestalt des Minos übernommen und betrachten ihn als den
Urheber ihrer eigenen staatlichen und rechtlichen Ordnungen.
Diese Traditionen hat dann die beginnende historische For-
schung, als sie ein geschichtliches Bild der Urzeit zu ge-
winnen unternahm, verarbeitet und mit den sonst erkenn-
baren Tatsachen auszugleichen versucht. So ist das Bild
entstanden, das Herodot von der ältesten Geschichte Kretas
entworfen hat. „Ehemals", zur Zeit des Minos, „war ganz
Kreta von Barbaren bewohnt"; ein Teil der Bevölkerung,
der seinem Bruder Sarpedon anhing, ist von Minos verjagt
worden und nach Milyas in Asien, dem Lande der Solyraer,
hinübergezogen; das sind die Termilen, die später den Namen
Lykier erhalten haben. Minos hat weite Gebiete unterworfen
und die See beherrscht; die auf den Kykladen sitzenden
Karer — damals Leleger genannt — füllten seine Schiffe').
Nach seinem Untergang bei den Sikanern zieht sein ganzes
Volk ihm nach, um ihn zu rächen; nach mancherlei Schick-
salen werden sie nach der östlichen Halbinsel Unteritaliens
verschlagen und siedeln sich hier an; sie werden zu den
Idomeneus, auch Minos' Bruder und Doppelgänger, der „blonde" (Od.
f] 323) Rhadaraanthys, ein Gesetzgeber wie jener, der im Gefilde Klysion,
dem seligen Lande am Knde der Erde, die Herrschaft führt (Od. ? 564
Pindar Ol. 2, 75). Manche Inseln und Orte Griechenlands und Klein-
asiens werden gelegentlich mit ihm verbunden. Es liegt unzweifelhaft
eine kretische Gottesgestalt zugrunde, die aber für uns nicht mehr
faßbar ist. Weiteres bei Malten, Elysion und Rhadamanthys, Arch-
Jahrb. 28, 1913, dessen Ansicht, die Vorstellung einer Entrückung ins
Elysion sei dem griechischen Epos noch fremd (wobei Hesiod spY** I^^ ^•
ignoriert wird), ich aber nicht tür richtig halten kann.
') Herod. I 171 &. (vgl. Thuk. I 4) III 122; hier offenbart sich
Herodots geschichtlicher Sinn darin, daß er den Unterschied zwischen
diesen alten Überlieferungen und der av&ptunfji-r] XsfoiJLsvfj y^vs*] deutlich
empfindet; in letzterer war Polykrates der erste, der eine Seeherrschaft
erstrebte. Durch diese Empfindung, wenn sie auch oft nur halbbewußt
ist, unterscheidet sich sein ganzes Werk fundamental von denen des
Hekataeos, Hellanikos u. s. w.
Herodots Darstellung der kretischen Geschichte 215
Messapieni Japygiens. Auf Kreta sind nur die Bewohner
von Polichne und Pralsos im äußersten Osten zurückgeblieben
— die späteren Eteokreter — ; so wird die menschenleere
Insel von anderen Volksstämraen, darunter vor allem Hellenen,
in Besitz genommen^). Diese nehmen eifrig am troischen
Krieg teil, werden aber nach der Rückkehr durch Krankheit
und Hunger aufgerieben, so daß die nochmals verödete Insel
nunmehr von den jetzigen Kretern — das sind natürlich die
Dorier — besiedelt werden kann.
Diese ganze Darstellung ist deutlich nicht Überlieferung
- — wenn sie sich auch auf Angaben der Praisier beruft und
ebenso für die Lykier eine sachlich richtige Tradition be-
nutzt — , sondern Konstruktion; es ist ein Versuch, die Be-
vülkerungsgeschichte Kretas klarzulegen und die Angaben des
Epos darin einzufügen. Aber offenbar hat sie das richtige ge-
troffen: Minos ist ursprünglich nicht der Ahnherr der griechi-
schen Fürsten Kretas, die vor Troja mitkämpfen — dazu hat
aXXou«; xe ä/Jlpcoi^ou; xal it.aK'.z'zi. "EXXtiVx^, Her. VII 171. Kr hat natür-
lich die Völker im Sinn, die die Odyssee x 175 flf. aufzählt, behilft
sich aber mit dieser unbestimmten Fassung, weil ihn die Nennung der
Namen in Schwierigkeiten bringen würde; aus demselben Grunde ver-
meidet er, die jetzigen Kreter als Dorier zu bezeichnen, denn diese
sitzen ja nach der Homerstelle schon zur Zeit des troischen Krieges
da. Das Datum Tpiivj y-ve'^ }J.sta iVUvcuv xsXi'KYJaavtcx f-^^ofl-at x"< Tput'.xa
beruht natürlich auf dem Stammbaum des Idomeneus N 450; aber
auch hier nennt er keine Namen, weil er empfindet, wie widersinnig
es ist, daß Minos' Enkel über die stammfremden Eindringlinge herr-
schen soll. — Ich bemerke gleich hier, daß ich Beloch's Ansicht
(Origini Cretesi. in Ausonia IV 1909), die ganze Erzählung des Odysseus
t l(j5fF. sei ganz späten Ursprungs, und in diese seien wieder die
Verse über die Volksstämme Kretas 175 — 177 noch später eingeflickt,
für einen schweren Mißgriff halte. Sie verkennt vollkommen den hohen
dichterischen Gehalt dieses ganzen Gedichts, des Bruchstücks einer
durch die Schlußredaktion mit anderen zusammengearbeiteten Odysseus-
dichtung, und ebenso betreffs v. 175 ff. die im Epos so häufig hervor-
tretende Neigung der Aoeden, wo sich eine Gelegenheit bietet, eine für
den Hörer interessante Belehrung einzufügen (vgl. u. S. 237, 1).
216 I\'. Kreta und die kretische Kultur
ihn erst das Epos gemacht^) — , sondern der Repräsentant
des vorgriechischen Kreta, seiner Macht und seiner Kultur. Ob
er eine geschichtliche Persönlichkeit gewesen ist, läßt sich
hier sowenig erkennen wie bei so vielen anderen Gestalten
der Sage, da, anders als bei der germanischen Sage, alle
gleichzeitige und vollends urkundliche Überlieferung völlig
fehlt. Aber das Bild, das die Sage bewahrt, ist in den
Grundzügen durchaus zutreffend; daß die Überheferung wohl
Raubzüge nach dem griechischen Festlande kennt, aber von
einer Herrschaft des Minos über dasselbe nichts weiß, er-
höht noch ihren Wert und bestätigt ihre Zuverlässigkeit in
geradezu überraschender Weise.
Daß Kreta die Inseln weithin beherrscht hat, wird da-
durch bestätigt, daß vor allem Melos und seine Hauptstadt
Phylakopi und ebenso Thera nach Ausweis der Funde ganz
unter kretischem Einfluß stehn. Auch daß die Bevölkerung
hier damals karisch war, wird zutreffend sein'^). Von anderen
M Eine Parallele zu der Annexion des Minos durch die Griechen
ist die Auffassung der schottischen Gesch'chte, die seit Walter Scott
populär geworden ist, die Verherrlichung und Heroisierung der gae-
lischen Gestalten des Hochlandes durch die Nachkommen ihrer er-
bittertsten Gegner, die Angelsachsen des Lowlandes.
*) Thukydides I 8 bringt als Beweis dafür bekanntlich, daß von
den Gräbern auf Delos, die die Athener im Jahre 426 aushoben, über
die Hälfte nach Ausweis der WaiFen und der Bestattungsweise karisch
gewesen sei. Das ist freilich ein unsicheres Argument; denn auch bei
anderen Volksstämmen können damals dieselben Bräuche geherrscht
haben, zumal wenn sie gleichfalls zu den Kleinasiaten gehörten. —
Im übrigen konstruieren Herodot und Thukydides entgegengesetzt:
nach jenem sind die Karer der Inseln Untertanen des Minos, dem sie
zwar nicht Tribut zahlen, aber die Schiffe bemannen, und werden eben
durch ihn das bei weitem mächtigste Volk jener Zeit, bis sie weit
später durch die Dorier und lonier von den Inseln verjagt werden;
nach Thuk. dagegen hat gerade Minos sie verjagt, um der P raterie
ein Ende zu machen und seine Einkünfte zu mehren; die Verwaltung
der Inseln übergab er seinen Söhnen. — Ob Herodots Behauptung zu-
treffend ist, der alte Name der Karer sei Leleger gewesen, läßt sich
nicht entscheiden; vgl. Bd. I 506.
Der Diskus von Phaestos 217
Volksstämmen der Welt des Ägaeischen Meeres^) erfordert
an dieser Stelle nur derjenige eine Erwähnung, von dem das
vielleicht eigenartigste Fundstück aus dieser Epoche stammt,
ein Diskus von Ton, der sich zusammen mit Gefäßen und
Schrifttafeln aus dem Beginn der kretischen Neuzeit im Palast
von Phaestos gefunden hat. Er ist auf beiden Seiten mit
Schriftzeichen bedeckt, die mit einem, vermutlich hölzernen,
Stempel eingedrückt sind. Die Schrift läuft spiralförmig
von rechts nach links und vom Rande nach der Mitte; die
Wörter sind durch senkrechte Striche abgetrennt, die ebenso
wie die Trennungslinien der Zeilen mit einem Griffel ein-
geritzt sind: dem Schlußzeichen eines Wortes ist nicht selten
ein schräger Strich angefügt. Das wird Vokallosigkeit be-
zeichnen; die Schrift ist deutlich eine Silbenschrift ähnhch
der akkadischen, auch hier verbunden mit ideographischen
Zeichen. Die Schrift ist rein hieroglyphisch, aber von der
altkretischen (piktographischen) so gut wie von der ägypti-
schen und der chetitischen durchaus verschieden; daß einzelne
Zeichen, wie Baum und Rosette, sich berühren, ist natürlich
und nichts beweisend. Die erste Gruppe der Vorderseite be-
ginnt mit einem Kopf und einem Rundschild, und ebenso elf
weitere, mehrfach unmittelbar aufeinanderfolgend, sonst nur
durch wenige Gruppen getrennt; auf der anderen Seite findet
sie sich nur noch zu Anfang des ersten Wortes. Es liegt
nahe, darin eine Namensliste zu sehn, vielleicht von Kriegern,
die als Gesandte geschickt sein mögen*).
Off"enbar ist dies Denkmal nicht auf Kreta selbst ent-
standen-^); es wird etwa ein Beutestück oder eine Tributgabe
sein. Wir lernen durch dies eine Dokument eine ganz eiffen-
') Vgl. Bd. X 524. Die dort gegebenen Bemerkungen über den
Diskus von Phaestos (zuletzt behandelt von Evans, Palace I) sind hier
wiederholt.
'") Einer der Namen kommt zweimal vor, A 17 und A 29. — Das
Kopfzeichen allein ohne Schild findet sich sechsmal, auch hier immer
zu Anfang einer Gruppe.
^) Man könnte höchstens an die Kydonen im Westen denken.
218 IV'. Kreta und die kretische Kultur
arfcipfe, selbständige Kultur kennen, die sich unabhängig von
Kreta und doch in Verbindung mit ihm irgendwo im Bereich
des Ägaeischen Meeres entwickelt und die in ganz über-
raschender Weise einen Vorläufer der Buchdruckerkunst ge-
schaffen hat, der, wie so viele derartige Erfindungen, völlig
isoliert geblieben ist und daher keinerlei Nachwirkung hinter-
lassen hat. Daß die Erde an der Stätte, wo diese Kultur
heimisch war, weitere Denkmäler birgt, kann nicht zweifel-
haft sein; wenn es einmal gelingen sollte, sie, sei es auf
einer Insel, sei es an den Küsten Kleinasiens, aufzufinden,
dürfen wir weittragende Aufschlüsse und daneben vermutlich
auch manche neue Rätsel erwarten. Einigen Anhalt geben
einstweilen die Bilder der Schriftzeichen. Ihre Waffen sind ein
Rundschild mit kleinen Buckeln wie bei den Serdana (vgl.
o. S. 57), die Streitaxt, und der zusammengesetzte doppelt-
gekrümmte Bogen mit gefiedertem PfeiP). Die Frauen tragen
eine Art Reifrock und langes Haar ähnlich den kretischen;
die Männer dagegen, sowohl in den Köpfen wie in den
ganzen Figuren, sind kahlköpfig und bartlos, aber das oben
erwähnte Kopfzeichen trägt eine Kopfbedeckung von Federn.
Eine Kappe mit Federkrone ist in den ägyptischen Darstel-
lungen, im Unterschied von anderen Seevölkern wie den
Serdana und Tur^a"), das charakteristische Abzeichen der
Philister und Zakkari; und auch sie tragen weder Bart noch
Haupthaar. So ist es recht wahrscheinlich, daß wir in dem
Diskus und seiner Schrift eine Schöpfung der Philister zu
erkennen haben^).
') Den unter den Schriftzeichen vorkommenden Kahn »mit dem
scharf abgesetzten steilen Achtersteven" möchte Köster, Ant. See-
wesen 60, „als direkten Nachkommen der Kykladenschiffe auf den Ton-
pfannen von Syros betrachten". Dieser Steven findet sich ähnlich auch
Lei den Kriegssi hiffen der Nordvölker (Philister, Serdana etc.), die gegen
Ägypten ziehn ; im übi ii^en aber sind sie als Segelschiffe ganz andersartig.
') Dagegen trägt der Sardus I'ater auf römischen Münzen Sar-
diniens einen gleichartigen Federuufsatz. Weiteres s. u. Kap. XII.
') Die schon vor drei Menschenaltern aufgestellte Vermutung, die
Philister seien identisch mit den Pelasgern, ist neuerdings mehrfach
Die Philister. Sardinien und Sicllien 219
Schwer zu entsclieiden ist, wie weit die Erzählungen von
den Zügen des Minos und der Kreter nach Sicilien und Ita-
lien einen geschichtlichen Kern enthalten^). Kretisch-rayke-
nische Gefäße und gelegentlich auch Bronzewaffen und
Schmuckstücke haben sich in den Gräbern Siciliens und
Unteritaliens nicht selten gefunden, meist aus der späteren,
mykenischen Zeit; aber von einer Einwirkung auf die ein-
heimische Kultur und ihr Kunsthandwerk ist hier nichts zu
erkennen. Es sind fremde Waren, die gelegentlich durch See-
handel oder auch Seeraub in diese Gebiete gelangt sind, aber
hier keinerlei Anregung gebracht haben. Vollends als Irrtum
hat sich die Annahme erwiesen, daß die Wohnhäuser und
die Felsgräber Siciliens mit flachgewölbten Kammern oder
gar die Nuraghen Sardiniens und die Steinbauten Maltas
unter kretisch-mykenischem Einfluß entstanden seien'^). Ver-
einzelt mag ein Schiff aus der Ostwelt auch jetzt schon ein-
wieder aufgenommen worden; und möglich ist es natürlich, daß
'Sg- in -st- übergegangen ist. Man kann damit verbinden, daß nach
der Odyssee x 177 auch Pelasger auf Kreta wohnen, vielleicht, wie
man um des Ank'angs an Gyrton in Thessalien u. a. willen annimmt
(so FicK, Vorgriech. Vornamen, 19;).5, S. 20 f.), in Gortyn, das nach
Steph. Byz. auch Larisa geheißen haben soll, und in seiner Nachbar-
schaft. Wer zu solchen Kombinationen neigt, kann also annehmen,
daß die Philister = Pelasger des Diskus sich in der nächsten Nähe von
Phae->tos festgesetzt hätten. Aber beweisbar ist hier garnichts, und Auf-
klärung können nur neue Funde bringen.
') Daß die japygischen Messapier nicht kritischen Ursprungs,
sondern Illyrier sind, bedarf kaum der Bemerkung.
*) Das Material hat Fim.men, S. 108 fif., zusammengestellt und um-
sichtig und besonnen wie immer beurteilt. Ich bemerke, daß ich auch
umgekehrt ebensowenig wie Fimmen der Ansicht Schuc ihardt's zu-
stimmen kann, der die Kulturentwicklung von West nach Ost gehn
läßt und in den um einen Hof gelagerten ovalen K. immern der Stein-
häuser Maltas die Urform der Wohnhäuser und Paläste von Kreta,
Ägypten, Boghazkiöi, Pergamon, Pompeji gefunden zu haben glaubt
(der altmittelländische Palast, Ber. Berl Ak. 1914-, 277 ff., sowie in seinem
.Alteuropa"). [Das „Hau^modell" von Melos (B LI. 51-2 am Ende) mit
sieben um einen Hof gelagerten Rundbauten erklärt jetzt Oelm.\.nn, Mitt.
athen. Inst. 50, 19 ff., wohl richtig als Kornspeichermodell.]
220 I^ • Kreta und die kretische Kultur
mal über Italien hinaus ins Westraeer gelangt sein, wenn
auch schwerlich bis nach Spanien. Die Frage aber, ob sich
politische und ethnographische Beziehungen gebildet haben,
die zu großen, weite Gebiete umfassenden Bewegungen führen
konnten, hängt im wesentlichen davon ab, ob die Gleich-
setzung der Serdana mit Sardinien, der Sakarusa mit den Sike-
lern berechtigt ist, und darüber eine sichere Entscheidung
zu geben, ist bei dem Stande unseres Materials unmöglich,
wenn auch namentlich für die erstere Gleichung manches
spricht, so vor allem der ganz eigenartige ethnographische
Typus der Serdana und ihre Bewafi'nung, der die von späteren
sardinischen Bronzen ähnlich sieht'). Sicher ist, daß diese Völ-
ker dem Bereich der ägaeischen Kultur angehören; dann bleibt
aber immer noch fraglich, ob sie um die Mitte des 2. Jahr-
tausends schon an den Stätten gesessen haben, wo wir sie
später finden, oder ob sie nicht wie die Tyrsener erst in den
großen Völkerbewegungen des 12. Jahrhunderts von Osten her
nach Italien und seinen Inseln gelangt sind.
') Vgl. 0. S. 57 und unten Kap. XII.
V. Das griechische Festland und die mykenische
Kultur
Griechenland unter dem Einfluß der i(retischen Kultur.
Die Schachtgräber von Mykene
Auf dem griechischen Festland und den vorliegenden
Inseln, wie z. B. Agina, ist die Einwirkung Kretas schon
in der Kamareszeit durch das Auftauchen kretischer Ton-
gefäße und vor allem durch Nachahmung ihres von dem
einheimischen ganz verschiedenen Dekorationsstils zwischen
den Scherben und Geräten einer primitiven bronzezeitlichen
Kultur') erkennbar. Mit dem Aufkommen der neuen Kultur
dringt diese alsbald, etwa seit dem Beginn des 16. Jahr-
hunderts, immer mächtiger auf das Festland ein und ver-
') Ein Eingehn auf die in letzter Zeit namentlich von den eng-
lischen und amerikanischen Gelehrten, vor allem Wace und Blegen,
eifrig und erfolgreich betriebene Erforschung der neolithischen und
der Kupferbronzezeit von Griechenland gehört nicht hierher. Für die
letztere haben sie die Bezeichnung „helladisch" eingeführt und sie in
drei jedesmal wieder nach dem verhängisvollen kretischen Vorbild
dreigeteilte Perioden gegliedert, von denen die letzte (Late Helladic I
bis Hl) der „mykenischen* entsjjricht. Im einzelnen ist hier noch alles
im Werden; die noch immer ausstehende Weiterbearbeitung der Aus-
grabung von Orchomenos (Bd. I 508 A.) und die Ausgrabungen von
Wolters und Wolter auf Aegina werden weitere Förderung bringen.
Wie weit sich aus den zahlreichen lokalen Variationen der mehrfach
wechselnden Keramik einigermaßen gesicherte ethnographische Fol-
gerungen werden ziehn und etwa das erste Auftreten der Griechen
wird bestimmen lassen, bleibt abzuwarten; einstweilen erscheint hier
noch Zurückhaltung geboten. — Übersicht der Ergebnisse bis 1920
bei FiMMEN, Kretisch-myken. Kultur^, mit Beiträgen von Reisinger,
S. 68 ff., 124 ff., ferner die Berichte von Wace (1919—21) und Wood-
ward (1922—24; 1924—25) in J. Hell. Studies 41. 44. 45.
222 V. Das griechische Festland und die mykenische Kultur
schmilzt mit den einheimischen Lebensformen und Kultui-
ansätzen zu einer der kretischen parallellaufenden Entwicklung,
die, so sehr sie formell von dieser abhängig ist, doch neben ihr
ein eigenes, in vielem selbständiges Sonderleben führt.
Von den Zuständen der griechischen Welt läßt sich
einigermaßen ein Bild gewinnen. Dem zerrissenen Charakter
der Landschaft entsprechend ist die Bevölkerung in zahlreiche
kleine Fürstentümer zersplittert. Zum Sitz wählen die Herr-
schero-eschlechter nicht hochragende, nach allen Seiten iso-
lierte Bergkuppen, wie etwa die Larisa von Argos, die Ithome
in Messenien, Akrokorinth, auf denen später die beherrschen-
den Akropolen der an ihrem Fuß liegenden Städte erbaut
wurden, sondern niedrigere, womöglich nach allen Seiten ab-
fallende Höhend, die mit Mauern aus gewaltigen, rohbe-
hauenen Steinblöcken umschlossen wurden. In dieser Festung
liegt der Herrenhof (Megaron), der zu einem Palast ausge-
baut werden kann. Hier hausen die Fürsten inmitten ihres
Gaus in enger Verbindung mit dem Kriegeradel, dessen
Wohnhäuser das ihre umgeben; am Fuß der Festung liegen
die dorfartigen Siedlungen der abhängigen Bevölkerung,
über deren Frondienste sie zur Erbauung von Burgmauer
und Palast verfügen ).
Die in der ältesten Zeit weitverbreiteten, aus Hütten
von Schilf und Lehm entstandenen Rundhäuser und Oval-
bauten'O sind verdrängt durch das im Innern Europas schon
') Analog ist das Verhältnis der Akropolis Athens zum Lyka-
bettos.
2) Ob, wie man oft vermutet hat, sich der Unterschied zwischen
den eingedrungenen Griechen und der älteren, unterworfenen Bevöl-
kerung (von der die Griechen die meisten Ortsnamen u. s. w. über-
nommen haben) noch erhalten hat oder bereits volle Verschmelzung
eingetreten war, läßt sich mit Sicherheit nicht entscheiden. Das letztere
ist weitaus das wahrscheinlichere; die Gliederung in einen kriegerischen
Herrenstand und eine wirtschaftlieh und sozial abhängige Bevölkerung
(mit Hörigen) ist auch in einem einheitlichen Volkstum überall natur-
wüchsig.
3) Siehe Bd. I 509. Reste solcher Rundbauten, darunter einer
Fürstensitze und Haustypus 223
seit der neolithischen Zeit herrschende und von den Griechen
wohl bei der Einwanderung aus dem Norden niitgebrachte
rechteckige Haus, das von Holz und Lehm auf Fundamenten
von Bruchsteinen erbaut wird. Es ist nach einem festen
Typus angelejit, der schon in der sog. zweiten Stadt von Troja
befolgt ist (Bd. I 4 93): ein rechteckiger Saal, mit einer
offenen Vorhalle, deren Deckbalken von zwei auf Steinblöcken
ruhenden Baumstämmen getragen wird. Inmitten dieses Saales,
an dessen Wänden die Sitzbänke des Hausherrn oder des
Fürsten und seiner Umgebung stehn, liegt unter freiem
Himmel der runde Herd mit dem heiligen Herdfeuer (/'.sita,
soTia), das den Hausfrieden schirmt und auch dem Fremden
und dem Flüchtling, der ihm naht, den Schutz des Gast-
rechts gewährt; das gemeinsame Mahl, an dem auch die
Götter ihren Anteil erhalten, mit der vorhert^ehenden Hand-
waschung (/Epvitj/) bekräftigt die Unverbrüchlichkeit der so
geschaffenen Verbindung. Rückwärts und seitwärts können
weitere Zimmer hinzutreten; die Geschlossenheit und Einheit-
lichkeit des Zentralbaus, des Megaron, wird dadurch nicht
gestört. Vor ihm liegt ein großer eingefriedeter Hof mit dem
Altar des Himmelsgottes, der den Zaun beschirmt (Zeus her-
keios).
Die führende Stellung in der griechischen Welt nimmt
die Landschaft Argos ein. Argos ist eine für griechische
Verhältnisse ziemlich ausgedehnte Ebene, rings von Bergen
und im Süden vom Meer umschlossen ; dem vollständigen
Fehlen fließender Gewässer — denn die Rinnsale der zahl-
reichen Gießbäche, auch des Inachos, füllen sich nur nach
Regengüssen im Gebirge vorübergehend mit Wasser — ist
von 28 m Durchmesser, mit Schieferplatten und Lehmziegeln ge-
deckt, und von Ovalhäusern liegen auch unter dem Palast von Ti-
ryns — Eine seltsame Verbindung des Ovalhnuses mit zum Teil recht-
eckigen Zimmern zeigt das Haus von Chamaizi Sitia im Osten Kretas
(Middle Minoan I), das bis jetzt ganz isoliert steht: s. Noack, Oval-
haus und Palast in Kreta, 1908, 56 ff., sowie Mackenzie, Annual XIV
414 S.
224 ^- ^'^^ griechische Festland und die mykenische Kultur
seit alters durch zahlreiche gegrabene Brunnen abgeholfen
und dadurch ein ertragreiches Acker- und Weideland ge-
schaffen^). Der sich weit nach Südosten öffnende Golf schafft
eine bequeme Verbindung mit Kreta und den Kykladen. Im
griechischen Epos trägt der hier ansässige, zu den Achaeern
gehörende Volksstaram den Namen Danaer. Wahrscheinlich
dürfen wir diesen Namen in den ägyptischen Quellen, trotz
der abweichenden Endung, in den Danuna wiederfinden, von
denen der König von Tjros um 1400 dem Pharao unter
anderen Neuigkeiten „aus Kana'an"^) berichtet, daß der
König von Danuna gestorben und sein Bruder ihm gefolgt ist,
ohne daß es zu Unruhen gekommen wäre („sein Land ist
ruhig"). Unter Ramses III. erscheinen die Danuna unter den
Seevölkern „aus den Inseln", die an der Invasion Syriens teil-
nehmen.
Auf den Höhen und Bergkuppen am Rande der Ebene
und im gebirgigen Hinterlande, bis zu dem im Südosten des
Golfes steil ins Meer vorspringenden Felsen des Palamidi
') Genau wie gegenwärtig hat die Ebene Argos nicht nur zur
Zeit des Paupanias (II 15, 5. 25, 3), sondern schon in ältester Zeit aus-
gesehn, wie das Beiwort TcoXü8i'|/iov IL A 171 und die aus dem Versiegen
der Flüsse entstandene Danaidensage beweist, vgl. Forsch. I 74 ff.
[Strabo VIII 6, 7 ff. erklärt die Wasserarmut fälschlich für dichterische
Erfindung] In scharfem Kontrast dazu steht der Wasserreichtum der
Südwestecke mit der Quelle von Lernai und dem Erasinos, aus dem
die Sagen von der lernaeischen Hydra und der Amymone erwachsen
sind. — Die Anlage der Brunnen wird dem Danaos oder vielmehr
seinen Töchtern zugeschrieben: ^Apfo? avuSpov söv Aotvaal ö-iaav "ApYoc
evu5f,ov, Stn.bo VllI 6, 8, nach Eustath. zu A 171 aus Hesiod (fr. 24
Rzach). [Mit völliger Verkennung der Entwicklungsgeschichte der
griechischen Sagen macht Beloch, Griech. Gesch. ^ 1 1. 185. I 2, 63
Danaos und die Danaiden zu „ Wolkengeistern ".]
^) Amarnabrief 151, 22. Der Pharao hat dem Abimelech von Tyros
geschrieben: „was du aus Kana'an (Kinachni) hörst, das schreibe mir."
Daher hat man vielfach gefolgert, daß Danuna in Syrien gelegen
haben müsse. Aber offenbar ist der Name in ganz umfassendem Sinne
gebraucht. Ks folgen Nachrichten über Ugarit, über Aitaqama von
Qades u. a.; da ist es ganz begr itlich, daß eine Kunde über Vorgänge
im Ägaeischen Meer vorausgeschickt ist.
Die Landschaft Argos. Mykene 225
von Nauplia und dem unweit davon in der Ebene isoliert
liegenden Hügel von Tiryns, liegen zahlreiche Ortschaften,
deren Überreste bis in alte Zeit hinaufragen. Aber sie alle
treten etwa seit dem Ende des 17. Jahrhunderts ganz zurück
hinter der Königsburg Mykene^). Sie liegt „im innersten
Winkel von Argos" ({lü/cj) "Ap^eo? iTCTroßöroio, 7 263), 18 Kilo-
meter vom Meer entfernt, zwischen zwei hohen Bergen auf
einem etwa 50 Meter über das Vorland aufragenden, zu beiden
Seiten durch tiefe Schluchten eingeschlossenen Felsrücken;
weiter oberhalb in der Schlucht entspringt die Quelle Perseia,
auf dem nach der Ebene zu sich rechtwinklig anschließenden
Hügel liegen die Wohnstätten der abhängigen Bevölkerung.
Diese Lage zeigt deutlich, daß Mykene seine Entstehung nicht
einer spontanen Entwicklung verdankt"''), sondern dem Willens-
akt eines Fürsten, der diese Stätte als günstig gelegen für
die Beherrschung der ganzen Landschaft erkannte; es über-
schaut die ganze Ebene und beherrscht zugleich den Ausgang
der Gebirgsstraßen nach Norden und nach dem Isthmus.
In Mykene tritt uns das Eindringen der kretischen Kul-
turerzeugnisse auf das Festland und die dadurch geschaffene
Umbildung und Steigerung der Lebensformen anschaulich
entgegen. Vor der älteren Burgmauer, erst später in sie
einbezogen, liegen sechs Schachtgräber, in denen im ganzen
') Zu den grundlegenden älteren Werken über Mykene seit
Schliemann's Ausgrabungen (Mykenae 1877) und der zusammenfassenden
Darstellung von Tsuntas und Manatt, The Mycenaean age 1896 [auf
dem Titel 1903], ist jetzt, außer zahlreichen Einzelarbeiten, die Ver-
öflentlichung und methodische Verarbeitung der neuen englischen Aus-
grabungen von 1920 — 23 durch Wage im Annual of the British School 25
hinzugekommen [und zuletzt die sorgfältige Revision des Bestandes
und Inhalts der Schachtgräber von Karo, Mitt. athen. Inst, 40 (ge-
schrieben 1916, erschienen 1927)].
^) Den natürlichen Mittelpunkt für eine städtische Entwicklung
bildet der im unteren Teil der Ebene weit vorspringende Hügel der
Aspis mit der steilen Burg Larisa dahinter. Aber hier ist eine Stadt,
die den Namen der Ebene Argos annahm, erst in dorischer Zeit ent-
standen, in der mykenischen Epoche lag hier nur eine unbedeutende
Ortschaft und kein Herrschersitz.
Meyer, Geschichte des Altertums. II'. 15
220 V. Das griechische Festland und die mykenische Kultur
neunzelm Leichen beigesetzt sind, neun Männer, acht Frauen
und zwei Kinder^). Alle diese Gräber sind geradezu überfüllt
mit den kostbarsten Beigaben : Diademe, Ketten und Gehänge,
Goldblech in Gestalt von Blättern und Blüten. Schmetterlingen,
Tintenfischen, Sphinxen, Seepferden u, ä., die wahrscheinlich
zum Teil auf Frauengewänder aufgenäht waren, dicke orna-
mentierte Platten von Kästen, goldene und silberne Becher,
Ochsenköpfe u. s. w. An verarbeitetem Gold hat S. hliemann
im dritten Grabe, in dem drei Frauen und zwei Kinder be-
stc-ttet sind, nicht weniger als 870 Objekte gezählt, ab-
gesehn von den Massen goldener Perlen und kleinerer Frag-
mente; und nicht weniger reich sind die übrigen Gräber.
Dazu kommen Schwerter und Dolche mit eingelegter Arbeit,
prächtige Siegelringe von Gold oder edlen Steinen, Elfen-
bein, Perlen von Glas sowie von nordischem Bernstein, eine
prachtvolle Alabastervase, ferner natürlich Tongefäße, welche
die den Toten mitgegebenen Lebensmittel enthielten. Den
Männern sind außer goldenen Brustplatten Goldmasken aufs
Gesicht gelegt, die ihre Porträtzüge wiedergeben; sieben sind
ganz oder teilweise erhalten. Das vierte Grab, mit drei Män-
nern und zwei Frauen, ist nach Ausweis der in ihm lie-
genden, mit Gold und Kristallblättern eingefaßten Szepter
sicher ein Königsgrab. Auf ihm war ein runder Brunnen-
schacht aufgemauert, durch den das Opferblut hinabfließen
konnte. Auch das fünfte Grab ist offenbar ein Königsgrab,
und wohl auch das zweite und sechste (die beiden ältesten).
') Die Verteilung ist nach Tsuntas-Manatt, Mye. age 94:
Grab I (bei Schi.iema.nn 2): 3 Frauen
II ( „ , 5): 1 Munn
„ III ( , , 3): 3 Frauen, 2 Kinder
^ IV ( „ „ 4): 3 Männer, 2 Frauen
, V ( „ , 1): 3 Männer
, VI (erst von Stamatakis ausgegraben) 2 Männer
Dazu kommen dann noch das zerstörte Grab südlich außerhalb des
Plattenrings, aus dem der Goldring mit der Vegetationsgöttin und
andere Golds;: eben stammen (Schi.iemann. Mykenae 398 ff.), und das Grab
unter dem „Granary" beim Löwentor (Annual 25, 52 ff.).
Die Schachtgräber von Mykene 227
Alle mit Ausnahme des zweiten sind mehrfach zu Beisetzungen
benutzt worden, so daß uns hier wahrscheinlich eine Folge
von neun Herrschern einer Dynastie erhalten ist. In der Auf-
schüttung über den Gräbern liegen die Leichen geopferter
Diener (oder Feinde) und Tiere, dazu zahb-eiche Gefäßscher-
ben, die die Fortdauer des Totendienstes beweisen. Weiter
oben stehn die Grabstelen, bei den Frauengräbern einfache
Steintafeln ohne Skulptur oder mit laufenden Spiralbändern
geschmückt; bei den Männern steht auf der von Spiralorna-
menten umrahmten Hauptfläche die Gestalt des Toten auf
seinem Streitwagen, Neun dieser Stelen, genau entsprechend
der Zahl der männlichen Leichen, sind vollständig oder wenig-
stens in einzelnen Bruchstücken erhalten^). Später ist dieser
ganze Grabbezirk weiter aufgeschüttet und mit einem Ring
von großen Steinplatten eingefriedet") und dann in die er-
weiterte Burgmauer einbezogen worden.
So tritt uns hier ein hochentwickelter Totenkult entgegen,
dessen Anforderungen weit über alles hinausgehn, was wir in
Kreta kennen. Er trägt dieselbe Gestalt, die wir überall bei
naturwüchsigen Völkern wiederfinden, die zu einer höheren
materiellen Kultur gelangt sind und dadurch über reichere
Mittel verfügen, so in Europa bei den Skythen, den Slawen,
den Skandinaviern; auch der ägyptische Totenkult hat ur-
sprünghch dieselbe Gestalt gehabt, und im homerischen Epos
lebt er in Resten noch fort. Dem König und seiner Familie
wird nicht nur die Nahrung und Kleidung mitgegeben und
von den Nachkommen bei den Totenfesten immer von neuem
zugeführt, deren er für eine erträgliche Existenz im Toten-
reich bedarf, sondern auch alles, was sein Leben verschönert
hat und woran sein Herz hängt, und dazu eine Dienerschaft,
die ihm in den Tod folgt, sei es freiwillig unter der zwingen-
') Siehe die letzte, alles neue Material verwendende, Behandlung
der Stelen durch Hurstiey in Annual 25, 127 if.
^) Mit dem Plattenring vergleicht Schüchhardt, Praehist Z. II
324, mit Recht den großen Steinkreis, der Stonehenge und ähnliche
megalithische Gräber umschließt.
228 V. Das griechische Festland und die mykenische Kultur
den Gewalt der Sitte, sei es dazu aufgegriffen und hin-
geschlachtet. In Mykene ist er zu gewaltigen Dimensionen
entwickelt; im Verhältnis zum Machtbereich seiner Herr-
scher, mögen wir ihn auch noch so weit ausdehnen, ist hier
dafür mindestens ebensoviel aufgewendet worden, wie zur
sel))en Zeit im Weltreich der Pharaonen.
Zugleich legt diese Ausstattung der Gräber Zeugnis ab
für die mächtige Stellung der Könige Mykenes. Eine Fremd-
herrschaft der kretischen Fürsten über die argi tische Land-
schaft, wie man gelegentlich vermutet hat, erscheint voll-
kommen ausgeschlossen. Umso reicher und eigenartiger sind
die Aufschlüsse, die sich aus den Grabfunden über die kul-
turellen und damit zugleich auch über die ethnographischen
Verhältnisse gewinnen lassen^).
Ganz dominierend tritt der Einfluß Kretas hervor; von den
schönsten Werken der Glyptik stammen nicht wenige aus den
mykenischen Schachtgräbern. Dadurch und ebenso durch die
Tongefäße ist zugleich ihre Zeit festgesetzt auf die Blütezeit der
neukretischen Kunst (Middle Minoan III und Anfang von Late
Minoan I), also die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts, als sie,
eben zu voller Entfaltung gelangend, noch die frische Schöpfer-
kraft der Jugend besaß; von dem späteren, in Manier ver-
fallenden Stil findet sich hier noch nichts. Dazu stimmt, daß
sich Objekte mit den Namen Amenophis' III. und der Teje
in den jüngeren Schichten von Mykene mehrfach gefunden
haben ^); die wesentKch älteren Schachtgräber stammen somit
aus der Zeit der ersten Könige des Neuen Reichs. — Aber
neben diesem aus der Fremde eingedruno-enen Gut steht un-
^) Für das Verhältnis der „mykenischen" zur kretischen Kultur
und den Nachweis der einheimischen Elemente, die sich hier mit den
aus Kreta übernommenen Einwirkungen verbinden, sind grundlegend
vor allem die Arbeiten von Kurt Müller, Frühmyken. Reliefs, Jahrb.
Arch. Inst. XXX 1915, und von Rodenwaldt, Tiryns II 1912 und Fries
des Megarons von Mykene 1921, sowie seine Aufsätze über die mykeni-
schen Gemälde, Mitt. athen. Inst. 36, 1911. 221ff. und 37, 1912, 129ff.
2) Zusammengestellt bei Fimmen, S. 173 ff.
Kretische und einheimische Arbeiten in Mykene 229
vermittelt das heimische Erbe. So liegen neben den mit glän-
zenden Firnisfarben bemalten Gefäßen kretischen Stils die
überall in Griechenland produzierten der sog. Mattmalerei
von ganz abweichender Form mit linearen Ornamenten, Drei-
ecken, Kreisen u. ä., auch Spiralen, außerdem monochrome
mit dunklem Ton, gelegentlich mit eingeritzten Linearmustern
(sog. Orchomenosware). Dazu kommen Hunderte von ganz
primitiven kleinen weiblichen Idolen und Kühen von Ton,
die in derselben Weise linear bemalt sind. Die zahlreichen
Bernsteinketten zeigen die Fortdauer der Verbindung mit dem
Norden und der von dort mitgebrachten Tradition. Pferd und
Streitwagen, die auf Kreta fehlen, sind hier allgemein ver-
breitet. Auch Tracht und Waffen zeigen Abweichungen. Fer-
ner gehört der Steinbau hierher, der sich alsbald zu gewal-
tigen Schöpfungen entwickelt. Ganz anschaulich tritt der
Gegensatz in den Reliefs der Grabstelen hervor: der Streit-
wagen mit dem darauf stehenden Krieger — einmal hat er
ein riesiges Schwert am Gürtel — , das galoppierende Pferd,
der voranschreitende Diener mit einem Schwert in der Hand,
das alles ist so primitiv und unbeholfen gezeichnet, daß man
selbst die ältesten sumerischen Reliefs oder die vom süd-
lichen Stadttor von Sendjirli kaum damit in Parallele setzen
kann. Deutlich liegen hier Arbeiten einheimischer Stein-
metzen vor, denen die Aufgabe, lebende Wesen auch nur in
Umrissen wiederzugeben, noch völlig fremd war '). Umso stär-
ker ist der Kontrast nicht nur gegen die feinen Arbeiten der
Glyptik, sondern auch gegen die Goldmasken auf den Leichen,
die, seitdem sie wieder in ihre ursprüngliche Fassung gebracht
und von der Entstellung durch den darauf lastenden Druck
befreit sind, die Züge der Toten ganz naturgetreu und lebendig
wiedergeben; diese Aufgabe wird also einem kretischen Metall-
arbeiter übertragen worden sein. Den Fortschritt des kretischen
') Die Spiralbänder und die rechteckige Einschließung des Re-
liefs dilgegen sind ganz sauber gezeichnet und ausgearbeitet; soweit
reichte die Schulung, die wohl mit den im inneren Europa herrschen-
den Traditionen in Verbindung steht.
230 ^ • Das griechische Festland und die mykenische Kultur
Einflusses zeigt dann eine Grabstele, deutlich die jüngste von
allen, die neben zwei älteren auf dem fünften Grabe stand:
hier ist der Krieger auf dem Wagen wesentlich korrekter ge-
zeichnet, das Pferd, das über einem auf seinem Schilde lie-
genden Mann dahinsprengt, hat vier Beine, nicht nur zwei,
wie dort, und darunter ist ein Löwe gezeichnet, der in ge-
strecktem Galopp, doch ohne die für den kretischen Stil cha-
rakteristische übernatürliche Verlängerung, einem allerdings
gänzlich verzeichneten Wilde nachjagt.
' Im übrigen besteht zwischen diesen Männergestalten und
den Goldmasken ein höchst überraschender Unterschied. Die
Goldmasken haben einen sorgfältig gepflegten Schnurrbart
mit nach oben gekrümmten Spitzen und vollem Backen- und
Kinnbart, nur das Kinn selbst ist, wie beim „Matrosenbart",
ausrasiert; die Gestalten der Grabstelen dagegen tragen deut-
lich keinen Bart; auch das Haupthaar scheint hier kurz ge-
schoren. Daß das nicht etwa aus Unbeholfenheit der Stein-
metzen zu erklären ist, ergibt sich daraus, daß in der Fol-
gezeit auch die sicher einheimische Gestalten darstellenden
Reliefs und Statuetten vielfach bartlos sind wie die Kreter, und
jedenfalls immer den Schnurrbart abrasieren, eine Sitte, die
sich dann in der griechischen Welt das ganze Mittelalter hin-
durch und in dem konservativen Sparta allezeit erhalten hat;
der Schnurrbart ist hier ebenso verpönt wie bei den semiti-
schen Nomaden.
Somit sind die über den Gräbern errichteten Grabstelen
jünger als die Bestattungen. Ein Bevölkerungswechsel ist
schon dadurch ausgeschlossen, daß der Totenkult sich fort-
setzt und die Gräber als heilig durch den Plattenring ein-
geschlossen werden. Wohl aber hat die Sitte sich geändert.
Das wnrd dadurch bestätigt, daß sich unter den Beigaben
der Schachtgräber keine Rasiermesser finden — so wenig
wie Metallspiegel und wie die für die spätere griechische
Tracht unentbehrlichen Spangen (Fibeln) — , während sie in
den jüngeren Gräbern der mykenischen Epoche ganz gewöhn-
lich sind. Auch für die Mode wird der kretische Einfluß be-
Stelen und Masken. Die Goldringe der Schachtgräber 231
stimmend: man schämt sich der heimischen Barttracht und
rasiert mindestens den Schnurrbart ab, während der Backen-
und Kinnbart vielfach beibehalten wird und sich in der Folge-
zeit wieder völlig durchgesetzt hat. Ebenso läßt wenigstens
die vornehme Welt das Haupthaar nach kretischem Vorbild
lang herabfallen; im Epos ist diese Haartracht das charak-
teristische Abzeichen der Achaeer (xdpT] -/ojiöwvce? 'Ayaioi).
Von den kretischen Arbeiten mögen manche durch Han-
del oder Seeraub in den Besitz der Fürsten Mykenes gelangt
sein. Bei nicht wenigen dagegen lehren die dargestellten
Szenen, daß sie an ihrem Hofe selbst gearbeitet sind, daß
die Fürsten also kretische Goldarbeiter und Steinschneider in
ihren Diensten gehabt haben. Das gilt vor allem von den beiden
Goldringen aus dem vierten Schachtgrabe 0- Die Gravierungen
sind im besten kretischen Stil gearbeitet, aber der eine Gold-
ring zeigt den Fürsten auf der Jagd, wie er auf dem Streit-
wagen, den Wagenlenker zur Seite, den Bogen auf einen flüch-
tigen Hirsch anlegt, der andere im Kampf gegen zwei auf ihn
einstürmende Feinde-): den ersten von diesen, der, schon auf
die Knie geworfen, das Schwert auf ihn zückt, hat er an der
Schulter gepackt und wird ihn mit dem Dolchmesser durch-
bohren, der zweite, im Eberhelm mit fliegendem Federbusch
wie der Sieger, also gleichfalls ein Fürst, sucht, gedeckt durch
einen mächtigen Ovalschild, w^eit ausholend mit der Lanze das
Haupt des Gegners zu treffen, aber vergeblich: der Stoß
geht an dessen Helm vorbei. Das sind die Siegelringe der
in diesem Grabe bestatteten Fürsten, die ihre Taten verherr-
lichen^). Dem entspricht es, daß auf Kreta solche Szenen
') ScHLiEHANN, Mjk. S. 259. Reichel, Hom. Waffen S. 4 Fig. 11
und S. 92 Fig. 35. Firtwängler, Ant. Gemmen Taf. ü 3, 8.
^) Abgebildet auf Taf. VIII, a. Hinter ihm sitzt auf dem Boden, ge-
spannt zuschauend, ein nackter Mann mit kurzem Kinnbart und einer
Kappe auf dem Haupt; das wird der Diener (Waffenträger) des Fürsten
sein, der in den Kampf selVjst nicht eingreifen darf.
^) Gleichartig sind die Darstellungen auf den drei goldenen Schie-
bern aus dem Frauengrab (III) bei Schliemann, Myk. 202 = Tsuntas-
Manatt 181. FuRTWÄNGLER, Gemmen II 1. 14 [bei Reichll, Hom. Waffen
232 V. Das griechische Festland und die mykenische Kultur
kaum je dargestellt werden^), daß der Streitwagen hier keine
KoUe spielt und auch der Bogen in den Händen vornehmer
Krieger nicht erscheint.
Noch weiter führen die Reliefs von zwei nur in Bruch-
stücken erhaltenen Silbergefaßen aus demselben Grabe. Auf
dem einen 2) waren Kampf szenen dargestellt; die Krieger füh-
ren die Lanze und den großen kretischen Schild und tragen den
mit Eberzähnen besetzten Helm mit großem Busch, aber be-
kleidet sind sie mit einem kurzärmligen Leibrock, der hosen-
artig bis zur Mitte des Oberschenkels reicht, eine Tracht, die
sich ebenso auf mehreren Gemmen aus Mykene, bei einer
Bronzestatuette aus Tiryns, und bei den Jägern auf einem
der eingelegten Dolche aus dem gleichen Grabe findet — das
ist also die bei den Festlandsgriechen dieser Zeit übliche
Tracht'). Das andere Gefäß') stellt eine auf einem Hügel
gelegene Festung dar, die offenbar von einem plötzlichen
Überfall durch Feinde überrascht wird. Auf dem Bergabhang
sammeln sich die Krieger zur Abwehr, Schleuderer und
Schützen, alle nackt, dazu zwei Männer mit Lanzen in einem
S. 2 Fig. 2 fälschlich dem vierten Grabe zugewiesen] : ein Kampf mit
einem Löwen, ein sich lagernder Löwe, und eine Kampfszene, in der
der Sieger dem Gegner über den Rand seines riesigen Rindshautschildes
hinweg das Dolchmesser in die Kehle stößt. Ferner die Kampfszene
auf dem Sardonyx aus demselben Grabe bei Reichel S. 2 Fig 5, Furt-
wÄNGLER, Gemmen II 2 (bei Sghliemann S, 233 Fig. 313 ganz verzeichnet
und falsch interpretiert).
') Ein Karneol aus Kreta mit iihnlicher Kampfszene, nur viel un-
beholfener ausgeführt, bei Reicmel S. 4 Fig. 12. Furtwängler, Gemmen II 4.
2) Die wichtigsten Bruchstücke bei K. Müller. Arch. Jahrb. 30.
318, andere bei Reichel, Hom. Waffen 106; eine vollständige Veröffent-
lichung fehlt noch.
^) Die Belege bei K. Müller S. 263; die Bronze aus Tiryns bei
Tsuntas-Manatt 161, 56. Hierher gehört weiter der bärtige Schütze
auf dem Fragment aus Knossos oben S. 206, 1.
*) Das Hauptfragment ist zuerst von Tsuntas Etp.äpx. 1891 publiziert,
seitdem oft wieder abgebildet, weitere Bruchstücke zuerst bei Reichel,
Hom. Waffen 13. Jetzt hat Stais, Mitt. athen. Inst. 40, 45 ff. Taf. 77 f. das
ganze Gefiiß rekonstruiert. Behandelt vor allem von K. Müller a. a. 0.
321 ff. (Danach auf Taf. VII, 1.)
Mykenische Silbervase mit Feldzug nach Asien 233
seltsamen steifen Mantel (?); auf den Zinnen der Burg be-
gleiten die Frauen den Kampf mit angstvollem Zuruf, auch
Männer erscheinen über der Mauer. Weiter unten ist der
Oberkörper eines Mannes in kurzarmigem Leibrock und mit
Eberzahnhelm erhalten, der eine lange Stange gegen den
Boden stößt; man glaubt in ihm einen Krieger zu erkennen,
der ein Boot vom Lande abstößt. Jedenfalls gehört er zu
den Angreifern, von denen weitere Überreste nicht erhalten
sind^), und seine Tracht zeigt, daß diese nicht etwa Kreter,
sondern Mykenaeer sind. Die Festung dagegen liegt weder
auf Kreta, wo es befestigte Städte überhaupt nicht gibt, noch
in Griechenland, wo sie ganz anders aussehn, sondern stimmt
in der Gesamtanlage, der Vormauer und dem hoch darüber
aufragenden Hauptbau mit Türmen und großem Tor, und
der aus regelmäßigen Schichten rechteckiger Ziegel erbauten
Mauer durchaus zu den Festungen Asiens'-). Auch die nackten
Männer mit kurzem struppigem Haar weisen in die gleiche
Richtung. Die Darstellung bezeugt also den Kriegszug eines
mykenischen Fürsten nach den Küsten Kleinasieus^).
Auch der Dolch aus dem fünften Schachtgrab, in den
Szenen aus der Nillandschaft eingelegt sind (o. S. 56), wird
nicht aus Kreta importiert, sondern in Mykene selbst von
einem kretischen Künstler gearbeitet sein, so gut wie der
Dolch mit der Löweujagd aus dem vierten Grabe.
So erscheint Mykene schon im 1(3. Jahrhundert geradezu
als ein zweiter Sitz der neukretischen Kunst, die hier in der
Auswahl der dargestellten Szenen sowie in Tracht und Be-
') Die weiteren Kombinationen und Deutungsversucbe, die an
die Darstellung geknüpft sind, bleiben recht problematisch, da ja nur
ein Bruchteil des Gefäßes erhalten ist (vgl. auch Rodenwalut, Tiryns II
203. 2). Das gilt wohl auch von der Rekonstruktion durch Stais. gegen
die auch K. Miller Bedenken äußert.
^) Vgl. o. S. 86. Gleicbartig ist die auf einem kretischen Siegel
aus Zakro dargestellte Festung bei Evans, Palace I r!08 Fig. 227 a
(227b ist abweichend).
*) Auf die Folgerungen, die sich daraus für die ägyptischen
Kampf darstellungen ergeben, können wir erst später eingehn.
234 ^ ■ D^s griechische Festland und die mykenische Kultur
wafifhung^) sich den einheimischen Forderungen anpaßt'-). An
eine Herrschaft der Kreter über das Festland ist nicht zu
denken; vielmehr tritt gerade in diesen Szenen der kriege-
rische Charakter der Griechen im Gegensatz zu der weich-
lichen Art Kretas deutlich hervor. Weit eher mögen die
Griechen schon damals Raubzüge nach der Insel unternom-
men haben, so gut wie nach den Kykladen und den klein-
asiatischen Küsten. Die kretischen Künstler jedoch werden
ebenso wie die Mehrzahl der importierten Gefäße — so die
gi-oßen Trinkhörner (Rhyta) in Form eines silbernen Stier-
kopfes mit goldenen Hörnern und eines goldenen Löwen-
kopfes^) — durch den regen Verkehr nach Mykene gekom-
men sein.
Daneben stehn nicht wenige einheimische Arbeiten in Gold,
die den fremden Stil nachzuahmen versuchen, ohne ihn wirk-
lich innerlich zu erfassen, darunter zahlreiche als Schmuck-
stücke angeheftete Tierfiguren (Sphinxe, Greifen, Polypen,
Schmetterlinge, Hirsche, Katzen, Vögel, zum Teil antithetisch
') Zu erwähnen ist noch das Bruchstück eines Fayencereliefs
aus dem dritten Schachtgrab, das einen Kriegerkopf nebst einem Stück
des i;roßen Schildes darunter darstellt (Sghuchhardt, Schliemanns
Ausgr. 237. Reichel, Hom. WaflVn 42). Der bartlose Kopf und der
Eberzahnhelm mit Sturmband stimmen ganz mit dem Elfenbeinkopf
aus einem Grabe der Unterstadt Tsuntas-Manatt 197, Reichel S. 103
überein, nur sitzt an dem Helm hier noch ein hörnerartig gekrümnater
Ansatz. Man hat ihn mit den Halbmonden auf den Helmen der Sei-
dana identifizieren wollen; aber es ist vielmehr das eine der beiden
hakenartigen Hörner, die in den Kriegerfiguren der Folgezeit bis zur
„mykenischen Kriegervase" hinab ganz gewöhnlich sind und in denen
Reichel S. 98 f. 107 (vgl. Robert, Studien zur llias 48) die fdloi bei
Homer erkannt hat. Weiteres in Abschnitt XII.
*} Auch im Stil finden sich begreiflich genug feinere Unterschiede
von den auf Kreta selbst gearbeiteten Werken; das hat Kurt Müller,
der sie eindringend analysiert hat, auf die Vermutung geführt, die
beiden Silberbecher seien im westlichen Kreta entstanden, aus dem
ja Denkmäler bisher nicht vorliegen, eine Hypothese, die sich weder
durch irgendwelche Tatsachen stützen läßt noch den Charakter dieser
Denkmäler erklären könnte.
3) KarO; Arch. Jahrb. 26. 1911, 249ff., beide aus dem vierten Grabe.
Kultszenen aus den Schachtgräbern 235
gruppiert) und Goldbleche von Kästen mit getriebenen Re-
liefs von Tierkämpfen, die nahezu eben so unbeholfen aus-
gefallen sind wie die Grabstelen ^). Dazu gehören auch die
kleinen, gleichfalls als Schmuckstücke verwendeten Figuren
einer nackten Göttin, die von Tauben umflattert wird, aus
dem Frauengrabe (III). Daneben haben sich in diesem sowie
in dem Königsgrabe (IV) mehrere Nachbildungen des kre-
tischen Kultbaus dieser Göttin gefunden-'). Dieselbe Göttin,
die Aphrodite der Griechen, haben wir auch auf Kreta selbst
getroffen. Auch hier zeigt sich, wie beim Baumkult, bei der
Jagdgöttin (Artemis) und bei der Schildgottheit (Palladion),
daß eine Scheidung zwischen Kreta und dem Festlande auf
dem Gebiet der ReKgion mit unserem Material nicht durch-
führbar ist'^), und daß, mag auch die ursprüngliche Konzep-
tion der Gottheiten sehr verschieden gewesen sein, die Griechen
ihre Gestaltung im Phantasiebilde und in weitem Umfang
auch ihre Attribute und die Formen des Kultus aus der fort-
geschrittenen kretischen Kultur übernommen haben, so gut
wie die Gestalten und Mythen der Dämonenwelt.
Die Eroberung Kretas durch die Acliaeer
Während das griechische Festland von der Kultur Kretas
durchtränkt wird, ist sie auf der Insel selbst alsbald innerlich
erschlafit. Die Lebensformen bleiben die gleichen, der Palast
in Knossos wird im einzelnen mehrfach umgebaut — zu den
jüngeren Räumen („Spätrainoisch 11") gehört z. B. der Thron-
saal mit Sitzbänken und einem Königsthron von Alabaster
und zwei ffroßen im Schilf lagernden Greifen als Wand-
') Behandelt von K. Müller, Arch. Jahrb. 30, 2 94 ff. 894 ff. Schlie-
MANN, Myk. S. 206 ff. 307. 354. 364.
2) K. Müller S. 302 f. Schliemann S. 209. 306. Vgl. o. S. 195 ff'.
^) Es ist sehr möglich, daß auch der Goldring mit der Vegeta-
tionsgöttin und dem in der Luft schwebenden Palladion oben S. 193
im Auftrag eines mykenischen Fürsten gearbeitet ist und die hier herr-
schenden religiösen Anschauungen wiedergibt. Aber die Konzeption
und die Gestaltung der Gottheiten ist durchaus kretisch.
236 ^ • D'is >;riechische Festliuid und die mykenische Kultur
gemjilde. Aber das frische Leben der Kunst schwindet, der
kecke Naturalismus entartet zur Manier, die die einmal ge-
schaffenen Formen festzuhalten sucht, aber in der Ausführung
immer mehr degeneriert — ein charakteristisches Beispiel
dafür ist der Abstand der Gemälde des Sarkophags von Hagia
Triada (o. S. 202) von den älteren Kunstwerken. In der Be-
malung der großen, in ihrer Art vollendeten dreihenkligen
Amphoren des sog. Palaststils ist die Nachbildung der Natur
aufgegeben; die Pflanzen und Blüten, die Polypen, die Felsen
und Korallen des Meeresgrundes werden streng schematisch
stilisiert und der architektonischen Gliederung des Gefäßes
untergeordnet so gut wie die Spiralen und Wellenlinien oder
die der Architektur entlehnten Halbrosetten (Triglyphen).
Der Farbenreichtum der älteren Zeit ist völlig geschwunden,
man malt mit schwarzem Firnis auf hellem Tongrund. Auch
neue Gefäßforraen kommen auf, so die Bügelkannen, die dann
für die Folgezeit charakteristisch werden. Äußerlich hat sich
offenbar nicht viel geändert, und die Paläste stehn nach
wie vor prächtig da; aber deutlich empfindet man, daß die
Schöpfungskraft erlahmt ist und das innere Leben entweicht.
Li dieser Epoche langsamen Niedergangs ist die Lisel
einer verheerenden Katastrophe erlegen, die der selbständigen
Weiterentwicklung der kretischen Kultur ein jähes Ende be-
reitet hat. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß es
Stämme des griechischen Festlandes gewesen sind, die sie
herbeigeführt haben. Die kretische Seemacht war offenbar
nicht stark genug, die Scharen der Eindringlinge abzuwehren;
zu Lande aber waren die Kreter bei ihrer unzureichenden
militärischen Organisation den Fremden nicht gewachsen, und
die unbefestigten Städte lagen ihnen schutzlos offen. So wur-
den alle Städte verwüstet, die Paläste von Knossos, Phaestos,
Hagia Triada wurden niedergebrannt und liegen seitdem in
Trümmern. Nur im Osten, in Praisos und Polichne, ver-
mochte die alte Bevölkerung sich unabhäni^ig zu erhalten^);
Vielleicht gilt das gleiche auch von den Kydonen im Westen;
Niedergang Kretas. Eroberung durch die Griechen 237
im Hauptteil der Insel aber, vor allem in Knossos, gebieten
fortan nacb der Sagenüberlieferung, die auch hier auf einer
durchaus zutreffenden Tradition beruht, achaeische Fürsten 0-
Diese Machthaber haben sich auch in den zerstörten
Palästen angesiedelt und einen Teil der Räume wieder auf-
gebaut*). Auch von der älteren Bevölkerung sind nicht wenige
da dieser bisher für die ältere Zeit noch gänzlich unerforscht ist, läßt
sich darüber nichts ermitteln.
') Da Beloch (und ihm folgend Kahrstedt, Neue Jahrb. XXII
1919, 71 tf.) die dorische Wanderung leugnet und die Achaeer zu
Doriern macht, sind ihm natürlich auch die kretischen Achaeer des
Epos (Idomeneus u. s. w.) Dorier — eine Verirrung der Hyperkritik,
die prinzipiell jeden Versuch verwirft, die Entwicklung der Sagen-
überlieferung geschichtlich zu verstehn und aus ihr geschichtliche
Tatsachen zu ermitteln. Eine lehrreiche Parallele zu den Schicksalen
Kretas bietet die Invasion und Eroberung Englands erst durch die
skandinavisch sprechenden Dänen, dann durch die romanisierten Nor-
mannen. — Über Herodots Darstellung, sowie über die Völkerliste
1 175— 177s.o.S.215, 1. Der Dichter versetzt die zu seiner Zeit bestehenden
Bevölkerungsverhältnisse schon in die troische Zeit. Über die Pelasger,
die er neben Achaeern, Eteokretern, Kydonen und Doriern nennt,
wissen wir sonst nichts, sowenig wie über die Kydonen; es ist aber
sehr möglich, daß sie schon gleichzeitig mit den Achaeern aus Thessa-
lien nach Kreta gekommen sind, vielleicht nach Gortyn, vgl. o. S. 218, 3,
doch ist gegen ethnographische Konstruktionen auf Grund der Orts-
namen, wie sie Fick, Vorgriech. Ortsnamen 190-5, versucht hat, starke
Zurückhaltung dringend geboten. — Vordorische Elemente in Sprache
und Kultur im mittleren Kreta, im Idagebiet (Eleutherna, Vaxos,
Gortyn), die mit dem Arkadischen, d. i. mit der Sprache der Achaeer
des Peloponnes übereinstimmen, bei Solmskn, Rhein. Mus. 63, 332;
bestätigt durch den Namen der hier auf dem Wege von Knossos nach
Gortyn liegenden Stadt 'Apx&Ssc. Die zahlreichen Gräber von Arkades,
mit Leichenverbrennung und Gefäßen geometrischen und orientalisieren-
den Stils, gehören der folgenden Epoche an; doch werden drei kleine,
später noch lange zu Beisetzungen benutzte Kuppelgräber bis ans Ende
der mykenischen Zeit hinaufreichen (Journ. Hell. Stud. 44, 278).
2) DöRPFELr>'s Hypothese, daß die Achaeer ein griechisches Megaron
in den älteren Palast gebaut hätten, ist von Mackenzie, Annual XI
181 ff., und NoACK, Ovalhaus und Palast in Kreta 1908, widerlegt und
jetzt wohl allgemein aufgegeben.
238 ^^- D^s griechische Festland und die mykenische Kultur
offenbar in den alten Wohnsitzen geblieben und haben sich,
vielleicht als Hörige, der Fremdherrschaft gefügt. So setzen
sich denn auch die Formen der alten Kultur, die ja auch
den Eroberern nicht mehr fremd war, weiter fort. Aber die
Schöpferkraft ist völlig geschwunden, die Bemalung der Ge-
fäße und ebenso die der Tonsärge in Truhenform, die jetzt
üblich werden (o. S. liOl), zeigen geistig wie technisch den
ständig fortschreitenden Verfall. Auch die rohen Idole einer
weiblichen Gottheit, bei denen der Oberkörper mit plumpen
Armen aus einem Zylinder herauswächst, gehören erst dieser
Zeit an, ebenso die Mehrzahl der Mützenidole (S. 199). Im
übrigen sind natürlich die alten Stätten und Formen des Kul-
tus weiter bestehn geblieben und von den Griechen über-
nommen worden, so gut wie die Sagengestalt des Zeussohnes
Minos, den das Epos zum Ahnen der achaeischen Könige
macht ^).
Für die Zeit der Katastrophe bietet einen Anhalt einer-
seits, daß nach Thutmosis III. in den ägyptischen Grabge-
mälden unter den Gesandtschaften aus der Fremde die Kafti
nicht mehr erscheinen, obwohl die kulturellen Beziehungen
zur ägaeischen Welt fortbestehn und der Import der von
dort bezogenen Tongefäße eher noch wächst, und daß andrer-
seits die in großen Massen im Palast Amenophis' IV. in El
Amarna erhaltenen Scherben solcher Gefäße (darunter zahl-
reiche Bügelkannen) durchweg bereits den völlig degenerierten
Stil (Late Minoan III) zeigen, und ebenso schon manche aus
der Zeit Amenophis' III.-)- Demnach werden wir den Unter-
gang des kretischen Reichs und die Festsetzung der Achaeer
auf Kreta spätestens in den Anfang der Regierung Ameno-
phis' III. rund um 1400 ansetzen dürfen.
') Genau ebenso eignen sich später die dorischen Spartaner die
Gestalten des Agamemnon und Orestes und der Tyndariden an.
*) Sorgfältige Zusammenstellung des Materials oei Fimmen S. 16'2ff.
Invasion von Kreta. Fortbildung des mykenischen Stils 239
ä^^ykene und Tiryns. Die Kuppelgräber. Das argivische
Königreich
Inzwischen war die Entwicklung auf dem griechischen
Festland weiter fortgeschritten. Die Denkmäler, die sie ge-
schaffen hat, gehören zum Teil noch in die Zeit vor dem
Falle Kretas, wie z. B. die Vasen im kretischen Palaststil im
Kuppelgrab von Pylos und gleichartige Scherben aus Mykene
und sonst beweisen^). Aber bei dem Fehlen jeder Kunde
über den geschichtlichen Verlauf ist es unmöglich, innerhalb
dieser Entwicklung den Zeitpunkt zu bestiumien, in den die
Eroberung Kretas und überhaupt die Ausbreitung der Griechen
über das ägaeische Meer fällt; wir müssen uns darauf be-
schränken, das Gesamtbild der Gestaltung zu zeichnen, soweit
sie sich aus den Monumenten erkennen läßt.
Die kretisch-mykenische Mischkultur, in deren erstes Sta-
dium die Schachtgräber von Mykene einen Einblick gewährt
haben, hat sich weithin über die Küstenlandschaften des
Südens und Ostens der griechischen Halbinsel ausgebreitet.
Vor allem in der argivischen Ebene ist das kretische Kunst-
gewerbe voll eingebürgert; es entstehn, zunächst wohl durch
aus Kreta eingewanderte oder herübergeholte Handwerker
betrieben, Fabriken von Tongefäßen ^), in denen in der Ge-
staltung und Bemalung die jüngste Form des kretischen Stils
(Late Minoan H) beibehalten wird, nur daß die rein dekora-
tive Stilisierung der Motive sich noch weiter fortbildet und
die naturalistische Wiedergabe des ursprünglichen Vorbildes
') K. MüixER, Mitt. atben. Inst. 34, 318 f. Er weist nach, daß
hier eine festländische Variation des kretischen Stils (Spätminoisch II)
vorliegt; aber mit Rtcht nimmt Reisinger, Kret. Vasenmalerei 39 f. an,
daß sie nicht von einheimischen, sondern von kretischen Fabrikanten
gearbeitet sind, die auf dem Festland angesiedelt waren; sie haben
hier die kretischen Formen und Motive in derselben Weise modifiziert,
wie wir das bei den Metallarbeiten und Siegeln in den Schachtgräbern
gesehn haben.
2) Siehe Kurt Müller über die Vasen des Palaststils aus Kako-
vatos. Mitt. athen. Inst. 34, 269 ff., und Reisinger, Kret. Vasenmalerei 39 f.
240 ^ • I^'^*^ griechische Festland und die mykenische Kultur
aus der Pflanzen- und Tierwelt völlig preisgegeben wird^).
Neben diesen eleganten Waren, deren Formen sich durchweg
als Nachbildungen metallener Prunkgefäße in billigerem Ma-
terial erweisen, hat sich, wenngleich durch die führende In-
dustrie stark zurückgedrängt, bei den einheimischen Hand-
werkern nach wie vor die Fabrikation der altüberkommenen
primitiven Gefäße mit linearer Ornamentik in Mattmalerei für
den Hausgebrauch und die ärmere Bevölkerung erhalten. Auch
in den Metallarbeiten und Siegeln hat der kretische Stil die
volle Herrschaft, und ebenso in der Dekoration und den Wand-
malereien der Gebäude^). Daneben aber ist der Steinbau zu
voller Entwicklung gelangt; man hat gelernt, die gewaltigen
Blöcke, sowohl polygonal wie in rechteckigen Quadern, zu-
nächst mit der Axt, dann auch mit der Säge, regelrecht zu be-
arbeiten und aneinanderzufügen. Die Technik des Bogenbaus
ist dieser Zeit noch völlig fremd; aber durch Überkragung,
durch reihenweises Vorschieben der Blöcke, die durch den auf
ihnen lastenden Druck in ihrer Lage festgehalten werden,
vermag man einen Raum zu überdecken und so, mit gewal-
tiger Kraftanstrengung, den Eindruck zu schaffen, den in der
entwickelten Baukunst ein spitzbogiges Gewölbe erzeugt. Die
Dekoration, die jetzt in Stein umgesetzten Holzsäulen, deren
nach unten sich verjüngende Gestalt beibehalten wird, die
Wandmalereien, die Friese an den Sockeln mit Halbrosetten
und Palmetten (sog. Triglyphenfriese o. S. 175. 187), mit ein-
gelegten Würfeln von bläulichem Glasfluß, sind aus Kreta
übernommen; aber in den gewaltigen Steinbauten und ebenso
in dem von dem kretischen völlig abweichenden Grundriß der
1) Es ist der „dritte mykenische Stil" Fcrtwängler's undLöscHCKE's
(Myken. Tongefäße 1879; Myken. Vasen 1886), der dann allmählich
in den völlig degenerierten , vierten Stil" übergeht.
") Die Scherben mit kretischen Schriftzeichen, die sich vereinzelt
in Tiryns und Orchomenos gefunden haben, sind offenbar aus Kreta
importiert. Wenn die Griechen der mykenischen Zeit selbst geschrieben
hätten, müßte in der Masse der Funde die Schrift viel häufiger vor-
kommen und überdies eine Nachwirkung ausgeübt haben, von der sich
keine Spur findet.
Fortentwicklung des Steinbaus. Tor und Palast von Mykene 241
Paläste offenbart sich die Selbständigkeit und die Energie der
festländischen Bevölkerung.
In Mykene ist die alte Burgmauer ausgebessert und durch
einzelne Türme verstärkt, und vor allem am Eingang durch
Einbeziehung des Gräberrundes erweitert worden. Hier, am
Haupttor und dem dasselbe schützenden Turm, ist die Außen-
seite der Mauer nicht polygonal, sondern in regelrecht ge-
schichteten Steinquadern aufgeführt. Auf den Türpfosten ruht
ein riesiger Steinbalken, über dem zur Entlastung ein drei-
eckiger Raum ausgespart ist; in diesen ist eine Kellefplatte
von Kalkstein eingesetzt, auf der eine kretische Säule mit
Unterbau und Gebälk von zwei mächtig aufgerichteten Löwen
flankiert wird — eine nach Art der Siegelbilder der kretischen
Kultbauten wappenartig abgekürzte Darstellung des Königs-
palastes und der Macht des in ihm thronenden Herrschers.
Außer diesem Tor, durch das die Fahrstrecke zum Palast
hinaufführt und von dem alle Straßen in die Landschaft
ausgehn, besitzt Mykene nur noch eine Ausfallspforte auf der
Rückseite, die den Zugang zur Quelle Persaia weiter oben
in der Schlucht gestattet. Später ist dann hier im Osten vor
der Mauer noch ein Wasserreservoir angelegt, zu dem ein
geheimer Treppengang durch die Mauer hinabführt.
Vom Palast von Mykene ist nur ein Teil der Grund-
mauern nebst dem Treppenaufgang erhalten. Doch haben
sich aus dürftigen Resten der Wandgemälde, die sich hier
im Schutt gefunden haben, die Fresken rekonstruieren las-
sen, mit denen die Wände des Megaron bemalt waren. Sie
stellen, wie später unter Sethos L im Tempel zu Karnak, in
fortlaufender Reihe einen Kriegszug dar, das Lager, den Aus-
zug zum Kampf und die Schlacht; wie auf den Silbervasen
der Schachtgräber ist auch hier Tracht und Bewaffnung die
mykenische^). Dazu kommt das Gemälde einer Votivtafel, auf
') Eingehend behandelt und glänzend rekonstruiert sind die Ge-
mäldereste (und ebenso der Belag des Fußbodens) von Rodenwaldt, Fries
des Megarons von Mykenai, 1921, vgl. vorher Mitt. athen. Inst. 36, 221 ft".,
sowie Tiryns 11 184 f. 200 f. Weitere Bruchstücke im Annual 2-5, 162 fif..
Meyer, Geschichte des Altertums. II'. 16
242 ^- Das griechische Festland und die mykenische Kultur
der das Schildidol der Kriegsgöttin ganz im kretischen Stil
von zwei Frauen verehrt wird^).
An die Burg schließt sich die Unterstadt auf dem nie-
drigeren, rechtwinklig an sie ansetzenden Höhenrücken. Sie
war unbefestigt^) und scheint, wie das homerische Beiwort
(IL A 52) „weitstraBig" zeigt, mehr dorfartig besiedelt ge-
wesen zu sein. Der Hügel hat zugleich als Nekropole gedient;
an den Abhängen zerstreut liegen die großen Kuppelgräber.
Neben Mykeue steht eine zweite Herrscherburg in Tiryns
auf einem niedrigen Hügel unweit des Meeres und der durch
einen Felsvorsprung gebildeten Bucht von Nauplia. Auf dem
von einem Mauerring umschlossenen Hügel lag ein Palast,
von dessen den mykenischen gleichartigen Wandgemälden sich
gleichfalls einige Reste erhalten haben ^). In der Folgezeit,
etwa um 1300, ist die ältere Anlage durch einen mächtigen
Neubau ersetzt worden. Der gesamte Hügel, einschließlich der
niedrigeren Unterburg, wird von einem mächtigen Mauerring
umzogen, dessen durch Überkragung überwölbte Kasematten
235 ff., behandelt von Miss W. Lamb [ferner aus dem „lamphouse",
Annual 24, 18V* ff.]; dazu Rodenwaldt im Gnomon 1926, 2t2ff Auf
die Diskussion über die Datierung kann ich nicht eingehn; sicher ist
nur. daß die Gemälde von Mykene mit denen des älteren Palastes von
Tiryns zusammengehören, also wohl rund um 1400, sei es nun einige
Jahrzehnte vor oder auch nach der Er. be. ung Kretas anzusetzen se.n
werden, ebenso wie die Erbauung des Löwentors; weiter zu gelangen
ist bei unserem Material unmöglich.
') Rodenwaldt, Mitt. athen. Inst 37. 129 ff.
') Die schwache, aus kleinen Steinen erbaute Mauer der Unter-
stadt, von der einige Reste erhalten sind, gehört erst der hellenisti-
schen Zeit an. s. Boethius im Annual 25, 417.
') Vorher hat hier schon eine ältere Ansiedlung gelegen, von der
ein großer Rundl>au aus Ziegeln unter dem l'alaste teilweise erhalten
ist. — Die bahnbreihenden, von Dörpfeld vortrefflich bearbeiteten Er-
gebnisse der Ausgrabung Schliemxnn's (1886) sind ^either durch deutsche
Ausgrabungen unter Karo's Leitung wesentlich erweitert worden, über
die ein Hbschließender Hericht noch aussteht. Für die Gemälde Roden-
waldt. Tiryns II 1912; für die nachmykenische Zeit und den Hera-
tempel Frickenhaus, Tiryns I 1912. Übersicht bei Karo, Führer durch
die Ruinen von Tiryns 1915.
Burg und Palast von Tiryns 243
eine der eindrucksvollsten Schöpfungen der mykenischen Ar-
chitektur darstellen. Die Oberburg umschließt den Palast, in
dem die von den kretischen völlig abweichende Anlage der
mykenischen Paläste ihren vollendeten Ausdruck gefunden hat.
Von Osten her führt der Weg durch ein mächtiges Tor hinauf
zur Eingangshalle (Propylon) des großen Hofs vor der Front
des Palastes. Von ihm gelangt man durch ein zweites Pro-
pylon in einen großen, rings von Säulenhallen umgebenen Hof,
in dessen Mitte der Altar des Zeus herkeios steht, und aus
diesem durch eine lichte Eingangshalle nebst anschließendem
Vorzimmer in den Hauptraum, den Männersaal (Megaron) mit
dem Hausherd unter einer Öffnung des von vier Holzsäulen
getragenen Daches und dem erhöhten Königssitz an der Längs-
wand. Dieser Zentralbau beherrscht, in bezeichnendem Gegen-
satz gegen die kretischen Paläste, die gesamte Anlage und
schafft, in organischer Verbindung mit den mächtigen ihn
umschließenden Festungsmauern, einen einheitlichen Gesamt-
eindruck, der dort völlig fehlt. Die Einzelgestaltung dagegen
ist, wie in Mykene, durchweg von den kretischen Vorbildern
abhängig, so die Holzsäulen, die Alabaster friese mit Halb-
rosetten und eingelegtem Glasfluß, die Bemalung des Fuß-
bodens mit einem Teppichmuster, das zwischen Gewebe nach-
bildenden Quadraten abwechselnd Delphine und Polypen ein-
setzt. Rings um das Megaron liegen, wie in Kreta, ohne
einheitlichen Plan zahlreiche Kammern und Korridore i); auch
ein Badezimmer fehlt hier so wenig wie dort'-^); vortreff'lich
gesorgt ist für Wasserleitung und Kanalisation. Die Wand-
gemälde stellen eine Frauenprozession und Jagden dar, ferner
eine über einen Stier, den sie bei den Hörnern packt, hin-
wegspringende Frau. Diese Form des Kampfspiels ist also auch
auf dem Festlande übernommen worden. Künstlerisch zeigen
diese Gemälde einen gewaltigen Rückschritt gegenüber den
') Darunter auch ein zweites kleineres Megaron mit Vorhof, in
dem man wohl mit Recht das Frauengemach erkennt.
'} Das homerische Wort aoativSo? ist deutlich eins der vielen
Lehnworte aus einer fremden Sprache von kleinasiatischem Typus.
244 ^- D^^ griecliische Festland und die mykenische Kultur
altern; wie auf Kreta ist auch auf dem Festlande, wenn auch
etwas später, die künstlerische Kraft nach kurzer Blütezeit
ständig weiter gesunken und der Routine erlegen.
Unter der Festung, deren Unterburg in Kriegszeiten als
Zufluchtsstätte für Menschen und Vieh dienen konnte, liegt
auch hier die offene Ortschaft; ein schmaler, durch eine starke
Vormauer gesicherter Treppenweg führt an der Westseite un-
mittelbar zu ihr hinab.
Daß so in der argivischen Ebene zwei Königsburgen
dicht nebeneinander liegen — der Abstand beträgt nur 15 Kilo-
meter') — , hat vielfach zu der Annahme geführt, daß die
durchaus einheitliche Landschaft jahrhundertelang in zwei
selbständige Fürstentümer zerrissen gewesen sei. Indessen
eine solche Trennung des Küstengebiets von dem Binnen-
lande ist geographisch wie historisch eine Unmöglichkeit;
Mykene ist ohne rege Verbindung mit dem Meere ganz un-
denkbar. Eine Bestätigung bietet das große Straßennetz, das
vom Löwentor Mykenes ausgeht. Längs der Gebirgsabhänge
sind diese Straßen in zahlreichen Überresten erhalten. Sie
sind alle im „kyklopischen" Stil erbaut: am Abhang wird
durch Absprengen von Felsblöcken und Aufschichten der-
selben an der anderen Seite eine schmale Fahrstraße von
3'/.. Meter Breite geschaffen, die, nachdem die Höhe gewonnen
ist, möglichst horizontal geführt wird und daher auch weite
Ausbuchtungen nicht scheut. Alle die zahlreichen Gießbäche
und Wasserdurchlässe sind im kyklopischen Stil durch Über-
kragung mit großen, roh behauenen Blöcken überbrückt.
Deutlich sind diese Straßen für die leichten, zweirädrigen
Kriegswagen erbaut, die so, auf ebenen Wegen, das Land
rasch durchjagen und in kurzer Zeit überall eingreifen konn-
ten. Drei dieser Straßen führen ins Gebirgsland im Norden
und Osten und weiter bis zum Isthmus, eine vierte südwärts
oberhalb der Ebene nach Prosymna mit der Kultstätte der
') Er ist also weit geringer als der zwischen Rnossos und Phai
stos, die überdies durch einen (iebirgsrücken getrennt sind.
Mykene und Tiryns. Das Straßennetz 245
Landesgöttin Hera. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß diese
Straßen sich auch in der Ebene — wo sie natürlich nicht
mehr erhalten sind — bis nach Tiryns und zum Meere und
ebenso durch das Hinterland nach Osten fortgesetzt haben;
hier hat sich auf der Straße nach Epidauros noch eine mäch-
tige Brücke des gleichen Stils erhalten')- Dieses einheitliche,
planmäßig angelegte Straßennetz beweist die beherrschende
Stellung und die festbegründete Staatsmacht Mykenes und
widerlegt noch zwingender als die Denkmäler der Stadt selbst
die weitverbreitete Ansicht, daß in der mykenischen Epoche
die politischen Zustände noch primitiver und zersplitterter
gewesen seien als in der homerischen Zeit. Die letztere ist
vielmehr eine Zeit fortschreitender Zersetzung und Atomi-
sierung; aber diesen mittelalterlichen Zuständen voraus lie-
gen auch hier weit kräftigere staatliche Gebilde, in derselben
Weise, wie der Zersplitterung des germanischen Mittelalters
das Frankenreich und das Reich Karls des Großen, und in
Ägypten der Feudalzeit des Mittleren Reichs der Einheitsstaat
der Pyramidenerbauer vorangeht.
Mithin kann Tiryns niemals ein selbständiger Staat ge-
wesen sein, sondern nur eine zweite Königsstadt im Reich
von Mykene. Es wird gegründet sein, um dem Meer möglichst
nahe zu sein. Der Gedanke, etwa auf dem Hügel von Nauplia
oder gar auf dem steil darüber aufragenden Burgfelsen des
Palamidi eine Stadt und ein Schloß zu erbauen, lag dieser
Epoche, die durchweg — so z. B. auch in Athen — die expo-
nierte Lage unmittelbar am Meer scheut, noch völlig fern;
der Hügel von Tiryns dagegen bot alles, was man begehren
konnte. Es mag die bevorzugte Residenz der Herrscher ge-
worden sein; so wird es weit glänzender ausgebaut als das
seinen altertümlichen Charakter bewahrende Mykene -)•
') Das Straßennetz ist von Steffen, Knrten von Mykene 1884,
klargelegt. Die Brücke auf der Straße nach Epidauros (TbUNTAs-MANATi-
p. 37) hat er dahei auffallenderwei&e nicht berücksichtigt.
') Das Verhältnis der beiden Städte zueinander wird ähnlich
gewesen sein wie später das von Assur zu Kalach und Ninive, in denen
246 ^'^- ^^^ griechische Festland und die mykenische Kultur
Auch die anderen Ortschaften der Argohs, in denen sich
Überreste aus mykenischer Zeit gefunden haben, so Prosymna
(beim Heraeon), Mideia, Naupha und weiter südlich die Burg
von Asine sowie die Orte der Akte, auch der Hügel der
Aspis von Argos u. a. sind wohl Sitze von Adelsgeschlech-
tern gewesen ; aber diese waren nicht unabhängige Dynasten,
sondern zum Kriegsdienst verpflichtete Gefolgsleute der my-
kenischen Könige. Das wird dadurch bestätigt, daß sich zwar
in diesem Gebiete überall Felsgräber mit mykenischen Scherben
finden, aber Kuppelgräber nur drei, eins bei Prosymna (dem
Heraeon), eins bei Mideia, mit außerordentlich reicher Aus-
stattung, eins bei Tiryns. Dem gegenüber stehn die neun
Kuppelgräber von Mykene; deutlich zeigt sich, daß dies dauernd
die Hauptstadt des Reichs geblieben ist, in der die Könige
sich ihre Grabstätten erbauten, während an den anderen Orten
nur gelegentlich einmal ein zu größerer Macht gelangter Dynast
sich ein gleichartiges Grabmal errichtet hat. Bei dem völligen
Fehlen geschichtlicher Überlieferung ist es unmöglich, in den
zeitlichen Verlauf der politischen Entwicklung und die gewiß
wiederholt vorgekommene Verschiebung der Machtverhältnisse
einen näheren Einblick zu gewinnen.
Mit diesen Grabbauten ist die voll entwickelte mykenische
Blütezeit weit über die Epoche der Schachtgräber hinausge-
schritten. Die vornehmen Magnaten legen ihre Gräber, die
wahrscheinlich als Geschlechtsgräber gedient haben, in den
Felswänden an; zu der rechteckigen Kammer führt durch
diese ein Zugang, der dann, wenn das Grab nicht mehr be-
nutzt wird, vermauert und mit Felsblöcken verschüttet wird.
Für das Königsgrab dagegen wird im Felsen eine große Höh-
lung ausgeschachtet und in dieser ein mächtiger Rundbau
aufgeführt, der durch konzentrische Steinringe von stetig ab-
nehmendem Durchmesser gebildet ist, so daß sich der Bau
nach oben bienenkorbartig wölbt und endlich durch einen
Schlußstein gedeckt werden kann. Dann wird der Bau mit Erde
man auch, wenn alle geschichtlichen Nachrichten fehlten, die Sitze
verschiedener Reiche suchen könnte.
Die Kuppelgräber 247
überschüttet. Den Zugang bildet auch hier ein langer in den
Felsen geschnittener Gang (Dronios) mit verschließbarer Tür.
Die neun verstreut auf den Abhängen des Hügels der
Unterstadt liegenden Kuppelgräber von Mykene lassen einen
ständigen Fortschritt der Technik erkennen. Die primitivsten
sind „kyklopisch" aus kleinen, nur flüchtig behauenen, un-
regelmäßig zusammengefügten Steinen erbaut, an den Fels-
wänden des Dromos fehlt jede Bekleidung, die Eingangstür
ist mit mehreren Steinblöcken überdeckt. Bei einem (dem
sog. Grab des Aegisthos) ist ihr später ein besseres Portal
mit Pfeilern aus regelrecht behauenen Quadern vorgesetzt.
Allmählich verbessert sich dann die Bauweise, der Dach-
balken des Tores ist größer und sorgfältig behauen und dar-
über ein Entlastungsdreieck ausgespart, auch der Dromos
wird mit Mauern eingefaßt, Quadern werden häufiger ver-
wendet. Die vollendete Form ist erreicht in dem von der an-
tiken Tradition als Schatzhaus des Atreus bezeichneten Grabe;
durch die Großartigkeit seiner Dimensionen, die innere Ge-
schlossenheit der Anlage und die Präzision, mit der die ge-
waltigen Steinblöcke behauen und zusammengefügt sind, ge-
hört dieser Riesenbau zu den wirkungsvollsten Schöpfungen
der Architekturgeschichte und stellt sich neben die Pyramiden
Ägyptens. Die Wände des Kuppelraums waren mit bron-
zenen Rosetten geschmückt; für die Leichen, die sonst im
Fußboden beigesetzt wurden, ist eine große viereckige Kammer
angefügt, so daß der Hauptraum hier lediglich den Totenfeiern
dient. Die Eingangstür ist (wie auch die der Leichenkammer)
mit einer riesigen Steinplatte überdeckt, mit dem Entlastungs-
raum darüber; die Türpfosten waren außen mit reich deko-
rierten Halbsäulen verkleidet, die sich nach Art der kreti-
schen Holzsäulen nach unten verjüngen. Auch der Dromos
ist ganz von Quaderwänden eingefaßt. Dies Grab ist deut-
lich gleichzeitig mit dem Löwentor und vermutlich von dem-
selben Herrscher errichtet. Jünger ist dann das zierliche,
am Eingang mit kannelierten Halbsäulen geschmückte Grab
in der Nähe des Löwentors, das jetzt als „Grab Frau Schlie-
248 V. Das griediifche Festland und die mykenische Kultur
nianns" oder „Grab der Klytämnestra" bezeichnet wird. Da-
mit oder mit dem vielleicht noch jüngeren und wesentlich
kleineren „Tomb of Genii", das zu wiederholten Bestattungen
benutzt zu sein scheint, bricht die Reihe ab^). So haben wir
in den neun Gräbern eine Folge von mindestens neun Kö-
nio-en, die zusammen über zwei Jahrhunderte lang, also rund
von 1480 — 1230, regiert haben werden.
Diese Monumente zeigen die gewaltige Bedeutung, welche
der Totendienst gewonnen hat. Nahezu in demselben Um-
fang wie in den Zeiten des Alten Reichs Ägyptens wird ein
Hauptteil der Machtmittel des Herrschers wie der Magnaten
dazu verwendet, ihren Leichen eine würdige Ruhestätte zu
schaffen. Für die Ausstattung des Daseins im Totenreiche
wird dem Gestorbenen der kostbarste Teil seiner Habe mit-
gegeben^). Diener (vielleicht zum Teil Kriegsgefangene, wie
bei Patroklos in der Uias) und Dienerinnen wurden, wie die
') Die eingehende Untersuchung der mykenischen Kuppelgräber
durch Wace, Annual 25, 283 ff., hat erwiesen, daß sie sich in eine
kontinuierliche Entwicklungsreihe einfügen. Früher hatte ich geglaubt,
daß, wie bei den Pyramiden, das vollkommenste Grab, das des Atreus,
auch eines der ältesten sei und dann die Leistungsfähigkeit erlahmt
sei, eine Ansicht, an der Evans, J. Hell. Stud. 45, 75 und 264. auch
jetzt noch gegen Wage festhält [dagegen Wace, J. Hell. Stud. 46, llOff.l-
Indessen der Nachweis der aufsteigenden Entwicklung erscheint strin-
gent; und daß im „Grabe des Aegisthos" dem älteren, zu dem ,Cy-
Clopean Tomb" und dem ,Epano Phournos" stimmenden Portal ein
aus Quadern erbautes vorgelegt ist, das den Übergang zu den folgen-
den Gräbern bildet, beseitigt vollends jeden Zweifel. Dann ist aber
auch die Folgerung unabweislich. daß die Kuppelgräber sämtlich
Königsgräber sind und nicht, wie Tsüntas annahm, zum Teil Familien-
gräber des Adels, der in den Dörfern gesessen habe, in die er die Unter-
stadt von Mykene auflöst; denn dann könnten sie nicht eine chrono-
logische Folge darstellen, sondern müßten wenigstens zum Teil gleich-
zeitig sein.
^) Die großen Grabbauten sind, analog den Königsgräbern des
Neuen Reichs, oflenbar mindestens ebenso reich ausgestattet gewesen
wie die Schaclitgräber; daher nennt die griechische Tradition sie
, Schatzhäuser". In Mykene sind sie früh ausgeplündert; in Vaphio,
Asine, Kakovatos u. a. ist ein Teil der Schätze erhalten.
Der Totendienst. Das Reich von Mykene 249
gefundenen Gebeine bestätigen, am Grabe geschlachtet, ebenso
die Rosse. Dazu kommen die Totenopfer, deren Blut in die
Erde fließt; denn der Totengeist bedarf des Blutes, um sein
gespenstisches Dasein lebendig zu erhalten. Daß, genau wie
später, an bestimmten Tagen die Nachkommen sich immer
wieder zu Totenfeiern versammelten und Leichenschmäuse mit
Opfergaben hielten, zeigen die zahlreichen Scherben aus jün-
gerer Zeit, die sich in den Gräbern finden. Auch an Leichen-
spielen, vor allem Wettrennen, wird es jetzt so wenig gefehlt
haben wie in der homerischen und nachhomerischen Zeit; viel-
mehr ist das ein Brauch, der bis in die Urzeit zurückreicht.
In dieser Gestaltung des Totendienstes mit seinen strengen
und blutigen Forderungen tritt ebenso wie im Kriegswesen
und den Festungsbauten der Gegensatz gegen Kreta mit seiner
heiter-sorglosen Auffassung des Lebens deutlich zutage. Wie
wir gesehn haben, sind diese Grabformen mit Steinbau und
Überkragung gegen Ende der Selbständigkeit Kretas auch
dorthin übertragen worden, aber in weit unvollkommenerer
Form; an das Kuppelgrab des Atreus reicht das Grab von
Isopata (S. 201) nicht entfernt hinan.
Mit dem aus den Denkmälern gewonnenen Bilde stimmt
die griechische Sagentradition in ihren wirklich bis in die ray-
kenische Epoche zurückreichenden Bestandteilen vollständig
überein. In ihr bildet die argivische Landschaft ein einheit-
Hches Reich, dessen Herrscher weithin über die griechische
Welt gebietet. In der Sage vom troischen Kriege ist es der
König von Mykene, Agamemnon, „der mächtig über alle Ar-
giver gebietet und dem die Achaeer gehorchen"; mit seinem
Szepter, das seine Vorfahren von Zeus durch den Götter-
boten Hermes erhalten haben, herrscht er über viele Inseln
und ganz Argos — dieser Name umfaßt hier und an zahl-
reichen gleichartigen Stellen, wie die alten Grammatiker richtig
erklären, den ganzen Peloponnes^); die übrigen „Könige", die
') IL A 78. B 100 ff. Neben 'Ap^elot wird promiscue Aivrxot und
'Ax^i'-i zur Bezeichnung der Gesamtheit der verbündeten Griechen ver
wendet.
250 ^- ^^^ griechische Festland und die mykenische Kultur
sich zum Kampf gegen Troja verbunden haben, sind seine
Gefolgsleute, die sich, so oft sie sich auflehnen mögen und so
sehr er an ihren Beirat gebunden ist, schließlich doch immer
seiner Übermacht fügen müssen. Der Zeit des Epos ist eine
umfassende Staatsgewalt längst fremd geworden, sie kennt nur
eine Fülle selbständiger Kleinstaaten; umso weniger kann diese
Gestaltung von ihr neu geschahen sein, sondern sie beruht
auf alter und echter Tradition, die in den jüngeren Schichten
des Epos mehr und mehr verblaßt. Das Königsgeschlecht, in
dem ein Seniorat herrscht, so daß auf den verstorbenen Herr-
scher sein Bruder und dann dessen ältester Neffe folgt ^), führt
seinen Stammbaum auf Pelops zurück. Dieser Name stellt
sich zu den zahlreichen alten Volksnamen mit dem Suffix -op
(vgl. u. S. 270) und mag daher ursprünglich ein verschollener
Volksstamm gewesen sein; dauernd lebendig geblieben ist er
nur dadurch, daß die ganze, durch den Isthmus vom Festlande
getrennte Halbinsel den Namen „Pelopsinsel" trägt. Auch da-
rin spricht sich die Machtstellung aus, welche das von ihm
abgeleitete Herrschergeschlecht besessen hat.
Auch in der Heraklessage residiert Eurystheus, der Herr-
scher aus Zeus' Geschlecht, dem Zeus die Herrschaft „über alle
Umwohner" verheißen hat und dem daher auch Herakles
dienstbar werden muß, in Mykene; hierhin bringt ihm Herakles
regelmäßig die Beutestücke "0- In dem dritten großen Sagen-
') So ist die Königsfolge in der Ilias B 105 ff.: auf Pelops folgt
sein Sohn Atreus, dann dessen Bruder Thyestes, dann Atreus' Sohn
Agamemnon; dieser wird dann von Thyestes' Sohn Aegisthos er-
mordet Bekanntlich ist die Ableitung des Pelops von Tantalos und
aus Lydien dem homerischen Epos noch fremd, und ebenso ist die
Sage von den Greueltaten des Atreus und Thyestes hier fernzuhalten.
'l In der Ilias T 115 wird Eurystheus im 'kfjfoi; 'Ax'utxöv geboren;
o; iiavTeo3t neptxtiövs:o'.v ävä^ei v. 104 = 109 wird 1-22 durch o; 'Af/^u-
oiatv ävd^n ersetzt. In Mykene residiert er 0 Ö38ff., und so durchweg
in den Heraklesabenteuern. Mehrfach (so schon Hesiod Theog. 292)
wird er dann nach Tiryns versetzt, weil dies als Heimat des Amphi-
tryon gilt (so schon Hesiod Aspis 81), und man daher gelegentlich auch
den Herakle-; dorthin zurückkehren ließ. Aber gehören ist Herakles immer
in Theben [denn daß der ganz späte Heraklesroman bei Diodor IV 10
Das Reich von Mykene in der Sage. Pelops 251
kreis, dem vom Kampf gegen Theben kommt zwar Mjkene
nicht vor^), aber die argivische Linischaft ist auch hier
der Sitz eines mächtigen Herrschers, des Adrastos'-*), der die
Führung des Krieges übernimmt).
die Verjagung des Amphitryon aus Tiryns und seine Übersiedlung
nach Theben erst nach Herakles' Geburt folgen läßt, ist eine ganz
sekundäre Erfindung (vielleicht au-; M.itris if au^xinj 'Hp/x'.jo')« über-
nommen, s. Diod. I 24, 4 = IV 10, 1)]; die Behauptung Frihi'LÄnder's,
Herakles (Philol. Unters. XIX 1907) 8.45, .daß Herakles ursprünglich
in Tiryns, nicht in Theben geboren v/ar, darf ich wohl als sicher
betrachten", der Frickenhaus, Tiryns I 19, u. a. gefolgt sind, entbehrt
jeder Begründung. In Tivyn-; soll nach Clera. AI portr. 4, 47 eine
Statue dis Herakles von Skyllis und Diponios (also ganz archaisch) ge-
standen haben; soist findet sic'i ein Herakleskult in Argolis nirgends.
') Daher erfindet, als die Helden des thebanischen Kriegs in die
Hias eingeführt waren, der Dichter von A 376 ff. daß Tydeas nach
Mykene geschickt wir 1, um auch dessen Hilfe zu gewinnen, aber Zeus
die Teilnahme durch Vorzeichen verhindert.
*) Die Gestalt des Adrastos gehört nach Sikyon. wie sein dortiger
Kult beweist; was den Anlaß gegeben hat, ihn zum Führer des Kriegs
gegen Theben z\i machen, läßt sich nicht mehr erkennen. Aber im
Epos ist er König von Argos — ursprünglich natürlich der Landschaft,
später als die Stadt ge leutet [daß dann im Schiffskatalog ß 572
Sikyon seine Königssfadt h-ißt, ist sekundärer Kompromiß] — , un 1 es
verherrlicht die Taten der Arglver (vgl. Herodot V 67): der eihaltene
Eingang der homerischen Thebais lautet: 'Apfo? ötsiSs. 9-si, KoKu^.'\fi<i-^,
ev<1ev a/ixrs^.
') Für die Ermittlang der in den Sagen erhaltenen historisch n
Überlieferungen dürfen natürlich nur die den Ep m zugrunde lie-
genden Traditionen verwendet werden. Völlig fern zu halten sind die
jüngeren, a is den Verhältnissen der doris hen Zeit bis in<s 6. Jahr-
hundert hinab erwachsenen Erzählungen und Mythen lokalen Ursprungs.
In der genealogischen Dichtung und dann bei den sog. Logographen
wird d IS Material gesammelt und immer weiter aus^esponnen; die
Notwendigkeit, all die einzelnen Gestalten unterzubringen und die
Widersprüche ausz igleichen führt dann zu den langen und komplizierten
Stammbäumen [in die neben Danaos und Ai^'yptos sowie Perseus u s.w.
auch der Urmensch Pelasgos hineingezogen wiri, weil man den Namen
der thessalischen Ebene ti [IcX.'»3Y'-*'>v '\ofOi auf das peloponnesische
Argos übertrug; siehe weiter meine Forschungen I 67 ff.], die in den
folgenden Jahrhunderten noch immsr weiter ins Ungemessene an-
252 V. D;is griechische Festland und die nijkenische Kultur
Die volle Bestätigung bietet, daß die Landschaft auch
im Kultus eine Einheit bildet. Sie hat nur eine Schutzgott-
heit und nur einen religiösen Mittelpunkt: das Heiligtum der
großen Landesgöttin Hera, der "Hpa 'Af^Yna, das bei Pro-
sjmna am Fuß des Berges Euboia an der Straße von Mykene
nach Tiryns gelegen ist^). Der Tempel, das Heraion, der dann
unter der Verwaltung der Stadt Argos steht, ist natürlich weit
jünger; daß aber ihr Kult in die mykenisclie Epoche hinaufragt,
beweist das hohe Ansehn, in dem sie im Epos steht, und die
weite Verbreitung ihres Dienstes, so vor allem nach Samos.
schwellen. Diese gnnze Pseudohistoiie ist für die Erkenntnis der Ver-
hältnisse der mjkenischen Epoche ohne jeden Wert, so oft auch die
Neueren versucht haben, etwas daraus herauszupressen. Hieiher ge-
hört auch, daß der SchiÖskatalog, weil Dioniedes in den jüngeren
Schichten der Ilias nach Argos gesetzt wird und hier herrschen soll
(S 119. ^MTl), im Widerspruch mit allen älteren Angaben des Epos
die argivische Landschaft zerlegt in ein südliches Reich unter Diome-
des, das Argos, Tiryns und die Städte der Akte umfaßt, und ein nöid-
liches unter Agamemnon mit Mykene, Korinth, Sikyon und demi
ganzen Aigialos (d. i. Achaia). Nach Tiryns gehört die Kultsage von
der Raserei der durch Hera in Kühe verwandelten Töchter des Proito^;
dieser ist daher für die Genealogen König von Tiryns [in der Bellero-
phonepisode II. Z 1-57 dagegen herrscht Proitos über die "A^^tyy.], dem
die Kyklopen die Mauern erbauen. So wird Tiryns zu einem selbstän-
digen Reich gemacht, das er im Kampf mit seinem Bruder Akrisios
von Argos gewinnt; dann werden gelegenllich auch Perseus, Eurystheus
u. a. hierher gesetzt. Das alles ist keine Sage, sondern schematiscbe
Konstruktion der Sagenbearbeiter von Hesiod an, die dabei meist
mit möglichst wenig Phantasie operieren, weil es ihnen lediglich dar-
auf ankommt, an der Hand der Stammbäume ein echt gesrhichtlich
aussehendes Gerippe herzustellen. Dann folgen weiter die Konstruk-
tionen des Hellanikos, die Thukydides I 9 übernommen hat.
') Über Prosymna s. Frickenhaus, Tiryns I 114ff. ; über den Hera-
kult in Tiiyns und das alte Kultbild aus Bimbaumholz nebst den
Traditionen über lo und Kallithye siehe gegen Fbickekhaus' Konstruk-
tionen 1 2(J fi. Robert, Hermes 55, 1920, ol'4ü., und, ihn mehrfach be-
richtigend, Jacoby, Hermes 57, 1922, 8t 6 ff. [Ganz verfehlt ist Frickenhaus'
Behauptung S. 119. weil der Tempel erst aus dem 7. Jahihundert
stammt, müsse II. A 52, wo Argos. Sparta und Mykene von Hera als
ihre liebsten Städte bezeichnet werden, erst noch später gedichtet sein.]
Die Hera von Aigos. Lakonien. Amyklae 253
Der übrige Peloponnes. Boeotien. Der Krieg gegen Tlieben
Gegen die argivisclie Ebene treten die übrigen Land-
schaften weit zurück. Im Eurotastal, dem „hohlen Lake-
daimon", liegt auf einem Hügel bei Vaphio ein Kuppelgrab,
aus dem zwei der prächtigsten Schöpfungen aus der Blüte-
zeit der neukretischen Kunst stammen, zwei Goldbecher mit
getriebenen Reliefs, von denen das eine das Einfangen der
Stiere, das andere die weidende Rinderherde darstellt^). In
der Nähe liegt Amyklae, das als Herrschersitz der achaei-
schen Fürsten Lakoniens sowohl durch die Tradition wie durch
die Verbreitung des Kults des ApoUon von Amyklae nach
Cypern und Kreta erwiesen wird"). Den Kern dieses Kults
bildet das Hyakinthienfest, ein im Hochsommer gefeiertes
Trauerfest um den Tod eines schönen Jünglings, das sich
zu den zahlreichen gleichartigen Kulten Kleinasiens stellt, die
das Hinschwinden und Tod der Vegetation betrauern. Es ge-
hört also bereits der vorgriechischen Bevölkerung an, auch
der Name ist kleinasiatisch. Die ältesten Fundschichten im
Tempel von Amyklae aus mykenischer Zeit, darunter zahl-
reiche kleine Weihgeschenke wie in den kretischen Heilig-
tümern, zeigen, daß dabei das Opferblut in die Erde gegossen
wurde, wie beim Totenkult •^).
Auch in den Vorhöhen des Taygetos und an seinem West-
abhang liegen ein paar Kuppelgräber, so bei Kampos (Gere-
nia) mit der Bleistatuette eines Adoranten. Bedeutsamer sind
*) Eingehend behandelt von Kurt Müij-er, Arch. Jahrb. 30, 325 ff.
Hier lag der Ort Pharis (Friedländer, Mitfc. athen. Inst. 34, 71); aber
die Entfernung ist so gering, daß man das Grab unbedenklich einem
Fürsten von Amyklae wird zuschreiben dürfen.
-) Cypr. Apohni am'ikoloi, phoenikisch durch "-»Dia r|*r-i wieder-
gegeben, Hauptgott von Idalion, Gl Sem. I 89 ff. Hafenort 'ApLuxXaiov
auf Kreta Steph. Byz. sowie Collitz-Beghtel, Griech. Dialektinschr. lU
5C25 und im Gesetz von Gortyn (ebenda 4991) col. HI 8. — Amyklae
als Hauptstadt der vordorischen Bevölkerung: Pindar Pyth. 1, 65. Isthm.
7, 14. Über Agamemnon in Lakonien s. u. S. 298.
*) TsuNTAS, EfT,}i. 1892. Tod und Wage, Catalogue of the Sparta
Museum p. 222 ff. 244 ff.
254 V. Das griechische Festland und die mjkenische Kultur
die drei Kuppelgi über von Kakovatos in der Mitte der West-
küste des Peloponnes am Fuß einer kleinen, 2 Kilometer
vom Meer entfernten Burg; es ist das Pylos Homers, der
Sitz des Neleus und Nestor i). Mehrere Kuppelgräber liegen
in der Hochebene des südöstlichen Arkadiens bei Tegea'');
im übrigen tritt das Binnenland und die nördliche Küste des
Peloponnes sowie das Isthmusgebiet ganz zurück.
In Mittelgriechenland tritt am bedeutendsten Boeotien
hervor. Diese rings von Bergzügen umschlossene Binnenland-
schaft zerfällt in der mykenischen Epoche in zwei auch geo-
graphisch geschiedene Gebiete, die erst später durch die von
Nordwesten einbrechenden Boeoter zu einer Einheit zusam-
mengefaßt sind. Im Süden liegt das Reich der Kadmeer mit
der Hauptstadt Theben 0- Theben ist eine typische Binnen-
') Publiziert von Dörpffld. Mitt. athen Inst. 82. 3:^. 88, die
Grabfunfle von Kurt Müli.f.r ebenda M. De Lage stimmt j.enau zu
den Angaben .!er Ilias und Odyss-ee über Fylos. so daß (trotz Wiia-
MüwiTZ, Ilias und Homer i-OS, der die Existenz eines Ortes Pylos iiber-
haupt le^treilet) an der Llentitiit nicht ge/weiielt weulen kann In
derselben Gei:end haben es die '<>(jiT,ptxo.Tepf;i. denen Strabo folgt (WII
3, 7. 14. 16. 26 fi'.). gesucht, die f-eine Llentiläi mit dem me-sFenischen
Pylos (Koryphasion) und vollends mit dem elischen am Peneios mit
Recht be.streiten.
=) FiMMiN S. 10, wonach eins fünf schöne mykenische Vasen ent-
hielt: sie sind noch unpubliziert.
^) Daß KaSjjiE'-o' oder h'jL^jfxziwvt<i nicht lediglich aus dem Namen
der Burg gebildet ist (wie ich früher annahm), soi.dern wirklich
der Vülksname, scheint sicher zu sen. Ihr Eponymus ist Kadmos, an
den dann zahlreiche Sagen und Kombinationen angeknüptt haben.
Er wie seine Gemahlin Harmonia haben Sthlangengestali [später in
Veiwandlung umgeileutet] wie Kekiops in Athen, und seine Mannen,
die iTt'ipto'. [von denen sich später boeotis(he Adelsgeschlechter ab-
leiten] sind aus den Zähnen eines von ihm erschlaj^enen Drachen er-
wachsen, die er in de Erde sät. ^eben ihm steht die iTf'göltin
Europa (in einer Höhle in Teumessos von Zeus verborgen: Antimachos
Thebais fr. 3 bei Steph l'yz. 'i'E'jfiY,ao' «; Pausan. IX 19,1; AY.fiYjx-rip
Eof,a)ii7] in Lebadea Pausan. IX 39, 4. 5.; Tochter des Tityos von
Orch(menos Pindar Pyth. 4, 81. Apoll. Khod. I 181), die er suchen
muß. als sie entführt (ursprünglich ot enbar enlrückt) ist. Sie wird
dann mit der kretischen Göttin Hellotis in Gortyn identifiziert (Seleuko»
Pylos. Theben und die Kadmeer 255
Stadt; seine Burg, die gewöhnlich Kadmeia genannt wird und
sich von allen anderen mykenischen Kön'gsburgen dadurch
unterscheidet, daß sie sieben Tore hat, liegt auf einem von
zwei Bächen, der Dirke und dem Hismenos, umschlossenen
Hügel am Südrande der von ihm beherrschten aonischen Ebene.
In ihr liegen die Trümmer des Palastes, mit Resten von Stuck-
fresken, die stilistisch denen des älteren Palastes von Tiryns
und des von Mykene gleichstehn und also der Zeit um l4U0
angehören werden^).
Die griechische Sage berichtet von einem Heerzug gegen
Theben unter Führung des Königs von Argos; in der Tra-
dition, die das Epos immer weiter ausgestaltet, steht er eben-
bürtig neben dem Zug nach Troja'-). Wie ein geschichtliches
bei Athen. XV 678 a) und zur Mutter des Minos, den Zeus in Stier-
gestalt von ihr zeugt. Dadurch wird sie auch zur Tochter des Phoinix
(so II. 3 321. Hesiod fr. 30 u. a.); denn Phoinix (vgl. o. S. 97) ist ein
angesehener kretischer Gott. Kadmos ist dessen Bruder, also ihr
Oheim; die späieren Genealogien machen dann Kadmos, Phoinix und
Europa zu Kindern des Agenor, und dieser schickt Kadmos aus, die
Schwester zu suchen. So sind Kadmos und sein ganzes Geschle ht zu
Phoenikern geworden. Lange Zeit hat man das geglaubt und Theben
für eine phoenikische Kolonie gehalten [eine Be>tiitigung fand man in
den sieben Toren, die man aus semitischem Planetenkult erklären
wollte!], so laut die Lage Thebens mitten im Binnenlande, ohne Ver-
bindung mit der See, dagegen spricht. — Die Europasage war in dem
Epos K'jpcÜTtii des Eumelos behandelt, das die boeotiscben Sagen und
die Geschiclite des Dionysos ausführlich darstellte, aber schwerlich die
kretischen; ferner in Stesichoros' E )pu)a=tTt. Der Name der boeotiscben
Erdgöttin ist dann zunächst zur Bezeichnung Mittelgriechenlands im
Gegensatz zum Peloponnes und den Inseln (hymn. Homer 1, 2^>0 = 290f.),
dann zum Namen des gesamten Kontinents geworden; auch das beweist,
daß ihre Übertragung nach Kreta durchaas sekundär ist.
') Über seine Ausgrabungen berichtet Keramopullos r^ o-xta toö
Kd^oo. Effin. 1909, und ausführlich Bri^-uxd im 'Apx- AsXtt'-v III 1917,
der die Topographie und die vielumstrittene Frage nach den sieben
Toren endgültig gelöst zu haben scheint. Die Fresken sind behandelt
von RoDENWALDT, Tiryus II. speziell S. 188 ff.
^) Ganz deutlich hat Hesiod das ausgesprochen (op. IfilfiF): das
Heroengeschlecht ist zugrunde gegangen teils in den Kämpfen vor
Theben, teils in denen vor Troja.
256 ^'- I^'^s griechische FesUand und die mykenische Kultur
Ereignis überall, wo Vorgänge der Gegenwart in den popu-
lären Erzählungsstoff übergehn und dann in epischen Lie-
dern dauernd lebendig erhalten werden, sich sofort mit Stoffen
ganz anderen Ursprungs, teils Mythen, teils Märchen durch-
setzt und dadurch von Grund aus umgestaltet wird, so ist
es auch diesen beiden Sagenkreisen gegangen: der troische
verschmilzt mit dem Mythus von Helena und dem von Achil-
leus und wird dann durch Hineinziehung neuer Gestalten, so
zunächst des Odysseusmythus, immer mehr erweitert, im the-
banischen tritt vor allem die Oedipussage nebst der Gestalt
des blinden Sehers Tiresias hinzu. Ferner ist Amphiaraos
mit ihm verbunden, der Gott des benachbarten Oropos im
Gebiet der Graer, der in einer Höhle unter der Erde haust
und dort Traumorakel gibt — das wird dadurch erklärt, daß
Zeus im Kampfe von Theben durch einen Blitzstrahl die Erde
spaltet und er lebend in die Unterwelt hinabfährt. Bei der
weiteren Ausbildung der Sage in der epischen Dichtung
loniens^) sind dann die religiösen und prophetischen Züge
immer mehr ausgesponnen und durch Einfügung neuer Ge-
stalten vermehrt worden; aber ganz deutlich ist, daß die
Grundlage überall — auch in der Oedipussage") — echt
') Dadurch sind dann die Kadmeer in die Besiedlungsgeschichte
loniens (so nach Priene: Hellanikos fr. 101 Jacoby bei Hes. Ka8|ie'0'..
Strabo XIV 1, 12. Pausan. VII 2, 3. 10) und die Stammbäume der
Adelsgeschlechter (so den der Theliden von Milet, aus dem Thaies
stammt: Herod. I 170. Diog. Laert. I 22) eingeführt worden (Herod.
I 146; ein Tyrann Kadmos von Kos Herod. VII 163). Ein arger Miß-
griff war aber die Behauptung, die Namen Kadmos und Kadmeer
stammten aus Kleinasien und seien erst spät durch das ionische Epos
auf Theben übeitiagen (so Friedländer, Herakles 61). [D.iß ein Berg
bei Laodikea am Lykos tief im Innern Kadmos heißt, virird zufällige
Homonymie sein; in die Kadmossagen ist er niemals hineingezogen.]
2) Der thebanische S;igenkreis ist zuletzt eingehend von Robert.
Oiilipus 1915 [danach kürzer in seiner Heldensage] behandelt und
analysiert, wo auch zu den älteren Ansichten (namentlich zu Bethe,
Theban. Heldenlieder 1891) Stellung genommen ist. Sehr deutlich zeigt
sich, daß wir von den großen Epen (Oidipodie, Thebais und Epigonen,
und vielleicht 'A;i.'ftapdou i^sXa-ia) nur ein ganz unvollkommenes Bild
Die Sage vom Krieg gegen Theben 257
boeotische Kulte und Mythen bilden, und zwar meist Erdgott-
heiten und Orakel, von denen das Land auch später noch voll
war. Diese ursprünglich selbständig nebeneinander stehenden
Erzählungen, die Ursprung und Sonderart einzelner Kulte
ätiologisch erklären sollten, sind dann mit der Tradition vom
Kriege gegen Theben verbunden worden. Herbeigeführt wird
er durch den Zwist zweier Brüder um die Herrschaft, der
zur Werbung von Bundesgenossen für den Krieg und zum
gegenseitigen Brudermord im Zweikampf führte — das ist
ein weitverbreitetes Motiv populärer Erzählungen, in dem
keinerlei mythische Elemente zu suchen sind. Das hat dann
weiter dazu geführt, daß sie zu Sühnen des Oedipus aus seiner
blutschänderischen Ehe gemacht werden; dadurch wird die
ganze Oedipussage einschließlich der Sphinx — des Dämons
des 4>LXtov o^joc. gegenüber von Theben am Nordrande der aoni-
schen Ebene, dem die Gestalt des von der kretischen Kunst
aus dem Orient übernommenen Mischwesens gegeben wird —
— mit dem Kriege verbunden^). Nur umso deutlicher tritt
zu gewinnen vermögen, und daß daneben ursprünglich noch andere
Gestaltungen gestanden haben, die in diese Epen nicht Aufnahme ge-
funden haben und daher verschollen sind. Aber die sehr verschieden-
artigen Elemente, aus denen die epische Sagengestalt zusammen-
gewachsen ist, lassen sich doch noch in den Grundzügen sondern.
') Der Name des Eteokles, den ebenso der Urkönig von Orcho-
menos führt, kann sehr wohl geschichtlich sein [einen Doppelgänger
hat er unter den sieben Angreifern in Eteoklos]; der Name Polyneikes
dagegen ist deutlich für den Bruderzwist erfunden. Über die Ver-
mutung, daß Eteoklos in den Texten aus Boghazkiöi vorkomme, siehe
Abschnitt XII.
*) Im einzelnen ist Anlaß und Hergang sehr verschieden ge-
staltet. Nach Hesiod op. 163 wird der Krieg geführt |j,yjX(uv ivex'
O'otrtöSao, nach Od. X 271 ff. herrscht Oedipus nach der Aufdeckung
der Blutschande und dem Selbstmord der Epikaste weiter über Theben,
von ihren Erinnyen und den Göttern mit schweren Nöten heimgesucht,
nach II. 4> 679 ist er im Kampf gefallen (SsSoüitöto,; OlotTcooao) und
werden ihm in Theben Leichenspiele gefeiert. In der Thebais ver-
flucht Oedipus im Zorn seine Söhne, weil er sich von ihnen gekränkt
glaubt. Das alles zeigt, daß die Verbindung des Oedipus mit dem Krieg
sekundär ist.
Meyer, Geschichte des Altertums. II i. 17
258 V. Das griechische Festland und die mykenische Kultur
demgegenüber der geschichtliche Kern hervor. Ein Kriegs-
zug des Königs von Argos gegen Theben, also ein Versuch,
seine Herrschaft auch über Mittelgriechenland auszudehnen, ist
durchaus begreiflich. Vielleicht darf man daraus, daß unter
den Angreifern auch der Aetoler Tydeus erscheint, schließen,
daß sie in den Bergstämmeu des Westens Bundesgenossen
fanden^). Allerdings wäre es voreilig, zu folgern, daß der
Krieg eine wirklich Epoche machende Bedeutung gehabt haben
müsse, da die Heldensagen anderer Völker, vor allem die ger-
manischen, zeigen, daß oft genug ziemlich unwesentliche Vor-
gänge (wie z. B. der Untergang des Burgunderreichs von
Worms) in der Sage eine zentrale Stellung gewinnen, während
weit wichtigere Ereignisse, wie die Invasion des Römerreichs,
dem Gedächtnis vollständig entschwinden. Jedenfalls aber
handelt es sich um ein Unternehmen, das nicht zum Ziele ge-
führt hat: daß der Angriff abgeschlagen wird und die Führer
vor den Toren Thebens sämtlich fallen'-'), bildet den Inhalt
der Kämpfe. Er.st ganz sekundär wird dann eine Eroberung
Thebens zehn Jahre später durch die Söhne der Gefallenen
hinzugefügt'^); da ist die Eroberung des kadmeischen Thebens
durch die Boeoter in der Völkerwanderung fälschlich in die
Urzeit hinaufsresetzt.
') Roberts Annahme (Oidipus 129; Heldensage 9'24), daß Tydeus
ursprünglich aus Euboea stamme, weil hier bei Artemision an der Nord-
küste eine kleine Ortschaft Tooei'a lag (I Gr. XII 9 no. 1189, 16 u. 29),
erscheint mir zu gewagt, um ihr folgen zu können.
2) Nur der Oberkönig Adrastos entkommt auf dem göttlichen
Roß Areion. — Die Siebenzahl der Kämpferpaare ist durch die Sieben-
zahl der Tore geschaffen, daher sind die Namen in den Listen zum
Teil verschieden.
*) Daß die Gestalten der Epigonen in der Ilias nusgebildet sind
und ihnen dann erst auch die Eroberung Thebens zugeschrieben wiid
(II. A 405; daher 'TicoS-}]?ai B 505), hat Wilamowitz erkannt, dem Robert
zustimmt.
Die Bauten im Kopaissee 259
Orchomenos und die Winyer. Thessalien, Euboea und Athen.
Die Kykladen
Der Norden Boeotiens ist eine fruchtbare Ebene, die
vom Kephissos und seinen zahlreichen Nebenflüssen durch-
strömt wird; durch das Gebirge, das ihm im Osten den Zu-
gang zum Meer sperrt, hat er sich an zahlreichen (23) Stellen
durch unterirdische Spalten (Katabothren) einen Abfluß ge-
schahen. Etwa seit dem Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. sind
diese verstopft und dadurch das Kulturland weithin in einen
Schilfsee von wechselnder Ausdehnung, den Kopaissee, ver-
wandelt; erst im Jahre 1892 sind die Wasser abgeleitet und
das ganze Gebiet trocken gelegt worden. Dabei sind die großen
Dämme aus kyklopischen Steinblöcken zutage getreten, mit
denen in der mykenischen Epoche die Flußläufe eingedeicht,
das Wasser auf die Felder verteilt und zu den Katabothren
geleitet war^). Zwischen ihnen liegt im Osten, im „atha-
mantischen Gefilde", auf einem niedrigen Felsplateau, ähnlich
dem von Tiryns, nur viel umfangreicher, umschlossen von
einer gewaltigen kyklopischen Mauer eine starke Festung,
mit zwei Haupt- und zwei Nebentoren. An der Nordseite
liegen die Fundamente eines Palastes, der aus zwei recht-
winklig zusammenstoßenden, je etwa 60 Meter langen Flü-
geln besteht, in denen sich an langgestreckte Korridore die
Flucht der Zimmer reiht. In der Mitte der Insel liegt ein
großer Hof, der als Wohnstätte für das Gesinde und Sam-
melplatz für die Mannschaft gedient haben mag. Weitere
Gebäudereste haben sich nicht gefunden; so mag die Stadt,
die vielleicht dem homerischen Arne entspricht'-), früh ver-
') Kambanis, Bull. Corr. Hell. 16 und 17, 1892 f. E. Curtius, Die
Deichbauten der Minyer, Ber. Berl. Ak. 1892 = Ges. Abb. I 266 ff. —
Die Festung, die jetzt den albanischen Namen Gulas oder Gla (Gha)
trägt: NoACK, Mitt. athen. Inst. 19, 1894, de Ridier, Bull. Corr. Hell. 18,
1894. Tsi ntas-Manatt, Myc. age 874 ff.
') Im Schiffskatalog B 507 erscheinen zwei später nicht mehr
nachweisbare Städte, woKüaxdtpuXoi; "Apvf; (auch H 9) und MtSsta, die
man dann irgendwo unterzubringen suchte. Arne hat Zenodot unbe-
260 V- I^^s griechische Festland und die mykenische Kultur
lassen und vielleicht niemals voll ausgebaut worden sein. Aber
die Herrscher, die sie erbaut haben, müssen weithin über das
umliegende Land geboten haben; die Verbindung mit dem
Meer und der Hafenbucht Larymna sowie mit Anthedon ist
durch Kastelle auf den Berghöhen gesichert.
Am Westrande der Ebene, am Ausläufer eines lang-
gestreckten Höhenrückens, liegt die Stadt Orchomenos, an
einer Stätte, an der die Schichten der älteren Ansiedlungen
bis tief in die neolithische Zeit des 3. Jahrtausends hinein,
die runden und ovalen Hütten der vorgriechischen Bevölke-
rung und darüber die rechteckigen Häuser der eindringenden
Griechen mit den Hockergräbern und den wechselnden Formen
der Tongefäße besonders reich erhalten sind (Bd. I 509. 526).
Darüber liegen die Häuser der mykenischen Stadt, mit dürf-
tigen Überresten der Wandmalereien des Palastes, die sti-
listisch denen des jüngeren Palastes von Tiryns entsprechen,
also wohl rund um 1300 anzusetzen sind^). Dazu gehört ein
gewaltiges Kuppelgrab, das in Bauart und Dimensionen dem
des Atreus ebenbürtig zur Seite steht, es aber noch über-
trifft durch die prachtvolle skulpierte Decke der Grabkammer,
deren Ornamentik — Spiralbänder mit Blüten in den Zwik-
keln, dazu eine Umrahmung durch Rosetten — ebenso in
den Wandgemälden von Tiryns wie in den Deckengemälden
greiflicherweise in "Aoxp-/) korrigiert (Strabo IX 2, 35. schol. A zu
B 507), während andere es mit Chaeronea identifizierten (schol. B 1. c.
Pausan. IX 40, 5. Steph. Byz. Xaipcüv^w). Nach Strabo I 3, 18 = IX
2, 35 sind beide durch die Überschwemmungen zerstört. Außerdem wußte
man von zwei dadurch untergegangenen Städten Athenai und Eleusis,
Strabo IX 2, 18. Pausan. IX 24, 2. Steph. Byz. 'A9-T,vat, die Strabo
(d. i. Apollodor) richtig am Bach Triton bei Alalkamenai sucht, dem
großen Athenaheiligtum (II. A 8. E 908),' nach dem Athena den Bei-
namen TptxoYEVJta führt (Pausan. IX 33, 7). Lykophron 644 läßt in
Arne die Temmiker wohnen, d. h. die Urboeoter, die er mit dem Namen
eines verschollenen Stammes bezeichnet, der nach Strabo IX 2, 3
(vgl. VII 7, 1) von Sunion her, also aus Attika, eingewandert sein soll
(vgl. V. 786 und Steph. Byz. TefifAc^).
') Bulle, Orchomenos 1907. Rodenwaldt, Tiryns II 190 f.
Orcfaomenos 261
ägyptischer Gräber aus der achtzehnten und neunzehnten Dy-
nastie wiederkehrt.
Der Ruhm des Reichtums von Orchomenos ist lange
lebendig geblieben (11. 1 381). Wie es sich zu der Festung
im Kopaissee verhalten haben mag, ist nicht zu ermitteln.
Vielleicht hat ein König von Orchomenos einmal seinen Sitz
hierher verlegt, auf die Felsenburg näher dem Meer; denn
daß hier jemals zwei Reiche nebeneinander bestanden haben
.sollten, ist höchst unwahrscheinlich^). Die Sage, daß König
Erginos von Orchomenos die Thebaner besiegt und tribut-
pflichtig gemacht habe, mag eine richtige Tradition von der
alten Machtstellung dieses Reichs enthalten^); wenn aber
weiter erzählt wird, Herakles habe dann den Erginos besiegt
und Orchomenos den Thebanern unterworfen, so ist das ein
Reflex der Aufrichtung der Suprematie Thebens über das
inzwischen gleichfalls boeotisch gewordene Orchomenos^).
Dieser Niedergang der ehemals so mächtigen Stadt ist wesent-
lich befördert durch Verstopfung der Katabothren und die Ent-
stehung des großen Schilfsees, der den größten Teil des alten
Ackerbodens der Bebauung entzog''). Durch diese Schicksale
') Die Annahme, die Festung sei ein vom See verschlungenes
Altorchomenos, ist unbegründet; die Angaben Strabos IX 2, 18. 40.
42 besagen nur, daß im Gegensatz zu der späteren Stadt der make-
donischen Zeit auf dem Bergrücken Altorchomenos in der Ebene (d. i.
beim Kuppelgrab) gelegen habe und der spätere Seeboden damals
Ackerland gewesen sei.
'-) Isokrates im Plataikos 10 verwendet sie für seine Zwecke gegen
Theben.
') Vgl. z. B. Thuk. IV 76 'Op^opiJvöv xöv MtvÜEiov itfioTjpov xaXoiS-
fiEvov, vüv 8^ Bo'.cÖTiov. Im Schiffskatalog erscheint bekanntlich Orcho-
menos (mit Aspledon) noch als ein selbständiges Minyerreich.
*) Das wird dann auch dem Herakles zugeschrieben (Pausan. IX
38, 7 f. üpä^Ets 'HpaxXeou? bei Jahn, Bilderchron. 69). Strabo IX 2, 18
berichtet, daß durch ein Erdbeben eine neue Katabothre (xa^fia; es
ist die von Kephalari) dem Wasser einen Abfluß nach Larymna öffnete
und so die Überschwemmung,' die schon Kopai zu verschlingen drohte,
einschränkte. Als dann auch diese sich verstopfte, beauftragte Ale-
xander den Bergbauingenieur (|j.sTaXXeorf|C) Krates aus Chalkis mit der
262 ^^- I^'i-s griechische Festland und die mykenische Kultur
der Stadt erklärt es sich, daß Orchomenos, ganz anders als
Theben, auf die Gestaltung der Epen und der Sagengeschichte
keinen Einfluß geübt hat^).
Als ständigen Beinamen führt Orchomenos den Beinamen
„die Minyerstadt", 'Opxo'^Bvb:; MtvDsio?; das Kuppelgrab gilt
daher als „Schatzhaus" seines Eponymen Minyas. Dadurch ist
uns der Name des hier ansässigen Volksstammes erhalten.
Wie weit er sich ausgedehnt haben mag, wissen wir nicht.
In nachhomerischer Zeit ist der Name dann auf die Argo-
nauten übertragen worden, die aus dem thessahschen Hafen-
ort lolkos ausziehen, wie denn die spätere Sage thessalische
und boeotische Gestalten durchweg durcheinanderwirft'); da-
durch, daß man dann überall, wo Geschlechter und Volks-
stämme sich für Nachkommen der Argonauten ausgaben^).
Wiederherstellung (erwähnt auch bei Steph. Byz. 'AO-r]v'x'.); aber die
Vollendung des Werks wurde durch die Unruhen in Boeotien ver-
hindert. Diesen Arbeiten gehören die sechzehn Schachte auf dem Paß
nach Larymna an, von denen aus der Kanal durch den Berg getrieben
werden sollte. Früher hat man dieselben irrtümlich bereits den Minyern
zugeschrieben; siehe dai^'egen Kambanis, Bull. Corr. Hell. 17, 324 und
NoACK, Mitt. athen. In^t. 19, 412 f.
') Was Pausanias als orchomenische Sagengeschichte gibt, ist
meist ganz sekundär. Über Eteokles s. o. S. 257, 1. Das Epos Mivuä?
hatte, soweit wir nach den spärlichen Fragmenten urteilen können,
die sämtlich Szenen im Hades schildern (wohl aus einem Vortrag des
Orpheus vor den Argonauten), mit Orchomenos nichts zu tun; siehe
WiLAMOwrrz, Hom. Unters. 222. Robert, Nekyia des Polygnot 79.
-) So auch in den Sagen von Athanias und denen von den Raub-
zügen der Phlegyer und ihres Eponymen Phlegyas. Die Urgestalt dieser
Sage (auf die auch IL N 302 anspielt) läßt sich nicht mehr rekon-
struieren, und so muß es unentschieden bleiben, ob die Phlegyer ein
rein mythisches Gebilde oder wirklich ein verschollener Räuberstamm
gewesen sind.
^) So einerseits dielonier vonTeos, andrerseits auf dem Umweg über
Lemnos (wo nach der in der Ilias oft erwähnten Sage die Argonauten
von den Frauen, die dort ihre Männer ermordet haben. Nachkommen
zeugen) und weiter über Sparta und Thera die Könige von Kyrene. Von
den letzteren werden auch die Triphylier (Paroreaten) im Westen des
Peloponnes abgeleitet (Herod. IV 143. VIII 73). Das stellt sich zu den
Orchomenos und die Minyer. Die Aeoler 263
diese zugleich als Minyer bezeichnete, ist der Schein ent-
standen, als seien die Minyer ehemals ein weithin über die
griechische Welt verbreitetes Volk gewesen, das sich, wenn-
gleich unter anderem Namen, auch noch in historischer Zeit
erhalten habe.
Die Vermischung thessalischer und boeotischer Sagen ist
umso begreiflicher, da beide Landschaften ursprünglich dia-
lektisch eine Einheit gebildet haben, gewiß mit Einschluß des
dazwischen liegenden Gebiets. Von hier sind dann die Kolo-
nisten ausgegangen, welche Lesbos und die gegenüberliegende
Küste besiedelt und die Sagen und Kulte der Heimat mit
hinübergenommen und weiter ausgebildet haben. Wir dürfen
die große Volksgruppe, die uns hier erkennbar wird, wohl
unter dem Namen Aeoler zusammenfassen, mit dem diese
Kolonisten sich benennen. Ganz anschaulich tritt diese Ein-
heitlichkeit auch auf sozialem Gebiet darin hervor, daß im
Gegensatz zu allen anderen Gnechenstämmen die rechtliche
Abhängigkeit des Haussohnes vom Vater, auf der seine Zu-
gehörigkeit zur Gemeinde beruht, nicht durch Hinzufügung
des Vaternamens im Genitiv, sondern im Thessalischen, Boeo-
tischen, Lesbischen immer durch ein daraus gebildetes pos-
sessives Adjektiv bezeichnet wird. Eine Spur davon, daß
der Aeolername auch im Mutterlande schon geläufig war,
hat sich darin erhalten, daß die Landschaft von Kalydon
und Pleuron an der Küste Aetoliens, Orten, die in der Sagen-
geschichte eine große Rolle spielen und auch mit dem Krieg
gegen Theben verbunden werden, noch im 5. Jahrhundert den
Namen Aeolis führt ^). Der Eponym Aiolos wird dann natürlich
zahlreichen Übertragungen thessalischer Sagengestalten auf den Westen
des Peloponnes (Oichalia mit Eurytos und Iphitos; Kentauren auf dem
Pholoegebirge; Asklepios und die Asklepiaden; auch Neleus' Gemahlin
Chloris stammt nach Od. \ 2S1 aus Orchomenos) und mag vielleicht
wirklich auf alte Beziehungen zurückgehn. II. A 722 kennt einen Fluß
MivoTjio? bei Pylos, über den^man freilich später nichts mehr wußte
(StraboVlIl s/lQ).
') Thuk. III 102, 5. Dazu stimmt die von Wilamowitz, Ber.
Berl. Ak. 1921, 729 f., behandelte Angabe des schol. B zu II. B 494
204 ^- Das griechische FesUand und die mykenische Kultur
nach Thessalien versetzt^). Hier hat die mykenische Kultur
gleichfalls Fuß gefaßt; in der Umgebung des Golfes von Pa-
gasae und lolkos liegen mehrere Kuppelgräber, und von hier
aus hat sie sich weithin über die Binnenebene verbreitet.
Auch auf Euboea hegen nicht wenige Kuppelgräber und
Felskammergräber mit mykenischen Gefäßen sowohl an der
(doch wohl eher aus Aristoteles' otxauöiAaxa Tz6).tuiv als aus Ephoros),
daß Kalydon in einem Streit zwischen den Aetolern und den Aeolern
auf Grund von II. B 494ff. den Aetolern zugesprochen wird (von Wila-
MOWiTZ evident richtig ins Jahr 366 gesetzt). Ephoros bei Strabo IX 3,
12. X 3, 4 und 6 läßt diese Aeoler mit den Boeotern zusammen aus
Thessalien kommen; er läßt sie also um der homerischen Angaben
willen erst später, zur Zeit der großen Wanderungen, an Stelle der
Kureten treten. In der Ilias gehören nicht nur im SchiÖskatalog,
sondern auch N 217. H 115 ff. Pleuron und Kalydon den Aetolern, und
daher auch Oineus, Tydeus, Meleagios. In der Meleagergeschichte
1 529 ff. dagegen sitzen die Aetoler mit Oineus und Meleager in Ka-
lydon und werden von den Kureten von Pleuron bekriegt; Koupfjts?
ist deutlich nicht ein Volksname, wie die Späteren natürlich annehmen
müssen, sondern frei von der Dichtung geschaffen [„die junge Mann-
schaft" ? oder die „Geschorenen"?, wie z. B. der Euboeer Archomachos
bei Strabo X 3, 6 deutet, der sie daher von den on:t9-Ev nofiowvts«;
"Afiavic? ableitet]. (In derselben Weise erfunden ist der Name T-r]Xs-
ßocxt. gegen die in der Heraklessage Amphitryon zieht). Dagegen be-
richtet Phrynichos im Prolog der Tragödie nKsupiüvtat (fr. 5), in der
das Schicksal Meleagers vorkam (Pausan. X 31, 4), von einer Invasion
durch einen Heerzug der Hyanten aus Boeotien (doch wohl identisch
mit den sich bei den Aetolern ansiedelnden Aeolern; Apollodor bei
Strabo X 3, 4 folgt offenbar dem Phrynichos, wenn er sagt H xy)? Botw-
Tia? litsXa-ov:«? "Tavtct? iotopelcö'ai xr*i eitoixou? ■zolc. Altw^oE? -^evojasvoo,;).
1) Er ist zunächst der Stammvater der Heroen der Argonauten-
sage; dann werden an ihn zahlreiche andere Geschlechter angeschlossen,
so Neleus und die Pylier, die argivischen Könige, Sisyphos von Korinth
u. a. — W. Schulze, Ber. Berl. Ak. 1910, 803 f. erklärt den Namen
AIoXt]? als die „Bunten" und verbindet damit den Namen der A»iv.s?.
der „Rußigen", im Pindos und die gleichgebildeten Namen TsjAp-lxs?,
die „Dunklen", 4>otvixE? (Heros und Fluß Phoinix bei den Thermopylen,
Stadt Phoinike in Epiros) die „Roten", und 4>atäxE<; (kombiniert mit dem
Ort Baiax-rj Hekataeos bei Steph. Byz., gleichfalls bei den Chaonern
in Epiros) die .Graubraunen" als alte von Farben abgeleitete Stamm-
namen.
Thessalien. Euboea. Die Graer 265
Ostküste wie bei Chalkis^); und es kann nicht zweifelhaft
sein, daß sich hier, in der günstigen Lage am Euripos, früh
ein reiches Verkehrsleben entwickelt hat. Mit dem gegen-
überliegenden, nur durch einen schmalen Meerarm von ihr
getrennten Festland muß die Insel immer in reger Verbin-
dung gestanden haben, auf die denn auch in der Bevölke-
rung manche Andeutungen hinwiesen. Die Bewohner Eu-
boeas heißen bei Homer Abanten, ein Name, der in dem Ort
Abai im östlichen Phokis wiederkehrt^). In Oropos wird im
5. Jahrhundert und vermutlich schon weit früher derselbe
Dialekt gesprochen wie in dem gegenüberliegenden Eretria,
und der hier ansässige Volksstamm der Graer, aus dessen
Namen auch der der benachbarten Stadt Tanagra gebildet
ist, steht zur Zeit der griechischen Kolonisation in enger
Verbindung mit Chalkis und beteiligt sich an der Gründung
von Kyme in Campanien; dadurch ist der Graername in der
italischen Weiterbildung Graici bei den Römern der Name
des gesaraten Hellenenvolks geworden^).
') Siehe Fimmen S. 6.
'^} Aristoteles bei Strabo X 1, 3, der sie für Thraker erklärt.
Bei Homer findet sich der Name außer im Schiffskatalog nur noch
A 464. Wie dann ihr Eponym Abas zum Vater der Argiver Proitos
und Akrisios geworden ist, läßt sich nicht erkennen.
^) Über die Graer siehe Wilamowitz, Hermes XXI, von dem ich
in manchen ^Einzelheiten abweichen muß. e? 'iJpujiröv x-fj? Fpaix-r]?
Thuk. in 91; x->]v y^'^ '^V TpatÄ-^v bei Oropos II 23 (die richtige Lesung
bewahrt Steph. Byz. 'Üpcurto;). Die Stadt Fpaia im boeotischen Schiffs-
katalog B 498, die Aristoteles (bei Steph. Byz. Täva^pa und 'üpiuncK;)
für Oropos erklärt, ist gewiß Tanagra (so Pausan. IX 20, 2; siehe die
Diskussion darüber bei Strabo IX 2, 10, Steph. Byz. a. a. 0., schol. B
zur llias; bei Steph. Byz. ist Fpala jiöXm; 'EpETpta?). Ein Demos Fpa-?](;
der Pandionis IGr. II 991. Der Eponyraos Tpäq wird dann in der ganz
dürftigen Geschichte der aeolischen Wanderung (Strabo XIII 1, 3, offen-
bar nach Ephoros; Pausan. III 2, 1; schol. Lycoph. 1374; um des An-
klangs des Granikos willen muß er zuerst an diesen ziehn, so auch bei
Kephalon [von Gergis. d. i. Hegesianax] bei Steph. Byz. Fpatxoi;, wo-
nach auch die Bewohner von Parion [in Wirklichkeit ionisch] Fpaixs^
AloXstov sein sollen) zum Oekisten von Lesbos gemacht. — Beteiligung:
266 ^- Das griechische Festland und die mykenische Kultur
Als ein weiterer Stamm werden die Hyanten genannt,
deren Name sich in dem phokischen Hyarapolis, dicht bei
Abae, erhalten hat. Damit verbinden sich die Tciaotot von
Hyettos bei Orchomenos^), und weiter Hyria in der Nähe
der Bucht von Aulis, gegenüber von Chalkis, wo das im
Hyantennamen zwischen zwei Vokalen ausgefallene s wie im
Dialekt von Eretria in r übergegangen ist. Hier hat ein
großes, jetzt wie es scheint verschwundenes Kuppelgrab ge-
legen, das die Überlieferung als Schatzhaus des Hyrieus be-
zeichnet^).
Es wäre verkehrt, in allen diesen Namen verschiedene
Volkstümer zu suchen 'O, die sich, wie die Alten es auffassen,
der Tanagraeer an der Besiedlung von Kyme beweist die Phratrie
der Eunostiden in dessen Tochterstadt Neapel, die nach dem Heros
Eunostos in Tanagra (Plut. qu. gr. 40) benannt ist. Daß auf diesem
Wege der Graername bei den Römern allgemeine Bezeichnung der
, Griechen" geworden ist, hat Busolt erkannt. Diese italische Benennung
hat zur Erfindung eines Tprxiv.6;, Sohn des Zeus und der Pandora,
Tochter des Deukalion, geführt, der nach Lydus de mens. I 13 hinter
Agrios und Latinos in Hesiods Theogonie eingeschoben ist (bei Rzach^
als fr. 4). Aristoteles meteor. I 14 versetzt die toti jjljv Fpaixot vöv S'
"EXXyjvs? nach Dodona (vgl. Apollodor I 7, 3). Die Alexandrinischen
Dichter verwenden dann Fpaixot oft für "EXXvjve?, so Lykophron und
Kallimachos bei Strabo I 2. 89 = V 1, 9.
') Hellen. Oxyr. 11, 3; ferner der Ort Hysiai am Kithaeron. Apol-
lodor bei Strabo X 4 läßt die Hyanten nach Aetolien auswandern. Vgl.
auch Phrynichos trag. fr. 5, oben S. 264 Anm.
^) Pausan, IX 87, 5, wonach es von Trophonios und Agamedes
erbaut ist. Darauf ist dann, wahrscheinlich durch die Telegonie (Wila-
MOWiTZ, Hom. Unters. 186), die Geschichte vom Schatzhaus des Rham-
psinit übertragen. Bei Korinna ist er Sohn des Poseidon und Vater
des Orion, des Gottes und Ahnen von Tanagra; davon hat auch Pindar
geredet (Strabo IX 2, 12). — Der Zusammenhang der Namensformen
Tpia und Tatai tritt auch in den bei Strabo IX 2, 12 und Steph.
Byz. Tpta und Toli erhaltenen Notizen hervor.
^) Außer den schon aufgezählten werden bei Strabo VIT 7, 2
und Pausan. X 5 noch die Aoner genannt, d. i. Bewohner des Aoni-
schen Gefildes bei Theben, ferner bei Pausanias als älteste Bewohner
Thebens die Ektenen (unter Ogygos, an den die Flutsage und der
Nam3 des Ogygifchen Tores von Theben anknüpft). Aristoteles bei
Hyanten. Attika 267
neben und nacheinander in der Landschaft zusammengedrängt
hätten; wohl aber erkennen wir hier wie überall in der grie-
chischen Welt die durch die Siedlungsverhältnisse bedingte
Zersplitterung jedes Gebiets in zahlreiche kleine Gruppen, die
sich bald befehden, bald verbinden und gelegentlich schon in
der Urzeit, wie unter Theben und Orchomenos, und dann wieder
seit dem Ausgang des griechischen Mittelalters durch die Bil-
dung stärkerer Mächte und durch den Zwang der Lage zu
größeren völkischen Einheiten zusammenwachsen. Da hat sich
dann die Erinnerung an das Sonderdasein der Vorzeit in ein-
zelnen derartigen Splittern erhalten.
Etwas anders liegen die Verhältnisse in Attika. Hier
finden sich Kuppelgräber bei Eleusis, Acharnae (Menidi), Tho-
rikos. Dazu kommt die Königsbui-g auf der Akropolis mit
dem Palast des Erechtheus und der großen Ringmauer aus
mächtigen Felsblöcken, dem IleXapY'.xöv evv£d7:')Xov. Manche
Traditionen lassen erkennen, daß einzelne Teile der Land-
schaft, die überhaupt geographisch keine geschlossene Ein-
heit bildet, einmal ein Sonderdasein geführt haben, so vor
allem Eleusis, aber auch Brauron, die Tetrapolis von Mara-
thon u. a. Nur umso auffallender ist demgegenüber, daß hier,
völlig abweichend vom gesamten übrigen Griechenland, kein
einziger Stammname überliefert wird^): die Bewohner der ge-
samten Landschaft benennen sich zu allen Zeiten nur nach
der Hauptstadt, 'Aö-zjvaioi, und bilden einen einzigen Staat.
Strabo VII 7, 2 nennt ferner die Leleger, d. i. die in zahlreichen Orts-
namen erkennbare vorgriechische Bevölkerung (vgl. Bd. I 506). Später
sind dann nach Strabo IX 2, ;5. 25. X 3, 17 um der Musen am Helikon
willen noch Thraker sowie natürlich Pelasger hinzugekommen. Vgl.
im allgemeinen Fimmen, Besiedlung Boeotiens bis in frühgriech. Zeit
Neue Jahrb. 29, l.n2, 521 fi".|
') Die einzige Ausnahme bildet die Angabe über die Temmiker bei
Sunion oben S. 260 Anm. Ferner könnte man aus dem Namen Mo'J/ortta,
den die Landschaft geführt haben soll (Strabo IX 1, 18. 5, 22. Steph.
Byz, u. a.), einen verschollenen Stamm der Mopsopen erschließen. Bei
Plin. V 96 wird es (am des hier lokalisierten Propheten Mopsos willen)
der älteste Name Pamphjliens.
268 ^ • ^^^ griechische Festland und die mykenische Kultur
Eine derartige größere Einheit widerspricht an sich den Zu-
ständen der mittelalterlichen Zeit durchaus ; nur umso sicherer
können wir schließen, daß sie, wie denn auch die Tradition
annimmt, bereits in die mykenische Epoche zurückgeht und
daß die Herren der Burg von Athen schon damals ihre Herr-
schaft über das ganze Land ausgedehnt und dies staatlich
geeinigt haben ^).
Die Lage der Hauptsitze der mykenischen Kultur zeigt
deutlich, daß sie überall auf der Verbindung mit der See be-
ruht. Die befruchtende kretische Kultur ist in alle Buchten
gedrungen, die den Zugang von Süden und Osten gewähren,
während der große Golf, der sich nach Westen öffnet, nebst
den vorliegenden Inseln völlig zurücktritt. Ganz unberührt
sind auch diese Gebiete nicht gebheben, Ansiedlungen und
Gräber mit mykenischen Scherben finden sich auch hier nicht
selten (so in Delphi); aber größere Bauten haben sie nirgends
aufzuweisen, für das Kulturleben sind sie völlig passiv ge-
blieben.
Auch auf den Inseln des Ägaeischen Meeres ist die my-
kenische Kultur an Stelle der älteren kretischen getreten. Die
Ausbreitung der Griechen wird hier um dieselbe Zeit be-
gonnen haben wie die Invasion Kretas. Auf den meisten
Kykladen finden sich mykenische Scherben desselben Stils
wie in der Argolis. Auf Naxos liegt ein Kuppelgrab. Auf
Melos ist die zweite neukretische Stadt von Phylakopi nieder-
gebrannt und darüber eine dritte erbaut, in der ein größeres
Haus ein von Korridoren umschlossenes Megaron mit dem
Herd in der Mitte und mit Resten mykenischer Wandmalerei
enthält. Auf Thera sind die Gebäude der mykenischen An-
siedlung, auch hier mit Trümmern der Wandmalerei, durcb
einen großen Vulkanausbruch verschüttet und dadurch er-
halten. Die Ausbreitung hat Rhodos erreicht, wo in lalysos,
') Natürlich ist es aber sehr möglich, daß damals sowohl Eleusis,
wie die Tetrapolis von Marathon nebst Rhamnus noch nicht zu Athen
gehörten, sondern die Landschaften im Norden einen Teil des Gebiets
der Graer bildeten; vgl. Wilamowitz, Ber. Berl. Ak. 1925, 236 f.
Der Westen. Die Inseln. Der Norden. Dodona 269
nahe der Nordspitze der Insel, eine große Nekropole von
der mykenischen Besiedlung Kunde gibt. Auf die Weiter-
entwicklung dieses zunächst durchaus nach Osten gerichteten
Vordringens werden wir später zurückkommen müssen.
Die Verteilung der griechisclien Stämme.
Ältere Schichtungen. Epiros und IVIakedonien
Von der Ausbreitung und Verteilung der griechischen
Stämme über das von ihnen besetzte Gebiet werden wir immer
nur ein sehr unvollkommenes Bild gewinnen können. Scharf
muß auch an dieser Stelle betont werden, daß sich bei ihnen
nicht die mindeste Erinnerung daran bewahrt hat, daß ihre Vor-
fahren einmal aus weiter Ferne eingewandert sind (vgl. Bd. I
527); sie betrachten sich durchweg als Autochthonen. Wohl
aber wissen sie mancherlei von Umwälzungen und Wande-
rungen auf diesem Boden zu erzählen, Richtiges und Falsches;
dabei haben namentlich die in nachhomerischer Zeit in der
genealogischen Dichtung einsetzenden und von den ältesten
Historikern immer weiter ausges[)onnenen Konstruktionen über
ein angebliches Urvolk der Pelasger verhängnisvoll gewirkt.
Als gesichert kann gelten, daß die Sitze der griechischen
Stämme im 2. Jahrtausend beträchtlich weiter nach Norden
reichten, als in späterer Zeit; hier hat die Völkerwanderung
um 1200 eine wesentliche Verschiebung herbeigeführt. Die
nordwestgriechischen (dorischen) Stämme, die damals in Thes-
salien und Mittelgriechenland einbrachen, müssen vorher weit
nach Illyrien und Makedonien hinein gesessen haben. In
Epiros finden sich zahlreiche griechische Ortsnamen. Die ur-
alte Kultstätte von Dodona, mit dem Orakel des in den Was-
sern des fruchtbaren Tales hausenden Zeus Naios, ist immer
griechisch geblieben. Aus der Patroklie, die ihm den Bei-
namen des Pelasgischen gibt, erfahren wir, daß die Propheten,
denen die Offenbarungen zuteil wurden, wenn sie mit un-
gewaschenen Füßen auf dem Erdboden schliefen — also eins
der vor allem in Boeotien weitverbreiteten Traumorakel — ,
270 ^- Das griechische Festland und die mykenische Kultur
den Namen 'EXXoi trugen^). Si)üter ist der Kultus völlig ge-
ändert: Zeus, dem seine Gemahlin Diona zur Seite steht, er-
teilt das Orakel, das von drei Priesterinnen verwaltet wird,
durch das Rauschen des heiligen Eichbaums. Mit den Hel-
len verbindet sich der von Hesiod^) überlieferte Name Hel-
lopia für die Landschaft von Dodona, der in Nordeuboea
wiederkehrt und weiter mit der Landschaft Hellas und dem
Hellenenstamm in Südthessalien zusammenhängt. Da ist,
in Konkurrenz mit dem gleichfalls weit verbreiteten Suffix
-av (-"/jv), an den Stamm ein Suffix -ok getreten, mit dem
in alter Zeit zahlreiche, später meist halb verschollene Stamm-
namen gebildet sind. So im oberen Makedonien die "AXfitoÄSc
und AGDpioTTsc^), in Epiros die Kaoato;rtoi oder KaooiuTrafot,
im Pindos die AöXojrsc, die dann auch die Insel Skyros be-
setzt haben, Mitglieder der pylaeischen Amphiktionie und
von Herodot VH 132 zu den Griechen gerechnet. Dann die
ApooTTs? am Oeta, im Süden Euboeas (bei Karystos) und auf
der argivischen Akte in Hermione und Asine, also ein Stamm,
der vom Malischen Meerbusen aus die See befuhr und sich
an mehreren Küstenplätzen festgesetzt hat. Weiter gehört der
Name Pelops hierher (o. S. 250), und in Attika der Urkönig
Kekrops und der angeblich älteste Landesname Mopsopia
(s. o. S. 267, 1). Die Bildung liegt auch in dem in der homeri-
schen Dichtersprache noch in stereotypen Formeln erhaltenen
Wort [xsporsc: „Menschen" (die „Sterblichen" ') vor, ein Beweis,
') IL n 233 ff.: vgl. meine Forschungen I 37 ff. Die Späteren stan-
den dieser Stelle ganz ratlos gegenüber; die zum Teil ganz wilden
Korrekturen und Erläuterungen zeigen deutlicb, wie groß die Kluft
ist, die zwischen Homer und der Zeit liegt, in der die geschichtliche
Kunde einsetzt. — Sophokles (Trach. 116B), Aristarch (schol. A) und
Apollodor (Strabo VII 7, 10) haben SeXXoi gelegen, Pindar (fr. 59) da-
gegen zweifellos richtiger (vgl. schol. Town.) ö/Atpl Se c' 'EX/ot.
') Fr. 134 RzACH^ bei Strabo und schol. Soph. Trach. 1167.
^) Die Landschaft yj Asuptoiro? am Erigon, Strabo VII 7, 8. Liv.
39, 53. Ein Asupöreio? M/v-tSüiv IGr. VII 356.
*) Auf Kos (-f] Mz^otz'k;) gilt Meroper später als Name der Urbe-
völkerung der Insel. —Auch Ortsnamen wie EupwTioic, 'iipojitö^, 'AXötit] u. a.
Hellenen. Stammnamen auf -op. Die Epiroten 271
daß sie, mag sie auch aus einer fremden Sprache übernommen
sein, doch auch von den Griechen selbst verwendet worden
ist. Doch bleibt natürlich die Möglichkeit, daß wir es hier
— und ebenso bei den Pelasgern Thessaliens — mit Resten
der vorgriechischen Bevölkerung zu tun haben, die sich dann
mehr oder weniger hellenisiert haben.
In der Folgezeit sind nun aber die Griechen bis auf ge-
ringe Reste, so in Dodona^), aus Epiros verdrängt worden.
Es empfiehlt sich, gleich an dieser Stelle darauf hinzuweisen,
daß, entgegen gegenwärtig weit verbreiteten Ansichten^), nach
allen Zeugnissen, die uns vorliegen, die Stämme, die wir in
geschichtlicher Zeit hier antreffen, nicht griechisch, sondern
eine „barbarische" Sprache gesprochen haben, also wahr-
scheinlich zu den Illyriern gehört haben. Allmählich ist
dann auch bei ihnen von der Küste her das Griechische ein-
gedrungen, und im Molosserreich ist im 4. Jahrhundert, wie
bei den Aetolern, der delphische („norddorische") Dialekt
— also nicht etwa eine einheimische Sprachform — die offi-
zielle Sprache geworden-'). Auch in die aetolischen Berge
werden wir hier einreihen dürfen, vielleicht auch Mo'iiov in Thessalien
(in die Niihe des Tempepasses gesetzt, IG. IX 2, 1056), dessen Epony-
mos, der Lapithe Mo'|o(; 'AfJuiMxioY]; Tixapr^aioi; (also hier an diesen
Fluß versetzt, Hesiod scut. 181) am Argonautenzug als Seher teilnimmt
und dann einen Doppelgänger als Sohn der Manto, Tochter des Tiresias,
erhält, der später in Pamphylien und Kilikien als Gründer ihrer großen
Orakel zu stets steigendem Ansehn gelangt ist. Mit ihm muß auch
der Name Mo-^onta zu>ammenhüngen.
') Daß Dodona griechisch geblieben ist. beweist der Kultus und das
Ansehn des Orakels in der griechischen Weit und bestätigt Herod. II 5ti.
IV 33.
2) So Bei OCH, Griech. Gesch.^ I 2, 33 ff., der es z. B. fertig ge-
bracht hat, die Aussage des Thukydides II 68 über die Amphilocher in
ihr Gegenteil zu verkehren.
^) Nach Thuk. 11 68 haben die Amphilocher, soweit sie der
Griechenstadt Argos Untertan waren, die griechische Sprache ange-
nommen (TjXXYjvio^Yjaav x-)]v vüv f^^üJa-av) ; die übrigen sind ßäpß'ipo'.
(ebenso El 112, 7), ebenso die Chaoner und ihre Nachbarn. In dem
peloponnesischen Heer des Knopos 429 sind nach II 80 außer Griechen
272 ^^- Das griechische Festland und die mykenische Kultur
sind derartige nichtgriecbische Stämme eingedrungen, die sich
dann mit den griechischen Aetolern etwa in derselben Weise
zu einer Konföderation zusammenschlössen, wie die verschie-
denen Nationalitäten des Schweizer Bundesstaats; aber noch
im Jahre 197 bezeichnet König Philipp V. die Agraeer, Apo-
doten und Amphilocher (die damals mit zum Bunde gehörten)
als nicht zu Hellas gehörend^).
Eine Spur eines früheren derartigen Vorstoßes scheint
darin vorzuliegen, daß der Name der Athamanen, eines im
Pindos sitzenden epirotischen Volksstammes, in dem Namen
zweier Ebenen, des athamantischen Gefildes bei Halos am
Pagasaeischen Meerbusen, und des gleichnamigen in Boeotien
am Kopaissee, wiederkehrt. Dadurch ist ihr Eponvme Atha-
als ßäpßapot Chaoner, Thesproter, Molosser, Atintanen, Parauaeer, Oresten
(die nach Hekataeos fr. 130 Jacoby bei Steph. Byz. ein MoXoaaixov
eO-vo^ sind). Vgl. auch I 47. Ebenso sind nach [Skymn.] 444 ff. die
Thesproter, Chaoner, die Nachbarn des amphilochischen Argos ßdf/ßapoi,
und im Binnenlande bei Dodona wohnen is.'.-;ä'.s<; ß'vpßapot. Strabo VII
1, 1 nennt als ßapßapoi in Epiros die Thesproter, Kassopaeer, Amphi-
locher, Molosser und Athamanen. Vierzehn epirotische Stämme hat Theo-
pomp aufgezählt (Strabo VII 1, 5, der sie § 8 von den 'IXXuptx'-^t eO^vy)
im Norden unterscheidet). — Daß die Molosser Griechen seien, wird
mit Unrecht daraus gefolgert, daß bei Herod. VI 127 unter den
Freiern der Agariste auch ein Molosser Alkon erscheint; denn das
molossische Königshaus, das sich von Achills Sohn Neoptolemos ab-
leitete, galt natürlich ebensogut als griechisch, wie das makedonische-
— Daß die Chaoner in Epiros dasselbe Volk sind, das wir als Choner
an der gegenüberliegenden italischen Küste finden, ist oft bemerkt.
') ODx EOTiv 'E).Xd; Polyb. XVIII 5, 8. Hellenisiert sind sie da-
mals natürlich längst; daher bezeichnen die makedonischen Gesandten
im Jahre 200 in einer Rede vor den Aetolern (Liv. 31, 29, 15, aus Poly-
bios) die Aetoler, Akarnanen, Makedonen als eiusdem linguae homi-
nes im Gegensatz zu den aliegeni barbari, d. i. den Römern. Bei
Thukydides sind auch die Agraeer noch ein selbständiges Volk (III 106.
111. IV 77). Von den Eurytanen, die mit den Ophionen und Apodoten
zusammen die Koalition bildeten (III 94. 100, vgl. Arrian I 10. 2), sagt
Thuk. III 94, sie seien iik-fioxov fispo; tiJüv AltcuAtüv, a-^vuizzöxazoi ol xyjv
fXcüaoav xctl tu}j.o(f)äYoi etoiv, tn^ Kz-^o-t/zai; sie waren also ein Barbaren-
volk, das notdürftig ein griechisches Kauderwelsch radebrechte.
Epiros. Athamanen. Die Makedonen 273
raas in die griechischen Genealogien verflochten und hat hier
eine große Rolle erhalten.
Etwas anders liegt es mit den Makedonen. Die viel ver-
handelte und in die politischen Kämpfe der Gegenwart hinein-
gezogene Frage nach ihrer Nationalität scheint sich dahin zu
entscheiden, daß die Makedonen einen griechischen Dialekt
gesprochen haben, der sich zwar durch manche Lautverän-
derungen, so vor allem durch die Wandlung der Aspiraten
in Medien^), von den andern unterschied, aber im allgemeinen
dem Dorischen nahestand^). Das makedonische Reich aber
ist erst etwa im 8. oder 7. Jahrhundert — die homerische
Poesie kennt die Makedonen noch nicht, wohl aber die Land-
schaften Pierien am Fuß des Oljmp und weiter östlich Ema-
thien^) — durch Eroberung unter Führung einer Dynastie ent-
standen, die, wie es scheint von der emathischen Ebene mit
der Hauptstadt Aigai oder Edessa am Fuß des Gebirges aus-
gehend, die Landschaften von Pierien bis zum Strymon unter-
') Die indogermanische Media aspirata ist im Makedonischen
zur Media, in den anderen griechischen Dialekten zur Tenuis aspirata
und dann zur Affricata geworden. Der durch diese Lautverschiebung
geschaifene Unterschied ist viel geringer als der zwischen Nieder-
deutsch und Hochdeutsch.
2) Wenn Herodot I .^G und VIII 43 die Dorier, als sie im Pindos
saßen, ein MaxsSvöv eS-vo? nennt, scheint er mit diesem Namen die
Gesamtheit der griechischen Gebirgsstämme im Norden zu bezeichnen.
Vgl. Strabo VII 7, 8 evcoi 8e xal oöfATtaGav x-i^v [X^XP' Kopxopai; (d. i. das
gesamte Gebiet des makedonischen Reichs im 3. Jahrhundert) Maxe-
Soviav irpooaYopcüooacv, alz'.oko-^ob'jzsc, OLiia, on xal xoopä xai S'.aXsxtw xal
xXa|xu8c xal akXoK; toiouxo'.? /pdivtat napartX*f]atu)c ' svtoi 8e xal ^[yKuiZtol
eloiv. — Makedon und Magnes Söhne des Zeus von einer Tochter Deu-
kalions: Hesiod fr. 5; Makedon S. d. Aiolos: Hellanikos fr. 74 Jacob y.
Makednos oder Makedon S. d. Lykaon (wie Thesprotos; vgl. Wilamowitz,
Ber. Berl. Ak. 1926, 145ff.): Apollodor m 8, 1. Steph. Byz. 'ßpuircö?.
Aelian bist. an. X 48: daher sind die Makedonen Pelasger: Aeschyl.
Suppl. 255. Justin VII 1. Makedon f'^Y-v^« [Skymn.] peripl. 620. —
Nebenform Maxstta, MaxexY](;, fem. Maxet:? und Maxsaaa: Steph. Byz.
MaxsSovta, zum Teil aus Const. Porph. de Them. II p. 48 ergänzt.
3) II. S 226.
Meyer, Geschichte des Altertums. II'. ^^
274 ^- 1^3'S griechische Festland und die mykenische Kultur
warf und die Dynasten des Hinterlandes, des „oberen Make-
doniens", von sich abhängig machte^). Dadurch sind nicht
wenige thrakische und illjrische Elemente in ihre Sprache
gekommen; aber nicht nur zahlreiche uns erhaltene make-
donische Glossen haben ein durchaus griechisches Gepräge,
sondern in Eigennamen wie IIzoXb[s.(xIoz und in der Bezeichnung
des Reiteradels als staipoi, als Gefolgschaft des Königs, haben
sie die altgriechischen Formen erhalten, die später in Griechen-
land selbst geschwunden sind. Wenn sie daher auch, mit Aus-
nahme des Königsgeschlechts, als ein hellenisches National-
gefühl entstand und der Hellenenname aufkam, unter diesen
nicht inbegriffen, sondern als Ausländer (ßdpßapoi) betrachtet
wurden'''), so kann doch kein Zweifel sein, daß die Makedonen
oder wenigstens dasjenige Volkselement, auf dem ihre ge-
schichtliche Bedeutung beruht, ein Zweig des griechischen
Volkstums gewesen sind^).
Die Götterwelt. Athena
An Kämpfen und Wanderungen wird es in der ältesten
Zeit so wenig gefehlt haben wie später. So wird es sich
'j Herod. VIII 137 ff. Thuk. II 99. Die Dynastie heißt 'ApY^aSat:
das hat veranlaßt, daß sie sich aus dem peloponnesischen Argos ableitete
und ihren Stammbaum an Temenos und dadurch an Herakles und
Perseus anknüpfte.
^) Es wird oft verkannt, daß auch Isokrates diese seit Herodot
(und natürlich schon lange vor ihm) allgemein herrschende Anschau-
ung teilt. Nach ihm hat Phil. 107 f. der Begründer des makedonischen
Reichs x&v li.lv toreov töv 'EXXtivixov oXtui; siacs, tyjV 8e ev MaxeSovia
ßaat>.Et*v xaxaaxelv inE'9-U|ji.Y|aev; er hat }ji6vo(; töiv 'EXX-fjva>v c«t)X b\xo<fiüXou
YEvoo? apxetv ä^ituoa«; eine feste Monarchie begründen können, was
unter Griechen nicht möglich gewesen sein würde.
^) Siehe die Bearbeitung des sprachlichen Materials durch 0. Hoff-
mann, Die Makedonen, 1906. Vgl. Solmsen, Rhein. Mus. 59, 1904 S. 487,
1. 504. Zu den nichtgriechischen Elementen gehört, wie W. Schulze,
Zur Gesch. latein. Eigennamen (Abh. Gott. Ges. V 2, 1904) S. 40 er-
kannt hat, die Bildung ßaofXtaca, die in der hellenistischen Zeit die
echt griechische Form ßaotXeia (attisch ßaoiXtvva) verdrängt.
Verbreitung der Namen, Mythen und Kulte 275
erklären, daß zahlreiche Orts- und Flußnamen ohne erkenn-
bare appellative Bedeutung, meist wohl schon der vorgrie-
chischen Bevölkerung angehörend, an den verschiedensten
Stellen des Landes wiederkehren^). Einzelne weitere Auf-
schlüsse werden sich aus der Geschichte der einzelnen Kulte
und dem Auftauchen derselben Götter und Mythen an weit
voneinander getrennten Stellen*) wohl noch gewinnen lassen,
wie sich in Ägypten auf diesem Wege wenigstens teilweise
ein Einblick in die älteste Verteilung der Bevölkerung erreichen
läßt (Bd. I 178 ff.); wesentlich erschwert wird das allerdings
in Griechenland dadurch, daß unsere Kunde hier erst relativ
sehr spät einsetzt, wo sich schon zahlreiche neue Beziehungen
gebildet haben, und daß sie stark getrübt ist einerseits durch
die Ausbildung einer poetisch ausgestalteten Götterwelt im
Epos, die überall neben den lokalen Kulten zu universeller
Geltung gelangt, andrerseits durch die systematisierende Zu-
sammenfassung und Umgestaltung der mythischen Traditionen
in den genealogischen Epen und bei den dies Material immer
wieder aufs neue verarbeitenden Historikern. Oft genug ge-
währen daher die Nachrichten, die wir aus späterer Zeit
') Hierher werden wir auch das Wort Argos rechnen dürfen, das
wohl allgemein „Ebene" bedeutet (nach alexandrinischer Lehre bei
Strabo VIII 6, 9 erst bei den vetu-repoi); so die der Pelasger in Thessa-
lien, der Oresten in Makedonien [woher bei Appian Syr. 63 die Ar-
geaden abgeleitet werden], der Amphilocher in Epiros, der Danaer im
Peloponnes. j
") Hierher mag auch gehören, daß nicht wenige Mythen sowohl in
Thessalien wie im Westen des^Peloponnes lokalisiert sind (o. S. 263 Anm.);
ferner, daß Pelias von lolkos und Neleus von Pylos Brüder sind. Söhne des
Poseidon von Tyro (die dann Gemahlin KpYj^Yjo? A-.oXi'Sao und von ihm
Mutter der thessalischen Eponymen Aison und Pheres und des nach Elis
gehörenden Amythaon wird); sie empfängt die Kinder von Poseidon, der
die Gestalt des Flußgottes Enipeus annimmt (Od. l 23.5 ff.). Auch dieser
Fluß findet sich sowohl in Elis wie in Thessalien ; daß Tyro die Tochter
des Salmoneus ist, des EponjTnen des Ortfs Salmone an der Quelle
des elischen Enipeus (Strabo VHI 8, 33), zeigt, daß diese Gestalten nach
Elis gehören und Pelias eingefügt ist, um die thessalischen und elisch-
peloponnesischen Genealogien zu verknüpfen.
276 ^- I^^s griechische Festland und die mykenische Kultur
über die lokalen Kulte und Bräuche erhalten, einen weit
wertvolleren Anhalt als diese Erzählungen, die den trügeri-
schen Schein höchsten Altertums erwecken.
Es kommt hinzu, daß nicht nur die kretische Kultur, als
sie den Anstoß zu einer höheren Entwicklung auf griechischem
Boden gab, auch die Religion aufs stärkste beeinflußt hat,
sondern daß weiter durch die ständig fortschreitende Be-
rührung mit den Völkern der Inselwelt und Kleinasiens immer
wieder neue Kulte und Erzählungen übernommen wurden. So
ist die bunte Mannigfaltigkeit der griechischen Götterwelt
und der griechischen Mythologie entstanden.
Vielfach sind offenbar die Kultstätten der vorgriechischen
Bevölkerung und die an ihnen hausenden Mächte nebst den
Formen des Kultus bei der Einwanderung von den Griechen
übernommen und fortgeführt worden. Damit mag auch der
in Griechenland weitverbreitete Tierdienst zusammenhängen,
der, soweit wir sehn können, sowohl der indogermanischen
wie der kretischen Religion ganz fremd ist; in der altgrie-
chischen Religion dagegen offenbart sich jede Gottheit zu-
gleich in der Gestalt des ihr Wesen verkörpernden Tieres.
Überhaupt aber wandelt sich durch die Seßhaftigkeit, durch
das Verwachsen mit dem Boden der Charakter der einfachen
religiösen Vorstellungen, die sie aus der Vorzeit mitgebracht
haben, umso stärker, je mehr der Charakter der Wohnsitze zu
immer weitergehender Zersplitterung in kleine Ländergruppen
führt. So ist auch Zeus, neben der Erdgöttin einer der
wenigen Götter, die bereits der indogermanischen Zeit ange-
hören, ein wesentlich anderer geworden. Zwar bleibt er der
Himmelsgott, der den Bhtz schleudert, und der „Vater der
Götter und Menschen" und wird von jeder Familie als Ahne
(TraTpuHO?) verehrt — nur bei den loniern ist darin Apollon
an seine Stelle getreten — ; im Kult dagegen ist er überall
eine lokale Gottheit geworden, die auf allen Berghöhen thront,
aber auch in der Tiefe (so in Dodona) ihren Sitz hat und
die Hürde des Hofes beschirmt (o. S. 243). Daher wird er
beim Opfer nicht als universale Gottheit, sondern immer nur
Fortbildung der Kulte. Tierdienst. Das Palladion, Atlienaia 277
als dieser mit der Einzelgemeinde verbundene Sondergott an-
gerufen; der Beiname, den er als solcher führt und der ihn
von allen anderen gleichartigen Zeusgestalten scheidet, ist
dafür ganz unentbehrlich.
Das gleiche gilt von allen Gottheiten des Kultus. Auf
manche von ihnen, so auf Herakles und Apollon, werden wir
später zurückkommen. Dagegen muß an dieser Stelle noch
eine Gottheit besprochen werden, durch die auf die älteren
geschichtlichen Verhältnisse ein helles Licht fällt, die Burg-
göttin Athena.
Wir haben die bildliche Darstellung der Kriegsgöttin in
Mykene kennen gelernt (o. S. 241 f.), ein riesiger Schild mit
angefügten menschlichen Gliedmaßen, in der Hand die Lanze
schwingend. Es ist das Palladion, das wir überall in den
Städten als Schirmer der Burg antreffen^); die Göttin selbst
heißt Pallas „die Lanzeschwingerin". Aber im Epos heißt sie
IlaXXac'AdrjvatTj, also nach einer Stadt Athen; und nicht nur
in der berühmtesten Stadt dieses Namens, sondern in der
ganzen griechischen Welt, in der sie überall eine der höchsten
Gottheiten ist, lautet ihr Eigenname immer nur einfach 'AO-rj-
vaia „die von Athen"; sie heißt also nach der Stadt, nicht
diese nach einer Göttin'). Es gibt nun zwei Städte dieses
') Daß sich das alte Kultsymbol in Argos in dem „Schilde des
Diomedes" erhalten hat, der in der Prozession getragen wird, die das
Kultbild der Athena begleitet, wenn sie zum Bade im Inachos fährt
(Kallimachos 5. 3.5), hat Wilamowitz, Ber. Berl. Ak. 19"21, 9.51 erkannt.
^) Man scheut sich, das anzuerkennen, offenbar weil man eine
Erklärung dafür nicht zu finden weiß. Aber die Tatsache ist ganz
unbestreitbar: gerade in Athen führt die Göttin keinen wirklichen
Eigennamen, sondern heißt immer nur „die Athenische", 'Ad-i]vaia,
später mit Wegfall des i 'A^Yjvaa und kontrahiert 'A\)-y]v«. 'AO-äva, 'A'S-^vfj
ist eine Verkürzung, die namentlich im Aeolischen viele Analogien hat.
[Wer es für den ursprünglichen Götternamen hält, hat zu erklären, wie
es kommt, daß dieser durch 'A6"r]vaia ganz in den Hintergrund gedrängt
ist, was niemals auch nur versucht ist; das Problem bleibt aber auch
dann dasselbe. | Bei Homer werden beide Formen promiscue gebraucht,
je nach dem Bedürfnis des Verses. 'A9-rivat ist ein tj^jischer Stadtname,
wie Mux-?]va'. (das oft genug zu Muxrjvv] verkürzt wird).'
278 ^- Das griechische Festland und die mykenische Kultur
Namens^), die Hauptstadt Attikas und die alte, früh im
Kopaissee verschwundene Stadt in Boeotien (o. S. 260 Anm.).
Aber der Kult hat sich hier erhalten in den beiden nahe bei-
einander gelegenen Orten Alalkomenai und Itonos; zwischen
ihnen fließt der Bach Triton, an dem die Göttin geboren ist^).
Andrerseits gilt der Kult der Athena in Athen selbst als
sekundär: nach der ganz feststehenden athenischen Tradition
hat zuerst Poseidon die Burg in Besitz genommen, dann ist
Athena gefolgt, und die Götter haben zu ihren Gunsten ent-
schieden. In Wirklichkeit hausen immer beide auf der Burg,
und zwar so, daß der Vorrang Poseidons unverkennbar ist.
Poseidon „der Erderschütterer" ist ein Erdgott, der seine
Macht vor allem im Erdbeben manifestiert^). Auf der Burg
führt er den Beinamen Erechtheus, aus dem sich dann im
Mythos ein von der Erde geborener ürkönig abzweigt; und
in dessen Hause, das das von Poseidon mit dem Dreizack in
den Fels gestoßene Mal und eine Salzquelle umschließt, die
') Eine dritte, 'AO'Yjvai Aid?E<;, liegt an der Nordwestspitze Euboeas.
*) Strabo IX 2. 28. 29. 35. Pausan. IX 33, 5 ff. Itonos mit dem
Athenakult findet sich ebenso in Südthessalien bei Haloo. Nach Strabo
IX 3, 29. 5, 14 hätten die Boeoter jistä -cct Tpio-.xa den Kult der itoni-
schen Athena von hier mitgebracht; der boeotische Bund feiert ihr
hier die Flafiß&'.üJt'.a (ebenso Pausan. IX 34, 1). — 'AXaXxofj.tvrit? 'A8-(ivr]
IL A 8. E 908. Tp'.zo-^ivtia A 515 u. a. Nach der von Chrysipp (v. Arnim,
Stoic. Fragm. II 257) bewahrten Parallelversion zu Hesiod Theog. 886 ff.
gebiert Zeus die Athena itap' xop!jtpT|V Tpttcovo; zk oy%-qz'.v uotafioto. Die
übliche Sage, daß Athena aus dem Haupt des Zeus geboren sei, wird
WiLAMOwiTZ, Her. Berl. Ak. 1921, 956 f. richtig so erklären, daß sie
ursprünglich gewappnet aus dem Berge am Triton hinter Alalkomenai
(xelxai opoU(; &ö>i u-^av 6'^y)/vo5 jrpo? toI? itoolv £axato:<; Paus. IX 33, 5)
hervorgesprungen ist und dieser Berg als Sitz und Erscheinungsform
des Zeus galt.
') Sein Wesen ist durch die ständigen Beinamen evoaix^'tuv, evvoai-
•{■aio?, Y«'"'1°X°? deutlich bezeichnet. Später, bei der Ausbildung des
Göttersystems, ist er dann zum Meergott geworden, und das hat wieder
die Mythen veranlaßt, die seinen Kult im Binnenlande erklären sollen,
so vor allem den von Odysseus. — Der Name, dessen älteste Form
IloxetSä/^cuv oder IloxiSiScv ist, bezeichnet ihn wahrscheinlich als , Herrn
(nöxi — c,) der Erde (?ä wie in AT,u.Tjx-r]p, AyjU))".
Das boeotische Athen und seine Göttin 279
er hatte hervorsprudeln lassen, hat Athena neben ihm ihren
Kultsitz erhalten^). Das zeigt deutlich, daß die Göttin, die
die Burg beschirmt (Athena Uokii.^;) und in den Eulen, die
hier im Gemäuer hausen, dem menschlichen Auge sichtbar
wird (daher '(Xoloym'kk; „mit Eulenantlitz"), zu dem Herrn des
Felsens erst hinzugetreten ist, als auf diesem in mykenischer
Zeit die Königsburg erbaut wurde.
Somit wird, wie die Geburtssagen bestätigen, das boeo-
tische Athen der Ausgangspunkt des Namens und der Kult-
formen gewesen sein; von hier aus ist dann der Name der
Stadt und ihrer Göttin nach dem attischen Athen übertragen.
Ganz anschaulich tritt uns darin — und ebenso im Herakles-
kult — ein großer Zusammenhang entgegen, der Boeotien
und Attika umschließt und auch nach Thessalien hinüber-
greift, und zugleich die dominierende Stellung, die das Reich
von Orchomenos — denn nur zu diesem kann das boeotische
Athen gehört haben — eingenommen hat. Nur auf dieser
Machtstellung kann es beruhen, daß der Name „Göttin von
Athen" sich über die ganze griechische Welt verbreitet hat
und der allgemeine Name der Burggöttin geworden ist, nicht
selten mit Verdrängung eines älteren Namens^).
Achaeer und lonier. Apollon
Weitere Aufschlüsse gewährt die Verteilung der grie-
chischen Dialekte. Sie scheiden sich in zwei Hauptgruppen:
in der einen, den nordwestgriechischen (dorischen) Dialekten,
hat sich, wo auf t ein / folgt, der ältere Lautbestand er-
'j Kult des riojf'.owv 'EpexO-eui; in Athen IG. P 5S0: Sitz seines
Priesters im Theater IG. III 276. Athena 8üvs 'EpexO"f]o; tc'jxcvöv Söjaov
Od. f\ 81, vgl. II. B 548 ff. (aus dem 6. Jahrhundert), wo umgekehrt
Athene den erdgeborenen Erechtheus in ihren Tempel aufnimmt. Bei
der Erbauung des Erechtheons im peloponnesischen Kriege sind die
alten Traditionen peinlich beobachtet worden.
*) So in Tegea und Mantinea, wo sie ursprünglich einfach 'A>.ea
hieß (IG. V 75. 262), was dann hier zum Beinamen der Athena ge-
worden ist.
280 ^' ^^^ griechische Festland und die mykenische Kultur
halten, in den übrigen ist t vor i zu 5 geworden und da-
durch ein sehr weitgreifender Lautwandel herbeigeführt^).
Die Nordwestgriechen, die in primitiven Zuständen verharrten
und von der kretischen Kultur nicht beeinflußt wurden, kom-
men für die ältere Geschichte noch nicht in Betracht^).
Aus der anderen Gruppe haben wir die Aeoler in Thessalien
und Mittelgriechenland schon kennen gelernt. Neben ihnen
steht, in vielen Formen eng verbunden, in anderen stark ab-
weichend, die Sprache der vordorischen Bevölkerung des Pelo-
ponnes, die sich im Arkadischen erhalten hat und von den
Kolonisten aus Lakonien und Argolis nach Cypern und Pam-
phylien getragen, in einzelnen Spuren (S. 237, 1) auch auf
Kreta nachweisbar ist.
Das Epos faßt alle Stämme dieser Gruppe unter dem
Namen Achaeer zusammen. In der geschichtlichen Zeit da-
gegen führen diesen Namen lediglich die Bewohner zweier
eng begrenzter Gebiete, des südlichsten Teils Thessaliens und
der Nordküste des Peloponnes, und in beiden wurde damals
') Daß dieser Lautwandel für die Gruppierung der griechischen
Dialekte grundlegend ist, ist, seitdem ich in der ersten Auflage (1892)
darauf hingewiesen habe, allgemein anerkannt. Besonders anschaulich
tritt er in den verschiedenen Formen des Namens Poseidon hervor:
dorisch IlotstSä /^cuv, rTotioav u. a., davon notstSata, Iloxioavia, in den
andern Dialekten IIoGEiociujv u. a. (arkadisch rioootSav), davon FloasiStuvtct;
ferner (pspovtt — (pipouac, fixav. — s /^txooi, Y'p°vTta — ■^z^oocia. u. s. w.
^) Ich bemerke gleich hier, daß die Geschichtlichkeit der sog.
dorischen Wanderung, die von Beloch (dem Kahrstedt folgt) mit
radikaler Hyperkritik geleugnet wird, auch von sprachlicher Seite
völlig erwiesen ist. Für Thessalien und Boeotien s. Solmsen, Thessa-
liotis und Pelasgiotis. Rhein. Mus. 58, .598 ff. ; Eigennamen als Zeugen
der Sprachmischung in Boeotien, ebenda .59, 481 ff. Für den Pelo-
ponnes beweist die Übereinstimmung des Kyprischen mit dem Arka
dischen, daß dies auch in den Küstenlandschaften geherrscht hat. Da
wird dadurch bestätigt, daß der Gott vom Taenaron auch unter der
dorischen Herrschaft die arkadische Namensform riooocoäv oder vielmehi
mit dem lakonischen Wandel von intervokalischem s in h üo/iotSäv be
halten hat. Vgl. auch Solmsen, Vordorisches in Lakonien, Rhein. Mus,
62, 329 tt'. Auch der Name Stenvkiaros in Messenien ist vordorisch.
Die griechischen Dialekte. Die Achaeer 281
nicht etwa ein „achaeischer", sondern ein nordwestgriechisclier
Dialekt gesprochen. So stehn wir liier vor einem Problem,
das sich mit Sicherheit nicht lösen läßt und dadurch noch
verwickelter wird, daß mit dem Achaeernamen der Land-
schaftsname Hellas eng verbunden ist^). Im peloponnesischen
Achaia kann der Name nicht ursprünglich sein^); so lag die
Vermutung nahe, er habe auch im Epos ursprünglich nur die
Heimat Achills bezeichnet^) und sei in derselben Weise ver-
allgemeinert worden, wie der der Danaer und Argeer. In-
dessen dem steht gegenüber, daß sich der Achaeername auf
Cypern mehrfach erhalten hat und die achaeische Demeter
hier wie in Boeotien einen angesehenen Kult hat; und auch
auf Rhodos trägt die Burg der in mykenischer Zeit besiedelten
Stadt lalysos den Namen Achaia'*). So werden wir in der
') Für das peloponnesische Achaia wird er dadurch erwiesen,
daß die achaeischen Kolonisten in Unteritalien ihre neue Heimat
Hf^akri 'EXXa? nennen.
*) Die vom genealogischen Epos geschaffene und von den Histo-
rikern übernommene Erzählung, die Achaeer seien beim Einfall der
Herakliden aus Lakonien unter Tisamenos abgezogen und hätten die
lonier aus dem Küstenlande (Aigialos) im Norden verjagt, i.st, wie die
gesamte angebliche Geschichte der Heraklidenwanderung, ein dürftiges
Machwerk ohne jeden Wert. — Wahrscheinlich ist das peloponnesische
Achaia vom Norden her, vom westlichen Mittelgriechenland aus. in
derselben Weise dorisiert worden, wie Elis. Vielleicht wird man an-
nehmen dürfen, daß diese Eindringlinge, als sie sich zu einer lockeren
Stammföderation zusammenschlössen, für diese den ruhmvollen Namen
Achaja gewählt haben. In dem Namen Hoostoav auf den Münzen der
achaeischen Kolonie Posidonia und in diesem selbst hat sich eine Nach-
wirkung der älteren, ionischen Bevölkerung erhalten.
^) Hier haben sich, wie Solmsen nachgewiesen hat, manche Spuren
des ursprünglichen „thessalischen" Dialekts erhalten.
■*) 'AxaioiidvTEc^ ol TYjV xwv ■&g(Juv e/ovisi; icpiuaüv7|V iv Köitpco Hesych.
Axat<i)v a-Kz-q Strabo XIV 6, 3. — Burg Achaia in lalysos JG. XIII 1, 677.
Athen. VIII 360 e. Zeno bei Diod. V 57. — Demeter 'Axaia in Boeotien:
Plut. de Is. 69 u. a.; in Thespiae IG. VII 1867. Nach Herod. V .57 bringt
das Geschlecht der Gephyraeer aus Tanagra ihren Kult nach Athen:
daher Aristoph. Acharn. 708 mit schol. Sitz der Priesterin Ar^iir^xpiq
KoüpoTpoaou ''Ayuiaq im Theater IG. III 373.
282 V. Das r»riechische Festland und die mykenische Kultur
Tat die gesarate bisher besprochene Schicht der vordorischen
Griechen unter dem Namen Achaeer zusammenfassen dürfen^).
Neben diesen achaeischen Stämmen stehn auf der einen
Seite die Dorier und ihre Verwandten, auf der anderen die
lonier, lawones. Nach der Überlieferung saßen diese ur-
sprüngUch an der Nordküste des Peloponnes. im späteren
Achaia. Das wird dadurch bestätigt, daß sie den Kultus des
Gottes, der auf dem an der Nordküste ihnen gegenüberliegenden
Berge HeHkon sitzt, des Poseidon Helikonios, mit nach Asien
hinübergenommen und ihn hier zu ihrem Bundesgott erhoben
und ibm am Fuß des Mykale das Fest der Panionien gefeiert
haben^). Vielleicht darf man damit auch den Namen des
'\6viO(; v.öX'noQ verbinden, der das ganze Westmeer (unseren
adriatischen Meerbusen) bezeichnet, falls er wirklich, trotz des
kurzen o, mit dem loniernamen zusammenhängt^). Weiter
') Im übrigen bezeichnet auch bei Homer mehrfach der Achaeer-
name lediglich die nördliche Landschaft, so T 75 = 258 "^ApYo? s? '-^wö-
ßoTov xal'AxcxctSa xaXXtyu'-'^txa, und speziell die Heimat Achills A 770 u.a.
(Der Schiffskatalog versetzt B 681 ff. das Reich Achills mit Achaeern
und Myrmidonen im Widerspruch mit den sonstigen Angaben der Ilias
ins phthiotische Achaia [über dieses s. Kip, Thessal. Studien 1910], also
dahin, wo diese Namen wirklich heimisch sind.) — Auf die Achijawa
der chetitischen Texte und die Aqaiwasa der Ägypter können wir erst
später, in Abschnitt XII, eingehn.
^) Diesen Kultus kennt II. I 404 (rein ionisch). Poseidon auf
dem Helikon auch im homer. Epigramm 6 und hymn. hom. 21 ("neben
Aigai). Sonst wird der Name gewöhnlich von der Stadt Helike in
Achaia abgeleitet, so auch II. 0 203, wo die Danaer dem Poseidon in
Helike und Aigai Opfer bringen (daher gehören beide Städte B 574 f.
zum Reich Agamemnons), was sprachlich unmöglich ist: aber beide
Namen werden gewiß zusammenhängen.
') Auf die Frage, ob auch der Name des Argonautenhafens
'IujXxo? und weiter der in den Genealogien vielfach vorkommende Name
"laoo? (Führer der Athener II. 0 33; 'laoov "Apyt»? = Griechenland Od.
a 246) mit den loniern zusammenhängen, gehe ich nicht ein; darüber
ist Sicherheit nicht zu gewinnen. — Die 'lojv'.aSei; vufi'fi at (in einem Heil-
quell bei Salmone in Elis Strabo VIII 3, 32. Pausan. VI 22, 7. Nikander
bei Athen. XV 683. Hesych. latpoi) haben mit den loniern nichts zu
tun, sondern sind „Heilnymphen". Über das Ä30? 'Iiuvatov in Triphylien
Die lonier 283
finden wir sie an der Steilküste im Osten des argivischen
Golfs in der Landschaft Kynuria^). Ihr Hauptsitz aber ist
Attika und Euboea. Von hier aus haben sie sich dann über
die Kykladen und nach dem kleinasiatischen Festland ausge-
breitet; als Ausgang dieser ionischen Wanderung gilt immer
Athen ^).
Auch der ionische Dialekt hat die durch den Übergang
von -ti in -si bewirkte tiefgreifende Umwandlung mitgemacht.
Auch sonst berührt er sich vielfach mit dem Aeolischen, in
anderen Formen aber im Gegensatz zu diesem mit dem Ar-
kadisch-kyprischen^), was die ursprünglichen Wohnsitze an
Strabo VIII 3, 19 und den Fluß 'loicuv in Arkadien Kallim. hymn. 1, 21
wissen wir sonst garnichts.
') Herod. VIII 73 ol Kuvouptot aütoy&ovs^ sövre^ Sov-eoua'. fioävot (im
Gegensatz zu den übrigen Peloponnesiern) ehai 'louve;, dann von Argos
aus dorisiert.
^) Daher sind II. N 685 ff. die 'läovjc; lK%tx'-'^iu'c<; das Heer des
Atheners Menestheus [die einzige Stelle, wo bei Homer die lonier vor-
kommen], an dessen Stelle 0 337 lasos tritt (S. 282, 3). Athen npsaßu-
tatf) Y"^'* 'laovia; bei Solon (von den Interpreten vielfach mit ärg-
ster Gewaltsamkeit weggedeutet). — Daß daneben die einzelnen ioni-
schen Städte aus anderen Orten abgeleitet werden, beruht zum Teil
auf wirklicher Beimischung, zum Teil darauf, daß die Herrscher- und
Adelsgeschlechter ihre Stammbäume an die Heroen des Epos an-
knüpften.
') So vor allem in dem Infinitiv auf -vz-.. der dem Ionisch-
attischen und dem Kyprisch-arkadischen gemeinsam ist im Gegensatz
zum Lesbischen -jisvat, im übrigen Aeolischen und im Dorisch-nordwest-
griechischen -fitv. — Das augenfälligste Charakteristikum des Ionisch-
attischen, der Wegfall des vau, ist dagegen jungen Datums und erst
eingetreten, als die Orientalen den loniernamen in seiner alten Form
(lawan) übernommen hatten. Die Aussprache des langen ü als ä (wie
im Hannoveranischen und mit der Weiterentwicklung zu geschlossenem
€ im Englischen, die auch im Griechischen eingetreten ist und schließ-
lich zu der Aussprache I geführt hat) ist im Attischen nicht durch-
gedrungen, das im übrigen stark vom Boeotischen beeinflußt ist (tt statt
oa, pp statt pa; letzteres hat sich weithin verbreitet, auch ins Arkadische
und Elische, vgl. Solmsen, Rhein. Mus. 59, 489). Mit dem Lesbischen
ist dem Asiatisch-ionischen, im Gegensatz zum Attischen, der Wegfall
des h gemeinsam; in allen drei Dialekten wird im Artikel toi, t«i
284 V. Das griechische Festland und die mykenische Kultur
der peloponnesischen Küste weiter bestätigt. Als eine in sich
geschlossene, von den übrigen Griechen seit alters getrennte
Gruppe sind die lonier charakterisiert dadurch, daß in ihren
Gemeinden die Einteilung in die vier Phylen der Geleonten,
Hopleten, Aigikoreis und Argadeis bestand \), und daß alle
ionischen Familien ihre Abstammung nicht, wie die übrigen
Griechen, von Zeus, sondern von Apollon als Ahnen (Traiptoioc)
ableiteten 2).
Dadurch wird zugleich erwiesen, daß Apollon ein Haupt-
gott der lonier ist. Soweit wir sehn können, gehört dieser
gewaltige, unnahbare Gott, der ebensogut Segen wie Ver-
derben sendet, in dunklen Orakelsprüchen die Zukunft ver-
kündet, wenn er gnädig gesinnt ist, das Meer stillt und die
Schiffer als Delphin geleitet, zunächst der Inselwelt an: hier
hat er auf Delos, in der Mitte der Kykladen, sein ui-altes
Heiligtum in einer Grotte am Abhang des Berges Kj'nthos, in
der er geboren ist. Ebenso ist sein Kult auf Kreta ganz all-
gemein verbreitet; von hier aus ist, wie der homerische Hymnus
richtig angibt, der Apollon Delphinios nach der Orakelstätte
Pytho am Parnaß gebracht worden. Identifiziert wird er mit
den Orakelgottheiten des westlichen Kleinasiens, darunter vor
allem einem Hauptgott der Lykier^). Dann aber hat er sich
durch ol, al verdrängt, ebenso im Kretischen mit Ausnahme von Itanos
im äußersten Osten (wo die ältere Form durch den Einfluß von Rhodos
erhalten sein mag).
M In den Kolonien sind vielfach weitere Phylen hinzugekommen
und nur ein Teil der altionischen erhalten; dazu kamen dann häufig
Neueinteilungen der Bürgerschaft, wie in Athen unter Kleisthenes.
Nur umso deutlicher tritt das hohe Alter der ursprünglichen Phylen
hervor, deren Namen für uns völlig undeutbar sind, so viel man auch
in alter und neuer Zeit darüber kombiniert hat.
2) Plato Euthydem 302 c. Aristot. pol. Ath. fr. 1, vgl. c. .55, 3.
Diod. XVI .57, 4. Vgl. weiter meine Forschungen II 021 ff. Daher ist
Ion, der Ahne der lonier, ein Sohn Apollons von Kreusa, der Tochter
des Erechtheus (Hesiod hat dann, um Ion in den Hellenenstammbaum
einzufügen, für ihn einen Vater Xuthos erfunden).
^) Daß der Name Apollon (dessen Herkunft und Bedeutung ganz
anklar ist) nicht aus Lykien stammt, wie Wilamowitz annahm, habe
Apollon 285
weithin über alle griechischen Stämme verbreitet und ist hier
mit ganz andersartigen Gottheiten identifiziert worden, so vor
allem mit dem Herdengott (Nö^ioq und Kapvsioc, dem Haupt-
gott der Dorier), aber z. B. auch mit dem Steinpfahl, der die
Wege beschirmt ('Aydcsuc), außerdem natürlich überall mit den
Orakelgottheiten, so in Boeotien und Thessalien. Zu wirklicher
innerer Einheit sind diese verschiedenen Gestalten trotz der
Namensgleichheit nie gelangt; aber durch diese Gleichsetzung
ist Apollon zu einem der Hauptgötter der gesamten Griechen-
welt geworden. Zur Zeit der Blüte der epischen Dichtung
faßt die ständig wiederkehrende Wunschformel ai ^ap Zeö
TS Ttdrep %7.l 'A'9'7]vat7] xal "AtcoXXov die drei großen Gottheiten,
die man damals überall als die mächtigsten anerkannte, zu
einer Einheit zusammen.
Stoffe und Heimat der Heldensagen
Eine Bestätigung und zugleich Ergänzung erhält das von
uns gewonnene Bild durch eine Zusammenstellung der Ge-
biete, aus denen der Sagenstoif des griechischen Epos stammt.
Ganz stark tritt, der Ausbildung desselben in Aeohs ent-
sprechend, das aeolische Gebiet des Mutterlandes hervor,
Thessalien, Boeotien und der zwischenliegenden Landschaften,
vor allem das Spercheiosgebiet, Phthia die Heimat Achills,
Oichalia, Trachis, der Oeta; daran reiht sich in Aetolien
Kalydon und Pleuren (s. o. S. 263) mit den Sagengestalten
des Tydeus, Meleager und der. bei Homer allerdings nicht
ich Bd. I 483 A. bemerkt. Der Name 'AitoX/.ojvt5f]i; wird CI Lyc. 6 lykisch
nicht durch ein einheimisches Äquivalent wiedergegeben, sondern durch
pulenida transkribiert. Daß der Name seiner Mutter Lato aus dem
lykischen lada „Frau" entlehnt ist, ist gewiß möglich, kann aber nicht
als gesichert gelten. — In Thessalien zeigt die Entstellung des Namens
zu AitXoDv deutlich, daß er hier nicht heimisch, sondern importiert ist. —
Mit Recht hebt Wilamowitz hervor (Hermes 38, 575 ff.), daß Apollon
in der Ilias der Hauptgegner der Achaeer ist: das Epos ist zwar später
ionisch geworden, aber die Gestaltung des Sagenstoffs ist die Schöpfung
der Aeoler, die lonier stehn damals noch völlig beiseite.
286 ^- ^^^ griechische Festland und die mykenische Kultur
erwähnten Atalante. Sonst kennt man aus dem Westen
das Orakel von Dodona; dadurch, daß der ursprünglich
nach Arkadien gehörende Odysseus auf die fernste bekannte
Insel, Ithaka, versetzt wird, ist dann auch diese Gegend
nebst den Thesprotern in den Bereich der Dichtung hinein-
gezogen^).
Im Peloponnes treten die Hauptsitze der mykenischen
Kultur, die argivische Landschaft mit Mykene, Lakedaimon,
Pylos, auch im Epos entsprechend hervor. Auch arkadische
Sagenstoffe fehlen nicht: die Odysseussage ist hier entstan-
den, die Gestalt des Atlas stammt wohl sicher von hier, und
der Dichter der Atö? anäiri kennt die Lokalisierung der Styx
in dem Wasserfall von Nonakris bei Pheneos'). Weiter natür-
lich Kreta. Ferner spielen die Lykier und ihre Sagengestalten
eine große Rolle, was gewiß nicht erst auf die spätere ionische
und dorische Kolonisation der Nachbargebiete Lykiens, son-
dern auf viel ältere Beziehungen mit diesem Wandervolk zu-
rückgeht (siehe weiter Abschnitt XII). Außerdem ist natürlich,
dem Stoff der troischen Sage entsprechend, das hellespontische
Gebiet (einschheßlich der mit der Argonautensage verknüpften
Insel Lemnos) genau bekannt.
Nur umso stärker tritt hervor, daß andere Teile der grie-
chischen Welt völlig zurücktreten. Für die Nordwestgriechen
') Umso beachtenswerter ist es, daß die Akainanen bekanntlich
überhaupt nicht vorkommen. Phoker werden nur ganz vereinzelt er-
wähnt, ebenso wie die Kephallenen und auch die Lokrer von Opus
(außer im Schiffskatalog nur N 685. 712, wo eine ganze Reihe von
Völkern in den Kampf geführt wird; aus Opus stammt nach S 326.
V 85 Patroklos, der aber gewiß nicht als Lokrer gedacht ist). Ob
Aias S. d. Oileus ursprünglich Lokrer gewesen ist, ist sehr fraglich;
er ist von dem größeren Aias garnicht zu trennen. Das westliche Lokris
fällt völlig aus.
2) Der Glaube an die zwingende Kraft des Eides beim Stüyi,;
5i(up ist natürlich viel älter. Aber daß dies hier 0 37 (wiederholt
Od. e 185) nicht ein Strom in der Unterwelt ist, wie bei Hesiod, son-
dern ein Wasserfall (tö xatEißöjjiEvov Stufö; CScup), zeigt, daß der Dichter
die Lokalisierung kennt. — Über den Odysseusmythos siehe meinen Auf-
satz Hermes 30, 241 ff.
Die Heimat der Sagengestalten des Epos 287
und Dorier ist das begreiflich genug; umso bedeutsamer da-
gegen, daß Athen und Euboea gänzlich ausfallen. Zwar werden,
außer im SchifiFskatalog, die Abanten Euboeas in der Ilias
noch einmal (A 464), die Athener (oder statt ihrer die lonier)
dreimal (N 195. 685 ff. 0 337) unter den Kämpfenden er-
wähnt; aber die Dichter wissen so wenig von den in Attika
heimischen Sagengestalten, daß sie dafür einen Fürsten Mene-
stheus erfinden ^), den in der attischen Königsgeschichte unter-
zubringen dann den späteren Bearbeitern der Urgeschichte
Mühe genug gemacht hat. Von den Kykladen kommt keine
einzige vor; und ebensowenig werden die Nordküste des Pelo-
ponnes nebst dem Isthmusgebiet"), Kynurien und die Dryoper-
städte auf der argivischen Akte oder eine von dort stam-
mende Sagengestalt erwähnt.
Es ist die ionische Welt, die so negativ umgrenzt wird;
dadurch werden zugleich die Überlieferungen über die älteren
Wohnsitze der lonier aufs beste bestätigt. Auch sie haben in
diesen die Einwirkungen der kretischen Kultur in derselben
Weise erfahren wie die Achaeer — so haben sich Kammer-
gräber und mykenische Gefäße z. B, auch an der Nordküste
des Peloponnes bei Patrai gefunden — ; zugleich aber zeigt
sich, daß sie schon damals als eine selbständige Stamm-
gruppe getrennt neben diesen gestanden haben. Zur Helden-
sage und Mythologie haben sie nichts beigesteuert, sondern
diese ist eine Schöpfung der Achaeer.
') Oder statt seiner 0 337 f. lasos (s. o. S. 282, 3). Menestheus ist
hier 0 321 deutlich ebenso wie A 328 später eingeschoben, um ihn noch
unterzubringen. Erwähnt wird er noch M 331. 373.
') Daß Korinth (erwähnt N 664; außerdem soll 'Etpüpfj |jlux']'
'Ap-^eoq litiioßoTO'.o in der Beilerophonepisode Z 152. 210 gleich Korinth
sein) keine Rolle spielt, erklärt sich daraus, daß es (ebenso wie Aegina)
erst viel später zu Bedeutung gelangt ist (daher im Schifl'skatalog B 570
i<pveiöv Köptvöov). Megaris gehört zu Attika.
288 ^- I^'^^ griechische Festland und die mykenische Kultur
Die Entwicklung der griechischen Sagendichtung
im Vergleich mit der germanischen
Daß die Schöpfunpf der griechischen Heldensage und ihre
Ausgestaltung in epischen Liedern bis in die Blütezeit der
mykenischen Epoche hinaufragt, wird wie durch den Inhalt
so auch durch die Form, in der die Dichtungen überliefert sind,
durchweg bestätigt. Das Metrum, in dem sie, unter Begleitung
mit einem Saiteninstrument, gesungen werden, der Hexameter,
ist nichts weniger als naturwüchsig, sondern ein künstliches
Gebilde, das eine lange, wenn auch im einzelnen nicht er-
kennbare Entwicklungsgeschichte voraussetzt. Noch deut-
licher redet die Sprache. In den großen Epen trägt sie ioni-
sches Gewand; aber darunter läßt sich deutlich eine ältere
aeolische Gestaltung erkennen, die in zahlreichen Lautformen
und grammatischen Bildungen hervortritt, die auch die ioni-
schen Dichter nach Belieben verwenden^). Und dahinter liegt
vielfach noch älteres Sprachgut, das sonst überall vollständig
geschwunden ist, wie \Lspo7izq „Menschen" (o. S. 270) oder
der Genitiv auf -oio, oder sich nur noch in abgelegenen Dia-
lekten erhalten hat, wie los und aotocp, /dva^ und /dvaaaa
im Kyprischen und Pamphylischen — ein Beweis, daß diese
Wörter im Epos aus der achaeischen Sprache der myke-
nischen Zeit entstammen. Dazu kommen die zahlreichen stereo-
typen Wendungen und Verse, die von den Dichtern immer
wieder verwendet werden, und die erstarrten Beinamen der
\) So verfehlt es war, einzelne angeblich oder wirklich ältere
Stücke ins Aeolische (oder wie Fick in alle möglichen Dialekte) zu um-
schreiben, so wenig kann ich den Anschauungen Mahlow's (Neue
Wege durch die griechische Sprache und Dichtung. 1927) zustimmen,
der alle künstliche Dialektmischung leugnet und annimmt, das Neben-
einander verschiedener Formen habe bis in die attische Tragödie hin-
ein wirklich in der lebendigen Sprache bestanden. Sein Buch bringt
viele, sehr beherzigenswerte Anregungen und macht eine Nachprüfung
auch der bisher in der Sprachwissenschaft herrschenden Anschauungen
dringend erforderlich; aber das Werden der Literatursprache, die ja
überall ein Kunstprodukt ist, hat er völlig verkannt.
Entwicklung und C4estalt der epischen Dichtung 289
Heroen, die zuweilen in der überlieferten Sage ganz unmoti-
viert erscheinen, wie z. B. TZToklTzopd-OQ für Odysseus^). Manche
Wörter sind nicht nur den Späteren, sondern ofiPenbar schon
den Sängern selbst unverständlich gewesen, werden aber ver-
wendet, weil sie zum ererbten Gut der von ihnen erlernten
Dichtersprache gehören.
Auch in der Gestaltung des Stoffs steht Altes und Junges
nebeneinander. Die Denkweise und die Lebensformen des
Ritteradels, unter dessen Herrschaft die Sänger leben und bei
dessen Gelagen sie ihre Dichtungen vortragen, bestimmen die
Ausgestaltung der einzelnen Szenen. Aber daneben ragen
immer die von der Vorzeit geschaffenen Gebilde lebensvoll in
die gewandelte Kultur hinein. Man weiß, daß es eine andere
und größere, in weiter Ferne liegende Vorzeit ist, die man
darstellen will, und bemüht sich, alles fernzuhalten, was eine
jüngere Zeit gewandelt oder hinzugebracht hat. So steht
neben der jüngeren Bewaffnung unvermittelt die ältere mit
dem mykenischen Rundschild, die Helden kämpfen zu Wagen,
nicht als Reiter, wie in der Gegenwart; wie in der Ursage füh-
ren die Götter Apollon und Artemis und die Heroen Herakles
und Odysseus einen kunstvollen Bogen, obwohl der Bogen-
kampf längst nicht mehr als standesgemäß gilt; auch das
ethnographische Bild der Vorzeit, die ehemalige Verteilung
der Stämme, hat man peinlich festgehalten und die Namen
der Dorier und lonier so gut wie völlig vermieden. Die
Heldendichtung ist eben konservativ wie alle Tradition.
Ein näheres Eingehn auf die Geschichte des Epos muß
der Darstellung des griechischen Mittelalters vorbehalten
bleiben. Um eine gesicherte Grundlage zu gewinnen, ist es
aber unumgänglich, wenigstens einige Hauptmomente bereits
') Odysseus ist nicht „ Stadt ezerstörer", weil er Troja zerstört
hat [sonst zerstört er nur noch die Kikonenstadt Ismaros], sondern
weil er nach der ältesten, im Epos längst verschollenen Konzeption
seiner Gestalt der Städtezerstörer schlechthin war, hat man ihm auch
bei der Zerstörung Trojas eine freilich sehr bescheidene Rolle (durch
die List vom hölzernen Pferd) zugewiesen.
Meyer, UeschicLte des ÄltertumB. II'. 19
290 ^- I^*s griechische Festhind und die mykenische Kultur
an dieser Stelle kurz zu berühren und dabei auch die wich-
tigste Parallele, die germanische Heldensage, zum Vergleich
heranzuziehn^). Sie ist darum so wichtig und aufschluß-
reich, weil uns für sie die zugrunde liegenden geschicht-
lichen Ereignisse durch gleichzeitige Zeugnisse bekannt sind
und wir daher bei ihr die historischen Elemente von den
mythischen und von den freien dichterischen Schöpfungen
mit Sicherheit scheiden können^).
Gemeinsam ist beiden Entwicklungen einmal, daß die
Heldenlieder, wie auch bei den Serben und Kirgisen und wo
sie sonst vorkommen, von berufsmäßigen Sängern, die ihr
traditionelles Handwerk erlernt haben, bei Gelagen und Festen
mit einer späteren Zeiten sehr monoton erscheinenden Melodie,
begleitet von einem primitiven Saiteninstrument, vorgetragen
werden; sodann, daß sie sich nicht an den Stellen und bei den-
jenigen Stämmen entwickelt haben, deren Schicksale den An-
stoß gegeben haben, sondern in oft weit entlegenen Gebieten.
So hat bei den Germanen die Sage vom Untergang der
Burgunderkönige ihre Gestaltung bei den Franken erhalten;
und dann hat sie sich weithin bei den germanischen Stämmen
verbreitet und tritt uns, wie die übrigen Sagenstofife auch,
am frühesten in der angelsächsischen Überlieferung, dann
') Ich darf nicht mehr hofl'en, daß es mir noch vergönnt sein
wird, den lange gehegten Plan einer eingehenderen Bearbeitung der
Entwicklung der griechischen Sagendichtung und des Epos — mit der
Ausarbeitung habe ich vor Jahren einmal begonnen — noch auszu-
führen. So muß ich mich mit einer knappen Darlegung meiner Auf-
fassung begnügen, wie ich das seiner Zeit schon in der ersten Auf-
lage des zv^reiten Bandes getan habe.
^) Eine weitere sehr lehrreiche Parallele bietet die russische
Sagendichtung, in der die Gestalten des Gioßfüisten Wladimir und
des um ihn gescharten Kreises in ihren geschichtlichen Namen er-
halten sind, der ursprüngliche Inhalt aber ganz durch McärchenstofiFe
verdrängt ist (W. Woli.ner, Untersuchungen über die Volksepik der
Großrussen, 1879). Auch hier lebt die Tradition nicht an der Stätte
fort, wo sie entstanden ist, in der Ukraine, sondern weit davon ent-
fernt bei den Großrussen am Onec^asee.
Die Parallele der germanischen Sagendichtung 291
bei den Skandinaven auf Island und Grönland entgegen, wäh-
rend sie in Deutschland ihre abschließende Gestaltung in Öster-
reich erhält^). In derselben Weise haben die griechischen
Heldensagen, die bei den Achaeern des Festlandes entstanden
sind, ihre Ausgestaltung an der kleinasiatischen Küste zu-
nächst bei den Aeolern, dann bei den loniern erhalten und
sind erst von hier aus, als das Epos geschaffen war, durch
die Rhapsoden wieder ins Mutterland zurückgebracht worden.
Dieses Wanderleben der Sage ist für ihre Gestaltung
von entscheidender Bedeutung; erst dadurch, daß sie sich
loslöst von dem Boden, auf dem sie entstanden ist, ist die
Möglichkeit zu freier Entwicklung und schöpferischer Aus-
gestaltung durch die Dichtung gegeben. Sie ist nicht mehr
stofflich gebunden durch heimische Traditionen, weder ge-
schichtlich noch religiös^); sie wandelt sich in eine inter-
essante Erzählung aus der Vorzeit, in die der Sänger die
eigenen Anschauungen und Empfindungen seiner Umwelt
hineinlegen, die er immer reicher ausbilden und durch Hin-
einziehung anderer gleichartiger Stoffe erweitern und vertie-
fen kann. Dabei bleibt er aber immer gebunden an den Gang
der Sage, den Zusammenhang der Tradition, die allen Hörern
lebendig vor der Seele steht. In ihn muß, auch wenn der Sän-
ger Neues schafft, seine Darstellung wieder einmünden, so gut
wie er von ihm ausgeht; und so erscheint jedes Einzelgedicht,
so selbständig es sein mag, doch immer zugleich als ein Aus-
') Daneben steht bei den Sachsen die Lokalisierung in Soest.
-) \'öllig unhaltbar ist m. E. die weitverbreitete Ansicht, das Inter-
esse an den Sagen beruhe darauf, daß die Fürstengeschlechter ihre
Stammbäume auf die Heroen der Sage zurückführten und diese einen
geschichtlichen Kern enthielten. Vielmehr setzen alle diese Stamm-
bäume bereits die volle Entwicklung der epischen Sage voraus und
hüben geschichtlich nicht mehr Wert als die Ableitung der makedoni-
schen und epirotischen Könige und der römischen Adelsgeschlechter von
griechischen Heroen oder der Franken von Troja. Vollends der Hera-
klidenstammbauni ist ein armseliges Machwerk der genealogischen
Dichtung (Herod. VI 52), das den dorischen Herrscherhäusern durch die
Autorität der literarischen Überlieferung oktroyiert worden ist.
292 V. Das griechische Festland und die mykenische Kultur
schnitt aus dem Gesamtgebiet des ererbten Sagenstoffes (des
Kyklos).
In der Weiterentwicklung der Sagendichtung sind Ger-
manen und Griechen verschiedene Wege gegangen. Bei den
Skandinaven ist die Stufe des Epos nicht erreicht, sondern
hier entwickelt sich aus dem ursprünglichen, volkstümlichen
Heldenlied die Kunstdichtung der Skalden, welche den Sagen-
stoff nicht mehr erzählt, sondern als Substrat benutzt, seine
Kunst zu zeigen und zugleich eine einzelne Situation psycho-
logisch vertieft auszugestalten. Die Lieder der Edda sind
nichts weniger als Vorstufen des Epos; sie entsprechen nicht
den Dichtungen der homerischen Aoeden, sondern denen der
kitharodischen und chorischen Lyrik der Griechen, eines
Stesichoros, Simonides, Pindar, Bakchylides; die Ergänzung
bildet, wie dort die genealogischen Epen, so hier die syste-
matische Ordnung des gesamten Sagenstoffs in der Poetik
Snorris und in der Völsungasaga.
Deutschland dagegen hat allerdings ein Heldenepos ge-
schaffen. Aber hier ist es eine Neubildung unter der Ein-
wirkung der fremden, lateinischen und französischen Epik ;
und vor ihm liegt als benutzte Vorstufe eine lateinische Be-
arbeitung des Stoffes'). Wie wenig hier von einer organisch
zum Epos aufsteigenden Fortentwicklung die Rede sein
kann, zeigt am deutlichsten die Wahl eines lyrischen Me-
') Ich sehe nicht den mindesten Grund, die Zuverlässigkeit des
Berichts der Klage über das lateinische, von Konrad im Auftrage des
Bischofs Pilgrim von Passau (971—991) verfaßte Werk zu bezweifeln;
diese wird vielmehr durch die gewaltsame Hineinziehung desselben in
den Stoff (die in den epischen Liedern der Serben, Kirgisen u. a. viel-
fache Analogien hat) aufs beste bestätigt. Auch sonst scheint mir die
Auffassung der Vorgeschichte des Nibelungenliedes bei Roethe (Nibe-
lungias und Waltharius, Ber. Berl. Ak. 1906, 649 ff.) vielfach zutreffen-
der als die Heusler's (Nibelungensage und Nibelungenlied, 2. Aufl. 1923),
so tiefgreifende Förderung und Anregung wir diesem verdanken. —
Eine Analogie bietet auch die Schöpfung des iranischen Nationalepos
durch Firdusi (eines richtigen Kyklos)^ auf Grund der in Prosa ge-
schriebenen Sammlung des Sagenstoffs.
Die Entstehung des germanischen und des griechischen Ejios 293
trums, das an sich infolge seiner strophischen Gliederung
für eine epische Erzählung so ungeeignet ist wie nur mög-
lich. Da ist die griechische Entwicklung einen ganz anderen
Weg gegangen. Sie besitzt ein festes, seit Jahrhunderten
ausgebildetes Metrum, das eine Fülle feststehender Wen-
dungen, Beiworte und Sätze geschaffen hat, die immer wieder
stereotyp verwendet werden. Zugleich ist damit die Möglich-
keit gegeben, ältere Dichtungen wörtlich oder mit geringen
Änderungen in einen neuen Zusammenhang einzufügen. So
vollzieht sich hier der Fortschritt vom Einzelgedicht zum
großen Epos ohne Bruch, und andrerseits kann dies immer
wieder durch neue Einschiebungen erweitert werden. Auf
diese Weise ist aus dem Gedicht von der M-^vt? das große
Epos vom Kriege gegen Ilion, die 'IXiac, erwachsen, das eben
darum Vorgänge, die in Wirklichkeit in den Anfang des Krie-
ges gehören müßten — wie den Aussöhnungsversuch, die
Vorführung der wichtigsten Helden in der TsiyooxoTcia und der
'A'j-apLejJLVovo? £7ri7ra)XY]atc, die aptoTsia des Diomedes u. a. —
in den durch die Mf^v.? gegebenen Rahmen einfügt und da-
mit widersinnig ins 10. Jahr des Krieges versetzt^).
') Ein weiteres Eingehn auf die Geschichte des Epos gehört
nicht hierher. So bemerke ich nur ganz kurz, daß die Ilias der klassi-
schen Zeit (ebenso wie das ursprüngliche Gedicht von der Mvjvt;) mit
dem Tode Achills abschloß; die sog. AlO-töjiii; schloß unter der ge-
wöhnlichen Übergangsformel int; oc •(•' otii^pisJiov xätp ov "Ev.topoi; ' ■/)).)>£ 8'
'A|i.aCujv unmittelbar an Hektors Bestattung an. Die fortschreitende
ästhetische Kritik hat dann die Fortsetzung als Homers unwürdig ab-
geschnitten und untergehn lassen, so stark sie in den letzten Gesängen
der Ilias vorbereitet ist (ebenso wie von der Odyssee die Telegonie,
von Hesiods Theogonie die Kataloge, von der Erga die 'Opviö-ofxävcsia
abgeschnitten, aber die Ubergangsverse beibehalten sind). Die folgenden
Ereignisse, von dem Streit um die Wafl'en bis zur Zerstörung llions,
waren dann in einem zweiten Gedicht, der 'Dvioti; |xf/.pa, zusammenge-
faßt (s. Aristoteles poet. 23, womit Proklos' Inhaltsangabe überein-
stimmt), deren Prooemium uns erhalten ist; die vorhergehenden ebenso,
mit einem dem der Ilias nachgebildeten Prooemium, in den Kyprien.
Alle Gedichte des trojanischen wie des thebanischen Sagenkreises
gingen unter dem Namen des Homeros von Smyrna, bis auch hier
294 ^^- ^''''S griechische Festland uad die mykenische Kultur
Im Gegensatz zu diesem Auseinandergehn in der for-
malen Gestaltung tritt die Übereinstimmung auf stofflichem
Gebiet umso stärker hervor. Die geschichtlichen Stoffe, die
den Anstoß zur Bildung der germanischen Heldensage ge-
geben haben, sind entstanden in einem Zeitraum von knapp
zwei Jahrhunderten und sind sogleich in die volkstümliche
Tradition übergegangen: es sind die Ostgoten Ermanarich
(t gegen 375) und Vidigoia (Witige), von dessen Tod im
Theißgebiet durch die Sarmaten Priscus auf seiner Gesandt-
schaftsreise zu Attila durch gotische Lieder erfuhr^); der
Untergang der Burgunder von Worms durch die Hunnen
(435); Attilas Tod bei Nacht (453), den das Gerücht so-
gleich seiner neuen Gemahlin Ildiko zuschrieb, an deren Seite
er nach einem wüsten Gelage tot im Bett gefunden wurde,
während die offizielle Version im Klagelied bei der Leichen-
feier, dem Cantus funereus, den gewaltsamen Tod ausdrück-
lich bestritt^); sodann die Sagen von Theodorich (488 — 526)
die Kritik einsetzte. Die einzelnen Stücke (Rhapsodien) waren viel-
fach nur ganz locker miteinander verbunden (besonders drastisch ist
der Übergang von Ilias A zu B), so daß die Rhapsoden sie für ihre
Vorträge beliebig herausgreifen konnten; den allgemeinen Gang der
Sage kannte ja jedermann. In Athen ist dann für die Panathenaeen
der kontinuierliche Vortrag der gesamten Epen vorgeschrieben worden,
bei dem die einzelnen Rhapsoden sich ablösten. Darauf, und nicht
etwa auf einer pisistratidischen Redaktion, beruht es, daß an einigen
Stellen eine sekundäre Überarbeitung im athenischen Interesse den
älteren Text verdrängt hat, so vor allem in dem Abschnitt des Schiffs-
katalogs über Athen und Salamis. — Nebenbei bemerke ich noch,
daß die gegenwärtig weitverbreitete Strömung, welche im Vollgefühl
intuitiver Erkenntnis („synthetisches Schauen"!) auf alle ernste wissen-
schaftliche Arbeit mit Verachtung herabsieht, auch die Behauptung
erzeugt hat, der Schiffskatalog sei eins der ältesten und authentisch-
sten Stücke der Ilias — ebenso wie sie die Wohnsitze der Phaeaken
und Kyklopen richtig in Afrika entdeckt hat, und die Insel Atlantis
nicht minder. Gegen diesen Unfug, der, wenn es so weiter geht, den
Untergang aller Wissenschaft herbeiführen wird, kann garnicht ener-
gisch genug protestiert werden.
') Jordanis Get. 43. 178 (aus Ablabius).
^) Priscus bei Jordanis Get. 254 ff. Daneben bewahrt die Sage
Die Stoffe der germanischen Heldensage 295
und vom Untergang des Thüringerreichs unter Hermina-
frid durch die Sachsen und die Franken unter Theuderich IL
(Hugdietrich) und den Verrat des Iring im Jahre 531; dazu
kommt noch die Sage von Walther von Aquitanien und seinem
Kampf am Wasgenstein, deren geschichtliche Wurzel uns nicht
mehr faßbar ist. Geschichtliche Sagen hat auch die Folgezeit
in Fülle erzeugt, und an Karl d. Gr. hat sich in Frankreich
noch einmal ein ganzer Sagenkreis, freilich von sehr ande-
rem Charakter, angeschlossen; die germanische Heldensage
dagegen entstammt ausschließlich der Völkervvanderungszeit
und hat deren Denkweise und Charakter bewahrt. Dabei ist
jedoch stark zu betonen, daß es keineswegs besonders wich-
tige oder gar die bedeutsamsten Ereignisse der Epoche sind,
die in der Sage festgehalten werden; vielmehr weiß sie nichts
von den Kämpfen mit Rom, der Invasion der römischen Pro-
vinzen und überhaupt vom Römerreich oder etwa von der
Schlacht auf den Katalaunischen Feldern. Das große Hunnen-
reich Attilas hat sie festgehalten ; aber von Theodorich kennt
sie nur den Kampf mit Odoaker (später durch Hermanarich
ersetzt) und macht ihn und seine Gefolgsleute (Hildebrand)
zu schutzsuchenden Flüchthngen am Hofe Attilas. Auch der
Untergang des kurzlebigen Burgunderreichs von Worms (413
bis 435) durch Aetius und die Hunnen (von der Sage durch
Attila ersetzt) war nur eine Episode ohne große Bedeutung; von
der Ansiedlung des Volks in Savoyen (443 durch Aetius) und
dem großen Burgunderreich der Folgezeit weiß sie nichts. Das
Volk ist ihr gleichgültig: sie hat, wie es der Sage geziemt, nur
Interesse für das Schicksal der Könige, deren Namen sie treu
bewahrt, die sie aber zu Brüdern macht und in der Burg
Attilas, der sie um ihres Schatzes willen zu sich lockt, um-
kommen läßt. Damit wird die Sage von Attilas Ermordung
verbunden; Ildiko (Grimhild) wird zu ihrer Schwester und
vollzieht für sie die Rache. Zu einem großen Sagenkreis und
den Namen seiner Hauptgemahlin Kreka (so bei Priscus; deutsch
Helche. in der Edda Herkja) und ebenso den seines (in Wirklichkeit
von ihm ermordeten) Bruders und Mitregenten Bleda.
296 ^- ^^^ griechische Festland und die mykenische Kultur
damit zu vollem inneren Leben dagegen erwächst die Sage
durch die auf fränkischem Boden alsbald, spätestens etwa im
6. Jahrhundert, vollzogene Verbindung mit der dem Gebiet
des Mythus entstammenden Sage von Siegfried und Brunhild
nebst dem Nibelungenhort im Rhein und der Gestalt Hagens.
Die beiden Sagen werden aufs engste miteinander verschmol-
zen: der Burgunderkönig Günther wird zum Gemahl Brunhilds,
seine Schwester Kriemhild, gegen alle naturwüchsige Sagen-
anschauung, zur Witwe Siegfrieds, der Schatz, den Attila
erbeuten will, zum Nibelungenhort, der Nibelungenname auf
die Burgunderkönige übertragen, Hagen auch in ihre Kata-
strophe als ihr Bruder oder Gefolgsmann eingeführt. Wie
der innere Widersi3ruch, der so in die Sage gekommen ist,
zu der gewaltigen Umgestaltung und Vertiefung der älteren
Überlieferung in der deutschen Weiterbildung des SagenstofiFs
geführt hat — wohl der großartigsten Schöpfung der ge-
samten Sagendichtung der Weltliteratur — , haben wir hier
nicht zu verfolgen; und ebenso bedarf es nur eines kurzen
Hinweises darauf, wie die Sage immer wieder Aveitere Stoffe
in ihren Bereich hineinzieht, z. B. in der deutschen Fortbildung
die Helden aus anderen Sagenkreisen, die so zu einem großen
Ganzen zusammenwachsen, vor allem Theodorich (Dietrich
von Bern), aber auch Walther von Aquitanien und Iring von
Thüringen, die ebenso wie jener und wie auch Hagen an
Attilas Hof versetzt werden. Dazu treten dann noch Gestalten
aus der Gegenwart, wie der Markgraf von Bechelaren und
schließlich die sächsischen Markgi-afen Gero (f 963) und Ecke-
wart (t 1002), sowie der Bischof Pilgrim von Passau (971
bis 991).
Der Trojanische Krieg
Den Stoff der griechischen Heldensagen bilden die Sagen
vom Kampf um Theben und vom Krieg gegen Troja ')• Die
') Daneben stehn, neben kleineren, isoliert dastehenden Stoffen,
wie der Sage von Meleager oder vom Kampf der Lapithen und Ken-
tauren, die beiden großen Sagenkreise von den Argonauten und von
Entwicklung der Nibelungensage und der troischen Sage 297
ältesten Stücke, die in die Ilias Aufnahme gefunden haben,
ragen jedenfalls bis ins 9., wenn nicht ins 10. Jahrhundert
hinauf — und bei den thebanischen Epen wird es ebenso
liegen — ; der Abschluß reicht bis ins 7. und 6. Jahrhundert
hinab.
Auch hier sehn wir, wie der Sagenstoff immer mehr
anschwillt und immer neue Gestalten in den älteren Kreis
hineingezogen werden, teils freie Schöpfungen der Dichtung,
wie wahrscheinlich Hektor, Aias u. a., teils ursprünglich völlig
selbständig dastehende Heroen, wie Odysseus u. a. Die Ge-
stalten der thebanischen Sage werden auch in den troischen
Krieg eingeführt, Herakles mit ihm verknüpft, allmählich
nahezu alle Völkerschaften, die der Sänger kennt, griechische
wie thrakische und asiatische, an ihm beteiligt. Manche
Figuren mögen auch einer wesentlich jüngeren Zeit ange-
hören und geschichtlichen Ursprungs sein, so wenig wir das
im einzelnen nachweisen können.
Dahinter liegt dann die Urgestalt der Sage. Auch sie ist
in beiden Fällen, wie in der Nibelungensage, geschaffen durch
die Umgestaltung eines geschichthchen Hergangs in der Ver-
knüpfung mit einem Mythos; erst dadurch erhält sie ihr in-
neres Leben und die Fähigkeit zu einer weiteren Entwicklung.
Bei der thebanischen Sage, die oben schon kurz besprochen
ist, läßt sich das Wesen dieses Mythus nicht genauer erken-
nen; bei der troischen ist es die Erzählung, daß die große
Göttin Helena (vgl. S. 197). die in Therapne bei Sparta ihren
Kult hat, von einem Räuber entführt und von einem Brüder-
paar befreit und zurückgebracht wird. Diese Sage ist uns in
zwei parallelen Fassungen überliefert. Das eine Mal ist der
Räuber Theseus, die Retter sind ihre Brüder, die Tyndariden
Herakles. Aus ihnen haben die Sänger in der Blütezeit des Epos offen-
bar bei ihren Vorträgen ebensooft geschöpft wie aus den Sagen von
Theben und von Ilion; aber zu selbständigen Epen sind sie nicht er-
wachsen und daher später verschollen. Stofflich unterscheiden sie sich
von den beiden anderen dadurch, daß sie ihrem Ursprung nach aus-
schließlich dem Mythus angehören.
298 ^- Das griechische Festland und die mykenische Kultui-
(Dioskuren), die großen Nothelfer, die immer die Haupt-
götter von Sparta geblieben sind. In der anderen Fassung
ist der Räuber Alexandros^), die Ketter das Brüderpaar Aga-
memnon und Menelaos. Auch sie werden später — oder viel-
leicht schon seit Urzeiten') — in Sparta als Götter verehrt,
sowohl Zeus Agamemnon (in Lapersai), wie vor allem Mene-
laos, der Gemahl der Helena, der dann, als er zum Heros
geworden ist, mit Helena zusammen von Zeus mit der Un-
sterblichkeit beschenkt und ins Eljsion entrückt wird.
Diese lakonische Sage ist nun mit der Erzählung vom
Kriegszug eines Königs von Mykene gegen Troja verschmolzen.
Helena, nebst dem Schatz ihres Gemahls Menelaos, wird von
dem Trojaner Paris geraubt, der mit Alexandros identifiziert
wird — in der Doppelnamigkeit liegt die Kontamination
noch deutlich vor — , ihr Schwager Agamemnon, der den
Zug zu ihrer Befreiung führt, ist König von Mykene, der
weithin über Griechenland gebietet.
') Daneben steht in Amyklae eine Göttin Alexandra, die dann
von den Mythographen mit Kassandra identifiziert wird.
^) Eine sichere Entscheidung ist kaum möglich. Aber sehr zu
beachten ist, daß nicht nur Menelaos immer in Sparta ansässig ist,
sondern neben der Lokalisierung Agamemnons in Mykene immer die in
Lakonien steht. Im Iota der Ilias gehört ihm Lakonien und Messenien,
in Proteus' Erzählung an Menelaos Od. 5 514 will Agamemnon auf
der Heimkehr Malea umfahren, also ofifenbar nach Amyklae; aber ein
Sturm verschlägt ihn ä-j^ob irc' £oxatfr]v zu Aigisthos (der nach y 263
ftuxü> "ApYJo? liTTcc-ßotoio lebt). Dazu stimmt, daß Pindar Pyth. 11, 32
ebenso wie Stesichoros fr. 39 und Simonides fr. 207 (bei schol. Eurip.
Orest. 46) Agamemnon in Amyklae residieren lassen. Wie vollständig
später die Spartaner sowohl Agamemnon wie Orestes für sich in An-
spruch genommen haben, ist bekannt (vgl. Pindar Pyth. 11, 16 Aaxwv
'Opsata;; Nem. 11, 34 führt Orestes die Aeoler aus Amyklae nach
Tenedos). Zeus Agamemnon in Lapersai: Staj^hylos bei Clem. AI. protr. 2,
38. Lykophron 1124. 169 ff. — Den Raub der Helena durch Theseus
und ihre Befreiung durch ihre Brüder, die dabei auch Theseus' Mutter
Aithra als Sklavin mitnehmen [vgl. die Kypseloslade bei Pausan. V 19, 3),
kennt auch die Ilias F 144, vermutlich auf Grund der Kyprien, die
auch F 236 ff. zugrunde liegen.
Helena, Agamemnon, Menelaos. Achilleus 299
Dazu ist aber noch ein zweiter Mythus getreten, der
von dem Heldenjüngling Achilleus, dem Sohn der Meer-
Igöttin Thetis, dem vom Geschick nach herrlichen Taten ein
früher Tod bestimmt ist. Diese Sage stammt aus Thessalien
und ist, wie so vieles thessalische Gut (so auch der Götter-
berg Olympos, die Kentauren, die Argonautensage u. a.), von
den Aeolern mit der troischen Sage verschmolzen worden, als
bei ihnen der Heldengesang zu reicher Entwicklung gelangte.
Daher werden dem Achilleus vor allem Kämpfe in den Ge-
bieten zugeschrieben, in denen sie sich angesiedelt haben
oder festzusetzen suchten, auf Lesbos (von wo die Gestalt
der Briseis stammt), auf Tenedos ^), gegen Teuthranien und
gegen die Ebene von Thebe am Adramyttischen Golf. Das
ist die erste große Erweiterung der Sage ; durch sie werden
die nordgriechischen Stämme in den Kampf hineingezogen.
Das hat zur Folge, daß der Hafen von Aulis im innersten
Euripos, der den Aeolern als Ausgangspunkt ihrer Kolonisa-
tion gilt, nun auch, widersinnig genug, der Sammelplatz der
Flotte Agamemnons geworden ist.
Streichen wir diese mythischen Elemente und die dann
hinzugekommenen Erweiterungen hinweg, so bleibt als Kern
der Heerzug eines mächtigen Königs von Mykene gegen die
Stadt in der Skamanderebene unfern des Hellesponts. Dieser
Kern muß geschichtlichen Ursprungs sein so gut wie der
Kern der Burgundersage; den geschichthchen Hergang zu
rekonstruieren, ist freilich hier ebensowenig möglich, wie es
bei dieser möglich sein würde, wenn wir nicht die gleich-
zeitige historische Überlieferung besäßen. Immerhin läßt sich
jedoch wenigstens einiges erkennen. Daß Seezüge von My-
kene nach Asien vorgekommen sind, beweist die oben be-
sprochene Silbervase aus dem vierten Schachtgrabe, so wenig
auch Anlaß ist, diese etwa auf den Krieg gegen Troja zu
*) Hier erschlägt er den Riesen Kj^knos, der nach der älteren, in
Hesiods Aspis erhaltenen Sage bei Pagasae in Thessalien von Herakles
bezwungen wird. Später ist dann auch noch sein Sohn Tennes, der
Eponymos der Insel, hinzugefügt.
300 V. Das griechische Festland und die mykenische Kultur
deuten. Andrerseits ist Troja in dieser Epoche eine an-
sehnliche Königsburg, deren mächtige, aus regelrecht be-
hauenen Quadern aufgeführte Ringmauer eine größere Zahl
von Steinhäusern der gleichen Bauart umschließt; und in
dieser Stadt haben sich, neben einheimischer Keramik. Scher-
ben raykenischer Gefäße in großer Zahl gefunden. Dadurch
ist die Zeit, 14. und 13. Jahrhundert, festgelegt und zugleich
ein lebhafter Handelsverkehr mit dem Reich von Mykene er-
wiesen. Bei dem regen Export mykenischer Waren, der durch
die weite Verbreitung ihrer Keramik bezeugt wird, ist es be-
greiflich, daß hier Handelsinteressen auch für die Politik
maßgebende Bedeutung gewannen; denn daß der Expansions-
trieb und das Streben nach Beute gerade zu einem Zuge
nach Troja geführt hat, kann nur aus dem Streben hervor-
gegangen sein, sich der großen Seestraße nach dem Schwarzen
Meer zu bemächtigen. Daß die Sage von diesen Zusammen-
hängen nichts mehr weiß und sie durch das mythische Motiv
des Frauenraubes ersetzt, ist nur natürlich. Zu einer Fest-
setzung der Griechen in der troischen Landschaft ist es aller-
dings nicht gekommen ; aber die Stadt ist, wie die Ruinen
in Übereinstimmung mit der Sage zeigen, zerstört und nieder-
gebrannt worden und lag seitdem in Trümmern, bis Thraker
und Kimmerier und dann weit später die Aeoler von Lesbos
sich hier festsetzten^).
Das Volk, das die Achaeer bekämpfen, führt den Namen
Troer, die Stadt heißt Ilios (Vilios)-'), die Burg führt mehr-
') Über Topographie und Ruinen vgl. Bd. 1491. Daß die troische
Sage nicht ein Reflex der aeolischen Besiedlung ist, die erst im 8. Jahr-
hundert beginnt, ist jetzt wohl allgemein anerkannt. Ganz unberechtigt
ist die Behauptung, die Sage habe ursprünglich nur einen Krieg gegen
Ilion, aber nicht die Eroberung erzählt, die daher erst spätere Erfindung
sei, weil unsere Ilias natürlich nur von Kämpfen vor der Eroberung
handelt. Aber sie setzt diese überall voraus, und die 'IXiou jiep3t(; enthält
mindestens stofflich manche Szenen, die weit älter sind als die Myjvc?.
*) Das später herrschend gewordene Neutrum Ilion findet sich bei
Homer nur ganz vereinzelt. Daneben ist aus dem "Volksnamen der Stadt-
name Tpoi-fi gebildet.
Geschichtlicher Kern der troischen Sage 301
fach den Sondernamen Pergamos. Diese Namen werden ein-
heimisch sein, so gut wie die der Flüsse Skamandros und
Simoeis. Die Troer sind ein kleinasiatischer Volksstamm. Da-
neben erscheint nicht selten der Volksname Dardaner, der sich
in dem Namen der Stadt Dardanos am Hellespont, unweit von
Ilion, erhalten hat, aber zugleich bei einem thrakischen Volk
oberhalb Makedoniens wiederkehrt; ob sich darin eine Ein-
wirkung von Wanderungen und Völkermischungen erhalten
hat, läßt sich nicht entscheiden, und ebensowenig, ob sie mit
den Dardani identisch sind, die Ramses IL unter den Völker-
schaften im Chetiterheer nennt. In weit späterer Zeit, seit
dem 7. Jahrhundert^), ist dann noch der Name Teukrer hin-
zugekommen; das ist offenbar ein bei den großen Völkerver-
schiebungen der Folgezeit eingedrungener Stamm, der die alte
Bevölkerung aufgesogen und sich im Binnenlande (Gergis) bis
in die Perserzeit erhalten hat'-).
Geschichtlich, oder mindestens kleinasiatischen Ursprungs,
sind auch die Namen Priamos und Paris. Daß auch unter
den Namen auf griechischer Seite einzelne, wie z. B. Atreus
von Mykene, geschichtlich sind, ist möglich; die meisten sind
jedoch entweder mythischen Ursprungs oder freie Schöpfungen
der Dichter.
Eng verbunden mit den Troern erscheinen die Lykier.
Ein lykischer Heros Sarpedon spielt in der Ilias eine Haupt-
rolle^), der Bogenschütze Pandaros, der in Pinara in Lykien
seinen Kult hat'), wird mit dem Namen der Landschaft und
ihrem Gotte Apollon XdxtjYsvyjs in den Norden der Troas
nach Zeleia versetzt, der Name des lykischen Flusses Xan-
thos auf den Skamander übertragen. Das kann nicht erst
eine Neuerung der ionischen Schicht sein, etwa ein Reflex
von Kämpfen zwischen loniern und Lykiern, von denen wir
') Kallinos bei Strabo XIII 1, 48.
^) Wie ein Bruder des Aias zu dem Namen Teukros gekommen
ist, bleibt völlig dunkel.
^) Vgl. WiLAMowiTZ, Die Ilias und Homer 13-5 f.
*) Strabo XIV 3, 5.
302 ^ ■ Das griechische Festland und die mykenische Kultur
sonst nichts wissen, sondern muß bereits einer weit älteren
Sagengestaltung angehören. Etwas mehr Licht fällt darauf,
seit wir einige Kunde von den lykischen Stämmen im südlichen
Kleinasien erhalten haben (den Lugga, s. u. Abschnitt XII), die
weithin Seeraub trieben. So mag es auch in mykenischer Zeit
schon mehrfach zu Zusammenstößen zwischen ihnen und den
Achaeern gekommen sein, als diese sich im Süden Kleinasiens
festzusetzen suchten. Ihre Hineinziehung in den troischen
Krieg wäre dann die übliche Sagenkontamination; nicht un-
denkbar ist es freilich auch, daß sie wirklich an diesem Kriege
teilgenommen, ja daß sie sich in der Tat hier in Zeleia fest-
gesetzt haben.
Mit diesen wenigen Ergebnissen müssen wir uns be-
gnügen; so unzulänglich sie sind, so tragen sie doch dazu
bei, das Bild zu beleben, das wir von den Zuständen und
Vorgängen der mykenischen Epoche gewinnen können^).
') Über das angebliche Vorkommen von Troja in einem chetiti-
schen Text s. u. Abschnitt XII. — Ganz haltlos ist der Einfall von
Kretschmer, Glotta Xin 1924, 205 ff., die Sagengestalt des Alexandros
von Vilios sei aus dem Dynasten Alaksandus von üilusa entstanden,
dessen Gebiet in die Arzawalandschaften im rauhen Kilikien und des-
sen Nachbarschaft gehört und der mit dem Chetiterkönig Muwattal
(ca. 1320—1288) einen Vertrag schließt (u. S. 442, 1); diesen selbst hat er
mit einem sonst unbekannten Motylos identifiziert, der nach einer Notiz
bei Steph. Byz. SafAuXc-x diese angebliche k;irische Stadt gegründet und
Helena und Paris aufgenommen haben soll — in Wirklichkeit eine sonst
nie erwähnte ganz sekundäre Weiterspinnung ihrer Abenteuer, über
deren Quelle wir nicht das mindeste wissen.
VI. Kultur und Religion Ägyptens unter der
achtzehnten Dynastie
Gestaltung der Kultur. Gräber und Totentempel
Neben der jugendlich kecken, rasch prächtig aufblühenden
und dann ebenso rasch verwelkenden kretischen Kultur steht
als ihr diametraler Gegensatz die ägyptische. Eine gefestete
Tradition, die sich im Verlauf von nunmehr bereits anderthalb
Jahrtausenden kontinuierlich ausgebildet hat, beherrscht das
gesamte Leben des Ägypters und gestaltet die Anschauungen
und Formen, in denen sich sein Denken und Empfinden be-
wegt. Auch der Neubau des Reichs, so einschneidend er die
Organisation des Staats umwandelt, erstrebt doch nur eine den
völlig geänderten politischen und militärischen Bedingungen
entsprechende Wiederherstellung der glänzenden Epochen der
Vorzeit, da durch Befolgung der von den Göttern gesetzten
Ordnungen das Gedeihen des Reichs gesichert war. Stellung
und Titulatur des Pharao bleiben unverändert; auch die alten
Amtstitel werden so weit wie möglich beibehalten, selbst die
Fiktion, daß das durch die Vereinigung der beiden Lande
geschaffene Doppelreich unverändert weiterbestehe, wird fort-
geschleppt, so wenig die Wirklichkeit damit übereinstimmt.
Daß jetzt Amon, der Gott der neuen Hauptstadt, im offi-
ziellen Pantheon an die Spitze der Götterwelt tritt und als
diejenige Erscheinungsform des Weltenherrschers Re' gilt, in
der dieser das Reich beschirmt und dem von ihm gezeugten
König eine noch größere Macht gewährt als allen seinen Vor-
gängern, ist lediglich die Konsequenz aus den religiösen An-
schauungen, die seit dem Mittleren Reich in der Theologie
und bei allen in ihre Geheimnisse Eingeweihten zu voller
Herrschaft gelangt sind.
304 VI. Kultur und Religion Ägyptens unter der achtzehnten Dynastie
Die ersten Könige der achtzehnten Dynastie hatten vollauf
zu tun mit der Durchführung der Organisation, der Ausglei-
chung der in den langen Wirren über das Land ergangenen
Verheerung, der Wiederherstellung der Tempel und des Kultus.
Was von Skulpturen aus ihrer Zeit erhalten ist — viel ist
es nicht — , bewegt sich zunächst durchaus in den im Mitt-
leren Reich herrschenden Formen, ebenso wie ihre Inschriften
die überkommene, klassisch gewordene Sprache festhalten.
Allmählich aber führt der Wiederaufstieg zu einem Fort-
schreiten, neue Anschauungen und Formen beginnen hervor-
zutreten. Eine erste Abweichung von den alten Traditionen
zeigt sich unter Thutmosis I. in der Verlegung des Königs-
grabes aus der alten, von den ersten Königen noch beibe-
haltenen Nekropole am Fuß der westlichen Berge (bei Drah-
abulnegga) in die Felswand eines der Welt entrückten Wüsten-
tales tief im Gebirge (s. o. S. 76) und die dadurch bedingte
Trennung des Totentempels vom Grabe.
Dieser Schritt ist für die Entwicklung der ägyptischen
Architektur von weittragender Wirkung gewesen. Die Ziegel-
pyramide, die sich noch Amenophis I. als Grabstätte in Drah-
abulnegga errichtet hat und die sich bei bescheidenen Privat-
gräbern noch lange erhält, wird von den hohen Beamten wie
von den Königen aufgegeben 0; da die Ägypter eine Idee, die
sich einmal durchgesetzt hat, niemals wirklich abstoßen können,
auch wenn sie tatsächlich völlig veraltet ist, hilft man sich da-
durch, daß man ins Grab eine kleine Pyramide aus Stein setzt,
an deren Seitenfläche der Tote dargestellt ist, wie er zur auf-
gehenden Sonne betet. In den großen Grabbauten aber tritt
an ihre Stelle das bei den Gaufürsten schon seit der Entwick-
lung ihrer selbständigen Stellung unter der fünften Dynastie
herrschend gewordene Felsengrab. Bei den Magnaten besteht
es in der Regel aus einer Vorhalle und einem langen, senkrecht
1) Die ältesten CTräber in der Liste des von Gardiner und Weigall
herausgegebenen Catalogue of the private Tombs of Thebes stammen
aus der Zeit Thutmosis' I. Das Felsengrab scheint also bei Königen
und Beamten gleichzeitig aufgekommen zu sein.
Felsengräber der Magnaten und der Könige 305
dazu verlaufenden Gange, der zur Sargkammer führt; weitere
Kammern können hinzutreten. Beim Königsgrab entwickelt
sich das gleiche Grundschema von Regierung zu Regierung zu
immer größeren Dimensionen, mit mehreren Hallen und Sei-
tenkammern; Treppen führen hinab, tiefe Schachte sperren
dem Eindringenden den Weg. Der gesamte Plan ist in allen
Einzelheiten vorher entworfen; Anlage und Ausführung zei-
gen, wie die Beherrschung der Technik vom Grabe Thut-
mosis' I. bis zu dem Amenophis' IL und III. ständig sicherer
wird und die Aufgabe immer größer gestellt werden kann. Die
Wände, und ebenso der gewaltige Sarkophag aus nubischem
Sandstein — unter der neunzehnten Dynastie tritt Granit von
Assuan an seine Stelle — sind mit Inschriften und Bildern
bedeckt, die neben zahlreichen anderen Szenen aus dem jen-
seitigen Leben des Königs im Reich des Osiris und des Re
nebst den zugehörigen Zauberformeln vor allem seine Fahrt
durch das Nachtreich der Unterwelt im Sonnenschiff darstel-
len, vorbei an all den Schreckgespenstern und Ungeheuern,
die ihn bedrohen, aber ihm nichts antun können. In den
Privatgräbern überwiegen durchaus die, meist auf Stuckbe-
wurf gemalten, seltener gemeißelten Szenen aus dem irdischen
Leben, teils, wie im Alten und Mittleren Reich, das Leben
und Treiben in Haus und Hof, in Garten und Feld, auf der
Jagd und beim Fischfang, mit den Scharen der Handwerker
und des Gesindes, daneben aber auch in großer Ausführlich-
keit seine Taten im Dienste des Königs, die Verwaltung
seiner Ämter, die Vorführung der Abgaben aus Ägypten, der
Gesandtschaften und Tribute der Fremdvölker, die Aushebung
der Rekruten, die Teilnahme an den Kriegszügen.
In den Königsgräbern ist für solche Szenen kein Platz;
sie gehören in die für den Totenkult errichteten Tempel am
Fuß der Gebirgslandschaft. Auch diese Tempel haben ihren
ursprünglichen Charakter geändert; mit dem Totendienst ist
der Kult des Amon und der Hathor, der Beschirmerin der
Nekropole, verbunden, der Pharao, der im Tod, wie die offi-
zielle Formel lautet, „aufsteigt zum Himmel und sich vereint
Meyer, Geschichte des Altertnras. 11'. 20
306 ^^- Kultur und Religion Ägyptens unter der achtzehnten Dynastie
mit der Soniienscheibe", lebt hier fort in vertrautem Verkehr
mit der Gottheit, die ihn im Mutterleibe erzeugt hat.
Alle anderen Totentempel der achtzehnten Dynastie sind
bis auf ganz dürftige Überreste verschwunden; erhalten ist
lediglich, dank seiner vom Kulturboden weit entfernten Lage
unmittelbar am Fuß des Gebirgs, der Tempel der Hatsepsut
(o. S. 116)^). In dieser genialen Schöpfung ihres Ministers
Senmut tritt uns gleich zu Anfang der Geist der neuen Zeit
ganz lebendig entgegen. Er liegt neben dem in Terrassen
aufsteigenden Grabtempel Mentuhoteps' III. und IV., der größ-
ten Schöpfung der elften Dynastie (Bd. I 277); in ihm sind
auf der untersten Terrasse Baumalleen gepflanzt, auf der
obersten liegt die von einer Pfeilerhalle umgebene Pyramide,
dahinter der Hof, der zu den Grabkammern im Felsen führt.
Diese Anlage hat offenbar auf den Bau Hatsepsuts einge-
wirkt; aber ganz anders als dort fügt er sich in die Land-
schaft ein und verwächst mit der sich senkrecht hinter ihm
auftürmenden Felswand wie sonst nirgends zu einer gran-
diosen Einheit. Ein von Sphinxen eingefaßter Weg führt zum
ersten, mit Palmen und Weinstöcken bepflanzten Hof. Aus
diesem führt eine Rampe zur ersten Terrasse, auf der die
von der Expedition nach Punt mitge])rachten Weihrauch-
bäume ihren Platz gefunden haben. Die Terrassen sollen über-
haupt die stufenförmig aufsteigende Landschaft der „Treppe
von Punt" nachbilden. Auf der oberen Terrasse lagen dann,
um einen geräumigen Binnenhof gelagert, die Räume für
den Totenkult und die zum Teil in den Felsen getriebenen
und überwölbten Kapellen der Götter. Alle Wände, die die
Höfe und Terrassen einfassen, sind mit Säulenhallen um-
rahmt, auch die große Stützmauer an der nach außen
liegenden Südseite der unteren Terrasse ist mit Pilastern ge-
') Natürlich war auch er zerfallen und verschüttet; dann haben
koptische Mönche darauf das Kloster Der el Bahri gebaut und die
Skulpturen aufs ärgste zerstört. Aber die Fundamente sind überall
erhalten, und so läßt er sich im wesentlichen vollständig rekonstruieren.
Totentempel der fjatsepsut 307
schmückt, die mit Falken und Schlangen, den Symbolen der
Schutzgottheiten der beiden Reiche, gekrönt sind. Als Säulen
sind durchweg nur sechzehn- oder achtkantige Pfeiler ver-
wendet, auf deren Abakus, einem einfachen Würfel, der
Architrav ruht; diese schlichte und eben darum umso vor-
nehmer wirkende Form, die mit feinem Kunstgefühl gewählt
ist, steigert noch den harmonischen Eindruck der gesamten
Anlage, die sich überdies von fast allen anderen ägyptischen
Bauwerken auch dadurch unterscheidet, daß sie von außen voll
übersehbar ist und daher dem Beschauer die Einheitlichkeit
des künstlerischen Gedankens sofort lebendig entgegentritt.
Alle Wände sind geschmückt mit Reliefs, die in ihrer
sauberen, lebensvoll bewegten Ausführung zeigen, daß die
im Mittleren Reich erreichte Höhe wieder gewonnen und
überboten ist. Neben dem Verkehr des weiblichen Pharao
mit den Göttern, der Darstellung ihrer übernatürlichen Er-
zeugung und Geburt, ihrer Aufziehung durch die Göttinnen
nehmen die Großtaten ihrer Regierung einen breiten Raum
ein, außer der Aufrichtung der Riesenobelisken im Tempel von
Karnak (o. S. 115) vor allem die Expedition nach Punt. Kein
Zweifel, daß sie. unter Führung ihres Günstlings, den Bau oft
besucht, sich an seinem Fortschreiten erfreut und sich, mit
denselben Gefühlen wie die Magnaten des Alten Reichs und
die ihres eigenen Hofes bei Besichtigung ihrer Gräber, aus-
gemalt haben wird, wie sie dereinst als Geist an diesen
Stätten wandeln und im Beschauen dieser Szenen die Freu-
den ihres irdischen Daseins immer von neuem genießen wird.
Vor dem Tempel hat sie sich am Eingang des Tales einen
Palast erbaut, der, wie alle diese Bauten aus Lehmziegeln und
Holz, bis auf geringe Spuren verschwunden ist.
Die Göttertempel der achtzehnten Dynastie.
Schlachtengemälde. Einwirkung der kretischen Kunst
Neben die Grabbauten treten jetzt in ganz anderer Weise
als früher die Tempel der Götter. Kapellen, in denen die
308 ^I- Kultur und Religion Ägyptens unter der achtzehnten Dynastie
Götterbilder und der zum Kultus gehörende Apparat bewahrt
wurde, hat es in Ägypten zu allen Zeiten gegeben; aber
größere Tempelbauten, in denen zugleich eine klar erfaßte
religiöse Idee zum Ausdruck gelangt, hat das alte Ägypten
nur ein einziges Mal geschaffen, in den Sonnenheiligtümern
der fünften Dynastie. Sonst sind uns, in bezeichnendem
Gegensatz zu den Totentempeln der Pyramiden, Göttertempel
aus dem Alten Reich überhaupt nicht, aus dem Mittleren
nur in dürftigen Resten erhalten. Die Formen und Zere-
monien des Kultus waren längst voll entwickelt, und ebenso
die Grundformen der Architektur; aber zu Monumentalbauten
großen Stils für den Dienst der Götter hat diese ganze Zeit,
die anderthalb Jahrtausende umfaßt, nur ein einziges Mal
das Bedürfnis empfunden, in dem Jahrhundert der fünften
Dynastie, die auch dadurch eine Sonderstellung einnimmt
und einen ersten Höhepunkt in der geistigen Entwicklung
Ägyptens bezeichnet, auf dem sich die folgende Zeit der
Zersetzung nicht mehr zu halten vermochte. Auch der Amon-
tempel der zwölften Dynastie in Karnak, von dessen Grundriß
einige Reste erhalten sind, war ein bescheidener Bau von
40 Metern im Quadrat, und nicht viel anders werden der
Ptahtempel von Memphis und auch der Sethtempel der Hyksos
in Auaris und die übrigen ausgesehn haben.
Jetzt aber gelangen die religiösen Gedanken, welche
unter der fünften Dynastie hervorgetreten waren, zu voller
Verwirklichung. Die äußeren Erfolge haben die Religiosität
mächtig gesteigert; und zugleich gewähren sie in reichstem
Maße die Mittel, ihre Forderungen zu erfüllen. Immer dringen-
der empfindet man die Verpflichtung, den Göttern den Dank
abzustatten und ihnen vollen Anteil an allem zu gewähren,
was sie dem Pharao so überschwenglich beschert haben.
Der Löwenanteil fällt natürlich dem Amon von Theben
zu. Schon Amosis und Amenophis I. haben wie anderswo
so auch in Karnak an den Tempeln gebaut; aber die neue
Wendung beginnt doch erst mit Thutmosis I. Er hat vor
dem alten Tempel des Amon in Karnak, der dann unter den
Die Tempel der achtzehnten Dynastie. Karnak 309
Neubauten so gut wie völlig verschwunden ist, hinterein-
ander zwei große Pylone und vor ihnen zwei mächtige Obe-
lisken errichtet, die dann von Hatsepsut noch überboten
wurden (o. S. 115). Deren Obelisken wurden dann wieder
von Thutmosis III. in ein Portal eingemauert und so den
Blicken völlig entzogen; dafür stellte er zwei neue Obelisken
vor die seines Vaters. Auch die inneren Räume hat er stark
umgestaltet, vor allem durch Einbau eines Saales, an dessen
Wänden er seine Annalen bis zum 42. Jahr seiner Regierung
aufzeichnen ließ'). Hinter dem alten Tempel erbaute er einen
großen Festsaal, dessen Dach an den Seiten von vierecki-
gen Pfeilern und im Mittelschiff von Nachbildungen von Zelt-
stangen getragen wird — eine wenig ansprechende Säulen-
form, die hier an Stelle der sonst üblichen Papyrussäulen
tritt und später nie wieder verwendet wird. Ringsum liegen
zahlreiche Kammern und Kapellen, deren Statuen und Reliefs
neben den Göttern und in engem Verkehr mit ihnen den
König darstellen und einmal auch seiner Vorgänger auf dem
Thron gedenken, von denen die sog. Königstafel von Karnak
eine Auswahl zusammenstellt.
Überhaupt dienen die Tempelbauten ebensosehr der Ver-
herrlichung des Königs wie der des großen Gottes und der
diesem als Gehilfen untergeordneten Gottheiten. Oder viel-
mehr, beides bildet hier wie in den Totentempeln eine un-
trennbare Einheit: der Gott und der Pharao, der lebende und
der zum Himmel emporgestiegene, sind so eng ineinander
verwachsen, daß die Großtaten des Königs, wie sie seine Er-
wählung durch den Gott erweisen, so auch dessen Allmacht
verkünden. So hat denn auch Thutmosis III. den Tempel mit
langen Listen der von ihm besiegten Völker und Ortschaften
geschmückt; er berichtet, in durchaus legendarischer Fassung
') Über die sehr verwickelte Folge und Umgestaltung der Bauten
hat BoRCHARDT, Zur Baugesch. des Amontempels von Karnak, in Sethe's
Unters. Vi, 1905 Äuflilärung gebracht. Natürlich kann an dieser Stelle
von den Bauten nur dasjenige kurz berührt werden, was für die ge-
schichtliche Darstellung wesentlich ist.
310 VI. Kultur und Religion Ägyptens unter der achtzehnten Dynastie
(o. S. 112), ähnlich wie Hatsepsut in Der el Bahri, wie er von
Amon zum König berufen wird, er beschreibt die Bauten und
die reichen Geschenke aus der Siegesbeute, mit denen er ihm
den Dank gezollt hat; er bildet die Pflanzen ab, die er, wie
Hatsepsut aus Punt, aus der Fremde eingeführt und im Garten
gepflanzt hat.
Nur umso beachtenswerter ist, daß Darstellungen von
Kämpfen und Schlachten noch völlig fehlen. Die Gestalten
der Ausländer vermag man scharf zu erfassen und in vortreff-
lich gelungener Charakteristik wiederzugeben; das gleiche gilt
von den Seetieren des Ozeans bei Hatsepsut und auch, trotz
mancher seltsamen Verzeichnungen, von den Pflanzen bei
Thutmosis III.; die Reliefs von Der el Bahri und die Ge-
mälde der Gräber lehren, daß erzählende Bilderzyklen den
Künstlern durchaus geläufig waren, so die ausführliche Dar-
stellung der Flottenexpedition nach Punt, die Vorführung der
Gesandtschaften und Abgaben, der Aufmarsch der Soldaten
zur Parade u. s. w. Aber das hält sich im Rahmen der seit
alters geläufigen Darstellungen so gut wie die der Arbeiten
auf dem Felde und in der Werkstatt der Handwerker, wie
denn auch, wo mehrere Gruppen nebeneinander stehn, die
staflFelförmige Anordnung in übereinander gesetzte Streifen
beibehalten wird, die in den wenigen aus dem Alten und
Mittleren Reich erhaltenen Bildern von AnginflFen auf eine
Festung durchaus herrscht. Ein Schlachtgemälde dagegen
erfordert die Wiedergabe des Kampfgetümmels und des
wirren Durcheinander der Kämpfer und der Streitwagen, und
daran hat sich die Kunst unter Thutmosis III. noch nicht
gewagt. Zum ersten Male^) tritt uns eine solche Darstellung
') Einen ersten Ansatz zeigt ein Skarabaeus Thutmosis' I. (New-
BERRY, Scarabs pl. 27, 4): er steht mit gespanntem Bogen auf dem
Streitwagen, der Feind ist von einem Pfeil durchbohrt. Auch hier ist
die Einwirkung der mykenischen Vorbilder unverkennbar. [Das an-
gebliche Siegel Thutmosis' IL, das die übliche Kampfszene und auf der
anderen Seite den König darstellt, wie er nach assyrischem Vorbild
einen Löwen beim Schwanz packt und ausholt um ihn niederzuschlagen
Entwicklung der Schlachtenbilder. Kretischer Einfluß 311
entgegen auf dem Streitwagen seines Enkels Thutmosis' IV.,
und zwar gleich hier in derjenigen Auffassung, die für die
Folgezeit herrschend geblieben ist (so auf zwei Truhen Tut-
*anch-amons). Nicht den wirklichen Verlauf der Schlacht
darzustellen ist die Aufgabe, sondern den Pharao als den
Sieger, dem kein Feind widerstehn kann. In riesiger Ge-
stalt, ganz allein, stürmt er auf seinem Streitwagen mit ge-
spanntem Bogen in die Scharen der Feinde, die vergeblich
das Heil in der Flucht suchen, sondern mit ihren Rossen,
von seinem nie irrenden Pfeil getroffen, im Todeskampf zu
Boden stürzen.
Eine solche rein symbolische Behandlung des Vorgangs
ist das diametrale Gegenteil der durchaus realistischen Wieder-
gabe der Wirklichkeit in der kretischen Kunst. Und doch
kann kein Zweifel sein, daß gerade hier die von dort ge-
kommenen Anregungen, und zwar speziell die am Hof der
mykenischen Fürsten schon im 16. Jahrhundert geschaffenen
Kampfszenen, entscheidend eingewirkt haben. Nur so er-
klärt sich die ganz unägyptische Zusammenfassung zu einer
einheitlich komponierten Szene, das völlige Fehlen einer
horizontalen Grundlinie, auf der sonst die Gestalten stehn,
die lebhafte Bewegung der sich drängenden und vielfach
überschneidenden Figuren. Besonders deutlich wird die fremde
Einwirkung auch darin, daß die galoppierenden Rosse, ab-
weichend von allen älteren Tierdarstellungen, nicht mehr
mit allen vier Beinen auf dem Boden stehn, sondern ganz frei
springen, und der Boden überhaupt nicht angedeutet ist').
Wir haben gesehn, wie schon im Anfang des Neuen
Reichs auf den Waffen des Königs Amosis eine kretische
(Perrot -Chipiez, Gesch. d. Kunst I 674 der Übersetzung), stammt in
Wirklichkeit von Sosenq IV., s. Maspero AZ. 17, 63 und Pietschmann zu
der Stelle S. S64.]
*) Das hat H. Schäfer hervorgehoben, Kunst des alten Orients
S. 78. Seine für die Kunstgeschichte grundlegenden Werke (Von äg.
Kunst, 2. Aufl. 1922; Grundlagen der äg. Rundbildnerei 1923 [Der Alte
Orient Bd. 23, Heft 4]) sind natürlich durchweg herauzuziehn.
312 VI- Kultur und Religion Ägyptens unter der achtzehnten Dynastie
Figur und die überlange Streckung des springenden Löwen
nachgebildet ist, wie die mykenischen Deckenmuster in die
ägyptischen Gräber übernommen werden. Wenn dann kre-
tische und mykenische Gefäße in Ägypten vielbegehrt und
geradezu Mode werden — auch an ägyptischen Nachahmungen
fehlt es nicht — , so wirkt dabei der Reiz des Exotischen
mit, der sich in jeder hochentwickelten Kultur fühlbar macht
und sich ebenso in der Einführung syrischer Waren und in
der wachsenden Neigung zur Aufnahme kana'anaeischer Worte
und Wendungen in die elegante Redeweise der Gebildeten
zeigt. Die ägyptische und die ägaeische Kunst stehn zuein-
ander ähnlich wie die europäische zur ostasiatischen seit
dem 18. Jahrhundert. Neben der äußerlichen Berührung geht
immer eine stille gegenseitige Anregung einher. Wenn jetzt
die seit dem Beginn des Alten Reichs völlig aufgegebene
Bemalung der Tongefäße, vor allem mit Blättern und Blüten
— doch findet sich gelegentlich auch ein anspringendes Pferd
dargestellt — , wieder aufkommt und die Fläche durch par-
allele Streifen gegliedert wird, so ist darin, bei aller Abwei-
chung in Zeichnung und Farben, die von außen gekommene
Einwirkung unverkennbar. Überhaupt aber hat sich eine Aus-
gleichung der verschiedenen Kulturgebiete vollzogen, die in
den Formen der Gefäße von Stein, Ton und Metall, in den
Goldschmiedearbeiten, in den Schmucksachen deutlich her-
vortritt. Charakteristisch dafür sind die großen Schalen von
getriebenem Golde, auf deren Rand Blumen und Vögel, aber
auch Steinbockköpfe, Frösche, Löwen und selbst der König
auf dem Streitwagen aufgesetzt sind^). Die Motive sind
durchaus ägyptisch, aber sie erscheinen vor allem unter den
Tributen und Geschenken der Syrer und Kaftier und auch
der Neger Nubiens. Die fremden Goldschmiede haben also
in Ägypten geschaffene Formen übernommen, um die dort
besonders hoch geschätzte und vielbegehrte Ware für den
') H. ScHÄKKR, Die altilg. Prunkgefäße mit aufgesetzten Rand-
verzierungen (in Sethe's Unters. IV) 1903.
Beziehungen zur kretischen Kunst 313
Pharao und seine Magnaten zu liefern. In Griechenland und
Etrurien hat sich die Nachwirkung lange erhalten; gleich-
artige Bronzeschalen sind hier noch in viel späterer Zeit ge-
arbeitet worden.
Der Gegensatz der beiden Kulturen spricht sich am deut-
lichsten aus in der Architektur. Das Streben nach Monumen-
talität, das den kretischen Palästen so völlig fehlt ^), ist von
Anfang an die dominierende Triebkraft der großen Bauten
Ägyptens. Erwachsen ist es aus dem Versuch, im Toten-
kult die Zeit zu überwinden und im Gegensatz zum ephe-
meren irdischen Dasein dem Totengeist eine ewige Existenz
zu sichern. Jetzt, im Neuen Reich, durchdringt dieses Streben
auch den Tempelbau und wird hier ins Gigantische gestei-
gert; sowohl im Grundriß wie im Aufbau hat kein anderes
Bauwerk der Erde solche Dimensionen erreicht und so ge-
waltige Materialmassen bewältigt. Und dabei ist doch sowohl
die innere Einheit der Anlage bewahrt wie die feine Emp-
findung für die Verwendung der architektonischen Formen;
die mächtigen Säulen, in den vom Alten Reich geschaffenen,
dem Papyrus und der Palme entlehnten Formen, gelangen
hier in den großen Hallen und Höfen zu vollster Wirkung,
und nicht minder die Verbindung der Architektur mit dem
plastischen und malerischen Schmuck der Wände und mit
den davorstehenden Riesenstatuen der Könige und Götter.
Idee und Gestalt des ägyptischen Tempels
Der ägyptische, den Kultfesten mit ihren Prozessionen
dienende Tempel ist die große Schöpfung der achtzehnten
Dynastie^). Äußerlich mag er den Vergleich mit den grie-
') In den Festungsmauern und Kuppelgrübern des griechischen
Festhxndes dagegen tritt dies Streben sofort hervor, eben in dem, was
Kreta fehlt und was die Griechen der mykenischen Epoche selbständig
hinzugefügt haben.
*) Natürlich hat es in Ägypten seit alters Tempel gegeben; aber
sie haben offenbar ganz anders ausgesehn wie die des Neuen Reichs,
und werden Kapellen gewesen sein, in denen der Gott wohnte und
314 VI. Kultur und Religion Ägyptens unter der achtzehnten Dynastie
chischen Tempeln nahelegen, vor allem durch die Bedeutung,
welche die Säule in beiden gewonnen hat; und auch darin
berühren sich beide, daß die griechischen Tempelbauten des
6. und 5. Jahrhunderts ebenso wie die ägyptischen und wie
die Dome des Mittelalters das Erzeugnis einer Epoche sind,
in der die gesteigerte Religiosität sich mit dem Streben ver-
bindet, den durch die Gunst der Götter mächtig gewachsenen
Wohlstand einer hohen Kultur zugleich in vollendeter künst-
lerischer Form wirkungsvoll zum Ausdruck zu bringen. Aber
innerlich steht der ägyptische Tempel in diametralem Gegen-
satz zum griechischen. Dieser, aus dem Megaron des Palastes
erwachsen und womöglich auf beherrschender Anhöhe ge-
legen, ist das stattliche Wohnhaus des Gottes, aus dem er
die Landschaft überschaut; von weit her zieht er alle Blicke
auf sich, er wirkt durch die harmonische Schönheit des durch
den Säulenumgang zu einem einheitlichen Körper zusammen-
geschlossenen Gebäudes; aber eine mystisch-religiöse Stim-
mung erzeugt er nicht. Beim ägyptischen Tempel dagegen
sein Kultinventar nebst den Schätzen bewahrt war; sie mögen sich
in den unten S. 318 erwähnten Kapellen fortsetzen. Auch der Tempel
von Karnak war ja im Mittleren Reich lediglich ein quadratisches Ge-
bäude von 40 m Seite; die Erweiterung zu einem Langbau mit vor-
gelegten Pylonen beginnt erst unter Thutmosis I. Sonst sind nur einige
Granitblöcke des Cheops vom Tempel in Bubastis erhalten, über dessen
Grundriß sich nichts erkennen läßt. Daß das riesige Labyrinth ganz
anders ausgesehn hat als die Prozessionstempel des Neuen Reichs und
der Folgezeit, lassen die Beschreibungen deutlich erkennen, so unklar
im einzelnen vieles bleibt; auf dem ungeheueren Trümmerfeld ist von
der Anlage nichts mehr zu erkennen, außer daß es, wie auch alle Be-
schreibungen angeben, unmittelbar mit der Pyramide Amenemhets III.
verbunden, also nicht ein Kulttempel, sondern der Totentempel dieses
Königs gewesen ist. — Der Pylon heißt ägyptisch bchni, eine Feminin-
bildung von hchn (Mask.) „Burg, Schloß", ist also vom Festungs- und
Palastbau auf das Tempeltor übertragen. Das Wort findet sich als
]n2 »Tor, rtiipYo?", ebenso im Hebräischen, und ist wohl ein Fremdwort.
In älterer Zeit kommen beide Worte noch nicht vor; auch das zeigt,
worauf H. Schäfer mich hinweist, daß wir es mit einer Neuschöpfung
der 18. Dynastie zu tun haben.
Religiöser Charakter des ägyptischen Kulttempels 315
ist alles auf die Erweckung dieser Stimmung angelegt. Nach
außen ist er von einer ungegliederten Mauer umschlossen;
an der schmalen Frontseite sperren zwei gewaltige, von rie-
sigen Flaggenstangen hoch überragte Tortürme (Pylonen) den
Einblick. So ist die Stätte, in der der Gott wohnt, von der
profanen Welt scharf geschieden; wer durch das schmale
Tor eintritt, ist entrückt in die Welt der überirdischen Mächte.
Tief im Innern liegt, ganz im dunkeln, die Kapelle, in der,
in einem von Tüchern verhüllten und mit Emblemen ge-
schmückten Kasten den profanen Blicken entzogen, der Fetisch
des Gottes bewahrt wird; sie steht auf der heiligen Barke,
auf der bei den Prozessionen diese realste Inkarnation des
Gottes auf den Schultern der Priester ans Tageslicht hin-
ausgetragen wird, um in den Säulenhöfen des Tempels der
Menge zu erscheinen, Orakel zu erteilen, mit dem König
in vertrauten Verkehr zu treten und an bestimmten Fest-
tagen anderen Gottheiten in ihren Heiligtümern Besuche ab-
zustatten oder sie zu empfangen. Dieser Prozessiousweg, auf
dem der König zum Gott und der Gott zu König und Volk
zieht, beherrscht den gesamten Bau ^) und gibt ihm die innere
Einheit. Schon von weither ist draußen die Richtung durch
die lange auf das Portal zuführende Sphinxallee bestimmt
festgelegt, und geradlinig setzt sie sich im Inneren fort durch
die in derselben Achse liegenden Tore der Höfe und Säulen-
hallen mit überhöhtem Mittelgang.
Am vollkommensten ist die Idee des ägyptischen Tem-
pels verwirklicht in dem schönsten und einheitlichsten von
allen, dem Tempel, den Amenophis III. dem Amon in Luxor
(Opet) erbaut hat'^). Hier ist dem Tor eine langgestreckte
\t Die dominierende Bedeutung der Richtung oder des Weges
für die ägyptische Baukunst hat Spengler mit Recht stark betont.
^) Den von Ramses II. vorgelegten großen Säulenhuf mit den
Pylonen, in den eine kleine, bis dahin frei liegende Kapelle Thut-
mosis' III. einbezogen ist, muß man sich natürlich fortdenken. Dadurch,
daß die Umfassungsmauern zerstört sind und die mächtigen Säulen
frei aufragen, drängt sich dem Beschauer unwillkürlich der Vergleich
316 VI. Kultur und Religion Ägyptens unter der achtzehnten Dynastie
Halle vorgelegt, in der ein durch zwei Reihen von je sieben
gewaltigen Säulen gebildeter Gang den Eintretenden emp-
fangt und so gleich zu Anfang die Richtung auf das End-
ziel, die Kultzelle des Gottes, aufs stärkste betont. Dann
durchschreitet er den großen, von Säulengängen umschlos-
senen Hof, in dem die Scharen der Gläubigen sich sammeln,
um den Zeremonien des Kultus zuzuschauen. Es folgt ein
großer Säulensaal, in den nur von oben durch kleine Fenster
ein gedämpftes Licht fällt; die Papyrusbündel nachahmenden
dicken Säulen stebn wie immer dicht gedrängt, so daß sie
nach der Seite höchstens schmale Durchblicke gewähren und
die Richtung auch hier gewahrt bleibt. Dahinter liegen dann
rings um das Allerheiligste im Dunkel die zahlreichen Räume,
in denen, neben den für den Kultus erforderlichen Geräten,
die unermeßlichen Reichtümer des Gottes mit den Weih-
geschenken aufgespeichert sind.
Das Grundschema der Anlage ermöglicht es, immer wieder
neue Säle und Pylonen vorzulegen und so, wie vor allem in
Karnak, den Bau ins Unermeßliche zu verlängern, ohne da-
durch die innere Einheit aufzuheben. Dominierend bleibt
immer, ebenso wie in den Grabbauten, das Streben, im be-
wußten Gegensatz zu den ephemeren Wohnungen der Sterb-
lichen einschließlich der Königspaläste, für die überirdischen
Mächte, zu denen ja auch die Geister der Verstorbenen ge-
hören, ein Haus zu schaffen, das ihrer Allmacht entspricht
und ewig besteht wie sie selbst. Daher die Säulenwälder
und die wahrhaft gigantischen Dimensionen der Säulen, die
Kolossalstatuen der Könige und Götter, die riesigen Mono-
lithe der am Eingang aufgerichteten Obelisken. Das alles
ist dem griechischen Empfinden durchaus fremd und wird
mit einem griechischen Tempel auf, der sich, so irreführend er ist, nur
schwer überwinden läßt. — Gegen Borchardt's Annahme, die Säulen-
halle am Eingang sei ursprünglich als Mittelschiff eines Säulensaals
wie der Ramses' II. in Karnak geplant gewesen, .s. H. Schäfer, ÄZ. 61,
1926, 52 ff.
Luxor. Verhältnis zum griechischen Tempel und den Domen 317
von ihm abgelehnt^). Dagegen ist der ägyptische Tempel
aus demselben religiösen Gefühl entstanden, das die großen
romanischen und gotischen Dome geschaffen hat; die Stim-
mung, welche der ägyptische Kultus mit seinem sorgfältig
durchgebildeten Zeremoniell in den auch hier von Weih-
rauch erfüllten Hallen erzeugt hat, wird durchaus gleich-
artig gewesen sein, und dem entspricht in beiden die Schei-
dung des AUerheiligsten mit dem Kultobjekt von den für die
Laien bestimmten Hallen und die privilegierte Stellung der
Priesterschaft, der allein ein Einblick und ein wirkliches Ver-
ständnis für die Mysterien der Religion gewährt ist^).
') Wie ein Grieche über die großen Silulensäle urteilen mußte, ist
bei Strabo XVII 1, 28 in der Beschreibung der ägyi^tischen Tempel aus-
gesprochen: ä'oti Zk xiq v.a\ TzoXöznAo^ olxo^, xaJ^äitsp sv MsfA'pst, ß«oßapix-qv
EX<"V f'iv xatotaxsuTjV' hXyjV y«P '^ob i>.f(a\o>'y sivat xal itoXXwv xal iroXuaTtytuv
t»öv axö).u)v o'jSsv syst X^P^^^ °'^^^ '(pi'fiv.ö'j, oXkä fiataioreoviav ejA'^atvac fiäX-
Xov. Ganz wird sich dem Eindruck, daß es im Grunde nur [j-atoctoTtovia,
zwecklose Renomage, ist, vielleicht mancher auch in dem Silulensaal der
Ramessiden in Karnak, trotz der gewaltigen Wirkung dieses Säulenwaldes,
nicht entziehn können. — Sehr beachtenswert ist, daß im Koloniallande
Sicilien sich die Auffassung auch in der Baukunst der orientalischen
nähert: einen Tempel wie den des Zeus von Agrigent mit seinen riesigen
Karyatiden würde das feine Empfinden Athens niemals zugelassen haben.
^) Eine dritte, ganz andersartige Verkörperung der religiösen Idee
im Kultbau ist seit Beginn der Kaiserzeit in dem Zentralbau geschaffen,
-dessen gewaltiger Innenraum das Gefühl der Unendlichkeit erweckt,
so zuerst im Pantheon des Agrippa. Trotz der Weiterverwendung der
•überkommenen Bauformen bezeichnen diese Bauten den entschiedenen
Bruch mit den griechischen Anschauungen; siezeigen, daß eine diesen
gänzlich fremde religiöse Strömung die Herrschaft gewinnt. Ihren nie
wieder erreichten oder gar übertroflenen Höhepunkt stellt die Aja
Sophia dar, weitaus der großartigste Innenraum, den die Erde trägt. Sehr
.lehrreich ist, wie diese Bauform sich in den Moscheen von Kairo all-
mählich des ursprünglich von ihr völlig geschiedenen Moscheenhofs be-
mächtigt. Den letzten Schritt haben die großen osmanischen Baumeister
getan, indem sie das Vorbild der Aja Sophia übernahmen, aber nun
auch die Außenseite harmonisch gestalteten und zugleich durch Zu-
fügung des Vorhofs und Eingliederung der schlanken Minarette den
Idealtypus der Moschee schufen, der in der Suleimanije die glanz-
'vollste Verwirklichung gefunden hat.
318 ^'1- Kultur und Religion Ägyptens unter der achtzehnten Dynastie
Auch darin älinelt der ägyptische Kultus dem christ-
lichen, daß ihm, im Gegensatz zu den meisten anderen Reli-
gionen, die Verbrennung von Opfern fremd ist; die reichen
Gaben — Brot, Fleisch, Feldfrüchte, Getränke, Blumen —
werden lediglich auf dem Opfertisch oder Altar aufgeschichtet
und dem Gott ebenso wie dem Toten durch das Anschauen
und die zugehörigen Gebetsformeln ideell zugeführt, dann
aber weggeräumt und auf die dazu Berechtigten verteilt^).
Neben den großen Tempeln sind unter der achtzehnten
Dynastie nicht wenige kleinere Heiligtümer von ganz anderer
Anlage erbaut worden. Sie stehn auf einem erhöhten Unter-
bau mit vorgelagerter Treppe, die zu dem von zwei Säulen ge-
tragenen Portal hinaufführt; um die inneren Gemächer führt
ein Umgang, der zwischen den den Architrav tragenden Pfei-
lern einen Ausblick nach außen gewährt. So ähneln diese
Kapellen in der Tat den griechischen Tempeln, auch in den
Dimensionen. Aber sie enthalten lediglich die Zellen, in denen
der Gott oder mehrere miteinander verbundene wohnen, sind
dagegen für die Entfaltung des Kultus mit all seinem Pomp
ganz ungeeignet. Vielleicht darf man vermuten, daß sich in
ihnen die Form der bescheidenen Heiligtümer des Alten und
Mittleren Reichs erhalten hat. In der griechischen Zeit sind
solche Kapellen, die sog. „Geburtshäuser", regelmäßig auf
dem Platz vor den großen Tempeln, als Zubehör zu diesen,
erbaut, und ebenso sind auch im Neuen Reich diese Wohn-
häuser der Götter etwas ganz anderes als die großen Kult-
tempel.
Amenophis III. und Teje. Die Blütezeit der ägyptischen Kunst
Wie in Theben dem x\-mon-), haben die Könige, vor
allem die großen Bauherren Thutmosis HI. und Amenophis HL,
'j Gleichartig ist der persische Kultus. Brandopfer sind erst in
der Spätzeit in Ägypten aufgekommen, offenbar unter Einwirkung
aus Asien.
■-) Dazu kommt in Karnak unter Thutmosis III. ein Tempel des
Tempelbauten. Amenophis III. 319
überall in Ägypten und in Nubien den lokalen Gottheiten
Tempel errichtet. Dazu kommen die Totentempel in der the-
banischen Nekropole : zu dem Amenophis' III. gehören die
beiden monolithen Kolosse aus Sandstein, die später die Grie-
chen dem Memnon zugeschrieben haben, über 20 Meter hohe
Sitzbilder des Königs, deren Maße nur von Ramses II. in
Abusimbel noch überboten worden sind. Weiter südlich, jen-
seits Medinet Habu, hat sich Amenophis III. einen großen
Paiast erbaut; ein paar Bruchstücke von Reliefs zeigen, daß
in ihnen der Sieg des Königs über Asiaten und Neger in
derselben Weise verherrlicht war, wie auf dem Streitwagen
Thutmosis' IV. Neben dem Palast hat er. wie er auf den
bei diesem Anlaß ausgegebenen Skarabaeen der Welt mit-
teilt, binnen fünfzehn Tagen für seine Gemahlin Teje einen
großen Lustsee angelegt (jetzt Birket Habu). dessen Um-
fassungsmauern noch erhalten sind.
In der langen Regierung Amenophis' III., rund 1410
bis 1375, gelangt die klassische Kunst Ägyptens auf den
Höhepunkt ihrer Entwicklung^). Das Weltreich stand fest
geordnet da, nach außen wie im Innern herrschte andauernder
Friede, die unermeßlichen Mittel und Arbeitskräfte, die dem
König und den Göttern ununterbrochen zuströmten, standen
unbegrenzt zur Verfügung, Handel und Wandel gedieh, die
führenden Schichten des Volkes, die hohen Beamten und die
grundbesitzende Aristokratie der Wagenkämpfer, die die Streit-
rosse züchteten, erfreuten sich eines gesicherten, stets anwach-
Ptah, unter Amenophis III. einer des Kriegsgottes Montu und einer der
Mut, der Gemahlin Amons.
') Sehr anschaulich tritt der Gegensatz zwischen der Zeit Ame-
nophis' III. und der späteren Epoche im Tempel von Luxer an den Säulen
hervor: Amenophis hat seine Namen in feingeschnittenen, wenig er-
höhten, buntbemalten Hieroglyphen oben auf die Säulenschäfte, unter
dem Kelchkapitell, gesetzt, wo sie sich dem Ganzen harmonisch ein-
fügen; Ramses II. hat ihn überall weiter unten in tief eingeschnittenen
Zeichen einhauen lassen und dadurch die Harmonie zerstört und den
Bau geschändet.
320 VI. Kultur und Religion Ägyptens unter der achtzehnten Dynastie
senden Wohlstandes, der es gestattete, das Leben behaglich
und geschmackvoll auszugestalten. So konnten Kunst und
Kunsthandwerk sich frei betätigen und den seit alters im
Volke lebenden künstlerischen Sinn allseitig entfalten^). Wer
die Überfülle der in dieser Epoche geschaffenen Kunstwerke
überschaut, der großen Monumente sowohl wie der Erzeug-
nisse des Hausrats und des Luxus, wird immer aufs neue
erstaunen über die geradezu unabsehbare Zahl technisch ge-
schulter Arbeitskräfte, die dafür zu Gebote standen, von den
einfachen Steinmetzen und Ziegelstreichern, den Malern und
Zimmerleuten weiter zu den Vorarbeitern und den überwachen-
den Aufsehern, und so hinauf bis zu den Baumeistern, welche
die Grundrisse entwerfen, den Künstlern, welche die Vorlagen
für die Reliefs der Wände zeichnen und die Modelle für die
Statuen formen, und schließlich dem obersten Leiter, der den
Gesamtplan aufgestellt hat und die Ausführung ständig über-
wacht. Und das gleiche gilt von den Werkstätten der Bild-
hauer, der Goldschmiede, der Töpfer, der Möbeltischler, der
Feinarbeiter, welche die kostbaren Geschmeide, die Schmuck-
sachen und Geräte aus Glas und Fayence sowie aus Halb-
edelsteinen herstellen, mögen diese Werkstätten nun von
privaten Unternehmern aus dem Handwerkerstande geleitet
werden oder dem Haushalt der großen Herrenhöfe angehören,
auf denen sie in den Grabgemälden so oft in regstem Be-
triebe dargestellt sind.
') Gegenüber der reichen Kunstblüte dieser P^poche tritt die Lite-
ratur in dem uns erhaltenen Material ganz zurück; abgesehn von den
religiösen Texten und den Königsinschriften haben wir kaum irgend
ein literarisches Schriftstück aus der 18. Dynastie, in starkem Gegensatz
gegen die immer wieder abgeschriebene, als klassisch geltende Literatur
aus der Übergangszeit der Herakleopoliten und der 12. Dynastie und
die Fülle von Texten aus der 19. Dynastie. Das ist schwerlich bloß Zu-
fall, so stark auch dieser dabei mitspielt. Wesentlich mitgewirkt haben
wird, daß man unter der 18. Dynastie noch an den Sprachformen der
älteren Zeit festhielt. Hier hat die Reformation Echnatens entscheidend
eingewirkt; erst von da an wagt man, die inzwischen stark gewandelte
Sprache, das , Neuägyptische', auch literarisch zu verwenden.
Blüte der klassischen Kunst Ägyptens 321
Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die Gestaltung dieses
Kunstlebens in seinem unerschöpflichen Reichtum im ein-
zelnen vorzuführen. Beherrscht und dadurch zugleich in festen
Schranken gehalten ist sie, mag sie sich nun in monumen-
talen Werken von riesigen Dimensionen betätigen oder für
einen verfeinerten, behaglich sich ergehenden Lebensgenuß
arbeiten, von zwei Momenten: einem feinen ästhetischen Ge-
fühl für das Angemessene, auf dem die innere Vornehmheit
beruht, mit der auch in den Schöpfungen des Luxus bei aller
Pracht jede Übertreibung und renommistische Aufdringlich-
keit vermieden wird — ein Vergleich etwa der ägyptischen
Geschmeide und Juwelen mit den babylonischen und assyri-
schen macht diese Überlegenheit des ägyptischen Kunst-
empfindens sehr deutlich^) — ; und zweitens, damit eng zu-
sammenhängend, die Bindung durch den festen Stil, dessen
Normen, seit mehr als einem Jahrtausend voll entwickelt,
unverbrüchlich alle Kunsttätigkeit beherrschen. Auf dieser
stilistischen Gebundenheit, die für den Ägypter die selbst-
verständliche Voraussetzung seines Schaffens ist, beruht der
tiefgreifende Unterschied zwischen der ägyptischen und der
kretischen Malerei und Plastik; sie verleiht der ägyptischen
Kunst zugleich ihren idealen Charakter. Auch die wunder-
bar feinen und ansprechenden Reliefporträts aus der Zeit
Amenophis' III. geben Gestalt und Kopf des Königs und der
Magnaten nicht naturalistisch wieder, wie sie tatsächlich ge-
staltet waren, sondern so, wie sie aussehn sollen. Porträtzüge
fehlen nicht, aber sie werden in derselben Weise idealisiert,
wie es die griechische Plastik des 5. Jahrhunderts getan hat,
ehe sich hier die realistische Wiedergabe des Porträts durch-
setzte. Wie bewußt die Künstler diese Umsetzung in den
ägyptischen Stil vollzogen haben, lehren jetzt die Gesichts-
masken aus der Werkstatt des Bildhauers Thutmosis in Amarna,
aus denen wir ihr vielfach von den Bildern stark abweichen-
*) Wer Amerika kennt, wird den gleichen Gegensatz zwischen
dem amerikanischen und dem europäischen Luxus sehr oft empfinden.
Meyer, Geschichte des Altertums. 11'. 21
322 ^'I- Kultur und Religion Ägyptens unter der achtzehnten Dynastie
des Aussehn kennen lernen; auf ihnen sind durch Pinsel-
striche die Korrekturen angemerkt, die der Künstler bei der
Ausarbeitung der Statue zu befolgen hat. Auch die aus Kreta
übernommenen Motive werden in derselben Weise in den
ägyptischen Stil umgesetzt.
Innerhalb der dadurch gesetzten Grenzen hat sich die
innere Form der Anschauung in der bildenden Kunst eben-
sogut gegen die ältere Zeit geändert, wie in der Architektur.
Das Streben nach gefälliger Wirkung beherrscht die Linien-
führung und die Behandlung der Körperformen, und gestaltet
auch den Gesichtsausdruck nicht nur der Männer und Frauen
aus den Kreisen der vornehmen Welt, sondern ebenso den
der Könige und selbst der tierköpfigen Götter, so den Löwen-
kopf der Sechmet oder die ehrwürdigen Paviane des Thout.
Aus ihnen allen spricht, im Gegensatz zu dem schweren Ernst
der Porträtköpfe des Mittleren Reichs, eine zufriedene behag-
liche Stimmung und ein gütiges Wohlwollen, wie es ja auch
die Majestät des Pharao und die Götter selbst ihrem Volke
tagtäglich gewähren.
Charakteristisch für den Wandel der Lebensformen, der
sich langsam vollzogen hat, ist auch die neue Tracht, welche
seit der Mitte der achtzehnten Dynastie aufkommt. An Stelle
der knappen, eng anliegenden Kleidung der älteren Zeit treten
jetzt weite, weiche Gewänder, die den ganzen Körper um-
schließen und sich anmutig in zahlreiche Falten legen. Dem
entspricht die sorgfältig gepflegte Frisur der Frauen, während
zum Ornat der Männer, die sich nach wie vor das Haupthaar
abrasieren, jetzt eine mächtige, fein gekräuselte Allongen-
perücke gehört.
Auch das Wesen der Könige hat sich gewandelt. In
Amenophis III. ist, trotz aller immer aufs neue wiederholten
offiziellen Phraseologie, der kriegerische Geist seiner Vor-
fahren völlig erloschen. Wirkliche Kriege hat er nie ge-
führt, und wir werden noch sehn, wie er die Stellung seines
Reichs in Syrien vernachlässigte, so dringend die Ereignisse
dort sein Eingreifen [erforderten. Dafür hat er das Leben
Amenophis III und die klassische Kunst. Teje 323
in vollen Zügen genossen und sich gesonnt in dem Glanz
der Stellung, die sein Vater Amon ihm verliehen hatte. So-
weit sich ein Einblick in die Persönlichkeit gewinnen läßt,
erscheint er als der typische Repräsentant seiner Epoche und
der Strömung, welche die ägyptische Kultur ergriffen hatte.
Bezeichnend dafür ist, daß er Vorgänge, auf die er beson-
ders stolz war, dem Publikum dadurch mitteilte, daß er —
analog etwa den Gedächtnismünzen — Skarabaeen ausgab,
auf denen sie verzeichnet sind, so den Bericht über eine
große Jagd in seinem 2. Jahr, die Angabe, daß er in den
zehn ersten Jahren seiner Regierung insgesamt 102 Löwen
mit seinen Pfeilen erlegt habe, die Entsendung der Prinzessin
Giluchepa von Mitani in seinen Harem mit einer Gefolgschaft
von 317 Personen (o. S. 160), gleichfalls im Jahre 10, und
im nächsten Jahre die Anlage des großen Lustsees bei Medinet
Habu für seine Gemahlin Teje (o. S. 319), und vor allem, schon
gleich zu Anfang seiner Regierung, seine Vermählung mit
Teje, der Tochter des Juja und der Tuja. Diese Ehe ist
oflenbar eine Liebesheirat gewesen, und die kluge Ägypterin '),
deren fesselnde Züge ein Meisterstück der ägyptischen Porträt-
kunst, ein kleiner Holzkopf 2), lebensvoll wiedergibt, hat es
verstanden, ihren Gatten dauernd an sich zu fesseln und auch
') Durch die Auffindung der Mumien ihrer Eltern sind die phan-
tastischen, zu wahrhaften Romanen austjesponnenen Kombinationen, als
sei sie eine Ausländerin und gar eine Prinzessin aus Mitani gewesen,
völlig widerlegt. Beide sind echte Ägypter; auch die Namen sind rein
ägyptisch. Amenophis III. hat seinen Schwiegereltern eine angesehene
Stellung am Hofe und ein prächtig ausgestattetes Grab im Königstal,
aber weder ein weltliches Amt noch ein höheres Priestertum verliehn;
zu politischem Einfluß sind sie ofi"enbar nicht gelangt. Tej^s Bruder
'Anen dagegen ist Hoherpriester von Hermonthis (Kees, ÄZ. 53, 81). Zum
Titel „Gottesvater" für den Schwiegervater des Kr.nigs s. Borchardt,
Ber. Sachs. Ges. LVII 1905, 254. [Die Fayenceschale Proc. Soc. Bibl.
Arch. 1913, 63, auf der Juja „Fürst von Zahi" heißt, ist eine hand-
greifliche Fälschung.]
^) VeröÖentlicht von Borchardt, Der Porträtkopf der Königin
Teje, 18. wiss. Veröffentl. d. DOG. 1911.
324 ^ I- Kultur und Religion Ägyptens unter der achtzehnten Dynastie
in höherem Alter ihre dominierende Stellung als alleinige
Genossin des Throns zu behaupten, hoch über all den asiati-
schen Fürstentöchtern, die nacheinander in den Harem des
Pharao wanderten. Sie ist offenbar die eigentliche Leiterin
der Regierung gewesen. König Dusratta von Mitani schreibt
sowohl an sie wie an ihren Sohn nach dem Tode ihres Gatten,
daß sie besser als irgend jemand sonst alle Verhandlungen
kenne, die dieser mit ihm geführt hat, und bittet sie, dafür
zu wirken, daß dies .schöne Verhältnis unter der neuen Re-
gierung erhalten und womöglich noch zehnfach gesteigert
werde, vor allem natürlich durch die Sendung reicher Gold-
geschenke.
In Amarna hat Ainenophis IV. gegen Ende seiner Re-
gierung ein Relief anfertigen lassen, das seinen Vater und
seine Mutter in dem realistischen Stil der neuen Kunst dar-
stellt. Ihr Bild ist zerstört — dafür kann der hölzerne Por-
trätkopf eintreten, der derselben Kunstrichtung angehört — ,
aber seines erhalten^). In schärfstem Kontrast zu den üb-
lichen idealisierten Porträts zeigt es sein Bild, wie er in der
Erinnerung des Sohnes und seiner Künstler lebte : ein müder,
alter, wohlbeleibter Mann, der in schlaffer, nachlässiger Hal-
tung auf seinem Thronsessel sitzt, ohne eine Spur von Energie.
Da schauen wir den wirklichen Amenophis HL, den die
Mahnungen, die aus der syrischen Provinz kamen, nicht mehr
zum Handeln zu treiben vermochten und der die Dinge gehn
ließ, wie sie gehn wollten. Wir begreifen, daß er in volle
Abhängigkeit von einer klugen, energischen Frau versank;
man wird an die Maintenon und so manche ähnliche Frau
erinnert, die durch die Beherrschung ihres Gatten und Lieb-
habers entscheidend in die Geschicke großer Reiche einge-
griffen haben.
Veröffentlicht von Griffith, J. Egypt. Archaeol. XII 1926 pl. 1.
Amenophis III. und Teje. Steigerung der Religiosität 325
Religion und Theologie
Daß der Ägypter sein Leben so schön und genußreich
aufbauen und die in ihm lebenden Empfindungen voll ver-
wirklichen kann, verdankt er der Gnade der Götter, die sich
nach dem Willen des Weltenherrschers Re' von allen Län-
dern der Erde das Niltal und all seine Städte zu ihrem
Wohnsitz erkoren und ihm die Herrschaft über alle Bar-
baren verliehen haben. Wir haben schon gesehn, wie da-
durch die Religion zu einer ganz anderen Bedeutung im
Leben gelangt ist als früher: so gewaltig die Grabbauten
sind, so treten sie doch seit Thutmosis IIL weitaus zurück
hinter den Tempelbauten. Ständig mehrt sich zugleich der
Reichtum der Götter, vor allem der zwar zu den Kosten der
Tempelbauten herangezogene, aber von den staatlichen Ab-
gaben exin)ierte Grundbesitz mit Scharen von Hörigen, Bauern
und Arbeitern; und damit wächst die Priesterschaft zu immer
selbständigerer Stellung, zu einem Staat im Staate heran. Die
RePgion und der Kultus beherrschen alles Tun des Ägypters,
vom Pharao bis zum ärmsten Knecht; auf Schritt und Tritt
empfindet er das unmittelbare Eingreifen der Götter und die
Pflicht, ihren Weisungen, die sie in Träumen und Vorzeichen,
sowie in Orakeln erteilen, unweigerlich zu gehorchen, die in
jeder Einzelheit ausgebildeten Vorschriften, die die Priester-
schaft bewahrte und auslegte, peinlich zu befolgen.
Zugleich aber hatte sich hier ein tiefgreifender Unter-
schied herausgebildet. Die religiösen Ideen und Spekulationen,
deren Entstehung bis in den Ausgang des Alten Reichs zu-
rückreicht (Bd. I 269 fip.). haben sich inzwischen stetig w^eiter
gesponnen und zu einer durchgebildeten Theologie entwickelt.
Dadurch ist auch in Ägypten die Scheidung eingetreten zwi-
schen der Masse der Gläubigen und der Oberschicht der
Gebildeten, die in jeder fortgeschrittenen und daher mit Spe-
kulation durchsetzten Religion unvermeidlich ist und in der-
selben Weise das religiöse Leben im Brahmanismus und Bud-
dhismus, im Christentum und Islam gestaltet und innerlich
326 ^ I- Kultur und Religion Ägy|5tens unter der achtzehnten Dynastie
zerspaltet. Für den Mann aus der Masse des Volks sind die
Götter, an die er glaubt und die in sein Leben eingreifen,
die lokalen Mächte seines Heimatgaus, vor allem „sein Stadt-
gott", in dessen Dienst er geboren ist, nebst den als Gattin
und Sohn neben ihm stehenden Gottheiten. Er weiß und
erlebt tagtäglich, daß sie ihm helfen und schaden, je nach-
dem er sich verhält und seine Pflichten erfüllt, daß auch seine
zukünftige Existenz von ihnen abhängt, und daß er sich im
Jenseits vor Osiris zu verantworten hat; das genügt voll-
ständig, und es ist ihm gleichgültig, daß ihnen die Kirchen-
lehre vielleicht nur eine begrenzte Wirksamkeit zuschreibt,
und daß er weiß und sieht, daß hoch über ihnen der welt-
beherrschende Sonnengott Re' schwebt. Worauf es, wie in
aller naturwüchsigen Religion, allein ankommt, ist, daß sie als
lebendige Mächte wirken, und daß er verpflichtet ist, ihnen zu
dienen und die vorgeschriebenen Kulthandlungen zu voUziehn.
Für die höheren Stände dagegen, die „Wissenden", die
in die Geheimnisse der Theologie eingeweiht sind, ist das Bild
ein ganz anderes. Da gibt es in Wirklichkeit nur e'inen Gott,
den Sonnengott. Er ist der Eine ; er hat sich in der Urzeit
selbst gezeugt in seinem geheimnisvollen Namen ^), er hat
das All geschaff'en und gestaltet, alles Leben strömt von ihm
aus und wird von ihm erweckt und durch seine Strahlen
gespendet. Alle anderen Götter sind nur seine Namen oder
Glieder und gehn daher völlig in ihm auf. Auch die Men-
schenseele stammt von ihm, und nach dem Tode tritt sie ein
in sein Gefolge am Himmel und vereinigt sich mit ihm. So
ist die ägyptische Religion, wie die Theologie sie ; gestaltet,
') Neben dieser mystischen Formel werden die alten mythischen
Vorstellungen immer weiter fortgeschleppt, daß er sich durch Selbst-
begattung gezeugt hat (in dem Bilde des sich selbst umarmenden Skara-
baeus, des Urgottes Cheperi, hat man das gelegentlich plastisch dar-
zustellen versucht — denn der Mistkäfer, der das Samenei vor sich her-
rollt und befruchtet, ist ja nach uralter Vorstellung die Verkörperung
des Schöpferuottes) oder aber als „Gemahl seiner Mutter% wie denn in
der bekannten Darstellung die Sonnenkugel in den Schoß der Himmels-
göttin eingeht und hier sich selbst als Sonne des nächsten Tages zeugt.
Die Volksreligion und der solare Pantheismus 327
ein solarer Monotheismus oder vielmehr Pantheismus, der in
der Theorie vor keiner Konsequenz zurückscheut.
Ausgegangen ist diese Lehre von Heliopolis (On), dem
uralten Zentrum der ägyptischen Theologie, und seinem Gott
Atum-Re', und hat von da aus allgemeine Anerkennung ge-
funden. Seit dem Mittleren Reich hat sie auch im Kultus der
einzelnen Tempel dadurch Ausdruck gefunden, daß die meisten
der Hauptgötter einfach mit Re' identifiziert und dadurch
lediglich für dessen Erscheinungsformen erklärt werden, so
neben Atum-Re* von Heliopolis, dargestellt in Menschengestalt
mit der Königskrone, der falkenköpfige Re Hor-achte, wohl die
am allgemeinsten verbreitete Form des Sonnengottes, weiter
die widderköpfigen Amon-Re' von Theben und Chnum-Re' von
Elephantine, der falkenköpfige Montu-Re' von Hermonthis
und Theben, der krokodilköpfige Sobek-Re' vom Faijüni und
von Ombos u. a.; selbst Seth wird in Tanis gelegenthch mit
Re' gleichgesetzt und fährt in der Sonnenbarke. Die unter-
geordneten Gottheiten sind dann seine Diener oder sein Ge-
folge. Entsprechend werden die weiblichen Gottheiten durch-
weg einfach als „Herrin des Himmels" bezeichnet und so für
Gemahlinnen und Mütter des Sonnengottes erklärt.
In der Praxis freilich hat sich auch dieser bequeme Aus-
weg niemals völlig durchführen lassen. Vor allem Ptab. der
Gott der alten und als solche offiziell auch in der thebani-
schen Zeit anerkannten Reichshauptstadt Memphis, ist nie-
mals mit Re' identifiziert worden, sondern ist ebensogut wie
Atum-Re' „der Urgott und Vater aller Götter, der den Him-
mel ausgebreitet, die Erde gegründet und mit dem Ozean
umzogen, die Menschen gebildet und die Götter geschaffen
hat"; er ist älter als Re' und im Göttersjstem dessen Vater ^).
') Wie für die politische Geschichte ist es auch für die Religion
verhängnisvoll, daß uns von dem großen Ptahtempel von Memphis so
gut wie nichts erhalten ist : wir würden dort die notwendige Ergänzung
zu den thebanischen Denkmälern erhalten und Ptah dort ebenso ein-
seitig als der Urgott und Schöpfer, der eigentliche Reichsgott und
Königägrott hervortreten, wie hier Ämon. Zwischen beiden steht Atum
328 ^ I- Kultur und Religion Ägyptens unter der achtzehnten Dynastie
Eine analoge Stellung nimmt wenigstens in Hermopolis, das
ja ursprünglich völlig selbständig neben Heliopolis stand,
mit einem von dem dortigen wesentlich abweichenden theo-
logischen System, der Gott Thout, der Schöpfer der acht
Urelemente, ein ; sonst aber hat er sich als Mondgott diesem
System unterordnen müssen und steht neben dem Götter-
könig Re* als dessen Vezir und Schreiber, der alle Weis-
heit und Wissenschaft den Menschen offenbart hat. Auch
der Totengott Osiris, an den sich Anubis anschließt, hat
immer seine Sonderstellung bewahrt. Und zwischen ihnen
allen steht tatsächlich ganz selbständig Horus oder vielmehr
die verschiedenen Götter, die alle diesen Namen führen,
außer dem falkenköpfigen Re' Hor-achte, der am Horizont
aufgehenden Sonne, der Sohn der Isis und Rächer des Osiris,
teils als Kind (Harpokrates). teils als mannhafter Besieger
des Seth und Herrscher über beide Lande, der sich im König
inkorporiert, und der Horus von Edfu, dessen Bild in Gestalt
der geflügelten Sonnenscheibe auf alle Tempelportale und alle
Inschriftentafeln gesetzt wird.
Tatsächlich ist denn auch die Konkurrenz der einzelnen
Götter und ihrer Kultstätten durch diese Gestaltung der
Lehre nicht aufgehoben, sondern nur gewaltig gesteigert.
Sie alle sind in der Idee identisch, nur Formen des einen,
und was von dem einen ausgesagt wird, kann auch auf jeden
anderen übertragen werden ; aber sie unterscheiden sich durch
ihre Namen und das Zeremoniell ihres Kultus, und jeder
fordert seine Anerkennung und verheißt dem Frommen ein
Heil, das nur er gewähren kann. So wachsen die Ansprüche
des Kultus ständig, und die Könige sind nur zu bereit, sie zu
erfüllen, weil sich damit zugleich ihre eigene Verherrhchung
immer mehr ins Ungemessene steigert, ohne daß sie emp-
finden, wie sehr sie dadurch in Abhängigkeit geraten und
ihre Allmacht tatsächlich an die Priesterschaft abgeben. In
von Heliopolis. Unter Ramses III. im Pap. Harris stehn diese drei gleich-
berechtigt nebeneinander, und alle anderen treten ganz hinter ihnen
zurück.
Solarer Monotheismus und Götterkonkurrenz 329
dieser Vergötterung des Königs scheute man vor keiner Kon-
sequenz zurück; Amenophis III. hat sich selbst nicht nur in
Soleb, wo er als Landesgott Nubiens mit Araon zusammen
verehrt wird (o. S, 142), sondern auch in Memphis, hier
natürlich in Verbindung mit Ptah^), unter seinem Thron-
namen Nebmare' einen Tempel erbaut. In den Reliefs von
Soleb ist er dargestellt, wie er „sein lebendes Abbild auf
Erden'-) Nebma're', Herrn von Nubien, den großen Gott,
Herrn des Himmels" verehrt; gebildet wird er als König mit
dem Uraeus an der Stirn, aber mit dem krummen Widder-
horn Amons an der Stirn und dem Monde (Vollmond von
der Mondsichel umschlossen) auf dem Haupt, also wohl als In-
karnation Amons und zugleich als identisch mit dessen Sohn,
dem Mondgott Chonsu von Theben. In ähnlicher Weise hat Teje
etwas weiter unterhalb in Sedeinga einen Temjjcl erhalten.
In den Hymnen an Ptah, an Amon, an den Sonnengott,
die uns in Handschriften, in Königsinschriften und auf Grab-
stelen vielfach erhalten sind, gelangen die tieferen religiösen
Gedanken nicht selten zu wirkungsvollem Ausdruck. Aber
immer wieder drängen sich die altüberkommenen mythischen
und magischen Formeln und Gestalten dazwischen, die für
den Ägypter nun einmal Realitäten sind und bleiben. Man
behilft sich durch mystische Deutung, die in ^inem primi-
tiven, oft ganz rohen Mythus oder in einer absurden Zere-
monie eine geheimnisvolle Anspielung auf irgend eine Er-
scheinungsform des Sonnengottes und die uranfänglichen
Schicksale sucht, aus denen die Weltordnung und die Götter
entstanden sind')- Das führt dann stetig weiter zu immer
') Breasted, Anc. Rec. II 880 Anm.
-) Ob die allgemein angenommene Deutung, das Possessivpro-
nomen bezeichne den Sonnengott, also „lebendes Abbild des Re'", zu-
treffend ist, ist mir nach dem Wortlaut der Inschrift der Widder und
Löwen (, König Amenophis machte es als sein Denkmal für sein Ab-
bild") sehr fraglich: parallel steht daneben ,er machte es als sein
Denkmal für seinen Vater Amon von Theben".
^) Sehr instruktiv dafür sind die schon vor der 12. Dynastie be-
ginnenden Kommentare zum 17. Kapitel des Totenbuchs, das jetzt von
330 ^ I- Kultur und Religion Ägyptens unter der achtzehnten Dynastie
größerem Wirrsal und öfiFnet zugleich dem krassesten Zauber-
wesen mit allem daran hängendem Aberglauben Tor und Tür,
Im Neuen Reich ist das gewaltig gewachsen; erst jetzt ist Isis,
„die große Zauberin", die in der älteren Zeit noch ganz zurück-
steht, zu einer der wirksamsten Gottheiten der Volksreligion er-
wachsen, die als Herrin aller verborgenen Naturkräfte das
ganze Reich der Magie beherrscht und, wenn man sich nur
recht darauf versteht, dem Menschen dienstbar machen kann.
Auch von der Gestaltung der Vorstellungen vom Tode
und vom Jenseits gilt das gleiche. Die Identität des Toten-
geistes, der das Gericht im Westreich bestanden hat —
daher der ständige Zusatz „der gerechtfertigte" (ma'a chru,
wörtlich „der dessen Wort richtig, d. h. als solches erwiesen
ist") — mit Osiris ist allgemein anerkannt, und ständig wird
der Name Osiris vor den des Verstorbenen gesetzt; auch
dem niedrigen Volk wird die Vollziehung der dafür erforder-
lichen Zeremonien und die Balsamierung möglich gemacht^).
Auf der Grabstele tritt die altherkömmliche Darstellung des
Totenopfers zurück; dafür betet der Tote auf ihr zu Osiris
oder auch zum Sonnengott. Wie schon in der fünften Dy-
nastie treten auch jetzt in den Grabinschriften die schlichten
Anschauungen von einer sitthchen Verantwortung, die sich
vor dem Richterstuhl des Osiris zu bewähren hat, und der
Glaube an ein seliges Leben im Westreich und zugleich im
Grapow, Religiöse Urkunden (1915 ff., bis jetzt drei Hefte), vortrefflich
bearbeitet ist. An jeden Satz werden solche verzwickte Deutungen an-
geschlossen und nicht selten mehrere zur Auswahl gestellt. In der
Folgezeit und bis in die Spätzeit hinein wird das dann immer weiter
fortgesponnen.
') Herodot hat die drei Formen der Leichenbehandlung aus-
führlich beschrieben (II 85 ff.): die kostspieligste für die Reichen, die
für den Mittelstand und die der Armen. Jede der drei erfordert eine
70tägige Behandlung. Manche Einzelheiten sind erst später aufge-
kommen, so die Beschmierung des Gesichts der Frauen der Familie
und der Klageweiber mit Lehm, die auf den Särgen der 22. Dynastie
vielfach dargestellt ist. Ebenso gehören die aufrechtgestellten Särge
in Kapellenform erst der Spätzeit an.
/ ■ Zauberwesen. Totendienst 331
Gefolge des Sonnengottes als das entscheidende Moment her-
vor. In diesen Äußerungen empfinden wir die ihrer hoch-
entwickelten geistigen Kultur entsprechenden ethischen und
religiösen Gedanken, in denen der Ägypter lebt und die im
Grunde alles andere Beiwerk aufheben und überflüssig machen
sollten. Aber dieses Beiwerk wird nicht nur weiter fortge-
schleppt, sondern eben infolge der gesteigerten materiellen
Kultur ins Unendliche vermehrt. Da muß alles getan werden,
die Leiche zu konservieren; ein Sarg wird über den anderen
gestülpt; die Eingeweide werden in vier Krüge verteilt, mit
den Figuren von vier Gottheiten, der „Horussöhne", die sie
beschirmen (die sog. Kanopen); au Stelle des Herzens, das
im Gericht von Thout auf die Wagschale gesetzt und gegen
die Figur der Wahrheitsgöttin Ma'at gewogen wird, wird ein
Skarabaeus in die Leiche gesetzt, mit einer Zauberformel,
die den günstigen Ausgang sichern soll. Unabsehbar ist die
Zahl der Amulette, die dem Toten mitgegeben werden müssen,
damit seine Leiche so gut ausgerüstet ist wie die des Osiris.
Schon im Mittleren Reich hat man dem Toten außer den
Statuen gelegentlich kleine Tonfiguren in Mumiengestalt bei-
gegeben, die seinen Namen tragen; jetzt werden diese in
Arbeiter mit Hacke und Sack umgewandelt, die durch die
darauf gesetzte Zauberformel gezwungen werden, für ihn die
Feldarbeiten auf den Gefilden des Westreichs zu besorgen,
und in immer größerer Zahl, bei den Königen bis zu Tau-
senden, werden diese oft sehr sorgfältig gearbeiteten Puppen
ihm ins Grab gelegt. Dazu kommt dann das Inventar an
Hausrat, Möbeln, Pflügen, Schiff'en u. s. w. So hat sich in
allen Städten des Niltals eine Industrie von gewaltigem Um-
fang entwickelt, die lediglich für die Toten arbeitet; und
dazu kommen einerseits die Scharen der Balsamierer, andrer-
seits die Baumeister und Künstler, welche die Gräber an-
legen und ausschmücken.
Auch die Zaubertexte, die dem Toten sein Dasein im
Jenseits sichern sollen, schwellen immer mehr an. In den
Königsgräbern werden sie, wie ehemals die „Pvramiden-
332 ^ I- Kultur und Religion Ägyptens unter der achtzehnten Dynastie
texte", in prachtvoll gemeißelten Hieroglyphen an die Fels-
wände der Kammern gesetzt, so z. B. das schon erwähnte
umfangreiche Buch, das die Fahrt der Sonnenharke durch
die Unterwelt ausführlich beschreibt. Für gewöhnlich aber
gibt man dem Toten eine große Papyrusrolle mit, das „Buch
vom Herausgehn bei Tage", d. h. von der Wiederbelebung
des zum Osiris gewordenen Toten, so daß er sich bei Tages-
licht auf Erden herumtreiben kann, das sog. „Totenbuch".
Seine Anfänge gehn in die Zeit der Auflösung des Alten Reichs
zurück (Bd. I 276) ; schon im Mittleren Reich sind immer wieder
neue Sprüche hinzugetreten, die ältesten Texte wiederholt kom-
mentiert und dabei umgedeutet und entstellt (S. 329, 3), und
dieser Prozeß setzt sich bis in die Spätzeit hinein fort. Es be-
ruht durchaus auf der Theologie von Heliopolis. die ja den
Osiris und seinen Kreis schon früh in ihre „Götterneunheit"
aufgenommen hat. Daher ist Atum in ihm der Urgott und
der große Sonnengott, der die Welt beherrscht; mit ihm wird
der Tote durch den Zauberspruch identisch und kann daher
alle bösen Mächte und Dämonen, die ihm auflauern, abwehren
und zugleich in die Sonnenbarke eintreten und auf Erden
„Gestalten annehmen, welche er will", während er zugleich
bei Osiris oder als Osiris im Westreich lebt. Die meisten an-
deren Götter der ägyptischen Kultstätten werden daneben be-
rücksichtigt und in seinen Kreis hineingezogen (so vor allem
Thout); die beiden großen Konkurrenten des Atum dagegen,
Ptah und Amon, werden niemals erwähnt, auch nicht in den
Texten, die erst im Neuen Reich entstanden sind; da ist die
latente Konkurrenz, die trotz aller Formeln der offiziellen Theo-
logie weiter besteht, deutlich erkennbar. In der Ausgestaltung
kann sich dann das Spuk- und Zauberwesen ungehindert er-
gehn; während in den älteren Bestandteilen die derben Ge-
bilde des primitiven Mythus vorherrschen, werden die jüngeren
immer mehr von den wahnwitzigsten Einfällen einer durch die
Magie völlig haltlos gewordenen Phantasie überwuchert.
Auf dem ununterbrochenen Durcheinanderfließen dieser
so ganz verschiedenartigen Vorstellungen beruht das Wesen
Das Totenbuch. Die Theologie 333
der ägyptischen Theologie; die viel gepriesene und viel ver-
spottete „Weisheit der Ägypter" besteht in der unauflös-
lichen Verbindung tiefsinniger oder wenigstens sich für tief-
sinnig ausgebender Ideen einer mystischen Spekulation mit
den Rudimenten urältester Mythologie und mit den Erzeug-
nissen bizarrsten Aberglaubens und wüster Magie. In dem
Nebeneinander des pantheistischen, in Menschengestalt dar-
gestellten Urgottes und des Kultus der heiligen Widder und
Ochsen, Falken und Geier, Katzen und Paviane, Fische und
Schlangen, Nilpferde und Krokodile, und der in ihnen ver-
körperten tierköpfigen Götter tritt diese Do])pelheit anschau-
lich zutage.
König und Volk haben die Lehre, welche die Priester
verkündeten, gläubig hingenommen. Aber es ist begreiflich,
daß es Persönlichkeiten gab, die sich dadurch nicht befrie-
digt fühlten, die die Halbheit und den inneren Widerspruch
zwischen Theorie und Praxis schwer em})fanden. Von den
Diskussionen, die dadurch entstanden, ist keine Kunde auf uns
gekommen; aber die unmittelbar folgenden Ereignisse zeigen,
daß sie stattgefunden haben, und daß es gärte in der Schicht
der „Wissenden". Ägypten ist in die entscheidende Krisis
seines geistigen Lebens eingetreten; ob es gelingen werde, über
den bisherigen Zustand hinauszukommen, die Anschauungen zu
reinigen und sich zu befreien von der Wucht, mit der die
immer mehr anschwellende religiöse Tradition auf dem geisti-
gen Leben lastete, war die Frage, deren Beantwortung über
die weitere Zukunft Ägyptens entscheiden mußte.
Diese Krisis hat sich umso verhängnisvoller gestaltet,
da sie sich mit einer schweren Erschütterung der äußeren
Machtstellung Ägyptens verband, die den Fortbestand des
Weltreichs der Pharaonen in Frage stellte.
VII. Niedergang der ägyptischen Machtstellung in
Syrien. Vordringen der Beduinen und der Chetiter
Quellen und Chronologie
An Streitigkeiten zwischen den Vasallenfürsten in Syrien,
an Versuchen, ihr Gebiet auf Kosten der Nachbarn und Ri-
valen zu erweitern, wird es niemals gefehlt haben; die Auf-
gabe der Pharaonen und ihrer Generale war es, die Inter-
essen des Reichs zu wahren, treu ergebene Vasallen gegen
ehrgeizige Aufrührer zu schirmen, und zugleich die immer
gegen die Kulturgebiete andrängenden Beduinenstämme im
Zaum zu halten.
Aber unter dem schlaffen Regiment Amenophis' III. er-
lahmte die Tatkraft. Im Gefühl seiner Göttlichkeit ließ er
die Dinge gehn wie sie wollten, und keine noch so dringende
Bitte und Mahnung vermochte ihn dazu zu bringen, sein
behagliches Dasein in Theben mit den Strapazen eines
Kriegszugs nach Syrien zu vertauschen; selbst zu energi-
schen Befehlen ließ er sich nur schwer bestimmen. An
Rivalitäten und selbstsüchtigen Bestrebungen unter seinen
Offizieren wird es auch nicht gefehlt haben. So kam es,
daß in Syrien in stets steigendem Maße Unruhen ausbrachen,
denen die Regierung unschlüssig und ziellos gegenüber-
stand.
Einen lebendigen Einblick in diese Vorgänge verdanken
wir dem Archiv von Amarna. Als Amenophis IV. in seinem
6. Jahr seine Residenz hierhin verlegte, hat er einen be-
trächtlichen Teil der Korrespondenz seines Vaters und seiner
eigenen mit den auswärtigen Königen und den syrischen Va-
sallen mitgenommen, die dann in den folgenden Jahren noch
weiter anwuchs; und dies Material ist uns, wie es scheint,
Die Briefe von Amarna 335
nahezu vollständig erhalten^). Sehr empfindlich ist, daß diese
Briefe niemals ein genaueres Datum enthalten. Bei den
Briefen aus (und nach) Babylonien, Mitani, Assur und dem
Chetiterreich ist neben dem Verfasser wenigstens auch der
Adressat genannt; daraus ergibt sich, daß nahezu die Hälfte
dieser Briefe aus der Zeit Amenophis' III. stammt, und das
gleiche Verhältnis wird wohl annähernd auch für die Briefe
der Vasallen gelten. Unter diesen nennen den Adressaten nur
die vier Briefe des Akizzi von Qatna, und diese sind alle an
Amenophis III. gerichtet.
Aus den Briefen Akizzis ergibt sich, daß der Aufstand des
Aitakkama von Kinza, das Vordringen des Amoriters Aziru
und das erste Eingreifen der Chetiter unter Subbiluljuma in
Nordsyrien, von dem die Urkunden aus Boghazkiöi berichten,
bereits in die Zeit Amenophis' III. fällt, trotz des freund-
schaftlichen Briefs, den der Chetiterkönig an Amenophis IV.
bei dessen Thronbesteigung schreibt (41). Dadurch sind neben
vielen anderen auch der Brief des Königs von Nuchasse (51)
und der von Tunip (59) datiert und ebenso ein Teil der
Briefe des Ribaddi von Byblos, die um Hilfe gegen Aziru
bitten (102 ff.). Diese Briefe setzen sich dann unter Ame-
nophis IV. weiter fort ; sicher an diesen gerichtet sind, weil
sie Vorgänge unter dem Vater des Adressaten erwähnen,
z. B. 108 (ZI. 28 ff.). 116 (ZI. 21 ff.). 131 (ZI. 32 ff.). 132
(ZI. 10 ff.). Für die Briefe aus Palaestina bietet einen Anhalt,
') Gefunden 1887 und vor allem nach Berlin, daneben nach Lon-
don, Kairo, Oxford u. a. gekommen. Nach der ersten Ausgabe (1889)
und Bearbeitung (1896) durch H. Winckler ist jetzt grundlegend die
Ausgabe (Umschrift und Übersetzung) von Knüdtzox (vollendet 1915)
mit ausführlichem sachlichem Kommentar von ihm und 0. Weber und
Glossar von Ebeling. Dagegen fehlt ein philologischer Kommentar noch
vollständig, und vielfach sind die Übersetzungen und Ergänzungen der
in vielen Fällen nur in Bruchstücken vorliegenden Texte trotz allen
Scharfsinns nur geraten und nicht selten sprachlich und sachlich un-
möglich. Ohne vorsichtige Kritik dürfen alle diese Übersetzungen nicht
benutzt werden. — Sechs weitere Briefe hat Thureau -Dangin, Rev.
d'Ass. XIX 1923, 91 ff. veröffentlicht.
336 VII. Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und lieduinen
daß auf dem Brief Labajas 254 mit Tinte das hieratische
Datum „Jahr 12" (natürlich Amenophis' IV.) vermerkt ist;
daraus folgt, daß diejenigen Briefe, in denen Labajas Tod
erwähnt oder vorausgesetzt wird, noch beträchtlich weiter
hinabreichen. Der jüngste aller Briefe ist 170, der über ein
Vorrücken der Chetiter berichtet, das nach den Texten aus
Boghazkiöi kurz vor den Tod Amenophis' IV. fällt.
In beträchtlich frühere Zeit dagegen gehört der Auf-
stand Abdasirtas, des Vaters Azirus, auf den sich die erste
Hälfte der Briefe des Ribaddi von Byblos bezieht (68 — 95,
ebenso natürlich die Briefe Abdasirtas selbst 60 ff.); sie rei-
chen offenbar ziemlich w^eit in die Regierung Amenophis' III.
hinauf^).
Eine %vesentliche Ergänzung haben die im Archiv von
Boghazkiöi erhaltenen Texte gebracht, vor allem die immer
mit ausführlichen geschichtlichen Einleitungen versehenen
Urkunden der Verträge, die Subbiluljuma mit den von ihm
besiegten Fürsten geschlossen hat'-). Auch hier fehlt die
*) Die Scheidung der Briefe Ribaddis in die aus der Zeit Abda-
sirtas und die aus der Zeit Azirus und die daraus sich ergebende An-
ordnung hat Knudtzon in seiner Ausgabe im wesentlichen rithtig durch-
geführt (vgl. auch seinen Aufsatz in Beitr. zur Assyr. IV).
^) Die wichtigsten Ergebnisse der von ihm ausgegrabenen Texte
hat Huco WiNCKi.ER sogleich in den Mitt. DOG. 35, Dez. 1907 veröffentlicht
(dazu seine Abhandlung „Vorderasien im 2. Jahrtausend", Mitt. Vorderas.
Ges. 1913, 4). Die in akkadischer Sprache verfaßten, meist in mehreren
Exemplaren vorliegenden Verti äge, bearb. von Br. Meissner, Jahresber.
der sehles. Ges. 1917 und Weidner, Mitt. DOG. 58, 1917, sind von Weidner,
Boghazkiöistud. 8 u. 9, 1923, vollständig übersetzt und kommentiert. Im
einzelnen ist auch hier wie bei den Amarnabriefen noch vieles sehr un-
sicher und Zurückhaltung geboten; es kommt hinzu, daß die chetitische
Kanzlei die akkadische Sprache offenbar noch weniger beherrschte als
die Schreiber dieser Briefe und sich daher meist sehr unbeholfen aus-
drückte. — Von den Texten aus Boghazkiöi, sowohl den akkadischen
wie den chetitischen und denen in anderen Sprachen, ist bis jetzt nur
ein Teil veröffentlicht, und die Bearbeitung der letzteren steht natürlich
noch in den Anfängen. Transkription der geschichtlichen chetitischen
Texte bis auf Mursil IL durch Forrer, Bogh.-Texte in Umschrift 1926
Die Amarnabriefe und die Texte aus Bughazkiöi 337
Datierung; aber vielfach fügen sicli die Angaben aus beiden
Quellen ohne weiteres ineinander und ermöglichen dadurch
auch den Zeitpunkt der übrigen Nachrichten im Gesamt-
verlauf der Begebenheiten wenigstens annähernd festzu-
legen.
Einen festen Endtermin bietet die Erzählung Mursils IL,
daß sein Vater Subbiluljuma, als er bei Karkemis stand, den
Lupakki und Te.sub(':')-zalman^) zur Eroberung des Landes
*Amq (Coelesyrien) ausschickte; darüber erschraken die Ägyp-
ter, und da ihr König Bibchururias gestorben war, wandte
sich dessen Witwe an den Chetiterkönig mit der Bitte, da
sie keinen Sohn habe, ihr einen seiner Söhne als Gatten zu
schicken^). Dieser kommt dann in Ägypten um, worauf der
König einen Rachekrieg unternimmt. Den Einfall des Lupakki
in 'Amq berichtet nun der Amarnabrief 170 an den Pharao;
mithin kann, da es ganz unmöglich ist, daß nach der kurz
nach Amenophis' IV. Tode erfolgten Rückverlegung der Re-
sidenz nach Theben noch Briefe in das Archiv von Amarna
gekommen sein können, Bibchururias nur der Thronname
(41. 42. 4(;. Veiöffentl. d. DOG.). Mehrere andere wichtige Texte hat
FoRRER, Forschungen I. II, 19'2G, behandelt.
') Ob der ideograiihisch geschriebene Gottesname Tesub zu lesen
ist, ist ganz unsicher.
^) Der Text, der aus einem größeren Werk des Mursil II. über
die Geschichte seines Vaters stammt, ist veröffentlicht Keilinschr. v.
Bogh. V T) von Hrozny und in Umschrift von Forrer, Bogh. -Texte in
Umschrift no. 41 ; der betreffende Abschnitt (Rückseite col. 3 und 4), zu-
erst btsprochen von Hrozny, Mitt. DOG. 56 (1915), 35 f., ist übersetzt
von Zimmern, Z. Ass. 35, 37 ff", und von Friedrich, Aus dem het. Schrift-
tum I (Alter Orient 24, 3) 12 ff. Er bricht mitten in der Erzählung
in der Mitte von col. 4 ab; auf der freigelassenen unteren Hälfte der
Tafel steht die Bemerkung: „Tafel 7. Noch nicht auf Bronzetafel aus-
gefertigt" (so richtig Sommer, Bogh.-Stud. IH 17. X 5; falsch übersetzt
bei Forrer, Bogh.-Texte in Umschrift 33*). Die vorangehende Erzählung
ist von Forrer, Forsch. H 31, kurz besprochen, aber noch nicht über-
setzt. — Erwähnt werden diese Vorgänge auch in den Gebeten Mursils
bei Forrer S. 13 f. [wo seine Übersetzung von § 4 unverständlich bleibt]
und 23, und ganz kurz S. 10.
Meyer, Geschichte dea Altertums. II' 22
338 ^"11- Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
Amenophis' IV. Nefercheprure* sein^), und der Brief fällt in
sein letztes Regierungsjahr.
Einen weiteren Anhalt gibt, daß nach einer Angabe
Muwattals sein Großvater Subbiluljuma im Kriege gegen
Charri (d. i. Mitani) sechs Jahre lang in Syrien gestanden,
seine Herrschaft bis über Kinza und Amurri ausgedehnt,
die Ägypter besiegt und seine Söhne in Aleppo und Kar-
kemis zu Königen eingesetzt habe"-'). Innerhalb dieser sechs
Jahre ist also Amenophis IV. gestorben, vermutlich gegen
Ende des Zeitraums^). Das höchste von ihm erhaltene Datum
— auf Steinkrügen*) — ist sein 18. Jahr, und es ist nicht
wahrscheinlich, daß er länger regiert hat; mithin sind die
1) Sonst durch Napchururia u. ä. (bei Subbiluljuma 41 zu Chüria
verkürzt) wiedergegeben. An sich könnte es sehr wohl auch der Thron-
name Tut'anch-amons Nebcheprure' sein, wie man zuerst annahm; aber
das ist sachlich unmöglich. Forrer's Vermutung, Forsch. II 25 f., Mursil
habe die beiden Namen verwechselt, ist höchst unwahrscheinlich. —
Die Königin von Ägypten erhält den Zusatz „die daehamim [. .] war" ;
das ist offenbar nicht ihr Eigenname, sondern ein Appellativum, etwa
, Witwe" (Ehel('Lf).
2) FoRRER, Forsch, n 10.
3) FoRRER setzt den Tod schon ins S.Jahr; es bleibt indessen
fraglich, wieweit man den kurz die wichtigsten Vorgänge zusammen-
fassenden Bericht zu genaueren chronologischen Schlüssen verwenden
darf. Nach dem Gebet Mursils bei Forrer, Forsch. 11 13, hat sein Vater
die ägyptische Grenzprovinz 'Amq vor der Bitte um Entsendung seines
Sohns zum König zweimal geschlagen, also noch unter Amenophis IV.
Nordsyrien einschließlich von Kinza (und Amurri) hat er nach der An-
gabe des Vertrages mit Mattiwaza ZI. 46 in einem Jahre unterworfen.
Damit schließt im Vertrage der Bericht über die Vorgänge in Syrien,
und es folgt der über die Einsetzung Mattiwazas in Mitani durch
Subbiluljumas Sohn Bijassil, den er zum König von Karkemis gemacht
hat. Diese Stadt selbst hat ihm freilich noch längere Zeit Widerstand
geleistet; während er vor ihr stand, schickte er den Lupakki nach
'Amq. Danach ist wohl das wahrscheinlichste, daß auf die erste Unter-
werfung Nordsyriens eine längere Pause gefolgt ist, ehe der König
sich entschloß, durch den Zug nach 'Amq direkt mit Ägypten zu
brechen.
*) Siehe Gactier, Livre des Rois II.
. • Chronologie 339
an ihn gerichteten Briefe aus Amarna auf einen Zeitraum
von achtzehn Jahren zu verteilen.
Weiter wissen wir aus Darstellungen in den Gräbern
von Amarna, daß im 12. Jahr des Königs Tribute und Ge-
fangene aus Syrien und Nubien am Hofe vorgeführt wurden^),
also in demselben Jahre, aus dem der von Loyalität über-
strömende Brief 254 des Rebellen Labaja stammt. Damals
hat also, wahrscheinlich im Jahre 11, ein ägyptisches Heer
in Syrien eingegriffen, wenn auch schwerlich mit größerem
Erfolg; es liegt nahe, das zwar nicht mit dem Feldzuge des
Chetiterkönigs selbst — der erst etwas später fallen kann
und zu einem Zusammenstoß mit ägyptischen Truppen nicht
geführt hat — , aber wohl mit den Wirren in Verbindung
zu bringen, die zu dessen EingTeifen geführt haben. Für die
vorausliegenden Ereignisse unter Amenophis IV. bleiben also
zehn Jahre.
Ein absolutes Datum hat Forrer zu ermitteln versucht
aus der Erwähnung eines Vorzeichens, das die ' Sonne im
9. Jahr des Königs Mursil H. gegeben hat^), als dieser gegen
das Land Azzi aufbrach, das er nach den Angaben seiner
Annalen im 10. Jahr bekriegt hat. Er hält dies Vorzeichen
für eine Sonnenfinsternis und findet diese im Anschluß an
den Astronomen C. Si:iioch in der in Boghazkiöi sichtbaren
ringförmigen Sonnenfinsternis am 13. März ^1335. Danach
wäre Mursils 1. Jahr = 1344, das letzte Jahr Subbiluljumas,
da die dazwischenliegende Regierung seines älteren Sohnes
Arnuwanda III. jedenfalls nur kurz gewesen ist, etwa 1346.
Weiter verwendet er die Angabe, daß Mursil zu Anfang
') Davies, Rock tombs of Amarna II 40 ff .pl. 87—40 (Merire' II.)
und m 9 ff. pl. 13—15 (Chuja). Das Datum der Vorführung ist der
8. Mechir, der in der Mitte des 14. Jahrhunderts v. Chr. nach Mitte
Januar jul. oder Anfang Januar greg. fällt, l'er Feldzug fiel also in
den vorhergehenden Sommer und Herbst.
^) Forsch. II 2 ff. Die weiteren ^Ergänzungen und Übersetzungen
des nur ganz lückenhaft erhaltenen Textes erscheinen recht proble-
matisch.
340 ^^11- Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
seines 15. Jahres (also 1330) ein Fest am Fluß Mala gefeiert
hat, und daß er dieses in einem Gebet als Sühne für eine
Seuche ankündigt, die bei dem Feldzug ausbrach, den sein
Vater nach dem Untergang eines seiner Söhne gegen Ägypten
geführt hat und die nun bereits zwanzig Jahre dauert. Da-
nach würde dieser Krieg ins Jahr 1350, rund fünf Jahre
vor Subbiluljumas Tod. der Tod Amenophis' IV. etwa 1351
fallen!).
Es wäre hoch willkommen, wenn wir hier wirklich ein
astronomisch feststellbares Datum erhalten hätten. Es ist
jedoch lediglich postuliert, daß das für das Sonnenomen ver-
wendete Verbum sakiachta wirklich „verfinsterte sich" be-
deutet; es kann ebensogut irgend ein anderes Phänomen
bezeichnen, wie so häufig in den babylonischen und assyri-
schen Omina'-). Als astronomisch gesichert kann daher das
FoKRER'sche Datum durchaus nicht betrachtet werden^). In-
dessen annähernd zutreffend, mit einem Spielraum von we-
nigen Jahren, ist dies Datum jedenfalls; es jstimmt sowohl
zu den assyrischen und babylonischen Synchronismen, wie
zu dem, was wir über die ägyptische Chronologie ermitteln
können. Für diese bildet den Ausgangspunkt, daß Ramses II.
kurz nach 1300 zur Regierung gekommen ist, und daß wir
auf seinen Vater Sethos I. und seinen Großvater Ramses I.
*) Beiseite hisse ich die weitere Kombination Forrer's, der aus
Mursils Annalen §1.51 f. (Bogh.-Texte in Umschrift no. 61A) folgert,
von der Zeit an, wo Subbiluljunia in Syrien stand, habe dessen Nefle
das kleinasiatische Land Balä 20 Jahre lang bis zum 16. Jahre Mursils,
also 1B48— 1329, gegen die Gasgaeer geschirmt. Denn die Ergänzung
und Übersetzung des entscheidenden Satzes mit der Zahlenangabe bei
FoRRER S. 9 (II 41 f.) beruht lediglich auf Vermutung, selbst ob .Jahr 20"
dasteht, ist ganz unsicher; s. Hrozn^'s Publikation des Textes Keil-
schrifttexte aus Bogh. V S. bl.
2) [So jetzt auch Götze in Kleinas. Forsch. I 1927, 116.]
') Auch die Möglichkeit sche'.nt durch Forrer's Gegenargumente
noch nicht ausgeschlossen, daß, wenn es sich wirklich um eine Finsternis
handelt, die totale Sonnenfinsternis ^vom 8. Januar 1310 in Betracht
käme, Forrer's Daten also um 5 Jahre hinaufzurücken wären.
Chronologie 341
(regierte ein Jahr und wenige Monate) nicht mehr als höch-
stens ein Jahrzehnt rechnen dürfen^). Haremhabs Regierung
endet also um 1310. Nun wissen wir, daß die offizielle
Chronologie der Ägypter die ganze Zeit vom Tode Ameno-
phis' III. an dem Haremhab zugerechnet hat. Eine nach
diesem datierte Urkunde aus der Zeit Ramses' II. erwähnt
sein 59. Jahr'-^). Wir werden also diesen Zeitraum auf rund
sechzig Jahre anzusetzen haben, den Tod Amenophis' III.
mithin auf ca. 1370, den Amenophis' IV. auf ca. 1352/1;
das stimmt, wie man sieht, genau zu dem von Forrer er-
schlossenen Datum. Wir können daher die von diesem auf-
ge.stellten Daten ^) unbedenklich übernehmen, wenn auch mit
dem Vorbehalt, daß sie vielleicht um ein paar Jahre zu er-
höhen sind.
Nach oben ergänzt werden sie durch die weitere An-
gabe^), daß Subbiluljuma zwanzig Jahre gewartet hat, bis
er gegen die Charrier (Mitani) in Syrien vorging. Das wird
sich auf das siegreiche Vorgehen Dusrattas gegen die Che-
titer zu Anfang seiner Regierung beziehen, von dem er Am. 17,
30 ff. an Amenophis III. berichtet; das ist danach etwa ins
28. Jahr des Pharao (um 1378) zu setzen. Das darauffolgende
erste Eingreifen Subbiluljumas in Syrien, das er selbst zu
Anfang des Vertrags mit Mattiwaza berichtet und das wir aus
den Amarnabriefen kennen, ist dabei übergangen, da es ohne
dauernde Folgen geblieben ist.
') Weiteres s. u. S.'?41.S. 448.
^) Prozeßakten des Mes ZI. 8 bei Lorkt. ÄZ. 39 S. 4 und Moret
S. 11.
^) Boghazkiöitexte in Umschrift S. VI.
*) Forrer Forsch. II 10, in der oben S. 388 angeführten Inschrift
Muwattals. [Daß ich die von Forrer auf das Intervall von 20 Jahren
gebauten Hypothesen S. 19 f. für phantastisch halte, bedarf kaum der
Bemerkung.]
342 ^U- Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
Eindringen der semitischen Nomadenstämme ins Kulturland.
Aramaeer und Israeliten
Als treibendes Element der Bewegung-, die ganz Syrien
seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts ergriffen hat, erscheinen
in den Amarnabriefen durchweg die Beduinen. Sie über-
schwemmen das Land und bedrohen die Städte; die Dynasten
nehmen sie in ihre Dienste, um ihr Machtgebiet zu erweitern,
und überlassen ihnen die eroberten Ortschaften zur Aus-
plünderung und Besiedlung. Bezeichnet werden sie mit dem
Namen Chabiri, der meist ideographisch Sa-Gaz oder einfach
Gaz geschrieben wird^- Es ist ein Ausdruck, der sich ver-
einzelt auch in babylonischen, häufig in chetitischen Texten
findet, und zwar vor allem im Namen einer Göttergruppe,
die in den Vertragsurkunden am Schluß der langen Liste der
chetitischen Götter, aber vor „den Unter weltsgöttern und der
Gesamtheit der männlichen und weiblichen Götter des Landes
Chatti", als „Götter der Lulachi und Götter der Chabiri"
bezeichnet werden 0- Offenbar sind es nicht Völkernamen,
') Bekanntlich findet sich die Schreibung Chabiri in den Amarna-
briefen nur in denen des Abdchiba von Jerusalem; aber schon Winckler
hatte sogleich erkannt, daßT.hier die Aussprache der in den übrigen
Briefen dieselbe Rolle spielenden Sa-Gaz vorliege. Das ist jetzt durch
die Texte aus Boghazkiöi vollauf bestätigt worden, wo die Schreibungen
iläni chabiri und ildni Sa-Gaz miteinander wechseln. — Zusammen-
stellung der Stellen bei Forrer, ZDMG. 76, 251. 3000 Chabirileute werden
in den Bruchstücken einer altchetiti^chen Königsinschrift bei Forrkr,
Bogh.-Texte in Umschrift no. 17 A, Rs. 39 = B ZI. 9' (vgl. S. 9) erwähnt,
Sa-Gazleute in dem Fragment der chetitischen Übersetzung der Naram-
sinsage ebenda no.^5 Rs. ZI. 10'.
2) Das gesamte Material hat Gl'stavs, Z. Altt. Wiss. 44, 1920, 2b ff.
zusammengestellt und die wilden Hypothesen von Jirku, die Wande-
rungen der Hebraeer (Alter Orient 24, 2) widerlegt. Neben iläni Lulachi
iläni Chabiri (resp. Sa-Gaz) „Die lulachischen und die chabirischen
Götter" (gelegentlich mit Zufügung der chetitischen Pluralemiungen
nom. -eS, gen. -as) findet sich auch iläni sa Nu[sic\]- lacht (Keil-
schrifttexte aus Bogh. I 3 Rs. 4) und iläni sa Sa-Gaz (ebenda I 2 Rs. 27
bei Weidner, Bogh.-Stud. 8 S. 30), letzteres determiniert mit ,Leute%
Eindringen der Bc?duinen (Chabiri) 343
sondern Bezeichnungen von bestimmten Bevölkerungsgruppen
des chetitischen Reichs. Über die Lulachier wissen wir weiter
nichts; die Chabiri sind, wie die Amarnatafeln lehren, noma-
dische Wanderstämme, die in Kleinasien etwa in derselben
Weise zwischen der seßhaften Bevölkerung gesiedelt haben
werden, wie wir das z. B. in Westdeutschland in der neolithi-
schen Zeit finden. Semiten aber wie die Chabiri der Steppen
Syriens und Mesopotamiens und in der syrisch -arabischen
Felswüste werden sie dort schwerlich gewesen sein. In den
Amarnatexten erscheinen neben den letzteren mehrfach die
Suti, d. i. die. beduinischen Schützen, sowohl als Soldtruppen
wie als Räuberscharen ^).
Diese in die Kulturgebiete Syriens und Mesopotamiens
eindringenden semitischen Volksstärame werden in den assy-
rischen Berichten zuerst unter Arikdenilu, der sie um 1320
bekämpft hat, als Achlame und Suti erwähnt-); spätere Texte
bezeichnen die Achlamaeer häufig als Aramaeer. Auch in
einem nur ganz lückenhaft erhaltenen Amarnatext wird über
sie berichtet in Beziehung zu dem König von Kardunias^).
Dann bekämpft Siilmanassar I. (um 1280) die mit dem König
von Chaniffalbat verbündeten Chetiter und Achlamaeer^), und
also „Götter der Lulacliier und der Chabiri". Aus letzteren ist dann
ein Einzelgott Chabiru geworden, der spater itn Gefolge des Gewitter-
gottes Adad in das Pantheon von Assur aufgenommen ist (Schroeder,
Keilschr. versch. Inh. 42, col. 2, 9; vgl. Gustavs, Z. Altt. Wiss. 40, 313).
1) Vgl. 0. S. 93. Suti und Sa-gaz als Söldner eines Dynasten
Am. 195, 29, als' Bedränger der Ortschaften 318, 13 (hier hiti geschrie-
ben); ebenso die suü allein 16, 38 f. 169. 2-5 ff.; im Dienste des ägypti-
schen Generals Pachuru 122, 34. 123, 14. Auch in dem Bericht über
Subbiluljumas Kämpfe bei Karkamis, Forrer, Bogh. in Uiuschrift no. 41,
2 ZI. 1. 4. 5, erscheinen die stlte oder sute als Krieger.
^) Inschrift Adadnirari's I. über die Taten seiner Vorgänger bei
WunNER, Inschr. der altassyr. Könige S. 63. Das Material über die
Achlame zusammengestellt von Streck, Mitt. Vorderas. Ges. 1906, 3,
S. 13 f. (KlioVI 193); danach Schiffer, Die Aramaeer 1-5 tf. Als Be-
dränger der ägyptischen Boten nennt Assuruballit die Suti Am. 16, 37.
3) Am. 200.
■*) Jetzt bei Weidner S. 116.
344 ^'11- Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
Chattusil III. redet in einem Schreiben an den Babylonier-
könig von der Störung des Gesandtschaft.sverkehr.s durch die
Achlaniaeer '). In der Folgezeit ist dann in ständigem Fort-
schreiten der ganze Norden Mesopotamiens mit Charrän und
Nisibis und Nordsyrien bis nach Damaskus und zum Quell-
gebiet des Jordan von Aramaeern besetzt und ihre Sprache
überall an Stelle der älteren getreten, auch in Babylonien
breiten sie sich immer weiter aus; über die Anfänge dieser In-
vasion, die Überschwemmung der Kulturgebiete durch eine
neue Schicht der semitischen Nomaden aus ihrer Wüsten-
heimat geben uns die Amarnatexte Auskunft^).
Eng verbunden mit den Aramaeern erscheinen in ihren
Traditionen die Israeliten. Ihre Ahnen, ursprünglich im
äußersten Süden Palaestinas und im Ostjordanlande heimische
Gestalten mythischen und kultischen Ursprungs, werden in
der Genealogie zu Verwandten der Aramaeer gemacht, in
scharf betontem Gegensatz zu den Kana'anaeern; sie sind
nicht seßhafte Bauern wie diese, sondern wandernde Vieh-
züchter. Abrahams Geburt wird nach Charrän versetzt, von
hier aus zieht er nach Hebron; nach dem Opferspruch
Deut. 26, 5 ist der Ahne des Volks „ein schweifender Ara-
maeer". Nun steht fest, daß die Israeliten im 14. Jahrhun-
dert in das Gebirgsland Palaestinas (Ephraim) eingedrungen
sind: denn zur Zeit Merneptahs sitzen sie bereits hier, unter
Sethos I. und Ranises 11. aber kann ihre Invasion nicht sfe-
') Keilschrifttexte aus Bogh. I 10 ZI. 37, Winckler, MDOG. 3.5, 22.
^) In den israelitischen Sagen sitzen die Aramaeer und ihr Re-
präsentant Laban ursprünglich im „Ostlande" Qedem, d. i. in der syri-
schen Wüste, und eben dahin gehören die in dem Stammbaum Gen. 22,
20 ff. aufgezählten aramaeischen Stämme. Bei J wird dann Laban zwar
in Charrän lokalisiert, aber geschildert wird sein Wohnsitz nicht als
eine Stadt, sondern als eine weite, von Viehzüchtern bewohnte Steppe.
Siehe m. Israeliten und ihre jNachbarstämme S. 28-5 ff. — Die Erkennt-
nis, daß die Aramaeer in Nordsyrien und Mesopotamien erst seit der
Amarnazeit eingedrungen sind, verdanken wir H. Winckler. Nach
Amos 1, 5. 9, 7 kommen die Aramaeer von Damaskus aus Qir, einem
sonst nie erwähnten Lande, das offenbar in der Wüste zu suchen ist.
Invasion der Aramaeer und der Israeliten 345
setzt werden; mithin muß sie in die Amarnazeit fallen.
Vorher werden sie vermutlich im nordwestlichen Arabien
(Midian) im Bereiche des Sinaivulkans gezeltet haben; von
hier haben sie den Kult des einsam in diesem hausenden
Feuergottes Jahwe mitgenommen, dessen diwanai-tigen Thron -
sitz, den „Kasten Jahwes", sie auf ihren Zügen mit sich
führen, damit der Gott sie begleiten und unter ihnen weilen
könne.
Die Festsetzung der Israeliten in Palaestina und die Aus-
breitung der Aramaeer in Syrien und Mesopotamien sind die
Ergebnisse einer einlieitlichen Völkerbewegung, in deren An-
fänge die Urkunden von Amarna einen Einblick gewähren.
Dadurch wird es zugleich wahrscheinlich, daß auch die Israe-
liten damals einen aramaeischen Dialekt gesprochen und das
Hebraeische erst von den Kana'anaeern übernommen haben,
als sie sich unter ihnen ansiedelten M.
Nun werden die Israeliten von den Fremden, mit denen
sie in Berührung kamen, immer 'Ibrim. Hebraeer genannt,
und ihre Sprache heißt daher hebraeisch'). Auch das ist kein
Volksname, sondern eine appellative Benennung, die wohl als
„Leute von Jenseits" (des Jordan?) gedeutet worden ist. Eine
Spur davon, daß „Hebraeer" ursprünglich eine umfassendere
Bedeutung hatte, scheint sich darin erhalten zu haben, daß die
') Dabei ist zu beachten, daß das Aramaeische nach Ausweis der
ältesten Inschriften dem Kana'anaeischen noch wesentlich näher stand
als später. — Auf Zusammengehörigkeit der Aramaeer und Israeliten
weist weiter hin, daß wir in Nordsyrien (in Gerdjin bei Sendjirli) eine
Landschaft Ja'udi finden, die doch wohl mit Jehüda zusammengehört,
und daß die Assyrer hier unter Tigletpilesar III. einen König Azrijäu
erwähnen, und ebenso unter Sargon der Name Ilubi'di von Hamät
auch Jaubi'di geschrieben wird, die Aramaeer also auch den Gott
Jahu = Jahwe gekannt zu haben scheinen.
^) , Hebraeer" findet sich im A. T. bekanntlich nur im Munde
der Fremden, hier aber durchweg, und außerdem in dem der Israeliten
selbst, wenn sie zu Fremden sprechen, aber niemals als Selbstbezeich-
nung des Volks. Als Name der Sprache kommt es zufälligerweise erst
im N. T. vor ('Eßpaioxti.
346 ^11- Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
Völkertafel des Jahwisten den Eponymus 'Eber zum Stamm-
vater zahlreicher arabischer Stämme und zum Sohn des Ur-
ahnen Sem macht^); bne sem „Leute, die einen Namen (oder
vielmehr ein Stammzeichen, arab. wasm, ein Totem) haben",
nennen sich die adelsstolzen Beduinen, die eine vollständige
Stammesgenealogie besitzen (wie sie allen israelitischen Stamm-
bäumen zugrunde liegt), im Gegensatz zu den degenerierten
Städtern, die wohl noch Adelsgeschlechter, aber keinen Stamm-
verband und keine Stammesgenealogie mehr besitzen.
Nun berührt sich 'Ibri sowohl lautlich wie seiner Be-
deutung nach so eng mit Chabiri, daß hier ein Zusammen-
hang kaum zu verkennen ist. Einer unmittelbaren Gleich-
setzung, so daß Chabiri einfach durch Hebraeer wiederzugeben
wäre, stehn ebensowohl lautliche Bedenken^) gegenüber wie
die Tatsache, daß das Wort seit alters auch Volkselemente im
chetitischen Kleinasien bezeichnet, wo wir von Hebraeern im
üblichen Sinne nicht reden können. So mag die ursjjrüng-
liche, ganz allgemeine Benennung der nomadischen Wander-
stämme in Palaestina volksetymologisch in 'Ibri umgewandelt
und als „die von Jenseits" (nämlich des Jordan) gedeutet
') Gen. 10, 23 ff.; daher heißt v. 21 Sem „der Vater aller Söhne
'Ebers". Außerdem sind auch die übrigen Wüstenstämme, wie Aram,
Moab, Edom u. s. w. durch die genealogische Verknüpfung mit den
Ahnen Israels ihm subsumiert, in scharfem Gegensatz gegen die seß-
haften Kana'anaeer.
^) Aus der im Vertrage Mursils IL mit dem Amoriterkönig vor-
kommenden Schreibung Cha-ab-hi-ri (Kellschr. aus Bogh.V 9 Rs. 4, 22)
hat Gustavs mit Recht gefolgert, daß die Aussprache Chabiri war.
Das würde, wenn ch ein ^ wiedergibt, wie so oft, auf ein hebr. 'ööer
führen, während '^ibri (mit der gewöhnlichen Verkürzung von a in ge-
schlossener Silbe zu i) ein Äquivalent chttbri erfordert. Dadurch wird
die früher auch von mir vertretene direkte Gleichsetzung beider Formen
sehr fraglich. Ganz unhaltbar ist die von Jirku wieder aufgenommene
Gleichsetzung der Hebraeer mit der ägyptischen Benennung der aus-
ländischen Fronarbeiter "pr (oft '^ajmriii gelesen). [Das Wort kommt
jetzt auch in einer Inschrift Sethos' I. in Betsean vor, die aber meines
Wissens noch nicht publiziert ist, so daß sich über Zusammenhang und
Bedeutung nichts sagen läßt.]
Hebraeer und Chabiri ,. 347
worden sein. Die sachliche Identität der Hebraeer oder Israe-
liten mit dem in Palaestina eindringenden Teil der Chabiri
der Amarnatafeln ist aber jedenfalls zweifellos.
Die Aufstände unter Amenophis III.
Erstes Eingreifen Mitanis und der Chetiter
Die ältesten Nachrichten über das Vordringen der Cha-
biri erhalten wir durch die Briefe des Fürsten von Byblos
Rib 'addi (Ribhadad) an den Pharao. Immer von neuem klagt
er, daß diese Kriegerscharen Byblos bedrängen und in Not
bringen, so daß Lebensmittel aus dem Delta beschafift werden
müssen und Gefahr besteht, daß dies ganze Gebiet dem Pharao
verloren geht. „Seit dein Vater aus Sidon heimgekehrt ist,"
schreibt er einmal an Amenophis III. ^), „seit diesen Tagen
haben sich die Länder den Chabiri zugewandt, daher habe
ich nichts (kann ich nichts ausrichten)." Diese Äußerung
zeigt, daß die Bewegung die ganze Regierungszeit Ame-
nophis' III. erfüllt hat. Einmal ist Byblos durch Pachamnata,
den Kommandanten von Simyra (8umur) und Statthalter
(rahis) des Pharao, gerettet worden; aber jetzt ist auch
Simyra selbst bedroht^). Hier hat der Amoriterhäuptling Abd-
asirta'') eingegriffen. In einem Rechtfertigungsschreiben an
Pachamnata, „seinen Herrn", der also damals mit seinen
Truppen abwesend war, berichtet er, daß Krieger aus dem
') Am. 85, 69. Daß der Briet an Am. III. gerichtet ist, ergibt sich
aus der Erwähnung Abdasirtas.
^) Am. 68, von Knüi*tzon mit liecht an den Anfang der Briefreihe
gestellt, da hier Abdasirta noch nicht erwähnt wird, und da Pachanute
(hier so geschrieben) auch dessen V^orgesetzter ist (60. 62). Ob auch die
ganz verstümmelten Briefe 69 u. 70 hierher gehören, ist sehr fraglich.
^) So schreibt Ribaddi fast überall seinen Namen, und ebenso
er selbst 61. 62, daneben Abd-asratum 60 (ebenso Ribaddi 88. 92. 94.
102) und 63 Abdi astati (jedenfalls verschrieben). In 64 ist der Name
der Göttin mit dem Ideogramm der Istar geschrieben, und man liest
daher Abd-astarti, ob mit Recht, ist doch recht fraglich, da das Zeichen
in Syrien sehr wohl für einen anderen Götternamen verwendet sein
kann. Ganz unsicher ist die Lesung des Namens in 6.5.
348 VII. Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
(sonst nie erwähnten) Orte Seclilal Siniyra überfallen hätten;
da sei er von 'Arqa (Irqat) aus herbeigeeilt, habe Stadt und
Palast aus ihren Händen gerettet und bitte jetzt um Ent-
sendung von Truppen. Ebenso erklärt er dem König, daß
er das ganze Amoriterland, Ullasa und Siniyra für ihn
schirme 1). Aber diese Loyalität ist nur Maske; in Wirklich-
keit ging er darauf aus, sich, Avenn auch unter der Ober-
hoheit des Pharao, in den Besitz des ganzen Küstengebiets
zu setzen. Daher tritt er in enge Verbindung mit den
Kriegerscharen der Chabiri, während er zugleich die Bevölke-
rung der Ortschaften gegen die Stadtherren, die Vasallen der
Ägypter, aufhetzt. In mehreren Orten, so in Ambia und
'Arqa, ist sie diesen Lockungen gefolgt und hat die Fürsten
erschlagen; auch Ribaddi von Byblos wurde bei einem Mord-
anfall schwer verwundet. Er geriet in schwerste Bedrängnis,
eine der Ortschaften seines Gebiets nach der anderen wurde
ihm entrissen, schließlich auch Batrun (Botrys) im Norden
von Byblos'^). Durch immer erneutes Drängen erreicht er
schließlich, daß der König den Amanappa (d. i. Amenope,
') Am. 62. 60. 64 und wohl auch 6ö; dagegen gehört 67 nicht
hierher (s. Weber's Anmerkungen). — 1,31, 32 ff. erzählt Ribaddi, daß
Amenophis III. den Pachamnata mit einem kleinen Heer entsandt habe;
dieser aber habe nicht auf ihn gehört, vielmehr sein Sohn Simyra
geplündert (also wohl den Abdasirta unterstützt). An Pachamnatas
Stelle ist dann Chaja als rabis getreten, den Ribaddi bittet, sich Truppen
geben zu lassen, um Simyra wieder zu nehmen; er selbst hofft dann,
dem Abdasirta bei Sigata entgegentreten zu können. Chaja ist dann
dauernd in Syrien geblieben, s. u. Erwähnt auch 66, 4 und vielleicht
117, 65 (geschrieben Cha); 101, 2 wird er als Feind des Königs an-
geklagt. Er ist wohl mit Chaja, dem Sohn des Miare (d. i. Meri re')
289, 31, und mit dem Gesandten Amenophis' IV. an Burnaburias Chäi
11, 19. rev. 13 identisch; vgl. u. S. 364, 3. 368, 1.
'^) Diese fortschreitende Entwicklung läßt sich in den im wesent-
lichen richtig geordneten [über die Briefe an Amanappa s. S. 349, 2]
Briefen 71-93 deutlich verfolgen. Ob 69. 70. 99 hierher gehören, .'st sehr
fraglich; 97. 98. 100 sind jünger. In den späteren Briefen 139 u. 140 wird
die Ermordung der Fürsten von 'Arqa, Amnia und Ardata dem Aziru zu-
geschrieben, der also damals der Gehilfe seines Vaters gewesen sein wird.
^Virren in Syrien. Abdasirta gegen Bjblos 349
Amenophis), der früher Regent der Provinz gewesen war,
jetzt aber am Hofe lebte, mit einer kleinen Trappenschar ent-
sendet 0. Dieser scheint auch wirklich nach Simyra gekommen
zu sein, konnte sich aber hier nicht behaupten^); sein Er-
scheinen bewirkt vielmehr nur, daß Abdasirta und die Chabiri
ihre Angriffe umso nachdrücklicher gegen Byblos als die
Hauptstütze der ägyptischen Herrscliaft richten (79). Auch
Zimrida von Sidon ist auf die Seite Abdasirtas getreten^),
was ihn ebensowenig wie diesen hindert, an den Pharao und
seine Beamten loyale Briefe zu schreiben und um Hilfe gegen
die Chabiri und Entsendung eines Heeres zu bitten. Der
Fürst von Tyros dagegen wurde erschlagen, und mit ihm die
Schwester Ribaddis und ihre Kinder, die sich hierher ge-
flüchtet hatten^). Man sieht, wie die Notlage die Dynasten
zwingt, nach beiden Seiten Verbindung zu suchen, wenn sie
nicht untergehn -wollen. Byblos schwebte drei Jahre lang
(85, 8 f. 86, 38) in äußerster Bedrängnis, zumal auch die Ver-
proviantierung vom Delta aus nur nachlässig betrieben wurde.
') 85, 19 fl'. hat Surata von Akko (vgl. 88,^46. 8, 29. 232) 400 Mann
und 30 Gespanne erhalten; Ribaddi fordert ebensoviel für Byblos.
'■') 117, 22 fi". Amanappa ist nach seinem früheren Aufenthalt in
Simyra (73, 40) in Ägypten, und hierhin sind die Briefe an ihn 73. 77.
82. 86. 87 (vgl. 74, .51 an den König) gerichtet. Dann verspricht er
sein Kommen, worauf Ribaddi fordert, daß er sich 300 Mann vom
König geben lassen soll (93). In 79 ist er bei Ribaddi eingetroffen;
die Briefe sind also von Knudtzon falsch eingereiht. In einem späteren
Brief (109, 62) erwähnt R., daß Amanappa und Cha[ja] (o. S. 348, 1)
Simyra geräumt haben; danach scheinen sie es vorübergehend besetzt
zu haben. So mag der Brief 112 hierher gehören, nach dem der König
dem Ribaddi befohlen hat, Chaja nach Simyra hineinzubringen, und
ihm das auch bei Nacht gelungen ist. — Gehört auch der seltsame
Brief 9 6. ."-hierher? — Amanappa vrird bei den folgenden Ereignissen
nicht mehr erwähnt; an seine Stelle ist offenbar Jancham getreten,
neben dem Chaja weiter funktioniert (166. 167. u. a.).
^) 83, 16. Die Briefe Zimridas 144. 145 gehören vermutlich in
diese Zeit.
*) Die weiteren Angaben des Briefs 89 sind noch ganz unver-
ständlich, so auch, in welchem Sinne Tyros mit Ugarit verglichen wird.
350 ^^11. Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
Ribaddi klagt, daß die Bewohner ihre Habe und ihre Kinder
hergeben müssen, um damit ihr Brot zu bezahlen : „Mein Feld
ist wie eine Frau ohne Gatten, weil die Bestellung fehlt."
Schließlich droht er, wenn er keine Antwort erhalte oder in
zwei Monaten kein Heer eintrefiFe, werde er entweder gleich-
falls sich mit Abdasirta verbünden oder mit seinen Leuten
abziehn und so sein Leben retten (82, 83). Das hat gewirkt.
„Als Abdasirta Sirayra besetzt hatte", schildert Ribaddi später
den Hergang, „und ich die Stadt auf eigene Faust schirmte,
aber keine Besatzungstruppe bei mir war, da schrieb ich dem
König meinem Herrn, und ein Heer zog aus und nahm
Simyra" ^). Der Führer des Heeres war Jancham^), der Ver-
trauensmann des Königs für die syrischen Lande. Abdasirta
scheint sich gefügt und seinen Frieden mit Ägypten gemacht
zu haben^); Simyra mußte er diesem wieder überlassen und
sich auf das Amoriterland beschränl^en.
In diese Wirren haben nun aber auch die Nachbarreiche
eingegriffen, Mitani und die Chetiter. Li den Briefen ist da-
von immer nur in kurzen, oft unverständlichen Andeutungen
die Rede. So schreibt Ribaddi, als er schon in großer Be-
drängnis ist, daß der Chetiterkönig Eroberungen gemacht
hat*). Ein unbekannter Dynast berichtet, daß der König von
') Am. 1.38, 28 ff. {snbi „Heer" wird hier als singularisches Femi-
ninum konstruiert, vgl. hebr. mXD:!:). Ähnlich 108, 28 ff. 117, 20 ff. 132,
10 ff., Stellen, die freilich im einzelnen noch nicht völlig verständlich
sind. Vgl. auch 127, 31. — Nach 131, 38 hat der König nach dem argen
Verhalten Pachamnatas (S. 348, 1) mit seinem kleinen Heer auf Ri-
baddis Bitten ein großes Heer geschickt, das Erfolg hatte. Aus der Zeit,
wo das ägyptische Heer tatkräftig eingreift, haben wir begreiflicher-
weise keine Briefe.
*) Abdchiba schreibt 289, 45 den Namen Jich-enchamu; steckt
darin das ägyptische J'^och, Mond?
') Darauf weist hin, daß Ribaddi 101 seine Erschlagung durch
die Rebellen mißbilligt, da der König, nicht sie selbst, ihn über sie
gesetzt habe. — 95, 41 berichtet Ribaddi nach Knudtzon's Lesung, daß
Abdasirta schwer krank ist.
! *) 75, 36 ff.: er hat erobert kali wutäti kutiti (vgl. o. S. 102, 1);
Krieg zwischen Mitani und den Chetitern 351
Mitani mit seinen Streitwagen und Truppen ausgezogen ist;
und durch Ribaddi erfahren wir, daß der Mitanikönig bis
Simyra vorgerückt war und nach Byblos ziehn wollte, aber
durch Wassermangel zur Umkehr genötigt wurde; dabei wurde
das Amoriterland ausgeplündert^). Damit werden wir verbinden
dürfen, daß Dusratta von Mitani, als er nach seiner Thron-
besteigung und Beseitigung der Mörder seines Bruders die
Freundschaft seines Vaters mit Amenophis III. erneuert, diesem
schreibt, die Chetiter hätten sein Land angegriffen, er aber
habe sie besiegt, und ihm aus der Beute ein Zweigespann,
einen Knaben und ein Mädchen als Geschenk sendet (17, 30 ff.).
Mit eben diesem zeitweiligen Erfolge Dusrattas beginnt der
Chetiterkönig Subbiluljuma die Skizze der Vorgänge in der
Einleitung des Vertrags, den er später mit Dusrattas Sohn
geschlossen hat. Offenbar hat Dusratta den Krieg mit den
in Nordsjrien vordringenden Chetitern benutzt, um als Ver-
bündeter der Ägypter, wenn auch mit der Nebenabsicht, seine
Machtstellung zu erweitern, weiter im Süden einzugreifen;
AbdaSirta dagegen wird in Verbindung mit den Chetitern ge-
standen haben '^).
Das Eingreifen des ägyptischen Heers unter Jancham
hat keine dauernde Beruhierunsf srebracht. Aus einem nur teil-
das weitere: „der König von Mitta (Mitani?), der König von Nachnia
(Naharain?) ..." ist ganz unklar.
') 58; vgl. 85, 51 ff., wo „König von Tana" wohl sicher Schreib-
fehler für Mitani ist. Ausplünderung von Amurri durch Mitana 86, 10.
Weitere Erwähnungen in verstümmelten Texten 90, 20. 95, 27 ff. 101,
10. — 109, 5 ff. bezieht sich nicht auf Vorgänge dieser Zeit, sondern
auf die früheren Kampfe Ägyptens mit Mitani, in denen die Fürsten
von Byblos auf ägyptischer Seite standen.
") Hierher gehört wohl auch die Mahnung des Königs von Alasia
35, 49, der Pharao solle mit den Königen von Chatti und Sinear (.Sanchar)
nicht in Verbindung treten; vgl. die Anknüpfungsversuche der Auf-
ständischen in Babylonien oben S. 154. Wenn Ribaddi 76, 14 sagt, Abda-
sirta benehme sich mit seinem Eroberungsstreben wie ein König von
Mitana oder der Kasse (Kossaeer) (ebenso 104, 18 ff. 116, 67 ff. von Aziru,
wo noch der Chetiterkönig hinzugefügt ist), so ist das wohl auch eine
Anspielung auf derartige Beziehungen.
352 ^'11- Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
weise verständlichen Brief erfahren wir, daß AbdaSirta von
Truppen, die ins Amoriterland eingebrochen sind, erschlagen
ist, und daß die Inselfestung Arados, die, soweit wir wissen,
niemals unter ägyptischer Oberhoheit gestanden hat, in diese
Händel eingegriffen und mit ihren Schilfen die Küstenplätze
angegriffen hat^). Ribaddi von Byblos fordert daher, der
König solle die aradischen Schiffe in Ägypten beschlagnah-
men; aber das geschah nicht, und so schritten sie unbeküm-
mert weiter. Allen Besitz des Abdasirta haben sie dessen
Söhnen, dem Aziru und seinen Brüdern, übergeben, ihnen die
Wiederbesetzung von Ullaza, Ardata, Ambia, Sigata u. a. er-
möglicht, 'Arqa und Simyra bedrängt (105). Die Stadtfürsten,
soweit sie nicht zu Aziru übertraten, wurden hingerichtet
(125, 35. 130, 32). „Alle Gebiete von Byblos bis Ugarit sind
feindlich im Anschluß an Aziru", während der ägyptische
Statthalter Jancham untätig zuschaut (98). Alle Mahnungen
Ribaddis, schleunigst Truppen aus Ägypten an Jancham zu
schicken und in die Städte zu legen, verhallten wirkungslos.
Schließlich hat Ribaddi es auf wiederholtes Drängen Janchanis
möglich gemacht, den Entsatz von Simyra zu versuchen, aber
ohne Erfolg. Die Stadt wird von den Söhnen Abdasirtas zu
Lande und den Schiffen von Arados zur See „wie ein Vogel im
Käfig" eingeschlossen'-). In engem Bunde mit ihnen und mit
^) Am. 101, ofi'enbar Bruchstücke eines Briefs Ribaddi?. In welchem
Zusammenhang ZI. 10 Mitana genannt wird, ist ganz dunkel, ebenso wer
die drei Städte sind, ZI. 32, die an der Ermordung Abdasirtas beteiligt
zu sein scheinen. Sie wird ZI. 3 ff. den in Ämurn eingebrochenen
Scharen der „ r/ri-Zzm-Leute" zugeschrieben, die nach 105,27. 108, 38.
110, 48 ff. auch Schiffe haben, die Arados an sich nimmt. Erwähnt auch
126, 63, wo sie Abdasirtas Söhne unterstützen. Wie das Ideogramm zu
lesen und zu übersetzen ist, ist unbekannt.
2) Der Verlauf läßt sich an den rasch aufeinander folgenden Briefen
Ribaddis an den König 104. 105. 107. 106. 103 und seinen sowie Japach-
addis Briefen an Jancham 98. 102 einigermaßen verfolgen. In 102, 14.
104, 37 [wo Knüdtzon's Übersetzung von ZI. iB ff. offenbar falsch ist],
105, 29, vgl. 86. 107, 47 erklärt er, daß es ihm nicht möglich sei, den
Befehl, nach Simyra zu gehn, auszuführen; in 103, 14 und 106, 24
Vordringen des Aziru von Amurra gegen Phoenikien 353
Arados stand auch jetzt wieder Zimrida von Sidon, der die
Inselfeste Tyros blockierte und ihr Wasser und sonstige Zu-
fuhr abschnitt, die Boten ihres Königs Abimelek abfing, und
den Aziru über alle Vorgänge in Ägypten auf dem laufenden
hielt 1).
In diesen Kämpfen, die sich jahrelang hinzogen^), hat
Aziru an der Spitze seiner Brüder die zeitweilig von seinem
Vater gewonnene Machtstellung wieder erlangt^). Aber die
Bewegung ging viel weiter. Aziru stand in enger Verbindung
dagegen ist er wirklich dort, und 112, 40 ff. läßt er den Chaja bei Nacht
hineinbringen. In diese Zeit seiner Abwesenheit von Byblos werden die
von dort an den Pharao gerichteten Briefe 139 und 140 fallen, die
den König über Aziru aufklären sollen und daher auch seine früheren
Frevel (vgl. o. S. 348, 2) aufzählen. In dieselbe Zeit gehört auch der Brief
der Beamten von '^Arqa 100 (der Stadtfürst war ja unter Abdasirta er-
schlagen) an den König, den sie ihrer Treue versichern; er hasse sie
mit Unrecht, die Söhne des Königsfeindes (d. i. Abdasirtas) suchten sie
vergeblich zu gewinnen. Sie sind in Bedrängnis und haben das Stadttor
verschlossen. Das ist also ungefähr gleichzeitig mit 103, 12, wo dem
ägyptischen Statthalter (rahü) nur noch Simyra und 'Arqa übrig ge-
blieben sind. Später wird es nicht mehr erwähnt, wird also gleichfalls
bald genommen worden sein. (Der Königsbote Turbichä 100, 12 wird
gleichzeitig von Hibaddi 10-5, 35 erwähnt.]
') Daß die Briefe Abimilkis von Tyros 146. 147. 1-51 schon in diese
Zeit gehören, ergibt sich daraus, daß er VA, -59 ff. den Angriö Aitaqamas
und Azirus auf Namjawazi berichtet. Jünger sind 149. 148—150, wo Si-
myra gefallen und Uzu (Palaetyros) von Zimrida genommen ist (149, 39-
49. 67), und dann 1.53—1.56. — Zimrida (ebenso wie Japach-addi) Gegner
des Ribaddi von Byblos 103, 18. 106, 19 (wie vorher 83, 25, o. S. 349).
*) 106, 16 sagt Ribaddi, daß die Feindschaft gegen ihn schon
fünf Jahre bestehe.
^) Wie es scheint, ist Aziru erst allmählich als der führende unter
den Söhnen Abdasirtas (von denen nur Puba'al 104, 7 als Eroberer
von Ullaza und vielleicht Ba'aluja 165, 9. 170, 2 mit Namen genannt
sind) hervorgetreten; in 102 — 106. 108 ist von ihnen immer nur kol-
lektiv die Rede; 107, 26 erscheint Azirus Name in Ribaddis Briefen
zum ersten Mal. Mit Recht hat daher Knudtzon diese Briefe an den
Anfang gestellt. Freilich sagt Ribaddi auch später noch oft einfach „die
Söhne Abdasirtas", so bei der Einnahme Simyras 116, 12; vermutlich
waren, während Aziru in Tunip saß, an der Küste vorwiegend seine
Brüder tätig.
Meyer, Geschichte des Altertums. II'. 23
354 ^n. Niedergang der ägyptischen .Alacht. Chetiter und Beduinen
mit Aitaqania, dem König der großen Stadt Kinza (Qade§) am
Orontes im Hinterlande des Amoritergebiets, der daran ging,
sich das'Amq, die Hochebene der xoiXt] Supia (Biqä') zwischen
Libanon und Antilibanon, und das Land Ubi, die Ebene von
Damaskus, zu unterwerfen. In beiden Landschaften machten
einzelne Dynasten, in Ubi Arzawija von Ruchizi und Teuwatti
von Lapana, im 'Amq Dasa mit ihm gemeinsame Sache, wäh-
rend diejenigen, die Ägypten treu blieben, ihre Ortschaften
niedergebrannt sahen und erfolglos flehentliche Hilfsgesuche
an den König sandten^). Der benachbarte Dynast Namjawaza^)
sah sein Gebiet verwüstet, sein Leben bedroht; die Stadt
Janu'am verschloß ihm die Tore, mehrere andere Fürsten, so
der von Busruna (wahrscheinlich Bostra im Haurän) traten auf
Seiten seiner Gegner; er versuchte, die Landschaft Tachas,
Damaskus und die Festung Kumedi am Südeingang der Biqä'
zu schützen, aber auch Damaskus ist, wie es scheint, von
Aziru besetzt worden^).
Diese Erfolge sind dem Aitaqama und Aziru ermöglicht
worden durch die Verbindung mit den Chetitern. Bei diesen
M Gleichlautende Briefe der Fürsten von Chasab, Chazi und zwei
anderen Orten aus der Zeit, wo Aitaqama zu den Chetitern zieht:
Am. 173 — 175 und Rev. d'Ass. 19, 94. Aitaqama und Aziru im 'Amq:
Am. 140. Weiteres in AHzzis Brief 53.
^) In welche Stadt er gehört, ist aus seinen Briefen nicht zu
erkennen; vielleicht ist sein Vater Sutarna (194, 9) mit dem Dynasten
dieses Namens von Musichuna identisch, der 182 — 184 um Truppen
zur Wiedereinnahme der Städte des Königs bittet. Die Lage dieses
Orts kennen wir freilich auch nicht.
^) Aitaqamas Vorgehn in Ubi (wofür N. Abi schreibt) und gegen
Namjawaza berichtet Akizzi 53, 26 jGF. an Amenophis ITI. ; mithin ge-
hören außer 151,, 59 ff. (vgl. o. S. 353. 1) auch Namjawazas Briefe 194—197
hierher; zu 197. 16 ff. bildet Aitaqamas Darstellung 189, 9 ff. das Gegen-
stück. — Namjawazas Gegner mit dem arischen Namen Biridaswa
197, 7. 33. 196 scheint Fürst von Janu'am gewesen zu sein. — Wenn
Ribaddis Meldung 107, 26 exakt ist, daß Aziru mit seinen Brüdern in
Damaskus ist, so muß er das dem Namjawaza (197, 21) entrissen haben;
darauf übernimmt Arzawija die Truppen des Aziru (197, 26 ff.). Die
Notlage von Damaskus deutet auch Akizzi 53, 63 durch den Vergleich
mit Qatna an; später wird es nicht wieder erwähnt.
Aziru und Aitaqama. Eingreifen Subbiluljuinas 355
hatte König Subbiluljuma zunächst die stark verfallene Macht
des Reichs im östlichen Kleinasien wieder gefestigt. Dann
wandte er sich gegen Dusratta von Mitani, um ihm seine Er-
oberungen in Nordsyrien zu entreißen. Dabei kam ihm die
Verbindung mit den Aufständischen wesentlich zustatten;
während er Nordsyrien verwüstete, zog Aitaqama ihm mit
seinen Truppen entgegen und griff den König Akizzi von
Qatna^) an, den er vergeblich zum Anschluß an die Chetiter
zu bringen suchte. In gleiche Bedrängnis gerieten die Könige
von Nuchasse, Ni, Zinzar, Tunanat und die Stadt Tunip;
Hadadnirari von Nuchasse, Akizzi von Qatna und andere
richteten dringende Hilfsgesuche an den Pharao; Tunip bat,
ihm endlich — nach zwanzig Jahren — ihren Thronerben,
den Sohn des Akitesup, zuzusenden, aber vergeblich. Vielmehr
drang jetzt auch Aziru nach Norden vor und hat Ni und bald
darauf auch Tunip besetzt. Der König von Nuchasse, Aitaqama,
Aziru haben dann dem Subbiluljuma gehuldigt; dieser kann
sich rühmen, daß er seine Herrschaft bis zum Libanon aus-
gedehnt habe 2). Mit Ägypten blieb er trotzdem in freund-
schaftlichen Beziehungen und tauschte mit Amenophis III.
') [Jetzt (Anfang 1928) ist durch französische Ausgrabungen fest-
gestellt worden, daß Qatna mit der großen Ruinenstadt Mesrife, westlich
von Emesa (Homs) im Quellgebiet des Eleutheros identisch ist.]
-) Auskunft über diese Vorgänge geben die Briefe Akizzis an
Amenophis III. .52—57, der von Tunip .59, der Hadadniraris von Nuchasse
51, ferner die aus dem *Amq 174—176 und Rev. d'Ass. 19, 94, und die
Namjawazas 196. 197, sowie die Azirus (s. u. S. .358. 3). In dem Brief von
Tuni}) ist leider die wichtigste Stelle 21 ff. völlig dunkel, und auch im
folgenden nicht erkennbar, ob die Aussagen über Aziru als Praeteritum
oder als Futurum zu übersetzen sind. Ebenso ist ganz unklar, was
Akizzi .5,5, 53 ff. über das Verhalten des Chetiterkönigs gegen die Sonne,
„den Gott meines Vaters% berichtet. Subbiluljuma erwähnt im Vertrag
mit Mattiwaza seinen ersten Feldzug gegen Dusratta nur kurz ZI. 3 f.
Daß damals Aziru sein Vasall geworden ist, gibt sich aus dem Vertrage
Mursils II. mit Dubbitesup von Amurru ZI. 2 f., wonach er später von
Subbiluljuma abgefallen ist. Der Libanon heißt bei den Chetitern Nib-
lani oder Lablani. — Daß Muwattal in dem Überblick der Beziehungen
Subbiluljumas zu Syrien bei Forreb, Forsch. II 10. diesen ersten Feld-
zug übergangen hat, ist oben S. 841 schon erwähnt.
356 ^'11- Nit'dergano- der ilgjptlschen Macht. Chetiler und Beduinen
Briefe und Geschenke; da von hier aus nichts gegen ihn ge-
schah, mag er Nordsyrien als herrenloses Land betrachtet
haben, auf das ihm von den Siegen seiner Vorfahren über
Aleppo her ein Anrecht zustehe. Auch von einer Gegenwehr
Dusrattas erfahren wir nichts^). Seine Lage zwang ihn zu
noch engerem Anschluß an Ägypten ; als Amenophis IIL auch
von ihm seine Tochter Taduchepa verlangte, schickte er
sie, anders als seine Vorgänger, sofort mit reicher Mitgift;
natürlich erwartete er dafür noch viel mehr Gold, als diese
erhalten hatten'').
Der Thronwechsel in Ägypten. Fortgang der Wirren in Syrien
Bald darauf ist Amenophis' IIL Regierung in seinem
36. Jahre zu Ende gegangen. Dusratta sandte ihm, offenbar
um ihm Genesung zu bringen, das Kultbild der Istar von
Ninive, der „Herrin der Lande", die selbst verkündet hatte,
sie wolle nach Ägypten ziehn, „dem Lande, das ich liebe".
„Möge Istar, die Herrin des Himmels^), meinen Bruder und
') In Betracht kommt die Angabe Akizzis -56, 86 ff. = 54. 38 ff.,
der aus Mitani zurückkehrende ägyptische Gesandte melde, daß dort
drei oder vier Könige dem Chetiterkönig feind seien. Der Bericht aus
Byblos 140, 31 ff. über das Verhalten der Könige von Chatti und Narima
(= Mitani) bricht mitten im Satze ab.
^) Bei diesem Anlaß ist auch der große Brief Dusrattas in char-
rischer Sprache geschrieben (behandelt vor allem von Jensen, Z. Ass. V,
VI. XIV, und Messerschmidt, Mitanistudien, Mitt. Vorderas. Ges. 1894, 4;
die phantasievolle Arbeit von Bork, Die Mitanisprache, Mitt. Vorderas.
Ges. 1909, 1 hat keine Förderung gebracht), in dem auch von einer
Grenzregulierung die Rede ist: die Landschaft Masrianni soll dem Ame-
nophis, die Landschaft Charruche dem Dusratta gehören; beide sind
unbekannt. — Den regen Verkehr zwischen beiden Ländern zeigt außer
den Angaben der Briefe über die Gesandtschaften z. B. Am. 255 über
die Entsendung von Karawanen nach Chanigalbat (d. i. Mitani).
^) Die Göttin von Ninive erhält hier dieselben Titel wie alle großen
Göttinnen Ägyptens; man sieht, wie ähnlich in allen Kulturstaaten die
religiösen Grundanschauungen geworden sind. Das Entscheidende ist
lediglich Name und Bild der zu universeller Wirkung erhobenen Lokal-
gottheiten: „Istar ist für mich mein Gott; für meinen Bruder" (der
Tod Amenophis' III. Amenopbis IV. und Mitani 357
mich beschützen und hunderttausend Jahre uns große Freude
uns beiden geben!" — Wünsche, wie sie in den ägyptischen
Königsinschriften immer wieder ausgesi^rochen und von den
Göttern zugesagt worden.
Die Erfüllung hat auch Istar nicht zu gewähren ver-
mocht. An den Thronerben Amenophis IV. senden dann so-
wohl Subbiluljuma wie Dusratta Schreiben mit der Bitte um
Fortsetzung der alten Freundschaft und Überweisung der vom
Vater versprochenen Geschenke. Dem Mitanikönig mußte alles
daran liegen, die Verbindung mit Ägypten zu festigen; immer
von neuem versichert er seine Anhänglichkeit und Liebe
„Chanigalbat und Ägypten sind eins" — ; er wendet sich zu-
gleich an die Königin Teje, die die Beziehungen zwischen
beiden Reichen genau kenne, damit sie bei ihrem Sohn ihren
Einfluß geltend mache. Aber Amenophis IV. blieb spröde,
trotz der Rücksicht, die er auf seine Mutter nahm^; er hat
zwar die Taduchepa aus dem Harem seines Vaters in den
eigenen übernommen, aber die Hoffnung auf viel Gold nicht
erfüllt: statt der vom Vater versprochenen Gottesbilder aus
purem Gold, besetzt mit Lasursteinen, schickte er nur mit Gold
überzogene Holzbilder. Die Boten aus Mitani hielt er lange
Zeit an seinem Hofe fest 2). Der kriegerische Geist seiner
Ahnen war schon in seinem Vater völlig erloschen, sein In-
teresse aber ganz anderen Aufgaben zugewandt; so blieben
ihm die Vorgänge in Asien gleichgültig, und er hat sie im
Grunde gehn lassen, wie sie wollten.
Beiden Pharaonen sind offenbar die fortwährenden Klagen
aus Syrien und vor allem die dringenden Mahnungen Ribaddis
unbequem und lästig gewesen^). Man mochte am Hofe denken,
sie daher zurücksenden soll) ^ist sie nicht sein Gott", setzt Dusratta
am Schluß hinzu.
') Im Grabe des Cheru-f in Theben aus dem Anfang seiner Re-
gierung steht Teje hinter ihm in Verehrung vor Atum und Hathor
(Davies im J. Eg. Archaeol. IX 134, pl. 22, 1).
^j Ebenso zurückhaltend war er Subbiluljuma gegenüber (Am. -11,
14 f.).
*) Vgl. IOC, 13 ff. 117, 7 ff. 124. 3.5 fl'. Einen besonderen Grund
358 VII. Niedergang der ägyptischen Macht Chetiter und Beduinen
daß diese Zänkereien zwischen den Dynasten herkömmlich seien
und ein jeder selbstsüchtige Absichten verfolge, ja daß im
Grunde durch ihre Rivalität die ägyptische Oberhoheit nicht
gefährdet, sondern eher sicher gestellt werde. Auch haben
die Beschuldigten sich nicht etwa oflfen als Rebellen erklärt,
sondern schrieben an den Pharao und seine Beamten als loyale
Untertanen, die ihnen von den Gegnern gemachten Vorwürfe
seien böswillige Verleumdungen. Aitaqama von Kinza (Qades)
behauptet, Narajawaza habe die Händel angefangen und seine
Ortschaften niedergebrannt; er dagegen habe ihm die Land-
schaften Tachas und Ubi wieder entrissen und unter dem
Schutze „deiner Götter und deiner Sonne an den König,
meinem Herrn, zurückgebracht". Da jeder der beiden Dynas-
ten Nomadenschareu in seinem Dienst hatte, kann jeder dem
anderen vorwerfen, dieser übergebe das Land den Chabiri,
während er selbst diese wieder verjage^). Nicht anders äußern
sich später Zimrida^) und Aziru, der sein Vorgehn gegen Si-
myra damit verteidigt, daß man ihn dort nicht eingelassen
liabe^), und um Schutz gegen den drohenden Angriff des
Chetiterkönigs bittet; damit wird er auch die Besetzung von
Tunip gerechtfertigt haben*). Auch war es ja keineswegs die
zur Beschwerde hatte Ribaddi noch durch einen Rechtshandel (dm)
mit dem Beamten im Delta Japachaddi (so schreibt er selbst seinen
Namen in den Briefen 97 und 98; bei Ribaddi immer Japa-addi), der
behauptet, für die Getreidelieferungen nach Byblos keine Bezahlung
erhalten zu haben und daher Ribaddis Besitz und Schiffe beschlag-
nahmt. Dieser beschuldigt ihn daher des Zusammenwirkens mit den
Rebellen Zimrida von Sidon und Aziru (83, 25. 103, 19. 106, 19. 114,
16). Dieser Prozeß zieht sich von den Zeiten Abdasirtas an durch
alle Briefe Ribaddis, ohne daß dieser eine definitive Entscheidung
erreicht.
'j Aitaqama 189 und Namjawaza 197 stellen 30 dieselben Vor-
gänge von entgegengesetztem Standpunkt aus dar. In 195 redet Nam-
jawaza von „meinen Truppen, Wagen und Brüdern, meinen Chabiri und
meinen Süti", die er für den Dienst des Königs bereithalte.
^) 144 f., vielleicht schon in die Zeit Abdasirtas gehörig.
') 157, 11.
*) Er schreibt 165. 166. 161 von seinem Aufenthalt in Tunip. ohne
Die Lage in Syrien. Eingreifen der Ägypter 359
Absicht dieser Dynasten, nun etwa die ägyptische Oberhoheit
mit einer anderen zu vertauschen; sondern sie benutzen die
politische Lage, um ihren Machtbereich gegen die Rivalen
möglichst auszudehnen, verwenden dazu die Truppen, die sie
von den Beduinen beziehn, und halten sich in den Verhand-
lungen mit den Ägyptern wie mit dem Chetiterkönig den Weg
nach beiden Seiten offen.
Schließlich hat man sich in Ägypten doch noch zu einem
Einschreiten aufgerafft, wie es scheint, eben um die Zeit des
Thronwechsels 0. Die Oberleitung der asiatischen Angelegen-
heiten am Hof lag in den Händen Janchams, um dessen
Wiederentsendung mit einem Heer Ribaddi und andere immer
von neuem bitten. Er selbst ist freilich zunächst noch in
Ägypten geblieben-); aber nach Syrien wird ein Heer ent-
sandt, wie es scheint unter Führung des Pachor-'). An alle
Vasallen ergeht der Befehl, dafür Truppen und Lebensmittel
bereit zu halten, und nicht nur zahlreiche kleinere Dynasten
daß dafür eine Rechtfertigung erforderlich wäre; auch in dem Brief
des Königs 162 wird ihm deshalb kein Vorwurf gemacht.
') Für diese Datierung spricht, daß Ribaddi in dem nach ZI. 22
an Amenophis IV. gerichteten Brief 117 den Bichura erwähnt, siehe
Anm. 8.
2) Als der rabis von Simyra gestorben ist, bittet Ribaddi, den
Jancham an seine Stelle zu setzen (106). und drängt auf sein Kommen
(102. 116, 72), ebenso Abdchiba von Jerusalem 2S9, 4.5 und Bajawa 215.
Aber nach dem Falle von Simyra ist er noch am Hofe (116, 73. 132, 29.
vgl. 127, 23); danach muß auch 117, 61 verstanden werden, wo Am. IV.
aufgefordert wird, Jancham und Pachor zu befehlen, daQ sie mit den
Stadtfürsten zusammen Amurri besetzen sollen. Auch zur Zeit der
Briefe Suwardatas (283. 284. Rev. d'Ass. 49, 98) ist Jancham noch am
Hof, ebenso 289, 45. 296, 24 und in dem an ihn gerichteten Brief 256.
dagegen 171, 5. 270 f. 286, 28 in Syrien.
3) Der Name wird meist Puchuru (189. 18jf. 190, 2. 207. 17. 20«, 11),
aber bei Ribaddi Bichura (117,;61. 123, 13. 34. 132, 47) und Pachura
(122, 31) geschrieben. Aus der Kombination von 116, 75 und 129, 85
mit 132, 47 ergibt sich, daß ihm der Verwaltungsbezirk Kumedi zu-
gewiesen ist, ,also Coelesyrien, vielleicht nebst Galilaea. Neben dem
ägyptischen Kommandanten {rabis oder rahüj steht natürlich der Stadt-
fürst Von Kumedi 198.
360 ^n. Niedergang der ilgyi>tisehen Tvlacht. Chetiter und Beduinen
erklären ihren Gehorsam^), sondern ebenso Aitaqama sowie
Arzawija von Riicbizi")-
Zu bedeutender Wirkung hat freilich auch dies Eingreifen
nicht geführt. Vielmehr ist eben um die Zeit des Thronwech-
sels Simyra dem Aziru übergeben worden; der Kommandant
Pawaru, den Ribaddi vergeblich gewarnt hatte, wurde er-
schlagen'O- So geriet Ribaddi vollends in dieselbe Lage, wie
zur Zeit Abdasirtas. Nicht besser erging es dem Abimelek
von Tyros; zwar ein Angriff Zimridas von Sidon im Bunde
mit Aziru und Arados auf die Festung selbst wurde abge-
schlagen, aber Uzu (Palaetyi'os) auf dem Festlande hat Zimrida
besetzt und so der Inselfestung das Trinkwasser und den Be-
zug von Holz abgeschnitten und die Bestattung der Toten
unmöglich gemacht^). Ribaddi hielt allen Mahnungen seiner
Familie zur Versöhnung mit Aziru gegenüber an dem Ver-
trauen auf ägyptische Hilfe fest, und als seine Untertanen,
deren Bedrängnis stetig anwuchs, in dem Glauben, diese werde
niemals kommen, sich empörten, hat er den Aufstand blutig
niedergeschlagen. Schließlich aber blieb ihm kein anderer
Ausweg, als nach Berytos zu dessen König Ammunir (Cham-
munir) zu gehn, um von dort Hilfe zu holen. Da hat ihm,
') Siehe die Schreiben 198. 195 .(Namjawaza). 201—208. 211 ff.
Einige dieser Briefe können natürlich auch zu einem späteren Feldzug
gehören.
^) 189. 191 f.
-') Ribaddi meldet das 116 an Amenopbis IV.. der eben den Thron
seines Vaters bestiegen hat. Übergabe durch Chaib oder Chabi 132, 42.
149, 37 (Brief Abimeleks). [Die Angaben über Chaib und Simyra 107,
14 ff. sind ganz unklar. Wenn Knudtzon's Ergänzungen in 133 richtig
sind, ist Chaib dann nach Ägypten gegangen.] Tötung des Pawara oder
Biwari [vielleicht pa-uer „der Große"] 129, 95 f. 131, 22. 132, 45. Rev.
d'Ass. 19, 91. Hier wird er als rabis mit der Glosse zukitii, d. i. po
(ebenso 256, 9) bezeichnet, und dieser Titel erhält 131, 21 und 23 den
Zusatz malik sarri, d. i. etwa Rat oder Bevollmächtigter des Königs.
Erwähnt wird Pawaru auch 124, 44. 263, 21 und von Abdchiba von
Jerusalem, der sein Eintreffen erwartet, 287, 45 (Pauru).
*) Brief Abimeleks 149 (gleichzeitig mit der Einnahme von Simyra
ZI. 39. 59) 148. 150.
Untergang Ribaddis vor Byblos 361
unter Führung seines Bruders, Byblos die Tore verschlossen
und ist zu Aziru übergetreten. „Was seit Ewigkeit nicht ge-
schehn ist, unsere Götter sind aus der Stadt ausgezogen."
Aus seinem Exil sandte der alte Mann, dessen Familie in den
Händen seiner Feinde war, immer wieder flehentliche Briefe
an den Pharao, in denen er den Reichtum und die Bedeutung
von Byblos für Ägypten betont; er schickte seinen Sohn an
den Hof, aber schon vier Monate lang ist er dort festgehalten,
ohne daß er das Antlitz des Königs gesehn hat^). Nicht min-
der dringend sind die Hilfsgesuche des Abimelek von Tyros.
Endlich erhalten er und Ammunir von Berytos die Ankün-
digung, daß ein ägyptisches Heer eintreffen wird, und halten
sich bereit, es aufzunehmen. Damit brechen diese Briefe ab-).
Aus einem späteren Schreiben des Pharao an Aziru erfahren
wir, daß Ribaddi, der sich vergeblich an diesen gewandt hatte
und schließlich nach Sidon gegangen war, — offenbar hat er
in Verzweiflung über seine Lage ein Abkommen mit seinen
Gegnern gesucht, das ihm die Rückkehr nach Byblos ermög-
lichen sollte — hier von Aziru seinen Feinden ausgeliefert
und getötet ist^).
Diese Vorgänge haben sich offenbar über mehrere Jahre
erstreckt. Wie weit dabei ein Eingreifen einerseits Mitanis,
andrerseits der Chetiter mitgewirkt hat, läßt sich nicht er-
kennen. Nach Subbiluljumas Darstellung hat Dusratta den
') Am. 134—138.
^) Am. 141 — 143. 1-53. 154. Große Schwierigkeiten bieten 15.5 [mit
der völlig rätselhaften Bezeichnung von Tyros als , Stadt der Salma-
jäti" und des Dynasten als Diener desselben]. Der Schluß lautet, schein-
bar ganz zusammenhanglos: „Der König frage den rabis, ob sie [wer?]
in Simyra wohnen. Siehe, der Dynast von Berut ist zu Schiff gegangen,
und der von Sidon geht auf zwei Schiffen, und ich gehe mit allen Schiffen
meiner ganzen Stadt ('?). Und es sorge der König für seine Diener und
schütze die Schiffe (?) des Königs in . . ." Gehört das hierher, so fahren
diese Dynasten wohl den aus Ägypten zur See erwarteten Truppen ent-
gegen; dann hätte also auch Zimrida von Sidon sich jetzt ebenso wie
Aziru U.S.W, gefügt, wie er 142 erklärt, alles für die Ankunft des
ägyptischen Heeres bereit zu machen.
•) 162. 1 ff.
362 VII. Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
Frieden mit ihm aufs neue durch Kriegszüge nach Nordsyrien
— das die Chetiter als von Rechts wegen ihnen gehörig be-
trachteten — gebrochen und dabei den König Sarrupsa von
Nuchasse verjagt. Der Chetiterkönig hat diesem Unterstützung
zugesagt und ihm, wie es scheint, auch einige Truppen ge-
sandt, aber weiter zunächst nicht eingegriffen^). In den näch-
sten Jahren regieren hier mehrere Könige gemeinsam, die
auch mit dem ägyptischen Gesandten wieder in Verbindung
stehu-); auch Aitaqama von Kinza und Aziru treten jetzt
unter die ägyptische Oberhoheit zurück. In den Amarna-
briefen wird ein Eingreifen Mitanis in dieser Zeit nie er-
wähnt'^); trotzdem ist wohl anzunehmen, daß ein von Dusratta
im Bunde mit Ägypten ausgeübter Druck diesen Wandel
herbeigeführt hat.
Die Zustände in Paiaestina
Nicht besser als im Orontesgebiet und in Phoenikien
sah es in Paiaestina aus. Auch hier sind die Briefe voll von
Klagen über Gewalttätigkeiten einzelner Dynasten, über rebel-
lische Ortschaften, über das Vordringen und die Plünderungen
der Chabiri, denen das ganze Land anheimzufallen droht, nebst
Mahnungen zur Entsendung von Truppen und Besatzungen
für die bedrohten Städte; dazu kommen dann, außer Angaben
ü])er die geleisteten Tribute (vor allem Sklaven und Sklavinnen)
und Beförderung der nach Chanigalbat und nach Babylonien
') Vertrag mit Mattiwaza ZI. r> ff. .Ss; Vertrag mit Tette von
Nachasse ZI. 2 ff.
2) Am. 160, '24. 161, 36. 169, 97; Vertrag Mursils mit Dubbitesup
von Amurru ZI. .3. Ih. Es werden die Verwandten Sarrupsas sein, die
dann Subbiluljuma gefangen fortführt, die also Vasallen von Mitani
geworden waren (Vertrag mit Mattiwaza 38 f.).
3) In der Angabe 109, 39 f. = 108, 13 f. (vgl. auch 100, 21), die
Söhne Abdasirtas hätten gefangene ägyptische Offiziere und Soldaten
für Lebensmittel an das Land Subari (in 108 verschrieben Suri) ina
luqi (etwa: zur Beute) gegeben, ist unter Subari gewiß nicht Mitani
zu verstehn; sondern es sind Händler aus den mesopotamischen Wander-
stämmen, denen die Gefangenen als Schuldknechte gegeben werden.
Kämpfe in Palaestina. Vordringen der Beduinen 363
gehenden Karawanen, die Versicherungen unbedingten Gehor-
sams gegen den König und seinen Beamten, den sie, wenn er
den ersehnten Kriegszug antritt, aufnehmen und verpflegen
und mit ihren Truppen unterstützen werden. Wie wüst die
Zustände im Lande sind, zeigen die Beschwerden des Burna-
burias, daß zwei an Amenophis IV. geschickte Karawanen von
den ägyptischen Statthaltern ausgepUindert, babylonische Kauf-
leute von dem Stadtfürsten Zatatna von Akko und einem be-
nachbarten Dynasten in dem Ort Chinaton in Galilaea aus-
geplündert und umgebracht seien ^); an den Pharao schreiben
beide natürlich sehr loyale Briefe. Im Norden Palaestinas,
wo Namjawaza (o. S. 354) die Sache des Königs vertrat-), war
alles in Gärung. Der Fürst der Bergfeste Chasor suchte in
Verbindung mit den Chabiri sein Gebiet auszudehnen und hat
unter anderem dem Ajab, dem Herrscher der viel weiter im
Süden jenseits des Jordan gelegenen Stadt Pella, drei Ort-
schaften entrissen, also ein großes Gebiet zusammengebracht^).
Aber auch Ajab scheint in ähnlicher Weise um sich gegriffen
') Am. 7, 73 ff. 8, G3 ft. .Sum-adda ist offenbar identisch mit Sum-
adda oder Samu-adda (d. i. -nnar) von .Samchuna, in der Nachbar-
schaft Akkos, vielleicht auch mit Sumu-chadi, der beim König in
schlechtem Ruf steht und, wenn er nach Ägypten ginge, dort festgehalten
werden würde (97). Zatatna iSutatna) von Akko 233— 2.Sö; sein Vater
Zarata oder Saratu 232 und Sr,, 20 (88, 46). 24-5, 24 ff.
2) Er wird noch erwähnt 129, 82. 2-50, 24 (Gegner der Söhne
Labajas; Knudtzon's Übersetzung ist schwerlich richtig) und 234, wo
Zatatna von Akko sich weigert, dem Befehl des rabis .Suta gemäß den
flüchtigen Zirdamjasda an Namjawaza auszuliefern.
') 148, 41 f. Rev. d'Ass. 19, 96. Der Name der Stadt Ajabs in 2.->ß
ist Bichilim = Pella (o. S. 92, 1) zu lesen. Als das Eingreifen der Ägypter
bevorsteht, versichert der Fürst von Chasor natürlich, daß er als treuer
Diener seine Städte für den König schirmt; dieser möge ..dessen ge-
denken, was gegen deine Stadt Chasor und deine Diener getan ist"
(227 f.). — Die dominierende Stellung, die der Fürst von Chasor hier
einnimmt, kehrt wieder in den israelitischen Traditionen über Jabin
von Chasor Jos. 12 = Jud. 4. — Aus den Gebieten nördlich von Palae-
stina gehört weiter hierher, daß Amenchatbi (also ein Mann mit ägypti-
schem Namen) von Tusulti (o. S. 91, 1) mit Hilfe der Chabiri eine Reihe
von Ortschaften erobert, aber schließlich von Majarzana von Chazi be-
364 ^11- Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
zu haben. Noch ärger hat es weiter südlich Labaja getrieben.
In Verbindung mit dem Dynasten Milkil und dessen Schwieger-
vater Tagi hat er im Bereich der Ebene Jezre'el den Stadt-
fürsten einen Ort nach dem andern entrissen, so Sunem, Bur-
quna, Gitrimmon u. a., Sichern und sein Gebiet den Chabiri
überlassen, den Biridija in Megiddo belagert, ja weiter im
Süden Gazer am Rande der Küstenebene besetzt^).
Da ist der König ernstlich eingeschritten, wahrscheinlich
im 11. Jahre seiner Regierung*). Die Oberleitung von Ägypten
aus blieb nach wie vor in den Händen Janchams; nach Syrien
aber schickte er als „Königssohn im Lande Kana'an" den Chani,
Sohn der Mairia (Merire') mit dem Auftrag, den Feinden des
Königs den Kopf abzuschlagen"). Gegen die durch die Auf-
gebote der Vasallen unterstützten ägyptischen Offiziere"*) und
siegt wird (185 = 186), und daß gegen den König von Tubichi (nS'a
o. S. 91, 1) sich sein Bruder mit Hilfe der Chabiri empört hat (179).
») Das Material bieten die Briefe der Gegner 237. 244. 249. 250, 13.
42 ff. 289, 22 und die Rechtfertigungsschreiben Labajas 252 (größten-
teils unverständlich). 253. 254. Leider sind die Städte, in denen Labaja,
Tagi und Milkil saßen, nicht genannt.
2) Siehe o. S. 339.
^) Der Erlaß mit dem Befehl, die Verpflegung der Truppen vor-
zubereiten, ist in einem Schreben an Indar'uta von Aksap, Rev. d'Äss.
19, 100, erhalten. 301, 12 erhält Subanda (in Südpalaestina) von Chani
einen Befehl zur Lieferung des Tributs (500 Rinder, 20 Mädchen),
227, 16, wo Knldtzon seinen Namen gewiß mit Recht ergänzt hat, er-
wartet der König von Chasor seine Ankunft. Weiteres s. u. S. 368. Er ist
gewiß identisch mit dem Dolmetscher Chane, der unter Am. IIL mit Mane
zu Dusratta geht (21. 2-5). — Der Name seines Vaters kehrt in der Schrei-
bung Miarie wieder bei dem Vater des Chaja, der 289, 31 Truppen nach
Jerusalem geschickt hat; doch ist dieser Name so gewöhnlich, daß daraus
nicht mit Sicherheit gefolgert werden kann, daß sie Brüder waren.
Chaja gibt in dieser Zeit auch an den Sohn des Labaja und an Milkil
Befehle über Geleitung von Karawanen und Tributlieferung 255, 8.
268, 16, und ist wohl identisch mit dem oben S. 348, 1 erwähnten, der
dann bei Aziru eingreift (S. 368, 1). — Der nur hier vorkommende Titel
ist natürlich ein Seitenstück zum „Königssohn von Kus" (vgl. oben
S. 89, 1).
*) Als Kommandanten (robis) erscheinen in dieser Zeit vor allem
Maja 216—218. 292, 33. 300, 26 (in Gazer). 328. 24 (in Lakis). 337, 26
Kingreifen des ägyptischen Heeres unter Chani 365
Truppen wagte man keinen Widerstand ; von allen Dynasten
ergingen Erklärungen des Grehorsams und der Freude über
sein Eingreifen an den Pharao, so auch vom König von Chasor
und von Labaja, Tagi und Milkil. Die Unterwerfung Milkils
und Tagis wurde gnädig angenommen; dem Labaja dagegen
haben alle Entschuldigungen nichts geholfen, auch nicht die
Versicherung, er werde unweigerlich gehorchen, auch wenn
der König verlangen würde, daß er ihm seine Frau abtrete
oder sich den Dolch ins Herz stoße. Der König verlangte seine
Überführung nach Ägypten, und als er sich dem durch Be-
stechung des Zurata von Akko entzog, ist er auf der Flucht
erschlagen worden^). Durch Flucht hat sich auch Aj ab von
Pella den Kommandanten des Königs entzogen"). Das ver-
wüstete Gebiet von Sunem wurde von Biridija von Megiddo,
der an der Verfolgung Labajas eifrig teilgenommen hatte, und
anderen Stadtfürsten besetzt, und jener rühmt sich, hier
Bauern aus den Nachbarorten zu Frondiensten angesiedelt zu
haben'').
Auf diese Erfolge geht es offenbar zurück, daß dem Pharao
in Amarna nach Beendigung des Feldzugs im Januar seines
12. Jahres Gefangene und Gesandtschaften aus Syrien mit ihren
Tributgaben vorgeführt werden konnten ■*). Die Darstellungen
und -neben ihm Addaja 2.^4, :".7 (bei Labaja). 28-5, 24. 287, 47 ff. 289, 32
(in Jerusalem und Gaza) sowie .Suta 2.S4, 14 ff. (in Akko). 288, 19 ff.
(in Jerusalem). Ferner Rachmanum (?) 284, 9 (bei Suwardata) und Ria-
nappa 292, 36. 31.5, 13. 326, 17 (in Südpalaestina, Jurza, Askalon u.a.),
sowie der 287, 45 in Jerusalem erwartete Pauru. — Tademaja oder
Atachmaja 265 und Rev. d'Ass. 19, 96 ist Königsbote.
') 245. 2.50, 17. 280, 30. Seine Briefe an den König 2.52—2-54;
zu 254, 38 ff. siehe die Übersetzung von Delitzsch auf S. 1317. Milkils
Begnadigung 254, 24 ff. Seine und Tagis Briefe an den König 264—271.
2) Am. 256, wo das mit den Aufständen im Süden Judas ver-
bunden wird.
^) Rev. d'Ass. 19, 97; gegen die anderen Dynasten erhebt er den
Vorwurf, daß sie das nicht, tun. Vgl, dazu die weitgreifenden Kom-
binationen von Alt, Palaestinajahrbuch 20, 1924, 34 ff. mazza ist offen-
bar das hebr. c)2, Frondienst.
■•) Siehe o. S. 389. Zu beachten ist, daß nur Semiten dargestellt
366 ^11- Niedertrang der ägyptischen ]\Iacht. Chetiter und Beduinen
zeigen zugleich, daß die Ausbeute nicht groß gewesen ist. So
hat denn auch das Strafgericht keine dauernde Wirkung ge-
habt; vielmehr kommen alsbald die gleichen Klagen in noch
gesteigertem Maße. Die beiden Söhne Labajas, von Rache-
durst erfüllt, setzten das Treiben ihres Vaters fort^) und wurden
dabei trotz aller loyalen Briefe an den Pharao durch Milkil
und Tagi weiter unterstützt^). Die Chabiri aber drangen in
immer größeren Scharen ein, plünderten die Ortschaften und
erpreßten Kontributionen von den Städten am Rande der Küsten-
ebene, wie Gazer, Ajalon, Sor'a, Lakis, ja selbst von Askalon^).
Die ägyptischen Gouverneure vermochten so wenig Hilfe zu
bringen, daß vielmehr Addaja die von Chaja nach Jerusalem
gelegte Besatzung nach Gaza, der Grenzfestung im äußersten
Süden, zurückzogt); die Städte und Dynasten waren lediglich
auf Selbsthilfe angewiesen. In Jerusalem suchte sich Abdchiba
der Angriffe der Chabiri sowie Milkils und der Söhne Labajas
zu erwehren, im Küstengebiet der Dynast Su ward ata von Reite
(Qe'ila, westlich von Jerusalem), unterstützt von Zurata von
Akko und Indar'uta von Aksap. Zunächst gehn beide zusam-
men •'^); als aber die Stadt Qe'ila sich gegen ihren Herrn em-
pörte, ist Abdchiba mit ihr in Verbindung getreten, offenbar
um sie nicht in die Hände Milkils fallen zu lassen^). Dadurch
geraten die beiden Fürsten, die doch dieselben Interessen ver-
treten, in üblicherweise in^dynastischen Gegensatz; Suwardata.
dem die Wiedereroberung der Stadt gelingt, bezeichnet den Abd-
chiba als einen zweiten Labaja und tritt zeitweilig mit Milkil
sind, dagegen keine Chetiter. Daneben fehlen auch Tribute und Ge-
fangene aus den Negerländern nicht.
^) Daneben hat der eine von ihnen. Mutba'al, Berichte an den
König und an Jancham geschickt (2-55 f.).
2) 250, 32 ff. 287, 29. 289, .5 ff. '2b.
3} 287, 14 f. 273, 20. Über die Bedrängnis von Gazer ferner 292,
42 ff. (vgl. 294, 16 ff.). 297, 16. 298,, 20 ff'. 299, 14.
*) 287. 4.5 ö\ 289, 30 ff., vgl. 286, 25.
») Rev. d'Ass. 19, 98.
«) 279 (falsch übersetzt». 280. 289, 25 ff'. 299, 10 (vielleicht auch
287, 11).
Zusammenbruch der ägyptischen Herrschaft in Palaestina 367
in Verbindung^). Aber ein Ort nach dem andern fällt von ihm
ab, bis zu dreißig Ortschaften, und auch seinem Genossen Milkil
wachsen die Chabiri so über den Kopf, daß er sich an den
König gegen sie um Hilfe wendet^). Abdchiba geht es nicht
besser; er ist auf Jerusalem beschränkt und bittet schließlich,
wenn der König auch in diesem Jahre kein ägyptisches Heer
schicken kann, ihn und die Seinen abholen zu lassen, damit
er bei seinem Herrn sterben könne ^). Mehrere Dynasten sind
erschlagen^), der König wird bald keine Stadtfürsten mehr
haben. Auch der äußerste Süden ist von den Chabiri über-
schwemmt''), „alle Städte des Landes Gari, wie Udumu (Duma
Jos. 15, 52), Araru ('Aro'er), Chinianabi ('En'anab Jos. 11, 21.
15, 50), Magdalim u. a.", also die Ortschaften der Abdachung
des Gebirges Juda südlich vom Hebron, „sind feindlich" ^')- lui-
mer wieder heißt es in den Briefen, daß wenn nicht schleunigst
ein Heer geschickt wird, alles Land des Königs an die Chabiri
verloren geht'). Schließlich hat dieser den dringenden Bitten
nachgegeben, Jancham zu entsenden, auf den man Vertrauen
hat. Er ist auch in Palaestina eingetroffen^). Aber viel hat
offenbar auch er nicht ausrichten können; vielmehr ist in den
letzten Jahren Amenophis' IV. die ägyptische Herrschaft hier
in vollster Auflösung begriffen.
') 280, 33. 290, 6. Abdchiba versichert demgegenüber immer wieder,
daß er dem Pharao, dem er seine Einsetzung verdanke, treu ist; er sei ein
Offizier, nicht ein Stadtfürst. Den Milkil nennt er 286, 36 Ilimilku.
'') 271, 9 ff. 281—283.
') 288, 57 ff.
*) 288, 40 ff. = 33Ö.
^) 305, 20. 307. 313. 318. Neben den Chabiri werden auch hier
mehrfach die Süte genannt (297, 16. 318, 13).
*) 256, 22 ff. Nur die Festungen Gaza und Joppe sind sicher be-
schützt 296, 32; vgl. 294, 20.
') 272. 273. 274. 286, 49 fi'. 287, 20 ff. u. a.
*} Sicher dort ist er 270, 11 (bei Milkil, von dem er 2000 Seqel
Silber sowie Frau und Kinder verlangt; er hat also sein Verhalten durch-
schaut). 271, 25. 286, 28 (bei Abdchiba; dieser Brief ist also später
als 289, 45, wo er um seine Entsendung bittet). 330, 14; vielleicht auch
296; 24. Dagegen 215. 10. 256. 283, 28. 289, 65 ist er noch in Ägypten.
8()8 VII. Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
Eroberung Syriens durch die Chetiter.
^äiedergang des Reichs Mitani, Vordringen der Assyrer
Nach dem Eingreifen in Palaestina ist Chani in die nörd-
lichen Gebiete gegangen, um auch hier Ordnung zu schaffen.
An energisches Auftreten war hier, wo offenbar nur eine kleine
Truppenmacht zur Verfügung stand ^), noch weniger zu denken
als in Palaestina; so versucht man es mit Güte. Genaueres er-
fahren wir nur über das Verhalten Azirus. Chani sendet ihm
den Befehl des Königs, Simyra wieder aufzubauen und selbst
an den Hof zu kommen, um sich zu rechtfertigen. Aber Aziru
sitzt in Tunip und kommt nicht zu ihm. Chani selbst, der
offenbar nur als vorübergehender Repräsentant des Königs ent-
sandt war, ist inzwischen schon wieder nach Ägypten zurück-
gegangen; wie weit er sonst eingegriffen hat, wissen wir nicht.
Auf die Vorwürfe des Königs, er habe zwar einen Gesandten
des Chetiterkönigs verpflegt, aber nicht den seines Herrn, ent-
schuldigt sich Aziru, er habe Chanis Ankunft zu spät erfahren
und ihn nicht mehr erreichen können, ihm aber durch seine
Brüder reiche Verpflegung gesandt und werde auch in Zukunft
ebenso verfahren. Den Wiederaufl^au von Simyra müsse er
aufschieben, weil die Könige von Kuchasse ihn befehden. Daß
er Byblos besetzt habe, erklärt er in einem anderen Schreiben,
tue der ägyptischen Herrschaft keinen Abbruch: „Ich bin
dein Diener so gut wie alle früheren Dynasten, die in seiner
(Ribaddis) Stadt waren"; er werde dem König alles liefern, was
diese gegeben haben. Indessen offene Widersetzlichkeit kann
er umso weniger wagen, da er einen Angriff des Chetiter-
königs erwarten muß und dafür den Schutz der ägyptischen
Armee braucht. So fügt er sich den Befehlen des von Chani
zurückgelassenen Agenten Chatib, der die Könige von Nuchasse
auffordert, ihm seine Ortschaften zu entreißen, ihm den Haupt-
teil seiner Metallschätze abnimmt, und dauernd bei ihm bleibt.
') Ihr Befehlshaber ist nach wie vor Chäi, den Aziru 166. 167
ab „mein Bruder" anredet.
Amenophis IV. und Aziru 369
um ihn gefügig zu erhalten^). Er bittet, Chani nochmals zu
entsenden; dann wolle er ihm alle Feinde des Königs über-
geben.
Amenophis IV. hat in einem langen Schreiben geantwor-
tet, von dem im Archiv von Amarna eine Abschrift erhalten
ist. Er hält ihm seine Vergehungen vor, sein Verhalten gegen
Ribaddi, seine Verbindung mit „dem Dynasten von Qade§ ( Aita-
qama), einem Manne, auf den der König zürnt"; seine Ent-
schuldigungen seien unwahr, „es ist nicht alles richtig, was
du sagst". Wenn er in seiner Bosheit beharre, werde er mit
seinem ganzen Geschlecht durch das Beil des Königs sterben;
wenn er sich dienstwillig erweise, werde er leben: „Du weißt ja,
daß der König in bezug auf das gesarate Land Kana'an nicht
begehrt, es rauh zu behandeln." Er solle sofort an den Hof
kommen oder seinen Sohn schicken; „dann wirst du den König
sehn, durch dessen Anblick alle Lande leben". Er sendet den
Chani mit einer Liste der Auszuliefernden, die er gefesselt
nach Ägypten schicken soll. Aziru hat gehorcht. Seine Lage
war inzwischen dadurch noch schwieriger geworden, daß Subbi-
luljuma in Nuchasse eingerückt ist; aber trotzdem entschließt
er sich, mit Chatib nach Ägypten zu gehn, im Vertrauen auf
die Zusicherung des Königs und „meines Herrn und Vaters"
Düdu, der am Hof zu seinen Gunsten wirkt ^). Seinem Sohn
machen die Könige von Nuchasse Vorwürfe, er habe seinen
Vater für Gold nach Ägypten verkauft, dieser werde nie wieder
zurückkehren, und die Beduinen (Süti) fallen über sein Land
her, da er jetzt zum Werkzeug Ägyptens geworden sei^). Aber
die Befürchtungen haben sich nicht erfüllt; Aziru ist in Gnaden
aufgenommen und nach Amurru zurückgesandt worden, wohl
in der Hoffnung, daß er hier dem Vordringen der Chetiter
entgegentreten könne.
Inzwischen war über das Mitanireich die Katastrophe
hereingebrochen.
') Am. 1.57. 160. 161. 162, 7 f.
2) Am. 164-168.
') Am. 169.
Meyer, Geschichte des Altertums. II'. 24
370 ^'11- Niedergang der iigyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
Schon seit geraumer Zeit hatte der Niedergang der Mitani-
niacht dem Fürsten von Assur die Möglichkeit geboten, dessen
Oberhoheit abzuschütteln. Bereits um 1390 hat, etwa gleich-
zeitig mit Dusrattas Regierungsantritt, Assurnadinache die
Beziehungen zu Ägypten wieder aufgenommen und ebenso
wie „der chanigalbataeische König" von Amenophis III. zwan-
zig Talente Gold erhalten. Jetzt schreibt sein zweiter Nach-
folger AssuruballitO an Amenophis IV., natürlich mit der
Bitte um viel Gold. Den Königen von Kardunias war diese
Anerkennung der von ihnen als Vasallen betrachteten Fürsten
als „Brüder" des Pharao nicht erfreulich; Burnaburias (seit
ca. 1390) weist Amenophis IV. auf das loyale Verhalten seines
Vaters Kurigalzu bei dem Anerbieten der Kana'anaeer (S. 154)
hin und fährt fort: „Die Assyrer, meine Untertanen, habe ich
dir nicht geschickt. Warum sind sie nach ihrem Gutdünken
in dein Land gekommen? Wenn du mich lieb hast, laß sie
keinerlei Geschäfte machen, sondern mit leeren Händen ab-
ziehn"^). Aber gegen Assyrien vorzugehn war er nicht im-
stande; alsbald hat, sei es er selbst, sei es sein Nachfolger
Karainda.s II. eine Tochter Assuruballits geheiratet^), und
dieser hat später entscheidend in die Geschicke Babyloniens
eingegriffen. Jetzt bot sich ihm die Gelegenheit zum Vor-
gehn gegen Mitani.
Während Du.sratta in Syrien stand und in Nuchasse
eingrifft), hat Subbiluljuma in den Gebirgslanden zu beiden
') Am. 1.5. 16. Die dazwischenliegende Regierung des Eribaadad I.
ist ofi'enbar nur kurz gewesen, vgl. o. S. 1-57, 1.
2) Am. 9.
^) Siehe o. S. 154, 3.
*) Man wird doch wohl annehmen dürfen, daß er dabei im Ein-
verständnis mit Ägypten handelte oder wenigstens seine Beziehungen
zu diesem nicht zu verletzen meinte. — In diesen Zusammenhang
gehört der Bericht der Urkunde Keilschriftt. aus Bogh. III no. 3,
übersetzt von Hrozny, Bogh.-Stud. II 130 ff., und Friedrich, Aus dem
het. Schrifttum I, (Alter Orient 24, 3) S. 19 f. Es ist ein Erlaß des
Königs Mursil ü., der den Abirattas zum König von Barga einsetzt.
Diese Stadt, deren König auch in dem Fragment eines Amarnabriefs
Emporkommen der Assyrer. Subbiluljuma 371
Seiten des Euphrat im Norden von Mitani operiert. Die Be-
richte, die er über seine Unternehmungen in den Einleitungen
zu seinen auf Grund derselben geschlossenen Verträgen mit
Mitani, Nuchasse und Kizwatna gibt, sind äußerst unbeholfen
abgefaßt — dabei wirkt mit, daß er oder seine Kanzlisten
die akkadische Sprache, in der sie verfaßt sind, nur unzu-
reichend beherrschte — und geben jedesmal nur einen Teil
der Ereignisse, während anderes verschwiegen oder nur kurz
angedeutet wird. Die Verbindung der einzelnen Nachrichten
ermöglicht, ein allgemeines Bild der Hergänge zu gewinnen ^ ).
(57) neben dem von Qatna vorkommt, lag nach Salmanassar II. (Mono-
lithinschr. III R. 8, 88) zwischen Aleppo und Hamät, also im mitt-
leren Orontesgebiet. Mursil erzählt, daß der König von Charri, d. i.
natürlich Dusratta von Mitani, dem Großvater des Abirattas die Stadt
Ijaruwaia entrissen und dem Großvater des Tette gegeben habe, der
als ein Chabiru (geschrieben Sa . Gaz) bezeichnet vpird. Da sieht man,
wie das Vordringen der aramaeischen Nomaden durch diese Vorgänge
gefördert wird. — Tette ist wohl identisch mit dem König von Nuchasse.
der dann Vasall Subbiluljumas wird. Aber dann haben sich die „Könige
von Nuchasse und der von Kinza" wieder gegen Mursil empört (Vertrag
mit Dubbitesub) und sind erst nach geraumer Zeit, wahrscheinlich in
seinem 9. Jahr, von ihm wieder unterworfen worden. In diesen Zu-
sammenhang gehört ofienbar die hier besprochene Urkunde, die die
p]mpörung des Tette und En-urtas gegen Mursil und ihre Besiegung
erwähnt, während Abirattas treu bleibt (also wie Aziru von Amurru
und seine Nachkommen) und dafür belohnt wird. Abirattas' Sohn heißt
Du-tesub (var. Irtesub) wie der Sohn Azirus, ist aber mit diesem nicht
identisch, wie Hrozny annahm. — Der zweite, im Eingang zerstörte
Teil der Urkunde (col. 3 u. 4) hat mit Barga nichts zu tun, sondern
regelt die Beziehungen zu Diibbitesub von Amurru, dem Enkel Azirus,
und zu Dudchalia von Karkemis.
') Die Hauptmoniente, die in Betracht kommen, sind folgende:
1. Der Vertrag Subbiluljumas mit Mattiwaza, dem Sohn Dusrattas,
beginnt mit dem Satz: „Als mit Subb. Artatama, König von Charri, sie
untereinander einen Vertrag schlössen, da trat Dusratta, König von
Mitani, dem Chetiterkönig und ich ihm entgegen" ; darauf folgt ein
Überblick der verschiedenen Kriege zwischen beiden. Aus diesem selt-
samen Eingang hat man ein selbständiges Reich Charri erschlossen
und es in Armenien gesucht. Aber nachher ZI. 48 f. heißt es, daß erst
als Dusratta ermordet war, ,der Gott Tesub das Recht des Artatama
372 VII. Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
Subbiluljuma war zunächst beschäftigt, die chetitische
Herrschaft im Osten Kleinasiens und den Gebirgsländern am
entschied und ihn, seinen toten Sohn, zum Leben erweckte." Er kann
jetzt zusammen mit seinem Sohn Sutarna in Mitani eingreifen und
dies Reich vernichten [das wird von Mattiwaza in seiner Ausfertigung
des Vertrages weit eingehender erzählt, während er alles Vorhergehende
beiseite läßt]. Mithin ist er vorher nur ein Prätendent gewesen, mit
dem Subbiluljuma einen Vertrag geschlossen hat, und die Erwähnung
im Eingang dient lediglich zur Vorbereitung des späteren Auftretens
des Artatama. „König von Charri" heißt er um seiner Nationalität
willen, nicht weil Charri ein eigenes Reich und gar eins von größerer
Bedeutung gewesen wäre. Charrier heißt ja gerade in diesem Vertrage
(in beiden Exemplaren) ständig die Bevölkerung des Reichs Mitani [ab-
gesehn von den Marjanni], die Charrier leisten zusammen mit dem
König von Mitani den Eid, genug, Charri ist nur ein anderer Name
für das offiziell Mitani genannte Reich, so gut wie Chanigalbat.
2. Dieselbe Bedeutung hat Charri nun offenbar auch in dem Ver-
trage mit Kizwatna. Der Name des Chetiterkönigs ist weggebrochen,
und so hat man ihn bald dem Mursil IL, bald dem Muwattal, bald
dem Subbiluljuma zugeschrieben. Es wird erzählt, daß „vormals unter
meinem Großvater" Kizwatna zum Chetiterreich gehörte, dann aber zu
Charri abfiel, ebenso wie dann das Land Isuwa. In sehr konfuser Weise
werden die Verhandlungen mit „dem Charrier" berichtet. Dann hat
der Erzähler selbst Isuwa wieder unterworfen, die Übergriffe des Char-
riers zurückgewiesen und den Sunassura von Kizwatna aus einem
Vasallen der Charrier zu einem echten König gemacht, der durch ein
enges Bündnis an das Chetiterreich geknüpft wird. Die Beziehungen
zum Charrier werden abgebrochen, die Defensiv- und Offensivkriege
werden sie gegen ihn gemeinsam führen. Es ist klar, daß hier die-
selben Vorgänge erzählt werden, die Subbiluljuma im Vertrag mit
Mattiwaza 10 ff. ausführlicher berichtet, speziell die Wiederunterwerfung
von Isuwa in zwei gesonderten Feldzügen, das zur Zeit seines Vaters
(Dudchalia III.) abgefallen war. Der König des Kizwatnavertrages ist
also Subbiluljuma (so jetzt auch Forrer, Forsch. II 39); sein Großvater.
unter dem es abfiel, ist Chattusil IL, gegen den ja der Mitanikönig
in Verbindung mit Aleppo erfolgreich vorgegangen war (o. S. 157).
„Der Charrier" des Vertrages ist mithin Dusratta von Mitani, und der
Vertrag ist abgeschlossen, ehe Subbiluljuma sich zum entscheidenden
Vorgehn gegen diesen anschickte, offenbar nach dem ersten Feldzug
gegen Isuwa. [Daß der Vertrag mit Kizwatna den Abfall Isuwas und
der Nachbargebiete ebenso wie den von Kizwatna in die Zeit „meines
Großvaters" setzt, nach dem Vertrage mit Mattiwaza dagegen Isuwa
Vordringen der Chetiter unter Subbiluljuma 373
Euphrat, über Isuwa und die Gaue, die sich ihm angeschlos-
sen hatten (o. S. 158), wiederherzustellen; dadurch wird sich
erklären, daß sein erster Eingriff in Nordsyrien (0. S. 355)
ohne dauernde Wirkung geblieben ist. Er ist in Isuwa ein-
gedrungen, hat die ausgewanderten Stämme in sein Reich
zurückgeführt, und Sunassura, den König von Kizwatna, wie-
der zum Anschluß an das Chetiterreich gewonnen. Nach seiner
Darstellung war dieser froh, fortan nicht mehr „Knecht" der
Charrier, sondern ein freier König zu sein. Der Vertrag nimmt
scharf Stellung gegen die Charrier von Mitani und bindet Kiz-
watna und seinen Herrscher eng und dauernd an das Chetiter-
reich; diese unauflösliche Verbindung findet auch darin ihren
Ausdruck, daß der Chetiterkönig in allen Verträgen, die er
fortan mit anderen Staaten schließt, im Anschluß an die
chetitischen Götter immer auch die von Kizwatna als Zeugen
anruft.
Im Mitanireich selbst war Subbiluljuma mit einem Prä-
tendenten Artatama in Verbindung getreten und hatte ihn als
sich zur Zeit des Vaters des Subbiluljuma empört hat, ist nicht als
Widerspruch aufzufassen, zumal da wir aus dem Vertrage mit Aleppo
wissen, daß der Niedergang der chetitischen Macht unter Chattusil II..
dem Großvater Subbiluljuma?, eingetreten ist.]
3. Der Vertrag Subbiluljumas mit Tette von Nuchasse erzählt im
Eingang das Vorgehn des Königs von Mitani gegen Sarrupsa (= Ver-
trag mit Mattiv?aza 38) und den gleichzeitigen Zug Subbiluljumas
gegen Isuwa. Das weitere ist völlig zerstört. Der Vertrag des Mu-
wattal II. mit Aleppo erzählt die altern Beziehungen zwischen beiden
Reichen, läßt aber in seinem trümmerhaften Zustande über das Kin-
greifen Subbiluljumas in Aleppo und Nuchasse kaum noch etwas er-
kennen.
4. In den Verträgen mit Tette von Nuchasse (II 6 fl'.j und Aziru
(ZI. 5 fi".) nennt Subbiluljuma als Länder, mit denen er Krieg führen
könnte, Charri, Misri (Ägypten), Kardunias (Babylonien), ferner Astata
(am Euphrat) und Alse; auch da ist ganz klar, daß Charri nichts an-
deres ist als Mitani, mit dem er ja im Kriege steht und das daher
unmöglich fehlen kann. Ebenso im Vertrage mit Tunip bei Weidner,
Bogh.-Stud. 9 S. 142, 30. 144, 8 und in den Angaben über den Krieg
in Charri bei Forrer, Forsch. IL 9 f. u. 29: nach S. 36 findet sich für
Mitani in einem Paralleltext die Variante Charlas.
374 ^ If' Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
„König von Charri" anerkannt^). Von der anderen Seite gingen
die Assyrer unter Assuruballit gegen Mitani vor. So hatte
Subbiluljuma, nachdem er auf einem zweiten Feldzug Isuwa
völlig unterworfen hatte, leichtes Spiel. Der Fürst von Alzi
im Bereich des oberen Tigris schloß sich ihm an^), er konnte
Wassuganni, die Hauptstadt des Mitanireichs, besetzen und
ausplündern, Dusratta war nicht mehr imstande, ihm ent-
gegenzutreten. Dann zog er über den Euphrat nach Syrien.
Aleppo unterwarf sich, ebenso der König Takuwa von Ni ;
dessen Bruder Akitesub, der an der Spitze der Marjanni zu-
sammen mit dem Fürsten Akija von Arachti Widerstand ver-
suchte, wurde überwältigt, die Rebellen gefangen fortgeführt'^.
Auch Qatna erging es nicht besser; die Befürchtungen, die
sein Herrscher Akizzi schon vor Jahren ausgesprochen hatte
(S. 355), erfüllten sich. Dann rückte, eben um die Zeit, da
Aziru seine Hilfsgesuche aus Tunip an den Pharao richtete
und dann selbst an den Hof ging, Subbiluljuma in Nuchasse
^) Sein und seines Sohnes Suttarna Name beweist; daß er der-
selben Dynastie angehörte wie Dusratta. Seine Erhebung wird mit den
Thronwirren zusammenhängen, unter denen Dusratta zur Regierung
kam (o. S. 161); er mag damals von Tuchi, dem Mörder Artasuwaras.
zum König ausersehn worden sein.
^) Er überließ ihm die Feste Kutmar. bei den Assyrern Kulli-
meri genannt. Mehrere der hier vorkommenden Orte, darunter auch
die Festung Süta = Sudi, werden später von Adadniräri I. in der Ein-
leitung seiner Inschriften wieder genannt (Inschr. der altassyr. Könige
von Ebeling, Meissner, Weidner S. 57 f.). Zur Typographie s. Forrer.
Provinzeinteilung des assyr. Reichs 20 sowie Weidner in den Anmer-
kungen zu seinen Übersetzungen.
^) Arachti ist vielleicht identisch mit Arrech bei Thutmosis III.
oben S. 129, 2. Im einzelnen bietet der Text hier mehrfach Schwierig-
keiten, die eine sichere Übersetzung nicht zulassen. Takuwa ist derselbe
Name, den Am. 51 der König von Nuchasse führt, den Thutmosis III.
eingesetzt hat (o. S. 129). Ebenso findet sich in Tunip ein Akitesub, dessen
Sohn die Stadt als König erbittet (Am. 59, o. S. 355). Ein wohl gleich-
namiger [. . .] tesub, Sohn des Täku, wird in den Trümmern des Ver-
trages eines Chetiterkönigs mit Tunip erwähnt (bei Weidner, Bogh.-
St. 9, 143 ZI. 27). Diese Namen weisen auf verwandtschaftliche Be-
ziehungen zwischen den Dynastenfamilien hin.
Subbiluljuma gegen Mitani und Nordsyrien 375
ein, führte die Familie des Sarrupsa, dem er früher Schutz
zugesagt hatte, der dann aber umgekommen zu sein scheint \),
gefangen fort, und setzte Tette als König ein. So wenig wie
Dusratta scheinen auch die Äg3^pter irgendwelchen Widerstand
versucht zu haben; offenbar hat die schwache ägyptische Be-
satzung die noch behaupteten Plätze, wie z. B. Tunip. ohne
Gegenwehr geräumt. In Subbiluljumas Berichten werden sie
überhaupt nicht erwähnt, offiziell bestand offenbar trotz allem
noch immer der Friedenszustand zwischen beiden Reichen. So
mußte auch Aziru sich den Tatsachen fügen; er ist nach seiner
Rückkehr aus Ägypten von diesem abgefallen und wieder in
das Vasallenverhältnis zum Chetiterkönig zurückgetreten, an
dem er fortan dauernd festgehalten hat"). Subbiluljuma hat
die Grenzen des Landes Amurru festgestellt und ihm einen
Jahrestribut von 300 Sekel reinen Goldes auferlegt.
Dagegen hat Aitaqaraa von Kinza versucht, seine Un-
abhängigkeit zu behaupten; aber er wurde besiegt und mit
seiner Familie und seinen Marjanni gefangen fortgeführt,
ebenso wie der wohl von ihm abhängige Dynast des Landes
Abina, des Abi oder Opa der Ägypter und der Amarnabriefe,
der Ebene von Damaskus-"*). Aitaqama muß dann aber be-
'J Ein klares Bild läßt sich aus den knappen Angaben im Ver-
trage mit Mattiwaza und den Trümmern des Berichts im Vertrage mit
Tette nicht gewinnen. Die sonst nie erwähnte Stadt ükulzat wurde
von Nuchasse getrennt und einem Diener des Sarrujjsi als Fürstentum
^j Krwähnt im Vertrag Chattusils III. mit Bentesina von Amurru.
Vom Vertrage Subbiluljumas mit Aziru ist der Eingang nicht erhalten:
einige weitere Angaben im Vertrag Mursils IL mit Dubbitesub, dem
Enkel Azirus. In dem Bericht Subbiluljumas über seinen Feldzug im
Vertrage mit Mattiwaza werden Aziru und die Amoriter auffallender-
weise nicht erwähnt, und ebensowenig Tunip.
'■') Neben Aitaqama nennt Subb. hier noch seinen Vater Sutatarra,
der in den Amarnatexten nie vorkommt. Die Annahme, daß dies der-
selbe Name sei, wie der auch in diesen bei mehreren Dynasten vor-
kommende Name Sutarna, ist sehr unwahrscheinlich und wird dadurch
in keiner Weise erwiesen, daß der sonst immer Sutarna geschriebene
Name des Sohnes Artatamas (s. u.) in einem Exemplar des Vertrages
376 ^ U- Niedergang der ägyptischen Macht. Chetiter und Beduinen
gnadigt und wieder eingesetzt sein, da er sich nachher in
Kinza gegen Mursil II. empört und von diesem in seinem
9. Jahre besiegt wird^).
So hatte Subbiluljuma das ganze Land vom Euphrat bis
zum Libanon in einem Jahre aufs neue unterworfen. Alle
dortigen Kleinstaaten werden durch gleichlautende Verträge
— erhalten sind solche ganz oder teilweise mit Nuchasse,
Amurru und (aus späterer Zeit) mit Tunip — ganz an den
Chetiterkönig gefesselt und zur Heeresfolge gegen jeden Feind
und jeden Aufstand im Innern verpflichtet; dafür sagt auch er
ihnen im Kriegsfalle seine Hilfe zu. In Aleppo dagegen und
in Karkemis hat er seine Söhne Telibinus und Bijassil zu
Königen eingesetzt; doch dauerte es noch geraume Zeit, ehe
Karkemis wirklich bezwungen wurde ^).
Währenddessen waren der von Subbiluljuma anerkannte
Prätendent Artatama und sein Sohn Sutarna in Mesopotamien
eingebrochen und hatten zusammen mit den Königen von Assur
und von Alse das Land und seine Hauptstadt gründlich aus-
geplündert. Sutarna, der hier die Herrschaft übernommen
zu haben scheint, zerstörte den Palast Du.srattas in Wassu-
ganni, gab die ehemals von Saussatar aus Assur entführte
goldene Tür (o. S. 133) dem Assyrerkönig zurück und erkannte
Subbiluljumas mit Mattiwaza (A ZI. ,53; das richtige hat B 34, ebenso
wie Mattiwaza durchweg) in Suttatarra verschrieben ist. — Subbilul-
juma, der ja überall sein Vorgehn als sittlich gerechtfertigt nach-
zuweisen sucht, behauptet, er habe Kinza nicht angreifen wollen, aber
dessen Herrscher habe den Krieg angefangen.
') Annalen des Mursil IL bei Forrer, Bogh.-Texte 'n Umschrift
S. 43*, vgl. seinen Vertrag mit Dubbitesub ZI. 13 S. Die Empörung der
Könige von Nuchasse und Kinza gegen Subbiluljuma in ZI. 3 ff., an
der Aziru nicht teilnahm, ist wohl nicht ein späterer Auf.stand gegen
diesen, sondern ihr im Mattiwazavertrag erzählter Widerstand, wähi'end
Aziru sich damals sogleich unterworfen hat und am Kampf gegen sie
teilnahm.
"^j Siehe den Bericht des Muwattal bei Forrer, Forsch. II 10, der
die Taten seines Großvaters im Kriege gegen Charri einschließlich des
Kriegs mit Ägypten kurz zusammenfaßt. Über die sich daraus er-
gebenden chronologischen Daten s. o. S. 338.
Subbiluljuma in Syrien. Unterwerfung Mitanis 377
ihn damit als selbständigen Herrscher an. Andere Kostbar-
keiten verschenkte er nach Alse. Dusratta war einer Ver-
schwörung erlegen; „Mitani ging völlig zugrunde". Unter
der charrischen Bevölkerung wurde ein großes Blutbad an-
gerichtet, die Häuser niedergerissen, die Magnaten an Assur
und Alse zur Pfählung ausgeliefert^). Dusrattas Sohn Matti-
waza suchte zunächst Zuflucht in Babylonien ; indessen der
Kossaeerkönig wollte offenbar auch im trüben fischen und
trachtete ihm nach dem Leben. Da blieb ihm, als er glück-
lich entkommen war, nichts übrig, als sich dem Subbiluljuma
zu Füßen zu werfen.
Diesem konnte das Schalten Sutarnas in Mitani nicht
genehm sein, durch das das Land jenseits des Euphrat tat-
sächlich wieder in die Hand der Assyrer überging. So nahm
er Mattiwaza gnädig auf und versprach, ihn nach Mitani
zurückzuführen^). Er vermählte ihn mit seiner Tochter und
übertrug die Rückführung seinem Sohne Bijassil von Kar-
kemis. Beide zusammen haben die Truppen Sutarnas bei
Irrite im westlichen Mesopotamien besiegt; die Stadt Charrau
ergab sich, die Assyrer wurden zurückgeschlagen, die Stadt
') Sowohl in der Krzählung Subbiluljumas ZI. b?, wie in der
Mattiwazas ZI. 12. 14 wird die Bevölkerung, über die das Strafgericht
ergeht, ausdrücklich als Charrier bezeichnet [wenn, wie Weidner be-
merkt, in dem Exemplar B des Subb. -Vertrags anstatt Charri nach Aus-
weis der erhaltenen Endsilbe [marjanjni gestanden zu haben scheint,
so kann das kaum etwas anderes als Schreibfehler sein]. Steht darin
ein Gegensatz gegen die Marjanni des Sutarna Subb. ZI. .54? — Auch
sonst bietet der Bericht Mattiwazas manche Unklarheiten, so die An-
gabe, daß Akitesub mit seinen Kriegswagen und Marjanni nach Kar-
dunias flieht und dessen König ihm diese abnimmt und ihn töten will.
Dieser Akitesub ist doch wohl der Bruder des Takuwa von Ni, den
Subbiluljuma besiegt hat; daß dieser behauptet, ihn nebst allen seinen
Marjanni gefangen nach Chatti fortgeführt zu haben, ist ein Wider-
spruch, wie er auch sonst in derartigen Berichten vorkommt.
*) Mattiwaza erklärte dabei, er wolle an der Stellung Artatamas
nichts ändern, sondern als sein Vasall regieren. Nachher aber ist von
diesem nicht mehr die Rede; Mattiwaza will damit nur (in derselben
Weise wie Subbiluljuma) seine loyale Gesinnung bezeugen.
378 ^'11- Niedergang der ägyptischen Macht, Chetiter und Beduinen
Wassuganni erobert^). In dem Vertrage mit Subbiluljuma wer-
den sowohl Mattiwaza wie seine Untertanen, die Charrier,
die ihn beschwören müssen, durch die feierhchsten Fhich-
formeln zur Treue und Hilfeleistung verpflichtet. Nebenfrauen
darf Mattiwaza nehmen, aber rechtmäßige Königin ist allein
die chetitische Prinzessin. Als Grenze der beiden Länder wird
der Euphrat bestimmt — damit ist der Verzicht Mitanis auf
Syrien ausgesprochen; — aber beide Euphratufer bis über
Tirqa südlich von der Chaborasmündung hinab (das Land
Astata), werden dem Bijassil von Karkemis abgetreten'-), mit
dem Mattiwaza zu enger Freundschaft verpflichtet wird, und
dadurch Mitani noch weiter von Sj^rien abgeschnitten.
Wie weit inzwischen die Ägypter ihre Herrschaft über
die phoenikische Küste wieder hergestellt haben, läßt sich
nicht erkennen. Simyra und Byblos werden im Besitz Azirus
geblieben sein — auch der Pharao selbst hatte sein Vorgehn
zwar hier getadelt, aber nicht rückgängig zu machen gesucht;
— auch ob Sidon sich ernstlich wieder unterworfen hat, er-
scheint recht fraglich. Tyros dagegen werden sie behauptet
haben, und vielleicht auch Berytos. Außerdem stand das
Hinterland Coelesyrien ('Amq) noch unter ihrer Herrschaft.
Von hier aus haben sie, während Subbiluljuma vor Karkemis
lag, versucht, Kinza (also Aitaqaraa) wieder auf ihre Seite zu
bringen^). Da hat Subbiluljuma seinen Feldherrn Lupakku
nebst einem Genossen gegen sie gesandt; in zwei Kriegs-
zügen wurde das *Amq ausgeplündert. Damit hatte er. was er
bisher vermieden hatte, offen mit Ägypten gebrochen und den
Kriegszustand herbeigeführt ' ).
') Davon haben außer den Resten des Mattiwazavertrags ZI. -51
auch die Trümmer des geschichtlichen Berichts bei Forrer, Bogh.-
Texte in Umschrift 44 § 8 erzählt. Weiteres in dem Text bei Friedrich.
Archiv f. Keilschriftforsch. II 119 ff. = Forrer, Forsch. II 43 f.
^) Zur Topographie s. Führer, Forsch. II 41 ff. Über Tirqa siehe
Bd. I 433.
^) Davon ist bei Forrer, Bogh. -Teste in Umschrift no. 41 col. 2
§ 10 erzählt.
*) Die Quellen s. o. 8. 337 f. Sein Sohn ^Mursil II. stellt in seinen
Bruch zwischen Subbiluljuma und Ägypten 379
Die Nachricht von dem Einfall des chetitischen Heeres
unter Lupakku in 'Amq bringt der jüngste der Briefe des
Archivs von Amarna\). Das Ergebnis der Regierung Ame-
nophis' IV. für die Stellung Ägyptens in Asien faßt ein Erlaß
seines Nachfolgers Tut'anch-amon mit den Worten zusammen:
„Wenn man (Truppen) nach Phoenikien (Zahl) schickte, um
die Grenzen Ägyptens zu erweitern, so konnten sie nichts
ausrichten." Aber unmittelbar nach dem chetitischen Angrift'
ist in Ägypten die Krise eingetreten, welche die gesamte bis-
herige Politik des Reichs wie im Innern so nach außen von
Grund aus umgewandelt hat.
Berichten bei Forrkr, Forsch. II 13 f. u. 28, den Angrifi' auf Ägypten
als ein von den Chetitern begangenes Unrecht dar, weil daraus die
Seuche entstand, die das Land 20 Jahre lang heimsuchte.
') 170. In dem Zitana, der nach einer noch unverbürgten Nach-
richt mit 9000 (?) Kriegern nach Nuchasse gekommen sein soll, hat Forreh
mit Recht Zidä. den Bruder des Königs, erkannt, der damals in Klein-
asien stand.
VIII. Versuch der Durchführung des solaren
Monotheismus und Eestauration der Orthodoxie
Amenophis IV. Die Einführung des Sonnenkults
Während die Machtstellung des ägyptischen Reichs immer
mehr verfiel, war der neue König ganz anderen Aufgaben
zugewandt. Offenbar von Jugend auf hatte Amenophis IV.,
vielleicht unter dem Einfluß von Theologen aus Heliopolis,
sich ganz erfüllt mit den Ideen des solaren Monotheismus.
Tagtäglich empfand er an sich selbst die Leben schaffende
Kraft der Sonnenstrahlen, die unmittelbare Offenbarung des
Gottes, der sich an jedem Morgen in seiner leiblichen Ge-
stalt allen Augen sichtbar aus den Bergen des Ostens er-
hebt und Tag für Tag gleichmäßig seine Bahn über den Him-
mel dahinzieht, alle Welt, Menschen, Tiere und Pflanzen, be-
lebend und zu reger Tätigkeit erweckend, bis er am Abend
zur Ruhe geht und damit auch die Welt in Dunkel und
Schlaf versenkt. Er war eine tief religiöse, sensitive und
schwärmerisch veranlagte Natur, wie sie hochgesteigerte Kul-
turen so häufig erzeugen, ganz der Welt der Ideen zugewandt
und den realen Bedingungen und Aufgaben des Erdendaseins
entfremdet. Umso schwerer empfand er den inneren Wider-
spruch zwischen der Lehre des theologischen Systems und der
Praxis des Kultus. Unter dem Namen des Re' und Har'achte
und selbst des Atum mochte man den wahren Sonnengott
verehren, aber es war nicht nur ein Widersinn, sondern Lug
und Frevel, wenn andere, und gar tiergestaltige Götter, wie
vor allem der Amon von Theben, seinen Namen usurpierten
und seine Wirkungen sich selbst zuschrieben.
So ist Amenophis IV. nach seiner Thronbesteigung und
Krönung, die in üblicher Weise in Hermonthis, der alten
Amenophis IV. 3g 1
Hauptstadt des thebanischen Graus (Bd. I 275) stattfand, so-
fort ans Werk gegangen^); ihm allein, seinem Sohne, hatte
der Gott die Erkenntnis eröffnet, ihm die Herrschaft über die
Welt verliehen; so war es heiligste Pflicht, hinter der alles
') In einem unbeschriebenen Grabe im Tal der Königsgräber ist
der Sarg Amenophis' IV. mit einer Leiche und mit Beigaben gefunden
worden, die zum Teil seiner Mutter Teje und vielleicht auch seiner
Gemahlin Nofret-ite angehören. Die Leiche unA die übrigen Objekte
müssen also nach der Zerstörung von Amarna zusammengerafft und
nach Theben überführt worden sein. Aus anatomischen Merkmalen er-
gibt sich (Elliot Smith bei Davis, Tomb of Queen Tiyi, 1910), daß der
hier bestattete Mann nicht älter als 25 — 30 Jahre gewesen sein kann
(ebenso bei Thutmosis IV. o. S. 149. 2). Da Amenophis IV. mindestens
17 volle Jahre regiert hat, müßte er also spätestens als lOjähriger Knabe
auf den Thron gekommen sein; erst nach mindestens 25jähriger Ehe
hätte also Teje endlich einen Thronerben zur Welt gebracht. Weiter
würde folgen, daß er lediglich eine Puppe in den Händen Anderer ge-
wesen wäre. Aber das widerspricht allen in diesem Punkte ganz un-
anfechtbaren Zeugnissen, nach denen er selbst die Seele der Bewegung
und der Verkünder der neuen Lehre gewesen ist (vgl. H. Schäfer,
Äg. Z. .55, 1918, 1 tf., der Borchari'T s Konstruktionen, Mitt. DOG. .57, 1917
widerlegt hat). Die monotheistische Reformation ist ganz ebenso sein
Werk und untrennbar mit seiner Persönlichkeit verbanden, wie die
Wiederherstellung der antiken Religion mit der Julians. [Die von
G. Möller, Äg. Z. 56, 100 herangezogene Parallele des Khalifen Häkim,
des inkarnierten Gottes der Drusenreligion, ist ganz verfehlt: Häkim
ist zwar mit 11 Jahren Khalif geworden, hat aber sein tolles Treiben
und seine mannigfach wechselnden religiösen Neuerungen erst be-
gonnen, als er 16 Jahre alt geworden war.] Sein Porträt zeigt denn
auch sowohl in den Gesichtszügen wie in der Körperbildung von An-
fang an einen voll ausgewachsenen, keineswegs mehr jugendlichen Mann.
Seit jetzt seine ganz realistischen Statuen im Tempel von Karnak aus
dem Anfang seiner Regierung gefunden sind, sind vollends alle Zweifel
gehoben. Somit bleibt, unter der Voraussetzung, daß die anatomischen
Gründe unanfechtbar sind, nur der Ausweg, daß statt seiner eine an-
dere Leiche aus Amarna in den Sarg gelegt worden ist. Dafür hat
Sethe, Beiträge zur Gesch. Am. IV., Nachr. Gott. Ges. 1921, 122 &., weitere
Gründe aus den Beigaben der Leiche beigebracht und auch sonst die
ganze Frage eingehend besprochen. [Nur seiner Verwertung des von Am.
gefeierten Setfestes kann ich nicht zustimmen, da dies m. E. sichere
chronologische Schlüsse nicht gestattet, vgl. o. S. 149, 2.]
382 ^l'I- Üiirohfüliiniig d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
andere zurückstehn mußte, die Wahrheit zu bekennen und
die Untertanen zu der richtigen ReHgion zu bekehren.
Der erste Schritt war die Erbauung eines Heiligtums
der Sonne in Karnak, der heiligen Stätte Amons. Für den
Gott behält er die Benennung Re' Har'achte („Re', der Horus
am Horizont") noch bei, aber mit dem bezeichnenden Zusatz
„der jubelt im Horizonte in seinem Namen als Lichtglanz,
der in der Sonnenscheibe ist", — er wählt zwei Appellativa,
um ganz deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß der Gott
eben die sichtbare, unmittelbar wirkende Sonne selbst ist,
nicht etwa ein von ihr verschiedenes Wesen, das sich in ihr
nur manifestiert^). Meist wird dann die langatmige Formel
schlechtweg durch Aten „die Sonnenscheibe" ersetzt. In seinen
Königsnamen nahm er den Titel eines Oberpriesters dieses
Gottes auf. Dem Palast, den er sich in Theben erbaut, gibt
er den Namen „Jubel im Horizont", entsprechend dem Bei-
namen seines Gottes^). Wie eilig er die Sache betrieben hat,
') Sethe, Ber. Gott. Ges. 1921. 107 ff., übersetzt die Formel tn ruf
m sw nti m ^tn durch „in seinem Namen als Su, welcher ist der Aten"
und erklärt Su (determiniert mit der Sonne und dadurch unterschieden
von dem Luftgott Sow) für ein anderes Wort für „Sonne". Alsdann
wären aber kw und 'in einfache Tautologien, wie sie doch für solche
mit Recht als „lehrhaft" bezeichneten Namen wenig passen. Ich kann
daher auch Sethe's Deutung von nti m als Bezeichnung der Identität
nicht zustimmen, sondern muß an der älteren Auffassung festhalten.
Hn (die konventionelle Aussprache Aton ist ganz unsicher) ist das
Appellativum für die Sonnenscheibe, das in religiösen Texten vielfach
vorkommt, aber vor Amenophis IV. niemals eine Gottheit bezeichnet
oder gar einen Tempel gehabt hat (auch nicht unter Amenophis III.. wie
mehrfach behauptet worden ist). Wenn nun ^siv in der Sonnenscheibe"
der eigentliche Name des wahren Gottes ist. so muß sw die wirksame
Eigenschaft der Sonne bezeichnen, also etwa den Lichtglanz oder auch
die Sonnenwärme; und das paßt auch für die von Sethe S. 109, 3 zu-
sammengestellten Stellen durchaus. [Der Ort \r\ir\ in Zebülon Jos. 19, 18
= Chinaton bei Akko Am. 8, 17. 24-5, 32 ist nicht ägyptisch und hat
mit dem Aten, dessen Namen man oft darin gesucht hat. nichts zu tun.]
2) In diesem VnA^i^ißchn) Cha'emachut hat er nach einem hierati-
schen Vermerk auf Am. 27 in seinem 2. Jahre den ersten ihm von Dus-
ratta gesandten Brief empfangen.
Einführung des Sonnenkults 383
zeigt eine Inschrift in den Steinbrüchen von Silsilis, die an-
gibt, daß er alle Steinmetzen „von Elephautiue bis zum Delta"
und die Offiziere aufbot, um dort einen Obehsken von Sandstein
für den Gott brechen zu lassen. Sein Tempel in Karnak ist
bei der Reaktion völlig zerstört worden; aber mehrere Blöcke
aus ihm sind dadurch erhalten, daß Haremhab sie für einen
von ihm erbauten Pylon verwendet hat. Auf einem dieser
Blöcke befindet sich rechts das übliche Bild Amenophis' III.
mit der Sonne des Horus von Edfu darüber — dieser König
hat also hier einen Bau begonnen, den der Sohn dann in
seinen Sonnentempel umgewandelt hat — ; die Darstellung auf
der linken Seite dagegen hat Amenophis IV. getilgt und durch
seinen eigenen Namen und den des neuen Gottes nebst dessen
Bild in Gestalt des falkenköpfigen Har'achte mit der Sonnen-
scheibe auf dem Haupt ersetzt 0- Damals also hat er noch
die herkömmliche Darstellung des Sonnengottes beibehalten.
Auch die Verehrung der übrigen Götter galt noch als mit der
des Aten verträglich: über der Inschrift von Silsilis ist der
König in üblicher Weise in Verehrung vor Amon dargestellt,
darüber schwebt die geflügelte Sonnenscheibe-).
Obelisken werden gewöhnlich aus Anlaß des Setfestes er-
richtet; und auch dieses Fest mit seinen zahlreichen, in ur-
alte Zeit zurückreichenden Zeremonien (Bd. I 220 f.) hat
Amenophis IV., wie manche seiner Vorgänger auch'^), nicht
') S. H. Schäfer in den Anitl. Berichten aus den preuß. Kunst-
sammlungen XLI 1920, 158 if., der auf Grund einer Reinigung des Re-
liefs (im Berl. Mus.) den Tatbestand definitiv geklärt und damit die leb-
haften darüber geführten Diskussionen erledigt hat. — Weitere Blöcke
vom Tempel bei Breasted, Anc. Rec. II 932 und Schäfer, ÄZ. .5.5, 28. 2
sowie Amtl. Ber. XL 1919, 225 (nach Pri.sse).
^) Abgebildet bei Lepsius, Denkm. Text IV 97 (die Inschrift LD III.
llOi); Schäfer, Rel. und Kunst von El-Amarna S. 11. Gleichartig ist
eine Stele aus dem Steinbruch von Zernik gegenüber von Esne: Le-
grain, Ann. du Serv. III 259 ff. Ebenso verehren im Grabe des Cheru-f
(o. S. 357, 1) der König und seine Mutter den Atum und die Hathor,
und im Totengebet werden zahlreiche Götter angerufen; dazu kommt
dann ein Gebet an den Sonnengott.
^) So Mentuhotep V. Bd. I 277 A; über Thutmosis IV. s. o. S. 149, 2.
384 VIII. Durchführung d. solar. MonotheisTiius, Restaurat. d. Orthodoxie
erst, wie es dem Herkommen entsprach, im 30. Jahre seiner
Regierung, sondern alsbald nach ihrem Antritt gefeiert.
Offenbar ist dabei der neue Tempel eingeweiht und das Fest
benutzt worden, um die Verehrung des Aten feierlich zu pro-
klamieren und allen Untertanen anzubefehlen. Damit werden
weitere Bestimmungen über die Gestaltung seines Kultus ver-
bunden gewesen sein. Vor allem ist jetzt festgesetzt worden,
daß der Gott zwar neben seinem eigentlichen Namen Aten
auch noch den des Re' und Har'achte führen darf, daß aber
eine Darstellung in menschlicher oder gar halbtierischer Ge-
stalt nicht mehr zulässig ist; er darf nur so gebildet werden,
wie er wirklich aussieht: als die runde Scheibe, die vom
Himmel ihre Strahlen auf die Erde hinabsendet und durch
sie alles Leben erweckt. Daher enden die Strahlen in Hände,
die das Zeichen des Lebens (daneben auch das des Gedeihens)
darreichen und die auf dem Opfertisch aufgehäuften Gaben
in Empfang nehmen. Dabei erhält sich die alte Vorstellung,
daß die Gewalt des Gottes durch die Uraeusschlange dar-
gestellt wird; sie hängt an der Sonnenscheibe ebenso wie an
der Krone des Königs und der Königin. Diese beiden stehn
in den Bildern regelmäßig, dem Gott Weihrauch oder Blumen
darbietend, unter den Strahlen; ihnen fließt das Leben, das
er gewährt, unmittelbar zu, sie sind von Gott auserwählt, die
wahre Erkenntnis zu gewinnen und in dem Reich, das er
ihnen übergeben hat, überallhin zu verbreiten^).
Die fundamentale Bedeutung des Setfestes für die Ein-
führung der wahren Religion^) hat darin ihren Ausdruck ge-
') Die neue Darstellung findet sich zuerst aus einer Zeit, wo der
König sich noch Amenophis nennt, in den Gräbern des (später nach
Amarna übergesiedelten) Parannofer (Davies, J. Eg. Arch. IX 1, 36 ff.,
pl. 23) und des Ra'mose (v. Bissing, Denkm. zur Gesch. der Kunst Am. IV.
Ber. bayr. Ak. 1914 Abh. 3, Taf. 6) in Theben, in letzterem neben
älteren Darstellungen, so daß die Neuerung mitten in die Anlage des
Grabes fällt; ferner auf dem gleich zu erwähnenden Tempelrelief.
') Szenen aus der Feier des Festes durch Amenophis IV. sind auf
einem von Griffith, J. Eg. Arch. V 61 ff. veröffentlichten, von Schäfer,
Ber. Berl. Ak. 1919, 477 ff. erläuterten Kalksteinblock dargestellt.
Gestaltung und Einführung des Sonnenkults 385
funden, daß dem Namen Aten ein darauf bezüglicher Zusatz
angefügt wird: „der große lebende Aten, der im Setfeste,
Herr von Himmel und Erde, der beide Lande erleuchtet" 0-
Auf einem Block aus dem Tempel in Karnak strecken die
Sonnenstrahlen dem König das Schriftzeichen des Festes ent-
gegen-); zugrunde liegt die Auffassung, daß der Gott dadurch,
daß er dem König diese Feier gewährte, sein Werk bestätigt
und sich in ihm manifestiert hat. In den Gebeten, in denen
dem König in üblicher Weise eine endlose Lebensdauer ge-
wünscht wird, wird daher immer wieder an Aten die Bitte
gerichtet, er möge ihm viele Myriaden von Setfesten ge-
währen. Vermutlich hat sich der König selbst, wie so mancher
seiner Vorgänger und Nachfolger nicht nur in Ägypten, in
solchen Illusionen gewiegt.
Überall im Lande werden jetzt Tempel des Aten errichtet,
so in Hermonthis, Memphis, Heliopolis — dessen Gott Atum-Re'
ja mit Aten identisch ist und mit dem daher andauernd enge
Fühlung bestand — und gewiß noch in vielen anderen Städten.
In Nubien hat der König dafür w^enig unterhalb des dritten
Katarakts, oberhalb von Soleb, eine neue Stadt erbaut, die
den Namen Gem-aten erhielt, den auch der Tempel in Kar-
nak trug'^).
Wie jede an den Fundamenten des Überlieferten rüttelnde
Umwälzung, mag sie wie hier von der Religion oder aber
von politischen oder sozialen Motiven ausgehn, sofort das
gesamte geistige Leben ergreift und neue Anschauungen er-
weckt, die äberall das Bestehende in Frage stellen und um-
') So schon im Grabe Parannofers. Später ist der Zusatz ^mihb-st
in „Herr der Setfeste" geändert worden; die Inschrift aus Assuan
(v. Bissing S. 3 fF. Taf. I, aus der Amarnazeit) sagt dafür noch präziser
„der das Setfe^t gemacht hat" ('r hb-stj.
2) ScHÄi ER, Amt]. Ber. aus den preuß. Kunstsammlungen 40, 1919,
S. 225 = Kunst des Alten Orients no. 360. ÄZ. 58 S. 36 und Taf. I.
') Breasted. ÄZ. 40, 106 ff. Americ. J. of Semit, lang. XXV 1908,
51 ff. Der Tempel ist von Sethos I. in einen des Amon verwandelt, aber
die Stadt (jetzt Ruinen von Sesebi) hat ihren Namen Gem-aten noch
unter den meroitischen Königen bewahrt.
Meyer, Geschichte des Altertums. H'. 25
386 VIII. Durchführung d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
gestalten wollen, so auch hier. Gleichzeitig mit der Ein-
führung des neuen Götterbildes kommt ein neuer Stil in die
bildende Kunst: die Reliefs aus dem Anfang seiner Regie-
rung zeigen noch ganz die konventionellen klassischen For-
men; dann aber, spätestens etwa in seinem dritten Jahre, er-
scheinen urplötzlich schroff naturalistisch gebildete Gestalten;
Gesichtszüge, Bewegung, die gesamte Komposition und der
Ausdruck der Szenen sind total anders geworden. Besonders
anschaulich, geradezu verblüffend, wirkt der Gegensatz in den
thebanischen Gräbern aus dieser Zeit, dem des Vezirs Ra'mose,
wo an derselben Wand auf der einen Seite der König und
seine Frau im alten Stil, auf der anderen im neuen dargestellt
sind, wie sie, beschienen von den Strahlen des Aten, in un-
gezwungener Haltung auf die Brüstung des großen Fensters
im Palaste lehnen, um den verdienten Beamten die Ehren-
geschenke zuzuwerfen — eine der früheren Zeit völlig fremde,
jetzt neu geschaffene Darstellung, die sich ebenso in dem
gleichzeitigen Grabe des Hofbeamten Parannofer findet und
dann ständig wiederholt wird.
Völlig fertig und ganz unvermittelt tritt uns in diesen
Reliefs der neue Stil entgegen. Und doch müssen wir annehmen,
daß er sich, ebensogut wie die neue Religion, vorher bereits
vorbereitet hat. Es muß Kreise gegeben haben, die sich über-
sättigt fühlten von dem klassischen, durch seine volle Aus-
bildung zu konventionellem Formalismus gewordenen Stil, der
ihnen hohl und leer und darum unwahr erschien und das, was
sie empfanden, nicht auszudrücken vermochte^).
Entscheidend ist, wie in der Religion, so auch hier ge-
wesen, daß der König sich mit Feuereifer der neuen Richtung
hingab. Beides hängt aufs engste zusammen: die alten Formen
der bildlichen Darstellung waren eben so unwahr wie die alte
Religion. Er aber, wie ein jetzt seinem Namen ständig an-
') Auf die volle Parallele, die der Bruch mit dem gotischen Stil
in der Renaissancezeit und vor allem die Abwendung vom klassischen
Stil im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, dem Impressionismus u. s.w.
bietet, braucht kaum hingewiesen zu werden.
Umwandlung des Kunststils 387
gefügter Zusatz sagt, „lebte von der Wahrheit", so gut wie
sein Gott, und verabscheute die Lüge. Daher wollte er auch so
dargestellt sein, wie er wirklich aussah, nicht in der erlogenen
Gestalt des traditionellen Königsbildes. In der Zeit, in der
er den Amon noch nicht rücksichtslos bekämpfte — der Name
Amenophis steht auf den Gürteln der Statuen — , hat er mehrere
Kolossalstatuen für den Tempel des Aten in Karnak herstellen
lassen, die ihn in krasser Natürlichkeit darstellen, mit von Fal-
ten durchfurchtem Gesicht, hängendem Kinn, langem dünnen
Hals, schwachem Brustkörper, dickem Bauch und schmäch-
tigen Armen und Unterschenkeln. So hat er im Leben aus-
gesehn; aber der Kontrast gegen das pompöse Pharaonen-
ornat wirkt geradezu grotesk; und ebenso erscheinen die ent-
sprechenden Reliefs oft wie eine Karrikatur, sowenig dies
natürlich der Absicht entspricht.
Charakteristisch für Ägypten ist nun, daß diesen Zügen
des Königs die seiner Umgebung, sowohl der Königin wie der
Magnaten, möglichst angeähnelt werden, als hätten damals alle
Menschen wirklich so ausgesehn. Daß dies mit dem Bekennt-
nis zu der vom König gepredigten , Wahrheit", das auch in
den Grabinschriften oft genug ausgesprochen wird, in schroffem
Widerspruch steht, hat man nicht empfunden. Der König ist
ja ein wirklicher, lebendiger Gott — an diesem Glauben hat
auch die neue Religion nichts geändert ^ — und Sohn des
Sonnengottes (mag dieser nun Amon, Re' oder Aten heißen);
so ist es Pflicht, sich in allem nach seinem Vorbild zu richten.
Nur durch diesen tief im Volk wurzelnden Glauben ist es be-
greiflich, daß das Unternehmen, die alte Religion umzustürzen,
überhaupt gewagt, und vollends, daß es zeitweihg durchge-
führt werden konnte.
Diese Unterwürfigkeit unter den Willen des Königs ge-
langt in den Werken der neuen, naturalistischen Kunst wo-
möglich noch stärker zum Ausdruck als früher; die Menschen,
') Auf dem Kalksteinbloek oben S. 384. 2 steht sein Oberpriester
in gebückter Haltung hinter ihm.
888 VIII. Durchführung d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
ob vornehm oder gering, die vor dem König stehn, die Sol-
daten, die auf ihn zulaufen, können den Rücken garnicht
tief genug beugen. Auf uns wirkt diese Servilität in der rea-
listischen Darstellung vielleicht noch abstoßender als in den
gleichartigen, durch den strengen Stil gehobenen Darstellungen
der älteren Zeit (z.B. Reliefs aus dem Tempel des Neweserre');
für den Ägypter dagegen ist die Befolgung dieses Zeremoniells
etwas Selbstverständliches, sowohl dem Könige wie dem Vor-
gesetzten gegenüber, aber eben darum für das richtige Ver-
ständnis der geschichtlichen Vorgänge nur umso bedeutsamer.
Im Gegensatz zu den Untertanen behandelt Amenophis IV.
seine Gemahlin Nofret-ite ebenso wie sein Vater die Königin
Teje als sich völlig gleichstehend. Durchweg erscheint sie
neben ihm in gleicher Größe; auch in die Gebetsformeln an den
Sonnengott ist sie mit aufgenommen. In stärkster Abweichung
von all seinen Vorgängern trägt er garkeine Bedenken, sich
in rein menschlichen Verhältnissen darstellen zu lassen, im
intimsten Verkehr mit Frau und Kindern oder in nachlässiger
bequemer Haltung behaglich auf dem Stuhle sitzend, mit vollem
Verzicht auf die Pose der Majestät.
Diese Ablehnung alles Traditionellen und daher Unnatür-
lichen hat ferner bewirkt, daß die neuen Gebetsformeln nicht
mehr in der klassischen, im Leben längst stark veränderten
Sprache des Mittleren Reichs abgefaßt sind, sondern zum
erstenmal in der offiziellen Literatur die modernen Sprach-
formen (das „Neuägyptische") verwenden. Auch darin zeigt
sich, daß die Bewegung das gesamte geistige Leben ergriffen
hat und von Grund aus umzugestalten versucht.
Für die Annahme der wahren Religion hat der König
mit Wort und Tat eifrig gewirkt. Die Grabinschriften der
Magnaten erwähnen oft, daß sie die „Lehre" vom König
selbst empfangen haben und, wenn sie „die Wahrheit lieben
und die Lüge verabscheuen", damit den Mahnungen und dem
Vorbild folgen, das er ihnen gegeben hat. An sanftem Druck
und an Mitteln „zur Gewinnung der Herzen", wie Mohammed
sich in ähnlicher Lage ausdrückte, fehlte es nicht: wer sich
Religiöse Propagantla. Die Krisis 389
für überzeugt erklärte und eifrig mitwirkte, durfte auf reiche
Belohnung und rasche Beförderung zu hohen Ämtern hoffen ;
erwähnt ist schon, daß die Darstellung der Belohnungen, die
Verleihung der goldenen Ketten und Schmucksachen, die König
und Königin vom Audienzfenster des Palastes aus dem Ge-
ehrten zuwarfen, vom Grabe des Vezirs Ra'mose an in den
Grabreliefs ständig wiederkehrt. . ^
Die Krisis und die Religionsverfolgung
Zunächst mochte Amenophis glauben, daß die Verehrung
des Sonnengottes in seiner wahren Gestalt als Aten, als
Sonnenscheibe, lediglich den der überlieferten Religion zu-
grunde liegenden Anschauungen den richtigen Ausdruck geben
und sich daher mit dem bestehenden Pantheon noch vertragen
könne. Aber ein solcher Kompromiß ließ sich nicht aufrecht
erhalten. Wohl mochten sich auch unter den Priestern ein-
zelne Apostaten finden; als Ganzes dagegen war die Priester-
schaft überall mit dem alten Glauben untrennbar verwachsen,
vor allem aber die Stellung der Amonpriester von Theben
durch den neuen Obergott in ihren Grundlagen angetastet.
Die Stimmung der Volksmassen stand ganz auf ihrer Seite;
die neue, von einem Bruchteil der Oberschicht ausgehende
Bewegung war ihnen vollkommen fremd und unverständlich.
So war ein Zusammenstoß unvermeidlich. In dem großen Edikt
über die Gründung seiner neuen Hauptstadt in Amarna redet
der König von einem Vorfall im 4. Jahre seiner Regierung,
der ärger gewesen sei als alles, was seine letzten Vorgänger ^)
erlebt hatten (wie es scheint, bei Aufständen der besiegten
Untertanen) — alles Aveitere ist leider hoffnungslos zerstört.
Offenbar handelt es sich um einen großen Aufstand, der mit
Waffengewalt niedergeworfen werden mußte.
In dieser Lage lag die Entscheidung beim Militär. In
den Grabreliefs von Amarna ist der König immer von einer
starken Leibwache umgeben. Während diese in den älteren
'j Erhalten i?t nur der Thronname Thatraosis' des III. oder IV.
390 ^^I- Durchführung d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
Darstellungen, z. B. in Der el Bahri, immer nur aus ägyp-
tischer Infanterie besteht, kommen hier regelmäßig fremde
Truppen hinzu, syrische Lanzenkärapfer, libysche Schützen,
Neger mit Bogen und Dolchmessern oder auch mit Keulen.
Diesen ausländischen Soldknechten ^) war die Religion, um die
gekämpft wurde, völlig gleichgültig; aber dem König waren
sie ergeben und standen ihm unbedingt zur Verfügung. Nur
dadurch, daß er sich auf sie stützen konnte, ist die Bezwin-
gung der Aufstände und die Durchführung der religiösen Um-
wälzung ermöglicht worden.
Die Krisis des Jahres 4 hat die letzte Entscheidung herbei-
geführt. Noch in demselben Jahre entschloß sich der König,
der widerspenstigen Amonsstadt den Rücken zu wenden: feier-
lich verkündet er, daß sein Vater Aten ihm eingegeben habe,
ihm eine neue, nur ihm angehörende Kultstätte zu gründen.
Für die Neugründung wählte er eine bisher unbewohnte Stätte
in Mittelägypten, etwas oberhalb von Hermopolis, eine kleine,
rings von Höhenzügen und Wüste umschlossene Ebene am
rechten Nilufer (jetzt el 'Amarna). Ausdrücklich versichert
er, daß das Stadtgebiet bisher weder einem Gott noch einem
Stadtfürsten gehört, er also keinerlei Eigentumsrechte verletzt
habe. Auch die neue Religion hält fest an der uralten, den
ganzen Kultus Ägyptens beherrschenden Anschauung, daß
jede Gottheit, wenn sie auch am Himmel weilt, doch im Nil-
tal eine Stätte haben muß, die ihr als Eigentum angehört,
„ihre Stadt", in der sie wohnt und die den Mittelpunkt ihres
Kultus bildet. Ohne eine solche kann man sich auch den Aten
nicht denken, wenngleich er der Menschheit tagtäglich sicht-
bar erscheint. So erhält die Neugründung den Namen Acht-aten,
„Horizont des Aten", gewissermaßen die Projektion seiner
') Zu ihnen gehört offenbar der nach Gesichtsbildung, Bart und
Haartracht aus Nordsyrien stammende Trur*, der auf dem Berliner
Relief ÄZ. 36 Taf. VII auf einem Klappstuhl sitzend aus dem vor ihm
stehenden Bierkrug durch einen Heber trinkt, bedient von einem
ägyptischen Knaben. Hinter ihm steht seine lange Lanze, vor ihm sitzt
seine Frau 'rbur'a.
Die neue Sonnenstadt und die Religionsverfolgung 391
himmlischen Wohnung auf die Erde. Untrennbar mit ihm ver-
bunden ist der König, der Verkünder seiner Lehre; hier will
er fortan residieren, hier sein Grab anlegen, in das, auch wenn
er an einem anderen Orte sterben sollte, seine Leiche überführt
werden soll, ebenso wie die der Königin und ihrer Kinder.
Königskult und Atenkult fließen ineinander; so wird der Gottes-
name ganz nach dem Schema des Königsnamens ausgestattet,
nach ihm datiert wie nach dem König, mit diesem zusammen
feiert auch der Gott die Jubiläen der Setfeste ^). In der
Gründungsurkunde von Acht-aten werden ausführlich die ein-
zelnen Baulichkeiten des geplanten Tempels aufgezählt, ebenso
die Anlage des Palastes und vor allem der Gräber für den
König und seine Familie sowie für die Priester und Beamten.
Die enge Verknüpfung der ganzen Bewegung mit dem Sonnen-
kult von Heliopolis tritt deutlich darin hervor, daß der Ober-
priester des Aten denselben Titel ur-mau erhält, wie der dor-
tige, und daß auch der zum Kult des Atum gehörende Stier
Mnevis hier ein Grab erhalten soll — diese Gestalt des Tier-
dienstes wird also als legitim anerkannt-).
Dagegen setzt jetzt die rücksichtslose Verfolgung des
Amon ein. Er wird behandelt wie ein Usurpator, der sich
widerrechtlich ein Amt angemaßt hat, das ihm nicht zukommt:
seine Statuen werden zerschlagen, seine Reliefbilder weg-
') Diese Momente hat Gunn, Notes on the Aten and his names,
J. Eg. Arch. IX 1923, 168 ff. mit Recht hervorgehoben.
*) Den auf drei aufs ärgste beschädigten Stelen erhaltenen Text
des Edikts vom J. 4 und ebenso den der Grenzsielen vom J. 6 hat
Daviks, The Rock Tonibs of El Amarna vol. V (1908) mit Beihilfe von
Ghiffith, soweit es möglich ist, -wiederhergestellt und übersetzt — eine
unübertreffliche Leistung liebevoller Versenkung in die Trümmer und
scharfsinniger Erfassung jeder Andeutung. Das Datum „J. 4" des Edikts
ist mit Unrecht angezweifelt worden, weil der Königsname hier schon
Echnaten lautet. Offenbar sind die Stelen erst nach dem Namens-
wechsel fertiggestellt worden; aber die Vorgänge, d'.e sie berichten, ge-
hören an den Anfang, die der Grenzstelen dagegen an den Schluß der
Stadtgründung; das Intervall von 2 Jahren ist mithin auch durch den
Inhalt völlig gesichert.
392 ^lU.- Durchführung d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
gemeißelt, sein Name ausgekratzt, wo immer er sich findet,
sogar in den Keilschriftbriefen im Archiv von Amarna, und
so seine Existenz vernichtet. Denn das ist der Sinn dieses
Vorgehens: indem man Namen und Bild zerstört, tötet man
den Gott selbst, der in ihnen lebt wie der Geist des Toten
in den Bildern seines Grabes. Wie die Verfolgung der Hatsepsut
und ihrer Gehilfen durch Thutmosis III. hat sich auch die
Verfolgung Amons über ganz Ägypten und Nubien erstreckt.
Man kann sich vorstellen, wie die Soldateska des Königs sich
über alle Kultstätten ergoß, jeden Widerstand niederschlug,
wie unter ihrem Schutz der verhaßte Gottesname bis in die
entlegensten Winkel der Tempelinschriften wie der Grab-
inschriften getilgt und die Fortführung des Kultus unterdrückt
wurde, so daß die Tempel leer standen und verfielen.
Nicht viel besser ist es alsbald^) auch den übrigen Göttern,
mit Ausnahme der solaren Götter wie Atum und Horus, er-
gangen; immer deutlicher ,kam zum Bewußtsein, daß auch
ihre Existenz sich mit der Allgewalt des einen Sonnengottes
nicht vertrug. So sind auch ihre Namen zerstört worden, wenn
auch nicht ganz mit dem wilden Haß wie der des Amon;
gelegentlich ist sogar das Wort „Götter" getilgt, weil der Plural
dem Monotheismus widersprach.
Auch für seinen eigenen, mit dem Amons gebildeten
Namen hat der König die Konsequenz gezogen: seit seinem
6. Jahr hat er ihn durch den Namen Echnaten ersetzt'^).
Auch im Namen seines Vaters hat er den Amon tilgen lassen
und nennt ihn, den er im übrigen, ebenso wie dessen Adoptiv-
') Aus seinem 5. Jahre ist ein Schreiben an den König, der hier
noch Amenophis heißt, erhalten, in dem ihm ein Beamter berichtet,
daß der Tempel des Ptah von Memphis in gutem Zustand ist, und zu
Ptah für ihn betet: Griffith, Petrie Papyri p. 91« Damals hatte also
die Verfolgung der übrigen Götter noch nicht begonnen.
*) Sethe, ÄZ. 44, 116 ff., hat dafür die seitdem allgemein au-
fgenommene Übersetzung „es gefällt dem Aten" vorgeschlagen, im Sinne
von „Aten hat Wohlgefallen", nämlich an dem König. Ob sie wirklich
zutreffend ist, ist mir doch recht fraglich. Jedenfalls ist Ech-n-atea
formell dem Amen-hotep nicht gleichwertig.
Volle Durchführung der Religion. Die neue Hauptstadt 393
vater Thutmosis IV. und vermutlich aucli andere seiner Vor-
gäng-er, in hohen Ehren hält und auch in der neuen Haupt-
stadt bildlich darstellt und beschenkt, immer nur mit seinem
Thronnamen, unter dem er ja zugleich der Götterwelt an-
gehört (o. S. 329).
Gleichzeitig wurde der Bau der neuen Hauptstadt mit reg-
stem Eifer betrieben; schon nach zwei Jahren, im Frühjahr
seines 6. Jahres, konnte der König mit seinem Hofstaat dorthin
übersiedeln. Damals hat er auch das weite Kulturland gegen-
über auf dem linken Nilufer bis an die Höhen der Wüste im
Westen dem Stadtgebiet oder vielmehr dem Aten als Eigentum
zugewiesen. Zugleich gelobte er feierlich, er wolle fortan
die Grenzen, die er überall durch große Inschriftentafeln fest-
legte, nicht mehr überschreiten, also ganz auf dem heiligen,
niemals durch einen falschen Gott entweihten Boden des
Sonnengottes leben; zwei Jahre darauf hat er diesen Eid
nochmals erneuert.
Die Sonnenstadt Amarna
In dieser neuen Stadt kann sich, ungehindert durch alte
Traditionen und durch Monumente der verworfenen Religion,
die moderne Kultur mit der ihr vom König gegebenen Kunst-
richtung frei und einheitlich entfalten, wenn auch die Eile,
mit der man gearbeitet hat, oft genug bemerkbar ist. Zu-
gleich gewährt sie, da sie kaum über ein Jahrzehnt bestanden
hat und dann unbewohnt in Trümmern liegen geblieben ist, ein
Bild der Profanbauten, wie es sonst keine Ruinenstätte Ägyp-
tens bietet. Die deutschen und die englischen Ausgrabun-
gen haben große Teile der Stadt aufgedeckt mit den breiten
Hauptstraßen und den Villen der Magnaten, in denen ein mit
Bäumen bestandener Garten und ein Teich mit einer Laube
davor niemals fehlt. In der Anlage herrscht durchweg die
geradlinige Richtung, auch in den Alleen; der Teich ist
immer rechteckig; der Gedanke an einen Naturpark, wie wir
uns vielleicht die kretischen Gärten denken dürfen, liegt den
Ägyptern ganz fern. Gleichartig, nur in viel größeren Di-
3!H VIII. Durchführung d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
mensionen, ist der Königspalast, der den Namen Maru-aten
führt, mit zahlreichen Einzelbauten, Hallen und Kiosken;
ein großer rechteckiger See, zu dem eine Rampe hinabführt,
liegt auch hier in der Mitte. Die Fußböden sind mit Stuck
belegt und mit flott gezeichneten Bildern aus der Pflanzen-
und Tierwelt bemalt, in denen die Einwirkung der kreti-
schen Kunst ganz anschaulich zutage tritt. Der volle Reich-
tum der neuen realistischen Kunstrichtung entfaltet sich in
den buntbemalten Reliefs, die König und Königin in trautem
Verein darstellen, in einer ungezwungenen Haltung, wie sie
in jeder anderen Epoche der ägyptischen Kunst ganz un-
denkbar wäre, etwa nachlässig nebeneinander sitzend und mit
den Töchtern scherzend oder auch die Mahlzeit einnehmend,
oder in graziöser, fast koketter Haltung sich gegenüberste-
hend, mit flatternden Gewändern, der König auf seinen Stock
gestützt, während die Königin ihm wohlriechende Blumen hin-
hält oder die Töchter nackt auf dem Diwan miteinander spie-
len. Die Schöpfungen der Rundplastik vollends gehören zu
den bedeutendsten und wirkungsvollsten Kunstwerken aller
Zeiten. Daß wir hier durch die Aufdeckung der Werkstatt
des Bildhauers Thutmosis mit ihren zahlreichen Modellen und
angefangenen Statuen und daneben den Gipsmasken zugleich
einen lebendigen Einblick in ihren Betrieb erhalten, ist schon
erwähnt^). Neben dem Kopf der Königin, deren formvoll-
endeter aber etwas kühler Schönheit der eigenartige Reiz ab-
geht, den der Kopf der Teje (o. S. 323) ausübt, und dem rea-
listischen Porträt des alten Amenophis HI. (o. S. 324) stehn
die immer erneuten Versuche, das geistige Leben des Königs
zu erschließen, seinen schwärmerisch-sentimentalen, oft ge-
radezu weichhchen Ausdruck richtig zu treffen. In manchen
dieser, immer zugleich von der Individualität des Künstlers
getragenen Gestalten ist das vorzüglich gelungen; in anderen
') S. 822. Ein Bild einer Künstlerwerkstatt ist in dem Grabe des Hui
erhalten, wo der Meister die Statue einer Prinzessin bemalt, während
ein Schüler gespannt zuschaut, ein zweiter einen Kopf, ein dritter ein
Stuhlbein abzeichnet: Davies. Rock Tombs IV 18.
Die Sonnenstadt Amarna. Weiterbildung der Religion 395
streift es durch starke Betonung seiner eigenartigen Körper-
bildung, namentlich des übermäßig langen Hinterkopfs, des
dünnen Halses, des hängenden Kinns geradezu an Karikatur;
und das tritt noch stärker hervor, wenn, wie es vielfach ge-
schehn ist, diese Züge auch auf Frau und Töchter des Kö-
nigs übertragen werden.
Die Neugestaltung der Religion war bei der Übersied-
lung nach Amarna im wesentlichen vollendet; in Einzelheiten
ist in der Folgezeit noch manches gebessert worden, um den
exklusiven Monotheismus noch schärfer hervortreten zu lassen.
So wird im Gottesnamen die ursprünglich mit dem Falken
geschriebene Bezeichnung als Horus zunächst durch eine rein
phonetische Schreibung ersetzt, und dann völlig gestrichen
und durch „Re\ der Herrscher der Horizonte" ersetzt, ebenso
das Wort s«, das an den gleichnamigen Gott erinnert^). Aus
seiner eigenen Titulatur hat der König die Beziehung auf
Theben durch den neuen Herrschersitz Acht-aten, die Formel
„der die Kronen in Hermonthis erhoben hat" durch „der den
Namen des Aten erhoben hat" ersetzt. In dem schönen Sonnen-
hymnus, der in voller Fassung oder gekürzt in allen Grä-
bern steht, wird die Allmacht und die in Menschen und in
allem Getier Leben und Bewegung erweckende Macht der
Sonne enthusiastisch und mit tiefem religiösem Gefühl ge-
priesen; von Kämpfen des Sonnengottes dagegen, von denen
die alte Rehgion so viel erzählte, ist mit keinem Worte die
Rede und ebensowenig von seiner sengenden, vernichtenden
Gewalt, obwohl deren Symbol, die furchtbare Uraeusschlange.
beibehalten ist. Auch im Totenkult ist aller Spuk und alles
Zauberwesen abgestreift, auch die Unterweltsbilder, die in
den Königsgräbern eine so große Rolle spielen, fehlen völlig.
An Stelle des Osiris ist auch hier Aten getreten; das Gebet
an ihn schafft dem gläubigen Verehrer ein seliges Dasein im
Jenseits.
^) Die dafür eingesetzte letzte Formel scheint zu bedeuten: ,in
seinem Namen lebender Re", Vater (oder ,mein Vater?'), der als Aten
kommt." Als „Vater" wird Aten in den Inschriften häufig angerufen.
396 VIII. Durchführung d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
Daß es, trotz redlichsten Strebens, nicht möglich war,
alle altüberkommenen Vorstellungen zu beseitigen, die mit
der neuen Religion in innerem Widerspruch standen, war
unvermeidlich. Dahin gehört z. B. die Beibehaltung des Mne-
visstiers (o. S. 891) — der allerdings später in Amarna nie mehr
vorkommt, so daß vielleicht bei der vollen Ausbildung der Re-
ligion auch er gestrichen worden ist — oder im Totenkult
die der, jetzt aber auf Aten gestellten, Zauberformel für die
Zuwendung der Speisegaben, der ins Grab gelegten Puppen
und des Skarabaeus an Stelle des Herzens, Im allgemeinen
aber ist es erstaunlich, wie stark überall aufgeräumt ist, und
vielleicht noch überraschender, daß zur Bildung einer neuen
Mythologie, wie sie sonst auch eine neue Religion sofort er-
zeugt, sich, soweit wir sehn können, keinerlei Ansatz findet.
Der solare Monotheismus ist einer der konsequentesten Gestal-
tungen des Monotheismus, die die Religionsgeschichte über-
haupt kennt.
Am verhängnisvollsten ist vielleicht gewesen, daß die
alte Anschauung von der unmittelbaren Verbindung des Kö-
nigs mit der Gottheit unverändert geblieben ist. Allerdings
war das ganz unvermeidlich, da nur dadurch die Einführung
der neuen Religion überhaupt möglich gewesen ist. Von
einem eigentlichen Königskult, wie er zu Anfang noch bestand
(o. S. 387), finden wir freilich in Amarna nichts mehr, ab-
gesehn davon, daß Amenophis III. seine Göttlichkeit behält.
Aber auch Echnaten ist der Sohn des Aten, seines Vater.s,
er erhält von ihm die Inspiration, und seine Persönlichkeit
ist mit dem Kultus ganz unmittelbar verbunden. Das über-
trägt sich weiter auf seine Gemahlin und zum Teil auch auf
seine Töchter, gleich von der Geburt an — Söhne hat er
nicht gehabt. Sie stehn im Mittelpunkt der Grabdarstel-
lungen, unmittelbar bestrahlt von der Sonne Atens, ihre Na-
men fehlen in keinem Gebet, auch der Sonnenhymnus läuft
aus in die Verherrlichung des Königs, des einzigen, der den
wahren Gott erkannt und dem dieser die Welt übergeben
hat; und neben dem Gottessohn steht auch hier die Königin
Der König als Prophet. Unpersönlichkeit des Sonnengottes 397
Nofret-ite. Und doch ist die Stellung des Königs eine sehr
andere geworden: tatsächlich ist es der Prophet, dem die
Ehrung gilt. Damit tritt Echnaten als erster in die Reihe
der wenigen wirklichen Religionsstifter, welche in der Welt-
geschichte aufgetreten sind.
Aus dieser Verknüpfung mit der Person des Königs und
Propheten erwächst das Verhängnis, das über seinem Werk
schwebt: wenn er keinen Nachfolger findet, der dieser Stel-
lung gewachsen ist, muß es zusammenbrechen. Damit ver-
bindet sich noch ein zweites Moment. Alle Religion, mag
die Theologie sie noch so abstrakt gestalten, bedarf, um die
Seelen zu packen, eines Gottes, der dem Menschen gleicht, wie
der Mensch denkt und empfindet und daher, wie auch immer
gesteigert, von der religiösen Phantasie in Menschengestalt
gedacht wird; nur zu einem solchen Gotte ist ein unmittel-
bares, persönliches Verhältnis denkbar. Diese Gestalt aber
hat die neue Rehgion verworfen und durch das Bild der
Sonnenscheibe mit ihren in Hände endenden Strahlen er-
setzt. Diesem Bilde mag wohl ein Schwärmer wie Echnaten
eine Persönlichkeit andichten; aber in Wirklichkeit kann sie
eine Persönlichkeit niemals werden und bleibt für die Massen
kalt und seelenlos, ein Geschöpf, nicht ein Schöpfer. Zu
dem Gott, der sich unter anderem auch in der Sonne mani-
festiert, wie Atum oder Amon, oder zu dem Schöpfergott
Ptah, der auch diese geschaffen hat, kann das Volk beten
und von ihm Hilfe in allen Nöten erhoffen; die Sonne Aten
vermag die Gefühle wirklicher Frömmigkeit und inbrünstiger
Hingebung nicht zu erwecken.
Der Ausgang Echnatens und die Reaktion. Tut'anch-amon und
Haremhab. Wiederunterwerfung Palaestinas
Durch die Übersiedlung nach Amarua hat Echnaten sich
innerlich von seinem Reich und Volk geschieden. Er hat seinen
Eid gehalten, die Grenzen des abgesteckten Gebiets nicht
Avieder zu überschreiten. Damit hat er freilich keineswegs das
398 VIII. Durclit'ührung d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
übrige Land sich selbst überlassen; im Gegenteil, sein Gebot
herrschte von Napata bis nach Syrien hinein^), und die Be-
kämpfung der alten Götter wurde im ganzen Niltal durch-
geführt. „Die Tempel", so schildert sein Nachfolger Tut-
*anch-amon den Zustand des Landes, „aller Götter und Göt-
tinnen von Elephantine bis zum Delta lagen in Trümmern,
ihre Kapellen verfielen und wurden zu Ruinen, auf denen
Gras wuchs, ihre Sanktuare waren, als ob sie nie existiert
hätten, ihi-e Häuser wurden zu Promenaden." Alles Tempel-
gut mit dem reichen Grundbesitz und den Scharen der Hö-
rigen war offenbar für den Staat eingezogen; daraus werden
die Mittel für den prächtigen Ausbau der Sonnenstadt be-
schafft worden sein. Aller Widerstand wurde gewaltsam nieder-
gehalten. Indessen auf eine unmittelbare, persönliche Ein-
wirkung, auf eine weitere aktive Propaganda hatte Echnaten
jetzt verzichtet, er lebte in seiner Welt für sich, umgeben
von seinen Truppen und von devoten Dienern und Beamten,
denen sein Wort GottesofFenbarung war.
So erfahren wir denn auch nur wenig von den weiteren
Vorgängen unter seiner Regierung. Mit großer Freude hat
er den Besuch begrüßt, den (etwa im 0. Jahre) seine Mutter
der neuen Residenz abstattete; sie bekundete dadurch, daß sie
sein Werk anerkannte. Ln Grabe ihres Hofmarschalls Hui
ist eingehend dargestellt, wie sie mit Sohn und Schwieger-
tochter zusammen speist und wie sie von diesen in eine für
sie erbaute Kapelle des Tempelbezirks geführt wird, die den
Namen „Schatten des Re der Königinmutter Teje" erhält —
'j Auch im Sonnenhymnus sind Syrien (Chor), Nubien (Kus) und
Ägypten (d. h. tatsächlich die ganze bekannte Welt) die Länder, die
Aten geschaflfen hat und regiert. Es war ein verhängnisvolles Miß-
verständnis, wenn man daraus gefolgert hat, Echnaten habe (eventuell
in Anlehnung an syrische Kulte) eine neue Religion schaffen wollen,
die das ganze Reich zusammenfaßt. Vielmehr ist seine Religion ganz
und gar aus echt ägyptischen Vorstellungen erwachsen. Nubien ist
ägyptisiert, und wie früher Amon und die anderen ägyptischen Götter,
so wird hier natürlich jetzt Aten eingeführt; die Stellung Syriens da-
gegen war eine ganz andere.
Die späteren Jahre Echnatens 399
gleichartig benannte Kapellen gab es auch für die Königin
und ihre älteste Tochter; die Symbolik, die dem Namen zu-
grunde liegt, ist für uns nicht erkennbar.
An Versuchen, den Herrscher zu beseitigen und die alten
Zustände wieder herzustellen, wird es nicht gefehlt haben.
Im Grabe des Mahu, des Obersten der Polizei (der Mazoi),
ist ausführlich eine Szene dargestellt, wie diesem an einem
Wintertage — das Kolilenbecken mit loderndem Feuer steht
vor ihm — eine aufregende Meldung gebracht wird; er be-
steigt seinen Wagen und bringt die Gefangenen ein, die er
dem Vezir und den höchsten Zivil- und Militärbeamten vor-
führt, einen kahlköpfigen Ägypter und zwei Ausländer mit
spitzem Bart und langem Haar; der Vezir, hocherregt, bricht
in den Segenswunsch über Aten und den König aus. Das
ist offenbar kein alltägliches Ereignis, sondern die glückliche
Entdeckung eines Attentats und daher als Höhepunkt seiner
Amtstätigkeit von Mahn in seinem Grabe dargestellt^).
Wie ergebnislos die Versuche des Königs verlaufen sind,
seine Herrschaft über Syrien zu behaupten, haben wir schon
gesehn. In seinen dorthin gerichteten Erlassen redet er als
der allmächtige Gebieter, der seinen Untertanen gnädig ge-
sinnt ist, aber die Rebellen energisch bestraft: „wisse, daß
der König wohlbehalten ist wie die Sonne am Himmel; seinen
zahlreichen Kriegern und Streitwagen vom oberen bis zum
unteren Land, von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang
geht es sehr wohl" -). In Wirklichkeit dagegen vermochte
er nichts mehr auszurichten und war außerstande, diese Streit-
macht nach Asien zu schicken, weil er sie im Lande brauchte.
Seine Regierung hat jedenfalls bis in sein 18. Jahr ge-
dauert, aber schwerlich viel länger. Ob er eines natürlichen
Todes gestorben ist, wissen wir nicht; daß sein Tod mit dem
Angriff der Chetiter zusammenfällt, legt die Vermutung nahe,
daß er von Männern, die über seine Außenpolitik entrüstet
*) Abgebildet und erläutert von D.\vies, Rock Tombs IV pl. 26
und p. 17.
2) An Aziru, Am. 162, 78 ff. Ebenso Rev. d'Ass. 19, 100.
400 VII!. Durchführung d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
waren, beseitigt worden ist. Im Innern hat man zunächst
versucht, seine Politik fortzusetzen; die Nachfolge erhielt,
da er keinen Sohn hatte, S'akere', der mit seiner ältesten
Tochter Merit-aten vermählt war oder vermählt wurde. Ihre
Namen und Bilder erscheinen unter der Sonnenscheibe in
einem nur halb vollendeten Gemälde in dem unter Echnaten
begonnenen Grabe des Merire* in Amarna, der wie von jenem
so auch von dem neuen König mit dem „Golde" bekränzt
wird^). Aber der Boden schwankte unter seinen Füßen; die
Autorität des geboreneu Königs konnte der angeheiratete Erbe
nicht gewinnen. So kam die verwitwete Königin — offen-
bar Nefret-ite"-) — auf den Gedanken, die Hilfe des Chetiter-
königs zu gewinnen und dadurch zugleich den von dort dro-
henden Angriff zu verhindern; sie bat ihn, da sie keinen Sohn
habe, um einen seiner Söhne, den sie zu ihrem Gatten und
zum König machen wolle, einen ihrer Knechte könne sie dazu
nicht nehmen. Sie spricht also ganz als Regentin des Lan-
des. Nach Beratung mit seinen Großen schickte Subbiluljuma
einen Gesandten nach Ägypten, um zu ermitteln, ob das Ange-
bot wirklich ernst gemeint sei; die Königin aber entsandte den
Chani, eben den, den Echnaten verwendet hatte (o.S.364.368f.),
als Bevollmächtigten mit einem Schreiben, das ihren Entschluß
von neuem bekräftigte. Da ging Subbiluljuma, der eben jetzt
Karkemis nach heftigem Kampfe eingenommen und ausgeplün-
dert hatte, darauf ein und entsandte einen seiner Söhne ^).
1) Davies, Rock Tonibs II pl. 41 = LD. III 99 a. Sonst findet sich
S'akeres Name nur noch auf ein paar Skarabaeen aus Amarna und
auf einem Ring aus Gurob (Petrie, Kahun, Gurob und Hawara pl. 28).
2) Bedenken könnte erregen, daß in den jüngeren Teilen des
Palastes von Amarna ihr Name durch den ihrer ältesten Tochter, der
Thronerbin Merit-aten, ersetzt ist (Pekt und Woollpy, City of Akhe-
naten I p. 150 ff.). Aber zum Chetiterkönig spricht die Witwe ganz als
die legitime Königin und Mitregentin ihres Gemahls; ihre Stellung ist
also eben die, die Nefret-ite so lange eingenommen hat. Danach hat
diese den Echnaten überlebt, und die Zurückdrängung ihres Namens
im Palaste muß einen anderen Grund haben.
=*) Damit bricht der Bericht Bogh.-Texte in Umschrift 41 col. 4
Die Reaktion. Der Knabe Tut'anch-amon als König 401
Aber inzwischen war in Amarna der volle Umschwung
eingetreten. Der chetitische Prinz wird erschlagen, S'akere'
und die Königin verschwinden, an ihre Stelle tritt ein Knabe
Tut'anch-aten, der mit der dritten Tochter Echnatens (die
zweite war vorher gestorben) vermählt wird. Die halbfertige
Sonnenstadt wird verlassen und sinkt in Trümmer, die Resi-
denz wird nach Theben zurückverlegt, auf religiösem Gebiet
aber setzt eine gründliche Reaktion ein. Der Tempel des Aten
in Theben wird niedergerissen i), Name und Bild des Ketzer-
königs überall gründlich zerstört 2), der Kult der alten Götter
wieder aufgenommen; wir besitzen eine kleine Votivstele, auf
der Tut'anch-aten noch unter diesem Namen dem Amon und
der Mut huldigt^). Alsbald aber muß er seinen Namen „leben-
des Abbild des Aten" in Tut'anch-amon umwandeln, und
ebenso seine Gemahlin den ihren „sie lebt vom Aten" in
*Anches-en-amon,
Deutlich erkennt man, daß hinter dieser Bewegung Per-
sönlichkeiten gestanden haben, die die Unhaltbarkeit des bis-
herigen Treibens erkannten, das den Weiterbestand des Reichs
in Frage stellte und es zu einem Lehensstaat des Chetiterreichs
zu machen drohte, und die daher entschlossen waren, zur
alten Religion und Staatsform zurückzukehren. Es kann kein
Zweifel sein, daß der eigentliche jLeiter und der Organisator
ab, s. 0. S. 337,2; die Fortsetzung gibt das Gebet Mursils bei Forrer,
Forsch. II 18 f. Forrer glaubt auch in den Fragmenten S. 28 f. ein
Schreiben Subbiluljumas in dieser Angelegenheit zu erkennen.
') Die Behauptung, dieser Kult habe noch weiter bestanden und
Tut'anch-amon habe noch an diesem Tempel gebaut, ist unbegründet.
Der Block mit Skulpturen und Inschriften des letzteren, der dann in
den Pylon Haremhabs verbaut ist (Prisse d'AvENNES, Mon. eg. pl. XI 1),
enthält keinerlei Beziehung auf den Atenkult und muß von einem an-
deren Bau dieses Königs stammen.
^) Umso auffallender ist, daß sein Sarg, allerdings mit einer
falschen Leiche (0. S. 381, 1), zusammen mit Teilen der Grabausrüstung
seiner Gemahlin und seiner Mutter nach Theben gebracht und hier im
Tale der Königsgräber geborgen ist. wohl durch einen treuen Anhänger.
^) ÄZ. .38, 112.
Meyer, Geschichte des Alteituins II'. 26
40'^ VIII. Durchführung d. solar. Monotheismus; Restaurat. d. Orthodoxie
des Staatsstreichs der spätere König Haremtab gewesen ist.
Haremhab stammte aus einem vornehmen Geschlecht in der
mittelägyptischen Stadt Hat-nesut(Alabastronpolis im 17. Gau);
auf den Schutz ihres Gottes Horus führt er seine Laufbahn
zurück. Er muß schon unter Echnaten eine führende Stel-
lung in der Armee eingenommen haben; wahrscheinlich ist
er identisch mit dem „General der Truppen des Königs und
Vorsteher der Arbeiten in Acht-aten (Amarna)" Pa-aten-
emtab, der sich in Amarna ein Grab angelegt hat, das über
die ersten Anfänge nicht hinausgekommen ist, also dem Ende
der Regierung Echnatens angehört \); er hat dann^^also, der
herrschenden Sitte sich fügend, seinen Namen „Horus am
Feste" in „der Aten am Feste" umgewandelt. Selbst nach
der Krone zu greifen war für ihn noch zu früh; so wahrte
man den Schein der Legitimität, indem man ein willenloses
Kind auf den Thron setzte und mit der Erbtochter vermählte 2),
während alle Macht in den Händen Haremhabs lag.
Über die Stellung, die Haremhab unter diesem König
einnahm, erhalten wir Kunde wie später durch die Inschrift
über seine Thronbesteigung so vorher durch die Inschriften
und Skulpturen des Grabes, das er sich damals in Sakkara
>) Davies, Rock Tombs Hl 15 und pl. 13. Die mit Tinte vor-
gezeichnete Inschrift ist jetzt verschwunden; die von Daressy gegebene
Lesung „Vorsteher der Soldaten (General)" erkennt Davies als richtig
an. Der Namenswechsel würde in dieselbe Zeit gehören, wo der Horus-
falke auch im Namen des Aten zuerst durch die phonetische Schreibung
ersetzt und dann ganz gestrichen wird (0. S. 395).
2) Das Alter Tut'anch-amons ergibt sich aus seiner noch ganz
jugendlichen Mumie. Daraus, daß er in der Inschrift des von ihm
wiederhergestellten Löwen Amenophis' HL in Soleb diesen , seinen
Vater" nennt (Lepsius, Auswahl 13; Loret, Rec. XI 212), folgt natürlich
nicht, daß dieser sein Vater gewesen war; das ist durch sein Alter völlig
ausgeschlossen. Weshalb man gerade ihn zum König gemacht hat, wissen
wir nicht; dem Königshause gehört er nur durch seine Gemahlin an. —
Zwei jugendliche Statuen des Königs in Kairo: Legrain, Cat. gen.,
Statues I p. 53 f., nachher wie immer von llaremhab usurpiert. Auch die
ganz jugendliche „painted limestone figure of Akhenaten" in Amarna
(J. Eg. Archaeol. X 1924, pl. 24) wird in Wirklichkeit ihn darstellen.
yaremhab als Reichsregent 403
angelegt hat^); das zeigt zugleich, daß er, der Lage des
Reichs entsprechend, die Regierung von Memphis, nicht von
Theben aus geführt hat. Seine Titulatur bezeichnet ihn ganz
unverhüllt als den allmächtigen Gebieter des Reichs; er ist
der Größte der Großen, der Kommandant der Kommandanten,
das Oberhaupt der vertrauten Räte, vom König an die Spitze
der beiden Lande gestellt, um sie zu regieren, vor allem aber
der Generalissimus der Truppen des Königs. „Ich habe die
Gesetze des Königs festgestellt," sagt er auf seiner Statue;
„das Herz des Königs war zufrieden mit seiner Verwal-
tung", heißt es in der Thronbesteigungsinschrift, „er war
entzückt über seine Wahl; daher machte er ihn zum Ober-
haupt des Landes, damit er die Gesetze der beiden Lande
als Fürst (rpti) dieses gesamten Landes durchführe, er allein
ohne einen zweiten. Das Volk (bewunderte) die Aussprüche
seines Mundes. Wurde er vor den Herrscher gerufen, so
begann der Palast zu zittern; aber wenn er seinen Mund
öffnete, dem König zu antworten, so erfreute er ihn durch seine
Aussprüche," die sich an das von Thout und Ptah gewie-
sene Herkommen hielten. „So verwaltete er die beiden Lande
viele Jahre hindurch; die Verwaltungsbehörden (zcimt) neig-
ten sich vor ihm am Portal des Palastes, die Fürsten der
Fremdvölker des Südens und Nordens erhoben preisend die
Hände wie zu einem Gott. Alles geschah nach seinem Be-
fehl, man wünschte ihm Heil und Gedeihen" — ein sonst
nur dem König zustehender Segenswunsch — „und grüßte
') Die Hauptteile des Grabes (grundlegend Breasted, ÄZ.-38, 1900,
47) sind in Leiden und jetzt zusammen mit dem Fragment in Wien von
BoESER, Beschreibung der äg. Sammlung von Leiden IV Taf. 21—25 vor-
trefflich veröffentlicht. Ein weiteres zu dieser Szene gehörendes Bruch-
stück ist jetzt vom Berliner Museum erworben und von H. Schäfer in den
Berichten aus den preußischen Kunstsammlungen 1928, März, publiziert.
Andere Stücke sind in London (ÄZ. 15, 148 ff"), Kairo (Mariette, Mon.'div.
74 f.) u. a. Übersicht bei Breasted, Anc. Rec. III 1 ff'. Nachträglich ist
seinem Bilde überall der Uraeus an der Stirn hinzugefügt, in dem Wiener
Fragment auch sein Königsname in den Text eingesetzt. Hinzu kommt
die schöne Statue in New York (Winlock, J. Eg. Archaeol. X 1924, 1 ff.).
404 ^'^UI- Durchführung d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
ihn als Vater der beiden Lande." Daß der in diesen Texten
niemals genannte König, unter dem er diese Stellung ein-
nahm, Tut'anch-amon gewesen ist, wird dadurch bestätigt,
daß eine Sitzstatue aus seinem Grabe einen an ihn gerich-
teten Erlaß Tut'anch-amons in der Hand hält^).
Die wichtigste Aufgabe, deren Lösung die Usurpation
begründete und rechtfertigte, war der Krieg gegen die Chetiter.
Natürlich hat Subbiluljuma nach dem Untergang seines Sohnes
einen Rachekrieg unternommen. Nach dem Bericht seines
Nachfolgers Mursil Hl hat er Fußvolk und Kriegswagen der
Ägypter besiegt und zahlreiche Gefangene fortgeschleppt '0.
Die ägyptischen Nachrichten dagegen reden von einem Siege
über die Asiaten und von reicher Beute. Der Widerspruch
löst sich dadurch, daß nach dem chetitischen Bericht bei den
Gefangenen eine Seuche ausbrach, die auch die Sieger er-
griff und das Reich zwanzig Jahre lang heimgesucht hat^).
Dadurch wurde es Subbiluljuma unmöglich, seinen Sieg weiter
zu verfolgen ; er mußte den Krieg abbrechen. Aber auch die
Ägypter haben einen Angriff auf das Chetiterreich nicht gewagt,
unter den Gefangenen Harembabs finden sich keine Chetiter.
So besteht fortan tatsächhch ein Friedenszustand zwischen
beiden Reichen^). Dadurch ist es den Ägyptern möglich ge-
worden, wenigstens in Palaestina erfolgreich einzugreifen. Der
Sieg, in dem Haremhab die Asiaten schlug und zu dem er
den König mitgenommen hat^), ist offenbar hier gegen die
rebellischen Dynasten und die Chabiru erfochten worden.
') Der Torso dieser Statue in Kairo (Legrain, Cat. gen., Statues I
81 f.), auf der er dieselben Titel führt wie überall, darunter „großer
General", ist seltsamerweise in den Diskussionen über diese Vorgänge
immer übersehn worden.
*) FoRRER, Forsch. II 14.
ä) FoRRER, Forsch. II 11. 12. 14.
*) Ob man aus der Erwähnung des vertragsmäßigen Zustande«
zwischen Ägypten und Subbiluljuma im Vertrage Ramses' II. ZI. 14 folgern
darf, daß jetzt ein neuer Friedensvertrag geschlossen ist, bleibt fraglich.
^) Er nennt sich „Begleiter seines Herrn auf dem Kriegsschau-
platz an jenem Tage der Niedermetzlung der Asiaten". Vgl. auch seine
Titel „Gefolgsmann des Königs bei seinen Zügen nach den Fremd-
yaremhab gegen die Chetiter und in Palaestina 405
Prachtvolle Reliefs aus seinem Grabe zeigen in scharf cha-
rakterisierten Porträts die Scharen der mitgebrachten Gefan-
genen, darunter außer Semiten nicht wenige Gestalten mit
ganz andersartigen, durchaus europäisch anmutenden Zügen,
eben die arischen Marjanni (o. S. 34 und Taf. I), die ja gerade in
Palaestina stark vertreten waren ; wenn Namen dabei ständen,
würden wir darunter gewiß manche aus den Amarnabriefen
bekannte Dynasten wiederfinden.
Diese Reliefs, und ebenso die nur teilweise erhaltenen
Gestalten des Königs und der Königin, denen Haremhab die
Gefangenen vorführt, sind ganz in dem Stil von Amarna ge-
arbeitet; aber mit Unrecht hat man daraus gefolgert, daß
diese Szene und der ihr vorangehende Krieg unter Echnaten
gespielt habe. Nichts weist auf diesen oder den Atenkult hin,
vielmehr erscheint Haremhab hier durchaus als Verehrer des
Amon, Re\ Horus und der übrigen Götter, und spricht die üb-
lichen Totengebete an Osiris. Er wird die Künstler des Grabes
aus Amarna mitgebracht haben, als dieses verlassen wurde.
Die Vorgeschichte des Feldzugs ist in dem der geschilderten
Szene rechts gegenüberstehenden Relief dargestellt. Hier fleht
eine Schar bärtiger Asiaten den Haremhab fulifällig an, zum
Teil, wie in den Amarnabriefen. „auf Bauch und Rücken ge-
worfen" ; unter ihnen befinden sich auch zwei Libyer und ein
Neger. Dahinter stehn andere Asiaten in syrischer Tracht
mit ihren Pferden, alle unbärtig, aber mit einer langen über
die Schläfe herunterhängenden Haarflechte und einem Zopf,
in denen wir auch wieder Marjanni werden erkennen dürfen.
Die Reste der zugehörigen Inschrift^) schildern ihre Lage:
ländern des Südens und Nordens" und „Königlicher Legat an der Spitze
seiner Armee gegen die Länder des Südens und Nordens". Auch das
Edikt Tufanch-amons nimmt auf diese Erfolge Bezug.
') Die Inschrift in dem Wiener Fragment bei Wiedemann, Proc.
See. BibL Arch. 11, 425 und Bergmann, ÄZ, 27, 125; Breasted. Anc.
Rec. m 19 f. Die Verbindung des Wiener Fragments mit dem Leidener
durch Breasted ÄZ. .38.47 zeigt, daß die auf diesem erhaltene Szene
mit der Inschrift zusammengehört. Das richtige Verständnis dieser
bisher falsch gedeuteten Inschrift hat jetzt H. Schäfer a. a.O. ersehlos-
406 ^11- Durchführung d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
ihre Ortschaften sind niedergebrannt, ihre Felder verwüstet,
andere an ihre Stelle getreten, ihre Länder hungern, sie leben
wie Ziegen in den Bergen, und so flehen sie den Pharao an,
sein mächtiges Schwert zu senden. Ein Dolmetscher trägt
dem im Schmuck der Goldketten vor ihnen stehenden Harem-
hab ihr Gesuch vor und überbringt ihnen dessen Bescheid,
daß der Pharao die Maßregeln zum Schutz ihrer Gebiete an-
geordnet hat.
Diese Schilderung deckt sich vollständig mit den stän-
digen Notschreien der Amarnabriefe. Mit ihnen hat Harem-
hab in diesem Bilde, wie die Libyer und der Neger unter
den Gesuchern zeigen, sogleich die gleichartigen Zustände auf
afrikanischem Boden verbunden. Auch hier hat er die er-
schütterte Autorität des Reichs wiederhergestellt. In dem Frag-
ment einer Beischrift, die ofienbar zu der verlorenen Dar-
stellung der nubischen Beute gehört, war von seinem Feld-
zug nilaufwärts, gegen Ku.s, als königlicher Legat die Rede,
Dann heißt es: „er fuhr nordwärts. Da erschien der König
auf dem Tribunal für die Vorführung der Tribute, und der
Tribut des Nordens und Südens wurde gebracht, während
der Für.st Haremhab dabei stand" ^). Daß der König auch hier
Tut anch-amon ist, wird dadurch bewiesen, daß dieselbe Szene
in dem Grabe des Hui, des „Königssohns von Kus von Eilei-
thyia bis Napata oder Kari" (o.S.81, 1), dargestellt ist, natür-
lich mit Weglassung des Haremhab ; hier führt Hui dem
unter dem Baldachin sitzenden Tut'anch-auion die Tribute
aus Syrien (Rezenu) und Nubien (Kus) vor'-).
sen. In der letzten erhaltenen Zeile dieser Inschrift (rechts) ist jetzt
der Thronname I.Iaremhabs eingesetzt („sie preisen den guten Gott
Zosercheprure'"); ursprünglich hat hier gewiß der Name Tut'anch-
amons Nebcheprure' gestanden. — Über der oberen Reihe der Gefange-
nen war eine dichtgedrängte Masse von Pferden dargestellt, oflFenbar
aus der Beute; von ihnen sind nur noch die Hufe erhalten.
') Fragment in Alexandria bei Wiedemann, Proc. Soc. Bibl. Arch. 11^
424; Breasted, Anc. Reo. III 13.
2) LD. III 117 f. Mit der Kurzform Hui wechselt die vollere Na-
mensform Amenhotep (Sethe, ÄZ. 44, 89).
Wiederherstellung des Kultus ' 407
Die Restauration der Ortliodoxie und des Staats
Neben den äußeren Kriegen ging die Restauration im
Innern einher. In einer großen Inschrift im Tempel von
Karnak ^) berichtet Tut*anch-amon ausführlich über die Wieder-
herstellung des Kultus. Voran geht eine Schilderung des
traurigen Zustandes, in dem sich das Land bei seiner Krö-
nung befand, der Verödung der Tempel, der Erfolglosigkeit
der Truppen in Phoenikien (S. 379). „Die Götter hatten die-
sem Lande den Rücken gewandt; wenn man einen Gott an-
flehte, um ein Orakel von ihm zu erhalten, kam er nicht;
wenn man eine Göttin anrief, kam sie ebensowenig." Jetzt
aber hat ein König den Thron bestiegen, den Amon selbst
gezeugt, Kamutf („der Stier seiner Mutter") gebildet, die
Seelen von Heliopolis insgesamt gestaltet haben, einen immer-
währenden König, einen Horus. der ewig dauert, einen guten
Herrscher, der für das Gedeihen aller Götter, seiner Väter,
wirkt. Er herrscht über die Lande des Horus, Ägypten und
das Ausland, jedes Land beugt sich vor ihm. „Er hat wieder-
hergestellt, was verfallen war von den Denkmälern der Vorzeit,
er hat die Lüge niedergeschlagen und die Wahrheit befestigt*
— die Schlagworte Echnatens erhalten jetzt die umgekehrte
Bedeutung. In einer Thronsitzung im Palaste Thutmosis' I.')
wurden die entscheidenden Beschlüsse gefaßt. Vor allem er-
hielten die beiden großen Reichsgötter Amon von Theben
und Ptah von Memphis große, die früheren noch überragende,
mit Edelsteinen geschmückte Statuen von Gold. Aber auch
alle anderen Götter wurden bedacht, ihre Tempel und Ein-
') Legrain. Rec. 29, 1907, 162 ff. Die Jahreszahl ist leider zerstört.—
Bruchstück einer Inschrift zum Preise Tut'anch-amons aus dem unter
ihm von Hui in Faras unterhalb des zweiten Katarakts errichteten
Tempel Shotep-neteru „Befriedung der Götter": Grtffith, Annais of
Archseol. Vm 83 ff. Neben seinen sonstigen Titeln führt^IJui hier mehr-
fach auch den eines „Vorstehers der Goldlande des Königs".
') Einen solchen kennen wir, wie Legraix bemerkt, in Memphis-
So hat der König wohl hier, nicht in Theben residiert ; Haremhab wird
ihn dort unter ständiger Aufsicht gehalten haben.
408 ^ III. Durchführung d. solar. Monotheismus. Restaurat. d. Orthodoxie
künfte wiederhergestellt, Barken für die Götterprozessionen
auf dem Nil gebaut. Für ihren Dienst wurden wieder Priester
und Propheten bestellt „aus den Kindern der Magnaten
ihrer Städte (der Städte der Lokalgötter), Söhne von Leuten
mit bekannten Namen" — im Gegensatz zu den Emporkömm-
lingen, die Echnaten befördert hatte. Die Schatzkammern
wurden aufgefüllt, zahlreiche Sklaven und Sklavinnen, vor
allem aus der Kriegsbeute, den Tempeln überwiesen und
durch Reinigungszeremonien geweiht, ebenso die für den
Kultus unentbehrlichen Chöre der Musikantinnen und Tän-
zerinnen.
Sehr anschaulich tritt uns diese Wiederaufnahme des
alten Kultus im Tempel von Luxor entgegen. Wie überall,
werden auch hier die ausgemeißelten Namen und Bilder
Amons wieder eingesetzt; der unter Amenophis IIL noch
nicht zum Abschluß gelangte Bau wird wieder aufgenommen,
die Wände des großen Säulengangs am Eingang im Namen
Tut'anch-amons mit einer Darstellung der Götterprozcssion
am Neujahrstage geschmückt. Was in diesen offiziellen Denk-
mälern unter dem Namen Tut'anch-amons erscheint, ist jedoch
in Wirklichkeit das Werk Haremhabs. Daher hat dieser, als
er König geworden war, überall, und so auch in Luxor und
in dem großen Erlaß, seinen Namen an Stelle des seines
Schützlings gesetzt \). Das ist keine Verfolgung eines Usur-
pators, sondern er hat damit nur auch offiziell an sich ge-
nommen, was tatsächlich von ihm geschaffen war.
Tut'anch-amon hat die Jahre, in denen er mannbar wurde,
nicht lange überlebt'''). Zu seinem Nachfolger wurde wieder
ein Mann aus der Umgebung Echnatens erhoben, der unter
ihm sich ein Grab in Amarna angelegt hatte und hier als
eifriger Verehrer des Aten erscheint, Eje (Ai), der Gemahl
') Geändert hat er durchweg nur Vornamen und Eigennamen,
nicht die übrigen Namen der Königstitulatur. In dem Erlaß, den er
in der Statue in seinem Grabe in der Hand hält (S. 404, 1), hat er da-
gegen Tut'anch-amons Namen natürlich belassen.
2) Das höchste von ihm erhaltene Datum ist sein 6. Jahr.
Tut'anch-amons Tod. Eje 409
der Teje, der „Amme" der Königin Nofret-ite'). Er hat seinem
Vorgänger das Grab im Tal der thebanischen Königsgräber
ausgerichtet, und dadurch, daß dieses Grab allein von allen
unversehrt mit der vollen, geradezu unermeßlichen Ausstat-
tung an Kunstwerken und Kostbarkeiten aller Art, darunter
auch dem Sarge von massivem Gold, erhalten geblieben ist^),
ist dieser König, einer der unbedeutendsten von allen, gegen-
wärtig vielleicht der populärste unter allen Pharaonen ge-
worden — eine Ironie des Zufalls, die besonders anschaulich
ins Bewußtsein führt, wie stark unsere Geschichtserkenntnis
vom Spiel des Zufalls abhängig ist.
Was den Anlaß zu Ejes Erhebung gegeben hat, ob
Haremhab einer Gegenströmung nachgeben mußte, ob er
seine Zeit noch nicht gekommen glaubte und das Streben
mitwirkte, wenigstens äußerlich noch einen gewissen Zusam-
menhang mit der alten Linie aufrecht zu erhalten, läßt sich
nicht erkennen^). Nicht unmöglich ist, daß in Theben eine
Paktion zur Macht gelangte, die er dulden mußte, während
er selbst in Memphis die Regierung führte.
') Daraus scheint sich der Titel „Gottesvater" (d. h. "Vater des
Königs) zu erklären, den er auch als König ständig als Bestandteil
seines Eigennamens führt. Das Grab in Amarna bei Davies, Rock
Tombs VI 14ff. ; vollendet ist auch dieses nicht. Sein Hauptamt ist
Vorstand des Königlichen Marstalls.
*) Erhalten ist es dadurch, daß der Eingang durch das darüber
angelegte Grab Ramses' VI. völlig verschüttet wurde. So ist das be-
harrliche Suchen Lord Carnarvon's und H. Carter's nach neuen Königs-
gräbern im Nov. 192"2 durch seine Aufdeckung belohnt worden. P's war
einmal, wohl kurz nach der Beisetzung, von Grabräubern heimgesucht
worden, die einiges geraubt und durcheinander geworfen haben; sonst
ist es intakt geblieben.
^) Auf dem Grabstein des Nachtmin aus dem 4. J. des Eje (LD.
III 114 i, in Berlin) sind oben unter dem Bilde der vier Wölfe des
Upuaut einige Reste der Sonnenstrahlen des Aten erkennbar (Steindorff,
ÄZ. 29, 1251. Es ist aber nicht etwa eine ältere, zur Inschrift ge-
hörige Darstellung später durch eine neue ersetzt worden, sondern
man hat einen Steinblock aus der Zeit Echnatens abgearbeitet und für
die Inschrift benutzt (H. Schäfer).
410 VIII. Durchführung d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
Eje hat seine Regierung benutzt, um sich ein großes
Grab abseits vom Haupttal der Königsgräber neben dem
Amenophis' III. anzulegen. Er hat nur wenige Jahre re-
giert^). Ob er gewaltsam beseitigt worden ist, wissen wir
nicht. Haremhab übergeht natürlich in der Darstellung seiner
Thronbesteigung diese Vorgänge vollständig und begnügt
sich mit der Wendung, daß nach vielen Jahren seiner Re-
gentschaft sein Schutzgott Horus von Hat-nesut den Wunsch
empfand, ihn auf seinen ewigen Thron zu setzen, mit ihm
nach Theben zog und ihn vor Amon-re* führe. Dieser —
der zu dem Zweck aus seinem Tempel in Karnak in den von
Luxor zog, wo die Krönungszeremonien vollzogen wurden —
gab freudig seine Zustimmung, die Uraeusschlange wurde an
seiner Stirn befestigt 2), alle Schutzgötter des Reichs begrüßten
den Erwählten Amons mit Jubel und setzten seine Königsnamen
fest. Aber er hat Ejes Namen überall ausgetilgt, wo er sich
vorfand, auch in seinem Grabe, ihn also als illegitimen Usur-
pator betrachtet^); das zeigt deutlich, daß der Thronwechsel
gewaltsam und gewiß nicht ohne Blutvergießen erfolgt ist.
Haremhab hat zugegriffen, als er den Moment gekommen
glaubte, den letzten Schritt zu tun, damit aber zugleich den
bisher noch zum Schein aufrecht erhaltenen Zusammenhang
mit dem alten Herrscherhause zerrissen und eine neue Dy-
nastie, die neunzehnte, begründet.
') Das höchste erhaltene Datum ist sein 4. -Jahr.
-) Diese Stelle der Inschrift Haremhabs hat Sethk, ÄZ. 42, 184
und 44, 35 aufgeklärt und gezeigt, daß hier nicht etwa, wie man bis
dahin annahm, von seiner Vermählung mit einer Prinzessin die Rede
ist. Haremhabs Gemahlin heißt Mutnozemt und hat mit der Schwä-
gerin Amenophis' IV. Mutbenret, mit der man sie bis auf Sethe iden-
tifizierte, nichts zu tun. Über ihre Herkuuft wissen wir nichtsVeiter;
aber dem alten Königshause hat sie nicht angehört.
') Sein Verhalten gegen Tut'anch-amon ist wesentlich anders.
Er hat dessen Namen auf den Monumenten nur mit einer leichten
Korrektur, die den alten überall erkennen läßt, durch den seinen er-
setzt. Ejes Namen dagegen ist durch tiefe Hiebe überall vollständig
ausgetilgt.
Haremhab als König. Sein Edikt 411
Haremhab hat als König das Werk der Restauration
vollendet. „Vom Delta bis nach Nubien" werden die Tempel
und die Götterbilder wiederhergestellt und ihr Besitz wieder
auf den alten Stand gebracht^). In Karnak hat er für zwei
neue Pylonen im Süden des Tempels die Steinblöcke des zer-
störten Atentempels verwendet. In Bruchstücken erhalten ist
uns ein großes Edikt, das die Strafbestimmungen gegen die
Erpressungen und Bedrückungen durch die Beamten und
Steuererheber, gegen die Räubereien der Truppen, gegen
parteiische und ungerechte Richter umfassend neu regelt; in
schweren Fällen wird die Todesstrafe, in anderen Abschnei-
dung der Nase und Einsperrung in die Grenzfeste Sile am
Isthmus^), für Soldaten, die den Bauern die dem Fiskus zu-
fallenden Tierhäute rauben, hundert Stockschläge mit fünf
offenen Wunden verhängt. Deutlich sieht man, wie arg in-
folge der religiösen Wirren Verwilderung und Zuchtlosigkeit
um sich gegriffen hat. Bezeichnend für die Tendenz der
Regierung ist, daß er sich in einem Falle auf das Vorgehn
Thutmosis' III. beruft. Haremhab rühmt sich, daß er das
Niltal in seiner ganzen Ausdehnung bereist, die Zustände in
allen Einzelheiten genau kennen gelernt, tüchtige, gut vor-
gebildete Beamte ausgesucht und in die Richterkollegien der
beiden Hauptstädte eingesetzt habe. Der eigentliche Sitz der
Regierung ist unter ihm, wie schon in seiner Regentschaft,
Memphis geblieben''); so sehr auch von ihm und seinen Nach-
folgern Theben weiter mit prächtigen Bauten geschmückt und
der Primat seines Gottes Amon betont wird — auch die Grab-
stätte der Könige ist es noch lange geblieben, auch Haremhab
hat sich hier als König ein neues Grab angelegt — , so ist doch
') Dazu gehört auch die Wiederherstellung des Grabes Thut-
mosis' IV". in seinem 8. Jahr durch eine Kommission, die sich durch
Graffiti in dem Grabe verewigt hat (Breasted, Änc. Rec. III 32).
*) Später ist an ihre Stelle bekanntlich Rhinokorura (el 'aris) in
der Sinaiwüste g treten (Strabo XVI 2, 81. Diod. I 60).
^) Der Bericht über seine Thronbesteigung schließt damit, daß er
nach'der Krönung „stromabwärts fuhr als Abbild des I^ar-achte" und
sich der Durchführung der Organisation de? Landes widmete.
412 ^Ul- Durchführung d. solar. Monotheismus, Kestaurat. d. Orthodoxie
«iie eigentliche Glanzzeit Thebens mit dem Auftreten Ech-
natens zu Ende, das Schwergewicht der von der Natur des
Landes gegebenen Bedingungen setzt sich wieder durch.
Haremhab hat mindestens ein Vierteljahrhundert als
König regiert^). Über die auswärtigen Beziehungen haben
wir nur sehr dürftige Kunde, vor allem, weil die Wand zwi-
schen seinen Pylonen, deren Reliefs diese Vorgänge darstellten,
bis auf geringe Reste zersört ist^). Einen Kri^gszug hat er
nach Kuä unternommen — seine triumphierende Heimkehr
ist an der Wand einer Felskapelle in Silsilis dargestellt — ;
aus Punt hat ihm eine Gesandtschaft reiche Gaben, vor allem
Säcke Gold, gebracht; andere Bruchstücke beziehen sich auf
einen Kriegszug nach Syrien, aus dem er Gefangene und
Beutestücke aller Art, vor allem Prunkgefäße, dem Amon dar-
brachte^). Außerdem nennen die Reste einer Völkerliste Ort-
schaften aus Nordsyrien, darunter auch die Chetiter; ob daraus
aber ein neuer, sonst weder in den ägyptischen noch in den
chetitischen Denkmälern erwähnter Krieg mit diesen erschlossen
werden darf, läßt sich mit Sicherheit nicht entscheiden^).
') Siehe u. S. 41 3. Das höchste in Urkunden erhaltene Datum ist sein
8. Jahr. Das früher auf ihn bezogene J. 21 auf einem Ostrakon in London
gehört in die Regierung Ramses' III., s. Erman, Ber. Berl. Ak. 1910. 843 f.
^) Das erhaltene bei Breasted, Anc. Rec. HI 35—89. Fremdvölker-
phot. 862—364. 331 —333. Ferner die Ortsliste aus Syrien bei W. M. Müller,
Eg. Res. I p. 41 und pl. 56 (wodurch seine früheren Angaben Asien
und Europa 292. Rec. 17, 41 f. Mitt. A'orderas. Ges. 1897, 276 f. be-
richtigt sind!.
^) Die Gefangenen der oberen der beiden erhaltenen Reihen werden
seltsamerweise als ^elende Magnaten der yaunebu" bezeichnet, ob-
wohl sie nach Gesichtsbildung und Tracht deutlich Syrer sind. Auf Be-
ziehungen der syrischen Gegner zu den Seevölkern weist vielleicht hin,
daß unter den Gefäßen mehrere mit Steinbockköpfen u. ä. verziert sind.
*) Die Entscheidung hängt dr.von ab, ob, wenn Chattusil in der
ägyptischen Fassung seines Vertiages mit Ramses II. die früheren Ver-
träge unter Subbiluljuma und unter „meinem Vater Muwattal" erwähnt,
hier , Vater" für , Bruder" verschrieben ist, oc'er aber „mein Vater
Mursil" einzusetzen ist. In letzterem Falle würde es sich um einen
Vertrag zwischen Mursil und Haremhab handeln und dieser einen vor-
hergehenden Krieg voraussetzen.
tjaremhab. Chronologie 413
Die Nachwirkungen der Krise auf das Geistesieben Ägyptens
Mit der Thronbesteigung Hareiuhabs und der Gründung
einer neuen, von den Göttern anerkannten Dynastie ist die
Zeit der über Ägypten hereingebrochenen Wirren abge-
schlossen. Die Spuren der Ketzerei sind vertilgt ; Aineno-
phis IV. Echnaten ist „der Feind (Frevler) von Amarna" '),
dessen verfluchter Name überhaupt nicht mehr genannt wer-
den darf. Auch seine Nachfolger werden in den Listen des
Königskults übergangen, Haremhab unmittelbar an Ameno-
phis III. angeschlossen und die ganze Zwischenzeit ihm zu-
gerechnet. So erklärt es sich, daß in einer Prozeßurkunde
aus der Zeit Ramses' II. Haremhabs 59. Jahr vorkommt -).
Danach werden wir die Zeit vom Tode Amenophis' III. bis
zu dem Haremhabs auf rund sechzig Jahre (ca. 1370—1810)
ansetzen dürfen, von denen gut die Hälfte auf Amenophis IV.
und seine drei Nachfolger, der Rest auf Haremhab fällt ^).
') In den Prozeßakten des Mes (Loret ÄZ. 39, 1 ff. mit dem Kom-
mentar von MoRET S. 11 ff.) wird ein Vorgang unter ihm durch „zur
Zeit des chru n Achtaten" datiert (S. 10 ZI. S. 14). Dieselbe Wendung
hat offenbar in dem kleinen Fragment auf S. .5 gestanden, wo Acht-aten
(Amarna) erhalten ist.
^) Inschrift des Mes ZI. 8, vgl. o. S. 341,2.
*) Ich stelle die Namen und Daten der Denkmäler und die Liste
Manethos zusammen, die am besten bei Josephus c. Ap. I 98 f. erhalten
ist (vgl. meine Äg. Chron. 88 ff.):
Denkmäler Manetho
(min. = höchste erhaltene .lahrzahl) Dyn. 18:
Amenophis III 36 .J. 9. Horos 3ij .1. ."i Mt.
Amenophis IV. Echnaten min. 18 „ 10. O-OYarl^p Akenchere.? ll) r3 „ 1 „
S'akere* (wenige Wochen). 11. Rathoti.s äosXcpöi; . . 9 ,
Tut'anch-amon min. ... f» , 12. Akencheres (II) . . 12 „ 5 „
Eje min 4, 13. Akencheres stjpo- iIII) 12 , 3 ,
yaremhab min '^ ;, 14. Harmais . . . . 4 „ 1 ,
Die Zahl der Könige stimmt; aber wie Manethos Namen zu er-
klären sind, ist völlig dunkel. Steckt in Akencheres irgend eine Be-
zeichnung der Frevler nach Analogie des chru n AchUaten? Seine
Jahrzahlen sind ganz unbrauchbar.
414 ^'^11- Durchführung d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
„Wehe dem, der dich antastet!" heißt es in einem Hymnus
auf Amon^); „deine Stadt besteht, aber der dich antastete,
ist gefällt. Pfui über den, der gegen dich frevelt in irgend
einem Lande . . . Die Sonne dessen, der dich nicht kannte,
ist untergegangen, aber wer dich kennt, der leuchtet. Das
Heiligtum dessen, der dich antastete, liegt im Dunkel,
aber die ganze Erde im Lichte." Die ganze Episode konnte
als eine vorübergehende Störung der geheiligten Ordnung
erscheinen, nach deren Beseitigung man einfach wieder in
die altgewohnten Geleise zurückkehrte. Indessen die wirk-
liche Gestaltung zeigt ein ganz anderes Bild : auch hier hat
sich erwiesen, daß eine Restauration niemals imstande ist,
das Geschehene ungeschehn zu machen und die Fäden da
wieder aufzunehmen, wo sie abgerissen sind. Durch den Ver-
such, die tieferen Gedanken, welche in der ägyptischen Re-
ligion lebten, gewaltsam zu verwirklichen, ist ein Bruch in
die Entwicklung gekommen ; mit seinem Scheitern ist ein
weiterer Fortschritt unmöghch geworden. Statt dessen gilt es,
die altüberlieferten Formen und Anschauungen wiederher-
zustellen und peinlich zu befolgen, und so legt sich über
das geistige Leben des Volks, stetig anwachsend, die starre
Wucht der Traditon, die alle freie Bewegung erstickt und die
gesamte Zukunft beherrscht.
Eine in vieler Beziehung lehrreiche Parallele bietet
der Bildersturm [im byzantinischen Reich. Auch dort hat
der Widerspruch zwischen dem Monotheismus der offiziellen
Kirchenlehre und der Praxis des Kultus zu dem Versuch ge-
führt, die abgöttischen Bilder zu zerstören und die Haupt-
träger ihres Dienstes, die Mönche, gewaltsam zu beseitigen;
und auch dort haben sich nicht wenige Würdenträger der
Hierarchie gefunden, die sich dem Vorgehn der Kaiser an-
schlössen^). Gescheitert ist auch dort das Unternehmen daran,
') Erman, Aeg. Rel. S. 72. ÄZ. 42, 106 f.
2) Ihrem inneren Werte und religiösen jGehalt nach stehn im
übrigen die beiden Vorgänge einander nicht gleich: der solare Mono-
theiBmus Ethnatens -wurzelt religiös weit tiefer als der Bildersturm, der
Charakter und Wirkungen c]er Restauration 415
daß man die Kraft der religiösen Empfindungen unterschätzte,
die hinter dem volkstümlichen Kultus standen. Das Ergebnis
aber ist gewesen, daß der griechischen Kirche fortan ein
weiterer Fortschritt verbaut war, wie er im Abendland zunächst
zum vollen Ausbau des römisch-katholischen Systems und dann
weiter zur Reformation geführt hat; sie ist dauernd an die bis
dahin erreichte Gestaltung des orthodoxen Systems gefesselt
geblieben, das bei der Restauration wiederhergestellt wurde.
Ohne bedeutende Nachwirkung ist natürlich die Auf-
rüttelung der Geister durch den mit fanatischer Leidenschaft
durchgeführten Religionskampf nicht geblieben. Die lebhaft be-
wegten Reliefs aus dem Grabe Haremhabs mit den scharf er-
faßten Porträts der Gefangenen gehören noch ganz in die Kunst
von Amarna. Als dann der klassische Stil wieder zur Herr-
schaft gelangte, verrät sich doch in zahlreichen Einzelzügen die
Befruchtung durch die revolutionäre Kunst des Naturalismus;
nur dadurch ist es möglich geworden, daß er in der Rames-
sidenzeit noch eine zweite Blüteperiode durchlebt hat.
Auf religiösem Gebiet haben die Ideen von der All-
macht des Sonnengotts, aus denen die Lehre Echnatens er-
wachsen ist, in den großen Sonnenhymnen der Gräber der
Folgezeit, so auch in dem Haremhabs in Sakkara, und ebenso
z. B. im 15. Kapitel des Totenbuchs, einen sehr lebendigen,
auf halbem Wege stehn bleibt und ein neues religiöses Ideal nicht zu
schaffen vermochte, sondern sich lediglich an die Äußerlichkeiten hält.
Eben darum hat er^sich länger behaupten können als die rasch zu-
sammenbrechende radikale^ Reform Echnatens. — Eine gleichartige
Bewegung hat sich gegenwärtig auf demselben Boden abgespielt in
der Verjagung aller Derwische aus der Türkei; ob sich dieser radi-
kale Bruch mit dem die weitesten Volksschichten des Islams beherr-
schenden Mystizismus auf die Dauer behaupten wird, kann nur die
Zukunft lehren. — Eine weitere Parallele bietet der allerdings unter
wesentlich anderen kulturellen und politischen Verhältnissen unter-
nommene Versuch des Reformjudentums unter Antiochos Epiphanes,
Religion und Volk zu hellenisieren; sein Scheitern führt zum vollen
Siege der Orthodoxie in ihrer pharisäisch-talmudischen Gestalt und
damit zur vollen Erstarrung in den von Ewigkeit her feststehenden,
in den Einzelheiten immer minutiöser ausgesponnenen Formeln.
416 ^'IH^- Durchführung d. sohir. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
tiefempfundenen Ausdruck gefunden, aber jetzt natürlich wie-
der im Anschluß an die alten Sonnengötter Rö'-Har'achte,
Atum-re*, den weltschöpfenden Urkäfer Cheperi, und ver-
bunden mit den übrigen Mächten des großen Götterkreises
wie Thout, Hathor, Ma'at der Göttin der Wahrheit und des
Rechts, die der Welt und dem Toten den belebenden Nord-
wind sendet, und weiter mit Osiris und den herkömmlichen
Formen des Totendienstes. Auch in den Hymnen auf Amon
wird seine Identität mit der sichtbaren Sonne stark betont;
in einem Gebet unter Haremhab an ihn, den Götterkönig,
heißt es geradezu: „er kennt den, der ihn kennt, belohnt
den, der ihm dient, schirmt den, der ihm folgt; er ist Re',
sein Körper der Sonnendiskus (aten), er besteht in Ewig-
keit" ^). Aber er ist mehr als die Sonne; er ist die beherr-
schende Erscheinungsform des Urgotts, aus dem alle anderen
hervorgegangen sind, und doch eine von ihnen allen ge-
schiedene Persönlichkeit, zugleich geheimnisvoll, auch in sei-
nem „verborgenen" Namen ^), und sichtbar im Götterbilde
mit allen ihm zukommenden menschlichen und tierischen
Attributen, in seiner Inkarnation in dem heiligen Widder,
und verhüllt in dem Fetisch, der in dem Kasten des Naos,
den profanen Blicken entzogen, in der Götterbarke auf den
Schultern der Priester vor die andächtige Menge hinausge-
tragen wird und Orakel erteilt. Für die thebanischen Dyna-
sten bleibt er der Reichsgott, wenn er diese Stellung auch
tatsächlich mit dem Ptah von Memphis und mit Atum-re' von
Heliopolis teilen muß, und erhält als solcher Filialen in den
Tempeln Nubiens und der Oasen. Trotzdem ist er, außer
an diesen Kultusstätten, niemals wirkhch populär geworden;
für die Massen des Volks bleibt Re' selbst der Götterkönig
') Aus dem Grabe des Neferhotep (Dümichex. Hist. Inschr. II40e.
Brigsch, Rec. de mon. I 37. Benedite in den Mem. de la mission V 489 ff.)
^) ^mn rn-f, eine schon in weit früherer Zeit geschaffene theo-
logische Konception, die jetzt zur Deutung des Namens Amon benutzt
■wird. — Beigesellt wird ihm jetzt eine Göttin Amonit; beiden zu-
sammen hat z. B. Haremhab (ursprünglich Tut'anch-amon) in Karnak
Kolossalstatuen errichtet (Legraix, Rec. 23, 64).
Spätere Gestaltung der Religion 417
und Weltenherr, an den alle tieferen religiösen Empfindungen
ansetzen.
Für die Gebildeten ist der von Eclinaten so schwer
empfundene Gegensatz zwischen dem in der Praxis herr-
schenden Polytheismus und dem theoretischen Monotheismus
durch die orthodoxe Theologie überwunden. Sehr anschau-
lich gelangt das innere Wesen der ägyptischen Religion in
einem Gebet Ramses' IV. zum Ausdruck, in dem er den
Osiris von Abydos um Verdoppelung seiner Lebensdauer
bittet: „denn Du," so ruft er ihn an, „bist der große Herr
von Heliopolis (Atum-re*), der große Herr von Theben (Amon),
der große Herr von Memphis (Ptah)". Alle Götter des Kultus
sind für den W^issenden nur Erscheinungsformen des Einen,
ganz wie im Christentum die drei Götter der Trinität doch
nur Ein Gott sind. Eben in diesem logischen Widersinn
offenbart sich die untrügliche Wahrheit der in den heiligen
Büchern des Thout niedergelegten Offenbarung, die man als
Mysterium hinzunehmen und auszudeuten hat, so gut man es
vermag. Nur um so eifriger werden daher alle Formen der
Einzelkulte festgehalten, der Schwerpunkt der Religion wird
in die peinliche Befolgung der seit Ewigkeit unverbrüchlich
festgestellten Zeremonien des Kultus verlegt und diese werden
immer weiter ins Absurde ausgesponnen. Um ihre Auslegung
haben die folgenden Generationen bis in die griechische und
römische Zeit hinein sich eifrig bemüht; aber einen neuen
Gedanken sucht man in der ungeheuren religiösen Literatur,
die uns aus diesen Epochen erhalten ist, vergebens; immer
aufs neue werden in entsetzlicher Monotonie lediglich die alten
Formeln und Mythen und Deutungen Avieder vorgetragen.
Nur auf einem Gebiet w ar noch ein Fortschreiten mög-
lich, auf dem der Magie und des Aberglaubens. Zu allen
Zeiten war es für das ägyptische wie für jedes auf gleicher
Stufe stehende Volk unzweifelhaft, daß Wissen und Speku-
lation magische Kräfte verleiht und der „Weise" in erster
Linie ein Zauberer ist, der Wunder tun kann; jetzt greift
das Zauberwesen immer weiter um sich. Zahlreiche Zauber-
Meyer, Geschichte des Altertums. II' 27
418 VIII. Durchführang cl. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
papyri zur Abwehr oder zur Dienstbarmachung der Gespen-
ster und Ungeheuer, der Krokodile und Schlangen, zur Siche-
rung gegen feindliche Umtriebe und umgekehrt zur Schädi-
gung der Gegner sind auf uns gekommen; von den Zeiten
der neunzehnten Dynastie bis auf den Sieg des Christentums
und noch darüber hinaus steht kein Zweig der ägyptischen
Literatur so in Blüte wie dieser. Stark beeinflußt ist er von
dem Zauberritual des Totendienstes und den dabei verwen-
deten Amuletten. Dazu kommt das Suchen nach dem ge-
heimnisvollen Namen des Urgottes, durch den man alle Götter
und Gespenster zwingen kann; und diesen gestaltet man am
wirkungsvollsten durch eine absolut sinnlose Zusammenstel-
lung beliebiger Buchstaben. Von dieser großen Entdeckung
— die vielleicht durch das Bekanntwerden der fremden Spra-
chen Asiens und Afrikas sowie der Kafti beeinflußt ist, die
auch sonst zu Zauberzwecken verwendet oder geradebrecht
Averden — wird in diesen Texten der ausgiebigste Gebrauch
gemacht bis tief in die christliche Zeit hinein, da konnte
jeder Nachfolger die Vorgänger noch überbieten.
In der Heilkunde hat es an Zaubersprüchen und an den
naiven Heilmitteln der „Dreckapotheke" niemals ganz gefehlt;
aber jetzt dringt auch hier die magische Formel immer weiter
vor, die medizinischen Schriften seit der neunzehnten Dynastie
sind voll davon und stehn dadurch tief unter den viel sachhcher
verfahrenden Werken der älteren Zeit. Eifrig gepflegt wird,
ebenso wie in Babylonien, die Kunde der Vorzeichen. „Die
Ägypter", sagt Herodot, „haben mehr Vorzeichen heraus-
gefunden als alle anderen Menschen. Denn Avenn ein Vor-
zeichen eintritt, schreiben sie auf, Avas daraus folgt, und
Avenn später etwas Ahnliches vorkommt, glauben .sie, daß
die Folge die gleiche sein wird." „Auch das haben sie her-
ausgefunden, Avelchem Gott jeder Monat und jeder Tag ge-
hört und Avie sich je nach dem Geburtstag die Schicksale
eines Jeden gestalten, Avie er sterben und welcher Art er sein
Avird." Solche TagAvählerei Avar begreiflicherweise seit alters
im Schwünge; ein Papyrus der zAvölften Dynastie aus Kahun
Fortentwicklung des Zauber wesens. Beginnende Erstarrung 419
verzeichnet zu jedem der dreißig Monatstage, ob er „gut"
oder „böse" sei\). Jetzt wird auch diese Wissenschaft weiter
ausgesponnen: ein Buch, das uns in der Abschrift eines Schil-
lers aus der Ramessidenzeit großenteils erhalten ist, gibt zu
jedem Tage der zwölf Monate des Jahres genau an, was man
an ihm tun oder lassen soll, ob man ausgehn darf oder zu
Hause bleiben und nicht arbeiten soll u. s. w., und motiviert
das ausführlich durch die mythologischen Ereignisse, die sich
an ihm abgespielt haben ^).
So wird das geistige Leben Ägyptens immer mehr in
Fesseln geschlagen. Wohl fehlt es auch in der Folgezeit
nicht an Äußerungen echter Frömmigkeit, vor allem in den
Grabschriften, und ebensowenig an Lehrschriften, die die
Normen einer anständigen Lebensführung und die von Gott
gegebenen Gebote der Moral — denn in der Ethik tritt in
der Literatur aller Völker die Persönlichkeit des Einzelgottes
völlig in den Hintergrund gegenüber dem allgemeinen Be-
griff der Gottheit, des LTrhebers der sittlichen Weltordnung —
eingehend und wirkungsvoll darlegen. Aber neue Ideen zu
schaffen, fortzuschreiten über das Erreichte hinaus, ist das
Ägyptertum nicht mehr imstande. Dreimal im Verlauf seiner
langen Geschichte — und darauf beruht die einzigartige Stel-
lung, die es in der Geschichte der Kulturvölker einnimmt —
ist es befähigt gewesen, nach Epochen der inneren Zer-
setzung sich neu zu erheben und unter Wahrung des alt-
ererbten Gutes eine neue höhere Gestaltung seiner Kultur
voll innerer Lebenskraft zu schaffen. Ein viertes Mal ist es
ihm nicht mehr beschieden gewesen. Wohl folgt auf die
Krisis von Amarna nochmals ein neuer Aufschwung unter
den Ramessiden, der zeigt, wie gewaltige Kräfte in Staat
') Völlig analog sind die „Tage" Hesiods, die ebenso die Glück
oder Unheil bringende Bedeutung der 80 Monatstage aufzählen, die
für alle Monate gleichmäßig gelten. Herodot sieht darin, wie durch-
weg, eine Entlehnung aus Ägypten (xal loutotot Tüiv 'EKXr^vwv ol sv
itoiT,as'. YJvofJLfevoi r/p-fjoavco II 82).
-) Pap. Sallier IV. Kürzer ein Papyrus aus der 22. Dyn.
420 ^ III- Diirohlührung d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
und \'olk noch lebendig" waren. Aber innerlich zehrt diese Zeit
doch nur vom Geschaifenen, das bis in seine letzten Kon-
sequenzen durchgebildet wird. So vollzieht sich in der Epoche
der neunzehnten und zwanzigsten Dynastie das Ausleben der
großen Kulturschöpfung der achtzehnten Dynastie, bis sie,
nicht nur äußerlich erschöpft, sondern innerlich morsch ge-
worden, in sich zusammensinkt.
Die religiöse Krisis unter Echnaten und das Scheitern
seines Keformversuchs bildet den Wendepunkt der geistigen
Entwicklung Ägyptens. Die Nachwirkungen des Bruchs konn-
ten nicht mehr überwunden werden; auch die Restauration
unter der sechsundzwanzigsten Dynastie hat wirklich Lebens-
kräftiges nicht mehr zu erzeugen vermocht, ihr Ideal liegt nicht
in der Zukunft, sondern in der Rückkehr zu der Urzeit der
Pyramidenerbauer. Die alten Formen, innerlich ausgehöhlt,
blieben unverändert bestehn'); wie sie uns in stereotyper
Monotonie in den Tempeln der Ptolemaeer und der römi-
pchen Kaiser entgegentreten, hätten sie sich noch ungezählte
Jahrhunderte hindurch weiter fortsetzen können, wenn nicht
schließlich eine von außen hineinbrechende Bewegung dem
ganzen inhaltlos gewordenen Treiben ein Ende gemacht hätte.
Die Darstellung der Bewegung in der Überlieferung bei
E^anetho
Zu einer wirklichen Geschichtsschreibung sind die Ägyp-
ter so wenig gelangt wie die Babylonier. Dem praktischen
Bedürfnis genügten die Königslisten und die unter jeder Re-
gierung offiziell geführten Jahrbücher, aus denen uns in ein-
zelnen Köiiigsinschriften, wie denen Thutmosis' III., und sonst
einige wenige Reste erhalten sind. Daneben stehn populäre
Erzählungen sagenhaften Charakters, wie die vom Hyksos-
'! In dieser Beziehung läßt sich Ägypten mit der Gestaltung ver-
gleichen, welche die chinesische Kultur seit der Ausbildung i!es kon-
fuzianischen Systems und des Mandarinentums und der Rezeption des
Buddhismus unter der Handynastie seit den ersten nachchristlichen Jahr-
linnderten angenommen hat.
Die Darstellung Manethos 421
könig Apopi oder von der Einnahme von Joppe durcH einen
Offizier Thutmosis' III. Die Art, wie diese Volksüberlieferuu^-
später die Geschichte der religiösen Krisis dargestellt hat, ist
für die Denkweise der Ägypter in den Zeiten des vollen Nieder-
gangs so charakteristisch, daß wir sie nicht übergehn dürfen.
Erhalten ist sie in einem von Josephus bewahrten Fragment
Manethos, der sie, wie er angibt, nicht aus den Chroniken,
sondern aus populärer Tradition aufgenommen hat'). Er vor-
setzt die Vorgänge unter einen König Amenophis, der kein
anderer ist als Merneptah, der Sohn Ramses' IL, nach dem
Ägypten einer Invasion aus Syrien erlag; wiederhergestellt
wird die Unabhängigkeit des Reichs durch Ramses III. (rich-
tiger bereits durch dessen hier übergangenen Vater Setnacht),
der hier zum Sohn des Amenophis gemacht wird. Aber dieser
Merneptah wird zugleich mit Amenophis IV. Echnaten gleich-
gesetzt — daher die Namensform Amenophis — und die In-
vasion auf eine religiöse Revolution in Ägypten selbst zurück-
geführt; von der Volkstradition sind mitliin zwei Vorgänge
zusammengeworfen, die in Wirklichkeit durch rund zwei Jahr-
hunderte voneinander getrennt sind-). Die Erzählung lautet:
„König Amenophis hatte den Wunsch, die Götter zu
schauen wie vor ihm König Hor^), und wandte sich deshalb
') oüx ex Tcöv itr/p' Al-^oKzloi^ fp'/.ii.ii.äxMV^ o.kk' cÜ; ctoxö? üj)xoXö-,yjx£v
£•/. Ttüv aSsonotüj^ [jiu9-oXo-|'oufj.Evu)v Jos. c. Ap. I 105, ebenso 229. 287.
Josephus hat die Erzählung nicht aus Manethos Werk selbst entnommen,
sondern aus der umfangreichen Literatur über den Ursprung der Juden,
die sich seit dem 3. Jahrhundert entwickelt hatte und die er durch-
weg ausschreibt.
'') Auf dem ^"ersuch, die Episode von Amenophis und Osaisijjh
in die Königsliste einzufügen [Josephus I 230 sagt ausdrücklich, da'l
dieser Amenophis nicht in der Liste stand und Manetho daher bei ihm
keine Regierungszahl angegeben habe: 'Aaeviutpiv ßa3iX£a Ttpos^sii; ^izMc,
rjvona xai 8tä zobzo ypövov aötoü ty,? ßaaüeia? optaai [xr, xoXfAYJcai;], be-
ruht die ungeheure Konfusion, die bei Josephus wie in den Auszügen
bei Alricanus und Eusebius in der Liste der 19. Dynastie herrscht,
vgl. die Analyse in meiner Äg. Chronol. 7 6 ff. 88 Ö'.
^) Das ist Amenophis IIL, der bei Manetho Horos heißt; diesem
frommen König, ('er ja in seinen Denkmälern durchweg in intimstem
422 ^ III. Durchführung rl. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
an den weisen Amenophis, den Sohn des Paapis. Dieser er-
klärte, sein Wunsch könne erfüllt vrerden, wenn er das ganze
Land von den Aussätzigen und den sonstigen durch körper-
liche Gebrechen Befleckten reinige. Der König läßt sie alle,
80000 Mann, darunter auch einige angesehene Priester, zu-
sammenbringen und zur Zwangsarbeit in die Steinbrüche öst-
lich vom Nil bringen. Der weise Amenophis aber fürchtet
den Zorn der Götter und sieht kraft seiner Sehergabe voraus,
daß die Befleckten auswärtige Hilfe finden und dreizehn Jahre
lang über Ägypten herrschen werden. Dies dem König zu
sagen, wagt er nicht; er schreibt es auf und gibt sich den
Tod. Da wurde der König mutlos. Als aber längere Zeit
vergangen war, gestattete er ihnen, um ihre Lage zu mildern,
sich in der jetzt öde daliegenden ehemaligen Hyksosstadt
Auaris, der Stadt des Typhon (Seth) niederzulassen. Hier wäh-
len sie einen Priester Osarsiph aus Heliopolis zum Oberhaupt
und schwören, ihm in allem zu gehorchen. Er befiehlt, weder
die Götter zu verehren, noch sich der in Ägypten als heilig
geltenden Tiere zu enthalten, sondern sie zu schlachten, und
mit niemandem außer den Mitverschworenen zu verkehren,
wandelt auch alle herkömmlichen Sitten. Auaris läßt er be-
festigen und zum Kriege rüsten; als Bundesgenossen ruft er
die von Amosis\) verjagten Hirten herbei, die sich in Jeru-
salem festgesetzt hatten. Die kommen mit einem Heere von
200000 Mann. König Amenophis weiß durch die Prophezeiung,
was ihm bevorsteht; so läßt er die heiligen Tiere zusammen-
bringen, die Götterbilder sorgfältig verbergen; seinen fünf-
jährigen Sohn Ramses^) bringt er bei einem Freunde in Sicher-
heit. Er selbst tritt mit 300000 Kriegern den Asiaten bei
Verkehr mit den Göttern steht, -wird also vom Volksglauben die Er-
füllung dieses Wunsches zugeschrieben, ähnlich wie bei Herodot II 122
König Rampsinit lebend in die Unterwelt geht und dort mit Demeter
(Isis) Würfel spielt.
^) Im Text des Josephus ist dieser Name auch hier durch Tuth-
niosis ersetzt, s. o. S. -52, 2.
^j In der vollständigen Bezeichnung c. Ap. I 24ö tov i>'.b\i Ss&co
töv v.al Ta^Ea3Y]'iTto 'PaW^oöi; zo'j natf/öc [d. i. Ramses IL wie § 231]
Manethos Erzählungen. Amenophis und Osarsiph 423
Pelusion entgegen^), wagt aber keinen Kampf, da er nicht
gegen die Götter kämpfen will, sondern zieht unter Mitnahme
des Apis und der übrigen heiligen Tiere nach Äthiopien, wo
der König ihn und sein ganzes riesiges Heer aufnimmt und
verpflegt — daß Äthiopien (d. i. Nubien, Ku^) damals eine
Provinz des Pharaonenreichs war, ist vergessen, und um die
von der Natur gegebenen Bedingungen kümmert sich diese
Erzählung so wenig wie z. B. die vom Aufenthalt der Israe-
liten in der Sinaiwüste. Die Hirten aus Jerusalem aber be-
mächtigten sich mit den Befleckten zusammen des ganzen
Landes, steckten Städte und Dörfer in Brand, plünderten die
Tempel, verstümmelten die Götterbilder; ja, sie verwandelten
die Sanktuare in Küchen, zwangen die Priester und Propheten,
die heiligen Tiere zu schlachten, und warfen sie besitzlos
hinaus. So hausten sie, bis die dreizehn Jahre um waren.
Da kehrte Amenophis mit einem großen Heer aus Äthiopien
zurück, sein Sohn Ranises stieß mit anderen Truppen zu ihm;
sie besiegten die Hirten und die Befleckten und verjagten sie
unter großem Gemetzel nach Syrien."
Die Invasion der Asiaten und die abschließenden Ereig-
nisse gehören in die Zeit vor Ramses HL; das Treiben der
Befleckten dagegen, die Verfolgung der Götter und Schlach-
tung der heiligen Tiere, schildert deuthch das Wüten Ech-
natens und seiner Anhänger gegen die ägyptische Religion.
Dazu gehört auch der Priester von Heliopolis Osarsiph als
Führer der Bewegung^). Benutzt ist die Erzählung zugleich,
um den Juden einen gehässigen und verächtlichen Ursprung
u)vo[iaofievov liegt die S. 421,2 erwähnte Kontusion vor. Nachher §2öl
heißt er Taft-^-rjc.
') Vgl. § 274.
^) Der Name kann echt ägyptisch sein, entlehnt von einem gleich-
namigen, im Totenbuch und sonst mehrfach erwähnten Gott (nach
Manelho ist er otitö toö Iv ^Hh.ooKÖXv. ^■soö 'Oaipscu; benannt). Recht
ansprechend ist aber die Vermutung, deren Urheber ich nicht mehr
ermitteln kann, Osarsiph sei ursprünglich eine Ägyptisierung des Na-
mens Joseph, wobei dann das hebraeische Jo- als Name .Jahwes auf-
gefaßt und ägyptisch durch Osiris lOsar-) ersetzt wäre.
421 ^"III. Durchführung d. solar. Monotheismus, Restaurat. d. Orthodoxie
anzuhängen; Osarsipli soll seinen Namen in Moses gewand(^lt
haben \). Damit verbunden ist dann das seit alters entwickelte
Schema der ägyptischen Prophetie, die eine durch den Zorn
der Götter herbeigeführte Katastrophe verkündet, in der die
ausländischen Feinde sich der Herrschaft bemächtigen, das
Land ausplündern, die Tempel zerstören, die soziale Ordnung
umstürzen, bis dann ein gottgeliebter König ersteht, die Feinde
verjagt, und in langer, gesegneter Regierung die alten Ord-
nungen wiederherstellt^). Zu dem Schema gehört auch die
Flucht des Königs nach Äthiopien, die ebenso in der Nek-
tanebossage wiederkehrt. Der Verkünder der Prophezeiung
in der Osarsiphsage. Amenoph^s, der Sohn des Paapis, ist
eine wohlbekannte Persönlichkeit, Leiter der Bauten unter
Amenophis IIL^). Vor allem durch seinen Totenkult hat sich
') Gekannt hat diese Herleitung der .Juden schon Hekataeos von
Abdera. nach dem die Juden Fremde sind, die zur Zeit einer Seuche
aus Ägypten ausgetrieben werden (Diod. 40, 3). Hier ist sie aber nicht
gehässig gestaltet; die gleichzeitige Auswanderung des Danaos und Kad-
mos wird ebenso erklärt. Daneben steht die wohl ältere Ableitung der
Juden von den vertriebenen Hyksos (mit denen sie ja'auch die mane-
thonische Erzählung von Osarsiph wieder zusammenbringt), die dann
Josephus wieder eifrig verteidigt.
2) Siehe Bd. I 297. Der dort (vgl. § 280 A.) angeführte Petersburger
Papyrus ist jetzt veröflentlicht und von Erman Ag. Lit. 151 ff. und
Ranke (bei Gressmann, Altorient. Texte zum A. T. 2. Aufl. 1926, 46 ff.)
neu übersetzt. Die Prophezeiung, welche den Untergang des Alten
Reichs und das Emporkommen der 12. Dynastie (Amenemhet I.) schil-
dert, wird von Neferrehu dem König Snofru vorgetragen. Die Mah-
nungen des Apu-uer sind neu übersetzt von Erman S. 130 ff., Ranke
S. 51 ff., die FrojAezeiungen des Lammes unter Bokchoris von Ranke
S. 48 f.
3) Über ihn s. Sethe in ;den Aegyptiaca (1896) S. 106 &., der
die älteren Annahmen widerlegt hat, er habe die Memnonkolosse er-
richtet und den ursprünglichen Tempel von Der el Medine erbaut:
ferner Breastep, Anc. Rec. II 911 ff. Wir besitzen von ihm mehrere
Statuen, darunter eine vortrefflich gearbeitete, die ihn als Achtzig-
jährigen mit sehr charakteristischem, nichts weniger als schönem
Greisenkopf darstellt (Masiero, Ann. du serv. II 281 ff.). Daß das ihm
in den Mund gelegte Dekret (auf Kalkstein), das seinen Totenkult gegen
Amenophis, Sohn des Paapis, und die prophetische Literatur 425
sein Gedächtnis erhalten, und so gilt er der Spätzeit als ein
Weiser, „dessen Name ewig bestelm bleibt und dessen Sprüche
nicht vergehn werden" \), und ist in der ptolemäischen Zeit
geradezu zum Gott gevN^orden. So erklärt sich, daß er in der
manethonischen Erzählung zum Träger der Prophezeiung ge-
gemacht wird, die das von Amenophis IV. über Ägypten ge-
brachte Unheil verkündet — wozu im übrigen seine wirkliche
Lebenszeit sehr gut paßt. Aus derselben Zeit, dem 3. Jahr-
hundert V. Chr., besitzen wir ein Ostrakon, das seine Mahii-
sprüche in griechischer Sprache enthält; in Wirklichkeit freilich
sind diese Sätze aus griechischen Spruchsammlungen entnom-
men^). Eine weitere Parallele bietet ein griechischer Papyrus,
der die Übersetzung einer „Verteidigungsrede des Töpfers vor
König Amenophis — also demselben König, wie bei Manetho —
über die Ägypten bevorstehenden Schicksale" enthält: der
Töpfer verkündet die Heimsuchung und Verödung des Landes
durch die ty phonischen, aus Syrien kommenden „Gürtelträger''
und dann den Untergang der Stadt am Meere — d. i. Alexan-
drias — und das WiederautTalühen des Landes unter dem
vom Sonnengott abstammenden, von Isis beschützten König,
dem eine gesegnete Regierung von 55 Jahren verheißen wird^).
Diese Prophezeiung stammt also aus der Zeit, wo die Ägypter
Kingrifie schützen soll, ein Machwerk aus der Zeit der 21. Dyn. ist,
hat G. Möller, Ber. Berl. Ak. 1910, 932 ff., gezeigt.
') Auch die Auffindung eines zauberkräftigen Totentextes wird
ihm zugeschrieben, s. Sethe a. a. 0. 112 f.
') WiLCKEN in den Aegyptiaca S. 142 ü'. Die Überschrift 'Ajxevwtoj
yTtoi^ic-xt gibt den Namen Amenhotep in korrekter Form, nicht ent-
stellt zu 'Ansv(ii<pi(;, wieder, vgl. o. .S. 75, 1.
') ci.Ko).o^irx xEf«a}iEü)<; fji£d'YjPjj.eveü[XEVY) Tipoi; 'AfAEviLniv TÖv f,o.zikia. xaxcc
xö cüvaxöv itspl tcüv vfj klföizziu fisIXovxcuv. Der Text ist zuletzt von Wii.cken,
Hermes 40, -544 ff. behandelt [wodurch seine frühere Besprechung Aegyp-
tiaca 146 ff. hinfällig geworden ist] und jetzt wesentlich verbessert von
Reitzensteix, Studien zum antiken Synkretismus S. 38 ff. (Studien der
Bibl. Warburg VII 1926), dessen Annahme iranischen Einflusses auf die
ägyptische Prophetie ich aber nicht zustimmen kann. — In den Ciuvotpöpoo
sind die persischen und griechischen Fremdherrscher zusammenge-
schlossen.
426 VIII. Durchführung d. solar. Monotheismus^ Restaurat. d. Orthodoxie
.sich .seit Ptolemaeo.s V. gegen die griechische Herrschaft er-
hoben, und soll die Wiederaufrichtung des Pharaonenreichs
vorbereiten^). Auch darin berührt sich dieser Text mit der
Erzählung Manethos, daß der Töpfer vor Abschluß seiner
Verkündung tot zusammenbricht, ebenso wie das Lamm, das
dem König Bokchoris das kommende Unheil prophezeit^);
beide werden dann vom König feierlich bestattet.
') Völlig gleichartig sind die in der sog. demotischen Chronik er-
läuterten Prophezeiungen, vgl. dazu meine Kleinen Schriften II 69 ff.
= Ber. Berl. Ak. 1915, 287 ff.
^) Übersetzung des daraus erhaltenen demotischen Fragments bei
Ranke a. a. 0. 48 f. Diese Prophezeiung kannte auch Manetho (vgl. ÄZ. 46,
13.5 f.).
IX. Die neunzehnte Dynastie. Ägypten und
das Chetiterreich
Ramsesi. DerSäuiensaalvonKarnak. Organisation der Armee
Haremhab hat den äg-yptischen Staat auf der Grundlage
der restaurierten Orthodoxie wieder aufgebaut. Auch die
Wiedergewinnung der Weltstellung des Reichs hat er an-
gebahnt, Nubien aufs neue fest mit Ägypten verbunden und
in Asien nicht ohne Erfolg gegen die Beduinen und die Che-
titer Krieg geführt, aber dauerhafte Ordnung hier nicht zu
schaffen vermocht. Die Durchführung dieser Aufgabe mußte
er seinen Nachfolgern überlassen, die zugleich im Innern die
Ernte seiner unermüdlichen Arbeit einheimsen konnten.
Der erste von ihnen ist Ramses I. gewesen. In welchem
Verhältnis er zu seinem Vorgänger gestanden hat, wissen wir
nicht. Sein Sohn ist er nicht gewesen, aber ebensowenig etwa
ein Usurpator und Begründer einer neuen Dynastie'); viel-
mehr gilt Haremhab dauernd als legitimer Pharao, im Gegen-
satz zu seinen Vorgängern erscheint sein Name immer an
der Spitze der folgenden Herrscherreihe, wenn auch nicht
') In Karnak hat Legrain zwei Statuen eines VezirsPra'mose, Sohnes
des Sethos, aus der Zeit Haremhabs gefunden (Ann. da Serv. 14, 29 ff.)
und vermutet, daß dieser mit Ramses I. (der dann den Artikel in seinem
Namen weggelassen hätte) identisch sei. Das ist nicht unmöglich;
indessen findet sich ein Vezir Sethos, Sohn des Vezirs Pra'mose, auch
unter Ramses II. auf der , Stele des Jahres 400" in Tanis. Daß man
in der Regel die 19. Dynastie mit Ramses I. begonnen hat, hat in der
Überlieferung gar keine Begründung. Die Liste Manethos liegt sowohl
bei Josephus wie in der Epitome bei Africanus und Eusebius nur in
ärgster Konfusion vor, s. Äg. Chronol. 88 ff. Josei^hus gibt überhaupt
keinen Djnastieeinschnitt, die Epitome beginnt die 19. Dynastie mit
Sethos. Geschichtlich liegt der Einschnitt natürlich bei Ilaremhab.
428 IX. Die neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
als ihr leiblicher Ahne. Das Verhältnis ist völlig gleichartig
dem zwischen Thutmosis I. und den ersten Königen der acht-
zehnten Dynastie; auch dort liegt in der genealogischen Folge
der Dynastie ein Einschnitt, dessen wahres Wesen in den
offiziellen Denkmälern offenbar absichtlich verhüllt ist.
Ramses I. war bereits ein älterer Mann und hat nur
wenig über ein Jahr auf dem Thron des Horus gesessen^).
Aber geschichtlich kommt seiner Thronbesteigung dieselbe
Bedeutung zu, wie zwei Jahrhunderte vorher der Thutmosis' I.:
mit ihm beginnt, ganz wie bei letzterem, die Entfaltung der
Kraft des Keichs in gewaltigen Tempelbauten und die Heraus-
bildung des Kunststils der Ramessidenzeit. Unter seiner Re-
gierung ist der Bau des Säulensaals im Amontempel von
Karnak begonnen, der dann unter seinem Sohn und seinem
Enkel in jahrzehntelanger Arbeit zum Abschluß gelangt ist''=).
Dieser Bau in Form einer Basilika ist der gigantischste Säuleu-
wald, den die Erde trägt. Auf den Pylon Amenophis' III.
führt der durch zwei Reihen 21 Meter hoher Papyrussäulen ■)
gebildete Mittelgang, mit überhöhtem Dach, durch dessen
') Bei Joseplius regiert er 1 J. -i Mt. ibei Africanus zu 1 J. ver-
kürzt). Die Stele von Wadi Haifa (Breasted, Anc. Rec. III 74 ff.) ist
vom 20./6. seines 2. Jahres datiert, fügt aber am Schluß ganz unvermittelt
die Königsnamen Sethos' I. hinzu. Offenbar hat dieser damals schon
tatsächlich die Regierung geführt. Er hat die Inschrift auf einer
Stele vom 30./12. seines 1. Jahres wörtlich wiederholt (Breasted III
157 ff.), das mit dem 2. seines Vaters identisch sein wird.
^) Nach Mariette (danach Steindorff im Baedeker) findet sich
der Name Ramses' I außer auf dem im Westen vorgelagerten Pylon
(LD. III 124a— c) auch auf der sechsten (von Norden her gerechne;)
der ersten Reihe der hinter ihm stehenden Bündelsäulen (no. 81 bei
Lepsius). Der Bau ist also von hier aus begonnen worden. Die Kürze
der Regierung Ramses' I. hat H. Schafer (Kunst des Orients 99) zu der
Vermutung geführt, daß der Plan schon vor ihm, also unter Haremhab,
entworfen sei. Das ist sehr wohl möglich, wenn auch dtr Regierungs-
wechsel hier ebenso deutlich den Beginn einer neuen Epoche der ägypti-
schen Kunstgeschichte bezeichnet, wie vorher die Regierung Thutmosis' 1.
*) Sie überbieten die des Säulengangs von Luxor (16 m) noch
um .5 m.
Ramses I. und der Säulensaal von Karnak 429
Seitenfenster das gedämpfte Tageslicht einströmt; und dieser
ist zu beiden Seiten von Seitenschiffen umschlossen, mit je
sieben Reihen dichtgedrängter, 13 Meter hoher Bündelsäulen,
im ganzen 122; den Eingang bildet ein neuer mächtiger Py-
lon mit einer Vorhalle. Geplant war ohne Zweifel davor ein
großer Hof, wie er am Eingang eines Tempels sonst niemals
fehlt, mit einem abschließenden ersten Pylon; begonnen ist
freilich die Ausführung erst unter der zweiund/wanzigsten
Dynastie, und den Pylon haben erst die Ptolemaeer errichtet,
aber auch nicht vollenden können.
Mit diesem Wunderwerk beginnt die unabsehbare Reihe
der Riesenbauten, durch die die Dynastie der Ramessiden
alle ihre Vorgänger, selbst Amenophis III., überboten und
schließlich die Kräfte des Reichs erschöpft hat. Für das Reich
aber ist der Säulensaal ron Karnak die mächtigste Manifes-
tation des Triumphs der Orthodoxie über die Ketzerbrut, die
sie anzutasten gewagt hat^); indem der Gottessohn dem all-
mächtigen Götterkönig, der ihn erzeugt hat, diesen herrlichen
Bau errichtet und sich in allen Gemälden und Skulpturen
auf den Säulen und Wänden zu ihm und seinen Genossen be-
kennt, sichert er sich zugleich die Weltherrschaft, die der Gott
ihm verheißen hat.
Wie die Bautätigkeit wird jetzt auch die kriegerische
Politik der achtzehnten Dynastie im großen Stil wieder auf-
genommen. Auch hier wird die Organisation des Heerwesens,
die unter den Ramessiden besteht, bereits von Haremhab
stammen. Die Einteilung des ägyptischen Aufgebots in zwei
Phylen (s«), die des Südens und die des Nordens, von der
er in seinem Edikt redet, wird in alte Zeiten zurückgehn^);
') In die Fundamente sind denn auch die zerschlagenen Trümmer
von Bauten Amenophis' IV. verbaut (Ann. du Serv. XXV. 1925, 8);
ebenso solche des Kje (Lepsiüs, Denkra. Text III 1.5).
*) Die Vermutung, daß ihnen die beiden Klassen der Kalasirier
und Hermotybier bei Herodot II 164 ff. IX 32 entsprechen, ist höchst
unwahrscheinlich : ihre geographische Verteilung ist eine ganz andere,
ihre Namen sind jung, und die ganze Organisation der fiaytu-oi als
gesonderte Kriegerkaste geht nicht über Sosenq I. (Sesonchis) hinauf.
430 IX. Die neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetit erreich
neu dagegen scheint die Gliederung der Feldarmee in nach
den Hauptgüttern benannte Legionen, die wir unter Sethos
(wo drei erwähnt werden) und Ramses (vier) finden; jeder
Legion des Fußvolks ist eine Abteilung Streitwagen zuge-
ordnet. Hinzu kommen die ägyptische Leibwache des Pharao^)
und jedenfalls seit Ramses IL als ein zweites Gardekorps die
Serdana (s. u. S. 457), die unter ihm und seinen Nachfolgern
immer als eine Kerntruppe, die wesentlich zur Entscheidung
beiträgt, besonders hervorgehoben werden.
Diese Serdana sind nach den Schlachtdarstellungen die
einzigen Ausländer, die in der Feldarmee verwendet werden.
Wohl gibt es, ganz ab gesehn von der Pohzeitruppe der
Mazoi, zahlreiche fremde Söldner in Ägypten, wie zu allen
Zeiten aus Nubien, so jetzt auch aus den libyschen Stämmen;
und auch aus Palaestina und Syrien werden sie nicht gefehlt
haben. Aber die Stellung, die sie in der Haustruppe Ech-
natens einnahmen, ist ihnen genommen; die Armee, welche
die Macht Ägyptens begründet und in siegreichen Kämpfen
aufrecht erhält, ist auch jetzt noch, abgesehn von den Ser-
dana, eine nationale Armee. Dagegen werden die Fremd-
truppen ebenso wie in der Amarnazeit in weitem Umfang als
Besatzungstruppen verwendet. Daß das auch unter den Ra-
messiden der Fall war, zeigt ein Vorfall, der in einem Lite-
raturwerk dieser Zeit als ein aus dem Leben gegriffenes Bei-
spiel angeführt wird^): ein Schreiber, d. h. ein höherer Be-
amter, wird beauftragt, .,zur Bekämpfung der Rebellen, die
Na'aruna heißen" — das ist das kaua'anaeische Wort für die
Jungmannschaft (D'''n>^*, das dann Ramses H. im Chetiterkrieg
1) Diese aus beiden Klassen gebildete Garde {je 1000 Mann) kennt
auch Herod. II 168.
2) Pap. Anast. I 17, 3 ff. Erm.4N Lit. 284 f. Die richtige Lesung
Zaha verdanken wir der grundlegenden Bearbeitung Gardiner's, Eg.
Hierat. Tests, I p. 19* (früher las man Rohan = Hammamät; daß es sich
wirklich um Phoenikien handelt, bestätigt der Name na'aruna). Es
wird fingiert, daß der in dieser Schrift verhöhnte Schreiber die Auf-
gabe, die Truppe zu verproviantieren, nicht richtig lösen kann.
Organisation des Heeres. Söldnertruppen Sethos I. 431
für ein von ihm gebildetes Elitekorps verwendet — , eine
Truppe nach Phoenikien zu führen, die aus 1900 Mann (Ägyp-
tern) sowie 520 Serdana. 1600 Kahak und (100) Masauasa
— zwei libyschen Stämmen, von denen der erste schon unter
Amenophis I. (o. S. 81), der andere, aus dem fernen Westen,
hier zum erstenmal erscheint — und 880 Negern besteht,
im ganzen 5000 ohne die Offiziere. Nach diesem Schema
werden wir uns die Garnisonen, die in die phoenikischen und
palaestinensischen Festungen gelegt wurden, wohl durchweg
gebildet zu denken haben.
Sethos' I. Feidzug gegen die Beduinen Palaestinas und gegen
die Libyer
Sethos I. hat, als er nach der kurzen Regierung seines
Vaters Ramses I. den Thron bestieg, in den kräftigsten Mannes-
jahren stehend und von kriegerischem Geiste beseelt, sich so-
fort der Wiederaufrichtung der ägyptischen Weltherrschaft
zugewandt. Die dringendste Aufgabe war, der Überschwem-
mung Palaestinas durch die Beduinen, die Chabiri der Amarna-
briefe, die Sos der ägyptischen Inschriften, ein Ende zu ma-
chen; denn Haremhabs Erfolge waren vorübergehend ge-
blieben, die Zustände waren auch jetzt nicht anders als unter
Amenophis IV. „Die Stammeshäuptlinge der Beduinen (Sos)",
so wird Sethos gemeldet, „haben sich vereinigt und im Cho-
riterlande Fuß gefaßt: sie sind in vollem Aufruhr und Hader,
einer tötet den andern, sie kümmern sich nicht um die Ge-
bote des Hofes." Gleich im Frülijahr seines ersten Jahres
ist Sethos an der Spitze eines starken Heeres von der Grenz-
festung Sile am Isthmuskanal aufgebrochen. Die wichtigsten
Episoden seiner Feldzüge hat er in einem Bilderzyklus an
der nördlichen AußenAvand der Säulenhalle von Karnak ver-
ewigt, dessen Reliefs zum größeren Teil erhalten sind^); in
') Die Anordnung ist: Östlich der Tür. untere Reihe,
Krieg gegen die Sos : 1. Schlacht bei Pa-Kana'an. 2. — 4. Hin- und
Rückmarsch. .5. Vorführung der Gefangenen und der Beute vor
432 J'^- L»i^ neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiteireich
ihnen tritt uns iii derselben Weise, wie vorher schon auf einer
Truhe aus dem Grabe Tut'anchamons, das unter der Einwirkung
Kretas und Mykenes geschaffene ägyptische Schlachtgemälde
voll entwickelt entgegen. Eine wesentliche Ergänzung unserer
Kunde bietet jetzt die Inschrift einer von Sethos auf seinem
ersten Feldzug errichteten Stele in Betsean^); aber gerade da-
durch kommt erst recht zum Bewußtsein, wie lückenhaft und
unzulänglich unsere lediglich aus solchen Bildern geschöpfte
Kunde naturgemäß ist.
Amon. Mittlere Reihe, Kämpfe gegen die seßhafte Bevölkerung:
6. Libanon. 7. Jenu'am. 8. u. 9. Bindung und Fortführung der Ge-
fangenen. 10. Vorführung vor Amon. In 1. 4. 5. ist das Datum „Jahr 1"
genannt; die Stele von Betsean zeigt, daß auch die Kämpfe der mitt-
leren Reihe in dasselbe Jahr gehören und von Breasted richtig ein-
gereiht sind. Die obere Reihe ist völlig weggebrochen. — West-
lich der Tür: Die untere Reihe stellt den Krieg mit den Che-
titern. die mittlere den mit den Libyern dar; von der oberen ist
die P^roberung der Amnriterstadt Qades erhalten, die also in einen
anderen Feldzug gehört, und am Ende der Reihe Reste der Vorführung
der Beute und der Gefangenen in syrischer Tracht (Fremdvölkerphot.
225. 226. 327, über der Vorführung der Libyer). Zu ihnen gehört das
Stück mit Gefäßen, das Wreszi.nski als Beigabe zu Taf. -52 abge-
bildet bat und fälschlich als jetzt verloren und zur libyschen Beute
gehörend bezeichnet. — Den Abschluß bildet auf beiden Seiten ein
großes Relief mit der stereotypen Abschlachtang der Gefangenen vor
Amon und einer sehr konfusen Liste der besiegten Völker und Orte, in
die auch zahlreiche Namen aus älteren Listen promiscue aufgenommen
sind, mit denen Sethos nichts zu tun gehabt hat, so Naharain, Alasia.
Assur, Tunip, Menüs u. a., ferner die „neun Bogenvölker", afrikanische
Stämme, Punt u. s. w. (LD. HI 129, vgl. W. M. Müller Egypt. Res. I
43 f. u. pl. 57 f.). Ebenso auf einem Sphinx im Tempel des Sethos zu
Qurna LD. III 131. wo die Namen 13—24 eine geschlossene Liste geben, die
als zuverlässig gelten kann. Sechs von diesen sind auch in einer ver-
stümmelten Liste in Abydos erhalten (Daressy Rec. 21. 2, der Mariette's
Publikation Abydos Ipl. 28 f. berichtigt); vgl. u. S. 452, 2. Genaue Re-
produktion und PJrläuterung der Reliefs jetzt bei Wreszinski, Atlas zur
iig. Kulturgesch. II Taf. 34 ff.
') Publiziert und erläutert von Mop.et, Rev. de l'Eg. anc. I 1925,
18 ff. Übersetzung von Ranke bei Gressmann, Altorient. Texte ^95 (in
Kinzelheiten verbessert Z. Alttest. Wiss. 44, 1926, 72).
fcethos I. gegen die Beduinen 433
Auf dem Marsch durch die Sinai wüste hatte Sethos fort-
dauernd mit den Beduinenscharen zu kämpfen. Umso mehr
Anlaß hatte er, die Heerstraße nach Palaestina zu sichern
durch Anhige einer langen Reihe von Brunnen, die von
Kastellen und Wachttürmen beschützt wurden^). Zu einer
größeren Schlacht kam es dann auf dem Hochland Südpalae-
stinas, bei der auf einer steilen Anhöhe, mit einem Quell vor
der Mauer, gelegenen „Feste des Kana'an". Die Sos wurden
völlig geschlagen, ihre Widerstandskraft gebrochen; in Massen
wurden beduinische Gefangene nach Ägypten geschleppt. Die
einheimischen Dynasten aber, die bisher mit ihnen in Ver-
bindung gestanden hatten, begrüßten jetzt huldigend den
Pharao und brachten ihm ihre Gaben dar; „er hatte", so sagt
die Beischrift, „dem Prahlen der Magnaten der Choriter ein
Ende gemacht" -j.
Dann ist Sethos weiter nach Norden gezogen. Eine In-
schrift aus Betsean berichtet, daß der aufständische Fürst von
Hamat (östlich vom See Tiberias, s. o. S. 92, 2) Truppen aus-
gerüstet und im Bunde mit den Leuten von Pella (Phr., o. S. 92, 1)
') In den Reliefs sind die drei Einzelszenen no. 2 bis 4 —
2. der König fährt langsam nach rechts, also heimwärts, wendet sich
aber rückwärts den ihm huldigenden choritischenj Häuptlingen zu;
8. der König auf dem Streitwagen nach links im Ansturm auf die
Beduinen; 4. der König fährt mit den Gefangenen heimwärts nach
rechts und wird in Sile von den Ägyptern begrüßt'— dadurch äußer-
lich zu einer Einheit verbunden, daß diese Kastelle und Brunnen in
fortlaufender Reihe neben und unter den Gespannen des Königs dar-
gestellt sind: vgl. Gardiner, J. Eg. Arch. VI 1920, 99 ff. Ihre Namen,
von der , Festung der Horaswege", d. i. Sile (o. S. 143, 2) bis nach Raphia
und Gaza, kehren in der Streitschrift des pap. Anastasi I wieder
(Erman, Literatur 292), nur daß Sethos' Name durch Ramses II ersetzt
ist. Die Reliefs zeigen deutlich, daß es sich um gegrabene Brunnen
handelt. Beim Niedergang des Reichs werden sie alsbald wieder ver-
fallen sein; unter den Persern behalf man sich mit Wasserkrügen,
die in Masse aus Ägypten hingebracht wurden (Herod. III 6).;
^j Der Name der Festung, vor der diese Szene sich abspielte, ist
leider zertört. In den Reliefs ist die seßhafte Bevölkerung durch
Kleidung, Haar, Bart und Kopfbedeckung durchweg von den Sos streng
geschieden.
Meyer, öeschichte des .-Mtertums. II' 28
434 IX- Diß neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
BetSean besetzt und den Fürsten A'on Rechob eingeschlossen
hat. Da schickt Sethos je eine Legion gegen Hamat, gegen
BetSean, und gegen Jenu'am, und sie nehmen diese an einem
einzigen Tage. Der Kampf gegen das auf einem bewaldeten
Berge mit einem Quellbach gelegene Jenu'am ist in den Reliefs
dargestellt; Sethos dringt auf seinem Wagen gegen die Feinde
vor, packt den durch seinen nie irrenden Pfeil verwundeten
feindlichen Häuptling beim Hals und reißt ihn vom Wagen
herab, während sein Wagenführer sich ergibt. Man kann
zweifeln, ob dieser Szene etwas Tatsächliches zugrunde liegt
oder ob sie nur in üblicher Weise die siegreiche Allgewalt des
Königs verherrlicht, der ganz allein alle Siege erficht, wie er
dann auch die Feinde beim Schopf packt und bindet oder unter
dem Arm auf seinen Streitwagen ninwut. Jedenfalls ist Sethos
kurz nach der Einnahme von Jenu'am wieder in Ägypten ge-
wesen^), und bei seinem triumphierenden Einzug in die Grenz-
festung Sile führt er nur die gefangenen Sos vor sich her,
nicht die aus der seßhaften Bevölkerung^),
Die Besiegung der Beduinen ist von Sethos mit Recht
als entscheidender Erfolg stark betont worden. Durch sie ist
den anarchischen Zuständen, die seit zwei Menschenaltern in
Palaestina herrschten, ein Ende gemacht und wieder Ord-
nung geschaffen worden. Was von Beduinen im Lande blieb,
mußte sich fügen und Ruhe halten, so der Stamm Israel, der
sich in dem Waldgebirge westlich vom Jordan (Ephraim)
festgesetzt hatte ^). In Betsean, das den Übergang über den
Jordan beherrscht, ist unter Sethos das erwähnte Sieges-
denkmal aufgestellt und ein neuer Tempel gebaut worden,
') Die Inschrift von Betsean ist vom lO./H- des Js. 1 datiert
(nach dem damaligen Stande des Kalenders jedenfalls im Mai) ; am
30./12. desselben Jahres erläßt er in Memphis die Anordnungen für
den Tempel in Bohan, die die Stiftung seines Vaters wiederholen
(o. S. 428, 1).
') Auch bei der Vorführung der Gefangenen vor Amon sind die
beiden Gruppen in Szene 5 und 10 völlig voneinander getrennt.
3) Wir finden die Israeliten hier unter Merneptah; mithin müssen
sie sich vor Sethos, also in der Amarnazeit, hier angesiedelt haben.
Sethos in Palaestina und im Libanon 435
im Ostjordanlande unweit von 'Astarot und Edre'i haben sich
die Reste einer ägyptischen Stele gefunden, auf der er den
Amon und die Mut verehrt^); gleichartige Denkmäler hat es
gewiß noch viele gegeben. Wo Widerstand versucht wurde,
wurde er leicht bewältigt. In einer Liste der von Sethos
eroberten Ortschaften werden neben Pella, Betsean, Jenu'am
weiter Kumidi, Bet'anat und Qart'anab genannt^). In dem
Rehefzyklus von Karnak ist eine Burg Gader („Festung")
dargestellt, deren Torbalken bei der Erstürmung zusammen-
gestürzt sind. Daran angeschlossen ist die Huldigung der
„Häuptlinge des Libanon", die entgegenzunehmen der König
vom Wagen gestiegen ist; in ihren langen Gewändern legen
sie selbst Hand an, Tannen für ein großes Schiff und die
Flaggenmasten des Amontempels zu fällen. Daraus folgt,
daß auch die phoenikische Küste wenigstens zum großen Teil
wieder in ägyptischem Besitz gewesen sein muß, wohl schon
seit den Zeiten Haremhabs; als von Sethos erobert nennt
die erwähnte Liste hier Akko und Tyros nebst Usu (Palae-
tyros)»).
Auch an der Westgrenze Ägyptens hat Sethos gekämpft.
Wie es scheint, hat in Nordafrika unter den hellfarbigen,
blondhaarigen und blauäugigen Stämmen am Nordrande des
Kontinents, die wir nach griechischem Sprachgebrauch Libyer
nennen'*), eine neue, vom Westen her gegen das Niltal vor-
') Quaterly Statements, Palest. Explor. Fund 1901. 347; danach
bei Gressmann, Alton Bilder zum A. T. 2. Aufl. no.[_90.
2) Auf dem Sphinx von Qurna (o. S. 432 Anm.) no. 1.5. 16. 17. 20.
23. 24 (dazu ein unlesbarer Ort no. 18). No. 24 ist hier in Qarm-m ver-
schrieben; das richtige, Qart'anab, bietet die Liste von Abydos. Mit
Qirjat'anab (= 23r> Jos. 11, 21. 15; 50) im äußersten Süden, das pap.
Anast. I neben Betsopher (= Debir, Jud. 1, 11 f. == Jos. 15, 15 f.) nennt,
kann dieser Ort n'.cht identisch sein.
^) No. 13. 21. 22; weiteres s. u. S. 4.52.
*) Möller hat in dem grundlegenden Aufsatz ZDMG. 78, 36 Ü.
(vgl. 0. S. 81, 4) mit Recht hervorgehoben, daß sie von den älteren, rot-
braunen und schwarzhaarigen Zehenu verschieden sind. Sie sind in
Sethos' Relief und vor allem in den Darstellungen der Menschenrassen
in den Gräbern Sethos' L (Fremdvölkerphot. 806. LD. III 136) und Ram-
436 I^- I^^*^ neunzehnte Dynastie. iÄgypten und das Chetiterreich
dringende Bewegung eingesetzt^). Sethos hat in den Reliefs
von Karnak den Kampf gegen sie dem gegen'|die Beduinen
und gegen die Chetiter gleichgestellt. Er selbst erschlägt
vom Streitwagen aus einen libyschen Häuptling, der mit dem
Kampfstock, der Hauptwaffe dieser Stämme, auf ihn ein-
dringt; einen anderen durchbohrt er im Fußkampf mit der
Lanze. Darin mag starke Übertreibung stecken 2); aber ein
ernstlicher Kampf gegen eine das Kulturland bedrohende In-
vasion wird es doch gewesen sein: „Er hatte bewirkt, daß sie
auf dem Kampfplatz nicht standhielten 'und vergaßen, den
Bogen zu spannen, sondern in den Höhlen verweilten wie
Wölfe in Angst vor seiner Majestät."
Das Chetiterreich unter Mursil li. und Muwattal
Das Vordringen der Ägypter in Syrien hat zu einem
neuen Zusammenstoß mit den Chetitern geführt. Hier hatte
Subbiluljuma, die Traditionen seiner Vorgänger in früheren
Jahrhunderten wieder aufnehmend!, unter geschickter Aus-
nutzung der politischen Verhältnisse, die eindringenden Be-
duinen und Amoriter zugleich [benutzend und in Abhängig-
keit haltend, die Macht Mitanis gebrochen und die Kleinstaaten
ses' III. (Phot. 813; daraus bei Möller Abb. .5, der das Bild fälschlich
dem Setbosgrabe zuschreibt) vortreftlich dargestellt. In den Grabtexten
heißen sie Zemeh (Möller Tuimah); wenn Sethos sie in den Kampf-
bildern Zehenu nennt, so wird das mit Möller als falsche Übertragung
des alten Namens zu erklären sein. Beide Volksgruijpen tragen Phallus-
tasche und Federn im Haar (letztere bei Ramses III. weggelassen),
aber die Zemeli sind außer durch die helle Farbe ^durch geflochtene
Zöpfe an beiden Schläfen, lange, buntbetupfte^ Ledermäntel und Täto-
wierung von jenen geschieden.
') Daher finden sich pap. Anast. I 17,3 unter den Söldnern neben
Kahak (0. S. 81) auch Masawasa (Maxyer), 0. o. 8.^31.
^) Die Gefangenen heißen Häuptlinge der Zehenu und haben
libysche Tracht; aber in der Beischrift ist von dem Sieg über Rezenu
und die Asiaten C^Amu) die Rede, die erbeuteten Gefäße sind syrisch,
die kostbaren, dem Amon dargebrachten Steine und Metalle stammen
„aus dem Sieg über alle Feindeslande" ; bei den Libyern wird nicht
viel Beute zu machen gewesen sein.
Sethos gegen Libyen. Das Chetiterreich Subbiluljumas 437
Nordsyriens der ägyptischen Machtsphäre entrissen. Durch
feierliche Verträge, unter Anrufung der unabsehbaren Götter-
scharen sowohl des eigenen Reichs wie des Vasallenstaats,
verpflichtete er die Dynasten der besetzten Gebiete zur An-
erkennung und Sicherung des Vorrangs der chetitischen Dyna-
stie, zur Tributzahlung und zur Heeresfolge gegen jeden
äußeren und inneren Feind. Daneben hat er regelmäßig große
Scharen der Bevölkerung als Knechte ins Chetiterland ver-
schleppt, und seine Nachfolger sind ebenso verfahren. Da-
durch wurden den nur schwach bevölkerten Landschaften des
östlichen Kleinasiens fortwährend Arbeitskräfte zugeführt,
sowohl als Kriegsknechte, wie vor allem für Viehzucht und
Feldbau, und so die herrschende, offenbar nur ziemlich dünne,
Oberschicht, entlastet; umso stärker konnte diese für die mit
dem Anwachsen des Reichs sich stetig mehrenden Anforde-
rungen des Krieges und der Verwaltung herangezogen werden.
In allen Verträgen wird eingeschärft, daß diese Gefangenen,
wenn sie in einen Vasallenstaat flüchten, wieder ausgeliefert
werden müssen.
Die großen Erfolge Subbiluljumas in Syrien und Meso-
potamien fallen in die letzten Jahre seiner Regierung. Da-
mals hat er den verkümmerten Rest des Reichs der Charrier
von Mitani unter Dusrattas Sohn Mattiwaza ganz an sich
gefesselt, die Assyrer zurückgewiesen, seine Söhne zu Köni-
gen von Aleppo und Karkemis gemacht, den Amoriterfürsten
Aziru, den Aitaqama von Kinza und die übrigen Dynasten
wieder unterworfen, dem weiteren Vordringen der Ägypter
unter Haremhab, wie auch der Kampf im einzelnen verlaufen
sein mag. Halt geboten. Aber als er bald darauf starb, war
das neue Großreich innerlich noch nirgends gefestigt, ja in
Kleinasien hatten die Nachbarn seine dauernde Abwesenheit
in Syrien und Mitani zu Übergriffen benutzt, ohne daß er
dagegen einschreiten konnte^); man sieht, daß die Kräfte
') Zehnjahrannalen Mursils II. rs. 3, 47. 67. 94. Große Annalen
bei FoBRER 58B IV 59 ff. (Frieprich im Alten Orient 24, 3 S. 12); sowie
438 I-^- Diö neunzehnte Dynastie. Ägypten unl das Chetiterreioh
des herrschenden Volkes für die Aufgabe nicht ausreichten.
So gab wie seinerzeit der Tod Thutmosis' III., so auch jetzt
der Tod des energischen Kriegsfürsten (um 1346) überall das
Signal zum Abschütteln des fremden Jochs. Die Lage war
umso bedrohlicher, da die beim Kriege mit Ägypten einge-
schleppte Epidemie (S. 404) noch jahrelang das Land ver-
heerte. Auch der Thronfolger Arnuiinda III. war von schwerem
Siechtum befallen und ist ihm alsbald erlegen. Auf seinen
jungen Bruder Mursil II. glaubten die Aufstündischen, wie
er selbst erzählt, erst recht geringschätzig herabsehn zu
können. Aber er hat sich der Aufgabe gewachsen gezeigt. Er
sicherte sich zunächst den göttlichen Segen durch eine feier-
liche Prozession zu der großen Sonnengöttin von Arinna, und
hat dann systematisch die Wiederaufrichtung des Reichs be-
gonnen^).
Im Gegensatz zu seinem Vater hat sich Mursil jahrelang
ganz auf die Kämpfe in Kleinasien beschränkt. Vor allem
galt es, die Scharen der Gasgaeer zu bewältigen, die schon
seit alters, offenbar aus den pontischen Gebirgen im Nord-
osten vordringend, das Chetiterland weithin überschwemmten^)
und ausplünderten und, oft in Verbindung mit einheimischen
Rebellen, nicht wenige Ortschaften dauernd besetzten. Auch
Subbiluljuma hatte gegen sie gekämpft, dann aber, wie schon
erwähnt, infolge der syrischen Kriege nichts mehr gegen sie
tun können. So hätte leicht an Stelle des chetitischen Reichs
ein gasgaeisches treten können, in derselben Weise, wie die
indogermanischen Chetiter selbst sich hier festgesetzt hatten.
im Vertrage mit Kupanta-Kal ZI. 9 f. (Forrer, Forsch. I 10; Friedrich,
Staatsverträge, Mitt. Vorderas. Ges. 1926, 1, S. 106).
') Wir besitzen von ihm die Annalen seiner ersten 10 Jahre (mit
mehreren Lücken; denen die Geschichte des 2., 8. und 9- Jahres fast
ganz zum Opfer gefallen ist; Übersetzung von Hrozny, Boghazkiöi-
Studien), in denen er nur seine eigenen Taten berichtet, und nicht wenige
Bruchstücke seiner ausführlichen Annalen, die weiter reichen und die
auch die Taten der übrigen Heerführer berücksichtigen. Die Texte bei
Forrer, Bogh. -Texte in Umschrift no. 48 und 49—68.
-) Vgl. die Angaben Chattusils III. bei Forrer, Forsch. I 37 f.
Die Feldzüge Mursils II. Vordringen der Assyrer 439
Jahr für Jahr hat Mursil gegen sie Krieg geführt und all-
mählich seine Herrschaft wieder aufgerichtet. Daran schließt
in seinem 10. Jahre ein Feldzug gegen das Land Azzi oder
Chajasi im nordwestlichen Armenien. Schon vorher hat er in
seinem 3. und 4. Jahr den Herrscher von Arzawa im oberen
Kilikien, der die Auslieferung von flüchtigen Gefangenen ver-
weigerte und den Gehorsam aufsagte, besiegt und übers Meer
[nach Cypern?] gejagt^), während die Dynasten der bisher
von Arzawa abhängigen Taurusgebiete aufs neue durch Ver-
träge gefesselt wurden.
In Syrien hat Mursil zunächst kaum eingreifen können;
vielmehr ist, wie eine Angabe seiner Annalen erwähnt, in
seinem 2. Jahre (um 1344) der Assyrerkönig bis an den Eu-
phrat gegenüber von Karkemis vorgedrungen^). Es ist Assur-
uballit (ca. 1380 — 1340), der hier gegen Ende seiner langen
Regierung bedeutende Erfolge errungen und das ganz ge-
schwächte Reich Mitani vollends zurückgedrängt hat^); da-
her rühmt sein Urenkel Adadnirari I., Assuruballit habe „das
') Über Arzawa s. 0. S. 159, 1. Auch Forrer's Identifizierung des
Arinnandugebirges mit dem Masis Dagh am kilikischen Rande des
Golfs von Issos und der Stadt Puranda mit dem von ihm nachgewiesenen
Pyramos an der alten Mündung des gleichnamigen Flusses (Dschihan)
scheint mir sehr wahrscheinlich (Forsch. I 60 ff.). Aber die von ihm
energisch angegriffenen geographischen Probleme bedürfen noch wieder-
holter Nachprüfung und weiterer Durcharbeitung des Materials, ehe die
Lösung als gesichert gelten kann, und gegen manche seiner Ansätze
erheben sich starke Bedenken, so gegen die seltsame Gestalt seines
Holajaflußlandes, das doch bei ihm in Wirklichkeit kein „Flußland" ist.
2) FoRRER, Forsch. II 36. 45 f.
^) Das Reich Mitani besteht noch zur Zeit Muwattals, da im
Vertrage mit Alaksanda von Uilusa als selbständige Mächte, gegen
die dieser, wenn es zum Kriege kommt, Heeresfolge leisten soll, die
Könige von Ägypten (Mizri), Babylonien (Sanchara, wie im Amarna-
brief 85, 49, ägypt. Sangar), Chanigalbat (d. i. Mitani) und Assur auf-
gezählt sind (FoRRER, Forsch. I 76), und ebenso noch zur Zeit Salmanas-
sarsL, des Zeitgenossen Chattusils. Wenn Ramses II. unter den Bundes-
genossen der Chetiter an erster Stelle Naharain nennt, so ist dieser
Name hier, wie so häufig, auf Nordsyrieu ausgedehnt.
440 IX. Die neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
Land Muzri (in den armenischen Bergen) unterworfen und
die Streitmacht des weiten Subari (die traditionelle Bezeich-
nung der mesopotamischen Steppe) aufgelöst". Westlich vom
Euphrat wurden Karkemi^ und Aleppo von Mursils Brüdern
behauptet, die Subbiluljuma hier zu Königen eingesetzt hatte;
aber die Könige von Nuchasse haben sich wieder unabhängig
gemacht, und ebenso in Kinza der Sohn Aitaqamas, der seinen
Vater umgebracht hatte. Ihr alter Genosse und Rivale Aziru von
Amurru dagegen hielt an den Chetitern fest und lieferte regel-
mäßig seinen Jahrestribut. Erst in seinem 9. Jahre (ca. 1337)
hat Mursil durch seine Feldherrn Nuchasse und Kinza wieder
unterworfen und aufs neue Scharen von Einwohnern fort-
führen lassen, während der greise Amoriterfürst Aziru und
seine Nachkommen 'jetzt als [Hauptstützen der chetitischen
Herrschaft über Syrien bis zum Libanongebiet erscheinen 0.
Weiter nach Süden scheint Mursil nicht vorgedrungen zu
sein^).
Mursil hat zwei Jahrzehnte lang^) Jahr für Jahr Krieg
geführt, nur unterbrochen durch die Winterzeit und die großen,
mit peinlicher Beobachtung des Rituals gefeierten Grötterfeste.
In diesen Feldzügen hat er in blutigen Kämpfen überall die
Widerstandskraft gebrochen, die befestigten Ortschaften er-
obert und ausgeplündert. Außer der reichen Beute hat er
regelmäßig in noch größerem Umfang als sein Vater gewal-
tige Massen der Besiegten ins Chattiland überführt, teils als
Knechte des Königs, teils als Hörige der Magnaten, der ad-
ligen Grundbesitzer und Krieger; es ist dieselbe Methode, zu
der später, seit Tiglatpileser III., die großen assyrischen Er-
') Neben Mursils Annalen (Forrer, Umschrift 58 B § 89 ff.) gibt der
von Mursil mit Azirus Enkel Duppitesub geschlossene Vertrag Auskunft,
der in akkadischer und chetitischer Fassung in mehreren sich ergänzen-
den Bruchstücken erhalten ist (Friedrich, Staatsverträge I. Mitt.Vorderas.
Ges. 1926, 1).
^) Falls es zwischen ihm und Haremhab noch einmal zum Kriege
gekommen ist, würde er in diese Zeit gehören.
') Nach Forrer's Rekonstruktion reichen die Bruchstücke seiner
»ausführlichen Annalen" bis in sein 20. Jahr.1
Das Chetiterreich unter Mursil II. 44]
oberer gegriffen haben, um ihr Reich zu einer Einheit zu-
sammenzuschweißen. Der Hauptteil der Landschaften des
östlichen Kleinasiens nördlich vom Taurus ist, in mehrere
Provinzen zerlegt '0, dem Chattiland einverleibt und steht un-
mittelbar unter dem König und seinen Beamten. Das König-
reich Kizwatna am Iris und bis zum Schwarzen Me«r ist
damit in einer Art von Personalunion verbunden; ein eigner
König scheint hier später nicht mehr bestanden zu haben,
wohl aber hat Subbiluljuma seinen Sohn Telibinus, den er
dann zum König von Aleppo machte, in Kizwatna als Priester
eingesetzt'-'). Der Sitz dieses Priestertums war Komana am
Iris, das schon in dieser Zeit ebenso wie ein Jahrtausend
später unter den pontischen Königen einen großen Priester-
staat gebildet hat^). Von hier wird auch Puduchepa stammen,
„die Tochter der Pentip^arri, des Priesters der Istar von
Lawazantijas", die Gemahlin Chattusils III., die diesem als
gleichberechtigte Königin zur Seite steht; denn in der ägyp-
tischen Fassung seines Vertrags mit Ramses II. heißt sie
„Tochter des Landes Kizwatna". Auch daß in diesem Ver-
trage, wie früher unter Subbiluljuma (o. S. 373), nach den
chetitischen Göttern „die Götter von Kizwatna" als Zeugen
angerufen werden, beweist die enge Verbindung der beiden
nominell geschiedenen Reiche.
An das Keruland des Reichs schließen sich im Taurus-
gebiet^) die zu Tributzahlung und Heeresfolge verpflichteten
Vasallenstaaten. Nicht wenige von ihnen kennen wir durch
die Verträge, die Mursil oder einer seiner Nachfolger mit
\) So hat Chattusil unter seinem Bruder Muwattal das „obere
Land" verwaltet, d. i. die Landschaften am oberen Halys bis zum
Euphrat.
^) Götze, Z. Ass. 36, 808; Forrep, Forsch. II ,39.
2) Siehe den von HnozN'i', Boghazkiöistudien III GO ff. behandelten
religiösen Text, eine Rede der Mastikka (offenbar einer Priesterin), die
im Eingang als „Frau aus Kizwatna". am Schluß als „Frau aus Kumani"
bezeichnet wird.
"} Auf Mursils Beziehungen zu den Lugga und zu Achchijawa
komme ich in Abschnitt XII zurück.
442 IX. Die neunzehnte Dynastie. Ägypten vmd das Chetiterreich
ihnen geschlossen hat^). Charakteristisch für sie und über-
haupt für das gesamte Vorgehn der Chetiterkönige ist, daß
sie sich durchweg auf ererbte Rechtsansprüche berufen und
sich, etwa in derselben Weise wie später die Römer, bemühen,
die bestehende Rechtsordnung innezuhalten; Heimsuchungen,
wie s. B. die nach Subbiluljumas Angriff auf Ägypten aus-
gebrochene Epidemie, werden als göttliche Strafe für rechts-
widrige Unternehmungen betrachtet und müssen gesühnt
werden. Gegen Vertragsbruch und Nichterfüllung der über-
nommenen Verpflichtungen dagegen schreiten die Könige im
Vertrauen auf die göttliche Hilfe energisch ein; wenn aber
die Aufständischen sich wieder unterwerfen und um Gnade
bitten, verfahren sie milde, geben ihnen ihr Land zurück
oder setzen ihre Söhne ein, obwohl diese, was besonders her-
vorgehoben wird, rechtlich ihren Anspruch verwirkt haben.
Regelmäßig sind in die Verträge genaue Angaben über die
Grenzen aufgenommen, die für die geographische Festlegung
der einzelnen Landschaften eine Grundlage bieten 2).
Sehr wertvoll für die Bestimmung des Umfangs der
chetitischen Macht sind die Listen der Landschaften, die
Ramses H. in der poetischen Schilderung der Schlacht bei
Qades an vier Stellen ziemlich übereinstimmend als Ver-
bündete angegeben hat'^), aus denen er Truppen heranzog.
Da der Krieg unter Mursils Sohn geführt wurde, werden
V) Es sind aus Kleinasien: Verträge des Mursil mit dem Fürsten
von Chaballa, dem von Mira und Kuwalija, und dem Land des Secha-
flusses, drei ursprünglich zu Arzawa gehörenden Landschaften (be-
arbeitet von Friedrich, Het. -Texte II in Mitt. Vorderas. Ges. 1926, 1;
FoRRER, Forsch. I). Vertrag des Muwattal mit Alaksandu von Uilusa
(FoRRER, Forsch. I 73 ff.). Vertrag des Dudchalia mit dem König des
Hülajaflußlandes (Forrer, Forsch. I 6 ff. 82 f.).
2) Auf diese Angaben sind Forrer's Forschungen nebst den zu-
gehörigen sorgfältigen Karten aufgebaut. Doch wird es noch wieder-
holter "Nachprüfungen bedürfen, ehe seine Resultate im einzelnen als
gesichert verwertet werden können.
3j Sie sind auf Grund der Zusammenstellung aller inschriftlich
und handschriftlich erhaltenen Texte gegeben (Bbeastep, Anc. Rec. III
Die Vasallen und Hilfstruppen der Chetiter 443
wir annehraeü dürfen, daß das Verzeichnis im wesentlichen
den bereits unter Mursil erreichten Bestand darstellt. An
die Chetiter ist sogleich Naharain angereiht, hier wohl
als Gesamtname für die Euphratlandschaften Nordsyriens;
am Schluß stehn die syrischen Namen Karkemis, Aleppo,
Ugarit, Qedi (o. S. 102), Nuchasse, Qades (d. i. Kinza) und
ein sonst nichtbekanntes Musanez; die Amoriter dagegen stan-
den zur Zeit dieses Krieges unter ägyptischer Oberhoheit (s. u.
S. 451). Den Hauptteil bilden die Kleiuasiatischen Landschaf-
ten, die sich jetzt fast alle in den chetitischen Texten wieder-
finden. Die Liste lautet: Arzawa^), Pitasa, Mäsa, Arawanna'^),
die Gasgaeer^), Karkisa, ferner, schon an früherer Stelle ein-
gereiht, die sonst noch nicht nachgewiesenen Dardeni, in denen
man schwerlich mit Recht die Dardaner der Troas gesucht
hat, schließlich die auch von den Chetitern mehrfach erwähn-
ten Luka, die Lykier, die schon in den Amarnatexten (38) in
derselben Weise wie später als ein Seeräubervolk vorkommen :
der König von Alasia (Cypern) klagt, daß sie ihm jahraus
jahrein eine kleine Ortschaft entreißen, während der Pharao
ihn in Vordacht zu haben scheint, daß seine Leute mit ihnen
zusammen Seeraub gegen Ägypten treiben. Ganz sicher ist
es freilich nicht, daß sie damals schon in dem später Lykien
306. 309 mit Anm. d.-312); die vierte Liste hat er ausgelassen. Voll-
ständige Übersetzung bei Roeder, Ägypter und Hetiter (Alter Orient 20)
und Erman, Lit. der Äg. Jede der vier Listen hat einzelne Namen aus-
gelassen und dafür andere aufgenommen; so erscheinen z. B. Nuchasse
und Aleppo nur je einmal. Im Text sind sie sämtlich gegeben.
') Geschrieben 'Arazu, früher als Arados gedeutet, von Götze
richtig als Arzawa erkannt.
^) Auch auf dem Reliefblock aus Karnak, Fremdvölkerphot. 329.
330 (Reich und Kultur der Chetiter Taf. l, WaesziNSKr, Atlas II 761, ge-
schrieben ^rwnn'' [früher als Ilion oder lonien gedeutet!], neben Karkemis
und „Marjanna von Naharain" und Chetitern, die ein Prinz als Ge-
sandte (nicht als Gefangene!) vorführt. Arawanna liegt im Gebiet des
Euphratdurchbruchs durch den Taurus, in der Nachbarschaft von Isuwa
(0. S. 158. 373): Vertrag Subbiluljumas mit Mattiwaza ZI. 20, Zehnjahr-
annalen Mursils IV 47 if.
*) Geschrieben Ksk>; = chet. Gasgas- — Über Mäsa s. 0. 3. 22, 1.
444 IX- Die neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
genannten Küstenlancle gesessen haben; indessen der ägypti-
sche Text sagt, daß der Chetiterkönig „alle Länder von den
Enden des Meeres an" unter Führung ihrer Fürsten zu-
sammengebracht, für die Anwerbung alles Silber in seinem
Lande zusammengerafft und hingegeben habe.
Eine große Armee, wie sie der Krieg gegen Ägypten
erforderte, läßt sich in den Großreichen des Orients, wenn
sie nicht ein großes Feldheer geschaffen haben, wie in voll-
kommenster Weise die Osmanen in den Janitscharen, bei den
gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen infolge der weiten
Entfernungen und der Schwierigkeiten der Verpflegung immer
nur mit gewaltiger Kraftanstrengung und nach jahrelanger
Vorbereitung ins Feld führen^). FürMie Kriege Subbiluljumas
und Mursils und ihrer Feldherrn ließen sich in der Regel
nur kleinere Heere aufbieten, die, ebenso wie unter Thut-
mosis IIL, in jedem Feldzug nur eine eng begrenzte Aufgabe
zu lösen hatten — eben darum setzen sich die Kriege Jahr
für Jahr fort, und das Ergebnis ist in jedem doch nur die
Unterwerfung eines kleinen Gebiets, die oft genug noch mehr-
fach wiederholt werden muß, während gleichzeitig eine an-
dere Landschaft die günstige Gelegenheit zum Aufstand be-
nutzt").
Die Gestalt des Heeres läßt sich wenigstens iiu allge-
meinen erkennen =^); in den großen Schlachtengemälden Ram-
') Etwas anderes ist es, wenn ein noch nicht seßhaft gewordenes
kriegerisches Volk sich verheeiend über ferne Länder ergießt, wie die
Hunnen und die Mongolen. Die Vernichtung aller Gegner und die
Niedertretung der Kultur, die dadurch herbeigeführt wird, haben weder
die Chetiter und die Ägypter noch später die Assyrer, Chaldaeer, Perser
erstrebt, trotz aller Strafgerichte über die Widerspenstigen; dazu waren
sie selbst zu kultiviert.
2) Die Verhältnisse sind im wesentliche!: gleichartig denen der
deutschen Könige bei den Heerzügen nach Italien.
3) Unter den Ritualtexten aus Boghazkiöi ist die zweite Tafel:
,wenn man das Heer zum Eide führt" erhalten (bearbeitet von Fried-
rich, Z. Ass. 85. ICO ff. und Alter Orient 25. 2 [1925], 16 ff.). Es ist aber
nicht ,der chetit. Soldateneid", sondern das Ritual, das über die Eid-
brüchigen^ die gegen den König, sein Haus und das Land Chatti freveln
Das Heer der Chetiter 445
ses' II. wird es anschaulich vorgeführt. Es entspricht durch-
aus dem ihrer ägyptischen Gegner. Die Kerntruppe ist das
Aufgebot des Fußvolks, das mit Lanze und kurzem Dolch-
messer bewaffnet ist^). Die entscheidende Waffe aber bildeten
auch hier die Streitwagen, die geschlossen anrücken. Sie sind
durchweg mit drei Mann besetzt, dem Streiter, der Bogen
und Lanze führt, dem Schildträger und dem Wagenlenker.
Alle Chetiter zeigen in den ägyptischen Darstellungen den
bekannten für sie charakteristischen Kopftypus; aber Aväh-
rend die Infanterie auch in der Tracht durchweg gleich-
förmig gebildet wird, mit langem, in zwei Strähnen aus-
laufendem Haarschopf, bartlosem Kinn und langem Rock,
erscheinen unter den Wagenkämpfern daneben andere, bei
denen das Haupthaar bis auf einen vom Hinterkopf herab-
hängenden Zopf abrasiert ist. Daß diese beiden Typen be-
reits in weit älterer Zeit nachweisbar sind, ist oben S. 10
schon bemerkt; sie werden zwei im Chattilande nebeneinander
stehenden Bevölkerungsschichten entsprechen, die wir aber
zurzeit noch nicht weiter identifizieren und benennen können.
Auch Wagen und Bewaffnung 'sind verschieden: die Zopf-
träger haben viereckige Schilde und viereckige Wagenkasten
wie die in den ägyptischen Bildern unter sie gemischten
Semiten (s. u. S. 459)], die anderen, die den Hauptteil des
Volkes bilden, eingekerbte Amazonenschilde und oben ab-
gerundete Wagenkasten'-). —
Auf Mursil ist, etwa um 1320, sein Sohn Muwattal ge-
folgt. Über ihn erfahren wir einiges durch die ausführliche
Erzählung, die sein Bruder und Nachfolger Chattusil von
seinen Schicksalen bis zur Thronbesteigung gegeben hat^).
(also auch Untertanen aus unterworfenen Gebieten), die von den zu-
gehörigen magischen Handlungen begleiteten Fluchformeln ausspricht.
•) Die Ägypter verwenden für die chetitisehe Infanterie das Wort
tuhir, s. 0. S. 102, 3.
^) Siehe die Abbildung auf Taf. IV.
^) Bearbeitet und übersetzt von GötzE; Chetit. Texte 1, Mitt.
Vorderas. Ges. 1924; 3.
446 I^- Die neunzehnte Dynastie. Ägypten und ilas Chetiteneich
Er will darin zeigen, wie die Göttin Istar ihn von Jugend
auf beschirmt, alle Gefahren von ihm abgewendet, und ihn
schließlich auf den Thron geführt hat. Schon als schwachen
Knaben hat sein Vater ihn infolge eines Traumes zu ihrem
Priester bestellt. Sein Bruder Muwattal gab ihm dann eine
Stellung im Staatsdienst und übertrug ihm die Verwaltung des
„oberen Landes" und, nachdem er die wider ihn von Chattu-
sils Vorgänger^) ausgestreuten Verleumdungen geprüft und
abgewiesen hatte, auch ein militärisches Kommando. Mehr-
fach wurde er im Kampf gegen eingedrungene Feinde — man
wird wieder an die Gasgaeer denken müssen — verwendet
und hat sie hinausgeschlagen. „Welche Feindesländer ich be-
siegt habe, solange ich jung war," schreibt er, „darüber werde
ich wahrheitsgemäß eine Tafel anfertigen und vor der Gott-
heit niederlegen"^); deutlich sieht man, daß dabei sein
Oberbefehl nur nominell und er daher in den offiziellen An-
nalen nicht genannt war ; so will er das jetzt als König nach-
holen. Zugleich ergibt sich, daß es sich um einen ziemlich
großen Zeitraum handelt: Chattusirmag beim Tode seines
Vaters etwa zehn Jahre alt gewesen sein, so daß dann unter
der Regierung seines Bruders rund zehn weitere Jahre ver-
gingen, bis er zum Manne herangewachsen und wirklich selb-
ständig geworden war.
Inzwischen aber hatte sich Muwattal zu einer tiefeinschnei-
deuden, verhängnisvollen Maßregel entschlossen : er verlegte
die Residenz von Chattusas (Boghazkiöi) nach Dattasa im
„Unterland" und überführte auch „die Götter von Chatti und
die Manen" hierher^). Was ihn dazu veranlaßt hat, erfahren
wir nicht; als Motiv wird lediglich ein götthcher Befehl an-
gegeben, also ein dafür eingeholtes Orakel. Das „Unterland"
ist zweifellos die Bezeichnung der Landschaften im Süden vom
Halys und vom alten Mittelpunkt des Reichs, aber eine ge-
') Dieser ständige Rivale des Chattusil ist ein Sohn des Zidä, des
Bruders von Subbiluljuma (vgl. o. S. 379; 1).
2) I 74 f. Nachher folgt II 29 „meine erste Mannestat".
*) Siehe dazu weiter Forrer, Forsch. I 32 i.
Das Chetiterreich unter Muwattal 447
nauere Bestimmung bisher nicht möglich^). Lediglich der
Wunsch, sich eine neue Hauptstadt zu bauen, kann nicht zu-
grunde liegen, sondern es müssen schwerwiegende politische
und wohl auch wirtschaftliche Gründe den Anlaß gegeben
haben; aber weiteres läßt sich nicht erkennen.
Die Verlegung der Hauptstadt gab nun aber das Signal
zu einem allgemeinen Aufstand in den Kernlanden des Reichs.
Die Gasgaeer erhoben sich aufs neue, überschwemmten und
plünderten das Land weit über den Halys (Marassanda) hinaus
— unter anderem wird auch Kanes (bei Kültepe) von ihnen
bedrängt, während im Norden z. B. Gaziura am Iris in ihre
Hände gefallen ist. Zehn Jahre lang, sagt Chattusil, wurden
die Felder nicht bestellt; alle Errungenschaften Mursils schie-
nen wieder verloren. Erst in langen Kämpfen hat Muwattal
das Reich- allmählich wieder zusammengebracht. Dabei hat
auch Chattusil mit Hilfe der Istar mehrfach Siege erfochten;
zum Lohn dafür hat ihm sein Bruder einen Teil der wieder-
eroberten Gebiete mit der Hauptstadt Chakpissa als eigenes
Königreich übergeben, und er hat die alten Einwohner in die
verödeten Landschaften zurückgeführt.
Chronologie
In dieser Lage des Reichs ist der Krieg mit Ägypten,
zunächst mit Sethos L, ausgebrochen. Die Chronologie dieser
und der folgenden Zeit läßt sich im Anschluß an das oben
S. 340 f. Ermittelte einigermaßen feststellen. Der Stammbaum
der chetitischen Könige ist:
1. Subbiluljuma ca. 1380—1346
2. Arnuanda IL 3. Mursil II.
t um 1345 ^1
4. Muwattal 6. Chattusil III.
!
5. ürchitesub
') Forrer"s Lokalisieruug von Dattasa auf der Bergfeste Zengi-
barkale bei Develi Karahissar im Südwesten des Argaeos (Forsch. I 34 f.)
st nicht haltbar, wie er jetzt bei Bereisung dieses Gebiets erkannt hat;
die Mauerreste auf dem steilen Gipfel gehören einer weit späteren Zeit an.
448 I^- Dio neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
Die sechs Könige von Subbiluljuma bis Chattusil umfassen
mithin nur drei Generationen, was sich dadurch erklärt, daß
Chattusil beim Tode seines Vaters noch nicht erwachsen war.
Für ihn ergibt sich ein sicheres Datum daraus, daß er mit
Kadasmanturgu von Babel (1296 — 1280) und seinem Sohn
Kada§manellil II. (1279 — 1274) in Korrespondenz stand und
letzterem über die auf den Krieg mit Ägypten folgenden
Verhandlungen mit diesem schreibt 0- Das sind offenbar die
Verhandlungen, die zu dem Bündnisvertrage mit Ramses IL
geführt haben; dieser ist also um 1278 geschlossen worden.
Nach dem ägyptischen Datum der Urkunde fällt er ins
21. Jahr Ramses' IL; dieser ist also um 1298 zur Regie-
rung gekommen, und die Schlacht bei Qades in seinem
5. Jahre fällt ca. 1294. Der Krieg hat sich dann unter
Muwattal und Urchite.sub und vermutlich bis in, Chattusils
erste Jahre noch geraume Zeit fortgesetzt; begonnen hat
er einige Jahre vor 1298 unter Sethos L, also etwa um 1305.
Vor der Sclilacht bei, Qade§ wird Muwattal nach den An-
gaben seines Bruders über diese Zeit mindestens 15 — 20 Jahre,
und vielleicht beträchtlich länger (etwa 1320 — 1290) regiert
haben. Dazu stimmt, daß man Mursil schAverlich viel mehr
als 25 Jahre (ca. 1345 — 1320) wird geben dürfen, da seine
Annalen nicht über sein 20. Jahr hinausreichen. Chattusil ist
kurz vor dem Tode Kadasmanturgus und vor dem Bündnis mit
Ägypten König geworden, also um 1281; vor ihm regiert
Urchitesub 7 Jahre, bis er von Chattusil besiegt und abge-
setzt wird. Muwattal ist also gegen 1288 gestorben. Chattusils
Tod wird dann um 1260 anzusetzen sein-); denn auf ihn folgen
bis zum Untergang des Chetiterreichs um oder kurz nach 1200
*) Siehe u. S. 478. Die Regierungszeiten der babylonischen Könige
dieser Zeit sind in der Königsliste A (Bd. I S. 366 f.) erhalten und hier
von der Ansetzung des Endjahres der Dynastie in 1173 (Nachtr. S. 2 ff.)
aus berechnet. Weidner, Die Könige von Assyrien (Mitt. Vorderas. Gesii
1921, 2), setzt sie 2—3 Jahre später an.
'^) Da er beim Tode seines Vaters noch ein Knabe war, ist er also
etwa 70 Jahre alt geworden (1330—1260).
Chronologie der Epoche 449
noch drei Generationen, Dudchalia IV., Arnuanda IV. und
Dudchalia V. Ramses IL hat Chattusil jedenfalls lange über-
lebt; seine 67jährige Regierung^) ist nach unseren Ergeb-
nissen auf 1298 — 1232 anzusetzen, mit einem Spielraum von
wenig mehr als 2 — 3 Jahren.
Daß sich diese Daten mit den für Subbiluljuma, Ame-
nophis IV. und Haremhab zu erschließenden gut vertragen,
haben wir oben S. 340 f. schon gesehn. Die drei Generationen
von Subbiluljuma bis Chattusil umfassen mithin ungefähr
120 Jahre, 1380—1260. Ungefähr ebensolang haben inÄgypten
die drei durch Haremhab — dem Ramses I. zuzurechnen ist — ,
Sethos I. und Ramses II. vertretenen Generationen regiert,
nämlich von 1352/1-1232.
Sethos' Krieg gegen die Chetiter und Amoriter
Was den unmittelbaren Anlaß zum Angriff Sethos' I.
auf das Chetiterreich gegeben hat, wissen wir nicht; die Not-
lage, in die dieses geraten war, mag ihn dazu angereizt
haben. Aber der Krieg lag in der Natur der Dinge und ent-
sprach den Traditionen, die der Pharao von seinen Vor-
gängern übernommen hatte. Chattusils kurze Angabe, daß
er, als sein Bruder gegen Ägypten zog, diesem Fußvolk und
Wagenkämpfer aus allen ihm zugewiesenen Landschaften
zugeführt habe, bezieht sich offenbar auf die Schlacht bei
Qades; daß er näher auf diesen Krieg einzugehn vermeidet,
wird sich daraus erklären, daß er Rühmliches nicht zu be-
richten hat und den Krieg überhaupt mißbilligt. So sind
wir für Sethos' Feldzug lediglich auf den Bilderzyklus seiner
Reliefs angewiesen, in denen natürlich nur einzelne Episoden
zur Darstellung gelangt sind'). Wir sehn den König in üb-
') Diese auch bei Manetho angegebene Dauer ist bekanntlich durch
Ramses' IV. Inschrift aus Äbydos bezeugt (Breasted, Rec. IV 471).
*) Wenn die Szenen auf der Westhälfte der Wand ebenso wie die
auf der Osthälfte von unten nach oben aufeinander folgen, so fällt der
Chetiterkrieg vor den Libyerkrieg, und auf diesen folgt dann, vom
Chetiterkrieg wie vom ersten palaestinensischen Feldzug gesondert, der
Amoriterkrieg. Breasted dagegen möchte den Libyerkrieg vor den
Meyer, Geschichte des Altertums. IP. 29
450 IX. Die neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
lieber Weise auf dem Streitwagen mit gespanntem Bogen in
das Getümmel der Feinde hineinstürmen, die sich wider-
standslos zur Flucht wenden; ein Häuptling, dem sein Wagen-
lenker schon erschossen ist, wendet den Wagen zu eiliger
Flucht und will selbst herunterspringen, andere sind schon
davon gefahren oder haben ein Pferd bestiegen, um galop-
pierend zu entkommen; Haufen von Leichen bedecken das
Schlachtfeld. Dann folgt die Fortführung der Gefangenen
nach Ag}'pten, darunter auch ein Streitwagen mit seiner ge-
fesselten Bemannung, schließlich ihre Vorführung vor Amon
und seine Genossen im Tempel von Karnak^).
Weiteres erfahren wir nicht; aber daß Sethos in der Tat
einen bedeutenden Sieg über die Chetiter erfochten hat, ist
nicht zu bezweifeln. Über den Schauplatz des Krieges läßt
sich leider garnichts sagen. Daran wird sich dann ein Feld-
zug gegen ihre Vasallen, die Amoriter, geschlossen haben;
das in der obersten Reihe des Reliefs erhaltene Bild stellt den
Zug dar, „den Pharao unternahm, um das Land von Qades
(und) das Amoriterland -) zu verwüsten". Sethos dringt zu
Wagen auf die flüchtigen Feinde ein, und seine Pfeile treflfen
die Schützen auf den Zinnen der beiden Stadtmauern, der
äußeren und der darüber aufrasrenden inneren, die verzweifelt
chetilischen ins 2. Jahr des Sethos setzen. Dafür spricht, daß in der
Beischrift zu der Fortführung der chetitischen Gefangenen die Unter-
würfigkeit nicht nur von Rezenu, sondern auch von Zehenu erwähnt wird.
') Die Feinde und die Gefangenen haben durchweg die charakte-
ristischen Züge der Chetiter, aber zum Teil statt der Zöpfe semitische
Haartracht. Manche tragen eine Art Hehnkappe mit einer kurzen,
dünnen Feder, wie die Amoriter in Qades, die aber bärtig sind. Wo
ein Schild vorkommt, ist er rechteckig, aber die Wagenkasten sind oben
abgerundet.
^) pa ta n p« Amor. Wie bei pa kana'^an = fi?j3n erhält auch der
Landesname Amurru den Artikel. Wreszinski betrachtet mit Recht die
beiden Namen als koordiniert; aber daraus folgt noch nicht, daß es
zwei verschiedene Landschaften sind, sondern Qades mit seinem Gebiet
ist ein Teil des Amoriterlandes. Die Amoriter, Semiten mit Vollbart
und Haarschopf, führen Bogen und rechteckigen Schild; über ihre
Helmkappe siehe die vorige Anmerkung.
Sethos' I. Krieg gegen die Chetiter und die Amoriter 451
den Widerstand aufgeben und ura Gnade flehen. Die Stadt
Qades liegt auf einem bewaldeten Berge, ist also die Stadt
in Obergalilaea (Naphtali). Daraus ergibt sich, daß sich das
Amoriterreich Azirus und seiner Nachkommen unter der
Oberhoheit der Chetiter bis in diese Gebiete ausgedehnt hat.
Von den übrigen Bildern sind noch kleine Reste der Fort-
führung der Gefangenen und der Darbringung der Beute an
Amon erhalten.
Einige weitere Aufschlüsse ergeben zwei Verträge mit
dem Amoriterreich aus dem Archiv von Boghazkiöi^). König
Chattusil erwähnt darin, daß nach dem Enkel Azirus sich
Bentesina des Königtums von Amurru bemächtigte — ob
als legitimer Erbe oder als Usurpator, läßt sich nicht er-
kennen — , daß aber Muwattal ihn absetzte und gefangen fort-
führte. Chattusil dagegen nahm sich seiner an, erbat ihn von
seinem Bruder und gewährte ilim eine Wohnstätte in seinem
Gebiet; als er dann dem Muwattal gefolgt war, setzte er Ben-
tesina wieder ein, gab ihm eine Tochter zur Gemahlin und
erneuerte mit ihm den alten Vertrag aus der Zeit Subbilul-
jumas und Azirus. Chattusils Sohn Dudchalia bestätigt in
einem Vertrage mit Bentesinas Sohn nicht nur diese Angaben,
sondern fügt hinzu, daß die Amoriter sich gegen Muwattal
empört hatten und zu Ägypten abgefallen waren ■), daß dann
aber Muwattal in oder nach dem Kriege mit Ägypten die
Amoriter wieder unterworfen und den Sabili zum König ein-
gesetzt hat; eben diesen hat dann Chattusil zugunsten des
Bentesina abgesetzt.
Beide Urkunden vermeiden, ebenso wie Chattusils An-
trittsproklamation (o. S. 449), auf die Beziehungen zu Ägypten
') Vertrag Chattusils mit Bentesina von Amurru (akkadisch), bei
Weidner, Bogh.-Stud. 9, 124 fi"., und Vertrag Dudchalias IV. mit dessen
Sohn (chetitisch), bisher unpubliziert, auszugsweise von Winckler,
Vorderasien im 2. Jahrtausend (Mitt. Vorderas. Ges. 1913, 4) S. 98 f.
übersetzt (vorher schon MDOG. 35, 1907, 44 f.).
^) Der Text scheint hier nach Winckler's Andeutungen unsicher;
es ist sehr zu bedauern, daß er noch nicht veröfl'entlicht ist.
452 IX. Die nennzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
einzugehn, vielmehr erwähnt Chattusil sie überhaupt nicht.
Aber in Wirklichkeit ist der Übertritt der Amoriter zu Ägypten
offenbar die Folge von Sethos' Vordringen gewesen; Bente-
sina kam dadurch in dieselbe Lage wie früher Aziru. Die
milde Behandlung, die ihm zuteil wird, zeigt, daß ihm seine
Untertanen keine Wahl gelassen haben. Während der näch-
sten Jahre gehört das Land Amurru zum ägyptischen Macht-
bereich: in der Liste der im Chetiterheer vertretenen Völker-
schaften erscheinen die Amoriter nicht, das südlichste am
Kampf teilnehmende Fürstentum ist Qades (Kinza); dagegen
organisiert Ramses sein Heer „an der Küste von Amurru", von
hier aus stößt eine seiner Abteilungen in der Schlacht zu
ihm. In Qades hat sich ein Relief gefunden, auf dem Sethos
den Amon nebst Mut und Chons sowie den syrischen Gott
Re§ep verehrt^); somit scheint auch diese Stadt unter seiner
Oberhoheit gestanden zu haben. Danach wird es durchaus
zutreffend sein, wenn die Liste der von ihm eroberten Orte
außer Akko und Tyros auch die in der Amarnazeit so viel
umstrittenen Festungen Sirayra und Ullaza im Eleutherostal
nennt-); man wird vermuten dürfen, daß weitere Feldzüge
in diesen Gebieten auf dem oberen, jetzt zerstörten Teil der
Tempelmauer dargestellt waren. Umso auffallender ist, daß
die Städte des nördlichen Phoenikiens, Sidon, Berytos, Byblos
in dieser Zeit niemals erwähnt werden, auch nicht unter
') Syria III 1922 S. 108 und Taf. 22; danach bei Gressmann, Altor.
Bilder 91.
^) no. 14 und 19 der Liste, s. o. S. 432 Anm. Ob die weiteren in den
Listen LD. III 131a (vgl. W. M. Müller, Asien 191 ff.) und zum Teil auch
129 (vgl. W. M. Müller, Eg. Res. I 43) wirr zusammengeschriebenen
Namen noch einige geschichtlich verwertbare enthalten, ist nicht zu
entscheiden. In ihnen finden sich Qades, Qatna, Qumidi, ferner sogar
zweimal Tunip, Tachas und ein unbekanntes Pabech, sodann das in
den Listen oft genannte, nicht lokalisierbare Mennus, aber daneben
Sinear, Assur, Alasia u. a. Das auch sonst vorkommende Barga (z. B.
W. M. Müller, Res. II S. 96 u. 98) ist ein auch in dem Brieffragment
Am. 57, 3 erwähntes Gebiet südlich von Aleppo (Urkunde Mursils bei
Hrozn*. Bogh.-Stud. II 130 ff.; Friedrich, Alter Orient 24, 3 S. 19).
Sethos I. gegen die Amoriter und in Phoenikien 453
Ramses IL Daraus, daß dieser in seinem 4. Jahre und dann
noch dreimal an der Mündung des Hundsflusses (Nähr elKelb),
nördlich von Beirut, Stelen an der Felswand errichtet hat^),
hat man geschlossen, daß hier die von Sethos erreichte Grenze
gelegen habe. Aber es ist kaum denkbar, daß die alte Verbin-
dung dieser Handelsstädte mit Ägypten nicht längst wiederauf-
genommen sein sollte, und wenig wahrscheinlich, daß die Amo-
riter die von Aziru gewonnene Herrschaft über Byblos dauernd
behalten haben'). Allerdings gehörte diesen sicher ein be-
trächtlicher Teil der Libanonküste, und ihr Gebiet scheint
sich noch weiter nach Norden ausgedehnt zu haben; aber
die Straße durch das Eleutherostal ist in ägyptischem Besitz
gewesen.
Die Wiederaufnahme der Feldzüge nach Syrien hat die
schon unter Haremhab eingetretene Verlegung des tatsäch-
lichen Sitzes der Regierung nach Unterägypten vollends un-
vermeidlich gemacht. So wurde im äußersten Osten des Nil-
landes, nahe am Meere, in der Gegend der Hyksosstadt
Auaris und des späteren Pelusion, eine neue Residenzstadt
erbaut, die zugleich als starke Festung neben der Grenz-
sperre von Sile und den Brunnenstationen auf der Wüsten-
straße Ägypten gegen etwaige Invasionen der Beduinen deckte.
») LD. III 197 und Text V 890. Die Inschriften sind völlig ver-
wittert, so daß sich nicht sagen läßt, ob sie geschichtliche Angaben ent-
hielten. Durch das tiefeingeschnittene Flußtal scheint damals eine Straße
über den Libanon nach Coelesyrien geführt zu haben.
^) Daraus, daß sich im Grabe des Königs Achiram von Byblos
zwei Alabasterkanopen mit dem Namen Ramses' IL gefunden haben
(DussAUD, Syria V 1924, 135 ff.), folgt keineswegs, daß er in diese Zeit
gehört oder gar, daß er ägyptischer Vasall gewesen ist (dagegen mit
Recht Spiegelbero, Or. Lit. Z. 1926, 73.5 und Lidzbarski, ebenda 1927,
4-53). Er wird beträchtlich jünger sein; seine Grabschrift, bisher das
älteste Denkmal des phoenikischen Alphabets, ist schwerlich mehr als
1 — 2 Jahrhunderte älter als die Inschrift des Mesa' (um 8-50). — Arados
wird in dieser Zeit weder in den ägyptischen noch in den chetitischen
Texten jemals erwähnt; diese Inselburg wird völlig unabhängig ge-
wesen sein.
454 I^- Die neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
Ramses IL hat während seiner ganzen Regierung die Ge-
schäfte des Reichs von hier aus geleitet und ihr den Namen
»Stadt des Ramses Miamun des Siegreichen" gegeben^). Sie
bestand aber schon bei seinem Regierungsantritt; denn als-
bald nach dem Tode seines Vaters ist er nach Theben ge-
zogen, das natürlich seine offizielle Rangstellung, ebenso wie
Memphis, weiter behielt, um hier in Luxor das große Amons-
fest im Monat Paophi zu feiern, und ist dann von hier aus
stromabwärts nach der Ramsesstadt gefahren^). Ihre Erbau-
ung hat also schon unter Sethos begonnen, Ramses hat sie
dann vollendet und ihr den Namen gegeben, den sie dauernd
behalten hat^).
') Die Frnge nach der Lage der Ramsesstadt ist von Gardiner
in der alles Material sorgfältig bearbeitenden Abhandlung The Delta
residence of the Raraessides, J. Eg. Areh. V 1918, definitiv geklärt. Zu-
gleich hat er die Annahme von Peirie, Hyksos and Israelits Cities
cp. 5, der die Ramsesstadt in den Ruinen von Teil er-Retabe im west-
lichen Teil des Wadi Tümilät (mit Resten von Inschriften und Reliefs
Ramses' II, vgl. u. S. 487) gefunden zu haben glaubte, als unbegründet
erwiesen.
") Inschrift von Abydos (Mariette, Abydos I 6, 29; Breasted, Rec. III
261). Auf der Rückreise landet er in Abydos, s. u. S. 455. Wenn diese
Inschrift auch erst später aufgezeichnet ist, liegt doch kein Grund vor,
die Geschichtlichkeit der Angabe zu bezweifeln. Sie wird bestätigt durch
die Inschrift des Nebwenenf, Sethe, ÄZ. 44, 30 ff., den Ramses bei diesem
Aufenthalt in Abydos am 1./3. J. 1 auf Grund einer von Amen selbst
getroffenen Wahl zu dessen Hohenpriester in Theben einsetzte. Über
das Datum des Paophifestes vom 23./2. J. 1 s. Sethe S. 35 Anra. 1.
=*) Sethk, ÄZ. 62, 113, folgert daraus, daß in dem Gedicht über
die Ramsesstadt Pap. Anast. II 1 = IV 6 der Thronname des Ramses in
der Kurzform Usimare' geschrieben ist, die inschriftlich nur in seinen
ersten Monaten vorkommt, das Gedicht müsse aus dieser Zeit stammen.
Das scheint mir nach dem Inhalt unmöglich; und es ist zu beachten,
daß die Schreiber dieser Handschriften daneben teils den Kurznamen
Sessu, teils einfach den Thronnamen des zu ihrer Zeit regierenden
Pharao Merneptah einsetzen. — Bekanntlich hat der Elohist Exod. 1, 11
(danach Gen. 47, 11 c und in den Itineraren), der einige Kenntnis Ägyptens
besitzt, die Erbauung der „Vorratsstädte" Pitom (im Wadi Tümilät,
s. u. S.487 f.) und Ramses zur Ausmalung der israelitischen Fronarbeiten
verwendet.
Die Ramsesstadt. Ramses IL . 455
Ramses II. und der große Chetiterkrieg
Das höchste von Sethos erhaltene Datum ist sein 9. Jahr.
Viel länger kann er nicht regiert haben; denn von den
großen Bauten, die er begonnen hat, ist keiner unter ihm
fertig geworden, weder der Süulensaal in Karnak, noch der
große Tempel von Abydos, noch sein Totentempel in Theben
(Qurna). Auch zeigt seine wohlerhaltene Mumie, daß er im
kräftigsten Mannesalter gestorben ist^).
Sein junger Sohn Ramses IL hat sich dieser Bauten sofort
tatkräftig angenommen, um so seinem Vater ein seliges Fort-
leben im Reiche des Osiris und in seinen mit reichem Kultus
ausgestatteten Statuen in den Tempeln von Theben, Mem-
phis, Abydos und damit zugleich sich selbst seinen Segen aus
der Götterwelt zu sichern. Eine große Inschrift in Abydos
erzählt, wie er alsbald nach der Thronbesteigung auf der
Rückfahrt aus Theben in Abydos landet, den mitten im Bau
stehenden, jetzt vom Verfall bedrohten Zustand des Osiris-
tempels und auch die völlig verfallenen Gräber der alten
Könige-) besichtigt und die Vollendung des Baus anordnet.
In seiner Rede an die Magnaten erzählt er, wie er, der Sproß
des Re* und Sohn des Sethos, von diesem als ältester Sohn
und Thronerbe proklamiert, mit der Krone geschmückt und
mit einem Harem ausgestattet sei; so sei er schon im Ei
und auf den Armen seines Vaters der eigentliche, von den
Göttern eingesetzte Regent des Landes gewesen. In einem
gleichartigen Text sagen die Masrnaten. als Knabe von zehn
') Gegen Breasted's Angabe, Rec. III 181, der Statthalter Setau
von Kus aus der Zeit Ramses' IL komme schon im 2. Jahr Sethos' I.
vor (nach Spiegelberg) s. Reisner, The viceroys of Ethioi^ia, .). Eg. Arch. VI
44; er gehört lediglich in die spätere Zeit Ramses' IL
2) Einen Ersatz für diese bildet die Königstafel im Tempel, auf der
Sethos, von seinem Sohn in Priestertracht begleitet, allen als legitim
anerkannten Königen die Totenopfer bringt. Auch diese Tafel wird
von Ramses aufgestellt sein; er hat sie dann in seinem eigenen Tempel
in Abydos wiederholt.
456 IX- I'iö neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
Jahren sei er bereits das Oberhaupt der Armee gewesen^).
Das alles sind die altüberlieferten Wendungen des offiziellen
Stils, denen die langen Antworten der Hofbeamten entspre-
chen, die ihrer Bewunderung Ausdruck geben für den hoch-
herzigen Entschluß des Königs, der alle seine Vorgänger in
jeder Beziehung weitaus übertreffe. Es war eine Verkennung
des wahren Charakters solcher Kundgebungen, wenn man
sie für geschichtliche Wahrheit genommen und nicht selten
ernsthaft geglaubt hat, Ramses sei wirklich der Mitregent
seines Vaters oder gar unter ihm schon der eigentliche Herr-
scher gewesen. Aber eben so verkehrt ist es, daran zu zwei-
feln, daß er der anerkannte Thronfolger war^), und daß er
von einem warmen Pietätsgefühl für seinen Vater beseelt ge-
wesen ist. Da er 67 Jahre regiert hat, kann er bei der Thron-
^) Inschrift von Abydos, Breasted, Rec. III 251 ff. ; Gauthier, ÄZ. 48,
52 ff., und Stele von Kubban, Breasted III 282 ff.
äj Breasted (ÄZ. 87, 130 ff.; danach Rec. ÜI 123 ff.) bat erwiesen,
daß die Gestalt eines „ältesten Königssohns", der in den Reliefs des
Libyerkriegs zweimal hinter Sethos steht — und zwar hinter dem Tri-
umphzug, erst nach rechts, dann nach links gewandt, mit dem Namen
Ramses, hinter der Erschlagung des Häuptlings nur mit Titel, ohne
Namen — , nachträglich über eine ursprünglich dastehende Inschrift ge-
setzt und dann wieder getilgt ist. Er folgert daraus, daß Ramses nicht
der Thronerbe gewesen sei, daß er aber seinen Bruder beseitigt, darauf
dessen Bild und Namen getilgt und in dem einen Falle durch den
eigenen ersetzt habe. Damit scheint mir aus diesen Korrekturen (wie
deren ja in den Reliefs, z. B. bei Ramses IL, viele vorkommen) viel
zu viel gefolgert. Vielmehr wird Ramses, der seinen Vater als Knabe
im Libyerkrieg begleitet haben wird, den Wunsch gehabt haben, sich
dabei anbringen zu lassen, und der Künstler hat dazu verschiedene Ver-
suche gemacht, sie aber wieder getilgt, weil, wie der Augenschein lehrt,
der Raum nicht reichte (sie werden mit Stuck überdeckt worden sein).
Ebenso ist, wie Breasted gleichfalls erkannt hat, ein Prinz, gewiß
Ramses, im Amoriterkrieg in die Fortführung der Gefangenen ein-
gesetzt (Fremdvölkerphot. 280) und hier stehn gelassen, weil Raum ge-
nug war. Ein anderer Prinz, von dessen Namen nur geringe Reste er-
halten sind (er heißt aber nicht „ältester Sohn"), folgt dem König im
Triumphzug über die Sos (Fremdvölkerphot. 196 und 322; die Wieder-
gabe bei Breasted Fig. 5, nach Rosellini, ist ganz ungenau).
Ramses 11. Seekampf gegen die Serdana 457
besteigung höchstens einige zwanzig Jahre alt gewesen sein^).
In ihm lebte der Geist seines Vaters, und er war entschlossen,
dessen Werk im Innern wie nach außen zu erhalten und fort-
zuführen.
Gleich in den Anfang seiner Regierung müssen nicht
nur, wie so oft nach einem Thronwechsel, die üblichen
Kämpfe mit Negern von Kus und mit libyschen Stämmen
fallen^), sondern auch ein Raubzug des Seevolks der Ser-
dana gegen Ägypten, der von der ägyptischen Flotte besiegt
wurde. Denn eine Felsinschrift in Assuan vom 26./ 11. seines
2. Jahres rühmt nicht nur seine Siege über Asiaten, Libyer
(Zehenu) und Nubier — das würde an sich kaum mehr be-
deuten, als daß „Sinear und Chatti, sich vor seinem Ruhm
beugend, zu ihm kommen" ; zugrunde liegen wird die übliche
Gesandtschaft nach dem Thronwechsel, welche die mit dem
Vorgänger bestehenden Beziehungen erneuerte — , sondern
auch, „daß er die Krieger des großen Meeres des Nordlandes
bezwingt (fch), während sie im Schlaf liegen"^). So erklärt
sich, daß die Serdana, die in seinen Feldzügen als eine beson-
dere Gardetruppe erscheinen, charakterisiert durch ihre Waffen
— Lanze und langes mykenisches Dolchmesser, Rundschild,
Helme mit halbmondförmigem Aufsatz — und durch die
ganz eigenartigen Züge ihrer bartlosen Gesichter, als „Ge-
fangene aus den Siegen des Königs" bezeichnet werden^); die
*) In den Bildern der Schlacht bei Qades erscheinen bereits mehrere
seiner Söhne (ebenso in Bet el Wali). Mitgenommen hat er sie und ihre
Mutter sicher, da sie fliehend dargestellt sind. Aber auch wenn er
über 90 Jahre alt geworden sein sollte, können sie damals nur Knaben
im Älter von höchstens 10 Jahren gewesen sein.
*) Siege über Neger sind (neben ihren Tributen) in den nubischen
Tempeln von Bet el Wali (wo Ramses dem niedergeworfenen Häuptling
mit dem Sichelschwert den Kopf abschlägt, während ihn gleichzeitig
eine nach der syrischen Göttin 'Anat benannte Hündin anfällt), Derr
und Abusimbel dargestellt, die Erschlagung eines libyschen Häuptlings
in Abusimbel und Bet el Wali.
») LD. III 175 g; DE Rouge, Inscr. hier. 253; Breasted, Rec. III 479.
■*) In dem Gedicht über die Schlacht bei Qades; ebenso in der
458 I'^- ^i^ neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
gefangenen Piraten aus dem schon früher im ägyptischen
Solddienst bewährten Stamme sind also in diese Truppe ein-
gereiht worden. Eine weitere Bestätigung geben Bruchstücke
einer Inschrift aus Tanis, die von den „widerspenstig ge-
sinnten" Serdana und von Kriegsschiffen auf dem Meere
reden; das wird sich auf diese Kämpfe beziehn^). Sie mögen
wüe später so auch damals schon mit den Libyern in Verbin-
dung getreten sein.
Man kann vermuten, daß der „erste Kriegszug" des
Königs, über den wir nichts weiter erfahren — der große
Chetiterkrieg des Jahres 5 ist der „zweite" — , einer dieser
Kämpfe, vielleicht der gegen die Libyer, gewesen ist; denn
die herkömmliche Annahme, daß die Errichtung einer Tafel
am Nähr el Kelb im Jahre 4 (o. S. 453) aus einem Feldzug
nach Phoenikien stamme, ist ganz unsicher, da der Text dieser
Inschrift völlig zerstört ist; sie beweist nur, daß der König
damals, wie auch später oft, in Phoenikien gewesen ist und
dort die Verhältnisse geordnet haben wird.
Ob Sethos beabsichtigt hat, den Krieg gegen die Che-
titer weiter fortzusetzen und auch Naharain (Nordsyrien)
wieder zu unterwerfen, läßt sich nicht sagen. Jedenfalls hat
Muwattal sich zunächst passiv verhalten ; die in der Inschrift
von Assuan erwähnte Gesandtschaft mag Verhandlungen über
ein friedliches Abkommen versucht haben. Auf die Dauer
jedoch konnte das Chetiterreich dem Vordringen der Ägypter
in Syrien nicht untätig zusehn; vor allem den Abfall der
Amoriter, die es seit zwei Generationen als rechtlich zu
seinem Machtbereich gehörig betrachtete, durfte es nicht
ungestraft lassen. So hat König Muwattal sich endlich zu
einem energischen Gegenschlag entschlossen. Durch umfas-
sende Werbungen, für die er, wie der ägyptische Bericht
es darstellt, alle Geldmittel des Reichs zusammenraffte und
Schilderung der Ramsesfeste Pap. Anast. II 5, 2 u. 8 verso, 1 (Erman
Lit. 340).
') Petrie, Tanis II 78; de Rouge, Inscr. hier. 70, 13 ff.; Breasted,
Rec. III 491.
Ausbruch des großen Chetiterkriegs 459
erschöpfte, brachte er eine große Armee zusammen. Alle
oben S. 443 aufgezählten Gebiete des chetitischen Macht-
bereichs lieferten Fußtruppen (Lanzenträger und Schützen)
und Streitwagen, sowohl die Landschaften Kleinasiens wie
die von Nordsyrien (Naharain) bis nach Qades (Kinza) hin,
das im Gegensatz zu den Amoritern jetzt jedenfalls wie-
der auf chetitischer Seite stand; an der Spitze ihrer Kon-
tingente zogen die Vasallenfürsten selbst mit ins Feld, dar-
unter auch Muwattals Bruder Chattusil, der Regent des „Ober-
landes"^). Ein anschauliches Bild dieser Volksmassen gibt
das große Schlachtenbild, das Ramses IL, mit Variationen
in den Einzelheiten, an allen großen Tempelbauten hat dar-
stellen lassen^). Neben den beiden Typen der Chetiter er-
scheinen bärtige Semiten mit Haarschopf und andere, die
das Haupthaar abrasiert oder ganz kurz geschnitten haben ^).
') Zwei andere Brüder. Sapasar und Masarma, nennen die ägypti-
schen Darstellungen unter den Flüchtigen und Gefallenen; ferner außer
Obersten der Fußtruppen (üihir) und der Garde (smsu) des Chetiter-
königs, einem Leibwächter (qfu), seinem Sekretär, mehreren Wagen-
lenkern auch den Fürsten von Aleppo und mehrere „Obersten der
Schützen" von einzelnen sonst unbekannten Landschaften (geschrieben
Qbsu, Tanis, 'nnas, mit Varianten), die wohl in Kleinasien zu suchen sind.
^) Mehr oder weniger vollständig erhalten sind sie auf den Py-
lonen von Luxor, in Abusimbel, zweimal im Ramesseum, der untere
Teil in Abydos, und ebenso nochmals an der Außenwand von Luxor.
Jetzt liegen sie für Abusimbel in von Breasted autgenommenen Photo-
graphien, für die übrigen Tempel in denen der Fremdvölkerexpedition
Bürchardt's in vortrefllichen Aufnahmen vollständig vor. Vorher waren
sie bei Champollion, Roselmni, Lepsius nur teilweise veröffentlicht; da-
nach hat ßuF.ASTED in seiner grundlegenden Arbeit The battle of Kadesh
(Decennial Publications, Chicago 1903) in sehr dankenswerter Weise die
Gesamtbilder (mit Ausnahme des von Mariette ausgegrabenen, aber
nicht publizierten Abydos) zusammengestellt. In Einzelheiten können
seine Zeichnungen jetzt mehrfach berichtigt und ergänzt werden; eine
umfassende archäologische Bearbeitung ist ein dringendes Bedürfnis.
^) Fremdvölkerphot. 329 (o. S. 448, 2) steht über einer von einem
Prinzen eingeführten Gruppe von Semiten und Chetitern „Marjanni von
Naharain" ; der alte Name des Kriegeradels (auch pap. Anast. I 23, 2
und 28. 1 auf den verhöhnten Gegner, den Mahir, angewendet) wird also
460 IX. Die neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
Daneben sind die durch Gesichtsbildung und Tracht scharf
charakterisierten Beduinen (Sos) zahlreich vertreten; oflfen-
bar sind sie in Massen zum Heere geströmt, auch aus dem
ägyptischen Machtbereich: da tritt die alte Verbindung der
gegen die Kulturländer vordringenden semitischen Nomaden,
der Chabiri, mit den Chetitern noch einmal deutlich hervor,
die zu der Aramaisierung Nordsyriens und Mesopotamiens
geführt hat^).
In diesen Gemälden besteht das Gros der chetitischen
Infanterie in der Schlacht bei Qades, das beim König vor
der Stadt steht, aus zwei Abteilungen von je 8000 und
9000 Mann 2). Dazu kommen vielleicht noch einige weitere
noch gebraucht, aber ihr von Haremhab so lebendig wiedergegebener
„europaeischer" Typus kommt jetzt nicht mehr vor.
^) Am deutlichsten ist die Darstellung in Luxor, Fremdvölker-
phot. 424. 425, danach auf Taf.V, wo vor der Mauer von Qades zwölf Re-
präsentanten der verschiedenen Völkerschaften stehn (früher ganz un-
zulänglich bei RosELLiNi, Mon. stör. 104, was W. M. Müller, Asien 361,
zu unhaltbaren Deutungen verführt hat; in Abusimbel und am Rames-
seum ist das Bild ganz flüchtig ausgeführt, die große Gruppe meist
weggelassen). Ein Chetiter ist nur no. 9; no. 2. 5. 8. 11 sind Semiten
mit Haarschopf; no. 3. 6. 10 mit kahlem Schädel; no. 1. 4. 7. 12 sind
Beduinen, und zwar 1 und 7 mit Turban, 4 mit Mütze. 12 mit einem
struppigen Haarbüschel auf der Mütze. Alle drei Trachten kehren bei
den Sos Sethos' I. in Karnak vielfach wieder. Wie diese sind sie auch
in Luxor durch Spitzbart, rasierten Kopf und kurzes, eng anliegendes
Wams charakterisiert. Die übrigen Gestalten tragen den langen Mantel
der Chetiter und Semiten. Alle haben eine Lanze, sechs einen kurzen
Dolch; zwei Beduinen und ein kahlköpfiger Semit tragen den chetitischen
Amazonenschild. Dieselben Gestalten stehn auch auf den Zinnen der
beiden Mauern und ebenso in der von Ramses erstürmten Festung in
Qedi (Fremdvölkerphot. 39.5. Wreszinski 72).
-) So in Abusimbel (Breasted's Phot. 164. 166), wo bei der einen
Gruppe des Fußvolks ^[tuhir] des Kampfes des Chetiterfürsten ... die vor
ihm stehn, 8000", bei der anderen , andere iuhir des Kampfes, die hinter
ihm stehn, 9000 Mann" steht. Im Ramesseum (Fremdvölkerphot. 585)
findet sich nur die erste Beischrift: ^tilhir, die vor ihm stehn, 8000".
In Luxor (Phot. 414—417) folgt dem nach links fliehenden König, der
sich erschreckt umwendet, eine Schar mit der Beischrift Juhir der
Garde (qr'uj, die dem Chetiterkönig folgen (seine Leibwache bilden)";
Bestand des chetitischen Heeres 461
chetitische Truppen und vor allem das Fußvolk der Hilfs-
völker. Die Zahl der Streitwagen aus Chetifcern und Bundesge-
nossen, die Ramses angreifen, schätzt die ägyptische Schlacht-
schilderung auf 2500, zu denen nachher, wie es scheint, noch
weitere 1000 kommen. Das ergibt, wenn die Zahlen an-
nähernd richtig sind, da jeder Wagen mit drei Mann besetzt
ist, 10 500 Mann. Die Zahlen der Fußtruppen sind keineswegs
übertrieben, wie etwa bei den Angaben der Griechen über
die Heere der Perser, sondern werden ganz zutreffend sein;
der Gesamtbestand des Heeres wird sich somit, auch wenn
wir die Zahl der Streitwagen reduzieren, abgesehn vom Troß
auf etwa 25 — 30 000 Mann belaufen haben, eine sehr ansehn-
liche Heeresmacht, wie sie der Orient auch in weit späteren
Zeiten infolge der Entfernungen und der Schwierigkeiten der
Verpflegung immer nur mit großer Anstrengung hat auf-
bringen und längere Zeit im Felde halten können.
Auch das Heer, mit dem Kamses im Frühjahr seines
5. Jahres (am 9./10., d. i. etwa am 17. April 1294) von der
ägyptischen Grenzfestung Sile aus den Feinden entgegen-
zog, wird ungefähr ebenso stark gewesen sein^). Es war in
die andere Abteilung ist noch nach rechts gegen den Feind gewandt,
mit der Beischrift: „iuhir, die hinter ihm standen, 9000 Mann". In
Abydos (Phot. 94—97) steht der sich abwendende König richtig in der
Mitte der beiden Abteilungen; rechts von ihm, gegen den Feind ge-
wandt: „9000 [iuhir der] Garde (qr'u) des Chetiterkönigs", nach links,
vor ihm „[Uihir] des Chetiterkönigs, sehr zahlreich an Mannen und
Gespannen", und weiterhin inmitten der Scharen des Fußvolks Juhir
der zupirez (determiniert mit dem Wagen, offenbar ein chetitisches
Wort) des Lagers des Chetiterkönigs".
') Für die Schlacht bei Qades haben wir aus Ägypten drei Quellen:
1. Eine poetische Darstellung, erhalten im pap. Sallier III (nebst
pap. Eaifet; über das Datum am Schluß des Papyrus, das früher fälschlich
auf die Abfassungszeit des Gedichts bezogen wurde, auch von Erman,
Lit. 326, siehe jetzt Erman, Die äg. Schülerhandschriften, Abb. Berl.
Akad. 192.5 S. 11 f.) und hieroglyphisch in Luxor, Karnak, Abydos. Über-
setzung bei Erman, Literatur 325 ff.
2. Einen nüchtern gehaltenen prosaischen Bericht in Luxor, Rames-
seum, Abusimbel.
462 IX. Die neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreicli
vier nach Amon, Rö', Ptalj und Seth benannte Legionen oder
Divisionen gegliedert, deren jede außer einem Regiment In-
fanterie, bewajffnet mit Lanzen und Streitäxten oder Sicheln,
sowie mit großen Schilden, eine Abteilung der Streitwagen
umfaßte; dazu kam das Korps der Serdana, während andere
Fremdtruppen nicht herangezogen wurden. Ramses rückte
an der Küste Phoenikiens (Zahi) vor und sonderte hier eine
Elitetruppe als Vorhut ab, die an der Küste des Amoriter-
landes entlang ziehn und durch das Eleutherostal zu ihm stoßen
sollte; nachher werden sie mit semitischen Namen als na-
'aruna, „junge Mannschaft", bezeichnet^). Mit dem Hauptteil
der Armee zog er selbst über den Libanon, wahrscheinlich im
Tal des Nähr el Kelb^), nach Coelesyrien. Am 9./11. (16. Mai)
3. Die Reliefs, mit kurzen Beischriften, s. S. 459, 2. Während die
beiden Texte sich fast ganz auf die Verherrlichung der persönlichen
Leistung des Königs beschränken, geben diese Bilder zahlreiche weitere
sehr wichtige Vorgänge, die dort übergangen werden, und im ganzen
ein sehr reichhaltiges und anschauliches, sachlich durchaus richtiges
Bild des Hergangs. Vortrefflich behandelt ist das gesamte Material von
Breasted, The battle of Kadesh (vgl. o. S. 459, 2). und danach in seinen
Records III. Einzelne Ergänzungen und Berichtigungen lassen sich
noch vor allem aus den Billern gewinnen.
') Vgl. S. 430. Den Zusammenhang des Berichts im Gedicht ZI. 12 ff.
hat nur Erman in seiner Übersetzung richtig erkannt: an die Angabe
über die Stellung der vier Legionen im Orontestal schließt unmittelbar
die über die „aus allen Offizieren seines Heeres (d. i. aus deren Regi-
mentern)" gebildete Vorhut, die an der Amoriterküste stand. Dadurch
wird ihre Identität mit den während der Schlacht aus dem Amoriter-
lande eintreffenden Na'aruna evident. — Im pap. Anast. I 27, 1 wird
der Miihir ironisch als „Führer der Na'aruna (D''~irj)) Erster des Saba
(SSi*)" angeredet.
^) Dabei berührte er eine nach seinem Namen benannte Stadt
„[im Lande] der Zedern", offenbar eine Festung im Libanon, vermutlich
identisch mit der hier von Thutmosis angelegten oben S. 125 und mit
der im pap. Anast. III verso 5, 4 (Breasted, Rec. 634) erwähnten „Stadt
des Merneptah im Gebiet von Amuru (verschrieben in Arm)"; denn in
der Regel werden diese Königsstädte jederzeit nach dem regierenden
Pharao benannt. [Gardiner's Deutung der im Epus nur lückenhaft er-
haltenen Stelle auf die Ramsesstadt in Ägypten, J. Eg. Arch. V 180,
kann ich nicht für richtig halten.]
Die Schlacht bei Qades 463
erreichte er die letzten Vorhöhen im Orontestal, 35 Kilometer
südlich von Qades ^). Seine Annahme, der Feind stehe noch
in weiter Ferne in Nordsyrien, erhielt hier scheinbar eine
Bestätigung durch zwei beduinische Überläufer, die meldeten,
der Chetiterkönig sitze voll Angst im Norden von Tunip im
Gebiet von Aleppo, und ihre Stämme wollen ihn verlassen
und zum Pharao übertreten. Auf diese Kunde überschritt er
bei Sabtuna, dem späteren und heutigen Ribla, den Orontes,
rückte mit der Legion des Amon rasch auf Qades vor, und
schlug sein Lager im Nordwesten der Stadt auf; die drei
anderen Legionen sollten in Marschordnung folgen. Aber in
Wirklichkeit stand Muwattal mit seinem Heer in Schlacht-
ordnung, verdeckt durch die Mauern der Festung, hinter
Qades, und die angeblichen Überläufer waren von ihm ent-
sandt worden, um die Ägypter in die Falle zu locken. Erst
im letzten Moment erhielt Ramses durch zwei aufgefangene
chetitische Spione Kunde von der Lage, in der er sich be-
fand; das Schlachtengemälde zeigt, wie diese durch Schläge
zur Aussage gezwungen werden, während der Pharao, im
Lager auf goldenem Throne sitzend und von seiner Leib-
wache umgeben, seinen Offizieren und Beamten Vorwürfe
wegen der mangelhaften Aufklärung macht und in höchster
Eile seinen Vezir nebst einem berittenen Adjutanten entsendet,
um die übrigen Legionen heranzuholen. Aber die chetitischen
und semitischen Streitwagen hatten bereits oberhalb von Qades
den Fluß überschritten und die ahnungslose Legion des Re
auf dem Marsche überfallen und zersprengt; sie setzten hinter
') Die topographischen Fragen und die Lage von Qades (jetzt
Teil Nebi Mindu) hat Breasted definitiv geklärt und dabei auch die
von KoLDEWEY in den Ausgrabungen von Sendschirli 11 179 gegebene
Planskizze herangezogen. Es liegt auf einem Hügel zwischen dem
Orontes im Osten, der sich hier seenartig verbreitert, und dem in ihn
mündenden Bach 'Ain et Tennür; im Süden ist von diesem ein noch
jetzt erkennbarer Festungsgraben zum Orontes gezogen. Die ägypti-
schen Zeichnungen stellen die Festung (auf der, wie auch auf anderen
Städten Syriens, eine riesige Fahne weht) daher mit Recht als rings
vom Wasser umgeben dar.
464 IX. Die neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
den Flüchtlingen her, durchbrachen den Schildwall, der das
Lager der Amonslegion umschloß, und drangen verheerend
hinein. Der Schlachtplan Muwattals schien vollständig ge-
glückt, Ramses und sein Heer rettungslos dem Untergang
geweiht. Die Königssöhne und ihre Mutter wurden in schleu-
niger Flucht gerettet, eine Panik ergriff das Heer. Aber
Ramses verzagte nicht; mit raschem Entschluß warf er sich
auf dem Streitwagen dem Feinde entgegen, im Vertrauen
auf seinen Vater Amon, der ihn in der Not nicht im Stich
lassen dürfe — in der poetischen Schilderung der Schlacht
erzählt er selbst, wie Amon ihm, als er in der Schlacht ganz
allein stand, zu Hilfe eilte und seine Hand ergriff. Es ge-
lang ihm, seine Truppen zu sammeln und ihnen Mut einzu-
flößen. Mit Recht kann er sich rühmen, daß er, und zwar er
allein, die Entscheidung erfochten habe, wenn es auch eine
gewaltige Übertreibung ist, daß er ganz allein 2500 Wagen
der Feinde, die ihn umzingelt hatten, in die Flucht gejagt
habe. Hier treten die Gemälde ergänzend und berichtigend
ein: sie stellen ihn zwar auch, in üblicher Weise, in riesiger
Gestalt dar, wie er vom Wagen aus seine tödlichen Pfeile
in die Massen sendet; aber daneben zeigen sie, wie die ägyp-
tischen Soldaten und die Serdaua die ins Lager eingedrun-
genen Feinde niederstoßen und die Streitwagen sich in langen
Reihen den feindlichen entgegeuwerfen. Daß das möglich
war, beweist, daß eine stramme Disziplin und wirklicher
militärischer Geist in der ägyptischen Armee lebte, offenbar
in weit höherem Maße als in der chetitischen — eben darum
hat diese die offene Feldschlacht vermieden und zur Kriegs-
list gegriffen. Die Entscheidung ist dann offenbar dadurch
herbeigeführt, daß, was alle Gemälde ausführlich darstellen,
während die beiden Berichte es übergehn, gerade im rich-
tigen Moment das Elitekorps der Na'aruna, Fußvolk und
Wagen, von der Amoriterküste her eintraf; das unerwartete
Eingreifen dieses neuen Gegners wird die Wendung herbei-
geführt haben. Schließlich haben dann der Vezir und der
Adjutant auch die Legion des Pta^i im Eilmarsch herange-
Die Schlacht bei Qades 465
führt ^); doch müssen bis dahin ein paar Stunden vergangen
sein. Jedenfalls gelang es, die Feinde aus dem Lager hin-
auszuwerfen und in die Flucht zu schlagen. Der Chetiter-
könig, der inmitten seines Fußvolks vor Qades den Her-
gang überschaute, wagte nicht, dies in die Schlacht zu
werfen ; aber er entsandte noch einmal ein mächtiges Ge-
schwader von Streitwagen, „die Fürsten von Arzawa, Masa,
Arawanna, der Lukka und der Dardani, die von Karkamis,
Karkisa, Aleppo, die Brüder der Chattifürsten, alle zusam-
men 1000 Gespanne, die sich geradeswegs auf das Feuer
(den Pharao) stürzten". Ramses erzählt, daß da auch sein
Wagenlenker Menes, der tapfer an seiner Seite ausgehalten
hatte'-), den Mut verlor und zur Flucht riet. Aber er harrte
aus; in sechsmaligem Ansturm habe er sich auf die Feinde
geworfen, bis sie schließlich die Flucht ergriffen. Von den
nachsetzenden Ägyptern wurden sie in den Orontes geworfen;
viele der hohen Offiziere und Beamten sowie zwei Brüder des
Chetiterkönigs fanden dabei den Tod, andere, wie der Fürst
von Alejipo, wurden von den am jenseitigen Ufer gelähmt
stehenden Mannschaften herausgezogen und gerettet. Das
Schlachtgemälde schließt ab mit der Vorführung der Gefan-
genen und der Aufhäufung und Zählung der den Gefallenen
nach ständigem Brauch als Trophäen abgeschlagenen Hände.
Nach der poetischen Erzählung hat Ramses am nächsten
Tage die Schlacht mit »-leichem Erfolgte fortojesetzt, bis der
') In Luxor am Ostturme links oben (Phot. 426 und 408) ist nur
das Eintreffen des Vezirs, an der Außenmauer (Phot. 367 ff.) das des
Vezirs zu Wagen und des berittenen Adjutanten bei der Legion des
Ptah dargestellt, in Abusimbel rechts oben sind beide Szenen unter-
einander gestellt. Sie rufen den Truppen zu: , Vorwärts! Pharao euer
Herr steht allein" oder „unter dem Feinde!" An der Außenmauer von
Luxor treffen ihnen gegenüber von der anderen Seite her die Na'aruna
ein, während in den anderen Darstellungen beide Szenen weit von-
einander getrennt sind.
') Außer ihm und den Dienern seines Haushalts rühmt er be-
sonders die beiden großen Rosse seines Wagens, die daher fortan ständig
in seinem Palaste vor seinen Augen gefüttert werden sollen.
Meyer, Geschichte des AltertuiiiS. II*. 30
466 I^- I'iö neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
Chetiterkönig verzweifelt den Widerstand aufgab und in einem
demütigen Brief um Frieden bat. Unter Zustimmung seines
Heeres gewährt Ramses großmütig die Bitte und kehrt mit
seinem Heere nach siegreich erstrittenem Frieden heim in
die Stadt seines Namens, die er sich als Residenz an der Ost-
grenze Ägyptens gegründet hatte.
So enthusiastisch diese Schilderung gehalten ist, so läßt
sich doch auch aus ihr der wirkliche Hergang in den Grund-
zügen erkennen. Ramses hat durch sein persönliches Ein-
greifen die drohende Katastrophe in einen glänzenden Sieg
verwandelt, auf den er mit Recht stolz sein durfte. Die Wir-
kung der Niederlage der chetitischen und syrischen Streit-
wagen läßt sich mit der der persischen Flotte bei Salamis
vergleichen : der große Heerzug gegen Ägypten war geschei-
tert und ein zweites Mal hat das Reich eine derartige Armee
so wenig wieder aufbringen können, wie die Perser gegen
Griechenland. Chattusil gebt denn auch, wo er diesen Krieg
erwähnt, ganz kurz darüber hinweg; irgend etwas Rühmliches
■war davon nicht zu erzählen. Aber auch Ramses hat den Sieg
nicht weiter ausbeuten und weder Qades erobern, noch etwa
nach Nordsyrien ziehn können, schon weil es unmöglich war,
die große Armee länger im Felde zu ernähren; er mußte
sich begnügen, den Angriff abgewehrt zu haben, und kehrte
nach Ägypten heim. Ein vorübergehender Waffenstillstand
mag geschlossen sein, der den Chetitern den ungehinderten Ab-
zug gewährte; aber einen demütigenden Frieden zu schliel^en
hatten sie keinen Anla"\ vielmehr haben auch sie ihre An-
sprüche aufrecht erhalten. Der Kriegszustand zwischen bei-
den Reichen hat daher noch länger als ein Jahrzehnt fort-
bestanden.
Aus diesen Kriegsjahren hat Ramses zahlreiche Einzel-
kämpfe um Festungen an den Wänden seiner Tempelbauten
verewigt. Am Pylon des Ramesseums^) sind die im 8. Jahre
') LD. III 1.56 und Text III 127. W, M. Müller, Eg. Res. II 100 f,
Phot. 506—510. Daü bei Dapur und einigen anderen die Jahreszahl
Kämpfe in Palaestina und Phoenikien 467
seiner Regierung eroberten Festungen, ursprünglich insgesamt
achtzehn, in langen Reihen ganz gleichförmig schematisiert
abgebildet. Die Gefangenen, die von Königssöhnen aus ihnen
herausgeführt werden, sind durchweg Semiten mit ihrer ver-
schiedenen Bart- und Haartracht; nur einmal erscheint dazwi-
schen ein Chetiter^). Soweit ihre Namen erhalten und identi-
fizierbar sind, liegen sie fast alle in Palaestina, so Salem,
Merom, „die Festung auf dem Berge von ßet'anat Karpu".
Gleichartig, nur viel inhaltreicher ausgestaltet, sind die Dar-
stellungen an der Südwand des Säulensaals von Karnak");
hier sind fünfzehn Festungen abgebildet — meist sind in
den Einzelszenen zwei zusammengefaßt und übereinander ge-
stellt — , die der König teils zu Wagen, teils zu Fuß, mit Pfeil
und Bogen oder mit Schild und Lanze oder Sichelschwert
angreift und einnimmt. Unter ihnen finden sich Akko und ein
Uas (oder Quas)-Asru geschriebener Ort, also eine Stadt der
auch sonst nicht selten erwähnten Landschaft Äser in Ober-
galilaea im Hinterlande des südlichsten Phoenikiens, deren
Name später der eines israelitischer Stammes geworden ist ')•
Danach werden wir auch die übrigen, sonst nicht bekannten
fehlt, beiuht wohl nur darauf, daß bei ihnen der Name zuviel Raum
erforderte.
') 15ei der Einnahme von Kawir Reihe 4, ?.
*) W. M. MüLi EH, Eg. Res. II 1(»4 ff i>l. 86—39. Phot. 283—237.
Wbesz'Ns I, Atlas II 54— -56. Den Abschluli bildet die Abs hlachtung
der Feinde vor Araon und die staik beschädigte Völkerliste LI". III
144 (hier fälschlich auf die Nordwand vei setzt und daher >ethos I.
zuges( hrieben. vgl. Text 19], die Müllek, Res. I 46 und Taf. 60 ff.
eingehend behandelt hat. Darunter stand ui sprünglich eine Szene
aus der Schlacht bei Qades, siehe die Abbildung bei Bukasted, Battle of
Kadesh pl. 7.
') Erkannt von W. M. Müller, Asien 286 f, vgl. meine Israeliten
540. Die Lage wird be-lätigt durch die Ortsiis'.e pap. Gulenischef
(pap. hierat. de l'Eremitagei 4, 4 f., wo auf AsAalon, Aidod, Gaza
'«zV. d. i. Äser folgt. Auch hier ist ein seiiiiti>ches .s- d.irch s wie 1er-
gegebeii, ebenso wie immer in 'Ast-.irt. Auf ein Abenteuer des Fürsten
Qasaidi von A?er „als ihn die Hyäne in der Teiebinte fand", wird
pap. Anast. I 23, 6 angespielt.
468 I^- Die neunzehnte D^'nastie. Ägypten und das Chetiterreich
Ortschaften in Palaestina zu suchen haben. Mehrere dieser
und weiterer gleichartiger Kämpfe sind in anderen Bildern
in Luxor und Karnak ausführlicher dargestellt, so Askalon,
das bei der Erstürmung um Gnade fleht ^), die im Buschwald
des Hügellandes gelegene Festung Mutira^), die Burg Satuna,
hinter der ein Wald von Laubholz und Zedern liegt — also
wohl im Libanon — , in dem ein auf einem Baum Schutz
suchender Flüchtling von einem nachkletternden Bären ge-
packt wird^). Die Erstürmung einer anderen Feste zeigen die
Reste eines Bildes in Karnak^). Besonders eindrucksvoll ist
ein Bild in Luxor : eine von den Ägyptern zerstörte Festung,
deren Trümmer jetzt in schauerlicher, von keinem Lebe-
wesen betretener Einöde, inmitten wüsten Gestrüpps und
abgehauener Baumkronen daliegen — die Stämme wird man
als Bauholz mitgenommen haben, für die Aste hatte man
keine Verwertung '^).
Weiter nach Norden führt uns in der Liste des Rames-
seums „die Festung im Land Amuru Dapur". Auf ihre Be-
zwingung war Ramses besonders stolz, und so hat er sie in
einem großen Gemälde sowohl nochmals im Ramesseum wie
in Luxor darstellen lassen''). Danach lag sie, wie üblich,
auf einer steilen, befestigten Anhöhe, bei der aber diesmal
') Karnak LD. III 145 c. Phot. 239. Wreszinski Taf. 58.
2) Luxor phot. 384—6. Wreszinski Taf. 71. Auch in den Szenen
in Karnak phot. 234.
') Luxor phot. 374—383. Burchardt, ÄZ. 51, 196 ff. Der Künstler
hat die Feinde fälschlich als Libyer gezeichnet und dann nachträglich
wenigstens teilweise in Semiten korrigiert. P]r selbst hat Zedern nie
gesehn und stellt sie daher als schlanke gradlinige Stämme dar, wie
Flaggenmasten.
") LD. III 145 b. Phot. 238. Wreszinski Taf. 57.
5) Luxor Phot. 371—3. Wreszinski Taf. 65.
8) Ramesseum LD. III 166. Phot. 544—8. Luxor W. M. Müller,
Res. II pl. 45. Phot. 397—404. Den zugehörigen Text hat Sethe ÄZ.
44, 36 ff. richtig erklärt. Wreszinski Taf. 78 und 108. Auf dies Bild
geht auch die schematische Darstellung der Einnahme einer syrischen
Festung (mit darüber wehender Fahne) in Abusimbel bei Breasted, Rec. III
454 f. (Breasted's Phot. 130) zurück.
Ranises in Nordsyrien. Erstürmung von Dapur 469
kein Gewässer angegeben ist, und war besonders sorgfältig
gebaut, mit einer Vormauer und einer zweiten, höheren Ring-
mauer, beide aus Ziegeln regelmäßig geschichtet, mit Türmen
und Zinnen, über denen die innere Burg aufragt; auf dieser
weht, wie auf Qades, eine mächtige Fahne, durch die mehrere
lange Pfeile gesteckt sind. Ramses hat auch hier zunächst
die feindlichen Wagen und Fußvölker, auf dem Streitwagen
stehend, in die Flucht geschlagen; dann aber ist er herab-
gesprungen und rühmt sich, die Verteidiger der Festung zwei
Stunden lang mit seinen Pfeilen überschüttet zu haben, ehe
er daran dachte, einen Panzer anzulegen^); er schwört, daß die
Art, wie er im Bilde dargestellt ist, völlig wahrheitsgetreu
sei. Bei der Erstürmung haben, wie auch sonst vielfach,
seine Söhne eifrig mitgekämpft.
In dem zugehörigen Text wird die Lage von Dapur
genauer angegeben als „im Gebiet der Stadt Tunip im Lande
Naharain (Nordsyrien) ", mithin ganz im Norden des Amoriter-
landes, nördlich von Eleutheros; und zugleich heißt es eine
Chetiterstadt und die Verteidiger der Festung sind sämtlich
Chetiter, während die Kämpfer im Vorterrain wenigstens in
Luxor durchweg als Semiten gebildet sind'-'). Diese Angaben
in Verbindung mit den oben S. 451 erwähnten Urkunden aus
Boghazkiöi gestatten den Versuch, ein Gesamtbild des Verlaufs
wenigstens in den Grundzügen zu entwerfen. Li den auf die
Schlacht bei Qades folgenden Jahren hat Muwattal, während
Ramses in Ägypten blieb, die Amoriter wieder unterworfen,
') Dieser Schuppenpnnzer ist ebenso wie die Helmkappe den
Semiten entlehnt und führt daher auch den semitischen Namen zrjn,
hebr. pi-iD und jrViT (in den Geschenken Dusrattas an Amenophis III.
sariam und zariam Am. 22, 3, 37 ff.). Er verbreitet sich, wie manche
andere semitische Waffen, unter der 19. Dynastie allmählich bei den
äg. Offizieren (W. Wolf, Bewaffnung des äg. Heeres S. 96 f.)
^) Im Ramesseum sind sie dagegen auch Chetiter. — Analog ist
der Chetiter zwischen zwei Semiten in Kawir o. S. 467, 1 (erobert im J. 8),
einem Ort, der im Ramesseum unmittelbar vor Dapur steht (bei dem
unter den Gefangenen nur ein Semit erhalten ist); er wird wohl in der-
selben Gegend gelegen haben.
470 I-^- -^iö neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
den Bentesina gefangen weggeführt und dabei offenbar in
die Festung Dapur, die vielleicht erst er selbst ausgebaut hat,
eine chetitische Garnison gelegt, während das Aufgebot der
Amoriter in üblicher Weise zur Hilfeleistung verpflichtet war.
Im Zusammenhang damit wird der große Aufstand gegen die
ägyptische Herrschaft stehn, der jetzt ganz Palaestina ergreift.
Diesmal sind es nicht die Beduinen, wie in der Amarnazeit
und unter Sethos, sondern die von der seßhaften Bevölke-
rung bewohnten Festungen des Gebirgslandes und der Küste
von Askalon bis nach Akko; der Hauptteil der phoenikischen
Küste bis nach Beirut hinauf wird dagegen auch jetzt
bei Ägypten geblieben sein'). So mußte Ramses ähnlich wie
Thutmosis HI. nochmals von vorn beginnen. Im Jahre 8,
drei Jahre nach der Schlacht von Qades, muß Ramses eine
Festung nach der anderen bezwingen. In diesen Kämpfen
zeigt sich, welch gewaltige Stoßkraft, ganz wie die Schlacht-
gemälde es darstellen, in der ägyptischen Armee lag, wie
fest sie durch das persönliche Eingreifen des Königs zusam-
mengefügt und mit kriegerischem Geist erfüllt war''): die
Truppen, die vor der Stadt den Angreifern entgegentraten,
wurden von den Streitwagen überrannt, und dann stürmt das
Fußvolk, darunter die Prinzen und die Serdana, sich gegen
die Geschosse und Feldsteine von oben durch große Schilde
oder Schutzdächer deckend, die Abhänge hinauf und sucht die
Mauern mit Sturmleitern zu ersteigen, die Tore zu sprengen
und die Torbalken auszureißen, während die Verteidiger auf
den Zinnen mit einem Pfeilhagel überschüttet werden. Wesent-
lich mitgewirkt hat die Kleinheit all dieser Festungen; die
') Auf diesen Feldzügen wird Ramses die drei weiteren, gänzlich
verwitterten Stelen errichtet haben, die er am Hundsfluß neben die
vom Jahre 4 stellte, darunter eine im J. 10 (Lepsius, Text V 890).
^) Deutlich tritt hier ein Foitschritt gegen die Zeiten Thutmosis'III.
hervor, dem die Eroberung einer Stadt immer nur in einzelnen Fällen
gelingt. Es ist eine Entwicklung wie von den griechischen Kriegen
des 5. Jahrhunderts bis zur Zeit Alexanders, nur daß dort die Technik
in Aügriff und Verteidigung ganz anders entwickelt war.
Fortgang und Ergebnisse des Krieges 471
Besatzung fühlt, daß sie der Übermacht nicht gewachsen ist,
und so ist sie, wenn die Kräfte erschöpft sind, gezwungen, in
demütiger Ergebung die Rettung zu suchen.
Diese Kämpfe mögen sich jahrelang fortgesetzt haben,
manche der dargestellten Szenen beträchtlich später fallen
als das Jahr 8. Allmählich ist Ramses weiter vorgedrungen,
hat Dapur erstürmt und schließlich, noch weiter im Norden,
eine gleichartig gebaute Festung „im Lande Qedi im Gebiet
von Naharain" ')■ Unter den Verteidigern findet sich hier auch
ein Beduine; weitaus die meisten sind Chetiter; andere sind
gleichfalls bartlos, haben aber eine hohe gerade Stirn und
einen kurzen Haarschopf. Nach dem Fall der Festung werden
die Gefangenen in großen Massen von den Prinzen fortgeführt
als Tempelsklaven für Amon von Theben.
Damit hört unsere Kunde auf. Wir wissen nur, daß trotz
dieser Erfolge weder Nordsyrien und das Orontestal, noch
der Hauptteil des Amoriterlandes-) wieder unter die ägyp-
tische Herrschaft gekommen sind, während Palaestina und
das Libanongebiet dauernd behauptet wurden. Eine über
Südsyrien und Palaestina handelnde Schrift aus dieser Zeit
benennt Simyra nach Rarases'^) und bestätigt dadurch, daß
diese Festung zum ägyptischen Machtbereich gehörte. So
wird das Eleutherostal dauernd die Grenze der ägyptischen
Macht gebildet haben.
Wirren im Chetiterreich. Chattusil lli. Fortscliritte
Assyriens und Untergang Mitanis
Die Texte aus Boghazkiöi versagen bisher für diese Zeit
fast gänzlich; von dem Krieg gegen Ägypten zu reden, ver-
>) Luxor phot. 387—396. Wbeszinski Taf. 72—75. Zuer?.t ver-
öffentlicht von W. M. Müller, Res. II. Von dem Namen der Stadt ist
nur Hn . . . erhalten. Über Qedi s. o. S. 102.
2j Vgl 0. S. 4.51 f.
*) Pap. Anast. I 18, 8: „das Simyra des Sesu" [Kurzname für
Ramses II. J. — Über Byblos s. o. S, 453.
472 IX. Die neunzehnte Dynastie. Ägypten and das Chetiterreich
meiden sie offenbar mit Absicht^). Der Bericht Chattusils über
seine Schicksale erzählt im Anschluß an den Feldzug Mu-
wattals gegen Ägypten, daß er jetzt Puduchepa, die Tochter
des Priesters der Istar aus Kizwadna, heiratet, einen von den
Gasgaeern unterstützten Aufstand in dem ihm zugewiesenen
Land Chakpis niederwirft und sie hier zur legitimen Königin
erhebt. Eine von seinem alten Gegner, dem Sohne des Zidä
(seinem Vetter), gegen ihn erhobene Anklage schlägt er mit
Hilfe der Istar — also wohl durch einen Gottesspruch —
siegreich nieder; der Verleumder mit seiner Familie wird
ihm ausgeliefert, er aber verschont sie und verbannt sie nach
Alasia (Cypern) — diese Insel, die auf den Verkehr mit beiden
Großreichen angewiesen war, hat also wohl in einem gewissen
Abhängigkeitsverhältnis zum Chetiterreich gestanden.
Bald darauf ist Muwattal gestorben (um 1287). Chat-
tusil rühmt sich, in durchaus loyalem Verhalten dessen Sohn
Urchitesub auf den Thron von Chattusas gesetzt und ihm
weitere Erfolge erfochten zu haben. Indessen der Neffe war
mißtrauisch gegen den übermächtig gewordenen Oheim und
begann, ihm ein Gebiet nach dem anderen zu entziehn.
Sieben Jahre lang, sagt Chattusil, habe er sich gefügt; als
Urchitesub ihm aber auch seinen Herrschersitz Chakpis fort-
nehmen wollte, sagte er ihm auf und forderte ein Gottes-
gericht „durch die Istar von Samucha und den Donnergott
von Neriq", d. h. eine Entscheidung durch die Waffen. Seine
Schutzgöttin hat ihn auch diesmal nicht im Stich gelassen:
zahlreiche Magnaten, mit denen er offenbar schon vorher
Verbindungen angeknüpft hatte, traten zu ihm über-), Urchi-
') In die Zeit Muwattals gehören die ansehnlichen Bruchstücke
eines von Meissner, ZDMG. 72, 37 ff. behandelten Briefes (Keilschr.
aus Bogh. I 1.5 und 19), in dem von den Heeren des ägyptischen und
des chetitischen Königs, von den syrischen Fürstentümern u. ä. die
Rede ist. Wer der Schreiber ist, ist ganz dunkel, und ein Zusammen-
hang nicht herstellbar; die von MEissNfR versuchte Deutung auf den
Feldzug von Qades scheint unmöglich.
') Vgl. die Angaben des Vertrags zwischen Dudchalia IV. und
Urchitesub und Chattusil. Vordringen der Assyrer 473
tesub wurde in der Götterstadt Samucha eingeschlossen „wie
ein Schwein im Koben"; die Mauer der Festung stürzte ein,
Urchitesub wurde gefangen. Das Anerbieten seiner verräte-
rischen Mannen, ihm den Kopf abzuschlagen, hatte Chattusil
schon früher zurückgewiesen, und auch jetzt behandelte er
ihn gnädig; er überwies ihm ein Gebiet in Nuchasse, und
hier hätte Urchitesub bleiben können, wenn er nicht mit
Kardunias (Babylonien) Verbindungen angeknüpft hätte; da
wurde er übers Meer verbannt. So hatte Istar ihre Ver-
sprechungen erfüllt und Chattusil zum Großkönigtum erhoben.
Wie die Göttin selbst, so erhielten seine Anhänger reiche
Belohnungen; über seine Feinde und Verleumder aber erging
ein schweres Strafgericht (um 1280).
Zu diesen inneren Wirren kamen die fortdauernden Kon-
flikte mit Assyrien. Die Macht des Fürsten von Assur war
seit Assuruballit (ca. 1380 — 1340) ständig gewachsen^). In
dem Ringen um das Gebiet des der Auflösung verfallenen
Mitanireichs hatte er die Chetiter über den Euphrat zurück-
gedrängt, die Erben der alten Dynastie auf die Gebirgslande
am oberen Tigris beschränkt und die Herrschaft über das
nördliche Mesopotamien gewonnen. Auch Ninive gehörte jetzt
wieder den Assyrern'-'). Von hier aus suchten .sie gegen die
Berglande im Osten und Norden vorzudringen ; so hat As-
dem König des Landes des Seehaflusses, der gegen Urchitesub auf
Chattusils Seite trat: Forreh, Forsch I 89.
') Außer den Königslisten sind die Quellen die sog. synchroni-
stische Geschichte und die Chronik P (s. Bd. I 318) und die meist aus
den Ausgrabungen der Deutschen Orientgesellschaft in Assur stam-
menden Königsinschriften, die jetzt bis auf Salmanassar I. hinab von
EßtLiNG, Meissner, WEmNER, Die Inschriften der altassyr. Könige (1926),
zusammengestellt und übersetzt sind. Meist sind es Bauinschriften,
die nur wenige historische Angaben enthalten. Am wichtigsten ist die
große, in vielen Exemplaren erhaltene Inschrift Adadniraris L, der
auch die Taten seiner drei Vorfahren kurz aufzählt.
^) Assuruballit hat hier den ehemals von einem Samsiadad er-
bauten Tempel der Istar wiederhergestellt (Inschr. Salmanassars I
no. 10).
474 I^- Di*^ neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
suruballit hier das Land Muzri unmittelbar hinter Ninive
unterworfen ^).
Ein gesicherter Besitz war freilich Mesopotamien keines-
wegs. Vielmehr hatten sich hier „im weiten Lande Subari"
von der Steppe und Wüste zu beiden Seiten des Euphrat
aus in dem von zahlreichen Flußtälern durchzogenen Hügel-
lande se't der Amarnazeit die aramaeischen Stämme immer
weiter ausgebreitet; sie haben allmählich die ältere charri-
sche Bevölkerung vollständig absorbiert, so daß in der spä-
teren israelitischen Überlieferung, wenn sie auch eine Kunde
von ihrer Herkunft aus Qir in der syrischen Wüste im Osten
(im Lande Qedem) bewahrt hat, doch Charrän (Karrhae)
am Belichos zum Wohnsitz ihrer Ahnen (Laban) bereits in
der Ui'zeit gemacht wird. Li den keilschriftlichen Texten
werden sie bald allgemein als Sutü „Schützen" (o. S. 93),
bald mit dem Stammnamen Achlamaeer bezeichnet. Auch
gegen Babylonien beginnen sie vorzudringen; und das hat,
so scheint es, zu einem Zusammengehn der Kossaeerkönige
von Kardunias mit den Assyrern geführt. Von dem König,
der in einer Chronik Karaindas H. heißt'), in einer anderen
durch dessen angeblichen Sohn Kadasmancharbe ersetzt wird
— es ist der König, der etwa 1350—1346 regiert hat — ,
wird berichtet, daß er der Sohn einer Tochter Assuruballits
war und daß er die Sutü vom Sonnenaufgang bis Sonnen-
untergang bis zur Vernichtung bezwungen, Festungen im
Gebirge Chichi angelegt, Brunnen gegraben und besiedelt
habe — ein Erfolg, den er wohl der Verbindung mit As-
syrien verdankt.
') Dies viel umstrittene Land ist identisch mit dem „Gebirge
Muzri" (Djebel Maklub), an dessen Fuß Sargon seine Stadt (Khorsabad)
erbaut hat.
^) rsp. Karachardas: weiteres s. o. S. 156 Anm. Die Regierungs-
zahlen sind von Kurigalzu III. (1844 — 23) an erhalten, und dadurch die
Daten von da an mit einem Spielraum von 2 — 8 Jahren (je nachdem
man das Knde der Kossaeerdynastie mit Weidner ins J. 1171 oder wie
ich ins J. 1173 setzt) gesichert.
Fortschritt der Assyrer gegen Babylonien 475
Es ist begreiflich, daß die kossaeische Kriegerkaste, in
deren Händen das Regiment im Lande lag, sich gegen diese
den altererbten Ansprüchen widersprechende Anlehnung an
Assyrien auflehnte; im Jahre 1345 wurde der König von
den Kossaeern erschlagen und einer der Ihrigen, Nazibugas,
„ein Sohn Niemandes", zum Herrscher erhoben. Daist As-
suruballit eingeschritten, hat den Usurpator beseitigt und
den legitimen Erben Kurigalzu III. „den Jungen" auf den
Thron gesetzt. Seine Nachfolger haben diese Stellung be-
hauptet; als Kurigalzu (1344 — 23) nach Erfolgen gegen Elam
einen Angriff auf Assyrien wagte, wurde er von Assuruballits
Sühn Ell'lnirari besiegt und das Land Subari, also Meso-
potamien, das offenbar das eigentliche Streitobjekt bildete,
zwischen beide Staaten geteilt. Ebenso hat Ellilniraris Enkel
Adadnirari I. den nächsten König, Kurigalzus Sohn Nazima-
ruttas II. (1322 — !21'7), besiegt und jetzt avich die Grenze
östlich vom Tigris bis zum Gebiet der Lulumaeer im Zagros-
gebirge festgelegt.
Auch sonst schreitet die Assyrermacht weiter fort, sowohl
gegen die Gebirgsstämme in den Zagrosketten wie gegen die
armenischen Gebirge^). Dazu kommen immer wieder Kämpfe
in Mesopotamien. Arikdenilu besiegt „das Kriegsvolk der
') Die Königsfolge nach Assuruballit (ca. 1.3=0—40) ist: Ellilnirari
(— ca. 1325), Arikdenilu (— ca. 1305), der die Gebirgslande der Gu-
taeer im Osten sowie das Land Kudn uch unterwirft (von seinem Kriegs-
bericht sind Reste erhalten), Adadnirari I. (— ca 1280). der gleichfalls
mit den Gutaeern und Lulumaeern (Lulubaeern) kämpft. Beide Stämme
werden seit alters oft erwähnt (s. Bd. I 3P5 u. s.w), die Gutaeer haben
nach dem Untergang des Reichs von Akkad Babjlonien über ein Jahr-
hundert lang beherrscht. — Die Gleichsetzung von Kudmuch (o. S. 134)
oder Katmuch mit Kummuch = Kommagene (so wieder Weidner in der
Übersetzung S. 61, 14) hat Forrer, Provinzeinteilung des assyr. Reichs
S. 17 f. mit Recht bekämpft; da Salmanassars I. Eroberungen sich nach
seiner In^^chrift III 18 f. über die Gebirgslnnde ,von der Grenze von
Uruatri bis Kuilmuch" erstreckten, kann es, da üruatri in Armenien
liegt (s. S. 476, 2). nur südöstlich davon gelegen haben, wenn auch
nach Assurnasirpal Ann. I 73 westlich vom Tigris.
476 IX. Die neunzehnte Dynastie. Ägypten uml das Chetiterreich
Achlamaeer und Sutü", sein Sohn Adadnirari I. erobert zahl-
reiche inzwischen wieder verloren gegangene Städte des ehe-
maligen Mitanireichs bis zum Euphrat bei Karkemis hin, dar-
unter die alte Hauptstadt Wassuganni, und dringt bis ins Ge-
birge Kasijar (Masios, jetzt Tür 'Abdin) vor; die Gegner
nennt er nach alter Weise Subaraeer ').
Sein Sohn Salmanassar I. hat sich dann, nach Nieder-
werfung von Aufständen in den armenischen Grenzgebirgen-),
gegen das Land Chanigalbat, d. i. den Rest des alten Mitani-
reichs, gewendet; da er rühmt, auf schmalen Pfaden durch
steile Pässe vorgedrungen zu sein, kann es sich nur um das
Bergland im Quellgebiet des Tigris bis zum Durchbruch des
Euphrat durch die Tauruiskette handeln. Der König Sattuara
fand Hilfe einerseits bei den Achlamaeern, andrerseits bei den
Chetitern. Die Verbündeten verlegten den Feinden mit einem
starken Heer den Zugang zum Wasser; aber Salmanassar
') In einem Teil der zahlreichen Exemplare dieses Textes fehlt
die Ortsliste. Schroeder und Weidner (in seiner Übers. S. XXIV und 61)
folgern daraus, diese Städte seien nachher wieder abgefallen (ebenso
Kutmuch und Muzri, die in einigen Exemplaren bei den Eroberungen des
Arikdenilu und Assuruballit weggelassen sind). Wenn man überhaupt
chronologische Folgerungen daraus ziehen dürfte, würde ich eher um-
gekehrt annehmen, daß diese Namen den weiteren Fortgang seiner
Eroberungen bezeichnen; aber ofl'enbar handelt es sich nur um eine
kürzere Fassung, die das weitere Detail wegläßt.
^) Das aufständische Land, in dessen Gebirgen er in drei Tagen
acht Kantone unterwirft, 51 fvar. 41) Ortschaften zerstört und die Ge-
fangenen fortschleppt, heißt bei ihm üruatri. Das ist offenbar eine
ältere Form für Urartu, d. i. das Land der Alarodier in Armenien (so
auch Weidner). Die angeführten Daten zeigen zugleich, daß es sich
trotz der renommistischen Daten nur um ein kleines Gebiet handelt,
wie so oft. Die aufständische Stadt Arina, die er dann gründlich zer-
stört, kann unmöglich, wie Weidner meint, die Chetiterstadt Arina
mit dem großen Sonnenheiiigtum sein — dann würde er ganz anders
davon reden — , sondern ist eine kleine Bergfestung. Nach Tiglat-
pileser I ann. 5, 77 lag sie im Lande Muzri am .Fuß des Berges Aisa,
(also nahe bei Ninive); und auch bei Salmanassar folgt die Unter-
werfung ,des ganzen Landes Muzri" unmittelbar auf die Zerstörung
von Axina.
Salmauassar I. gegen Mitani 477
wagte mit seinen vom Durst getriebenen Truppen den An-
griff und erfocht einen vollen Sieg; wie Schafe, erzählt er,
habe er die Chetiter und Achlamaeer niedergemetzelt. Sattuara
entkam in eiliger Flucht nach Westen. Über das besiegte Land
aber ergoß sich die Brutalität, die die Assyrer charakterisiert,
in ihrer furchtbarsten Gestalt: 14400 Gefangene, so rühmt
er, habe er geblendet und fortgeschleppt, neun Festungen
nebst der Residenz erobert, 180 Ortschaften in Schutthaufen
verwandelt. Auch die von Adadnirari I. eroberten Gebiete im
Ka§ijar und bis zum Euphrat wurden wieder unterworfen und
ausgeplündert.
Damit hat das Mitanireich in Mesopotamien sein Ende
gefunden. Der Name Chanigalbat ist in der Folgezeit auf die
Landschaft von Melitene westlich vom Euphrat beschränkt \).
wo sich die Nachkommen der alten Dynastie behauptet haben
werden.
Genauere Daten für die Assyrerkönige besitzen wir nicht;
aber nach den Synchronismen mit Babylonien fällt Salmanas-
sars L Regierung ungefähr 1280 — 1260. Die Feldzüge, von
denen seine Inschrift berichtet, hat er gleich „im Beginn
seines Priestertums" unternommen'"). Somit kann der Chetiter-
könig, der Chanigalbat zu Hilfe kommt, nur Chattusil III.
sein"). Dadurch fällt weiteres Licht auf seine Beziehungen
') Tigletpilesar I. Ann. 5, 34. Die Könige von Kummuch mit den
iranischen Namen (o. S. 37, 1) Kundaspi (im J. 8.54) und Kustaspi (740)
werden Nachkommen der alten Dynastie von Mitani sein.
-) Auf den Krieg gegen Chanigalbat folgt noch ein Zug gegen
die aufständischen Gutaeer. Dann folgt der Bericht über den Neubau
des Tempels Assurs.
^) Daß er in seiner großen Inschrift davon schweigt, so gut wie
von dem Kriege mit Ägypten, i-t durchaus begreiflich. Statt dessen
rühmt er, mit den üblichen Übertreibungen, die Könige, mit denen
seine Vorgänger in guten Beziehungen standen, hätten sie auch mit
ihm bewahrt und ihm Gesandte und Geschenke geschickt; die Vasallen-
fürsten hätten ihm gehuldigt, ,was mir aber Feind war, das besiegte
ich". Aber auch Feinde seiner Vorfahren hätten sich mit ihm ver-
tragen [dabei ist offenbar Ägypten gemeint].
478 ^^- ^iö neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiteireich
zu Babyloniea. Er hat mit Kadasmanturgu (129G — 1280»
Nachfolger des Nazimaruttas II.) einen durch Verschwäge-
rung bekräftigten Vertrag geschlossen, in dem sie sich und
ihren Nachkommen gegenseitig Hilfe zusagten, und Kadas-
manturgu hat sich bereit erklärt, mit seinem Heer an dem
Krieg gegen Ägypten teilzunehmen^). Dazu ist es jedoch
nicht mehr gekommen; vielmehr ist Kadasmanturgu bald
darauf gestorben, sein junger Sohn Kadasmanellil II. (1280 bis
1274) aber hat unter dem Einfluß seines Ministers Ittimarduk-
balatu das Kondolenzschreiben Chattusils unfreundlich be-
antwortet und behauptet, dieser behandle ihn nicht als
Bruder, sondern als Vasallen. Die Unterbrechung des Ge-
sandtschaftsverkehrs entschuldigt er damit, daß die Achla-
maeer feindlich sind und daß der König von Assur seine
Boten nicht durchlassen werde. Diese Angabe beleuchtet die
Situation: offenbar tällt Salmanassars Krieg gegen Chani-
galbat und die Chetiter eben in diese Zeit, ins Jahr 1280
oder 1279, und Chattusil hat von Babylonien auf Grund des
Bündnisvertrags Hilfstruppen gefordert. Daß Kadasmanellil
oder vielmehr sein Minister nach den Erfahrungen seiner Vor-
gänger zu einem neuen Kriege gegen Assyrien wenig Nei-
gung hatte, ist begreiflich; so lehnt er die Forderung als
demüt'gende Zumutung ab und läßt den Gesandtschaftsver-
kehr einschlafen. Er mag auch daran gedacht haben, den
Krieg zwischen Chattusil und Urchitesub für seine Interessen
auszunutzen.
Diese Auffassung wird dadurch bestätigt, daß Chattusil,
') Wir erfahren über diese Dinge aus einem mehrere Jahre nach
dem Thronwechhel und nach dem Frieden mit Ägypten geschriebenen
großen Brief an Kadasmanellil II. (Keilschr. aus ßogh. I lU), in dem
Chattusil zahlreiche Kinzelfragen bespricht. Mehrere Abschnitte sind
nur in stark verstümmelten Bruchstiicken erhallen. Übersetzung der
am besten erhaltenen Teile bei Friedrich, Aus dem het. Schri ttum
124 ff. (Alter Orient 24, 8; vorher WlNcKL^R, MDOG. 85, 22 f. Weidner,
MDOG. 5?<, 74 f.) — Das ßiuchstück eines Briefes Kada^manturgus an
Chattusil, „nicht viel mehr als die Eingangsformer, erwähnt Winckler,
MDOG. 35, 21.
Beziehungen der Chetiter zu Assyrien und Babylonien 479
als er nach längerer Unterbrechung, nach dem Frieden mit
Ägypten, wieder an Kadasmanellil schreibt 0, ihm vorhält:
„ist dein Reich so klein? Du hast ja mehr Pferde als Stroh!
Was ist der König von Assur, daß er deinen Boten zurück-
halten könnte?" Er freut sich zu hören, daß sein Bruder
zum Mann geworden sei und zur Jagd gehe; er mahnt ihn,
nicht länger untätig dazusitzen, sondern seinen Feind an-
zugreifen und sein Land zu plündern. Das zielt deutlich
auf Assyrien. Erfolg hat diese Mahnung freilich nicht ge-
habt; das Reich Kardunias war eben innerlich morsch und
dem aufstrebenden Assyrien nicht gewachsen. Der junge
König aber ist schon nach sechsjähriger Regierung gestorben.
Friedensschluß und Bündnis zwischen Ägypten und
dem Chetiterreich
Diese Weltlage hat auch auf die Beziehungen zu Ägypten
entscheidend eingewirkt. Chattusil hatte offenbar auch früher
schon die Kriegspolitik seines Bruders nicht geliilligt, in der
richtigen Erkenntnis, daß die Kräfte des Reichs ohnehin kaum
au.sreichten, die einzelnen Gebiete zusammenzuhalten und die
fortwährenden Raubzüge der Gasgaeer abzuwehren. Auch in
Ägypten wird man erkannt haben, daß in dem langen Ringen
die Kräfte erschöpft waren und man nicht weiter kommen
könne. So ist es etwa im Jahre 1278 zum Frieden zwischen
beiden Reichen gekommen. Auch Urchitesub hat sich durch
Vermittlung des Königs von Mira, eines Vasallen im süd-
östlichen Kleinasien, an Ramses gewandt und ihn um Hilfe
gebeten; aber dieser zog es vor, mit Chattusil abzuschließen
') Offenbar hat Iltnuardukbalatu inzwischen das gewöhnliche
Schicksal eines Vezirs erlebt und ist von dem jungen König, als dieser
sich zu fühlen begann, beseitigt worden. Das beweist nicht nur die
Gehässigkeit, mit der Chattusil von dem uralt gewordenen Minister
spricht, sondern auch die Angabe, daß die Schreiber, die angeblich
den früheren Brief Ch.ittusils nicht richtig vorgelesen haben, jetzt
nicht mehr leben, also beseitigt sind.
48 0 I^- ß'6 neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
und auch seiner Bitte um Unterstützung, vor allem, wie vor
alters, mit Gold und Silber zu willfahren^).
Über den eigentlichen Friedensvertrag haben wir keine
Kunde ^). Er muß vor allem eine Abgrenzung der Macht-
bereiche enthalten haben. Damit wird zusammenhängen, daß
Chattusil den von seinem Bruder abgesetzten Bentesina in
Amurru unter den alten Bedingungen wieder einsetzte; das
ist offenbar eine Konzession an Ägypten, das dafür auf die
Oberhoheit über das Amoriterland und das Orontestal nebst
Qades (Kinza) verzichtete. An der Küste wird der Eleutheros
die Grenze gebildet haben.
Für Chattusil war die Beendigung des- Kriegszustandes
nur die Vorstufe zu einer festen Allianz mit Ägypten, die
seinem Reich dauernd eine gesicherte Stellung gewähren sollte.
Nach längeren Verhandlungen^) sandte er die von ihm ent-
') Brief von Ramses an den König von Mira (zur Lage s. Forrer,
Forsch. I. 76 ff.), offenbar von diesem an das Archiv in Boghazkiöi
weitergegeben, in Bruchstücken erhalten Keilschr. aus Bogh. I 24, teil-
weise übersetzt von Meissner, ZDMG. 72, 43 f. -58 [mit falschem Zitat].
Geschrieben ist der Brief nach Abschluß des Bündnisses, als Ramses
den Urchitesub endgültig fallen lassen konnte.
^) Das Bruchstück des Briefes eines Chetiterkonigs nach Ägypten,
Keilschr. aus Bogh. 114 kann unmöglich in diese Verhandlungen ge-
hören, wie Weidner, MDOG. 58, 77 und Meissner, ZDMG. 72, 44 an-
nehmen. Der Schreiber beschwert sich, daß bei seiner Thronbesteigung
die Glückwunschgesandtschaft mit den üblichen Geschenken nicht er-
folgt sei, ist also nicht Chattusil, und Ramses, dessen Name (ver-
schrieben Rijamaatisa) Vs. 2.5 vorkommt, ist deutlich nicht der Adres-
sat. Der Brief wird von einem Nachfolger Chattusils, etwa Arnuanda IV.,
an Merneptali gerichtet sein. Weiteres s. u. S. 529.
^) In diese gehört die Ankunft eines ägyptischen G^^andten bei
Chattusil, über die dieser dem Kadasmanellil Auskunft gibt; die wei-
teren Angaben darüber sind leider zerstört. Die beiden ägyptischen
Gesandten, welche die chetitischen (Tartesub und einen zweiten sowie
Ra'mose, in dem W. M. Müller richtig den Dolmetscher erkannt hat)
zu Ramses bringen, werden die Verhandlungen mit Chattusil geführt
und den Wortlaut mit ihm festgesetzt haben. Daß die Anregung von
Chattusil ausgegangen ist, zeigt der gesamte Wortlaut der Urkunde;
insoweit ist es berechtigt, wenn Ramses im Eingang der Inschrift.
Friede und Bündais zwischen Ramses und Chattusil 481
worfene Fassung des Vertrages auf silberner Tafel; zur Be-
glaubigung war auf der Vorderseite das Bild des Königs,
den der Gewittergott Tesub umarmt, auf der Rückseite das
der von der Sonnengöttin von Arinna umarmten Königin
Puduchepa eingefügt. Ramses nahm die Urkunde in seiner
Residenz in der Ramsesstadt in Empfang und erwiderte sie
durch eine inhaltlich identische Ausfertigung, in der die Zu-
sagen von ägyptischer Seite den gleichlautenden von der
anderen vorangehn; stark gekürzt hat er nur die Motive,
in denen Chattusil erklärt, daß er das von seinem Bruder
Muwattal unterbrochene Vertragsverhältnis der Zeit Subbilul-
jumas und Mursils wiederherstellen und verbessern will, ge-
mäß dem Friedensverhältnis, das Re' und Tesub seit der
Urzeit zwischen beiden Ländern geschaffen haben. Die Ur-
kunde ist ganz nach dem Muster der zahlreichen chetitischen
Verträge aus dieser Zeit abgefaßt, nur daß diesmal beide
Staaten vollständig gleichberechtigt nebeneinander stehn.
Zwischen beiden Königen und ihren Nachkommen soll in
Ewigkeit Friede und Brüderschaft und ein festes Bündnis
zu Schutz und Trutz bestehn. Keiner soll das Gebiet des
anderen angreifen, wohl aber ihm jederzeit beistehn gegen
jeden innern und äußern Feind ^). Es folgen Bestimmungen,
daß Flüchtlinge, und zwar sowohl vornehme Leute wie ge-
in der er den Text veröflentlicht, sagt, die Gesandten seien gekommen
ihn um Frieden zu bitten. — Daß der Friedensschluß und die Ab-
grenzung der Machtbereiche dem Vertrage voranliegen müssen, bedarf
keiner Bemerkung mehr.
^) Hier unterscheidet sich die ägyptische Ausfertigung von der
chetitischen (hieroglyphischen) dadurch, daß sie die Stellung von Hilfs-
truppen fordert und die zur Wahl gestellte Möglichkeit, daß der König
selbst sie führt, gestrichen hat. Der weitere, im hierogl. Text ganz
verstümmelte und daher falsch gedeutete Abschnitt ZI. 20 f. enthält,
wie im akkadischen Exemplar, die eidliche Verpflichtung, in ferner
Zukunft, wenn der Erbe auf den Thron gekommen ist, diesen anzu-
erkennen und mit aller Kraft gegen aufständische Magnaten zu unter-
stützen. [ZI. 19 init. am Schluß des Abschnittes über die Hilfeleistung
ist in Übereinstimmung mit dem von Weidner richtig gedeuteten akkad.
Text zu übersetzen: „indem er Vergeltung übt gegen das Chattiland'.j
Meyer, Geschichte des Altertums H'. 31
482 I^- DJ6 neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetitericich
ringes Yolk^), das in der Fremde Dienste sucht, nicht auf-
genommen werden dürfen, sondern zurückgeliefert Averden
müssen. Im chetitischen Exemplar ist dann hinter der ganz
nach chetitischem Muster gestalteten Anrufung aller Götter
beider Länder (darunter auch der von Kizwatna, der Heimat
der Königin) noch ein Nachtrag zugefügt, der bestimmt,
daß solche Flüchtlinge und ihre Familien nach der Rück-
lieferung in keiner Weise verfolgt und weder ihr Vermögen
konfisziert noch sie getötet oder irgendwie verstümmelt wer-
den dürfen. Da gewinnt man einen Einblick in die Ver-
handlungen: die Forderung ist, ihrer schon im Gesetz des
Telibinus (o. S. 28) scharf hervortretenden rechtlich-humanen
Gesinnung entsprechend, von den Chetitern gestellt und von
den Ägyptern erst nach langem Sträuben bewilligt worden.
Ramses hat sie dann angenommen und in seiner Ausfertigung
gleich an der richtigen Stelle eingefügt^).
Dies Bündnis, geschlossen um 1278, das die vorderasiati-
sche Welt in zwei friedlich nebeneinander stehende Macht-
sphären teilte, hat dauernden Bestand gehabt. Eine rege
Korrespondenz, von der in Boghazkiöi einige Bruchstücke er-
halten sind, entwickelte sich zwischen den Königen, wie in
der Amarnazeit; auch die Königinnen, Nofret'ari (Naptera)
'j , Leute, die man nicht kennt", wie in babylonischen und assyri-
schen Texten ,, Söhne Niemandes* im Gegensatz zu dem auch in Ägypten
geläufigen ,Sohn einer Person".
^) Der Vertrag ist von Ramses auf Grund des chetitischen Exem-
plars in hieroglyphischer Übersetzung in Karnak und im Ramesseum
(hier nur in Fragmenten) aufgestellt. Grundlegende Bearbeitung (nach
Bouriant) von W. M. Müller, Mitt. Vorderas. Ges. 1902, .5; ferner
Breasted, Rec. III 367 tf. Die ägyptische Ausfertigung, in akkadischer
Sprache, ist in Boghazkiöi in mehreren durchweg unvollständigen Exem-
plaren erhalten; bearbeitet von Meissner, Ber. Berl. Ak. 1917, 282 und,
mehrfach verbessert und mit Hinzuziehung der Bruchstücke der Rück-
seite, von Weipner, Bogh. Stud. 9, 112 ff. (1923), der die sorgfältige
Bearbeitung beider Texte durch Gardiner und Langdon, J. Eg. Arch. VI
1920, 179 ff. für den akkadischen in einigen Stellen berichtigt. Beide
Texte, soweit damals vorliegend, auch bei Roeder, Ägypter und Che-
titer. Alter Orient 20. 1919.
Ehebündnis zwischen Ramses und den Chetitern 483
von Ägypten und Putuchepa von Chatti, wechselten höfliche
Schreiben mit warmen Erklärungen ihrer Zuneigung und ihrer
Freude über „den schönen Frieden und die schöne Brüder-
schaft", die jetzt dauernd begründet war. Noch enger ge-
stalteten sich die Beziehungen, als Chattusil sich im 34. Jahr
des Ramses (um 1265 v. Chr.) entschloß — offenbar nach
dem Tode der Nofret'ari — , seine älteste Tochter mit reicher
Mitgift dem Pharao als Gemahlin zu senden. Ramses stellt
das in einer großen, an zahlreichen Stellen aufgestellten
Inschrift 1) als Ergebnis der Notlage des Chetiterreichs dar,
dem sein Gott Tesub — von den Ägyptern durchweg Seth
genannt — zürnte und ununterbrochene Dürre sandte („nicht
gibt der Himmel Wasser auf uns"); vergeblich habe Chattu-
sil eine Gesandtschaft nach der anderen an Ramses geschickt,
um einen gnädigen Frieden zu erhalten, dieser habe nicht
auf ihn gehört, bis er den letzten ihm noch gebliebenen Aus-
weg ergriff, „auf daß er uns Frieden gebe und wir leben".
Das sind maßlose Übertreibungen, wie sie die Ägypter liebten
und wie sie sich in den Inschriften des Ramses ständig weiter
ins Ungemessene steigern. Im Fortgang seiner Darstellung
schlägt er denn auch einen wesentlich anderen Ton an. Er
ist ebenso wie seine Untertanen hocherfreut „über solche un-
erhörten Dinge" ; er betet zu Seth (Tesub) um Zurückhaltung
') Früher war nur das vielfach beschädigte Exemplar von Abu-
simbel bekannt, bearbeitet von Breasted, Reo. III 415 fiF. Jetzt sind
weitere Exemplare in Karnak und Elephantine zutage gekommen, aus
denen Kuentz, Ann. du Serv. 25, 192.5, 181 flP., den Text fast vollständig
hergestellt und vortrefflich bearbeitet hat. — Eine Vermutung von
KüENTZ weiter ausführend hat Sethe, Deutsche Lit. Z. 1926, S. 1873 ff..
aus dem Text einen zweiten siegreichen Feldzug, nach der Schlacht
bei Qades und dem Frieden des J. 21, konstruiert, der durch diese
Vermählung beendet sei, von dem aber in den zahllosen Denkmälern
Ramses' IL mit keinem Wort oder Bild die Rede ist. Er hat seltsamer-
weise nicht erkannt, daß der Sieg, den Ramses ,ganz allein" erkämpft und
durch den er sich „einen Namen für die Ewigkeit schuf, kein anderer
ist als die Schlacht bei Qades, und hat die Phrasen mit ihren maß-
losen Übertreibungen der Erfolge und der Notlage des ChetiterreichE
fälschlich für geschichtliche Wahrheit genommen.
484 I^- ^^^ neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich
von Schnee und Regen, und sendet seine Magnaten und sein
Heer den Gästen nach Phoenikien (Zahi) an die Grenze seines
Reichs entgegen. Bei schönstem Wetter treffen sie ein, alle
Welt, einschließlich der ägyptischen Vasallen, jubelt über
das große' Wunder, die ägyptischen Truppen schmausen und
zechen einträchtiglich mit den chetitischen (den tiihir) zu-
sammen. So triflFt die Prinzessin im Januar (Phamenoth) seines
34. Jahres in der Ramsesstadt ein und wird hier unter dem
Namen Maatnofrure' „die die Schönheit des Sonnengottes
schaut" zur legitimen Königin erhoben.
Obwohl der Text davon schweigt, wird man doch nicht
bezweifeln, daß der Wunsch, das Ehebündnis zu schließen,
von Ramses ausgegangen ist: er erneuert dadurch das Ver-
hältnis, in dem ehemals seine Vorgänger zu den verbündeten
Dynastien gestanden hatten und durch das damals der Vor-
rang Ägyptens offiziell anerkannt war. Insofern durfte er
.die Ehe als einen großen, ihm von den Göttern gewährten
Erfolg betrachten. Aber ein tiefgreifender Unterschied be-
steht trotzdem: während ehemals die fremden Prinzessinnen,
mochte ihre Ankunft auch so freudig bekannt gegeben
werden wie von Amenophis III. die der Giluchepa von Mi-
tani, doch tief unter der allein die königlichen Ehren teilen-
den offiziellen Ehegattin des Pharao aus ägyptischem Ge-
blüt standen, wird jetzt die chetitische Prinzessin als „große
königliche Gemahlin und Herrin der beiden Lande" an-
erkannt und auf den Denksteinen des Königs neben ihm dar-
gestellt^).
*) x\n diese Ehe knüpft eine zu Ehren des Gottes Chons von
Theben erfundene Legende, die etwa in persischer Zeit aufgezeichnet
ist (die „Bentreschstele" des Louvre, Erman, ÄZ. 1883, .54 ff. Breasted,
Rec. III 429 ff.), die erzählt, wie König Ramses II. (dessen Titel mehr-
fach entstellt sind und den Lepsius daher zu einem Ramses XII. ge-
macht hat) auf seinem jährlichen Feldzug nach Naharain die schöne
Tochter des Fürsten von Rechten heiratet und unter dem Namen
Nofrure' zur Königin erhebt. Als dann deren Schwester Bentresch
von einem bösen Geist besessen wurde, entsendet auf Bitten des Pharao
der Gott Chons, der als der „schön Ruhende" in Theben sitzt, seinen
Ehe Ramses' II. mit der Tochter Chattusils 485
So geschah es, wie Ptah von Memphis, der Urvater der
Götter, seinem Sohn ausspricht, den er als Widder von Men-
des im Leibe seiner Mutter gebihlet hat, „was unerhört ist
seit der Götterzeit und nicht berichtet in der geheimnisvollen
Chronik im Bücherhause seit der Zeit des Re' bis auf dich,
daß Chatti und Ägypten eines Herzens sind". Durch die engen
Beziehungen gestaltetesich, wie die Inschrift am Schluß her-
vorhebt, der Handelsverkehr zwischen beiden Reichen immer
enger. „Wenn ein Mann oder eine Frau in ihren Geschäften
nach Phoenikien (Zahi) gingen, konnten sie ohne Furcht in
ihrem Herzen ins Chattiland gelangen, infolge der Größe des
Sieges seiner Majestät."
aktiven Doppelgänger, ,Chons den Plänemacher", der die Reise nach
Rechten in 1 Jahr 5 Monaten zurücklegt, den Geist austreibt, und
dann, als man ihn festhalten will, durch AVunder seine Rücksendung
erzwingt. Das ist ein Gegenstück zu der Entsendung der Istar von
Ninive zur Heilung Amenophis' III. oben S. .Sn6. — Auf der Stele von
Abusimbel ist Chattusil nebst seiner Tochter dargestellt, wie sie Ram-
ses begrüßen. Daraus hatte man früher fälschlich gefolgert, daß er seine
Tochter selbst überbracht habe. Vgl. jedoch unten S. 495, 1.
X. Die Kultur der Ramessidenzeit
Die untertänigen Gebiete. Der Verl;ehr
Mit dem Chetiterfrieden endet die zweite Epoche der
ägyptischen Eroberungen. Fortan beschränken sich, wie ehe-
mals Amenophis III., so jetzt auch Ramses IL und seine
Nachfolger darauf, das Gewonnene festzuhalten und für die
Zwecke des Reichs auszunutzen. Über die Organisation feh-
len genauere Angaben; doch wird man nicht zweifeln, daß
das Abgabensystem und ebenso die Stellung der Vasallen-
fürsten so geblieben ist, wie sie Thutmosis III. gestaltet
hatte. An lokalen Unruhen wird es natürlich kaum je ge-
fehlt haben. In Palaestina machten die Beduinen (Sos) fort-
während zu schaffen. Einer dieser aus dem Osten einge-
drungenen Wüstenstämme, der Stamm Israel, hatte sich in
dem bisher wenig besiedelten Waldgebirge Ephraim \) fest-
gesetzt und wird hier geduldet, wird aber oft genug unbot-
mäßig gewesen sein : Ramses' Sohn Merneptal.i rühmt in einer
Prunkinschrift, in der er die von ihm bezwungenen Gebiete
Palaestinas aufzählt (s. u. S. 577): „Israel" — durch das De-
terminativ als Stammname bezeichnet • — „ist verwüstet und
hat keinen Samen (d. i. Nachkommen)" — die einzige Er-
wähnung der Israeliten in den Denkmälern dieser Epoche
und zugleich der entscheidende Beweis, daß sie damals längst
*) Vgl. 0. S. U6. Ephraim ist ein echter Lokalnanie, nicht ein
Stammesname (das zugehörige Ethnikon ist Ephrati) und bezeichnet
das Gebirgsland etwa von Rama und Bet-el an (zwischen ihnen liegt der
Ort Ephrat mit dem Grabe Rachels, Gen. H-i), 16 ff. = 48, 7. Sam. I
10, 2, vgl. meine Israeliten 273, in den späten Glossen fälschlich mit
Betlehem identifiziert). Die israelitische Überlieferung kann erst im
nächsten Bande besprochen werden.
Palaestina und die Ostgreaze. Städte im Wadi Tumilät 487
im Lande saßen V). Andere Raubscharen werden von Osten
und Süden immer wieder eingefallen sein; wie unsicher die
Straßen im Gebirge sind und wie der dorthin gesandte Offi-
zier oft genug Überfällen der Beduinen (Sos) ausgesetzt ist,
wird in einem Literaturwerk dieser Zeit anschaulich ge-
schildert^). Im Tempel von Bet el Wali ist ein Sieg Ramses' II.
über sie abgebildet, und eine gleichartige Darstellung, von
der ein kleiner Rest erhalten ist, befand sich an der Süd-
wand des Säulensaals von Karnak^). Eine Inschrift rühmt,
Kamses II. habe „im Lande der Sos ein großes Gemetzel an-
gerichtet, ihre Berglande erobert und in <ihren> Festungen
Bauten auf seinen Namen aufgeführt'). Daneben wurde
friedlichen Scharen, wie ehemals unter Haremhab und wie
schon im Mittleren Reich (Bd. I 289), gestattet, sich mit ihren
Herden in den Grenzgebieten niederzulassen. Dafür kam vor
allem das Wadi Tumilät in Betracht, das sich vom Delta her,
aus der Gegend von Bubastis, als ein schmaler Streifen Kultur-
landes durch das niedrige Wüstenplateau bis zum Timsähsee
auf dem Isthmus hinzieht und durch das ein Schiffahrtskanal
bis zum Roten Meer angelegt war (o. S. 117). Ramses II.
Jiat dies Gebiet weiter erschlossen und hier mehrere ansehn-
liche Festungen erbaut, so in der Mitte Teil er Retäbe'').
') Der israelitischen Überlieferung ist die Erinnerung an diese
Vorgänge ebenso vollständig entschwunden wie z. B. der germanischen
Sage die an die Kämpfe mit den Römern.
*) Pap. Anast. L bei Erman, Äg. Lit. S. 287. 288. 290.
») Bet el Wali: Phot. 182—184. Karnak: Phot. .828 (gefangene
Beduinen unter den Pferden des Königs).
*) Pktrie, Hyksos and Israelite cities pl. 28 = 31 (dazu das Relief
pi. 29, 30), vgl. Gardiner, J. Eg. Arch. V 267, 1. de Rouge Inscr. hier.
67 ZI. 6. Ähnlich '.n der Inschrift von Tans.
^) Petrie's Annahme, dies sei die Ramsesstadt, ist von Gardiner
widerlegt (s. o. S. 454, 1), der im J. Eg. Arch. V (speziell 266 ff.) die topo-
graphische Frage mustergültig behandelt hat. Danach ist auch die im
übrigen grundlegende Arbeit von Küthmann, Die Ostgrenze Ägyptens.
Berlin 1912, zu berichtigen. Die Ruinen von Teil el Mas-chuta .sind von
Navili.e. The Store-City of Pithom, 1885 aufgedeckt.
488 X. Die Kultur der Ramessiilenzeit
aus dessen Tempelruinen die angeführte Inschrift stammt,
wahrscheinlich die Stadt Pitom („Haus des Atum"), weiter
östlich, bei Teil el Mas-chuta, Sukkot (äg. Zeku). Ein in einer
Briefsammlung erhaltenes amtliches Schreiben aus der Zeit
Merneptahs berichtet, daß Beduinenstämmen (Sos) von Edom
— das einzige Mal, daß dieser Name in den ägyptischen Texten
vorkommt — „der Durchzug durch die Festung Merneptahs
in Sukkot nach den Teichen von Pitom Merneptahs in Sukkot
gestattet ist, damit sie und ihre Herden auf dem Gehöft des
Pharao ihr Leben fristen können" ^). Gleichartige Vorgänge
bewahrt die israelitische Sage von der durch Hungersnot her-
beigeführten Ansiedlung ihrer Ahnen, Abrahams und Israels
mit seinen Söhnen — beide Erzählungen sind ursprünghch
Dubletten — in Ägypten. Der Elohist, der einige Anschauung
von Ägypten besitzt, läßt sie daher als Fronarbeiter die „ Ma-
gazinstädte" Pitom und Ramses erbauen und nennt Sukkot als
erste Station beim Auszug aus Ramses^). Die Landschaft,
in der sie angesiedelt werden, nennt er Gosen, ein Name,
der wohl sicher dem der Stadt Gesem, der Hauptstadt des
20. Gaus im östlichen Delta am Eingang des Wadi Tümilät,
entspricht^), und hier zur Bezeichnung dieser ganzen Land-
schaft dient.
') Pap. Anast.VI4, 13 ff. Breasted, Rec. III 636 f., vgl. o. S. 98, 3.
Beide Orte sind hier nach dem regierenden König benannt, wie so oft;
unter Ramses würde natürlich dessen Name dastehn. Die Stelle zeigt
deutlich, wie Gardiner erkannt hat, daß Sukkot (Zeku) sowohl der Name
der Landschaft wie der der Grenzfestung ist, deren Mauern in Teil
el Maschuta erhalten sind, und daß Pitom (ndtouixo? Herod. II 158, am
Kanal) nicht ein zweiter Name desselben Ortes ist, sondern weiter
landeinwärts liegt. In griechisch-römischer Zeit heißt er Heropolis,
und dies lag nach Angabe eines in Teil el Maschuta gefundenen
Meilensteins 8 römische Meilen (östlich) von diesem an der Straße
nach Klysma - Suez. Das stimmt, wie Gardiner hervorhebt, genau zu
dem Abstand von Teil er Retäbe.
*) Das hat dazu geführt, daß man Ramses fälschlich im Wadi
Tümilät gesucht hat (s. o. S. 454).
3) Naville, Goshen and the shrine of Saft el Henneh, 1887. Es ist
der Sitz des I.Ior-Sopd, des ,Herrn des Ostlandes" ; der Nomos und
Die Ostgrenze. Ägyptische Denkmäler in Palaestina 489
Wie hier, wird auch an der Hauptstraße nach Asien in Sile
scharfe Grenzwacht gehalten; aus der Zeit Merneptahs (J. 3)
ist uns ein Bruchstück des Tagebuchs eines hier stationierten
Beamten erhalten, der die durchpassierenden Offiziere und
Beamten und die Briefe registriert, die sie an den Hof oder
an die Festungskommandanten in Syrien mit sich führen^).
Daß Auswanderung nicht gestattet war und die Flüchtlinge,
die in der Fremde ein Unterkommen suchten, zurückgeliefert
werden mußten, haben wir beim Vertrage mit Chattusil gesehn,
ebenso aber, daß sich ein reger Geschäftsverkehr wie inner-
halb des Reichs so mit den Nachbarstaaten entwickelte, wie
mit dem Chetiterreich, so natürlich auch mit Babylonien und
Assyrien. In den Phoenikerstädten wird sich mit dem Handel
der Wohlstand ständig gehoben haben und damit der Grund
für ihren gewaltigen Aufschwung in der folgenden Epoche
gelegt worden sein^). In Palaestina hat das Pharaonenreich
eine lebhafte Kulturtätigkeit entwickelt. Wie Sethos hat auch
Ramses am Tempel in Betsean gebaut, und in seinem 34. Jahre,
also zur Zeit des Ehebündnisses mit der Tochter Chattusils, hier
einen Denkstein errichtet, auf dem er dem Amon — der offen-
bar auch hier eine Kultstätte erhielt — Prunkgefäße darbringt.
Nicht weit von dem Denkstein seines Vaters im Haurän, bei
Sech Sa'd in der Gegend von 'Astarot, hat sich ganz ver-
wittert ein großer Basaltblock erhalten, der sog. Hiobstein,
seine Hauptstadt heißen später Arabia, und diese hat sich mit dem als
Phakusa, jetzt Fäqüs erhaltenen Namen weiter nach Norden verschoben.
Gardiner, J. Eg. Arch. V 218 ü'. bezweifelt die Identität und die Lesung
des Ortsnamens als Cjsm (so richtiger als Qsm, in LXX reosfji ganz
korrekt wiedergegeben), die er durch Ssmt ersetzen will, m. E. mit
Unrecht.
') Pap. Anast. III verso 6 u. 5, Breasted, Rec. III G29 ü'. Erman-
Ranke, Ägypten 64-5, auf einem Blatt, das der Schreiber Paibasa bei
der Zusammenklebung der Schriftrolle für seine Musterschrift ver-
wendet hat. — Vgl. weiter unten S. .578, 1.
') Da es zum mindesten höchst unsicher ist, ob die phoenikische
Bachstabenschrift schon in diese Epoche hinaufreicht (o. S. 453, 2), kön-
nen wir darauf erst im nächsten Bande eingehn.
^90 X. Die Kultur der Kaiuessidenzeit
auf dem er eine einheimische Gottheit mit undeutbarem Namen
verehrt^). Gleichartige Denkmäler und StUdtebauten, die sich
unter Merneptah weiter fortsetzen, hat es in Palaestina ge-
wiß vielerorts gegeben.
Auf dem Mittelmeer besaß das Keicli eine ansehnliche
Handels- und Kriegsflotte, mit dem Haupthafen in der Ramses-
stadt-), und ein reger Seeverkehr bestand wie mit den asiati-
schen Küsten so mit der ägaeischen Welt. Mykenische Ge-
fäße sind fortdauernd in Phoenikien und Palaestina und in
stets steigendem Maße in Ägypten importiert worden, wo sie
in ähnlicher Weise beliebt waren und daher auch vielfach
nachgeahmt wurden, wie die chinesischen im 18. Jahrhundert
in Europa^). Dagegen haben sich die Namen der Pharaonen
der neunzehnten Dynastie in der ägaeischen Welt nirgends
gefunden, wie denn auch diese Gebiete selbst in den renom-
mistischen Inschriften Ramses' H. nicht mehr erwähnt wer-
den. Die nahen politischen Beziehungen in der Blütezeit
Kretas sind seit dessen Fall gelockert, Gesandtschaften mit
Geschenken, wie unter Thutmosis HL, kamen nicht mehr vor.
Wohl aber zeigt der schon erwähnte Piratenzug der Serdana,
daß die Verhältnisse .sich geändert haben: die Seevölker ha-
ben sich fühlen gelernt und die Vorstöße Europas gegen den
Orient beginnen.
Sehr auffallend ist. daß auch von Punt unter Sethos
und Ramses niemals die Rede ist, auch nicht in den verherr-
lichenden Prunkinschriften; denn daß sie in den stereotypen
Völkerlisten neben afrikanischen Stämmen nach wie vor ge-
') Schumacher, Z. D. Pal. Ver. 14, 14'J f. P]uM.\s ebenda 1-5, 205 ff-
iind ÄZ. 31, 100. Zusammenstellung der Denkmäler beider Könige
bei Gressman.n, Altor. Bilder ^ no. 90 f. 97 f. 103.
2) „Die Schifi'e der Stadt fahren ab und landen" ; sie ist die
Stätte, „wo man deine (des Königs) Fußtruppen mustert, wo deine
Schiffstruppe landet, wenn sie dir Gaben bringt", Pap. Anast. III 2.
III 7, Erman, Äg. Lit. 261. 340, Gardiner, .J. Kg. Arch. V 185 f. 252.
') Nachahmungen mykenischer Bügelkaunen sind im Grabe Ram-
ses' III. dargestellt : Fremdvölkerphot. 809. 642 f. = Fimmen, Kretisch-
myk. Kultur 20s f. Abb. 202. 203.
Seeverkehr. Punt. Fremde Elemente in Ägypten 491
nannt werden, beweist natürlich garnichts. Handelsfahrten
auf dem Roten Meer wird es auch jetzt gegeben haben, wenn
auch mit vielfachen Unterbrechungen; und man kennt und
iireist in Ägypten nach wie vor den Weihrauch und die Bal-
same von Punt und weiß auch, daß das große Meer, auf dem
man nach Punt fährt, bis zur Euphratmündung reicht^), wenn
man auch die Seefahrten wohl nie bis dahin ausgedehnt haben
wird. Aber die Tribute von Punt, die noch Haremhab er-
halten hat, sind jetzt schwerlich noch eingegangen; erst
liamses HI. hat wieder eine Expedition dorthin entsandt.
Sowohl durch die Kriege wie durch den andauernden
Verkehr sind ununterbrochen fremde Volkselemente ins Nil-
tal eingeströmt, teils als Kriegsgefangene, die den Göttern
oder den Soldaten und Magnaten als Sklaven überwiesen wur-
den, teils als Händler und Söldner und auch als Ansiedler,
wie die Beduinen im Wadi Tümihit: in der Ramsesstadt, in
Memphis, und gewiß auch in anderen Städten entstehn ganze
Quartiere dieser kana'anaeisch-phoenikischen Zuwanderer, die
ihre heimischen Gottheiten mitbringen. Physisch erfährt da-
durch die Rasse eine stets wachsende Beimischung fremden
Bluts, von Süden her mit Bedja und Negern — auch die
Mumie Sethos' I. zeigt nubische Züge — . von Westen, in der
Folgezeit immer mehr anwachsend, mit Libyern, von Osten
mit Semiten; geistig dagegen hat das Ägyptertum mit seiner
altgefesteten Kultur sich diese fremden Elemente assimiliert.
Aber ununterbrochen strömen in diese Kultur mit den Waren
und Industrieprodukten des Auslandes auch fremde Anschau-
ungen ein, vor allem aus der semitischen Welt. Eine wirk-
liche Kunst freilich gab es in Phoenikien und Palaestina
nicht, sondern nur eine handwerksmäßige Technik; daher
reicht die von hier kommende Einwirkung in keiner Weise an
die schöpferische Einwirkung heran, welche die Berührung
*) Im großen Harrispapyrus 77, 9, bei Ramses' III. Expedition
nach Punt, heißt es „das große Meer des verkehrten Wassers", d. h.
des Euphrat, der ja naturwidrig in entgegengesetzter Richtung üießt
wie der Nil, s. Breasted. Rec. IV 407.
492 -^^ ^'^*^ Kultur der Ramessidenzeit
mit der kretischen Kultur unter der achtzehnten Dynastie
gebracht hatte. Äußerlich jedoch tritt sie weit stärker her-
vor. Kana'anaeische Wörter dringen in Masse ins Ägyptische
ein, nicht nur für die von dort bezogenen Waren und Waf-
fen, Roß und Wagen, Streitaxt und Panzer, sondern ebenso
z. B. der semitische Friedensgruß haUhn oder die Bezeichnung
der Jungmannschaft (S. 430. 462); neumodische Schriftstücke
und Literaturwerke erAveisen durch solche fremden Wörter und
Phrasen, daß sie wirklich auf der Höhe des Zeitgeschmacks
stehu. Semitische Götter finden in stets wachsender Zahl Auf-
nahme in das ohnehin immer unabsehbarer anschwellende
ägyptische Pantheon, so Qades (o. S. 101) und die Kriegs-
gottheiten Resep und 'Anat (o. S. 457, 2), nach der z. B. Ram-
ses IL nicht nur Rosse und Hunde, sondern auch seine Tochter
Bent'anat benennt, sowie eine berittene, mit Lanze, Helm und
Schild bewehrte Göttin 'Asit^). Ba'al erscheint ganz als Äqui-
valent des Seth, des Gottes des Auslandes, dessen seit der
Hyksoszeit verfallener Kult, wie der von ihm abgeleitete Name
des Königs Sethos (Seti) zeigt, im Königshause lebendig war
und jetzt in den Deltastädten wieder eifrig gepflegt wird, so
in dem von Ramses IL neu aufgebauten und mit Tempeln
geschmückten Tanis. Kaum weniger tritt Astarte hervor, die
große Göttin des Geschlechtslebens und der Fruchtbarkeit; in
Memphis erhält sie im Semitenquartier südlich vom Tempel
des Ptah einen Tempel und gilt daher als dessen Tochter; eine
in einigen Bruchstücken erhaltene Legende erzählt, wie sie
nach Ägypten geht, um hier ihren Kult zu begründen, und
die Götterneunheit sie huldigend aufnimmt^'). Welche Be-
') In dem Wüstentempel von Redesie LD. III 138a, Fremdvölker-
phot. 120, unter Sethos, wohl das weibliche Korrelat zu dem Gotte
'Esau (Giowoc). Über eine Göttin Ba'alat sapon in Memphis s. W. M.
Miller, Asien und Europa 315.
2) Erman, Äg. Lit. 218 f. Daß sie identisch ist mit der i^[vt\ 'A'f poBitv]
im TEiiEvoi; des Proteus im Tuptwv otpatörteSov (dieser Name wird wohl
erst aus der Zeit der 26. Dyn. stammen) im Süden des 'HcpaioTsiov von
Memphis Herod. II 112, unterliegt keinem Zweifel; vgl. Schäfer ÄZ.
Kana'anaeische Einflüsse und Götter in Ägypten 493
deutung diesen Kulten zukam, zeigt deutlich, daß die vier
Quartiere der Ramsesstadt bezeichnet sind durch einen Tem-
pel des Amon im Westen, der Buto (der Schutzgöttin des
Delta) im Norden, der Astarte im Osten, des Seth im Süden.
Ebenso heißt eine der vier Legionen des Sethos und Ramses
nach Seth, der so den drei Hauptgöttern Ägyptens, Amon,
Re' und Ptah, gleichberechtigt zur Seite steht.
Ein anschauliches Bild des Handelsverkehrs mit Vorder-
asien und der durch ihn eingeführten Waren gibt ein fingierter
Brief aus den Schreiberheften dieser Zeit, der die Bedürf-
nisse des königlichen Hofs schildert^). Da erscheinen Möbel
mit eingelegter Arbeit aus dem Amoriterlande und aus Qedi,
chetitische Waffen, Wein und Obst aus dem Chetiterlande,
Öle aus allen syrischen Landschaften, die zu Schiff kommen
wie das Bier aus Qedi, Kupfer aus Cypern, Pferde aus Sinear,
Stiere aus Chatti, ferner junge kilikische-) Sklaven, ausge-
zeichnet durch Schönheit und gewandtes Benehmen, die zur
Bedienung des Königs bestimmt sind und später, wenn sie
älter geworden sind, in der Küche und zum Brauen des
Qedibiers beschäftigt werden. Diese schmucken Ausländer
aus fernen Landen sind offenbar eine Rarität und daher weit
höher geschätzt als junge Kana'anaeer und Neger, wenn-
gleich auch diese schön gekleidet werden, um als Wedel-
träger zu dienen.
40, 34. Ihr Kult hat sich hier und ebenso im Serapeum bis in die
griechische Zeit erhalten, s. Wilcken, Urkunden der Ptolemaeerzeit I
S. 37. Die Namensform 'Astart (mit Femininendung), die die Ägypter
übernommen haben, ist spezifisch kana'anaeisch.
') Pap. Anast. IV 1.5 £F. = III 8 f., Erman Lit. 265 f.
2) Krk, von W. M. Müller, Asien 352 mit Recht als -[bn, KU.'.xs?,
assyr. Chilakku gedeutet (worauf auch das Qedi-bier hinweist), wenn-
gleich dieser Name sonst in dieser Zeit nie vorkommt; nicht unmög-
lich ist seine Vermutung, daß Karkisa (o. S. 443) eine Variante des-
selben Namens ist.
494 ^- ^^^ Kultur der Kamessidenzeit
Die Verwaltung. Die Ramsesstadt und die übrigen
Städtegründungen
In der Verwaltung des Staats hat sich, soweit wir sehn
können, kaum etwas geändert; die streng durchgebildete Be-
amtenhierarchie, welche die Begründer des Neuen Reichs ge-
schaffen haben, zu der die gelehrte Erziehung der „Schreiber"
den Eintritt eröffnet, funktioniert schlecht und recht weiter
in den altgewohnten Geleisen. Aber daneben finden wir jetzt
auch in hohen Stellungen immer häufiger Leute aus dem
Haushalt des Königs (wba, von Ermax treffend durch ,Truch-
seß" wiedergegeben), ein Zeichen, daß die in absoluten Mon-
archien kaum vermeidliche Günstlingswirtschaft sich gegen-
über den Zeiten Thutmosis' III. auch hier immer mehr ein-
nistet. Auch Ausländer werden unter den Beamten immer
häufiger, kenntlich an den semitischen Namen und wohl meist
aus dem Sklavenstande hervorgegangen, wie so viele Paschas
in der Türkei.
Der Sitz der Regierung ist jetzt die Ramsesstadt an der
Ostgrenze „zwischen dem Choriterlande und Ägypten", „der
Anfang des Auslandes und das Ende Ägyptens". Von der
Herrlichkeit der neuen Gründung geben mehrere Schriftstücke
eine enthusiastische Schilderung, die lebhaft an die Schilde-
rungen Alexandrias unter den Ptolemaeern erinnert^). Sie
ist angelegt wie Theben, von gewaltigem Umfang; die Be-
völkerung zahlreicher Ortschaften ist in ihr angesiedelt. Die
Landschaft ringsum ist von üppiger Fruchtbarkeit, mit Pal-
men und Obstbäumen, Kornfeldern, Gemüsebeeten und Wein-
gärten, durchschnitten von mehreren Kanälen und Teichen,
voll von Fischen und Vögeln, unter denen der Sichör („Horus-
see"), die östlichste der Lagunen des Nil, aus der man Salz
gewinnt, besonders gerühmt wird. Der Hafen am Meer liegt
voll von Schiffen, die mit ihren Waren aus- und einfahren.
So strömen hier alle Herrlichkeiten der Erde zusammen;
jeder Wunsch der Bewohner wird erfüllt, „die Kleinen in ihr
■) Ermax, Lit. 261 f. 3S7 ff. Gardiner, J. Eg. Arch. V 185 tf.
Die Ramsesstadt. Städte und Tempel in Nubien 495
leben wie anderswo die Großen". In der Mitte liegt der
Königspalast „gleich dem Horizont des Himmels", in dem der
Pharao residiert, vor dem alle Länder und Fürsten sich beu-
gen; man erzählt, daß der Großkönig des Chattireichs den
Fürsten von Qedi aufgefordert hat, mit ihm nach Ägypten
zu ziehn, um hier dem Ramses zu huldigen, denn nur durch
seine Gnade existieren sie^). In der Stadt liegen die Truppen
des Königs einschheßlich der Serdana, und an den Festtagen,
wenn er hier triumphierend seinen Einzug hält oder weiter
hinaufzieht nach Theben, um dem Amon die Gefangenen dar-
zubringen, strömt die ganze Jugend in Festgewändern zu-
sammen mit Zweigen in den Händen, und die Bittgesuche
werden ihm vorgetragen.
Außer der Ramsesstadt sind von Ramses II. mehrere
andere Städte im Delta angelegt oder erweitert und mit Bau-
ten geschmückt, so Tanis und die Städte im Wadi Tümilät.
Daneben wird vor allem die Kolonisation Unternubiens bis
zum zweiten Katarakt fortgeführt und zum Abschluß gebracht.
Ramses II. hat hier nicht weniger als fünf Felsentempel er-
baut, zu denen natürlich befestigte Ortschaften mit Garnisonen
gehörten: Bet el Wali bei Kalabse, Gerf Husen, Sebua, Derr,
Abusimbel; dazu kommt noch der kleine freistehende Tempel
von Akse unterhalb Wadi Haifa. In diesen Tempeln wird
meist er selbst neben Amon, Re', Ptalj als Landesgott verehrt.
Rechnen wir noch die unter der achtzehnten Dj'nastie erbau-
ten Tempel von Kalabse, Amada, Buhen bei Wadi Haifa,
sowie Festung und Tempel von Semne oberhalb des zweiten
Katarakts hinzu, so ergibt sich, daß dieser Teil Nubiens da-
') Wie weit das geschichtlich ist, läßt sich nicht erkennen. Die
weitere Äußerung des Chetiterkönigs »jedes Land existiert nach seinem
Belieben, und das Chattireich nach seinem Willen allein. Nimmt der
Gott seine Opfer nicht an, so bekommt es keinen Regen zu sehn",
verwendet die Darstellung, die Ramses in der Proklamation über seine
Ehe mit der chetitischen Prinzessin gegeben hat (0. S. 483); auch das
ist ein Beweis, daß Sethe's Datierung des Textes über die Ramsesstadt
(0. S. 4.54. 8) nicht haltbnr ist.
496 ^- ^'^ Kultur der Ramessidenzeit
iiials so dicht besiedelt gewesen ist, wie es die Natur des
Landes irgend zuließ. Um so auffallender ist, daß im oberen
Nubien, wo Amenophis III. Tempel und Stadt von Soleb nebst
Sedeinga (o. S. 329) erbaut hat, bis nach Napata hinauf sich
keine Spur einer Bautätigkeit der neunzehnten Dynastie findet;
nur den Sonnentempel Echnatens in Sesebi (o. S. 385) hat Se-
thos I. in einen Amontempel umgebaut, die zugehörige Stadt,
deren Grundriß noch erkennbar ist, hat den Namen Gematen
aus der Ketzerzeit dauernd behalten^).
Daß die nubischen Goldminen im Wadi 'Aläqi weiter aus-
gebeutet wurden, bestätigt der Bericht Ramses' IL, daß es
dem „Königssohn von Kus" auf seine Anweisung gelungen
ist, auf der Wüstenstraße dorthin einen Brunnen auszuheben,
nachdem ein gleicher Versuch unter Sethos mißglückt war^).
Dagegen hatte Sethos Erfolg, als er, in seinem 9. Jahre, nach
Besichtigung der Wüstenstraße, die von Edfu zu den Gold-
minen des Gebirges am Roten Meer führte, hier nach Wasser
graben ließ; an dem Brunnen hat er eine Station mit einem
Tempel erbauen lassen. Die Minen auf der Sinaihalbinsel
waren natürlich gleichfalls dauernd in Betrieb.
Tempelbauten und bildende Kunst. Die Schlachtgemäide
Unter Sethos und Ramses hat sich, im engsten Zusam-
menhang mit der in ruhmreichen Kriegen gewonnenen Wieder-
herstellung des Weltreichs, das freilich den alten Umfang nicht
mehr erreichen konnte, der Glanz der ägyptischen Kultur
noch einmal voll entfaltet; sie erlebt einen zweiten Höhe-
punkt ihrer Entwicklung, der die Schöpfungen der Epoche
Amenophis' III. noch zu überbieten strebt. Der Staat ist neu
'j Über die Ruinen in Nubien verweise ich auch hier auf den
inhaltreichen Bericht Breasted's über seine Bereisung des ganzen Ge-
biets bis nach Meroe. Amer. J. of Semit. Lang. XXIII 1906 und
XXV 1908.
2) Breasted, Rec. III 282 ff. Aus Sethos' Zeit stammt die bekannte
Karte der Goldminen.
8) Breasted, Rec. III 162 ff.
Die Tempelbauten der Ramessiclen 497
gefestigt, die vou den Göttern gewollte Weltordnimg uner-
schütterlich begründet; so können die Mittel des Reichs in
vollstem Ausmaß der höchsten ihm gestellten Aufgabe dienen,
die Allmacht der Götter Ägyptens und ihres mit ihnen un-
trennbar verbundenen Sohnes zu verherrlichen und der Mit-
welt und Nachwelt sinnfällig darzustellen. Es beginnt eine
Bautätigkeit, wie sie die Welt in diesem Umfang niemals
wieder gesehn hat. Sie setzt unter Ramses I. ein mit der
Grundlegung des Säulensaales von Karnak; unter Sethos
kommen außer Bauten in Memphis, Heliopolis und anderen
Orten der große Osiristempel von Abydos und sein eigner
Totentempel in Theben (Qurna) sowie sein gewaltiges Grab
hinzu. Sein Sohn hat dann alle diese Bauten zum Abschluß
geführt und nahezu in jeder Stadt des Niltals vom Delta bis
zum zweiten Katarakt neue Tempel erbaut oder alte erwei-
tert. Die Bauten in den Deltastädten und in Nubien sind
schon erwähnt; in Memphis und Heliopolis .sind sie, wie die
gesamten Tempelbauten, nahezu restlos geschwunden. In
Abydos hat er neben den prächtigen, von ihm vollendeten
O.siristerapel seines Vaters einen zweiten, kleineren gestellt,
der seinem Totenkult im Reich des Osiris dienen soll und
seine eigenen Taten verherrlicht. In Theben hat er dem unter
Tut'anch-amon und Haremhab restaurierten Amonstempel von
Luxor (Opet) einen großen Hof mit mächtigem Pylon vor-
gelegt, in dessen Säulengang eine Kapelle Thutmosis' III. ein-
bezogen wurde. In Karnak hat er den großen Säulensaal
vollendet; der gigantische Entwurf dagegen, der dem von
Ramses I. begonnenen Werk den unentbehrlichen vorderen
Abschluß geben sollte (o. S. 429), ist nicht ausgeführt wor-
jden — offenbar trat die Überzahl der anderen Bauten
hindernd dazwischen — , erst in weit späterer Zeit ist der
■große erste Hof und schließlich unter den Ptolemaeern der
abschheßende erste Pylou vor den Säulensaal gelegt worden,
bis dahin begnügte man sich mit einer Vorhalle, auf die vom
Nilufer her eine Widderallee zuführte. Zu diesen Güttertem-
peln kommt dann in der Totenstadt an der Westseite des Nils
Meyer, Geschichte des Alteriums. 11' 32
408 X- I^iö Kultur der Ramessidenzeit
der große Tempel Ramses' IL, das Ramesseum, von dem uns
außer den mächtigen Ruinen auch die in allem Wesentlichen
zutreffende Beschreibung erhalten ist, die unter Ptolemaeos I.
Hekataeos von Abdera von dem Wunderbau gegeben hat^).
Alle diese Tempel sind nach dem unter Amenophis III.
voll ausgebildeten Schema des Prozessionstempels angelegt;
auch die Arcbitekturformen sind die gleichen geblieben. Aber
die vertikale Gliederung der ursprünglich als Bündel von
Papyrusstengeln gedachten Säulenschäfte ist jetzt aufgegeben,
sie sind zu kreisrunden Trägern der Überdachung geworden.
Die alte Idee, daß aus dem Erdboden die in Blüten oder in
Schilfbündel endenden Pflanzen aufragen, über denen das
als Himmel gestaltete Dach schwebt, lebt noch darin nach,
daß dieses Dach niemals unmittelbar auf dem Pflanzenkapi-
tell aufliegt, sondern diesem noch ein schlichter Würfel als
Träger des Gebälks aufgesetzt ist. Im großen Säulensaal
von Karnak wird die Wirkung weiter durch die unverhältnis-
mäßige Höhe der Bündelkapitelle -j und durch den riesigen
Umfang der Säulenschäfte getrübt; in ihrer dichtgedrängten
Stellung, die absichtlich jeden schrägen Durchblick aus-
schließt, erscheinen sie plump, der harmonische Eindruck
des Tempels von Luxor wird nicht mehr erreicht. Überdies
sind diese Säulen vollständig mit tief eingeschnittenen In-
schriften und Skulpturen bedeckt, die ihren ursprünglichen
Charakter vollends auflieben. Auch in Luxor hat Ramses,
beseelt von unermeßlicher Eitelkeit, sich nicht versagen kön-
nen, seinen Namen überall aufdringlich tief in die Säulen
einschneiden zu lassen, in schroffem Gegensatz gegen die
feinen, bescheiden auftretenden Inschriften Amenophis' III.,
und hat dadurch den vornehmen Bau aufs häßlichste entstellt.
') Diodor I 47—49. bezeichnet, als Grab des Osymandyas (Ent-
stellung des Thronnamens Ramses' II Usimare'). DieChetiter der Kampf-
szenen werden hier als Baktrer gedeutet; vgl. Tacit. Ann. II 60 bei
Germanicus' Besuch in Theben.
2) Das Verhältnis der Kapitelle (mit Ausschluß des Abacus) za
dem £flatten Schaft ist etwa 2 : 5.
Die Bauten fiamses' II. Felsentempel 499
Neben Säulen werden in steigendem Maße Pfeiler ver-
wendet, an denen Statuen des Osiris oder des Königs lehnen.
Dazu kommt die geradezu unübersehbare Masse von stehen-
den und sitzenden Königsstatuen, mit denen Ramses II. seine
Tempel füllte, bis zu den Riesenkolossen vor dem Tempel
von Luxor (sechs, 14 Meter hoch, dazu sechs kleinere, aber
immer noch 7 Meter hohe in seinem Säulenhof), im Rames-
seum, in Memphis, deren Maße die Memnonsstatuen Ame-
nophis' III. erreichen und sie durch das Material, harten
Granit, noch überbieten. Kaum weniger zahlreich sind die
Götterstatuen, und auch an Obelisken fehlt es nicht. Dazu
sind alle Wände der Bauten, einschließlich der riesigen Py-
lonen am Eingang, vollständig mit Reliefgemälden geschmückt,
die teils Kultszenen, teils die Siege des Königs darstellen
und verherrlichen.
Zu all diesen Bauten tritt nun noch eine neue Gattung
hinzu: die Pelsentempel. Felsgrüber mit Kammern und Hal-
len, geschmückt mit Reliefs und Inschriften, haben die Ägypter
zu allen Zeiten geschaffen; unter der achtzehnten Dynastie sind
sie in den Gräbern der thebanischen Totenstadt zu reichster
Entwicklung gelangt, den Höhepunkt, sowohl durch die Riesen-
dimensionen der Anlage wie durch die wunderbar feine Aus-
führung der Skulpturen und Inschriften, bildet das Grab Sethos' I.
im Tal der Königsgräber. Ramses II. hat dann diese Bauweise
auf seine Tempel in Nubien übertragen^). Den Anstoß mag
der Wunsch gegeben haben, den schmalen Streifen Kultur-
landes möglichst zu schonen; dazu aber kam der Reiz, den
die Aufgabe bot. Der gesamte Bau mit der Pfeilerhalle, den
Kulträumen und den Seitenkammern wird gewissermaßen
in den Felsen hineingeschoben; besonders anschaulich zeigt
sich dadurch zugleich, daß der ägyptische Tempel ganz auf-
gebaut ist auf die Idee des Weges zu der in geheimnisvollem
') Einen ersten Ansatz stellt die Felskapelle FJaremhabs in Sil-
silis mit Darstellung seines Triumphznges nach dem Feldzug gegen
Nubien und eine von ihm im Gebel Adde schräg gegenüber von Abu-
simbel angelegte Felskapelle dar-
500 ^- I^iö Kultur der Ramessidenzeit
Dunkel liegenden Stätte tief im Innern, an der der Gott
haust, und eine Wirkung nach außen nur durch die Gestal-
tung des Eingangs erstrebt. Neben den kleineren Felstempeln
von Bet el Wali, Gerf Husen (von dem „Königssohn von Kus*"
Setau erbaut), Sebü'a und Derr steht der Riesentempel von
Abusimbel, vielleicht das gigantischste Bauwerk der Erde.
Keine Beschreibung und keine Abbildung vermag den Ein-
druck wiederzugeben, den es erzeugt. Auf einer Terrasse
sitzen, aus dem Felsen gehauen, vier 20 Meter hohe Statuen
des Königs; hoch oben, über der weithinauf geglätteten
Hinterwand, begrüßt, nach altherkömmlicher Symbolik, eine
Reihe von Pavianen den aufgehenden Sonnengott, während
dann bei Tagesanbruch das Sonnenlicht von hier aus lang-
sam hinabsteigt, bis es durch das Portal zwischen den Ko-
lossen in den von acht Pfeilern getragenen Innensaal ein-
dringt. Auch an jedem von diesen lehnt wieder eine 8 Meter
hohe Statue des Königs in Gestalt des Osiris, alle aus dem
Felsen gehauen; und alle diese Statuen, draußen wie drinnen,
geben trotz der gewaltigen Dimensionen die Porträtzüge Ram-
ses' IL lebensvoll w^ieder, einige in vorzüglicher Ausführung.
Die Innenwände sind dann, Avie überall, mit religiösen und
geschichtlichen Darstellungen bedeckt, darunter vor allem
das große Gemälde der Schlacht bei Qades. Dem modernen
Menschen erscheint es unfaßbar, wie in wenigen Jahrzehn-
ten^) ein solches Werk geschaffen werden konnte, das für
sich allein den unvergleichlichen Ruhmestitel jeder anderen
Epoche bilden würde: hier aber stehn all die anderen Tempel-
])auten daneben, und in Abusimbel selbst noch ein zweiter
kleinerer Felsentempel, der seiner ersten Gemahlin Nofret-ari
geweiht, also gleichfalls vor der Ehe mit der Chetiterin er-
baut ist, am Eingang mit je drei Statuen des Königs und
der Königin geschmückt.
Ano-esichts all dieser Bauwerke staunt man immer von
') Die große Inschrift' über die Ehe mit der chetitischen Prin-
zessin im J. 34 ist draußen neben dem südlichsten Koloß aufgestellt;
damals wird also der Tempel bereits fertig gewesen sein. ;
Der Tempel von Abuc^imbel. umfang der Kunsttätigkeit 501
neuem über die geradezu unabsehbare Menge geschulteu
Arbeiter, die dieser Zeit zu Gebote standen, von den Stein-
metzen und Maurern, den Kunsthandwerkern, den Vorar-
beitern und den Lehrh'ngen der Bildhauerschulen bis zu den
Meistern, die die Pläne und Zeichnungen entwarfen, die Aus-
führung überwachten und den plastischen Werken die letzte
Vollendung gaben. Auf diese Schöpfungen des Königs ist
aber die Kunsttätigkeit der Epoche keineswegs beschränkt;
vielmehr gehn ihnen auch jetzt ununterbrochen die prächtig
ausgestatteten Grabbauten der Magnaten zur Seite, vor allent
in den Nekropolen von Memphis und Theben, denen wir ge-
rade in dieser Zeit nicht wenige Kunstwerke ersten Ranges
verdanken. Ermöglicht ist diese einer modernen Zeit gänz-
lich unfaßbare Entfaltung einer monumentalen Kunst nur
dadurch, daß wie auf religiösem und staatlichem, so auch auf
künstlerischem Gebiet die in der Amarnazeit erschüttert« >
Tradition wieder die volle Herrschaft gewonnen hatte und
damit die unverbrüchliche Sicherheit des Stils gewährte,
welche die rasche Ausführung ermöglichte. Innerhalb der da-
durch gesetzten Schranken ist jedoch in der Einzelgestaltung
noch so viel Spielraum gelassen, daß die Individualität des
Künstlers noch nicht erstickt ist und daher auch die in de)-
Amarnazeit gegebenen neuen Anregungen noch nachwirken
können.
Besonders deutlich tritt das in den Gemälden hervor. Die
Technik ist unverändert die altherkömmliche geblieben, mö-
gen, wie vielfach in den Gräbern, die Farben lediglich auf
die mit Stuck überzogene Fläche aufgesetzt sein oder mögen,
wie an den Tempelwänden durchweg, die Umrisse durch
Üaches oder durch versenktes Relief schärfer hervorgehoben
und dadurch zugleich eine leichte plastische Wirkung erzielt
sein; aber in der Wiedergabe der aus dem Leben gegriffenen
Szenen, z. B. der Gelage und der dabei aufgeführten Tänze
oder der Leichenzüge, herrscht reiches, buntbewegtes Leben,
und die Darstellung ist von einer so feinen Empfindung
durchweht, daß die Fortwirkung der Amarnakunst unverkenn-
gQ2 X. Die Kultur der Ramesside nzeit
bar ist. So entstehn Meisterwerke ersten Ranges, wie der
Leichenzug aus einem mempliitischen Grabe ^), auf dem in
dem großen, aus den höchsten Beamten und Priestern des
Reichs bestehenden Gefolge jede Gestalt ihre Individualität
wahrt und so trotz der über ihnen allen liegenden Trauer
jede Monotonie vermieden ist. Gleichwertiges hat, in einem
o-anz anderen Stil, erst die griechische Kunst auf dem Höhe-
punkt ihrer Entwicklung wieder zu schaffen vermocht.
Im Gemälde hat die ägyptische Kunst in der Ramessiden-
zeit noch einen gewaltigen Schritt vorwärts gemacht. Wir
haben früher gesehn, wie unter direkter Einwirkung der
kretisch-mykenischen Kunst die Darstellung von Schlachten
und Jagden langsam in Ägypten Eingang findet. Das hat
dann unter Sethos I. zu dem oben beschriebenen Bilderzyklus
geführt, der in langen Reihen von Einzelszenen den Verlauf
seiner Feldzüge bis zur Vorführung der Gefangenen darstellt
und sie mit dem altüberkommenen, längst symbolisch ge-
wordenen Bilde abschließt, auf dem der König die Gesamt-
masse der an einen Pfahl gebundenen feindlichen Häuptlinge
vor Amon am Schopf faßt und niederschmettert. Ramses II.
aber ist noch weit darüber hinausgegangen: er hat die Hel-
dentat, auf die er vor allen anderen stolz war, den Sieg bei
Qades, in ihrem gesamten Verlauf in zwei großen, unmittel-
bar aneinander anschheßenden Tableaus zusammengefaßt, von
denen das eine die Vorgänge im Lager von dem Verhör der
abgefangenen Spione bis zum Einbruch der chetitischen
Streitwagen, das andere die Schlacht vor der vom Fluß um-
strömten Festung bis zur Einbringung der Gefangenen und
der Zählung der den Gefallenen abgeschnittenen Hände dar-
stellt. Er hat diese Bilder nicht weniger als sechsmal an
seinen Tempeln darstellen lassen: in Luxor am Pylon und
an der Außenmauer des Tempels, im Ramesseum am Pylon
und an der Innenwand des zweiten Hofs, in Abydos an der
1) In Berlin (no. 12411), publiziert von Erman ÄZ. 1895, 18: einige
Stücke daraus bei Schäfer, Kunst des alten Orients 373 u. 374, sowie
Schäfer, Von Äg. Kunst, Taf. 39.
Die Schlachtgemälde 503
Außenwand seines Tempels, in Abusinibel im Innern. Dabei
sind, je nach den räumlichen Bedingungen, manche Einzel-
szenen verschieden verteilt und leicht modifiziert; aber zu-
grunde liegt überall der gleiche Entwurf, der von einem
genialen Künstler geschaffen sein muß. Es ist eine der wich-
tigsten und lohnendsten Aufgaben der ägyptischen Kunstge-
schichte, diesen Entwurf vollständig, mit den ursprünglichen
Farben, zu rekonstruieren und in allen Einzelheiten nicht nur,
wie bisher schon, geschichtlich, sondern auch künstlerisch zu
analysieren^). Der Gedanke, den Gesamtinhalt des Ereignisses
in einem auf einen Moment gestellten Idealbild zusammen-
zufassen, wie ihn in genialer Weise die Siegesstele Naramsins
(Bd. I 405) oder etwa das Mosaik der Alexanderschlacht ver-
wirklicht hat, liegt dem ägyptischen Künstler ebenso fern wie
etwa dem Polygnot in dem Gemälde der Marathonschlacht
und der Zerstörung von Troja oder der gesamten mittel-
alterlichen Kunst bis in die Frührenaissance hinein; vielmehr
sollen dem Beschauer alle Hauptmomente des Verlaufs im
erzählenden Bilde anschaulich vorgeführt werden. Aber im
Gegensatz zu dem Bilderzyklus des Sethos faßt jedes der
beiden Gemälde die einzelnen, mit Liebe ausgestalteten Epi-
*) Seit für alle übrigen Tempel die vortreäliohea Photographien
Burchardt's, für Abusimbel die Breasted's vorliegen, ist diese Auf-
gabe vollständig lösbar. Bis dahin sind wir für die Gesamtbilder auf
die aus den im einzelnen vielfach sehr ungenauen älteren Publikationen
mit großer Sorgfalt susammengestellten Übersichtsblätter Breasted's
in seiner Battle of Kadesh (o. S. 459, 2) angewiesen; nur Abydos und die
Szenen an der Außenmauer von Luxor fehlen bei ihm, da sie bisher über-
haupt noch nicht publiziert sind, — In Abusimbel ist das Schlachtbild
über das Lagerbild gestellt; in Luxor und im Raraesseum sind die beiden
Bilder auf die beiden Türme der Pylonen, in Abydos auf die beiden
Seiten der AuÜenwand des Tempels verteilt. Ursprünglich wollte man
in Luxor die Schlacht auf dem Westtunu darstellen und hat hier die
Gestalt des Königs vorgezeichnet und nachher getilgt, als man die
Lagerszene hierher und die Schlacht auf den Ostturm setzte; ebenso
ist auf dem Südturm des Ramesseams der König auf dem Streit-
wagen zuerst an eine später als ungeeignet erkannte Stelle gesetzt.
504 ^- I^'ß Kultur der Rumessidenzeit
soden^) zu einer starken Gesamtwirkung zusammen. Den
beherrschenden Mittelpunkt bildet in beiden die Riesengestalt
des Königs; im Lager auf goldenem Thron sitzend, umgeben
von seiner Leibgarde aus Ägyptern und Serdana und von den
höchsten Beamten, denen er wegen ihrer Unachtsamkeit
Vorwürfe macht, während die eingefangenen Spione durch
Schläge zur Aussage gezwungen werden, in der Schlacht auf
dem Kriegswagen mit mächtigen Rossen in das Getümmel der
feindlichen Wagen daherstürmend und seine tödlichen Pfeile
entsendend. Während aber die danebenstehenden erzählenden
Texte, der prosaische so gut wie der poetische, nur von den
Taten des Königs reden und ihn ganz allein den Sieg er-
fechten lassen, da alle anderen verzagen, gibt das Gemälde
ein geradezu überraschendes Bild des wirklichen Hergangs
und ermöglicht ihn vollständig zu rekonstruieren: die Feinde
kämpfen hier wirklich, sie brechen ins Lager ein, die Prin-
zen fahren in eiliger Flucht davon, die Legion des Ptah
wird schleunigst herbeigeholt, das rechtzeitige Eintreifen der
Na'aruna schafft den Ägyptern Luft, lauter Dinge, über die
der geschichtliche Bericht vollständig schweigt. Der Künstler
wird selbst beim Kampf zugegen gewesen sein und hat ihn
aus eigener Anschauung geschildert.
Diesen großen Gemälden an künstlerischem Wert gleich-
stehend sind einige der Bilder aus den späteren Kämpfen
(o. S. 468 f.), so die Eroberung von Satuna, das Bild einer
zerstörten Stadt inmitten der verwüsteten Landschaft, und
vor allem die Erstürmung von Dapur. Auch hier sind die
') Besonders wertvoll ist die eingehende Schilderung des Treibens
im Lager (vgl. Schäfer,, Klio VI, 397 f.). In diesem liegt auch ein
zahmer Löwe mit gefesselten Vorderfiißen, den Ramses als Prunkstück
mit sich geführt hat. Nichts damit zu tun hat d'e Figur eines auf-
springenden Löwen an s-eiiiem Wagenkasten: das ist ein Relief von
Metall, ist aber schon von den Interpreten bei Hekataeos (Diod. I 48, 1)
dah'n mißverstanden, daß wirklich ein Löwe am Kampfe teilgenommen
habe, während andere es als plumpe Renommage deuteten. Vgl. aber
S. .595, 1. — In Abusimbel haben die Künstler in einigen Fällen ihre
Nnmen unter die Gemälde eingetragen: Roeder AZ. 50, 76 f.
Die Schlachtgemälde. Statuen. Überhastung ,505
einzelnen Stufen des Kampfes zu einem einheitlichen Ge-'
samtbilde von gewaltiger Wirkung verbunden : wir sehn den
König, wie er im Vorgelände die Feinde überrennt und
dann, vom Wagen gesprungen, im schlichten Leibrock ohne
Panzer, die Verteidiger in der Festung mit Pfeilen über-
schüttet, während die übrigen Mannschaften nebst den durch
große Schilddächer gedeckten Königssöhnen den Burghügel
erstürmen und dann eine Mauerterrasse nach der anderen
erklimmen. Vergeblich suchen die Verteidiger sich mit Ge-
schossen und runden Steinkugeln zu wehren, schon sind die
Ägypter in die höchste Bastion eingedrungen, und so bleibt
ihnen nichts als um Gnade zu flehn und sich zu ergeben.
Gegen Malerei und Relief tritt die Rundplastik zurück.
Allerdings sind auch in dieser Zeit neben den Kolossen
manche in menschlichen Dimensionen gehaltene Statuen der
Könige und der Götter geschaffen worden, so das Sitzbild
Ramses' IL in Turin, in dessen Zügen sich gütiges Wohl-
wollen mit majestätischer Hoheit und Energie eindrucksvoll
verbindet; aber die Vollendung, in der die Porträtstatuen des
Mittleren Reichs und die Echnatens einen Einblick in die Seele
des Herrschers gewähren, ist nicht wieder erreicht worden.
So gewaltig der Eindruck ist, den die Schöpfungen
Ramses' H. hervorrufen, so wenig fehlt es daneben an tiefem
Schatten. Die Überfülle der gleichzeitig in Angriff genom-
menen Werke führte notwendig zu Überhastung und flüch-
tiger Arbeit. Die Sauberkeit und feine künstlerische Emp-
findung, mit der wie ehemals die Skulpturen und Inschriften
unter Amenophis III. so jetzt die Sethos' I. in Abydos und
in seinem Grabe ausgeführt sind, findet sich in denen seines
Sohnes nur noch vereinzelt. Unter den Wiedergaben der
Schlacht bei Qades steht die am Ramsestempel von Abydos
weitaus am höchsten, hier lebten offenbar noch die guten
Traditionen der Zeit Sethos' I. weiter. Dagegen ist z. B. das
Gemälde in Abusimbel recht flüchtig ausgeführt und großen-
teils nur in Umrißzeichnung skizziert, und den zahlreichen
Fehlern in den beigefügten Inschriften merkt man an. daß hier
506 ^' I^^6 Kultur der Ramessidenzeit
lokale Arbeiter verwendet wurden, die Sprache und Schrift
nur unvollkommen beherrschten. Mehrere der nubischen Felsen-
tempel, so der von Derr') und der von Gerf Husän mit den
plumpen Statuen an den Pfeilern sind geradezu liederlich
gearbeitet, und das gleiche gilt von gar manchen Werken
dieser Zeit. An Stelle der gemessenen Ruhe der früheren
Epochen tritt bei Ramses II. hastige Überstürzung; beseelt
von maßloser Großmannssucht, die in der schon berührten
Art, wie er seinen Namen auf die Denkmäler der Vorzeit
setzte, geradezu in Roheit entartete, wollte er sich immer
von neuem sonnen im Glanz seiner Göttlichkeit, durch die
Masse und die kolossalen Dimensionen alles von seinen Vor-
gängern Geschaffene weitaus überbieten und der Nachwelt
nichts mehr zu tun übrig lassen.
Je länger seine Regierung dauerte, desto mehr führte
diese Überspannung der Kräfte zu flüchtiger Arbeit, zum
Schwinden des echten Kunstempfindens, zu Erschlaffung und
Stillstand. Dazu kommt der ins Maßlose gesteigerte Ver-
brauch der materiellen Mittel, der zu finanzieller Erschöpfung
führen mußte. Das tritt ganz sinnfällig darin zutage, daß
im Gegensatz zu den unzähligen Denkmälern aus den ersten
Jahrzehnten Ramses' IL die Zahl der Bauten und Monu-
mente und auch die der Urkunden und privaten Inschriften,
die wir seinen späteren Jahren zuweisen können, auffallend
gering ist. Ganz deutlich erhält man den Eindruck, daß mit
dem Ausgang der langen Regierung Ramses' II. die Blüte-
epoche des Neuen Reichs ihr Ende erreicht hat.
Literatur und Religion. Das Tempelgut
Von der Literatur der Ramessidenzeit ist in den Papyri
und auf den wie im privaten und öffentlichen Verkehr so in
den Schulen als kostenloses Schreibmaterial verwendeten
Scherben von Tongefäßen und Kalksteinsplittern (Ostraka)
'j Breasted, Temples of Lown Nubia, Amer. J. of Semit, Lang. XXIII
p. 40 f.
Sinken der Kunst. Der iSchulbetrieb 507
manches auf uns gekommen. So haben sich im Ramesseum
aus der Zeit der Nachfolger Ramses' IL Massen solcher
Scherben und Papierfetzen gefunden, auf denen die Knaben
in der mit diesem Tempel verbundenen Schreibschule die
Texte nach Diktat niedergeschrieben haben; beim Schluß
der Schulstunden brechen sie ab, oft mitten im Satz, und
haben die Stücke dann auf den Kehrichthaufen geworfen.
Dazu kommen, vorwiegend aus ünterägypten und meist
aus derselben Zeit, nicht wenige Musterhandschriften der
„Schreiber", die an ihre Vorgesetzten („Lehrer'') gerichtet
und von diesen kalhgraphisch korrigiert worden sind (vgL
o. S. 67f.); sie sind ihnen dann mit ins Grab gelegt worden.
Aber auch wirkliche Bücher haben sich mehrfach erhalten,
daneben natürlich Aktenstücke, Briefe, Rechnungen u. ä.
Unter den in diesen Handschriften bewahrten Texten
nehmen auch jetzt die klassischen Literaturwerke des Mitt-
leren Reichs einen großen Raum ein, da sie als Muster des
getragenen Stils gelten, der namentlich in den Prunkinschrifteii
der Könige immer wieder nachgeahmt wird, auch in der
Sprachform, deren im Leben längst durch tiefgreifende Um-
bildung gewandelte Gestalt man künstlich festzuhalten sucht.
Um so beachtenswerter ist, daß sich, im Gegensatz zu den
von der babylonischen Schrift beherrschten Gebieten Vorder-
asiens, im ägyptischen Schulbetrieb sprachliche Arbeiten,
Grammatik und Lexikographie nicht entwickelt haben; was
an derartiges erinnert, beschränkt sich auf schlecht geordnete
Listen von Ortsnamen, Göttern u. ä. So kommt es, daß in-
folge der stetigen Vermengung alter und neuer Formen und
Schreibungen nicht nur die Orthographie verwildert und das
Gefühl für grammatisch und phonetisch korrekte Wiedergabe
der Sprache, sowohl der alten wie der neuen, vollständig
abhanden kommt, sondern daß auch das Verständnis der klas-
sischen und ebenso der heiligen Texte immer unsicherer wird;
die Handschriften der Schüler lassen immer wieder erkennen,
wie wenig sie von den Texten verstanden haben, die sie me-
chanisch niederschrieben.
508 ^- ^^'*^ Kultur der Ramessidenzeit
Neben der erstarrten archaischen hat indessen jetzt auih
die lebendige Sprache ihr Recht gewonnen, Wie in Baby-
lonien schon seit der Zeit Sargons das Sumerische durch die
semitische Sprache, im Chetiterreich die babylonische durch
die chetitische, bei den Kulturvölkern der Neuzeit das Latei"
nische durch die Volkssprachen verdrängt wird und wie im
modernen Griechenland die klassische Sprache dem Neu-
griechischen hat weichen müssen, so gewinnt in Ägypten
das „Neuägyp tische" immer weiteren Boden. Im täglichen
Leben, im gesamten Geschäftsverkehr, in den amtlichen Akten-
stücken, Korrespondenzen und Protokollen wird lediglich neu-
ägyptisch geschrieben, ja seine Sprachformen beginnen trotz
alles Widerstrebens — denn Echnatens kecke Neuerung, in
seinen staatlichen und religiösen Kundgebungen in der Volks-
sprache zu reden, ist natürlich von der Reaktion aufgegeben
worden — gelegentlich auch in die Königsinschriften ein-
zudringen. Daneben aber hat sich eine reiche, lebensfrische
Literatur populären Charakters in dieser Sprache entwickelt,
von der auch die Schreiberhandschriften nicht wenig aufge-
nommen haben, volkstümliche Erzählungen geschichtlichen
Inhalts wie die vom Hyksoskönig Apopi oder von der Ein-
nahme von Joppe unter Thutmosis III. durch eine List im
Märchenstil. Sagen und Märchen wie das aus mythischen
Elementen fortgebildete von den zwei Brüdern, aus dem ein
Motiv — die Versuchung des jüngeren durch die Frau des
älteren, der er widersteht und die ihn dann verleumdet —
in die Josephsage der Israeliten übergegangen ist, oder das
Märchen von dem Königssohu, der trotz aller Vorsicht dem ihm
verkündeten Geschick nicht entgeht. In die volkstümliche Lite-
ratur gehören auch die anmutigen, bei den Gelagen gesungenen
Liebeslieder, von denen uns Bruchstücke erhalten sind. Höhere
Ansprüche erheben die Dichtungen zum Preise des Königs und
der neuen Ramsesstadt, die oben S. 494 f. verwertet sind. Auch
das große Gedicht über die Schlacht bei Qades, das sowohl
handschriftlich wie in den Inschriften bei den Gemälden er-
halten ist, ist in der Volkssprache abgefaßt.
Die volkstümliche Literatur. Eine Streitschrift 509
Einen großen Raum nehmen in den Schreiberhand-
schriften außer den „ Weisheitslehren ", den Weisungen zu
wohlanständigem Verhalten und sittlich korrekter Lebens-
führung die altherkömmlichen Mahnungen zu eifrigem Lernen
und die Schilderung der glänzenden Stellung des „Schreibers'"
ein, daneben die Sammlungen von teils fingierten, teils wirk-
lich dem Leben entnommenen Musterbriefen, an denen der
feine Stil gelernt werden soll. Welch reges literarisches
Leben aber in diesen Kreisen geherrscht hat, zeigt in über-
raschender Weise eine umfangreiche Streitschrift gegen einen
Beamten der Zeit Ramses' IL, dessen literarische Leistungen
von seinem Gegner, unter notdürftiger Verhüllung durch die
obligaten Höflichkeitsphrasen, aufs ärgste sowohl stilistisch
wie inhaltlich zerzaust werden; am Schluß wird ihm aus-
führlich nachgewiesen, daß ihm jede wirkliche Anschauung
der Verhältnisse Syriens fehlt, so viel er sich auch darauf
zugute tut (vgl. o. S. 430). Offenbar hat diese Fehde zwi-
schen den Gelehrten ein lebhaftes Literesse erweckt; Stücke
aus der Invektive sind vielfach als Vorlagen für Diktate in
der Schule verwendet worden. Sie läßt ahnen, daß hinter
den traditionellen Formen in derselben Weise, wie wir es
auf dem Gebiete der bildenden Kunst annehmen müssen,
auch in der Literatur in der Gestaltung des Stoffs und der
Stilform im Wetteifer der Persönlichkeiten auch grundsätz-
liche Anschauungen bewußt hervorgetreten sind, so wenig
daraus eine theoretische Erörterung der Prinzipien nach
griechischer Art erwachsen ist.
Im allgemeinen trägt die gesamte Kultur der Rames-
sidenzeit ein durchaus modernes Gepräge. Das humane Emp-
finden, das das Agyptertum seit alters auszeichnet, und das
Streben, die Sittengebote zu befolgen, gegen die Mitmenschen
gerecht und wohlwollend zu handeln, gesteigert durch das
Bewußtsein, im Totengericht Rechenschaft ablegen zu müssen,
tritt in der Literatur überall hervor und gelangt auch in
den Äußerungen Ramses' II. im Schlachtgedicht wirkungs-
voll zum Ausdruck. Der erreichten Höhe, die das Leben so
610 ^- ^^^ Kultur der Ramessidenzeit
schön und genußreich zu gestalten gestattet, ist man sich voll
bewußt, und man lebt des Glaubens, daß unter dem Schutz
der Götter die nach außen wie nach innen gefesteten Zustände
in alle Zukunft weiter bestehn werden.
Daher ist für neue Ideen kein Raum. Wir haben schon
gesehn, wie unter der Herrschaft der restaurierten Ortho-
doxie das geistige Leben erstarrt und die Kultur unfrucht-
bar wird. Ständig gesteigert wird, eng verbunden mit dem
wachsenden Aberglauben, die Religiosität. Es wird allmäh-
lich Brauch, nicht nur über die Zukunft das Orakel zu be-
fragen, sondern auch in allen Streitigkeiten über den Tat-
bestand und Rechtsfragen die Entscheidung des Gottes ein-
zuholen — nachweisbar zuerst, seit Ramses III., beim Kultus
des zum Gott gewordenen Amenophis I. in der thebanischen
Nekropole^); alsbald wird die Entscheidung bei großen Staats-
aktionen von Amon selbst erbeten, dessen Fetisch sie in der-
selben Weise erteilt, wie er seine Priester bestellt oder nach
der offiziellen Darstellung Thutmosis III. zum Thronfolger
erwählt hat (o. S. 112).
So wächst denn die Macht der Priesterschaft und
auch ihre Zahl ständig; oft genug wird sie, so wenig die
offiziellen Texte davon reden, auch den allmächtigen Gottes-
sohn auf dem Thron des Horus unter ihren Willen ge-
zwungen haben. Durch die ununterbrochen den Göttern zu-
fließenden Geschenke an Grundbesitz, an Sklaven und Schätzen
aller Art aus der Beute und an sonstigen Gaben schwillt der
unter ihrer Verwaltung stehende Besitz der großen Tempel
ins Ungemessene an. Genauere Kunde darüber gibt die Zu-
sammenstellung, die beim Tode Ramses' III. über den Besitz
der Götter, ihre Einkünfte und die ihnen neu zugekommenen
Gaben gemacht worden ist-). Daraus ergibt sich zugleich,
') Siehe Erman, Zwei Aktenstücke aus der thebanischen Gräber-
stadt, Ber. Berl. Ak. 1910, 380 ff.
^) Im großen Harrispapyrus, s. Erman, Ber. Berl. Ak. 1903, 467 ff.,
der nachweist, daß das hier gleichfalls offiziell als Gabe des Königs be-
zeichnete , Besitztum für ewig" nebst dem jährlichen Einkommen der
Anwachsen des Tempelguts 511
wie unendlich Amon von Theben tatsächlich die beiden
anderen, ihm offiziell gleichberechtigt zur Seite stehenden
Reichsgötter, den Atum-rfe' von Heliopolis und den Ptat von
Memphis überflügelt hat — die übrigen Götter und Tempel
kommen demgegenüber kaum in Betracht. Danach gehört
dem Amon etwa ein Zehntel des Kulturbodens Ägyptens,
mit 81322 Leibeigenen, 421 3G2 Stück Vieh u. s. w.; der
Grundbesitz des Atum-re' beträgt kaum den fünften, der des
Ptalj gar nur den fünfundachtzigsten Teil der Grundfläche
des Amon, jener mit 12963 Menschen und 45 544 Rindern,
dieser mit 3079 Menschen und 10 047 Rindern.
So ist der Besitz des Amon zu einem Staat im Staat
erwachsen. Eine starke Regierung vermag noch, die Hand
über ihm zu halten, zumal die Ernennung der Oberpriester,
auch wenn dafür formell das Orakel eingeholt wird, tatsäch-
lich doch dem Pharao zusteht. Erschlafft aber die Staats-
gewalt, so wird, zumal da gleichzeitig die Religiosität immer
weiter anwächst, dieser Kirchenstaat seine eigenen Wege
gehn und zuletzt den Herrscher zur Puppe machen oder vom
Throne verdrängen. Das ist die Entwicklung, die sich, lang-
sam und unbemerkt fortschreitend, in Ägypten vollzogen hat;
durch sie hat schließlich das Königtum des Neuen Reichs
sein Ende gefunden^).
Götter, in Wirklichkeit ihren überkommenen Besitz darstellt, den Kam*
ses in. nur bestätigt hat, wie jeder König. Beim Tode Ramses' II. wird
dieser Besitz kaum geringer gewesen sein.
') Erman a. a. 0. S. 574 bestreitet das, weil er die früher aus dem
Papyrus Harris gezogenen Folgerungen über den Umfang des Kirchen-
guts und die Schenkungen Ramses' III. auf ein geringeres Maß reduziert
hat. „Die Tempel", sagt er, , waren sehr reich, aber sie waren nicht so
reich, daß sie eine Gefahr für den Staat bilden mußten". Dabei ist m. E.
stark unterschätzt, was ein Besitz wie der des Amon, der nach seiner
Berechnung „mindestens ein Zehntel der Äcker und ein Hundertstel
der Bevölkerung" umfaßt, in den Händen einer geschlossenen und ziel-
bewußten Priester^chaft bedeutet.
XI. Das Chetiterreich und seine Nachbarn.
Babylonien und Assyrien
Organisation und Charakter des chetitischen Reichs
Neben dem Pharaonenreich steht, seit dem Bündnisver-
trag von diesem als gleichberechtigte Großmacht anerkannt,
das Reich der Chetiter. Auch in seiner inneren Gestaltung
sucht dieses es dem Ägypterreich gleichzutun. Geschaffen ist
es durch die Herrscher eines Fürstentums im Innern Klein-
asiens, die ihre Macht über die Nachbargebiete ausdehnen
und neben dem alten Titel „König von Kussar" den eines
„Königs von Chatti" annehmen; seit aber Subbiluljuma die
Untervi^erfung der Küstengebiete und der syrischen Lande
wieder energisch aufnahm und ein wirkliches Großreich be-
gründete, setzt er, und ebenso seine Nachfolger, vor seinen
Namen den Titel „Sonne" und redet von sich in offiziellen
Erlassen als „meine Sonne". Das knüpft daran an, daß
auch bei den Chetitern die Sonnengottheit an der Spitze
des Pantheons steht, ist aber offenbar nicht organisch aus
den einheimischen Anschauungen erwachsen, wie in Ägypten,
sondern diesem nachgebildet: neben den Pharao, den der
Sonnengott (und zugleich alle anderen Götter) als Sohn ge-
zeugt hat, tritt der Chetiterkönig wohl nicht so sehr als In-
karnation, als vielmehr als irdischer Repräsentant der Sonne
selbst^). So schwebt denn auch in den hieroglyphischen In-
') Eine weitere realistische Ausgestaltung dieses Verhältnisses, wie
sie die offizielle Königslegende der Ägypter in so reichem Maße ent-
wickelt hat, scheint es im Chetiterreich nicht gegeben zu haben, sonst
würde es in den Königsinschriften an Anspielungen darauf schwerlich
fehlen. Auch das zeigt, daß wir es in der Königstitulatur mit einer
künstlichen Schöpfung zu tun haben. — Ich weise noch darauf hin.
daß den Babyloniern und der semitischen Welt eine derartige Gleich-
Stellung des Königs 513
schrifteil der Chetiter über dem Namen des Königs die ge-
flügelte Sonnenscheibe, und in den Reliefs von Jazylykaja
bei Boghazkiöi trägt er die Tracht und den Krummstab des
Sonnengottes. In einem dieser Bilder umschließt der Donner-
gott Tesub, der Schirmherr des Reichs, den König mit dem
linken Arm^); es ist genau dieselbe Gestalt, in der nach
der Angabe der ägyptischen Inschrift das Siegel des Chat-
tusil auf der an Ramses geschriebenen Vertragsurkunde an-
gebracht war.
Zum Namen des Großkönigs gehört ferner das Beiwort
„der Tapfere"^); er ist in erster Linie der Heerführer, der
wie der Pharao an der Spitze seiner Truppen kämpft und
sie zum Siege führt. Daneben hat er vor allem den Verkehr
mit den Göttern zu pflegen und die zahllosen Zeremonien
des bis ins Kleinste ausgearbeiteten Kultrituals gewissenhaft
zu vollziehn ; wie der Pharao und wie die babylonischen
Könige ist auch er dadurch in seinem öffentlichen Auftreten
auf Schritt und Tritt gebunden und seine Bewegungsfreiheit
beschränkt. Zur Seite steht ihm eine zahlreiche Hofljeamten-
schaft und daneben seine Hauptgemahlin, die in derselben
Weise wie in Ägypten als Mitregentin angesehn wird und
ihren starken Einfluß auch nach seinem Tode als Königin-
mutter behaupten kann. Im Tode geht der König dann wie
der Pharao in die Götterwelt ein — „er ist Gott geworden"
Setzung des Königs mit einem Gotte vollständig fremd ist; denn die
Erhebung des Königs zum Gott im Reich von Akkad und von Sumer
und Akkad (Bd. I 402) ist etwas wesentlich anderes und überdies längst
wieder aufgegeben. Die Griechen haben den Glauben, daß der König
als Gott gelte, fälschlich auf den Perserkönig übertragen, weil sie die
Proskynese so mißverstanden; die Göttlichkeit der sassanidischen Könige
aber ist aus hellenistischen Vorstellungen übernommen.
') Daher nennen sich Subbiluljuma und Mursil im Titel „Ge-
liebter des Tesub".
^) Geschrieben mit dem Ideogramm für qardu, das sich später
nicht selten unter den Beiwörtern der Assyrerkönige (zuerst bei Sal-
manassar I. in der Hauptinschrift ZI. 10) und der Götter findet, ägyptisch
durch tnr übersetzt (auch hier oft vom Pharao gerühmt). Aber titular
ist es nur bei den Chetiterkönigen.
Mej'er, Geschichte des Altertums. II' '^>'i
514 ^^- Das Chetiterreicl; und seine Nachbarn. Babylunien und Assyrier.
ist der offizielle Ausdruck für seinen Tod — ; auch hier werden,
wie in Ägypten, der ganzen Reihe der verstorbenen Herrscher
Totenopfer dargebracht^).
Neben diesen Übereinstimmungen und Entlehnungen treten
aber auch die Unterschiede beider Reiche stark hervor. Vor
allem fehlt dem Chetiterreich die geschlossene Einheit des Nil-
landes, sowohl geographisch wie national. Die Könige von
Chattusas (Boghazkiöi) haben in fortwährenden Kämpfen den
Hauptteil des östlichen Kleinasiens von den Taurusketten und
der zentralen Steppe bis zum Schwarzen Meer als Chattireich
zusammengefaßt, mit Angliederung des Königreichs Kizwadna,
das ihnen jetzt durch die Ehe Chattusils HL mit der aus
dem dortigen Priestergeschlecht stammenden Königin Pudu-
chepa noch fester verbunden war"). Den Hauptteil, abge-
sehn vom Irisgebiet und den Landschaften am Taurus und
Antitaurus, kann man als Stromgebiet des Halys bezeichnen;
jedoch eine innere Einheit vermag ihm dieser Fluß nicht zu
geben, der es in weitem Bogen durchzieht, aber weder schiff-
bar ist noch seine Ufer befruchtet.
Wie schon zur Zeit der assyrischen Handelskolonien des
3. Jahrtausends zerfällt dieses Gebiet in zahlreiche kleine
Gaue mit städtischem Mittelpunkt und lokaler Selbstverwal-
tung durch die Ältesten; die Reste dieser ummauerten Ort-
schaften liegen unter den Schutthügeln (türkisch Hüjük), die
weithin über die Landschaften zerstreut sind^). Sie alle haben
ihre lokalen Gottheiten; zusammen bilden sie „die 1000 Götter
des Chattilandes", die wichtigeren werden in den Vertrags-
urkunden in langer Liste namentlich als Zeugen aufgerufen.
Manche dieser Kultstätten sind zu ansehnlichen Heiligtümern
mit reichem Besitz und großen Scharen von Hörigen er-
wachsen; mehrere dieser „Gottesländer", so Komana am
Iris und die gleichnamige Stadt am Saros, haben sich durch
allen Wechsel der politischen und nationalen Gestaltung hin-
') Siehe Forrer. Bogh.-Texte in Umschrift S. 13* ff
2) Siehe o. S. 472.
^) Vgl. Forrer. Mitt. DOG. 65, 27 ff.
Organisation und Charakter des Reichs. Die Reichssprache 516
durch als selbständige Priesterfürstentümer bis in die römische
Zeit hinein erhalten.
In der Regel waren, so scheint es, die kleineren Stadt-
gebiete zu größeren Verwaltungsbezirken zusammengefaßt,
die an die Magnaten des Hofstaates und des Heeres, dar-
unter die Angehörigen des Königshauses, vergeben wurden. Zu
ihnen gehören vor allem das „obere Land" und das König-
tum von Chakpis, mit denen, nebst zahlreichen anderen Ge-
bieten, Chattusil von seinem Bruder belehnt wurde (o. S. 446.
472). Offenbar war die wirtschaftliche Entwicklung nicht so
weit fortgeschritten, daß ein wirklicher Beamtenstaat wie der
des Neuen Reichs möglich gewesen wäre; man konnte lokale,
selbständig gestellte Machthaber nicht entbehren, und das
Reich stand eher auf der Stufe, die Ägypten nach dem Ende
des Alten Reichs erreicht hatte und aus der dann die Mon-
archie des Mittleren Reichs erwachsen war.
Dazu kommt weiter, daß die Bevölkerung nichts weniger
als homogen ist. Die für manche Kultgesänge und Beschwö-
rungen vorgeschriebenen, zum Teil auch in literarischen Texten
vorliegenden Sprachen, das Protochattische, Charrische, Lu-
wische, Balaische, sind nicht etwa nur durch die geheiligte
Tradition künstlich im Kultus beibehalten, wie das Sume-
rische in Babylonien, das Sanskrit in Indien oder die christ-
lichen Kirchensprachen, sondern völlig lebendige Volksspra-
chen ; Unterschiede in der Rechtsstellung ihrer Gebiete finden
sich auch im Gesetzbuch^). Die darüber gelagerte chetitische
Reichssprache aber ist eine aus den verschiedensten Elementen
gebildete Mischsprache, die äußerlich in ein indogermanisches
Flexionsschema gezwängt, aber im Wortschatz ganz von frem-
dem Gut überwuchert ist. So ist sie nicht organisch erwachsen
und schwerlich wirklich bodenständig gewesen, sondern macht
weit eher den Eindruck einer künstlichen Bildung oder eines
aus dem Sprachwirrwarr entstandenen Notbehelfs. Jedenfalls
zeigt sie, daß der Volksstamm, von dem das Reich ausgegangen
') § 5. 19—21.
516 XI- D'i* Chetiteireich und .seine Nachbarn. Babjlonien und Assyrien
ist, sich nicht rein erhalten hat, sondern sich aufs stärkste
mit der unterworfenen Bevölkerung gemischt haben muß.
Bei den sich immer wiederholenden Aufständen und den
Invasionen der Gasgaeer werden diese Gegensätze mitgewirkt
haben ebenso bei der zeitweiligen Verlegung der Hauptstadt ins
„Unterland" durch Muwattal (o. S. 446). Jedenfalls ist klar,
daß der Zusammenhalt des Reichs wesentlich auf der Armee
und auf der Persönlichkeit des Königs beruht. In der Götter-
welt wird es beschirmt durch die großen Reichsgötter, die
(weibliche) Sonnengottheit des großen Zentralheiligtums von
Arinna, „die im Chattilande das Königtum des Königs und
der Königin lenkt", und den Donnergott (Tesub) „den Herren
des Chattilandes" ^).
Das Regiment des Königs ist nicht die Willkürherr-
schaft eines Eroberers, sondern beruht auf einer festen Rechts-
ordnung, zu deren Durchführung er berufen ist. Wie seit
alters in Ägypten, Babylonien und Assyrien sind ihre Sätze
auch im chetitischen Reich in einem Rechtsbuch niedergelegt,
von dem uns nahezu 200 Paragraphen erhalten sind^j. Da-
durch gewinnen wir zugleich einen Einblick in die wirt-
schaftlichen und sozialen Verhältnisse. Die Grundlage bildet
natürlich Landwirtschaft und Viehzucht; daneben sind alle
Gewerbe vertreten, und ebenso, wie seit alters, die Kaufleute
und Händler, Im Geschäftsverkehr herrschte, wie in ganz
Vorderasien, die babylonische Rechnung nach Silbergeld mit
sexagesimaler Gliederung der Gewichtseinheiten (Talent, Mine,
') Bezeichnend ist, daß in den Listen jeder dieser beiden im Reich
waltenden Gottheiten ihr himmlisches Gegenbild als gesonderter Gott
zur Seite steht: „der männliche Sonnengott des Himmels" und „Tesub
des Himmels" ; dann folgen die zahlreichen Tesubs der einzelnen Orte.
^) Publiziert und zuerst bearbeitet von Hrozny; dann Zimmern und
Friedrich, Heth. Gesetze (Alter Orient 23, 2) 1922, mehrfach verbessert
von Friedrich, Aus dem het. Schrifttum I 27 ff. (Alter Orient 24, o).
Im einzelnen ist vieles noch recht unsicher und weitere Aufklärung
von dem Fortschreiten der Erforschung zu erhoffen, so namentlich über
die Ausdrücke für die zahlreichen Bernfsklassen und Schichten der Be-
völkerung.
Recht und Wirtschaft 517
Seqel); auch die Bußen für Körperverletzung, Diebstahl,
Sklavenraub, Geldfrevel und andere Vergehen sind vielfach
neben oder an Stelle der Sachentschädigung in Geld zu ent-
richten. Ebenso sind die Normalpreise für Vieh, landwirt-
schaftliche Produkte, Zeugstoffe, Tierhäute u. a. im Gesetz-
buch festgesetzt^).
Die Rechtsstellung der Bevölkerung zeigt zahlreiche Ab-
stufungen, von den Vollfreien bis hinab zu den niedrigeren Be-
rufen und zu den Sklavenmassen, deren Stellung und Ehen
gleichfalls gesetzlich geregelt sind, so daß sie eher als Hörige
oder Leibeigene betrachtet werden müssen. Sie werden großen-
teils aus den Scharen von Kriegsgefangenen hervorgegangen
sein, die seit Subbiluljumas Kriegszügen ins Chattiland ver-
pflanzt worden sind. Der Hauptteil der Gutshöfe ist freies
Eigentum, mit zahlreichen Leibeigenen — einen Anhalt zur
Schätzung der Zahl der Knechte gibt neben anderen Sätzen
die Bestimmung, daß wer einen freien Menschen, Mann oder
Frau, erschlägt, dafür vier Köpfe, für einen Sklaven oder
eine Sklavin zwei zu stellen hat. Anderes Land ist vom
König verliehenes Lehensgut. mit der Verpflichung zu per-
sönlichem Kriegsdienst. Auch sonst liegt, so scheint es. auf
den Grundstücken die Verpflichtung zur Stellung von Krie-
gern, die dafür auch gegen Lohn gemietet werden können;
daneben finden wir Gefolgsleute, die sich den Vollkriegern
angeschlossen haben — man kann dabei vielleicht an die
Schildträger und Kutscher der Wagenkämpfer denken. Auch
die Abgabenpflicht ist nach der Rechtsstellung des Grund-
besitzes und der Privilegien der einzelnen Volksgruppen ver-
schieden geregelt.
Charakteristisch für das chetitische Gesetzbuch ist das
Streben nach gerechter und maßhaltender Abwägung der ge-
gebenen Bedingungen und eine humane Gesinnung, die schon
') Sehr wichtig ist die Angabe, daß der Preis für 4 Minen Kupfer
1 Seqel Silber ist (§ 66*). Das Verhältnis der beiden Metalle ist also
240:1; das Silber steht hier, wie durchaus begreiflich, höher als in
Babvlonien.
518 XI. Das Chetiterreich und seine Nachbarn. Babylonien und Assyrien
in der Gesetzgebung des Telibinus (o. S. 28) eindrucksvoll
hervortritt. Nur ganz selten werden Leibes- und Lebens-
strafen, Verstümmelungen u. ä. verhängt, in scharfem Gegen-
satz gegen die harten Strafen der babylonischen und assyri-
schen und auch der ägyptischen Gesetze. Wir werden darin
ein Erbteil erblicken dürfen, das das herrschende Volk aus
indogermanischer Vorzeit mitgebracht und weiter ausgebildet
hat. Wenn auch für Totschlag nur Ersatz des Erschlagenen
durch mehrere „Köpfe", für Körperverletzung nur eine hohe
Geldbuße verlangt wird — für den Leibeigenen die Hälfte
des Satzes für den Freien — . so liegt dem allerdings die
Anschauung aller auf naturwüchsiger Kulturstufe stehenden
Völker zugrunde, die die Tötung noch nicht als kriminelles
Verbrechen betrachtet und dafür nur eine Blutbuße ver-
langt; aber sie ist mit Bewußtsein festgehalten und weiter-
gebildet, und das Talionsrecht („Auge um Auge, Zahn um
Zahn"), das sonst auf dieser Stufe überall herrscht, ist völlig
aufgegeben. In der auf uns gekommenen Redaktion, die aus
der Zeit des Chattusil IIL oder seiner Nachfolger stammen
wird, wird mehrfach hervorgehoben, daß die älteren Sätze
jetzt noch weiter gemildert sind, und ebenso, daß der König
auf die Gebühren, die er in solchen Fällen früher „für den
Palast" erhob, jetzt verzichtet hat. Bei schweren Verbrechen,
z. B. der mit dem Tode bestraften Unzucht mit einem Tier
oder der Vergewaltigung einer Ehefrau, ist dem König das
Begnadigungsrecht vorbehalten. Dieser Denkweise entspricht
die überraschend milde Behandlung, die besiegten Feinden,
äußeren und inneren, durchweg zuteil wird, während die Pha-
raonen und ebenso die semitischen Könige, so die der As-
syrer und der Israeliten, oder später die Römer, ihrem Grimm
in Abschlachtung und brutaler Mißhandlung der Besiegten
freien Lauf lassen. Das ist umso auffallender, da die Che-
titerkönige in ihren Inschriften immer bemüht sind, nach-
zuweisen, daß sie streng rechtlich verfahren sind. Sie wollen
keine nach fremdem Gut verlangenden Eroberer sein, son-
dern haben zu den Waffen nur gegriffen, wenn die Erfüllung
Charakter des Rechts. Korrektheit und Humanität 519
ihrer durch frühere Verträge begründeten Ansprüche und
Forderungen verweigert ist. Dann bleibt ihnen, wenn alle
Verhandlungen erfolglos sind, nichts übrig, als der Appell
an das Gottesgericht des Krieges, das der gerechten Sache
den Sieg gewährt. Fällt die Entscheidung gegen den König
oder trifft ihn sonst ein Unglück wie z. B. die langjährige
Epidemie nach dem Kriege Subbiluljumas gegen Ägypten
(o. S. 404), so sucht er den Grund seiner Verschuldung —
so bekennt Mursil. daß sein Vater den Krieg gegen Ägypten
rechtswidrig begonnen hat — und bemüht sich, die ver-
scherzte Gunst der Götter durch Sühnezeremonien wiederzu-
gewinnen.
Diese Auffassung, die lebhaft an das Verhalten der
Römer bei ihren Kriegen erinnert, regelt auch das Verhalten
zu den Göttern. Hier ist der Ritualismus, der alles Gewicht
auf die korrekte Vollziehung der vorgeschriebenen Hand-
lungen legt, in ähnlicher Weise ausgebildet, wie später bei
Etruskern und unter ihrem Einfluß bei den Römern. Hier-
her gehört auch die Ausbildung der Lehre von den Vor-
zeichen aus Opfern und Vogelflug und aus Prodigien aller Art
und die bestimmte Formulierung der darauf begründeten An-
fragen über die Deutung beim Orakel, das dann die Entschei-
dung gibt. Darauf hat Babylonien stark eingewirkt, wo ja
diese Künste seit langem voll entwickelt sind, so vor allem
in der Beobachtung der Vorzeichen, die Sonne und Mond
und andere Himmelserscheinungen geben ^). Eigenartig und
') Einige derartige Texte sind von Friedrich, Aus dem het. Schrift-
tum II (Alter Orient 25, 2) 2?> ff. übersetzt. Im einzelnen ist die Deutung
noch vielfach ganz unsicher; so kann S. 27 f. „wenn der Mond stirbt'
unmöglich eine Mondfinsternis bezeichnen, da Deutungen für das Ein-
treten dieses Ereignisses vom 14. bis zum 21. Tage des Monats, ja bis
zum Neumond gegeben werden; es muß eine ganz andersartige Er-
scheinung sein. Ebensowenig kann der Text S. 29 f. richtig verstanden
sein, wo für jeden der 13 Monate das Schick.sal der in ihm geborenen
Knaben verkündet sein soll; denn unmöglich kann man geglaubt haben,
daß allen im Laufe des ganzen Monats geborenen Knaben dasselbe
Schicksal bevorstehe, z. B. im 5. oder 9. Monat ein frühzeitiger Tod, u. s. w.
520 XI. Das Chetiterreich und seine Nachbarn. Babj'lonien und Assyrien
wieder ganz mit dem römischen Ritual übereinstimmend ist,
daß Avenn man eine feindliche Stadt zerstören will, ihren
Göttern Opfergaben hinstellt und sie aufgefordert werden, auf
dem ihnen durch daraufgelegte bunte Tücher bezeichneten
Wege die Stadt zu verlassen; dann soll der Reichsgott
Tesub sie zerstören und seinen Stieren zum Weideland geben,
kein Mensch soll sie wieder besiedeln^). Ebenso wird in
einem Gebet die Istar von Ninive — die mächtige Göttin,
deren Kult sich weithin über Mesopotamien und die nörd-
lichen Gebirgslande verbreitet hat (vgl. S. 356) — angerufen,
aus allen Orten, wo sie wohnen mag, herbeizukommen, dem
König.shause und dem Chattilande Segen zu bringen und den
Feinden ihre Kraft zu rauben und hier Männer wie Frauen
unfruchtbar zu machen'-).
Im übrigen muß für die chetitische Religion ein Verweis
auf die Darstellung im ersten Bande (§ 478 jff.) genügen; denn
für eine Ausnutzung des in den Urkunden aus Boghazkiöi ent-
haltenen Materials und eine Erörterung der Frage, ob in ihr
neben den von der älteren Bevölkerung übernommenen und den
aus Babylonien eingedrungenen Anschauungen noch indoger-
manisches Gut erhalten ist, ist die Zeit noch nicht gekommen.
Literatur. Kunst. Die Königsstädte. Die hieroglypiiischen
Inschriften
Die Anfänge einer höheren Kultur im chetitischen Ge-
biet gehn auf die im 3. Jahrtausend von Babylonien und
Assyrien gekommenen Einwirkungen zurück. Neben den mate-
riellen und technischen Elementen — zu denen auch der Ge-
brauch des Siegels gehört, für das hier (neben Zylindern
und Knopfsiegeln) die Form des Petschafts vorherrscht —
ist von hier auch die Schrift übernommen, die dann auch
zur Schreibung der einheimischen Sprachen verwendet wird
'j Friedrich S. 22.
2) Friedrich S. 20f.; Sommer, Z. Ass. 33, 8-5 ff. Vgl. auch den Text
bei Friedrich S. 10 ff.
Literatur 521
und schließlich zur Entstehung einer chetitischen Literatur
geführt hat. Sie beginnt mit Übersetzungen babylonischer
Ritualtexte, Mythen und Sagen und mit lexikalischen Hilfs-
büchern zur Erlernung der Schrift nach babylonischem Muster.
Dazu treten dann, neben den Königserlassen, Chroniken und
Urkunden, gleichartige Schriften in chetitischer Sprache. Auch
auf diesem Gebiet macht sich das Reich fortschreitend immer
selbständiger: Avährend die von Subbiluljuma erhaltenen Ver-
tragsurkunden alle, oft unbeholfen genug, in babylonischer
(akkadischer) Sprache abgefaßt sind, wird von Mursil II. an
immer häufiger das Chetitische verwendet; nur für den Ver-
kehr mit Amurru und mit Ägypten wird die internationale
Diplomatensprache beibehalten.
In den einheimischen Schriftwerken tritt wieder die
Sonderstellung der Chetiter im Kreise der orientalischen
Völker anschaulich hervor: während die gesamte Literatur
sowohl Ägyptens wie der babylonisch-semitischen Welt ano-
nym ist, nennen die chetitischen Schriften in der Regel den
\ erfasser, und zwar nicht nur bei von Priestern oder Prie-
sterinnen verfaßten V^erken über Vorzeichen und Rituale, bei
denen die Autorität des Sachkenners die Zuverlässigkeit durcli
seinen Namen deckt M, sondern ebenso z. B. bei dem Werk
des Kikkuli von Mitani über Pferdezucht und Wettrennen
(o. S. 34 f.). Darin zeigt sich eine Schätzung der Individualität
auf geistigem Gebiet, wie sie sonst allen älteren Kulturen
völlig fremd ist.
In der Architektur und der bildenden Kunst setzt sich
die Entwicklung, die wir früher (S. 31 f.) schon in Mesopo-
tamien und Nordsyrien kennen gelernt haben, im chetitischen
') So z. B. das Ritual des Päpanikri (Sommer und Ehelolf, Bogh.-
Stud. X) über die zahllosen Zeremonien, die bei der Geburt Unheil ab-
wenden (der Verfasser wird als ^chattili-mRnn von Komana" bezeichnet,
hat also wohl im Kultus die protochattischen Formeln zu rezitieren);
ferner der Mythus von einem Götterkampf, auf dem das Ritual des dem
Tesub des Himmels gefeierten Burullifestes beruht, von dem Priester
Kella von Neriq (Zimmern, Der Kampf des Wettergottes mit der Schlange
Illujankas, in der Streitberg-Festgabe 1924, 4:^0 fl'.)-
622 ^i- ^^^ Chetiterreich und seine Nachbarn. Babylonien und Assyrien
Großreich weiter fort. Das größte Bauwerk ist die Haupt-
stadt Chattusas (Bogliazkiöi). Sie liegt in einer sich nach
Nordwesten öffnenden Talmulde des Hochplateaus, über die
rings steile Felskuppen bis zu Höhen von 200 Metern aufragen,
ja die Fläche der Oberstadt im Süden bis zu 300 Metern.
Neben Babel i.st sie weitaus die größte Stadt des damaligen
Vorderasiens; auch die Ramsesstadt wird schwerlich größer ge-
wesen sein. Ursprünglich mag hier, im Anschluß an die steilen
und leicht verteidigungsfähigen Felsburgen, eine kleinere Stadt
gelegen haben; in ihrer abschließenden Gestalt aber ist sie
einheitlich, unter geschickter Benutzung des Terrains, als starke
Festung angelegt. So darf man vielleicht vermuten, daß diese
Anlage bei der Rückverlegung der Hauptstadt geschaffen ist,
vielleicht erst unter Chattusil HI. Der Mauerring aus großen
Steinquadern, in regelmäßigen Abständen durch Türme ver-
stärkt, mit einer niedrigeren Vormauer wie in den syrischen
Festungen, ruht auf einem geböschten Erdwall, der an den
exponiertesten Stellen, so beim Südtor. eine beträchtliche Höhe
erreicht. Die Bui-gkuppen im Innern sind stark befestigt und
durch Zwischenmauern verbunden; ebenso wehren in der Unter-
stadt mehrere solche Mauerlinien dem eingedrungenen Feinde
das weitere Vorschreiten.
In der Gesamtanlage und der Technik des Mauerbaus
stellt sich Bogliazkiöi den im übrigen weit kleineren Festun-
gen von Mykene und Tiryns zur Seite, ebenso in den durch
Überkragung überwölbten unterirdischen Gängen (Poternen);
an einer besonders exponierten Stelle, wo ein Gießbach das
Stadtgebiet durchzieht und der Abhang durch eine Zwischen-
mauer gedeckt ist, sind diese unter dieser durch den Erdwall
hindurchgeführt und ermöglichen rasche Ausfälle der Be-
satzung. Gleichartig ist eine Poterne tief unter dem Südtor,
am|liöchsten Punkte des Stadtgebiets; außerdem gestatten
hier zwei steile Treppen, die am Wall hinabführen, dem
Feind größere Abteilungen entgegenzuwerfen, während er
zugleich von den hoch darüber aufragenden Türmen be-
schossen wird. Auch die Stadttore sind unter der darüber
Festungsbauten. Bildwerke 523
fortlaufenden Mauer durch den Wall geführt und überkragt.
An den kolossalen Monolithen der Torpfosten eines dieser
Tore ist ein Motiv verwendet, das sich schon an den älte-
sten Torlaibungen von Sendjirli findet (o. S. 32): ein mäch-
tiger Löwe mit weit aufgerissenem MauL aus dem zwischen
den großen Eckzähnen die Zunge heraushängt, starrt schreck-
haft den Nahenden entgegen. Gewaltig hebt sich der Kopf
aus der riesigen Mähne hervor; durch die aus leuchten-
dem Stein eingesetzten Augen, durch die Grimm atmenden
Nüstern mit den riesigen Barthaaren darunter wird der Ein-
druck des Furchtbaren noch gesteigert. Dagegen sind Beine
und Krallen nur in plumpen Umrissen angedeutet. Offenbar
hat man mit Absicht an dem archaischen Stil festgehalten
und volle Wiedergabe der Naturwahrheit garnicht erstrebt:
es sind überirdische Wesen, die den Schutz der Stadt über-
nehmen. Das Motiv hat weithin nachgewirkt: aus ihm ist
der Erstarrung und Tod bringende Gorgokopf der Griechen
hervorgegangen ^).
Bei den übrigen Toren fehlen diese Löwen. Dagegen steht
an der Stadtseite eines anderen Tores, durch das die Haupt-
straße ins Binnenland nach Südwe.sten führt, in hohem Relief
die Gestalt des Kriegsgottes, der hier den zum Kampf aus-
rückenden Truppen zuschaut, bekleidet nur mit einem kurzen
Leibrock, in der Rechten die Streitaxt, im Gürtel das Dolch-
messer, auf dem Haupt den nach babylonischer Art mit
einem Hörn als Abzeichen der Göttlichkeit geschmückten
Helm, unter dessen Nackenschirm der lange chetitische Zopf
über die Schulter herabfällt. Die Stellung der Gestalt: Kopf
und Beine im Profil die behaarte Brust von vorn, die Linke
geballt erhoben, i.st durchaus die in der ägyptischen wie in
der vorderasiatischen Kunst herkömmliche. Die sorgfältige
Modellierung der Muskulatur an Brust und Knie, die etwas
weichlichen Gesichtszüge, die durch die zu leisem Lächeln
*) Das Gorgoneion gilt zwar als Kopf [einer Frau, hat aber durch-
aus die tierischen Züge des chetitischen Löwenkopfs bewahrt; siehe
weiter Reich und Kultur der Chetiter S. 11-3 f.
524 XL Das Chetiterieich und seine Nachbarn. Babylonien und Assyrien
verzogeneu Mundwinkel einen wohlwollenden Ausdruck er-
halten, erinnern an archaisch-griechische Skulpturen; es ist
bei weitem das beste Werk, das uns von chetitischer Kunst
erhalten ist, und bestätigt so, daß Mauer und Tor der jüng-
sten Epoche des Reichs angehören \).
In dem großen Turm über dem Südtor sind die Tür-
laibungen zu beiden Seiten mit geflügelten Sphinxen ge-
schmückt, die den Laibungslöwen in Sendjirli entsprechen.
Dies Motiv, solche Fabeltiere als Wächter des Eingangs
aufzustellen, ist später bekanntlich von den Assyrern über-
nommen worden, ebenso wie die Verkleidung der Wände
mit Reliefplatten, die wir in Sendjirli und in Teil Chalaf,
vielleicht bereits nach ägyptischem Vorbild, schon in den
ältesten Bauten linden, während sie der babylonischen Bau-
weise ganz fremd ist.
Im Innern der Stadt sind die Grundrisse mehrerer klei-
nerer Gebäude in der Oberstadt und eines großen in der Unter-
stadt aufgedeckt, letzteres rings von Reihen langgestreckter
Kammern umgeben, die den Magazinen der kretischen Paläste
gleichen und demselben Zweck, der Aufbewahrung der Tribute,
Lebensmittel und Schätze dienten; außerdem befand sich in
ihnen ein Archiv, dem wir einen großen Teil der Tontafeln ver-
danken. So ist dieser Bau wohl nicht ein Tempel, sondern ein
Palast, der aber auch einen Kultraum enthielt. Ein zweites
nicht minder ergiebiges Archiv lag in der großen Zitadelle
'I Ich muß durchaus daran festhalten, daß die Figur einen Gott
darstellt, vgl. Reich und Kultur der Chetiter 106 ff., wo auch die
mit ihr vollkommen übereinstimmende Berliner Bronze und ein Götter-
kopf (mit Hörnerkrone) mit demselben Gesichtsausdruck (aus Boghaz-
kiöi, jetzt in Konstantinopel) abgebildet sind. Wenn Puchsteix (Boghaz-
kiöi S. 68j sie für ein Königsbild hielt, so hat ihn dabei vor allem die
Übereinstimmung der Tracht mit der des von ihm fälschlich als König
gedeuteten Gottes bestimmt, der in Jazylykaja den König umarmt.
Die gleiche Tracht zeigen alle sonst erhaltenen Darstellungen des
Tesub und ebenso der Gott auf dem Relief von Fraktin (Reich u. Kultur
g. 105), während die Königstracht außer auf dem Relief von Fraktin
(S 527,3) eine ganz andere ist.
Boghazkiöi und üjük. Sphinxe. Grabstelen 525
(Böjükkale) im Osten der Stadt; ein weiteres in dem Tempel
der Sonnengöttin von Arinna wird in den Texten oft erwähnt.
Etwa vier Meilen nördlich von Boghazkiöi, auf dem
Hügel Üjük (richtiger Hüjük), liegen die Reste einer cheti-
tischen Königsburg, von der das von zwei mächtigen Sphinxeii
flankierte Eingangstor und auf den Steinplatten der Um-
fassungsmauer mehrere Reliefs erhalten sind, so eine Kult-
szene, in der König und Königin den auf einem Postament
stehenden göttlichen Stier verehren, nebst der daran an-
schließenden Prozession, ferner Jagden auf Hirsche und einen
Eber. An der rechten Innenfläche des Toreingangs ist unter
einer Göttin das Reichswappen angebracht, ein doppelköpfiger
Adler, der mit den Krallen zwei kauernde Hasen packt M.
Diese Reliefs tragen noch einen durchaus primitiven und naiv
unbeholfenen Charakter; somit ist Üjük wesentlich älter als
Boghazkiöi und mag vielleicht noch beträchtlich vor Subbilul-
juma erbaut sein.
In den Sphinxen ist eine in Ägypten geschaffene und
nur hier bedeutungsvolle Gestalt, äußerlich schon in Syrien
in einen weiblichen Dämon umgewandelt, von den Chetitern
als Schirmer der Burg und Abwehrer der Feinde übernom-
men; auch Kopftuch und Haartracht der Sphinxe von Üjük
sind nach mißverstandenen ägyptischen Vorbildern gebildet^).
Auch sonst tritt, den politischen und kulturellen Verhältnissen
entsprechend, die ägyptische Einwirkung in der Kunst stark
hervor und überwuchert die älteren aus Babylonien stammen-
den Motive. Hierher gehören die Grabstelen mit Darstellung
des Totenmahls, die sich im Taurusgebiet (Mar'as, Sendjirli)
vielfach erhalten haben, aber in einem Exemplar auch im
Sangario.sgebiet südwestlich von Angora; und gerade dieses
Relief ist so primitiv und berührt sich so eng mit denen
') Gleichartig sind die "Wappen der ältesten sumerischen Städte,
Bd. I 370. Der Doppeladler als Reichswappen, aber ohne die Hasen,
findet sich ebenso in Jazylykaja, unter zwei darüber schreitenden
Göttinnen.
2) Siehe Reich und Kultur d. Chet. 2.=. f.
526 XL Das Cbetiterreich und seine Nachbarn. Babylonien und Assyrien
von Üjük, daß dadurch zugleich seine Zeit bestimmt istM.
Weiter aus Ägypten übernommen ist die geflügelte Sonnen-
scheibe. Auch dieses Symbol wird natürlich mißverstanden
und umgedeutet, aus den von der Sonne herabhängenden
Uraeusschlangen ein Vogelschwanz gemacht, in die Scheibe
ein Stern oder eine Mondsichel gesetzt^). In dieser Gestalt
schwebt sie über der Figur des Sonnengottes und ebenso über
dem Namen seines irdischen Repräsentanten, des Königs.
Wie es den Chetitern gelungen ist, mit den primitiven
Mitteln ihrer Kunst dennoch ihre religiösen Anschauungen
in den Götterbildern eigenartig und wirkungsvoll darzustellen
und damit in die religiöse Symbolik neue bedeutsame Motive
einzuführen, die sich weithin verbreitet haben, ist früher schon
dargelegt^). Dort ist auch die eindrucksvollste dieser Dar-
stellungen besprochen worden, die große Götterprozession in
der Felsschlucht von Jazylykaja bei Boghazkiöi, die geradezu
zu einem Weltbild geworden ist. Hier finden sich neben den
Göttern und den Königsbildern auch Beischriften in einer
eigenartigen Hieroglyphenschrift. Diese Schrift^) hat sich,
zum Teil in einer Kursive, bis weit in die Assyrerzeit hinein
erhalten und tritt uns damals auf nicht wenigen Denkmälern
aus Nordsyrien und dem Taurusgebiet entgegen. So wird
vielfach angenommen, sie sei erst nach dem Fall des Chetiter-
reichs von einem ganz anderen Volk geschaffen worden. Aber
die Skulpturen von Jazylykaja lassen sich von der Chetiter-
stadt Boghazkiöi unmöglich trennen; und die vollständige
Übereinstimmung des hier dargestellten, von Tesub umarmten
Königs mit dem Siegel Chattusils auf der ägyptischen Ver-
') Ebenda S. 37 f.
^) Die chetitische Gestalt ist dann wieder von den Assyrern über-
nommen, die ein Bild des Assur hineinsetzen, wie dann die Perser das
Bild Ahmamazdas.
3) Bd. I 478 ff.; feiner Reich und Kultur der Chetiter 85 ff. Hin-
zu kommt, aus jüngerer Zeit, vor allem die gleichfalls von ägyptischen
Ideen stark beeinflußte Darstellung des Weltbildes an der Wand des
Kultbaus von Iflatün in Lykaonien,, ebenda S. 114 ff.
*) Vgl. Bd. I 474-
Götterbilder. Die chetitische Bilderschrift. Königsnamen 527
tragsurkunde beweist vollends, daß hier ein König des Che-
titerreichs, wahrscheinlich eben Chattusil III., dargestellt ist
und daß er diese Skulpturen geschaffen hat.
So werden wir annehmen müssen, daß sich die Che-
titer neben der Keilschrift für monumentale Darstellungen
nach ägyptischem Vorbild eine eigene Bilderschrift geschaffen
haben ^), die dann später auch zum Schreiben (z. B. auf Blei-
tafeln und auf Gefäßen) benutzt wurde, vielleicht auch von
ganz anderssprachigen Völkern. Völlige Sicherheit wird natür-
lich nur zu gewinnen sein, wenn die Entzifferung, die bisher
allen Bemühungen getrotzt hat, doch noch gelingen sollte.
Denkmäler mit Königsnamen in dieser Schrift haben sich
auch sonst mehrfach gefunden^). Einer steht am Anfang
einer ganz verwitterten Inschrift an einer Felswand (Nisan-
tas) unterhalb der Burg Sarykale in Boghazkiöi. Südlich
vom Argaeos, bei Fraktin am Zamanti-su, ist ein nur in Um-
rissen skizziertes Felsrelief ^) offenbar aus ziemlich früher
Zeit erhalten, auf dem ein König und eine Königin, beide
mit beigeschriebenen Namen, einem Gott resp. einer Göttin
') An sich ist das Nebeneinander beider Schriften kaum auffälliger,
als die Beibehaltung der Hieroglyphen in Ägypten für monumentale In-
schriften neben dem sonst durchweg verwendeten Hieratischen.
2) Zusammengestellt und behandelt Reich u. Kultur d. Chet. 31 ff.
139 ff. In der Regel sind die Hieroglyphen des Königsnamens zu beiden
Seiten von einer Gruppe umrahmt, die aus einem spitzen Kegel mit
einer Volute [darüber besteht; darüber schwebt meist der Sonnen-
vogel. Gegen die von Prinz und mir gegebene Erklärung ist Six,
Die hohe Pforte der Chetiter (Acta Orientalia II 199 ft'.) wieder zu der
Deutung als Aedicula zurückgekehrt; es sei eine Nachbildung des von
Säulen getragenen Palastportals, über dem die Sonne schwebt, der
Balken, auf dem sie sitzt, sei fortgelassen. Aber es steht völlig fest,
daß auch Kegel mit Volute allein den Königstitel darstellen und daß
der spitze Kegel nur in der Stilisierung in Jazylykaja einer nach oben
stark verjüngten Säule ähnlich sieht, ganz abgesehn davon, daß Säulen
sich in den chetitischen Bauten irgends nachweisen lassen. So muß
ich an unserer Deutung festhalten.
3) Rekonstruiert Reich und Kultur d. Chet. S. 105. Der König
trägt hier dieselbe Tracht wie der Gott.
528 XI- I^3,s Chetiterreich und seine Nachbarn. Babylonien und Assyrien
libieren. Der Name des iu Jazylykaja von Tesub umarmten
Königs, also wahrscheinlich Chattusils, kehrt auf einem Altar
in Emirghazy in Lykaonien wieder. In der Nachbarschaft,
an einem Hügel des Gebirges Karadagh mit den Ruinen einer
Festung, sind mehrere Inschriften eines anderen Königs er-
halten, davon eine neben seinem roh in den Felsen geritzten
Bilde, das ihn auf dem Thron sitzend darstellt. Somit hat
sich das Gebiet des Reichs jedenfalls bis 7,um isaurisch-
pisidischen Alpenland hin erstreckt, was durch die Angaben
der Inschriften bestätigt wird. Weiter nördlich, jenseits der zen-
tralen Steppe, liegen auf einem Felsen die von einer mäch-
tigen Steinmauer umschlossenen Ruinen einer großen Königs-
burg (Giaurkalessi, südAvestlich von Angora), die derselben
Zeit angehört; an der Felswand sind zwei Götter in der
Tracht des Tesub dargestellt, die auf eine vor ihnen sitzende
Göttin zuschreiten \).
Die besprochenen Monumente zeigen, daß die chetitische
Kunst sich selbständig neben die ägyptische und babylonische
gestellt hat und in aufsteigender Entwicklung begriffen ist.
Diese Entwicklung ist durch den jähen Untergang des Reich>
geknickt worden und sie ist verkümmert; aber die Schöpfungen,
die das Gepräge ihrer Eigenart tragen, haben noch lange
tiefgreifend nachgewirkt sowohl auf Syrien und Assyrien wie
nach Westen auf die Entwicklung der griechischen Welt.
Die Vasallen. Beziehungen zu Ägypten
Zu dem Reichsgebiet kommen, durch feierliche Eide ge-
bunden und zu Tributzahlung und Heeresfolge verpflichtet,
die Vasallenstaaten im südlichen Kleinasien und in Syrien.
In Karkemis und Aleppo regieren Nachkommen Subbilulju-
mas, und auch .sonst werden manche Orte von Chetitern be-
setzt und kolonisiert worden sein, so Dapur (o. S. 469). Die
von Chattusil eingeschlagene Friedenspolitik und das Bündnis
') Die Göttin ist von Forrer entdeckt : Mitt. DOG. 6.t S. ?.s und
Abb. 22 sowie 17. Weiteres s. u. S. 544-.
Die syrischen Vasallen. Beziehungen zu Ägypten 529
mit Ägypten hat ihrer Herrschaft größere Sicherheit und Dauer
gewährt. Als Bentesina von Amurru wegen einer Geldfor-
derung von dreißig Talenten an die Leute von Akkad zur
Selbsthilfe greifen will und König Kadasmenellil von Babel
sich darüber bei Chattusil beschwert, schlägt dieser , seinem
Bruder" vor, gegen den chetitischen Vasallen Klage zu er-
heben; dann werde er Bentesina vorladen und von ihm ver-
langen, daß er sich vor den Göttern rechtfertige, da sein un-
gebührliches Verhalten ihn, seinen Landesherren, ebensogut
treffe, wie den verbündeten König i). Unter Dudchalia IV. wird
dann Bentesinas Sohn unter den gleichen Bedingungen wie
sein Vater zum König von Amurru eingesetzt^).
Wenn wir von Kriegen kaum noch etwas erfahren, so
liegt das allerdings zum Teil daran, daß von Chattusils An-
nalen nur dürftige Bruchstücke erhalten sind; eins von diesen
zählt eine Reihe von Landschaften im späteren Kilikien und
seiner Nachbarschaft auf, die er unterworfen hat'). Über seine
Nachfolger Dudchalia IV., Arnuanda IV. und Dudchalia V.
ist dann die Kunde noch dürftiger^).
Zu Ägypten blieben die Beziehungen dauernd freund-
schaftlich. Es will wenig besagen, wenn sich ein Chetiter-
könig (vielleicht Chattusils Enkel Arnuanda IV.) einmal dar-
über beschwert, daß ihm der Pharao (Merneptah?) zu seiner
Thronbesteigung nicht, wie es üblich ist, eine Glückwunsch-
gesandtschaft mit Geschenken geschickt habe; denn in dem-
selben Brief erklärt er sich zu friedhcher Regelung einer
Grenzstreitigkeit bereit und bedauert, daß er die Bitte um
reines Eisen aus Kizwadna zur Zeit nicht erfüllen kann; er
') In dem oben S. 478, 1 erwähnten Brief, übersetzt bei^WiNCKLKR
MDOG. 35, 24.
*) Bruchstücke des Vertrages in Übersetzung bei Winckleb, Vorder-
asien im 2. Jahrtauspnd S. 98 f. (Mitt. Vorderas. Ges. 1913, 4). Nach
FoRRER, Forsch. I 89 führt der Amoriterkönig, mit dem Dudchalia
diesen Vertrag schloß, den Namen Istarai.
ä) FoRRER Forsch. I 30. 39, vgl. 77.
*) Einzelne Angaben über sie bei Winckler, MDOG. 35, 27 ff.
FoRRER, MDOG. 63, 5. 6. 18.
Meyer, Geschichte des Altertnins. II' 34
530 ^I- Daiä Chetiterreich und seine Nachbarn. Babvlonien und Assyrien
werde aber welches anfertigen lassen^). Mernephtali ist dann,
als wieder einmal eine Hungersnot herrschte, dem verbün-
deten Reich durch eine große Getreidesendung über See zu
Hilfe gekommen^), in derselben Weise, wie ein Jahrtausend
später die Ptolemaeer so oft befreundeten griechischen Staaten
geholfen haben.
Assyrien und Babylonien. Ausgang des Kossaeerreichs.
Elamitische Invasion
Die Hoffnungen, die Chattusil auf eine Ermannung des
Kossaeerkönigs gesetzt hatte, haben sich nicht erfüllt^). Die
Macht Assyriens dagegen ist ständig gewachsen. Das spricht
sich auch darin aus, daß die Fürsten neben ihren priester-
') 0. S. 480, 2. Weitere Schriftstücke erwähnen einen aus Ägypten
geholten Arzt (?) Parimachu, der für den König Kuranta von Tar-
chuntas einen Palast bauen soll (Winckler, Vorderasien im 2. Jahr-
tausend, Vorderas. Ges. 1918, 4, S. 15) und die Geburt einer ägyptischen
Prinzessin, die der Chetiterkönig zur Fürstin eines Vasallenstaates
machen möchte (Meissneb, ZDMG. 72, 62 f. Ganz unsicher ist Meissner's
Ergänzung und Deutung des Brief fragments KBo. I 23 auf S. 61 f.).
^) Merneptahs Inschrift von Karnak, ZI. 24, „bestätigt durch einen
Brief eines Chattikönigs an einen Sohn des Pharao Marniptah, worin
er diesem angibt, daß die ägyptische Getreideflotte Vura ansteuern
solle" FoRRER, MDOG. 63, 5. Ob seine auch sprachlich bedenkliche
Gleichsetzung von Vura mit Myra in Lykien sich bestätigt, bleibt ab-
zuwarten; jedenfalls ist die Flotte nicht, wie er annimmt, „ganz genau
nach Norden auf dem kürzesten Wege nach Kleinasien gefahren^.
sondern bestenfalls über Cypern. Daß die Beziehungen zu den Che-
titern unter Merneptah friedlich waren, bestätigt auch die sog. Israel-
stele [von Breasted, Bec. III .580 Anm. h falsch gedeutet].
^) Wie der junge Kadasmanellil II. 1279—74 (o. S. 478) haben
auch seine Nachfolger Kudurellil 1273—65, Sagaraktisurias 1264 — 52,
Kastilias II. 1251—44 keine langen Regierungen gehabt. Es muß daher
mehrfach ein Bruder auf den andern gefolgt sein, falls wir nicht
etwa mit gewaltsamen Thronwechseln und Usurpatoren zu tun haben.
— Wie ungenau die chronologischen Angaben der späteren Babylonier
sind, wird drastisch dadurch illustriert, daß Nabonid die Erbauung des
Tempels der Anunit in Sippara durch Sagaraktisurias «00 .Tahre vor
seine Zeit, also um 1350, ansetzt (Bd. I 326A.)1
Anwachsen der assyrischen Macht 531
liehen Titeln jetzt den eines Königs von Assur anzunehmen
beginnen und seit Adadnirari I. den ehemals von Samsiadad IL
geführten Titel sar kissati „König der Menge" (der Menschen-
masse) hinzufügen^) und damit den Anspruch auf die Vor-
herrschaft in der Welt erheben. Eben darum hat ihn dann
auch Sagaraktisurias von Kardunias angenommen; darin ge-
langt die Rivalität der beiden Reiche drastisch zum Ausdruck.
Zwischen dem Chetiterreich und Assyrien besteht die
Spannung weiter. In dem Vertrage Dudchalias IV. mit dem
Sohne Bentesinas von Amurru folgt auf die übliche Ver-
pflichtung, mit den Königen von Ägypten und von Kardunias
je nach dem Verhältnis „der Sonne" zu ihnen Freund oder
Feind zu sein — Chanigalbat oder Mitani wird hier unter
den ebenbürtigen Mächten natürlich nicht mehr genannt — ,
die eidliche Verpflichtung, „dem König von Assur feind zu
sein, wie er der Sonne feind ist" ; er darf weder seine eigenen
Kaufleute nach Assyrien hineinlassen, noch assyrischen den
Eintritt oder Durchzug gewähren, sondern muß sie, wenn
sie trotzdem in sein Land kommen, festnehmen und an die
Sonne ausliefern. Im Gegensatz zu dem regen Handel mit
Ägypten und Babylonien besteht also gegen Assyrien volle
Verkehrssperre.
Den Höhepunkt seiner Macht erreicht Assyrien unter
Salmanassars Sohn Tugultininurta I. (ca. 1260 — 35)^). Er
hat zunächst wieder in den Gebirgsländern gekämpft, so-
wohl im Südosten gegen die Gutaeer, wie im Nordwesten
') Kissat ist Abkürzung von kissat nisi „Masse (Fülle) der
Menschen", vgl. z. B. in der großen Inschrift Adadniraris 1, 15 sabit
kissat nisi „der die Menschenmasse als Besitz ergreift". — „König von
Assur" nennt sich zuerst Assuruballit auf seinem Siegel (Übersetzung
no. 6). Daß dann Arikdenilu (Ubers. no. 1) einen Eponymen „Sohn
des Eribaadad, Königs von Assur" (des Vaters Assuruballits) nennt,
ist nachträgliche Übertragung des Titels auf den älteren Herrscher.
*) Auf dem von Tugultininurta I. erbeuteten Siegel, s. u. S. 533, 2.
') Alles Material bei King, Records of the reign of Tukulti-
Ninib I., 1904. Zu seiner Inschrift kommen die Angaben der Chronik P,
während von der synchron. Gesch. hier nur wenige Worte erhalten sind.
532 ^I- Das Chetiterreicb und seine Nachbarn. Babylonien und Assyrien
gegen die zahlreichen kleinen, unter Häuptlingen stehenden
Kantone oder Clans der armenischen Berge, für die jetzt der
Name Na'iriländer aufkommt. Unter blutigen Gefechten und
Verheerungen hat er den Machtbereich hier nach dem Eu-
phrat zu erweitert; auch Alzi (Alse, o. S. 374. 376), Purukuzzi,
Kummuch u. a. nennt er unter den unterworfenen Distrikten.
Dabei wurde auch „das weite Gebiet von Subari" wieder
heimgesucht. Dann aber wandte er sich im Jahre 1244 oder 43
gegen Kastilias IL von Kardunias. Die Kossaeer wurden ge-
schlagen, Kastilias selbst gefangen. Der Sieger setzte ihm
den Fuß auf den Nacken und schleppte ihn in Ketten vor
den Gott Assur. Über Babylonien setzte er einen Statthalter
ein; er selbst aber nahm die Titel „Kön^'g der vier Weltteile,
König von Kardunias, König von Sumer und Akkad" an^).
Dann erbaute er sich auf das Geheiß Assurs, den er mit Ellil
gleichsetzt, eine neue Königsstadt Kar-Tugultininurta auf dem
linken Tigrisufer gegenüber von Assur, mit einem Tempel
des Assur und der übrigen Götter nebst der zugehörigen Zikur-
rat und einer mächtigen Lehmziegelterrasse, auf der sich der
Königspalast erhob '^). .
Inzwischen aber hatte König Kidinchutrudas von Elam
die Lage Babyloniens benutzt, um die Niederlage, welche ein
') WiNCKLER, Altor. Forsch. III 329 ff., hat erkannt, daß die
Chronik P die beiden Kriegszüge unterscheidet und daß die große
Inschrift Tugultininurtas vor dem zweiten Zug und der Zerstörung
Babels abgefaßt ist. — Die babylonische Königsliste erkennt ihn natür-
ich nicht als König an, sondern nennt statt dessen die Regenten, zu-
erst Ellilnadinsum und Kadasmancharbe mit je l'/^ Jahren (1243 — 41),
dann Adadsumiddin mit 6 Jahren (1240—35); dann folgt Kastilias'
Sohn Adadsumnasir (früher Adadnadinache gelesen) mit 30 Jahren (1234
bis 05). Das gibt einen Anhalt zur Wiederherstellung der in P erzählten
Vorgänge.
^) Die verhältnismäßig gut erhaltenen Ruinen sind von der deut-
schen Orientgesellschaft aufgedeckt, s. MDOG. 53, 41 ff ; sie stimmem
vollständig zu der Schilderung der in die Fundamente gelegten In-
schrift. Nach der Katastrophe ist die Stadt verödet, wenn sie auch
noch im 8. Jahrhundert neben Assur genannt wird (Forrer, Provinz-
einteilung 10 f.).
Tugultininurta I. von Assur. Eroberung von Babel 533
Jahrhundert vorher sein Vorgänger Churbatila durch Kuri-
galzu III. erlitten hatte'), wieder auszugleichen. Er drang ins
Zentrum von Sinear ein, überfiel Nippur, plünderte und zer-
störte Der und andere Städte östlich vom Tigris, nahe der
assyrischen Grenze, und „machte der Herrschaft des Ellil-
nadinsum (des von Tugultininurta eingesetzten Regenten) ein
Ende" (1242). Im Lande scheint er Anhang gefunden zu
haben; vermutlich hat er den nächsten Herrscher, Kadas-
mancharbe IL, zum König eingesetzt, der, wie sein Name zeigt,
der kossaeischen Dynastie angehört haben wird. Da zog
Tugultininurta 1241 aufs neue gegen Babel und erstürmte die
Stadt. Babel wurde geplündert und ausgemordet, die Tempel-
schätze fortgeführt'-'); um eine Wiederherstellung des Reichs
rechtlich unmöglich zu machen, nahm er auch die Statue
des mit dem Götterkönig Ellil identifizierten Marduk, die
das Königtum vergab, aus dem Tempel Esagilla fort und
brachte sie nach Assur. Als seinen Statthalter setzte er den
Adadsumiddin ein, gegen den Kidinchutrudas einen zweiten
Kriegszug unternahm, bei dem er Isin eroberte und dem feind-
lichen Heer eine arge Niederlage beibrachte. Damit bricht
das von der Chronik erhaltene Stück ab.
„Sieben Jahre (1241 — 35) regierte Tugultininurta über
Kardunias. Darauf empörten sich (offenbar unter dem Ein-
fluß des elamitischen Angriffs) die Magnaten von Akkad und
Kardunias und setzten den Adadsumnasir (den Sohn des
Kastilias IL) auf den Thron seines Vaters." Auch in Assyrien
selbst brach ein Aufstand aus, an dessen Spitze der Sohn
') Oben S. 475. Bei dieser Gelegenheit hat Kurigalzu einen kleinen,
bei einer früheren Plünderung Nippurs als Beutestück nach Susa ge-
brachten Agatstein mit der Weihinschrift eines Beamten Dungis nach
Nippur zurückgebracht: Hilprecht, Bab. Exp. I p. .81.
^) Zu den Beutestücken gehörte das Siegel des Sagaraktisurias
»Königs der Menge", auf das er seinen Namen mit dem gleichen Titel
setzte. Im J. 689 hat es Sanherib bei der PJroberung Babels gefunden
und darauf gesetzt, daß er es nach 600 (!) Jahren wiedergewonnen
habe. Die Nachbildung in Ton. die er anfertigen ließ, ist erhalten,
s. King S. 60 ff. 106 ff.
534 XI. Das Chetiterreich und seine Nachbarn. Babylonien und Assyrien
des Königs AssurnadinpaP) stand. Von den Magnaten unter-
stützt brach er in die neue Hauptstadt ein und Tugultininurta
wurde erschlagen (1234).
Wir besitzen nur diesen mageren Bericht des Chronisten,
der den Untergang des Eroberers als Strafe für seinen Frevel
an Babel betrachtet; ob bei dem Aufstand in Assyrien tiefer
greifende Ursachen oder lediglich persönliche Motive dahinter
standen, läßt sich nicht erkennen. Das Ergebnis aber ist,
daß Assyrien wieder einmal zur Ohnmacht hinabsinkt; auch
die in Mesopotamien eroberten Gebiete werden großenteils
wieder ihre eigenen Wege gegangen sein. Babylonien da-
gegen scheint unter Adadsumnasir (1234—1205), der wie sein
Vorgänger den Titel sar kissat annahm, zeitweilig wieder
erstarkt zu sein, vielleicht in Anlehnung an Elam; wir be-
sitzen von ihm in späterer Abschrift Bruchstücke eines Schrei-
bens an die gemeinsam regierenden Könige Assurnirari III.
und Nabudän, die Nachfolger Assurnadinpals. in dem er sie
ganz als Vasallen behandelt'-)- Ihr Nachfolger Ellilkudurusui:
hat dann den Kampf gegen Babylonien wieder aufgenommen,
jedoch, falls die nur in Bruchstücken erhaltenen Reste der
darüber berichtenden Chronik richtig gedeutet werden^), in
') In Chron. P verschrieben Assurnasirpal. [Die Stele von Assur
bei Andrae no. 10 kann also nicht ihm gehören.] Außer in der assyrischen
Königsliste bei Weidner, Mitt. Vorderas. Ges. 1921, 2 S. 14 (vgl. S. 19)
findet sich die richtige Namensform auch in einer kurzen Inschrift
aus Assur, in der er sich Sohn des Tugultininurta nennt (Schroeder,
Keilschrift, histor. Inhalts II no. 62).
2) III R. 4, 5. Der Name ist, wie in dieser Zeit meist. Assurnarara
geschrieben. In den Königslisten wird Nabudän, dessen Name auf Ab-
hängigkeit von Babylonien deutet, nicht genannt. In dem Fragment
einer Liste bei Weidsek, Mitt. Vorderas. Ges. 191.5 S. 2 (Schroeder,
Keilschr. versch. Inhalts no. 1.5), sind für Assurnirari 6 J-, für f^Uil-
kudurusur 5 J. angegeben. Daraus ergeben sich unter Heranziehung
des Todesdatums Adadsumnasirs 1205 als wahrscheinliche Daten: Assur-
nadinpal 12B4— 1216. Assurnirari III. 121.5—1210. Ellilkudurusur 120«
bis 1205. Dann folgt Ninurtapalekur.
3) Eine gesicherte Ergänzung und Übersetzung des vielbehandeiten
Bruchstücks der synchron. Gesch. wird ohne neues Material nicht
Bedrängnis Assyriens. Elamitisclie Invasion in Babylonien 535
der Schlacht ebenso wie sein Gegner Adadsumnasir den Tod
gefunden (1205). Sicher steht jedenfalls, daß sich in As-
syrien ein Usurpator der Herrschaft bemächtigte, Ninurta-
palekur, und eine neue Dynastie begründete^). Aber weder
er noch sein Sohn Assurdän I., der, wie sein Urenkel Tiglat-
pileser I. sagt, durch die Gnade der Götter zum Greisen-
alter gelangte, also lang regiert hat (etwa 1190 — 60), scheinen
viel erreicht zu haben, wenn auch Tiglatpileser von Ninurta-
palekur rühmt, daß „sein Netz wie ein urimiuhaum über sein
Land gebreitet war und er die Scharen Assurs treu weidete".
Auch in Babylonien haben wir über die nächsten Könige
Melisipak II. 1204—1190 und Mardukbaliddin I. 1189— 77^)
kaum etwas zu berichten. Aber ihr Nachfolger Zamamasumid-
din wurde sowohl von Elam, wie, vermutlich durch dessen Vor-
gehn angelockt, von Assyrien angegriffen (1176). Assurdän
hat nach der Chronik mehrere Grenzorte im Osten des Tigris,
darunter Zaban im Bereich des südlichen Zab, erobert und
reiche Beute fortgeführt. Der König von Elam dagegen,
Sutruknachunte, „König des susischen Anzan, großer Fürst
möglich sein; s. King, Kecords of Tukultininib jj. 105. Winckler, Altor.
Forsch. III 348 f. Schnabel, Mitt. Vorderns. Ges. 1908, 1 >S. 45 ff-
Weidner, ebenda 1915, 4 S. 76.
') Nach dem Fragmente MDOG. 2(j. 60 war dieser der Sohn eine^
Kribaadad. Bis auf ihn führt Tiglatpileser I. Ann. 7, 55 seinen Stamm-
baum zurück. Adadnirari III. (S05 — 782) dagegen, der seine drei
letzten Vorfahren (bis Assurn;) sirpal II.) aufzählt, nennt sich Nach-
komme des Tukultininurta I., Königs von Assur, Sumer und Akkad,
des Salmanassar I. und des uralten Ellilkapkapu, behauptet also, aus
der alten Dynastie zu stammen, während er die dazwischenliegenden
Könige aus der Dynastie Ninurtapalekurs übergeht. Danach wird in der
dunklen Zeit nach 1000 v. Chr. ein neuer Wechsel der Dynastie ein-
getreten sein.
■) Erhalten sind von ihnen wie von anderen Königen aus der
letzten Zeit der kossaeischen Dynastie und dann von Nebukadnezar I.
und seinen Nachfolgern mehrere Steinurkunden (kudurru) über Land-
schenkungen. Auf dem Kudurru IV R. 41 nennt sich Mardukbaliddin
Sohn des Melisipak „Nachkomme des Kurigalzu, des Königs ohne
Gleichen", betont also seine Abstammung aus dem legitimen Königshaus.
.536 ^^- I'äs Chetiterreich and seine Nachbarn. Babylonien und Assyrier.
von Hatamti"^), ist tief in Babylonien eingedrungen und
hat es zusammen mit seinem Sohn Kudurnachunte gründlich
ausgeplündert und verwüstet; zahlreiche Denkmäler, darunter
die Siegesstele Naramsins — auf die er eine Weihinschrift
an den Gott En-Susinak von Susa setzte — , die Gesetzes-
stele Chammurapis und viele andere wurden aus Nippur
und Sippara nach Susa fortgeschleppt; dadurch sind sie uns
hier erhalten. Zamamasumiddin fand in diesen Kämpfen
nach nur einjähriger Regierung den Tod, sein Nachfolger
Ellilnadinache (1175 — 73) konnte nichts ausrichten. Damit
hat die Herrschaft der Kossaeer über Sinear, nachdem sie
576 Jahre bestanden hatte, ihr Ende gefunden; die kos-
saeische Kriegerkaste wird in diesen Kämpfen aufgerieben
sein, die folgende Zeit kennt Kossaeer nur noch in ihrer
alten Heimat in den wilden Gebirgen am oberen Choaspes
und Eulaeos (Chuzistän)^).
In Babylonien aber erhob sich aus der heimischen, ak-
kadischen Bevölkerung eine neue Dynastie^). Das muß zu-
gleich zu einer Neuorganisation des Heerwesens geführt haben,
über die wir freilich im einzelnen nichts wissen; in dieser
Beziehung wird man den Hergang mit der Vernichtung der
Mamluken in Ägypten, der Janitscharen im osmanischen
Reich vergleichen dürfen. Das ist jedenfalls bei dem un-
kriegerischen Charakter der des Wafienhandwerks entwöhn-
ten, nur ihren Geschäften nachgehenden Bevölkerung^ nur
1) Vgl. Bd. I 363.!
2) Einige Auskunft über diese Vorgänge gibt, außer den nach
Susa verschleppten Monumenten, 'die nur in späterer Abschrift frag-
mentarisch erhaltene Inschrift des ersten Königs der nächsten Dy-
nastie (nicht Nebukadnezar I.!) III R. 38, 2, die Winckler, Altor.
Forsch. I 534 S. übersetzt hat [zuerst erkannt von Lehmann, Zwe Haupt-
probleme S. 167, vgl. auch Winckler, Gesetze Hammurabis S. IX if.];
ferner die von ihm im Anschluß daran S. .538 ff. behandelten Frag-
mente von Inschriften Nebukadnezars I, die von seinen Siegen handeln.
') Die vierte von Babel. Warum sie , Dynastie von Isin (geschrieben
Pa • 'e)" heißt, wissen wir nicht. Nebukadnezar I. selbst nennt sich
■Sit Babili , Sproß von Babel".
■•) Diesen sich aus den Ausgrabungen ergebenden Charakter hebt
Ende der Kossaeerherrschaft 537
in beschränktem Maße gelungen. So ist es begreiflich, daß
der neue König Marduksapikzer (1172 — 55) noch ganz unter
dem Druck der Elamiten gestanden und sich bei einem An-
griff auf sie am Uknü (Choaspes) eine schwere Niederlage
geholt hat; in den Resten eines von ihm stammenden Klage-
gebets an die Götter i) schildert er ergreifend die Not und
Verwüstung des Landes. Dagegen hat er oder sein Sohn
Ninurtanadinsum (1154 — 49) gegen die Assyrer Erfolg ge-
habt. Die Einzelheiten sind auch hier ganz dunkel"^), aber
wir sehn, daß in Assur gegen Assurdän mit babylonischer
Hilfe ein Usurpator (Ninurta-)Tugultiassur, wohl ein Nach-
komme der alten Dynastie, zur Herrschaft gelangt ist. Er
hat dann die von Tugultininurta aus Babel entführte Statue
des Marduk zurückgegeben und damit den König von Babel
als seinen Oberherru anerkannt. Auch das Siegel des Saga-
raktisurias wird damals zurückgegeben sein. Auf die Dauer
freilich hat er sich nicht behaupten können; er mußte schließ-
lich mit seinen Anhängern nach Babel flüchten, und Assur-
däns Sohn Mutakkilnusku bestieg den Thron ^). Daher be-
zeichnet Tiglatpileser I. diesen als den legitimen Sohn Assur-
däns und sagt von ihm, daß ihn „Assur der große Herr in
Erwählung der Treue seines Herzens begehrte und rechtmäßig
Rküther, Die Innenstadt von Babylon, S. 20, mit Recht hervor; in den
Häusern des Merkes , fanden w^ir Waffen verschwindend wenig, in den
(iräbern fehlen sie völlig".
') S. 536, 2.
*) Die Quelle ist ein in späterer Abschrift erhaltenes Schreiben
(IV R 34, 2) an einen assyrischen König, der ganz von oben herab
zur Rede gesetzt wird, in dem der Verfasser auch von dem Ein-
greifen seines Vaters zugunsten des Ninurta-Tugultiassur und seines
Beamten (Vezirs?) Assursumlisir redet. Zuerst behandelt von Winckler,
Altor. Forsch. I 389 ff. und seitdem oft besprochen. Weitere Aufklärung
hat erst die assyrische Königsliste gebracht, nach der Ninurta-Tugulti-
assur Assurdäns I. Nachfolger geworden ist. Somit ist der Verfasser
entweder Nebukadnezar I. oder wohl eher sein Vater, der Adressat
wahrscheinlich Mutakkilnusku.
^) Vielleicht hat sich Assurdän in einem Teile des Landes be-
hauptet und dann die Herrschaft wiedergewonnen.
538 ^- -^^^ Chetiterreich und seine Nachbarn. Babylonien und Assyrien
zum Hirten des Landes Assur machte"; da ist der Gegensatz
gegen den Usurpator deutlich ausgesprochen.
In Babylonien hat dann der nächste König Nebukad-
nezar I. (1148 bis ca. 1125) endlich gegen Elara Erfolg ge-
habt. In einer hartumstrittenen Schlacht am Eulaeos hat er
ihren König geschlagen und reiche Beute davongeführt. An
eine Unterwerfung Elams und eine wirkliche Ausgleichung
der Schäden und Rücklieferung der geraubten Denkmäler
war freilich nicht zu denken; aber die Unabhängigkeit Baby-
loniens war damit wiedergewonnen. Auch die Lulubaeer und
Kossaeer rühmt er sich besiegt zu haben und nennt sich
weiter „Eroberer von Amurri" ; in der Tat mögen die Amoriter
in dieser Zeit, nach dem Untergang des Chetiterreichs, ver-
sucht haben, ihre Macht nach dem Euphratgebiet auszu-
dehnen und dabei besiegt worden sein^). Auch im Krieg
gegen Mutakkilnuskus Sohn Assurris'isi von Assur (ca. 1145
bis 1125), der ihn angegriffen zu haben scheint, war er zu-
nächst erfolgreich; nach mehreren Wechselfällen konnte er
gegen die Stadt Assur selbst vordringen und die Belage-
rung beginnen. Aber Assurris'isi führte ein Ersatzheer her-
bei, schlug ihn in die Flucht und eroberte sein Lager, und
damit war auch die Unabhängigkeit Ass3Tiens wieder ge-
sichert.
In einer Bauinschrift rühmt sich Assuris'isi, die Lulu-
maeer und die gesamten Gutaeer in ihren Gebirgen besiegt und
die weiten Scharen der Achlamaeer niedergeworfen zu haben.
Er hat also einigermaßen den alten Bestand des Reichs wieder-
hergestellt. Noch weit größere Erfolge hat dann sein Sohn
Tiglatpileser I. errungen, Babylonien dagegen ist trotz der
vorübergehenden Erfolge Nebukadnezars I. nicht wieder zu
') Außer den oben S. 536, 2 angeführten Texten geben die Kudurrus
Nebukadnezars I. (Peiser in Sghrader's Keilinschr. Bibliothek III),
Schenkungsurkunden für seine hervorragendsten Mitkämpfer und für
einen zu ihm übergetretenen Elamiten, einige Auskunft. Über den Kr'eg
gegen Assurris'isi berichtet die synchron. Gesch., während dessen In-
schrift, die vielleicht älter ist, davon schweigt.
Nebukadnezar I. von Babel. Stagnation der Kultur 539
einer Kräftigung gelangt; auch in den Ruinen des inneren
Stadtquartiers von Babel ist der fortschreitende Niedergang
seit der Kossaeerzeit deutlich erkennbar.
Kultur und Kunst Babyioniens und Assyriens
Die Geschichte Assyriens und Babyioniens verläuft in
dieser ganzen Zeit, und noch zwei Jahrhunderte weiter, in
eintöniger Monotonie, in einem stetigen Hin und Her, das zu
dauernden Ergebnissen niemals führt. So kann sie ein größeres
Interesse nicht erwecken. In den Königsinschriften wieder-
holen sich, ganz wie bei den Ägyptern, immer von neuem
die gleichen Phrasen über die Macht, die Frömmigkeit und
das kriegerische Ungestüm des von Assur und den großen
Göttern berufenen und geleiteten Königs, das Gemetzel, das
er unter den Feinden anrichtet, die Mauern, Tempel, Paläste,
die er wieder hergestellt oder neu erbaut hat; aber wäh-
rend in Ägypten ein reichgestaltetes, in lebhafter Bewegung-
begriffenes Kulturleben dahinter steht, fehlt das hier voll-
kommen. Das Leben verläuft von Generation zu Generation
gleichmäßig weiter in den ererbten, von der Kultur des
3. Jahrtausends geschaff'enen Bahnen. Landwirtschaft, Gewerbe
und Handel gehn ihren Gang schlecht und recht, je nach
der momentanen politischen Lage, unter den durch den Geld"
verkehr und das Gesetzbuch Chammurapis geregelten Ord-
nungen ; auch in der Organisation der Staatsverwaltung und
der Steuern und Fronden wird sich in Babylonien trotz der
Beseitigung der Kossaeerkaste nichts Wesentliches geändert
haben; an die Stelle der bisherigen Machthaber treten die
Gehilfen und Günstlinge der neuen Dynastie. Die Macht der
Könige ist, wie in allen despotischen Staaten, durch die Rück-
sichten, die sie auf die für die Führung der Geschäfte und
Kriege unentbehrlichen Magnaten und auf die Volksstimmung
nehmen müssen, nicht nur in Babylonien stark gebunden,
sondern ofi'enbar, trotz alles Prunkens der Königsinschriften,
auch in Assyrien, wie die wiederholten Aufstände und Thron-
wechsel zeigen. Daneben wird die Priesterschaft, der sie selbst
540 ^I- Das Chetiterreich und seine Nachbarn, ßabylonien und Assyrien
angehören, immer einen großen Einfluß behauptet haben; die
Sorge für die Tempelbauten und die Ausstattung des Kultus
ist auch hier in beiden Staaten jederzeit eine Hauptpflicht
der Könige.
Auch die Traditionen der Götcerlehre, der Sage und Ge-
schichte und des von der Priesterschaft gepflegten Wissens
werden weiter überliefert, die alten Texte immer von neuem
abgeschrieben und vermehrt, die Chroniken weitergeführt —
bei ihrer Benutzung zur Ermittlung von Ereignissen der Vor-
zeit ist man freilich, wie wir geselin haben, oft flüchtig genug
verfahren — ; die Kenntnis des für die Erlernung der Schrift
unentbehrlichen Sumerischen sucht man mit Hilfe der Para-
digmen und Wörterbücher zu erhalten und hat den Texten
vielfach akkadische Interlinearübersetzungen beigefügt und
auch umgekehrt akkadische Texte ins Sumerische zurücküber-
setzt, wobei es nicht ohne viele Fehler abging. Auch wird
sich ohne Zweifel der Bestand des wahren wie des eingebil-
deten Wissens auf dem Gebiet der Himmelskunde, der Samm-
lung und Deutung der Vorzeichen, speziell der Opferschau.
der Magie und der Heilkunde gemehrt haben, so gut wie auf
dem der Theologie und der Mittel, die Gnade der Götter durch
Bußgebete und Opfergaben zu gewinnen. Aber neue Gedanken
und irgend eine innere Fortentwicklung suchen wir in dieser
ganzen Literatur vergeblich; die Fortschritte in der Astro-
nomie und die wissenschaftliche Ausbildung eines geschlos-
senen astronomisch-astrologischen Systems gehören erst der
folgenden Epoche, der Zeit des assyrischen Großreichs und
der Chaldaeer an (vgl. Bd. I 427). So ist es auch jetzt noch
ganz unmöglich, in der Weise, wie das in Ägypten der Fall ist,
aus inneren Gründen die Zeit irgend einer Schrift zu bestim-
men und so zu einer wirklichen Literatur- und Kulturgeschichte
zu gelangen^). Vielmehr ist das ganze 2. Jahrtausend in Baby-
') Auch Meissner hat daher in seinem umfassenden Werk über
die babylonisch-assyrische Kultur (Babylonien und Assyrien I 1920
n 1925) auf eine Darstellung der geschichtlichen Entwicklung ver-
zichten müssen.
Literatur und Kunst in Babylonien und Assyrien 541
lonien eine Zeit des Stillstands und der Erstarrung und daher
eines fortschreitenden Rückgangs, innerlich wie äußerlich.
Unmittelbar sinnfällig tritt dieser Niedergang in der Kunst
zutage. Im Grunde ist die ganze Geschichte der Kunst Baby-
loniens seit der Mitte des 3. Jahrtausends nur ein ununter-
brochenes Herabsinken von der kurzen im Reiche von Akkad
unter Naramsin erreichten Blütezeit. Jetzt entartet sie völlig.
Natürlich hat man immer weiter Götterbilder, Votivreliefs,
Schmucksachen, Siegelzylinder angefertigt, bunte Gewänder
gewebt u. s. w. Aber das alles sind nur Erzeugnisse einer
mechanisch fortgeführten, völlig degenerierten Routine, alles
innere Leben und aller Kunstgeschmack ist geschwunden.
Nirgends zeigt sich das deutlicher, als auf den jetzt, seit
den letzten Kossaeern — die ältesten erhaltenen stammen
von Nazimaruttas IL und Kastilias III. — aufkommenden
Urkundensteinen (Kudurru), Belehnungsurkunden für vornehme
Beamte, denen Grundstücke als .steuerfreies Eigentum zu-
gewiesen wurden^). Über den Text wurden auf den Stein-
block in langen Reihen die Symbole zahlreicher Götter ge-
setzt (unter denen allmählich auch astrale Symbole zahlreicher
werden), um so die Urkunden zu bekräftigen; aber von irgend-
welchem Versuch, sie künstlerisch zu verbinden oder gar ein
einheitliches Bild daraus zu schafien, ist keine Rede, selbst
Auswahl und Anordnung ist durchaus willkürlich. Wo dann
vollends, wie mehrfach unter der vierten und den folgenden
Dynastien, auch noch das Bild des Königs darauf gesetzt wird,
fällt es, trotz des reichen Kostüms, so plump und unbeholfen
aus, daß es an die tastenden Anfänge der primitiven sume-
rischen und chetitischen Kunst erinnert.
So ist denn auch der Hausrat, der sich in den Haus-
quartieren Babels erhalten hat. ebenso armselig und kunst-
los wie gleichzeitig in Palaestina, in schärfstem Kontrast zu
der Überfülle geschmackvoller Schöpfungen der Kleinkunst
') Sehr unpassend werden sie meist als „Grenzsteine (boundary
stones)" bezeichnet. Verzeichnis derselben bei Hinke, Boundary stone
of Nebuchadnezzarl. 1907 (Bab. Exped. of Pennsylvania, Series D,Vol. IV).
542 ^I • I^s Chetiterreich und seine Nachbarn. Babylonien und Assyrien
und des Kunsthandwerks in Ägypten. Eine babylonische Kunst
existiert in Wirklichkeit überhaupt nicht mehr.
Auch in Assyrien liegen die Dinge nicht viel anders.
Die Assyrer haben die Kultur, Literatur und Religion Baby-
loniens übernommen, aber innerlich Neues kaum hinzugefügt,
abgesehn davon, daß hier der Staramgott Assur die herr-
schende Stellung unter den Göttern einnimmt und daher mit
Ellil identifiziert wird, wie in Babel Marduk, und daß ein-
zelne religiöse Anschauungen und Darstellungsformen aus dem
chetitisch-mitanischen Kulturkreise eingedrungen sind. Die
Sonderart der Assyrer tritt in ihrem kriegerischen Charakter
hervor, der ihrem Königtum eine weit größere Energie ver-
leiht und es immer wieder zu dem Versuch treibt, gegen-
über den kraftlosen Prätensionen Babels die Vorherrschaft
zu gewinnen. Das führt dann zu der früh hervortretenden
Brutalität ihrer Kriegführung, die zu dem weit humaneren
Verfahren ihrer chetitischen Rivalen in einem für beide Völ-
ker bezeichnenden Gegensatz steht. Dieselbe Denkweise tritt
auch im assyrischen Recht hervor, von dem uns Aufzeich-
nungen, vor allem über die Rechtsverhältnisse der Frauen,
etwa aus dem 12. Jahrhundert erhalten sind^). Die Sätze sind
von dem Gesetzbuch Chammurapis beeinflußt, stehn aber an
Präzision der juristischen Formulierung hinter ihm ebenso
wie hinter dem chetitischen zurück; bezeichnend ist auch hier,
im Gegensatz zu diesem, die große Zahl der Leibes- und
Lebensstrafen, die in ihnen verhängt werden.
Indessen trotz der größeren Regsamkeit und der stär-
keren Verbindung mit dem Westen fehlt es auch in dem
Assyrien dieser Zeit noch durchaus an neuen Gedanken und
einem inneren Fortschreiten. Von einer assyrischen Kunst
kann daher in dieser Zeit eigentlich überhaupt nicht die
Rede sein. Die assyrischen Tempel unterscheiden sich aller-
dings von den babylonischen Vorbildern dadurch, daß hier
unter westlichem Einfluß für den Kultraum mit dem Götter-
Ehelolf und Koschaker. Ein aJtassyrisches Rechtsbucli, 1922.
Charakter und Kunst Assyriens 543
bild an Stelle des Breitraums ein Längsraum getreten ist.
Aber alle Bauten, auch die Paläste, werden nach wie vor
aus Lehmziegeln aufgeführt; der Gedanke, das hier, anders
als in der Tiefebene von Sinear, leicht zu beschaffende Stein-
material zu verwenden, wie bei den Chetitern und Ägyp-
tern, liegt noch völlig fern. Die Folge ist, daß die Tempel
und Paläste unter der Einwirkung der Witterung immer
wieder in kürzester Zeit verfallen und vom Regenwasser weg-
geschwemmt werden und dann immer wieder neu aufgebaut
werden müssen. Wie fern aber, trotz der auch hier vor-
handenen und reichgeschmückten Götterstatuen, den Assyrern
noch jede plastische Betätigung lag. zeigen drastisch die
Gedächtnismale, welche .sich die Könige und die höchsten
Beamten, wenn sie das eponyme Jahramt bekleidet hatten^),
in einem kleinen Tal vor der Stadt Assur errichten durften*).
Es sind über 2 Meter hohe Steintafeln, in die ein Inschriften-
feld in Form einer eingesenkten Holz- oder Bronzetafel ein-
gelassen ist, mit der Inschrift „Bild (salam) des N. N." Aber
ein Bild findet sich nirgends, sondern der Stein selbst, wie
auch sonst auf gleichartiger Kulturstufe, z. B. bei ähnlichen
Gedächtnismalen in Palaestina (Gazer) und bei den Israeliten^),
verkörpert die Person und die Inschrift erhält ihn in seinem
Namen lebendig.
Ein Fortschritt beginnt erst, als Assurnasirpal II. (884
bis 860) aus dem Westen die Verkleidung der Wände mit
Steinplatten übernahm und diese mit Reliefs und Inschriften
schmückte. Erst von da an hat sich, langsam fortschreitend,
eine assyrische Baukunst und eine assyrische Plastik entwickelt.
') Daß alle auf den Stelen vorkommenden Personen (einschließlich
der Könige) Eponymen sind, hat Forrer, Provinzeinteilung S. 6 erkannt.
-) ÄNDRAE, Die Stelenreihen in Assur, 1913. Vgl. meine Bemer-
kungen Archaeol. Anz. 1913, 77 ff. = Kleine Schriften II 1 ff .
^) Gleichartig ist die Entwicklung des Götterbildes aus dem auf-
gerichteten Stein, der Masseba oder der Hernie.
XII. Die großen Wanderungen.
Ausgang der mykenischen Zeit, Ende des
Chetiterreichs und Niedergang Ägyptens
Das westliche Kleinasien. Die Lykier. Die Achaeer in
Pamphylien und auf Cypern
In die Beziehungen des Chetiterreichs zum Westen Klein-
asiens hat sich bisher ein zureichender Einblick noch nicht
gewinnen lassen. Die Festung Giaurkalessi südlich von Angora
mit ihren Felsreliefs ist oben schon erwähnt^); die gleich-
artigen Felsreliefs eines Königs oder Gottes, mit Beischrift
in chetitischen Hieroglyphen, in dem Gebirgsland hinter dem
Golf von Smyrna, sowie das Bild der Berggöttin des Sipylos,
das in einer Nische hoch oben in der steilen Felswand öst-
lich von Magnesia aus dem Felsen gehauen ist, gleichfalls
mit hieroglyphischer Beischrift, scheinen zu bezeugen, daß
die Chetiterkönige ihre Herrschaft hier wenigstens zeitweilig
bis ans Ägaeische Meer ausgedehnt haben ^). Weitere Auf-
schlüsse dürfen wir vielleicht von den Bruchstücken der An-
nalen Dudchalias IV. erhoffen, in denen von der Unterwerfung
von zweiundzwanzig Landschaften des Landes Assuwa die
') Wahrscheinlich gehören auch die Felsskulpturen mit Inschrift
nebst einem Altar beim Midasgrab im Quellgebiet des Sangarios hier-
her: Ramsay, Mitt. Athen. Inst. XIV, 182 ff.
^) Das Material siehe in Reich und Kultur der Chetiter S. IH f.
155. Herodot II 106 beschreibt die beiden Skulpturen an der Straße
von Ephesos nach Phokaea und an der von Sardes nach Smyrna ganz
zutreffend (er schreibt sie fälschlich dem Sesostris, andere richtiger
dem Memnon zu). Das erstere befindet sich südlich von Njmphaeon
(Nif) oberhalb eines Bachtales (in der Nähe noch ein zweites, kleineres
Relief), das andere ist nicht wiedergefunden. — Das Bild der Götter-
mutter snt KooStvoo itExpa bei Magnesia am Sipylos (von den Neueren
fälschlich Niobe genannt) erwähnt Pausan. III 23, 4.
Das westliche Kleinasien. Die Lykier 545
Rede ist; dieser Name scheint den Westen der Halbinsel zu
bezeichnen \).
Unter den Völkerschaften, die zum Chetiterheer Truppen
stellen, nennt Ramses IL auch die Luka (Lukki). Zur
Amarnazeit haben sie Cypern mit Kriegszügen belästigt, und
unter Merneptah erscheinen sie unter den Seevölkern, die
mit den Libyern zusammen Ägypten angreifen. In einer
chetitischen Vertragsurkunde werden sie (in der Schreibung
Lugga) in Verbindung mit mehreren kleinen Landschaften
genannt, die etwa bis zum pisidischen Alpenland reichen;
so ist die Vermutung nicht unwahrscheinlich, der spätere
Name Lykaonen für einen der hier hausenden Stämme sei
eine Weiterbildung von Luka. Aber auch in weiterer Aus-
dehnung ist von Luggaländern die Rede^). Daß der Name
dem griechischen Lykien entspricht, kann nicht zweifelhaft
sein. Aber hier erhebt sich eine eigenartige Schwierig-
keit. Das Volk, das die Griechen Lykier nennen, nannte
sich selbst Tramilen^) und ist nach durchaus glaubwürdiger
Überlieferung aus Kreta nach der Küste des damals von
den Solymern bewohnten Landes Milyas hinübergezogen. Daß
das richtig ist, wird dadurch durchaus bestätigt, daß ihre
Wohnsitze nur den Küstensaum von Telmessos bis zu den
Chelidonischen Inseln sowie das Xanthostal umfassen, während
die innere, rings von hohen Bergen umschlossene Hochebene
') FoRRER, MDOG. 63, (3. Verötientlicht sind die Texte noch nicht.
Daß Assawa [ich gebe hier wie durchweg das babylonische s im Che-
titischen wie im Assyrischen durch s wieder] mit dem Landschafts-
namen 'Aa[a am Kayster (II. B 461; davon der lydische Stamm 'Haiovsc(;,
vgl. u. S. 557 Anm.) zusammenhängt, wie Forrer annimmt, ist nicht un-
möglich. Dagegen ist seine Deutung des unter diesen Landschaften vor-
kommenden Taruisa als Troja ganz willkürlich und gewaltsam; dagegen
jetzt Friedrich in den Kleinas. Forsch. I 100 f.
2) FoRRER, Forsch. I 76. MDOG. 63, 4. 7. Er glaubt weiter, in
Millawanda die Landschaft IMilyas, in Talaowa Tlos in Lykien zu er-
kennen. Eingehender hat er sein Material noch nicht vorgelegt.
') Herod. I 173. VII 92 (TspiicXat) und oft in den lykischen In-
schriften. Vgl. Bd. I 476.
Meyer, Geschichte des Altertums II'. 85
546 Xn. Die großen Wanderungen
Milyas von den Solymern bewohnt war^). Die Tramilen
sind also über See gekommene Ansiedler so gut wie die
Griechen, welche die Westküsten Kleinasiens besetzt haben;
die Auswanderung aus Kreta wird eine Folge der Eroberung
des Hauptteils der Insel durch die Griechen gewesen und der
Festsetzung der Achaeer auf Rhodos in mykenischer Zeit
parallel gegangen sein. So ist vielleicht auch der Name
Lykier von dem älteren Landes- und Volksnamen dieser Ge-
biete auf die Tramilen übertragen worden; auch die Sprache,
die ebenso wie viele ihrer Eigennamen ein durchaus klein-
asiatisches Gepräge trägt, könnten sie von den Ureinwoh-
nern übernommen haben. Eben so möglich bleibt es freilich
auch, daß die Luka oder Lykier sich ehemals auch ins
Westmeer und nach Kreta ausgedehnt haben und die Tra-
milen einer ihrer Stämme sind. Darauf scheint auch ihre
Verbindung mit den Troern und Dardanern in der troja-
nischen Sage hinzudeuten (o. S. 301 f.). Das sind Fragen, auf
die eine gesicherte Antwort bisher noch unmöglich ist.
Ein weiteres Land aus dem Süden Kleinasiens ist Ach-
chijawa. Mit diesem Land ist bereits Mursil IL (ca. 1345
bis 1320) mehrfach in Berührung gekommen; ein im Zu-
sammenhang damit genannter Tawagalawas scheint der König
dieses Landes gewesen zu sein. Zugleich zeigen die darüber
vorliegenden Angaben, daß es den Lugga sowie Millawanda
benachbart und daß es am Meere gelegen war: ein vor
Mursil über das Meer, wahrscheinlich nach Cypern, geflüch-
teter Sohn des Königs von Arzawa (vgl. o. S. 439) geht
von da zum König von Achchijawa^). Somit hat Forrer
') Die heftigen Kämpfe zwischen beiden Stäaimen kennt auch
die Bellerophonepisode der Ilias Z. 184 f. 204.
2) Abgesehn von den kurzen Angaben in Mursils Annalen bei
Forrer, Umschrift no. 51 A, ZI. 24 f. (= Forsch. I 45) und 4S III 1 ff.,
ergänzt durch das von Götze und Friedrich. Kleinas. Forsch. I 95 mit-
geteilte Bruchstück, sind wir bisher nur auf die Mitteilungen von F »rrkr,
MDOG. 63, 5. 7 ff. und Frikdri h a. a. 0. 10t f. angewiesen, aus denen ich
aufgenommen habe, was als gesichert gelten kann. Im einzelnen scheint
der von Tawagalawas handelnde Text noch ganz dunkel zu sein.
Das Reich Achchijawa (Pamphylien) 547
gewiß recht, wenn er dies in Pamphylien sucht. Deutlich
ist es hier kein Vasallenstaat, sondern ein selbständiges Reich.
Weitere Aufschlüsse erhalten wir unter Dudchalia IV. (ca. 1260
bis 1230). In dem Vertrage, den er mit dem Amoriterkönig
geschlossen hat (o. S. 531), wird unter den Königen, die dem
Chetiterkönig gleichgestellt sind und gegen die der Vasall
sich ebenso verhalten soll wie sein Oberherr, neben denen
von Ägypten, Kardunias und Assur auch der von Achchijawa
genannt, ist aber dann in der Urkunde getilgt, sei es, daß
die Beziehungen zu ihm sich geändert hatten, sei es, daß
man nachträglich erwogen hat, daß er für die Amoriter zu
weit ablag und diesen daher hier keine Verpflichtungen auf-
erlegt werden sollten. Jedenfalls aber zeigt dieser Text, daß
Achchijawa damals eine unabhängig neben dem Chetiterreich
stehende Großmacht gewesen ist.
So ist es denn damals auch zu einem Kriege zwischen
beiden gekommen. Attarissijas „der Mann von Achchijawa" ^)
verjagt seinen Nachbar Madduwattas von Zippaslä, dieser findet
Schutz bei Dudchalia IV., dessen Feldherr den Attarissijas
besiegt und zum Rückzug in sein Land zwingt^). Später,
zur Zeit des Arnuanda IV. (ca. 1230—1200), hat dann At-
tarissijas einen Raubzug nach Cypern (Alasia) unternommen,
für den der Chetiterkönig Entschädigung verlangt^).
Der Name Achchijawa sieht ganz aus wie eine keil-
schriftUche Wiedergabe des griechischen Volksnamens Achaeer
'Axacfoc').
') Hier Achchija geschrieben. — Weiter erwähnt Forrer, MDOG.
63, 5 f. einen damit zusammenhängenden Krieg gegen Talaowa, das
er mit Tlos in Lykien (lyk, Tlawa) gleichsetzt.
-) Der V(n Forrer a.a.O. S. 6. 16 S. benutzte Text ist inzwischen
veröffentlicht und von Friedrich a. a. 0. 94 f. besprochen worden. Er
weist nach, daß darin nicht von 100 Schiffen, wie Forrer annahm,
sondern von 100 von den Chetitern erbeuteten Kriegswagen des Atta-
rissijas die Rede ist.
') Forrer S. 18 und dazu Friedrich S. 100. 102. 106 f.
*) Sprachwissenschaftlich korrekte Wiedersrabe solcher Eigen-
namen dürfen wir in fremder Sprache und Schrift niemals erwarten;
rAQ XII. Die großen Wanderungen
Und nun ist Pamphylien in der Tat in mykenischer Zeit
von Griechen aus dem Peloponnes besiedelt worden; denn
der in einigen Inschriften erhaltene griechische Dialekt, der
in den Städten Pamphyliens gesprochen wurde, stimmt im
Wortschatz und in den Lautformen meist mit dem Arkadischen
und Kyprischen überein, enthält also ein starkes achaeisches
Element. Daneben stehn allerdings einzelne „dorische" For-
men; mithin haben sich hier mehrere griechische Stämme
gemischt 1), worauf auch der Name Pamphyler hinzuweisen
scheint. Ganz dunkel ist, wie es gekommen ist, daß auch
der Meerbusen, in den der Maeander mündet, nebst der zu-
gehörigen Küste nach den Pamphylern benannt wird^); haben
im übrigen steht Achchijawa der griechischen Form nicht ferner als
lateinisch Achivi, wo das im Griechischen verlorene w gleichfalls be-
wahrt ist.
') Während man früher die Pamphyler fast allgemein zu der
achaeisch-arkadischen Gruppe der griechischen Dialekte stellte (so vor
allem Meillet, Rev. des et. Gr. 21, 1908, 413 ff.), hat Bechtel, Die griech.
Dialekte II (1922), sie unter die dorischen gestellt; leider ist aber
sein Werk, da er es peinlich vermeidet, die Verzweigung der Dialekte
und ihre gegenseitige Beeinflussung historisch begreifbar zu machen,
für den Nichtspezialisten fast unbenutzbar. Zum Arkadischen und
Kyprischen stimmt der Genitiv TSpafiooao und apYopo, Atpopotatc, Tcepxe-
Stoxs, der Name /Totvaoaa der Göttin von Perge; dorisch ist «pixaii (20),
huapoi u. a.
^} Erhalten in den Gründungsorakeln von Magnesia (Kern, Grün-
dungsgesch. v. Magn. 1894. Inschr. v. Magnesia 17) und in der Angabe
bei Livius 38, 13, 11 beim Galaterfeldzug des Vulso 189 (auf die
Täubler, Glotta XV 146 hingewiesen hat), daß die Stadt Tabae im
Quellgebiet eines Nebenflusses des Maeander gelegen sei in finibus
Pisidarum in ea j)arte, quae vergit ad Pamphylium mare; also
war der Ausdruck noch zu Polybios' Zeit geläufig. Darf man damit
verbinden, daß nach Pausan. VII 3, 7 in Erythrae außer Kretern,
Lykiern und Karern auch Pamphyler gesessen haben sollen? — Seit
Hesiods Melampodie wird die Ansiedlung der Pamphyler an die Orakel-
propheten Amphilochos und Mopsos angeknüpft, die von Troja über
Klares nach Pamphylien und Kilikien ziehn (Strabo XIV 1, 27. 4, 3.
5, 16 f.; ebenso Herod. HI 91. VII 91. Theopomp fr. 111 u. a.). Nach
Plin. V 96 heißt es daher ursprünglich Mopsopia. — Mit der dorischen
Phyle der Pamphyler haben die kleinasiatischen schwerlich etwas zu
Die Pamphyler und Achchijawa 549
sie sich in alter Zeit auch hier angesiedelt und sind sie viel-
leicht erst von hier aus in die reiche und dicht besiedelte
Küstenebene am Fuß des pisidischen Alpenlandes gezogen?
Wir stehn hier vor Rätseln, die wir mit dem bisher vor-
liegenden Material nicht lösen können.
Die dorischen Elemente mögen in späterer Zeit etwa von
Kreta aus hinzugekommen sein, während die achaeische An-
siedlung ins 14. und 13. Jahrhundert fällt. So kann Forrer'^
Annahme richtig sein, daß Tavagalavas von Achchijawa den
griechischen Namen 'Eis /^oxXs/-^;; wiedergibt^). Dagegen war
es ein Mißgriff, wenn Führer glaubte, er werde als ein Aoler
bezeichnet^); und ebenso ist seine Annahme unhaltbar, Jaß
die Insel Lesbos in den chetitischen Texten vorkomme. Ein
Omentext aus der Zeit Mursils II. erwähnt allerdings, in noch
völlig unklarem Zusammenhang, die Gottheit von Achchi-
jawa und die von Lazpas, so daß diese beiden Landschaften
in Beziehung zueinander gestanden zu haben scheinen. Aber
der einzige Text, in dem Lazpa sonst noch vorkommt^), ist
tun. Die Ableitung der mächtigen Pisider.stadt Selge aus Sparta,
Polyb. V 76. Strabo XII 7, 8 und auf Münzen (ebenso Sagalassos) ist
natürlich sekundär. Nach Skylax und Arrian I 2*J ist Side Kolonie
von Kyme.
*) Damit soll natürlich nicht behauptet werden, daß er mit dem
Urkönig von Orchomenos und Begründer des Charitenkults P^teokles
oder Eteoklos (Hesiod bei schol. Find. Ol. 14, 1. Strabo IK 2, 40.
Pausan. I 34) identisch wäre, wie Forrer meint, oder mit seinem
Namensvetter von Theben. Nach Pausanias machten jenen einige zum
Sohn des Flusses Kephisos, andere gaben ihm einen Andreus, Sohn des
Peneios, zum Vater, nach dem die Landschaft ursprünglich 'AvSpviii;
(wie später <I>XsYoav'c!(;) geheißen haben soll (IX 34, 6 ff. 36, 1). Forrek
glaubt, diesen Andreus in einem Antarawas wiederzufinden, der in dem
gleich zu erwähnenden Texte vorkommt; aber nach Friedrich S. 105
ist es ganz unsicher, ob dieser mit Achchijawa zusammenhängt. Die
Geschichten bei Pausanias haben jedenfalls nicht den mindesten ge-
schichtlichen Wert.
*) Siehe Friedrich S. 97 f., der nachweist, daß das Wort ajaicalas
nach dem Zusammenhang kein Völkername sein kann, wie es denn
auch nicht mit dem Ideogramm für Land oder Stadt determiniert ist.
') Forrer. Forsch. I 90.
550 ^I- ^iß großen Wanderungen
ein Schreiben an den Chetiterkönig aus derselben Zeit, in dem
der Herrscher des Landes des Sechaflusses unter anderem
darüber klagt, daß ein gewisser Bijamaradus das Land Lazpa
geschlagen habe. Nun liegt das Sechaflußland jedenfalls in
der Nachbarschaft von Uilusa, Karkisa und anderen Distrikten
des Taurusgebiets; somit kann Lazpa unmöglich die Aveit ab-
gelegene Insel Lesbos sondern nur der Name eines Gebiets
in der Nähe von Achchijawa (Pamphylien) sein.
Auch der Gleichsetzung des Namens Attarissijas mit Atreus
stehn sprachlich die schwersten Bedenken gegenüber^), und
sachlich liegt in den chetitischen Texten nichts vor, was
auf eine Beziehung zu dem König von Mykene oder auf
das Hinübergreifen eines großen Achaeerreichs vom Mutter-
land nach den kleinasiatischen Küsten hinwiese. Zur Zeit ist
auf diesem Gebiet, gegenüber der vorschnellen Übernahme
und Popularisierung kühner Hypothesen, Zurückhaltung noch
dringend geboten; erst wenn das Material vollständig vor-
gelegt und sorgfältig nachgeprüft ist, wird man mit größerer
Sicherheit urteilen können''*).
Andrerseits freilich habe ich bereits vor einem Men-
schenalter (1893) behauptet, wie die Festsetzung der Grie-
chen in Cypern und Pamphyhen müsse auch die an der
Westküste Kleinasiens in die mykenische Epoche fallen, da
') Man könnte sich mit der Annahme helfen, daß der Name, der
ja schwerlich griechischen Ursprungs ist, aus einer anderen Sprache
stamme und von Griechen und Asiaten in abweichender Form um-
gestaltet sei, wenn nur sonst irgend etwas auf die Identität hindeutete.
^) Es ist sehr zu bedauern, so begreiflich es auch ist, daß Forrer
im J. 1924 (MDOG. 63) sich darauf beschränkt hat, lediglich die Er-
gebnisse, die er gefunden zu haben glaubte, provisorisch zu veröfifent-
lichen, ohne die Belege hinzuzufügen. Die beabsichtigte ausführliche
Darlegung und Begründung ist dann, wie es so oft geht, durch äußere
Hindernisse hinausgeschoben worden, und die Fortsetzung seiner „For-
schungen" auch gegenwärtig noch nicht erschienen. So war eine
kritische Nachprüfung zunächst unmöglich ; sie hat jetzt, gefördert
dadurch, daß inzwischen einige der betreffenden Texte veröffentlicht
sind, in den Aufsätzen von Friedrich und Götze im ersten Heft der
Kleinas. Studien begonnen, worauf Forrer's Antwort abzuwarten ist.
Die Griechen in Kleinasien 551
die Besiedlung eines so ausgedehnten Küstengebiets sich in
derselben Weise wie bei gleichartigen Kolonisationen, der grie-
chischen in Unteritalien, Sicilien, am Schwarzen Meer, der
holländischen und englischen in den fremden Kontinenten,
in allmählichem, sich Generationen lang fortsetzendem Fort-
schreiten vollzogen haben müsse ^) und daher zugleich die Pro-
sperität des Mutterlandes und eine fortwährende Verbindung
mit ihm voraussetze-). So könnte es nur willkommen sein,
wenn diese Auffassung eine urkundliche Bestätigung fände;
aber bisher wenigstens ist das nicht der Fall. Auch sonst
wird sie zum mindesten stark einzuschränken sein. Aller-
dings haben die Ausgrabungen in Milet gezeigt, daß hier
in jungmykenischer Zeit eine befestigte Ansiedlung gegründet
ist^); sie liegt auf der Nordspitze der weit ins Meer vor-
') Andersartig ist natürlich die durch Eroberung des ganzen
Landes ermöglichte makedonisch-hellenistische, römische, spanische
Kolonisation; aber von einer solchen Eroberung kann hier keine
Rede sein.
'^) Die griechische Überlieferung hat über diese Kolonisation
keinerlei Kunde bewahrt; was davon erzählt wird, ist armselige Kon-
struktion. Die obere Zeitgrenze war dadurch gegeben, daß das Epos
sie geflissentlich ignoriert. Sie betrachtet alle Kolonisationen als ein-
heitliche, spontane Akte: die Besiedlung von Cjpern und Pamphylien
wird unmittelbar an den troischen Krieg angeknüpft (wie andere
Heroen nach Italien geschickt werden), die Aeoler sollen (weil ihre
Könige sich von Agamemnon ableiteten) unter Orestes und dessen Nach-
kommen lange vor dem Einbruch der Herakliden und Dorier aus La-
konien ausgewandert und über Aulis (o. S. 299) nach Lesbos und Kyme
gekommen sein: die lonier seien von den durch die Dorier aus La-
konien vertriebenen Achaeera aus dem Norden des Peloponnes nach
Athen verdrängt und zwei Generationen später von hier nach Asien
hinübergezogen. Die Modernen betrachten dann die Auswanderung
als eine Folge der dorischen Wanderung; das ist eine Konstruktion,
die sich im Altertum nur bei Vellejus I 2 findet, aber sonst der grie-
chischen Darstellung ganz fremd ist.
') WiEGAND, Sechster Bericht, Abh. Berl. Akad. 1908, S. 7 ff., und
jetzt V. Gerkan im Miletwerk I Heft S, S. 73 ff. 113 ff. Zu der mykeni-
schen Stadt (beim Athenetempel) gehört weiter südlich die Nekropole
mit Felskammern und Dromoi.
552 ^11- ^^^ großen Wanderungen
springenden felsigen Halbinsel. Aber ihre Stellung wird da-
durch charakterisiert, daß die Steine für die Bauten (Gneis)
nicht im Hinterland gebroclien, sondern übers Meer geholt
worden sind, Avahrscheinlich von dem am Nordufer der Bucht
steil aufragenden Mykale her. Es handelt sich hier also um die
ersten Anfänge der Kolonisation, wie sie auch an anderen
Stätten schon vorgekommen sein mögen ; indessen haben sich
sonst mykenische Ansiedlungen bisher weder in lonien noch
in Aeolis nachweisen lassen.
So wird es wohl dabei bleiben müssen, daß die Ausbrei-
tung der Griechen über das Ägaeische Meer in mykenischer
Zeit das Festland kaum berührt hat, sondern die umfassende
Besiedlung der Westküste Kleinasiens ein Ergebnis der großen
Umwälzungen in der Völkerwanderung des 12. Jahrhunderts
gewesen ist.
Umso stärker war der Expansionstrieb in das Ostbecken
des Mittelmeeres gerichtet. Hier ist die Kolonisation aus dem
regen Handelsverkehr mit den Kulturgebieten des Orients er-
wachsen, von dem die steigende Verbreitung mykenischer Ge-
fäße in Cypern, Palaestina, Ägypten Zeugnis ablegt. Die erste
Station bildete die schon erwähnte mykenische Besiedlung von
Rhodos. Dann folgte die Festsetzung in Pamphylien und
weiter die auf Cypern, der für alle Seefahrten unentbehrlichen
Zwischenstation auf dem Wege nach Phoenikien und Ägypten.
Hier lockte zugleich der Kupferreichtum der Insel. Seit rund
1400 V. Chr. mehren sich hier in den Schachtgräbern und
Grabkammern der Nekropolen, neben ägyptischen und ein-
heimischen Erzeugnissen, ständig die mykenischen Waren ^);
') Die Datierung der Gräber von Enkomi (Salamis) ist durch
PouLSEN, Jahrb. Arch. Inst. 26, 1911, 215 ff. und Fimmex, Kretiscb-
myk. Kultur 117 ff. gegen den Herausgeber Murray (Excavations in
Cyprus, 1900) festgestellt. Einen sicheren Anhalt gibt Grab 93, das
Skarabaeen der Teje und Amenophis' IV. enthält, ferner reichen ägyp-
tischen Goldschmuck, zwei chetitische Siegelzylinder (pl. IV, no. 606.
607), einen mykenischen Goldring (no. .546, Ziege und Vogel zu jeder
Seite einer Palme) und im Dromos eine mykenische Scherbe (p. 9 Fig. 15).
Ebenso ist Grab 24 (von Poulsen versehentlich mit dem unbedeutenden
Die Griechen auf Cypern 55o
alsbald werden sie so überwiegend, daß sie ein Eindringen
griechischer Ansiedler in die Ortschaften der Insel erweisen.
Mit ihnen zusammen werden auch andere Seevölker gekommen
sein; wir werden darauf die schon erwähnte Klage des Königs
von Alasia im Amarnabrief 38 beziehen dürfen, daß „Leute
von Lukki ,Jahr für Jahr in meinem Lande eine kleine Stadt
nehmen"; Lukki mag hier allgemeine Bezeichnung der See-
völker sein und die Achaeer mitumfassen. Ein weiteres Zeugnis
ist der oben schon erwähnte Zug des Attarissijas von Ach-
chijä nach Alasia.
So bestätigen diese Funde, was Avir aus der Sprache, aus
dem Kult des Apollon Amyklos und dem Namen der Stadt
Lakedaimon im Binnenlandc der Insel erschließen müssen.
Auch der Achaeername hat sich hier mehrfach erhalten, so
in der Beziehung der Seher als 'Ayawfxavrst;; (o. S. 281,4).
Auch die Tradition bewahrt eine richtige Kunde, wenn sie
Paphos von Arkadern — natürlich, wie bei der Besiedlung
von Pamphylien. nach dem troischea Kriege, und daher unter
Führung ihres in der Ilias genannten Königs Agapenor —
gegründet sein läßt und Kurion, mit dem Kult eines Gottes
Perseutas, von Argos ableitet^). Die mykenischen Traditionen
haben auf der Insel lange nachgewirkt, unter starker Bei-
mischung der einheimischen, seit alters von Babylonien und
von Ägypten beeinflußten Kulturelemente.
Unter den Griechenstädten an der Küste tritt am be-
deutendsten Salamis an der Ostküste hervor, an einer Bucht.
in die der Fluß Pediaeos mündet"), mit der OToßen Nekro-
Grab 2 zusammengeworfen), aus dem die Elfenbeinbüchse pl. 11 88;<.
Kampf zwischen Krieger und Greif, stammt, durch den Skarabaeus
Ramses' III. pl. IV 29 datiert. Die übrigen Gräber liegen mei^t zwischen
diesen beiden Endpunkten.
') Salamis wird natürlich von der gleichnamigen Insel abgeleitet,
unter Teukros, ferner werden die Theseussöhne auch hierhergebracht,
u. ä. Im allgemeinen s. Herodot V 11,8. VII 90. Strabo XIV 6, 8. ferner
Lykophron 494. 586 ff. und die Angaben bei Skylax.
^) Später ist sie durch Anschwemmungen des Flusses aufgefüllt
und die Stadt ans Meer verlegt worden.
Kg^ XII. Die großen Wanderungen
pole von Enkomi. Auch hier ist die griechische Stadt an
Stelle einer älteren einheimischen Ansiedlung getreten. Von
hier aus ist offenbar die fruchtbare Binnenebene besiedelt
worden, in der zahlreiche Griechenstädte, wie Chytroi, Lake-
daimon, Ledra, Idalion von der fortschreitenden Intensität der
Besiedlung zeugen. An der Südküste sind vor allem Paphos
und Kurion zu nennen, ferner die alte, in vormykenische
Zeit hinaufragende Ansiedlung bei Psemmatismeno (östlich
von Amathus), die ehemals der Haupthafen für den Verkehr
mit Ägypten gewesen zu sein scheint^).
Durch diese Invasion der Griechen ist das Königreich
Alasia, das zur Zeit der achtzehnten Dynastie die ganze
Insel umfaßte, zugrunde gegangen, und auch die Chetiter-
könige, die mehrfach nach ihr übergegriffen haben, haben
sie nicht behaupten können. Die einheimische Bevölkerung
hat sich und ihre Sprache, wie Inschriften und eine An-
gabe des Skylax beweisen, in Amathus in der Mitte der
Südküste bis ins 4. Jahrhundert selbständig erhalten. Die
Phoeniker, die weiter östlich die Stadt Kition oder Qartchadast
(„Neustadt") gegründet haben, sind wahrscheinlich erst nach
den Griechen auf die Insel gekommen und treten in der
älteren Zeit ganz gegen sie zurück. Ins Binnenland und zu
den dortigen Bergwerken sind sie erst nach 449 vorgedrungen,
als Athen die Insel den Persern überlassen hatte und diese
ihre Herrschaft auf die Phoeniker stützten.
Von Kreta aus ist, wie vor allem Scxdwall nachgewiesen
hat, kretische Schrift nach Cypern gekommen und hier weiter
zu einer reinen Silbenschrift fortgebildet, die in Amathus für
') Da die von Brugscei (Gesch. Ig. 603) aufgestellte Gleichsetzung
meist undeutbarer Namen in einer Liste Ramses' III. (Dümichen, Hist.
Inschr. I 11 f.) mit kyprischen und kilikischen Städten noch immer
wieder Gläubige findet (so auch bei Oberhimmer im Artikel Kypros
bei Pauly -Wissowa), sei ausdrücklich hervorgehoben, daß sie ganz
phantastisch ist und nicht benutzt werden darf. Schon W. M. Möller,
Asien und Europa 227, hat sie mit vollem Recht als ganz indiskutabel
abgelehnt.
Die Griechen auf Cyperii 555
die einheimische Sprache verwendet wird und dann auch von
den Griechen auf der Insel übernommen wird.
Sehr anschaulich tritt die enge Verbindung, in der die
Insel seit alters mit der ägaeischen Welt steht, darin hervor,
daß die in Taubengestalt erscheinende Gestalt der Göttin
des Liebeslebens, deren Kult und Bild wir auf Kreta und
in Mykene kennen gelernt haben \), mit der großen Göttin
von Cypern gleichgesetzt und nach der Insel benannt wird
(KuTrpcc, KuTrpoYsveia). Wie ihre Gestaltung als üppiges nacktes
Weib — die auf Cypern wieder aus Babylonien übernommen
ist — wird auch ihr Name Aphrodite von hier entlehnt sein.
Ihre angesehenste Kultstätte war das früh griechisch gewor-
dene Paphos, wo Kinyras, der Eponymos ihres Priester-
geschlechts, als Begründer ihres Kultus gilt'). Daneben wird
vor allem Amathus genannt, wo sich der einheimische Kult
ohne griechische Beimischung erhalten haben wird.
Dje Seevölker und die ethnographischen Probleme.
Tyrsener und Achaeer
Die bisher behandelten Probleme werden noch ver-
wickelter durch Augabeu. die wir aus Ägypten erhalten.
Unter Merueptah hat sich eine Koalition von Völkern „aus
den Ländern des Meeres" oder von „aus allen Ländern ge-
kommenen Nordleuten" mit libyschen Stämmen zu einem An-
griff auf Ägypten verbunden^). Genannt werden Aqaiwasa,
Tur(u)sa, Luka. Serdana. Sakarusa (Sakalsa). Drei von ihnen,
') Oben S. 197. 2;J5.
-) In der Ilias A 20 ächenljt Kin^ ras dem Agamemnon als ^r.vVjtov
für den Krieg einen prachtvollen Panzer.
') Das Material aus Mernephtahs Inschrift in Karnak und der
Stele von Athribis bei Breasted, Anc. Reo. III -574 ff. .i96 ff. Der Zusatz
,von den Meerländern" steht in jener am Schluß der Liste der Gefallenen,
hinter den Aqaiwasa, und ist in der Stele von Athribis, wo die Reihen-
folge geändert ist, bei diesen geblieben. Daß er sich aber auf alle
diese Völker bezieht, geht sowohl aus dem Eingang der Inschrift von
Karnak wie aus den Angaben Ramses' III. hervor.
556 ^11- Die großen Wanderungen
die Tursa, Serdana und Sakarusa, erscheinen nachher wieder
bei der großen Völkerwanderung unter Ramses III. neben
den Philistern und Zakkari, den Danauna „von ihren Inseln"
und den Uases ..von der See". Die Aqaiwasa und die Luka
kommen nur bei Merneptah vor, und zwar haben jene, wie die
Liste der Erschlagenen zeigt, damals bei weitem das größte
Kontingent gestellt; die Luka dagegen werden in dieser Liste
überhaupt nicht erwähnt, waren also offenbar nur mit wenigen
Leuten beteiligt.
Daß die Heimat dieser Stämme im Bereich des Agaeischen
Meeres zu suchen ist, kann nicht zweifelhaft sein. Die Luka
(Lykier) haben war schon kennen gelernt, ebenso die Serdana
und ihre alten Beziehungen zu Ägypten, dem sie auch jetzt
ein starkes Söldnerkontingent stellen. Die Tursa „vom Meere" ^)
können nur die Tyrsener sein, die eine griechische Sage (im
homerischen Dionysoshymnus) als Seeräuber im Agaeischen
Meer kennt und die hier auf Lemnos und Imbros noch im
6. Jahrhundert gesessen haben, während der Hauptteil des
Volkes nach Italien hinüber gezogen ist und hier der Land-
schaft Etrurien den Namen gegeben hat'-). In den Sakarusa
^) So bei der Darstellung eines Gefangenen (hier Tuirsa ge-
schrieben) unter Ramses III., Fremdvölkerphot. 498.
2) Wie gegenwärtig wohl die meisten Forscher halte auch ich
jetzt die Überlieferung, daß die Etrusker über See nach Italien ge-
kommen sind, für zutrefl'end. Die Argumente allgemeiner Art, mit
denen Schuchhardt (Die Etrusker als altitalisches Volk, Praehist. Z.
16, 1925. 109 ff.) wieder ihre Autochthonie in Italien zu erweisen sucht,
kann ich nicht als beweiskräftig ansehn. Dagegen zeigt die Besied-
lung Toscanas und weiter der Polandschaft deutlich ein Vordringen
der Etrusker von der Westküste aus: das wird durch die Erhaltung
der latinischen Bevölkerung in Falerii und die Spuren älterer um-
brischer Besiedlung des Landes weiter bestätigt. Dagegen ist es sehr
fraglich, ob die Ableitung der Etrusker aus Lydien irgendwie be-
rechtigt ist. Herodot I 94 läßt sie bekanntlich unter ihrem Eponymos
Tyrsenos aus Lydien auswandern; aber der Lyder Xanthos (bei Dien.
Hai. I 28) weiß davon nichts, sondern nennt statt dessen den Torrhebos.
den Eponymos des lydischen Stammes der Torrheber (am oberen Kay-
stros). Der bei beiden zugrunde liegende Stammbaum läßt sich unter
Die Seevöiker. Die Etrusker (Tursa, Tyrsener) 557
(Sakalsa) hat man auf Grund des Namensanklangs die Sikeler
zu erkennen geglaubt, die damals noch in IJnteritalien saßen.
Möglich ist das gewiß, so gut wie die Ableitung der Serdana
aus Sardinien, da die große Völkerbewegung dieser Epoche
in der Tat nach Italien hinübergegriffen hat; aber als ge-
sichert kann es nicht betrachtet werden.
In den Aqaiwasa endlich hat man allgemein die Achaeer
erkannt, deren Namen 'Ayai/oi, abgesehn von dem Suffix^),
sehr korrekt wiedergegeben sein würde.
Heranziehung von Herod. IV 45 und Dion. Hai. I 27 vollständig rekon-
■struieren: Masnes (s. AVilamowitz, Hermes 34, 222)
Atys Kotvs
^ .r
Lydos Torrhebos Asies (Eponym der 'AoiovsT(;)
über die durch Hekataeos vollzogene Gleichsetzung der Tyrsener
mit den Pelasgern und ihre Ableitung aus Athen habe ich Forsch. I
gehandelt, und ebenda nachgewiesen, daß Herod. I 57 die bei Dion.
Hai. I 29 bewahrte Lesung (die Hude in seiner Ausgabe nicht einmal
erwähnt, statt sie in den Text zu setzen) die allein richtige ist, nach
der die Bewohner von Cortona im inneren Etrurien dieselbe Sprache
sprechen, wie die angeblichen Pelasger von Plakia und Skylake, d. i.
die Tyrsener, die von den Athenern aus Lemnos verjagt sind und
deren Sprache uns in Inschriften auf Lemnos erhalten ist. Wie weit
die Versuche, eine Verwandtschaft des Etruskischen mit kleinasiatischen
und kaukasischen Sprachen zu erweisen, sich als stichhaltig bewähren
werden, wird sich erst entscheiden lassen, wenn ein Verständnis der
etruskischen Sprache erschlossen sein wird. Gänzlich in der Luft
schweben die Hypothesen von Hammarström und Kretschmer, Glotta XI
211 ff. 276 ff. XIV 300 f. über angeblich etruskische Bestandteile in
griechischen Wörtern, z. B. daß in der Notiz bei Steph. Byz. TsTparcoXii;
rtic; 'AttixYji;* aZz-q npoxepov sxaXelxo 'TttYjvia das eti'uskische Zahlwort
/mS- stehe, das vielleicht vier bedeutet. — Der alte Volksname ist
Turs, in der Völkertafel des Priestercodex Gen. 10, 2 erhalten als dtm,
offenbar mit der häufigen Verschreibung von waw in jod aus 0*nn
entstellt. Daraus ist mit den gerade in Italien für Ethnika ganz geläufigen
Suffixen -anus und -cus einerseits Turscus und Tursanus, TopcYjvo? (auf
dem Helm Hieros Tupav'), andrerseits mit Metathesis Etruscus und
Etruria (aus -sia) gebildet.
^) Es ist sehr auffallend, daß drei dieser Namen und ebenso der
der mit ihnen verbündeten libyschen Masauasa auf -Sa enden. Bei
558 ^11- I*i6 großen Wanderungen
Nun erfahren wir aus Merneptahs Angaben aber noch,
daß die Sakarusa, Tursa, Serdana und Aqaivvasa — die Luka
werden hier nicht erwähnt — beschnitten waren. Bei den
Ägyptern besteht seit alters der Brauch, den Gefallenen eine
Hand abzuschneiden und danach ihre Zahl zu ermitteln und
zugleich die Belohnungen zu verteilen M- Unter Merneptah
aber wurden den Libyern die Phalli abgeschnitten, weil sie
unbeschnitten waren — ein Brauch, der ebenso bei den Israe-
liten in der Geschichte Davids im Kampfe mit den Philistern
vorkommt (Sam. 118, 25 ff.); uubeschnitten zu sein gilt eben
als Schande, und so zeigt man noch an den Leichen die
Verachtung gegen die Unreinen. Bei den Seevölkern da-
gegen werden nicht die Phalli, sondern die Hände ab-
geschnitten, „weil sie keine Vorhaut hatten"'). Über die
letzteren, deren Name dem der Maxyer u. ä. entspricht, mag es sich
um ein libysches Suffix handeln, bei den Tursa gehört sa zum Stamm;
sind die Namen der Aakarusa und Aqaiwasa ihnen assimiliert?
') Dabei ist es offenbar mehrfach vorgekommen, daß beide Hände
abgeschnitten wurden. So wird es sich erklären, daß in der Liste
Merneptahs die Zahl der Hände größer ist als die der Toten, z. B.
.Sakarusa 222 Mann, macht 250 Hände, Tursa 742 Mann, macht
790 Hände".
^) Die zuerst von Brugsch aufgestellte Deutung des Wortes qar-
nata als Vorhaut {^ nh^^) ist von Naville, Sphinx XHI. 1910, 227 ff.,
bestritten worden; er sucht in ihm, in Polemik gegen meine Bemer-
kung in Bd. I 167 A. (3. Aufl. S. 55), die von den Libyern getragene
Phallustasche, und diese Übersetzung ist auch in d.is Ägypt. Hand-
wörterbach von Erman und Grapow aufgenommen worden, wenn auch
mit einem Fragezeichen. Aber sie ist völlig unhaltbar. Die Abbildungen
Ramses' Hl. (von Merneptah sind keine erhalten) geben volle Aufklärung.
Unter ihm werden den Gefallenen sowohl die Hände wie die Phallen
abgeschnitten. Wie sie auf einen Haufen geworfen und gezählt werden,
ist in Medinet Habu zweimal dargestellt. Das eine Mal (Rosellini, Mon.
stör. 135 U.S.W.) sind die Phallen in der in Ägypten herkömmlichen
Weise gezeichnet; in der nnderen Darstellung, auf der südlichen Außen-
wand, für die mir eine vorzügliche Zeichnung von Haves vorliegt (die
Zeichnung bei Champolijon not. I 367, der W. M. Müller. Asien und
Europa 358 folgt, ist ungenau), sind nur die penes, ohne Hoden, ab-
geschnitten; und sie laufen vorn ganz spitz zu, haben also sicher Vor-
Die Seevölker beschnitten. Die Äqaiwasa 559
anderen bei Ramses III. vorkommenden Völker haben wir
keine Angaben; aber von den Philistern wissen wir sicher,
daß sie unbeschnitten waren, und das wird auch von ihren
übrigen Genossen gelten.
Es ist sehr überraschend, die Beschneidung hier in der
Seewelt zu treffen. In Ägypten ist sie seit ältester Zeit hei-
misch und von hier aus haben sie die Israeliten und die Phoe-
niker übernommen^); daß die Serdana und die mit ihnen
in Berührung stehenden Stämme die Sitte gleichfalls von den
Ägyptern entlehnt haben, ist denkbar. Später freilich finden
wir sie in diesen Gebieten nirgends mehr — die Kolcher, die
nach Herodot beschnitten waren, liegen viel zu weit ab — ,
auch nicht bei den Etruskern, Soll man nun annehmen, daß
auch die Achaeer sie wenigstens im Kolonialgebiet zeitweilig
mitgemacht haben? Oder sind die Äqaiwasa doch ein ganz
anderes Volk und dann etwa identisch mit den Achchijawa
und diese keine Achaeer? Es ist peinlich, hier wie in vielen
anderen Fragen, daß unser Material so dürftig und wortkarg
ist; aber die Gesamtlage spricht doch stark dafür, daß auch
die Achaeer, die eben damals sich im östlichen Mittelmeer
ausbreiteten, an diesen Bewegungen beteiligt gewesen sind,
so gut wie nachher die Danaer (Danauna).
Von den unter Ramses III. hinzukommenden Völker-
schaften läßt sich über die Uases „von der See" nichts weiter
ermitteln. In den Danauna (im Amarnabrief 151 Danuna,
o. S. 224) „von ihren Inseln" werden wir den Namen der
häute. Beide Male steht qarnata darüber; somit ist das sicher nicht
die Phallustasche, sondern kann nur die Vorhaut resp. das unbeschnittene
Glied bedeuten. ,Die keine qarnata hatten" kann also nur „Be-
schnittene" bedeuten.
') Daß die Beschneidiing eine Nachahmung der ägyptischen Sitte
sei, sagt die israelitische Überlieferung Jas. 5, 9 ausdrücklich, in bester
Übereinstimmung mit Herodot II 104: <I>oivuji; xal Suptot ol ev rj n-xXaiaTivg
{d. i. die Juden) x-xl a'jtol b\i.oko-^koo<i'. Jtap' A'-foxtioi^ HifiaU-rjuevat (tYjv
icjptxoa-riv). DieÄgypter und Phoeniker alle beschnitten {'Y^kn'.): Aristoph.
av. 505 ff. Die bne Chamor von Sichern (wahrscheinlich Choriter) da-
gegen sind nach Gen. 34 nicLt beschnitten.
560 -^II- ^^^ großen Wanderungen
Danaer von Argos erkennen dürfen. Das Hauptkontingent
der Seevölker aber, die Ramses III. in großen Schlachten
zu Land und zur See besiegt, bilden die beiden engverbun-
denen Stämme, deren Namen Pursta (auch Puirsta) und Zak-
kari geschrieben werden. Die Konsonanten des ersteren (Prst)
sind die korrekte Wiedergabe von cnu^'^E, Philister. Aus
der israelitischen Überlieferung wissen wir, daß diese in die
Küstenebene des dann nach ihnen Palaestina benannten Landes
von der Insel Kaptor her eingewandert sind und die alten
hier liegenden Städte wie Gaza und Askalon besetzt haben ^);
weiter nördlich, in Dor, haben nach einem ägyptischen Be-
richt^) die Zakkari sich festgesetzt. Nach Ausweis der Funde
haben sie Gefäße der spätmykenischen Zeit mitgebracht und
in ihrer neuen Heimat diesen Stil beibehalten und weiter-
gebildet^). Daß die Insel Kaptor Kreta ist, kann nicht zweifel-
haft sein, wenn der Name auch in umfassenderem Sinn die
weitere ägaeische Inselwelt mit einschließen mag. Auf nahe
Beziehungen zu den Kafti weist hin, daß in einer Liste von
Kaftunamen, die ein ägyptischer Schreiber auf einer Holztafel
verzeichnet hat, ein Name 'Akasan vorkommt, der dem des
Philisterkönigs Akis (LXX A^/oüc) von Gat (Sam. I 21, 11)
zur Zeit Davids und dem des Ikausu von Aqqaron zur Zeit
Assarhaddodons und Assurbanipals entspricht*).
Aber auch der Volksname Kreter ("'n'nD) hat sich bei den
Philistern neben diesem immer lebendig erhalten^). Außerdem
^) Arnos 9, 7. Jerem. 47, 4, und im Kommentar zum Deutero-
nomium 2, 3. Hier [und in der ganz konfusen Stelle Jos. 13, 3] er-
halten ihre Vorgänger den Namen Q"^)^.
^) Reise des Wenamon (Breasted, Rec. IV 565).
3) über die Philisterkeramik s. Thiersch, Arch. Anz. 1908, 378 ff.
Timmen, Kret.-myk. Kultur 195 ff.
*) Spiegelberc, Z. Ass. 8, 884. W. M. Müller, Z, Ass. 9, 891 ff.).
*) Sam. I 30, 14. Bei Zephanja 2, 5 bezeichnet „Bewohner des
Meeresufers, Volk der Kreter", denen der Untergang verkündet wird,
die Gesamtheit der Philister, die im Parallelismus damit genannt werden
{ebenso Ezech. 25, 56), und im nächsten Vers heißt ihr Land direkt
ms KpY^T-r) (so richtig LXX und danach Wellhausen). In der Benenaung
Philister und Zakkari. Japhet 5g £
erscheinen die Philister oder vielmehr die gesamten Seevölker
in der Sage unter dem Namen Japhet, dem verkündet wird,
daß Gott ihm weiten Raum schaffen und daß er auch in
den Zelten Sems (d. i. der Israeliten) wohnen, aber Kana'an
beider Knecht sein solP); darin lebt der Name der Kafti
fort. So werden wir auch in der Angabe, daß Gaza von
Minos als Minoia gegründet sei und der dort verehrte Haupt-
gott, den seine Verehrer einfach Marna „unser Herr" nennen,
identisch sei mit dem Zeus KpTjtaYsvyjc oder KpijTafOi;^), ein
Fortleben einer richtigen Tradition erblicken dürfen.
Über die Herkunft der Zakkari läßt sich weiter nichts
ermitteln, als daß sie wie die Philister ein Seevolk sind. Die
ägyptischen Darstellungen geben beiden und ebenso den ein-
mal neben ihnen dargestellten Danauna^') gleiche Gestalt und
Tracht. Charakteristisch ist vor allem die Kopfbedeckung, ein
breiter, meist mit Buckeln oder zackigen Streifen geschmückter
Reif, offenbar von Metall, mit gefälteltem Nackenschutz von
Zeug oder Filz und einem unter dem Kinn verknoteten Sturm-
band; auf ihm sitzt auf einer Kappe ein nach allen Seiten aus-
ladender Aufsatz aus dicht aneinander liegenden Federn*).
Schon früher ist erwähnt (o. S. 217), daß diese Federkrone
sich ebenso auf dem kahlen und bartlosen Kopf findet, der
auf dem Diskus von Phaistos als Schriftzeichen am Anfang
der Söldner Davids und seiner Nachfolger als Kreter und Pleter (d. i.
Philister) stehn beide Namen nebeneinander.
') Gen. 9, 27, vgl. meine Israeliten S. 220 f. und oben S. 183
und 346.
^) Steph. Byz. siehe v. rds«.
') Champollion, Mon. .381 (fälschlich ins Ramesseum gesetzt) =
Lepsius, Denkm. III 211. Text III 174 (drei gleiche Reihen Gefangener;
über der ersten steht keine Inschrift; die zweite Reihe ist als Danauna,
die dritte = Phot. 485 als Philister bezeichnet). Ebenso die Zakkari
Champollion 226.
*) Abgebildet Taf. VId. In den Schlachtbildern sind diese Federn
durchweg gezeichnet, in anderen Darstellungen (so auch bei den Zak-
kari Phot. 499) dagegen meist weggelassen, so daß der Aufsatz wie eine
große Haube aussieht. Bei dem gefesselten Philister auf einem Osiris-
pfeiler Phot. 846 fehlt er über der Kappe.
Meyer, Geschichte des Altertums, in. 36
562 ^11- ^^^ großen Wanderungen
zahlreicher Wörter (wohl Eigennamen) steht. Somit werden
die Philister und Zakkari dasjenige Volk sein, das diese Stem-
pelschrift erfunden hat und aus dessen — bisher nicht auf-
gefundenen — Wohnsitzen der Diskus nach der kretischen
Stadt gelangt ist. Auch die Möglichkeit, daß der Philister-
name mit dem der Pelasger identisch ist. kann nicht ganz
abgelehnt werden.
Unter der Kappe ist das Haupthaar niemals angedeutet,
also entweder kurz geschnitten oder rasiert, wie bei den Köpfen
und den übrigen Figuren auf dem Diskus. Die Krieger sind
durchweg bartlos, wie die Serdana, nur ältere Häuptlinge
tragen mehrfach einen Bart^). Die Gesichtszüge sind von
denen der Semiten und der Chetiter durchaus verschieden, das
Profil verläuft geradlinig wie bei den Griechen. Mit diesen
stimmen die Waflfen überein, längere Lanzen und kürzere
Speere, kurze spitze Schwerter und runde Schilde. Der Ober-
körper ist in den sorgfältiger gearbeiteten Bildern von einem
bis zum Gürtel reichenden Panzerhemd bekleidet, das auch
die Schultern umschließt, während Hals und Arme freibleiben.
Auf der Brust sind Linien eingezeichnet, die der Krümmung
der Rippen entsprechen und am Brustbein spitz zulaufen.
So ist es wohl eher ein festes Wams mit Besatz von Metall
oder starkem Zeug zum Schutz der Brust, als_^ein Metall-
panzer^). Unter ihm sitzt ein bis zu den Knien reichender
Lendenschurz, der ebenso wie der Gürtel mit Troddeln ver-
ziert ist. Die Beine sind nackt.
Die Serdana tragen im übrigen dieselben Waffen und
^) So die Gefangenen am Durchgang des hohen Tors Phot. .''03,
mit durchgearbeiteten Gesichtszügen; ebenso der Zakkari und der Ser-
dana Phot. 499, beide mit Ohrring.
») Mehrfach tragen in Ramses' HI. Schlachtbildern auch Ägypter
den gleichen Panzer; und hier ist er, wie die Abbildungen im Grabe
Kenamons (Phot. 768) und Ramses' III. zeigen, sicher ein mit Metall-
Bchnppen besetzter Lederkoller, wie schon bei einigen Semiten auf dem
Streitwagen Thutmosis' IV. (Phot. 16), s. Wolf. Bewaffnung des altäg.
Heers S. 96 ff.
Tracht und Bewaffnung der Philister, Zakkari und Serdana 563
dieselbe Kleidung^} bis auf den für sie charakteristischen
ehernen Helm mit Hörnern (Mondsichel)^).
Auf einer Vase jungmykenischer Zeit, aus einem kyklo-
pischen Haus in Mykene^), ist der Auszug von Kriegern ins
Feld — hinter ihnen steht die Frau, die mit Trauergestus
von ihnen Abschied nimmt — und vreiter eine Schar in die
Schlacht rückender Kämpfer dargestellt. Jene tragen lange
Lanzen, an denen der Brotbeutel hängt; diese schwingen
Speere zum Kampf. Beide Gruppen haben runde Schilde; um
den Rumpf sitzt ein ornamentiertes Wams (oder Panzer?),
das auch die Schultern umschließt, während der Hals frei-
bleibt; darunter verdeckt ein Untergewand mit Troddeln die
Scham. Im allgemeinen entspricht diese Tracht der eben ge-
schilderten; abweichend ist, daß auch der Arm mit einem
Ärmel umschlossen ist, und daß sie Gamaschen (TtvyjfxiSe?)
und Schuhe tragen. Außerdem haben sie Backen- und Kinn-
bart; aber der Schnurrbart ist abrasiert und ebenso fehlt
jede Andeutung des Haupthaars. Fast völlig übereinstim-
mend mit den Philistern, Zakkari und Danauna ist bei der
zweiten Gruppe die Kopfbedeckung, eine bunte Kappe auf
einem Reif, nach beiden Seiten überladend, mit einem Auf-
satz paralleler Striche darauf, die den Federn entsprechen;
nur der Nackenschirm fehlt. Man wird damit verbinden
dürfen, daß nach Herodot die Lykier „rings mit Federn be-
setzte Filzmützen" trugen^). Bei der anderen Gruppe könnten
die beiden Hörner am Helm der Mondsichel auf dem Helm
der Serdana entsprechen, wenngleich hier eher eine rein
griechische Entwicklung vorliegt, die Sicherung des Helmes
*) Auch das Panzerhemd findet sich bei ihnen mehrfach in der
Darstellung der Seeschlacht.
') Oben S. 57. Der kugelförmige Aufsatz zwischen den Hörnern
fehlt in den Darstellungen nicht selten.
») ScHLiEMANN, Mjkenae Fig. 213. 214. Furtwängler u. Löschke,
Myk. Vasen Taf. 42. 43. Tsuntas-Manatt, Myc. age Taf. 18; danach auf
Taf. VI a. b. — Gleichartig die bemalte Stele bei Tsuntas, Etp. ip^. 1896
Taf. I
*) Herod. VII 92 itiXou? «TEpoiat iiEpteoTt<pav<ujx£vouc.
564 ^11- ^^^ großen Wanderungen
gegen Hiebe durcli daran angesetzte Haken (^aXot), vgl. oben
S. 234, 1.
So wenig man an eine direkte Gleichsetzung dieser myke-
nischen Kriegerscharen mit den von den Ägyptern dargestellten
wird denken dürfen, so zeigen die Übereinstimmungen doch,
daß sie alle demselben Kulturkreis angehören, in dem die
Völkerschaften sich gegenseitig beeinflußten und in Bewaff-
nung und Tracht sich angeähnelt haben.
Andersartig ist die Kopftracht in dem stark zerstörten
Bild eines Tursahäuptlings in Medinet Habu (Phot. 498): über
der Stirn hält ein breites Band (oder Reif?) das Haar zusam-
men, das lockenartig endend über der Stirn liegt, aber ziem-
lich kurz gehalten ist und daher nicht auf die Schultern
herabfällt. Gleichartige Gestalten, in denen wir daher Tur§a
erkennen dürfen, finden wir neben Ägyptern, Serdana und
Philistern oder Zakkari sowie Negern in der Garde Ram-
ses' HI.^) und ebenso unter den Söldnern in der Libyer-
schlacht ^). Einer von diesen trägt über der Brust, an einer
Schnur vom Hals herabhängend, eine runde Scheibe, wie wir
sie mehrfach auch bei Semiten finden, wohl zugleich als
Schmuckstück und als Amulett.
Unter den Bildern gefesselter Feinde auf glasierten Fay-
encekacheln, mit denen Ramses HI. seinen Palast in Medinet
Habu geschmückt hat^), finden sich neben Libyern, Syrern,
Chetitern und Negern auch einige, die an diese Gestalten
^) Phot. 447 f. und 428 f (aus ersterer sind, auf C4rund der älteren
Zeichnungen, die Bilder bei W. M. Müller, Asien und Europa S. 380 f.,
entnommen). Danach Taf. VE 2.
2) Phot. 434, danach Taf. VI c. Der Vergleich mit den Bildern
von Ägyptern in derselben Schlacht zeigt, daß die glatte Fläche hinter
dem Stirnband nicht ein Kopftuch ist (wie z. B. W. M. Müller meinte),
sondern das Haar, das nicht weiter modelliert ist, aber dann in ein-
zelne kleine Büschel oder Locken ausläuft.
^) Publiziert von Daressy, Ann. du Serv. XI 1910; Fremdvölker-
phot. 1 — 11. Weitere in den Museen von Wien und Berlin und in der
Sammlung v. Bissing's. In Betracht kommen hier Phot. 5a. b. 9b. 11
(= Daressy no. 15. 16. 18. 14).
Die Tursa. Bilder der Seevölker 565
erinnern. Alle diese Figuren tragen nicht die Kriegsrüstung,
sondern reich mit Stickerei geschmückte Gewänder, ähnlich
wie die Serdana in der Galatracht, in der sie in dem Bilde
der Schlacht bei Qades als Leibwache Ramses' III. dargestellt
sind. Einer, in buntem Obergewand und langem Unterrock
(Phot. 9 b), mit Backen- und Schnurrbart, trägt über der
Stirn das breite Band und dahinter das Haar in Strähnen
zurückgekämmt und gleichmäßig abgeschnitten; das scheint
also ein Tursa zu sein. Auf der Brust hängt ihm unter der
Halskette ein Ring. Ein anderer (Phot. 11) trägt statt dessen
die volle Scheibe. Auch er hat einen kurzen Vollbart. Die
Gesichtszüge sind ganz europäisch. Über der Stirn scheint
auch bei ihm ein Band zu liegen; das Haar ist zerstört. Der
Leib ist unter der Brust mit einem horizontal gestreiften
Tuch umwickelt, von der Schürze hängen Troddeln über den
Leibrock herab. Die gleiche Kleidung findet sich bei Phot. 5a;
hier ist das Stirnband mit Steinen geschmückt, das Haar liegt
in Strähnen auf dem Kopf und ist geradlinig abgeschnitten^).
Besonders bedeutsam ist weiter, daß sich in einem Grab
von Enkomi (Salamis) auf Cypern ein Kasten aus Elfenbein
gefunden hat, dessen Schnitzereien in mykenischem, aber asia-
tisch beeinflußtem Stil eine Jagd darstellen; und in dieser
tragen zwei Krieger im Gefolge der wie die ägyptischen und
mykenischen Fürsten auf dem Wagen stehenden Hauptfigur
ganz deutlich denselben mit Buckeln geschmückten Stirn-
reifen mit Nackenschutz und mit dem überhängenden Feder-
aufsatz wie die Philister^}. Das Grab, in dem sich ein paar
Eisenmesser mit Elfenbeingriff gefunden haben, gehört der
') Zwei gleichartige Köpfe befinden sich in Wien.
^j Excavations in Cyprus pl. I und p. 31 (vgl. o. S. .552, 1), aus Grab 58.
Die beiden Krieger sind: hinter dem Wagen der WafiPenträger mit Streit-
axt und mit dem Dolch am Gürtel, und ganz links der Mann, der einen
Löwen niederstößt. Auch die Sphinx pl. II 1126 trägt die gleiche Kopf-
bedeckung. Der Schurz des Waifenträgers entspricht gleichfalls den
ägyptischen Darstellungen. Der bärtige Schütze auf dem Streitwagen
trägt einen Schuppenpanzer; sein Haar ist nach hinten zurückgekämmt,
aber einen Stirnreifen hat er nicht.
566 XII. Die großen Wanderungen
Zeit um 1200 au. So wird hier die Mischung der verschiedenen
Volkstüraer anschaulich, welche die Insel besiedelt haben;
mehrere Elfenbeinschnitzereieu aus anderen Gräbern zeigen
statt dessen bartlose Köpfe mit dem raykenischen, mit Eber-
zähnen besetzten Helm^).
Die große Völkerwanderung
Die Verbindung der Serdana mit Ägypten reicht jeden-
falls bis über die Amarnazeit, ja vielleicht bis in die Anfänge
des Neuen Reichs zurück. Jahrhundertelang ist die kriegs-
lustige Jugend dieses Volkes, mag es nun in Sardinien oder
sonst irgendwo in weiter Ferne ansässig gewesen sein, übers
Meer gezogen, um als Reisläufer im Dienst des Pharao Beute
und Ruhm zu verdienen. Daß daneben Raubzüge gegen Ägypten
vorkamen (o. S. 457 f.), ist durchaus begreiflich. Aber auch die
anderen Seevölker standen schon längere Zeit mit Ägypten in
Verbindung; so hat sich im Faijüm das Grab eines zur Guts-
verwaltung des Harems gehörenden Beamten 'An-tursa aus
der neunzehnten Dynastie gefunden^), dessen Name über seine
Herkunft keinen Zweifel läßt.
Daß die Seevölker sich mit den Libyern zu einem großen,
offenbar sorgfältig vorbereiteten Angriff auf Ägypten ver-
banden, würde an sich schon nicht nur regen Verkehr durch
Handel und Seeraub, sondern auch politische Beziehungen
von einer Ausdehnung erweisen, wie sie die Folgezeit Jahr-
hunderte hindurch nicht wieder gekannt hat. Aber der Zu-
sammenhang greift viel weiter; diese Invasion Ägyptens reiht
sich ein in eine große Völkerbewegung, welche das gesamte
Ostbecken des Mittelmeers nebst dem angrenzenden Festland
erschüttert und weithin umgestaltet hat.
') Excav. pl. IL no. 1340 aus Grab 16. no. 872 aus Grab 17, Spiegel-
griff, auf dem ein bartloser Krieger mit dem Schwert einen Greifen
niederstößt. Auf dem Rücken liegt sein Rundschild, die Scheide hängt
am Gürtel; der Schurz entspricht auch hier den ägyptischen Dar-
stellungen. Gleichartig das Fragment 883 aus Grab 24, das der Zeit
Ramses' IH. angehört (o. S. 552, 1).
^) Petrie, Kahun, Gurob and Hawara (1890) pl. XIX.
Die Völkerwanderung. lUyrier und Thraker 567
Den Verlauf im einzelnen können wir nicht ermitteln;
aber die Grundzüge lassen sich deutlich genug erkennen.
Der Anstoß ist, so scheint es, von dem Eindringen eines
neuen indogermanischen Volksstammes, der Illjrier, in den
Nordwesten der Balkauhalbinsel ausgegangen^). Dadurch .sind
alle hier ansässigen Volksstämme in Bewegung geraten. Unter
den thrakischen Stämmen hat der Stoß vor allem das große
Volk der Phryger getroflFen, die ehemals das ganze Gebiet
vom Strymon und Makedonien bis zum Adriatischen Meer be-
sessen haben müssen. Reste von ihnen haben sich hier unter
dem Namen Bryger oder Briger an mehreren Stelleu erhalten,
so im Hinterland von Epidamnos*) — hier kennt sie die Tele-
gonie als Nachbarn und Feinde der Thesproten — und im
Gebiet des Erigon im oberen Makedonien^); am Berg Bermion
in dem Gebiet, von dem später das makedonische Königreich
ausgegangen ist, hat sich die phrygische Sage von dem reichen
Urköuig Midas, dem Sohn des Gordias, und den üppigen Gärten
Silens dauernd erhalten^). Der Hauptteil des Volkes aber ist
nach Kleinasien hinübergezogen und hat hier die Küstenland-
schaft des Hellesponts und der Propontis sowie weithin das
innere Hochland besetzt, und hier die alteinheimischen Kulte
der großen Gebirgsgöttin und des Attis übernommen und
weitergebildet.
Die Erinnerung daran, daß die Phryger hier aus Eu-
') Vgl. Bd. I 525.
2) [Skymn.] 434 ff. Appian civ. 11 89. Apollonios Rhod. IV 330. 470
versetzt sie dann auf die sog. apsyrtischen Inseln.
») Herodot VI 45 (als Thraker bezeichnet). VK 185. Strabo VII 7,
8 f. vgl. XII 3, 20. Die Namensform Bpb-^ot. zeigt bekanntlich die make-
donische Aussprache des ursprünglichen bh als b, vrährend es in
$p6fec wie im Griechischen zu ph geworden ist. Daneben gibt Hero-
dot VII 73 BpiYs? als makedonische Aussprache für <I>pÜYe?. Steph. Byz.
verzeichnet daneben die Formen lipüxat, Bpuxeli;, BpuxYjtoi, sow'.e Bpti^,
BpüYO' u"d M^ makedonische Orte lipo-{irtq und ßp'JYtov. Auch die
Namen Beßpuxec (in Bithynien und Troas) und Bifsxüvtsi; enthalten da«
gleiche Namenselement; vgl. Hesyc.h, Bpsxov töv BpEnovxa, xöv BpiY« "
BptYe? fäp ol <I>p6Ye?.
*) Herod. \1II 138. Strabo VI! fr. 25. Konon narr. 1.
5((g XII. Die großen Wanderungen
ropa gekommene Eindringlinge sind, hat sich dauernd er-
halten, ebenso daß dann weit später von ihnen die Armenier
ausgegangen und in die östlichen Gebirgslande vorgedrungen
sind; die Übereinstimmung der Sprachen bezeugte die Ver-
wandtschaft der drei Völker^). Xanthos der Lyder setzte ihre
Einwanderung in die Zeit nach dem troischen Kriege, und
verband damit das Vordringen der Myser ins Quellgebiet
des Kaikos ^). Darin hat sich eine geschichtliche Kunde er-
halten, und auch das auf Kombination beruhende Datum ist
im wesentlichen zutreffend. Denn auch die Myser sind wohl
sicher aus dem inneren Thrakien herübergekommen, wo die
Ilias N 5 sie in weiter Ferne kennt und wo ihr Name dann
in römischer Zeit in der Donaulandschaft als Moesia wieder
auftaucht; sie haben sich zunächst in dem rauhen Gebirgs-
land des Arganthonios zwischen dem Golf von Nikoraedien
und dem von Kios sowie am mysischen Olymp festgesetzt'),
von wo aus sie ständig als Räuberstamm die Bauern der
Umgegend ausplünderten, und sind dann weiter ins Binnen-
land bis nach Teuthranien am Kaikos vorgedrungen. Wenn
1) Heiod. VII 73. Eudoxos bei Steph. Byz. 'Ap[i.sv[a.
2) Xanthos bei Strabo XII 8, 3. XIV 5, 29. Vgl. Strabo XIII 1, 8.
^) Nur hier kennt sie die Ilias an den wenigen Stellen, wo sie
erwähnt werden. Die Phrjger dagegen kommen öfter vor, und ebenso
N 792 ff. sowie im Schiffskatalog der mit ihnen verbundene Land-
schaftsname Askania am askanischen See bei Nikaea (identisch mit
Askenaz in der Völkertafel der Genesis sowie Jerem. .51, 27), dessen
Eponymos Askanios später zum Sohn des "Aeneas gemacht wird. Nach
Xanthos sind die Phryger aus Europa unter Führung des Skamandrios
ex Bepsv.üvTtüv xal 'Aoy.avta,; gekommen; er versetzt also diese Namen
schon in ihre europäische Heimat. Darin wirkt wohl die auch von
Xanthos angenommene Besetzung der Troas (sie erschlagen deren Für-
sten) durch die Phryger nach. Hier sitzt in Lampsakos und Abydos
der phrygische Stamm der Bebryker ebenso wie in dem späteren
Bithynien; auf sie geht der an beiden Stellen heimische Kult des
Priapos zurück. — Daß die Ilias die Phryger (und Myser), den Ver-
hältnissen der Zeit der Dichter entsprechend, schon in Asien kennt,
ist begreiflich genug; darauf beruhen dann Apollodors Einwendungen
gegen Xanthos" Angaben bei Strabo XIV 5, 29. — Weiteres siehe im
nächsten Band.
Eindringen der Phryger und Myser in Kleinasien 5g9
Herodot eine sonst völlig verschollene Nachricht von einem
großen Kriegszug der Mjser und Teukrer über den Bosporus
nach Thrakien bis zum Strymon und zum Ionischen Meer
lange vor der Zeit des troischen Krieges bewahrt^), so mag
auch darin eine dunkle Kunde von diesen Bewegungen stecken,
bei der die Vorgänge umgekehrt sind und die späteren Sitze
der Myser und Teukrer in Asien als ihre Urheimat betrachtet
werden, aus der sie in grauer Vorzeit einmal nach Europa
gezogen seien.
So wenig sich der geschichtliche Verlauf aus diesen Tra-
ditionen im einzelnen feststellen läßt, so deutlich erkennen
wir die große Umwälzung, welche Kleinasien gegen Ende
des 2. Jahrtausends getroöen und neue Volksstämme, Phryger,
Myser. Teukrer (vielleicht auch die Dardaner der Troas) dort-
hin geführt hat. Die Datierung ergibt sich aus dem Be-
richt Ramses' III. über die große Völkerwanderung, die unter
seiner Regierung das Chetiterreich vernichtet und Syrien über-
schwemmt hat.
Wie die Phryger sind auch die nordwestgriechischen
Stämme aus den Gebieten am Adriatischen Meer westlich
von der Piiidoskette verdrängt worden und haben den illyrisch-
epirotischen Völkerschaften (s. o. S. 271) Platz gemacht. Auch
hier kennen wir nur die nackten Tatsachen, die sich aus
dem späteren Bestand ergeben; denn was uns in der Literatur
als Überlieferung über die Wanderungen entgegentritt, sind
lediglich Folgerungen aus diesem Bestände, mit ganz sekun-
dären Ausschmückungen; vor allem die von der genealo-
gischen Poesie des 7. und 6. Jahrhunderts geschaflfene und
vom Volk gläubig angenommene Geschichte der sog. Rück-
kehr der Herakliden ist eines der armseligsten Produkte der
griechischen Literatur. Man tut diesen Machwerken viel zu
viel Ehre an, wenn man sie als Sagendichtung bezeichnet;
') V 13. VII 20. 75. Bei diesem Zuge sollen die Bithyner aus ihren
Sitzen am Strymon verdrängt und nach Asien gezogen sein (was sicher
erst in viel spätere Zeit gehört), und die Paeoner sollen Abkömm-
linge der Teukrer von Troja sein.
^YQ XII. Die großen Wanderungen
OS ist lediglich Geschichtsklitterung, die nur strebt, von den
Zuständen der Heroenzeit, die natürlich vorher abgeschlossen
sein muß, möglichst rasch zu denen der Gegenwart zu ge-
langen und diese mit dürftigster Kenntnis der wirklichen Ver-
hältnisse einigermaßen zu erklären. Noch jünger sind die
Versuche, an der Hand der Stammbäume zu einer Zeitbestim-
mung zu gelangen, die zunächst zu einer Fülle verschiedener
Ansätze führten, bis dann seit dem 3. Jahrhundert die von
Eratosthenes auf Grund der spartanischen Königslisten auf-
gestellten Daten allmählich alle anderen zurückgedrängt haben.
Umso deutlicher redet der Tatbestand selbst i). Nahezu
das gesamte griechische Festland ist von nordwestgriechischen
Stämmen besetzt, die sich über die ältere aeolische und achaei-
sche Bevölkerung lagern und in ihrem Dialekt eine starke
Beimischung der hier heimischen Sprachformen erfahren. So
vor allem in Thessalien und Boeotien ; zwischen beiden Land-
schaften sind dann rein nordwestgriechische Stämme bis ans Eu-
boeische Meer und den Pagasaeischen Meerbusen vorgedrungen,
die Achaeer von Phthiotis, die Malier und Aenianen, die Lokrer
und Phoker. Im Peloponnes ist die ältere Bevölkerung in
das innere, rings von Bergen umschlossene Hochland Arka-
diens zurückgedrängt. Die Nordküste, Achaja und Elis nebst
den ionischen Inseln, ist von Scharen besetzt, die aus Aeto-
lien herübergekommen sind, alle anderen Küsten haben die
Dorier in Besitz genommen. Abgesehn von Arkadien hat sich
die ältere Bevölkerung hier nur in dürftigen Resten be-
hauptet, in Kynurien an der lakonischen Steilküste die lonier,
im Westen zwischen Ehs und Messenien das Mischvolk der
Triphylier.
Die Ausbreitung der Dorier bietet ein Problem, das sich
mit voller Sicherheit nicht lösen läßt. Sie sind ein kriege-
rischer Stamm, dessen Name sie als „ Lanzenkämpfer " zu be-
^) An dieser Stelle können wir uns auf eine zusammenfassende
Skizze beschränken; auf die Einzelheiten wird später einzugehn sein,
wenn die Zustände der mittelalterlichen Epoche der griechischen Welt
zu schildern sind.
Die dorische Wanderung 57 1
zeichnen scheint^). Nach der Überlieferung sollen sie ur-
sprünglich im Pindos gesessen haben '-*), unter der Herrschaft
des dorischen Urkönigs Aigimios ; von hier aus seien sie dann
in die kleine Landschaft Dryopis südlich vom Oeta im Quell-
gebiet des Kephissos gezogen, die den Namen Doris dauernd
behalten hat und immer als ihr eigentliches Stammland und
Ausgangspunkt ihrer Wanderung gilt. Aber was von dieser
erzählt wird, wie sie unter Führung der Herakliden bei Nau-
paktos über den Korinthischen Golf gehn, den Norden des
Peloponnes durchziehn und die südlichen und östlichen Küsten-
landschaften erobern und unter die drei Söhne des Herakliden
Aristomachos verteilen, ist, wie schon erwähnt, ein kümmer-
liches Machwerk ohne jeden geschichtlichen Wert und beweist
nur, daß (wie bei den Israeliten) über den Hergang jede Er-
innerung geschwunden und nur die Tatsache im Bewußtsein
geblieben war, daß sie die Gebiete, in denen sie saßen, mit
der Waffe erobert hatten. In Wirklichkeit ergibt bereits ein
Blick auf die Karte ein ganz anderes Bild : sowohl in La-
konien wie in Argolis — über Messenien haben wir weiter
keine Kunde — sind die Dorier von der Küste des Golfs aus
nach Norden vorgedrungen, in Lakonien im Eurotastal und
von hier aus sowohl gegen Arkadien wie gegen die kynurische
Küste ^), in Argolis von der Inachosebene aus gegen die Akte
und den Isthmus, wo sie schließlich noch über die Geraneia
vordringen und den loniern von Athen Megara und Salami»
entreißen.
Neben der Festsetzung im Peloponnes steht die Ausbrei-
tung über See, im Süden des Ägaeischen Meeres, über die
südlichsten Kykladen Melos und Thera bis nach Rhodos und
') AtupiYji; als Kurzform von AtuptjjLay ot erklärt : W. Schulze, Ber.
Berl. Ak. 1910, 805 f.
^) Herod. I 56, nach dem sie vorher unter Deukalion in Phthiotis,
dann unter dessen Enkel Doros in Histiaeotis gesessen haben und von
den Kadmeern in den Pindos gedrängt sind.
*) Fernzuhalten ist von der ursprünglichen Invasion der Dorier
die spätere Ausbreitung der Macht Spartas, das sich die dorische oder
dorisierte Landbevölkerung in Lakonien und Messenien unterwirft.
572 XII- Die großen Wanderungen
Kos und den sich diesen Inseln entgegenstreckenden Land-
zungen hin. Im Mittelpunkt steht Kreta, und diese Insel ist
mit Ausnahme des äußersten Ostens so völlig dorisiert worden,
daß nicht nur die achaeische Epoche der Insel eine verschol-
lene Episode geworden ist, sondern auch die Sagengestalt
des Minos von den Doriern ühernommen wird und sie un-
bedenklich auf ihn, den Genossen des Zeus, ihre sozialen
und rechtlichen Ordnungen zurückführen. So liegt die Ver-
mutung nahe, daß Kreta der Ausgangspunkt auch für die
Besetzung der sich nach der Insel zu öflFnenden Küstenland-
schaften des Peloponnes gewesen ist. Darauf weist denn auch
sonst gar manches hin, so daß die Spartaner den Ursprung
ihrer mit den kretischen übereinstimmenden Institutionen von
Kreta und damit (durch Vermittlung des Lykurgos) von Minos
ableiten^), und vor allem, daß die Dorier auch hier den
Kult des auf Kreta weit verbreiteten Apollon (Pythaeus)
übernommen und mit dem Bauerngott in Widdergestalt (Kar-
neios) gleichgesetzt haben, dem alle peloponnesischen Do-
rier ein großes Fest feiern, bei dem allgemein Waffenruhe
herrscht.
So erinnert die Ausbreitung der Dorier, wenn auch in
weit kleineren Dimensionen, an die der Normannen, die, aus
Skandinavien gekommen, von der Normandie aus England
und über Südfrankreich Unteritalien mit Sicilien sowie Palae-
stina erobert und ebenso das russische Reich gegründet haben.
Wie sie ursprünglich ein Meervolk gewesen, dann aber die
eigentlichen Träger des Rittertums geworden sind, werden
wir uns auch die Entwicklung der Dorier gleichartig zu
denken haben. Sie müssen, aus dem Gebirgslande des Pindos
vordringend, etwa vom Winkel des Malischen Golfs aus auf
die See gegangen sein und sich vor allem in großen Scharen
auf Kreta festgesetzt haben ; von hier aus sind sie dann wie
auf die Inseln im Osten so nach den Golfen des Peloponnes
hinübergegangen und haben hier überall die älteren Staaten
*) Herod. I 65. Ebenso in dem aus der Schule Piatos stammenden
Dialog Minos.
Die dorische Wanderung. Italien 573
und Burgen überwältigt und die Bevölkerung teils verjagt,
teils geknechtet.
Durch diese Wanderungen ist die Staatenwelt der my-
kenischen Epoche mit ihrer Kultur zugrunde gegangen. Un-
berührt geblieben ist außer Arkadien und Euboea mit den
Kykladen nur Attika. Mit Recht konnten die Athener sich
rühmen, daß sie allein unter allen griechischen Stämmen, mit
Ausnahme der Arkader, von Anfang an auf ihrem Boden
heimisch seien; daher hat sich hier allein die in der niyke-
nischen Epoche begründete Einheit der Landschaft unter der
Herrschaft der Burgfestung Athen dauernd erhalten, während
sonst überall die größeren Gebiete sich in zahlreiche selb-
ständige kleine Gaue auflösten. Aus demselben Grunde fehlt
hier allem ein Stammname; Landschaft und Bewohner werden
nach der Hauptstadt benannt.
Die I^mwälzung auf dem Festlande hat auch das Meer
ergriffen und die hier ansässigen Volksstämme in Bewegung
gebracht; dadurch sind die großen Kriegszüge über See nach
Libyen und Ägypten hervorgerufen. Zugleich ergossen sich
die aus dem Festlande verdrängten Völkerschaften in Scharen
übers Meer nach der Kleinasiatischen Küste; so sind hier
die aeolischen und ionischen Ansiedlungen entstanden, und
ebenso die Tramilen von Kreta nach Lykien hinübergegangen.
Auch nach Pamphylien und C3"pern werden jetzt neue Zuzüge
gegangen sein. —
Die Auswirkungen der Völkerbewegung haben noch weiter
gereicht. Es ist früher (Bd. I 526) schon dargelegt worden,
daß die indogermanischen Stämme Italiens nicht von Norden
her durch das Poland, in dem vor dem Kelteneinbruch zu
Anfang des 4. Jahrhunderts niemals Indogermanen gesessen
haben, sondern nur von Osten her über das Adriatische Meer
in ihre Wohnsitze gelangt sein können. Sie schichten sich
in zwei Hauptgruppen. Die Latiner und ihre Verwandten, die
Ausoner (Aurunker) und Opiker in Campanien. die oenotri-
schen Stämme und die Sikeler in Unteritalien füllen den Westen
und Süden der Halbinsel. Hinter ihnen folgen im Norden die
fcij»^ XII. Die großen Wanderungen
Umbrer, im mittelitalischen Gebirgslande die sabellischen
Stämme, die sich dann seit dem 5. Jahrhundert immer weiter
nach Süden ausdehnen und die Opiker und Oenotrer ver-
drängen oder aufsaugen. So ist es recht wahrscheinlich, daß
wenigstens diese Sabeller erst jetzt von den Illyriern übers
Meer gedrängt sind; sind doch illyrische Stämme ihnen ge-
folgt, die Japyger und ihre Verwandten in Apulien und weiter
südlich am Golf von Tarent die Choner^).
Damit wird man verbinden dürfen, daß nach griechischer
Überlieferung die Sikeler ursprünglich in Unteritalien saßen
(wo sich Reste auch später noch erhielten)"''), dann aber, von
ihren Nachbarn verdrängt, über die Meerenge gingen, die
Sikaner in den Westen zurückdrängten und der Insel, die bis
dahin Sikanien hieß, den Namen Sikelia gaben. Antiochos
von Syrakus bezeichnet sie mit Recht als einen oenotrischen
Stamm; denn die zahlreichen sikulischen Wörter, welche die
Griechen auf der Insel übernommen haben, zeigen deutlich,
daß ihre Sprache dem Lateinischen ganz nahe gestanden hat.
Nach Antiochos sind sie von den Oenotrern und Opikern ver-
jagt; Thukydides nennt allein die letzteren, Hellanikos hat
an ihre Stelle die Japyger gesetzt^). Daß der Übergang der
Sikeler lange Zeit vor dem Beginn der griechischen Koloni-
sation stattfand, kann nicht zweifelhaft sein"); dürfen wir ihn
mit den anderen Völkerbewegungen kombinieren, so wächst
dadurch die Wahrscheinlichkeit, daß die Sakarusa (Sakalsa),
') Außerdem sind bekanntlich die Veneter in Oberitalien bis
zur Etsch ein illyrischer Stamm.
«) Thuk. VI 2. Polyb. XII 5, 10.
') Antiochos' Angaben bei Dien. Hai. I 22 (dazu I 12 und 72).
Thuk. VI 2. Hellanikos (der sie für Ausoner erklärte) bei Dion. H^l. I 22
und Steph. Byz. S'.xsXia, fr. 79 .Iacoby. Antiochos gab keine Zeitbe-
stimmung, Thukydides setzt die Einwanderung etwa 300 Jahre vor
den Beginn der griechischen Kolonisation, also um 1050, Hellanikos
in die dritte Generation vor den Tpwtxd, Philistos (bei Dion. Hai. 1. c),
der sie für Ligurer erklärte, 80 Jahre vor den troischen Krieg.
*) Wenn in dem jungen Odysseegedicht u> 307 die Insel Stxavif)
heißt, so kann das nur beabsichtigter Archaismus sein; denn damals
hieß sie längst StxsXi-/].
Die Sikeler. Bewegungen in Nordafrika. 575
die an dem Angriff der Seevölker auf Ägypten teilnahmen,
wirklich Sikeler gewesen sind. —
Wann die Völkerwanderungen begonnen haben, läßt sich
nicht ermitteln. Sie mögen, wie die große Völkerwanderung
am Ausgang des Altertums, sich Generationen hindurch in
immer neuen Stößen fortgesetzt haben; sie können aber auch,
ähnlich den großen, von Zentralasien ausgehenden Bewe-
gungen, innerhalb weniger Jahre Schlag auf Schlag die Ge-
stalt der Völkerwelt völlig umgewandelt haben. Sicher ist
dagegen, daß die Bewegung zu Anfang des 12. Jahrhun-
derts ihren Höhepunkt erreicht hat und daß sie schon eine
Generation vorher zu einem großen Angriff auf Ägypten ge-
führt hat.
Auch Nordafrika war, wie die Libyerkämpfe unter Sethos I.
und Kamses II. zeigen, schon seit längerer Zeit in ständiger
Bewegung^). Wenn nicht veranlaßt, so doch wesentlich ge-
steigert ist sie durch das Vordringen der Masauasa, eines
Stammes, in dessen Namen dasselbe Element steckt, das in
dem der Maxyer im Gebiet der Schotts an der Kleinen Syrte^)
und in dem der Massylier und Massaesyler Numidiens sowie
in dem Namen der heutigen Berberstämme Imazigh vorliegt.
In den ägyptischen Abbildungen stimmen die Masauasa mit
den Zehenu in Haartracht und Kleidung überein^). Sie sind
das eigentlich treibende Element in der Bewegung, ein aus
seinen Wohnsitzen fortgezogener Wanderstamm, der sich eine
neue Heimat sucht wie die Kimbern und Teutonen und da-
her immer von neuem gegen das Niltal andrängt und andere
') Ein innerer Zusammenhang mit den Bewegungen in Europa
liegt dabei schwerlich vor. Andernfalls müßte man annehmen, daß
eine noch viel weitere Völkerbewegung im inneren Europa, etwa das
Vordringen neuer indogermanischer Stämme wie der Kelten, nicht nur
auf die Balkanhalbinsel, sondern auch auf den Westen eingewirkt und
über Spanien nach Afrika hinübergegriffen hat. Möglich ist das natür-
lich; aber wir wissen darüber garnichts, und so sind alle derartigen
Spekulationen müßig.
2) Herod. IV 191 ; bei Hekataeos MaCosc.
«) Siehe Möixer, ZDMG. 78, 50 f. und oben S. 82 Anm. und 435, 4.
gyg XII. Die großen Wanderungen
Stämme mit sich fortreißt. Erwähnt werden sie zuerst unter
Ramses II. als Söldner (o. S. 436, 1). Dann treten sie mit den
hellfarbigen, in Tracht und Gestalt den Zemeh gleichenden
Libyern (äg. Libu) auf dem Plateau von Kyrene und Barka
in Verbindung, die jetzt von den Ägyptern zum ersten Male
genannt werden.
Von hier aus sind dann diese Stämme gegen das Niltal
vorgedrungen. Merneptah schildert, wie sie seit alters die
Oasen besetzt haben und fortdauernd die Grenzgebiete bis
zum großen Fluß beunruhigen, um Lebensmittel zu erbeuten.
In seinem 5. Jahre (um 1227) ist dann der Angriff erfolgt,
zu dem sich die libyschen Stämme mit den Seevölkern ver-
bunden haben.
Merneptah. Der Angriff der Libyer und der Seevöilter
Ramses IL erscheint in seinen Denkmälern als der krie-
gerische König, der heldenhaft einen Sieg nach dem andern
erficht; aber der bei weitem größere Schlußteil seiner 67 jäh-
rigen Regierung, mehr als zwei Drittel, ist in ungestörtem
Frieden verlaufen. Als er starb (um 1232), lagen nicht nur
seine Kämpfe, sondern auch seine riesigen Bauten weit hinter
ihm. Wie so mancher Herrscher, dem eine lange Regierung
beschieden war, hat er nicht nur seine eigene, sondern auch
die nächste Generation überlebt. Alle die Söhne, die als
Knaben mit ihm in den Chetiterkrieg gezogen waren, sind
vor ihm gestorben, ebenso Cha'emues, der in seinen mitt-
leren Jahren besonders hervortritt, als Hoherpriester von Mem-
phis seinen Vater bei der Feier religiöser Feste vertritt und
in der späteren Tradition als großer Zauberer und Verfasser
magischer Texte fortlebt. Sein Nachfolger wurde der gleich-
falls schon bejahrte Merneptah, der dreizehnte in der Reihe
seiner zahllosen, von den verschiedensten Frauen seines Harems
geborenen Söhne ^).
') Die von Petrie, Hist. of Egypt III 35 ff. zusammengeätellte
Liste kennt 79 Söhne und 59 Töchter.
Merneptah in Palaestina 577
In seinen ersten Jahren hat Merneptah sich der Ord-
nung der asiatischen Verhältnisse zugewandt; wie es scheint,
hat der Thronwechsel hier, wie so oft, den Anlaß zu lokalen
Aufständen gegeben. Einem großen Hymnus auf den König,
der seinen Sieg über die Libyer verherrlicht^), ist eine all-
gemeine Schilderung der Machtstellung Ägyptens angehängt:
„Die Fürsten liegen ausgestreckt und sagen sahhn" — die
asiatischen Vasallen, die um Frieden und Verschonung bitten,
wie so oft dargestellt wird — , „kein einziger erhebt seinen
Kopf unter den neun Bogenvölkern" — der uralte Ausdruck
für die Ausländer — „Libyen (Zehenu) ward zerstört; das
Chetiterland ist friedlich'-); Kana'an mit all seinem Bösen ist
gefangen; xVskalon ward fortgeführt; Gäzer ward gepackt;
Jenu'am ist zu nichte gemacht; der Stamm Israel ist ver-
wüstet und hat keinen Samen (Nachkommen); Chor ist für
Ägypten eine Witwe {chart, ein Wortspiel mit dem Namen).
Alle Länder insgesamt sind in Frieden, wer immer umher-
schweift, ist gebändigt durch König Merneptah."
Im Zusammenhang mit den Kämpfen, auf die tier an-
gespielt wird, wird auch „der Brunnen Merneptahs im Hoch-
1) Breasted, Rec. 111 602 ö". Erman. Lit. 341 ff. Die Inschrift ist
datiert vom Tajje des Sieges über die Libyer 3/11 J. h, aber natürlich
erst später verfaßt. Immerhin ist es wahrscheinlich, daß die am Schluß
erwähnten Ereignisse früher fallen; wäre auf den Libyersieg ein Feld-
zug in Palaestina gefolgt, so würde davon wohl ausführlicher geredet
werden. Büeastfd's Annahme, aus dem „Tagebuch eines Grenzbeamten*
vom J. 3 (Rec. III 630 ff.) ergebe sich, daß der König damals in Palae-
stina gestanden habe, ist schwerlich zutreffend; „der Ort, wo man
(d. i. der König) ist" und wohin Briefe gebracht werden, wird viel-
mehr seine Residenz in der Ramsesstadt sein. — Im übrigen ist es
natürlich lediglich Zufall, daß uns gerade aus den ersten Jahren
Merneptahs zahlreiche Papyri erhalten sind, so auch die Schilderungen
dieser Residenz (o. S. 454, 3. 494).
^) Mit Unrecht hat man daraus einen Krieg mit den Chetitern
.gefolgert; der Ausdruck bezeugt vielmehr die Fortdauer des Friedens
und Bündnisses. — In welchem Zusammenbang Merneptah in der In-
schrift von Karnak ZI. 24 die Getreidesendung an die Chetiter .erw^ähnt
{o. S. .530), ist leider ganz dunkel.
Meyer, Geschichte des Altertums. W. 37
578 ^11- ÜJe großen Wanderungen
land", nordAvestlich von Jerusalem, angelegt sein, bei dem
nach einer Notiz aus seinem 3. Jahr eine Besatzung stationiert
war; er hat seinen Namen noch in israelitischer Zeit be-
wahrt^).
Eine Folge der Unruhen in Asien war, daÜ Merneptah
Maßregeln ergriff, um die Ostgrenze Ägyptens und das un-
bebaut daliegende Vorland im Gebiete von Per-bairis (Bilbeis)
und Heliopolis gegen das Eindringen der Nomaden aus der
Wüste weiter zu sichern^). Da wurde, im Frühhng seines
5. Jahres (1227), diese Tätigkeit jäh unterbrochen durch den
Angriff der Libyer und ihrer Genossen auf die Westgrenze ^).
Ihr Fürst Maraju, Sohn des Did, hat ihn sorgfältig vorbe-
reitet, vor allem durch die Koalition mit den See Völkern.
Das stärkste Kontingent haben, wie schon erwähnt, die Aqai-
wasa gestellt, schwächere die Tursa, Sakalsa und Serdana,
während die Luka nur mit geringer Zahl beteiligt waren.
Von den Libyern selbst wurde die gesamte wehrfähige Mann-
schaft aufgeboten; dazu kamen die Scharen der Maäauasa
und des kleinen, auch sonst gelegentlich erwähnten Volks-
stammes der Kahak. Von den Dimensionen des Heeres gibt
einen Begriff, daß Merneptah als Zahl der in der Schlacht
erschlagenen Libyer 6111 (var. 6200) Mann, der Seevölker
2370 Mann, als Gesamtzahl der Gefangenen 9376 Männer
und Frauen*) angibt. Danach wird das Gesamtheer etwa
^) Tagebuch des Grenzbeamten pap. Anast. III Rev. 6, 4 (Breasted.
Rec. III 631). ninsj ■'IS pi»a Jos. 1.5, 9. 18, 15, erkannt von Calick, Orient.
Lit. Z. 1903, 224.
-) Mit Unrecht sind die Angaben im Eingang der Inschrift von
Karnak von manchen auf das Vorrücken der Libyer in diese Gebiete
bezogen worden. Aber dies wird dem König erst ZI. 13 gemeldet, was
vorhergeht, hat mit den Libyern nichts zu tun. — Vgl. auch die Ge-
stattung der Einwanderung von Edomitern in seinem 3. Jahr (o. S. 488).
') Das Material (Inschriften von Karnak und von Athribis) bei
Breasted, Rec. Ill, von dessen Auffassung ich ein paarmal abweichen muß.
••) So richtig schon Brugsch, gegen Breasted UI 588, der die letzte
Zahl für die Summe der Gefallenen hält; er hat übersehn, daß vor der
Zahl in dem lückenhaften Text noch das Determinativ Mann und Frau
Merneptah gegen die Libyer und Seevölker 579
30000 Mann stark gewesen sein, ein Beweis, daß es sich nicht
um einen Raubzug, wie früher, sondern um einen großen Er-
oberungskrieg handelt. Wie die Pharaonen hat auch Maraju
seinen Harem (zwölf Frauen), seine Söhne und Brüder mit-
genommen, in vollem Vertrauen auf den Sieg. Merneptab
war noch im Osten des Delta beschäftigt, als er die Kunde
vom Vorrücken Marajus ins Gebiet von Per'ari im Westen
des Delta, wohl auf der Straße nach Memphis, erhielt. Er
hat es an Energie nicht fehlen lassen; in vierzehn Tagen war
sein Heer marschfähig, am 24. April 1227 unternahm er, ge-
stärkt durch einen Traum, in dem ihm der Gott Ptah sein
Schwert überreichte, den Angriff auf die feindliche Stellung.
Der Sieg war hart umstritten, die Schlacht dauerte sechs Stun-
den; aber sie endete mit dem vollen Siege der Ägypter. Gegen
10000 Leichen deckten das Schlachtfeld, etwa ebensoviel
wurden gefangen, darunter der Harem Marajus. Er selbst
entkam in eiliger Flucht, aber seine Kinder und Brüder fanden
den Tod. Mit reicher Beute konnte Merneptah triumphierend
heimkehren; er hatte Ägypten vor einem Schicksal bewahrt,
wie es vor einem halben Jahrtausend die Hyksos über das
Land gebracht hatten.
Thronwirren und Fremdherrschaft in Ägypten. Setnacht
Li diesem Siege hat sich die militärische Kraft des
Reichs, die übrigens vorwiegend schon damals auf den aus-
ländischen Söldnern beruhte, noch einmal bewährt. Der Be-
stand dieser Fremdtruppe ist dann offenbar aus den Kriegs-
gefangenen und dann durch weitere Anwerbungen unter den
Seevölkern beträchtlich vermehrt worden: in den Bildern der
Libyerkriege Ramses' HL sind, wie schon erwähnt, neben dem
ägyptischen Aufgebot und den Negertruppen sowohl die Ser-
dana wie Philister oder Zakkari und Tursa vielfach dargestellt,
teils als Einzelkämpfer, teils als geschlossene Abteilung.
erhalten ist; somit können es nur Gefangene sein. Auch gehn ja die
Bruchstücke der Gefangenenliste vorher, während dann die Beute an
Waffen, Pferden u. s. w. folgt.
580 ^^- Die großen Wanderungen
Indessen die Erschöpfung, die unter Ramses II. einge-
setzt hatte, tritt unter seinem Sohn deutlich zutage. Größere
Bauten hat er nicht mehr ausführen können; er behilft sich
damit, daß er in noch viel rücksichtsloserer Weise als sein
Vater seinen Namen überall auf ältere Denkmäler und Königs-
statuen eingraben läßt. Für seinen Totentempel in Theben
hat er die Bausteine aus dem schon verfallenen Tempel
Amenophis' III. geholt, die große Inschrift, die seinen Sieg
verherrlicht, auf die Rückseite einer von dort genommenen
Granitstele gesetzt; man sieht, nicht der Wille fehlte, aber die
Mittel.
Merneptah mag etwa ein Jahrzehnt lang regiert haben ^).
Über seine Nachfolger versagt das auf uns gekommene Mate-
rial so gut wie völlig. Wir kennen aus dieser Zeit drei Könige,
die sich im Königstal von Theben ein Grab gebaut haben;
aber zwei von ihnen galten als illegitim und ihre Namen
sind hier sowie auf den wenigen Monumenten, auf denen sie
sonst noch vorkommen, getilgt. Der erste ist Amenmeses, ein
Usurpator nicht königlichen Geblüts^), der Merneptah ge-
stürzt zu haben scheint, aber sich nicht lange behauptete;
sein Grab ist systematisch zerstört. Er ist durch Merneptah
Siptab gestürzt worden, der sich länger behauptet hat; die
') Das höchste erhaltene Datum ist sein 8. Jahr.
^) Das geht daraus hervor, daß seine Mutter Tachat nur den
Titel , große Königsmutter " führt, also nicht Gemahlin oder Tochter
eines Königs gewesen ist, so wenig wie seine eigene Gemahlin Bekturer,
s. Lepsius Text III 205. Wenn er in einer Inschrift im Tempel von
Qurna, in der er Amon, Sethos I. und Ramses II. verehrt und in die
dann Siptah seinen Namen eingesetzt hat (Lepsius, Denkm. III 201 c,
s. Text III 91), sich bezeichnet als „Sohn des Amon, göttlicher Same,
hervorgegangen aus seinen Gliedern, Kind des Horus, lieblich als
König Oberägjqotens, schön als König Unterägyptens, gesäugt von Isis
in Chemmis (im Delta, wie Horus), um das Land zu beherrschen",
so enthalten diese Titel, obwohl sie von allen ägyptischen Königen
ausgesagt werden können, doch wohl, trotz Brea.sted III 641 Anm.
einen Hinweis darauf, daß er, der (angeblich) rechtmäßige König, wie
Horus in der Verborgenheit und unter Nachstellungen aufgewachsen
und dann siegreich hervorq-etreten ist.
Merneptah. Thronwirren in Ägypten 581
nach ihm datierten Inschriften reichen bis zu seinem 6. Jahr.
Neben ihm tritt seine Gemahlin Tausret hervor, die gleichfalls
ein großes Grab erhalten hat. Daneben hat sich sein Schatz-
meister Bai ein Grab angelegt, muß also eine führende Stel-
lung eingenommen haben. Ihm ist Sethos II. gefolgt, der den
Namen seines Vorgängers tilgt, den der Tausret dagegen ver-
schont (vielleicht hat er sie geheiratet) und neben ihrem Grab
für sich ein eigenes gebaut hat, das unangetastet geblieben
ist. Auch sonst wird er in der Folgezeit als legitimer Herrscher
anerkannt^). Gestorben ist er im Verlauf seines 6. Jahres;
das auf einer Kalksteinplatte erhaltene Tagebuch über die
Arbeiten an seinem Grabe zeigt, daß ihm ein König Ramses
Siptah gefolgt ist und daß die Arbeiten nach einer Trauer-
frist von vier Tagen unbehindert weitergingen^), also eine Er-
schütterung durch den Thronwechsel wenigstens zunächst
nicht eingetreten ist. Der neue König ist sonst nur durch
ganz wenige kleine Monumente bekannt^). Er kann nur kurze
Zeit regiert haben. Der nächste Pharao, von dem wir Denk-
mäler haben, ist dann Setnacht, der Vater Ramses' III/).
') So LD. III 212 a. Die Folge der drei Könige ist vor allem durch
Lkpsius, Text III 20-5 und 209 ff. festgestellt; Tgl. Breasted III ß?A) tf.
— Die Listen der Auszüge aus Manetho sind hier so völlig konfus,
daß mit ihnen nichts zu machen ist (s. Äg. Chronol. 88 ff. und o. S. 421).
Auch (laß er die 20. Dynastie mit Ramses III. begonnen habe, ist nicht
Überlieferung, sondern moderne Kombination; geschichtlich werden wir
sie nur mit Setnacht beginnen können.
*) Mit dem Thronwechsel am 19./5. wechselt natürlich auch sofort
die Jahreszahl : vorher Jahr 6, nachher Jahr 1.
') Das Tagebuch ist durch Daressy, Rec. .34, 1912 veröffentlicht,
der auch das übrige Material zusammenstellt. Er hebt mit Recht hervor.
daß Ramses Siptah mit Merneptah Siptah nicht identisch sein kann;
auch ihre Thronnamen sind ganz verschieden. Auffallend ist freilich,
daß Ramses Siptah in seinem 1. Jahr einen „Königssohn von Kus'
Sethos einsetzt, und dieser auch schon im 3. Jahr des Merneptah
Siptah im Amt gewesen ist. [Mit König Sethos 11. kann dieser Sethos
nicht identisch sein, wie man meist angenommen hatte.]
*) In die Zeit der Thronwirren gehört auch die Stiftungsurkunde
eines Beamten im Delta für einen Tempel Amons, Gardiner ÄZ. .50, 49 ff..
5g2 XII. Die großen Wanderungen
Das ist alles, was sich aus den Monumenten und In-
schriften dieser Zeit entnehmen läßt. In welcher Beziehung
diese Könige zu dem legitimen Herrscherhaus gestanden und
worauf sich ihre Ansprüche gegründet haben, bleibt völlig
dunkel. Hier ist uns aber einmal ein gleichzeitiger Bericht
erhalten, der Aufklärung gewährt, die kurze Schilderung,
die Ramses III. in dem zusammenfassenden Bericht seiner
Taten von dem Wirrsal gibt, das vor der Erhebung seines
Vaters Setnacht in Ägypten herrschte. „Viele Jahre hindurch,
vormals bis auf andere Zeiten, gab es kein Oberhaupt, sondern
Ägypten war in den Händen der Magnaten und Stadtherrscher,
und einer erschlug den andern, vornehm und gering." Das
ist also der Zustand unter den sich rasch ablösenden Usur-
patoren, die wir kennen gelernt haben. „Danach aber kamen
Zeiten mit leeren (d. h. königslosen) Jahren" — Jahren, in
denen nicht nach Regierungszahlen datiert werden konnte — :
„da war ein Choriter 'Arsu unter ihnen als Häuptling; der
machte das ganze Land sich allein tributär und vereinigte
seine Genossen, den Besitz zu plündern. Die Götter behan-
delten sie wie die Menschen, Opfer wurden in den Tempeln
nicht dargebracht."
„Dann aber wandten sich die Götter zur Beruhigung,
um das Land zurecht zu stellen gemäß seiner richtigen Ord-
nung. Sie setzten ihren aus ihrem Leibe hervorgegangenen
Sohn zum Herrscher über das ganze Land auf ihren großen
Thron, den König Setnacht. Er war wie der Gott Chepri und
Seth, wenn er rast; er ordnete das ganze Land, das im Auf-
ruhr gewesen war; er erschlug die Rebellen, die in Ägypten
waren, und reinigte den großen Thron Ägyptens; er wurde der
Herrscher der beiden Lande auf dem Thron des Atum. Er
bestätigte die Tempel im Besitz der Opfergaben, sie dem
Götterkreise darzubringen gemäß ihren Satzungen."
Diese Erzählung bringt sehr anschaulich zum Bewußt-
in der der Name des Königs und der „großen Königin" (vielleicht
Tausret) überall getilgt, der Sethos' II., in dessen Diensten er stand,
dagegen erhalten ist.
Fremdherrschaft. Der Choriter Arsu. Setnacht 583
sein, wie unzulänglich unsere Kunde ist, wo uns keine ge-
schichtliche Darstellung erhalten ist. In dem Denkmäler-
material fehlt jede auch nur versteckte Andeutung, die auf
die Fremdherrschaft des Arsu oder auf die entscheidende
Rolle Setnachts hinwiese. Setnacht hat das Grab der Tausret
für sich mit Beschlag belegt und dann, wie es scheint, den
Bau des Grabes Ramses' III. begonnen; sonst erscheint sein
Name nur auf ein paar unbedeutenden Monumenten und in
den Bergwerken der SinaihalbinseP); und doch muß er einer
der bedeutendsten Pharaonen gewesen sein. Wie er empor-
gekommen ist und ob er irgendwie mit der alten Dynastie
zusammenhing, wissen wir nicht; legitimer König, etwa, wie
man gemeint hat. der Sohn Sethos' IL, ist er gewiß nicht ge-
wesen, sonst würde sein Sohn ganz anders reden.
Eine dunkle Kunde von diesen Vorgängen scheint in
der Volksüberlieferung erhalten, die Manetho in seine Er-
zählung von Osarsiph aufgenommen hat. Wir haben oben
gesehn (S. 421 flF.), daß in ihr die Geschichte der religiösen
Bewegung unter Amenophis IV. versetzt ist in die Zeit Mer-
neptaljs (dessen Name daher in Amenophis gewandelt ist)^)
und Ramses' III., der zu dessen Sohn gemacht wird. Unter
Amenophis brachen die Feinde aus Jerusalem, angeblich Nach-
kommen der verjagten Hyksos, in Ägypten ein; König Ame-
nophis wagt keinen Widerstand, sondern flüchtet nach Aethio-
pien (Nubien), bringt aber seinen fünfjährigen Sohn Ramses
bei einem Freunde in Sicherheit, Die Fremden (infolge der
Kontamination verbunden mit den Aussätzigen unter Osar-
siph) verwüsten das Land, seine Ortschaften und Tempel drei-
zehn Jahre lang; dann kehrt Amenophis zurück, schlägt sie
^) Petrie, Researches in Sinai p. 108.
") In der im übrigen ganz entstellten Königsliste der Epitome
aus Manetho ist der Name korrekter durch 'AiAsvEtpO-Yj.; wiedergegeben,
Nachfolger des 'Pa-iaxYjc; oder 'Pan'^vj';, Vater des Ta(ieaoY|(;, und dann
nochmals als 'AfjL|xsvcfivf]<: verdoppelt. Was in dessen Nachfolger Öoüwpt«;
stecken mag, ist ganz dunkel. Dann folgt die 20. Dynastie von 12 Dios
politen, von denen Namen nicht mehr gegeben werden.
i^g4 ^JI- I^'ß großen Wanderungen
mit seinem Sohn Ramses zusammen zum Lande hinaus und
verfolgt sie durch die Wüste bis nach Syrien. In dieser nach
ägyptischer Art ganz legendarisch ausgemalten Erzählung ist
der Nachklang der Fremdherrschaft unter Arsu unverkenn-
bar; denn nur damals hat es eine solche gegeben, während
Amenophis IV. und seine Nachfolger immer noch die Herr-
schaft über einen Teil Syriens behauptet haben. Setnacht ist
vergessen; seine Taten werden vielmehr seinem ruhmreichen
Sohn Ramses III. zugeschrieben und dieser zugleich durch die
Anknüpfung an Merneptah legitimiert.
Daß es sich bei Arsu^ wirklich wenigstens halbwegs
um eine Fremdherrschaft handelt, kann auch nach Ramses"
Bericht nicht zweifelhaft sein. Dieser Palaestinenser (Choriter)
mag einer der zahlreichen Ausländer aus Syrien gewesen
sein, die wir in dieser Zeit als Offiziere und hohe Beamte
im Dienst der Pharaonen finden 2), der sich in Verbindung
mit seinen Landsleuten der Herrschaft bemächtigte und dann
auch aus Palaestina Zuzug erhalten haben wird.
Sein Besieger Setnacht kann, wie das Fehlen größerer
Denkmäler zeigt, nur kurze Zeit regiert haben. Aber er hat
die Königsmacht neu begründet; sein Sohn, den er zum Mit-
regenten und Nachfolger bestellte und dem er den ruhm-
vollen Namen Ramses gegeben hatte, durfte sich der Hoff-
nung hingeben, es seinem großen Vorgänger gleichzutun.
Er hat gleich nach seiner Krönung die volle Herstellung der
inneren Ordnung durchgeführt: Jchhabe", rühmt er. „Ägyp-
ten in zahlreiche Klassen gegliedert, Hofbeamte des Palastes.
große Magnaten, zahlreiche Infanterie und Wagenkämpfer
zu Hunderttausenden. Serdana und Kahak ohne Zahl, Gefolgs-
') Er mag als Pharao einen ägyptischen Namen angenommen
haben; aber ihn in einem der aus den Denkmälern bekannten Könige
zu suchen haben wir keinen Anhalt.
^) So unter Merneptah der , erste Sprecher seiner Majestät" Ben-
mazana Sohn des Jupa'a aus Ziribasana (in Basan, 0. S. 92, 1), der dann
den Namen , Ramses im Tempel des Re'" angenommen hat: Mariette,
Abydo? IT 50.
Setnacht und Ramses III. 585
leute (Troß) zu Zehntausenden, und die Fronpflichtigen Ägyp-
tens (die abhängige Bevölkerung)." Deutlich tritt in diesen
Worten hervor, daß der Schwerpunkt in den Streitkräften
liegt und in diesen wieder die überseeischen und libyschen
Söldner eine entscheidende Rolle spielen.
Wir werden die Zeit vom Antritt Merneptalis bis auf
den Ramses' III. rund auf ein Menschenalter (ca. 1232—1200)
ansetzen dürfen^). Synchronismen fehlen völlig; aber die Ge-
schlechtsfolge der Chetiterkönige führt für den Untergang
ihres Reichs auf das gleiche Datum, und so Averden wir nicht
fehlgehn, wenn wir die 32jährige Regierung Ramses' III. in
die ersten Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts setzen.
Ramses' III. Kriege mit den Libyern und den Seevölkern.
Untergang des Chetiterreichs
Die Wiederaufrichtung eines kräftigen Königtums hat es
ermöglicht, daß Ramses III. die Angriffe siegreich bestehn
konnte, die Ägypten jetzt von allen Seiten bedrohten. Denn
inzwischen war das Vordringen der europäischen Völker-
scharen in den Orient in vollem Gange, sowohl zu Lande
wie zur See. In dem Bericht über seinen Sieg über sie im
8. Jahre seiner Regierung faßt Ramses III. den Verlauf kurz
zusammen: „Die Völker auf ihren Inseln" — so erscheinen
dem Ägypter die Küsten Europas — „waren ausgezogen,
sich , . . auf einmal ausbreitend. Kein Land konnte vor ihren
') Die erhaltenen Daten sind: Merneptah mindestens S J.. Amen-
meses (schwerlich mehr als 2 J.), Merneptah Siptah mindestens 6 J..
Sethos II. f im 6. Jahr, Ramses Siptah, Arsu, jedenfalls mehrere Jahre.
Setnacht. Das gibt zusammen einige SO Jahre. Ramses III. f im
.82. Jahr, also um 116.5. Für die spateren Rame.'^siden haben wir etwa
SO Jahre anzusetzen = 1165—1085, für die 21. Dynastie etwa 150 Jahre
= 1085 — 935. Das stimmt dazu, daß nach der manethonischen Liste
desAfricanus, die freilich im einzelnen auch hier noch ganz unzu-
verlässig ist, Sosenq I., der Begründer der 22- Djn., im J. 930 zur Re-
gierung gekommen ist: und auf diese Zeit führt alles, was wir sonst
über Sosenq I. wissen, so vor allem, daß er Zeitgenosse Rehabeams von
Juda war.
586 XII. Die großen Wanderungen
Armeen standhalten, vom Chetiterland an, Qedi, Karkemis, Ar-
wad (Arados), Alasia (Cypern) wurden verwüstet. Sie lagerten
an einem Platz in Amurru und plünderten dessen Bevölkerung
und Land bis zur Vernichtung. Sie zogen, mit der Feuer-
flamme vor sich, vorwärts gegen Ägypten. Die Stütze ihrer
Macht bestand aus Philistern, Zakkari, Sakalsa, Danauna
und Uases^); diese Völker hatten sich verbunden, ihre Hand
auf Ägypten (und) bis zum Rand des Erdkreises zu legen;
ihre Herzen waren zuversichtlich und voll von Plänen."
In dieser knappen Schilderung ist die Entwicklung von
Jahren zusammengefaßt. Nur mit einem Wort ist der Unter-
gang des Chetiterreichs angedeutet, die einzige Nachricht,
die wir darüber haben, die aber durch das plötzliche Ab-
brechen der Urkunden von Boghazkiöi unter DudchaliaV. voll-
auf bestätigt wird. Wie die Katastrophe verlaufen ist, wissen
wir nicht; es ist aber klar, daß wenn die See Völker, begleitet
von ihren Weibern und Kindern auf Ochsenkarren, wie sie
dann Ramses HI. in seinem Schlachtgemälde darstellt, ganz
Syrien überschwemmen und sich im Amoriterlande festsetzen,
sie vorher Kleinasien verheerend durchzogen haben müssen.
Das wird dann zu einer Erhebung der Untertanen und Nach-
barn gegen die Chetiter geführt haben, in derselben Weise,
wie gegen Ende des 7. Jahrhunderts die große skythische In-
vasion den Anstoß zum Untergang des Assyrerreichs gegeben
hat und die Meder und Chaldaeer die dadurch geschaffene
Situation ausgenutzt haben. Einen Hinweis darauf gibt die
Nachricht, daß um 1170 die Muskäja den Assyrern die Land-
schaften Alzi und Purukuzzi (vgl. o. S. 532) östlich vom Eu-
phratknie entrissen haben ^). Die Muskäja sind die Moscher
der Griechen, ein Volksstamm in den pontischen Gebirgen, der
sich jetzt nach dem Falle des Chetiterreichs weithin im öst-
lichen Kleinasien ausgebreitet hat.
Neben dem Vordringen zu Lande steht die Ausbreitung
*) Im Harrispapyrus nennt Ramses daneben die auch sonst mehr-
fach erwähnten Serdana, läßt dagegen die Sakalsa aus.
^) Prisma Tiglatpilesers I col. t, 62 ff., 50 Jahre vor seinem Antritt.
Die Invasion der Seevölker. Ende des Chetiterreichs 587
zur See. Auch darüber gibt Ramses III. Auskunft^): über die
Nordvölker, die Philister und Zakkari ist eine allgemeine Un-
ruhe gekommen. „Ein Teil waren Krieger (tuhir) zu Lande,
andere auf dem großen Meer. Die zu Lande kamen, hinter
denen war Amon-Re* her, sie zu vernichten; die in die Nil-
mündungen eindrangen, die waren wie Vögel, die im Netz ab-
gefangen werden. Ihr Herz zitterte und entwich ihrem Leibe,
ihre Führer wurden erschlagen oder gefangen." sie müssen
die Allmacht des Pharao anerkennen. Diese Schilderung ist
an den Bericht über den ersten Libyerkrieg vom Jahr 5 an-
geschlossen und kann hier nicht eine Vorwegnahme der gleich-
artigen Kämpfe des Jahres 8 sein ; sie beweist vielmehr, daß
die Angriffe auf Ag3^pten schon früher begonnen und sich
Jahre hindurch fortgesetzt haben; dabei ist es dem Könige
gelungen, Scharen, die zu Schiff in die Nilmündungen einzu-
dringen suchten, hier abzufangen, sei es schon vor, sei es un-
mittelbar nach dem ersten Libyerkrieg').
Das Zusammenwirken der Streitkräfte zu Lande und zur
See zeigt anschaulich die großen Dimensionen der Bewegung
und beweist zugleich, daß eine einheitliche Leitung die ver-
schiedenen Völkerschaften zusammengefaßt haben muß. Es
handelt sich in der Tat um eine planmäßig durchgeführte
Völkerwanderung größten Stils, etwa wie bei den Zügen der
Kelten nach der Balkanhalbinsel und Kleinasien oder bei
denen der Mongolen.
') Der Text bei Chab.is, Ant. bist. 254. Dümichen, Hist. Inschr. II 46,
ZI. 51 ff. Breasted. Anc. Rec. IV 44.
^) So erklärt es sich vielleicht auch, daß Ramses III. den zu-
sammenfassenden Bericht über seinen Sieg über die Seevölker (an den
er einen Zug gegen die Beduinen von Se'ir anschließt) im Harris-
papyrus an den Anfang des Abrisses seiner Taten gestellt hat, vor
den Libyerkrieg. — Die Vernichtung der Amoriter erwähnt Ramses,
nach Breasted's evidenter Ergänzung des verstümmelten Namens Rec.
IV 39, gleichfalls schon beim ersten Libyerkriege, in Übereinstimmung
mit dem im Text (S. 586) angeführten Bericht aus dem J. 8; es scheint
hier davon die Rede zu sein, daß die Flüchtlinge aus Amurru in Ägypten
Zuflucht suchen.
588 ^I^- I^i® großen Wanderungen
Tu engem Zusammenhancr mit diesen Zügen stehn nach
wie vor die Angriffe der Libyer auf Ägypten. „Die Libyer
und Masauasa hatten sich in Ägypten niedergelassen und
die Städte des Westufers von Memphis bis Qarbana (bei
Abuqir) besetzt; sie waren bis zum großen Strom an all
seinen Seiten vorgedrungen, und sie haben die Ortschaften
von Gaut (Kanopos) viele Jahre hindurch ausgeplündert, wäh-
rend sie in Ägypten waren." „Ihre Krieger dachten: wir
wollen uns nach Herzenslust berauschen; ihre Scheichs" — der
Text verwandte dafür das libysche Wort mes'^) — „meinten:
wir wollen unser Herz mit Raub sättigen." Offenbar ist die
Wirkung von Merneptahs Sieg infolge der bald darauf ein-
setzenden Wirren nicht von Dauer gewesen, und auch Set-
nacht hat hier noch nicht eingreifen können. Jetzt aber, in
seinem 5. Jahr, Avar Ramses so weit, daß er mit dem Auf-
gebot Ägyptens und drei Truppenkörpern, die aus den mit
Zakkari oder Philistern untermischten Serdana, aus Tursa.
und aus Negern gebildet waren*'), zum Angriff vorgehn konnte.
Er hat einen glänzenden Sieg erfochten. 12 535 Gefallene^)
wurden gezählt; dazu kamen Massen von Gefangenen. Das
Land war von den Eindringlingen gesäubert, Sicherheit und
friedliches Leben wiederhergestellt. Ganz beseitigt war die
Gefahr freilich noch nicht; vielmehr haben sechs Jahre später
') Erm.\n, ÄZ. 1883, 69. Ramses zählt eine ganze Reihe von Häupt-
lingsnamen auf, ebenso wie er im Harrispapyrus außer Masauasa und
Libyern noch fünf andere Stämme nennt (vgl. Möller, ZDMG. 78, 53).
-) Phot.428f.; danach auf Taf.VII'i. Aus dem Schlachtbild (Fremd-
völkerphot. 434) stammen auch die gegen die Libyer kämpfenden Tursa
auf Taf. \1c; ebenso sind hier Serdana (Phot. 435) sowie in dem zweiten
Bilde der ersten Libyerschlacht (Phot. 493) Philister oder Zakkari im
Kampf auf ägyptischer Seite dargestellt. Gleichartige Szenen in der
zweiten Libyerschlacht Phot. 479. 482 f. Die Ägypter und Seevölker
in der Garde auch unter dem Bilde der Löwenjagd Phot. 437 f. und
neben Beduinen und Negern 484. sowie beim Auszug gegen die See-
Tölker 436.
*) Korrekter: 1253') unbeschnittene Ph;illi und ebensoviel Hände;
vgl. 0. S. 558, 2.
Ramses' III. Siege über die Libyer 589
tlie Masauasa, die auch hier als das eigentlich treibende Ele-
ment der Bewegung in Nordafrika hervortreten, noch einmal
versucht, im Niltal Fuß zu fassen. So kam es im Jahre 11
zu einer zweiten Libyerschlacht, die freilich in ihren Dimen-
sionen an die erste nicht heranreicht. Die Masauasa wurden
völlig geschlagen und acht ägyptische Meilen weit verfolgt
bis zu zwei Kastellen, von denen das eine den bezeichnenden
Namen „Sandburg (hat-so')" trägt; 2175 Gefallene wurden
gezählt, der Heerführer Mesasar, Sohn des Häuptlings Kapur,
fiel in Gefangenschaft^), und mit ihm wurden 2052 Gefangene,
Männer, Weiber und Kinder, eingebracht, dazu große Massen
von Vieh und sonstiger Beute.
Über die Gefangenen sagt Ramses: „Ich setzte ihre Häupt-
linge in Festungen auf meinen Namen und gab ihnen Obersten
des Kriegsvolks und Stammeshäupter; ich brandmarkte sie zu
Knechten auf meinen Namen, ebenso ihre Weiber und Kinder;
ihr Vieh überwies ich dem Amontempel als Herde für immer."
Neue Invasionen haben die libyschen Stämme, so weit wir
wissen, nicht mehr versucht; aber um so stärker ist ihre
durch diese Ansiedlungen beförderte friedliche Ausbreitung in
Ägypten geworden. Zugleich wird das Heer immer stärker
aus ihnen rekrutiert, wie aus den Kahak, so vor allem aus
den Masauasa. Da zugleich die Anwerbung überseeischer
Söldner nach Ramses III. ganz aufliört und die kriegerische
Kraft der Ägypter immer mehr erschlafft, sind diese libyschen
Truppen allmählich der allein leistungsfähige Bestandteil des
ägyptischen Heeres geworden; die Folge ist gewesen, daß sie
sich zwei Jahrhunderte später, unter Sosenq I., aus Knechten
zu Herren Ägyptens gemacht haben.
Zwischen den beiden Libyerkriegen ist Ramses III. im
Jahre 8 gegen die Seevölker nach Syrien gezogen. In dem
^) Im Schlachfcgemälde Phot. 477 ist dargestellt, wie er auf der
Flucht, aJs die Pferde zusammenbrachen, sich auf dem Wagen um-
wendet und flehend die Hände erhebt; seine Einbringung als Gefangener
Phot. 347, danach bei Möller ZDMG. 78 Taf. 8. — Porträt eines ge-
fangenen Häuptlings der Libyer und eines der Masauasa Phot. 502. 50^.
590 ^^I- D^® großen Wanderungen
Bilderzyklus in Medinet Habu ist auch dieser Feldzug ein-
gehend dargestellt; dadurch erhalten wir mehr Aufschluß als
durch die Phrasenergüsse der Prunkinschriften, die daneben
stehn. Wir sehn, wie der König die Waffen — Bogen und
Köcher, Sichelschwerte, Speere und Schwerter — an das
ägyptische Aufgebot verteilen läßt und mit diesem und den
Söldnern aus den Seevölkern nach Phoenikien (Zahi) zieht.
Hier kommt es zu einer Schlacht, in der das Heer der Phi-
lister und Zakkari im Nahkampf, Mann gegen Mann, den in
sie eindringenden Ägyptern und Serdana erliegt; auch ihre
Kriegswagen und dann die Ochsenkarren mit den Weibern
und Kindern werden nach heftiger Gegenwehr von den Siegern
überwältigt, ähnlich der Wagenburg der Kimbern und Teu-
tonen.
Ein zweites Bild zeigt eine Seeschlacht bei einem „Mag-
dol (Turm) Ramses' HL". Man sucht diesen Ort jetzt meist
an der Küste Phoenikiens, ob mit Recht, ist sehr fraglich.
Denn mit der Landschlacht ist der Seekarapf nicht verbunden,
sondern durch das Bild einer Löwenjagd davon getrennt;
und andrerseits reden sowohl die Beischriften zum Bilde wie
der zusammenfassende Bericht über den Feldzug des Jahres 8
von ihnen genau mit denselben Ausdrücken, wie der oben
angeführte über die Kämpfe mit ihnen in den Nilmündungen.
Auch diesmal^) haben sie die Flußmündungen angegriffen; aber
das Netz war bereitet, sie beim Eindringen zu fangen. Wäh-
rend Ramses die Grenze in Phoenikien sicherte, ließ er die
Flußmündungen durch seine Offiziere mit der Flotte besetzen
„wie eine starke Mauer von Schiffen, Barken und Kähnen,
ausgerüstet vom Kiel bis zum Steuer mit tapferen Kriegern
und ihren Waffen"; rings auf den Ufern standen die Streit-
wagen. So scheint es, daß der Schiffskampf in Ägypten selbst,
im Nil, stattgefunden hat, wo es im Delta mehrere Orte
Magdol gegeben hat. In die Schlacht hat Ramses selbst mit
seinen Schützen vom Ufer aus eingegriffen und die feind-
ij Breasted,, Rec. IV 65. 66. 75. 77.
Ramses' III. Siege über die Seevölker 591
liehen Schiffe mit einem Pfeilhagel überschüttet; auch das
spricht dafür, daß der Kampf auf engem Raum stattgefunden
hat. Auf dem Wasser drängen sich die Schiffe, vier ägyptische
und fünf feindliche, auf denen außer den Philistern und
Zakkari auch Serdana kämpfen, die also, wie auch früher
schon, auf beiden Seiten beteiligt sind; die ägyptischen Schiffe
sind mit ägyptischen Schützen und Speerkämpfern und mit Ser-
dana bemannt. Die Schiffe sind auf beiden Seiten in Größe
und Bauart ähnlich, Segelschiffe, deren Segel an einer Rahe,
die auf dem Mast liegt, emporgerafft sind 0, mit Mastkörben.
in denen ein bewaffneter Pilot sitzt. Die feindlichen Schiffe
sind weit plumper gebaut, mit hohen spitzen Schnäbeln an
beiden Enden; die ägyptischen sind elegante Nilboote und zu-
gleich mit Ruderern besetzt, die durch einen Bort geschützt
sind. Die Ägypter fallen die feindlichen Schiffe an, deren
Mannschaften schon durch die Geschosse geschwächt sind,
springen hinüber und machen alles nieder; ein Schiff haben
sie zum Kentern gebracht. Das Wasser ist überfüllt mit
Leichen und Schiffbrüchigen, die die ägyptischen Ruderer
vielfach herauszuziehn suchen und als Gefangene auf ihre
Schiffe setzen.
Durch diese Siege war die Bedrohung Ägyptens abge-
wendet. „Die, welche an die Grenze meines Reichs gekommen
waren, ernten nicht mehr, ihre Seelen sind kraftlos auf
ewig; die sich auf dem Meere zusammengerottet hatten, hat
die Kriegsflamme verzehrt; gemordet sind sie am Ufer des
Meeres, niedergemetzelt zu Leichenhügeln, ihre Schiffe und
Habe ins Wasser gestürzt." Unter den Massen der Gefangenen
werden die Zakkari, Philister und Danauna genannt und ab-
gebildet, während die Sakalsa und Uases nicht weiter er-
wähnt werden. Auch sie wurden, wie die Libyer, in den
Festungen angesiedelt.
An die Besiegung der Seevölker haben sich weitere Kämpfe
in Syrien angeschlossen, die in den Wandgemälden von Medinet
") Vgl. 0. S. 211.
592 ^^^- ^'^ großen Wanderungen
Habu mehrfach dargestellt sind. So die Eroberung einer , Fe-
stung des Amoriterfürsten", die sich ergibt, als die Ägypter
und Serdana gegen die Mauern anrücken und der König sie be-
schießt i); die Einnahme einer hochgelegenen, von Semiten ver-
teidigten Festung und einer rings von Wasser umschlossenen,
deren Tor gesprengt, deren Mauer auf Leitern erstiegen vi^ird.
während gleichzeitig die Bäume ringsum abgehackt werden^);
ebenso die Einnahme zweier von Chetitern verteidigter Fe-
stungen, deren eine einen Namen führt, der etwa Arzawa
zu lesen ist'^. Die Vorführung von semitischen und cheti-
tischen Gefangenen, auch von Beduinen, ist neben der von
Philistern und Libyern und auch Negern vielfach dargestellt*).
Am Hohen Tor hat Ramses IIL außer gefesselten Häuptlingen
der Negerstämme, der Libyer und Masauasa, der Zakkari,
Serdana und Tursa auch [einen der Beduinen (Sos), sowie
„den Fürsten der Chetiter als lebenden Gefangenen" — gewiß
nicht den Großkönig selbst — und den Fürsten von Amurru
darstellen lassen^).
Oflfenbar hat Kamses HL versucht, seine Siege und den
Untergang des Chetiterreichs zur Wiederaufrichtung der ägyp-
tischen Herrschaft über Syrien zu benutzen, und dabei auch
manche Erfolge gegen die durch die Phihster geschwächten
Amoriter und gegen chetitische Garnisonen in den Festungen
Nordsyriens errungen*^). Aber bedeutend und vor allem dauer-
') Phot. 488—490. Breasted IV 117. Auf den Zinnen weht die
große Kriegsfahne, wie in den Bildern Ramses' 11.
2) Phot. 463 und 464 f. Breasted IV 119. 118.
3) Phot. 470—472. Breasted IV 120.
*) Phot. 460— 4f32. Breasted IV 12.5. 121. Phot. 486. 487. 491
(= Breasted IV 124). 504 f.
*) Phot. 498—503. Vgl. die Vorführung der Fürsten von Amurru
und Libyen nebst den Prunkstüf ken der Beute vor die Triade von
Theben Phot. 497, Breasted IV 126.
«) In üblicher Weise gibt er auch lange Listen der besiegten
Städte und Landschaften sowohl im Süden wie im Norden, zusammen
249 Namen. Die Liste der Asiaten ist jetzt vollständig bei W. M. Müller,
Egyptol. Res. I (vgl denselben, Asien und Europa 227 und Breasted I^'
Ramses III. in Syrien 593
haft dürfen wir sie uns nicht vorstellen. In dem zusammen-
fassenden Bericht über seine Taten erwähnt er denn auch
nur, daß er die Beduinen (Sos) von Se'ir, dem edomitischen
Bergland im Süden Palaestinas, geplündert und in Massen
als Tempelsklaven nach Ägypten geschleppt habe. Auch
sind die Philister und Zakkari nichts weniger als vernichtet,
haben vielmehr die fruchtbare Küstenebene Palaestinas in
Besitz genommen und hier ihre Fürstentümer gegründet, die
Philister in Gaza, Askalon, Asdod, Gat und 'Aqqaron, mit
einer Bundesorganisation, die Zakkari weiter nördUch in Dor.
Das Hochland dagegen scheinen die Ägypter behauptet zu
haben; Ramses III. hat hier dem Amon einen Tempel in
der nach ihm benannten Stadt in Kana'an erbaut oder wohl
eher wiederhergestellt, wohin die Asiaten ihre Tribute bringen:
außerdem besaß er im Choriterland und Kus zusammen noch
neun Ortschaften^). Auch der Seehandel mit Phoenikien blieb
aufrecht erhalten und ebenso überhaupt der friedhche Ver-
kehr; eine Darstellung in Medinet Habu zeigt, wie auslän-
dische Gesandte, Chetiter und Semiten, den bei einem Fest
aufgeführten King- und Kampfspielen zuschauen ■'').
Ramses' IM. Regierung. Kultur und Kunst
Die späteren Jahre Ramses' III. sind, wie die seines
großen Vorgängers, friedlich verlaufen. „Ich habe", so faßt
er am Schluß seines Lebens seine Regierung zusammen^),
„im ganzen Lande grüne Bäume wachsen lassen, und Heß
die Bewohner in ihrem Schatten sitzen. Ich bewirkte, daß
die Frauen Ägyptens nach ihrem Wunsch überall hingehn
konnten, ohne daß sie irgend jemand auf dem Wege be-
130 f. 137 f.); die Namen, darunter sehr viele undeutbare, sind aber
großenteils aus den älteren Listen kompiliert und geschichtlich wertlos.
') Pap. Harris bei Breasted IV 219. 22H; was Amon hier an
Abgaben von Rindern erhalten hat. war freilich wenig genug, im
ganzen 19 Stück (ib. 229). Seeschiffe nach Zahi ib. 211. 828.
=•) Phot. 335-345.
») Pap. Harris 78, 8 ff. (Breasted IV 410).
Meyer, üeschichte des Altorturas. II'. 38
594 ^^^- D'6 großen Wanderungen
lästigte. Ich ließ das Fußvolk und die Wagenk'ämpfer da*
heim sitzen zu meiner Zeit; die Serdana und Kahak konnten
sich in ihren Garnisonen lang auf dem Rücken ausstrecken
ohne Besorgnis; da war kein Feind in Kus oder in Syrien
(Chor). Die Bogen und Waffen lagen friedlich ^ in den Maga-
zinen" — ein solches reich ausgestattetes Waffenmagazin hat
Rarases III. in seinem Grabe abgebildet — ; „sie konnten
sich sattessen und -trinken in Behagen. Ihre Frauen und
ihre Kinder waren bei ihnen; sie brauchten nicht zurück-
zublicken, ihr Herz war froh, denn ich war ihr Verteidiger
und Beschützer."
„Das ganze Land und alle Volksklassen habe ich be-
lebt. Ich habe den Menschen aus der Not herausgezoger»
und ihm Luft gegeben; ich schützte ihn gegen den Vor-
nehmen, der gewichtiger war als er, ich gewährte allen Ruhe
in ihren Ortschaften. In den Bezirken, die öde waren, habe
ich das Land ausgestattet. Das Land war wohlzufrieden mit
meiner Regierung; ich habe den Göttern und Menschen Gutes
getan." Zum Schluß spricht er den Untertanen seine An-
erkennung aus für ihre Dienstbereitschaft. „Ihr wäret meinem
Herzen wohlgefällig, wie ihr meine Befehle und Aufträge
eifrig erfüllt habt."
Diese Schilderung gibt ein anschauliches Bild von dem,
was man von einem tüchtigen Herrscher, dem „guten Gotte",
erwartete. Zugleich aber zeigt sie, wie alle Energie und
vollends der kriegerische Geist geschwunden ist; friedliches
Behagen ist durchaus die Hauptsache geworden, der Nieder-
gang kündet sich deutlich an.
Von friedlichen Unternehmungen erwähnt Ramses Hl.
die Anlage eines großen Brunnens im Kalksteingebirge von
'Aian bei den Steinbrüchen gegenüber von Memphis, eine
neue Expedition nach Punt, die, mit Geschenken reich aus-
gestattet, diesmal wieder über Land von Koptos aus ans Rote
') Dafür ist das in dieser Zeit ganz geläufige semitische Wort
äalötn gebraucht.
Spätere Zeit Ramses' III. Tempel von Medinet Habu 595
Meer ging — der Kanal von Suez mag wieder versandet
gewesen sein — und Massen von Weihrauch und Myrrhen
zurückbrachte, geleitet von den zur Huldigung entsandten
Söhnen der Häuptlinge, ferner die Arbeiten in den Malachit-
gruben am Sinai und die Erschließung großer Kupferminen
in 'Atika, vielleicht ebendort.
Wie Ramses HI. seinen Thronnamen in Anlehnung an
den Ramses' H. gebildet hat, so hat er in allem versucht,
es seinem großen Vorgänger gleichzutun ^). Auf dem Ost-
ufer Thebens hat er in Medinet Habu einen großen Amon-
tempel ganz nach dem Muster des Ramesseums gebaut —
es ist der weitaus am besten erhaltene Tempel des Neuen
Reichs. An ihn schloß, aus Lehmziegeln erbaut, der große
Palast des Königs, dessen Empfangsfenster sich nach dem
ersten Hof des Tempels öffnet, in dem die Menge sich ver-
sammelt, um dem König zuzujubeln und die Belohnungen
zu empfangen. In den Kammern des innern Tempels waren
auch die reichen Schätze bewahrt, darunter Massen von Gold
aus Nubien, aus mehreren Bezirken Oberägyptens, auch Fluß-
gold, ferner Silber, Kupfer, Blei, Edelsteine u. s. w.^). Vor-
gelagert ist dem Tempel ein mächtiges Eingangstor in die
Umwallung des Palastbezirks, das von zwei als Wohnräume
für den Harem dienenden Türmen eingeschlossen ist, das sog.
Hohe Tor.
Die Wände des Tempels sowie des Tores sind auch hier
durchweg mit Reliefgemälden geschmückt, von denen wir
*) Zu den Nachahmungen gehört auch, daß der Streitwagen
Ramses' III. auf den Bildern wirklich von einem Löwen begleitet ist
— was in Wirklichkeit doch ganz undenkbar scheint — , während bei
Ramses IL nur dns Bild des Löwen am Wagen angebracht ist und
außerdem ein gefesselter Löwe im Lager liegt (o. S. .504, 1).
^) Vielleicht schließt an Ramses III. das von Herodot bewahrte
Märchen von Rhampsinit an, dessen Name mit dem nicht erklärten Zusatz
-nit gebildet ist. der ebenso bei Psammenit = Psammetich III. wieder-
kehrt. Das Märchen ist den Griechen schon im 7. Jahrhundert be-
kannt geworden und von Eugammon von Kyrene in die Telegonie auf-
genommen, übertragen auf das Schatzhaus des Hyrieus (o. S. 266, 2).
596 ^11- I^i® großen Wanderungen
die Kriegsbilder schon kennen gelernt haben; dazu kommen,
wie übhch, Festdarstellungen und Kultszenen sowie Jagd-
bilder, darunter ein Meisterwerk, das das Nachleben der aus
Kreta gekommenen Anregungen erkennen läßt in einer Jagd
auf Wildstiere, die, durch das Schilf zum Strom flüchtend,
unter den Geschossen zusammenbrechen. Die Schlachtenbilder
reihen sich an die von Ramses II. geschaffenen an, gehn
aber über sie in der Steigerung des Getümmels und der Be-
wegung noch hinaus. Fortwährend überschneiden sich die
Figuren in kaum übersehbarem Gewirr, oft in den kühnsten
Stellungen; ganze Trupps kommen in geschlossenen Reihen
anmarschiert, der Charakter des Gefechts wird wahrheits-
getreu geschildert, auch die Feinde kämpfen tapfer, wenn
sie auch erliegen und sich verzweifelt zur Flucht wenden.
Der König ist in der üblichen Weise dargestellt, auf dem
Wagen oder zu Fuß seine Pfeile entsendend; aber für das
eigenthche Schlachtbild tritt er ganz zurück und könnte völlig
ausgeschieden werden. So ist der Realismus des Bildes ge-
steigert; zugleich sind die Gestalten durch Vertiefung dei^
Reliefs und die dadurch erzeugte Schattenwirkung stärkei"
herausgehoben, und sie werden meist schlanker, die Gesichts-
züge — neben vortrefflichen Porträts wie denen der gefan-
genen Häuptlinge am Hohen Tor — zeigen oft eine glatte
Eleganz, der das innere Leben fehlt. Man erkennt, daß die
Kunst sich von dem klassischen Stil Sethos' I. und Ramses' IL
und ihren strengen Formen übersättigt abzuwenden beginnt,
Eine weitere Entwicklung, die zur Ausbildung eines mo-
derneu Stils hätte führen können, ist der ägyptischen Kunst
nicht mehr beschieden gewesen. Mit den Denkmälern Ram-
ses'III. schließt die Kunst des Neuen Reichs jäh ab. Schlachten-
gemälde sind in Ägypten nie wäeder geschaffen w^orden, und
auch als nach vielen Jahrhunderten nochmals ein neuer Auf-
schwung' einsetzt, hält sich die Kunst von allen Beziehungen
zu Staat und Krieg vollständig fern. Wohl mit Recht hat man
ein Anzeichen dieser Abwendung vom ötfeutlichen Leben darin
gefunden, daß uns aus der Zeit Ramses" III. ein Papyru.s
Die Kunst unter Ramses III. 597
mit Illustrationen zu Tierfabeln erhalten ist, der einen Krieg
der Mäuse gegen die Katzen darstellt, in dem der Mäuse-
könig, in deutlicher Karikatur der großen Schlachtengemälde,
rückwärts auf dem Wagen sitzend die Unterwerfung des Katers
entgegennimmt 0.
Auch die Baukunst und ebenso die statuarische Plastik
hat dasselbe Schicksal erlitten. Ramses III. hat außer dem
Tempel von Medinet Habu und seinem RiesengTabe im Königs-
tal, das an Größe dem Sethos' I. gleichkommt, an Feinheit
der Ausführung der Reliefs und Inschriften freilich weit
hinter ihm zurücksteht, in Karnak einen Tempel des Amon
(südlich von dem Haupttempel), einen des Chons und einen
der Mut gebaut, ferner natürlich auch für die anderen Haupt-
götter wie den Ptab von Memphis und den Atum von Helio-
polis und gar manche andere gesorgt, in der jetzt nach
seinem Namen benannten Ramsesstadt im Delta einen Tempel
für Amon und einen für Seth erbaut oder wohl eher restau-
riert'0, einen mit glasierten Ziegeln verkleideten Tempel in
Leontopolis (Teil el Jehudije) nördlich von Heliopolis u. a. m.
Aber Ramses II. hat er es doch nicht gleichtun können; die
Mittel dafür reichten eben, trotz der Schätze, die er an-
sammelte, nicht mehr aus, und sind durch seine Bauten offen-
bar vollends erschöpft worden. Bezeichnend für die wirkliche
Lage Ägyptens ist auch, daß der Tempel des Chons so gut wie
ganz aus Steinen älterer verfallener Bauten eri'ichtet ist, auf
denen man die Skulpturen notdürftig abhackte oder mit Mörtel
überzog. Vor allem hat der große Tempel Amenophis' III.
geradezu als Steinbruch gedient"). Wie der rasche Verfall
dieses großen Gebäudes zu erklären ist, bleibt dunkel; man
könnte vermuten, daß es in den Wirren vor Setnachts Auf-
treten zerstört worden ist.
Mit dem Tode Ramses" III. bricht dann die Folge der
großen Bauten jäh ab: von der langen Reihe der folgenden
') H. Schäfer in der Kunst des Alten Orients (Propylaeen II) S. 108.
*) Die Angaben darüber siebe im Pap. Harris.
^) BORCHARDT. ÄZ. 61.
59g XII. Die großen Wanderungen
Raraessiden kennen wir außer einzelnen Reparaturen u. ä.
nur ihre Gräber im Königstal, und mit dem Ende der Dynastie
schließen auch diese ab.
Ganz anschaulich tritt uns der Niedergang des geistigen
Lebens und das völlige Fehlen neuer Gedanken in der Lite-
ratur entgegen. An innerer Leere und ständig die gleichen
Phrasen wiederholendem Schwulst übertreffen die Inschriften
Ramses' IIL alles, was seine darin doch auch nicht kargen
Vorgänger geleistet haben; poetische Gestaltungskraft, wie
sie in dem Gedicht über die Schlacht bei Qades noch her-
vortritt, fehlt völlig, und die wenigen Tatsachen, die er-
wähnt werden — in bezeichnendem Gegensatz zu der an-'
schauHchen Darstellung der Bilder — , verschwinden fast in
diesem Meer inhaltlosen Geredes. Noch bequemer war es frei-
lich, die älteren Texte einfach zu kopieren und auf den Namen
des neuen Herrschers umzustellen; und das hat Ramses III.
wiederholt getan, so mit dem Siegeshymnus Thutmosis' III.
und mit einem Hymnus, in dem Ptah dem König die Fülle
seiner Segnungen verheißt^).
Umso eifriger wird Religion und Kultus gepflegt. In
dem Bericht, der die Leistungen und Taten der einunddreißig
Jahre seiner Regierung zusammenfaßt, wird ganz ausführ-
lich aufgezählt, was alles er den Göttern zugewendet hat;
dabei werden freilich auch ihr gesamter ererbter Besitz und
ebenso die regelmäßigen Abgaben der LT ntertanen des Tempel-
guts mitgezählt, weil er diesen Besitz ebenso wie seine legi-
timen Vorgänger bestätigt hat — der Choriter Arsu freilich ist,
ebenso wie früher Echnaten, anders vorgegangen — , so daß
seine Gaben noch weit größer erscheinen als sie in Wirk-
lichkeit waren ^). Immerhin bleibt es gewaltig, was er un-
unterbrochen den Göttern zugewiesen hat, abgesehn von den
'; Breasted IV 132 ff. 137. Das Gleiche gilt von den Listen der
besiegten Ortschaften o. S. 592/6.
*) Die Aufklärung verdanken wir Erman, Zur Erklärung des Pap.
Harris, Ber. Berl. Ak. 1903, 456 ff. und Breasted, Rec. IV 151 ff. Vgl.
Ehmax-Ranke, Ägypten 339 ff.
Literatur und Kultus unter Ramses IIl. 599
schon berührten Bauten — deren Kosten und Arbeiten wohl
größtenteils aus dem Tempelvermögen bestritten sein werden —
nebst den zugehörigen Statuen, Schreinen, Barken und Kult-
geräten, vor allem die Scharen der Kriegsgefangenen und
die Viehherden, dazu Grundbesitz, weiter Gold, Silber, Kupfer,
jEdelsteine und Kostbarkeiten aller Art. Überdies stand aller
Tempelbesitz zwar unter der Kontrolle des Königs, war aber
frei von allen staatlichen Steuern und Fronden; Ramses III.
rühmt, daß er auch bei dem Besitz der kleineren Tempel die
Hörigen nicht, wie frühere Könige, zu Aushebungen für den
Krieg herangezogen habe^). In manchen Fällen, z. B. in der
Zuweisung von Gold, hat er dem Atum, Ptah und den übrigen
Göttern mehr zugewendet als dem Amon, da jene weit be-
dürftiger und offenbar vielfach vernachlässigt waren, während
Amon auch an Gold bereits aus den regelmäßigen Jahres-
einnahmen sehr viel mehr bezog als die übrigen. Wie ge-
waltig die Überlegenheit Amons über alle andern Götter,
auch über Atum-r6' von Heliopolis und Ptah von Memphis,
gerade in diesem Dokument zutage tritt, ist oben S. 511 schon
erwähnt. Der Grundbesitz Amons bildet geradezu einen Staat
im Staate; so ist es nur natürhch, daß seine Priesterschaft,
je mehr die Königsmacht erlahmte, immer selbstherrlicher
und anspruchsvoller geworden ist.
Ramses' IIl. Ausgang. Die späteren Ramessiden.
Niedergang Ägyptens
Hamses III. ist kurz nach dem Autritt seines 32. Jahres
gestorben (um 11G5 v. Chr.)^). Der Ausgang seiner Regierung
entspricht dem von ihr gezeichneten Idealbild wenig. Uns sind
die Akten eines Hochverratprozesses über eine Verschwörung
gegen Ramses III. großenteils erhalten, die vom Harem des
Königs ausging und in die zahlreiche hohe Hofbeamte und
') Pap. Harris 57, 8 f. Breasted IV 354.
'') Am 6./11. J. 32 (ca. l>. M ü). Siehe Ei un S. 45S f. un l B x-'. vsrsn
IV 1.5.3 f.
gQQ XII. Die großen Wanderungen
Offiziere verwickelt waren ^). Die eigentliche Triebfeder war
eine seiner Frauen, Teje, die offenbar ihren Sohn ^Pentußr,
der auch jenen anderen Namen getragen hat", auf den Thron
erheben wollte. Sie suchte durch ihre Gehilfen die Bevölke-
rung zum Aufstand aufzuhetzen; daneben wurden Zauber-
mittel verwendet, magische Puppen in den Palast gebracht,
um die Bewohner zu lähmen u. ä. m. Die Verschwörung wurde
unterdrückt, die Schuldigen verurteilt; die Vornehmsten durf-
ten sich selbst das Leben nehmen, an den anderen wurden
^die großen Todesstrafen vollzogen, von denen die Götter"
— oder „die heiligen Schriften", d. i. das von den Göttern
gegebene Gesetzbuch — „sagen: vollziehe sie an ihnen'';
einige kamen mit dem Abschneiden von Nasen und Ohren
davon.
Die Instruktion, die der König dem für diesen Fall ein-
gesetzten, aus hohen Beamten gebildeten Gerichtshof ge-
geben hat, lautet ganz eigentümlich: -Die Worte, die die
Leute geredet haben, kenne ich nicht. Geht und untersucht
sie. Und ihr werdet gehn und sie verhören, und ihr werdet
sterben lassen, die ihr durch eigene Hand sterben lassen
müßt, ohne daß ich davon weiß; und ihr werdet auch die
Strafe an den andern voUziehn, ohne daß ich davon weiß ....
Und ich sage euch in Wahrheit: alles was geschehn ist und
was sie getan haben, laßt auf ihre Häupter fallen; ich da-
gegen bin geschützt und beschirmt in Ewigkeit, da ich unter
den gerechten Königen bin, die beim Götterkönig Amon-Rä*
und bei Osiris, dem Herrn der Ewigkeit, sind." Ganz deut-
lich spricht der König hier aus, daß er bereits gestorben
und in die Götterwelt eingegangen ist 2): aber es wird fingiert,
1) BRE.\sTKti IV. 416 ff. ERMAN-R.AnKE 160'ff. Außerdem wird im
Pap. Harris 59, 11 ff. (Breasted IV 361) die Bestrafung eines rebellischen
Vezirs und seines Anhangs erwähnt, der sich in der Deltastudt Athribis
empört hatte.
*) Diese Folgerung ist von Breasted vorbereitet, der annimmt,
RamsesIII. sei, vielleicht infolge des Attentats, schon schwer krank
gewesen und habe gewußt, daß er gleich nach der Einsetzung de«
Ramses" III. Ausgang 601
daß er aus dem Jenseits selbst den Gerichtshof einsetzt, dessen
Urteil ihm, eben weil er tot ist, nicht mehr zur Bestätigung
vorgelegt werden kann.
Ramses III. ist also einem Attentat erlegen; aber der
Prinz, dem dadurch der Weg zum Thron geebnet werden
soUte, ist nicht zur Regierung gelangt, sondern ein anderer
Königsohn, der den Namen Ramses IV. annahm, ihm zuvor-
gekommen. Die Leiche Ramses' III. wurde dann nach Theben
zur Leichenfeier in Medinet Habu und Beisetzung im Königs-
grabe gebracht, und zugleich Ramses IV. hier von Amon, also
durch das vom Gott gegebene Orakel, feierlich auf den Thron
des Horus gesetzt. Auch hierüber ist uns ein eigenartiges
Dokument in dem großen Buch erhalten, das über die Taten
Ramses' III. und seine Gaben an die Götter berichtet. Es
tritt auf als eine Rede, die der ins Jenseits eingehende König
unmittelbar nach seinem Tode an Götter und Menschen hält;
in Wirklichkeit ist es also von seinem Nachfolger verfaßt. In
möglichster Eile sind die langen Listen der Geschenke an die
Tempel zusammengestellt worden; daher sind sie wenigstens
für die Unzahl der kleineren Tempel, für die das Material
bis zum Begräbnistage nicht erschöpfend beschafft werden
konnte, nur ganz unvollständig und enthalten viele Flüch-
tigkeiten im einzelnen, vor allem in den Suramierungen^).
Gerichtshofes sterben -werde. Er macht anch darauf aufmerksam, daß
er in den Akten als „der große Gott" bezeichnet wird, ein Ausdruck,
der im Neuen Reich nie mehr von dem lebenden König, wohl aber
vom verstorbenen gebraucht wird. Die volle Konsequenz hat dann
Struve in dem gleich zu erwähnenden Aufsatz gezogen; sie ist in der
Tat ganz unabweisbar. Er weist auch darauf hin, daß Ramses III.
seltsamerweise in Medinet Habu die Namen seiner Gemahlin und seiner
Söhne unausgefüllt gelassen hat; offenbar hat er sich über die Thron-
folge und daher auch über die Frage, welche seiner Frauen er als seine
Haupt gemahlin bezeichnen wolle, niemals entscheiden können. — Hängt
damit zusammen, daß nach Sethe. Unters, zur Gesch. Äg. I 62, Ramses VI,
die Namen seiner beiden Vorgänger, Ramses IV. und V , getilgt hat, also
sich resp. seinen Vater als den legitimen Thronerben betrachtete?
') Das ist von Erman in seiner grundlegenden Arbeit (o. S. 598. 2)
ß02 ^11- -Die großen Wanderungen
Auf Grund dieser Leistungen erbittet und erhofft der ver-
storbene König von den Göttern die Aufnahme in ihre Mitte
und die Gewährung des behaglich mit Atem, Wasser und
Speise ausgestatteten Daseins im Jenseits, welches der Toten-
dienst den Seelen der Frommen und Gerechten verschafft.
Daneben aber erbittet er den göttlichen Segen für seinen
Sohn Ramses IV., den Amon, Atum, Ptah gezeugt und zum
Thronfolger bestimmt haben. Möge das Land unter ihm ge-
deihen, der Nil üppige Fruchtbarkeit bringen, die Untertanen
ihm freudig gehorchen und ihm zujubeln, die Barbaren seinem
Schwert erliegen und ihm Tribut bringen, und er seine Gren-
zen setzen so weit er will. Möge ihm dauernd jugendhche
Kraft und Gesundheit beschieden sein. „Du hast," sagt er zu
Amon, „ mir eine Regierung von zweihundert Jahren zugespro-
chen; gewähre sie meinem Sohn, der noch auf Erden ist"
— übertrage also auf diesen, was mir nicht erfüllt worden
ist — „mache sein Leben länger als das irgend eines an-
deren Königs, um so die Wohltaten zu vergelten, die ich dir
erwiesen habe!'' In einem Gebet an Osiris von Abydos wieder-
holt Ramses IV. ^) alle diese Bitten nahezu wörtlich, und ge-
rade die Bitte um ein weit über das menschliche Maß hinaus-
gehendes Leben ist für ihn charakteristisch. „Verdopple mir,"
betet er zu Osiris — „denn du," so heißt es nachher, „bist
der, der es mit seinem eigenen Munde gesagt hat, und es
wird nicht umgestoßen werden" — „die lange Regierung
des großen Gottes Ramses IL; denn größer sind die Wohl-
taten und Opfergaben, die ich deinem Heiligtum innerhalb
dieser vier Jahre täglich dargebracht habe, als was der
große Gott Ramses IL für dich in seinen siebenundsechzig
Jahren getan hat." Es ist ganz deutlich, daß auch in dem
Ramses III. in den Mund gelegten Text in Wirklichkeit sein
Sohn spricht.
sowie von Breasted nachgewiesen, die das Verständnis ganz wesentlich
gefördert haben.
') Erfüllt ist seine Bitte nicht, er hat nur 6 Jahre regiert. In-
schrift von Abydos aus seinem 4. -Tahr, Breasted IV 469 ff.; vgl. o. S. 417.
Kamses IV. 603
Zum Schluß werden dann, nach den Göttern, die Unter-
tanen angeredet: „Ranises III., der große Gott, sagt zu den
Magnaten und Grafen des Landes, Fußvolk und Streitwagen,
Serdana, den zahlreichen Soldtruppen, allen Bewohnern von
Ägypten" — und nun folgt der oben gegebene Überbhck
über die Wiederherstellung der Ordnung durch Setnacht und
die eigenen Taten, die mit der Anerkennung für den willigen
Gehorsam schließt. „Siehe, jetzt bin ich in die Unterwelt ein-
gegangen wie mein Vater Re', und habe mich gemischt unter
den großen Götterkreis in Himmel, Erde und Hölle. Amon-Re'
hat meinen Sohn auf meinen Thron gesetzt, er sitzt auf dem
Thron des Horus als Herr beider Nilseiten und hat sich
die Atefkrone aufgesetzt. Seid also seinen Sohlen Untertan,
küßt den Fußboden und beugt euch vor ihm, gehorcht und
verehrt ihn, grüßt seine Schönheit jeden Morgen wie ihr es
dem Rö' tut, bringt ihm die Abgaben, vollzieht seine Auf-
träge" — das wird im einzelnen weiter ausgeführt — ; „denn
Amon hat ihm das Königtum auf Erden zugesprochen und
seine Lebensdauer verdoppelt mehr als jedem anderen König,
ihm, dem König Ramses IV.".
So zielt dies einzigartige Dokument auf die feierliche
Einsetzung des neuen Herrschers durch den verstorbenen,
in Wirklichkeit wohl zweifellos ermordeten König und mas-
kiert die Vorgänge, durch die Ramses IV. im Gegensatz
gegen den Prätendenten auf den Thron gelangt ist^). So
wird auch die Vermutung zutreffend seia, daß die Fürsorge
Ramses' III. für den Kultus so eingehend dargelegt wird,
um die mächtige Priesterschaft für den neuen Herrscher zu
gewinnen und ihr das Vertrauen zu geben, daß er ebenso
handeln wird. Daß er das getan hat, bestätigt der angeführte
Hymnus an Osiris-).
') Eine Parallele bietet die Thronbesteigung Salomos, nur daß
dort der Batseba im Bunde mit der Geistlichkeit der Staatsstreich
gegen den rechtmäßigen Thronerben Adonia gelungen ist.
^) Das richtige Verständnis des Pap. Harris hat V. Struve er-
schlossen (in der Zeitschr. Aegyptus VII 1926, 1 ff). P]r hat gezeigt,
ß04 ^^^- ß^® großen Wanderungen
Mit Ramses IV. beginnt eine lange Reihe tatenloser
Könige, die alle den Namen Ramses angenommen haben,
im ganzen acht, bis auf Ramses XI. Sechs von ihnen haben
Gräber im Königstal erbaut, von denen das Ramses' V. durch
seinen Nachfolger, der ihn vom Thron gestoßen hat, für sich
mit Beschlag belegt worden ist. Auch einige andere haben
nur kurze Zeit regiert; insgesamt werden wir für sie höch-
stens achtzig Jahre (ca. 1165 — 1085) ansetzen dürfen'). Ihre
Namen erscheinen gelegentlich in Papyri und inhaltlosen In-
schriften; weiter wissen wir über sie garnichts. Umso klarer
tritt hervor, daß es mit der Machtstellung des Reichs vorbei
ist. Die Herrschaft über Nubien wird noch behauptet, aber in
Asien sind auch die letzten Besitzungen verloren gegangen,
wenn auch der Anspruch, daß Palaestina und Phoenikien
eigentlich den Pharaonen und dem Amon gehören, weiter
aufrecht erhalten wird. Die Mittel des Staats sind völlig
erschöpft; die Götter erhalten wohl noch Weihgaben und
Opfer, aber an größere Bauten ist nicht mehr zu denken.
Ein drastisches Symptom des Niedergangs ist, daß die Un-
sicherheit in der riesigen Totenstadt von Theben immer mehr
zunahm und nicht nur Privatgräber in großer Zahl ausgeplün-
dert wurden, sondern auch die Königsgräber nicht mehr sicher
waren. Bei einer Untersuchung im Jahre 16 Ramses' IX.,
über die uns die Akten erhalten sind, stellte sich allerdings
daß Erman's Auffassung als eines dem König für das Jenseits mit ins
Grab gegebenen Rechtfertigungsdokuments nicht haltbar ist und der
Schlußabschnitt sowie die Gebete für den Sohn nicht ein gleich-
gültiger Appendix, sondern die Hauptsache sind. Er weist nach, daß
er aus eineui in üblicher Weise zur Bewahrung von Urkunden be-
nutzten Kruge „aus dem Schloß Ramses' III. im Amontempel", d. i.
in Medinet Habu stammt, in dem auch die Akten des Prozesses gegen
die Gräberdiebe unter Ramses IX. lagen, dessen Schriftstücke in einem
Wiener Papyrus, ÄZ. 1876, Iff, verzeichnet sind.
') Vgl. 0. S. 585, 1. An Daten sind erhalten: R. IV. 6 J., R. V.
mindestens 4 J., R. IX. 19 J., R. X. mindestens 6 J., R. XI. 27 J. Der bisher
meist als R. IX. oder XI. gezählte König Ramses Siptah gehört in die
Zeit vor Ramses III. (o. S. 581); dadurch wird der bisher als R. XII. ge-
zählte letzte König der Dynastie zu R. XI.
Die späteren Ramessiden. Niedergang Ägyptens ßO 5
heraus, daß nur ein Grab, das Sebekemsafs IL aus der drei-
zehnten Dynastie, erbrochen und ausgeplündert war; aber
wenige Jahre später war eine Diebsbande in die Gräber
Sethos' I. und Ramses' II. eingebrochen, und so ging es weiter.
Immer wieder mußten die Leichen der Könige untersucht
und an eine sicherer scheinende Stelle überführt werden,
bis man sich nach etwa anderthalb Jahrhunderten schließ-
lich entschloß, sie alle in einem unzugänglichen Versteck
in einem Feischacht bei D6r el Bahri zu bergen, der so gut
gewählt war, daß sie hier ungestört erhalten blieben, bis
sie wiederentdeckt und 1881 ins Museum von Kairo über-
führt wurden.
Während die Königsmacht immer mehr erschlaffte, ist
die Stellung des Hohenpriesters des Amon ständig gewachsen.
Unter Ramses IX. datiert eine Frau einen Diebstahl, über
den sie Klage erhebt, als „zur Zeit des Aufstandes des Hohen-
priesters Amons" geschehn^. Dem Hohenpriester Amenophis
weist derselbe König Abgaben für Amon zu, die bisher vom
König erhoben wurden; an der Wand eines Terapelhofs hat
er sich in bisher ganz unerhörter Weise neben dem König,
der ihn mit dem Golde belohnt, in gleicher Größe wie dieser,
also als ihm gleichstehend, darstellen lassen. Noch selbst-
herrlicher tritt sein Nachfolger Hrihor auf, der Bauten am
Chronstempel selbständig aufführt und dabei seinen Ober-
herrn Ramses XI. nur noch nebenbei erwähnt. Er erhält
weiter die Verwaltung Nubieus als „Königssohn von Ku.s".
und hat auch die alten Priestertitulaturen eines Truppen-
kommandanten und Grafen wieder aufgenommen; er kann sich
als Oberbefehlshaber der Truppen des Südens und Nordens
bezeichnen. Schließlich, beim Tode des Königs, hat er den
letzten Schritt getan, die Dynastie entthront, und sich selbst
die Krone aufgesetzt. Gleichzeitig aber erhebt sich in Tanis
im Delta eine neue, die einundzvvanzigste Dynastie.
So ist das Reich Thutmosis' III. und Ramses' II. langsam
und ruhmlos an Altersschwäche entschlafen. Wenn aber aus
'J Spiegelderg, Reo. XIX 91. Breasted IV 486.
606 ^11- ^iß großen Wanderungen
der Zersetzung des Alten und dann des Mittleren Reichs das
ägyptische Volk zu einer neuen, höheren Stufe emporgestiegen
war, so ist jetzt, seit der entscheidenden Krise unter Echnaten,
seine innere Kraft gebrochen. Die alten Formen leben weiter
und werden immer peinlicher beobachtet, und der geistige
Gehalt der Tradition war so gewaltig, daß sie Jahrhunderte
später, unter der sechsundzwanzigsten Dynastie, noch einmal
eine Nachblüte zu erzeugen vermochte. Indessen auch da
fehlt die schöpferische Kraft; etwas wirklich Neues vermag
man nicht mehr zu schaffen, das Ideal liegt in der Vergangen-
heit, nicht in der Zukunft. Und vor allem: das nationale
Leben hat sich auf die Religion zurückgezogen, die politischen
Aufgaben sind gleichgültig geworden, und der kriegerische
Geist ist entschwunden. Dabei steht Ägypten auch in der
jetzt beginnenden Epoche des Stillstands und der Erstarrung
immer noch weit höher als Babylonien, wo nun schon seit
einem Jahrtausend alles höhere Leben entschwunden ist; aber
politisch wird es so ohnmächtig wie dieses, und alsbald gerät
auch Ägypten, da das Volk die militärischen Aufgaben nicht
mehr erfüllen kann, unter die Herrschaft fremder Elemente,
zunächst der Söldner aus Libyen.
Wie Ägypten erstarrt und Babylonien regungslos daliegt,
so sind um die W"ende vom 13. zum 12. Jahrhundert auch
die beiden Kulturen zugrunde gegangen, die in den Jahr-
hunderten vorher diesen selbständig zur Seite getreten waren.
Sowohl die sich innerlich schon zersetzende kretisch-myke-
nische, wie die frisch aufstrebende chetitische Kultur sind den
Stürmen der Völkerwanderung erlegen. So bezeichnet diese
einen entscheidenden Einschnitt in der Geschichte der Mensch-
heit. Eine neue Epoche beginnt. Politisch maßgebend für
ihre Gestaltung ist der Wegfall jeder größeren Macht, die auf
die Geschicke entscheidend einwirken könnte; denn auch das
Assyrerreich, das jetzt im Vorschreiten begriffen ist, ist doch
noch jahrhundertelang keine wirkliche Großmacht geworden
und hat immer wieder um die Behauptung seiner beschränkten
Machtsphäre zu kämpfen.
Niedergang Ägyptens. Charakter der nächsten Epoche 607
Dieses negative Moment hat die Entwicklung der näch-
sten Jahrhunderte ermöglicht. Es folgt eine Epoche der Klein-
staaterei und des Stillebens der Einzelgebiete in streng be-
grenzten Kreisen. Zugleich aber ist dadurch neuen Völkern
Raum gegeben, sich unbehindert zu bewegen und ihre Eigen-
art frei auszubilden. So ist Raum geschaffen für die Ent-
wicklung, welche sich in den nächsten Jahrhunderten bei den
Phoenikern, den Israeliten und den Griechen vollzogen hat.
Königslisten
1. Ägypten
Vgl. S. 47. 50. 77 f. 110, 1. 148, 1. 340 f. 448 f. 455. 580 tf. 585, 1.
Dyn. 17. Senechtenre' Ta'o I. '6 („der Ältere")
Seqenjeiire* Ta'o II. qen („der Tapfere")
Uazcheperre' Kamose
Dyn. 18. Ainosis ca. 1.580—58
Amenophis I. |
Thutniosis I. J ca. 1557—1505
Thutmosis II. )
Hatsepsut 21 J. V zusammen 53 J. 10 M. 86 T.
Thutmosis III. ( ca. 1504—1450
Amenophis II. I ,... ^.^,
rvu ^ ■ TV r'^- 1450—1405
Thutmosis IV. j
Amenophis III. 36. J. ca. 1405—1370
Amenophis IV. Echnaten ca. 1370—1352
S'akere' \
Tut'anch-amon [ ca. 1352—1310
Eje )
Dyn. 19. Haremhab
Ramses I. ca. 1309
■Sethosl. ca. 1308—1298
liamses II. 67 J. 1298—1232
Merneptah
Amenmeses
Merneptah II. Siptah
Sethos II.
Kamses Siptah
<Der Choriter Arsu)
Dyn. 20. Setnacht
Ramses III. ca. 1200-1168
Ramses IV. -XI. ca. 1168—108.5.
1232—1200
Königslisten ß()9
2. Das charrische Reich Mitani (Cha n ig alb at)
Vgl. S. 125. 160 f. 376 f. 476 f.
Saussatar um 1475
Artatäma
Sutarna um 1400
Artasuwara
Dusratta ca. 1380—1355
(Artatäma und Sutarna)
Mattiwaza
Satluara, um 1280 von Salmanassar I. besiegt. Das Reich
Chanigalbat fortan auf das Gebiet von Melitene westlich
vom Eui)hrat beschränkt.
3. Das Chetiterreich
Vgl. S. 25 f. 125, 2. 157, 2. 339 f. 447 f. sowie Forreh, Boghazkiöi-
texte in Umschrift S. VI und S. 17* ff.
Anitta S. d. Bidchäna
Tabarna (Labarna) ca. 1800
Chattnsill.
Mursil I. ca. 1750
Chantili
Zidanta
Ammuna
Chuzzija
Telibiiius
Dudchalia IL ca. 1480
Arnuanda I. ca. 1460
Chattusil II. ca. 1435
Dudchalia III. ca. 1410
Arnuanda II. ca. 1390
Subbiluljuma ca. 1380—1346
Arnuanda III. 1345
Mursilll. ca. 1344— 1820
Muwattal ca. 1320—1288
Urchitesub ca. 1288—1281
Chattusil III. 1281 bis ca. 1260
Dudchalia IV. » /
Arnuanda IV. [ ca. 1260—1200
Dudchalia V. I
Meyer, Geschichte des Altivtiims. IIi. 39
gJQ Königslisten
4. Babylon ien
Vgl. S. 154 ff. 475. 478. 530, 2. 532 ff.
Die von E. Weidner im Anhang zu Meissners Babylonien und
Assyrien Bd. II (1925) S. 447 gegebene Liste setzt von Nazimaruttas II.
an, mit dem die erhaltene Datenliste beginnt, alle Daten um 2—3 Jahre
tiefer; vgl. dazu meine Bemerkungen im Nachtrag zum ersten Bande
(1925) S. 1 f.
3. Dyn. von Babel (Kossaeer)
17. Karaindas I. ca. 1450—1415
18. Kadasmancharbe(-ellil) I. ca. 1415—1390
19. Kurigalzu II. ca. 1390—76
20. Burnaburias II. ca. 1376—1351
21. Karaindas II. ca. 1351—45
(Nadbugas 1345)
22. Kurigalzu III. 1344—23
23. Nazimaruttas II. 1322—1297
24. Kadasmanturgu 1296—80
25. Kadasmanellil II. 1279-74
26. Kudurellil 1273—65
27. SagaraktisuriaS 1264-52
28. Kastilias III. 1251—44
29. Ellilnadinsum 1243—42
30. Kadasmancharbe IL 1252—41 \ Tugultininurta von Assur
31. Adadsumiddin 1240—35 /König von Babel 1241-35
32. Adadsumnasir 1234—05
33. Melisipakll. 1204—1190
84. Mardukbaliddin I. 1189-77
35. Zamamaäumiddin 1176
36. Ellilnadinache 1175—1173
4. Dyn. (von Isin)
1. Marduksapikzer 1172 — 55
2. Ninurtanadinsum 1154—49
3. Nebukadnezar I. 1148 bis ca. 1125.
5. Assyrien
Vgl. S. 157. 475, 1. 531 ff.
"Weidner's Liste mit approximativen Daten bei Meissner S. 451>
27. Puzurassur IV. ca. 1530
28. EllilnasirIL
29. Assurrabi I.
30. Assurnirari IL
31. Assurbelnisesu um 1430
Königslisten 0 1 l
82. Assurrimnisesu
33. Assurnadinache
34. Eribaadad I.
35. Assuruballit ca. 1375—40
36. Ellilnirari bis ca. 1325
37. Arikdenilu bis ca. 1805
38. Adadnirari I. bis ca. 1280
37. Salmanassar I. ca. 1280—1260
38. Tugultininurta I. ca. 1260—35
39. Assurnadinpal 1235
40. Assurnirari III. und Nabudan
41. EUilkudurusur
Neue Dynastie
42. Ninurtapalekur I.
48. Assurdän I. ca. 1190—60
(44. Ninurta-Tagultiassur)
45. Mutakkilnusku ca. 1160—45
46. Assurres'isi ca. 1145 — 15
47. Tiglatpileser I. ca. 1115-1100
Index
Kg. = König. Ld. = Land. S. = Sohn. St. = Stadh
A'ahhotep, Kgin. 50, 1. 54 ff. 75.
Abanten auf Kuboea 265.
Abdasirta v. Aniurru 347 ff.
Abdchiba v. Jerusalem 13-"). 366 f.
Abel, St. in Palaestina 92,1.
Abila, St. in Palaestina 91, 1.
Abimelek v. Tyros 353. 361.
Abirattas v. Barga 370, 4.
Abusimbel 499 f.
Achaeer 280 fl". 546 ff. 557 ff.
Achchijawa, Ld. in Kleinasien 546 ff.
- 557 ff
Achilleus 299.
Achlamaeer 348 f. 474. 476 ff. 538.
Adadnirari L v. Assur 439. 475 f.
531. — V. Nuchasse 103,2. 355, 1.
Adadsumiddin v. Babel 532, 1. 533.
Adadsumnasir v. Babel 532, 1. 533.
535.
Addaja, äg. General 3G5 Anni. 366.
Adrastos v, Sikyon 251.
Aegina 221.
Ägypten, Bevölkerungsklassen 54. 1.
105, 2.
Aeoler. Aiolos 263 f. 549.
Agamemnon 249. 298.
A'hmesnofret'ari, Kgin. 75.
'Alan, Kalksteingebirge bei Mem-
phis 74. 594.
Aitaqama v. Kinza 354—362. 369.
375 f. 440.
Ajab V. Pella 363. 365.
Ajalon, ,St. in Palaestina 366.
Akija V. Arachti 374-
Akitesub v. Ni und v. Tunip 374.
874, 8. 377, 1.
Akizzi V. Qatna 335. 355.
Akko in Palaestina 91. 104. 363, 1.
365 f. 435. 452. 467.
Aksap, St. in Palaestina 91, 1. 364, 3.
366.
Alaksanda v. Uilusa 302, 1. 439, 3.
442 1.
Alasia (Cypern) 129. 138 f. 189, 1.
153. 351, 2. 472. 546 f. 586.
Aleppo26. 30. 101. 125. 131. 133, 1.
157. 373 Anm. 376. 448.
Alexandros (Paris) 298. 302, 1.
Alse, Alzi, Ld. 874. 377. 532. 586.
Amanappa, äg. General 348 f.
Amarna, Archiv 334 ff. Stadt 898 fi'.
Amathus auf Cypern 7. 554.
Ambia, St in Phoenikien 348. 352.
Amencbatbi v. Tnsulti 343, 3.
Amenemheb, äg. General 124. 131 f.
Freiiidvölker im Grabe 109.
Amenophis L 74 ff. Grab 76, 2. 1 16, 2.
- IL 146 f. - in. 149 ff 318 ff
Tod 841. 356. - IV. 338 ff. 857 ff
380 ff.
— Hoherpriester unter Ramses IX.
605.
Amenophis S. des Paapis 422 ff.
Amenmeses, äg. Kg. 580.
Ammunira v. Berytos 360 f.
Amoriter, Amurru 18, 2. — im Li-
banon 100. 337. 847 ff. 450 ff. 468.
480. 538. 586 f. 592.
Amosis, Kg. 52 ff'. 74.
Amphiaruos 256.
'Aniq (Coelesyrien) 337. 354 ff. 378 f.
'Amu, afrikan. Ld. 119.
Am.yklae 253.
Anab, St. in Palaestina 95, 1.
'Anat, Göttin 101, 2. 457, 2. 492.
Andreus v. Orchomenos 549, 1.
Anitta, Chetiterkg. 25.
Anogas, St. im Libanon 124.
Aoner in Boeotien 266, 8.
Apheq, St. in Palaestina 90. 1.
91, 1.
Apollon 284 I'.
Apöpi III., Hyksoskg. 44. 47 f.
'Apuriu, angeb). Volk 346, 2.
Aqaiwasa, Seevolk 555 ff". 578.
Arachti, Ld. 374.
Arados (Arwad) 99. 352. 458, 2. 586.
Aramaeer 343 ff. 474.
Arawanna in Armenien 448.
Araziqi am Euphrat 133, 1.
Index
613
Ardata, St. inPhoenikien 100- 126,8.
127. 852.
Arem, afrikan. Stamm 119. 140.
Argos = Peloponnes 249 ; = Ebene
275, 1.
Arier in Vorderasien 88 ff.
Arikdenilu v. Assur 475. 548.
Arinna, chetit. Sonnentempel 482.
481.
Arkader 280. 288. 286; auf Kreta
237, 1.
Arman, Ld. im Zagros 12.
Arne in Boeotien 259.
Arnuanda III., chet. Kg. 488. —
IV. 529. 547.
'Aro'er, St. in Palaestina 367.
'Arqa inPhoenikien 100. 130. 136.
848. 8-52. 858 Anm.
Arrapcha, Ld. 129, 2.
Arsu, Choriter, in .Ägypten -582 ff.
Arrecb, Ld. 129, 2.
Artasuwara v. Mitani 161.
Artatäma v. Mitani 160; v. Charri
871, 1. 873 f. 876 f.
'Aruna bei Megiddo 90,2. 128.
Arzawa (Arzawija), Ld. in Kilikien
28. 158 f. 489. 442 f. 546. — Fe-
stung 597.
Arzawija v. Ruchizzi 854. 860.
Äser, Land und Stamm in Palae-
stina 467.
Asia, Esioneer .545, 1. 557 Anm.
Asine in Argolis 246. 270.
'Asit, Göttin 498.
Askalon 90, 1. 866. 468. 577.
Askanier (Phryger) 568, 1.
Assur, Stelen 134. 548.
Assurbelnisesu, Kg. 156. 157, 1.
Assurdän I. 585. 587.
Assurnadinache, Kg. 157, 1. 370.
Assurnadinpal, Kg. 582, 1. 584.
Assurnirari III. 534.
Assurrimnisesu, Kg. 157, 1.
Assurris'isi. Kg. 588.
Assuruballit, Kg. 155 f. 870. 489.
473 f.
Assuwa, Ld. in Kleinasieu 544.
Ast arte in Ägypten 492.
'Astarot in Palaestina 92, 1. 485.
489.
Astate, Ld. am Euphrat 378.
Athamanen 259. 272.
Athen 268 f. 277 ff'. 287. Athenai in
Boeotien 260 A.
Athena, Göttin 277 ff.
Attarissijas v. Achchijawa 547. 550.
Aulis 299.
Aziru V. Amurru 852 ff". 868 f. 874 f.
440.
Azzi, Ld. in Armenien 439.
Ba'al in Ägypten 492.
Baläische Sprache 6.
Barga, St. in Syrien 870, 4. 452, 2.
Barqän, St. in Palaestina 90, 2.
Basan, Ld. in Palaestina 92.
Bentesina v. Amurru 451. 468. 480-
528 f.
Bentres-stele 484, 1.
Berytos in Phoenikien 98. 860 f. 458.
Beschneidung 558 f.
Bet-'anat, St. in Palaestina 435. 467.
Bet-Rechob in Palaestina 92, 1. 434.
Betse'an, St in Palaestina 90. 186.
482 ff. 489.
Bet-sopher in Palaestina 485, 2.
Bibchururias, äg. Kg. 887 f.
Bier 17. 390, 1.
Bijassil v. Karkemis 876 f.
Bimbiras, chet. Kg. 25, 1.
Biridija v. Megiddo 864 f.
Biridaswa v. Jenu'am 854, 8.
Boghazkiöi 522 ff.
Botrys in Phoenikien 348.
Burnaburias, babyl. Kg. 151. 155 f.
363. 870.
Buruschanda, St. in Kleinasien 12.
16. 25.
Byblos 98 f. 188. 347 ff'. 368. 458.
Phoenik. Inschriften 458, 2.
Busruna, St. in Palaestina 854.
Chaballa, Ld. in Kleinasien 442, 1.
Chabestiu, afrik. Stamm 119.
Chabiri, Beduinen .842 fl\
Cha'emues, S. Ramses' II. 576.
Chaib, äg. Offizier 860, 8.
Chaja, Chäi, äg. General 848, l.
853, 2. 864, 8. 868, 1.
Chajasi, Ld. in Armenien 489.
Chakpis, St. in Kleinasien 447. 472.
Ghana, Ld. am Euphrat 27. 29. 80.
Chani, äg. General 864. 868 f. 400.
Chanigalbat (= Mitani) 29. 862. 477.
Chaoner in Epirus 271, 8.
Charrän (Karrhae) 844, 2. 877. 474.
Charrier (= Mitani) 5 f. 80 ff". 871. 1 .
877. 1. 878.
614
Index
Chasab, St. in Palaestina 91, 1.
Chasor, St. in Palaestina 91, 1. 363.
364, 3. 365.
Chatib, äg. Offizier 368 f.
Chattusas (Boghazkiöi), St. 2-5 f. 52-2.
Chattusil II. 157. 372 Anm. — III.
445 ff. 459. 472 ff. 477 ff.
Chazi. St. in Palaestina 91, 1. 363, 3.
Chetiter. Typus 10.445. Sprache 4 f.
19. 21. 515. Hieroglyphenschrift
526 f.
Chian, Hyksoskg. 43. 164.
Chinaton, St. in Palaestina 363.
382, 1.
Choriter in Palaestina 6, 3. 88. 433.
Chuzzija, chet. Kg. 28.
Cypern, einheim. Sprache 7. 554.
Griech. Kolonien 552 ff. vgl. Alasia.
Ragon, Gott, in Palaestina 103, 2.
Daidalos auf Kreta 213.
Damaskus 91, 1. 354.
Danaer 224 Danauna 224. 2. 556.
5.59. 561. 586. 591.
Dapur, St. in Syrien 468 f. 504 f.
Dardaner in Troas 301.
Dardani im chetit. Heer 301. 443.
Dasa, Dynast im 'Amq 354.
Dattasa, chet. St. 446.
Debir. St. in Palaestina 95, 1-
Delos' 284.
Der, St. am Tigris 533.
Der el Bahri, Tempel 113. 117. 306 f.
Dodona 269. 271.
Dodun, nub. Gott 80. 119, l.
Doloper 270.
Dorier 279 f. Auf Kreta 215 f. 572.
Dorische Wanderung 237, 1. 280,
2. 569 S.
Dotain, St. in Palaestina 90, 2.
Dryoper 270.
Dubbitesub v. Amurru 875. 2.
Dudchalia IL. chet. Kg. 125, 2. 128.
157. - III. 158 Anm. — IV. 451.
529. 581. 544. 547. — V. .529. ->86.
Duma, St. in Palaestina 367.
Dusratta, Kg. v. Mitani 152. 160 f.
Edom 93, 3. 488.
Edre'i, St. in Palaestina 92, 1. 435.
p]je. Kg. V. Ägypten 408 ff.
Ektenen, in Boeotien 266, 3.
Elam 475. 532 f. 585 ff.
F^lensis in Boeotien 260 Anm.
Elis, Beziehungen zu Thessalien
263 Anm. 275, 2.
Elkab, Gaufürsten und Gräber 59.
68. 90.
Ellilkudurusur v. Assur 534 f.
Ellilnadinache v. Babel 536.
Ellilnadinsum v. Babel 532, 1. 533.
Ellilnirari v. Assur 475.
Elysion 214 Anm.
'En'anab, St. in Palaestina 95, 1. 367.
Enkomi auf Cypern, Gräber 552, 1.
565 f.
Ephraim 486, 1.
Epiroten 269 f.
Erechtheus 278.
'Esau, Gott 492, 1.
Eteokles. Eteoklos 257, 1. 549.
Etrusker 556.
Euboea 264 f.
Europa 254, 3.
Eurytanen 272, 1.
Fenchu, angebt. Volksname 83 An-
merk. 97, 1.
Gader, Festung im Libanon 435.
Gagaeer 29, 1.
Gari, Ld. in Palaestina 367.
Garsaura, St. in Kappadokien 12.
Gasgaeer. kleinas. Volk 438 f. 448.
447. 472. 479.
Gaza 90, 1. 121. 366. 367, 6. .56L
Gazer in Palaestina 90, 1. 148. 364.
366. 577.
Gaziura, St. in Kappadokien 447.
Geba', St. in Palaestina 95. 2.
Gem-aten, St. in Nubien 885. 496.
Gennezaret 91.
Germanen 38 ff'-
Giaurkalessi, Ruinenstadt in Klein-
asien 528. 544.
Giluchepa, mitan. Prinzessin 160.
Gimtiasna, St. in Palaestina 90, 2.
Gimtikirmil in Palaestina 90, 1.
Gnbtu, Volk am Arab. Meerbusen
120 Anm.
Gorgoneion 32. 528, 1.
Gjsen 488.
Graer, Graiker 265-
Gaddasuna, St. in Palaestina 91, 1.
Gurnia auf Kreta 209.
Gutaeer 475, 1. 477, 2. 531.
Guzana (Teil Chalaf) in Mesopo-
tamien 29.
Index
615
Habes, Abessinien 119 f.
ijadid, St. in Palaestina 90, 1.
yamat, St. in Palaestina 92, 2. 434.
yaremhab, äg. Kg. 341. 401 ff. 499, 1.
^latsepsut, äg. Kgin. 112 ff. 306 f.
Haunebt = Kreta 54. 10.5. Auf das
Euphratgebiet übertragen 104, 2.
105, 2.
Hebraeer 845 f.
Hebron 95, 1.
Hekalim, bt. in Palaestina 92, 1.
Helena 197. 297 f.
Hellopia 270.
"FAXot 270. 281.
Heraklessage 2.50. 252, 2. 261.
Heraklidenstammbauni 281, 2. 291. 2.
yeriusa*, „Sandbewohner", in Afrika
81.
Hesiod, Tagwählerei 419, 1.
Hiobstein in Palaestina 489.
Holajaflußland in Kleinasien 439, 1.
442, 1.
Horuswege, Landschaft am Isthmus
143, 2.
Hrihor, Hoherpriester u. Kg. 605.
yuij Grabgemälde 141, 2. 406. 407. 1-
Hyakinthienfest 253.
Hyanten in Boeotien 264 Anm. 26n.
Hyksos 41 ff. 47 ff. 84 f.
Hyrieus, Schatzhaus des H. 266.
".595. 2.
lalysos auf Rhodos 268. 281, 4.
'Ijon, St. in Palaestina 91, 1.
Illyrier 567. 574.
Indar-uta v. Aksap 364, 3. 366.
Inder in Mitani 34 ff.
Indogermanen. Herkunft und Aus-
breitung 20 f. 38 ff.
Indra in Mitani 34.
lonier 282 ff.
Isis als große Göttin des Zaubers 330.
Isopata auf Kreta, Grab 201. 249.
Israeliten 344 f. 434. 486. 577.
Istar von Ninive 134. 356. 520.
Tsuwa, Ld. am Euphrat 158. 372.
373 f.
Italien 573 f.
Itonos in Boeotien 228, 2.
Jancham, äg. General 349, 1. 350 ff.
359. 364. 367.
Japachaddi, Ägypter 3.52, 2. 353, 1.
368 Anm.
Japhet, lapetos 182 f. 561.
Ja'qob'el, St. in Palaestina 92, 1.
Ja'udi im Amanosgebiet .345, 1.
Jehem, St. in Palaestina 90, 1.
122.
Jenu'am, St. in Palaestina 124. 354.
434. 577.
Jericho 86. 96.
Jerusalem 95. 135. 366 f.
Jible'am, St. in Palaestina 90, 2.
Joppe 90, 1. 367, 6.
Joqne'am, St. in Palaestina 89, 2.
90, 2. 91, 1.
Jsp'el in Palaestina 89, 2.
Jursa, St. in Palaestina 90, 1. 121.
Kadasmancharbe L, Kg. 152. 155
Anm. (474) — II. 532. 1. .533.
Kadasmanellil IL, Kg. 448. 478 f.
Kadasmanturgu, Kg. 448. 478.
Kadmeer 254 ff.
Kafti (Kreter) 107 ff 139. 182 ff.
Kahak, libyscher Stamm 81. 431.
578. .584. 594.
Kakovatos (Pylos), Kuppelgräber
254.
Kamose, Kg. 49 ff.
Kana'an 88 f. Festung 433.
Kanes, St. in Kleinasien 5. 12. 16.
24. 447.
Kaptor 94, 3. 108 f. 560.
Karachardas, Kg. 153, 3.
Karaindas I. 153. 156 Anm. ^ IL
153, 8. 155 f. 370. 474.
Karer 216.
Kari. Grenzland in Nubien 79. 1 50.
Karkemis 28. 131. 376. 378. 439.
443. 476. 586.
Karkisa in Kleinasien 473. 493, 2.
Karnak, Tempel 73. 115. 121. 308 ff.
428 f. 497. 597.
Kasijargebirge 476 f.
Kaspier 41. 1.
Kastilias IL 532.
Kelte (Qe'ila) in Palaestina 95, I.
366.
Kidinchutrudas v. Elam 532.
Kikkuli V. Mitani, Werk über Pferde-
zucht 84 f. .521.
Kiliker in Ägypten 493.
Kinyras v. Paphos 555.
Kinza (=: Qades) 100; s. Aitaqama.
sar kissati, assyr. Königstitel 27.
681.
616
Index
Kizwatna (Kappadokien) 158, 1. 372
Anm. 373. 447. 514. 529.
Komana 158, 1. 441. 511.
Kopaissee 259. 261, 4.
Kossaeerreich 27. 80. 40 f. 137, 5.
153. 475. 536.
Kreta, Kreter 162 ff.; vgl. Kafti.
Bei den Philistern 94, 3. 560.
Kudmuch. assyr. Provinz 134. 475.
Kudurnachunte von Elam 536.
Ä;(fdztr/Vf,babyl. Urkundensteine 541.
Kültepe in Kappadokien, assyr. Ko-
lonie 13. 17. 23.
Kumidi, St. in Palaestina 91, 1. 354.
359, 3. 485.
Kummuch (Kommagene) 475, 1.
Kureten 264 Anm.
Kurigalzu I. u.U. 154. 1-55, 1. —
III. 475. 533.
Kurion auf Cypern 553.
Kus (Nubien), Provinz und Statt-
halter 80 f. 140 f. ; in den Amar-
natafeln Kasi 137, 5.
Kusae, St., Grenze der Thebais 51.
GG.
Kussar, chetit. Stadt 25. 512.
Kutmar am Tigris 374, 2.
Kuwalija, Ld. in Kleinasien 442. 1.
Kykladen 263 f. 268.
Labaja. Dynast, in Palaestina 336.
364 f. 366.
Laban, Ahne der Aramaeer 844. 2.
474.
Labarna (Tabarna), chet. Kg. 25.
Labyrinth in Knossos 189, 2; im
Faijüm 314 Anm.
Lais, St. in Palaestina 91, 1-
Lakis. St. in Palaestina 90, 1. 103, 3.
.366.
Lapana, St. in Syrien 354.
Lazpas in Kleinasien, nicht gleich
Lesbos 549 f.
Libanon 124 f. 135 f. 35-5, 1. 485.
äg. Festung im L. 125. 462, 2.
Libyer, Völkertypen 81, 4. 435, 4. —
Geichichte 81. 142. 405. 430 f.
435 f. 566. 575 ff. 588 ff.
Lulachi-Götter, chetit. 342.
Lulubaeer (Lulumaeer) 475. 538.
Lupakku, chetit. Feldherr 378 f.
Luwier, Volk und Sprache 6.
Lydda in Palaestina 87, 4. 90, 1.
Lyder, Stammbaum 556, 2.
Lykier (Luka, Lugga) 214. 286. 301 f.
443. 545 ff'. 555 ff'. 578.
Luxor, Tempel 315 f. 319. 408. 497.
Machas, St. in Palaestina 90, 1.
Magdol, Festung in Ägypten 590.
Maja, äg. General 364, 4.
Majarzana v. Chazi 363. 8.
Makedonen 273 f.
Malta. Steinhäuser 219.
Manda. Nordvölker 12. 35, 3.
Mardukbaliddin I. v. Babel 585.
Marduksapikzer v. Babel 537.
Marjanni, arische Krieger 34. 48.
83, 1. 102 ff'. 161. 374. 377. 405.
4,59. 2.
Mäsa, kleinas. Volk 22, 1. 443.
Masauasa (Maxyer), libysches Volk
481. 575 f. 578 f. 588 f.
Mattiwaza, Kg. v. Mitani 377 f.
Mazoi, nubische Polizeitruppe 81.
899.
Me'am, St. in Nubien (Ibrim) 142.
Medinet Habu, Tempel 595 f.
Megären 223. 243.
Megiddo 90, 2. 123 f. 364 f.
Melisipak I. von Babel 155 Anm. —
II. 535.
Melitene 477.
Melos 162. 216. 26H. Fischer vase
182, 2. „Hausmodell" 219, 2.
Melucha,BezeichnungNubiensl37,5.
Menelaos 298.
Mencheperre'senib, Grabgemälde
109. 132, 2.
Mennus in Nordsyrien 452, 2.
Merneptah, Kg. v. Ägypten 529 f.
576 ft'. Brunnen M's bei Jerusalem
577 f. — Merneptah Siptah 580 f.
Merom, St. in Palaestina 91, 1. 467.
fjiEpons? 270.
Mideia in Argolis 216.
Migdol, St. in Palaestina 90, 1, vgl.
Magdol.
Milet 551 f.
Milkil, palaestin. Dynast 364 fi'.
Millawanda, Ld. in Kleinasien (Mi-
lyas) 545,2. 546.
Minoa 213 f. 561 (Gaza).
Minos 212 ff.
Minotauros 212, 2.
Minyer 262 f.
Mira, Ld. in Kleinasien 442, 1. 479.
480. 1.
Index
617
Mis'al, St. in Palaestina 91, 1.
Mitani, Reich 28 f. 33 ff. 101. 125 ff.
130. 133 f. 147 f. 152 ff. 160 ff.
350 ff. 369 ff. 439, 3. 476 f.
Moehlos auf Kreta 209.
Molosser 271. 272 Anm.
Mopsos 271 Anm.
Mopsopia, Name Attikas 267, 1. 270.
Mopsion in Thessalien 271 Anm.
Moscher, kleinas. Volk 586.
Mursil I., chet. Kg. 25 f. - II. 337. 2.
339 f. 438 ff. .546. 549.
Musanez, Ld. in Kleinasien 443.
Mutakkilnusku, Kg. v. .Assyrien 537.
Mutira, St. in Syrien 468.
Muwattal, chet. Kg. 445 ff'. 4.^8 ft'.
469. 472.
Muzri, Ld. bei Ninive 440. 474.
Mykene 225 ff. Kriegervase 563.
Myser 568 f.
Na'aruna, Truppenname 430. 462.
464.
Nabudän, Kg. v. Assur 531.
Naharain, Ld. am Euphrat 101.
Nairiländer in den armen. Bergen
532.
Namjawaza. syr. Dynast 354. 358. 363.
Napata in Nubien 80 f. 142.
Naramsin v. Akkad 12.
Nauplia in Argolis 245 f.
Nazibugas, Ursurpator in Babel 475.
Nazimaruttas IL, Kg. v. Babel 155 f.
475.
Nebukadnezarl. v. Babel 536, 2. 538.
Nechen, Gaufürsten von, 81, 1.
Negeb in Palaestina 90, 1. 94. 129.
Neger im Heer Ramses' III. 579.
588._ 592.
Nemaju, nub. Stamm 119.
Nerab in Nordsyrien 133, 1.
Ni, Neje, St. im Euphratgebiet 101.
107. 128. 131. 147. 355. 372.
Ninive, Istar von 1.34. 356. 520. Im
Besitz von Mitani 134. Assyrisch
473.
Ninurtanadinsum, Kg. v. Babel 537.
Ninurtapalekur, Kg. v. Assur 535.
Ninurta-Tugultiassur, Kg. v. Assur
537.
Nippur, St. in Babylonien 154, 1.
533.
Nofret'ari, Gemahlin Ramses' IL
482 f. 500.
Nofret-ite, Gemahlin Amenophis' IV.
388. 397. 400. 409.
NofrureS Tochter der IJatsepsut 115.
121, .8.
Nubien 51. 79 f. 111. 137, 5. 140 ff.
495 f. 499. 506.
Nuchasse, Ld. in Syrien 101. 108, 2.
124, 2. 35.5. 362. .368. 871 Anm.
374 ff 440. 443. 473.
Nympha_on, chetit. Relief von N. 544.
Oasen ^2.
Ody^seus 286. 289.
Oedipus 256 f.
Ono, St. in Palaestina 90, 1.
Orchomenos in Boeotien 260 ft'. 279.
Oropos, St. der Graer 265.
Osarsiph bei Manetho 422 ff. 583 f.
Osymandyas, Grab (Ramesseum)
498, 2.
Pabach, Ld. in Syrien 452, 2.
Pachamnata,, äg. General 347. 348, 1.
Pachor (Bichura, Puchura), äg. Ge-
neral 359.
Palladion 241 f. 277.
Pamba, chetit. Kg. 12. 24, 1.
Pamphyler 548.
Päpanikri, Ritualschrift des P. 521,1.
Paphos auf Cypern 553. 555.
Pawara, äg. General 360, 3. 364, 4.
Pelasger 218, 3. 231, 3. 237, 1.
Pella, St. in Palaestina 92, 1. 2. 365.
433.
Pelops 250. 270.
Petor in Mesopotamien 133, 1.
Pferd 23. 32. 34 f. 44 f.
Phaestos, Diskus 217 f. 561 f.
Pharis in Lakonien 253, 1.
Philister 218. 556. 560 ff. 579. 586 ff.
590 f. 593.
Phlegyer 262, 2.
Phoeniker 83. 97, 1. 138. 435. 452 f.
479. 489. 491. .593.
Phoenix 255 Anm.
Phryger 567 f.
Phylakopi auf Melos 162.
Pitasa, Ld. in Kleinasien 443.
Pitom, St. in Ägypten 454, 3. 487 f.
Pleuron in Aetolien 263 f.
Poseidon 278. 280, 2. 282. ..
Prophetische Literatur in Ägypten
424 f.
Prosymna in Argolis 242. 244. 2.52.
618
Index
Pseira, Insel bei Kreta 209.
Pucluchepa, Gemahlin ChattusirsIII.
441. 472. 483.
Puemre'^, Grabgemälde und Inschr.
106, 5. 143, 2.
Punt 117 ff. 140. 142 f. 490 f. 594.
Puranda (Pyramos) in Kilikien
1.Ö9, 1. 439, 1.
Purukuzzi, Ld. am Euphrat 532. 586.
Puzurassur I\^ v. Assur 157, 1.
Pylos im Peloponnes 254.
Qades am Orontes 100 f. 122 ff.
130 ff. 443 ff'., vgl. Kinza u. Aita-
qama. Schlacht bei 438. 458 ff.
504. — Göttin 100 f. 497. — in
Galilaea 450.
Qana, St. in Palaestina 91, 1.
Qart'aiiab, St. in Palaestina 435.
Qatna, St. in Syrien 354, 3. 355. 374.
Qedi, Ld. in Nordsyrien 102. 122.
443. 471. 493. 495. 686.
Qe'ila, St. in Palaestina 9.5, 1. 366.
Qir, Wüstenheimat der Aramaeer
344, 2. 474.
Qirjatsopher, St. in Palaestina 95, 1.
Rachmanum, äg. Offizier 364, 4.
Ramses I. 427 f. — II. 44S f. 455 ff".
- IIL 583 ff. — iV. 417. 601 ff.
— V.-XI. 604 f. — Ramses Sip-
tah 580 f. — Stadt 453 f. 487, 5.
494 f.
Rechmere', Vezir 62, 1. 107. 135.
Grab 1.36.
Rechob in Palaestina 92, 1. 434.
Resep, Gott 492.
Rezenu (Palaestina) 83, 1. 87. 135 f.
Rhadamanthys 214, Anm.
Rhampsinit 595, 2.
Rhinokorura in Ägypten 413, 2.
Rhodos 268 f.
Rianappa, äg. Offizier 364, 4.
Ribaddi V. Byblos 335 f. 347-364.
Rosqados in Phoenikien 101.
Rubnte, St. in Palaestina 90, 1.
Ruchizzi, Ld. in Syrien 354.
Sabili V. Amurru 451.
Sagaraktisurias, Kg. v. Babel 530. 3.
533, 2. 537.
Sakalsa (Sikeler?) 220. 555 ff. 578.
586.
S'akere', Kg. v. Ägypten 400.
Salamis, St. auf Cypern 553 f.
Salem, St. in Palaestina 467.
Salmanassar I. v. Assur 343. 476 f.
Salmone, St. in Elis 275, 2.
Samucha, St. in Kleinasien 473.
.Samchuna, St. in Palaestina 91, 3.
Samsedom, St. in Palaestina 91, 1-
93,3. 147.
Samsiadad II. v. Assur 15, 1. 27.
Sangar (Sanchara), d. i. Sinear (Ba-
bylonien) 103, 1. 128. 439, 3. 457.
Sauden, kilik. Gott 6.
Saratu v. Akko 363, 1.^
Sardinien 218 f. vgl. .Serdana.
Sargon v. Akkad 11 f. 1-5, 1. — v.
Assur 13.
Sarön, St. in Palaestina 91, 1. 3.
Sarrupsa v. Nuchasse 362. 374 f.
.Saruchan, St. in Palaestina 52. 82.
^ 95. 12L
Saschimi, St. in Palaestina 91, 1.
Sattuara v. Mitani 476.
Satuna, St. im Libanon 468.
Sauska, charrische Göttin 134, 1.
161.
Saussatär v. Mitani 125. 133.
Sechaflußland in Kleinasien 442, 1.
472, 2.
Se'ir, Ld. südlich v. Palaestina 9.3, 3.
587, 2. 593.
.Sem, Ahne der Hebraeer 346.
Sendjirli, Skulpturen 31 f.
Senmut, Vezir der Hatsepsut 106.
114 f. 116 f. 121. 306.
Serdana im äg. Heer 57 f. 219. 430.
457 f. 495. 579. 584. 588. Kriegs-
züge gegen Ägypten 457 f. 555 ff".
578. 586 ff.
Sesebi in Nubien (Gem-aten) 885.
Setfest 149, 2. 381 A. 383 f.
Sethos L 431 ff". 491. 497. 499. —
IL 581.
Setnacht, Kg. 582 ff".
Sfat, St. in Palaestina 90, 2.
Sichern, St. in Palaestina 95. 364.
Sichor, Lagune im Delta 494.
Sicilien in rayken. Zeit 219.
Sidon 98. 349. 361.
Sigata in Phoenikien 852.
Sikeler 557. ,574; vgl. Sakalsa.
Sile, ägypt. Grenzfeste 93. 122.433, 1.
453. 461. 489.
Simyra in Phoenikien 100. 127. 136.
347 ff. 8.52. 858 ff. 868. 4-52. 471.
Index
619
Sinaihalbinsel, ägypt. Provinz 143.
595.
Sinear s. Sangar.
Sinzar, St. in Syrien 101. 128. 131.
355 (Zinzar).
Siptah, äg. Kg. 580 f.
Soko, St. in Palaestina 90, 1.
Solymer 545.
§or'a, St. in Palaestina 366.
Sos, Beduinen Palaestinas 93. 112.
129. 431 ff. 466. 486 ff. 592 f.
Styx in Arkadien 286, 2.
Subanda, Dynast in Palaestina 364, 3.
Subari in Mesopotamien (Mitani)
362, 3. 440. 474 ff. 532.
Subbiluljuma. chetit. Kg. 339. 350 f.
355 f. 361 f. 868 ff 400. 404. 436 f.
512.
Suezkanal 117. 487. 595.
Sukkot, St. in Ägypten 488.
Sum-adda v. Samchuna 363, 1.
Sunassui-a, Kg. v. Kizwatna 373.
.Sunem, St. in Palaestina 90, 2. 364 f.
Surata v. Akko 349, 1.
Süta, St. in Mesopotamien 374, 2.
Öuta, äg. General 363, 2. 365 Anm.
Sutarna, Kg. v. Mitani 160; ein
späterer 374, 1. 375 f.
Suti, beduinische Schützen 1*3. 137.
343. 366, 5. 369. 474. 476.
Sutruknachunte v. Elam 535 f.
Suwardata v. Qe'ila 366 f.
Ta'anak, St. in Palaestina 90. 2.
123.
Tabarna (Labarna), chetit. Kg. 25.
Tachas in Coelesyrien 132. 147. 149.
354. 358.
Taduchepa, mitan. Prinzessin 356 f.
Tagi, Dynast in Palaestina 864 ff.
Takuwa v. Ni 374. 377, 1.
Tanagra 265,3.
Ta'o I. u. IL von Ägypten 47 f.
Tarchundarab v. Arzawa 152. 159.
Tarqu, kleinas. Gott 6. 9.
Tausert, äg. Königin 581.
Tebach (Tubichi) in Palaestina 91, 1.
132, 1.
Teje, Gemahlin Amenophis' III. 152.
IGO. 319. 357. 898.
Telibinus, chetit. Kg. 27 f. 518. —
V. Aleppo 376. 441.
Teil Chalaf in Mesopotamien 1.5, 1.
29. 33.
Temmiker in Boeotien und Attika
260 Anm. 267. 1.
Tenni, St. in Palaestina 83, 1, vgl.
ISO, 2.
Tesub, kleinas. Gott 32. 42.
Tettev.Nuchasse37lAnm. 373 Anm.
375.
Teukrer 301. 569.
Teuwatti v. Lapana 354.
Theben in Boeotien 254 f.
Thera 262.
Theseus und Helena 297. 298, 1.
Thouti. äg. General 139, 2.
Thutmosis I. 75 f. 79 f. 308. 310, 1.
Grab 116, 2. 204. Palast in Mem-
phis 407. — II. 110 ff. — III. 76.
112 f. 120 ff. 309. — IV. 148 f.
sein Streitwagen 149. 311.
Tinniru, Stadt am Chaboras 133, 1.
Tiryns 242 ff. Sagengeschichte 2-50, 2.
252 Anm.
Tob, Ld. in Palaestina 92, 1.
i'ogarma, Ld. in Kappadokien 28.
Tombos, Inschrift v. 79, 1. 80. 82, 4.
104 f. 127, 3.
Torrlieber, lydischer Stamm 556, 2.
Tramilen (Lykier) 545 f.
Triton in Boeotien 260 Anm. 278-
Troja, Troer 300 f. Angebl. bei den
Chetitern 545, 1.
Tubichi (Tebach) in Palaestina 91 . I .
132, 1. 364 Anm.
Tuchi, Usurpator in Mitani 161-
Tugultininurta I. v. Assur 531 fl'.
tuhir, chetit. Fußvolk 102, 8. 126.
445, 1. 459, 1. 460, 2. 557.
Wadi Tümilät 487 f.
Tunanat in Syrien 130, 2. 355.
Tunip, St. in Syrien 30. 109. 126 f.
130 ff. 355. 358. 368. 374 f. 376.
443. 469...
Turbicha, Ägypter 353 Anm.
Tursa 555 ff". '564. 566. 578 f. .588.
Tusulti, St. in Palaestina 91, 1.
363, 3.
Tut'anch-amon, äg. Kg. 401 ff.
Tyana in Kleinasien 25.
Tydeus, Aetoler 258.
Tyros 98. 122, 1. 349. 353. 360 f.
435. 4.52.
Tyrsener 556, vgl. Tursa.
üarzet, St. in Syrien 126- 133.
Uases, Seevolk 556. 559. 586.
620
Index
Uauat, nubische Provinz 140 f.
149.
Ubi, Gebiet von Damaskus, 88. 92.
3.54. 358.
Ugarit, St. in Syrien 29, 1. 132. 142.
349.. 4. 352. 443.
Uilusa, Ld. in Kleinasien 439, 3.
..442,1.
Üjük, chetit. Stadtruinen 525.
üllaza, St. in Phoenikien 100. 127.
348. 352. 452.
Urchitesub. chetit. Kg. 472 f. 479.
üruatri. Urartu, in Armenien 475. 1.
476, 2.
User, Vezir Thutmosis' III. 106.
üsu (Palaetyros) 98. 360. 435.
Wassuganni, Hauptstadt v. Mitai
29. 374. 376. 378. 476.
Wezentiu, Inselvolk 142. 1.
Zaban in Assyrien 535.
Zahl, Phoenikien 88, 1.
Zakkari, Seevolk 556. 560 tf. 579.
.586 ff. ^590 f. 597.
Zamamasumiddin v. Babel 535 f.
Zaru s. Sile.
Zatatna v. Akko 363, 1.
Zehenu, libyscher Stamm 81, 4. 436
Anm.
Zemhu, libyscher Stamm 81, 4. 436
Anm.
Zeus als Lokalgott 276 f. — Z. her-
keios 223.
Zidä (Zitana), chetit. Prinz 159, 8.
379, 1. 446, 1. 472.
Zimrida v. Sidon 349. 360. 361, 2.
Zinzar, St. in Syrien 131. 355, siehe
Sinzar.
Ziribasani, St. in Palaestina 92, 1.
589, 2.
Zurata v. Akko 365 f.
Tafel 1
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r
Semitische und arische (Tefaii,t>'cne, von Äg-yptern geführt
Aus dem Grabe des Haieuihab (Leiden, nach ihotograpliie)
Tafel 11
KrctiseliLM- Ucsjui'lter
Aus dem (ir.ibe des .Senmut. Theben, Fremd vr.Ikerphot. 742
^j^iM^tm^
Gesandtschaft der Kafti
Aus dem G. abe des Rechmtr;-. Theben, nach der Zeichnnno- v,n, Hay im British M,
Tafel III
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Kafti
aus dem tirabe des Rechmere.
Theben, nach der Zeichnung
von Hay im British Museum
Kreter
t.us dem Prozessionsfresko voi
Knossos. Nach Dussaud,
Civil. ))rt'helU'ii. «. CO
Kretischer Fürst und Offizier auf einem Steatitbecher
Aus Ilagia Triada. Nach Dussaud, Civil, prelielh'n. S. ö4
Tafel IV
Tafel V
-^V\^"
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Serdiiua aus der (ianle Humses* II.
Abydos, Frt'mdvölkerphot. 84
;^ '^.
I (
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h WS^^J:
Bcduinon. Syrer und Chetiter aus der Sehlacht l)ei <,)ade>
fiUxor, Freiudviilkerpliiit. 425
Tat>l VI
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H
a u. b Krieger von der myke-
nisclien Kriegervase
Nach Tsnntas-Manatt. Myc. agH
Tafel 18
^V
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c
'I'iiisa im iigv)itiscbt'n Heer in der Liltyerschlacht l»ainses' Hl.
Mcilinet Habu. nacli Fremdvölkerpliut. 4M4
Philister aus der Secvsehlaclit Hanises' 111.
Mediiiet Halju. nacli Fivnnl v.Ukeri.lior. 4.i.-. A
Tafel VI
Silbervase uns tleni vierteil .SthiielitgraJ) von Mykene
Nach K. Müller. Archntol. .lal.rb. XXX. 3J(I
^^^^^
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I '\v;'ri.'.
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I
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Üdtiiiffl«fa
Philister und Serdana, Tursa. Ne^er im Heere Ifaiiises" III.
Mediupf Haliu. FiviM,lvnIkernl:of. \-l\)
Tafel VIII
(Toldrinu-e
vierten Sfhachturnb vun i\Jykfnp. nach Pliotograpliie. b aus M,\ keiie. nach Photographi
c uiid ü ans Mykene, e aus Knossos. f SiegelalMlrui k au> Knossos
Nacli Kam. Religion des äoaeis( lien Kreisi's Nr. 75. 7*i. 74. ßß
J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachf., Stuttgart u. Berlin
EDUARD MEYER
Geschichte des Altertums
i.Bd., I.Hälfte: Einleitung. Elemente der An t lirop ologie.
5. Aufl. Geh. Rm.7. — , GanzleinenRm. 9.50, Haibieder Rm. 14.—
1. Bd., 2. Hälfte: Die alt est en geschichtlichen Völker und
Kulturen bis zum sechzehnten Jahrhundert. 5. Aufl.
Geh. Rm. 26. — , Ganzleinen Rm. 30. — , Halbleder Rm. 36.—
Nachtrag zu Band 1: Die ältere Chronologie Babyloniens,
Assyriens und Ägyptens. Geh.Rm.3. — , Ganzleinen Rm. 5.-
. . . Eduard Meyers großzügige Darstellung stützt sich auf eine er-
staunliche, bis in die kleinsten Einzelheiten gehende Kenntnis fast
aller in Betracht kommenden Wissenszweige und ihrer Literatur,
und der großartige Überbhck über das gesamte, ihm überall sofort
gegenwärtige Material und damit über voneinander weit ab-
liegende analoge Erscheinungen ist es, der seiner Geschichte des
Altertums ihre Bedeutung und ihren Reiz verleiht.
Literarisches Zentral blatt, Leipzig
. . . Indem E. Meyer sich in seiner umfassenden Gelehrsamkeit in
diesem Nachtrag mit den Anschauungen anderer Forscher ausein-
andersetzt, kommt er schließlich zu dem weltgeschichtlich bedeuten-
den Ergebnis, daß Ägj'pten die Priorität nicht nur vor Babylonien,
sondern in der gesamten menschlichen Entwicklung behält. Den
Lesern des 1. Bandes wird diese Darlegung des gx-oßen Gelehrten
hochwillkommen sein. Hamburger Nachrichten
Caesars Monarchie
und das Principat des Pompejus
Innere Geschichte Roms von 66 bis 44 v. Chr.
Dritte Aufh
Geheftet Rm. 10.—, Ganzleinen Rm. 15.50
. . . Wie über Droysens Beurteilung der deutschen Politik Preußens
Erdmannsdörffer und Koser haben hinaiiskommen müssen, so hat
der V^erfasser erst gege.\ Mommscn die Möglichkeit erwiesen, eine
rr.mische Geschichte über Caesars Tod hinaus zu schreiben mit
dem Verständnis für das Principat als das natürliche Ergebnis
römischer Geschichte ...
Das humanistische Gymnasium, Leipzig
. . . Wer die wissenschaftlich meisterhaft fundierte, prachtvoll dra-
matische Darstellung bewegten Herzens liest, wird den Erfolg des
Buches verstehen. Süddeutsche Monatshefte, München
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EDUARD MEYER
Ursprung
und Anfänge des Christentums
In drei Bänden
1. Band: Die Evangelien. 4. und 5. Auflage. Geh. Rm. 10. — .
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Nazareth. 4. und 5. Auflage. Geheftet Rm. 15.—, Halbleinen
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5. Band : Die Apostelgeschichte und die Anfänge des
Christentums. 1.-3. Auflage. Geheftet Rm. 20. — , Halbleinen
Rm. 25. — , Ganzleinen Rm. 23.50
. . . Mit Recht ist der vorzügliche Kenner des Altertums in allen
seinen Kulturerscheiriungen inzwischen von der Friedrich -Wil-
helms-Universität mit dem Titel eines Ehrendoktors der Theologie
beliehen worden, hat er es doch in diesem seinem Werke meister-
haft verstanden, seine hervorragenden Kenntnisse des Altertums
für das bessere Verständnis der christlichen Zeiten bis in die An-
fänge der katholischen Kirche hinein nutzbar zu machen ... An
Eduard Meyers ebenso großzügigem wie subtil sorgfältigem
Werke kann künftig niemand vorübergehen, der sich ernstlich
wissenschaftlich mit den ersten drei Jahrhunderten des Christen-
tums beschäftigen will. Kölnische Zeitung
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und der Krieg gegen Deutschland
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Eduard Meyer hat uns mit seinem Buche „England" ein ausge-
zeichnetes Kriegsbuch geschenkt, das in lebendiger, fesselnder
Darstellung eine Fülle von Belehrung bietet und uns die Zu-
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wortung geschärft . . . Vossische Zeitung
Zweiter Band :
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In Auseinandersetzung mit Marx und mit Hegel
Geheftet Rm. 15. — , Ganzleinen Rm. 18.—
. . . Schon heute läßt sich sagen, daß hier eine empirische Ge-
schichts- und Kulturphilosophie erwächst, die, was man auch in
Einzeliieiten dagegen vorbringen mag, durch Weite des Blicks
und eine sensitive Feinheit für Einzelfragen sich dem Bedeu-
tendsten an die Seite stellt, was heute geschrieben wird.
Literar. Berichte a.d. Gebiete der Philosophie, Erfurt
Dritter Band:
Der Weg der Menschheit
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Eine erste, biologisch erkennende Universalgeschichte. Mit diesem j
dritten Bande erhält Kurt Breysigs große Geschichtslehre ..Vom
geschichtlichen Werden" ihren krönenden Abschluß.
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Zweite, stark vermehrte Auflage
Geheftet Rm. g. — , Ganzleinen Hm. 12. —
Neben das größere Werk „Vom geschichtlichen Werden" tritt in
zweiter, mehrfach veränderter Auflage diese Studie über die Ent-
wicklungsalter der Menschheit . . . Aus einer Auseinandersetzung
mit Oswald Spengler sei die Warnung vor allzu weitgehendem
Vergleich von Volkern und Einzeimenschen hervorgehoben ... Als
Gesamt wurf ist das Buch das unentbehrliche Rüstzeug und eine
unerschöpfliche Quelle tiefer Anre^'ungen für jeden Geschichts-
philosophen von Fach und Neigung geblieben.
Deutsche Rundschau, Berlin
.1. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachf., Stuttgart u. Berlin
KARL HENRING
Johannes von Müller
1752 — 1809
Auf den hundertsten Gedenktag seines Todes im Auftrage des
historisch-antiquarischen Vereins des Kantons Schaffhausen
herausgegeben
Erster Band: 1752 — ^1780
Mit 6 Abbildungen. Geheftet I'.m. 8. — . Ganzleinen Rm. ii. —
Zweiter Band: 1780 — 1804
Mit 5 Bildnissen. Geheftet Rm. 20.—, Ganzleinen Rm. 24.—
Das muß eine wahre Freude gewesen sein, das Bild des werden-
den Mannes immer deutlicher zu erkennen und mit immer kräf-
tigeren Strichen zu umschreiben. Denn die Entwicklung Müllers
nimmt von früh an die Richtung in das Große. Eine außerordent-
liche Begabung wurde durch einen in das Riesenhafte gesteigerten
Fleiß zu den höchsten Leistungen befähigt, die frühe und klar
erfaßte Erkenntnis der Lebensaufgabe veranlaßte den jungen
Mann, immer weitere Wissensgebiete sich zu erobern imd zu be-
herrschen, so daß man ihn mit Staunen auf der Menschheit Höhen
wandeln sieht in Lebensjahren, in denen der gewöhnliche Sterb-
liche bescheiden sich abmühend, unbemerkt unten durch geht. . .
Der Verfasser verfügt über eine schöne, einlache, pathosfreie
Sprache. Die Darstellung gewinnt umso mehr an Überzeugungs-
kraft, als zahlreiche, besonders charakteristische Stellen aus Briefen
in den Text aufgenommen worden sind. Der Bund, Bern
Der gewaltige zweite Band von Henkings Müller-Biographie führt
das Werk noch nicht zu Ende, vielmehr sollen der Berliner und
der letzte Kasseler Aufenthalt (1804 — 1809) noch in einem ab-
schließenden Bande dargestellt werden. Die hier geschilderten
24 Jahre umfassen hauptsächlich die Zeit von Müllers Dienst beim
Kurfürsten von Mainz und in der österreichischen Staatskanzlei,
zugleich aber die Zeit seines bedeutendsten literarischen Schaffens
(„Schweizergeschichte"). Gestützt auf ein überwältigend um-
fassendes, gewissenhaft verarbeitetes Material (50 000 Briefe und
Akten des handschriftlichen Nachlasses in der Schaffhausener
Bibliothek!) von primärem Quellenwert, hat Henking das Bild des
großen Historikers liebevoll, aber auch mit dem Mut zu sirenger
Wahrheit geschrieben. Li t erar. Zentralblatt, Leipzig
D
57
M582
1907
Bd. 2
Abtlff.l
Mever, Eduard
Geschichte des Altertums
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