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Full text of "Geschichte des Alterthums"

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GESCHICHTE  DES  ALTERTUMS 


GESCHICHTE 

DES 

ALTE  RTUMS 

VON  '   ' 

EDUARD  MEYER 


ZWEITER  BAND 

ZWEITE,  VÖLLIG  NEUBEARBEITETE  AUFLAGE 

ERSTE  ABTEILUNG: 

DIE   ZEIT   DER  ÄGYPTISCHEN  GROSSMACHT 
Mit  8  Tafeln  Abbildungen 


J.  G.  COTTA'SCHE  BUCHHANDLUNG  NACHFOLGER 
STUTTGART  UND  BERLIN  1928 


I 

Alle  Rechte  vorbehalten 


Druck  der  Union  Deutsche  Verhigsgesellschal't  in  Stuttgart 


Vorwort 

Mit  dem  vorliegenden  Bande,  der  im  Anschluß  an  die 
ursprüngliche  Gestaltung  des  Werkes  die  Bezeichnung  Bd.  IP 
erhalten  mußte,  nehme  ich  die  vor  drei  Jahren  in  dem  Nachtrag 
zum  ersten  Bande  („die  ältere  Chronologie  Babyloniens,  As- 
syriens und  Ägyptens")  angekündigte  Fortführung  meiner  Ge- 
schichte des  Altertums  wieder  auf.  Ich  habe  damals  aus- 
gesprochen, daß  es  mir  nicht  möglich  sei,  den  ersten  Band 
noch  einmal  wieder  zu  überarbeiten,  wenn  ich  überhaupt  noch 
weiterkommen  wolle;  so  habe  ich  mich  darauf  beschränkt, 
in  dem  ersten  Abschnitt  des  neuen  Bandes  ein  Bild  der  Zu- 
stände des  Orients  vor  und  in  der  Hyksoszeit  zu  entwerfen, 
wie  es  sich  gegenwärtig  auf  Grund  des  so  wesentlich  be- 
reicherten Materials  gestaltet.  Im  übrigen  behandelt  dieser 
Band  die  Zeit  der  ägyptischen  Großmacht,  die  Epoche  vom 
Beginn  des  16.  bis  zur  Mitte  des  12.  Jahrhunderts,  in  der  die 
einzelnen  Gebiete  des  vorderen  Orients  mit  Einschluß  der 
ägaeischen  Welt  sowohl  politisch  wie  kulturell  in  enge  Ver- 
bindung und  Wechselwirkung  untereinander  treten  und  sich 
so  ein  Staatensystem  herausbildet,  dessen  geschichtlichen  Ver- 
lauf wir  trotz  der  Trümmerhaftigkeit  der  Überlieferung  doch 
noch  in  den  Grundzügen  zu  erkennen  vermögen.  Wenn  ich 
schon  vor  nahezu  einem  halben  Jahrhundert  den  Versuch 
einer  solchen  zusammenfassenden  Darstellung  gewagt  habe,  so 
ist  das  jetzt  in  noch  viel  höherem  Maße  geboten;  erst  dadurch 
tritt  die  Eigenart  und  das  innere  Leben  der  einzelnen  Kulturen 
deutlich  hervor.  Vor  allem  gilt  das  von  dem  Verhältnis  der 
ägyptischen  zur  kretisch-mykenischen  Kultur;  daher  war  es  un- 
vermeidlich, so  befremdend  das  zunächst  manchem  erscheinen 
mag,  die  Darstellung  der  letzteren  der  der  ägyptischen  Kultur 
des  Neuen  Reichs  voranzustellen.  Ich  glaube  mich  in  der  An- 
nahme nicht  zu  täuschen,  daß  dadurch  eine  wesentliche  Ver- 


YI  Vorwort 

tiefunf^  der  Anschauung'  gewonnen  werden  konnte,  die  neben 
der  fortdauernden  beiderseitigen  Beeinflussung  den  zwischen 
ihnen  bestehenden  inneren  Gegensatz  herauszuarbeiten  ge- 
stattet. Für  die  chetitische  Kultur  und  Geschichte  gilt  das 
gleiche.  Hier  tritt  dann  der  starke  Einfluß  von  Assyrien  und 
Babylonien  hinzu.  Nur  umso  deutlicher  erkennen  wir  dabei 
zugleich,  daß,  im  Gegensatz  zu  weitverbreiteten  populären  An- 
sichten, die  Kultur  dieser  Gebiete  während  der  ganzen  Epoche 
und  noch  Jahrhunderte  später  vollständig  stagniert  und  sie 
irgend  etwas  Bedeutendes  nicht  zu  schaff"en  vermochte.  Daran 
hat  auch  das  vor  allem  durch  die  deutschen  Ausgrabungen  in 
Assur  erschlossene  neue  Material  nichts  geändert;  die  Ge- 
schichte der  Staaten  am  Euphrat  und  Tigris  verläuft  ein  Jahr- 
tausend lang  in  ermüdender  Monotonie  und  vermag  ein  tieferes 
Interesse  nicht  zu  erwecken,  erst  im  9.  Jahrhundert  beginnt 
hier  von  Assyrien  aus  langsam  eine  neue  Entwicklung. 

Im  Gegensatz  dazu  hat  die  Geschichte  Ägyptens  und 
seiner  Kultur  im  Neuen  Reich  au  innerem  Leben  und  ver- 
tieftem Verständnis  ständig  gewonnen.  Mir  ist  es  vergönnt 
gewesen,  diese  Epoche  nach  der  Behandlung  in  der  ersten 
Auflage  (1884)  und  in  meiner  Geschichte  Ägyptens  (1887) 
jetzt  zum  drittenmal  eingehend  darzustellen;  und  immer  von 
neuem  ist  mir  dabei  der  gewaltige  Fortschritt  ins  Bewußtsein 
getreten,  der,  ganz  abgesehn  von  der  ununterbrochenen  Er- 
schließung neuen  Materials,  durch  die  intensive  Arbeit  zahl- 
reicher hervorragender  Gelehrten  aller  Kulturvölker  hier  im 
Verlauf  eines  halben  Jahrhunderts  erreicht  ist.  Zugleich  ist 
sowohl  durch  gediegene  Einzelarbeiten  wie  durch  Zusammen- 
fassung des  gesamten  Materials  die  Arbeitsmöglichkeit  ge- 
waltig gesteigert  worden:  ich  nenne  hier  mit  warmem  Dank 
vor  allem  Breasted's  Ancientßecords,  Sethe's  Bearbeitung  der 
Inschriften  der  achtzehnten  Dynastie  und  Heinrich  S:^häfer's 
grundlegende  Werke  über  die  ägyptische  Kunst,  und  daneben 
das  große  von  Adolf  Erman  geschaffene  Ägyptische  Wörter- 
buch, dessen  Material  mir  in  zahlreichen  Fällen  die  wertvollste 
Hilfe  gewährt  hat  und  das,  wenn  es  in  wenigen  Jahren  voll- 


Vorwort  yjj 

ständig  vorliegt,  eine  neue  Epoche  der  Forschung  eröffnen 
wird.  Daneben  hat  mir  das  prachtvolle  von  Burchardt  und 
Koch  in  den  Photographien  der  Fremdvölkerexpedition  ^)  zu- 
gänglich gewordene  Material  durchweg  die  größten  Dienste 
geleistet. 

Auch  auf  babylonisch -assyrischem  Gebiet  hat  sich  seit 
der  ersten  Auflage  die  Lage  ganz  anders  gestaltet.  Damals 
bildeten  die  Arbeiten  von  Eb,  Schrader  und  George  Smith 
fast  die  einzige  wirkliche  Hilfe;  im  übrigen  habe  ich  mich  da- 
mals an  der  Hand  des  RAWUNsoN'schen  Inschriftenwerks  mit 
den  kläglichen,  von  den  stärksten  Fehlern  strotzenden  „Über- 
setzungen" Menant's  herumschlagen  müssen.  Erst  durch  Eber- 
fiARD  S  ;hrader's  Keilinschriftliche  Bibliothek  (seit  1889)  wurde 
dem  Historiker  eine  zuverlässige  und  übersichtliche  Samm- 
lung des  geschichtlichen  Materials  in  Transkription  und 
Übersetzung  geboten,  das  dann  durch  zahlreiche  Einzelpubli- 
kationen ständig  vermehrt  und  vertieft  worden  ist. 

Daß  wir  vom  Chetiterreich  erst  seit  wenigen  Jahren 
wirkHch  etwas  wissen,  bedarf  keiner  Bemerkung.  Hier  wird 
meine  Darstellung  notgedrungen  vielfach  nur  einen  provisori- 
schen Charakter  tragen,  zumal  es  mir  nicht  mehr  möglich  ge- 
wesen ist,  mich  selbst  noch  irgendwie  in  die  Sprache  hinein- 
zuarbeiten. In  wenigen  Jahren  wird  sich  hier  ein  viel  lebens- 
volleres Bild  zeichnen  lassen. 

Etwas  anders  Hegen  die  Dinge  bei  der  kretisch-mykeni- 
schen  Kultur.  Freilich  die  Darstellung,  die  ich  1893  im  zweiten 
Bande  der  G.  d.  A.  versucht  habe,  war  alsbald  völlig  überholt; 
aber  ein  wirkliches  Verständnis  wurde  erst  ermöghcht,  seit 
1899  die  Ausgrabungen  Evans'  und  der  Italiener  auf  Kreta  be- 
gannen und  uns  in  rascher  Folge  eine  ganz  neue  Kulturwelt 
erschlossen  und  dadurch  zugleich  die  mykenische  Kultur  erst 
in  das  richtige  Licht  gerückt  wurde.  Auf  diesem  Gebiet  habe 


')  Ich  zitiere  die  Photographien  nach  dem  von  mir  in  den  Be- 
richten der  Berliner  Akademie  1913,  769  S.  veröffentlichten  Katalog. 
Ergänzend  treten  die  großen  Aufnahmen  des  Tempels  von  Abusimbel 
hinzu,  die  mir  Herr  Breasted  freundlichst  zur  Verfügung  gestellt  hat. 


yiJ];  Vorwort 

ich  die  Erj^ebnisse  andauernd  genau  verfolgen  und  durch- 
denken können,  so  daß  ich  hoffe,  daß  mir  hier  nichts  Wesent- 
liches entgangen  ist. 

Auch  sonst  habe  ich,  sooft  auch  andere  Aufgaben  da- 
zwischentraten, die  Beschäftigung  mit  dem  Gesamtgebiet  bis 
zum  Kriegsausbruch  niemals  unterbrochen,  sondern  es  immer 
von  neuem  vor  allem  in  meinen  Vorlesungen  eingehend  be- 
handelt. In  den  ersten  Monaten  des  Krieges  habe  ich  dann  mit 
der  Ausarbeitung  begonnen  und  einzelne  Abschnitte  damals 
niedergeschrieben.  Aber  alsbald  sah  ich,  daß  das  unter  den 
damaligen  Verhältnissen  nicht  möglich  war;  und  so  ist  eine 
lange  Unterbrechung  eingetreten,  bis  ich  1924  nochmals  von 
vorn  begonnen  habe.  Dabei  zeigte  sich,  daß  ich  niemals  zum 
Ziele  gelangen  würde,  wenn  ich  in  alter  Weise  darauf  ausgehn 
wollte,  alles  Material  erschöpfend  zusammenzufassen  und  zu 
jeder  neueren  und  neuesten  Arbeit  Stellung  zu  nehmen;  ich 
mußte  mich  beschränken,  und  dem  habe  ich  auch  äußerlich 
dadurch  Ausdruck  gegeben,  daß  ich  die  äußere  Form  der  An- 
merkungen geändert  habe.  So  wird  man  vielleicht  manche 
Einzelheit  und  manches  Zitat  vermissen;  aber  ich  hoffe,  daß 
ich  wenigstens  Grundlegendes  nicht  übersehn  habe. 

Im  Winter  1925/26  ist  dann  noch  einmal  eine  Unter- 
brechung eingetreten  dadurch,  daß  mir  durch  ein  mit  tief- 
gefühltem Dank  emiDfangenes  Geschenk  zu  meinem  siebzigsten 
Geburtstag  die  Möglichkeit  gewährt  worden  ist,  Ägypten  in 
seiner  ganzen  Ausdehnung  bis  zum  zweiten  Katarakt  und  zur 
Großen  Oase  sowie  Palaestina  und  Phoenikien  eingehend  zu 
bereisen  und  außer  den  Küsten  Kleinasiens  auch  Griechenland 
noch  einmal  wieder  zu  besuchen  und  nach  Knossos  hinüber- 
zufahren. Wie  sehr  die  dadurch  gewonnene  eigene  Anschauung 
meiner  Arbeit  zugute  gekommen  ist,  wird  der  Leser  an  zahl- 
reichen Stellen  erkennen  können. 

Ich  hoffe,  daß  ich  die  Fortführung,  mit  der  ich  bereits 
begonnen  habe,  wesentlich  rascher  werde  schaffen  können, 
da  hier  verhältnismäßig  viel  weniger  neues  Material  hinzu- 
gekommen ist  und  ich  daher  den  alten  Text  vielfach  werde 


Vorwort  IX 

benutzen  können.  Ob  es  möglich  sein  wird,  die  gesamte 
Geschichte  des  Orients  und  GriechenLands  nebst  Italien  vom 
12.  Jahrhundert  bis  zur  Aufrichtung  des  Achaemenidenreichs 
und  den  Perserkriegen  in  einem  Bande  zu  behandeln,  oder 
ob  eine  Teilung  in  zwei  weitere  Bände  erforderlich  sein  wird, 
kann  erst  die  Ausarbeitung  selbst  entscheiden.  Die  Neu- 
bearbeitung der  drei  Bände  der  griechischen  Geschichte  des  5. 
und  4.  Jahrhunderts  soll  dann  unmittelbar  daran  anschließen. 
Von  Einzelheiten  will  ich  nur  noch  erwähnen,  daß  ich  in 
der  Transkription  der  assyrischen,  chetitischen  und  sonstigen 
westlichen  Namen  nicht  die  von  den  Assyriologen  befolgte 
babylonische  Aussprache  der  Zischlaute  gegeben  habe,  die,  wie 
vollkommen  feststeht,  der  wirklichen  Aussprache  nicht  ent- 
spricht, sondern  vielmehr  diese  eingesetzt  habe.  Ich  schreibe 
daher  s  und  s,  wo  die  Assyriologen  und  die  ihnen  folgenden 
Chetitologen  umgekehrt  s  und  s  schreiben.  Manche  Inkonse- 
quenzen sind  allerdings  geblieben;  so  hätte  ich  z.  B.  besser 
durchweg  Tesub  und  nicht  Tesub  schreiben  sollen.  Eine  metho- 
dische Durcharbeitung  dieser  ganzen  Frage  ist  ein  dringendes 
Bedürfnis. 

Berlin,,  den  14.  Februar  1928 

Eduard  Meyer 


Inhalt 

Seite 
I.  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

Die  Sprachen  und  Volksstämme  Kleinasiens 3 

Das  Eingreifen  Babyloniens.    Die  Assyrer  in  Kappadokien  und  die 

vorderasiatische  Gesamtkultur 11 

Die  indogermanischen  Chetiter 20 

Die  Anfänge  des  chetitischen  Reichs 24 

Das  charrische  Reich  Mitani 28 

Arische  Stämme  in  Vorderasien  und  die  Heimat  der  Indogermanen  33 

Die  Zeit  der  Hyksosherrschaft 41 

Umwandlung  des  Kriegswesens 44 

II.  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  und  die 
Gründung  des  Neuen  Reichs 
Der  Sturz    des  Hyksosreichs   durch   die  Könige  von  Theben.    Be- 
ziehungen zu  Kreta 47 

Die  Organisation  des  Neuen  Reichs 58 

Die  ersten  Könige  der  achtzehnten  Dynastie 74 

III.  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Die  ägyptischen  Eroberungen:  Nubien,  Libyen,  Syrien    ....  79 

Städte  und  Bevölkerung  Palaestinas  und  Syriens 83 

Thutmosis'  I.  Feldzug  nach  Syrien 104 

Beziehungen  zu  Kreta.    Die  Kafti 105 

Königin  Flatsepsut 110 

Die  Kriege  Thutmosis  III 120 

Die  Organisation  des  ägyptischen  Weltreichs 134 

Die   Nachfolger  Thutmosis  III.    Das  Reich   unter   Amenophis  III.  146 
Die  Beziehungen    zu    den  Nachbarstaaten:    Babylonien,  Assyrien, 

Mitani,  das  Chetiterreich 151 

IV.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 
Die  Entwicklung  Kretas.   Aufkommen  und  Charakter  einer  neuen 

Kultur 162 

Ägyptische  Einwirkungen  und  innerer  Gegensatz  zur  ägyptischen 

Kunst.    Die  Architektur 175 

Die  Eteokreter  (Kafti)  und  ihre  Religion 182 


Inhalt  XI 

Seite 

Gräber  und  Totenkult 201 

Staatliche  Verhältnisse.    Bewaffnung  und  Kriegswesen     ....  203 

Handel,  Industrie  und  Schiffahrt 208 

Die  Minossage  und  die  Beziehungen  zum  Ausland.    Die  Inselwelt 

und  der  Westen.    Der  Diskus  von  Phaestos  und  die  Philister  .  212 

V.  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische 
Kultur 
Griechenland  unter  dem  Einfluß  der  kretischen  Kultur.  Die  Schacht- 
gräber von  Mykene 221 

Die  Eroberung  Kretas  durch  die  Achaeer 235 

Mykene  und  Tiryns.  Die  Kuppelgräber.  Das  argivische  Königreich  239 
Der  übrige  Peloponnes.  Boeotien.  Der  Krieg  gegen  Theben  .  .  2ö3 
Orchomenos  und  die  Minyer.  Thessalien,  Kuboea  und  Athen.  Die 

Kykladen 2-59 

Die  Verteilung   der   griechischen  Stämme.    Ältere    Schichtungen. 

Epiros  und  Makedonien 269 

Die  Götterwelt.    Athena 274 

Achaeer  und  lonier.    Apollon 279 

Stoffe  und  Heimat  der  Heldensagen 285 

Die   Entwicklung   der  griechischen    Sagendichtung  im  Vergleich 

mit  der  germanischen 288 

Der  Trojanische  Krieg 296 

VI.  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der 
achtzehnten  Dynastie 

Gestaltung  der  Kultur.   Gräber  und  Totentempel 303 

Die  Göttertempel   der  achtzehnten  Dynastie.    Schlachtengemälde. 

Einwirkung  der  kretischen  Kun.st 307 

Idee  und  Gestalt  des  ägyptischen  Tempels 313 

Amenophis  III.  und  Teje.  Die  Blütezeit  der  ägyptischen  Kunst  .  318 
Religion  und  Theologie 325 

VII.  Niedergang  der  ägyptischen  Machtstellung  in 
Syrien.  Vordringen  der  Beduinen  und  der  Chetiter 

Quellen  und  Chronologie 334 

Eindringen  der  semitischen  Nomadenstämme  ins  Kulturland.   Ara- 

maeer  und  Israeliten 342 

Die  Aufstände  unter  Amenophis  III.  Erstes  Eingreifen  Mitanis  und 

der  Chetiter 347 

Der  Thronwechsel  in  Ägypten.    Fortgang  der  "Wirren  in  Syrien  .  3.56 

Die  Zustände  in  Palaestina 362 


yjj  Inhalt 

Seite 
Eroberung    Syriens    durch    die  Chetiter.    Niedergang    des  Reichs 
Mitani,  Vordringen  der  Assyrer 368 

VIII.  Versuch  der  Durchführung  des  solaren  Mono- 
theismus und  Restauration  der  Orthodoxie 

Amenophis  IV.    Die  Einführung  des  Sonnenkults 380 

Die  Krisis  und  die  lleligionsverfolgung 389 

Die  Sonnenstadt  Amarna 393 

Der  Ausgang  Echnatens  und    die  Reaktion.    Tut'anch-amon    und 

Haremhab.    Wiederunterwerfung  Palaestinas 397 

Die  Restauration  der  Orthodoxie  und  des  Staats 407 

Die  Nachwirkungen  der  Krise  auf  das  Geistesleben  Ägyptens      .  413 

Die  Darstellung  der  Bewegung  in  der  Überlieferung  bei  Manetho  420 

IX.  Die  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und  das 
Chetiterreich 
Ramses  I.    Der  Säulensaal  von  Karnak.  Organisation  der  Armee    427 
Sethos  I.  Feldzug  gegen  die  Beduinen  Palaestinas  und  gegen  die 

Libyer 431 

Das  Chetiterreich  unter  Mursil  IL  und  Muwattal 436 

Chronologie 447 

Sethos'  Krieg  gegen  die  Chetiter  und  Amoriter 449 

Ramses  IL  und  der  große  Chetiterkrieg 4-55 

Wirren  im  Chetiterreich.  Chattusil  III.  Fortschritte  Assyriens  und 

Untergang  Mitanis 471 

Friedensschluß  und  Bündnis  zwischen  Ägypten  und  dem  Chetiter- 
reich       479 

X.  Die  Kultur  der  Ramessidenzeit 

Die  untertänigen  Gebiete.   Der  Verkehr 486 

Die  Verwaltung.    Die  Ramsesstadt  und  die   übrigen    Städtegrün- 
dungen        494 

Tempelbauten  und  bildende  Kunst.    Die  Schlachtgemälde   .     .     •  496 

Literatur  und  Religion.    Das  Tempelgut 506 

XL  Das  Chetiterreich  und  seine  Nachbarn. 
Babylonien  und  Assyrien 

Organisation  und  Charakter  des  chetitischen  Reichs 512 

Literatur.  Kunst.  Die  Königsstädte.  Die  hieroglyphischen  Inschriften     .520 

Die  Vasallen.    Beziehungen  zu  Ägypten 528 

Assyrien  und  Babylonien.  Ausgang  des  Kossaeerreichs.  Elamitische 

Invasion 530 

Kultur  und  Kunst  Babyloniens  und  Assyriens 539 


Inhalt  XIII 

Seite 
XII.  Die  großen  Wanderungen.    Ausgang  der 
niykenischen   Zeit,    Ende    des    Chetiterreichs 
und  Niedergang  Ägyptens 
Das  westliche  Kleinasien.   Die  Lykier.   Die  Achaeer  in  Pamphylien 

und  auf  Cypern .544 

Die  Seevölker  und  die  ethnographischen  Probleme.  Tyrsener  und 

Achaeer .555 

Die  große  Völkerwanderung 566 

Merneptah.    Der  Angriff  der  Libyer  und  der  Seevölker  ....     576 
Thronwirren  und  Fremdherrschaft  in  Ägypten.    Setnacht    .     .     .     579 
Ramses'  III.  Kriege  mit  den  Libyern  und  den  Seevölkern.   Unter- 
gang des  Chetiterreichs 585 

Ramses'  III.  Regierung.    Kultur  und  Kunst 593 

Ramses  III.  Ausgang.  Die  späteren  R  amessiden.  Niedergang  Ägyptens     599 

Königslisten 608 

1.  Ägypten.  2.  Das  charrische  Reich  Mitani  (C'hanigalbat).  8.  Das 
Chetiterreich.    4.  Babylonien.    5.  Assyrien 

Index 612 

Abbildnn^en 

Tafel    I.     Semitische  und  arische  Gefangene,  aus  dem  Grabe  I.Iareraliabs. 
II.     Kreter  (Kafti)   aus  den  Gräbern  des  Senmut  und  RechmerO. 
„     III.     Ägyptische  und  kretische  Darstellungen  der  Kreter. 
„     IV.     Chetitische  und  syrische  Streitwagen   aus   der  Schlacht   bei 

Qades. 
„      V.     Serdana   und  chetit.sche  Ililfstruppen   aus  der  Schlacht  bei 

Qades. 
,    VI.     Tursa  und  Philister  bei  Ramses  III.    Mykenische  Krieger. 
„  VLI.     Myken'sche  Silbervase.    Philister  und  Serdana^  Tursa,  Neger 

im  Heere  Ramses'  III. 
„  VIII.     Mykenische  und  kretische  Siegel. 


Geschichte  des  Altertuins 


Die  Zeit  der  ägyptischen  Großmacht 


Meyer,  Creschichte  des  Altertums.    Ui. 


I.  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 


Die  Sprachen  und  Volksstämme  Kleinasiens 

Das  18.  und  17.  Jahrhundert  ist  in  der  Geschichte  des 
vorderen  Orients  eine  Epoche  großer  Völkerbewegungen,  in 
denen  die  bisherige  Gestaltung  der  Staatenwelt  durch  das 
Auftreten  neuer  Volksstämme  schwer  erschüttert  und  vielfach 
von  Grund  aus  umgewandelt  worden  ist.  Schon  früher  zeigten 
einzelne  Spuren,  daß  dabei  der  Einbruch  indogermanischer 
Volksstämme  eine  Hauptrolle  gespielt  hat  (Bd.  I  455  f.  465. 
468);  die  Entdeckungen  des  letzten  Jahrzehnts  lassen  immer 
deutlicher  erkennen,  daß  der  entscheidende  Anstoß  von  diesen 
ausgegangen  ist^). 

Die  Grundlage  der  neuen  Erkenntnis  ist  durch  die  Er- 
schließung der  gewaltigen  Ma.sse  von  Urkunden  und  literari- 
schen Texten  geschaffen  worden,  welche  das  Archiv  von 
Boghazkiöi,  im  Inneren  des  späteren  Kappadokiens,  der 
Hauptstadt  des  großen  Chetiterreichs  des  14.  und  13.  Jahr- 
hunderts, bewahrt  hat.  Geschrieben  sind  diese  Schriftstücke 
sämtlich  in  babylonischer  Keilschrift  und  bieten  daher  der 
Lesung  wenig  Schwierigkeiten.  Dadurch,  daß  sie  zahlreiche 
babylonische  (sumerische  und  akkadische)  Ideogramme  ver- 
wenden, vor  allem  gerade  für  die  geläufigsten  Worte,  ist  die 
Erschließung  des  Inhalts  wesentlich  gefördert  worden,  so  daß 
jetzt,  so  viel  auch  noch  im  einzelnen  zu  tun  bleibt,  doch  das 
allgemeine  Verständnis  der  Texte  und  auch  ein  Einblick  in 


')  Die  in  diesem  Kapitel  behandelten  Fragen  habe  ich  in  dem 
Aufsatz:  Die  Volksstämme  Kleinasiens,  das  erste  Auftreten  der  Indo- 
germanen  in  der  Geschichte  und  die  Probleme  ihrer  Ausbreitung,  Ber. 
Berl.  Ak.  1925,  244  fl'.,  besprochen;  den  Hauptteil  der  dort  gegebenen 
Ausführungen  habe  ich  hier  wiederholt. 


4  I.  Der  Orient  bis  y.nm  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

den  Bau  der  Sprachen  wenigstens  in  den  Grundzügen  ge- 
wonnen ist.  Es  ist  aber  nicht  nur  eine  Sprache,  die  wir  hier 
kennen  lernen,  sondern  eine  ganze  Anzahl;  und  mit  einem 
Überblick  dieser  neuerschlossenen  Sprachen  und  Volkstümer 
müssen  wir  daher  beginnen. 

Die  Sprache  des  chetitischen  Großreichs  hat  sich,  so 
fremdartig  sie  auf  den  ersten  Blick  erschien,  dennoch,  wie 
zuerst  Fh.  Hrozny  im  Jahre  1915  erkannt  hat^),  ihrem  gram- 
matischen Bau  nach  als  eine  indogermanische  erwiesen.  Aber 
daneben  enthält  sie  viele  ganz  fremdartige  Elemente,  vor 
allem  im  Wortschatz  —  dieser  Eindruck  wird  noch  dadurch 
gesteigert,  daß  gerade  die  wichtigsten  Worte,  wie  Vater, 
Sohn,  Gott,  die  Zahlwörter  u.  a.,  immer  nur  ideographisch 
geschrieben  sind,  wir  also  ihre  Aussprache  nicht  kennen  — ; 
diese  Sprachmischung  beweist,  daß  hier  ein  indogermanischer 
Stamm  erobernd  eingedrungen  sein  muß,  der  dann  in  seiner 
Sprache  sowohl  lexikalisch  wie  auch  grammatisch  von  der 
älteren  Bevölkerung  eine  tiefgreifende  Einwirkung  erfahren  hat. 

Weiter  aber  hat  sich  gezeigt,  daß  dieser  Ilauptsprache 
der  Name  „chetitisch"  gar  nicht  zukommt;  unter  diesem 
Namen  (Chatti,  mit  Suffix  cliatüU)  erscheint  vielmehr  in  den 
Texten  eine  ganz  andere  Sprache,  von  der  gleichfalls  zahl- 
reiche Proben  vorliegen.  Die  Sprache  des  herrschenden  Volkes 
dagegen  wird  in  einem  Ritualtext  einmal  mit  nasill  („nasisch") 
bezeichnet;    danach    hat  Forrer  vermutet,    sie   sei  korrekter 


')  Zuerst  in  einer  kurzen  Skizze  Mitt.  DOG.  5-5,  Dez.  1915,  dann 
in  systematischer  Darstellung:  Die  Sprache  der  Hethiter  (Boghazkiöi- 
Studien,  herausg.  von  0.  Weber,  Heft  I  und  II),  1916  f.  Seitdem  hat 
die  Chetitologie  bereits  eine  reiche  Literatur  entwickelt.  Wenn  sich 
auch  gar  manche  der  ersten  Kombinationen  Hrozny's  als  übereilt  und 
unhaltbar  erwiesen,  ist  doch  sein  Grundergebnis  jetzt  allgemein  an- 
erkannt. Dadurch  ist  zugleich  bestätigt,  daß  in  der  Tat  Bugge,  Torp  und 
Knudtzon  recht  hatten,  wenn  sie  im  J.  1902  die  mit  dieser  Sprache 
identische  der  beiden  Briefe  aus  Arzawa  (in  Kilikien)  aus  dem 
Amarnafund  für  indogermanisch  erklärten,  was  ich  Bd.  I  474  Anm. 
abgelehnt  habe,  weil  der  Wortschatz  einen  ganz  fremdartigen  Eindruck 
machte. 


Die  Sprachen  Kleinasiens  5 

kanisisch  (Sprache  der  Stadt  Kanis)  zu  nennen i).  Gesichert 
ist  das  freilich  keineswegs,  und  der  Chetitername,  den  Reich 
und  Volk  sowohl  bei  den  Fremden,  mit  denen  sie  in  Be- 
rührung gekommen  sind,  Ägyptern,  Babyloniern,  Assyrern, 
wie  in  den  einheimischen  Texten  durchweg  führen,  wird  sich 
auch  in  der  Beziehung  ihrer  Sprache  nicht  vermeiden  lassen: 
so  ist  es  wohl  das  ratsamste,  die  ältere,  einheimische  Sprache 
als  protochattisch  zu  benennen. 

Im  Protochattischen  sind  außer  religiösen  Kultformeln 
mehrere  größere  Texte,  Götterlegenden  und  Gesänge,  erhalten, 
zum  Teil  mit  „chetitischer"  Übersetzung.  Vom  Indogermani- 
schen ist  es  völlig  verschieden.  Im  Sprachbau  ist  es  vor  allem 
dadurch  charakterisiert,  daß  die  grammatischen  Beziehungen 
größtenteils  durch  Präfixe  ausgedrückt  werden.  Sichere  Be- 
ziehungen zu  anderen  Sprachstämmen  sind  bis  jetzt  nicht 
nachgewiesen. 

Neben  1.  dem  Protochattischen  und  2.  dem  „Chetitischen" 
(Kanisischen)  erscheinen  in  den  Texten  aus  Boghazkiöi  noch 
drei  weitere  Sprachen''),  deren  Namen  da,  wo  in  ihnen  ab- 
gefaßte religiöse  Formeln,  Anrufungen  und  Beschwörungen  im 
Kultus  verwendet  werden,  ausdrücklich  genannt  sind.  Es  sind: 

3.  Das  Charrische  (char/i-Ii),  die  Sprache  des  Volkes,  das 

')  Ihm  verdanken  wir  den  ersten  Nachweis  der  verschiedenen 
Sprachen:  E.  Forreb,  Die  acht  Sprachen  der  Boghazkiöi-Inschriften. 
Ber.  Berl.  Ak.  1919,  1029  tf.  Gleichzeitig  Hrozny,  Über  die  Völker  und 
Sprachen  des  alten  Chatti-Landes  (Boghazkiöi-Studien  Heft  .5,  1920).  Die 
beste  Orientierung  gibt  zur  Zeit  Forrer.  Die  Inschriften  und  Sprachen 
des  Hattireichs  ZDMG.  76,  1922,  174  ff.  (kürzer  in  MDOG.  61,  Dez.  1921). 
Daß  im  einzelnen  noch  gar  manches  problematisch  bleibt  und  im  Fluß 
ist,  bedarf  kaum  der  Erwähnung.  Eine  gute  Übersicht  aller  bis  jetzt  be- 
kannten Sprachen  Kleinasiens  bietet  Jon.  Friedrich,  Altkleinas.  Sprachen, 
in  Ebert's  Reallexikon  der  Vorgeschichte  I  126  ff. 

^)  Hinzu  kommen  das  für  Verträge  und  andere  Schriftstücke. 
unter  den  ältesten  Herrschern  auch  in  ihren  einheimischen  Urkunden 
vielfach  verwendete  Akkadisch  (hier  als  babili-li  ^babylonisch"  be- 
zeichnet) und  das  für  die  Erlernung  der  Schrift  unentbehrliche  Su- 
merisch, und  endlich  die  unten  S.  35  besprochenen  arisch -indischen 
Wörter. 


6  I.  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

unter  dem  Namen  Charri^)  mehrfach  schon  in  den  früher 
bekannten  Texten  vorkam  (Bd.  I.  455  A.  4C5).  Die  damals  an- 
genommene Deutung  als  Arier  hat  sich  jetzt  als  völlig  un- 
möglich erwiesen.  Ihre  Sprache,  in  der  Bruchstücke  von 
mehreren  umfangreichen  Texten  religiösen  Inhalts  vorliegen,  ist 
vielmehr  mit  der  Mitanischen  im  nördlichen  Mesopotamien  und 
Nordsyrien  nahezu  identisch,  und  Charrier  ist  der  auch  in  den 
Urkunden  und  geschichtlichen  Berichten  häufig  verwendete 
Name  der  Bevölkerung  dieser  Gebiete^),  deren  Einwirkungen 
auch  in  Assyrien  im  somatischen  Typus  und  in  den  Namen 
der   ältesten   Könige   (Bd.  I  433a.  463)   stark   hervortreten-''). 

4.  Das  Balaische  (balmmmi-U),  das  für  die  Rezitation 
von  Weihsprüchen  mehrfach  erwähnt  wird,  von  dem  jedoch 
sichere  Überreste  bis  jetzt  nicht  gefunden  sind,  so  daß  sich 
weder  über  seinen  sprachlichen  Charakter  noch  über  das  Ge- 
biet, dem  es  angehört,  etwas  Bestimmtes  aussagen  läßt. 

5.  Eine  weitere  wiederholt  zu  Beschwörungen  verwendete 
Sprache  ist  das  Luwische  (luivi-Jl).  das  sich,  soweit  man  bis- 
her sehn  kann,  vom  „Chetitischen"  nur  dialektisch  zu  unter- 
scheiden scheint.  Auch  da  sind  noch  weitere  Aufklärungen 
zu  erwarten.  Es  scheint  vor  allem  ins  spätere  Kilikien  zu 
gehören;  der  hier  heimische  Gott  Sandon  (Bd.  I  484)  er- 
scheint in  luwischen  Texten  in  der  Form  Santas,  der  Gott 
Tarchu  oder  Tarqu  (Bd.  I  476)  als  Tarchundas. 


')  Hrozny,  Ungnad  u.  A.  ziehen  die  gleichfalls  mögliche  Lesung 
Churri  vor. 

^)  Die  weitverbreitete  Ansicht,  daß  Charri  auch  ein  Name  der 
Bevölkerung  des  armenischen  Gebirgslandes  gewesen  sei,  beruht  da- 
gegen auf  einem  Mißverständnis,  s.  u.  Abschnitt  VII. 

')  Mit  den  Choritern  in  Palaestina  und  dem  Wüstenlande  im 
Süden  mit  dem  Gebirge  Se'ir  (Bd.  I  467)  können  dagegen  diese  Charri 
nichts  zu  tun  haben,  da  die  choritischen  Stamm-  und  Ortsnamen  echt 
semitisch  sind;  die  Vorliebe  für  Benennung  der  Stämme  nach  Tieren 
zeigt  deutlich,  daß  sie  Wüstenstämme  sind,  [die  in  die  Grenzgebiete 
des  Kulturlandes  eindringen.  Der  bei  ihnen  herrschende  Sonnenkult 
findet  sich  ebensogut  bei  den  semitischen  Nomaden  (so  auch  den  Ak- 
kadiern  von  Sippara)  wie  bei  den  Chetitern  und  sonst. 


Die  Sprachen  Kleinasiens  7 

Weitere  früher  schon  bekannte  Sprachen  dieser  Gebiete 
sind  im  Osten  in  den  armenischen  Gebirgen  das  Alarodische 
oder  Chaldische  (Bd.  I  475)  und  weiter  die  zahlreichen  Sprachen 
des  Kaukasus,  unter  denen  nur  das  Georgische  (Iberische) 
über  ein  größeres  Gebiet  verbreitet  ist;  im  westlichen  Klein- 
asien das  Ljdische,  in  das  uns  jetzt  Inschriften  aus  Sardes 
einigen  Einblick  gewähren^),  das  Karische,  von  dem  uns  nur 
wenige  Wörter  erhalten  sind,  und  das  Lykische.  Damit  ist 
aber  der  Sprachbestand  des  alten  Kleinasiens  noch  in  keiner 
Weise  erschöpft^);  so  ist  im  Norden  nach  Strabos  Zeugnis 
das  Paphlagonische  eine  gesonderte  Sprache^),  und  im  Süden 
treten  die  Gebirgsstämme  von  Pisidien  nebst  den  Solymern 
und  andrerseits  die  Kiliker  in  ihren  Eigennamen  als  scharf 
gesonderte  Gruppen  hervor.  Dazu  kommt  die  neuerdings  durch 
einige  Inschriften  aus  Amathus  bekannt  gewordene  Sprache 
der  Urbevölkerung  von  Cypern'),  und  endlich  im  Osten  Kretas 
das  Eteokretische  der  Inschriften  von  Praisos  (Bd.  I  505), 

So  bietet  das  alte  Kleinasien  sprachlich  ein  buntes  Bild. 
Es  ist  ein  Zustand,  wie  wir  ihn.  im  Gegensatz  zu  der  erst  im 
Verlauf  der  geschichtlichen  Vorgänge  sich  vollziehenden  Aus- 
breitung einiger  weniger  Sprachstämme  über  Ländermassen 
von  gewaltigem  Umfang''),  in  primitiven  und  von  dem  großen 

')  Sardis  Vol.  VI,  Lydian  Inscriptions  Parti  by  Enno  Littmanx.  1916. 

-')  Von  den  wahrscheinlich  erst  im  12.  Jahrhundert  aus  Thrakien 
eingedrungenen  indogermanischen  Sprachen,  dem  Phrygischen  mit  dem 
Armenischen  und  dem  Mysischen  sowie  dem  Bithynischen  können  wir 
hier  absehn. 

^)  Von  dem  kleinen  Stamm  der  Mariandyner  vermutet  Strabo  XII 
3,  4  EOtXiV  ouv  xal  toüto  Öpaxtov  OKäp^rxi  xb  tpüXov. 

*)  Siehe  die  übersichtliche  Zusammenstellung  Oberhummer's  im 
Artikel  Kypros  bei  Paui.y-Winowa  XII  89  f. 

^)  Die  gangbare  Betrachtung  der  Sprachen  steht  viel  zu  sehr 
unter  dem  Eindruck  dieser  Gestaltung,  die  sich  überall  erst  im  Ver- 
lauf der  Geschichte  herausgebildet  hat,  bei  den  indogermanischen  und 
semitischen  Sprachen  so  gut  wie  bei  den  türkischen,  den  melanesischen 
und  den  Bantusprachen;  auch  für  die  Ausbreitung  der  hamitischen 
Sprachen  über  Nordafrika  wird  das  gleiche  gelten.  Dadurch  erscheint 
die  Zusammendrängung  fundamental  verschiedener  Sprachen   auf  ein 


8  I.  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des   16-  Jahrhunaerts 

Gang  des  historischen  Lebens  wenig  oder  garnicht  berührten 
Gebieten  fast  überall  vorfinden:  auf  engem  Raum  stoßen  zahl- 
reiche Sprachen  oft  von  ganz  verschiedenem  Bau  hart  an- 
einander, bis  dann  vielleicht  einer  dieser  Stämme  die  anderen 
unterwirft  und  damit  auch  seine  Sprache  die  Herrschaft  ge- 
winnt. Der  gleiche  Zustand  herrscht  auch  weiter  östlich  bei 
den  nichtarischen  Stämmen  Mediens  und  der  Randgebirge 
Irans  bis  zu  den  Völkerschaften  Elams  und  den  Sumerern 
hinab,  zwischen  die  sich  dann  von  West  und  Süd  seit  alters 
die  aufeinanderfolgenden  Schichten  der  Semiten,  später  von 
Osten  her  die  iranischen  Arier  eingedrängt  haben.  Verschie- 
bungen und  Invasionen  fremder  Volksstämme  werden  wie  in 
den  geschichtlich  erkennbaren  Epochen  so  auch  vorher  oft 
genug  vorgekommen  sein:  aber  sichere  Ergebnisse  lassen  sich 
hier  nur  in  den  seltenen  Fällen  erzielen,  wo,  wie  bei  den 
indogermanischen  Chetitern,  die  Sprache  einen  festen  Anhalt 
gibt.  Im  übrigen  ist  nie  zu  vergessen,  daß  solche  Vorgänge 
sich,  wo  auch  unsere  geschichtliche  Kunde  zuerst  einsetzen 
mag,  auch  vorher  schon  immer  von  neuem  abgespielt  haben 
und  daß  sich  daher  die  Hypothesen  hier  schließlich  ins  Un- 


kleines  Gebiet,  wie  sie  in  überwältigender  Fülle  bei  den  Indianern 
aller  Teile  Amerikas  besteht  und  sich  in  der  alten  Welt  im  Kaukasus 
erhalten  hat,  fälschlich  als  Anomalie.  Natürlich  soll  damit  in  keiner 
Weise  bestritten  werden,  daß  nicht  selten  auch  bei  primitiven  Ver- 
hältnissen große  Gebiete  in  Sprachbau  und  Sprechweise  einen  gemein- 
samen Typus  zeigen,  wie  die  finnisch-ugrischen  und  die  ihnen  gleich- 
artigen samojedischen,  mongolischen,  türkischen,  tungusischen  Sprachen, 
deren  Zusammenschluß  zu  einem  großen  üralaltaischen  Sprachkreise 
vor  allem  Heinrich  Winkler  nachdrücklich  verficht,  oder  wie  die  ein- 
silbigen Sprachen  Ostasiens.  Wie  weit  aber  dabei  von  wirklicher  Sprach- 
einheit und  Entwicklung  aus  einer  Ursprache  nach  Art  des  Indoger- 
manischen die  Rede  sein  kann,  wie  weit  lediglich  psychische  und  soma- 
tische Anologien  und  daneben  immer  erneute  gegenseitige  Beeinflussung 
vorliegen,  das  sind  Fragen,  die  sich,  so  weit  ich  sehn  kann,  einer  unan- 
fechtbaren Entscheidung  noch  entziehn  und  eine  definitive  Lösung  viel- 
leicht nie  finden  werden ;  und  das  gleiche  scheint  auch  von  der  Frage  zu 
gelten,  wie  weit  sich  eine  Verwandtschaft  des  Indogermanischen  mit 
dem  Finnisch-ugrischen  erweisen  läßt. 


Isolierte  Sprachen  und  gegenseitige  Beeinflussung  9 

endliche  und  in  Gebiete  verlieren,  auf  denen  eine  geschichtlich 
verwertbare  Erkenntnis  unmöglich  ist. 

Andrerseits  hat  es  auch  in  Kleinasien  nicht  an  gegen- 
seitigen Beeinflussungen  und  Sprachmischungen  gefehlt.  Dar- 
auf wird  es  zurückgehn,  daß,  im  Gegensatz  zu  den  in 
den  Personennamen  stark  hervortretenden  Unterschieden  der 
Einzelgebiete  ^),  die  Bildung  von  Ortsnamen  und  Gebirgs- 
namen  auf  -ncla  und  -ndos  (in  Griechenland  -nilios  und  -nth 
ohne  Endvokal)  und  auf  -assos  und  -issos  über  das  gesamte 
kleinasiatische  Gebiet  einschließlich  der  ägaeischen  Welt  und 
des  griechischen  Festlandes  verbreitet  ist  (Bd.  I  47G).  Welcher 
der  verschiedenen  Sprachen  diese  Bildungen  ursprünglich  an- 
gehören, hat  sich  bisher  nicht  ermitteln  lassen;  es  ist  sehr 
wohl  möglich,  daß  in  ihnen  ebenso  wie  dann  in  der  Aus- 
breitung der  griechischen  und  in  der  Neuzeit  der  türkischen 
Ortsnamen  oder  in  der  der  keltischen  in  Gallien  und  Britan- 
nien, Spanien,  Norditalien  und  Oberdeutschland  die  Nach- 
wirkung politischer  Vorgänge  sich  erhalten  hat.  Auch  auf 
religiösem  Gebiet  tritt  dieser  über  die  einzelnen  Volkstümer 
hinausgreifende  Zusammenhang  klar  hervor;  er  gestattet,  die 
kleinasiatische  Religion,  einschließlich  Kretas,  in  ihren  Grund- 
anschauungen geradezu  als  Einheit  zu  betrachten  (Bd.  I  477  ff.), 
und  manche  Götternamen,  wie  Tesub,  Tarku,  vielleicht  auch 
Attis  u.  a.,  finden  wir  als  Hauptgötter  über  weite  Gebiete 
verbreitet,  bei  den  Chetitern,  Kilikern,  (Jharriern  (Mitani). 
Alarodiern,  Tarku  auch  im  ganzen  Südwesten  (Bd.  I  476),  ohne 


')  Eine  reiche  Sammlung  aller  kleinasiatischen  Orts-  und  Per- 
sonennamen hat  J.  SuNi'WALL,  Die  einheimischen  Namen  der  Lykier  nebst 
einem  Verzeichnis  kleinasiatischer  Namenstärame,  Klio,  11.  Beiheft  1913, 
gegeben,  aber  sie  leider  aus  allen  Gebieten  einheitlich  alphabetisch  zu- 
sammengefaßt; eine  Sonderung  nach  den  einzelnen  Landschaften  und 
Volksstämmen  würde  die  Verwertung  wesentlich  gefördert  haben.  Daß 
manche  Personennamen  weit  über  einen  einzelnen  Volksstamm  hin- 
aus verbreitet  sind  (so  Mursilis  Müf.atXo<;,  Panamü  navotfji'jYji;),  soll  damit 
natürlich  nicht  bestritten  werden;  das  ist  das  notwendige  Ergebnis  jeder 
politischen  und  kulturellen  Entwicklung,  aber  eben  darum  für  ethno 
graphische  und  sprachliche  Fragen  ohne  Bedeutung. 


10  ^-  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

daß   sich  feststellen  ließe,    bei  welchem    dieser  Volksstämme 
sie  ursprünglich  heimisch  gewesen  sind. 

Anthropologisch  bildet  der  ganze  Osten  Kleinasiens,  über 
alle  sprachlichen  Unterschiede  hinweg,  ein  einheitliches  Ge- 
biet mit  einem  scharf  ausgeprägten,  von  allen  anderen  ge- 
sonderten Rassentypus.  Ganz  anschaulich  und  naturgetreu 
tritt  er  uns  in  den  ägyptischen  Darstellungen  der  Chetiter  aus 
den  Kriegen  der  neunzehnten  Dynastie  entgegen:  ein  kur- 
zer, hyperbrachykephaler  Schädel  mit  abgeplattetem  Hinter- 
kopf, stark  zurückweichender  Stirn,  vorspringender,  leicht  ge- 
krümmter Nase,  kleinem  Mund  und  Kinn  und  etwas  ver- 
kniffenen Gesichtszügen.  Damit  stimmen  die  einheimischen 
Skulpturen  überein,  wenn  sie  auch  die  charakteristischen  Züge 
nicht  so  prägnant  und  lebendig  wiederzugeben  vermögen  wie 
die  ägyptischen  Künstler.  Dieser  Typus  hat  sich,  untermischt 
mit  anderen  Gestalten,  in  Kleinasien  und  Armenien  bis  auf 
den  heutigen  Tag  weithin  erhalten  und  hat  auch  die  Be- 
völkerung Nordsyriens  und  Assyriens  stark  beeinflußt  (Bd.  I 
330.  476).  Neben  der  vollen  Übereinstimmung  in  der  Körper- 
bildung bestehn  in  der  Tracht  der  „chetitischen"  Stämme 
charakteristische  Unterschiede.  Bartlos  sind  sie  alle,  so  gut  wie 
die  Sumerer,  im  Gegensatz  zu  den  Amoritern,  den  Assyrern 
und  den  übrigen  Semiten,  aber  die  Haartracht  ist  verschieden : 
neben  den  Kriegern  mit  langem  Haar,  das  in  zwei  Strähnen 
auf  den  Schultern  liegt,  steht  eine  andere  Gruppe,  die  das 
Haupthaar  bis  auf  einen  vom  Hinterkopf  herabhängenden 
Zopf  abrasiert  hat.  Dem  entspricht,  daß  in  diesen  beiden 
Gruppen  auch  der  Schild  und  der  Kriegswagen  verschiedene 
Gestalt  haben.  Auch  die  einheimischen  Skulpturen  zeigen 
den  gleichen  Unterschied,  und  zwar  bereits  die  primitiven 
Siegelzylinder  aus  der  assyrischen  Ansiedlung  vom  Kültepe^). 
Wie  sprachlich   hat  sich  also    die  somatisch  einheitliche  Be- 

')  Das  Material  siehe  in:  Reich  und  Kultur  der  Chetiter  S.  12  fif.  55 
78  ff.  Auch  auf  dem  ganz  alten  Siegelabdruck  vom  Kültepe  S.  54  (u.  S.  17) 
ist  eine  Gruppe  mit  Zöpfen  und  eine  andere  ohne  solche  deutlich  er- 
kennbar. —  Die  ägyptischen  Darstellungen  siehe  auf  Taf.  IV. 


Rassentypus  und  Haartracht  der  Chetiter  H 

völkerung  des  Hochlandgebietes  in  Gruppen  gespalten,  die 
ihre  Eigenart  in  der  Behandlung  des  Haupthaars  lange  Zeit- 
räume hindurch  eben  so  zäh  festgehalten  haben  wie  z.  B.  die 
Semiten. 

Das  Eingreifen  Babyioniens.    Die  Assyrer  in  Kappadol(ien 
und  die  vorderasiatische  Gesamticultur 

Die  Eigenart  dieser  Volksstämme  tritt  uns  seit  dem 
2.  Jahrtausend  sowohl  in  der  Gestaltung  ihres  Staates  wie  in 
der  ihrer  Religion  und  Kunst  entgegen.  Aber  ins  geschicht- 
liche Leben  und  in  einen  größeren  Kulturzusammenhang  sind 
sie  schon  weit  früher  hineingezogen  worden  durch  die  Ein- 
wirkung, die  von  dem  zentralen  Kulturgebiet  Vorderasiens  vom 
Euphrat  und  Tigris  aus  auch  diese  Landschaften  ergriffen 
hat.  Dadurch  erklärt  es  sich,  daß  der  Schwerpunkt  der  Ent- 
wicklung Kleinasiens  im  3.  und  2.  Jahrtausend  in  der  weiten 
kahlen  Hochebene  im  Osten  liegt,  die  der  Halys  in  großem 
Bogen  durchzieht  ohne  sie  zu  befruchten,  also  in  einem  Ge- 
biet, in  dem  man  ihn  am  wenigsten  suchen  würde,  während 
die  reichen  Landschaften  des  Westens  völlig  zurücktreten. 

So  unzulänglich  auch  unsere  Kunde  über  die  Ausdehnung 
der  alten  Reiche  von  Sinear  immer  noch  ist,  so  kann  doch 
kein  Zweifel  sein,  daß  das  von  Sargon  von  Akkad  um  2650^) 
begründete  „Reich  der  vier  Weltteile"  nicht  nur  Elam  und 
die  Zagrosgebiete,  Mesopotamien  und  Nordsyrien  nebst  Cypern 
umfaßt,  sondern  auch  tief  ins  östliche  Kleinasien  hinein- 
gegriffen hat  (vgl.  Bd.  I  398.  402a).  Aus  den  Sagen  von 
Sargon  besitzen  wir  jetzt  den  Eingang  einer  Erzählung,  wie 
aus    dem  weit   abgelegenen,    durch  unwegsame  Gebirge    von 


')  Die  chronologischen  Daten  sind  hier  und  im  folgenden  auf 
Grund  der  Darlegungen  im  Nachtrag  zu  Bd.  I  gegeben;  dabei  habe 
ich  mich  begnügt,  die  niedrigeren  einzusetzen,  die  ich  für  die  wahr- 
scheinlichsten halte  (bei  denen  die  sog.  2.  Dynastie  von  Babel  oder  vom 
Meerlande  völlig  gestrichen  wird);  nach  der  Chronologie  Fotheringham's 
und  seiner  Anhänger  wären  alle  diese  Daten  vor  1750  um  120  Jahre 
zu  erhöhen. 


12  I-  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

Akkad  getrennten  Lande  am  Berge  Galasu  die  Kaufleute  ihn 
zu  Tlilfe  riefen  gegen  den  König  von  Bursachanda  oder 
Buruschanda,  und  er  sich  nach  langem  Zögern  und  vielfachen 
Wechselreden  zu  dem  Kriegszug  entschließt^).  Die  Stadt 
Buruschanda  wird  in  den  aus  Kappadokien  stammenden  Texten 
häufig  erwähnt;  danach  kann  an  der  Lokalisierung  kein 
Zweifel  sein.  Daß  die  Sagenerzählung,  wenn  sie  auch  erst 
viel  später  gedichtet  ist,  einen  historischen  Kern  enthält, 
wird  dadurch  bestätigt,  daß  ein  in  Form  einer  Königsin- 
schrift gefaßter  Bericht  über  die  Taten  Naramsins  unter  den 
von  ihm  bekämpften  Völkern  auch  die  „Scharen  der  Manda", 
der  Barbarenstämme  des  Nordens,  erwähnt  und  von  einer 
Koalition  von  siebzehn  Königen  berichtet,  die  er  besiegt  habe; 
unter  diesen  erscheint  Pamba,  der  König  von  Chatti,  Chu- 
tuni,  der  König  von  Kanis,  ferner  neben  denen  zahlreicher 
anderer  Orte  der  von  Kursaura,  d.  i.  Garsaura  im  westlichen 
Kappadokien  in  der  Nähe  des  Tattasees,  sowie  der  König 
von  Amurri  und  der  König  von  Arman  im  Zagrosgebiet, 
dessen  Besiegung  auch  das  Fragment  einer  Platte  aus  Teile 
erwähnt^). 

Die  Erzählung   von  Sargon  setzt   voraus,  daß  zu  seiner 
Zeit    bereits    akkadische    Kaufleute   (tamlcarö)    im    östlichen 


')  Von  dieser  umfangreichen  Erzählung  im  epischen  Stil,  die 
den  Titel  sar  tamchari,  ,der  König  der  Sehlacht%  führt,  hat  sich 
die  erste  Tafel  in  eigenartiger,  chetitisch  beeinflußter  Orthographie  in 
einem  Privathause  in  Teil  el  Amarna  (MDOG.  55,  1914),  ein  kleines 
Bruchstück  in  Assur  gefunden,  bearbeitet  von  Weidner,  Der  Zug  Sargons 
von  Akkad  nach  Kleinasien,  Boghazkiöistudien  Heft  6.  1922.  Ein  Frag- 
ment einer  chetitischen  Übersetzung  bei  Forrer,  Boghazkiöitexte  in 
Umschrift  no.  1.  Ebenda  no.  2  ein  weiteres  von  Sargon  handelndes 
Fragment. 

2)  Das  Material  s.  Bd.  I  400;  das  Bruchstück  der  Königsinschrift 
Cun.  Texts  XIII 44  aus  der  Bibliothek  Assurbanipals  wird  jetzt  wesentlich 
ergänzt  durch  das  Fragment  einer  chetitischen  Übersetzung  bei  Forreb, 
Boghazkiöitexte  in  Umschrift  no.  8.  wo  von  den  Namen  der  koalierten 
Könige  und  Ortschaften  14  erhalten  sind.  Weitere  Bruchstücke  von 
Übersetzungen  der  Erzählungen  von  Naramsin  ebenda  no.  4.  5. 


Eingreifer  r_.   _.^_-_     .:  ■        -    -  '.loEJie  la  KME-asi'ir         13 

Kleiaasien  inmitten  der  fi-emden  BeTölkemng  ansässig  waren 
Tind  Handel  treiben:  ihr  Führer  trägt  den  Namen  >f^ürdagan^>. 
Dieser  Zustand  tritt  uns  dann  in  der  Folarezeit  ganz  aasekaa- 
lich  entgregen  in  zaKtreiehen  Dokumenten,  die  in  ?tets  wach- 
sender Zahl  an  fersehiedenen  Stellen  Kappadokieii?  ratage 
getreten  sind,  vor  allem  im  Költepe:.  dem  Zentrum  dieser 
Ansiedhingen  östlich  von  Kaisarije  nnd  dem  Argaeo«  Bd.  1 4:^-5  >. 
Tielleieht  der  Stätte  der  in  diesen  Texten  häufig  genannten 
Stadt  Kanic  I  vgL  ö.  S.  5 1.  aber  z.  B.  aach  in  Boghazkiöi.  E^ 
sind  Tontäfelehen  mit  Geschäfeiniiniden  Terschiedenster  Art 
:n  bsbTlonisclier  Keilschrift-  Eine  ron  ihnen  trägt  den  Siegel- 
abdmek  des  Ibisin-  König?  Ton  Ur  ( 22«X» — 2176».  und  beweist 
«omit  daß  da?  Reich  Ton  Samer  und  Aktad  nnter  dieser  Dy- 
nast aneh  diese  Grebiete  umfaßt  hat:  auf  einer  andern  sieht  der 
des  Sargon  (Sarrukin«.  Patesi  tod.  Assur.  Sohn  des  Ekrünum. 
der  wahrscheinlich  um  V^z*J  anzusetzen  ist-':  daraus  ersehen 
sich  als  Zeit  für  die  Hauptmasse  dieser  Urkunden  die  letzten 
Jahrhunderte  des  3.  Jahrtausends.  Dazu  stimmt  sowohl  die 
Gestalt  der  Schriftzeichen  wie  die  DarsteUunsren  derienicren 
SiegeL  die  babTionis/rhen  Tvpus  tragen-  während  andere  p'ri- 
TTritiTe  einheimische  MotiTe  verwenden  '  ~^  o.  S.  10  .  Das 
ganz  überraschende  und  rätselhafte  ist  nun  aber.  da£  in 
ibnpm  nicht  etwa  Babylonien.  sondern  Assrrien  als  m^gebend 
herrortritt-  Da&ert  werden  sie  nach  den  assjnsehen  Jahr- 
beamten  Oimu/.  der  Kalender  ist  der  assTrische.  das  Recht 
«las  Ton  Asur.  .ror  dem  D«;»lchschwert  Assurs"  wird  Zeugnis 
abgelegt  auch  die  Sprache  zeigt  ul  einzelnen  Abweiehunzen 
Tom  Akkaüschen  Sinears  assrrische  Färbung  Unter  den 
?ers>3neiinamen  überwieg^en  die  sp-eziäsch  aäsrrischen  wie 
Fkirn-Tr  u.  a..  darunter  Tor  allen  die  Tnir  dem  Gottesnam^en 
Assur  ^nd  I^rar  2-'    ~-~^~  ■  " -----en  finden  sieh  natürlich  auch 


5d.  I  4^-5  A. . 

-i  Band  I  4.S-5  isrd  5.  Tül  .äer  -3-  A^ilas^. 


14  T.  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

akkadische    und    viele,     die    der    einheimischen    Bevölkerung 
angehören^). 

Diese  Tatsachen  zwingen  zu  der  Annahme,  daß  sich 
die  Assyrer  im  3.  Jahrtausend  weithin  über  die  Gebirgs- 
lande  in  Nordwesten  bis  tief  nach  Kleinasien  hinein  aus- 
gebreitet und  das  ganze  gewaltige  Gebiet  unter  der  Oberlei- 
tun<y  der  Regierung  von  Assur  zu  einer  Einheit  zusammen- 
gefaßt haben.  Es  ist  aber,  soweit  wir  bis  jetzt  sehn  können, 
nicht  sowohl  eine  kriegerische  Eroberung  gewesen,  als  eine 
friedliche  Invasion  durch  Händler  und  Kaufleute  und  daneben 
durch  Kolonisten,  die  sich  als  Bauern  in  den  einzelnen  Ort- 
schaften niederließen  und  damit  zugleich  kultivierte  Zustände 
unter  festgeregelten  Rechtsordnungen  in  diese  fernen  Gebiete 
getragen  haben.  So  wird  es  sich  auch  erklären,  daß  der 
Assyrername  an  den  Landschaften  des  östlichen  Kleinasiens 
bis  über  den  Halys  hinaus  nach  Sinope  an  dieser  Land- 
schaft bis  ins  5.  Jahrhundert  hinein  haften  geblieben  ist")- 
Den  militärischen  Schutz  dagegen  übernimmt  der  Großkönig 
in  Sinear,    wie    es    die   Sagenerzählung   darstellt.    Ein  selb- 


')  Das  Material  hat  sich  über  das  Bd.  I  435  gegebene  beträcht- 
lich vermehrt,  vor  allem  durch  die  Veröffentlichung  der  zahlreichen 
Texte  des  British  Museums  durch  Sidney  Smith,  Cun.  Texts  from  Cappad. 
Tablets.  Weiter  gefördet  ist  das  Verständnis  vor  allem  durch  die 
Arbeiten  von  J.  Lewy,  Studien  zu  den  altassyr.  Texten  aus  Kappad. 
1922  und  weiter  Z.  Ass.  36,  1925,  19  ff.  1.39  ff.,  ferner  seinen  Artikel 
Kappad.  Tontafeln  im  Reallexikon  der  Vorgeschichte  I  212  ff-  [ab- 
weichend Landsberger,  Z.  Ass.  35.  22  ff.  220  ff.],  ferner  in  der  zusammen- 
fassenden Darstellung:  Zur  Gesch.  Assyriens  und  Kleinasiens  im  3. 
und  2.  Jahrtausend,  Orientalische  Lit.-Ztg.  1923,  538  ff.  [Vgl.  weiter  die 
zusammenfassende  Skizze  von  Landsberger,  Assyr.  Handelskolonien  in 
Kleinasien  aus  dem  3.  Jahrtausend,  Der  Alte  Orient  Bd.  24  Heft  4,  1925.1 

2)  Die  seltsame  Behauptung,  daß  der  Name  Aeuxoaüpot,  den  die 
Griechen  seit  Hekataeos  wegen  der  helleren  Färbung  im  Gegensatz 
gegen  die  Syrer  südlich  des  Taurus  neben  Soptoi  (so  durchweg  bei 
Herodot)  und  'Aooopia  für  diese  Bevölkerung  verwenden,  den  Volks- 
namen Lukki  (Lugga)  enthalte  („Lukki-syrer«),  ist  eben  so  widersinnig 
wie  die,  daß  -t]  xotX-r]  Sopiot  und  KotXooopot  den  Namen  der  Choriter 
bewahre. 


Die  Assyrer  im  östlichen  Kleinasien  15 

ständiges  Reich  und  gar  eine  Großmacht  ist  Assyrien  im 
3.  Jahrtausend  und  noch  bis  zum  Ende  des  Amoriterreichs 
von  Babel  hinab  niemals  gewesen;  keiner  der  Fürsten  von 
Assur  führt  den  Königstitel,  sondern  neben  der  Bezeich- 
nung seiner  sakralen  Stellung  lediglich  den  eines  Patesi^). 
Das  wird  vermutlich  mit  der  eigenartigen  politischen  Ge- 
staltung Assurs  zusammenhängen;  die  Fürsten  sind  die 
Hohenpriester  Assurs,  aber  neben  ihnen  stehn  die  weltlichen 

')  Über  die  ältere  Geschichte  Assyriens  ist  unser  Wissen  immer 
noch  ganz  dürftig.  Zwar  hat  die  Aufdeckung  der  ältesten  Schichten 
des  Istartempels  von  Assur  durch  Andrae  (Die  archaischen  Ischtartempel 
von  Assur,  39.  VeröflFentl.  der  DOG.  1922)  einen  lebendigen  Einblick 
in  die  Kultur  des  3.  Jahrtausends  gebracht,  die  hier,  wie  in  dem  von 
Baron  v.  Oppenheim  ausgegrabenen  Teil  Haläf  bei  Resaina  an  der 
Chaborasquelle  (vgl.  Bd.  I  466),  im  übrigen  noch  ganz  unter  sumerischem 
Einfluß  steht,  nur  daß  der  Tempel  hier  nicht  ein  Breitraum  ist  wie  in 
Sinear,  mit  dem  Kultbild  in  der  Mitte  der  Langwand,  sondern  ein 
Langraum  wie  dann  in  Syrien  und  Kleinasien,  mit  dem  Kultbild  auf 
erhöhtem  Unterbau  an  der  hinteren  Schmalwand.  Aber  die  Ausbeute 
an  Inschriften  ist  in  den  älteren  Schichten,  die  bis  über  die  Mitte  des 
Jahrtausends  hinaufgehn,  nur  ganz  gering:  der  vierten  Schicht  von 
unten  gehört  eine  Gipssteinplatte  mit  der  Bauinschrift  des  Zariqu, 
Regenten  (sakkanak)  von  Assur  und  Vasalls  des  Pursin  L,  des  dritten 
Königs  der  Dynastie  von  Ur  (2220—2212)  an,  wahrscheinlich  der  vor- 
hergehenden die  eines  Ititi,  dessen  Titel  zu  pa  (Patesi?)  abgekürzt 
ist.  Mit  dem  Neubau  (fünfte  Schicht)  des  Uusuma  (um  2040,  Zeitgenossen 
des  Sumuabu,  des  Begründers  der  amoritischen  Dynastie  von  Babel 
2049 — 203-5,  vgl.  Bd.  I  437)  beginnt  dann  die  fast  vollständig  wieder 
herstellbare  Reihe  der  Patesi  von  Assur  (s.  Nachträge  zum  ersten 
Bd.  S.  12  ff.,  wodurch  die  Angaben  in  Bd.  I  463  Anm.  wesentlich  er- 
gänzt und  berichtigt  werden).  Sein  Urenkel  ist  Sarrukin  (Sargon  I.) 
von  Assyrien;  der  in  späterer  Abschrift  vorliegende  Text  des  sog. 
„geographischen  Lehrbuchs"  bei  Schroeder,  Keilschr.  aus  Assur  ver- 
schiedenen Inhalts  no.  92,  der  den  Umfang  und  die  J^traßen  des  Reichs 
eines  Sargon  „Königs  der  Welt  (sar  kissaW,  schildert,  gehört  aber 
wahrscheinlich  nicht  diesem,  sondern  der  Sage  von  Sargon  von  Akkad  an 
(s.  Nachträge  S.  23).  —  Samsiadad,  der  zeitweilig  ein  Reich  aufrichtete, 
das  sich  über  Mesopotamien  hinaus  nach  Nordsyrien  und  dem  östlichen 
Kleinasien  erstreckte,  und  daher  den  Titel  sar  kissati  annahm  (Bd.  I, 
464),  ist  wahrscheinlich  Samsiadad  IL.  um  1700—1680  (s.  Nachträge 
S.  21  f.  und  unten  S.  27). 


16  l.  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

Beamten  mit  dem  eponymen  Jahrbeamten  an  der  Spitze,  der 
in  der  alten  Zeit  ähnlich  den  griechischen  Archonten  und  Pry- 
tanen  wirklich  eine  selbständige  Macht  besessen  haben  muß. 
Auch  die  Rechtspflege  lag  nicht  in  den  Händen  der  Könige, 
und  die  assyrischen  Rechtssätze,  von  denen  uns  jetzt  um- 
fangreiche Aufzeichnungen  aus  der  zweiten  Hälfte  des  2.  Jahr- 
tausends vorliegen^),  sind  nicht  etwa  ein  vom  Herrscher 
erlassenes  Gesetzbuch  wie  das  Chammurapis  und  anderer 
babylonischer  Könige,  sondern  Kodifikationen  des  geltenden 
Volksrechts.  Dem  entspricht  es,  daß  wir  in  den  Ortschaften 
Kappadokiens,  Kanis,  Buruschatu  u.  a.  Gerichtshöfe  (garum, 
karrum)  finden  —  offenbar  aus  den  Altesten  gebildet,  wie 
in  den  babylonischen  Städten  auch  —  und  als  Oberinstanz  das 
Gericht  „der  Stadt",  d.  i.  wahrscheinlich  das  von  Assur  selbst. 
Wie  die  Einzelgestaltung  auch  gewesen  sein  mag, 
zweifellos  ist,  daß  sich  in  Vorderasien  unter  babylonischer 
Vorherrschaft  ein  großes  Kulturgebiet  mit  assyrischer  Fär- 
bung gebildet  hat,  das  die  Landschaften  vom  Schwarzen  Meer 
und  dem  Halys  bis  zur  arabischen  V^üste,  von  Cypern  und 
der  Mittelmeerküste  bis  nach  Elam  und  weit  in  die  Gebirgs- 
ketten des  iranischen  Hochlandes  hinein  unter  wohlgeordneter 
Verwaltung  und  festen  Rechtssätzen  in  regem  Handelsverkehr 
zusammenfaßt.  Dieser  Verkehr  führte  zu  einer  ständig  an- 
wachsenden Mischung  der  Bevölkerungen,  die  in  den  Per- 
sonennamen, in  der  Verbreitung  assyrischer  und  babylonischer 
Namen  in  Kleinasien  und  Syrien,  der  von  Mitaninamen  in 
Babylonien  und  Assyrien  deutlich  erkennbar  ist  (Bd.  1 433. 454). 
Daraus  erwächst,  über  alle  Sonderart  der  einzelnen  Volks- 
stämme hinweg,  eine  homogene  „vorderasiatische"  Kultur. 
Sie  beherrscht  alle  Seiten  der  materiellen  Lebensgestaltung 
und  tritt  im  Geschäftsverkehr  und  den  für  diesen  maßgeben- 
den Rechtsanschauungen  und  Rechtsformen  ganz  anschaulich 


')  Ein  altassyr.  Rechtsbuch,  übersetzt  von  H.  Ehelolf,  mit  Ein- 
leitung von  P.  KoscHAKER  1922  (Mitt.  aus  der  Vorderas.  Abt.  der  Ber- 
liner Museen,  Heft  I). 


Gestalt  des  vorderasiatischen  Verkehrs  1 7 

zutage,  in  der  Verwendung  der  schriftlichen  Urkunden  aus 
Ton  (mit  einer  Umhüllung,  auf  der  der  Wortlaut  wieder- 
holt ist)  und  der  Beurkundung  durch  eine  große  Zahl  von 
Zeugen  unter  Beidruck  ihres  Siegels^),  in  den  Formen  des 
Kaufs,  in  Darlehen  und  Zinsfuß,  im  Pfandrecht,  in  den  Pach- 
tungen der  Grundstücke,  in  der  Verdingung  zu  Lohnarbeiten, 
und  nicht  minder  im  Eherecht  sowie  im  Sklavenrecht  und  in 
der  Vermietung  der  Sklavenarbeit  auf  bestimmte  Frist;  dazu 
kommt  die  überall  herrschende  Geldrechnung  nach  reinem 
Silber,  mit  babylonischem  Gewicht  (1  Mine  =  60  Scheqel). 
Wie  im  Warenverkehr,  so  besteht  in  Handwerk  und  Technik 
ein  reger  Austausch.  Für  die  Lebensformen  sei  angeführt,  daß 
neben  dem  Wein  ein  primitives  Gerstenbier  überall  verbreitet 
ist;  da  in  dem  Getränk  die  Gerstenkörner  schwammen,  wird 
es  durch  knotenlose  Rohrhalme  aus  dem  Kruge  gesaugt^)- 
Auch  auf  religiösem  Gebiet  geht  die  Wechselwirkung  an- 
dauernd weiter:  babylonische  Götter  mit  ihren  Mythen  und 
Zauberformeln,  Symbolen  und  bildlichen  Darstellungen  ver- 
breiten sich  wie  nach  Syrien  so  nach  Kleinasien,  und  um- 
gekehrt haben  die  „chetitischen"  Stämme  es  vermocht,  für 
ihre  von  der  babylonischen  gänzlich  verschiedene  Auffassung 
der  Welt  und  der  göttlichen  Mächte  durch  die  Mittel  einer 
noch  ganz  primitiven  Kunst  dennoch  eine  anschauliche  und 
eindrucksvolle  Verkörperung  zu  schaffen,  die  sowohl  auf  Assy- 
rien wie  auf  die  syrischen  Lande  stark  eingewirkt  hat^). 


')  Wenn  die  Zahlung  erfolgt  und  der  Gläubiger  befriedigt  ist,  wird 
diese  Urkunde  gerichtlich  vernichtet. 

2)  In  derselben  Weise,  wie  Xenophon  Anab.  IV  5.  26  f.  das 
Trinken  des  ^süßen  Gerstenweins"  bei  den  Armeniern  beschreibt  und 
Archilochos  fr.  32  [dazu  Wilamowitz,  Hermes  33,  515]  es  bei  den  Thrakern 
und  Phrygern  kennt,  zeigen  es  seit  ältester  Zeit  babylonische  Zylinder, 
in  Kappadokien  ein  ganz  altes  Siegel  vom  Kültepe  (o.  S.  10,  1),  und  im 
U.Jahrhundert  die  Grabstele  eines  syrischen  Söldners  aus  Ägypten: 
Reich  und  Kultur  der  Chetiter  S.  55  f.  154.    Erman,  ÄZ  36,  129. 

3)  Siehe  Bd.  I  478  ff.   und  weiter  Reich   und  Kultur  der  Chetiter 

S.  76ff. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    II'.  2 


Ig  l.  Der  Urieut  bi»  zum  Begiim  des  IG.  Jahrhunderts 

Es  ist  für  die  Geschichte  Sinears  charakteristisch,  daß 
keine  der  zahlreichen  aufeinander  folgenden  Dynastien  ihre 
Macht  lange  hat  behaupten  können.  So  ist  auch  das  Reich 
von  Ur  nach  einem  Bestände  von  wenig  mehr  als  einem  Jahr- 
hundert —  die  fünf  Könige  der  Dynastie  haben  zusammen 
117  Jahre  regiert,  ca.  2296—2180  —  einer  elamitischen  In- 
vasion erlegen,  die  den  letzten  König,  Ibisin,  gefangen  fort- 
führte. Dann  zerfällt  das  Reich  in  eine  Anzahl  kleinerer 
Staaten,  unter  denen  die  nebeneinander  stehenden  Dynastien 
von  Isin  und  von  Larsa  die  bedeutendsten  sind,  die  beide 
den  Titel  von  Königen  von  Sumer  und  Akkad  führen,  von 
denen  aber  namentlich  die  von  Larsa  nur  ein  Spielball  in  den 
Händen  der  Elamiten  gewesen  zu  sein  scheint  \).  Daneben 
entsteht  in  Babel  seit  2049  da*^  Amoriterreich-),  und  diesem 


1)  Siehe  Bd.  I  41G  ö".  und  weiter  Nachträge  S.  28  ff. 

2)  Neuerdings  hat  Th.  Bauer,  Die  Ostkanaanäer,  1926,  das  ge- 
samte sprachliche  Material  über  die  Amoriter  in  Babylonien  gesam- 
melt und  grammatisch  und  lexikalisch  bearbeitet.  So  wertvoll  diese 
Arbeit  sprachlich  ist,  so  wenig  kann  ich  seinen  historischen  Folge- 
rungen zustimmen.  Aus  dem  noch  immer  rätselhaften  Titel  des  Ela- 
miten Kudurmabuk  „adda  von  Martu  und  von  Emutbal"  schließt  er 
im  Anschluß  an  Landsbkrgeb,  Z.  Ass.  3-5,  236  tf-,  daß  das  ideographisch 
Martu  geschriebene  Land,  dessen  Aussprache  als  Amurru  sicher  steht, 
im  Nordosten  Babyloniens  zu  suchen  sei;  daneben  sei  es  eine  Bezeich- 
nung des  Westwindes  und  der  westlichen  Weltgegend,  und  davon  auf 
das  Libanongebiet  als  das  „Land  am  Westnieer"  übei'tragen.  Dabei 
ist  vollständig  verkannt,  daß  Amurru  und  Amoriter  nach  Ausweis  so- 
wohl der  Texte  aus  Amarna  und  Boghazkiöi  wie  der  ägyptischen  In- 
schriften und  der  israelitischen  Angaben  hier  ein  einheimischer,  scharf 
umgrenzter  Name  für  Volk  und  Land  ist.  Das  läßt  sich  von  den 
Amoritern  in  Babylonien  unmöglich  trennen,  und  so  muß  ich  an  der 
früheren  Ansicht  festhalten.  l]s  kommt  hinzu,  daß  die  Sprache,  wie 
Bauers  Bearbeitung  aufs  neue  bestätigt,  eben  ein  westsemitischer  (kana- 
'anäischer  oder  hebräischer)  Dialekt  ist.  Wie  der  Titel  Kudurmabuks 
zu  erklären  ist,  bleibt  nach  wie  vor  ganz  unsicher,  zumal  wir  absolut 
nicht  wissen,  was  adda  bedeutet;  der  amoritische  Ursprung  der  Dy- 
nastie Chammurapis  dagegen  ist  m.  E.  ganz  unverkennbar.  —  In  der 
Ablehnung  der  Phantasien  Clay's  über  die  Amoriter  hat  dagegen  Bauer 
natürlich  voilkommen  recht. 


Ausbreitung  der  babylonischen  Sprache  und  Schritt  19 

gelingt  es,  nach  mancherlei  Schwankungen,  unter  Chammurapi 
(1947 — 1905)  noch  einmal  das  ganze  Land  zu  einigen  und 
auch  nach  außen  seine  Macht  kraftvoll  zu  entfalten.  Trotz 
des  Fehlens  aller  direkten  Zeugnisse  wird  sich  kaum  be- 
zweifeln lassen,  daß  ihm,  wie  Assyrien  und  Mesopotamien, 
so  auch  Nordsyrien  und  das  östliche  Kleinasien  Untertan  ge- 
wesen sind ;  die  kappadokische  Urkunde  mit  dem  Siegel  des 
Sargon,  Patesis  von  Assur  (o.  S.  13),  fällt  etwa  in  diese  Zeit. 
Jedenfalls  hat  in  dieser  Epoche,  der  letzten  und  ab- 
schließenden Glanzzeit  Altbaby loniens,  das  freilich  damals 
bereits  mit  raschen  Schritten  dem  Versinken  in  innerer  Er- 
starrung entgegenging,  der  Zusammenhang  des  vorderasiati- 
schen Kulturgebiets  nicht  nur  fortbestanden,  sondern  sich 
weiter  ausgebildet.  Sprache  und  Schrift  Babyloniens  haben 
.sich  über  ganz  Vorderasien  verbreitet.  Auch  in  Syrien,  Pa- 
laestina  und  Cypern  vollzieht  sich  der  gesamte  rege  Schrift- 
verkehr in  akkadischer  Sprache  und  Schrift,  und  an  den 
Höfen  jedes  der  lokalen  Dynastien  war  ein  Schreiber  unent- 
behrlich, der  diese  beherrschte,  die  diplomatische  Korrespon- 
denz führte,  und  die  Erlasse  der  Regierung  abfaßte  und  be- 
kanntgab. Hier  behalf  man  sich  in  der  Regel  damit,  daß 
man  bei  wichtigen  oder  zweifelerregenden  Ausdrücken  zur 
Erleichterung  des  Verständnisses  das  einheimische  Wort  als 
Glosse  danebensetzte,  sei  es  in  kana'anäischer,  sei  es,  im 
Norden,  in  der  charrischen  oder  Mitani-sprache:  in  dieser 
Gestalt  ist  hier  später,  zur  Zeit  der  ägyptischen  Oberherr- 
schaft, auch  die  Korrespondenz  mit  den  Pharaonen  geführt 
worden.  In  dem  zu  Anfang  des  2.  Jahrtausends  entstan- 
denen Chetiterreich  sind  einige  der  ältesten  Urkunden  zwar 
mit  einem  chetitischen  Königssiegel  verschlossen,  aber  der 
Text  ist  akkadisch,  und  auch  später  hat  man  Verträge  und 
offizielle  Schreiben  in  dieser  -babylonischen"  Sprache  ab- 
gefaßt. Das  Schreibmaterial  bildet  überall  die  Tontafel  — 
daneben  bei  Staatsverträgen  und  bei  zauberkräftigen  reli- 
giösen Urkunden  die  Metallplatte  —  nebst  dem  Schreibgrififel; 
daß  die  ägyptische  Kursivschrift  mit  der  Rohrfeder   nur  auf 


20  I-  Dei"  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

Papyrus  oder  Leder,  aber  nicht  auf  Tontafeln  verwendbar 
ist,  hat  offenbar,  neben  der  langen  politischen  Abhängigkeit 
von  Babylonien,  das  Hindernis  gebildet,  das  ihr  die  Kon- 
kurrenz mit  dem  Akkadischen  unmöglich  machte.  Gelernt 
wurde  das  Lesen  in  derselben,  jahrelanges  Studium  erfor- 
dernden Weise,  wie  in  Sinear  selbst,  oder  vielmehr  noch 
umständlicher.  Die  unentbehrliche  Grundlage  bildete  die 
Kenntnis  der  sumerischen  Formen  und  Lesungen,  also  die  Er- 
lernung einer  längst  erstorbenen  Sprache;  dann  folgte  ihre 
Umsetzung  in  die  akkadischen  Wörter,  und  diese  wurden 
dann  wieder  für  die  Schreibung  der  einheimischen  Sprachen 
benutzt,  gerade  bei  den  geläufigsten  Wörtern  in  der  Regel 
so,  daß  man  das  akkadische  Wort  oder  das  dieses  bezeich- 
nende sumerische  Äquivalent  schrieb,  es  aber  beim  Lesen 
durch  das  einheimische  Wort  ersetzte.  Daher  waren  lexika- 
lische und  grammatische  Hilfsmittel  hier  ebenso  unentbehr- 
lich, wie  in  Babylonien  und  Assyrien  selbst,  und  weiter  als 
Leseübung  literarische  Texte,  darunter  Mythen  und  Sagen  aller 
Art,  denen  dann  Übersetzungen  beigefügt  werden  mochten. 
Derartige  Schriftstücke  haben  sich  im  Archiv  von  Boghazkiöi 
in  großer  Zahl  gefunden;  und  nicht  anders  sind  die  Ägypter 
verfahren,  wenn  sie  für  den  diplomatischen  und  Geschäfts- 
verkehr die  Tontafel  und  die  Keilschrift  verwenden  und  die 
fremden  Dokumente  lesen  und  beantworten  wollten. 

Die  indogermanischen  Chetiter 

In  diese  Welt  ist  nun  mit  der  indogermanischen  Schicht 
der  Chetiter  ein  weiteres  Volkselement  eingetreten.  Über  Zeit 
und  Verlauf  ihres  Eindringens  besitzen  wir  keinerlei  Kunde; 
immerhin  gestattet  aber  der  eigenartige  Charakter,  den  ihre 
Sprache  trägt,  darüber  wenigstens  einige  Vermutungen.  Diese 
Chetiter  sind  der  erste  Zweig  der  Indogermanen,  der  in 
die  Geschichte  eingetreten  ist;  aber  während  alle  anderen 
indogermanischen  Sprachen  in  der  Gestalt,  in  der  sie  uns 
geschichtlich  zuerst  entgegentreten,  einander  und  daher  auch 
der  rekonstruierten  Ursprache  —  die  natürlich  immer  schon 


Die  indogermanischen  Chetiter  21 

in  Dialekte  gespalten  war  —  geradezu  überraschend  nahe 
stehn^)  und  ebenso  die  Beschreibungen  ihrer  körperlichen 
Erscheinung,  wo  solche  vorliegen,  überall  den  gleichen  so- 
matischen Typus  zeigen^),  ist  diese  am  frühesten  bezeugte 
Sprache  so  stark  mit  fremden  Elementen  durchsetzt,  daß  ihr 
indogermanischer  Charakter  nur  mit  Mühe  erkannt  werden 
konnte  und  zunächst  vielfach  bestritten  wurde.  Erhalten  hat 
er  sich  —  neben  Neubildungen  —  in  der  Flexion  der  Nomina 
und  Verba,  im  Pronomen,  in  manchen  Partikeln  und  in 
einem  Teil  des  Wortschatzes.  Aber  daneben  stehn  so  viele 
nichtindogermanische  und  offenbar  aus  den  einheimischen 
Sprachen  übernommene  Wörter,  daß  die  Texte  als  Ganzes 
einen  durchaus  fremdartigen  Eindruck  erzeugen;  auch  der 
Satzbau,  in  dem  sich  die  Denkweise  der  Sprache  offenbart, 
mutet  keineswegs  indogermanisch  an.  Das  gleiche  gilt  von 
der  äußeren  Erscheinung;  alle  Darstellungen  von  Chetitern 
aus  der  Zeit  ihres  Großreichs,  sowohl  die  ägyptischen  wie 
die  einheimischen,  zeigen  den  echten  . kleinasiatischen "  Typus 
(o.  S.  10),  dagegen  keine  Spur  indogermanischer  Beimischung. 
Daraus  werden  wir  folgern  dürfen,  daß  die  Invasion 
schon   in    früher    Zeit    erfolgt   ist,    spätestens    etwa    um    die 


')  Das  gilt  gleichmäßig  vom  Indischen  und  Iranischen,  dem 
Griechischen,  dem  ältesten  Lateinisch  und  Keltisch,  dem  Phrygischen, 
und,  trotz  ihres  späten  Auftretens,  vom  Slawischen  und  Litauischen. 
Über  das  Germanische  s.  u.  S.  38  f.  Analog  dem  Chetitischen  ist  nur 
das  in  zwei  Dialekten  vorliegende  Tocharische,  das  stark  mit  fremd- 
artigen Elementen  und  Neubildungen  durchsetzt  ist,  wenn  auch,  so- 
weit ich  sehn  kann,  lange  nicht  in  dem  Umfang  wie  das  Chetitische. 
Im  übrigen  aber  vollzieht  sich  das  volle  Auseinandergehn  der  Sprachen 
überall  erst  in  einer  Zeit,  aus  der  geschichtliche  Dokumente  vorliegen, 
und  hat  dann  in  manchen  Fällen  zu  einer  fast  vollständigen  Verwischung 
des  ursprünglichen  Sprachtypus  geführt,  so  beim  Irischen  und  beim 
Englischen. 

^)  So  in  den  Schilderungen  der  Kelten,  Germanen,  Slawen.  Auch 
in  den  indischen  und  den  griechischen  Zeugnissen  ist  derselbe  Typus 
noch  erkennbar.  Ganz  lebendig  tritt  uns  dann  dieser  dem  alten  Orient 
fremde  „europäische"  Typus  in  den  ägyptischen  Abbildungen  der  nicht- 
semitischen Häuptlinge  aus  Syrien  entgegen  (s.  u.  S.  34-). 


22  I-  Dei'  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

Mitte  des  3.  Jahrtausends,  und  weiter,  daß  die  Schicht  der 
eindringenden  Eroberer  nur  dünn  gewesen  sein  kann,  etwa 
wie  die  der  Galater  in  Phrygien,  der  Germanen  in  den  Pro- 
vinzen des  Römerreichs,  der  Normannen  in  Rußland,  der  Nor- 
mandie,  England,  Sicilien,  Palaestina,  aber  nicht  eine  Massen- 
einwanderung wie  die  der  Slawen  auf  der  Balkanhalbinsel 
oder  der  Phryger  und  Armenier  in  Kleinasien,  und  die  der 
Araber  und  dann  die  der  Türken  im  Khalifenreich.  In  allen 
diesen  Fällen  überrennt,  wie  bei  der  Invasion  der  „Indo- 
skythen",  der  Hunnen,  der  Mongolen,  der  einbrechende 
Kriegerstamm  die  seßhafte,  durch  die  Plötzlichkeit  des  An- 
griffs überraschte  Bevölkerung;  eine  Überlegenheit  der  Be- 
waffnung, die  Metallwaffen  der  Bronzezeit  im  Gegensatz  zu 
den  mit  Steinspitzen  versehenen  Lanzen  aus  Rohrschäften 
der  Einheimischen,  scheint  hinzugekommen  zu  sein^),  und 
weiter  die  Verwendung  des  mit  Rossen  bespannten  Streit- 
wagens. Die  Eindringlinge  haben  weite  Gebiete  unterworfen 
—  daher  scheidet  sich  ihre  Sprache  in  zwei  Dialekte,  das 
Kanisisch-chetitische  und  das  Lu wische'-)  —  und  die  Herr- 
schaft behauptet;  aber  physisch  haben  sie  (wie  die  Magyaren 


')  Eine  Erinnerung  an  die  Kämpfe,  in  denen  das  Land  erobert 
wurde,  scheinen  die  Kampfspiele  in  einem  Festritual  zu  bewahren, 
das  Ehelolf,  Ber.  Berl.  Ak.  192-5,  269  ff.,  behandelt  hat.  Hier  wird  das 
Heer  in  zwei  Teile  geteilt,  die  „Mannschaft  von  Chatti"  und  die 
, Mannschaft  von  Masa  (sprich  Masa)" ;  jene  erhalten  Waffen  von  Bronze, 
diese  Waffen  von  Rohr;  natürlich  siegen  die  Chetiter  und  überliefern 
einen  Gefangenen  als  Beuteanteil  an  die  Gottheit.  Masa  lag  wahi*- 
scheinlich  in  den  westkilikischen  Gebirgen.  Der  Gegensatz  der  Be- 
waffnung ist  offenbar  geschichtlich  zutreffend;  falls  das  Kampfspiel 
wirklich  in  die  Urzeit  zurückgeht,  müssen  wir  allerdings  annehmen, 
daß  die  Bezeichnung  der  Sieger  als  „Männer  von  (der  Stadt)  Chatti"  — 
beide  Namen  sind  auch  hier,  wie  durchweg  in  den  chetitischen  In- 
schriften, mit  dem  Stadtdeterminativ  geschrieben  —  erst  später  ein- 
gesetzt ist,  als  Chatti  der  Name  des  Reichs  und  seines  Volkes  ge- 
worden war. 

^)  Ob  diesen  beiden  Sprachen  irgendwie  die  oben  S.  10  be- 
sprochenen Unterschiede  in  Haartracht  und  Bewaffnung  entsprechen, 
liißt  sich  bisher  nicht  erkennen. 


Eindringen  der  indogermanischen  Chetiter  23 

in  Ungarn,  die  Osmanen  in  Kleinasien)  durch  die  Mischung 
mit  der  einheimischen  Bevölkerung  deren  Typus  angenommen, 
und  sowohl  sprachlich  wie  kulturell,  vor  allem  auch  auf 
religiösem  Gebiet,  die  stärkste  Einwirkung  von  diesen  er- 
fahren. Daher  ist  dann  auch  der  alteinheimische  Chetiter- 
name  auf  ihr  Reich  und  Volk  und  ihre  Hauptstadt  über- 
gegangen. 

Soweit  sich  bis  jetzt  erkennen  läßt,  gehört  das  Chetitische 
dem  westHchen  Zweige  der  Indogermanen,  den  Kentum- 
sprachen,  an.  Daß  sie  in  derselben  Weise,  wie  später  die 
Kimmerier.  über  den  Kaukasus  gekommen  sind,  wird  man 
kaum  bezweifeln  können,  da  sie  sich  sonst  gewiß  in  den 
reichen  Ebenen  des  Westens  angesiedelt  haben  würden.  Sie 
haben  das  Pferd  und  den  Wagen  nebst  den  Rennspielen  mit- 
gebracht, die  dem  alten  Orient  fremd,  dagegen  bei  allen 
Indogermanen  altererbt  sind.  Einen  mit  vier  Pferden  be- 
spannten Wagen,  auf  dem  der  Lenker  sitzt,  treffen  wir  be- 
reits auf  den  ,,ka})padokischen"  Tontafeln  in  Abdrücken  ganz 
primitiver  Siegelzylinder  offenbar  einheimischer  Arbeit;  und 
im  Külte])e  haben  sich  kleine  mit  Zaumzeug  geschirrte  Pferde- 
köpfe aus  Ton  gefunden \).  Aus  Ägypten  stammt  ein  leicht 
gebauter  Wagen  altertümlicher  Konstruktion,  der  aus  Ulmen- 
und  Eschenholz  gearbeitet  ist;  die  Nabe  ist  mit  den  Speichen 
durch  Birkenbast  verbunden,  das  vordere  Ende  der  Deichsel 
damit  umwickelt^).  Ägyptische  Arbeit  ist  dieser  Wagen  nicht; 
da  die  Birke  über  das  südöstliche  Europa   und  das  Kaukasus- 

')  Reich  und  Kultur  der  Chetiter  S.  51  &..  1.5o  ö'.  (vgl.  Bd.  I  435  A. 
455  A.). 

^)  Jetzt  im  Museum  von  Florenz  (Bd.  I  520  A.  durch  Flüchtig- 
keit als  Wagen  Thutmosis'  IV.  bezeichnet),  bei  Nuoffer,  Der  Rennwagen 
iin  Altertum,  1904  S.  12  ff.  und  Tat'.  I;  über  das  Material  siehe  Schüch- 
HARiiT,  Praehist.  Z.  II  1910,  327  ff.  und  berichtigt  IV  1912,  447.  Die  ganz 
dünnen  Räder  haben  nur  vier  Speichen,  nicht  sechs,  wie  später;  die 
Brüstung  ist  ein  dünnes  Geländer,  nicht  ein  Wagenkasten.  Gleichartig 
sind  nach  den  ägyptischen  Abbildungen  die  Wagen  in  Syrien  eur  Zeit 
der  18.  Dynastie,  so  auch  der  als  Tribut  gebrachte  im  Grabe  des 
Mencheperi  e'senib,  Fremdvöl-kerphot.  721. 


24  T.  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

gebiet  nicht  hinausreicht,  wird  er  von  den  Chetitern  bezogen 
sein  und  man  in  ihm  einen  Beleg  für  deren  Herkunft  erblicken 
dürfen. 

Diese  Erwägungen  fuhren  zu  der  Annahme,  daß  die 
indogermanischen  Chetiter  zur  Zeit  der  assyrischen  Geschäfts- 
urkunden bereits  in  den  Ortschaften  Kappadokiens  ,  so  vor 
allem  in  Kanis,  gesessen  haben  ^).  Auch  von  Chammurapi 
werden  sie  abhängig  gewesen  sein.  Die  Einwirkung  dieses 
Reichs  tritt  darin  hervor,  daß,  als  die  Stämme  des  Chatti- 
landes  begannen,  die  Keilschrift  zur  Schreibung  ihrer  Sprache 
zu  verwenden,  sie  nicht  die  Schriftformen  der  „kappadoki- 
schen"  Tontafeln  übernommen  haben,  sondern  die  unter  der 
ersten  Dynastie  von  Babel  gebräuchlichen^);  durch  möglichste 
Ausscheidung  der  Mehrdeutigkeit  der  Lautzeichen  ist  sie  dabei 
wesentlich  vereinfacht  worden. 

Die  Anfänge  des  chetitischen  Reichs 

Auch  das  Reich  der  Amoriter  hat  die  von  Chammurapi 
errungene  Machthöhe  nicht  lange  behaupten  können.  Schon 
sein  Sohn  Samsuiluna  hat  aufs  neue  mit  einem  Rivalen 
Rimsin  zu  kämpfen,  wahrscheinlich  einem  Prätendenten,  der 
als  Nachkomme  des  von  Chammurapi  besiegten  Rimsin  von 
Larsa  auftrat  und  dessen  Reich  wieder  herzustellen  versuchte. 
Gleichzeitig  entsteht  im  Süden  ein  Reich  des  „Meerlandes" 
(die  sog.  zweite  Dynastie),  das  sich  dauernd  behauptet  hat  ^). 
Unter  den  folgenden  Königen  setzen  sich  diese  Kämpfe  fort; 
da  werden  sich  auch  die  Vasallen  im  Norden  wieder  un- 
abhängig gemacht  haben. 

In  diese  Zeit,  etwa  seit  1900,  fallen  die  Anfänge  eines 
chetitischen  Reichs.  Sein  ältester  Mittelpunkt  ist  die,  auch 
in  den   „kappadokischen"  Texten  gelegentlich  vorkommende, 

')  Ob  der  bei  Naramsin  genannte  König  Pamba  von  Chatti  (oben 
S.  12)  den  Protochattiern  oder  den  späteren  Chetitern  angehört,  ist 
natürlich  nicht  zu  sagen. 

-)  FoRRER,  Boghazkiöitexte  in  Umschrift  I  S.  1  ff. 

3)  Siehe  Bd.  I  452  und  Nachträge  S.  7  ff. 


Die  ältesten  chetitischen  Könige  25 

Stadt  Kussar,  deren  Lage  noch  nicht  ermittelt  ist.  Der  erste 
König  von  Kussar,  von  dem  wir  Kunde  haben,  ist  Anitta, 
Sohn  des  Bidchäna,  der  in  einer  großen  Inschrift  von  seinen 
Taten  berichtet;  er  hat  u.  a.  auch  mit  Bijustis,  „König  von 
Chatti"  —  mit  der  Hauptstadt  Chattusas,  d.  i.  Boghazkiöi  — 
gekämpft,  das  eigentliche  Chetiterland  also  nicht  beherrscht^). 
Wesentlich  erweitert  ist  das  Reich  durch  Tabarna^),  der  zahl- 
reiche Orte  in  Kappadokien  unterworfen  hat,  darunter  Chu- 
bisna  und  Barsuchanta  sowie  Tyana  (Tu wann a)  in  dem  frucht- 
baren Tal  am  Taurus  am  Rand  der  westlichen  Steppe^). 
Er  hat  den  Titel  „Großkönig"  angenommen  und  damit  sein 
Reich  als  eine  unabhängige  ebenbürtige  Macht  neben  das 
Reich  von  Babel  gestellt.  Daher  ist  er  als  der  eigentliche 
Begründer  des  Reiches  betrachtet  worden:  sein  Name  wird  in 
der  Folgezeit  vielfach  titular  als  Bezeichnung  des  Herrschers 
verwendet ').   Unter  seinem  zweiten  Nachfolger  Mursilis  I.  ist 


')  Der  Text  bei  Forrer,  Boghazkiöitexte  in  Umschrift  no.  7 
und  30.  Übersetzungsversuch  von  Jon.  Friedrich,  Aus  dem  hethit. 
Schrifttum  Heft  I  (Der  Alte  Orient  24,  3,  1925).  —  In  dieselbe  Zeit 
gehört  wohl  auch  König  Bimbiras,  Forrer  no.  9,  der  neben  anderen 
Königen  und  Königinnen  der  alten  Zeit  auch  in  der  Opferliste  Forrer 
28,  7  erwähnt  wird. 

")  Auch  Labarna  geschrieben;  als  wahre  Aussprache  vermutet 
Hrozny  wohl  mit  Recht  Tlabarna. 

')  Mit  ihm  beginnt  der  umfangreiche  Bericht  des  Telibinus  über 
die  Geschichte  des  Reichs,  Forrer  no.  23;  Übersetzungsversuch  von 
Hrozny,  Boghazkiöistudien  III  (dazu  V  49  fl'.)  und  von  Friedrich  a.  a.  0. 
Auch  von  der  akkadischen  Fassung  des  Textes  sind  Bruchstücke  er- 
halten (Keilschrifttexte  aus  Boghazkiöi  I  no.  27). 

*)  So  besonders  deutlich  in  der  zweisprachig  (chetitisch  und  ak- 
kadisch)  vorliegenden  „Tafel  des  Großkönigs  Tabarna,  als  der  Groß- 
könig Tabarna  in  der  Stadt  Kussar  erkrankt  war  und  den  Sohn 
Mursilis  zum  Königtum  berief;  Forrer  no.  8,  übersetzt  von  Götze, 
Z.  Ass.  34,  1922,  170  ff.  Hier  „sagt  der  Tabarna  zu  seinen  Beamten: 
ich  habe  jetzt  meinen  Sohn  zum  Tabarna  über  euch  eingesetzt".  [Der 
nach  seiner  Mutter  geartete  Sohn,  gegen  den  der  König  die  schwersten 
Vorwürfe  erhebt,  kann  aber  nicht  der  jetzt  eingesetzte  Mursilis  sein, 
sondern  nur  sein  jetzt  entrechteter  Bruder;  ZI.  3  wird  zu  übersetzen  sein: 
„ihn,  den  Sproß  seiner  Mutter,  habe  ich,  der  König,  gerufen"  u.  s.  w.] 


26  '•  l>er  Orient  bis  zum  Beginn  des  Iß.  Jahrhunderts 

dann  die  Residenz  nach  der  Stadt  Chattusas,  d.  i.  Boghaz- 
kiöi,  verlegt;  damit  ist  der  Chetitername  die  offizielle  Be- 
zeichnung des  Reichs  geworden.  Von  Mursilis  erfahren  wir, 
daß  er  zuerst  die  Stadt  Chalpa  (Aleppo),  damals  Sitz  eines 
Großkönigtums^),  dann  Babel  erobert  und  ausgeplündert,  die 
Beute  nach  Chattusas  fortgeschleppt  hat.  Dieser  Kriegszug 
ist  ofi'enbar  identisch  mit  der  Angabe  einer  babylonischen 
Chronik,  daß  unter  Sarasuditana,  dem  letzten  König  der  amo- 
ritischen  Dynastie  von  Babel  (1780  — 1750),  die  Chetiter  gegen 
das  Land  Akkad  zogen  (Bd.  I  454).  Damit  i.st  ein  festes 
Datum  gewonnen;  wir  haben  Mursilis  I.  um  1750,  Tabarna 
um  1800  anzusetzen,  die  ältesten  chetitischen  Könige,  die  wir 
kennen,  fallen  ins  19.  Jahrhundert. 

Zugleich  gewinnen  wir  dadurch  einen  Einblick  in  die 
großen  Umwälzungen,  die  in  dieser  Epoche  eingetreten  sind. 
In  Kleinasien  haben  die  Chetiter  die  Suprematie  der  Assyrer 
und  des  Reichs  von  Babel  abgeschüttelt  und  ein  selbständiges 
Großreich  begründet,  und  jetzt  wenden  sie  sich  gegen  die 
zentralen  Kulturgebiete,  zunächst  gegen  Syrien,  wo  die  große 
Handelsstadt  Aleppo  ihnen  zur  Beute  fällt,  dann  gegen  Babel 
selbst.  Auch  mit  den  Charriern  hat  Mursilis  Krieg  geführt.  In 
diesen  Kämpfen  ist  das  Amoriterreich  zugrunde  gegangen,  und 
Babylonien  verliert  endgültig  die  Vormachtstellung,  die  ihm 
Chammurapi  und  seine  Dynastie  noch  einmal  wiedergewonnen 
hatte.    Im  Süden   behauptet  sich   die    ohnmächtige  Dynastie 


Der  Vater  kann  nicht  der  König  Tabarna  sein,  da  auf  diesen  zunächst 
Chattusilis  I.  und  dann  erst  Mursilis  I.  gefolgt  ist.  —  Ein  Siegel  des 
Tabarna  Großkönig  Chuzzia  (des  vierten  Nachfolgers  des  Mursilis) 
bildet  den  Verschluß  einer  akkadisch  geschriebenen  Schenkungsurkunde 
(FoRRER,  ZDMG.  76,  1922,  183;  abgebildet  in  Reich  und  Kultur  der 
Chetiter  S.  44  no.  34);  dagegen  wird  das  von  Forrer  augeführte  Siegel 
„Tabarnas  des  Großkönigs"  auf  einer  gleichartigen  Urkunde  in  der  Tat 
von  dem  alten  König  stammen. 

')  So  in  dem  Vertrage  des  Mursili  II.  mit  Chalab  ZI.  11,  wo  an- 
gegeben wird,  daß  Chattusil  I.  mit  diesem  in  guten  Beziehungen  stand, 
aber  Mursili  I.  „das  Königtum  von  Chalab  und  das  Land  Chalab  ver- 
nichtete".  Vgl.  u.  S.  30. 


Niedergang  Babyloniens.    Chetitei-  und  Assyrer  27 

des  Meerlandes,  über  den  Norden  Sinears  und  Babel  selbst 
dagegen  gewinnen  die  Kossaeer  die  Herrschaft;  ihr  Häuptling 
Gandas  gründet  das  Reich  von  Kardunias  (Bd.  I  457.  460). 
Auch  die  Erfolge,  die  etwa  um  dieselbe  Zeit  Samsiadad  von 
Assur  —  wahrscheinlich  der  zweite  Herrscher  dieses  Namens  — 
um  1720  V.  Chr.  ^)  errungen  hat,  sind  nicht  von  Dauer  ge- 
wesen. Er  hat  „das  Land  zwischen  Tigris  und  Euphrat  be- 
zwungen", in  Tirqa,  der  Hauptstadt  des  kleinen  Reichs  Ghana, 
in  der  Nähe  der  Chaborasmündung  (Bd.  I  433),  deren  Grott 
Dagan  einen  Tempel  gebaut,  „den  Tribut  des  Königs  von 
Tukris  und  des  Königs  des  oberen  Landes  in  Assur  ent- 
gegengenommen und  Stelen  mit  seinem  Namen  im  Lande 
Lab'an  am  Gestade  des  großen  Meeres  aufgerichtet"  (Bd.  I 
464).  Somit  scheint  es.  daß  seine  Vormacht  sich  zeitweilig 
bis  ans  Schwarze  Meer  erstreckt  hat  und  auch  der  Chetiter- 
könig  —  falls  das  für  ihn  vermutete  Datum  richtig  ist,  in 
der  Zeit  des  Rückganges  ihrer  Macht  unter  den  Nachfolgern 
des  Mursilis  —  ihm  gehuldigt  hat.  Samsiadad  hat  den  Titel 
eines  „Königs  der  Welt"  (sar  kissati)  angenommen,  neben 
dem  die  bis  dahin  in  Assur  üblichen  religiösen  Titel,  auch 
der  eines  Patesi,  zurückgedrängt  werden ;  daher  nennt  er  auch 
gegen  allen  sonstigen  Brauch  in  seinen  Inschriften  seinen 
Vater  nicht,  wohl  aber  rühmt  er,  daß  „Anu  und  Ellil  seinen 
Namen  über  die  Könige  vor  ihm  zu  großen  Dingen  berufen 
haben".  Er  preist  den  Wohlstand  und  die  billigen  Preise, 
die  in  Assur  bestanden,  als  er  hier  den  Tempel  des  Assur 
erbaute.  Aber  nach  ihm  findet  sich  von  dieser  assyrischen 
Großmacht  nichts  mehr,  seine  Nachfolger  begnügen  sich  jahr- 
hundertelang wieder  mit  dem  Titel  eines  Patesi  von  Assur. 
Auch  die  Macht  der  Chetiter  hat.  wie  schon  angedeutet, 
keinen  Bestand  gehabt.  Nach  der  Ermordung  des  Mursilis 
durch  seine  Magnaten  erfahren  wir  durch  den  nur  mit  großen 
Lücken  erhaltenen  Bericht  seines  fünften  Nachfolgers  Teli- 
binus  von  wiederholten  Usurpationen  und  Thronstreitigkeiten; 


')  Siehe  o.  S.  1-5  Anm.  1» 


28  1-  Dei"  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderlß 

daneben  werden  Kriegszüge  gegen  Karkemis  in  Nordsyrien, 
gegen  Togarma  (Tagarama)  im  östlichen  Kappadokien,  gegen 
Arzawija  in  der  Ebene  Kilikiens  erwähnt.  Offenbar  ist  das 
Reich  im  wesentlichen  auf  die  Lande  nördlich  vom  Taurus 
beschränkt  geblieben  und  wird  auch  hier  durch  die  inneren 
Wirren  und  durch  Aufstände  erschüttert  worden  sein.  Erst 
Mursilis'  vierter  Nachfolger,  Chuzzija^),  hat  wieder  Ordnung 
geschaffen  und  unter  den  unbotmäßigen  Hofbeamten  auf- 
geräumt. Sein  Nachfolger  ist  sein  Schwager  Telibinus,  der 
als  Einleitung  zu  einer  festen  Ordnung  der  Thronfolge  und 
der  Reichsverfassung  den  dieser  Darstellung  zugrunde  liegen- 
den ausführlichen  Bericht  über  die  Schicksale  seiner  Vor- 
gänger gegeben  hat.  Er  befiehlt  seinem  Nachfolger,  zwar 
jeden  „Königssohn",  der  ein  Verbrechen  begeht,  rücksichtslos 
hinrichten  zu  lassen,  aber  ihre  Angehörigen  und  Diener  zu 
verschonen  —  eine  zugleich  streng  rechtliche  und  humane 
Auffassung,  wie  sie  bei  den  Chetitern  immer  wieder  hervor- 
tritt. Eine  Anzahl  hoher  Beamten,  offenbar  die  Hauptstützen 
seiner  Regierung,  soll  dagegen  nicht  angetastet  werden.  Wir 
werden  Telibinus  etwa  um  1650  anzusetzen  haben;  mit  ihm 
bricht  unsere  Kunde  ab,  selbst  die  Namen  der  Könige  sind 
uns  für  einen  Zeitraum  von  etwa  zwei  Jahrhunderten  bisher 
so  gut  wie  unbekannt  geblieben^). 

Das  charrische  Reich  Mitani 

Die  Vormacht  in  den  vorderasiatischen  Gebieten   ist  in 
dieser  Zeit  auf  das  Reich  von  Mitani  oder  Chanigalbat  über- 


')  Die  Königsfolge  ist:  der  Mundschenk  Chantili  ermordet  mit 
Zidantas  zusammen  den  Mursilis.  Nach  seinem  Tode  rottet  Zidantas 
seine  Nachkommen  aus  und  wird  selbst  König.  Er  erliegt  einer  Ver- 
schwörung, an  deren  Spitze  sein  eigener  Sohn  Ammunas  steht.  Auf 
diesen  folgt  Chuzzijas. 

2)  FoRRER  im  Text  zu  den  Boghazkiöitexten  in  Umschrift  S.  1.3*  fl'. 
hat  versucht,  die  Königsliste  herzustellen.  Aber  auch  wenn  seine  Kom- 
binationen sich  als  im  wesentlichen  stichhaltig  bestätigen  sollten,  wird 
sie  doch  schwerlich  schon  vollständig  sein. 


Das  Reich  Mitani  oder  Chanigalbat  29 

gegangen.  Sein  Schwerpunkt  liegt  in  dem  Hügellande  östlich 
vom  Euphrat  (dem  „Stromlande"  Naharain)  am  Fuß  desMasios- 
gebirges  (Tür'äbdin,  bei  den  Assyrern  Kasijargebirge),  das  von 
zahlreichen  Bächen  durchströmt  ist,  die  sich  zum  Belichos 
und  Chaboras  vereinigen.  Hier  liegen  mehrere  Ortschaften 
alter  Kultur,  so  Teil  Chaläf  (Guzana)  bei  Resaina,  nahe  der 
Chaborasquelle,  mit  Reliefs  und  Statuen  im  sumerischen  Stil 
aus  der  ersten  Hälfte  des  3.  Jahrtausends  (Bd.  I  466),  ferner 
Charrän  im  Belichosgebiet,  Nisibis  u.  a.  Im  Chaborasgebiet 
wird  auch  Wasuggani,  die  Hauptstadt  des  Mitanireichs,  zu 
suchen  sein.  Weiter  nach  Süden  geht  das  Kulturland  in  die 
felsige,  lediglich  von  wandernden  Nomadenstämmen  bewohnte 
Einöde  über,  die  sich  bis  an  die  Grenzen  des  babylonischen 
Tieflandes  hinzieht;  nur  in  den  Tälern  des  Chaboras  und  des 
Euphrat  finden  sich  mehrere  Städte,  darunter  das  von  Sam- 
siadad  II.  eroberte  Tirqa,  zeitweilig  der  Sitz  eines  selbstän- 
digen Fürstentums  Ghana  (S.  27).  Dieser  Name  ist  wahr- 
scheinlich eine  Verkürzung  von  Chanigalbat;  und  mit  diesem 
wohl  in  weit  ältere  Zeit  zurückreichenden  Namen  wird  das 
Reich,  das  sich  offiziell  Mitani  nennt,  im  populären  Sprach- 
gebrauch der  Folgezeit  ständig  bezeichnet^). 


')  So  von  den  Chetitern  (Vertrag  mit  Aleppo  ZI.  17.  19,  mit  Mitani 
ZI.  23),  dem  Assyrerkönig  (Amarna  10,  22.  26),  einem  palaestinensischen 
Dynasten  (Am.  255,  10.  20);  auch  Dusratta  nennt  sein  Reich  gelegentlich 
Chanigalbat  (Am.  18,  9.  20,  17.  29,  49).  Kadasmancharbe  von  Babel  hegt 
den  Verdacht,  die  seinem  Sohn  als  seine  Schwester  gezeigte  Harems- 
dame sei  in  Wirklichkeit  „die  Tochter  eines  Armen  [niuskinu)  oder 
eines  Gagaeers  oder  Chanigalbataeers  oder  aus  ügarit"  (Am.  1,  37). 
Gagaeer,  wohl  identisch  mit  den  von  den  Chetitern  oft  erwähnten 
Gasgaeern  in  Kleinasien  (Gasgas  auch  im  Arzawabrief  Am.  31,  25), 
scheint  die  Stämme  im  Norden  im  allgemeinen  zu  bezeichnen,  wie 
hebr.  Gog.  —Weiteres  s.  Bd.  I  465  A.;  bei  Salmanassar  I.  (jetzt  bei 
Weidner,  Inschr.  der  altassyr.  Könige,  S.  116  ZI.  20)  wechselt  Chani- 
galbat mit  Chani.  Verfehlt  war  meine  Annahme  Bd.  I  454.  daß  Chani 
oder  Ghana  mit  den  Chetitern  zusammenhänge  und  diese  nach  der 
Ausplünderung  Babels  hier  am  Chaboras  ihren  Herrschersitz  aufge- 
schlagen hätten.  —  Woher  der  Name  Mitani  für  das  Reich  kommt, 
ist  ganz  dunkel. 


30  J-  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  Ki.  Jahrhunderts 

Durch  die  Aufrichtung  des  Mitanireichs  sind  die  Assyrer 
nach  den  vorübergehenden  Erfolgen  unter  Samsiadad  II. 
wieder  ganz  auf  ihren  Stammsitz  am  Tigris  zurückgedrängt. 
Weiter  im  Süden  hält  das  Reich  von  Kardunias  zwar  seine 
großen  Prätensionen  aufrecht,  ist  aber  unter  der  Herrschaft 
der  kossaeischen  Kriegerhorden  und  des  von  diesen  auf  den 
Thron  gesetzten  Königs  ohne  innere  Kraft.  Wenn  König 
Agum  II.  (um  1650)  sich  rühmt,  er  habe  die  Bilder  des  Mar- 
duk  und  der  Sarpanit  aus  Ghana  zurückgeholt  und  wieder 
im  Tempel  Esagilla  in  Babel  aufgestellt,  so  ist  das  gewiß 
nicht  durch  einen  siegreichen  Kriegszug  geschehn^).  sondern 
er  wird  die  bei  einer  Plünderung  Babels  —  vielleicht  der 
durch  Mursil  —  geraubten  Götterbilder  durch  diplomatische 
Verhandlung  zurückgewonnen  haben. 

Die  Bevölkerung  des  Mitanireichs  bilden  die  Charrier 
(o.  S.  6).  Wie  zahlreiche  Personennamen  zeigen,  hatten  diese 
sich  auch  nach  Babylonien  und  Assyrien  stark  verbreitet^)  und 
auch  ihre  Götter  dorthin  gebracht.  Auch  die  Namen  Auspia 
und  Kikia,  die  uns  als  die  ältesten  Herrscher  von  Assur 
und  Erbauer  des  Assurtempels  und  der  Stadtmauer  genannt 
werden,  gehören  diesem  Sprachgebiet  an  (Bd.  1433  a).  Außer- 
dem hat  Syrien  zu  ihrem  Machtbereich  gehört;  im  nördlichen 
Syrien,  so  in  Tunip,  wird  charrisch  gesprochen,  und  charrische 
(Mitani-)  Namen  finden  sich  im  15.  und  14.  Jahrhundert  unter 
den  Dynasten  bis  nach  Palaestina  hinab  zahlreich  neben  semi- 
tischen und  arischen.  Daß  im  übrigen  die  Verhältnisse  ebenso 
schwankend  gewesen  sein  werden,  wie  zur  Zeit  der  babyloni- 
schen Oberherrschaft,  bedarf  kaum  der  Bemerkung.  Manche 
Stadtherrscher  werden  sich  zeitweilig  oder  dauernd  unabhängig 
gemacht  haben,  in  Verbindung  mit  den  Kossaeerkönigen  von 
Kardunias,  die  die  von  ihren  Vorgängern  aus  dem  Reich  von 
Sumer  und  Akkad  oder  der  vier  Weltteile  ererbten  Traditionen 
nie  aufgegeben  haben,  so  wenig  wie  sie  imstande  waren,  sie 
zu  verwirklichen.    Von  Aleppo   (vgl.  o.  S.  26)    erfahren  wir, 

')  Wie  ich  fälschlich  Bd.  I  4.59  vermutet  habe 
■')  Siehe  Bd.  I  433.  454. 


Das  charrische  Reich  Mitani.    Älteste  Denkmäler  31 

daß  es  der  Sitz  eines  Großkönigtums  gewesen  ist,  bis  es  im 
18.  Jahrhundert  dem  Vordrängen  der  Chetiter  erlag. 

Über  die  Kulturzustände  der  Charrier  und  des  Reichs 
von  Mitani  läßt  sich  bei  dem  fast  völligen  Fehlen  von  Denk- 
mälern aus  dem  Zentrum  des  Reichs  und  der  Unsicherheit 
der  Datierung  der  ältesten  Denkmäler  aus  Nordsyrien  und 
dem  Taurusgebiet  zur  Zeit  noch  wenig  aussagen.  Nur  das 
ist  sicher,  daß  diese  Kultur  diejenige  Gestaltung  trug,  die 
wir  als  „chetitisch"  zu  bezeichnen  pflegen;  es  ist  aber,  wie 
die  Dinge  jetzt  liegen,  sehr  wohl  möglich,  daß  sie  richtiger 
charrisch  zu  benennen  wäre,  und  daß  sie  sich  von  den  Landen 
zu  beiden  Seiten  des  Euphrat  und  dem  Taurusgebiet  aus  nach 
Norden  und  zu  den  Chetitern  verbreitetet  hat.  Die  ältesten  auf 
uns  gekommenen  Zeugnisse  dieser  werdenden  Kultur  sind 
die  ganz  primitiven  Reliefs  auf  Steinplatten  vom  südlichen 
Tor  der  kreisrunden  Stadtmauer  von  Sendjirli  (Sam'al)  am 
Fuß  des  AmanosO,  Darstellungen  dämonischer  Mischweseu, 
Menschenleib  mit  Vogelkopf  und  Flügeln,  Löwen  mit  Vogel- 
oder Menschenkopf.  Krieger  und  Jäger,  zwei  Männer  im  Ge- 
spräch miteinander,  die  mit  der  einen  Hand  einen  Becher 
zum  Munde  führen,  während  die  andere  einen  langen  Stock 
hält.  Diese  tragen  einen  langen  gegürteten  Leibrock,  der 
Jäger  und  der  Krieger  wie  die  Dämonen  dagegen  nur  einen 
Schurz,  auch  hier  mit  einer  Quaste  am  Gurt,  sowie  eine  spitze 
Filzkappe;  die  Waffen  sind  Bogen  mit  spitzem  Pfeil  und  am 
Gürtel  ein  Schwert.  In  ihrer  grotesken  Unbeholfenheit  —  an 
der  sich  nichts  ändert,  auch  wenn  wir  ihre  Entstellung  durch 
lange  Verwitterung  noch  so  stark  in  Rechnung  stellen  — 
haben  diese  Denkmäler  nur  etwa  in  primitiven  indianischen 
und  in  den  ältesten  sumerischen  Skulpturen  Parallelen;  aber 
wie  die  Tracht  ist  auch  die  Haltung  der  Figuren,  die  Be- 
handlung der  Muskulatur  und  der  Bewegung  der  schreitenden 
Tiere,  kurz  die  ganze  Art.  die  Außenwelt  anzuschauen  und 


')  Siehe  Bd.  1466;  v.  Lüschan,  Ausgrabungen  in  Sendschirli  III 
S.  202  ff.  und  Taf.  34—36.  sowie  die  Löwen  S.  232  ff.  und  Taf.  46. 
Ferner  Reich  und  Kultur  der  Chetiter  S.  58  f. 


32  I-  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

wiederzugeben,  eine  andere:  wir  schauen  in  die  ersten  An- 
sätze zu  einem  eigenen,  bodenständigen  Stil.  Dem  entspricht 
die  Architektur,  die  Verkleidung  der  untersten  Schichten  der 
Lehmziegelmauer  mit  Steinplatten  (Orthostaten),  die  beim  Tor 
mit  diesen  Reliefs  geschmückt  sind.  Dazu  kommen  hier  weiter 
am  Eingang  gewaltige  Laibungsblöcke  in  Gestalt  eines  Löwen, 
dessen  mächtiger  Kopf  trotzig  weit  über  die  Mauer  vor- 
springt. Trotz  oder  vielleicht  gerade  durch  ihre  ganz  elemen- 
tare Plumpheit  sind  sie  doch  nicht  ohne  Wirkung:  mit  dem 
riesigen  Maul,  den  spitzen  Zähnen  und  den  glotzenden  Augen 
schrecken  sie  den  Fremden,  der  der  Festung  naht;  sie  sind 
die  Urform,  aus  der  schließlich  in  langer  Entwicklung  der 
Gorgokopf  hervorgegangen  ist  0-  Das  alles  sind  Formen,  die 
der  babylonischen  Kunst  und  Technik  ganz  fremd  sind,  wohl 
aber  auf  die  Assyriens  stark  eingewirkt  haben.  Ihre  Fort- 
setzung finden  sie  wie  in  den  jüngeren  Skulpturen  aus  Sen- 
djirli^)  und  den  Nachbargebieten,  so  in  der  Kunst  desChetiter- 
reichs  in  Ujük  und  Boghazkiöi.  Der  enge  Zusammenhang 
beider  Gebiete  tritt  von  Anfang  an  hervor:  auch  die  Männer 
von  SendjirH  sind  bartlos  und  haben  den  Haarschopf  zu 
einem  langen,  am  Ende  aufgerollten  Zopf  zusammengebun- 
den, auch  die  Tracht  ist  die  gleiche.  Besonders  überraschend 
ist,  daß  hier  schon  das  Pferd  vorkommt,  und  zwar  nicht  am 
Kriegswagen,  sondern  als  Reittier,  wie  es  sonst  nur  im  Not- 
fall verwendet  wird:  der  Krieger,  der  in  der  Linken  den  ab- 
geschlagenen Kopf  eines  Feindes  trägt,  sitzt  auf  dem  Pferde. 
Auch  auf  religiösem  Gebiet  ist  eine  sichere  Scheidung  der 
Einzelgebiete  noch  nicht  möglich;  vor  allem  der  Gewittergott 
Tesub  ist  den  Charriern  (Mitani)  und  Chetitern  gemeinsam 
und  findet  sich  als  Teisbas  auch  bei  den  Alarodiern  (Bd.  I  475 
Anm.).  So  kann  auch  das  Beil  oder  die  Doppelaxt  als  sein 
Attribut   und  weiter   die    über    das    ganze  Kulturgebiet  ver- 


')  Reich  und  Kultur  der  Chetiter  S.  110  ff. 

')  Hier  sind  die  ältesten  Löwen  der  Laibungen  meist  später  über- 
arbeitet und  etwas  naturwahrer  gestaltet  worden,  wobei  aber  die  ur- 
sprüngliche Gestalt  noch  in  nicht  getilgten  Resten  erkennbar  blieb. 


Anfänge  der  charrisch-chetitischen  Kunst  33 

breitete  und  früh  auch  nach  Babylonien  eingedrungene  Ver- 
sinnbildlichung der  göttlichen  Macht  dadurch,  daß  die  Götter 
über  Berggipfel  einherschreiten  und  auf  dem  Rücken  von 
Löwen,  Panthern,  Stieren  stehn,  sehr  wohl  zuerst  bei  den 
Charriern  und  im  Taurusgebiet  aufgekommen  sein^). 

Die  besprochenen  Denkmäler  von  Sendjirli  mögen  schon 
im  Verlauf  des  3.  Jahrtausends  entstanden  sein.  Ungefähr 
gleichzeitig  scheinen  die  primitiven  Rehefs  auf  Steinplatten 
aus  dem  Teil  Haläf  am  Chaboras  zu  sein,  die  durch  Verwen- 
dung bei  dem  späteren  Neubau  eines  Palastes  erhalten  sind. 
In  der  folgenden  Zeit  ist  dann  ein  langsamer  Aufstieg  er- 
kennbar, in  dem  die  Eigenart  dieser  Kultur  sich,  trotz  aller 
Entlehnungen  aus  Babylonien  wie  aus  Ägypten,  immer  kräf- 
tiger ausprägt,  bis  sie  in  den  Denkmälern  des  chetitischen 
Großreichs  ihren  Höhepunkt  erreicht. 

Arische  Stämme  in  Vorderasien  und  die  Heimat 
der  indogermanen 

Zu  den  Volksstämmen,  die  wir  kennen  gelernt  haben, 
ist  nun  noch  ein  weiterer  hinzugetreten  in  einer  neuen  Welle 
indogermanischer  Invasion,  und  zwar  sind  es  die  Arier,  die 
jetzt  in  die  Geschichte  eintreten.  Wie  weit  in  der  Folgezeit 
arische  Namen  in  Vorderasien  verbreitet  waren,  haben  wir 
früher  schon  gesehn  (Bd.  I  465.  468):  im  Mitanireich  ist  die 
Dynastie  dieses  Ursprungs,  in  einem  von  ihr  geschlossenen 
Vertrage  werden  unter  den  als  Zeugen  angerufenen  Göttern 
neben    den    einheimischen    (darunter   zahlreichen    aus    Baby- 


')  Siehe  Bd.  I  478  ff.  und  Reich  und  Kultur  der  Chetiter  85  ff. 
1.59  f.  Von  den  Grabstelen,  die  eine  Frau,  einen  Mann  oder  ein  Ehe- 
paar beim  Totenmahl  zeigen  (a.  a.  0.  S.  37  ff.),  dürfte  dagegen  keine 
bis  in  die  hier  behandelte  Epoche  zurückgehn,  so  primitiv  z.  B.  die 
von  Jarre  am  Sangarios  und  manche  aus  Mar'as  und  Malatia  sind. 
Sie  stehen  offenbar  schon  unter  ägyptischem  Einfluß,  auch  die  vereinzelt 
vorkommenden  Streitwagen  sind  wesentlich  jünger.  Dann  kommen  Bei- 
schriften in  chetitischen  Hieroglyphen,  schließlich  in  aramäischer  Schrift 
auf.    Die  Sitte  wird  etwa  um  1500  aufgekommen  sein. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    II'.  3 


34  '•  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

lonien  übernommenen)  Mitra  und  Varuna,  Indra  und  die  Nä- 
satjas  genannt,  die  Hauptgestalten  der  Asuren  und  der  Daivas, 
der  beiden  Gruppen,  in  die  die  arische  und  vedische  Götter- 
welt zerfällt^).  Der  Kriegeradel  trägt  hier  wie  in  Syrien  die 
indische  Benennung  marjanni  „Mannen"^);  zahlreiche  arische 
Dynastennamen  erscheinen,  neben  charrischen  und  semitischen, 
in  Palaestina  und  Syrien  bis  zu  den  Taurusgebieten  hinauf, 
wo  sie  sich  in  Kommagene  bis  ins  8.  Jahrhundert  erhalten 
haben,  und  zwar  hier  in  jüngerer,  spezifisch  iranischer  Laut- 
crestalt  (Kundaspi  und  Kustaspi).  Ganz  anschaulich  führen  uns 
ägyptische  Darstellungen  aus  der  achtzehnten  Dynastie  dieses 
Völkergemisch  vor  Augen,  vor  allem  die  prachtvollen  Reliefs 
aus  dem  Grabe  Haremhabs^):  unter  den  Gefangenen  aus 
Syrien  erscheinen  hier  neben  den  scharf  charakterisierten 
Semiten  und  völlig  verschieden  von  den  Chetitern  auf  den 
Reliefs  der  neunzehnten  Dynastie  ganz  andersartige  Gestalten, 
bärtige  und  bartlose  Köpfe,  zum  Teil  Greise*),  mit  fein  durch- 
gearbeiteten Gesichtszügen  und  langem  oben  abgeplattetem 
und  in  der  Mitte  ein  wenig  eingedrücktem  Schädel,  also  im 
Geo^ensatz  gegen  die  Rundschädel  der  Semiten  und  die  Kurz- 
schädel der  Chetiter  ausgeprägte  Dolichokephalen.  Innerhalb 
der  vorderasiatischen  Völkerwelt  erscheinen  sie  als  ein  völlig 
fremdartiges  Element,  zeigen  vielmehr  den  Typus,  den  wir  bei 
den  Europäern  und  den  Persern  finden,  und  bestätigen  so  die 
sprachlichen  Zeugnisse  über  die  Herkunft  der  Marjanni. 

Zu  diesen  Zeugnissen  kommt  weiter  ein  umfangreicher 
Text  aus  der  Bibliothek  von  Boghazkiöi,  ein  großes  Werk 
über  Pferdezucht,    verfaßt  von  einem  Mann  namens  Kikkuli 

>)  Bd.  I  585  f. 

2)  Vgl.  u.  S.  102  f.  Daß  viele  dieser  marjanni  charrische  (Mitani-) 
Namen  tragen,  ist  durchaus  natürlich,  spricht  aber  nicht  gegen  die 
Ableitung  dieses  Wortes  aus  dem  Indischen,  wie  Gustavs,  Z.  Ass.  36, 
297  ff.  meint. 

»)  Siehe  Abbildung  Taf.  I  und  unten  Abschnitt  VIII  sowie  S.  103. 

*)  Bezeichnend  ist  bei  zweien  dieser  alten  Männer  die  über  die 
Schläfe  lang  herabhängende  Haarflechte,  während  im  übrigen  der 
Schädel  kahl  ist. 


Die  indische  Herrenschicht  in  Mitani  35 

aus  Mitani.  Geschrieben  ist  es  in  „chetitischer"  Sprache;  aber 
die  technischen  Ausdrücke  für  die  Rundläufe  sind  indisch^). 
Mithin  muß  eine  indische  Bevölkerung  im  Bereich  der  Char- 
rier  Mitanis  gesessen  haben,  bei  der,  wie  bei  den  Indern  des 
Veda,  den  Griechen  und  anderen  Indogermanen,  die  Pferde- 
zucht und  das  Wagenrennen  in  der  Rennbahn  so  entwickelt 
war,  daß  die  Charrier  und  die  Chetiter  bei  ihnen  in  die  Lehre 
gingen  und  die  Behandlung  des  hier  bereits  heimischen  Pferdes 
und  Wagens  danach  gestalteten.  Dazu  stimmt,  daß  der  Kult 
des  Indra^)  und  der  Nasatjas  (asvins),  des  Mitra  und  Varuna 
im  Mittelpunkt  der  vedischen  Religion  steht,  für  deren  früh- 
zeitige Ausbildung  uns  hier  weit  im  Westen  ein  sicher  datiertes 
Zeugnis  entgegentritt. 

Mehrfach  hat  man  vermutet,  diese  Inder  seien  über  den 
Kaukasus  eingebrochen,  als  Vortrapp  einer  großen  arischen 
Wanderung  2),   die    die  Inder    durch  Iran    ins   „Siebenstrom- 


')  Zuerst  erkannt  von  P.  Jensen,  Ben  Berl.  Ak.  1919,  367  fif.  und 
gleichzeitig  von  Hrozny,  Bogh.-Stud.  Heft  3  S.  XH.  Weiteres  bei  Forrer, 
ZDMG.  76,  252  fi.  Die  Zahlwörter  1  aika  [spezifisch  indische  Form], 
Stera,  hpanza,  1  satta,  9nava  sind  immer  mit  vartana  =  Sa.nskrit 
vartnni  „Geleise,  Bahn"  zusammengesetzt.  In  vasanna  sucht  Forrer 
wohl  mit  Recht  ein  Lehnwort  für  die  Rennbahn  („Stadion").  Weiter 
gefördert  ist  das  Verständnis  dieses  Textes  durch  Sommer  und  Ehelolf, 
Ritual  des  Papanikri,  Bogh.-Stud.  10  S.  38  f. 

^)  Wahrscheinlich  mit  Recht  sucht  Jirku,  Z.  Ass  .36,  74  f.  164 
Indra  auch  in  den  Namen  des  Dynasten  Indar-uta  von  Aksaf  (Ekdippa) 
in  Phoenikien. 

^)  Forrer,  ZDMG.  76,  247  sucht  den  Namen  dieser  Arier  in  den 
Mandascharen  (umman  MandaJ,  der  in  Babylonien  seit  alters  üblichen 
Bezeichnung  der  Nomadenstämme  des  Nordens  oder  Nord  Ostens  (Bd.  I 
395  A.  400);  es  sei  die  ältere  Form  von  Madai  oder  Amadai  Myj^o;. 
Aber  diese  auch  sonst  aufgestellte  Annahme  (kritisch  J.  Lewy,  Forsch, 
zur  alten  Gesch.  Vorderasiens,  Mitt.  Vorderas.  Ges.  1924,  2  S.  3  ff.)  ist 
in  keiner  Weise  erweisbar,  die  weiteren  Kombinationen  mit  MavttavoJ, 
I\IaTiY,vY],  MdtpSoi  ("AjjLapSoi),  den  Mannaeern  der  Assyrer  u.  a.  sind  vollends 
gänzlich  willkürlich.  Später  bezeichnet  Manda  die  Skythen,  die  im 
7.  Jahrhundert  Vorderasien  überschwemmen  und  damals  neben  den 
Medern  stehn,  auf  die  der  Name  Manda  gelegentlich  gleichfalls  über- 
tragen wird. 


36  I-  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

land"  des  Indus  und  weiter  an  den  Ganges  geführt  habe; 
die  Iranier  müßten  ihnen  dann  gefolgt  sein.  Aber  dieser  An- 
nahme stehn  die  gewichtigsten  Bedenken  entgegen.  Gerade 
diejenigen  Gebiete,  in  denen  sich  nach  ihr  diese  Stämme  zuerst 
niedergelassen  haben  und  zu  geschichtlicher  Wirkung  gelangt 
sein  sollen,  müßten  sie  dann  vollständig  geräumt  haben,  ohne 
irgendwelche  Spuren  zu  hinterlassen.  Denn  in  den  zahlreichen 
Personen-  und  Ortsnamen,  die  uns  aus  Armenien  bis  zum  Ende 
der  Assyrerzeit  überliefert  sind,  findet  sich  garnichts  Indo- 
germanisches, und  auch  die  Randgebirge  Mediens  sind  von 
nicht-arischen  Stämmen  (Anariaken)  bewohnt;  deuthch  sieht 
man,  daß  die  arischen  Meder  hier  von  Osten  her  allmählich 
vordringen  und  die  Herrschaft  gewinnen.  Andrerseits  ist  es, 
wenn  auch  alle  positiven  Daten  fehlen,  doch  ganz  unmöglich, 
die  Anfänge  der  vedischen  Zeit  und  der  mit  ihnen  beginnen- 
den Sonderentwicklung  Indiens  über  1500  v.  Chr.  hinab- 
zurücken. Die  Festsetzung  der  Inder  im  Siebenstromland 
muß  mithin  schon  Jahrhunderte  vorher  erfolgt  sein;  und 
davor  liegt  die  in  ihrer  kulturellen  und  religiösen  Gestalt  sehr 
wohl  faßbare  arische  Epoche,  die  sich,  so  unsicher  auch  ihre 
Lokalisierung  ist,  doch  schwerlich  in  die  Landschaften  Ar- 
meniens und  die  des  Kaukasus  wird  verlegen  lassen  (vgl. 
Bd.  I  573  ff.). 

Dazu  kommt  nun,  daß  nicht  nur  die  Ausbreitung  der 
Indogermanen,  sondern  —  abgesehn  natürlich  von  den  von 
Arabien  ausgehenden  Umwälzungen  —  überhaupt  alle  großen 
Völkerbewegungen,  die  im  Verlauf  der  Weltgeschichte  immer 
wieder  die  Gestaltung  des  europäisch-asiatischen  Kontinents 
umgewandelt  haben,  nicht  von  West  nach  Ost,  sondern  um- 
gekehrt von  Zentralasien  aus  weithin  nach  Westen  verlaufen 
sind^),  von  der  ersten  durch  gleichzeitige  geschichtliche  Zeug- 


*)  Dabei  ist  natürlich  von  den  nach  China  gerichteten  Völker- 
bewegungen Ostasiens  abgesehn,  bei  denen  aber  auch  wieder  das 
zentralasiatische  Hochland  den  Ausgangspunkt  bildet.  Die  einzigen 
Ausnahmen  sind  der  Einbruch  der  ägaeisch-thrakischen  Stämme  nach 
Kleinasien    und    Syrien   im    12.  Jahrhundert,    der   sich    in    dem    Vor- 


Das  Problem  der  Ausbreitung  der  Arier  37 

nisse  greifbaren,  der  von  den  Issedonen  ausgehenden  skythi- 
schen  an.  Dann  folgen  die  indoskythischen  Stämme,  die 
Tocharer  und  ihre  Genossen,  darauf  die  Hunnen,  die  Hephta- 
liten,  die  im  6.  Jahrhundert  n.  Chr.  beginnende  und  sich  durch 
Jahrhunderte  hinziehende  türkische  Wanderung,  schließhch 
die  Mongolen.  Speziell  bei  den  iranischen  Stämmen  tritt  uns 
in  der  Steppenlandschaft  im  Norden  des  Kaspischen  und 
Schwarzen  Meeres  ständig  die  gleiche  Bewegung  entgegen, 
die  in  alter  Zeit  die  Sigynnen,  später  die  Jazygen  bis  in  die 
ungarische  Ebene,  die  Alanen  sogar  bis  nach  Spanien  führt. 
Von  der  Ausbreitung  in  Iran  wird  durchaus  das  gleiche  gelten; 
sie  ist  der  Überschwemmung  dieser  Gebiete  und  Kleinasiens 
durch  die  türkischen  Horden,  Seldschuken,  Turkmenen,  Os- 
manen,  Kadscharen  u.  s.  w.  völlig  analog.  So  ist  es  höchst 
unwahrscheinlich,  daß  vorher  einmal  eine  Bewegung  in  um- 
gekehrter Richtung  erfolgt  sein  sollte,  die  dann  rückläufig 
noch  einmal  wieder  bis  in  dieselben  Gegenden  geführt  haben 
würde,  die  man  damals  geräumt  hatte. 

Somit  spricht  alles  für  die  alte  Annahme,  daß  die  Aus- 
breitung der  arischen  Stämme  sowohl  nach  Iran  wie  nach 
Indien  von  Nordosten,  von  Baktrien  und  seinen  Nachbar- 
gebieten, ausgegangen  ist.  Einzelne  Häuptlinge  sind  dann  mit 
ihren  Kriegerscharen  (den  marjanni),  die  teils  einen  indischen, 
teils  einen  iranischen  Dialekt  sprachen^),  weit  nach  Westen 


dringen  der  Armenier  in  ihre  späteren  Sitze  fortsetzt,  die  Kelten- 
wanderung des  3.  Jahrhunderts,  die  durch  die  Ablenkung  der  Kelten- 
scharen aus  Italien  veranlaßt  ist  und  schließlich  die  Galater  nach 
Kleinasien  führt,  und  etwa  noch  die  Ausbreitung  germanischer  Stämme, 
der  Bastarner,  Goten  u.  a.  in  die  südrussische  Ebene.  Aber  alle  diese 
Wanderzüge  sind  in  ihrem  Umfang  beschränkt  und  haben  über  die 
Mittelmeerwelt  nicht  hinausgeführt;  hinter  den  großen  Bewegungen, 
von  denen  hier  die  Rede  ist,  stehn  sie  weit  zurück. 

*)  Die  mit  arta  gebildeten  Namen  in  Mitani  und  Syrien,  wie 
Artatäma,  Artasumara,  Artamanja  und  manche  andere,  haben  eher 
iranische  als  indische  Färbung,  und  ebenso  natürlich  Kundaspi  und 
Kustaspi  (o.  S.  34);  die  letzteren  Namen  beweisen,  daß  die  Berührung 
dieser    Dynasten    im    Taurusgebiet    (Kommagene)    mit   den    Stammes- 


38  I-  I^ß""  Orient  bis  zum  Beginn  des  Ifi.  Jahrhunderts 

vorgedrungen  und  haben  sich  hier  in  einzelnen  Ortschaften 
festgesetzt,  ganz  wie  etwa  drei  Jahrtausende  später  so  viele 
türkische  Häuptlinge,  die  einen  Heerhaufen  um  sich  sammeln. 
Auch  das  Mitanireich  haben  sie  überrannt  und  hier  die  Herr- 
schaft gewonnen;  die  arische  Dynastie  in  Mitani  steht  zu 
den  Untertanen  etwa  ebenso,  wie  seit  1779  die  kadscharische 
D3'nastie  in  Persien.  In  größeren  Massen  dagegen,  wie  in 
den  Gebieten,  die  dauernd  indogermanisch  geworden  sind, 
sind  sie  hier  offenbar  nirgends  aufgetreten;  und  so  hat  sich 
ihre  Nationalität  und  Sprache  und  auch  ihr  somatischer 
Typus  hier  nicht  erhalten  können,  sondern  ist,  wie  in  allen 
ähnlichen  Fällen,  allmählich  in  den  der  Untertanen  auf- 
gegangen. 

Mit  der  Festsetzung  der  indogermanischen  Chetiter  im 
östhchen  Kleinasien  steht  dies  Auftreten  arischer  Stämme 
weiter  im  Osten  weder  zeitlich  noch  räumlich  in  Zusammen- 
hang; beides  sind  Einzelzüge  aus  der  allgemeinen  Ausbreitung 
der  Indogermanen  über  die  europäisch-vorderasiatische  Welt. 
Was  wir  über  sie  erfahren  und  erschließen  können,  dient  der 
Annahme,  daß  diese  Ausbreitung  um  die  Mitte  des  3.  Jahr- 
tausends begonnen  hat  (Bd.  I  551),  zur  Bestätigung.  Über 
das  vielverhandelte  Problem  der  Heimat  der  Indogermanen 
und  des  Ausgangspunkts  dieser  gewaltigen  Bewegung  da- 
gegen lassen  sich  neue  Aufschlüsse,  die  zu  einem  gesicherten 
Ergebnis  führen  könnten,  auch  von  hier  aus  nicht  gewinnen. 
In  Ergänzung  zu  den  Bd.  I  561  ff.  gegebenen  Ausführungen 
möchte  ich  noch  hinzufügen,  daß  der  gegenwärtig  weit- 
verbreiteten und  in  der  populären  Literatur  oft  als  wissen- 
schaftlich erwiesen  behandelten  Annahme,  diese  Heimat  liege 
auf  germanischem  Boden  zu  beiden  Seiten  der  Ostsee,  auch 
von  sprachlicher  Seite  die  schwersten  Bedenken  gegenüber- 
stehn.    Denn  von  allen  indogermanischen  Sprachen  sind  die 

genossen  im  Osten  sich  dauernd  erhalten  haben  muß;  die  beiden 
Namen  Vindäspa  und  Vistäspa  (Hystaspes)  zeigen  hier  bereits  im  9.  und 
8.  Jahrhundert  den  Wandel  des  Anlautes  vi-  in  gu-,  der  sich  sonst  erst 
im  Mittelpersischen  vollzogen  hat. 


Die  Frage  der  Heimat  der  Indogermanen  39 

germanischen  diejenigen,  welche  —  wenn  wir  von  Misch- 
sprachen wie  dem  Chetitischen  und  Tocharischen  absehn  — 
bereits  in  ihrer  ältesten  erreichbaren  Gestalt  von  der  Ur- 
sprache am  weitesten  abstehn.  Am  bedeutsamsten  ist,  daß  die 
überreiche  Entwicklung  der  Verbalforraen  hier  auf  einen  ganz 
dürftigen  Bestand  zusammengeschrumpft  ist:  sie  kennen,  ab- 
gesehn  vom  Imperativ,  nur  zwei  Tempora,  Praesens  und 
Praeteritum,  selbst  das  Futurum  ist  verloren  gegangen.  Die- 
selbe Erscheinung  finden  wir  im  Chetitischen^),  wo  sie  deutlich 
durch  die  Übernahme  und  Wandlung  der  Sprache  durch  eine 
stammfremde  Bevölkerung  entstanden  ist.  Die  gleiche  Er- 
klärung ist  auch  für  das  Germanische  das  Nächstliegende: 
die  indogermanische  Sprache  ist  von  einer  Bevölkerung  mit 
ganz  anderen  Denkformen  übernommen,  die  nur  diese  wenigen 
Verbalformen  kannte  und  daher  die  übrigen  als  unverwendbar 
nicht  mit  aufnahm.  Für  diese  Annahme  spricht  ferner  die 
Lautverschiebung,  also  eine  andere  Einstellung  der  Arti- 
kulation; und  dem  entspricht,  daß,  während  in  den  übrigen 
indogermanischen  Sprachen  die  Wörter  nicht  scharf  gegen- 
einander abgesetzt,  vielmehr  bei  vokalischem  Anlaut  mit- 
einander gebunden  werden  —  das  hat  sich  in  den  romanischen 
Sprachen  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten  — ,  die  germani- 
schen Sprachen  den  Stimmeinsatz  vor  anlautendem  Vokal 
ganz  wie  die  Semiten  als  Konsonanten  (Alef)  empfinden  und 
zweifellos  auch  schreiben  würden,  wenn  sie  die  Schrift  selbst 
erfunden  hätten")  —  daher  allitterieren  im  Stabreim  angeb- 
lich die  Vokale,  in  Wirklichkeit  eben  dieser  Laut.  Dadurch 
werden  in  den  germanischen  Sprachen  die  Wörter  im  Sprechen 


')  Das  Germanische  hat  daneben  in  beiden  Tempora  noch  den 
Konjunktiv  bewahrt,  das  Chetitische  dagegen  das  Medium.  Außerdem 
hat  dieses  noch  eine  zweite  Konjugation  gebiUlet,  die  in  der  ersten 
Person  Sing,  des  Praesens  durch  die  Kndung  -hi  —  gegenüber  dem  indo- 
germanischen -t7ii  der  Mehrzahl  der  Verba  —  charakterisiert  wird. 

-)  Beim  Schreiben  und  Lesen  empfinden  wir  oft  genug  peinlich 
daß  dafür  ein  Zeichen  fehlt,  namentlich  bei  Zusammensetzungen  (z.  B. 
allein  und  all  -  ein). 


40  I-  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

und  in  der  Empfindung  scharf  voneinander  getrennt^).  Das 
alles  macht  es  sehr  unwahrscheinlich,  daß  die  Germanen  allein 
von  allen  Stammgenossen  in  den  ursprünglichen  Wohnsitzen 
geblieben  sein  und  sich  nicht  mit  fremden  Völkern  gemischt 
haben  sollten. 

Somit  bleibt  es  das  Wahrscheinlichste,  daß  die  Heimat 
der  Indogermanen  im  Bereich  der  zentralasiatischen  Gebiete 
zu  suchen  ist.  Im  anderen  Falle  wären  wir  zu  der  An- 
nahme gezwungen,  daß  die  zu  den  westlichen  oder  Kentum- 
sprachen  gehörenden  Tocharer  zunächst  in  umgekehrter  Rich- 
tung, wie  nicht  nur  die  iranischen  Nomaden,  sondern  auch 
alle  anderen  oben  genannten  Völkerscharen,  vom  inneren 
Europa  aus  bis  ins  Innere  des  zentralasiatischen  Hochlandes 
gewandert  und  dann,  nach  langem  Aufenthalt  in  diesen  Ge- 
bieten, von  hier  aus  wieder  westlich  ins  Oxusgebiet  gezogen 
wären;  wie  sehr  das  aller  geographischen  und  historischen 
Wahrscheinlichkeit  widerspricht,   bedarf  keiner  Ausführung. 

Wie  dem  aber  auch  sei,  keinem  Zweifel  mehr  kann 
unterliegen,  daß  die  gewaltige  Bewegung  und  Umwälzung, 
die  etwa  seit  dem  Ende  des  19.  Jahrhunderts  die  vorder- 
asiatische Welt  ergriffen  hat,  durch  das  Vordringen  der  Arier 
herbeigeführt  worden  ist.  Auch  der  Einbruch  der  Kossaeer 
in  Babylonien  steht  offenbar  damit  in  Zusammenhang.  Die 
Kossaeer  kommen  aus  den  Bergketten  Irans,  wo  wir  sie 
noch  in  der  Zeit  Alexanders  und  später  in  dem  Gebirge  ober- 
halb Susa's  antreffen.  Zuerst  erwähnt  werden  sie  im  Jahre 
1896,  wo  Samsuiluna  mit  ihren  Scharen  zu  kämpfen  hat;  in 
der  Folgezeit  begegnen  sie  uns  mehrfach  als  Arbeiter  und 
Feldpächter  (Bd.  I  452.  457),  bis  sie  sich  dann  im  Jahre  1750 


')  Hierin  wie  in  der  beschränkten  Zahl  der  Tempora  und  Modi 
deckt  sich  die  Gestaltung  des  Germanischen  mit  dem  Semitischen.  Die 
Übereinstimmung  ist  dann  dadurch  noch  größer  geworden,  daß  infolge 
des  Ablauts  und  des  Umlauts  auch  in  den  germanischen  Sprachen  die 
Konsonanten  in  einem  beträchtlichen  Teil  des  Wortschatzes  (wenngleich 
nicht  so  ausschließlich  wie  im  Semitischen)  die  alleinigen  Träger  der 
Bedeutung,  die  Vokale  die  der  grammatischen  Form  geworden  sind. 


Die  Ausbreitung  der  Arier  41 

der  Herrschaft  über  Babel  bemächtigten.  Daß  unter  ihren 
Göttern  auch  der  Sonnengott  mit  dem  arischen  Namen  Surias 
d.  i.  sürja  erscheint  und  vielleicht  auch  sonst  manche  arische 
Wörter  bei  ihnen  vorkommen,  ist  Bd.  I  456  schon  erwähnt; 
noch  zuversichtlicher  als  damals  wird  man  jetzt  daraus  folgern 
dürfen,  daß  der  Anstoß  zu  ihrem  Vordringen  von  den  Ariern 
ausgegangen  ist'). 

Auch  die  Aufrichtung  der  Herrschaft  der  Charrier  in 
Mesopotamien  und  Syrien  wird  durch  die  Vorstöße  der  Arier 
veranlaßt  worden  sein;  ja  es  ist  sehr  Avohl  möglich,  daß  die 
arische  Dynastie  hier  nicht  erst  später  zur  Herrschaft  gelangt 
ist  —  etwa  in  der  Weise,  wie  z.  B.  die  Türken  in  den  islami- 
schen Reichen,  die  Libyer  in  Ägypten,  und  in  Babylonien 
vielleicht  schon  die  Amoriter  (Bd.  I  417.  436)  aus  Söldner- 
führern zu  Herren  geworden  sind  — ,  sondern  das  Reich 
Mitani  überhaupt  geschaffen  hat.  Auch  der  Zug  des  Chetiters 
Mursilis  gegen  Babel  mag  dadurch  veranlaßt  oder  ihm  wenig- 
stens der  Weg  dorthin  geöffnet  sein. 

Die  Zeit  der  Hyl(sosherrschaft 

Um  die  Wende  vom  18.  zum  17.  Jahrhundert  ist  das 
wilde  Kriegervolk,  dessen  Herrscher  Manetho  mit  dem  Namen 
Hyksos  bezeichnet,  in  Ägypten  eingebrochen  (Bd.  I  305). 
Damit  greift  diese  Bewegung  aus  Vorderasien  ins  Niltal  hin- 
über. Daß  in  ihrem  Gefolge  zahlreiche  Semiten  nach  Ägypten 
gekommen  sind,  ist  sicher  und  durchaus  begreiflich;  aber 
das  herrschende  Volkstum    ist  ein  anderes;    so  wenig  es  bis 


')  Mehrfach  [so  Hüsing  und  ihm  folgend  Forrer,  Ber.  Berl.  Ak. 
1919,  1036]  hat  man  vermutet,  der  Name  der  Kassü,  Ko33ato:,  sei  iden- 
tisch mit  dem  der  Kaairiot,  Kaspier,  letzteres  eine  Weiterbildung  mit 
dem  elamitischen  Pluralsuffix  -p,  -pe;  die  Kossaeer  seien  durch  die 
Arier  vom  Kaspischen  Meer  verdrängt  worden.  Aber  diese  Kom- 
binationen schweben  vollständig  in  der  Luft;  die  Kaspier  sitzen  in 
der  persischen  und  griechischen  Zeit  im  Westen  des  Meeres,  das  ihnen 
den  Namen  verdankt,  und  haben  mit  den  Kossaeern  nicht  das  mindeste 
zu  tun.   Mit  Namensanklängen  läßt  sich  jederzeit  alle§  beweisen. 


42  I-  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

jetzt  möglich  ist,  die  wenigen  echten  Hyksosnamen,  die  uns 
erhalten  sind  (Salatis,  Bnon,  Chian-Jannas  u.  a.),  sprachlich 
zu  deuten,  so  wird  doch  kaum  mehr  bezweifelt  werden  können, 
daß  wir  in  ihnen  dieselben  Volkselemente  suchen  müssen,  die 
wur  in  Syrien  und  Palaestina  als  Charrier  und  als  Arier 
kenneu  gelernt  haben ^).  Ihr  Hauptgott,  dem  sie  in  ihrer 
Hauptstadt  Auaris  einen  großen  Tempel  erbauen,  wird  kein 
anderer  gewesen  sein  als  der  Gewittergott  Tesub;  offiziell 
wird  er  dem  ägyptischen  Seth  gleichgesetzt,  daneben  sehr 
oft  nach  semitischer  Art  als  Ba'al  bezeichnet. 

Die  fremden  Barbaren  haben  in  Ägypten  arg  genug  ge- 
haust, das  Land  ausgeplündert,  die  Tempel  zerstört;  sie  haben 
über  die  Lande,  die  sie  heimsuchten  und  unterwarfen,  auch 
wenn  sie  unter  ihrer  Oberhoheit  die  einheimische  Dynastie 
weiter  duldeten,  wie  in  Theben  und  Xois,  dieselbe  Verheerung 
gebracht,  wie  später  die  Seldschuken  und  Mongolen  oder  wie 
früher  in  der  Mitte  des  3.  Jahrtausends  die  Gutaeer  in  Baby- 
lonien  (Bd.  I  411).  Aber  so  wenig  wie  jene  konnten  sie  die 
Einrichtungen  des  Kulturstaates  entbehren,  sei  es  auch  nur, 
um  die  Abgaben  zu  erheben  und  ihren  Herrschersitz  auszubauen 
und  zu  schmücken.  Überdies  war  das  Niltal  wie  die  ertrag- 
reichste so  auch  die  kulturell  weitaus  am  höchsten  stehende 
Provinz  ihres  Reichs,  deren  Anziehungskraft  sich  unwider- 
stehhch  geltend  machte.  So  haben  die  Hyksos  den  Schwer- 
punkt ihres  Reichs  hierher  verlegt  und  nicht  nur  den  Ver- 
w^altungsapparat  und  das  Schreib wesen  Ägyptens  übernommen, 
sondern  sich  langsam  ägyptisiert.  Sie  gestalten  ihre  Titulatur 
nach  dem  für  die  Pharaonen  geschaffenen  Schema;  sie  be- 
zeugen neben    dem  Seth  auch  den  echten  Hauptgöttern   des 


')  Die  früher  versuchte  Gleichsetzung  der  Hyksos  mit  den  Kos- 
saeern  oder  den  Chetitern  ist  hinfällig.  Die  Kossaeer  haben  nie  eine 
wirkliche  Großmachtstellung  besessen,  und  chetitische  Typen  erscheinen 
in  den  ägyptischen  Darstellungen  nicht  vor  der  19.  Dynastie.  Daß  die 
Ägypter  die  Hyksos  oft  mit  der  allgemeinen  Bezeichnung  der  asi  itischen 
(semitischen)  Stämme  als  *amu,  „Völkerschaften",  benennen,  ist  sehr  be- 
greiflich, sagt  aber  über  ihre  Nationalität  nichts  aus. 


Das  Reich  der  Hyksos  43 

Niltals  ihre  Verehrung,  sie  setzen  ihre  Namen  auf  ältere 
Königsdenkmäler,  ja  ägyptische  Namen  wie  Apopi  dringen 
auch  in  die  Dynastie  ein. 

Die  von  den  Hyksos  gegründete  Hauptstadt  Auaris  liegt 
am  äußersten  Rande  des  Delta,  jenseits  des  östlichsten  Nil- 
arms. Schon  daraus  geht  hervor,  daß  ihre  Macht  sich  weit 
nach  Asien  hineinerstreckt  hat;  die  Stätte  ist  gewählt,  um 
die  Verbindung  mit  diesem  zu  sichern,  sie  hat  ihr  Gegenbild 
in  der  Gründung  der  arabischen  Hauptstadt  Fostät  (Kairo) 
durch  den  Eroberer 'Amr  unter  Omar  auf  dem  Ostufer  des  Nil, 
gegenüber  von  Memphis.  Es  kann  denn  auch  kein  Zweifel 
sein,  daß  die  ersten  Hyksoskönige  ein  gewaltiges  Weltreich 
beherrscht  haben,  wie  Attila  und  Dschingizkhan.  „Umarmer 
der  Länder"  nennt  sich  der  „Fürst  der  Fremdlande "  und 
„der  Jungmannen  (nofni:  das  wird  ägyptische  Wiedergabe 
der  marjanni  von  Mitani  sein)"  Chian  in  seinen  Horusnamen; 
in  dem  Zusatz  „geliebt  von  seinem  Geiste  (ha)''  gelangt  der 
Stolz  des  allmächtigen  Weltbeherrschers,  dem  sich  alles  beugen 
muß,  unverhüllt  zum  Ausdruck  (Bd.  I  306).  Chians  Name 
findet  sich  nicht  nur  in  Ägypten  und  Syrien,  sondern  auch 
auf  einem  rohen  Basaltlövven  aus  Babylonien  und  auf  dem 
Bruchstück  eines  Alabastergefäßes  in  der  Fundaraentschicht 
des  jüngeren  Palastes  von  Knossos^).  So  hat  sich  seine  Ober- 
hoheit wahrscheinlich  ebensowohl  über  die  Könige  von  Kardu- 
nias  wie  über  Kreta  erstreckt;  und  die  Vermutung  liegt  nahe-), 
daß  die  Zerstörung  der  älteren,  aus  der  Kamareszeit  stam- 
menden Paläste  von  Knossos  und  Phaestos,  die  ins  17.  Jahr- 


')  Siehe  jetzt  Fimmen,  Die  kietisch-mykenische  Kultur,  1921,  S.  172; 
ebenda  über  die  derselben  Schicht  angehörende  Dioritstatue  des  Mittleren 
Reichs  (12.-13.  Dynastie,  vgl.  Bd.  I  518). 

-)  Siehe  Bd.  I  519.  Der  Einwand  von  Evans,  Palace  of  Minos  I 
300,  1,  daß  der  Alabasterdeckel  mit  dem  Namen  Chians  „to  the 
penultimate  epoch  of  Middle  Minoan  III'  gehöre,  die  Zerstörung  des 
älteren  Palastes  (Middle  Minoan  II)  aber  älter  sei,  scheint  mir  wenig 
treÖend:  wenn  Chian  den  Palast  zerstörte,  kann  ein  seinen  Namen 
tragendes  Gefäß  sehr  wohl  in  dem  folgenden  Neubau  gestanden  haben 
und  dann  weggeworfen  worden  sein. 


44  1-  Der  Orient  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

hundert  fällt,  eben  durch  Chian  und  die  Hyksos  herbeigeführt 
worden  ist.  In  der  Folgezeit  bricht  dann,  wie  bei  jedem 
derartigen  ephemeren,  der  inneren  Konsistenz  ermangelnden 
Gebilde,  die  Macht  des  Reichs  eben  so  rasch  zusammen  und  mag 
schließlich  im  wesentlichen  auf  Unterägypten  und  Palaestina 
beschränkt  worden  sein;  doch  hält  noch  der  letzte  Apöpi  (III.) 
die  alten  Ansprüche  aufrecht,  wenn  er  auf  einem  „seinem  Vater 
Seth  von  Auaris"  in  Memphis  errichteten  Altar  sich  rühmt,  daß 
dieser  „ihm  alle  Lande  unter  seine  Sohlen  gab"   (Bd.  I  308). 

Umwandlung  des  Kriegswesens 

Das  Eindringen  indogermanischer  Stämme  hat  die  vorder- 
asiatisch-ägyptische Kulturwelt  nicht  nur  schwer  erschüttert 
und  damit  zugleich  einen  nicht  wieder  unterbrochenen  politi- 
schen Zusammenhang  zwischen  den  einzelnen  Staaten  und 
Kulturen  geschaffen,  sondern  ihr  zugleich  eine  in  alle  Zukunft 
nachwirkende  militärische  und  geschichtliche  Umwälzung  ge- 
bracht durch  die  Einführung  des  Pferdes.  Nach  Babylonien 
ist  dieser  „Esel  des  Gebirgslandes"  (Bd.  I  455)  etwa  seit 
dem  19.  Jahrhundert  wahrscheinlich  zuerst  durch  Kossaeer 
gebracht  worden;  in  Syrien  wird  man  es  sowohl  von  den 
Ariern  wie  von  den  Chetitern  bezogen  haben,  und  von  hier 
aus  ist  es  dann  nach  Ägypten  und  weiter  zu  den  Wüsten- 
stämmen Arabiens  gekommen.  Benannt  wird  es  überall  mit 
dem  gleichen  Worte  unbekannter  Herkunft,  das  babylonisch 
und  assyrisch  sisü,  kana'anäisch^)  und  hebräisch  süs,  ägyptisch 
(aus  dem  kana'anäischen  Plural  gebildet)  ssm-t^)  gesprochen 
wird.  Verwendet  wird  es  noch  jahrhundertelang,  außer  in 
Notfällen,  niemals  zum  Reiten^),  sondern  lediglich  als  Kriegs- 

')  In  einer^Glosse  im  Amarnabrief  268.  35,  im  Plural  zu-u-[zi-ma] 
geschrieben. 

^)  Geschrieben  auch  ss-t  und  smsm. 

^)  Die  einzigen  Fälle,  wo  geritten  wird,  sind  meines  Wissens 
zwei  der  ganz  primitiven  Reliefs  am  südlichen  Stadttor  von  Sendjirli 
(v.  LuscHAN.  Ausgrabungen  III  205  f.  Taf.  34c  u.  d  und  Taf.  35,  vgl.  o.  S.  32) 
und  die  Darstellung  der  syrischen  Kriegsgöttin  'Anat  in  Redesie  unter 
Sethos  I  (LD  III  138). 


Aufkommen  und  Wirkungen  des  Wagenkampfs  45 

roß  am  Streitwagen'),  bab.-assyr.  narkahtu,  kan.  (hebr.)  und 
ägyptisch  nierkahat.  Dieser  Wagen  ist  immer  ein  ganz  leichtes, 
zweiräderiges  Gefährt,  in  dem  der  Krieger  und  neben  ihm 
der  Kutscher  auf  dem  durch  eine  Brüstung  geschützten  Tritt- 
brett steht.  Bei  den  Chetitern  und  ihren  semitischen  Bundes- 
genossen kommt  in  dem  engen  Wagenkasten  noch  ein  Schild- 
träger hinzu,  während  wie  der  ägyptische  und  assyrische,  so 
auch  der  griechische  Streitwagen  der  mykenischen  wie  der 
homerischen  Zeit  nur  Krieger  und  Wagenlenker  kennt ^).  Von 
dem  Wagen  herab  kämpft  man  vor  allem  mit  Bogen  und 
Pfeil  —  an  der  Brüstung  des  ägyptischen  Streitwagens  hängt 
dafür  Futteral  und  Köcher  — ,  bei  den  Chetitern  wie  bei  den 
Griechen  und  später  bei  den  Assyrern  aber  auch  mit  der 
Lanze.  Der  Vorteil,  den  er  gewährt,  besteht  vor  allem  in 
der  raschen  Bewegung  auf  dem  Marsch  wie  auf  dem  Schlacht- 
feld und  in  der  dadurch  gegebenen  Möglichkeit,  an  ent- 
scheidender Stelle  in  den  Kampf  einzugreifen.  Dazu  kommt 
dann  die  Wucht  des  geschlossenen  Ansturms  der  Wagen  — 
ein  Vorgang,  den  wir  uns  nur  schwer  begreiflich  machen 
können,  den  aber  die  ägyptischen  Schlachtbilder  ganz  an- 
schaulich vorführen;  dadurch  wird  das  Fußvolk  überrannt 
oder  stiebt  in  schleuniger  Flucht  auseinander. 

Diese  Umwandlung  der  Kampfweise  hat  nun  zugleich 
weitreichende  wirtschaftliche  und  politische  Folgen.  Das  alte 
Aufgebot  der  zu   Fuß  mit  Speeren  und   Streitäxten  oder  mit 


')  Daneben  kommt  dann  der  Lastwagen  auf,  hebr.  und  ägypt. 
^aqdlat;  aber  dafür  wird  das  kostbare  Pferd  zunächst  nur  selten  ver- 
wendet worden  sein. 

-)  Auf  den  „hetitischen"  Jagdreliefs  von  Malatia  und  Saktsche- 
gözü  fehlt  dagegen  der  Schildträger.  —  Im  einzelnen  zeigen  die  Wa- 
gen natürlich  in  der  Gestalt  der  Räder  und  des  Gestells  oder  Kastens 
mancherlei  Verschiedenheiten.  Das  Material  ist  sorgfältig  bearbeitet 
in  den  sich  ergänzenden  Arbeiten  von  Nuokfer,  Der  Rennwagen  im 
Altertum,  erster  (und  einziger)  Teil  (der  Orient)  1904.  Studniczka, 
Der  Rennwagen  im  syrisch-phönikischen  Gebiet,  Arch.  Jahrb.  22,  1907. 
E.  V.  Merklin,  Der  Rennwagen  in  Griechenland,  erster  Teil  1909. 
H.  Nachod,  Der  Rennwagen  bei  den  Italikern.  1909. 


40  1-  ^^^  Orient  bis  /.um  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 

Bogen  und  Schleuder  kämpfenden  Mannschaften  der  Bezirke, 
so  wenig  es  entbehrt  werden  kann,  tritt  in  den  Hintergrund 
und    ebenso    die    gleichartig    gerüsteten    Soldtruppen.      Der 
Schwerpunkt  verlegt  sich  in  diejenigen  Schichten,  die  Rosse 
und  Wagen  nebst  den  zugehörigen  Knechten  halten  und  be- 
nutzen können;  und  dazu  gehört  ein  beträchtliches  Vermögen 
und  andauernde  Schulung  und  Übung.    So  entsteht  in  allen 
Staaten,    die   sich    selbständig  behaupten  wollen,    eine    neue 
militärische    Aristokratie,    derselben    Art,    wie    sie    bei    den 
kriegerischen  Wanderstämmen  in  naturwüchsiger  Gliederung 
des  Volks  besteht,    aber  jetzt  eingefügt  in  den  entwickelten 
Aufbau  eines  Kulturstaats.    Die  Regierung  muß  alles  tun,  um 
diese  Aristokratie  zu  fördern,   muß  sie  mit  Grundbesitz  und 
Privilegien  ausstatten  und  für  kriegerische  Verdienste  reiche 
Belohnungen  und  Ehren  gewähren.   Daher  trägt  die  folgende 
Epoche,  so  verschiedenartig    im  übrigen  die  kulturellen  und 
wirtschaftlichen  Grundlagen  der  Staaten  sein  mögen,  überall 
einen  ritterlichen  Charakter.  Der  militärische  Ehrgeiz  erwacht 
und    das    Selbstbewußtsein    steigert   sich.     Auch    die    großen 
Götter  des  Reichs,   mögen  sie  auch  aus  einer  ganz  anderen 
Vorstellungswelt  entstammen,  werden  zu  Kriegsgöttern,  Amon 
von    Theben    nebst   Montu    und   dem  jetzt    eifrig    verehrten 
(und  dem  semitischen  Ba'al  gleichgesetzten)  Seth  so  gut  wie 
in  Palaestina   und  Syrien  Astarte    und  *Anat  —  deren   Kult 
jetzt  ebenfalls   in  Ägypten  eindringt  —  und  bei    den  Char- 
riern  und  Chetitern  Tesub,  bei  den  Assyrern  der  diesem  an- 
geähnelte  Nationalgott  Assur.  In  Ägypten,  wo  uns  das  reichste 
Material  vorliegt,  läßt  sich  diese  Wandlung  am  deutlichsten 
erkennen:  in  dem  Kriegeradel  des  Neuen  Reichs  und  in  seinen 
Königen    lebt    ein   ganz    anderer  Geist    als   in    den   feudalen 
Magnaten  der  älteren  Zeit   und  den  in  stetigem  Ringen  mit 
ihnen  ihre  Rechte  und  Machtstellung  behauptenden  Pharaonen 
des  Mittleren  Reichs. 


II.  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  und  die  Gründung 
des  Neuen  Reichs 


Der  Sturz  des  Hyksosreichs  durch  die  Könige  von  Theben. 
Beziehungen  zu  Kreta 

Wir  haben  früher  gesehii  (Bd.  I  309  f.),  wie  sich  neben 
den  mächtigen  Hyksosherrschern  in  Theben  ein  oberägyptisches 
Fürstentum  behauptet  hat,  mit  fortwährendem  Wechsel  ohn- 
mächtiger Könige  und  in  voller  Abhängigkeit  von  jenen. 
Daneben  wird  es  an  lokalen  Dynasten  nicht  gefehlt  haben, 
die  dem  jeweiligen  Pharao  den  Gehorsam  versagten^);  und 
vollends  die  Herrschaft  über  Nubien  war  offenbar  schon  unter 
der  dreizehnten  Dynastie  an  einheimische  Häuptlinge  ver- 
loren gegangen. 

Zur  Zeit  des  Hyksoskönigs  Apöpi  HI.  (o.  S.  44)  finden 
wir  in  Theben  zwei  Könige  namens  Ta'o,  wahrscheinlich 
Brüder-),  die  beide  den  Thronnamen  Seqenjenre'  tragen,  der 


')  Allerdings  hat  sich  die  früher  auch  von  mir  geteilte  Annahme 
als  irrig  erwiesen,  einzelne  vom  Königsring  umschlossene  Namen,  die 
sich  gelegentlich  (so  in  den  Listen  des  Totenkultus  aus  Der  el  Medine. 
LD.  in  2  a.  d.  aus  der  20.  Dyn.)  neben  den  ersten  Königen,  Königinnen 
und  Prinzen  aus  der  18.  Djn.  finden,  seien  solche  Dynasten,  die  sich 
den  Thebanern  angeschlossen  und  daher  königliche  Ehre  erhalten 
hätten.  A'hmose  se  Pa'ar  heißt  im  Pap.  Abbott  3,  13  fälschlich  König, 
weil  seine  Grabpyramide  zwischen  denen  von  wirklichen  Königen  lag 
(Sethe,  Unters.  I  S.  4.  71),  und  gehört  in  die  Zeit  Amenophis'  I.  (Lacau, 
Steles  de  nouvel  empire  no.  30004.  3400.5.  34029  =  Mariette,  Mon.  div.  89. 
Petrie,  Bist.  II  p.  44);  Uazmose  ist  ein  Sohn  Thuthmosis' I.  (Sethe, 
Unters.  I  9,  vgl.  Daressy,  Ann.  du  Serv.  I  u.  a.);  ebenso  wird  wohl  auch 
der  Bd.  I  309  A.  erwähnte  A'ahmose  Binpu  zu  erklären  sein  [ebenda  ist 
das  Zitat  S.  326  ZI.  2  in  PSBA.  25,  1903,  358  zu  korrigieren]. 

^)  In  den  Akten  einer  Untersuchung  über  Gräberdiebstähle  aus 
der  20.  Dyn.  (Pap.  Abbott)  werden  ihre  Grabpyramiden   genannt;  der 


48      II.  Die  Wiedereihebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

deutlich  dem  des  Apöpi  'Aqenjenre'  nachgebildet  ist.  Allerdings 
ist  es  kaum  denkbar,  daß  zwei  aufeinander  folgende  Brüder 
denselben  Thronnamen  getragen  haben,  und  so  ist  es  recht 
wahrscheinlich,  daß  der  des  ersten  in  dem  späten  Texte,  der 
ihn  nennt ^),  nur  verschrieben  und  durch  Senechtenre*  zu  er- 
setzen ist. 

Die  Leiche  des  zweiten  Ta'o,  der  den  Beinamen  qen 
„der  Tapfere"  führt,  zeigt  einen  Mann  in  der  Vollkraft  des 
Lebens,  der  durch  eine  schwere  Kopfwunde  den  Tod  ge- 
funden hat.  Somit  wird  die  Annahme  kaum  fehl  gehn,  daß 
er  im  Kampf  gegen  die  Hyksos  gefallen  ist.  Von  dem  Aus- 
bruch dieses  Krieges  erzählt  im  Märchenstil  eine  ägyptische 
Sage,  deren  Eingang  in  einem  Schulheft  aus  der  neunzehnten 
Dynastie  erhalten  ist^),  wie  König  Apöpi  von  Auaris  mit 
dem  ihm  zinspflichtigen  „Herrscher  der  Südstadt  (Theben)" 
Seqenjenre'  Händel  sucht  und  an  ihn  eine  unerfüllbare  Forde- 
rung stellt,  die  ihn  und  alle  seine  Räte  und  Offiziere  in  die 
größte  Verlegenheit  setzt.  Damit  bricht  das  Erhaltene  ab. 
Charakteristisch  ist,  daß  der  Gegensatz  ganz  wie  später  in 
den  israelitischen  Erzählungen  zugleich  als  ein  religiöser  ge- 
faßt wird:  Apöpi  „machte  sich  den  Seth  zum  Herren  und 
diente  keinem  der  Götter  des  Landes  außer  dem  Seth",  Seqen- 
jenre'  dagegen  hat,  wie  dem  Apöpi  seine  eigenen  „Schreiber 

eine  hat  den  Beinamen  'o  „der  Große"  (d.  h.  der  ältere),  der  andere 
ist  wahrscheinlich  Ta'o  qen  („der  Tapfere",  so  LD.  III  2  a  und  auf  dem 
Sarge  mit  seiner  Mumie.  Maspero,  Momies  royales  5.  26.  Daressy,  Catal. 
des  cercueils  roy.  I.,  Petrie,  Hist.  II  6).  unter  ihm  diente  der  Vater  des 
Admirals  A'hmose  von  Elkab.  Wurfholz  seines  Sohnes  Zuju  Mariette, 
Mon.  div.  51b  =  Sethe,  Urk.  der  18.  Dyn.  13.  Grabstatue  seines  Sohnes 
A'hmose  Sethe  Urk.  12  f.  (vgl.  u.  S.  -50,  1).  Thronname  auf  dem  Siegel 
Mariette,  Mon.  div.  .52  c. 

^)  Pap.  Abbott.  Die  sehr  einleuchtende  Vermutung  stammt  von 
WiNLOCK,  der  die  Königsgräber  dieser  ganzen  Epoche  in  dem  Aufsatz 
Tombs  of  the  kings  of  the  17.  Dyn.  im  J.  Eg.  Arch.  X  1924,  217  ff., 
sehr  sorgfältig  behandelt  und  die  Fragen  wesentlich  geklärt  hat.  Über 
Senechtenre'  s.  Bd.  I  309  A.,  Karnak  no.  26. 

-)  Pap.  Sallier  L;  der  Eingang  schon  in  Bd.  I  303  und  305;  Über- 
setzung jetzt  bei  Erman,  Literatur  der  Ag.  214  f. 


Beginn  des  Kriegs  gegen  die  Hyksos  49 

und  Gelehrten"  bemerken,  den  Götterkönig  Amon-re'  zum 
Beschützer  und  vertraut  auf  keinen  Gott  als  auf  diesen. 
So  ist  der  Kampf  zugleich  ein  Religionskrieg,  und  der  Fort- 
gang wird  erzählt  haben,  wie  Amon-re*  seine  Allmacht  da- 
durch erweist,  daß  er  seinen  Dienern,  den  Kleinkönigen  von 
Theben,  gegen  alles  Erwarten  den  Sieg  über  den  mächtigen 
Verehrer  des  Seth  verschafft.  Dieser  Glaube  an  die  All- 
macht des  mit  dem  Sonnengott  Re'  identifizierten  Amon  von 
Theben  hat  sich  mit  dem  Fortschreiten  der  ägyptischen  Macht 
immer  lebendiger  durchgesetzt.  Um  so  beachtenswerter  ist, 
daß  die  Könige  dieser  Zeit  zwar,  wie  selbstverständlich,  die 
Hilfe  des  Re'  und  Amon  durchweg  nachdrücklich  betonen, 
daß  aber  neben  diesen  sehr  stark  der  Mondgott  hervortritt, 
sowohl  unter  den  Namen  des  Himmelskörpers  selbst  (a'li, 
etwa  Tob  zu  sprechen),  wie  unter  dem  des  in  diesem  sich 
offenbarenden  Gottes  Thout.  Nicht  nur  die  meisten  Eigen- 
namen des  Königshauses  werden  jetzt  mit  diesen  Götternamen 
gebildet  (A'hmose,  A'hhotep,  Thutmose),  sondern  König  Ka- 
mose  sagt  in  der  Inschrift  auf  seiner  Speerspitze:  „ich  bin 
ein  tapferer  Herrscher,  geliebt  von  Re',  Sohn  des  Mondes, 
geboren  von  Thout",  und  König  Amosis  bezeichnet  sich 
zwar  in  üblicher  Weise  als  den  leiblichen  Sohn  und  Erben 
des  Amon-re',  rühmt  aber  zugleich,  daß  er  „mit  seinem  Ge- 
folge zu  beiden  Seiten  hervortrete  wie  der  Mond  unter  den 
Sternen"^).  Danach  scheint  es,  daß  die  Dynastie  der  Be- 
freier sich  dem  Mondgott  —  dessen  Kultus  unter  dem  Namen 
Chonsu,  Sohn  des  Amon  und  der  Mut,  in  der  Folgezeit  in 
Theben  stark  hervortritt  —  besonders  nahe  verbunden  ge- 
fühlt hat. 

Aus  der  Todeswunde  des  Seqenjenre'  Tao'  wird  man  fol- 
gern dürfen,  daß  seine  Erhebung  gegen  die  Hyksos  unglück- 
lich ausgegangen  ist'^).  Sein  Nachfolger  ist  der  eben  er- 
wähnte König  Kamose  (mit  dem  Thronnamen  Uazcheperre*), 

')  Sethe,  Ulk.  der  18.  Dyn.  I  13.  18,  10. 

2)  Möglich  bleibt  natürlich  auch,  daß  er  das  Opfer  einer  Ver- 
schwörung geworden  ist. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    U'  4 


50      n.  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

wohl  zweifellos  sein  ältester  Sohn').  Über  ihn  besitzen  wir 
den  Eingang  eines  Berichts  in  Form  einer  Königsinschrift  ^) 
aus  seinem  3.  Jahr.  Hier  wird  erzählt,  wie  der  tapfere 
König  zu  seinen  Magnaten  redet:  „Ich  möchte  wissen,  wozu 


*)  Kamoses  Grabpyraiuide  im  Pap.  Abbott,  sein  Sarg  bei  Daressy 
Ann.  du  Serv.  IX.  Wer  seine  Eltern  waren,  erfahren  wir  nicht;  eben- 
sowenig wissen  wir  etwas  von  seiner  Gemahlin  oder  seinen  Kindern. 
Aber  da  sein  Andenken  in  Ehren  blieb,  kann  er  kein  Usurpator  sein; 
somit  wird  er  ein  älterer  Bruder  des  Amosis  sein,  der  nur  wenige  Jahre 
regiert  hat.  Auf  dem  Altar  Clot-bey's  in  Marseille  (Bd.  I  309  A.)  wird 
er  nach  Seqenjenre'  genannt;  ein  Priester  des  Amon,  der  Mut  und 
Thuthmosis'  I.  ist  zugleich  Totenpriester  des  Ta'o  und  ITazcheperre*^ 
(Kamose):  Lacau,  Steles  du  nouv.  Emp.  p.  64  =  Legrain,  Rep.  geneal.  I. 
Vermählt  ist  Ta'o  mit  „der  großen  Königstochter  und  Genossin  der 
weißen  Krone"  A'hhotep  [von  den  Eltern  und  zwei  Schwestern  ge- 
stiftete Grabstatue  ihres  Sohnes  A'hmose:  Sethe  Urk.  12  f.].  Der  Sohn 
der  A'hhotep  ist  nach  Sethe  Urk.  80,  vgl.  21  König  Amosis;  in  der 
Liste  von  Der  el  Medine  LD.  III  2  a  sitzt  sie  neben  König  Ta'o,  in2d 
neben  Amosis.  Nach  der  Inschrift  des  Amosis  Sethe  Urk.  27  ZI.  8, 
sind  sein  Vater  und  seine  Mutter  beide  Kinder  einer  Königin  Tetisere 
(also  die  übliche  Geschwisterehe).  Daher  heißt  A'hhotep  bei  Sethe 
Urk.  21  ZI.  24  f.,  „Gattin,  Schwester,  Tochter,  Mutter  eines  Königs". 
[Tetisere  selbst  ist  nicht  königlichen  Geblüts,  sondern  stammt  nach  An- 
gabe ihrer  Mumienbinde  von  Privatleuten:  Darkssv,  Ann.  du  Serv.  IX  137. 
Mit  welchem  König  sie  vermählt  war,  wissen  wir  nicht.  Ihre  Statue 
im  British  Museum  bei  Budge,  Eist.  64.]  Somit  ergibt  sich  folgender 
Stammbaum: 

Königin  Tetisere 

Ta'o  I.  „der  Große"  Ta'o  IL  „der  Tapfere"  A'hhotep 


Kamose  Amosis  Ahmes-nofretari 


Amenophis  I. 

Über  das  Grab  der  A'hhotep  mit  ihrem  Sarge  s.  u.  S.  56,  1-  Der  Sarg 
einer  zweiten  Königin  desselben  Namens  ist  in  Der  el  Bahri  gefunden. 
Vielleicht  war  diese  die  Gemahlin  Amenophis'  I.;  doch  wird  die  Königin 
A'hhotep,  die  in  dessen  10.  Jahre  ihrem  Beamten  Kares  einen  Toten- 
kult in  Abydos  schenkt  (Sethe  Urk.  45  f.),  da  sie  „Königinmutter"  heißt, 
wohl  seine  Großmutter  sein,  die  dann  sehr  alt  geworden  sein  muß. 

*)  Erhalten   auf   der   Holztafel   eines   Schülers;  Übersetzung   bei 
Erman,  Literatur  der  Äg.  83  f. 


König  Kamose  gegen  die  Hyksos  51 

mir  meine  Stärke  dient  ^).  Ein  Fürst  sitzt  in  Auaris,  ein 
anderer  in  Kusch,  und  ich  sitze  da,  zusammen  mit  einem 
Asiaten  und  einem  Neger,  Ein  jeder  besitzt  sein  Bruch- 
stück von  Ägypten  und  teilt  das  Land  mit  mir".  Die  Be- 
duinen sind  bis  Hermopolis  vorgedrungen  und  ruinieren  das 
Land  durch  ihre  Erpressungen.  „Aber  ich  werde  mich  an 
ihn  heranmachen  und  ihm  den  Bauch  aufreißen;  mein  Wunsch 
ist,  Ägypten  zu  retten  und  die  Asiaten  zu  schlagen."  Die 
Magnaten  haben  keine  Neigung,  darauf  einzugehn:  „Auch 
wenn  die  Asiaten  bis  Kusae  (zwischen  Hermopolis  und 
Siut)  gelangt  sind  und  höhnisch  die  Zunge  ausstrecken  (?j, 
sind  wir  doch  in  Ruhe  mit  unserem  Ägypten.  Elephantine 
(die  Grenzfeste  im  Süden)  ist  stark,  und  die  Mitte  des  Landes 
gehört  uns  bis  nach  Kusae."  Sie  schildern,  wie  trotz  der 
Fremdherrschaft  im  Delta  das  beste  Land  für  sie  bestellt  wird, 
ihre  Rinderherden  ungehindert  dort  weiden  können,  und  wie 
sie  von  dort  den  Weizen  für  ihre  Schweine  beziehen.  „Er 
hat  das  Land  der  Asiaten,  wir  haben  Ägypten."  Der  König 
weist  ihr  feiges  Verhalten  scharf  zurück:  „man  soll  von  mir 
in  Theben  sagen:  Kamose  der  Beschützer  Ägyptens".  „Nach 
dem  Befehl  Amons,  der  die  rechten  Gedanken  hat",  zieht  er 
mit  seinem  tapferen  Heer  und  der  Hilfstruppe  der  Mazoi. 
der  Söldner  aus  Nubien,  in  den  Krieg,  durch  die  Ortschaften 
am  Strom  reich  verproviantiert.  Den  Teti,  Sohn  des  Pepi, 
einen  Vasallen  der  Hyksos  oder  Rebellen,  hält  er  in  der 
(sonst  unbekannten)  Stadt  Nefruisi  fest,  erstürmt  und  plün- 
dert den  Ort  und  dringt  weiter  vor.  Damit  bricht  das  Er- 
haltene ab.  Daß  er  auch  gegen  Nubien  gezogen  ist,  scheint 
daraus  hervorzugehn,  daß  sein  Name  an  einer  Felswand  in 
Toschqe  steht  (halbwegs  zwischen  Derr  und  Abusimbel).  un- 
mittelbar über  dem  seines  Nachfolgers  Amosis-). 

')  Seiner  Stärke  oder  Tapferkeit  rühmt  er  sich  auch  in  der  oben 
S.  49  angeführten  Speerinschrift.  Auf  der  goldenen  Barke  aus  seinem 
Grabe  ist  vor  jeden  seiner  beiden  Namensringe  an  Stelle  der  üblichen 
Titel  das  Bild  eines  Löwen  gesetzt. 

')  Weigall,  Antiq.  of  Lower  Nubia  pl.  65. 


52      II-  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

Der  kriegerische  König  kann  nur  wenige  Jahre  regiert 
haben;  sein  Nachfolger  Amosis  (ca.  1580 — 1558),  wahr- 
scheinlich sein  Bruder,  hat  den  Kampf  fortgesetzt  und  zu 
Ende  geführt.  Kunde  haben  wir  nur  von  dem  Schlußkarapf 
um  Auaris  durch  die  Biographie  eines  daran  beteiligten 
SchiflFsoffiziers,  des  A'hmose,  Sohn  des  Abana  —  der  selbst 
schon  die  gleiche  Stellung  unter  Seqenjenre'  eingenommen 
hatte  —  aus  dem  Nomarchengeschlecht  von  Elkab  (vgl.  Bd.  I 
302).  Die  Hauptstadt  der  Hyksos  ist  von  den  Ägyptern  um- 
lagert, zu  Lande  und  zu  Wasser  wird  gekämpft,  auch  im 
Gebiet  südlich  von  der  Stadt  ^);  schließlich  wird  Auaris  ge- 
nommen und  ist  offenbar  zerstört  worden.  Nach  Manethos 
Bericht  hat  Amosis  den  Hyksos  freien  Abzug  mitsamt  ihrer 
Habe  gewährt,  und  daran  wird  etwas  Richtiges  sein,  da  die 
Beute  auch  nach  AMimoses  Angaben  offenbar  nicht  groß  ge- 
wesen ist.  Der  Pharao  ist  den  Feinden  nach  Asien  gefolgt 
und  hat  die  Festung  Saruhan  im  äußersten  Süden  Palaestinas 
(s.  u.  S.  82)  nach  dreijähriger  Belagerung^)  erobert;  damit  war 
ein  Brückenkopf  jenseits  der  Wüste  gewonnen,  der  Ägypten 
gegen  erneute  Angriffe  aus  Asien  schützte. 

Dann  zog  Amosis  gegen  die  Nomadenstämme  Nubiens^) 
und  stellte  die  Herrschaft  Ägyptens   bis  zum  zweiten  Kata- 

')  „Man  kämijfte  in  dem  südlich  von  dieser  Stadt  gelegenen 
Ägypten",  d.  h.  in  dem  Teile  des  Landes,  der  südlich  von  Auaris  liegt. 
Breasted,  Anc.  Rec.  II  p.  7,  11  und  Sethe  in  der  Übersetzung  der  ürk. 
der  18.  Dyn.  S.  2  verstehen  unter  „dieser  Stadt"  fälschlich  Elkab  und 
finden  hier  eine  Angabe  über  die  Besiegung  eines  Aufstandes. 

*)  Sethe,  ÄZ.  42,  136.  —  Von  Manethos  Bericht  liegen  bei  Jo- 
sephus  c.  Ap.  zwei  Auszüge  vor,  von  denen  der  erste  (I  84 — ^90)  gröb- 
lich entstellt  ist  und  die  Vertreibung  der  Hyksos  dem  Misphragmuthosis, 
d.  i.  Mencheperre'  Thutmosis  III.,  und  seinem  Sohne  Thummosis,  d.  i. 
Thuthmosis  IV.,  zuschreibt.  In  dem  zweiten  Exzerpt  wird  als  Besieger 
TeSfjLcuot;  genannt,  was  durch  Einwirkung  des  ersten  Exzerpts  aus 
"Afioiai?  entstellt  ist.  Dieser  Name,  den  der  echte  Manetho  natürlich 
gegeben  hat,  ist  in  den  Königslisten  bei  Africanus  und  Eusebius  be- 
wahrt, ebenso  bei  Apion  (Tatian  adv.  gent.  38).  Vgl.  Ägypt.  Chronol- 
(Abb.  Berl.  Ak.  1904)  S.  73  f. 

3)  Die  Nubier  des  Landes  Sti,  vgl.  Bd.  I  165. 


Amosis  und  der  Untergang  des  Hyksosreichs  53 

rakt  wieder  her.  Er  kehrte  heim  „geschwollenen  Herzens  über 
die  Siegeskraft,  da  er  die  Südvölker  und  die  Nordvölker 
bezwungen  hatte".  Jetzt  konnte  er  auch  die  letzten  Wider- 
stände in  Ägypten  selbst  niederwerfen.  Unterägypten  nebst 
den  angrenzenden  Gauen  des  Südens,  die  fortan,  wie  wir  noch 
sehn  werden,  mit  jenem  unter  einheitUcher  Verwaltung  zu- 
sammengefaßt wurden,  scheint  sich  ohne  Kampf  der  theba- 
nischen  Herrschaft  gefügt  zu  haben;  weiter  oberhalb  dagegen 
gab  es  noch  Dynasten,  die  ihre  Unabhängigkeit  zu  behaupten 
versuchten.  Aber  jetzt  „nahte  ihnen  ihr  Todesschicksal,  die 
Götter  des  Südlandes  packten  sie" ;  zunächst  wurde  ein  Re- 
bell am  Nil  selbst,  dann  „jener  böse  Teti'an,  der  die  Übel- 
gesinnten um  sich  versammelt  hatte"  und  auch  Mannschaften 
aus  den  Wüstenstämmen  herangezogen  zu  haben  scheint,  be- 
siegt und  vernichtet.  Damit  war  die  volle  Einheit  des  Reiches 
wiederhergestellt. 

Es  sind  nur  sporadische,  durch  Zufall  erhaltene  Notizen 
über  einzelne  Vorgänge,  die  auf  uns  gekommen  sind;  zwischen 
ihnen  klaffen  überall  die  größten  Lücken,  und  von  dem  inneren 
Zusammenhang,  von  den  Bedingungen,  die  den  Fürsten  von 
Theben  die  Wiederaufrichtung  der  ägyptischen  Großmacht 
ermöglicht  haben,  geben  sie  keine  Kunde.  Und  doch  ist  klar, 
daß  ein  weltgeschichtliches  Ereignis  wie  der  Untergang  des 
Hyksosreichs  sich  nur  aus  dem  Zusammenwirken,  aktiv  so 
gut  wie  passiv,  aller  Kräfte  und  Bestrebungen  begreifen  läßt, 
welche  die  damalige  Welt  des  Orients  umfaßte.  Die  Macht  des 
Hyksosreichs  muß  innerlich  bereits  gebrochen,  der  feste  Rück- 
halt in  Syrien  verloren  gewesen  sein,  als  Amosis  die  Haupt- 
stadt einschließen  und  schließlich  erobern  konnte.  Wieweit 
sei  es  das  Mitanireich,  sei  es  die  Kossaeer  von  Kardunias  hier 
eingegriffen  haben,  entzieht  sich  jeder  Erkenntnis^).  Nach 
der  anderen  Seite  dagegen  gewähren  die  Andeutungen  einer 

')  Man  wird  sich  das  politische  und  militärische  Ineinander- 
greifen der  einzelnen  Mächte  analog  dem  Untergang  des  Assyrerreichs 
vorstellen  dürfen,  in  den  uns  jetzt  wenigstens  einiger  Einblick  ge- 
währt ist. 


54      II.  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

Inschrift  des  Amosis  die  Möglichkeit,  die  Beziehungen  zu  er- 
kennen. Der  König  zählt  hier  die  reichen  Geschenke  aus  Gold, 
Silber  und  kostbaren  Steinen  auf,  die  er  dem  Amon  von 
Theben  dargebracht  hat.  Voran  geht  ein  langer  Hymnus 
auf  den  Pharao,  den  Sohn  und  Erben  des  Amon  und  das 
Ebenbild  des  Re',  „den  König  der  Könige  in  allen  Landen, 
der  den  Umkreis  der  Sonne  beherrscht,  zu  dem  die  Bewohner 
des  Südens  und  Nordens,  des  Ostens  und  Westens  kommen" : 
die  drei  Bevölkerungsklassen  Ägyptens')  werden  aufgefor- 
dert, bei  seinem  Namen  zu  schwören  und  ihn  zu  preisen  und 
zu  verehren  wie  Sonne  und  Mond.  Dann  aber  folgt  ein  Ab- 
schnitt, der  in  der  gesamten  Masse  der  ägyptischen  Königs- 
inschriften nicht  seinesgleichen  hat :  der  Befehl,  seine  Mutter, 
die  Königin  A'^ihotep  zu  preisen ;  und  diese  erhält  den  Titel 
„Herrin  des  Landes  (d.  i.  Ägyptens),  Fürstin  der  Gestade  der 
Haunebt".  Haunebt  ist  die  uralte,  im  getragenen  Stil  immer 
beibehaltene  Bezeichnung  der  Seevölker  im  Norden;  hier, 
wo  es  sich  um  reale  Beziehungen  des  politischen  Lebens 
handelt,  können  damit  nur  die  Kreter  gemeint  sein.  Und  nun 
folgt  der  Preis  der  Königin:  „ihr  Name  ist  hoch  in  jedem 
Fremdlaud,  sie  leitet  die  Menge-),  die  Gattin,  Schwester, 
Tochter,  Mutter  eines  Königs,  die  Erhabene  und  Kundige, 
die  für  Ägypten  .sorgt;  sie  hat  .seine  Armee  zusammen- 
gebrachte?)^) und  diese  beschirmt^);  sie  hat  zurückgebracht 
seine  Flüchtlinge,  gesammelt  seine  Auswanderer,  Oberägypten 
(hnu,    also  das  Reich  von  Theben)  beruhigt  und  seine  Re- 


')  Stele  des  Amosis  aus  Karnak,  Sethe  Urk.  14  tf.  Die  drei  Klassen 
ZI.  10  und  21  sind  die  rchit,  d.  i.  wahrscheinlich  die  „Wissenden",  die 
das  wahre  Verständnis  der  Religion  und  ihrer  Geheimnisse  besitzen, 
die  hmnmt  und  diep't;  dahinter  steht  zusammenfassend  Ar  wo  „jeder- 
mann''. 

^)  Wörtlich:   „die  den  Plan  macht  für  die  Vielen^ 

*)  'wa  ns  mnfli-s.  Das  Verbum  '«a  bezeichnet  immer  eine  ge- 
walttätige Handlung  wie  „rauben";  so  vermute  ich,  daß  es  hier  „die 
Soldaten  zusammenraffen",   „zu  Soldaten  pressen"  bedeutet. 

*)  nbnh  ns  si;  nbnb  bedeutet  .sich  jemandes  annehmen,  be- 
schützen". 


Bündnis  zwischen  Ägypten  und  Kreta  55 

bellen  (Widerspenstigen)  bezwungen,  die  Königsgattin  A'hho- 
tep,  die  Lebende". 

In  diesen  Worten  ihres  Sohnes  erscheint  die  Königin 
als  die  Schöpferin  des  neuen  Ägyptens,  als  die  Seele  seiner 
Erhebung  und  seiner  Erfolge.  Zugleich  zeigen  die  Worte, 
daß  sie  im  Auslande  tätig  gewesen  sein  muß:  nur  hier  kann 
sie  die  Flüchtlinge  beschirmt  und  gesammelt,  nur  hier  das 
Heer  aufgebracht  haben.  Danach  werden  wir  annehmen 
dürfen,  daß  sie  nach  dem  Tode  ihres  Gemahls  Tao  dessen 
Werk  mit  voller  Energie  fortgeführt  hat  und  neben  dem 
kriegerischen  Kamose  —  der  noch  sehr  jung  gewesen  sein 
mag;  seine  Äußerungen  (o.  S.  51)  stehn  dem  nicht  im  Wege  — 
und  dann  unter  Amosis  die  eigentliche  Regentin  des  theba- 
nischen  Reichs  gewesen  ist.  Zugleich  aber  muß  sie  mit  Kreta 
in  enge  Beziehung  getreten  sein  und  hat  vermutlich  dessen 
König  geheiratet —  die  Bezeichnung  „Fürstin  der  Gestade  des 
Haunebt"   läßt  kaum  eine  andere  Deutung  zu. 

So  drängt  sich  die  Vermutung  auf.  daß  das  Hyksos- 
reich  einem  kombinierten  Angriff  erlegen  ist,  zu  dem  sich 
das  oberägyptische  Reich  von  Theben  und  Kreta  gegen  den 
gemeinsamen  Bedränger  verbunden  haben:  eben  durch  das 
Eingreifen  der  Kreter  wird  die  Einschließung  und  Eroberung 
von  Auaris  ermöglicht  worden  sein.  Eine  weitere  Bestäti- 
gung und  Ergänzung  bietet  der  Hymnus  auf  den  König 
selbst:  die  drei  Klassen  der  Bevölkerung  Ägyptens  , sagen: 
unser  Herr  ist  er;  die  Haunebt:  wir  sind  in  seinem  Gefolge; 
die  Länder:  wir  gehören  ihm".  Deutlich  werden  hier  drei 
Gruppen  geschieden:  die  eigentlichen  Untertanen  in  Ägypten, 
die  verbündeten  Kreter,  die  ihm  Kriegshilfe  leisten,  und  die 
übrige  Welt,  d.  i.  Syrien  und  die  Negerländer,  über  die  er 
seine  Macht  ausgedehnt  hat. 

Aus  dieser  engen  Verbindung  zwischen  Ägypten  und 
Kreta  ist  die  tiefgreifende  Einwirkung  erwachsen,  welche 
Kultur  und  Kunst  beider  Länder  gebend  und  nehmend  wie 
schon  seit  alters  so  noch  weit  intensiver  in  der  Folgezeit  auf- 
einander geübt  haben.   Ganz  anschaulich  tritt  diese  Wechsel- 


56      II-  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

Wirkung  der  beiden  Länder  und  Kulturen  eben  zur  Zeit  der 
Hvksoskämpfe  in  zwei  Prunkwaffen  zutage,  die  den  Naxnen 
des  Königs  Amosis  tragen  und  ebenso  wie  andere  Schmuck- 
sachen mit  seinem  Namen  sowie  dem  des  Kamose  dem  Grabe 
ihrer  Mutter  A'hhotep  beigegeben  wurden^).  Auf  dem  Dolch 
des  Amosis,  mit  goldener  Schneide,  ist  in  die  Rippe  aus  Bronze 
der  Name  des  Königs  eingelegt,  jedes  Zeichen  von  feinen 
Goldstegen  umfaßt,  und  darauf  folgt,  in  gleicher  Weise  ge- 
arbeitet, ein  Löwe,  der  einen  Stier  verfolgt,  und  dann  vier 
Heuschrecken.  Die  in  gestrecktem  Lauf  dahinjagenden  Tiere, 
mit  übernatürlich  in  die  Länge  gezogenem  Leib,  und  die 
Andeutung  der  gebirgigen  Landschaft  zu  beiden  Seiten  sind 
nach  kretischem  Vorbild  gearbeitet.  Technik  und  Gestalt  der 
Waffe  haben  ihr  Gegenbild  in  Dolchen  aus  Kreta  und  My- 
kene.  Aber  die  Arbeit  ist  ägyptisch,  und  so  ist  auch  der  dort 
übliche  schlichte  Knauf  des  Dolches  hier  durch  einen  gol- 
denen Knauf  in  Gestalt  von  vier  Hathörköpfen  ersetzt.  Auf 
der  Streitaxt  des  Amosis  ist  ebenso  unter  seinen  Namen  und 
die  Szene,  in  der  er  einen  Feind  beim  Schopf  packt  und 
niederstößt,  ein  Greif  in  kretischem  Stil  gesetzt,  der  nach  der 
Beischrift  „geliebt  von  Montu"  offenbar  den  thebanischen 
Kriegsgott  Montu  darstellen  soir-). 

Somit  sind  diese  Waffen  von  einem  ägyptischen  Künstler 
gearbeitet,  der  den  Auftrag  erhalten  hatte,  kretische  Vor- 
bilder zu  verwerten  und  der  ägyptischen  Art  anzupassen. 
Als  Gegenstück  dazu  kann  eine  Dolchklinge  dienen,  die  um 
dieselbe  Zeit  von  einem  kretischen  Künstler  für  einen  Für- 
sten  von    Mykene   gearbeitet  und  ihm    ins  Grab  mitgegeben 


')  Über  die  Geschichte  dieses  Grabfundes  und  des  fälschlich  mit 
ihm  verbundenen  aus  dem  Grabe  des  Kamose  (v.  Bissing.  Theban. 
Grabfund  aus  dem  Anfang  des  Neuen  Reichs,  1902)  s.  Daressy,  Ann. 
du  serv.  1908,  61  ff.  und  1912,  68,  sowie  jetzt  die  eingehende  Unter- 
suchung von  WiNLOCK,  J.  of  Eg.  Archaeol.  X  1924,  250  ft'. 

^)  Über  die  Nachahmung  der  kretischen  Vorbilder  siehe  vor  allem 
FuRTWÄNGLER,  Ant.  Gemmen  III  20  und  Fimmen.  Kretisch-myken.  Kul- 
tur 204  f. 


Beziehungen  zu  Kreta.    Die  Serdana  57 

ist^).  Hier  ist  in  die  bronzene  Rippe  auf  beiden  Seiten  in  Gold- 
blech eine  Nillandschaft  eingelegt ;  in  dem  Fluß  schwimmen  die 
Fische,  am  Ufer  stehn  ganz  nach  ägyptischem  Vorbild  gezeich- 
nete Papyrusstauden,  in  denen  Wildkatzen  den  Enten  nachjagen. 
Die  Verbindung  des  Pharaonenreichs  mit  der  Mittelmeer- 
welt hat  zur  Anwerbung  von  Soldtruppen  aus  diesen  Ge- 
bieten geführt.  Diese  überseeischen  Söldner,  die  Serdana, 
kannten  wir  früher  erst  seit  der  Zeit  Ramses'  II. ;  die  Amarna- 
tafeln  haben  gezeigt,  daß  sie  schon  unter  Amenophis  III.  als 
Besatzungen  in  Syrien  verwendet  worden  sind.  So  ist  es  sehr 
wohl  möglich,  daß  ihre  Anwerbung  bereits  in  die  Anfänge 
des  Neuen  Reichs  zurückgeht  und  Amosis  sie  im  Kampf 
gegen  die  Hyksos  in  derselben  Weise  verwendet  hat,  wie 
nahezu  ein  Jahrtausend  später  Psammetich  das  Assyrerjoch 
mit  Hilfe  der  ionischen  und  karischen  Söldner  abgeschüttelt 
hat,  die  ihm  Gyges  von  Lydien  zu  Hilfe  schickte.  Daß  diese 
„Serdana  von  den  Inseln  des  Meeres"  in  den  weiteren  Um- 
kreis der  kretisch-ägäischen  Kultur  gehören,  ist  nicht  zweifel- 
haft; ihre  Hauptwaffe  sind  große  spitze  Dolchmesser,  wie 
sie  dort  geschaffen  sind,  im  Gegensatz  zu  Lanze  und  Streit- 
axt des  ägyptischen  Fußvolks,  dazu  ein  kleiner  Rundschild 
und  ein  flacher,  mit  einem  Knauf  und  Mondhörnern  gezierter 
Helm.  Es  sind  große  Gestalten,  bartlos'^),  mit  eigenartig  ver- 
kniffenen Gesichtszügen  von  einem  dem  Orient  ganz  frem- 
den Typus,  der  indessen  auch  anderswo  eine  sichere  ethno- 
graphische Anknüpfung  nicht  ermöglicht.  Aus  dem  Gebiet  des 
Agaeischen  Meeres  stammen  sie  schwerlich;  der  Name  legt 
den  Gedanken  an  Sardinien  nahe,  das  von  der  kretischen 
Kultur  wenigstens  nicht  ganz  unberührt  geblieben  ist  3),  und 


*)  Aus  dem  fünften  Schachtgrab,  vgl.  u.  S.  177.  Grundlegende  Ab- 
bildungen: Köhler,  MAI.  VI  Taf.VIlI,  Perrot,  BCH.  X  Taf.  I. 

^)  Siehe  Taf.  VI.  Der  gefangene  Serdanahäuptling  bei  Ramses  III.. 
ein  älterer  Mann  mit  schmaler,  gebogener  Nase,  trägt  dagegen  einen 
Bart.  Weiteres  s.  u.  in  Abschnitt  XII,  auch  über  die  bei  ihnen  übliche 
Beschneidung. 

*)  Vgl.  FIM.MEN  S.  113.  119.  121.  1-22  f. 


58      II-  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

einzelne  Anklänge,  namentlich  in  der  Helmgestalt,  finden 
sich  auch  hier;  so  ist  es  nicht  unmöglich,  daß  die  kräftige 
Jugend  dieser  Insel,  wie  allezeit  die  kriegerischen  Barbaren- 
völker, weithin  über  See  in  die  Dienste  des  Pharao  gezogen  ist, 
wo  Beute  und  Ehre  winkten.  Aber  Sicherheit  ist  hier,  wie 
in  so  mancher  anderen  Frage  der  Ethnographie  dieser  Zeit, 
leider  mit  unserem  Material  nicht  zu  gewinnen. 

Die  Organisation  des  Neuen  Reichs 

Mit  dem  Untergang  des  Hyksosreichs  und  der  Wieder- 
aufrichtung des  einheitlichen  Pharaonenreichs  um  1580  v.  Chr. 
beginnt  für  die  gesamte  Kulturwelt  eine  neue  Epoche:  die 
asiatischen  Mächte  sind  zurückgetreten  und  in  tiefem  Ver- 
fall, Ägypten  tritt  in  den  Mittelpunkt  der  Weltgeschichte, 
und  mit  ihm  in  enger  Verbindung  gelangt  Kreta  und  seine 
Kultur  auf  den  Höhepunkt  seiner  Entwicklung.  Auch  die 
Ägypter  selbst  haben  den  Einschnitt  empfunden:  obwohl  das 
Königshaus  das  gleiche  blieb,  beginnen  sie  mit  Amosis  eine 
neue,  die  achtzehnte  Dynastie;  die  gesamte  Entwicklung  der 
Folgezeit  pflegen  wir  unter  dem  Namen  des  „Neuen  Reichs" 
zusammenzufassen. 

Neben  der  Gewinnung  der  Unabhängigkeit  und  Macht- 
stellung nach  außen  war  der  Wiederaufbau  im  Innern  die 
wichtigste  Aufgabe  der  siegreichen  Herrscher.  Wir  haben 
gesehn,  mit  welchen  Widerständen  sie  hier  zu  kämpfen 
hatten;  der  Kampf  gegen  die  Hyksos  ist  nicht  sowohl  eine 
einheitliche  Erhebung  des  ägyptischen  Volks  gegen  die 
Fremdherrschaft,  als  vielmehr  eine  Eroberung  des  Landes 
durch  die  Könige  von  Theben  gewesen,  bei  der  sie  sich  nur 
auf  die  kriegerische  Mannschaft  ihres  engeren  Gebiets  stützen 
konnten.  (Wenn  in  ähnlicher  Lage  die  Könige  der  elften 
Dynastie  und  dann  Amenemhet  I,  bei  der  Neuschöpfung  einer 
starken  Königsmacht  doch  an  die  überlieferten  Zustände  an- 
knüpfen und  daher  auch  die  lokalen  Machthaber  ihrem  Staat 
einfügen    konnten  —  bis  dann  Sesostris  III.  das  Gaufürsten- 


Gestalt  des  Neuen  Reichs.    Die  Gaugrafen  von  Elkab         59 

tum  beseitigte^)  — ,  so  ist  das  Neue  Reich  ganz  andere  Wege 
gegangen.  Nur  im  äußersten  Süden,  in  Eileithyia  (Elkab),  der 
Stadt  der  Geiergöttin  Nechbet,  im  dritten  oberägyptischen  Gau, 
deren  Bevölkerung  sich  den  thebanischen  Herrschern  eifrig 
angeschlossen  und  ihnen  mehrere  tüchtige  Offiziere  gestellt 
hatte,  hat  sich  das  Fürstengeschlecht  der  dreizehnten  Dynastie 
(Bd.  I  302)  noch  längere  Zeit  erhalten;  diese  Dynasten,  jetzt 
wie  die  übrigen  Stadtregenten  mit  dem  Grafentitel  ausge- 
stattet, haben  sich  noch  einmal  große  Felsgräber  im  Stil 
der  alten  Nomarchengräber  angelegt,  au  deren  Wänden  ihr 
Leben  und  Treiben  dargestellt  ist,  sowohl  die  Szenen  auf 
ihrem  Gutshof.  die  Ernte,  das  Beladen  der  Böte,  die  Ar- 
beiten der  Handwerker,  wie  die  Verwaltung  ihres  durch  das 
benachbarte  Esne  erweiterten  Bezirks,  in  dem  sie  die  Na- 
turalabgaben an  die  Magazine  des  Reichs  erheben,  die  Vieh- 
zählung leiten,  die  Felder  inspizieren.  Nach  Thutmosis  L. 
der  dem  Paheri  von  Elkab  die  Erziehung  eines  früh  ver- 
storbenen Prinzen  anvertraute,  verschwindet  auch  dieses 
Fürstentum.  Überall  sonst  sind  die  lokalen  Gewalten  schon 
durch  Amosis  beseitigt,  zum  Teil,  wie  erwähnt,  nach  hart- 
näckigem Widerstände.  Über  den  partikularen  Bildungen  hat 
sich  allmächtig  der  zentralisierte  Einheitsstaat  der  absoluten 
Monarchie  erhoben,  die  sich  in  der  straffen  Organisation  der 
Armee  und  des  Beamtentums  eine  festgefügte  Grundlage  schafft 
und  keinerlei  Sonderbestrebungen  mehr  aufkommen  läßt. 

In  der  Gestalt,  welche  die  Reichsverwaltung  unter  der 
achtzehnten  Dynastie  erhält,  ist  das  Ergebnis  der  geschicht- 
lichen Entwicklung  dauernd  festgehalten.  Theoretisch  besteht 
zwar  die  ursprünghche  Zweiteilung  in  den  Süden  und  das 
Nordland  weiter  und  kehrt  in  den  offiziellen  Formeln  und 
Titeln    wieder.    Aber   tatsächlich    ist    das    Südland  jetzt    das 


^)  Bd.  I  285.  Man  wird  damit  etwa  die  Beseitigung  des  Feudal- 
adels der  Dere-beys  durch  Mahmud  II.  im  osmanischen  Reich  ver- 
gleichen können.  An  rücksichtsloser  Gewaltsamkeit  wird  es  in  dem 
einen  Falle  so  wenig  wie  in  dem  anderen  gefehlt  haben,  wenn  auch 
die  Denkmäler  davon  natürlich  nichts  berichten. 


60      n.  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

Stammgebiet  der  thebanischen  Fürsten  von  Elephantine  bis 
nach  Siut  und  Kusae,  d.  i.  eben  das  Reich,  über  das  Ta'o  und 
Kamose  vor  dem  Beginn  des  Hyksoskriegs  geboten;  es  ifet 
in  zwei  Provinzen,  oberhalb  und  unterhalb  Thebens,  geteilt, 
die  dem  „Vezir  und  Oberhaupt  der  südlichen  Hauptstadt" 
(No',  d.  i.  Theben)  unterstellt  sind.  Die  nördlichen  Gaue  des 
Südlandes  dagegen,  von  Hermopolis  an,  d.  i.  das  im  Hyksos- 
kampf  eroberte  Gebiet,  sind  mit  dem  Delta  verbunden  und 
stehn  unter  einem  zweiten  Vezir.  dem  des  Nordlandes  oder 
von  Memphis. 

Diese  Gestaltung  des  Neuen  Reichs  zeigt  ein  ganz  eigen- 
artiges Bild:  der  Sitz  der  Regierung  liegt  weitab  von  der  geo- 
graphischen Mitte  im  südlichsten  Teil  des  Kulturlandes,  längs 
des  Flußlaufs  700  Kilometer  oberhalb  von  Memphis,  nur 
200  Kilometer  unterhalb  der  Grenze  am  ersten  Katarakt.  Das 
erscheint  als  ein  Widerspruch  gegen  die  von  der  Natur  ge- 
gebenen Bedingungen^),  der  auch  dadurch  kaum  gemildert 
Avird,  daß  jetzt  Nubien  wieder  dauernd  an  das  Reich  an- 
gegliedert wird.  Nur  umso  anschaulicher  gelangt  darin  zum 
Ausdruck,  daß  das  Stammland  der  Dynastie  wirklich  die  Basis 
ihrer  Kraft  gewesen  und  dauernd  geblieben  ist. 

So  tritt  uns  hier  noch  einmal  ein  Moment  entgegen, 
das  für  den  gesamten  Verlauf  der  ägyptischen  Geschichte 
von  grundlegender  Bedeutung  gewesen  ist.  Alle  großen  po- 
litischen Bewegungen,  die  zu  Reichsgründungen  geführt  und 
die  Gestaltung  Ägyptens  auf  Jahrhunderte  hinaus  entscheidend 
bestimmt  haben,  sind  vom  Süden  Oberägyptens  ausgegangen. 
Die  Aufrichtung  des  Gesamtreichs,  die  „Vereinigung  der 
beiden  Lande"  ist  das  Werk  der  Horuskönige  von  Elkab 
und  ihrer  Nachfolger  aus  dem  thinitischen  Gau;  und  wenn 
auch  König  Menes  bereits  die  Festung  von  Memphis,  die 
„weiße  Mauer",  gebaut   hat,  so    liegen    doch    nicht   nur    die 


')  Die  Gestaltung  ist  etwa  dieselbe,  wie  wenn  der  Sitz  der  Re- 
gierung der  preußischen  Monarchie  in  Königsberg  gelegen  hätte.  Ver- 
gleichbar ist  die  exzentrische  Lage  von  Petersburg  im  russischen  Reich 
im  Gegensatz  zu  der  alten  und  natürlichen  Hauptstadt  Moskau. 


Die  Gestaltung  des  Neuen  Reichs  61 

Gräber  der  Thiniten  und  ihres  Hofstaats,  sondern  auch 
ihre  Residenzstädte  im  Gebiet  von  Abydos.  Erst  seit  der 
dritten  Dynastie  wird  das  Gebiet  von  Memphis  der  Sitz  der 
Regierung  und  darum  auch  die  Stätte  der  Königsgräber. 
Nach  der  Auflösung  des  Alten  Reichs  mißlingt  der  Ver- 
such der  Herakleopoliten  aus  Mittelägypten,  die  Reichsein- 
heit wiederherzustellen;  nach  langem  Ringen  erliegen  sie 
den  Dynasten  der  elften  Dynastie  aus  dem  thebanischen 
Gau.  Durch  die  Könige  der  zwölften  Dynastie  wird  die 
Stellung  Thebens  und  seines  Gottes  Amon  begründet;  aber 
die  Residenz  haben  sie  wieder  in  den  Norden  verlegt,  teils 
nach  Dahsür,  teils  in  das  neuerschlossene  Faijüm.  Bei  der 
Begründung  des  Neuen  Reichs  wiederholt  sich  der  gleiche 
Vorgang  zum  drittenmal;  diesmal  aber  ist  die  Residenz 
dauernd  in  Theben  geblieben  und  Amon-re'  wirklich  der 
Reichsgott  geworden,  vor  dem  alle  anderen  Götter  in  den 
Schatten  treten.  Materiell,  an  wirtschaftlicher  Leistungsfähig- 
keit, haben  die  engbegrenzten  Gaue  des  „Kopfs  des  Südens'' 
natürlich  immer  weit  hinter  den  fruchtbaren  Gefilden  Mittel- 
ägyptens und  des  Deltas  zurückgestanden.  Aber  hier  .saß 
eine  zwar  arbeitsame  und  wohlhabende,  doch  eben  darum 
durchaus  unkriegerische  Fellachenbevölkerung,  die  sich  jedem 
Herrscher  leicht  unterwarf;  nur  im  äußersten  Süden  war 
kriegerischer  Sinn  und  physische  Kraft  noch  wirklich  leben- 
dig —  bezeichnend  dafür  ist  die  Rolle  der  Magnaten  von 
Elkab  in  den  entscheidenden  Kämpfen  — ,  die  durch  die 
Heranziehung  der  Beduinenstämme  Nubiens  zum  Kriegsdienst 
gestärkt  wurde.    So  ist  ihm  die  Herrschaft  zugefallen. 

Daß  diese  Gestaltung  des  Reichs  sich  zwei  Jahrhunderte 
hindurch    erhalten   hat^),  war  nur   möglich    bei    einer   straff 


')  Nachdem  Echnaten  die  Residenz  nach  Amarna  verlegt  hatte. 
hat  IJaremhab  das  Reich  von  Memphis  aus  regiert.  Unter  der  Ein- 
wirkung der  Beziehungen  zu  Asien  hat  dann  Ramses  II.  die  Residenz 
nach  dem  östlichen  Delta  verlegt.  Nach  ihm  waren,  wie  die  Mittel 
des  Reichs  überhaupt,  so  auch  die  Kraft  Oberägyptens  erschöpft. 
Fortan  hat  es  eine  entscheidende  Rolle  nicht  mehr  gespielt  —  als  ein 


62      II.  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

durchgeführten  Organisation,  die  alle  Mittel  des  Reichs  fest 
in  der  Hand  hielt  und  keinerlei  Widerstand  aufkommen  ließ. 
Die  Grundlage  der  Lokalverwaltung  sind  nach  wie  vor 
die  Gaue  mit  ihren  städtischen  Mittelpunkten  und  den  Tempeln 
ihrer  Sondergottheiten  geblieben;  aber  an  Stelle  der  ortsan- 
sässigen Magnaten,  deren  Rechtsansprüche  der  Staat  anerkennt 
und  schirmt,  sind  jetzt  königliche  Beamte  mit  ihren  Sekre- 
tären getreten,  und  auch  das  „Kollegium"  (qnht),  das  ihnen  in 
den  Städten  und  den  einzelnen  Bezirken  zur  Seite  steht,  ist  nicht 
etwa  ein  Gemeinderat,  sondern  die  Beamtenschaft  so  gut  wie 
die  übrigen,  zugleich  als  Gerichtshöfe  funktionierenden  Verwal- 
tungsbehörden (zazatp).   Die  Spitze  der  Beamtenschaft  und 


Nachhall  derselben  kann  die  vorübergehende  Erhebung  der  Äthiopen 
gelten  — ;  wohl  aber  hat  das  Ägyptertum,  sich  immer  mehr  zu- 
sammenziehend auf  die  völlig  verknöcherte  Religion,  sich  hier  in 
seiner  Eigenart  behauptet  und  durch  die  Jahrhunderte  ungewandelt 
weiter  vegetiert,  solange  man  es  nicht  antastete,  in  voller  Passivität 
und  kaum  irgendwie  berührt  durch  die  politische  und  durch  die 
kulturelle  Entwicklung,  die  daneben  einhergeht. 

')  Über  die  Organisation  des  Neuen  Reichs  sind  wir  viel  schlechter 
unterrichtet  als  über  die  des  Alten  und  des  Mittleren  Reichs,  weil 
die  Grabinschriften  von  der  Lokalverwaltung  kaum  je  reden,  sondern 
außer  von  den  kriegerischen  Taten  nur  von  der  Tätigkeit  im  Reichs- 
dienst bei  der  Erhebung  und  Ablieferung  der  Abgaben  und  Tribute  u.  s.  w. 
und  den  vom  König  verliehenen  Ehren.  Darin  spricht  sich  der  ver- 
änderte Charakter  des  Staats  deutlich  aus.  An  Einzelarbeiten  fehlt 
es  auf  diesem  Gebiet  noch  fast  ganz;  eine  zusammenfassende  Skizze 
gibt  Erman,  Ägyi^ten  cap.  6.  Die  Angaben  aus  späterer  Zeit  (so  die 
Gerichtsakten  aus  Prozessen  unter  der  20.  Dyn.)  dürfen  für  die  Blüte- 
zeit des  Neuen  Reichs  nicht  verwendet  werden,  da  sich  hier  offenbar 
viel  geändert  hat.  Die  Hauptquelle  für  die  18.  Dyn.  sind  die  beiden 
im  Grabe  des  Vezirs  Rechmere'  (und  bruchstücksweise  in  denen  zweier 
anderer  Vezire)  erhaltenen  amtlichen  Aktenstücke  (Newberry,  ITie  Life 
of  Rekhmara;  danach  bei  Sethe,  Urk.  der  18.  Dyn.  1086  ff.;  Über- 
setzung bei  Breasted,  Anc.  rec.  II  266  ff.) :  die  Rede  über  die  Art,  wie 
der  Vezir  sein  Amt  verwalten  soll,  die  der  König  an  ihn  bei  seiner 
Einsetzung  hält  (neue,  für  den  Text  abschließende  Bearbeitung  durch 
Sethe,  Die  Einsetzung  des  Vezirs,  Untersuch,  zur  Gesch.  Äg.  V  2,  1909; 
Sethe  vermutet,  daß  der  Text  schon  aus  dem  Mittleren  Reich  stammt), 
und  die  Dienstordnung  des  Vezirs  (bearbeitet  von  Farina,   Le  funzioni 


Organisation  des  Reichs  63 

der  gesamten  Verwaltung  bilden  die  beiden  Vezire,  die  ihre 
Weisungen  unmittelbar  vom  König  empfangen  und  ihm  für 

del  Visir  faraonico ,  R.  ac.  dei  Lincei  XXVI  191G).  Dazu  kommt, 
außer  der  Empfangnahme  der  Tribute  der  Fremdländer  und  der  In- 
spektion der  Einkünfte  und  Arbeiten  des  Amontempels,  die  Inspektion 
der  Abgaben  (Breasted  S.  282  S.,  Sethe  ürk.  1119  ff.)  der  beiden 
oberägyptischen  Provinzen:  „Kopf  des  Südens"  {tep  smaHi,  vgl.  Bd.  I 
284),  „von  Elephantine  und  der  Festung  Snmt  (Bige)  an"  bis  nach 
Hermonthis  (Ani),  südlich  von  Theben,  und  das  Gebiet  „von  oberhalb 
Koptos  bis  unterhalb  Siut".  Dazwischen  liegt  die  unmittelbar  unter 
dem  Vezir  stehende  Hauptstadt.  Leider  ist  von  den  Titeln  nahezu 
die  Hälfte  zerstört,  so  daß  sich  ein  vollständiger  Überblick  nicht  ge- 
winnen läßt.  Als  Organe  der  Verwaltung,  die  die  „gemäß  den  alten 
Schriften"  erhobenen  Abgaben  in  Naturalien  (darunter  überall  auch 
Gold  und  Silber  in  Ringform)  abzuliefern  haben,  erscheinen:  1.  die 
Oberhäupter  der  Gaustädte  und  einiger  aus  dem  alten  Gauverband 
ausgeschiedener  Städte  mit  dem  alten  Grafentitel  (hetCo);  daneben 
die  Festungskommandanten  von  Bige  und  Elephantine  un  d  in  ein  paar 
Orten,  darunter  Esne  (Anit),  „Stadtregenten  {hqa  ht,  vgl.  Bd.  I  283)"  — 
die  altererbten  Unterschiede  der  Titulatur  werden  eben  so  bedeutungs- 
los geworden  sein  wie  z.  B.  in  den  Städten  Italiens  in  der  Kaiserzeit. 
2.  Daneben  finden  wir  in  allen  Städten  eine  „whm  des  Gaus"  nebst 
seinem  „Schreiber";  der  Titel,  etwa  „Sprecher',  findet  sich  auch  sonst 
bei  Beamten  des  Königs,  des  Vezirs  u.  a.  und  mag  etwa  den  Adju- 
tanten bezeichnen.  [Unter  den  Persern  werden  ihnen  die  Azdakaras 
entsprechen,  Ber.  Berl.  Ak.  1911,  1043.1  3.  Die  Landbezirke  (w)  oder 
„Felder"  (aht)  und  besonders  die  „Inseln"  im  Stromgebiet  stehn  unter 
solchen  „Schreibern".  4.  Außerdem  besteht  in  allen  Stadtbezirken  die 
qnht  nw,  das  „Kollegium  des  Bezirks",  das  gleichfalls  Abgaben  zu 
liefern  hat.  Dieser  Terminus  bezeichnet  hier  die  lokalen  Behörden 
(die  z.  ß.  auch  für  den  Wasserstand  zu  sorgen  haben,  unter  Aufsicht  des 
Vezirs,  Dienstordnung  ZI.  24  f.),  so  auch  die  bei  den  Schiffen  (ebenda 
ZI.  35);  die  „große  qenbet"  dagegen  sind  die  Gerichtshöfe  der  beiden 
Vezire  in  Theben  und  Memphis  (Gardiner,  Inscr.  of  Mes  in  Sethe's 
Unters,  zur  Gesch.  Äg.  IV  1905,  S.  33  ff.  Vgl.  das  Edikt  Haremhabs, 
rechte  Seite  ZI.  4  ff.).  Daneben  scheint  zazat  die  allgemeine  Bezeich- 
nung jedes  Kollegiums  der  Verwaltung  und  Rechtsprechung  zu  sein, 
das  einem  Beamten  beigegeben  ist  (Dienstordnung  ZI.  18.  22  ff.  29.  31). 
—  Das  Gebiet,  das  Rechmere"^  unterstellt  ist.  entspricht  dem  Umfang 
des  thebanischen  Reichs  vor  Beginn  des  Hyksoskrieges.  Die  beiden 
Provinzen,  in  die  es  zerfällt,  erscheinen  in  der  Perserzeit  als  Tasetres 
(„Südkanal",   schon   unter  Dyn.  26)  von   Elephantine    bis  Hermonthis 


<34      n.  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

alles  was  vorgeht  verantwortlich  sind.  Über  alle  laufenden  Ge- 
schäfte wird  ihnen  ständig  berichtet,  sie  geben  die  Weisungen 
und  kontrollieren  durch  ihre  Beauftragten  sämtliche  Behörden. 
Eine  Trennung  der  Verwaltung  und  Rechtsprechung  kennt  der 
Staat  nicht;  daher  ist  der  Vezir  zugleich  der  oberste  Richter; 
an  ihn  gehn  die  Berufungen  gegen  die  von  den  lokalen 
Gerichtshöfen,  unter  dem  Vorsitz  der  hohen  Verwaltungsbe- 
amten ^),  getroffenen  Entscheidungen.  Tagtäglich  sitzt  er  in 
der  „Halle  des  Vezirs"  auf  seinem  Amtsstuhl,  die  vierzig 
Lederrollen  der  Gesetze  aufgeschlagen  zu  seinen  Füßen,  sein 
Kollegium,  die  „Großen  des  Südens",  zu  seinen  beiden  Seiten: 
einer  nach  dem  andern  werden  die  Rechtsuchenden,  Bittsteller 
und  Beschuldigten  ihm  vorgeführt.  Besondere  Sorgfalt  ver- 
langen die  Grundbesitzsachen,  wo  sich,  ganz  abgesehn  von 
willkürlichen  Übergriffen  und  Erbstreitigkeiten,  die  Grenzen 
der  Felder  bei  der  Überschwemmung  oft  genug  verschoben 
und  vermischten;  da  ist  zur  Einholung  der  Aussage  des 
Distriktsvorstehers  und  seines  Kollegiums  für  die  Umgebung 
von  Theben  eine  Frist  von  drei  Tagen,  für  das  übrige  Land 
von  zwei  Monaten  festgesetzt  ^).  Auch  alle  Testamente  werden 


und  „Provinz  von  No%  d.  i.  0Y]ßat(;,  s.  Ber.  Berl.  Ak.  1911,  1041  f.  (wonach 
Steindorff,  Die  äg.  Gaue,  Abh.  sächs.  Gd.  XXVH  1909,  S.  896  f.  zu 
modifizieren  ist).  Die  Organisation  des  „Kopfs  des  Südens"  stammt 
aus  der  12.  Dyn.,  s.  Bd.  I  284.  Das  Gebiet  von  Hermopolis  abwärts, 
d.  i.  die  sieben  Gaue  der  Heptanomis,  ist  mit  Unterägypten  verbun- 
den und  dem  zweiten  Vezir,  dem  „des  Nordlandes"  mit  dem  Sitz  in  Mem- 
phis, unterstellt,  vgl.  Gardiner  a.  a.  0.  und  A.  Weil,  Die  Vezire  Ägyptens 
(1908)  S.  63ff.;  über  dies  Gebiet  besitzen  wir  aber  keine  genauere 
Kunde. 

^)  Die  allgemeine  Bezeichnung  derselben  ist  sr,  das  (ebenso  wie 
das  hebräische  *Ti>)  oft  irreführend  durch  „Fürst"  übersetzt  wird.  Meine 
Annahme  Bd.  I  242,  es  bedeute  im  Alten  Reich  „Grundbesitzer",  ist 
schwerlich  haltbar  und  jedenfalls  für  das  Neue  Reich  nicht  zutreffend. 

2)  Dienstordnung  17  ff.  Es  hat  Anstoß  erregt,  daß  alle  diese  Ge- 
schäfte in  so  zeitraubender  Weise  an  einer  einzigen  Stelle  zentrali- 
siert sind.  Aber  im  römischen  Reich,  wo  alle  Berufungen  an  den 
praefectus  urbi  resp.  den  praefectus  praetorio  und  alle  Prozesse  über 
höhere  Beträge  und  alle  Kriminalprozesse  aus  ganz  Italien  seit  dem 


Die  Vezire  und  die  Schatzmeister  65 

dem  Vezir  vorgelegt  und  von  ihm  gesiegelt.  Strenge  Un- 
parteilichkeit, ohne  jedes  Ansehn  der  Person,  wird  dem  Vezir 
nachdrücklich  eingeschärft,  nur  das  Recht,  dessen  Durch- 
führung mit  dem  wahren  Interesse  des  Königs  identisch  ist, 
darf  er  im  Auge  halten,  weder  zu  hart  urteilen  noch  zu  milde; 
das  Bild  der  Recbtsgöttin  Ma'at  trägt  er  am  Halse  ^).  Daß 
es  vor  allem  bei  Kriminalprozessen  niemals  ohne  peinliches 
Verfahren  mit  Bastonade  abging,  ist  selbstverständlich;  dazu 
kommt  dann  als  entscheidendes  Mittel  zur  Bekräftigung  der 
Wahrheit  der  Eid  beim  Namen  des  Königs,  der  magische 
Zwangsgewalt  besitzt  und  zugleich  den  Meineidigen  den 
schwersten  Strafen  überantwortet  ^). 

Den  Vezireu  zunächst,  und  in  fortwährendem  Zusammen- 
wirken mit  ihnen,  stehn  die  Schatzmeister,  wahrscheinlich 
gleichfalls  zwei.  An  sie  reihen  sich  die  zahlreichen  Vor- 
steher der  Schatzhäuser,  der  Magazine  und  Werkstätten,  in 
denen  die  Abgaben  und  Tribute  aufgehäuft  und  verarbeitet 
werden,  Getreide,  Wein,  Öl,  Vieh,  Kleidung  und  Geräte  aller 
Art  bis  zu  den  Waffen  und  Kriegswagen  und  den  Kunst- 
werken der  Bildhauer  und  Juweliere,  weiter  die  Verwaltung 
der  königlichen  Grundstücke,  sowie  die  Baubüros  nebst  den 
Ziegeleien  und  den  Werkstätten  der  Steinmetzen  und  Holz- 
arbeiter. Zu  jedem  dieser  „Häuser"  gehört  eine  unabsehbare 
Schar  von  Arbeitern,  meist  Leibeigene,  teils  Ägypter,  teils 
Kriegsgefangene  und  Fronarbeiter  aus  den  unterworfenen  Ge- 


13undesgenossenkrieg  an  die  hauptstädtischen  Gerichte  gehn,  sind  die 
Entfernungen  noch  viel  größer.  Man  hielt  eben  eine  unparteiische 
Entscheidung  nur  hier  für  gesichert  und  nahm  dafür  die  Kosten  und 
den  Zeitverlust  in  Kauf.  Gleichartig  liegen  die  Dinge  beim  Gerichts- 
zwang im  attischen  Reich. 

')  Vgl.  Möller,  ÄZ.  56,  67  f. 

*)  In  der  Perserzeit  ist  dann  der  Eid  bei  einem  Lokalgott  an 
dessen  Stelle  getreten.  Bei  welchem  Gott  zu  schwören  ist,  bestimmt 
hier  in  Zivilprozessen,  wenn  die  beiden  Parteien  verschiedenen  Re- 
ligionen angehören,  das  Gericht,  eventuell  gemäß  der  Forderung  des 
Klägers,  s  Ber.  Berl.  Ak.  1911,  1048  f. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertams.    II'.  5 


C6      n.  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

bieten,  und  über  ihnen  das  nicht  minder  zahlreiche  Aufsichts- 
personal in   all  seinen  Abstufungen. 

Das  Wirtschaftsleben  Ägyptens  ist,  im  Gegensatz  zu  Baby- 
lonien  und  Vorderasien,  nach  wie  vor  durchaus  naturalwirt- 
schaftlich und  ist  ja  hier  im  Grunde  allezeit  so  geblieben. 
Zwar  spielt  auch  hier  das  Edelmetall  eine  bedeutende  Rolle 
und  ist,  in  der  üblichen  Ringform,  so  gut  wie  das  Kupfer  auch 
als  Wertmesser  verwendet  worden.  Indessen  maßgebend  für 
den  Verkehr  ist  es  weder  im  staatlichen  noch  im  privaten 
Geschäftsleben  geworden,  es  bleibt  vielmehr  eine  Ware  so  gut 
wie  Getreide  und  Vieh;  wohl  aber  ist  die  Naturalwirtschaft 
in  Ägypten  seit  alters  technisch  so  durchgebildet  und  den 
Bedürfnissen  der  Verwaltung  sowie  des  Verkehrs  angepaßt, 
daß  sie  hier  eben  so  glatt  funktioniert,  wie  anderswo  die 
Geldrechnung.  Die  Gehälter  werden  in  Naturalien  gezahlt,  ab- 
gestuft nach  der  Rangstellung  und  nach  der  Zahl  der  Unter- 
gebenen und  Diener,  die  jeder  dieser  Beamten  und  ebenso  die 
Königin,  die  Damen  des  Harems,  die  zahlreichen  Königskinder 
und  das  Personal  der  Hofhaltung  zu  ernähren  hat;  dazu  dienen 
die  gewaltigen  Massen,  die  in  den  Magazinen  angehäuft  sind. 
Verdiente  Offiziere  und  Beamte  und  gewiß  auch  gar  manche 
Günstlinge  werden  daneben  vom  König  freigebig  mit  Grund- 
stücken und  mit  Hörigen  beschenkt,  so  gut  wie  die  Götter  und 
ihre  Tempel.  Aber  der  Grundsatz,  daß  mit  Ausnahme  des 
Götterguts  alles  Land  abgabenpflichtig  ist,  also  eigentlich  dem 
König  gehört,  ist  voll  durchgeführt;  bekannt  ist,  welchen 
Eindruck  diese  Ordnung,  die  ihnen  als  volle  Unfreiheit  er- 
schien, den  Israeliten  gemacht  hat,  die  sie  daher  auf  eine 
schlaue  Spekulation  des  Joseph  zurückführen,  der  zur  Stel- 
lung eines  Vezirs  gelangt  sei^). 

')  Daß  es  noch  Privateigentum  an  Grund  und  Boden  gegeben 
hat,  geht,  worauf  H.  Schäfer  hinweist,  aus  der  Äußerung  Echnatens 
hervor,  das  Land,  auf  dem  er  seine  neue  Stadt  gründete,  habe  weder 
einem  Gott  oder  einer  Göttin,  noch  einem  Magnaten  (hqa)  oder  einer 
Magnatin  noch  sonst  irgend  jemand  gehört  (de  G.  Davis,  Rock  tombs 
of  Amarna  V  p.  29).  Daß  solche  Grundstücke  steuerpflichtig  waren,  ist 
dadurch  natürlich  nicht  ausgeschlossen. 


Naturalwirtschaft.    Die  Beamtenlaufbahn  67 

In  der  Tat  ist  es  das  Wesen  des  ägyptischen  Staats, 
daß  jede  Existenz,  sowohl  die  des  Privatmannes  wie  die 
des  Beamten,  ausschließlich  auf  der  Gnade  des  Königs  be- 
ruht. Umso  mehr  gilt  es,  sich  seine  Gunst  zu  verdienen 
und  dadurch  der  Belohnungen  teilhaftig  zu  werden,  die  er 
und  nur  er  spenden  kann;  und  der  Weg  dazu  ist  die  volle 
Fügsamkeit  gegen  seine  Diener  und  Werkzeuge  und  der 
Eintritt  in  das  Beamtenheer,  durch  das  er  das  Reich  zu- 
sammenhält. 

Den  Zugang  zu  dieser  Laufbahn  eröffnet  die  Erziehung 
in  der  Schreibschule.  In  jahrelanger  mühevoller  Arbeit,  in 
der  das  Hauptmittel  aller  Erziehung,  der  Stock,  bei  Tag 
und  bei  Nacht  reichlich  verwendet  wird,  wird  hier  der  an- 
gehende Beamte  in  alle  Geheimnisse  der  Schreibkunst  ein- 
geführt; er  soll  die  elegante  Schönschrift  der  Bücher  mit 
ihren  sorgfältig  und  gleichmäßig  ausgeführten  Schriftzeichen 
ebensogut  beherrschen  wie  die  Schnellschrift  der  Akten,  die 
die  Zeichen  möglichst,  oft  fast  bis  zur  Unleserlichkeit,  ver- 
kürzt und  die  es  ermöglicht,  eine  mündliche  Verhandlung  pro- 
tokollarisch aufzunehmen')-  Zahlreiche  Proben  dieser  Schrift- 
übungen sind  uns  erhalten,  sowohl  aus  der  Elementarschule, 
wo  man,  um  die  Kosten  zu  sparen,  in  der  Regel  Tonscherben 
(Ostraka)  als  Schreibmaterial  verwendet,  wie  aus  den  fol- 
genden Jahren,  in  denen  der  junge  Beamte,  der  schon  zu 
Verwaltungsgeschäften  verwendet  wird,  sich  fortdauernd  weiter 
zu  üben  hat  und  seine  Hefte  —  Papyrusrollen  mit  Abschriften 
von  klassischen  Literaturwerken  vor  allem  aus  dem  Mittleren 
Reich  und  von  Schriftstücken  (Briefen)  aus  der  Verwaltung 
—  dem  Vorgesetzten,  dem  „Lehrer",  zu  dem  er  dauernd  in 
einem  Pietätsverhältnis  steht,  zur  Korrektur  vorlegt,  bis  er 
als  vollgültiger   „Schreiber"    anerkannt   und   ihm   damit   der 


')  Die  Erlernung  der  Keilschrift  in  Babylonien  und  Vorderasien 
war  noch  komplizierter,  s.  o.  S.  19  f.  Diejenigen  ägyptischen  Beamten, 
die  die  Korrespondenz  dorthin  zu  führen  hatten,  haben  auch  diese 
lernen  müssen;  Proben  davon  geben  einzelne  Tontafeln  aus  Ägypten 
mit  babylonischen  Texten. 


(58      n.  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

Eintritt  in  die  höhere  Beamtenlaufbahn  ermöglicht  wird^). 
Nicht  selten  hat  er  eine  solche  Rolle,  den  Beleg  für  die  er- 
reichte Ausbildung,  mit  ins  Grab  genommen.  Durch  diese  Er- 
ziehung scheidet  sich  der  Stand  der  Gebildeten  von  der 
Masse  des  unwissenden  Volkes,  auf  das,  wie  im  Alten  und 
Mittleren  Reich,  der  „Schreiber"  mit  geringschätziger  Ver- 
achtung herabblickt;  er  allein  kann  kommandieren  und  re- 
gieren, alle  anderen,  Bauern,  Handwerker,  Soldaten,  unter- 
stehn  seinen  Befehlen  und  Stockschlägen  und  haben  von 
ihren  Mühsalen  keinen  Lohn.  So  wird  der  Schreibertitel  der 
Ausdruck  für  die  soziale  und  kulturelle  Stellung  seines 
Trägers:  welche  Bedeutung  man  ihm  zuweist,  tritt  am  deut- 
lichsten vielleicht  darin  hervor,  daß  sogar  die  mächtigen 
Magnaten  von  Hierakonpolis  (Elkab)  ihn  regelmäßig  in  ihre 
Titulatur  aufgenommen  haben-). 

Neben  dem  Beamtentum  steht'  die  Armee.  Mit  dem 
Entschluß,  all  ihre  Kräfte  an  die  Abschüttelung  der  Fremd- 
herrschaft zu  setzen,  haben  die  Könige  von  Theben  das  Na- 
tionalgefühl wachgerufen;  damit  kommt  ein  neuer,  mili- 
tärischer Geist  über  Ägypten,  der  durch  die  Erfolge,  die 
Beute  und  die  reichen  Gaben,  mit  denen  der  Pharao  jede 
tapfere  Tat  belohnt,  wach  erhalten  und  gesteigert  wird. 
Dazu  kommt  die  tiefgreifende  Umgestaltung,  welche  der 
Streitwagen  in  Heerwesen  und  Kriegführung  gebracht  hat; 
auch  in  Ägypten  erzeugt  sie  eine  kriegerische  Aristokratie, 
die  von  ritterlichem  Geiste  beseelt  ist  und  in  tapferen 
Waffentaten  ihren  Stolz,  in  der  Züchtung  und  Lenkung  der 
Rossegespanne  ihre  wichtigste  Aufgabe  sieht,  in  der  zugleich 
der  Glanz  ihrer  Stellung  sinnfällig  vor  Augen  tritt.  Umso 
mehr  ist  der  König  gezwungen,  diesen  Kriegeradel  mit  Gütern 
und    zahlreichen  Knechten    auszustatten,    um   ihm   die   wirt- 


')  Siehe  Erman,  Literatur  der  Ägypter  238  ff.,  ferner  Erman  und 
Lange,  Papyrus  Lansing,  Hist.-filol.  Meddedelser  der  dänischen  Ges.  d. 
Wiss.  X  3,  1925,  S.  5  ff ,  und  vor  allem  Erman,  Die  ägypt.  Schülerhand- 
schriften, Abh.  Berl.  Ak.  1925. 

»)  Sethe,  Urk.  S.  75.  76.  110.  113  ff 


Die  Armee  69 

schaftliche  Grundlage  zu  sichern  i).  Er  selbst  soll  ihnen,  wie 
in  allen  Tugenden,  so  vor  allem  im  Kriege  vorangehn:  von 
Jugend  auf  ist  er  durch  die  Götter  selbst  im  Waffenhandwerk 
ausgebildet;  er  „sucht  den  Kampf";  auf  dem  Streitwagen, 
den  Wagenlenker  zur  Seite,  stürmt  er  auf  die  Feinde  ein 2) 
und  erlegt  ihre  Führer  mit  seinem  nie  irrenden  Pfeil  oder  mit 
seiner  Lanze,  oder  zerschmettert  sie  mit  der  Streitaxt. 

Neben  den  Kriegswagen  stehn  die  Regimenter  des  Fuß- 
volks^), bewaffnet  mit  Lanze  und  Streitaxt  oder  Sichel- 
schwert, zum  Teil  auch  mit  Bogen  und  Pfeilen;  als  einzige 
Schutzwaffe  tragen  sie  einen  flachen,  etwa  1  Meter  hohen, 
oben  abgerundeten  Schild.  Zu  den  einheimischen  Truppen 
kamen,  wie  ehemals,  die  zahlreichen  Söldner  aus  Nubien"*)  und 
vielleicht  auch  schon  aus  der  überseeischen  Welt  (0.  S.  57). 
In  den  Kämpfen  in  Ägypten  und  Nubien  hat  daneben  die 
Nilflotte  eine  bedeutende,  wenn  nicht  die  ausschlaggebende 
Rolle  gespielt,  vor  allem  für  den  Transport  der  Truppen  und 
die  Sicherung  der  Verbindung.  Daneben  stand  eine  Flotte  auf 
dem  Mittelmeer,    die   bei  der  Eroberung  Syriens   stark  mit- 


')  In  dem  Gedicht  von  der  Schlacht  bei  Qades  hält  Ramses  II. 
seinen  Fußsoldaten  und  Wagenkämpfern  vor,  wie  er  ununterbrochen 
für  sie  gesorgt,  sie  verpflegt,  die  Abgaben  erlassen,  auch  denen,  die 
nicht  Offiziere  waren,    Grundbesitz   gegeben  habe  (Krman.  Lit.  331  f.). 

2)  Es  ist  vielleicht  kein  Zufall,  sondern  zeigt  das  allmähliche 
Eindrirgen  der  neuen  Kampfweise,  daß  in  den  Texten  aus  dem  An- 
fang des  Neuen  Reichs  der  Kriegswagen  niemals  erwähnt  wird.  Aller- 
dings sind  diese  Texte  äußerst  düiftig,  und  bildliche  Darstellungen 
fehlen  fast  ganz.  Die  ältesten  Z^ugnii^se  sind  ein  Skarabäus  Thutmosis'  I. 
auf  dem  Streitwagen  (Newberry,  Scarabs,  pl.  27,  4)  und  die  Erbeutung 
eines  Kriegswngens  und  seines  Gespanns  in  Naharain  durch  den  Admiral 
A'hmose  (Inschr.  ZI.  39)  unter  Thutmosis  I. 

»)  Nach  dem  Edikt  tjaremhabs  ZI.  25  zerfällt  die  Armee  in  zwei 
Korps,  das  des  Südens  und  das  des  Nordens.  Die  ständige  Bezeichnung 
des  Fußvolks  kt  pzt  (eigentlich  ,  Bogenschützen"),  in  den  Amarnatafeln 
pidati  oder  biiati.  Die  Offiziere  h.eßen  tc'w,  in  den  Amarnabriefen 
weu,  icichu  u.  a.  geschiieben. 

*)  In  den  Amarnatafeln  als  .Leute  (Truppen)  von  Kasi"  (d.  i. 
Kus)"   oder  „von  Melucha"  bezeichnet. 


70      II.  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

gewirkt  hat,    sowohl  beim  Transport   der  Truppen,  wie  um 
die  Küstenstädte  in  Abhängigkeit  zu  halten. 

Die  Durchführung  und  Aufrechterhaltung  dieses  strafif 
einheitlichen,  von  Beamtentum  und  Militär  getragenen  Staats- 
baus war  nur  möglich  durch  die  gewaltigen  Mittel,  die  dem 
König  zur  Verfügung  standen.  Wenn  ganz  allein  der  Pharao 
und  sein  Hof  die  Quelle  ist,  aus  der  Leben  und  Gedeihen 
der  Gesamtheit  der  Untertanen  gespeist  wird,  so  muß  er 
imstande  sein,  diese  Aufgabe  durch  ununterbrochene,  wohl- 
abgemessene Bezahlung,  durch  Belohnungen,  Vergünstigungen 
und  Ehren  zu  erfüllen  und  so  die  Fügsamkeit  und  den  guten 
Willen  der  Untertanen  zu  sichern.  Das  ist  im  Neuen  Reich 
in  der  Tat,  wenn  auch  zeitweilig  Erschütterungen  und  innere 
Wirren  nicht  ausgebheben  sind,  Jahrhunderte  hindurch  in 
erstaunlichem  Maße  der  Fall  gewesen;  die  Einkünfte  des 
Königs,  aus  denen  doch  zugleich  die  gewaltigen  Bauten  und 
die  kostbaren  Statuen,  Geräte  und  Schmucksachen  sowohl 
des  Hofhaltes  wie  der  Tempel  beschafft  wurden,  erscheinen 
als  geradezu  unerschöpflich.  Ein  beträchtlicher  Teil  stammte 
aus  den  reichen  Erträgen  des  Königsguts  mit  seinen  Fabriken 
und  Manufakturen;  den  Hauptteil  der  Einnahmen  aber  lieferte 
das  raffiniert  durchgeführte  Steuersystem.  Von  allem  Acker- 
land, mit  Ausnahme  des  Priester-  oder  Tempelguts,  wurde, 
wie  der  israelitische  Bericht  über  Josephs  Finanzwirtschaft 
angibt,  eine  Abgabe  von  zwanzig  Prozent  des  Ernteertrags 
erhoben^)  —  eine  geradezu  ungeheuerlich  erscheinende  Be- 
lastung, wie  sie  nur  in  einem  so  fruchtbaren  Lande  wie 
Ägypten  überhaupt  denkbar  war.  In  derselben  Weise  war 
jeder  Zweig  der  Produktion  und  jedes  Handwerk  mit  Natural- 
abgaben belegt,  ferner  der  Viehstand,  die  Bäume,  die  Ge- 
bühren für  die  Benutzung  und  Instandhaltung  der  Kanäle 
u.  s.  w.  Auch  eine  Kopfsteuer  hat  off"enbar  nicht  gefehlt.  Über 


')  „So  führte  Joseph  die  bis  auf  den  heutigen  Tag  bestehende 
Rechtsordnung  für  das  Ackerland  Ägyptens  ein,  daß  sie  dem  Pharao 
den  Fünften  geben;  nur  allein  das  Ackerland  der  Priester  wurde  nicht 
Eigentum  des  Pharao",  Gen.  47,  26. 


Machtmittel  und  Einkünfte  des  Königs.    Das  Gold  71 

den  Personalbestand  und  das  Vermögen  jedes  Haushalts 
wurden  Listen  geführt  und  müssen,  wie  schon  im  Mittleren 
Reich,  Deklarationen  eingeliefert  werden.  Dazu  kamen  die 
Frondienste,  zu  denen  die  abhängigen  Stände  verpflichtet 
waren  und  die  allein  die  großen  Bauten  ermöglicht  haben. 
Immer  wesentlicher  aber  wurden  daneben,  je  höher  die  An- 
forderungen stiegen,  die  Bezüge  aus  dem  Auslande,  teils  die 
Kriegsbeute,  teils  die  ganz  nach  demselben  Muster  geregelten 
Abgaben  und  Frondienste  der  unterworfenen  Provinzen.  Der 
ägyptische  Staat  war,  wenn  er  bestehn  sollte,  geradezu  auf 
Kriegführung  und  Eroberung  angewiesen,  ganz  abgesehn  da- 
von, daß  er  die  Produkte  des  Auslandes,  das  Bauholz  des  Li- 
banon, die  Manufakturen  S3'riens,  die  Ausbeute  der  Minen 
Nubiens  und  der  Sinaihalbinsel  garnicht  entbehren  konnte. 
Vielleicht  die  wichtigste  und  für  die  Weltstellung  des  Reichs 
entscheidende  Einnahmequelle  waren  die  Goldbergwerke  Nu- 
biens. Der  Besitz  dieses  kostbaren  Metalls  gewährt  dem  Pharao 
den  Vorrang  vor  allen  anderen  Königen  und  ein  selten  ver- 
sagendes Mittel  im  diplomatischen  Verkehr;  und  nicht  minder 
begehrenswert  erscheint  es  seinen  Untertanen  selbst.  Ununter- 
brochen verleiht  der  König  „das  Gold",  die  Dekoration  mit 
goldenen  Ketten  und  Ringen,  an  tapfere  Offiziere  wie  an 
tüchtige  Beamte,  oft  zu  vielen  Malen  —  der  Admiral  A'hmose 
z.  B.  hat  es  siebenmal  erhalten  — ,  und  immer  hat  er  ge- 
waltige Massen  in  seinen  Schatzhäusern.  Die  Ausbeute  der 
nubischen  Bergwerke  muß  in  dieser  Zeit  geradezu  uner- 
schöpflich gewesen  sein. 

Bei  oberflächlicher  Betrachtung  könnte  es  scheinen,  als 
sei  von  den  thebanischen  Königen  die  Staatsgestalt  der  vier- 
ten Dynastie  mit  ihrem  unumschränkten  Gottkönigtum  und 
ihrem  Beamtenregiment  wiederhergestellt.  Aber  in  Wirklich- 
keit besteht  doch  ein  fundamentaler  Unterschied:  sowohl  die 
Kultur  wie  die  Weltlage  ist  eine  ganz  andere  geworden,  das 
Neue  Reich  steht  zum  Alten  wie  die  absolute  Monarchie  der 
Epoche  Ludwigs  XIV.  und  des  aufgeklärten  Despotismus  zu 
dem  Königtum    Karls    d.  Gr.,    sie    trätet    den    Charakter  der 


72     n.  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

modernen  Zeit,  in  die  Ägypten  nach  einer  Entwicklung  von 
anderthalb  Jahrtausenden  eingetreten  ist.  Die  wirtschaftlichen 
Bedingungen,  welche  das  Alte  Reich  alsbald  in  einen  Feu- 
dalstaat umgewandelt  haben,  bestehn  nicht  mehr;  dafür  sind 
die  Mittel  so  gut  wie  unbeschränkt,  so  daß  die  Einheit  des 
Staatswillens  sich  ungehindert  durchsetzen  und  behaupten 
kann,  im  Innern  wie  nach  Außen.  So  ist  das  Reich  von  der 
Idee  der  Universalität,  der  Weltherrschaft  erfaßt;  durch  die 
Vernichtung  des  Hyksosreichs  ist  diese  von  Vorderasien  auf 
Ägypten  übergegangen.  Schon  in  der  oben  erwähnten  Pro- 
klamation des  Amosis  ist  sie  vollbewußt  als  Grundgedanke 
seiner  Königsmacht  ausgesprochen:  er  ist  der  Gottessohn 
und  Gott,  niemand  kann  ihm  widerstehn,  alle  Völker  sind 
ihm  Untertan,  er  setzt  seine  Grenzen  an  den  Enden  der  Erde. 
In  den  Kundgebungen  seiner  Nachfolger  tritt  sie  uns  in 
immer  mehr  sich  überbietenden  Ausdrücken  ständig  ent- 
gegen. Im  Besitz  dieser  Stellung  ist  Ägypten  nicht  nur  für 
die  nächsten  Jahrhunderte  die  führende  Großmacht  der  Kul- 
turwelt geworden,  sondern  hat  als  solche  ihre  aus  den  alten 
Traditionen  des  Niltals  erwachsene  und  jetzt  zur  vollen  Reife 
gelangte  Kultur  in  Schöpfungen  verwirklicht,  die  an  Groß- 
artigkeit und  innerlicher  Geschlossenheit  in  der  gesamten  Welt- 
geschichte kaum  ihresgleichen  haben. 

Indessen  eine  Macht  gibt  es,  die  der  des  Königs  gleich- 
berechtigt zur  Seite,  oder  vielmehr  in  der  Idee  noch  hoch 
über  ihr  steht:  das  sind  die  Götter,  die  ihm  Herrschaft 
und  Sieg  verliehn  haben.  Je  größer  seine  Erfolge  sind,  um- 
so mehr  ist  er  verpflichtet,  ihnen  durch  reiche  Geschenke 
und  Feste  den  Dank  zu  zahlen  und  sich  ihre  Gunst  weiter 
zu  sichern.  In  erster  Linie  steht  natürlich  der  Amon  von 
Theben,  der  jetzt  zum  Nationalgott  des  Reichs  erwächst. 
Der  Glaube  an  seine  Allmacht,  an  seine  Identität  mit  dem 
^inen  Weltenherrscher  Re',  ist  in  den  Königen  ganz  lebendig 
und  beseelt  sie  umso  mehr,  da  sie  sich  als  unmittelbar  mit 
ihm  verbunden,  auf  geheimnisvolle  Weise  von  ihm  erzeugt 
fühlen.   Der  bescheidene  Tempel,  den  ihm  die  zwölfte  Dynastie 


Steigerung  des  Kultus  und  des  Götterguts  73 

in  Karnak  erbaut  hat,  erwächst  seit  dem  Neubau  Thut- 
mosis'  I.  zum  großen  Reichstempel  Ägyptens;  alle  folgenden 
Könige  haben  an  ihm  gebaut,  ihn  ständig  erweiternd  und 
sich  durch  immer  gewaltigere  Anlagen  überbietend.  Aber 
diese  Bauten  sind  nur  ein  kleiner  Bruchteil  dessen,  was  un- 
unterbrochen dem  Gotte  zuströmte.  Schon  von  Amosis  be- 
sitzen wir  eine  lange  Liste  der  kostbaren  Gefäße,  Ketten  und 
Kränze,  Schmucksachen  und  Kultgeräte  aus  Gold,  Silber, 
edlem  Gestein,  Zedernholz  vom  Libanon,  die  er  seinem  Vater 
Amon-re'  geschenkt  hat;  und  dazu  kamen  der  stets  anw^ach- 
sende  Grundbesitz  und  die  Scharen  der  Hörigen  und  Kriegs- 
gefangenen, die  ihm  überwiesen  wurden.  So  entsteht  im 
Eigentum  des  Gottes  ein  zweiter  gewaltiger  Güterkomplex 
mit  seinen  Schatzhäusern,  Magazinen  und  Werkstätten,  dem 
zugehörigen  Verwaltungspersonal  und  den  Massen  der  Hö- 
rigen, der  unabhängig  neben  dem  „Königshaus"  stand  — 
wenn  er  auch,  wenigstens  bei  Rechmere'  unter  Thutmosis  HI  . 
gleichfalls  der  Aufsicht  des  Vezirs  des  Südens  unterstellt  w^ar. 
Natürlich  haben  auch  die  übrigen  Götter  des  Landes 
ihren  Anteil  erhalten,  Atum  von  Heliopolis,  Ptah  von  Mem- 
phis, Thouth  von  Hermopolis,  Osiris  von  Abydos,  und  wie  sie 
alle  heißen,  wenn  auch  nicht  entfernt  in  dem  Umfang  wie  Amon 
von  Theben.  Die  Sorge  für  den  Kultus  und  die  Errichtung 
immer  neuer  Tempelbauten  wird,  den  ge\valtig  gesteigerten 
Machtmitteln  des  Reichs  entsprechend,  in  einem  gegen  die 
älteren  Zeiten  ins  Unendliche  gewachsenen  Umfang  eine, 
wenn  nicht  geradezu  die  Hauptaufgabe  des  Gottkönigs.  Dem- 
entsprechend schwillt  auch  der  Umfang  der  Priesterschaft 
immer  an;  sie  wird  ein  privilegierter  Stand,  der  von  den  Ein- 
künften der  Tempel  lebt;  die  Sohne  der  höheren  Stände 
—  denn  eine  erbliche  Kaste  ist  die  Priesterschaft  noch  nicht  — 
suchen  und  finden  Eintritt  in  sie.  Die  Wirkung  ist  umso 
zweischneidiger,  da  alles  Tempelgut  steuerfrei  und  damit  den 
Aufgaben  des  Staats  entzogen  ist,  wenngleich  dieser,  wie 
schon  erwähnt,  eine  Kontrolle  darüber  auszuüben  sucht.  Auch 
das  Aufrücken   der  Anwärter   von   den    untersten    Stufen  — 


74      II-  I'ie  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

des  „Gottesvaters"  und  dann  des  „Reinen  (lieh)"  —  bis  zu 
den  höchsten  des  dritten,  zweiten  und  ersten  „Gottesdieners" 
oder  Propheten  wird,  wie  jede  Amtsstellung,  vom  Pharao  ver- 
geben. Aber  tatsächlich  entsteht  so  doch  ein  Staat  im  Staate, 
der  auf  noch  festeren  Fundamenten  ruht  als  dieser  und  der 
als  Träger  der  göttlichen  Ordnungen  und  Offenbarungen  in 
noch  ganz  anderer  Weise  als  die  weltliche  Macht  mit  dem 
Nimbus  des  Geheimnisvollen  und  Unantastbaren  umgeben  ist. 
Ohne  es  zu  ahnen,  haben  so  die  Pharaonen  des  Neuen  Reichs 
eine  Macht  großgezogen,  die  schließlich  ihnen  über  den  Kopf 
gewachsen  ist  und  wesentlich  dazu  beigetragen  hat,  den  von 
ihnen  geschaffenen  Staatsbau  zu  zerstören. 

Die  ersten  Könige  der  achtzehnten  Dynastie 

Nach  der  Wiedergewinnung  der  Unabhängigkeit  und 
Einheit  des  Reichs  ist  die  Durchführung  der  Reichsorgani- 
sation die  Hauptaufgabe  der  Könige  gewesen,  die  .sie  in  den 
nächsten  Jahrzehnten  weit  mehr  beschäftigt  hat  als  die 
äußeren  Kriege.  Im  einzelnen  erfahren  wir  begreiflicherweise 
wenig  genug  davon.  In  allgemeinen  Wendungen  wird  ge- 
legentlich von  dem  Ausgleich  der  durch  die  Barbaren  über 
das  Land  gebrachten  Verwüstung,  von  der  Wiederherstellung 
der  Tempel  und  ihres  Kultus  geredet;  da  wird  es  genug  zu 
tun  gegeben  haben.  Einzelne  Urkunden  bezeugen  die  Bauten 
des  Amosis  und  Amenophis  I.  in  Karnak,  des  letzteren  in 
Abydos;  im  Jahre  22  des  Amosis  wurde  ein  neuer  Kalk- 
steinbruch in  Tura  (Troja,  vgl.  Bd.  I  233)  im  Mokattam- 
gebirge  (äg.  'Aian)  gegenüber  von  Memphis  eröffnet,  vor  allem 
für  die  Bauten  am  Ptahtempel,  und  mit  Gefangenen  aus 
Asien  betrieben  (vgl.  u.  S.  82,  3).  Von  den  grundlegenden  Er- 
lassen und  den  zahlreichen  Einzelbestimmungen  dagegen,  an 
denen  es  nicht  gefehlt  haben  kann,  ist,  abgesehn  von  der 
Dienstordnung  des  Vezirs,  nichts  auf  uns  gekommen^).    Daß 

')  In  diesen  Zusammenhang  gehört  vielleicht  auch  der  Kalender 
des  Papyrus  Ebers,  dessen  früher    von    mir  gegebene    Erklärung  nach 


Amosis  und  Amenophis  I.    Die  Königinnen  75 

hinter  dem  Neubau  des  Staats  starke  Persönlichkeiten  ge- 
standen haben,  kann  keinem  Zweifel  unterliegen:  Amosis 
(ca.  1580 — 1557)  und  sein  Sohn  Amenophis  I.^)  (ca.  1557  bis 
ca.  1535)  müssen  bedeutende  Herrscher  gewesen  sein.  Zur 
Seite  standen  ihnen,  direkt  an  der  Regententätigkeit  beteiligt, 
die  Königinnen,  unter  Amosis  seine  Mutter  A'hhotep,  deren  tief 
eingreifende  Wirksamkeit  wir  kennen  gelernt  haben,  dann 
schon  unter  ihm,  vor  allem  aber  unter  Amenophis  I.,  dessen 
Mutter  A'hmes-nofret'ari ,  die  Schwester  und  Gemahlin  des 
Amosis.  Bis  in  die  späteste  Zeit  ist  ihr  Name  wie  der  Ame- 
nophis' I.  hoch  gefeiert  geblieben,  letzterer  ist  schließhch  unter 
die  Götter  Ägyptens  aufgenommen  und  ein  Monat  (Phamenoth, 
d.  i,  „Fest  des  Amenophis")  nach  ihm  benannt  worden^). 

Auf  ihn  ist  Thutmosis  I.  gefolgt.  Sein  Sohn  ist  er 
schwerlich  gewesen;  in  einem  Erlaß,  der  seine  Thronbestei- 
gungr  anzeigt  und  die  bei  seinem  Namen  zu  leistende  Eides- 


den  Ausführungen  von  Sethe,  Die  Zeitrechnung  der  alten  Ägypter  I, 
Nachr.  Gott.  Ges.  1919,  S.  314,  und  weiter  in  der  Fortsetzung  ebenda 
1920,  S.  80  ff.  zu  berichtigen  ist.  Er  gleicht  die  Lage  der  an  das 
Naturjahr  gebundenen  Feste  in  den  einzelnen  Monaten  mit  den  Daten 
des  Wandeljahres,  auf  die  sie  im  9.  Jahre  Amenophis'  I.  fielen;  da- 
mals werden  also  diese  Daten  als  Regulativ  aufgestellt  worden  sein, 
von  denen  aus  sich  fortan  die  Kalenderdaten  für  jedes  Jahr  leicht 
berechnen  ließen. 

*)  Die  richtige  griechische  Wiedergabe  des  Namens  Amenhotep  ist 
'A[xtva)9-r]5.  Aber  in  der  manethonischen  Überlieferung  ist  dafür  durch- 
weg'Afxevdupa-c?  oder  'Api£vu)(pt<;,  d.  i.  in  Wirklichkeit  der  Name  Amenem- 
'ope,  eingedrungen,  und  diese  Namensform  ist  uns  so  geläufig  geworden, 
daß  ich  sie  beibehalte. 

2)  Wenn  dies  Fest  auch  aus  seinem  Totenkult  (vgl.  dazu  Erman, 
Ber.  Berl.  Ak.  1910,  344  ff.)  erwachsen  ist,  so  spricht  doch  der  Um- 
stand, daß  unter  allen  hier  bestatteten  Herschern  nur  er  so  ausge- 
zeichnet worden  ist,  für  die  hervorragende  Stellung,  die  ihm  in  der 
Tradition  zukam.  —  Weshalb  A'hmes-Nofret'ari  gewöhnlich  mit  schwar- 
zer Hautfarbe  dargestellt  wird,  läßt  sich  nicht  erkennen;  dabei  mag 
ein  Zufall  gewirkt  haben,  wie  bei  den  schwarzen  Marienbildern.  Eine 
nubische  Prinzessin  ist  sie  nicht  gewesen,  sondern  nach  LD.  III  3  = 
Sethe  25  Tochter,  Schwester  und  Gemahlin  eines  Königs,  mithin  die 
Schwester  des  Amosis. 


76      n.  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 

formcl  festsetzt,  erhält  dieser  den  Zusatz  „geboren  von  der 
Königsmutter  Senisenib";  seine  Mutter  ist  also  nicht  etwa 
die  offizielle  Gemahlin  oder  Tochter  eines  Königs  gewesen. 
Auf  dem  Denkstein  in  Nubien,  auf  dem  der  erwähnte  Erlaß 
eingegraben  ist,  steht  hinter  ihm  seine  Gemahlin  A'bmose 
und  die  Königin  (A'hmose)-Nofret'ari,  also  die  Witwe  Ame- 
nophis'  L,  die  mithin  seine  Thronbesteigung  begünstigt  hat. 
Ob  aber,  wie  man  vermutet  hat,  seine  Gemahlin  A'hmose 
eine  Schwester  Amenophis'  I.  gewesen  und  er  durch  diese 
Vermählung  auf  den  Thron  gekommen  ist^),  ist  mit  Sicher- 
heit nicht  zu  erkennen;  die  intimen  Vorgänge,  die  sich  hinter 
den  Kulissen  abgespielt  haben,  entziehn  sich  wie  gewöhnlich 
so  auch  hier  unserer  Erkenntnis. 

Von  einem  wirklichen  Dynastiewechsel  kann  jedenfalls 
keine  Rede  sein;  Thutmosis  I.  hat  das  Werk  seiner  Vor- 
gänger fortgesetzt  ^),  und  auch  in  ihm  lebt  ihr  kriegerischer 
Geist.  Wohl  aber  empfindet  man,  daß  jetzt  die  Epoche  des 
Wiederaufbaus  im  wesentlichen  zum  Abschluß  gelangt  ist. 
Der  Stil  der  ägyptischen  Kunst  fängt  an  über  die  aus  dem 
Mittleren  Reich  überkommenen  Formen  zu  neuen  selbstän- 
digen Schöpfungen  hinauszuwachsen.  Thutmosis  I.  bricht  mit 
der  alten  Form  des  Königsgrabes,  verlegt  dieses  in  ein  ab- 
gelegenes Wüstental  der  thebanischen  Nekropole,  und  trennt 
von   ihm    den    Totentempel    am    Rande    des    Kulturlandes-^), 

')  So  Sethe,  Unters,  zur  Gesch.  Äg.  I  5  [in  einigen  Annahmen 
modifiziert  ÄZ.  30,  25  f.],  der  sie  im  Anschluß  an  Lepsius  mit  der 
aSsXep-fj  'Aptevat?  oder  'A(iEoaT^(;  identifiziert,  die  bei  Manetho  als  Nach- 
folgerin des  Amenophis  I.  erscheint.  Aber  sprachlich  ist  die&e  Glei- 
chung sehr  bed.  nklich,  und  nach  LD.  IIl  8  b  und  19,  Ic  (Sethe  S.  5  u.  97) 
scheint  diese  A'hmose  vielmehr  eine  Schwester  Thutmosis'  I.  gewesen 
zu  sein. 

2)  In  Abydos  sorgt  daher  Thutmosis  III.  für  die  Kapelle  , seines 
Vaters  Amoi-is".  Sethe  ürk.  2C9  ZI.  12. 

^)  Eine  Vorstufe  da?u  bildet  das  Grab  Amenophis'  I.  im  Hügel- 
gebiet von  Drah  Abulnegga,  tiefer  einwärts  von  den  Gräbern  der 
älteren  Könige,  mit  Grabknmniern  im  Felsen,  aber  noch  in  alter 
Weise  mit  einer  Ziegelpyiamide  gekrönt  (Carter,  J.  Eg.  Arch.  111  19U>). 
In  der  Ebene  davor  liegt  sein  Grabtempel. 


Timtmosis  I.  —  Chronologie  77 

während  die  hohen  Beamten  sich  auf  den  Höhen  hinter  dem- 
selben stattliche  Felsgräber  anlegen.  Zugleich  beginnen  mit 
ihm  die  großen  Tempelbauten,  die,  unter  seinen  Nachfolgern 
stetig  weiter  fortgebildet,  der  religiösen  Idee  eine  der  älteren 
Zeit  noch  völlig  fremde  Verkörperung  geschaffen  haben.  Nach 
außen  aber  beginnt  er  die  großen  Eroberungen,  die  Ägypten 
zur  führenden  Macht  der  Kulturwelt  erheben^). 


')  Chronologie.  Die  Grundlage  bildet  das  Datum  des  Papyrus 
Ebers  (vgl.  o.  S.  74,  1),  daß  im  9.  Jahre  Amenophis'  I.  der  Siriusaufgang 
auf  den  9.  Epiphi  fiel.  Ich  halte  gegen  Borchardt  an  der  zyklischen 
Berechnung  des  Datums  fest  (vgl.  Nachträge  zum  ersten  Bande  S.  45), 
und  setze  es  daher  in  die  Jahre  1.550/49-1.547/6,  von  denen  ich  der 
Kürze  halber  das  erste  wühle  [auch  Borchnrdt's  Berechnung,  die  den 
wirklich  beobachteten  Siriusaufgang  zugrunde  legt,  gibt  übrigens  nur 
eine  Verschiebung  um  wenige  Jahre].  Ferner  ist  nach  einer  Opfer- 
liste aus  Elephantine  (LD.  III  43e  =  Sethe  Urk.  827)  unter  Thut- 
mosis  III.  der  Siriusaufgang  einmal  auf  den  2S  Epiphi  gefallen;  daraus 
folgt,  daß  die  Jahre  1474|3— 1471/0  in  seine  Regierung  fallen;  die 
Jahreszahl  ist  leider  nicht  erhalten.  Weiteren  Anhalt  bieten  zwei  An- 
gaben über  Neumondfeste  in  seinem  23.  und  '24  Jahr  (Sethe  Urk.  657,  2 
und  836,  2f );  dafür  habe  ich,  unter  der  Annahme,  daß  der  Neumond 
die  Neomenie,  das  erste  Wiedererscheinen  der  Mondsichel  am  Abend- 
hiramel  sei,  Äg.  Chronol.  49  f.,  die  Jahre  1479/8  und  1478/7  berechnet, 
seine  Regierung  daher  in  1501—1447  gesetzt.  Nach  den  Ausführungen 
von  Set-  e,  Nachr.  Gott.  Ges.  1919,  289,  scheint  es  aber,  daß  die 
Ägypter  in  der  Tat,  so  unnatürlich  das  erscheint,  die  Tage  des  wahren 
Mondmonats  [der  ja  mit  dem  bürgerlichen  Kalender  und  seinen  Mo- 
naten so  wenig  etwas  za  tun  hat,  wie  bei  uns]  nicht  von  der  Neomenie, 
sondern  vom  astronomischen  Neumond  aus  zählten  oder  vielmehr,  da 
dieser  sich  der  Beobachtung  entzieht,  den  Tag  nach  dem  letzten  Er- 
scheinen der  alten  Mondsichel  am  Morgenhimmel  als  den  ersten  Tag 
des  neuen  Monats  betrachteten.  Danach  sind  also  diese  Daten  zu 
korrigieren.  Da  indessen  die  Untersuchungen  über  diese  Probleme 
nicht  abgeschlossen  sind,  vielmehr  eine  weitere  Bearbeitung  durch 
Borchardt  in  Aussicht  steht,  habe  ich  mich  begnügt,  die  54  Jahre 
Thutmosis' III.  auf  rund  1505-1450  anzusetzen;  daß  dieser  Ansatz 
annähernd,  mit  einem  Spielraum  von  etwa  10  Jahren,  zutreffend  ist, 
beweisen  die  babylonischen  Synchronismen.  —  Von  Amosis  ist  sein 
22.  Jahr  überliefert;  er  ist  also  um  1580  zur  Regierung  gekommen, 
sein  Sohn  Amenophis  I.  um  1558.  Die  Länge  seiner  Regierung  kennen 
wir  nicht;  daß  er  (und  ebenso  Thutmosis  I.)    das  Setfest   gefeiert  hat 


78       n.  Die  Wiedererhebung  Ägyptens  u.  die  Gründung  des  Neuen  Reichs 


(s.  zuletzt  Sethe,  Nachr.  Gott.  Ges.  1921,  31),  gibt  für  die  Chronologie 
keinen  Anhalt,  da  gänzlich  unerkennbar  ist,  welche  Ereignisse  zur 
Feier  dieses  Festes  den  Anlaß  gaben.  Für  Amenophis  L,  Thutmosis  I. 
und  II.  zusammenbleiben  etwas  über  50  Jahre  (ca.  1557—1505).  —  Die 
Königsliste  steht  durch  die  Denkmäler  fest;  bei  Manetho  dagegen  ist 
sie  völlig  entstellt  und  so  gut  wie  unbrauchbar,  s.  m.  Äg.  Chronol.  88  ff. 
und  oben  S.  52,  2.  Was  in  dem  König  Chebron  stecken  mag,  läßt  sich 
nicht  enträtseln;  die  Königin  Amensis  oder  Amesses  scheint  der  Hatsepsut 
zu  entsprechen,  zu  der  auch  die  Dauer  ihrer  Regierung  (21  J.  9  M.) 
stimmt.    Die  Listen  sind: 


Denkmä  1er 
imosis,  mindestens  22  J. 


Manetho 
Amosis   (meist   in  Tethmosis    ent- 
stellt, s.  0.)  25  J.  4  M. 
2.  Chebron  13  J. 

2.  Amenophis   1 3.  Amenophis  I.  20  J.  7  M. 

8.  Thutmosis  I. 

4.  Thutmosis  II. 

4.  a?s).tp-/j  Amesses  (Amensis)  21  J.  9  M. 
Misphres   (d.  i.  MencheperreS  ge- 
sprochen etwa  Mespere'j  12  J.  9  M. 
Misphragmuthosis    (d.  i.   Menche- 
perre'  Thutmose)  25  J.  10  M. 
Thutmosis  9  J.  8  M. 
Amenophis  11.  30  J.  10  M. 
Koros  86  J.  5  M. 


yatsepsut 

21  J. 

4. 

zus. 

58  J. 

0. 

10  M 

26  T. 

Thutmosis 

III. 

6. 

Amenophis  II. 
Thutmosis  IV. 


9.  Amenophis  III.  36  J. 


III.  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 


Die  ägyptischen  Eroberungen:  Nubien,  Libyen,  Syrien 

Die  Wiedergewinnung  Nubiens,  sowohl  des  Niltals  wie 
der  Goldminen  in  dem  Berglande  des  Ostens,  ist  im  wesent- 
lichen von  Amosis  und  Amenophis  I.  durchgeführt  worden, 
in  wiederholten  Kämpfen  mit  den  nomadischen  Bedjastämmen 
des  Wüstengebirges,  den  Trogodyten  (luntiu),  die  die  fried- 
lichen nubischen  Bauern  immer  von  neuem  mit  Raubzügen 
heimsuchten.  Als  dann  beim  Thronwechsel  ein  Aufstand  aus- 
brach, hat  Thutmosis  I.  bei  den  Stromschnellen  von  Tangur, 
oberhalb  des  zweiten  Katarakts,  den  Durchzug  durch  das 
„böse  Wasser",  durch  das  die  Schiffe  geschleppt  werden 
mußten,  forciert,  und  in  heftigem  Kampf  den  Trogodyten- 
häuptling  mit  dem  Pfeil  erlegt;  seine  Leiche  wurde  mit  dem 
Kopf  nach  unten  am  Bug  des  Königsschiffes  aufgehängt 
und  nach  Karnak  gebracht.  Durch  diesen  Feldzug  ^)  ist, 
weit  über  die  von  Sesostris  III.  gewonnene  Grenze  bei  den 
Festungen  Semne  und  Kumme  oberhalb  des  zweiten  Kata- 
rakts hinauf  (Bd.  I  287  a),  der  langgestreckte  fruchtbare 
Distrikt   von   Dongola^)    „bis   zum    Lande    Kari"    (d.  i.  dem 


*)  Zu  den  bei  Sethe,  Urk.  der  18.  Dyn.,  zusammengestellten  Texten 
kommen  weiter  die  Inschriften  von  Sai  und  Tangur  bei  Breasted,  Se- 
cond  preliminary  report,  American  J.  of  Semitic  Lang.  XXV  1908, 
100  ff.  In  der  Stele  von  Tombos,  LD.  III  5  a,  Sethe  S.  82  ff.  (deren 
Anspielungen  und  Völkernamen  noch  viele  Rätsel  enthalten),  aus  deni 
2.  Jahr  Thutmosis'  I.,  erstreckt  sich  seine  Herrschaft  bereits  bis  an  den 
Euphrat,  obwohl  sein  Zug  dorthin  erst  auf  den  gegen  Nubien  gefolgt 
ist  [die  Annahme,  schon  unter  seinen  Vorgängern  habe  sich  das  ägyp- 
tische Reich  bis  an  den  Euphrat  erstreckt,  widerspricht  allen  Zeug- 
nissen]; der  Text  der  Inschrift  ist  also,  wie  so  oft,  erst  wesentlich 
später  redigiert,  als  das  Datum  angibt. 

^)  Vgl.  dazu  Breasted  a.  a.  0.  p.  44  f. 


gQ  III.  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Gebiet  von  Napata)  dem  Reich  einverleibt  und  die  Grenze 
bis  ans  „Hörn  der  Erde"  vorgeschoben,  die  unwegsame,  völlig 
öde  Felslandschaft,  in  der  sich  der  Nil  auf  eine  Strecke  von 
25  Meilen  durch  die  Granitniassen  des  vierten  Katarakts  hin- 
durchzvvängt;  weiter  nach  Süden  in  den  Sudan  sind  die 
Ägypter  zwar,  wie  wir  jetzt  wissen,  zur  Zeit  des  Alten  Reichs, 
aber  später  nie  wieder  vorgedrungen.  Am  nördlichen  Ein- 
gang des  Tals  von  Dongola,  oberhalb  des  dritten  Katarakts, 
wo  an  den  Felsen  des  Ostufers,  gegenüber  der  Insel  Tombos, 
fünf  Stelen  die  Macht  des  Königs  verkünden,  erbaute  Thut- 
mosis  I.  eine  Festung  „zur  Abwehr  der  rebellischen  Barbaren, 
der  Trogodyten  Nubiens"  ^).  Auch  den  von  Sesostris  I.  durch 
die  Felsen  des  ersten  Katarakts  gegrabenen  Kanal  hat  er 
wiederhergestellt,  so  daß  die  Nilflotte  hier  ungehindert  vor- 
dringen konnte.  Der  weit  gewaltigere  zweite  Katarakt  da- 
gegen ist  zu  Wasser  unpassierbar;  somit  wird  man  in  Ober- 
nubien  eine  besondere  Nilflotte  gehalten  haben,  soweit  nicht 
die  Schiffe  über  Land  hierhin  geschleppt  werden  mochten.  Auf 
diesen  Landweg,  der  durch  die  Festungen  von  Semne  und 
Kumme  geschützt  war,  war  natürlich  auch  der  gesamte  Waren- 
verkehr einschließlich  der  Tributlieferungen  angewiesen.  Zum 
Landesgott  wird  neben  Dodun,  dem  alteinheimischen  Gott 
Unternubiens,  Sesostris  IIL,  der  Eroberer  und  Kolonisator  des 
Landes  (Bd.  I  287a)  erhoben,  in  Napata  am  „heiligen  Berge", 
dem  isoliert  aufragenden  Massiv  des  Gebel  Barkai,  dem  Amon 
von  Theben  eine  Filiale  gegründet. 

Ganz  Nubien  ist  schon  von  Amenophis  L  als  einheit- 
liche Provinz  Kusch^)  organisiert  worden,  der  auch  die  süd- 
lichsten Gaue  Ägyptens,  von  Nechen  (Hierakonpolis  bei  Elkab) 
an,  zugefügt  wurden.  Das  Oberhaupt  der  Verwaltung  ist 
ein  hoher  Beamter  mit  dem  Titel  „Königssohn  von  Kusch 
und  Vorsteher  der  Südlande";  ihm  sind  sowohl  die  Bauern 
der  seßhaften  Negerbevölkerung  des  Flußtals  wie  die  Häupt- 


')  Inschrift  Thutmosis'  II.  von  Assuan,  Sethe  S.  138  ZI.  7. 
^)  Damals  noch  Kas  gesprochen,  in  den  Amarnabriefen  Kasi. 


Nubien  und  Libyen  gl 

linge  der  Nomaden  unterstellt,  er  hat  die  Abgaben  und  die 
Erträgnisse  der  Goldminen  zu  erheben  und  abzuliefern,  und 
auch  die  Soldtruppen  aus  den  Bedjastämmen,  die  Mazoi,  aus- 
zuheben oder  anzuwerben  \). 

Auch  an  der  Westgrenze  ist  es  gelegentlich  zu  Kämpfen 
mit  den  libyschen  Stämmen  (den  Zehenu)  gekommen,  so 
unter  Amenophis  I.  mit  den  Kahak;  in  der  Regel  aber  scheint 
Ruhe  geherrscht  zu  haben'^).  Die  „ Sandbewohner "  —  dieser 
Name  (Heriusa')  scheint  jetzt  nicht  mehr  die  syrischen  Be- 
duinen (Bd.  I  266),  sondern  die  Bewohner  der  Sahara  zu 
bezeichnen^),  —  bringen  alljährlich  ihren  Tribut  nach  The- 
ben;   von   den  Zehenu'*)   erhält  Königin  Hatsepsut  700  Ele- 

'j  Der  Umfang  des  Gebiets  „von  Nechen  bis  Napata  (niwt-taui)" 
oder  „von  Nechen  bis  Kari"  ist  bei  der  Investitur  des  ,  Königssohns 
von  Kus"  Hui  unter  Tut*anch-amon  genannt:  Brugsch  Thes.  V  1133  ff. 
Newberry,  Scarabs  pl.  II.  Dem  entspricht,  daß  schon  zu  Anfang  der 
18.  Dyn.  der  Tribut  von  Uauut  von  dem  Grafen  Harmeni  von  Nechen 
erhoben  wird:  Sethe  Urk.  77.  Andrerseits  empfängt  der  Vezir  anter  den 
Abgaben  des  Tep-sma'  (o.  S.  63  Anm.)  auch  die  von  Elephantine,  Edfu, 
Nechen  u.  s.  w.;  wie  sicli  das  zu  einander  verhält,  ist  völlig  unklar. — 
Liste  aller  „Viceroys  of  Ethiopia"  Reisner,  J.  Eg.  Arch.  VI  1920.  Schon 
unter  Amenophis  I.  hat  Turi  das  Amt  bekleidet  (Sethe  Urk.  S.  7.  8. 
80.  89.  Brkasted  a.  a,  0.  p.  108),  der  noch  in  den  ersten  Jahren  Thut- 
mosis'  I.  im  Amt  ist.  Der  Name  seines  Nachfolgers  Sethe  S.  89  f.,  ist 
zerstört;  dann  wird  Sen  gefolgt  sein,  der  „die  Mazoi  insgesamt  in- 
spiziert hat",  Sethe  S.  141  f.  —  Ein  Angehöriger  des  Königshauses  hat 
das  Amt  niemals  erhalten. 

*)  Zu  beachten  ist,  daß  eine  Tochter  des  Königs  Amosis  den 
Namen  A'hmes  hont-Zmhu,  „Fürstin  der  Zmhu"  trägt:  Darresy,  Ann.  IX 
95.    Lec:rain,  Repert.  gen.  no.  33. 

^)  Inschr.  v.  Tombos  ZI.  3;  Inschr.  d.  Aneni,  Sethe  55,  6;  Obelisk- 
inschrift der  Hatsepsut  ZI.  27.  29.  In  der  poetischen  Stele  Thutmosis'  III. 
ZI.  21  sitzen  sie   „am  Anfang  der  Erde". 

*)  Die  Angaben  über  die  Libyer  Bd.  I  165.  167  sind  nach  den 
weittragenden  Ergebnissen  G.  Möller's  (Die  Ägypter  und  ihre  liby- 
schen Nachbarn,  ZDMG.  78,  1924,  36  ff.)  zu  berichtigen.  Die  ältere 
Bevölkerung  sind  die  Zehenu,  geschrieben  mit  einem  auch  sonst  für 
die  Fremdvölker,  speziell  die  Semiten  famu)  gebrauchten  Zeichen,  das 
nicht,  wie  man  gewöhnlich  annahm,  einen  Bumerang,  sondern  einen 
kräftigen  Kampfstock  darstellt.  Sie  sind  den  Ägyptern  und  den  übrigen 
Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    II •.  6 


82  JJf-  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

fantenzäbne  sowie  Pantherfelle;  auch  die  Oasen  sind  abgabe- 
])flichtig  und  werden  wie  die  Gaue  Ägyptens  von  Grafen  ver- 
waltet^). 

Auf  asiatischem  Boden  hat  König  Amosis  gleich  nach 
der  Einnahme  von  Auaris  durch  die  nach  dreijähriger  Be- 
lagerung gelungene  Eroberung  von  Saruhan  im  Süden  Palae- 
stinas,  jenseits  der  Sinaiwüste ^),  festen  Fuß  gefaßt  und  diesen 
Ort  zu  einer  starken  Festung  ausgebaut'-).    Später^)  hat  dann 


Hamiten  eng  verwandt,  rotbraun  mit  langem  schwarzem  Haar  und 
Stirnlocke,  Spitzbart,  die  Tracht  wie  die  älteste  ägyptische  (Phallus- 
tasche,  Tierschwänze,  Straußenfedern,  im  übrigen  nackt).  Seit  der 
6.  Dynastie  dringen  dann  von  Westen  her,  zunächst  in  den  Oasen,  die 
Zemliu  ein  (von  Möller  Tuimah  gesprochen  und  mit  den  'ASupfxcitxiSai 
bei  Herodot  IV  168  und  Skjlax  an  der  Westgrenze  Ägyptens  identifiziert) 
liellfarbig,  mit  blauen  Augen  und  rotblondem  Haar,  langem  Zopf  an 
beiden  Schläfen,  in  der  Regel  bärtig,  bekleidet  mit  langem  buntbemaltem 
Lederrock,  tätowiert,  dazu  gleichfalls  Phallustasche  und  Federn  im  Haar. 
Aus  dieser  Tracht,  die  sich  bei  den  Guanchen  der  Kanarischen  Inseln 
bis  ins  1.5.  Jahrhundert  n.  Chr.  erhalten  hat,  erklärt  sich  die  Bezeich- 
nung libyscher  Stämme  als  clinuiiu,  „ Tierfellträger "  (geschrieben  und 
determiniert  mit  dem  Tierbalg)  in  der  Tombosstele  ZI.  5.  Zu  ihnen 
gehören  die  Libyer  von  Barka,  die  Masuasa  (Maxyer)  dagegen  zu  den 
Zehenu. 

')  „Grafen  (htfo)  der  Oase"  Sethe  S.  57.  963  („Graf  von  Thinis 
und  Oberhaupt  der  Oase",  offenbar  der  von  el-Charge,  vgl.  Bd.  1, 
282  A.).    Tribut  der  Oasen  im  Grabe  des  Puemre',  Sethe  S.  523  f. 

")  Das  ergibt  sich  aus  der  Erwähnung  im  Eingang  der  Annalen 
Thutmosis'  IlL,  u.  S.  121.  In  der  Liste  Sosenq's  I.  wird  der  Name 
Srliam  geschrieben.  Im  AT.  findet  sich  der  Ortsname  |m*Ti'  nur  Jos.  19,  6 
am  Schluß  der  angeblich  zu  Simeon  gehörenden  Ortschaften  des  Negeb 
(in  LXX  durch  xal  ol  «ypot  aoxcöv,  d.  i.  |n''TC',  in  Chron.  I  4,  81  durch 
C^IJ?:!?  Sstupetfj.  wiedergegeben),  die  Jos.  1.5,  21  ff.  zu  Juda  gerechnet 
werden;  hier  ist  der  Name  v.  32  DTibtl'  SctXv]  oder  SeXe£:|x  geschrieben. 
Offenbar  war  der  Ort  später  völlig  verschollen.  Man  wird  ihn  wohl 
nördlich  von  Beerseba  zu  suchen  haben  [vgl.  Albright,  J.  of  the  Pale- 
stine  Oriental  Süc.  IV  1924,  158]. 

^)  Dieser  Feldzug  darf  nicht,  wie  es  gewöhnlich  geschieht,  mit 
der  Eroberung  von  Saruhan  identifiziert  werden.  Der  Admiral  A'hmos© 
hat  an  ihm  nicht  teilgenommen,  wohl  aber  der  ein  paar  Jahrzehnte 
jüngere  A'hmose  Pennechbet,    dessen    militärische  Laufbahn   mit   ihm 


Phoenikien  (Zahl)  83 

Aniosis  noch  einen  Feldzug  gegen  das  Land  Zahi,  der  Küsten- 
landschaft Phoenikiens^),  unternommen,  durch  den  der  ägyp- 
tische Machtbereich  wesentlich  erweitert  worden  ist. 

Städte  und  Bevölkerung  Pa!aestinas  und  Syriens 

Die  Zustände  der  syrischen  Landschaften  lassen  sich  aus 
den  Feldzugsberichten  der  Ägypter,  vor  allem  denen  Thut- 
mosis'  IlL,  und  aus  dem  reichen  in  den  Urkunden  von  Amarna 


beginnt.  Aus  diesem  Feldzug  werden  die  semitischen  Gefangenen  „aus 
den  Fenchuländern'  stammen,  die  Amosis  in  seinem  22.  Jahr  im  Stein- 
bruch von  Turra  arbeiten  läßt  (o.  S.  74). 

')  Daß  Zahi  im  wesentlichen  Phoenikien  bedeutet,  hat  W.  M.  Müller, 
As"en  und  Europa  176  ff.,  erwiesen;  die  Angaben  Thutmosis'  III.  über 
die  Feldzüge  der  Jahre  29  (Produkte  und  Wohlleben)  und  Si  (die 
Schiffe  in  den  Häfen)  lassen  darüber  keinen  Zweifel.  In  den  Jahren  31. 
S5.  38.  39.  40.  41.  42.  [die  lückenhaften  Texte  ergänzen  sich  gegenseitig 
und  sind  vtm  Sethe  richtig  hergestelU]  werden  nacheinander  auf- 
gezählt: die  Lieferungen  der  „Großen  von  Rezenu",  die  Ausstattung  der 
Häfen  (ebenso  im  J.  34),  die  Abgaben  des  Libanon,  und  die  Ernte  von 
Zahi;  im  J.  31  wird  daneben  für  die  Ernte  von  Rezenu  auf  die  Auf- 
zeichnungen des  Schatzhauses  verwiesen.  Danach  kann  nicht  zweifel- 
haft sein,  daß  wir  hier  drei  geographisch  und  administrativ  geson- 
derte Gebiete  zu  scheiden  haben:  das  Küstenland  Zahi  mit  den  Häfen, 
das  Libanongebiet,  und  Rezenu  =  Palaestina.  Mithin  wird,  wenn  es  im 
J.  29.  34.  :-5  zu  Eingang  eines  Feldzuges  in  Mittelsyrien  oder  dem 
Euphratgebiet  heißt:  „der  König  war  in  Zahi",  er  auf  der  Küsten- 
stiaße  gezogen  sein  (ebenso  Ramses  II.  vor  der  Schlacht  bei  Qades), 
während:  „er  war  in  Rezenu",  J.  30.  33.  39,  auf  einen  Zug  durchs 
Binnenland  weist.  Auch  in  der  sog.  poet.  Stele  sind  die  „Großen  von 
Zahi"  ZI.  18  verschieden  von  den  „*Amu  von  Rezenu"  ZI.  14.  —  Da- 
neben wird  Zahi  allerdings  auch  in  umfassendem  Sinne  gebraucht, 
ebenso  wie  Rezenu  oder  wie  Kana'an  in  den  Amarnabriefen.  So  be- 
zeichnet Thutmosis  III.  selbst  die  bei  Megiddo  besiegte  Koalition,  die 
er  sonsl,  Rezenu  nennt,  in  der  Inschrift  des  Ptahtempels,  Seihe  S.  767 
ZI.  5,  als  „alle  Gebiete  von  Zahi";  ebenso  sfin  Kriegssekretär  Zeneni, 
Sethe  S.  1004,  5;  und  im  Pap.  hierat.  de  l'Eremitage  ed.  Golenischeff 
pl.  17  und  22  heißen  unter  Thutmosis  III.  die  Gesandten  von  Megiddo, 
Gennezaret,  Aksap,  Sams'edom,  Ta^nak,  Mis'al,  Saruna,  Tnnj  (=  Tenni 
Am.  260,  14,  Ai.t,  Z.  PaL  Ver.  89,  1916,  264),  Askalon,  Chasor  „ma- 
rjanna  von  Zahi". 


84  III.  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

erhaltenen  Material  ^)  einigermaßen  erkennen,  so  vieles  auch 
im  einzelnen  unsicher  und  lückenhaft  bleibt. 

Für  die  Entstehung  größerer  Staaten  ist  das  lang- 
gestreckte und  zerklüftete,  im  Osten  und  Süden  von  der 
Wüste  umschlossene  Land  ganz  ungeeignet;  so  lange  es  sich 
selbst  überlassen  bleibt,  wird  es  immer  in  zahlreiche  Klein- 
staaten zerfallen,  wird  aber  darum  nur  umso  leichter  fremden 
Eroberern  zur  Beute.  So  hat,  soweit  hinauf  wir  die  Ge- 
schichte verfolgen  können,  in  den  Norden  jede  größere  Macht 
eingegriffen,  die  in  Babylonien  entstanden  ist,  während  der 
Süden  und  die  Libanonküste  dem  Machtbereich  Ägyptens  an- 
geboren. Daneben  wird  das  Land  immer  von  neuem  von  Süden 
und  Osten  her  durch  die  semitischen  Nomaden,  vom  Norden 
aus  durch  die  Völkerschaften  des  kleinasiatisch-armenischen 
Hochlandes  überschwemmt.  So  sind  die  syrischen  Lande  zur 
Hyksoszeit  ein  Bestandteil  ihres  Großreichs  gewesen.  Aber 
mit  der  Erhebung  der  Könige  von  Theben  und  dem  Fall  von 
Auaris  ist  dieses  Reich  zusammengebrochen,  und  in  der  Folge- 
zeit ist  Palaestina  und  Syrien  wieder  in  eine  Anzahl  kleiner 
Fürstentümer  aufgelöst.  In  den  in  diesen  regierenden  Dynasten- 
geschlechtern mit  charrischen  (mitani-)  und  arischen,  und  da- 
neben mit  semitischen  Namen  und  in  dem  Kriegeradel  der 
Marjanna  werden  wir  die  Nachkommen  der  Volkselemente 
erkennen  dürfen,  aus  denen  Heer  und  Beamtenschaft  der 
Hyksoskönige  hervorgegangen  ist.  Vermutlich  hat  Syrien  im 
Innern  unter  ihrer  Herrschaft  nicht  viel  anders  ausgesehn  als 
dann  im  15.  und  14.  Jahrhundert^);  aber  das  Oberkönigtum  ist 
jetzt  weggefallen,  eine  Zusammenfassung  der  Einzeldistrikte 


')  Ich  zitiere  nach  der  Ausgabe  (Transkription  und  Übersetzung) 
von  Knudtzon  (auch  unter  dem  Titel:  Vorderasiatische  Bibliothek  II), 
mit  ausführlichen  Anmerkungen  von  0.  Weber  (abgeschlossen  1915). 
Hinzu  kommen  sechs  weitere  von  Thureau- Dangin,  Rev.  d'Assyr.  XIX 
1922,  91  ff..  veröflFentlichte  Briefe. 

'j  Auf  eine  derartige  Organisation  auch  in  Aegypten  selbst 
weisen  die  Skarabaeen  von  , Herrschern  der  Fremdvölker "  mit  semi- 
tischen und  halbsemitischen  Namen  aus  der  Hyksoszeit  hin  (Bd.  I  308). 


Syrien  und  Palaestina  im  16.  Jahrhundert  85 

ZU  einem  wenn  auch  noch  so  locker  gefügten  Reich  besteht 
nicht  mehr^). 

Diese  Dynasten  haben  ihren  Sitz  in  befestigten  Städten, 
zu  denen  ein  Landgebiet  von  wenigen  Quadratmeilen  mit 
offenen  Dörfern  und  Gehöften  gehört^).  Neben  dem  Fürsten 
wird  wohl  immer  ein  Rat  der  Ältesten  gestanden  haben,  der 
auch  die  Gerichtsbarkeit  übte.  Diese  Städte  liegen  meist  auf 
einem  langgestreckten  Hügel,  an  dem  ein  in  die  Festung  ein- 
bezogener oder  unmittelbar  vor  dem  Tor  liegender  Quell  ent- 


')  Nach  Manetho  sollen  die  Hyksos  nach  der  Einnahme  von 
Auaris,  bei  der  Amosis  [in  dem  stark  entstellten  Exzerpt  bei  Jos. 
c.  Ap.  I  84  ff.  durch  Misphragmuthosis  =  Thutmosis  III.  und  seinen  Sohn 
Thummosis  ersetzt,  s.  o.  S.  32,  2]  ihnen  freien  Abzug  gewährt,  nach 
Syrien  gezogen  sein  und  hier  Jerusalem  gebaut  haben,  zum  Schutz 
gegen  die  damals  Asien  beherrschenden  Assyrer  [!].  Von  hier  aus 
hätten  sie  dann  Jahrhunderte  später  zusammen  mit  den  aus  Ägypten 
verjagten  Aussätzigen  Ägypten  nochmals  erobert  und  ausgeplündert 
(darin  steckt  die  mit  den  Wirren  am  Ende  der  19.  Dynastie  zusammen- 
geworfene Reformation  Echnatens,  s.  u.  Abschnitt  VIII  und  Äg. 
Chronol.  S.  73  ff.  91  ff.).  Diese  Erzählung,  die  den  Ursprung  der  Juden 
erklären  will  und  daher  von  der  jüdischen  wie  von  der  antijüdischen 
Literatur  vielfach  benutzt  worden  ist,  ist  ge.-.chichtlich  völlig  wertlos ; 
mit  Unrecht  haben  Breasted,  Eist,  of  Egypt.  219  f.  289  und  Sethe, 
ÄZ.  47,  83  sie  zu  weitgehenden  Kombinationen  verwendet  und  an 
Stelle  Jerusalems  den  König  von  Qades  als  Fortsetzer  des  Hyksos- 
reichs  gesetzt.  —  Sethe's  Rekonstruktion  des  verstümmelten  Eingangs 
der  Annalen  Thutmosis'  III.  (ÄZ.  47,  74  ff.,  und  danach  in  seiner  Aus- 
gabe), in  den  er  eine  Anspielung  auf  Auaris  und  die  Hyksos  hinein- 
trägt, erscheint  mir  sprachlich  wie  sachlich  unmöglich.  Dagegen  hat 
er  vielleicht  (S.  84  f.)  mit  Recht  einen  Hinweis  auf  die  Hyksos  darin 
gefunden,  daß  Thutmosis  III.  und  Amenophis  II.  sich  in  der  Titulatur 
gelegentlich  „Schläger  der  Herrscher  der  Fremdvölker  (hqau  chasut), 
die  ihn  angegriffen  hatten",  nennen,  und  letzterer  rühmt,  niemand 
unter  seinem  Heer,  den  Herrschern  der  Fremdvölker  und  den  Rezenu 
könne  seine  Bogen  spannen:  hqüu  chasut  bezeichnet  ja  speziell  die 
Hyksoslürsten;  indessen  der  Ausdruck  ist  so  allgemein  und  unbestimmt, 
daß  diese  Deutung  keineswegs  als  sicher  gelten  kann. 

-}  Im  ersten  Kapitel  des  Richterbucbs  v.  27  (=  Jos.  17,  11)  wird 
diese  Organisation  dadurch  bezeichnet,  daß  den  Städtenamen  des 
Karmelgebiets  der  Zusatz  ,und  ihre  Töchter"  hinzugefügt  ist. 


36  III-  I^-P  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

springt.  Umschlossen  ist  sie  von  einem  doppelten  Mauerring, 
der  durch  viereckige  Türme  verstärkten  Hauptmauer  und 
einer  etwa  halb  so  hohen  Vormauer.  Beide  sind  aus  Lehm- 
ziegeln erbaut  und  mit  Zinnen  und  vorspringenden  Balkons 
gekrönt;  der  Zwischenraum  ist  durch  Holzbalken  überdeckt, 
unter  denen  Kasematten  liegen;  so  können  die  Verteidiger 
gleichzeitig  von  diesem  Wallgang  und  von  der  hoch  darüber 
aufragenden  Hauptmauer  und  ihren  Türmen  aus  kämpfen. 
Die  von  großen  Steinplatten  eingefaßten  Tore  gehn  durch 
beide  Mauern  hindurch^).  Die  gleiche  Anlage  zeigt  sowohl 
die  Befestigung  der  chetitischen  Hauptstadt  Boghazkiöi  — 
nur  sind  hier  die  Dimensionen  weit  größer  und  der  Unter- 
bau von  mächtigen  Steinen  viel  gewaltiger,  und  die  Tore 
sind  von  mächtigen  Torgebäuden  flankiert,  die  beide  Mauern 
durchbrechen  und  verbinden'')  —  als  auch  die  Darstellung 
einer  offenbar  in  Asien  zu  suchenden  Bergfeste  auf  dem 
Bruchstück  einer  silbernen  Vase  aus  dem  vierten  Schachtgrab 
in   Mykene"'),    die    von    nackten   Schleuderern    und  Schützen 

')  Die  sehr  anschaulichen  ägyptischen  Abbildungen  stimmen 
völlig  überein  mit  der  in  Jericho  aufgedeckten  älteren  Festung  (Sellin 
und  Watzi.xger,  22.  Veröffentl.  der  DOG.  1913,  vgl.  meine  Rekon- 
struktion im  Archäol.  Anzeiger  1913,  72  ff.).  Wenn  bei  anderen  Aus- 
grabungen in  Palaestina  die  Vormauer  nicht  gefunden  ist,  so  liegt  das 
offenbar  an  starker  Zerstörung  und  wohl  auch  an  ungenügender  Beob- 
achtung der  schwer  erkennbaren  Reste  der  Luftziegelraauer.  In  der 
zweiten,  weiter  hinausgeschobenen  Mauer  von  Jericho  sieht  Sellin 
(Gesch.  d.  israel.  Volkes  I  1924  S.  97)  und  ebenso  Watzinger  jetzt,  ent- 
gegen ihrer  früheren  Annahme,  wohl  mit  Recht  die  „Mauern  von 
Jericho*  der  Josuasage.  Fortifikatorisch  ist  sie  ein  Rückschritt  gegen 
die  ältere  Mauer;  sie  ist  ein  längliches  Oval  ohne  Türme  und  sonstige 
Gliederung  und  ohne  Vormauer;  die  Ziegelmauer  stand  auf  einer 
durchschnittlich  .5  m  hohen  Böschung  von  roh  behauenen  Steinen.  Daß 
aber  nur  die  ältere  Mauer  den  ägyptischen  Darstellungen  Sethos'  I. 
und  Ramses'  II.  entspricht  und  daher  in  deren  Zeit  gehört,  kann 
keinem  Zweifel  unterliegen.  —  Auffallend  ist,  daß  Jericho  in  den 
ägyptischen  Berichten  nie  erwähnt  wird,  auch  nicht  in  den  Amarna- 
briefen. 

2)  PüCHSTEiN,  Boghazkiöi  (19.  Veröffentl.  der  DOG.,  1912). 

^)  Siehe  u.  S.  232. 


Die  Festungen  und  Stadtfürstentümer  Palaestinas  87 

sowie  von  Kriegern  mit  Lanzen  und  großen  Mänteln  ver- 
teidigt wird.  Somit  scheint  diese  Gestalt  des  Festungs- 
baus über  ganz  Vorderasien  verbreitet  gewesen  zu  sein^); 
auch  für  Auaris  werden  wir  die  gleiche  Anlage  annehmen 
dürfen. 

Aus  den  Amarnabriefen  kennen  wir  mehr  als  sechzig 
solcher  Stadtfürstentümer-).  Thutmosis  III.  gibt  eine  Liste 
von  118  Ortschaften^),  die  sich  unter  Führung  des  Fürsten 
von  Qades  gegen  ihn  verbündet  hatten  und  die  er  auf  seinem 
ersten  Feldzug  bei  Megiddo  besiegt  hat.  Er  bezeichnet  sie 
als  Landschaften  (Bezirke)  von  Oberrezenu;  sie  umfassen  den 
Hauptteil  Palaestinas  westlich  vom  Jordantal  und  im  Nord- 
osten darüber  hinaus  bis  nach  Damaskus.  Ob  alle  hier  ge- 
nannten Örtlichkeiten,  darunter  solche  mit  Namen  wie  *Ain 
„Quelle"  (no.  86.  95),  B'er  und  B'erot  „Brunnen"  (10.  50.  109), 
Har  „Berg"  (77),  Har-el  „Gottesberg"  (81),  'Amq  „Tal"  (107) 
wirklich  eigene  Fürstentümer  gebildet  haben,  wird  man  be- 
zweifeln dürfen;  von  einer  großen  Zahl  wird  es  jedoch  durch 
die  Amarnabriefe  bestätigt.  Daß  in  diesem  Gebiet  kana- 
'anaeisch"  (d.  i.  hebraeisch)  gesprochen  wurde,  lehren  wie  die 
Ortsnamen  so  zahlreiche  Glossen  in  den  Araarnatafeln^).   Die 


')  Die  Mauern  von  Troja  zeigen  allerdings  eine  wesentlich  an- 
dere Anlage. 

2)  Wahrscheinlich  ist  die  Zahl  noch  beträchtlich  größer,  da  auf 
den  nur  fragmentarisch  erhaltenen  Tafeln  die  Namen  vielfach  ver- 
loren sind  und  überdies  viele  Dynasten  ihre  Stadt  nicht  nennen. 

8)  Da  Kumidi  der  Liste  b  und  c  in  Liste  a  in  Bmai  verschrieben 
ist,  zählt  man  sie  fälschlich  als  zwei  Orte  (no.  7  und  8),  und  daher  als 
Gesamtzahl  119. 

*)  Die  ägyptische  Benennung  Oberrezenu  behält  im  getragenen 
Stil  den  alten  Namen  des  palaestinensischen  Berglandes  bei  (Bd.  I  289. 
358.  467;  daß  er,  wie  Alt,  Ein  Reich  von  Lydda,  Z.  Pal.  Verein.  47, 
1924,  169  &.,  vermutet,  von  dem  Namen  der  Stadt  Lud,  Lydda  ab- 
geleitet sei,  der  in  der  Liste  Th.  III.  64  Rutn  geschrieben  wird,  ist 
schwerlich  zutreffend).  Im  realen  Leben  war  er  längst  geschwunden. 
Gelegentlich  wird  er  auf  ganz  Syrien  ausgedehnt;  für  Nordsyrien  oder 
Naharain  wird  dazu  der  Name  „Unterrezenu"  erfunden  (Grab  Amenem- 
heb's,    Sethe  Urk.  907    und   dann    in   den    Völkerlisten).    Nicht    selten 


88  III-  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Bewohner  und  danach  auch  das  Land  nennen  die  Ägypter 
Choriter  (geschrieben  Charu);  nach  Angabe  eines  Papyrus^) 
reicht  „das  Land  Chor  von  Sile  (der  ägyptischen  Grenzfeste) 
bis  Ubi  (der  Landschaft  von  Damaskus)",  umfaßt  also  die 
Sinaiwüste  und  Palaestina.  Die  Choriter  sind,  wie  schon 
erwähnt  (o.  S.  6,  3),  nach  Ausweis  ihrer  Stammnamen  deutlich 
eine  Gruppe  von  Wüstenstäramen,  die  sich  über  das  Kultur- 
land ausgebreitet  haben;  einzelne  choritische  Stämme  haben 
sich  auch  später  noch  zwischen  den  Edomitern  in  der  Wüste 
erhalten  (Gen.  36),  in  Resten  sogar  bis  in  die  nachexilische 
Zeit").  Daß  sie  einstmals  weithin  in  Palaestina  gesessen  haben, 
vor  allem  am  Westabhang  des  Gebirges  Juda  und  in  Sichem, 
läßt  auch  die  israelitische  Überlieferung  noch  erkennen,  eben 
so,  daß  bei  ihnen  ein  Sonnenkult  weit  verbreitet  war^).  Die 
Amarnabriefe  erwähnen  diesen  Namen  nicht,  sondern  ver- 
wenden ständig  den  Namen  Kana'an  und  Kana'anaeer*), 
dehnen  ihn  aber  gelegentlich  auch  auf  ganz  Syrien  aus^). 
Kana'an  ist  der  einheimische  Landesname,  der,  wie  bei  den 
Israeliten,  so  auch  bei  den  Phoenikern  immer  gebräuchlich 
geblieben  ist*').   Die  ägyptischen  Inschriften  der  achtzehnten 


wird  auch  das  ganz  archaische  Menziu  oder  Menziu  Sätet  (Bd.  I  227) 
verwendet. 

*)  Anast.  III  1,  10.  Bezeichnend  ist,  daß  Thutmosis  III.,  wo  er  die 
Gesamtsumme  der  dem  Amon  geschenkten  Gefangenen  angibt,  den  rich- 
tigen Volksnamen  Charu  braucht  (Sethe  S.  743,  8,  gleich  ''amu  ZI.  4). 
Als  Eigenname  ist  Chor  oder  Pachor,  fem.  Tachor  nicht  selten. 

^)  Siehe  meine  Israeliten  337.  405  f.;  so  im  Geschlechtsnamen  Chür. 

3)  Vgl.  Bd.  I  467;  Israeliten  S.  330  ff.  und  über  die  Simsonsage 
S.  .528  ff. 

*)  Geschrieben  Kinachchi  =  'o  Xvä  (d.  i.  yjs)  bei  Philo  Bybl.  2,  27 
und  Herodian,  auf  den  die  Angaben  bei  Steph.  Byz.  und  Bekker, 
Anecd.  III  1181  sowie  das  Mißverständnis,  daß  dieser  Name  bei  Heka- 
taeos  (fr.  21  =  272  Jacobv)  vorkomme,  zurückgeht;  Ethnikon  Kinachaju 
Am.  9,  19.  Die  phoenikischen  Fürsten  von  Byblos  und  Tyros  schreiben 
Kinachni  =  |yj2- 

5)  Am.  151,  50. 

*)  Die  griechischen  Angaben  (Anm.  4)  werden  durch  die  Augustins, 
daß  die  afrikanischen  Bauern  sich  noch  zu  seiner  Zeit  Chanani  nennen 


Kana'an  und  die  Choriter  8^ 

Dynastie  verwenden  ihn  noch  nicht,  in  der  Folgezeit  dagegen 
ist  er  ganz  geläufig,  und  zwar  immer  mit  dem  Artikel,  „das 
Kana'an"  ^). 

Auf  die  Besiedlung  und  die  politischen  Zustände  Palae- 
stinas  gestattet  das  von  Thutmosis  III.  aufgestellte  Verzeichnis 
der  von  Ägypten  abgefallenen  und  nach  der  Schlacht  bei 
Megiddo  wieder  unterworfenen  Ortschaften  von  Oberrezenu 
einige  Rückschlüsse^),    die  durch  die  Angaben  der  Amarna- 

(epist.  ad  Rom.  incohat.  expos.  19)  und  durch  die  Münzen  von  Lao- 
dikea  (wahrsch.  Umm  el  'awämid  zwischen  Akko  und  Tyros)  unter 
Antiochos  IV.  bestätigt,  das  sich  fj?j23  DU  , Metropole  in  Kana'an" 
nennt.  Da  die  Deutung  Eana'ans  als  „Niederland"  noch  immer  wieder 
auftaucht,  sei  nochmals  darauf  hingewiesen,  daß  sie  sprachlich  wie 
sachlich  ganz  unhaltbar  und  widersinnig  ist,  ebenso  wie  die  von 
Aram  als  „Hochland". 

')  So  bei  Sethos  I.,  Merneptali,  Ramses  III.  (den  Tempel,  den  er 
dem  Amon  im  Lande  Zahl  erbaut  hat,  nennt  er  „Tempel  des  Ramses 
in  dem  Kana'an"  Pap.  Harris  9,  1);  ebenso  Pap.  Anast.  I  26,  9.  Aber 
auch  Amenophis  IV.  sendet  einen  hohen  Beamten  als  „Königssohn  im 
Lande  Kana'an  (Kinachchi)"  Rev.  d'Ass.  19,  100,  s.  u.  S.  864,  also  mit 
einem  nach  Analogie  des  „Königssohns  von  Kusch"  gebildeten  Titel. 
Ein  in  zwei  Abschriften  erhaltener  Musterbrief  (Pap.  Anast.  III  8,  5  = 
IV  16,  4;  Erman,  Literatur  S.  266)  sagt  „Kana'anaische  Sklaven  aus 
Chor"  (hnu  kiin'mnu  [so  geschrieben,  d.  i.  D"':y:3  mit  semit.  Plural] 
n  Cham),  verbindet  also  ganz  zutreffend  die  beiden  Volks-  und  Lands- 
namen. Ähnlich  auf  einer  saitischen  Grabstele  für  einen  „Gesandten 
nach  dem  Kana'an  von  Philistaea"  [n  pa  Kn"n  n  Prst,  Bull,  de  l'Inst. 
fr.  I  98). 

^)  Nach  den  älteren  Arbeiten  von  Maspero  u.  a.  ist  die  Liste  ein- 
gehend von  W.  M.  Müller,  Palaestin allste  Th.  III.,  Mitt.  Vorderas. 
Ges.  1907,  bearbeitet;  ferner  M.  Burchardt,  Die  syllabische  Schreibung 
im  Ägyjitischen.  1908.  Die  Liste  gliedert  sich  in  fünf  Teile,  inner- 
halb deren  die  geographische  Ordnung  oft  vernachlässigt  wird:  1)  Gali- 
laea  und  seine  Nachbargebiete,  no.  3 — 59;  2)  das  Küstengebiet  bis  zum 
Karmel,  no.  60 — 68;  3)  eine  Reihe  nicht  identifizierbarer  Orte  (wohl 
aus  dem  Hügel-  und  Gebirgsland)  no.  69 — 86,  darunter  70  ein  zweites 
Kntu  wie  63  (Gat;  vgl.  44).  71  Migdol  „Feste",  77  Har  „Berg"  und 
81  Har-el  „Gottesberg",  78  das  vielbesprochene  Jsp'el  (Joseph-el?),  88 
und  84  zwei  Orte  Na'man,  86  'ain  „Quell";  4)  Ortschaften  von  Ba- 
tanaea,  etwa  87  (oder  schon  von  85  an?)  bis  102;  5)  Ortschaften  des 
inneren   Palaestina   von  104   Gazer  bis   nach   Betse'an   (no.  110)    und 


90  III.  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs  ' 

briefe  ergänzt  werden.  Dicht  besiedelt  ist  die  fruchtbare 
Küstenebene  von  Gaza  an  bis  zum  Karuiel  hin,  nebst  dem 
Hügellande  am  Fuß  des  hochaufragenden  Felsengebirges  des 
inneren  Palaestina  ^).  Nicht  minder  dicht  besiedelt  ist  am 
Nordabhang  des  Karmel  das  Qisontal  und  die  Ebene  Jezre*-el 
bis  zur  Senke  nach  dem  Jordan  mit  der  wichtigen  Festung 
Betse'an-).    und  weiter  das  in  zahlreiche  Kuppen  aufgelöste 

Joqne'am  (113),  das  auf'fallenderweise  von  den  übrigen  Städten  des 
Karmelgebiets  (no.  42.  43)  getrennt  ist.  Daß  Qades  und  Megiddo  (no.  1.  2) 
vorangestellt  sind,  erklärt  sich  aus  ihrer  Bedeutung  für  den  Verlauf  des 
Feldzugs. 

')  Die  Liste  nennt  natürlich  nur  die  zu  der  feindlichen  Koalition 
gehörenden  Orte,  nicht  die  den  Ägyptern  untertänigen  wie  Gaza,  As- 
kalon  (Am.  296.  820  ff.),  Lakis  (Am.  S28  f.).  Von  Süd  nach  Nord  folgen: 
60  Jursa  (Am.  314  f.),  etwa  in  der  Gegend  des  späteren  Asdod,  dessen 
Name  hier  nicht  vorkommt;  61  Machas  =  Muchazi,  Am.  298,  25; 
62  Joppe  =Japu,  Am.  138,  6  und  85.  294,  20.  296,  33,  hier  mit  Gaza 
zu  einem  Vasallenstaat  vereinigt;  63  Kntu,  Am.  Gimti  und  Gimtikir- 
mil,  also  am  Karmel,  288,  25.  289,  18  f.;  64  Ruten,  d.  i.  Lod,  Lydda; 
65  Ono;  66  Apuqn  =  Apheq  an  der  Philistergrenze,  Sam.  I  4,  1, 
Tzöpfoi  'Atpsxoü  bei  Antipatris,  Jos.  Bell.  II  513  [verschieden  von  Apheqa 
im  Gebirge  Juda,  Jos.  15,  53  und  von  Apheq  in  der  Ebene  Jezre'el, 
Jos.  12,  18;  Sam.  129,  1;  Reg.  120,26.  II  18,  17;  assyr.  Apku,  s.  m. 
Israeliten  425,  1];  67  Soko  =  Suweke  südöstl.  v.  Käkun,  verschieden 
von  den  beiden  Soko  im  südlichen  Juda;  68  Jehem  am  Karmelpaß. 
Vielleicht  gehören  auch  die  folgenden  Orte  (69  Chbsn,  etwa  Chubbeze 
am  Westabhang  des  Karmel  östl.  von  Dor  [das  in  dieser  Zeit  nie  vor- 
kommt];  70  Kntu,  ein  zweites  Gat;  71  Migdol,  viell.  =  Stratons  Turm, 
Caesarea)  noch  hierher.  —  Von  den  auf  den  Vorhöhen  des  Gebirges 
gelegenen  Städten  sind  identifizierbar  76  Hdit  =  TTH  el  Hadithe  im 
Westen  Benjamins  bei  Lydda;  104  Qaziru  =  Gazer  (Am.  298  ff.); 
105  Rbtu  =  Rubute  westl.  von  Jerusalem,  Am.  289,  13.  290.  11.  —  Ich 
bemerke  noch,  daß  57  Ngbu  unmöglich  das  Negeb  im  Süden  Judas 
sein  kann,  sondern  nur  ein  anderer  „Süden"  in  Galilaea,  oder  viel- 
leicht mit  W.  M.  Müller  Dpj  in  Naphtali,  Jos.  19,  33.  Unhaltbar  ist 
auch  die  Gleichung  von  18  und  35  Smn  mit  Sime'on  und  80  Kruru 
mit  Gerar. 

2)  Genannt  werden  2  Megiddo,  27  'Aruna  (s.  u.),  42  Ta'nak, 
43  Jible'am,  44  Kntu  'sn  =  Am.  319  Gintiasna  (so  nach  Knudtson  und 
Weber  S.  1352  zu  lesen),  113  'ain  Qn'm  =  Joqne'am;  ferner  in  der 
Ebene   38  Sunem   (Am.  250,  43   und   Rev.   d'Ass.  19  p.  97)   und   weiter 


Die  Ortschaften  Palaestinas  91 

Bergland  Galilaeas  bis  zu  den  Quellfliissen  des  Jordan  und 
dem  Übergang  in  die  Biqa\  Coelesyrien^,  nebsfc  der  fi^üsten- 
ebene  mit  *Akko  und  dem  „heiligen  Vorgebirge"  (Rosqa- 
dos)^),  das  wohl  mit  der  „Tyriertreppe"  Ras  ennäqüra  iden- 
tisch sein  wird  und  die  Nordgrenze  des  Aufstandsgebiets 
bezeichnet. 

An  die  Ortschaften  am  See  Gennezaret^)  schließt  sich 
weiter  östlich  das  Kulturland  zwischen  dem  Hermon  und  dem 
Haurängebirge,  im  Norden  bis  zur  Ebene  von  Damaskus  (die 

südlich  9  Tütjn  =  Dotain;  sodann  110  Bts 'r  =  Betse'an  (die  Identität 
steht  jetzt  durch  die  Inschrift  Sethos'  I.  aus  Baisan  fest).  Am.  289,  20 
Bitsaani,  und  daneben  117  Brqn,  jetzt  Sech  Barqän  oberhalb  von 
Baisan,  =  Am.  250,  43,  neben  Sunem  (auch  Rev.  d'Ass.  19,  97).  Auch 
116  Sfat  wird  hier  zu  suchen  und  mit  dem  Ort  am  Karmelpaß  in 
Thutmosis'  Feldzugsberieht  nicht  identisch  sein,  und  noch  weniger 
natüflich  mit  nsi  Jud.  1,  17  =  Chorma  im  äußersten  Süden  (vgl.  Israeliten 
S.  410). 

')  Hieher  gehört  zunächst  die  nach  Megiddo  im  äußersten  Nor- 
den beginnende  Liste  zu  Anfang:  3  Chazi  =  Am.  175.  185  f.;  4  Kitsun  = 
Guddasuna,  Am.  177:  6  Tbchu  =  Tabichi,  Am.  179,  nnu  Sam.  II  8,  8: 
8  (=  7,  s.  S.  87,  8.)  Kumidi,  Am.  198  u.  a.,  jetzt  Kämid  el  Löz  jenseits  des 
Hermon  östlich  vom  Litani.  Sodann  12  Merom  (Jos.  11,  5j,  13  Tmsqu  ~ 
Damaskos,  15Abila,  16  Hmtu  =  Amatha,  el-Hammi,  s.u.  S.92,  2;  26  Qa'nau 
=  Qanu,  Am.  204,  ,-i:p  Jos.  19,  28  und  bei  den  Assyrern,  j.  Qana  südöstl. 
von  Tyros;  31  Ruis  =  Lai's  (später  Dan) ;  32  Chasor,  Am.  227  f.;  39  Mis'al, 
V«*^»  Jos.  19,  26.  21,  30;  40  Aksap  =  Aksapa,  Am.  Rev.  d'.-\ss.  19,  99, 
f]tOi<  Jos.  11,  1  u.  a.;  46  'Ijon;  55  Chasabu  =  Am.  174;  56  Tasurt  = 
Tusulti,  Am.  185.  186;  58  Asuschn  =  Saschimi,  Am.  203.  Auch  51  Sams- 
edom  (auch  bei  Amenophis  II.)  wird  hieher  gehören.  —  Beachtens- 
wert ist,  daß  nicht  wenige  dieser  nordpalästinischen  Orte  in  der  Liste 
der  von  Josua  besiegten  Könige  Jos.  12,  18  S.  (vgl.  c.  11)  vorkommen, 
nämlich  Apheq  (no.  66),  Saron  [so  wohl  statt  fijiar'?  zu  lesen]  (no.  21). 
Chasor  (no.  32).  Aks.iph  (no.  40),  Ta'nak  (no.  42).  Megiddo  (no.  2). 
Joqne'am  (no.  113).  Außerdem  genannt  sind  Madon,  Qades,  Dor,  Tir.sa 
und  das  offenbar  eine  Dublette  enthaltende  px~i!3  p"iaiy  (ob  aus  Merom 
no.  12  entstellt?)  und  Hji::,^,"^    q-'IJ. 

')  47  'Akko  =  Am.  232  ff.  43  Rosqados,  auch  bei  Ramses  IL  W. 
M.  Müller,  Egyptol.  res.  pl.  60,  1. 

')  34  Knnartu  =  m:3,  revvY]oap;  35  Smn  =  Samchuna,  Am.  225  ; 
36  Atmm  =  nanx  in  Naphtali,  Jos.  19,  86,  am  Abhang  des  Westrandes 
des  Beckens;  21  Saruna  =  Saruna,  Am.  241,  iTi'j;  Jos.  12,  19. 


92  lii-  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

damals  den  Namen  Ubi  führte),  im  Süden  bis  etwa  zum 
Jarmiik,  also  die  Landschaft  Basan  (Batanaea)^).  Weiter 
südlich  wird  außer  Hammät,  bei  den  heißen  Quellen  am  Ein- 
gang des  Jarmuqtals,  und  Pella  gegenüber  von  Bet.^e'an^), 
kein  Ort  oder  Volksstamm  aus  dem  Ostjordanlande  er- 
wähnt, auch  nicht  'Ammon  oder  Moab.  Offenbar  hatte  sich 
hier  eine  seßhafte  Kultur  noch  nicht  entwickelt,  wie  sie  ja 
hier  auch  in  der  Neuzeit  fast  ganz  geschwunden  ist  und  erst 
in  der  Gegenwart  wieder  beginnt.  Eine  intensivere  Besied- 
lung dieses  an  sich  sehr  fruchtbaren,  damals  noch  weithin 
mit  Wäldern  bedeckten  Gebiets^)  hat  erst  in  der  israelitischen 
Zeit  begonnen;  vorher  lag  es  den  Invasionen  der  Beduinen 
oflFen,  die  die  hier  hausenden  Viehzüchter  oft  genug  schwer 
heimgesucht  und  ausgeplündert  haben  werden. 


')  Damaskos  und  Tebach  s.  S.  91,  1.  Ferner  83  Phr  (unmittelbar  vor 
Gennezaret,  auch  in  anderen  Listen  oft  genannt)  =  Pihilim,  Am.  256  = 
Pella  (j.  Fahl),  wie  Dhorme  erkannt  hat,  jetzt  durch  die  Inschrift  Sethos'  I. 
aus  Baisan  bestätigt;  22  Tubi  =  Tob  ToußEtvot,  und  87  Rhbu  =  Ret 
Rechob;  darauf  folgen  89  Hekalim  , Tempel",  90  und  92  sowie  99  drei 
Abel,  'prK,  91 'tr' = ':7-ns*  Edre'i,  ferner  28 'strtu  = 'Astarot;  auch  102 
Ja'qob-el  wird  hieher  gehören,  da  die  Jakobsage  wesentlich  im  Ost- 
jordanlande lokalisiert  ist,  vgl.  Israeliten  271  ff.  Der  Name  Basan  liegt 
in  der  Stadt  Ziribasani,  Am.  201  =  Zrbsn  unter  Merneptah  vor  (Mariette, 
Abydos  11  50  =  Catal.  1136). 

-)  16  Hmtu  (nach  Damaskus  und  Abila)  ist,  wie  Vincent  erkannt 
hat,  nicht  der  berühmte  Badeort  Iiamat-'A(jifiaO'oü<;  bei  Tiberias,  son- 
dern 'EfXfAaö-ä  bei  Gadara,  ev&a  zä  twv  ■S-cpfxo'jv  oSdxcuv  tf^pixä  Xoüxpa, 
Euseb.  Onomast.  23,  26  =  der  Festung  'AfiaSoü?  .Jos.  Arch.  XIII  356. 
374.  XIV  91.  Das  wird  jetzt  durch  Sethos'  Inschrift  von  Betse'an  be- 
stätigt, ebenso  wie  Dhormes  Gleichsetzung  von  Phr  mit  Pella  (s.  o. 
Anm.  1). 

^)  Reste  der  Bewaldung  haben  sich  bis  in  die  Gegenwart  er- 
halten. Zu  voller  Entwicklung  ist  das  Land  erst  unter  römischer 
Herrschaft  gelangt,  als  nach  Niederwerfung  des  jüdischen  Raubstaats 
durch  Pompejus  die  hellenistischen  Städte  der  Dekapolis  sich  voll  ent- 
wickeln konnten.  Bis  hier  wie  in  dem  übrigen  Grenzlande  der  Wüste 
die  damalige  Kulturhöhe  wieder  erreicht  wird,  wird,  auch  wenn  der 
jetzt  von  England  geschaffene  Staat  Transjordanien  Bestand  hat,  noch 
eine  intensive  Arbeit  mehrerer  Generationen  erforderlich  sein. 


Palaestina  und  die  Beduinen  93 

Diese  kriegerischen  Beduinenstämme,  die  das  Kulturland 
Palaestinas  und  Nordsyriens  rings  umschließen,  tragen  bei 
den  Ägyptern  im  Süden  den  Namen  Sasu  (Sös)  und  werden 
allgemein  unter  der  auch  den  Babyloniern  und  Assyrern  ge- 
läufigen Bezeichnung  suti,  „Schützen",  zusammengefaßt^).  In 
den  ägyptischen  Darstellungen  erscheinen  sie  als  schlanke, 
sehnige  Gestalten,  mit  knochigen  Gesichtern,  kurzem  Spitz- 
bart und  kurzgeschorenem  Haupthaar,  das  mit  einem  Kopf- 
tuch umwickelt  ist^).  Zu  Aufständen  und  Raubzügen  sind 
sie  immer  geneigt ,  und  so  wenig  sie  geschlossen  mit  ihren 
primitiven  Waffen  einem  geschulten  Heer  Widerstand  zu 
leisten  vermögen,  so  schwierig,  ja  unmöglich  ist  es,  sie  in 
dem  unwegsamen  Wüstenlande  wirklich  zu  Paaren  zu  treiben 
und  dauernd  in  Botmäßigkeit  zu  halten.  Aber  den  Heer- 
weg nach  Syrien  von  der  Grenzfestung  Sile  (Zaru,  jetzt  Abu 
Sefe  bei  el  Kantara,  der  schmalen  Landbrücke  zwischen  dem 
Menzale-  und  dem  Bailächsee)  über  erAris  am  „Bach  (Wadi) 
Ägyptens"  und  Raphia  nach  Gaza  wird  schon  Amosis  in 
derselben  Weise,  wie  wir  es  später  unter  Sethos  I.  finden, 
durch  befestigte  Brunnenstationen  gesichert  haben,  so  daß 
die  Armee  den  Marsch  nach  Palaestina  ohne  Schwierigkeit 
zurücklegren  konnte^). 


')  Die  uralte  ägyptische  Bezeichnung  der  Asiaten  als  Setiu  (kor- 
rekt ^zfju,  nicht  zu  verwechseln  mit  stju,  der  alten  Benennung  der 
Bewohner  von  Nubien  to  stj)  wird  jetzt  immer  mit  einer  aus  einem 
Fell  bestehenden  Scheibe  geschrieben,  in  der  ein  Pfeil  steckt,  also  mit 
dem  Wort  äfj  „schießen,  Schütze"  zusammengeworfen.  Die  Aussprache 
sutü,  sutl  geben  die  Amarnatafeln  und  die  assyrischen  Inschriften, 
s.  u.  S.  843. 

2)  Weiteres  s.  u.  bei  dem  Feldzug  Sethos'  I. 

^)  Zu  dieser  Straße  vgl.  Gardiner,  The  ancient  military  road 
between  Egypt  and  Palestine,  J.  Eg.  Archeol.  Vi  1920,  99  ff.  —  Von 
Namen  der  Wüstenstämme  findet  sich  bei  den  Ägyptern  der  Edoms 
in  der  Angabe,  daß  unter  Merneptah  „Sasustämmen  von  Edom  ('dm)" 
das  Passieren  der  Grenzfeste  Sukkot  bis  zu  den  Teichen  von  Pitom  (im 
Wadi  Tümilät)  gestattet  wird  (Pap.  Anast.  VI  4,  14).  Der  aus  dem 
Eigennamen  'Obed-edom  Sam.  II  6,  10  (auch  CI  Sem.  I  295  in  Karthago) 
bekannte  Gottesname  Edom   liegt   dem  Ortsnamen  Sams-edom  in  Ga- 


94  Ili-  l^ie  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Die  Sinaiwüste  geht  im  Nordosten,  im  „Südlande"  (Ne- 
geb)  Palaestinas^),  allmählich  in  ein  Steppenland  über,  dessen 
Boden,  obwohl  überall  mit  Steinen  durchsetzt,  doch  bei  ge- 
nügendem Regen  kulturfühig  ist'-'),  und  in  dem  vereinzelte 
Quellen  einer  viehzüchtenden  Bevölkerung  die  Möglichkeit 
einer  oasenartigen  Ansiedlung,  zugleich  aber  auch  zu  fort- 
dauerndem Hader  den  Anlaß  bieten^).  Weiter  nach  Norden 
geht  sie  dann  in  den  Gebirgskamm  von  Juda  über,  von  dem 
nach  Westen  zahlreiche  Täler  zur  Küstenebene  hinabführen, 
während  er  nach  Osten  steil  und  völlig  wüst  zum  Toten  Meer 
abstürzt.    Auch  in  diesen  Gebieten    ist  die  ägyptische  Herr- 


lilaea  (o.  S.  91,  1)  zugrunde.  —  Se'ir  (S'ir)  wird  als  Sasustamm  von 
Ramses  III.  im  gr.  Harrispap.  76  genannt;  als  Südgrenze  Palaestinas 
Am.  288,  26. 

^)  Negeb  bei  den  Ägyptern  erwähnt  in  der  Biographie  Amenem- 
hebs  u.  S.  129,  aber  nicht  in  der  Liste  Th.  ID  no.  67,  o.  S.  90,  1. 

^)  Gegenwärtig  wird  dies  Gebiet  weit  über  Beeiseba'  hinaus  von 
den  Arabern  unter  den  Pflug  genommen;  einen  Ernteertrag,  und  dann 
sehr  reichlich,  gibt  es  aber  nur,  wenn  genügender  Frühjahrsregen  fällt, 
durchschnittlich  in  jedem  3.  Jahr;  andernfalls  wird  es  den  Kamelen  zur 
Weide  überlassen. 

^)  Sehr  anschaulich  werden  diese  Zustände  und  die  Bedeutung 
der  Quellen,  wie  BeerSeba',  Gerär,  Qades,  Lechai  ro'i  u.  a.,  in  den  Pa- 
triarchengeschichten der  Genesis  sowie  Jud  1,  12  ff.  geschildert.  In 
welch  gewaltigem  Umfang  das  Wüstenland  auch  hier  bis  zum  Aus- 
gang des  Altertums  für  die  seßhafte  Kultur  erobert  worden  ist,  zeigen 
die  zahlreichen  Ruinenstätten  aus  römischer  und  byzantinischer  Zeit.  — 
Albright,  A  colony  of  Cretan  mercenaries  on  the  Coast  of  the  Negeb,  J. 
Palest.  Orient.  Soc.  I  1921,  18  ff.  (dazu  IV  1924,  136  ff)  hält  die  Kap- 
torim,  die  nach  dem  ins  Deuteronomium  eingelegten  Kommentar  2,  23 
die  'Auwiter  im  Süden  von  Gaza  verdrängt  haben  sollen,  für  identisch 
mit  den  später  hier  sitzenden  Kretern  (Ti~13  Sam.  I  30,  14)  und  ver- 
schieden von  den  erst  später  aus  Kaptor  eingewanderten  Philistern; 
sie  seien  eine  seit  Amosis  hier  angesiedelte  (vielleicht  aus  dem  Dienst 
derHyksos  übernommene)  Militärkolonie  von  Kretern.  Aber  die  D"'"inB3 
sind  doch  in  diesem  späten  Text  nichts  als  ein  gelehrter  Archaismus 
für  Philister,  und  die  ganze  Hypothese  (und  vollends,  daß  der  Name 
V^'S  dts  Heerführers  des  1  hilisterkönigs  Abimelek  von  Gerar  Gen.  26,  26 
[daraus  21,  22.  32],  verschrieben  sei  aus  "^^^q  und  „der  Lykier"  bedeute 
schwebt  völlig  in  der  Luft. 


Das  Gebirgsland  Palaestinas  95 

Schaft,  gestützt  auf  die  Festung  Saruhan,  nicht  unterbrochen 
worden,  und  sie  werden  daher  in  der  Liste  Thutmosis'  III. 
nicht  berücksichtigt.  Aus  den  Amarnabriefen  wissen  wir,  daß 
vor  allem  Jerusalem  (Urusalim),  hoch  oben  auf  dem  Kamme 
des  Gebirges,  der  Sitz  eines  ansehnlichen  Fürstentums  gewesen 
ist^).  Das  Aufstandsgebiet  wird  erst  nördlich  von  Jerusalem 
begonnen  haben ^),  wie  auf  gleicher  Linie  im  Westen  mit 
Gazer,  Jursa  und  Joppe,  während  Gaza  und  Askalon  unter- 
tänig geblieben  waren. 

In  scharfem  Gegensatz  gegen  die  zahlreichen  Städte 
aus  dem  Küstengebiet  und  aus  Galilaea  ist  in  der  Liste  Thut- 
mosis' III.  auch  nicht  ein  einziger  Ort  aus  dem  zentralen  Ge- 
birgslande  Palaestinas  nachweisbar.  In  den  Amarnabriefen 
wird  zwar  einmal,  in  einem  Schreiben  aus  Jerusalem,  er- 
wähnt, daß  „das  Land  Sakmi",  d.  i.  Sichem,  in  die  Hände 
der  Chabiru  gefallen  ist^);  aber  ob  es  vorher  ein  Fürstensitz 
war,  wissen  wir  nicht,  und  weiter  wird  auch  hier  aus  dem 
ganzen  Gebiet  von  Betse'an  und  dem  Karmel  bis  nach  Je- 
rusalem, einer  Strecke  von  etwa  60  Kilometern,  kein  Ort 
und  kein  Fürstentum  erwähnt.  Nun  mögen  vielleicht  einzelne 
Briefe  von  Dynasten  hierher  gehören,  die  ihre  Stadt  nicht 
nennen,  und  ebenso  einige  nicht  lokalisierbare  Namen  der 
Liste:    aber  daß  weder  hier    noch   sonst    irgendwo    einer  der 


')  Ein  weiteres  Fürstentum  ist  Kielti  =  r\h^i>p  Qe'ila,  Am.  279  f. 
Daß  weitere  Fürstenstädte  hier  in  den  Amarnabriefen  nicht  genannt 
werden,  ist  sehr  auffallend;  vor  allem  würde  man  Hebron  (oder  ev. 
Qirjat-arba")  erwarten.  Doch  ist  zu  beachten,  daß  zahlreiche  Briefe  von 
Dynasten,  die  ihre  Stadt  nicht  nennen,  diesem  Gebiet  angehören.  — 
Im  Pap.  Anastasi  1  22  werden  Qirjat  sopher  =  Debir  südlich  von  Hebron 
(Jud.  ],  11  f.  =  Jos.  15,  15  f,)  und  das  dicht  daneben  gelegene  'Anab 
erwähnt  als  Qirjat-'anab  und  Bait  sopher,  mit  Vertauschung  von  Bait 
und  Qirjat  (W.  M.  Müller,  Asien  174);  Am.  256,  26  Chini-'anab,  d.i. 
'En-*anab. 

*)  Das  wäre  sicher,  wenn  in  der  Liste  no.  114  Qb'u  wirklich  — 
Geba'  in  Benjamin  ist;  aber  die  Anordnung  spricht  durchaus  dagegen, 
und  so  wird  es  ein  anderer  gleichnamiger  Ort  sein. 

^)  289,  23.  Sichem  kommt  vielleicht  schon  unter  der  12.  Dynastie 
vor:  Bd.  I  290. 


96  III-  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

zahlreichen  aus  der  israelitischen  Überlieferung  bekannten 
Ortsnamen  vorkommt^),  kann  nicht  Zufall  sein.  Vielmehr 
dürfen  wir  daraus  folgern,  daß  das  Gebirgsland  nördlich  von 
Jerusalem  damals  noch  so  gut  wie  unbewohnt  gewesen  ist^). 
Es  war  ein  Waldland,  das  abseits  lag  von  der  großen  Ver- 
kehrsstraße, die  durch  die  Küstenebene  und  dann  über  den 
Karmel  in  die  Ebene  Jezre'el  und  nach  Galilaea  führte,  und 
in  dem  es  wohl  einzelne,  vielleicht  gelegentlich  befestigte  Ge- 
höfte und  Dörfer  geben  mochte,  aber  noch  keine  größeren 
Oemeinden  mit  selbständigem  staatlichem  Leben ^).  So  erklärt 
es  sich,  daß  die  Israeliten  sich  hier  festsetzen  und  behaupten 
konnten,  während  sie  die  Festungen  in  den  Tälern  mit  ihrer 
kriegsgeübten  Bevölkerung  noch  lange  Zeit  hindurch  nicht 
zu  überwältigen  vermochten. 

Völlig  öde  lag  auch  das  zwischen  den  Bergwänden  zu 
iDeiden  Seiten  breit  und  tief  eingeschnittene,  glühend  heiße 
Jordantal  abwärts  von  Betse'an  und  Pella,  das  Ghor,  das  ja 
bis  auf  den  heutigen  Tag  so  gut  wie  unbewohnt  geblieben 
ist.  Es  ist  für  den  Volkscharakter  bezeichnend,  daß  hier  nie, 
wie  unter  den  im  wesentlichen  gleichen  Bedingungen  im  Nil- 
tal, der  Versuch  gemacht  worden  ist,  durch  systematische 
Bewässerung,  die  hier  ebensogut  möglich  wäre,  den  Boden 
auszunutzen  und  ertragsfähig  zu  machen;  erst  durch  diesen 
Vergleich  lernt  man  die  Energie  voll  würdigen,  mit  der  die 
Ägypter  Jahrtausende  hindurch  ihr  Land  zu  dem  ertrag- 
reichsten Ackerland  der  Erde  gemacht  haben.  Nur  ganz  im 
Süden  ist  am  Fuß  des  westlichen  Gebirges,  wo  mehrere 
Quellen  hervortreten,  in  Jericho  eine  fruchtbare  Oase  mit  einer 
festen  Stadt   entstanden.    Sie   hat   zur  Zeit   der   ägyptischen 


')  Vor  allem  würde  man  Lüz-Bet'el  erwarten. 

')  Zu  vergleichen  ist  die  späte  Besiedlung  der  deutschen  Mittel- 
gebirge nicht  nur  in  der  Römerzeit  (Hercynia  silva),  sondern  bis  weit 
in  das  Mittelalter  hinein. 

^)  Daß  das  Gebiet  der  Josephstämme  ein  von  ihnen  gerodetes 
Waldland  ist,  wird  Jos.  17,  14  f.  ausdrücklich  gesagt:  vgl.  Israeliten 
S.  512  ff. 


Das  Jordantal.    Phoenikien  97 

Herrschaft  bereits  bestanden  (o.  S.  86,  1),   und  es  kann  nur 
Zufall  sein,  daß  sie  damals  nie  erwähnt  wird. 

Nördlich  von  'Akko  und  dem  heiligen  Vorgebirge  beginnt 
die  Küstenlandschaft,  welche  die  Ägypter  Zahl  (s.  o.  S.  83,  1), 
wir  mit  dem  von  den  Griechen  gegebenen  Namen  Phoenikien 
nennen^).  Auch  hier  erstreckt  sich,  wie  in  Palaestina,  längs 
der  Küste,  nur  wesentlich  schmäler  und  mehrfach  durch  bis 
ans  Meer  vorspringende  Höhenzüge  unterbrochen,  ein  Streifen 
besten  Ackerlandes,  das  dann  allmählich  zu  den  Vorhöhen  des 
Libanon  aufsteigt;  der  Kamm  des  Hochgebirges  liegt  2  bis 
3  Meilen  von  der  Küste  entfernt  und  entsendet,  ganz  anders 
als  in  Palaestina,  außer  zahlreichen  Wadis  eine  große  Zahl 
wasserreicher  Flüsse   zum  Meer"-)-    So  bildet  Phoenikien  ein 


')  Sethe,  Mitt.  Vorderas.  Ges.  21.  191(5,  305  tf.  hat  (gegen  W.  M. 
Müller,  Asien  208  fl'.,  vgl.  Bd.  I  253  A.)  die  Ansicht  \vieder  auf- 
genommen, in  dem  ägyptischen  Ausdruck  „die  (oder  .alle')  Fenchu- 
länder"  liege  bereits  der  Name  Phoeniker  vor.  Dieser  Ausdruck  findet 
sich  schon  unter  Newoserre'  als  chaset  neb  fen[chli],  „alle  Fenchuländer", 
ÄZ.  45.  140,  und  dann  bei  Sinuhe  (B221);  im  Neuen  Reich  ist  er  als 
allgemeine  Bezeichnung  der  asiatischen  Fremdlande  ganz  geläufig,  oft 
in  Parallelismus  zu  Rezenu  oder  Menziu  und  im  Gegensatz  zu  Nubien. 
Determiniert  wird  fenchu  meist  mit  dem  Strick,  daneben  mit  den 
Zeichen  für  Ausländer  oder  Asiaten.  Es  wird  ein  altägyptisches  Wort 
für  die  besiegten  und  gefesselten  Barbarenländer  sein,  das  die  ge- 
tragene Sprache  beibehalten  hat;  seine  genauere  Bedeutung  läßt  sich 
nicht  teststellen;  aber  m.  E.  ist  es  zweifellos  ein  Adjektiv  und  kein 
Volksname.  Zu  OotvtxEi;  stimmen  weder  die  Konsonanten  noch  lassen 
sich  die  Vokale  in  dieser  Schreibung  unterbringen,  «totvi^i  ist  vielmehr 
ein  echt  griechisches  Wort,  gebildet  von  «potvöi;  „blutrot"  mit  dem 
Suffix  ik  (vgl.  W.  Schulze,  Ber.  Berl.  Ak.  1910,  803  f.),  Name  eines 
Flusses  an  den  Thermopylen  und  seines  Heros,  eines  Berges  in  Boeotien 
und  in  Karien,  eines  Gottes  und  eines  Ortes  auf  Kreta,  mit  zahl- 
reichen Weiterbildungen  (Stadt  Phoinike  in  Epirus,  Hafen  <t>oivwo5; 
bei  Erythrae,  Thuk.  VIII  34,  und  auf  Kythera,  Xen.  Hell.  IV  8,  7  u.  a.  m.). 
Die  Griechen  haben  wie  die  Produkte  der  fremden  Händler  (Purpur 
und  Palme),  so  auch  diese  selbst  damit  bezeichnet.  Den  Phoenikern 
selbst  ist  dieser  gänzlich  unsemitische  Name  natürlich  fremd;  sie  nennen 
sich  Sidonier,  ihr  Land  Kana'an. 

^)  Der    wahre  Charakter   der   phoeuikischen   Landschaft    ist    mir 
Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    H'.  V 


98  in.  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

fruchtbares  Kulturland,  dessen  reicher  Ernteertrag  (Getreide 
und  Wein)  von  den  Ägyptern  oft  hervorgehoben  wird.  Dazu 
kommt  der  Waldreichtum  des  Hochgebirges,  dessen  Zedern 
das  beste  Bauholz  liefern,  das  für  die  holzarmen  Länder  Ägyp- 
ten und  Babylonien  ein  heißbegehrtes  und  unentbehrliches 
Produkt  bildet. 

Politisch  zerfällt  dieses  Gebiet  nun  nicht,  wie  in  Palae- 
.stina,  in  eine  große  Zahl  kleiner,  sondern  in  vier  größere 
Stadtfürstentünier,  denen  die  Landorte  Untertan  sind :  Tyros, 
Sidon,  Berytos  und  Byblos.  Alle  vier  Städte  liegen  unmittel- 
bar an  der  Küste.  Zur  Ägypterzeit  sind  sie  bereits  im  vollen 
Aufblühen,  es  herrscht  ein  üppiges  Leben,  die  Häfen  liegen 
voll  Schiffen^),  die  kunstvollen  Metallarbeiten,  darunter  mit 
Silber  und  Gold  ausgelegte  Kriegswagen  und  vor  allem  Prunk- 
gefäße mit  Blumenaufsätzen  oder  in  Tiergestalt,  sind  ein  be- 
gehrter Artikel.  Kein  Zweifel,  daß  schon  seit  langem  ein 
reger  Verkehr  sowohl  mit  Ägypten  wie  mit  Cypern  und  der 
Welt  des  Ägaeischen  Meeres  bestand. 

Tyros  liegt,  ebenso  wie  das  sogleich  zu  erwähnende 
Arados,  auf  einem  kahlen  Felseiland,  dem  das  Wasser  aus 
der  gegenüberliegenden  Ortschaft  Usu  (Palaityros)  in  Kähnen 
zugeführt  werden  mußte,  Sidon  an  einem  den  Hafen  schützen- 
den Felsenriff,  das  ursprünglich  offenbar  auch  einmal  eine 
Insel  gewesen  ist.  So  gewinnt  man  den  Eindruck,  daß  die 
kana'anaeischen  Schiffer  und  Fischer,  die  sich  Sidonier  nennen, 
sich  an  diesen  vom  Lande  aus  nicht  angreifljaren  Punkten 
festgesetzt  haben,  um  von  hier  aus  das  dicht  besiedelte  Binnen- 
land zu  beherrschen.  Aus  diesem  bezogen  sie  ihre  Subsistenz- 
mittel  und  Arbeitskräfte,  während  in  den  Städten  Handel 
und  Industrie  sich  entwickelten.  Berytos  und  Byblos  dagegen 
liegen  zwar  auch  am  Meer,  aber  auf  niedrigen,  von  der 
Natur  wenig  geschützten  Anhöhen,  erscheinen  also  vielmehr 


erst    klar   geworden,    als   ich    sie   selbst   durchreisen   konnte.     Danach 
sind  die  Äußerungen  in  Bd.  I  356  zu  berichtigen. 

')  Thutuiosis  III.    zählt  hier   als  aus  Zedern  gebaute  Schiffe  auf: 
Kfti-schiffe  („Kretafahrer"),  Byblosschiffe  und  skt-schiSe. 


Die  Phoenikerstädte  99 

als  die  durch  organische  Entwicklung  entstandenen  Mittel- 
punkte ihres  Gebiets^).  Dem  entspricht  es,  daß  Byblos  (Gebal) 
bis  in  die  ältesten  geschichthch  erkennbaren  Zeiten  hinauf- 
reicht. Seit  den  Anfängen  der  Geschichte  Ägyptens  ist  es, 
wie  die  neuesten  Ausgrabungen  noch  weiter  bestätigt  haben'), 
mit  diesem  eng  verbunden.  Es  war  der  Hafen,  aus  dem  die 
Pharaonen  das  Zedernholz  für  ihre  Bauten  bezogen.  So  ist 
hier  der  ägyptische  Einfluß  immer  dominierend  gewesen,  die 
Göttin  (Ba'alat)  der  Stadt  wird  mit  Hathör  und  Isis  gleich- 
gesetzt, der  Osirismythus  hier  lokalisiert;  es  kann  fast  als 
eine  ägyptische  Kolonie  gelten.  Unter  der  zwölften  Dynastie 
sind  die  Könige  von  Byblos  Vasallen  der  Pharaonen.  Dem 
entspricht  es,  daß  gleich  nach  der  Wiederaufrichtung  des 
Reichs  dies  Verhältnis  wiederhergestellt  wurde:  der  Zug  des 
Amosis  nach  Zahi  wird  vor  allem  auf  Byblos  gerichtet  ge- 
wesen sein.  Ernstlichen  Widerstand  hat  er  schwerlich  ge- 
funden, weder  in  den  palaestinensischen  Küstenstädten  noch 
in  Phoenikien;  den  Handelsstädten  gebot  das  eigene  Interesse, 
sich  dem  jetzt  wieder  neuerstarkten  Reich  zu  fügen.  So 
haben,  soweit  wir  sehn  können,  die  Phoenikerstädte  seine 
Oberhoheit  auch  dann  nicht  angefochten,  als  Palaestina  und 
Syrien  den  Versuch  machten,  die  Fremdherrschaft  abzu- 
schütteln. 

An  der  Küste  des  Nosairiergebirges  liegt  noch  eine  fünfte, 
weithin  nach  Norden  vorgeschobene  Phoenikerstadt,  Arwad 
(Arados).  In  späteren  Berichten  wird  sie  mehrfach  genannt, 
aber  niemals  unter  Thutmosis  HL;  sie  hat  damals,  wie  die 
Amarnabriefe    bestätigen,     gestützt    auf    ihre    unangreifbare 


')  So  hat  es  vielleicht  wirklich  auch  ethnographische  Bedeutung, 
daß  in  der  Völkerliste  Jos.  13,  4  f.  die  Gibliter  von  Byblos  [in  dem 
Paralleltext  Jud.  3,  5  in  Chiwwiter  verschrieben,  s.  m.  Israeliten  S.  333  f-l 
von  den  Sidoniern  geschieden  werden;  die  Grenze  liegt  bei  Apheq  an 
der  Quelle  des  Nähr  Ibrahim,  mit  dem  berühmten  Heiligtum  des 
Adonis.  —  Berut  wird  im  Alten  Testament  nicht  erwähnt. 

2)  Übersicht  bei  Gressmann,  Byblos,  Z.  Alttest.  Wiss.  43,  1925,  22-5  ff. 
Vgl.  Bd.  I  229.  265.  857. 


100  III-  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Lage,  ihre  Unabhängigkeit  bewahrt^).  Südlich  davon  hegt 
der  tiefe  Einschnitt  des  Eleutherostals  (Nähr  el  Kebir),  das 
den  Libanon  im  Norden  begrenzt  und  durch  das  die  große 
Straße  von  der  Küste  ins  Orontestal  nach  Nordsyrien  und 
dem  Euphrat  führt.  Sie  ist  zu  beiden  Seiten  durch  eine  An- 
zahl befestigter  Städte  mit  semitischer  Bevölkerung  besiedelt 
('Arqa,  Simyra,  Ullaza,  Ardata).  Im  nördlichen  Libanon  und 
der  Biqä'  (Coelesyrien)  sitzt  der  semitische,  den  Kana'anaeern 
eng  verwandte  Volksstamm  der  Amoriter'^),  die  jetzt,  nach 
ihrer  weiten  Ausdehnung  im  8.  Jahrtausend,  auf  dies  Gebiet 
beschränkt  sind.  Sie  bilden  hier  ein  einheitliches  Fürstentum 
von  beträchtlichem  Umfang  und  haben  offenbar  vom  Ge- 
birge aus  die  Phoenikerstädte  oft  genug  durch  Raubzüge  be- 
lästigt. 

Lii  übrigen  Syrien  ist  die  Bevölkerung  in  dieser  Zeit 
noch  nicht  semitisch,  sondern  gehört  zu  den  Charriern.  Am 
Eingang  dieses  Gebiets  liegt  die  Stadt  Kinza'^),  eine  starke 
Festung  auf  einem  durch  den  Orontes  und  einen  Nebenfluß 
inselartig  eingeschlossenen  Hügel^).  Hier  stoßen  die  Straßen 
durch  das  Eleutherostal  und  durch  Coelesyrien  zusammen, 
und  die  Stadt  beherrscht  daher  auch  den  Zugang  nach  Nord- 
syrien. Sie  ist  der  Sitz  einer  großen  Göttin,  die  nach  den 
in  der  Religion  Kleinasiens  und  Syriens  herrschenden  An- 
schauungen auf  einem  Löwen  stehend  dargestellt  wird,  nackt, 

')  Die  bei  Th.  mehrfach  [genannte  Stadt  'rtut  ist  nicht  Arados, 
wie  man  früher  annahm,  sondern  Ardata  im  Eleutherosgebiet,  s.  u. 
S.  127,  1. 

2)  Vgl.  0.  S.  18,  2. 

')  So  heißt  sie  durchweg  in  den  Texten  aus  Boghazkiöi;  in  den 
Amarnabriefen  wird  bald  Kinza,  bald  Kidsa,  in  den  ägyptischen  Texten 
nur  Qds  geschrieben.  Daß  das  nicht,  wie  man  allgemein  annimmt, 
Varianten  der  Schreibung  oder  Aussprache,  sondern  nur  zwei  ver- 
schiedene Wörter  sein  können,  ist  klar,  und  ebenso,  daß  Kinza  der 
eigentliche  Name,  Qades  oder  Kidsa  „Heiligtum"  nur  ein  Beiname  ist. 

*)  Jetzt  Teil  Nebi  Mindu  südlich  von  Emesa  und  dem  dortigen 
See.  Die  Topographie  und  der  Verlauf  der  Schlacht  Ramses'  II.  ist  von 
Breasted,  The  battle  of  Kadesh,  Decennial  publications  of  the  Univ.  of 
Chicago,  1903,  eingehend  behandelt. 


Die  Stadt  Kinza  oder  Qades.    Nordsyrien  101 

mit  Blumen  und  mächtigen  Schlangen  in  den  Händen^).  Das 
Ansehn,  in  dem  diese  Kultusstätte  stand,  wird  dadurch  be- 
zeugt, daß  die  Göttin  seit  der  neunzehnten  Dynastie  in  Ägyp- 
ten weite  Verbreitung  gefunden  hat,  vor  allem  bei  den  Weibern. 
So  erklärt  es  sich,  daß  die  Ägypter  die  Stadt  einfach  Qades 
„das  Heiligtum"  nennen  und  so  auch  die  Göttin  in  der 
Regel  benennen'"). 

Nach  chetitischen  Berichten  (o.  S.  26)  ist  in  Nordsyrien 
Chaleb  (Aleppo)  ehemals  der  Sitz  eines  Großkönigtums  ge- 
wesen und  dann  vom  Chetiterreich  abhängig  geworden.  In 
den  Texten  der  achtzehnten  Dynastie  findet  sich  davon  keine 
Andeutung,  die  Stadt  wird  kaum  je  erwähnt,  auch  nicht  in 
den  Amarnabriefen.  Die  Landschaften  zu  beiden  Seiten  des 
Euphrat  und  das  Hügelland  im  Norden  der  mesopotamischen 
Wüste  bis  an  und  über  den  Tigris,  mit  Einschluß  von  Ninive 
und  wohl  auch  Südarmeniens,  bilden  das  Reich  Mitani  unter 
der  Herrschaft  seiner  arischen  Dynastie.  In  den  Amarna- 
briefen erscheint  durchweg  dieser  Name,  während  die  Königs- 
inschriften ihn  nur  selten  verwenden  und  statt  dessen  Naha- 
rain   „das  Land  am  Strom"    (Euphrat)  sagen. 

Weiter  südlich,  etwa  im  Bereich  des  unteren  Orontes, 
liegt  das  Reich  Nuchasse,  weiter  oberhalb  die  Städte  Sinzar 
(jetzt  Seidjar)  und  Tunip,  sowie  in  der  Nähe  des  Euphrat 
Ni  oder  Neje,    auf  die  wir  .später   noch    zurückkommen.    In 


'■)  In  den  ägyptischen  Darstellungen  ist  sie  zwar  en  face,  aber 
sonst  ganz  im  ägyptischen  Stil  gebildet,  mit  Haar  und  Kopfschmuck 
der  Hathor.    Gewiß  sahen  die  einheimischen  Kultbilder  ebenso  aus. 

^)  Auf  einer  Stele  in  London  trägt  sie  statt  dessen  den  nicht 
erklärbaren  Namen  Knt  oder  Kst.  Ihr  Kultname  wird  vermutlich 
Ba'alat  von  Qades  oder  Astarte  gewesen  sein;  in  den  Verträgen  aus 
Boghazkiöi  ist  ihr  Name  ideographisch  geschrieben  und  daher  unaus- 
sprechbar. Verbunden  wird  sie  in  Ägypten  regelmäßig  mit  dem  syri- 
schen Kriegsgott  Rsp  und  dem  ithyphallen  Min,  dem  ägyptischen  Gott 
der  Zeugung  und  Fruchtbarkeit.  —  Eine  weitere  von  den  Ägyptern 
übernommene  Göttin  ist  die  speziell  in  Palaestina  heimische  Kriegs- 
göttin 'Anat,  die  mit  Helm,  Schild  und  Schwert  bewaffnet  auf  dem 
Roß  dahersprengt. 


102  III-  I^e  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

den  ägyptischen  Texten  erscheint  hier  noch  ein  ganz  rätsel- 
hafter Volksnarae  Qt,  Qedu.  Thutmosis  III.  sagt  in  dem  Be- 
richt über  seinen  ersten  Feldzug,  daß  sich  die  Fürsten  aller 
aufständischen  Gebiete,  „bis  nach  Naharain  hin,  ...  die  Charu 
(Choriter)  und  Qedu  mit  ihren  Gespannen  und  Kriegern"  in 
Megiddo  vereinigt  hätten.  Später  erscheint  Qedi  als  Name 
eines  Gebiets  in  Nordsyrien,  vielleicht  mit  Einschluß  des  ebenen 
Kilikiens,  aus  dem  die  Ägypter  Bier  beziehn,  das  wir  in  Klein- 
asien seit  alters  als  einheimisches  Getränk  kennen  (o.  S.  17); 
sein  Fürst  ist  zur  Zeit  Ramses'  II.  ein  Vasall  des  Chetiter- 
reichs^).  So  scheint  hier  ein  alter,  später  verschollener  Volks- 
name vorzuliegen. 

Wie  stark  die  Bevölkerung  Syriens  gemischt  war,  haben 
wir  früher  schon  gesehn.  Unter  den  Truppen  erscheinen  als 
das  führende  Element  in  den  ägyptischen  Berichten  so  gut 
wie  in  den  Urkunden  aus  Boghazkiöi^)  die  Marjanni;  unter  den 
gefangenen  Kriegern  und  Kindern  werden  die  Angehörigen 
dieses  Militäradels  oft  besonders  hervorgehoben^).  Wir  dürfen 

*)  In  Luxor  hat  Ramses  IL  die  Eroberung  der  „Festung  Hm  .  .  . 
im  Lande  Qedi  im  Gebiet  von  Naharain"  dargestellt  (Fremdvölker- 
phot.  395.  Wreszinski,  Atlas  zur  äg.  Kulturgesch.  II  72).  Der  Name 
liegt  vielleicht  in  der  Angabe  Amarnabrief  75,  37  vor,  daß  der  Chetiter- 
könig  „alle  KliiitiVAndev"  erobert  hat.  —  Die  Lokalisierung  von  Qedi 
im  mittleren  Syrien  nebst  Phoenikien  bei  W.  M.  Müller,  Asien  242  ff., 
war  ein  Mißgriff;  überdies  hat  er  damit  nicht  nur  die  Stadt  Qadna, 
sondern  auch  mehrere  Stellen  zusammengeworfen,  wo  in  Wirklichkeit 
nbtu  qt  steht.  Das  ist  ein  allgemeiner  Ausdruck  für  Feinde  und  Re- 
bellen, und  bedeutet,  wie  das  Wörterbuch  gelehrt  hat,  in  Wirklichkeit 
„bösartig  von  Charakter".  (Daß  nbtu  immer  mit  der  Haarlocke  deter- 
miniert wird,  deutet  nicht  etwa  die  Tracht  an,  sondern  erklärt  sich 
dadurch,  daß  das  Wort  nbt  „Haarflechte"   bedeutet.) 

^)  So  in  Neje  {I\'iJ  in  dem  Vertrage  zwischen  Subbiluljuma  und 
Mattiwaza  ZI.  36  (Weidner.  Polit.  Dok.  aus  Kleinasien,  Boghazkiöistudien 
Heft  8);  vgl.  ZI.  36  über  Mitani. 

^)  So  von  Thutmosis  III.,  Amenemheb,  Amenophis  IL  Noch  unter 
Ramses  IL  heißen  die  vorgeführten  Gefangenen,  jetzt  teils  mit  cheti- 
titischen,  teils  mit  semitischen  Zügen  und  Tracht,  „Marjanni  von 
Naharain"  (Fremdvölkerphot.  329,  jetzt  bei  Wreszinski  II  76).  In  der 
Beate  aus  Tunip  in  Th.'s  Annalen  J.  29  werden   die   329  Gefangenen 


Die  Volksstämme  Syriens  103 

sie  in  den  Gestalten  von  rein  „europäischem"  Aussehn  im 
Grabe  Haremhebs  (o.  S.  34)  erkennen;  den  für  sie  charakte- 
ristischen Langschädel  zeigt  auf  dem  Streitwagen  Thut- 
mosis'  IV.  der  Fürst  von  Tunip,  mit  Vollbart,  aber  kahlem 
Schädel,  und  der  von  Naharain,  und  später  noch  die  aus 
einer  Statuenbasis  plastisch  herausgearbeitete  Vollansicht 
eines   „Großen  von  Naharain"^). 

Sehr  anschaulich  tritt  die  Verteilung  der  Bevölkerungs- 
elemente in  den  Eigennamen  der  Amarnatafeln  und  der  Texte 
aus  Boghazkiöi  hervor.  In  ganz  Nordsyrien  und  im  Orontes- 
tal  bis  nach  Kinza — Qades  hinauf  fehlen  semitische  Namen 
vollständig^),  die  große  Masse  der  Namen  gehört  der  char- 
rischen  oder  Mitanisprache  an,  daneben  finden  sich  einzelne 
arische.  Durchweg  semitisch  sind  dagegen  die  Namen  der 
Amoriterfürsten  und  der  Herrscher  der  phönikischen  Städte 
Tyros,    Sidon,    Berytos,   Byblos^)  —  aus  Arados    sind    keine 


als  üihr  bezeichnet,  wie  unter  Ramses  IL  das  chetitische  Fußvolk 
heißt;  das  wird  ein  charrisches  Wort  sein. 

')  Aus  Medinet  Habu,  jetzt  in  Kairo,  Freradvölkerphot.  252  bis 
254.  Einzelne  gleichartige  Gestalten  finden  sich  unter  den  gefangenen 
Asiaten  im  Grabe  des  Huy  in  Amarna  (Phot.  54)  und  in  dem  Relief 
Haremhebs  in  Karnak  (Phot.  304).  Kahlköpfig  und  bärtig  sind  die 
Fürsten  von  Qades  und  Tunip  auch  im  Grabe  der  Mencheperre'  senib, 
Phot.  599.  600,  im  Gegensatz  zu  dem  voran  knieenden  Chetiterfürsten. 
—  Abweichende  Haartracht  hat  auf  dem  Streitwagen  auch  der  Reprä- 
sentant von  Qades.  Der  von  Sinear  (Sngr,  d.  i.  Babylonien)  hat  lang 
herabfallendes  gelocktes  Haupthaar. 

^)  Die  einzige  Ausnahme  bietet  der  assyrische  Name  des  Adad- 
nirari  von  Nuchasse  (Am.  51).  dessen  Großvater  aber  den  Mitaninamen 
Taku  trägt;  auch  die  übrigen  Namen  der  Dynastie  (im  Vertrage  mit 
Subbiluljuma)  sind  nicht  semitisch.  Ebenso  trägt  der  Dynast  Dagan- 
takala  in  einem  Orte  Palae.>tinas  (Am.  317  f.)  einen  assyrischen  Namen. 
Hier  liegen  assyrische  Einwirkungen  vor,  die  sich  der  Erkenntnis  ent- 
ziehn;  zu  ihnen  gehört  auch  die  Übernahme  des  Dagon  als  Stadtgott 
der  späteren  Philisterstadt  Asdod. 

3)  Auch  Zimrida  von  Sidon  (144)  wird  semitisch  sein;  denselben 
Namen  trägt  329  der  Fürst  von  Lakis,  dessen  Vorgänger  oder  Nach- 
folger S28  Jabniel  heißt.  —  Daß  zur  Zeit  des  Mursilis  II.  der  Enkel 
des   Aziru    statt    eines    semitischen   Namens    den    Namen   Dubbitesup 


104  1^1-  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Namen  überliefert  — ,  während  die  Herrscher  von  'Akko 
fremde  Namen  tragen^).  In  Palaestina  dagegen  sind  zwar 
natürliche  semitische  Namen  auch  vertreten,  aber  in  verhält- 
nismäßig geringer  Zahl;  weitaus  überwiegen  die  fremden 
Namen,  und  darunter  neben  den  charrisch-mitanischen  ge- 
rade hier  nicht  wenige  arische.  Das  stimmt  zu  den  Gestalten 
der  Gefangenen,  die  im  Grabe  Haremhebs  so  lebenstreu  dar- 
gestellt sind;  vielleicht  sind  es  in  der  Tat  die  Nachkommen 
der  Hyksosscharen,  die  hier,  in  zahllose  kleine  Fürsten- 
tümer zersplittert,   die  Herrschaft  bewahrt  haben. 

Thutmosis'  I.  Feldzug  nach  Syrien 

Gleich  nach  Bezwingung  Nubiens  ist  Thutmosis  I.  „nach 
Syrien  (Rezenu)  gezogen,  um  sein  Herz  zu  baden  unter  den 
Fremdvölkern".  Wie  es  scheint,  ist  er  in  raschem  Zuge  bis  ins 
Euphratgebiet  vorgedrungen;  hier  erfocht  er  einen  großen 
Sieg  über  den  Fürsten  von  Naharain,  zahlreiche  Streitwagen 
wurden  erbeutet,  Scharen  von  Gefangenen  zu  Fronarbeiten 
nach  Ägypten  geschleppt.  Im  Gebiet  der  Stadt  Ni  (Neje), 
westlich  vom  Euphrat,  konnte  er  auf  die  Elefantenjagd  gehn 
—  noch  Jahrhunderte  später  gab  es  derer  in  diesen  Gegen- 
den — ;  die  erbeuteten  Zähne  hat  er  dem  Amon  von  Theben 
geweiht.  Zum  ersten  Male  erblickten  die  Ägypter  hier  wieder 
einen  großen  Strom,  der  zu  ihrem  Erstaunen  in  umgekehrter 
Richtung  floß  wie  der  Nil.  Am  jenseitigen  Ufer  errichtete 
er,  wie  tief  in  Nubien  bei  Tombos,  eine  Siegestafel;  er  konnte 
sich  rühmen,  daß  seine  Macht  sich  „vom  Hörn  der  Erde  bis 
zu  den  Hinterlanden  Asiens*)"  erstrecke,  daß  „der  ganze  Um- 


trägt, ist  als  Einwirkung  der  politischen  Umwandlung  durchaus  be- 
greiflich. 

')  Sarätum  oder  Zurata  und  sein  Sohn  Sutatna  oder  Zatatna, 
Am.  8,  19.  232  ff. 

2)  pehu  Sätet  oderpe/m  to.  Mehrfach  wird  dann  auch  der  Name 
yaunebu  und  der  ihres  Meeres  fpchr  uerj  auf  die  Euphratlandschaft 
übertragen,  so  z.  B.  bei  Mencheperre'senib,  Sethe  Urk.  930,  16  (neben: 


Thutmosis  I.  in  Syrien  105 

kreis  der  Sonne  ihm  Frondienste  leiste,  überall  bei  seinem 
Namen  geschworen  werde";  er  habe  „Ägypten  zum  Ober- 
haupt, jedes  Land  zu  dessen  Leibeignen  gemacht:  nie  war 
unter  einem  anderen  König  desgleichen  geschehn  noch  in 
den  Annalen  der  Vorfahren  bis  zu  den  Horusverehrern  hinauf" 
—  Wendungen,  die  dann  seine  Nachfolger  immer  aufs  neue 
wiederholen  und  variieren.  Weitere  Kunde  über  die  Einzel- 
heiten fehlt  in  unserem  dürftigen  Material,  und  wir  können 
nicht  feststellen,  wie  weit  nach  Norden  hin  der  Machtbereich 
des  Pharao  sich  erstreckt  hat  und  wie  weit  er  wirklich  ge- 
festigt war;  doch  kann  nicht  zweifelhaft  sein,  daß  neben  der 
Regelung  der  Abgaben  der  unterworfenen  Gebiete  mancherlei 
diplomatische  Verhandlungen  mit  den  Nachbarstaaten,  mit 
dem  jetzt  auf  das  Land  östlich  vom  Euphrat  beschränkten 
Mitanireich,  mit  Babylonien  und  Assyrien  und  wohl  auch  mit 
dem  Chetiterreich  und  mit  Cypern  einhergegangen  sind. 


Beziehungen  zu  Kreta.   Die  Kafti 

Dauernd  erhalten  hat  sich  die  Verbindung  mit  Kreta 
und  der  ägäischen  Welt.  In  den  ägyptischen  Texten  wird 
sie,  wie  herkömmlich,  als  Oberhoheit,  die  von  den  Gesandt- 
schaften überbrachten  Geschenke  als  Tribut  dargestellt.  So 
rühmt  sich  Thutmosis  I.  der  Herrschaft  über  die  Haunebu 
und  die  Inseln  des  großen  Meeres^),  und  seine  Nachfolgerin  Hat- 
sepsut  nennt  sich  gelegentlich  ^König  (ati)  der  Haunebu"^). 


Mitani  931,  1)  und  bei  Ramses  II.  in  Luxor  (Kopien  des  Wörterbuchs): 
„die  Haunebu  der  phu  Sätet  sind  unter  deinen  Füßen".  Vgl.  auch  den 
Konstantinopler  Obelisken  Thutmosis'  III..  Sethe  584,  13. 

1)  Inschrift  von  Tombos  ZI.  4  und  16;  ähnlich  Thutmosis  II.  Sethe 
Urk.  13>:,  2,  Thutmosis  III.  Sethe  203.  17.  573,  1. 

2)  Sethe  284,  4  und  danach  ergänzt  282,  3.  In  dem  Text  aus  Der 
el  Bahri  233,  13  f.  benutzt  sie  die  Wendungen  des  Amosis  bei  Sethe 
S.  17,  7  ff.;  so  erklärt  es  sich,  daß  hier  die  Haunebu  widersinnig  zwischen 
den  drei  Klassen  der  Ägypter  stehn,  was  dann  in  der  Folgezeit  bis  auf 
Ramses  III.  hinab  immer  wieder  kopiert  wird. 


106  III.  Die  Aufrichtung  des  ägyiitischen  Weltreichs 

Eine  Gesandtschaft  haben  ihr  Minister  Senmut^)  und  der 
Vezir  User^)  in  ihren  Gräbern  abbilden  lassen:  Männer  mit 
gerader  Nase  und  Stirn,  langem  in  Strähnen  über  die  Schultern 
fallendem  Haupthaar,  mit  hochgekämmten  Stirnlocken,  ohne 
Bart.  Sie  tragen  stiefelartige  Sandalen,  deren  Riemen  um 
die  Waden  gewickelt  sind.  Der  Leib  ist  durch  einen  reich- 
gezierten Gürtel  eng  zusammengeschnürt;  ein  buntgesäumter 
Schurz  liegt  auf  den  Hüften,  vorn  hängt  ein  großes  Futteral. 
Gestalten  und  Tracht  stimmen  vollständig  überein  mit  den 
Darstellungen  der  Kreter  auf  den  gleichzeitigen  einheimischen 
Denkmälern^),  die  zugleich  zeigen,  daß  dieses  Futteral  eine 
mißverstandene  Nachzeichnung  der  kretischen  Phallustasche 
ist;  offenbar  hat  der  ägyptische  Künstler,  wie  auch  die  wes- 
penartige Einschnürung  zeigt,  nach  einer  kretischen  Vor- 
lage gearbeitet.  Auch  die  Gaben,  die  sie  bringen,  Gefäße 
von  Silber,  Gold  und  Kupfer,  sind  in  Gestalt  und  Technik 
und  in  der  reichen  Ornamentik  echt  kretische  Erzeugnisse, 
ebenso  das  Schwert,  das  einer  der  Männer,  offenbar  der 
Führer  der  Gesandtschaft,  in  Paradehaltung  an  die  Schulter 
lehnt'). 

Im  Grabe  Senmuts   ist    den  Kretern   kein  Name   beige- 
fügt'');   bei  User   und    in    anderen   Gräbern    der   Zeit   Thut- 


')  Gegenwärtiger  Zustand :  W.  M.  Müller,  Egyptol.  Res.  (1906), 
Taf.  5—7;  Fremdvölkerphot.  742  (danar-h  auf  Taf.  II).  Farbige  Photo- 
graphie bei  Hall  im  Annual  of  the  Brit.  School  at  Athens  XVI  1909, 
Titelbild.  Sehr  wertvoll  ist  die  sorgfältige  Zeichnung  von  Hay  im  Brit. 
Mus.  (bei  Hall  1.  c.  pl.  14),  die  noch  zwei  jetzt  verlorene  Figuren  be- 
wahrt. 

2)  Davies  im  Bull.  Metropol.  New  York  1926,  41  ff. 

^)  Zusammengestellt  bei  Kurt  Müller,  Friihmyken.  Reliefs,  Jahr- 
buch arch.  Inst.  30,  1915.  Im  übrigen  siehe  die  sorgfältige  Behandlung 
des  gesamten  Materials  bei  Fimmen,  Kretiscli-myken.  Kultur  (1921)  181  ff. 

*)  Erhalten  bei  Hay;  vgl.  dazu  den  Becher  von  Hagia  Triada  bei 
Kurt  Müller  S.  244  (danach  auf  Taf.  III). 

')  Er  fehlt  auch  in  dem  gleichzeitigen  Grabe  des  Puemre'  (s.  die 
große  Publikation  des  Grabes  von  de  Garis  Davis;  Fremdvölkerphot.  779). 
Als  „Magnaten  der  Fremdvölker,  die  in  Frieden  kamen",  sind  darge- 
stellt  ein    Asiate    in   langem   Rock   mit    kurzgeschorenem    Haar,   ein 


Die  Kafti  von  Kreta  107 

mosis'  III.  heißen  sie  Kaftiu.  Am  wichtigsten  ist  das  große 
Oemälde  aus  dem  Grabe  des  Vezirs  Rechmere'^),  des  Nach- 
folgers Users.  In  langer  Reihe  führt  er  dem  König,  neben 
den  Gesandtschaften  anderer  Völker,  die  „Magnaten  von  Kafti 
und  den  Inseln  im  großen  Meer"  vor,  „die  in  Frieden  kommen, 
das  Haupt  neigend  vor  der  Majestät  König  Thutmosis'  III.; 
sie  haben  seinen  Sieg  über  alle  Lande  gehört  und  bringen 
ihre  Gaben  auf  dem  Rücken".  Dargestellt  sind,  wie  bei 
Senmut  und  User,  die  Erzeugnisse  des  kretischen  Kunsthand- 
werks, Becher  und  Kannen,  Deckel  in  Gestalt  von  Löwen-, 
Stier-,  Greifen-,  Steinbockköpfen,  daneben  große  Prunkschalen 
aus  Edelmetall  mit  auf  den  Rand  aufgesetzten  Blüten  (da- 
zwischen einmal  der  Kopf  eines  Steinbocks),  die  unter 
dem  Einfluß  ägyptischer  Vorbilder  gearbeitet  sind"^).  Dazu 
kommen  Barren  von  Kupfer  und  Edelmetall  in  der  dafür  in 
der  ägaeischen  Welt  üblichen  Form,  Haufen  von  Silber  und 
Gold  in  Ringform,  Perlenketten,  ferner  ein  Elefantenzahn. 
Gestalt  und  Haartracht  dieser  Kaftier  stimmt  mit  den  Ge- 
sandten bei  Senmut  und  User  sowie  mit  den  Kretern  völlig 
überein,  ebenso  das  Schuhzeug;  um  die  Lenden  dagegen 
tragen  sie  bei  Rechmere'  einen  bunten  Schurz  mit  gesticktem, 
vorne   spitz    zulaufendem   Saum,    der   die    Scham   verhüllt^). 


anderer  mit  langem  Haar  unrl  Linnenschurz,  ein  dritter,  der  in  Ge- 
sichtsbildung und  Haartracht  mit  den  Kretern  Senmuts  übereinstimmt, 
aber  (ofi'enbar  irrtümlich)  einen  Linnenschurz  trägt  (auch  die  Schuhe 
fehlen),  endlich  ein  Libyer. 

')  Ältere  Publikationen  bei  Hoskixs,  Travels  in  Ethiopia,  1835 
und  WiLKiNSON,  Manners  and  customs  1837;  neue  von  Virey,  Mem.  de 
la  mission  fran9.  V  1,  1889.  Texte  bei  Sethe  ürk.  1093  ff.  Viele  Einzel- 
abbildungen namentlich  bei  1'risse  d'AvENNES,  Hist.  de  l'art  eg.  Fremd- 
völkerphot.  772—774.  Besonders  wertvoll  sind  nuch  hier  die  Zeichnungen 
von  Hay  im  Brit.  Mus.  (danach  auf  Taf.  II  2  und  III 1),  die  noch  manche 
seither  verblaßte  Züge  erkennen  lassen, 

^)  H.  Schäfer,  Die  altäg.  Prunkgefäße  mit  aufgesetzten  Rand- 
verzierungen, in  Sethe's  Untersuch,  zur  Gesch.  Äg.  IV  1905;  zum  Ur- 
sprung siehe  besonders  S.  42  f. 

'j  Daher  fehlt  hier  natürlich   die  Phallustasche.    Bei  dem  ersten 


108  III.  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Zwei  Männer  tragen  statt  dessen  ein  geflecktes  Tierfell  mit 
langem  haarigen  Schwanz^).  Dazu  ist  das  Gegenbild  auf 
Kreta  in  den  ebenso  gekleideten  Gestalten  des  sog.  Prozes- 
sionfreskos aus  dem  Palast  von  Knossos  erhalten'-),  die  Ge- 
fäße tragen,  die  mit  denen  bei  Rechmere'  übereinstimmen. 
Man  hat  vermutet,  das  seien  Abgesandte  eines  anderen, 
demselben  Kulturkreise  angehörenden  Volkes,  etwa  der  Ky- 
donen  im  Westen  Kretas  oder  einer  benachbarten  Insel  oder 
Küste.  Indessen  erweisbar  ist  das  nicht,  und  die  Verfeinerung 
der  Tracht  ist  leicht  begreiflich,  zumal  bei  einer  Gesandt- 
schaft an  dem  Pharaonenhof;  überdies  ist  auch  auf  Kreta 
die  ältere  Tracht  mehrfach  in  ein  größeres  Schurztuch  um- 
gewandelt^). 

Wir  dürfen  daher  die  Kafti  als  Kreter  betrachten'^),  und 
ihren  Namen   zugleich   mit   dem   Namen    Kaptor  verbinden, 


Mann  endet  die  Schnur,  mit  der  der  Schurz  um  den  Leib  gelegt  ist, 
in  Troddeln  in  Blütenform  (in  der  vortrefflichen  Zeichnung  Hay's  voll- 
ständig erhalten),  die  später  in  den  ägyptischen  Darstellungen  mehrerer 
Seevölker  sowie  in  den  Elfenbeinschnitzereien  von  Enkomi  (Excava- 
tions  in  Cyprus,  1900,  pl.  I)  wiederkehren. 

')  Auf  der  Abbildung  Taf.  II  no.  3  und  12  der  Reihe. 

^)  Die  am  vollständigsten  erhaltene  Figur  bei  Dussaud,  Civil, 
prehellen.  p.  60  (danach  Taf.  III  2)  und,  sehr  ungenau,  bei  Lagranüe, 
La  Crete  ancienne  auf  dem  Titelbild;  eine  andere  ib.  p.  142. 

^)  So  auf  den  Siegeln  bei  Mackenzie,  Annual  XII  241  (=  Evans, 
Scripta  Minoa  331).  Auch  bei  der  Bronze  aus  Tylissos,  Hatzidakis, 
E(p.  apx.  1912,  Tafel  17,  ist  die  Phallustasche  durch  ein  Schurztuch  ver- 
deckt; vgl.  auch  die  Bronzefigur  eines  Kreters  mit  langem  Haar  in  An- 
betungsgestus  aus  der  Lasithihöhle  bei  Evans,  Palace  6^2. 

*)  Daß  die  Gleichsetzung  von  Keft  mit  Phoenikien  im  Dekret 
von  Kanopos,  der  man  (so  auch  ich)  früher  unbedacht  iolgte.  in 
schroffem  Widerspruch  zu  den  Darstellungen  wie  zu  den  Textangaben 
der  älteren  Zeit  steht,  hat  zuerst  W.  Max  Müller,  Asien  und  Europa 
nach  altäg.  Denkm.  (1893),  S.  337  ff.,  erwiesen.  Seine  Deutung  auf 
Kilikien  freilich  (daß  Wainwright,  The  Keftiu  people,  in  den  Liver- 
pool Annais  of  Areheol.  VI  1914  sie  wieder  aufgenommen  hat,  war 
ein  starker  Mißgriff)  war  nicht  haltbar;  kurz  darauf  haben  die  Funde 
auf  Kreta  die  volle  Aufklärung  gebracht. 


Gesandtschaften  der  Kafti  von  Kreta  nach  Ägypten  109 

der  in  der  israelitischen  und  assyrischen^)  Überlieferung  die 
große  Insel  im  Westmeer  bezeichnet. 

Bilder  wie  das  bei  Rechmere'  kehren  aus  wenig  späterer 
Zeit,  unter  Amenophis  IL,  in  den  Gräbern  des  Schatzmeisters 
und  ersten  Propheten  des  Amon  Mencheperre'senib  und  des 
Oenerals  Amenemheb  wieder.  Aber  hier  haben  die  Künstler 
nicht  mehr  sorgfältig  gearbeitet  und  die  verschiedenen  Volks- 
tünier  durcheinander  geworfen.  So  stehn  bei  Mencheperre'- 
senib'0  an  der  Spitze  der  Gesandten  ein  Magnat  von  Kaftu,  von 
Cheta,  von  Tunip  und  von  Qades  —  einige  andere  Beischriften 
sind  zerstört  — ;  aber  der  Kaftier  hat  kahlen  Kopf,  Bart  und 
Linnenschurz,  der  Chetiter  semitische  Züge  und  Haartracht, 
der  von  Tunip,  der  seinen  kleinen  Sohn  an  den  Hof  bringt, 
ist  kahlköpfig  und  bärtig,  in  langem  Leinenrock,  ebenso  der 
von  Qades.  Dann  aber  folgt  eine  lange  Reihe  von  wirklichen 
Kaftiern  in  derselben  Gestalt  und  Kleidung  wie  bei  Rechraere' 
und  mit  Gaben  gleicher  Art;  darunter  stehn  zwei  Reihen  von 
Asiaten,  ein  weiteres  Bild  stellt  Gaben  aus  dem  Süden  dar. 
Im  Grabe  Amenemhebs^)  sollen  nach  den  Beischriften  die 
Magnaten  von  Ober-  und  Unterrezenu  und  die  von  Kaftu  dar- 
gestellt sein;  aber  die  ethnographischen  Züge  sind  völlig  ver- 
nachlässigt ^  und  das  Bild  daher  für  uns  ohne  Wert'^). 


')  Hier  ist  er  zum  ersten  Male  in  dem  Text  aus  der  Sargonsage, 
0.  S.  15,  1  (Schröder,  Keilschrifttexte  verschiedenen  Inhalts  92,  41),  auf- 
getaucht. —  Kaptor  klingt  an  Karpathos  an;  aber  auf  diesem  lang- 
gestreckten schmalen  Felseiland  wird  niemand  die  Heimat  der  Philister 
suchen.  Möglich  ist  dagegen,  daß  beide  Namen  zusammenhängen,  und 
Kaptor  wie  Kafti  einen  größeren  Teil  der  ägaeischen  Inselwelt  zu  einer 
Einheit  zusammenfaßte. 

-)  ViREY,  Mem.  de  la  mission  au  Caire  V  2,  1891.  Fremdvölker- 
phot.  596— 6Ü0.  721.    Die  Texte  bei  Skthe  Urk.  928  ff. 

3)  Gleichfalls  bei  VmEY.  Fremdvölkerphot.  594.  595.  Text  bei 
Sethe  907  f.  (Ganz  verfehlt  sind  W.  M.  Müller's  Bemerkungen  darüber, 
Mitt.  Vorderas.  Ges.  1904,  2  S.  39  ff.) 

*)  Sie  sind  alle  bärtig,  teils  kahlköpfig,  teils  mit  langem  lockigem 
Haupthaar,  und  tragen  syrische  Gewänder,  und  zwar  abwechselnd  den 
langen  Rock  oder  das  streifenartig  um  den  Leib  gewickelte  Tuch. 

^)  Erwähnt  sei  auch,  daß  sich  im  Grabe  Thutmosis'  IV.  das  Frag- 


110  III-  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Der  rege  Verkehr  mit  Kreta  und  der  ägaeischen  Welt 
wird  durch  die  dauernde  Wechselwirkung  beider  Kulturen  auf 
künstlerischem  Gebiete  bestätigt.  Von  einer  Oberherrschaft 
Ägyptens  kann  keine  Rede  sein,  auch  nicht  zur  Zeit  Thut- 
mosis'  III.,  und  an  gleichartigen  Gesandtschaften  und  Ge- 
schenken von  Ägypten  aus  wird  es  nicht  gefehlt  haben;  aber 
auch  wenn  wir  die  maßlosen  Übertreibungen  der  Königs- 
inschriften beiseite  lassen,  tritt  die  Machtstellung  des  Pharao- 
nenreichs in  den  reichen  Gaben,  welche  die  Fürsten  von 
Kreta  der  Hatsepsut  —  und  offenbar  schon  ihren  Vorgängern 
—  gesandt  haben,  deutlich  hervor. 


Königin  l;latsepsut 

Thutmosis  I.  ist  etwa  um  1520  gestorben^);  sein  gleich- 
namiger   Sohn,    der   ihm    nach   dem   Tode   mehrerer   älterer 


ment  eines  Steingefäßes  mit  seinem  Namen  und    der  Inschrift  „Gefäß 
von  Kaftu"  gefunden  hat  (Tomb  of  Th.  IV.  p.  17  no.  46  082). 

*)  Da  Thutmosis  III.  (Hatsepsut)  um  1505  zur  Regierung  kam 
(s.  0.  77,  1).  bleiben  für  Amenophis  L,  Thutmosis  I.  und  II.  rund  50  Jahre 
(1557/4—1505).  Dazu  stimmen  die  Biographien :  der  Admiral  A'hmose, 
geb.  um  1595,  stirbt  unter  Thutmosis  I.;  A'hmose  pen-Nechbet,  geboren 
um  1580,  hat  noch  unter  hatsepsut  als  „Amme"  ihrer  Tochter  Nofrure', 
also  bis  nach  1500,  gelebt;  Pen'ati  (Sethe  ürk.  52)  ist  Oberbaumeister 
unter  Amenophis  I.,  Thutmosis  I.  und  IL;  die  amtliche  Laufbahn  des 
Aneni  (Sethe  53  ff)  reicht  von  Amenophis  I.  bis  IJutsepsut.  Eine  frag- 
mentarische Inschrift  bei  Daressy,  Ann.  du  serv.  I  99,  ist  aus  dem 
18.  J.  Th.  II.  datiert;  wenn  Name  und  Zahl  richtig  sind,  müßte  dieser 
schon  etwa  um  1520  zur  Regierung  gekommen  sein;  da  er  nach  Aus- 
weis seiner  Mumie  jung  gestorben  ist,  kann  er  bei  seiner  Thronbestei- 
gung kaum  schon  erwachsen  gewesen  sein.  —  Sethe,  Die  Thronwirren 
unter  den  Nachfolgern  Thutmosis'  I.,  Unters,  zur  Gesch.  Äg.  I,  1896, 
hat  versucht,  die  ältere  Anordnung  der  Königsfolge,  zu  der  uh  wieder 
zurückgekehrt  bin,  umzustoßen  :  Thutmosis  I.  sei  durch  seine  Gemahlin 
auf  den  Thron  gekommen  (vgl.  S.  76)  und  habe  nach  deren  Tode 
abdanken  müssen,  sein  unmittelbarer  Nachfolger  sei  Thutmosis  IIL, 
gegen  den  zeitweilig  seine  Gemahlin  Hatsepsut  und  dann  nochmals 
Thutmosis  I.  sowie  Thutmosis  II.  und  dann  wieder  liatsepsut  zu 
Königen  oder  Mitregenten  erhoben  seien.  Diese  äußerst  künstliche 
Konstruktion  ist  vielfach  ungeprüft  als  gesichert  angenommen  worden. 


Thutmosis  IL  11| 

Brüder  folgte,  scheint  noch  ein  Knabe  gewesen  zu  sein.  Der 
Thronwechsel  gab,  wie  gewöhnlich,  das  Signal  zu  einem 
Aufstand  in  Nubien,  unter  Führung  eines  Häuptlings  aus 
dem  Norden  von  Kusch  und  zweier  Trogodytenhäuptlinge^). 
Der  König  schwur,  die  gesamte  männliche  Bevölkerung,  die 
am  Aufstand  beteiligt  war,  auszumorden,  und  sein  Heer 
hat  das  Gelübde  ausgeführt;  nur  ein  Sohn  des  Kuschiten- 
häuptlings  wurde  mit  seinen  Leuten  nach  Theben  geschleppt 
und  hier  beim  Siegesfeste  „unter  die  Füße  des  guten  Gottes 
gelegt".  Offenbar  sind  sie  dann  vom  König  vor  Amon  nieder- 
gehauen worden,  wie  Agag  von  Jahwe,  eine  Szene,  die  als 
Abschluß    der    Kriegszüge    regelmäßig   in    den  Tempelreliefs 

so  von  Steindorff  und  Breasted;  bekämpft  ist  sie  von  Naville,  ÄZ.  85 
und  37,  sowie  Rec.  21,  201;  dagegen  Skthe,  ÄZ.  36.  Die  Behauptung, 
daß  Tiiutmosis  I.  unter  Hatsepsut  im  Tempel  v  n  Der  el  Bahri  als 
lebend  dargestellt  sei,  also  abgedankt  haben  müsse,  hat  Naville,  ÄZ.  37, 
53  urkundlich  widerlegt:  nicht  er  selbst  ist  in  einer  Prozession  dar- 
gestellt, sondern  seine  Statue.  Daß  der  von  Thutmosis  III.  durchweg 
getilgte  Name  der  Flatsepsut  vielfach  nicht  durch  Th.  III.,  sondern 
durch  Th.  I.  oder  II.  ersetzt  ist,  beweist  nicht,  daß  diese  selbst  die 
Änderungen  vorgenommen  haben,  sondern  daß  Th.  III.  seine  beiden 
Vorgänger  ehren  wollte,  was  wir  auch  sonst  wissen.  [Ganz  undenkbar 
ist  überdies,  daß  Hatsepsut,  wenn  sie,  wie  Sethe  annimmt,  nachher 
noch  wieder  zur  Herrschaft  gelangt  wäre,  diese  Zerstörungen  nicht 
wieder  rückgängig  gemacht  haben  sollte.]  Völlig  ignoriert  hat  Setiie 
die  Zeugnisse  der  Biographien,  die  sämtlich  angeben,  daß  auf  Th.  I. 
zuerst  Th.  IL,  dann  Th.  III.  mit  I.Iatsepsut  gefolgt  ist:  Biographie  des 
A'hmose  pen-Nechbet,  Sethe  ürk.  34.  36.  38  f.;  eines  „Königssohns  von 
Kus"  ib.  40  f.;  des  Aneni  ib.  53  ff.;  des  Len'ati  ib.  52.  Auch  ist  die 
Regierung  Th.  IL  keineswegs  in  den  Jahren  des  Th.  IIL  einbegriffen, 
wie  Sethe  annahm,  sondern  wird  immer  gesondert  gerechnet,  und  Th.  IL 
hat  einen  anderen  Antrittstag  als  Th.  III.  (Sethe,  Unters.  S.  11),  während 
IJatsei)sut  ihre  Jahre  natürlich  ebenso  zählt  wie  Th.  III ,  und  ihre 
Regierung  in  der  des  letzteren  inbegriffen  ist.  —  Im  übrigen  wird 
durch  die  Art,  wie  Sethe  sowohl  Hatsepsut  wie  Thutmosis  III.  lediglich 
zu  Werkzeugen  eines  ununterbrochenen  Intrigensiiiels  macht,  der  in 
allen  Zeugnissen  deutlich  hervortretende  energische  Charakter  beider 
Persönlichkeiten  vollständig  verkannt. 

')  Mit  ünretht  hat  Sethe,  ÄZ.  36,  in  einer  hier  gebrauchten  Wen- 
dung eine  Anspielung  auf  Hatsepsut  gesucht. 


112  I'l-  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

dargestellt  und  gewiß  nicht  immer  lediglich  symbolisch  zu 
verstehii  ist.  —  Sonst  erfahren  wir  nur  noch  von  einem 
Feldzug  gegen  die  Beduinen  (Sos)  in  den  Grenzgebieten 
Palaestinas. 

Thutmosisll.  war  vermählt  mit  seiner  Stiefschwester Hatse- 
psut.  der  Tochter  der  A'hmose,  der  Hauptgemahlin  seines  Vaters. 
Er  scheint  nach  Ausweis  seiner  Mumie  kränklich  gewesen  und 
jung  gestorben  zu  sein.  Söhne  hatte  er  nicht;  so  adoptierte  er 
seinen  jungen  Stiefbruder,  der  gleichfalls  den  Namen  Thut- 
mosis  führt,  und  erhob  ihn  zum  Mitregenten,  indem  er,  nach 
dem  dafür  herkömmlichen  Zeremoniell,  den  jungen  Prinzen, 
der  eben  erst  ein  untergeordnetes  Priestertura  bekleidete,  auf 
Geheiß  des  in  der  heiligen  Barke  von  den  Priestern  getragenen 
Fetisches  Amons  vor  den  Augen  der  Gläubigen  aus  der  Tempel- 
halle herausholen  und  krönen  ließ^).  Nach  seinem  Tode  (um 
1505)  wurde  er  offiziell  sein  Nachfolger;  tatsächlich  aber  hat 
Hatsepsut,  die  schon  unter  Thutmosis  II.  das  Regiment  ge- 
führt haben  mag,    die  Herrschaft   ergriffen.    Sie  erhob    den 

■)  Ausführliche  Schilderung  im  offiziellen  Stil  in  einer  Rede  des 
Königs  aus  späterer  Zeit  in  Karnak:  Sethe  S.  155  ff.  (Breasted,  A  new 
chapter  in  Setue's  Unters  II);  kürzere  und  sachlichere  Darstellung 
am  7.  Pylon  in  Karnak:  Legrain,  Ann.  du  serv.  II  274  ff.,  Sethe  177  ff'., 
wonach  Th.  III.  durch  Amon  zum  König  erhoben  wird  ,zur  Seite 
seines  Vaters  Th.  11."  und  dann  am  4.  Pachons  seine  Alleinregierung 
beginnt.  Wie  hier  nennt  Th.  III.  den  Th.  II.  seinen  Vater  auch  auf 
dessen  von  ihm  in  seinem  42.  Jahre  restaurierter  Statue  LD.  III  16b, 
Sethe  S.  606;  ebenso  bei  Aneni,  Sethe  S.  59,  15.  Da  er  aber  auch  den 
Th.  I.  seinen  Vater  nennt  (Annalen  J.  33,  ferner  Sethe  S.  840.  847), 
kann  Th.  IL  nur  sein  Adoptivvater  gewesen  sein.  Aus  der  Zeit  ihrer 
gemeinsamen  Regierung  stammt  die  Architravinschrift  aus  Abydos: 
Petrie,  Abydos  pl.  61  und  64,  jetzt  in  Berlin:  Äg.  Inschr.  der  kgl.  Mu- 
seen II  S.  389  no.  15  980  (bei  Sethe  Urk.  S.  145  unvollständig!).  — 
hatsepsut,  sicher  Tochter  des  Th.  L,  heißt  Schwester  des  Th.  III.  bei 
Aneni,  Slthe  S.  60,  1,  und  in  der  Inschrift  des  Auebni,  Sethe  S.  4H4. 
Auf  der  Berliner  Stele  Inschr.  d.  Museums  103  no.  15  699  [wenn  dort, 
m.  E.  mit  Unrecht,  die  Echtheit  bezweifelt  wird,  gibt  sie  doch  sicher 
ein  Original  zuverlässig  wieder]  =  Sethe  148  f.  erscheint  sie  als  Ge- 
mahlin des  Th.  IL  mit  dem  Titel  , Tochter,  Schwester,  Gattin  des  Kö- 
nigs", neben  der  Königinmutter  A'hmose. 


Königin  yatsepsut  113 

jungen  Thutmosis  III.  zu  ihrem  Gemahl  und  hat  ihn  bei 
festlichen  Anlässen  als  König  paradieren  lassen,  vor  allem 
auf  religiösem  Gebiet;  daher  findet  sich  sein  Name  in  den 
zu  Anfang  der  gemeinsamen  Regierung  erbauten  Tempeln 
in  Nubien  (Semne,  Kumme,  Wadi  Haifa)  teils  allein,  teils 
neben  dem  der  Königin^).  Aber  tatsächlich  war  sie  die 
Herrscherin;  und  alsbald  hat  sie  schrittweise  die  volle  Pharao- 
nentitulatur angenommen,  und  ihren  nominellen  Gemahl  noch 
weiter  in  den  Hintergrund  gedrängt.  „Als  Thutmosis  II.  zum 
Himmel  eingegangen  war,  trat  sein  Sohn  an  seine  Stelle  als 
König  der  beiden  Lande  und  Herrscher  auf  dem  Thron  seines 
Erzeugers;  seine  Schwester,  das  Gottes weib  Hat§epsut,  sorgte 
für  das  Land  und  regierte  es,  Ägypten  diente  ihr,  dem  gött- 
lichen Samen,  vortrefflich  war  ihre  Regierung,  die  beide 
Lande  zufrieden  stellte,  wenn  sie  sprach"^).  In  ihren  In- 
schriften redet  sie  ganz  als  männlicher  Alleinherrscher,  wie 
sie  sich  auch  mit  dem  zum  König.sornat  gehörenden  Kinn- 
bart darstellen  läßt^);  im  Tempel  von  Der  el  Bahri  hat  sie 
sogar  die  offizielle  Version  der  politischen  Dogmatik  vom  gött- 
lichen Ursprung  des  Königs  auf  sich  übertragen:  Amon  selbst 
hat  in  Gestalt  des  Thutmosis  I.  die  Königin  A'ljmose  aufge- 
sucht und  Hat§epsut  gezeugt,  alle  Götter  haben  bei  ihrer 
Geburt  geholfen  und  ihr  die  Weltherrschaft  verheißen,  Thut- 
mosis I.  hat  sie  feierlich  zum  Nachfolger  erklärt,  ihr  huldigen 


')  Die  früher  vielfach  falsch  gedeutete  Inschrift  der  Neba'aui, 
Sethe  Ulk.  208  f.,  vielfach  berichtigt  von  Capart,  ÄZ.  43,  162  [zur  Er- 
klärung s.  Schäfer,  Osirismjsterien  S.  18,  1  u.  23]  gehört  nicht  in 
diese  Zeit,  sondern  in  die  Alleinregierung  Thutmosis'  III.,  und  die 
in  ihr  vorkommenden  Jahrzahlen  sind  nicht  Regierungsjahre,  sondern 
geben  die  Zeiträume  an,  während  deren  der  Verfasser  die  einzelnen 
Ämter  verwaltet  hat. 

^)  Inschrift  des  Aneni.  Sethe  S.  59  f.  Zu  beachten  ist,  daß  der 
Name  Thutmosis'  JIJ.  überhaupt  nicht  genannt  wird,  sondern  nur  der 
der  Königin. 

')  Nur  die  Benennung  „kräftiger  Stier",  die  seit  Thutmosis  I. 
alle  Könige  in  den  Horusnamen  eingefügt  haben,  hat  sie,  worauf 
H.  Schäfer  mith  aufmerksam  macht,  anzunehmen  doch  nicht  gewagt. 
Meyer    Geschichte  des  Altertums.    II'.  8 


114  111.  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

und  ihre  Königsnamen  festsetzen  lassen,  ja  sie  behauptet, 
wie  es  die  Theorie  verlangt,  am  Neujahrstage  (1.  Thoth)  ge- 
krönt zu  sein  —  während  in  Wirklichkeit  ihr  Krönungsfest 
wie  das  Thutraosis'  III.  auf  den  4.  Pachons  fieP)  — ;  die 
Regierung  Thutmosis'  II.  wird  in  dieser  Darstellung,  die  von 
Anfang  bis  zu  Ende  Fiktion  ist,  vollständig  übergangen. 

Der  weibliche  Pharao  hat  sich  als  wirkliche  Herrscher- 
natur erwiesen.  Ihr  auf  einem  Sphinx  (in  Berlin)  erhaltener 
Kopf  zeigt  die  energischen  Züge  der  Herrscherin.  Aber 
auch  darin  erinnert  sie  an  Elisabeth  oder  Katharina  IL,  daß 
sie  trotz  aller  Betonung  ihrer  Selbständigkeit  ihren  Günst- 
lingen einen  großen  Einfluß  gewährte  und  daß  sie,  von  maß- 
loser Eitelkeit  beseelt,  Schmeicheleien  sehr  zugänglich  war: 
der  Wust  verherrlichender  Phraseologie,  mit  dem  sie  selbst 
sich  in  ihren  Inschriften  überschüttet,  übertrifft  alles,  was 
die  darin  wahrlich  nicht  kargenden  Texte  der  übrigen  ägyp- 
tischen Könige  bieten.  Ein  politisches  Moment  fehlt  dabei 
allerdings  nicht:  da  sie,  wenn  auch,  im  Gegensatz  zu  ihren 
Brüdern,  von  der  Hauptfrau  ihres  Vaters  geboren,  doch  nach 
ägyptischer  Anschauung  als  Frau  nicht  zur  Herrschaft  be- 
rechtigt war  —  eben  darum  hat  sie  ihren  jüngsten  Bruder 
geheiratet  und  neben  sich  geduldet 2)  — ,  versuchte  sie,  ihre 
Usurpation  dadurch  zu  verhüllen,  daß  sie  ihre  unmittelbaren 
Beziehungen  zu  Amon  und  ihre  Erwählung  durch  den  Gott 
(und  durch  ihren  Vater)  und  damit  zugleich  den  Segen  ihrer 
Regierung  möglichst  stark  betonte.  Als  der  Mann  ihres  Ver- 
trauens erscheint  der  Kanzler  Senmut,  dem  die  Verwaltung 
sowohl  des  königlichen  Hoflialts  wie  des  Vermögens  des 
Amon  unterstellt  war.    Er  ist  offenbar  der  leitende  Minister 


')  Das  ergibt  sich  aus  der  Obeliskinschrift  Sethe  Urk.  367,  3  ff., 
wonach  vom  1.  Mechir  (1/6)  des  J.  15  bis  zum  30.  Mesore  (30,12)  des 
J.  16  nur  7  Monate  verlaufen  sind.  Das  genaue  Datum  der  Thron- 
besteigung, 4.  Pachons  (4/9),  gibt  Th.  III.  in  den  Annalen  J.  23  ZI.  13. 

")  Nach  korrekter  Auffassung  hätte  sie  durch  die  Ehe  mit  diesem 
lediglich  dessen  Stellung  stärken  können,  während  sie  ihn  in  Wirk- 
lichkeit völlig  in  den  Hintergrund  drängte. 


Hatsepsut.    Der  Kanzler  Senmut  1]5 

gewesen.  Die  Ausführung  aller  Bauten  der  Königin  stand 
unter  seiner  Leitung;  er  nennt  sich  „der  Große  der  Großen 
des  ganzen  Landes;  die  Angelegenheiten  beider  Lande  wurden 
ihm  gemeldet,  die  Abgaben  des  Südens  und  Nordens  waren 
unter  seinem  Siegel,  die  Tribute  aller  Fremdlande  unter  seinem 
Amt";  so  hat  er  auch  die  Gesandten  aus  Kreta  empfangen 
(o.  S.  106).  Auch  die  Erziehung  der  Prinzessin  Nofrure',  die 
offiziell  als  Tochter  der  Königin  von  Thutmosis  III.  galt  und 
von  der  Mutter  zur  Thronerbin  bestimmt  war,  wurde  ihm 
als   „Vater  und  große  Amme"   derselben  anvertraut^). 

Die  Regierung  Hatsepsuts  bildet  den  Abschluß  der  Neu- 
organisation Ägyptens.  Überall  im  Lande  hat  sie  verfallene 
oder  zerstörte  Tempel  wiederhergestellt  und  neu  aufgeführt  und 
mit  Weihgeschenken  und  Einkünften  ausgestattet.  Der  Löwen- 
anteil fiel  natürlich  auf  Theben,  dessen  glänzende  Entwicklung 
jetzt  beginnt.  Den  von  ihrem  Vater  begonnenen  Amontempel 
von  Karnak  hat  sie  weiter  ausgebaut  und  hier  bei  dem  im 
15.  Jahre  ihrer  Regierung  gefeierten  Setfest  dem  Amon  zwei 
gewaltige  Obelisken  errichtet,  auf  Geheiß  des  Gottes,  der  ihr 
den  Gedanken  eingab,  es  ihrem  Vater  gleichzutun,  der  zwei 
solche  23  Meter  hohe  Obelisken  vor  dem  von  ihm  erbauten 
Eingangstor  des  Tempels  aufgestellt  hatte.  Sie  hat  ihn  noch 
beträchtlich  überboten;  in  sieben  Monaten  hat  Sennmt  die 
riesigen  20  '/>  Meter  hohen  MonoHthe  im  Steinbruch  von  Syene 
gebrochen,  in  einem  dafür  gebauten  Boot  nach  Theben  ge- 
schafft, und  hinter  diesem  Tor  in  der  Säulenhalle  ihres  Vaters 
auf  den  dafür  bestimmten  Sockeln  aufgerichtet;  die  Spitzen 
wurden  mit  einer  dicken  Goldschicht  überzogen,  so  daß  sie  im 
Sonnenglanz  weithin  durch  das  Niltal  erstrahlten.  Die  Leistung 
ist  umso  erstaunlicher,  wenn  man  bedenkt,  welche  Schwierig- 
keiten nicht  nur  den  Römern,  sondern  auch  der  Gegenwart 
noch  der  Transport  und  die  Aufrichtung  dieser  Kolosse 
bereitet    hat    und    wie    stolz    die   Architekten    und   Beamten 


')  Die  gleiche  Ehrenstellung   erhielt  sein  Bruder  Senmen,    Sethe 
Urk.  418,  sowie  der  alte  Offizier  A'hmose  pennechbet  Sethe  34. 


116  III.  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Theodosius'  d.  Gr.  gewesen  sind,  daß  sie  einen  gleichartigen 
Obelisken  Thutmosis'  III.  mit  Hilfe  der  an  der  Basis  dar- 
gestellten mechanischen  Vorrichtungen  auf  dem  Hippodrom 
von  Konstantinopel  haben  aufstellen  können,  nachdem  sie 
den  unteren  Teil  abgesägt  hatten,  weil  das  Ganze  ihnen  zu 
groß  und  zu  schwer  war. 

Das  glänzendste  Denkmal  der  Königin  ist  der  Tempel- 
bau von  Der  el  Bahri  in  der  Totenstadt  auf  der  Westseite  The- 
bens. Wie  die  Könige  der  elften  und  manche  der  dreizehnten 
Dynastie  hatten  auch  ihre  Vorgänger  aus  der  siebzehnten  und 
achtzehnten  sich  ihre  Gräber,  schlichte  Ziegelpyraraiden,  am 
Rande  des  Gebirges^)  angelegt.  Hatsepsut  dagegen  hat,  wie 
schon  ihr  Vater-)  und  wie  dann  alle  ihre  Nachfolger,  als 
Ruhestätte  ein  weit  abgelegenes  Tal  im  Inneren  des  Gebirges 
gewählt  mit  einer  Grabkammer  tief  im  Felsen,  zu  der  lange 
Korridore  hinabführen^).  Weit  vor  dem  Grabe,  durch  den 
Bergrücken  von  ihm  getrennt,  aber  der  Idee  nach  den  Toten- 
tempeln vor  den  Pyramiden  entsprechend,  liegt  der  große 
Tempel,  den  sie  dem  Amon  und  zugleich  ihrem  eigenen  und 
ihrer  Eltern  Andenken  errichtet  hat,  um  durch  das  dauernde 
Fortleben  ihres  Namens  und  ihrer  Bilder  sich  die  Unsterb- 
lichkeit zu  sichern.  Ausgeführt  ist  auch  dieses  Werk,  auf 
das    wir    später    noch    zurückkommen   werden,   von  Senmut, 


')  Bei  Drah  Abulnegga  im  Norden  der  Nekropole. 

*)  Vgl.  S.  76,  2.  Im  einzelnen  ist  hier  noch  manches  unklar.  Die 
in  aller  Stille  ausgeführte  Anlage  seines  Felsengrabes  —  „ganz  allein, 
niemand  sah  oder  hörte  es"  —  erzählt  der  Baumeister  Aneni  (Sethe 
Urk.  57,  8  ff.).  Aber  seine  uns  erhaltene  Leiche  hat  ihre  Stelle  mehrfach 
gewechselt,  wir  haben  drei  Särge  des  Königs.  Hatsepsut  hat  ihn  in 
ihr  eigenes  Grab  überführen  wollen  und  ihm  hier  einen  Sarg  neben 
ihrem  eigenen  aufgestellt,  der  aber  niemals  benutzt  worden  ist:  Th.  M. 
Davis,  Tomb  of  Hatshopsuit,  1906. 

')  Das  Grab  ist  vollständig  ausgehauen,  aber  nie  fertig  geworden, 
alle  bildlichen  Darstellungen  und  Inschriften  fehlen.  Vorher,  als  sie 
noch  nicht  die  volle  Königstitulatur  trug,  hat  sie  sich  hoch  in  einer 
Felswand  ein  großes  Grab  angelegt,  das  sie  dann  aber  durch  das  an- 
dere ersetzt  hat:  Carter  im  J.  Eg.  Archeol.  IV  1917,  107  ff. 


Tempel  von  Der  el  Bahri.    Expedition  nach  Punt  117 

der  dabei  durch  Anbringung  seines  Namens  und  Bildes  an 
verborgener  Stelle,  hinter  den  Türen,  auch  seine  Existenz 
verewigt  hat.  Die  Königin  und  ihr  Minister  haben  darin  eines 
der  eigenartigsten  und  wirkungsvollsten  Denkmäler  geschaffen, 
die  Ägypten  überhaupt  aufzuweisen  hat. 

Kriege  hat  die  Königin  nicht  geführt;  und  es  ist  recht 
fraglich,  wie  weit  die  prahlenden  Wendungen  über  ihre  Welt- 
herrschaft, die  sie  von  ihren  Vorgängern  übernimmt,  noch 
der  Wirkhchkeit  entsprachen;  der  größte  Teil  Syriens  hat 
jedenfalls  die  ägyptische  Oberhoheit  abgeschüttelt.  Dagegen 
hat  sie  ein  friedliches  Unternehmen  ausgeführt,  auf  das  sie 
besonders  stolz  ist :  die  Wiederaufnahme  der  Seefahrten  nach 
dem  Weihrauchlande  Punt  an  der  afrikanischen  Küste  des 
arabischen  Meerbusens.  Seit  dem  Niedergang  des  Mittleren 
Reichs  war  der  direkte  Verkehr  vollständig  unterbrochen; 
die  kostbaren,  für  die  Kultur  unentbehrlichen  Produkte  ge- 
langten nur  durch  Zwischenhandel  nach  Ägypten:  sie  wurden, 
sagt  Amon  in  dem  Orakel,  durch  das  er  die  Königin  zu  der 
Expedition  auffordert,  „seit  der  Zeit  deiner  Urahnen  von 
einem  zum  anderen  gebracht  um  den  Preis  vieler  Zahlungen, 
niemand  gelangte  dorthin  mit  Ausnahme  deiner  Karawanen", 
—  die  vielen  Seefahrten  der  Vorzeit  sind  vollständig  ver- 
gessen, das  Unternehmen  der  Königin  wird  als  etwas  Neues 
und  Unerhörtes  dargestellt.  Im  neunten  Jahre  ihrer  Re- 
gierung entsandte  sie  fünf  große  mit  Ruderern  und  Soldaten 
bemannte  Schiö'e,  mit  hohem  Mast  und  mächtigen  Segeln,  in 
See,  und  zwar  nicht  mehr,  wie  ehemals,  von  einem  Hafen 
Jim  Roten  Meer,  sondern  direkt  von  Theben  aus  durch  den 
Kanal  vom  Nil  nach  Suez,  der  damals  bereits  bestanden  haben 
muß;  denn  von  einem  Umladen  und  einem  Transport  durch 
die  Wüste  ist  weder  bei  der  Hinfahrt  noch  bei  der  Rückkehr 
die  Rede,  die  Schiffe  landen  in  Theben  selbst.  An  den  „Ter- 
rassen des  Weihrauchs"  im  Lande  Punt  wurden  die  Fremden 
freundHch  aufgenommen,  allen  voran  von  dem  Häuptling 
Parhu  mit  seiner  nach  afrikanischer  Art  durch  gewaltige 
Fettleibigkeit  charakterisierten  Frau  und  seinen  Kindern.    So 


118  III.  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

erstaunt  man  war,  daß  die  Fremden  den  Weg  „in  dies  den 
Menschen  (römez,  d.  li.  den  Ägyptern)  unbekannte  Land  ge- 
funden hatten"  —  „seid  ihr  auf  den  Himmelsstraßen  herab- 
gekommen oder  seid  ihr  auf  dem  Wasser  auf  Erden  ge- 
fahren?" — ,  so  hatte  man  doch  Kunde  vom  Pharao  und  seiner 
Macht,  und  auch  an  Dolmetschern  kann  es  nicht  gefehlt  haben; 
ein  Verkehr  hatte  eben  doch  immer  bestanden.  So  huldigten 
die  Magnaten  von  Punt  der  Königin  und  ein  Tauschhandel 
begann;  die  Ägypter  hatten  Schmucksachen,  Lebensmittel, 
Waffen  u.  a.  mitgebracht,  die  offiziell  als  Geschenke  für  die 
Göttin  Hathor,  die  „Herrin  von  Punt",  betrachtet  werden.  Das 
Land  wurde  für  Araon  in  Besitz  genommen,  Statuen  des  Gottes 
und  der  Königin  aufgerichtet.  Zugleich  aber  sollte  dieses  Land, 
das  Amon  sich  zur  Herzensfreude  geschaffen  hatte,  in  die 
Residenz  selbst  versetzt  werden:  zahlreiche  Weihrauchbäume 
wurden  ausgehoben  und  in  Kübeln  verladen,  um  damit  auf 
den  Terrassen  von  Der  el  Bahri  ein  neues  Punt  zu  schaffen. 
Reich  beladen  mit  allen  Produkten  des  Landes  kehrten  die 
Schiffe  heim,  mit  Harzen,  Weihrauch  und  Myrrhen,  mit  ge- 
waltigen Massen  Goldes,  mit  Ebenholz  und  Elfenbein,  Panther- 
fellen und  lebenden  Panthern,  Geparden,  Affen,  zahlreichen 
Rindern  sowie  „Leibeigenen  mit  ihren  Kindern".  Auch  mehrere 
„Magnaten  von  Punt"  begleiteten  die  Heimfahrenden,  um  der 
Königin  persönlich  zu  huldigen.  Fortan  ist  Punt  jahrhunderte- 
lang in  Abhängigkeit  von  Ägypten  geblieben  und  hat  regel- 
mäßig Abgaben  geleistet;  im  Grabe  des  Rechmere'  (o.  S.  107) 
und  sonst  mehrfach,  so  unter  König  Haremliab,  ist  die  Emp- 
fangnahme dieser  Tribute  dargestellt. 

Die  Erzeugnisse  von  Punt  beweisen,  daß  es  an  der  afri- 
kanischen Küste  gelegen  haben  nmß^).  Nach  den  Abbildungen 


')  Das  hat  W.  M.  Müller,  Asien  und  Europa 'S.  106  ff.,  gegen  die 
frühere  Ansicht,  die  es  in  Südarabien  (Saba)  suchte,  erwiesen;  die  von 
ihm  noch  beibehaltene  (später  Mitt.  Vorderas.  Ges.  1898,  25.  42  zurück- 
genommene) Annahme,  es  habe  beide  Seiten  des  Golfs  umfaßt,  beruhte 
auf  falscher  Übeisetzung  der  Angabe  Sethe  Urk.  325,  13  und  32i!,  6, 
es  habe  „zur  Seite  (hr  gsui,  mit  der  dafür  gebräuchlichen  Dualform) 


Das  Weihrauchland  Punt  119 

im  Tempel  der  Königin  war  es  ein  flacher,  fruchtbarer  Strand, 
auf  dem  zwischen  Pahnen  und  Weihrauchbäumen  die  Rinder 
weideten.  Die  runden  Lehmhütten  der  Bewohner  standen 
auf  einem  von  Pfählen  getragenen  Rost,  zu  dem  eine  Treppe 
hinaufführt;  der  Boden  muß  also  feucht  gewesen  sein.  Im 
Hintergrunde  steigt  das  Gebirge  terrassenförmig  auf;  hier 
muß  die  Landschaft  'Amu  gelegen  haben,  in  der  das  Gold  ge- 
wonnen wurde.  Trotz  dieser  sehr  anschaulichen  Darstellung  ist 
eine  genauere  Lokalisierung  bisher  nicht  gelungen,  und  man 
kann  schwanken,  ob  es  bei  Suakin  oder  bei  Massaua  oder 
jenseits  der  Straße  Bab  el  Mandeb  am  Golf  von  Tedjura,  oder 
gar  noch  weiter  draußen  an  der  Somaliküste  zu  suchen  ist. 
Für  eine  nördliche  Lage  spricht,  daß  die  Expedition  auch 
Häuptlinge  und  Produkte  afrikanischer  Negerstämme,  wie 
der  Nemaju  und  Arem,  mitgebracht  hat,  die  in  anderen 
Texten  zu  Kusch  gerechnet  werden^).  Ethnographisch  frei- 
lich sind  die  Puntier  von  den  Negern  durchaus  verschieden; 
sie  gleichen,  wie  früher  schon  erwähnt  (Bd.  I  165.  167),  in 
Gestalt,  Farbe  und  Tracht  den  Ägyptern,  und  gehören  offen- 
bar der  hamitischen  Rasse  an,  deren  Typus  sich  in  diesen 
Gebieten  vielfach  bis  auf  die  Gegenwart  erhalten  hat.  Cha- 
rakterisiert sind  sie  durch  ihr  voll  auf  den  Nacken  herab- 
fallendes Haupthaar,  das,  wie  bei  den  Kretern,  in  Locken 
endet;  am  Kinn  tragen  sie,  Avie  die  Ägypter,  einen  kurzen 
Stutzbart.  Einmal  nennt  Amon  die  Bewohner  von  Punt  „Cha- 
bestiu  des  Götterlandes''-);  vermutlich  ist  das  der  einheimische 


des  Meeres"  gelegen.  —  Die  Gleichsetzung  mit  uiS,  pers.  Putija,  da- 
gegen scheint  mir  verfehlt. 

')  Bei  Thutmosis  III.  erscheint  im  J.  ,S4  unter  den  Abgaben  von 
Kusch  der  Sohn  des  Häuptlings  von  Arem;  unter  den  tributären 
Negern  wird  es  im  Pap.  Koller  4,  3  f.  (Gardiner,  Egypt.  hierat. 
texts  I  p.  41  und  47)  genannt,  ebenso  in  der  Liste  der  Südvölker  bei 
Th.  in.  Auch  sonst  wird  Punt  mit  Kusch  und  den  Südländern  ver- 
bunden, Amon  heißt  „Herr  der  Mazoi  und  von  Punt",  Setiie,  ÄZ.  42,  96 
(Urk.  319.  9);  der  nubische  Gott  Dodun  hilft  beim  Wägen  des  Goldes 
von  Punt,  Sethe  Urk.  339,  vgl.  31C. 

*)  Sethe  Urk.  845,  14  f.  Über  Land  und  Stamm  Habasat  siehe  Litt- 


120  ni.  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Name,  trotz  des  abweichenden  Anlauts  identisch  mit  Haba- 
schat  (Habesch),  dem  Namen,  den  später  das  Hochland  von 
Abessinien  führt. 

Die  Kriege  Thutmosis'  111. 

Hatsepsut  hat  mehr  als  zwanzig  Jahre  lang  (1501—1480) 
die  Regierung  geführt^).  Ob  sie  eines  natürlichen  Todes  ge- 
storben ist  oder  ob  ihr  jetzt  längst  zu  voller  Manneskraft  her- 
angewachsener Bruder  und  nomineller  Gemahl  sie  beseitigt  hat, 
wissen  wir  nicht;  jedenfalls  aber  hat  Thutmosis  III.  ihr  An- 
denken mit  erbittertem  Haß  verfolgt,  ihren  Namen  und  ihr 
Bild  auf  allen  Denkmälern,  die  er  erreichen  konnte,  sorg- 
fältig zerstören  lassen,  um  so  zugleich  ihr  Fortleben  nach  dem 
Tode  zu  vernichten,  und  sie  teils  durch  den  eigenen  Namen, 
teils  durch  den  seines  Vaters  Thutmosis  I.  oder  seines  Adoptiv- 
vaters ersetzt  —  wie  er  auch  sonst  gleich  nach  dem  Antritt 
seiner    Alleinherrschaft    seine    Vorfahren   durch    Erneuerunsr 


MANN,  Aksum  Expeütion  IV  7,  wo  er  die  Bd.  I  41  vertretene  Annahme 
aufgibt,  es  habe  ursprünglich  in  Arabien  gelegen.  —  Determiniert 
werden  die  Chabestiu  mit  der  puntischen  Haarlocke  [über  ihre  Erwäh- 
nung in  späteren  Texten  s.  W.  M.  Müller,  Asien  und  Europa  116  f.,  der 
(nach  Erman)  Chabe^-ti  als  Namen  eines  Hundes  in  Benhassan  unter  der 
12.  Dyn.  neben  einem  anderen  Hunde  Nehesi  , Neger"  nachweist];  das- 
selbe Determinativ  steht  neben  dem  Volk  Gnbtu,  das  im  J.  31  an  Thut- 
mosis III.  eine  Gesandtschaft  mit  Weihrauch  schickt,  also  auch  in 
diesen  Gegenden  zu  suthen  ist.  Sonst  findet  sich  der  Name  nur  noch 
in  der  Überschrift  über  einer  konfusen  Volksliste  Ramses'  If.  in  Abjdos 
[Mariette  Abydos  II  2.  berichtigt  nach  Fremdvölkerphot.  286—288:  »alle 
Lande  und  Völker,  liaunebu,  Bassinländer  (d.  i.  Mesopotamien),  Gnbtu, 
Böswillige  {^ihtu  qf,  s.  o.  S.  102, 1),  alle  gegen  deine  Majestät  rebellischen 
Völker  bis  zur  Gienze  der  Dämmerung  und  den  vier  Stützen  des  Him- 
mels sind  zu  Füßen  dieses  guten  Gottes"];  es  wird  wohl  ,die  Östlichen" 
(arab.  genüb)  bedeuten. 

')  Die  Annalcn  Thutmosis'  III.  beginnrn  mit  dem  Auszug  nach 
Syrien  zu  Ende  seines  22.  Jahres.  Die  vom  25./7.  J.  21  des  Th.  II(.  datierte 
Inschrift  mit  dem  Testament  des  Senamon,  Ei  ziehers  des  Prinzen 
üazmose  (des  früh  verstorbenen  Sohnes  des  Thutmosis  I.)  ist  das  älteste 
Datum  aus  seiner  Alleinregierung:  Daressy,  Ann.  du  Serv.  I  101  f. 
Grebaut,  Musee  eg.  I  2.    Skthe,  Unters.  I  S.  110. 


Thutmosis  III.  121 

ihrer  Statuen  geehrt  hat^);  die  Obelisken,  welche  sie  in 
Karnak  aufgerichtet  hatte,  hat  er  durch  einen  hohen  Umbau 
den  Blicken  des  Beschauers  vollständig  entzogen^)  und  durch 
eigene  überboten.  Das  gleiche  Schicksal  traf  den  Senmut 
und  nicht  wenige  andere  ihrer  Günstlinge");  offenbar  ist  auf 
ihren  Tod  ein  blutiges  Strafgericht  über  ihre  Werkzeuge  ge- 
folgt, die  dem  neuen  Herrscher  bisher  den  Weg  versperrt 
hatten. 

Der  Sturz  der  alten  Regierung  führte  zu  einem  vollen 
Umschwung  der  Politik.  Hatsepsut  hatte  Kriege  vermieden; 
sie  konnte  ihren  feindlich  gesinnten  Bruder  und  Gatten  nicht 
an  die  Spitze  einer  Armee  stellen.  Aber  in  dem  neuen  Herr- 
scher lebte  der  kriegerische  Geist  seines  Vaters  und  seiner 
Vorfahren;  lange  zurückgehalten,  trat  er  jetzt  umso  kräftiger 
hervor. 

Durch  das  friedliche  Verhalten  der  Königin  war  die 
ägyptische  Herrschaft  über  Syrien  größtenteils  verloren  ge- 
gangen. „Von  Jursa  (an  der  Westküste  Palaestinas,  südlich 
von  Joppe)  bis  zu  den  Enden  der  Erde  (d.  h.  bis  nach  Me- 
sopotamien)", sagt  Thutmosis  HI.  im  Eingang  seiner  Annalen, 
„ging  man  daran  sich  gegen  seine  Majestät  zu  empören"'*). 
Nur  der  äußerste  Süden  Palaestinas,  mit  Gaza  und  der  Fe- 
stung Saruhan  (o.  S.  82),  wurde  von  den  ägyptischen  Truppen 


')  Statue  des  Amenophis  I.  aus  dem  J.  22  des  Th.  III.  sowie  die 
des  Thutmosis  II.,  und  eine  andere  desselben  aus  dem  J.  42  bei  Mariette, 
Karnak  38  sowie  LD.  HI  16  b  (Sethe  Urk.  60-5  f.). 

*)  Siehe  Borchardt,  Zur  Baugeschichte  des  Amontempels  von 
Karnak,  in  Sethe's  Unters.  V  1,  190.5. 

^)  Auch  die  Prinzessin  Not'rure'  wird  seitdem  nicht  mehr  erwähnt. 

^)  Die  überkühne  Rekonstruktion  des  Eingangs  der  Annalen  durch 
Setke  Urk.  (54  f.  und  ÄZ.  47,  74  ff.,  der  hier  eine  Erwähnung  der  Hyksos 
und  ihrer  Herrschaft  in  Auaris  sucht,  scheint  mir  sprachlich  wie  sachlich 
unmöglich;  die  , langen  Jahre",  in  denen  „Räuberei  eines  Jeden" 
herrschte,  können  nur  die  Zustände  Syriens  nach  dem  Zusammenbruch 
der  vun  Thutmosis  I.  begründeten  Herrschaft  schildern,  und  die  Garnison, 
in  Saruhan  kann  nur  die  ägyptische  sein.  Aber  der  Text  ist  zu  lücken 
haft,  um  ihn  völlig  herstellen  zu  können. 


1 22  m-  ^iö  Aufrichtung  dos  ägyptischen  Weltreichs 

behauptet,  und  auch  die  phoenikischen  Küstenstädte  haben 
offenbar  an  der  Rebellion  nicht  teilgenommen^).  An  die 
Spitze  der  Erhebung  trat  der  Fürst  von  Qade'5;  das  kann 
nur  die  große  Festung  am  Orontes  sein,  die  auch  später  als 
ein  Hauptsitz  des  Widerstandes  erscheint,  nicht  die  Berg- 
stadt in  Galilaea.  Zur  Abwehr  des  Angriffes  „sammelte  er 
um  sich  die  Großen  aller  Lande,  die  unter  Botmäßigkeit 
Ägyptens  gestanden  hatten,  bis  nach  Naharain  (Mitani), 
nämlich  .  .  .'-')i  <iie  Choriter,  die  Qedu,  ihre  Kriegswagen  und 
Mannschaften." 

Alsbald  nach  Ergreifung  der  Alleinregierung,  zu  Be- 
ginn des  Frühlings  (Anfang  April  greg.)  brach  Thutmosis  III. 
mit  seinem  Heer  von  Sile,  der  Grenzfeste  Ägyptens,  auf. 
Zehn  Tage  später  feierte  er  in  Gaza  am  4.  Pachons,  dem 
ersten  Tage  seines  23.  Regierungsjahrs,  das  Thronbesteigungs- 
fest; am  folgenden  Tage  überschritt  er  die  Grenze  und  ge- 
langte in  elf  Tagen  nach  dem  Ort  Jehem"')  am  Fuß  des 
Höhenrückens  des  Karmel.  Der  Fürst  von  Qades  hatte  an  seiner 
Nordseite  in  der  großen  Schlachtenebene  Palaestinas  Stellung 


')  Vgl.  0.  S.  99.  Mit  Unrecht  hat  aber  Breastkd.  A'new  chapter 
p.  28  f.  und  Ancient  Records  II  137  in  der  Erwähnung  von  Zedernholz 
und  von  gefangenen  Fürstensöbnen  von  Rezenu  in  der  Bauinschrift 
Thutmosis'  III.  aus  Karnak  ZI.  34  und  39  (Sethe  Urk.  169,  17  und  172,  7) 
einen  Beleg  dafür  gesebn,  daß  die  Herrschaft  über  Syrien  zur  Zeit 
der  Gesamtregierung  der  Hatsepsut  und  Th.  111.  noch  bestand.  Er  be- 
zieht die  Angaben  auf  die  Zeit  zwischen  dem  15.  und  22  J.  des  Th.  HL; 
der  Text  stammt  aber  aus  weit  späterer  Zeit  (vgl.  Sethe  S.  155)  und 
nimmt  deutlich  auf  dessen  große  Kriegszüge  Bezug.  —  Im  Anschluß 
an  den  ersten  Feldzug  wird  in  der  Inschrift  Sethe  Urk.  760,  5  Tyros 
erwähnt,  in  welchem  Zusammenhang,  ist  nicht  erkennbar. 

'')  Daß  hier  der  Text  zerstört  ist,  ist  sehr  empfindlich;  in  der 
Lücke  stand  offenbar  noch  ein  weiterer  Volksname. 

^)  Nördlich  vom  heutigen  Kakön,  wahrscheinlich  der  Teil  el-asä- 
wir  oder  es-samrä  genannte  Ruinenhügel.  Über  die  Topographie  und 
den  Verlauf  der  Schlacht  s.  Schumacher,  Mitt.  u.  Nachr.  d.  Palaestina- 
vereins  1903  S.4ff.,  und  ganz  eingehend  Nelson,  The  battle  of  Meggido, 
Diss.  Chicago  1918  (1920)  und  Alt,  Thutmosis  111.  in  Palaestina,  Palae- 
stinajahrbuch  X  1914. 


Thutmosis  IIL  in  Palaestina.    Schlacht  bei  Megiddo  123 

genommen,  den  rechten  Flügel  an  die  starke  Festung  Me- 
giddo  gelehnt,  den  linken  weiter  nach  Südosten  bis  Ta'anak 
ausgedehnt,  da  er  den  Angriff  von  hier  aus  erwartete. 

Der  Kriegsrat,  den  Thutmosis  berief,  riet,  die  feindliche 
Stellung  entweder  im  Norden  oder  im  Süden  auf  einer  der 
bequemen  Paßstraßen  zu  umgehn;  aber  der  König  entschied 
sich,  entgegen  diesen  Warnungen,  zu  einem  direkten  Vor- 
marsch auf  Megiddo  durch  den  Engpaß  von  'Aruna  (im  Wadi 
'Ära),  obwohl  hier  „Pferd  hinter  Pferd  und  Mann  hinter 
Mann"  marschieren  mußte  und  die  lange  Kolonne  daher  durch 
einen  Angriff  von  den  Höhen  herab  stark  bedrängt  werden 
konnte.  Er  empfand  mit  klarem  Feldherrnblick,  was  ein  kühnes 
Vorgehn  bedeutete:  „sollen  die  Feinde  denken:  schlägt  seine 
Majestät  einen  anderen  Weg  ein?  Da  fürchtet  er  sich  vor 
uns!"  Er  selbst  setzte  sich  an  die  Spitze  des  Marsches,  und 
es  gelang  ihm,  seine  Armee  ohne  Kampf  aus  dem  Paß  heraus- 
zuziehn.  Der  König  von  Qades  beabsichtigte  eine  Defensiv- 
schlacht am  Ausgang  der  Pässe  und  wollte  die  dafür  gewählte 
starke  Stellung  nicht  auflösen.  Thutmosis  lagerte  sich  süd- 
lich von  Megiddo  am  Bache  Qina  (jetzt  Wadi  es  Sitt),  un- 
mittelbar dem  feindlichen  Lager  gegenüber;  den  nächsten  Tag 
(Anfang  Mai  greg.)  bestimmte  er  zur  Schlacht.  Den  linken 
Flügel  hatte  er  nach  Nordwesten  vorgeschoben,  den  rechten 
an  den  Bach  Qina  gelehnt;  so  war  den  Feinden  die  Flucht 
abgeschnitten.  Dem  Ansturm  der  ägyptischen  Krieger  und 
Streitwagen  vermochten  die  Syrer  nicht  standzuhalten ;  in 
eiliger  Flucht  suchten  sie  sich  in  die  Stadt  zu  retten  und 
ließen  Wagen  und  Rosse  sowie  die  Lagerzelte  mit  ihren 
Schätzen  den  Angreifern  zur  Beute;  da  die  Tore  geschlossen 
waren,  wurden  die  Fürsten  von  Qades  und  Megiddo  nebst 
anderen  Flüchtlingen  an  ihren  langen  Gewändern  über  die 
Mauern  gezogen.  Hätten  die  Soldaten  nicht  angefangen  zu 
plündern,  erklärt  Thutmosis,  so  hätte  die  Stadt  sogleich  ge- 
nommen werden  können.  Jetzt  mußte  sie  belagert  werden ; 
denn  „die  Einnahme  von  Megiddo  ist  soviel  wert  wie  die 
von   tausend    Städten,  da    alle    rebellischen   Häuptlinge    hier 


124  UI-  Die  Auflichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

versammelt  sind".  Megiddo  wurde  durch  eine  mächtige  mit 
Holzbalken  verkleidete  Umwallung  eingeschlossen  und  durch 
Hunger  zur  Ergebung  gezwungen.  Der  Fürst  von  Qades  war 
entkommen,  aber  sein  Harem  fiel  in  die  Hände  der  Ägypter. 
Die  um  Gnade  flehenden  Dynasten  wurden  gnädig  aufge- 
nommen und  gegen  die  Verpflichtung  zu  regelmäßiger  Tribut- 
zahlung in  ihre  Ortschaften  entlassen.  Die  gesamte  Kriegs- 
rüstung fiel  in  die  Hände  der  Ägypter,  darunter  924  Kriegs- 
wagen und  2041  Stuten  nebst  191  Füllen  und  6  Hengsten, 
dazu  zahlreiche  Kostbarkeiten  und  Hausrat  aller  Art.  Die 
Ernte  der  Ebene  von  Megiddo  wurde  beschlagnahmt  und  zur 
Verpflegung  des  ägyptischen  Heeres  verwendet. 

Mit  berechtigtem  Stolz  durfte  der  König  sich  des  Sieges 
rühmen;  er  hat  eine  ausführliche  Darstellung  dieses  Feld- 
zugs an  den  Wänden  des  Tempels  von  Karnak  aufzeichnen 
lassen.  Für  seine  zahlreichen  weiteren  Kriegszüge  dagegen 
beschränkt  sich  die  urkundliche  Darstellung,  die  überdies  nur 
lückenhaft  erhalten  ist,  auf  knappe  und  vielfach  ganz  unzu- 
reichende Auszüge  aus  den  im  Archiv  niedergelegten  Annalen, 
die  durch  sonstige  Erwähnungen  in  den  Königsinschriften 
sowie  in  der  Biographie  des  Offiziers  Amenemheb  nur  recht 
mangelhaft  ergänzt  werden^).  So  erfahren  wir  gleich  über  die 
Fortsetzung  des  ersten  Feldzugs  nur,  daß  er  ins  Libanongebiet 
vorgerückt  ist  und  hier  drei  Orte  —  Jenn'am,  Anogas  und 
Herenkaru^)  —  dem  Fürsten  von  Qades  entrissen  und  dem 
Amon  von  Theben  geschenkt  hat.  Auch  hier  fiel  reiche  Beute 
in  seine  Hände:  unter  den  2503  Gefangenen  waren  43  Marjanna 

')  Das  gesamte  Material  ist  jetzt  von  Sethe  in  den  Urkunden  der 
18.  Djnaslie  sorgfältig  bearbeitet,  mit  vielen,  ott  sehr  zutreffenden, 
manchmal  aber  auch  überkühnen  Ergänzungen  der  Lücken.  Über- 
setzung bei  Breasted,  Ancient  Records  II.  (in  manchen  Fällen  nach 
Sethe  zu  berichtigen). 

2)  Von  den  drei  Orten  „in  Oberrezenu"  (Sethe  Urk.  744,  3)  wird 
nur  Jenu'am  auch  in  den  Amarnatexten  197,  8  erwiihnt;  der  Ort  Anogas 
kann  unmöglich  mit  dem  hier  und  in  den  Texten  aus  BoghazKiöi  oft 
genannten  Nuthasse  in  Nordsyrien  identisch  sein,  s.  Weber  in  den  An- 
merkungen zu  den  Amarnatexten  S.  1103  ff.  und  unten  S.  128,2. 


Thutmosis  im  Libanon.    Beziehungen  zu  Mitani  125 

und  87  Fürstenkinder.  Zur  Sicherung  der  ägyptischen  Herr- 
schaft wurde  inmitten  der  Fürsten  des  Libanon  eine  Festung 
mit  dem  Namen  „Thutmosis  bezwingt  d'e  Barbaren*  erbaut. 
Dann  kehrte  der  König  heim,  um  in  Theben  die  Siegesfeste 
zu  feiern  und  dem  Amon  durch  reiche  Geschenke  aus  der 
Beute  den  Dank  darzubringen. 

Durch  diese  Erfolge  war  die  ägyptische  Herrschaft  in 
Palaestina  und  dem  Libanongebiet  ^)  sowie  dem  Hauptteil 
Phoenikiens  wiederhergestellt;  Erhebungen  sind  hier  in  der 
Folgezeit  kaum  noch  wieder  vorgekommen.  Die  Widerstands- 
kraft des  Fürsten  von  Qadeä  dagegen  war  trotz  seiner  Nie- 
derlage noch  ungebrochen,  und  ins  nördliche  S3'rien  war 
Thutmosis  überhaupt  noch  nicht  gelangt.  Hier  hatte  um 
dieselbe  Zeit  der  Mitanikönig  Saussatar  eingegriffen  und  das 
Reich  von  Aleppo,  das  bis  dahin  ein  Vasallenstaat  der  Chetiter 
war  (o.  S.  101),  seiner  Oberhoheit  unterworfen-).  Auch  nach 
Osten,  gegen  Assyrien,  wird  er  schon  jetzt  seine  Macht  aus- 
gedehnt oder  neu  befestigt  haben.    Um  so  willkommener  war 


^)  Hier  ist,  wie  schon  erwähnt,  der  Sitz  der  Amoriter,  deren 
Name  auffallenderweise  bei  Thutmosis  III.  und  seinen  Nachfolgern  nie- 
mals vorkommt,  umso  mehr  dagegen  in  den  Ainarnabriefen. 

'')  Wir  erfahren  von  diesen  Dingen  aus  der  geschichtlichen  Ein- 
leitung des  Vertrages  des  Chetiterkönigs  Mursil  II.  (um  1350)  mit  dem 
König  von  Aleppo  (übersetzt  von  Weidner,  Boghazkiöistudien  VIII  80  ff.). 
Danach  fällt  der  (hier  als  freiwillig  dargestellte)  Anschluß  Aleppos  an 
Mitani  (Chanigalbat)  in  die  Zeit  des  Chetiterkönigs  Dudchalia  IL,  der 
nach  der  Königsliste  (über  diese  siehe  Forrer,  Boghazkiöitexte  in  Um- 
schrift S.  17*  ff.)  in  die  Zeit  Thutmosis'  III.  tällt.  Wenn  dann  gesagt 
wird,  daß  Dudchalia  deshalb  die  Könige  von  Chanigalbat  und  Aleppo 
vernichtet  und  Aleppo  zerstört  habe,  so  kann  das  nur  starke  Über- 
treibung eines  vorübergehenden  P]rfolges  sein,  da  sogleich  berichtet 
wird,  daß  der  König  von  Aleppo  die  Sünden  des  Königs  von  Chani- 
galbat weiter  mitmacht,  so  besonders  zur  Zeit  Chattasil's  II.  (um  1430). 
Die  Beziehungen  zu  Ägypten  werden  hier  natürÜL-h  übergangen.  — 
Daß  Saussatar  der  Begründer  der  Macht  Mitanis  ist,  ergibt  sich  aus 
dem  Vertrage  Mattiwaza's  mit  Subbiluljuma  ZI.  8  f.  Er  ist  der  Ur- 
großvater Dusrattas,  der  etwa  um  1380  zur  Regierung  kam,  gehört  also 
in  die  Zeit  Thutmosis'  III. 


126  in.  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

das  Vordringen  der  Äpypter  dem  König  von  Assur;  gleich 
im  nächsten  Jahre  sandte  er  Blöcke  von  Blaustein  als  Hul- 
digungsgabe an  den  Pharao. 

Thutmosis  III.  ist  fast  in  jedem  Jahre  nach  Syrien  ge- 
zogen i),  hat  aber,  soweit  wir  sehn  können,  von  einem  An- 
griff auf  das  schwer  zu  bezwingende  Qades  zunächst  abgesehn. 
Dap-egen  versuchte  er,  von  der  phoenikischen  Küste  aus, 
deren  Städte  und  Dynasten  sich,  wie  es  scheint,  ohne  ernst- 
lichen Widerstand  gefügt  haben,  durch  das  Eleutherostal  den 
Zugang  zum  Orontes  und  nach  Nordsyrien  zu  gewinnen. 
Hier  lagen  in  der  breiten  und  fruchtbaren  Mündungsebene 
und  auf  den  Höhen  zu  beiden  Seiten  zahlreiche  befestigte 
Ortschaften,  wohl  alle  unter  eigenen  Dynasten.  Von  Osten 
her  griff  der  König  von  Tunip  ein,  einer  bedeutenden  Stadt, 
die  vielleicht  in  Kalat  el  Hösn  am  Südostrande  des  Nosairier- 
gebirges  gesucht  werden  darf  ^).  Er  unterstützte  die  kleineren 
Städte  und  hatte  in  die  (sonst  nicht  bekannte)  Festung  Uarzet 
eine  Garnison  (tuhir,  o.  S.  102,  3)  gelegt.  Auf  dem  fünften  Feld- 
zug wurde  diese  von  Thutmosis  erobert ;  die  gefangene  Mann- 
schaft betrug  329  Mann,  was  von  den  Dimensionen  dieser 
Kriege  und  der  Kleinheit  der  Festungen  ein  anschauliches 
Bild  gibt^j.    Dann  wurden  zwei   reich  beladene  Schiffe  auf- 


')  Der  erste  Feldzug  fällt  ins  J.  23.  Für  das  J.  24  wird  nur  eine 
Tributliste  gegeben,  in  die  Jahre  25—28  fallen  nur  drei  Feldzüge, 
über  die  der  Bericht  verloren  ist,  der  fünfte  ist  der  des  J.  29.  In  der 
Fokezeit  ist  das  J.  .S2  ohne  Feldzug,  und  aus  den  Jahren  39—41  er- 
wähnen die  Annalen  nur  Tribute.  Sie  schließen  ab  mit  dem  Feldziig 
des  J.  42. 

^)  Über  die  Lage  s.  Weber  zu  den  Amarnabriefen  S.  1123  if. 

3)  Auch  der  Fürst  von  Uarzet  (nicht  etwa  von  Tunip,  wie  man 
gewöhnlich  deutet!)  wurde  gefangen.  Im  übrigen  bemerke  ich,  daß 
zu  scheiden  ist  zwischen  haq  „erobern  einer  Stadt",  und  sek  «ver- 
wüsten", nämlich  des  Gebiets.  Ardata  ist  weder  im  J.  29  (Sethe  ürk. 
687,  4  ff.),  noch  im  J.  30  (Sethe  689,  11  ff.)  erobert,  und  das  gleiche 
gilt  von  Qades  u.  a.  —  Daß  sk  und  sksk  gelegentlich  auch  die  Aus- 
plünderung einer  Stadt  bezeichnen  kann,  soll  natürlich  nicht  bestritten 
werden. 


Thutmosis  in  Syrien  und  am  Euphrat  127 

gebracht,  und  auf  dem  Rückmarsch  das  Gebiet  der  Stadt 
Ardata^)  ausgeplündert;  in  den  üppigen  Quartieren  in  Phoe- 
nikien  (Zahi,  o.  S.  83,1)  konnten  die  Soldaten  sich  an  der 
reichen  Beute  gütlich  tun,  „sie  waren  trunken  und  mit  Öl 
gesalbt  jeden  Tag  wie  an  einem  Festtag  in  Ägypten".  Im 
nächsten  Jahre  wurde  das  Gebiet  von  Qades  verwüstet  und 
ebenso  das  von  Simyra  (nördlich  vom  Eleutheros)  und  von 
Ardata.  Im  Jahre  31  gelang  es,  hier  „in  einer  kurzen  Stunde" 
die  Stadt  Ullaza  zu  nehmen;  unter  den  494  Gefangenen  — 
dazu  13  Kriegswagen  mit  26  Rossen  —  war  auch  ein  Sohn 
des  Fürsten  von  Tunip,  der  auch  hier  als  der  Organisator 
des  Widerstandes  erscheint. 

Vermutlich  haben  sich  jetzt  die  meisten  Dynasten  dieses 
Gebiets  unterworfen  und,  wie  das  schon  im  Jahre  30  von 
den  Großen  von  Rezenu  berichtet  wird,  ihre  Söhne  oder  Brüder 
als  Geiseln  gestellt,  damit  der  Pharao,  wenn  einer  der  Dynasten 
starb,  aus  ihnen  den  Nachfolger  entnehmen  könne.  So  hat 
Thutmosis  im  Jahre  33,  auf  seinem  achten  Feldzug,  den  An- 
griffauf Mitani  (Naharain)  unternehmen  können^).  Ernstlichen 
Widerstand  fand  er  nirgends;  die  ägyptische  Streitmacht  war 
offenbar  den  asiatischen  militärisch  weitaus  überlegen  und 
galt  als  unbesiegbar.  Er  konnte  bis  an  den  Euphrat  vor- 
dringen, den  Strom  weithin  abwärts  befahren^)  und  die  Ort- 


')  Daß  Art-tu  nicht  Arados  sein  kann,  sondern  nur  das  in  den 
Amarnabriefen  neben  den  Eleutherosstädten  oft  genannte  Ardata,  hat 
BuRCHARDT,  Altkan.  Fremdworte  im  Ägypt.  no.  128,  richtig  erkannt. 
Die  für  ein  Landheer  uneinnehmbare  Inselfestung  Arados  (Arwad) 
wird  bei  Thutmosis  III.  nie  erwähnt;  es  wird  sich  immer  unabhängig 
behauptet  haben,  wie  Tyros  zur  Zeit  Nebukadnezars,  und  steht  in  den 
Amarnabriefen  durchaus  feindlich  gegen  Ägypten. 

^)  Von  diesem  Feldzug  war  auch  in  der  ganz  verstümmelten 
Inschrift  am  7.  Pylon  von  Karnak  berichtet,  Sethe  ürk.  188.  Er- 
halten ist  nur  der  Eingang,  daß  der  König  sich  im  Gebiet  der  Stadt 
Qadna  (im  Orontesgebiet)  befand,  die  wohl  damals  unterworfen  wurde 
(Amarna  52  fl'.). 

^)  Breasted  hat  diese  Stellen  mißverstanden,  wenn  er  den  König 
nach  Norden  fahren  läßt;    der  Euphrat    ist   bekanntlich   nur  stromab- 


128  m-  I^'®  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Schäften  an  den  Ufern  einnehmen,  ihre  Felder  verwüsten. 
„Wie  Rudel  Wildes  in  den  Bergen  flohen  sie  immer  weiter, 
niemand  wagte  zurückzublicken.*  Am  Ostufer  des  Stromes 
stellte  er  seine  Siegesstele  neben  die  seines  Vaters  (o.  S.  104), 
und  ebenso  eine  zweite  auf  dem  Rückmarsch  bei  Ni  (o.  S.  101) 
„zur  Erweiterung  der  Grenzen  Ägyptens".  Dieser  Erfolg 
machte  auf  die  Nachbarstaaten  gewaltigen  Eindruck;  wie  der 
König  von  Assur^)  sandte  jetzt  auch  der  von  Sinear  (ägypt. 
Sangar)  eine  Huldigungsgabe  von  „8  Pfund  echten,  24  Pfund 
künstlichen  Blausteins  und  Blaustein  von  Babel",  und  „das 
große  Chetiterland"  „8  Silberringe  im  Gewicht  von  41  Pfund, 
zwei  große  weiße  Steinblöcke  und  kostbares  Holz".  Darin  tritt 
der  Gegensatz  gegen  Mitani  deutlich  zutage;  so  mag  ein  vor- 
übergehender Erfolg,  den  der  Chetiterkönig  Dudchalia  gegen 
Aleppo  und  Mitani  errang  (o.  S.  125,  2),  in  diese  Zeit  ge- 
hören. Im  nächsten  Jahre  (34)  wurde  die  Unterwerfung  der 
Küstengebiete  (Zahl)  fortgeführt  und  im  Lande  Nuchasse  — 
der  Landschaft  des  mittleren  Orontesgebiets  zwischen  den 
Gebieten  von  Kinza  (Qades)  und  von  Aleppo^)  —  zwei  Städte 


■wärts,  nicht  aufwärts  schiffbar.  Für  abwärts  (also  auf  dem  Nil  nach 
Norden)  fahren  sagen  die  Ägypter  cht,  für  aufwärts  (also  auf  dem 
Nil  nach  Süden)  chnti;  daß  es  auf  dem  Euphrat  umgekehrt  ist,  hat 
sie  äußerst  überrascht.  Daher  nennt  Thutmosis  I.  in  der  Stele  von 
Tombos  (Sethe  85,  14)  ihn  „den  umgekehrten  Fluß,  auf  dem  man  beim 
Südwärtsfahren  (m  chnti)  abwärts  i'ähri  (chtti)'^ ;  und  so  gebraucht 
Thutmosis  III.  hier  cht  für  „abwärts  —  also  südwärts!  —  fahren",  und 
nachher  chntü  für  den  Rückweg  über  Nt  (Seihe  698,  15),  der  trotz  der 
Verwendung  des  Schiffahrts-'usdrucks  sicher  zu  Lande  erfolgte. 

')  Gewiß  mit  Recht  hat  Sethe  diesen  Urk.  701,  5  ff.  eingesetzt. 

'•')  Die  Lage  ergibt  sich  aus  dem  Vertrage  zwischen  Subbiluljuma 
und  Tette  von  Nuchasse  2,  14  (Wkidner,  Polit.  Dok.  aus  Kleinasien, 
Boghazkiuistudien  Heft  8,  S.  61).  Ägyptisch  wird  es  Anogas  geschrieben, 
wie  der  Ort  im  Libanongebiet  (o.  S.  124,2).  Dieser  kann  aber  hier  un- 
möglich gemeint  sein,  sondern  es  ist  ein  Gau  (u)  mit  mehreren  Städten, 
und  auch  nach  den  Andeutungen  über  seine  Lage  identisch  mit  dem 
Reich  Nuchasse  der  Amarnabriefe  (51)  und  der  Boghazkiöitexte.  Die 
Vermutung,  es  sei  mit  dem  Lande  ry*?  bei  IJamät  identisch,  ist  ganz 
problematisch. 


Thutmosis'  Feldzüge  in  Syrien  129 

erobert,  während  eine  andere  sich  gutwillig  ergab.  In  den 
Hafenstädten  nahm  der  König,  wie  in  jedem  Jahre,  die  Waren 
und  vor  allem  das  Bauholz  in  Empfang,  welche  die  See- 
schiffe brachten.  Durch  den  Besitz  der  Küsten  war  die  Meer- 
herrschaft begründet;  so  hat  auch  der  König  von  CypernM 
fortan  regelmäßig  Huldigungsgeschenke  gesandt,  vor  allem 
gewaltige  Massen  von  Kupfer  und  Blei. 

Beendet  freilich  war  die  Unterwerfung  Syriens  damit 
keineswegs.  Im  Jahre  35  brachte  der  König  von  Naharain 
ein  größeres  Heer  zusammen,  wurde  aber  bei  Ar'ana  völlig 
geschlagen.  Auch  hier  ist  die  Beute  des  Heeres  lehrreich: 
10  Gefangene,  60  Wagen  und  80  Rosse  und  ein  paar  Rü- 
stungen und  Waffen,  darunter  zwei  vom  König  selbst  er- 
beutete. Im  Grunde  können  alle  diese  Schlachten  doch  nur 
Scharmützel  gewesen  sein,  wie  so  manche  z.  B.  zwischen  den 
griechischen  Städten;  man  wird  sich  die  Heeresmacht,  die 
ausreichte,  um  Syrien  zu  erobern  und  in  Untertänigkeit  zu 
halten,  nicht  klein  genug  vorstellen  können. 

Aus  den  nächsten  Jahren  sind  die  Berichte  verloren.  Im 
Jahre  38  finden  wir  den  König  wieder  in  Nuchasse,  das  sich 
jetzt  völlig  unterwirft;  in  den  Amarnabriefen  beruft  sich  Adad- 
nirari  von  Nuchasse  darauf,  daß  Manachbija  (verschrieben  für 
-birija),  d.  i.  Mencheperrija*  Thutmosis  III.,  seinen  Großvater 
Taku  zum  König  in  Nuchasse  gemacht  und  Ol  auf  seinen  Kopf 
gegossen  habe'-).  Aus  dem  nächsten  Jahr  hören  wir  von  einem 
Kampf  gegen  die  Sos,  also  gegen  Beduinen,  die  in  Palaestina 
eingebrochen  waren;  das  ist  vermutlich  identisch  mit  dem 
Kampf  im  Negeb,    dem  Karstlande    im  Süden    des  Gebirges 

')  Äg.  Asi,  s.  u.  S.  139,  1. 

2)  Wo  das  Land  Arrech  zu  suchen  ist,  dessen  Fürst  in  diesem 
Jahre  Sklaven,  zwei  Blöcke  Rohkupfer,  und  Holz  von  „Süßbäumen", 
sowie  wohlriechende  Kräuter  schickt,  ist  nicht  zu  sagen.  Die  Ver- 
mutung, daß  es  identisch  sei  mit  dem  in  Listen  mehrfach  vorkom- 
menden Arrapcha  (W.  M.  Müller,  Asien  und  Europa  278  f.),  ist  mög- 
lich. Aber  schwerlich  kann  das  mit  dem  abgelegenen  Arrapachitis, 
assyr.  Arrapcha,  im  Zagros  identisch  sein;  eher  würde  man  es  etwa 
im  Nosairiergebirge  suchen. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    H'.  9 


130  III-  I^if*  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Juda,  mit  dem  die  Biographie  des  Amenemheb  den  Bericht 
über  dessen  Kriegstaten  beginnt.  Die  beiden  folgenden  Jahre 
—  wo  der  „König  des  großen  Chetiterlandes"  wieder  einmal 
Silber  schickte  —  sind  friedlich  verlaufen;  im  Jahre  42  da- 
gegen kam  es  wieder  zu  größeren  Kämpfen.  Offenbar  hatte 
der  König  von  Mitani  den  Versuch  gemacht,  in  Verbindung 
mit  dem  von  Kinza  (Qades),  seine  Herrschaft  über  Nordsyrien 
wieder  aufzurichten,  und  den  Anschluß  der  lokalen  Dynasten 
gewonnen;  in  die  Hauptfestungen  hatte  er  seine  Truppen  ge- 
worfen. Über  den  Verlauf  des  Feldzuges  berichtet  Thutmosis 
nur  ganz  knapp:  „Der  König  war  auf  der  Küstenstraße 
(also  in  Phoenikien),  um  die  Stadt  'Arqat  (an  einem  Bach  im 
Süden  der  Eleutherosebene,  noch  jetzt 'Arqä,  in  den  Amarna- 
briefen  Irqat)  zu  verwüsten,  nebst  den  Städten  ihres  Gebiets." 
Das  gleiche  Schicksal  erlitt  ein  Ort  . .  .  kana  und  dann  Tunip ; 
im  Gebiet  von  Qades  wurden  drei  Städte  genommen  und  die 
in  ihnen  liegende  Besatzung  des  Fürsten  von  Naharain  ge- 
fangen, 691  Männer  und  Weiber  und  48  Rosse  ^). 

Damit  schließt,  nach  der  üblichen  Aufzählung  der  Tri- 
bute dieses  Jahres-),  die  Annaleninschrift  des  Königs.  Wie 
man  sieht,  hält  sich  der  letzte  Feldzug,  von  dem  sie  berichtet, 
innerhalb  eines  engbegrenzten  Gebiets;  von  einer  Wieder- 
unterwerfung Nordsyriens  bis  an  den  Euphrat,  von  einer  Er- 
oberung von  Tunip  und  Qades  ist  in  ihm  keine  Rede.  Es 
ist  klar,  daß  noch  weitere  Feldzüge  gefolgt  sein  müssen,  für 
die  Aufzeichnungen    an  den  Tempelwänden    nicht  vorliegen. 


')  Dazu  29  Hände,  die  in  üblicher  Weise  den  Gefallenen  ab- 
geschnitten wurden. 

*)  Darunter  erscheinen  die  Abgaben  (richtiger  Geschenke)  der 
Fürsten  von  T'nai  (schwerlieh  identisch  mit  Tenni,  o.  S.  83,  1,  in 
Palaestina,  auch  nicht  nait  Tunanat,  Am.  53,  43),  außer  drei  eisernen 
Gefäßen  und  vier  Silberhänden  eine  silberne  Kanne  von  Kaftiarbeit, 
die  als  sawahti  bezeichnet  wird  —  ein  Ausdruck,  der  wie  v.  Bsssing, 
ÄZ.  34,  166,  erkannt  hat,  unter  den  Geschenken  Amenophis'  IV.  an 
Burnaburias  (Amarna  14  III  61)  als  „Steingefäß  namens  su-i-ib  da'^ 
wiederkehrt.  Danach  wird  man  wohl  an  ein  überseeisches  Gebiet 
denken.    Das  Gesamtgewicht  der  Geschenke  ist  56 ^/lo  Pfund. 


Thutmosis'  Feldzüge.    Eroberung  von  Qades  131 

vermutlich  weil  der  dafür  bestimmte  Saal  dafür  keinen  Raum 
mehr  bot;  und  es  ist  ja  ohnehin  äußerst  unwahrscheinlich, 
daß  die  letzten  zwölf  Jahre  des  kriegerischen  Königs  tatenlos 
verlaufen  sein  sollten.  Die  Ergänzung  bietet  die  Biographie 
des  Amenemhebi).  Nach  dem  Kriege  im  Negeb  erzählt  er 
von  einem  Feldzug  nach  Naharain,  bei  dem  es  wiederholt 
zu  Kämpfen  kam,  so  „auf  dem  Hochland  von  U'an  westlich 
von  Chaleb  (Aleppo)"  und  bei  Karkemis  am  Euphrat,  wo  er 
auf  dem  Ostufer  mehrere  Feinde  gefangennahm  und  über 
den  Fluß  vor  den  König  schleppte.  Hierher  gehört  auch  eine 
zweite  Jagd  des  Königs  bei  Ni  auf  120  Elefanten,  bei  der  er 
„am  Wasser  zwischen  den  beiden  Felsen  stehend"  dem  einen, 
der  den  König  angriff,  den  Rüssel  abhieb.  Es  folgt  ein 
Kampf  bei  Sinzar  (jetzt  Kal'at  Seidjar)  am  Orontes.  Damit  war 
Qade§  (Kinza)  isoliert,  und  so  kann  jetzt  endlich  die  Be- 
lagerung und  Eroberung  dieser  Hochburg  des  Widerstandes 
unternommen  werden.  Die  tapfersten  Krieger  wurden  gegen 
eine  —  offenbar  hinter  einer  Bresche  —  neu  aufgerichtete 
Mauer  vorgeschickt,  Amenemheb  hat  als  der  erste  sie  durch- 
brochen. Weiter  erfahren  wir  noch  von  einem  Kampf  in 
einem  Gebiet,  dessen  Name  zerstört  ist,  und  von  einem  weiteren 


')  Breasted,  der  annimmt,  Thutmosis'  Kriege  hätten  mit  dem 
J.  42  geendet,  hat  infolgedessen  versucht,  die  einzelnen  Taten  Amenem- 
hebs  in  die  früheren  Kriegszüge  einzuordnen  (Anc.  Rec.  II  p.  228  f.), 
und  ist  dadurch  zu  der  Annahme  gezwungen,  Amenemheb  habe  die 
einzelnen  Kämpfe,  an  denen  er  teilnahm,  ohne  jede  Berücksichtigung 
der  Zeitfolge  aneinander  gereiht:  die  Folge,  die  Breasted  ihnen  gibt, 
ist  4.  3.  2.  7.  5.  6.  1.  8;  und  dabei  ergeben  sich  doch  keine  wirklichen 
Übereinstimmungen  mit  den  Annalen.  M.  E.  berichtet  diese  Inschrift 
ebensogut  chronologisch,  wie  alle  ähnlichen  Texte;  nur  die  beiden 
individuell  gefärbten  Episoden  am  Schluß,  die  Elefantenjagd  (7)  und 
die  Kämpfe  bei  Qades  (8),  sind  ein  Nachtrag.  Daß  die  hier  ZI.  30  fi". 
erzählte  PJroberung  von  Qades  mit  der  vorher  ZI.  14  f.  erzählten  iden- 
tisch ist,  wird  dadurch  bestätigt  (was  Breasted  nicht  beachtet  hat), 
daß  beidemale  die  Gefangennahme  von  zwei  Marjanna  erzählt  wird.  — 
Beachte  auch,  daß  die  Belohnungen,  die  A.  erhält,  jedesmal  (abge- 
sehn  von  7)  größer  werden;  auch  das  bestätigt,  daß  die  Zeitfolge  be- 
obachtet ist. 


132  Itl-  Jöie  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

in  der  coelesyrischen  Landschaft  Tachas  ^),  bei  dem  ein  Ort 
Mero  genommen  wurde. 

Wie  sich  diese  Kämpfe  auf  die  einzelnen  Jahre  verteilen, 
läßt  sich  nicht  sagen;  es  mögen  daneben  auch  noch  manche 
andere  vorgekommen  sein,  bei  denen  Amenemheb  nicht  be- 
teiligt war  oder  sich  nicht  auszeichnete.  Man  sieht,  wie  müh- 
selig, im  Gegensatz  zu  der  raschen  Überrennung  durch  Thut- 
mosis  I.,  die  wirkliche  Unterwerfung  Syriens  und  seine  Ein- 
verleibung in  das  Weltreich  gewesen  ist,  begreiflich  genug 
bei  der  Kleinheit  der  Heere,  die  nur  wenige  Sommermonate 
hindurch  im  Felde  stehn  konnten,  und  bei  der  Schwierigkeit, 
die  zahlreichen  Festungen  zu  nehmen,  so  leicht  man  auch 
ihr  Gebiet  verwüsten  und  ausplündern  konnte.  Aber  der  Sohn 
ist  ganz  methodisch  vorgegangen  und  hat  mit  beharrlicher 
Ausdauer  sein  Ziel  erreicht.  Bei  seinem  Tode  war,  wie  die 
Amarnabriefe  bezeugen,  ganz  Syrien  bis  zu  der  Küstenstadt 
Ugarit  weit  im  Norden,  etwa  in  der  Gegend  der  Orontes- 
mündung,  und  bis  zum  Euphratknie  hinauf,  einschließlich  von 
Ni,  unterworfen.  Auch  der  Fürst  von  Qades  ist  fortan  ein 
Vasall  des  Pharao,  und  der  von  Tunip  übergibt  ihm,  wie 
die  anderen  Dynasten,  seinen  Sohn  zur  Aufziehung  am  Hofe 
in  Theben'^).    In  einem  Schreiben  der  Amarnabriefe  (59),  in 


')  Gen.  22,  24  in  der  Liste  der  aramäischen  Landschaften,  die 
als  Bastarde  Nachors  aufgezählt  werden  (ferner  Amarna  189  rev.  12 
und  197,  19  Tachsi,  in  der  Nähe  von  Ubi,  der  Landschaft  von  Da- 
maskus), neben  Tebach  (Am.  179  Tubichi),  Ma'aka  am  Hennon,  und 
dem  sonst  nicht  vorkommenden  Gacham. 

*)  Die  Szene  ist  im  Grabe  des  Mencheperre'senib  dargestellt 
(ViREY,  Mem.  miss.  frang.  V  200  ff-  W.  M.  Müller,  Egyptol.  Res.  II. 
Sethe  ürk.  928  ff.  Fremdvölkerphot.  596—600.  721),  wo  der  „Große" 
von  Tunip  seinen  Sohn  auf  dem  Arm  bringt.  Vor  ihm  kniet  ein  „Großer 
von  Cheta",  und  der  „Große  von  Kaftu"  küßt  den  Boden.  Das  werden 
aber  nicht  die  Könige  selbst,  sondern  Gesandte  sein.  In  der  zweiten 
Reihe  bringt  der  Fürst  („Große")  von  Qades  einen  Krug  und  einen 
Dolch  in  der  Scheide.  Über  die  zum  Teil  falsch  gezeichneten  Völker- 
typen s.  0.  S.  109;  aber  die  Szenen  selbst  sind  offenbar  geschichtlich  zu- 
treffend. 


Die  Unterwerfung  Syriens.    Mitani  und  Assur  133 

dem  sie  nach  dem  Tode  des  Akitesub  um  Zusendung  seines 
Sohnes  bitten,  erwähnen  die  Bewohner  von  Tunip  die  Ein- 
nahme der  Stadt  durch  Manachbirija  (Thutmosis  III.,  vgl.  o. 
S.  129);  auch  die  ägyptischen  Götter  haben  hier  eine  Kultstätte 
erhalten,  und  das  gleiche  wissen  wir  von  Uarzet  (o.  S.  126), 
wo  Thutmosis  dem  Amon  und  dem  Har'achte  in  deren  Kult- 
stätte ein  Opfer  bringt. 

Mit  dem  Mitanireich  ist  offenbar  ein  Abkommen  ge- 
schlossen worden,  bei  dem  ihm  der  Norden  Syriens  mit  Aleppo 
überlassen  blieb ^).  So  konnten  sich  zwischen  beiden  Staaten 
freundschaftliche  Beziehungen  bilden,  die  sich  in  der  Folge- 
zeit immer  intimer  gestalteten.  Dadurch  wurde  es  dem  Saus- 
satar  möglich,  Assyrien  in  volle  Abhängigkeit  zu  bi'ingen. 
Aus  dem  Vertrage  seines  Ururenkels  mit  dem  Chetiterkönig 
Subbiluljuma  (um  1360)  ersehn  wir,  daß  er  aus  Assur  eine 
Tür  aus  Silber  und  Gold  fortgeführt  und  nach  Wasuganni, 
der  wahrscheinlich  im  Quellgebiet  des  Chaboras  gelegenen 
Hauptstadt  seines  Reichs,  in  seinen  Palast  gebracht  hat. 
Fortan    ist  Assur    dem   Mitanikönig  tributpflichtig"^).     So  er- 


')  Wie  Aleppo  ist  auch  Karkemis  nie  ägyptisch  gewesen;  daß 
es  in  dem  Fragment  eines  Briefes  des  Akizzi  von  Qatna,  Am.  .H,  .51, 
vorkommt,  beweist  natürlich  nichts  über  seine  Stellung.  —  Thutmosis  III. 
hat  neben  der  Palaestinaliste  auch  eine  lange,  nur  teilweise  erhaltene 
Liste  von  Ortschaften  Nordsyriens  und  Mesopotamiens  gegeben  (Sethe 
788  ff.  W.  M.  Müller,  Eg.  Res.  I.),  von  denen  aber  nur  ein  Teil  dauernd 
von  Ägypten  behauptet  ist  und  nur  ganz  wenige  identifizierbar  sind: 
127  Tunip.  1,32  Ni.  139  Arzkna  =  assyr.  Araziqi,  'Epa-^ iC«  bei  Bambyke. 
166  Ullaza.  173  Zunzar  =  Sinzara  (Am.  53,  42  Zinzar).  189  Nerab  bei 
Aleppo.  213  Alasia  ("rs).  252  Sura  am  Euphrat.  263  viell.  Ediu  (W. 
M.  Müller).  280  Petor,  assyr.  Pitru.  811  Charbu,  Aleppo.  332  Zinnur  = 
assyr.  Tinnüru  öavvoüpiov  am  Chaboras  (W.  M.  Müller,  Asien  und 
Europa  S.  291).  —  Der  „Große  von  Nabarain",  der  im  Grabe  der 
Amunezeh  den  Pharao  kniefällig  verehrt  (Virey,  Mem.  miss.  fran(;.  V 
337  ff.  W.  M.  Müller,  Eg.  Res.  II.  Sethe  Urk.  952:  Fremdvölkerphot. 
738  f.\.  ist  natürlich  nicht  der  König  von  Mitani,  sondern  der  Führer 
einer  Gesandtschaft. 

2)  Vertrag  Subbiluljumas  mit  Mattiwaza  ZI.  6  ff.  (bei  Weidner, 
Boghazkiöistudien  VIII). 


134  ill-  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

klärt  es  sich,  daß  unter  den  Steintafeln,  die  hohe  Beamte 
Assyriens  (wohl  durchweg  Eponymen)  in  einem  kleinen  Tal 
vor  der  Stadtmauer  von  Assur  als  ihr  „Bild"  errichtet  haben 
—  in  Wirklichkeit  Gedächtnismale,  auf  denen  statt  des  Bildes 
eine  Inschrift  in  viereckigem  Rahmen  ihre  Persönlichkeit  ver- 
ewigt^) — ,  zwei  von  Söhnen  und  eine  von  dem  Urenkel 
eines  „Vezirs  (suliallii  rahü)  des  Königs  von  Chanigalbat" 
stammen,  die  Statthalter  der  assyrischen  Provinzen  Ninive  und 
Kudmuch^)  gewesen  sind^).  Daraus  ergibt  sich,  daß  die 
Patesis  von  Assur  in  dieser  Zeit  (von  denen  wir  denn  auch 
nichts  als  die  nackten  Namen  kennen)  ganz  unter  der  Bot- 
mäßigkeit der  Könige  von  Mitani  gestanden  haben.  Daher 
können  diese  auch  über  die  Göttin  Istar  von  Ninive  verfügen 
und  sie,  um  ihre  Heilkraft  zu  bewähren,  nach  Ägypten 
schicken^).  Eine  weitere  Bestätigung  bietet,  daß  auf  den  Sie- 
gelzylindern aus  Assur  und  aus  Kerkük,  die  dieser  Epoche 
angehören,  die   „chetitischen"   Motive  ganz  dominieren^). 

Die  Organisation  des  ägyptischen  Weltreiclis 

Neben  der  Kriegführung  geht  die  Organisation  des  unter- 
worfenen Gebiets  einher;  und  auch  hier  hat  sich  Thutmosis  III. 


•)  Vgl.  dazu  meinen  Aufsatz  Archaeol.  Anz.  1913,  77  ff.  =  Kl. 
Schriften  II  1  ff. 

^)  Am  rechten  Tigrisufer  beim  Austritt  aus  dem  Gebirge,  s.  Forrek, 
Provinzeinteilung  des  Assjr.  Reichs  S.  17. 

^)  Andrae,  Stelenreiben  in  Assur,  no.  63.  129.  137  a. 

*)  Brief  Dusrattas  an  Amenophis  III.  Am.  23,  wonach  schon 
sein  Vater  sie  ebenso  verschickt  hat.  Er  betont,  daß  sie  „seine  Gott- 
heit" ist;  in  der  Mitanisprache  wird  sie  „Sauska  von  Ninive"  geheißen 
haben  (so  Jensen),  die  Dusratta  in  dem  Mitanibrief  III  98  {Messer- 
schmidt, Mitanistudien,  Mitt.  Vorderas.  Ges.  1899,  4,  S.  75)  in  derselben 
Weise  „meine  Göttin"   nennt. 

5)  Siehe  Reich  und  Kultur  der  Chetiter  S.  62  ff'.  Die  beiden 
später,  im  11.  Jahrhundert,  zu  Königsstelen  verarbeiteten  Basaltsäulen 
bei  Andrae,  no.  15  und  16,  stammen  wohl  nicht  von  „chetitischen* 
Bauten  in  Assur,  wie  ich  dort  annahm,  sondern  sind  eher  Beutestücke 
(so  Herzfeld). 


Thutmosis'  Persönlichkeit.    Organisation  Syriens  IcJS 

nicht  minder  bewährt  und  einen  Bau  geschaffen,  der  fest  ge- 
fügt war  und  trotz  einzelner  Aufstandsversuche  nach  seinem 
Tod  ein  halbes  Jahrhundert  unerschüttert  bestanden  hat.  Er 
war  wirklich  eine  überlegene  Herrschernatur,  und  es  ist  keine 
Übertreibung,  wenn  sein  vertrauter  Vezir  Rechmere'  von  ihm 
sagt:  ,Der  König  verstand,  was  immer  geschah;  es  gab 
nichts,  wofür  er  nicht  einen  Weg  wußte;  er  war  Thout 
(der  Weisheitsgott)  in  allem;  keine  Sache  gab  es,  die  er 
nicht  zu  Ende  führte"  ^).  Auch  seine  Gesichtszüge  zeigen  die 
energische  Klarheit  und  innere  Sicherheit  seines  Wesens;  er 
ist  einer  der  wenigen  Pharaonen,  die  auch  jetzt  noch  innerlich 
lebendig  vor  uns  stehn-).  Er  hat  versucht,  die  besiegten 
Dynasten,  die  er  bei  der  Unterwerfung  gnädig  aufnahm,  an 
Ägypten  zu  binden;  ihre  Söhne  erwachsen  am  Königshof  von 
Theben  im  Zentrum  der  Weltkultur  zu  getreuen  Anhängern 
des  Pharaonenreichs.  Das  ganze  Land  gilt,  wie  in  den 
Amarnabriefen  immer  wieder  ausgesprochen  wird,  als  Eigen- 
tum des  Königs:  „Siehe,  mich  hat  nicht  mein  Vater  und 
nicht  meine  Mutter  :iuf  diese  Stelle  gesetzt,"  schreibt  z.  B. 
Abdchiba  von  Jerusalem,  „sondern  der  mächtige  Arm  des 
Königs  hat  mich  in  das  Haus  meines  Vaters  (d.  h.  in  dies 
Fürstentum)  eingeführt."  Gleich  nach  der  Einnahme  von  Me- 
giddo  und  der  Eroberung  des  Libanongebiets  hat  Thutmosis 
„die  Äcker  der  Feldmark  durch  Feldmesser  des  Königshauses 
aufnehmen  lassen,  um  ihre  Ernte  einzuheimsen".  Von  den 
Ernten  von  Palaestina  (Rezenu)  und  von  Phoenikien  (Zahij 
wird  alljährlich  eine  feste  Abgabe  von  Getreide,  Ol,  Wein 
und  Weihrauch  erhoben.  Gesondert  daneben  steht  der  Tribut 
des  Libanon;  wie  dieses  Gebiet,  soweit  es  nicht  dem  Amon 


')  Sethe  Urk.  1074,  von  Breasted,  Anc.  Rec.  II  664  mit  Recht  her- 
vorgehoben. 

^)  Aus  früherer  Zeit  gilt  das  gleiche  etwa  noch  von  Amenem- 
het  I.,  und  auch  einige  der  Könige  des  Alten  Reichs  lassen  sich  viel- 
leicht noch  einigermaßen  erfassen.  Von  den  späteren  sind  außer  Ech- 
naten  noch  Amenophis  111.,  Ramses  II.  und  auch  Ramses  III.  zu 
nennen. 


136  ni-  Die  Aufrichtung  des  äjjyptischen  Weltreichs 

geschenkt  war  (o.  S.  124  f.),  rechtlich  gestellt  war,  ist  nicht  zu 
ersehn.  Außerdem  haben  die  Dynasten  von  Rezenu  jährlich 
große  Abgaben  aus  allen  Produkten  des  Landes  zu  liefern, 
vor  allem  zahlreiche  junge  Sklaven  und  Sklavinnen,  ferner 
Pferde,  Rinder  und  Kleinvieh,  Weihrauch,  Wein  und  Ol,  edle 
Hölzer,  Gold  und  Silber,  Kupfer  und  Blei  in  Blöcken  und 
Ringen,  sowie  Elfenbein;  dazu  die  Arbeiten  der  Industrie, 
mit  Gold  und  Silber  beschlagene  Wagen,  Krüge  und  Schalen, 
darunter  große  metallene  Prunkgefäße,  die  mit  Blumenauf- 
sätzen geschmückt  sind.  Auch  die  Töchter  der  Stadtfürsten 
verlangt  der  Pharao  für  seinen  Harem.  In  den  Gräbern  der 
hohen  Staatsbeamten  sind  diese  Tribute  oft  dargestellt;  im 
Grabe  des  Vezirs  Rechmere'  bringen  „die  Großen  von  Rezenu 
und  allen  Nordländern  von  den  Grenzen  der  Erde"  ^)  außer 
den  aufgetischten  Schätzen  und  den  Prunkgefäßen  auch  einen 
Kriegswagen,  ein  Roß,  einen  Bären  und  einen  kleinen  Ele- 
fanten. Dazu  kam  die  Verpflegung  des  Heeres  an  allen 
Marschstationen,  die  Ausrüstung  der  Hafenstädte  mit  allem 
Proviant  „für  die  Hinfahrt  und  die  Rückfahrt".  Zur  Siche- 
rung der  ägyptischen  Herrschaft  dienten  zahlreiche  Festungen, 
so  in  Palaestina  vor  allem  Betsean.  das  den  Übergang  von 
der  Ebene  Jezre'el  ins  Ostjordanland  sperrte  —  hier  haben 
sich  Reste  eines  Tempels  aus  der  Zeit  Thutmosis'  III.  und 
Amenophis'  III.  gefunden  —  ;  ferner  die  Festungen  im  Libanon 
(o.  S.  125)  und  vor  allem  am  Eingang  der  Eleutherosebene, 
im  Süden  'Arqa,  im  Norden  Simyra  zur  Deckung  der  Haupt- 
straße   nach    dem   Orontes    und    nach  Norden^);    Simyra    ist 


')  So.  phiiito,  hat  Hay  (Zeichnung  im  Brit.  Mus.  uo.  27  710,  39) 
noch  deutlich  gelesen;  bei  Sethe  ürk.  1101,  15  steht  fälschlich 
phui  sätet. 

2)  Die  große  Hauptroute  nach  Syrien  geht  durch  die  Küstenebene 
Palaestinas,  dann  über  den  Karmel  nach  Megiddo,  und  von  hier  über 
Akko  auf  der  ,  Küstenstraße "  durch  die  Phoenikerstädte  bis  zum  Eleu- 
theros  (Nähr  el  Kebir),  und  dann  durch  dessen  Tal  entweder  nach 
Qades  oder  direkt  nördlich  über  Hamät  oder  Sinzara  nach  Aleppo  und 
zum  Euphrat. 


Organisation  Syriens  137 

zugleich  der  Sitz  des  Gouverneurs  und  der  Sammelplatz  für 
die  Getreidelieferungen  dieses  ganzen  Gebiets  nach  Ägypten^). 
Hierher  gehört  wohl  auch  der  „Kommandant  der  großen 
Festung  des  Meeres  (uazuer)"  Set-amon,  „der  die  Zustände 
der  Barbarenlande  (fncliu)  kennt  und  die  Tribute  der  Wider- 
spenstigen (nhtu  qet)  in  Empfang  nimmt,  die  zu  seiner  Ma- 
jestät kamen,  der  Kommandant  der  Festungen  des  nörd- 
lichen Auslandes" -)  —  leider  fehlt  auch  hier,  wie  gewöhnlich, 
jede  genauere  geographische  Angabe.  Diesen  Kommandanten 
(in  den  Amarnabriefen  ra5?.?  genannt)"),  sind  die  Stadtfürsten 
(chasan)  unterstellt,  die  jene  mehrfach  als  „Bruder"  oder 
„Vater"  anreden");  daneben  finden  wir  hohe  Beamte,  denen 
die  Oberleitung  der  Provinz  von  Ägypten  aus  obliegt.  Die 
Truppen,  Fußvolk  und  Streitwagen,  die  ihnen  zur  Verfügung 
standen,  waren,  wie  die  Amarnabriefe  zeigen,  größtenteils 
Söldner  aus  den  Kuschiten  Nubiens'')  und  den  Serdana  der 
Mittelmeerwelt.  Dazu  kamen  die  auch  von  den  Stadtfürsten 
angeworbenen  Söldner  aus  den  semitischen  Nomadenstämmen, 
vor  allem  Bogenschützen  (sutn).  Groß  ist  die  Truppenzahl  nie 


•)  Am.  60,  22. 

'')  Statue  in  Brüssel:  Capart,  Rec.  22,  105  ff. 

3)  Mehrfach  erläutert  durch  die  Glosse  tiakin  pD  (7,  77;  256,  9 
und  Rev.  d'Ass.  19,  91  zakin  geschrieben)  und  131,  21.  23  durch  malik 
sarri  ,Rat  (Bevollmächtigter)  des  Königs". 

*)  73.  158.  164.  166. 

^)  Ribaddi  von  Byblos  sagt  in  seinen  Gesuchen  um  Entsendung 
von  Hilfstruppen  für  Nubien  ständig  Melucha;  nur  131,  13  bittet  er 
neben  300  Kriegern  und  30  Wagen  um  100  Leute  der  inat(7ti  KaM, 
also  von  Kus  (ebenso  vielleicht  127,  22);  und  in  dem  verstümmelten 
Text  133,  17  scheint  er,  nach  Knudtzon's  Ergänzung,  Melucha  durch 
die  Glosse  Kasi  zu  erklären  (erhalten  ist  nur  .  .]  ha'^ka  [. .).  Abdchiba 
von  Jerusalem  redet  287,  33.  72  f.  von  einem  Frevel  der  KaSiwi  (ZI.  72 
Kasi  geschrieben),  also  der  nubischen  Truppen.  49,  20  bittet  Samaaddu 
um  zwei  Pagen  aus  dem  Lande  Kasi.  —  Daneben  steht  Kassi  als  Be- 
zeichnung des  Kossaeerreichs  von  Babel  76,  15.  104,  20,  in  116,  71 
Kasi  geschrieben  (vielleicht  auch  288,  36  verschrieben  in  Kapasi).  — 
vSerdani  81,  16.  122,  35.  128,  15. 


138  III-  I*iß  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

gewesen,  wie  übereinstimmend  die  Annalen  Thutmosis'  III. 
und   die   Angaben   der  Amarnabriefe  zeigen. 

Neben  dem  Landweg  durch  die  Sinaiwüste  bestand  die 
Verbindung  zur  See,  die  vielfach  auch  zur  Überführung  der 
Truppen  benutzt  wurde.  Daß  die  Schiffe  Phoenikiens  zur  Ver- 
proviantierung und  zum  Transport  der  Beute  und  Tribute  ver- 
wendet wurden,  haben  wir  schon  gesehn.  Die  Grabinschrift 
des  Schatzmeisters  Sennufe  erzählt,  wie  der  König  ihn  mit 
einer  Truppe  über  See  nach  Byblos  schickte,  um  in  den  Wäl- 
dern des  Libanon  Zedern  zu  schlagen^).  Derartiges  wird  oft 
genug  vorgekommen  sein.  Der  Seehandel  und  die  Industrie 
der  Phoeuikerstädte  wird  durch  die  Zugehörigkeit  zum  Groß- 
reiche wesentlich  gewachsen  sein.  Eine  Darstellung  aus  einem 
thebanischen  Grabe  zeigt  ein  Geschwader  phoenikischer  Han- 
delsschiffe, das  in  Ägypten  landet  und  die  Waren  auslädt,  die 
von  ägyptischen  Beamten  empfangen  und  kontrolliert  werden: 
die  Kaufherren,  mit  langem  Haupthaar  und  Bart,  haben  über 
dem  Unterkleid  den  bunten,  reichgestickten  Mantel  um  den 
Leib  geschlungen,  den  die  vornehmen  Syrer  tragen,  die  Ma- 
trosen haben  kurzgeschorenes  Haar  und  sind  nur  mit  einem 
Lendenschurz  bekleidet^).  Für  die  nach  Ägypten  gebrachten 
Waren  importieren  die  Phoenikerstädte,  so  Byblos  und  Tyros, 
aus  dem  Delta ^)  vor  allem  Getreide;  in  Fällen  der  Not,  wie 
in  den  Wirren  seit  den  letzten  Jahren  Amenophis'  HL,  müs- 
sen sie  dafür  ihre  Söhne  und  Töchter  als  Schuldknechte  hin- 
geben. 

Daß  auch  Cypern,  das  damals  ein  einheitliches  Reich 
bildete,  an  Thutmosis  regelmäßig  reiche  Gaben  gesandt  hat, 
wurde  schon  erwähnt.  In  den  Amarnabriefen  erscheint  Cypern 


')  Sethe,  Bar.  Berl.  Äk.  1906,  356  ff.  Urk.  532  ff. 

2)  Veröffentlicht  von  Daressy,  Rev.  arch.  1895  vol.  27 ;  danach  bei 
KösTER,  Schiffahrt  und  Handelsverkehr  im  3.  und  2.  Jahrtausend,  Beiheft  I 
zum  Alten  Orient,  1924.  Leider  ist  das  Gemälde  gleich  nach  der  Auffin- 
dung zerstört,  s.  W.  M.  Müller,  Mitt.  Vorderas.  Ges.  1904,  2  S.  28. 

*)  In  den  Amarnabriefen  führt  das  Delta  durchweg  den  nicht 
erklärbaren  Namen  Jarimuta. 


Seehandel.    Phönikien,  Cypern,  Kreta  139 

(Alasia)  als  selbständiges  Reich  ^),  sein  König  schreibt  an  den 
von  Ägypten  als  seinen  Bruder,  und  wenn  er  ihm  fortdauernd 
große  Massen  Kupfer  schickt,  so  erwartet  er  dafür  Gegen- 
gaben, vor  allem  Silber  und  Öl;  eine  gewisse  Unterordnung 
tritt  vielleicht  darin  hervor,  daß  er  weder  seinen  Namen 
noch  den  des  Pharao  jemals  nennt. 

Ähnlich  wird  das  Verhältnis  zu  den  Kaftiern  von  Kreta 
gewesen  sein,  nicht  eine  Oberherrschaft,  wie  die  Königsin- 
schriften es  mit  üblicher  maßloser  Übertreibung  darstellen^), 
sondern  ein  andauernd  freundschaftliches  Verhältnis  mit  ge- 
genseitiger Übersendung  reicher  Geschenke,  also  im  Grunde 


*)  Thutmosis  III.  nennt  Cypern  durchweg  's*  [geschrieben  mit 
dem  Silbenzeichen  's,  das  auch  den  Lautwert  sb  hat  und  im  Dekret 
von  Kanopos  (Sethe  ürk.  der  griech. -röm.  Zeit  131,  9)  offenbar  so 
aufgefaßt  wird,  da  hier  Küi^po«;  durch  dies  Zeichen  mit  der  Ergän- 
zung -binait  wiedergegeben  wird,  also  Sebinai(t),  vgl.  W.  M.  Mülleh, 
Asien  und  Europa  336;  wie  man  dies  Wortungeheuer  gesprochen  hat. 
wissen  wir  nicht].  Später  kommt  'si  nur  noch  in  Völkerlisten  vor. 
Alasia  =  äg.  'rs  (hierat.  Bemerkung  zu  Am.  39)  erscheint  außer  in  den 
Amarnatexten  vielfach  unter  der  19.  und  20.  Djn.  sowie  in  dem  Reise- 
bericht des  Wenamon.  Daß  es  Cypern,  also  mit  'si  identisch  ist  [dies 
wird  eine  verkürzte  Schreibung  sein;  in  einer  Liste  Sethos'  L  LD.  III 
131a  stehn  beide  Namen  nebeneinander],  woran  die  Produkte  und 
die  maritime  Lage  keinen  Zweifel  lassen,  wird  durch  den  Kult  eines 
ApoUon  Alosiotas  (in  kypr.  Silbenschrift,  phoen.  onV'lbK  rj-zri)  in  Ta- 
massos  bestätigt;  die  gelegentlich,  so  von  Oberhummer  bei  Pauly- 
WissowA  XII  86,    dagegen  geäußerten  Bedenken  sind  ohne  Bedeutung. 

^)  So  sagt  Amon  zu  Thutmosis  IIT.  in  der  sog.  , poetischen  Stele", 
wo  alle  angeblich  unterworfenen  Länder  aufgezählt  werden :  „Ich  bin 
gekommen  und  lasse  dich  das  Westland  niedertreten,  Kafti  und  Cypern 
stehn  unter  deiner  Gewalt",  und  ebenso  „die  Bewohner  der  Inseln 
des  großen  Meeres".  Ähnliche  Ausdrücke  bei  Hatsepsut  o,  S.  105.  Auf 
einer  von  Th.  III.  dem  General  Thouti  geschenkten  Goldschale  heißt 
es  von  diesem,  daß  er  „die  Wünsche  des  Königs  erfüllt  auf  jedem 
Fremdland  und  den  Inseln  im  großen  Meer",  Sethe  ürk.  999.  [Dieser 
Thouti  ist  der  Held  einer  Sage,  in  der  er  durch  List  den  rebellischen 
Fürsten  von  Joppe  tötet  und  seine  Stadt  wiedergewinnt:  Er.man,  Lit.  der 
Äg.  216  f.]  Im  Grabe  des  Amenemheb  (Sethe  S.  908)  sagen  die  tribut- 
bringenden syrischen  Fürsten  zum  König:  „die  Furcht  vor  dir  dringt 
in  alle  Fremdlitnder,  Kaftu  .  . ."  (der  Rest  ist  zerstört). 


140  1^1-  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

nur  eine  andere  Form  des  staatlichen  Tauschhandels,  nicht 
anders  als  bei  den  Beziehungen  zu  Cypern,  Mitani,  Babel, 
Assur  und  den  Chetitern.  Die  Gesandtschaften,  welche  diese 
Gaben  überbringen,  sind  in  den  Magnatengräbern  dieser  Zeit 
mehrfach  dargestellt  (s.  o.  S.  107);  da  sich  die  Begrüßung  des 
Königs  natürlich  auch  hier  in  der  Form  der  Proskynese,  der 
fußfälligen  Verehrung  mit  Küssen  des  Erdbodens,  vollzog,  war 
die  Gleichstellung  mit  den  wirklich  untertänigen  Völker- 
schaften umso  leichter. 

Die  Inschriften  Thutmosis"  III.  reden  wiederholt  von 
seinen  Siegen  über  die  Völker  des  Südens  und  geben  lange 
Listen  der  von  ihm  Besiegten,  .,der  Südvölker  und  der  Trogo- 
dyten  Nubiens,  unter  denen  er  ein  großes  Gemetzel  anrichtete, 
deren  Zahl  nicht  ermittelt  ist,  und  deren  Hörige  er  als  Ge- 
fangene nach  Theben  führte,  um  das  Arbeitshaus  seines  Vaters 
Amon-re'  zu  füllen".  An  der  Sjiitze  steht  Kusch;  dann  folgen 
in  regelloser  Folge  zahlreiche  Gaue,  darunter  Uauat,  Mazoi, 
Punt  und  z.  B.  das  bei  Hatsepsuts  Expedition  erwähnte  'Arem, 
aus  dem  mit  den  Tributen  im  Jahre  34  auch  der  Sohn  des 
Häuptlings  nach  Ägypten  geschickt  wurde,  wie  die  Söhne  der 
syrischen  Fürsten.  Genauer  zu  lokalisieren  ist  kaum  einer  von 
diesen  Namen;  die  Abbildungen  in  den  Gräbern  zeigen,  daß 
es  sich  um  zwei  grundverschiedene  Rassen  handelt,  schwarze 
bartlose  Neger  mit  kurzem  wolligem  Haar,  in  dem  eine  Feder 
steckt,  und  mit  Ohrringen,  und  braune  Hamiten  mit  einer 
den  Ägyptern  und  Puntiern  ähnlichen  Gesichtsbildung,  mit 
langem  Haar  und  spitzem  Kinnbart.  An  größere  Kämpfe  ist 
nicht  zu  denken;  wohl  aber  wird  es  im  Wüstenplateau  bis  zum 
Roten  Meer  mit  seinen  Goldminen  und  Karawanenstraßen 
nie  an  Räubereien  und  an  Versuchen  der  kriegerischen  Stämme 
gefehlt  haben,  das  fremde  Joch  abzuschütteln  und  die  Bauern 
des  Flußtals  auszuplündern :  das  gab  dann  Anlaß  zu  Kriegs- 
zügen und  Razzias,  bei  denen  Scharen  von  Sklaven  fort- 
geführt wurden.  Der  König  selbst  hat  an  diesen  Kämpfen 
kaum  je  teilgenommen  außer  im  Jahre  50,  wo  er,  wie  früher 
sein  Vater,    den    wieder  durch  Felsblöcke  verstopften  Kanal 


Die  nubischen  Provinzen  141 

durch  den  ersten  Katarakt  aufs  neue  reinigen  ließ  und  auf  der 
Rückkehr  vom  Kampfe  durchfuhr^).  Das  Niltal  selbst  bis  nach 
Napata  und  bis  zum  vierten  Katarakt  hinauf,  in  zwei  Bezirke, 
in  Uauat,  d.  i.  Unternubien  bis  zum  zweiten  Katarakt,  und 
Kusch,  d.  i.  das  Tal  von  Dongola,  geteilt,  war  jedenfalls  fest 
in  den  Händen  des  Reichs  und  seines  Statthalters,  des  „Kö- 
nigssohns von  Kusch".  Die  jährlichen  Ernteabgabeu  sind  iu 
derselben  Weise  geordnet  wie  in  Syrien.  Dazu  kamen  die 
sonstigen  Leistungen,  die  in  den  Grabgemälden  oft  darge- 
stellt sind^):  Sklaven,  Rinder  mit  mächtigen  Hörnern,  deren 
Spitzen  durch  aufgesetzte  Hände  von  Holz  gesichert  sind,  Gold 
in  Ringen  und  Barren,  Ebenholz,  Elfenbein,  Pantherfelle. 
Straußeneier  und  Straußenfedern,  dazu  lebende  Panther,  Gi- 
raffen, Affen,  sowie  Jagdhunde;  ferner  die  Produkte  des  in 
seiner  primitiven  Art,  genau  wie  gegenwärtig,  nicht  unent- 
wickelten Kunsthandwerks  der  Neger,  Schilde,  geflochtene 
Körbe,  getriebene  Schaustücke  von  Goldblech  mit  Nachbil- 
dung von  Blumen  und  Sträuchern.  Zahlreiche  Weiber  und 
Kinder  begleiten  den  Zug:  die  kleinen  Kinder  werden  von 
den  Negerfrauen  auf  dem  Rücken  in  Körben  getragen.  Auch 
ein  prächtiger  mit  Rindern  bespannter  Streitwagen  fehlt  nicht, 
auf  dem  der  hellfarbige  Häuptling  unter  einem  Sonnen- 
schirm einherfährt.  Eine  Inschrift  an  den  Felsen  von  Ibrim 
in  Unternubien  (äg.  Me'am)  berichtet,  wie  für  den  Trans- 
port dieses  Tributs  nicht  weniger  als  2667  Mann  gebraucht 
wurden^). 

Daneben  geht  ständig  fortschreitend  die  Kolonisation  Nu- 
biens  einher,  überall  verbunden  mit  der  Erbauung  von  Tem- 
peln,   zu  denen    natürlich  städtische  Ansiedlungen   gehörten. 


')  Sethe  Urk.  814. 

^)  Zu  den  früher  erwähnten  Gräbern  kommt  aus  späterer  Zeit 
vor  allem  das  Grab  des  Hui  unter  Tut'anch-amon  LD.  III  116  ff.;  hier 
wird  auch  eine  Reihe  von  ägyptischen  Grafen  und  Festungskomman- 
danten genannt:  Brugsch,  Thes.  V  1140.    Breasted,  Am.  Reo.  II  1041. 

')  Breasted,  The  Temples  of  Lower  Nubia,  Amer.  J.  of  Semit. 
Lang.  23,  1906,  p.  38  f. 


142  III.  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

die,  wie  in  Ägypten,  von  Grafen  oder  von  Festungskomman- 
danten verwaltet  werden.  Schon  in  seinen  ersten  Jahren, 
als  tatsächlich  Hatsepsut  das  Regiment  führte,  hat  Thutmosis 
den  Tempel  des  zum  Landesgott  von  Uauat  erhobenen  Se- 
sostris  III.  in  Semne  (o.  S.  80),  und  gegenüber  in  Kumme 
einen  des  Clinum,  in  Buhan  (Wadi  Haifa)  einen  des  Horus 
erbaut;  später  folgen  im  Jahre  51  weiter  abwärts  die  Kapelle 
in  der  Grotte  von  Ellesie  bei  Ibrim  und  der  von  seinen 
Söhnen  und  Enkeln  vollendete  Tempel  des  Har'achte  in 
Amada,  und  im  „Zwölfmeilenlande"  oberhalb  des  ersten  Kata- 
rakts der  von  Amenophis  IL  erbaute  von  Kalabse.  Spär- 
licher sind  die  Anlagen  in  Obernubien.  Auf  der  Insel  Säi, 
in  der  Mitte  zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Katarakt, 
hat  der  „Königssohn  von  Kusch"  Nehi,  der  auch  sonst  die 
Bauten  Thutmosis'  III.  leitete,  eine  Festung  mit  einem  Tempel 
angelegt ;  etwas  weiter  oberhalb,  am  Gebel  Dose  bei  Soleb,  ließ 
der  König  eine  Felskapelle  erbauen.  Dann  hat  Amenophis  III. 
in  Soleb  einen  prächtigen  Tempel  gebaut,  in  dem  er  als 
Landesgott  verehrt  wurde,  wie  etwas  weiter  abwärts  in  Se- 
deinga  seine  Gemahlin  Teje.  Die  bedeutendste  Ansiedlung 
der  Ägypter  aber  war  Napata,  die  südliche  Grenzstadt  des 
Reichs,  wo  Amon  ein  großes  Heiligtum  am  „heiligen  Berge" 
Barkai  erhielt;  sie  wird  geradezu  als  ein  zweites  Theben  be- 
zeichnet. Von  den  hier  errichteten  Bauten  des  ägyptischen 
Reichs  hat  sich  nichts  erhalten;  sie  sind  durch  die  Neuge- 
staltung unter  der  Äthiopenherrschaft  geschwunden. 

Von  Libyen  ist  unter  Thutmosis  III.  kaum  je  die  Rede  ^) ; 
umso  mehr  dagegen  von  Punt  und  seinen  „Wunderprodukten", 
Weihrauch,  Myrrhen  und  Gold;  ferner  Ebenholz,  Elfenbein, 
Pantherfelle,  Straußeneier  und  seltsame  Tiere  aller  Art.  In- 
dessen  eine  Provinz  des  Reiches  ist   es  nicht  gewesen,  son- 


')  Der  Tribut  von  Libyen  (Zehenu)  wird  m.  W.  nur  in  der  In- 
schrift von  Wadi  Haifa  aus  dem  J.  23,  Sethe  809,  8  erwähnt,  seine 
Untertänigkeit  poet.  Stele  19,  wo  neben  Zehenu  die  sonst  nicht  be- 
kannten „Inseln  der  Wezentiu"  stehn.  Zehenu  auch  in  der  Liste  der 
Südvölker  no.  88.    Über  die  Oasen  s.  o.  S.  82. 


Tempelbauten  in  Nubien.    Pant  143 

dern  steht  zu  ihm  etwa  wie  Cyperu,  nur  daß  in  dem  Ver- 
kehr mit  dem  weit  abgelegenen  Lande  immer  wieder  große 
Pausen  eintreten.  In  den  Annalen  des  Königs  werden  gegen- 
über den  regelmäßig  eingehenden  Tributen  von  Syrien,  Uauat 
und  Kusch  Expeditionen,  die  die  Produkte  von  Punt  bringen, 
nur  unter  den  Jahren  33  und  38  erwähnt^),  und  nicht  anders 
wird  es  auch  unter  den  folgenden  Regierungen  gewesen  sein. 
Umso  lieber  werden  die  Gesandtschaften,  die  mit  ihren  Gaben 
von  dort  kommen,  in  den  Gräbern  dargestellt;  dies  „Götter- 
land"  ist  für  die  Ägypter  mit  dem  Nimbus  des  Geheimnis- 
vollen umgeben. 

Kaum  der  Erwähnung  bedarf,  daß  die  Minen  auf  der 
Sinaihalbinsel  wieder  in  vollem  Betrieb  waren 2). 

Das  Reich,  das  Amon  von  Theben  seinem  Sohn  Thut- 
mosis  III.  und  dessen  Nachfolgern  verliehen  hat,  ist  das  erste. 
das  wirklich  auf  den  Namen  eines  Weltreichs  Anspruch  er- 
heben kann.  Es  hat,  trotz  mancher  Wechselfälle,  ein  Viertel- 
jahrtausend lang  bestanden  und  die  verschiedenartigsten  Ge- 
biete und  Kulturen  zusammengefaßt.  Dadurch,  daß  diese 
Kulturen  wirklich  in  Wechselwirkung  zueinander  treten, 
unterscheidet  es  sich  ebensosehr  von  den  älteren  Reichen 
Ägyptens  und  Babyloniens,  die  den  gleichen  Anspruch  er- 
hoben haben,  wie  durch  den  Umfang  seines  Gebiets  und 
durch  die  straffe  und  in  den  Grundzügen  noch  wohlerkenn- 
bare Organisation,  die  seinen  dauernden  Bestand   ermöglicht 


')  über  die  Gesandtschaft  der  Gnbtu  im  J.  31   s.  o.  S.  120,  Anm. 

')  Im  Osten  Ägyptens,  bei  Sile,  muß  damals  auch  eine  kultivierte 
Oase  mit  Gartenland  und  Weinbau  gelegen  haben,  die  ^oruswege" 
(vgl.  Bd.  I  227),  deren  Abgaben  Puemre^  von  einem  Oberweingärtner 
der  Einkünfte  des  Amon  empfängt  (Sethe  Urk.  523)  und  in  der  der 
Vater  des  Sennufe  Beamter  war  (Sethe  .547.  4).  Vgl.  Erman.  ÄZ.  43,  72  f. 
[Die  dort  von  Sethe  ausgesprochene  Bestreitung  der  Identität  mit 
den  Horuswegen  bei  Sile  erscheint  mir  unbegründet;  der  Distrikt, 
etwa  am  Ballachsee,  kann  später  sehr  wohl,  wie  so  manche  Oasen,  ver- 
sandet sein.  Am  Süßwasserkanal  vom  Wadi  Turailät  nach  Suez  finden 
sich  auch  jetzt  zahlreiche  Streifen  bebauten  Landes,  ebenso  bei  Is- 
mailije.] 


144  III    Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

hat.  Es  ist,  im  Gegensatz  zu  jenen,  die  Schöpfung  einer 
modernen  Kultur,  die  über  reiche  Mittel  verfügt  und  die 
eben  dadurch,  daß  sie  sich  in  dem  Großreich  auswirken  kann, 
auf  den  Höhepunkt  ihrer  Entwicklung  gelangt. 

Zugleich  aber  ist  dieses  Reich  ein  ganz  eigenartiges 
Gebilde,  das  in  aller  Weltgeschichte  nicht  seinesgleichen  hat. 
Es  erstreckt  sich  über  mehr  als  18  Breitengrade,  von  Napata 
in  den  Tropen  bis  nach  Nordsyrien;  aber  es  kennt  im  Grunde 
—  denn  die  Wüstengebiete  zu  beiden  Seiten  des  Nils,  mit  Aus- 
nahme der  Goldminen  Nubiens,  haben  für  das  Reich  keine 
aktive  Bedeutung  —  nur  diese  eine  Längendimension  von  Süd 
nach  Nord.  Selbst  im  Delta  und  in  Syrien  ist  das  Kulturland 
kaum  irgendwo  breiter  als  10—12  Meilen;  im  Niltal  Ägyptens 
beträgt  die  durchschnittliche  Breite  kaum  mehr  als  2  Meilen 
und  schrumpft  oberhalb  Thebens  und  vollends  in  Nubien  auf 
einen  schmalen  Ufersaum  zusammen.  Die  Hauptstadt  The- 
ben, von  der  aus  die  Geschicke  des  Reichs  geleitet  wurden, 
liegt  nahezu  im  Mittelpunkt  dieser  Längsausdehnung.  Auf 
der  Heerstraße  zunächst  im  Niltal  nach  Memphis,  dann  von 
hier  zur  Grenzfeste  Sile  auf  der  Landbrücke  el  Qantara 
zwischen  dem  Menzale-  und  dem  Ballachsee  durch  die 
Sinaiwüste  nach  Gaza  und  weiter  auf  der  Küstenstraße,  und 
dann  durch  das  Eleutherostal  nach  Nordsvrien,  beträgt  der 
Weg  von  Theben  bis  nach  Neje  oder  zum  Euphrat  etwa 
1800  Kilometer,  von  Theben  bis  Napata  im  Niltal  etwa 
1400  Kilometer^).  Man  muß  sich  diese  Entfernungen  an- 
schaulich machen,  um  richtig  zu  erfassen,  welche  Energie 
und  welche  Durchbildung  der  Organisation  dazu  gehört  hat, 
das  Reich  dauernd  zusammenzuhalten,  die  Operationen  der 
Truppen  zu  sichern,  die  geregelte  Überführung  der  Tribute 
und  der  Gesandtschaften,  den  geordneten  Verlauf  der  Ver- 
waltung  in   Gang   zu    halten    und    ständig    zu    kontrollieren. 

0  Von  Theben  bis  Kairo  mit  der  Bahn  674  km,  von  Kairo  bis 
Elkantara  etwa  180  km,  von  hier  bis  Gaza  ca.  240,  von  da  bis  Aleppo 
ca.  700  km;  von  Theben  bis  Assuan  mit  der  Bahn  213  km,  von  hier 
bis  Semne  420  km,  von  hier  bis  Napata  im  Niltal  ca.  800  km. 


Charakter  und  Organisation  des  Weltreichs  145 

Von  der  Konzentration  der  gesamten  Verwaltung  gibt  eine 
Darstellung  im  Grabe  des  „Vorstehers  der  Kornmagazine " 
Cha'enihet  unter  Amenophis  III.  ein  anschauliches  Bild:  beim 
Seifest,  in  dessen  '60.  Jahre,  überreicht  er  dem  König  „die 
Abrechnung  über  den  Ernteertrag  des  hohen  Nilstandes  beim 
Jubiläum  durch  die  Vorsteher  der  Magazine  des  Pharao  und 
die  Beamten  des  Südens  und  Nordens  von  Kusch  bis  zur 
Grenze  von  Naharain" ;  die  Beamten  werden  belohnt,  „weil  sie 
die  Ernte  (d.  h.  die  Abgabe  davon)  erhöht  haben",  während 
er  selbst  mit  dem  „Golde"  bekleidet  wird;  der  Gesamtbetrag 
wird  mit  der  seit  alters  bei  den  Ägyptern  beliebten  Zahlen- 
spielerei auf  33,  333,  300  (Scheffel)  angegeben^). 

Rings  um  das  Reich  hausen  in  Afrika  die  nomadischen 
Stämme  der  Steppe  und  Wüste,  Libyer,  Neger,  Bedja  und 
andere  Hamiten,  und  weiter  die  Beduinen  der  Sinaihalbinsel 
und  der  syrisch -arabischen  Steppe.  Sie  alle  werden  vom 
Pharao  in  ununterbrochenen  kleinen  Fehden  im  Zaum  ge- 
halten und  liefern  zugleich  außer  großen  Sklavenmassen  auch 
brauchbare  Soldtrup[)en.  Die  See  gibt  die  Verbindung  mit 
der  ägaeischen  Welt  und  ihrer  Kultur.  In  Asien  steht  das 
Reich  in  unmittelbarer  Berührung  mit  den  Kulturstaaten 
ringsum,  Babylonien,  Assyrien,  Mitani,  dem  Chetiterreich.  Sie 
alle  mußten  die  Aufrichtung  der  ägyptischen  Herrschaft  über 
Syrien  als  einen  Einbruch  in  ihren  Machtbereich  empfinden; 
wie  der  Fürst  von  Mitani  bei  der  Organisation  des  Wider- 
standes mitwirkte,  mögen  auch  Agenten  des  Kossaeerkönigs 
von  Kardunias  hier  tätig  gewesen  sein,  dessen  altererbter 
Anspruch  auf  die  Oberhoheit  über  Syrien  dadurch  beseitigt 
ist.  Hätten  sich  alle  diese  Staaten  zu  gemeinsamem  Handeln 
verbunden,  so  hätten  sie  vielleicht  dem  Vordringen  des  Pharao 
erfolgreich  entgegentreten  können.  Aber  eine  derartige  Ko- 
alition war  bei  der  zwischen  ihnen  bestehenden  Rivalität  nicht 


')  LD.  III  76,  77.  LoRET,  Mem.  miss.  fran?.  I  120.  Dieselbe  Spielerei 
kehrt  wieder  in  der  bekannten  Angabe  Theokrits  17.  82  ff  ,  Ägypten 
habe  unter  Ptolemaeos  II.  83  333  Städte  gehabt.  Bei  Diodor  I  31  ist 
diese  Zahl  auf  „mehr  als  30  000"  abgerundet. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    II'.  10 


140  III-  I^iß  Aufrichtung  des  Ugj^ptischen  Weltreichs 

möglich;  und  vereinzelt  waren  sie  alle  zu  nachhaltigem  Wider- 
stände zu  schwach.  Die  Überlegenheit  Ägyptens  beruht  nicht 
nur  auf  seiner  militärischen  Organisation,  sondern  mehr  noch 
auf  den  gewaltigen  materiellen  Mitteln,  die  dem  Reich  zur 
Verfügung  stehn,  sowohl  in  den  Erzeugnissen  der  Industrie 
und  des  Kunstgewerbes,  wie  vor  allem  in  den  unerschöpflichen 
Metallschätzen,  darunter  in  erster  Linie  dem  Golde,  bei  dem 
jetzt  zu  dem  Ertrage  der  nubischen  Bergwerke  noch  die 
reichen  Goldmassen  aus  Punt  hinzukommen.  Keiner  der  an- 
deren Staaten  kann  darin  auch  nur  von  fern  mit  ihm  kon- 
kurrieren; und  so  haben  sie  alle  seine  Suprematie  als  un- 
vermeidlich gegeben  hingenommen  und  es  vorgezogen,  durch 
gefügiges  Entgegenkommen  von  ihm  zu  profitieren.  Wir  haben 
gesehn,  wie  die  Könige  von  Babel,  Assur,  Cypern,  dem 
„großen  Chetiterlande"  und  Arrapcha  wiederholt  reiche  Ge- 
schenke an  Thutmosis  senden,  die  dieser  natürlich  als  schul- 
digen Tribut  darstellt;  aber  es  kann  nicht  zweifelhaft  sein, 
daß  dem,  wie  später  in  der  Amarnazeit,  mindestens  ebenso 
reiche  Gegengaben  von  selten  des  Pharao  gegenüberstanden. 
Der  geregelte,  wenn  auch  nicht  selten  durch  längere 
Pausen  unterbrochene  diplomatische  Verkehr,  der  dadurch 
entstanden  ist,  erfolgt,  wie  schon  erwähnt,  durchweg  in  baby- 
lonischer (akkadischer)  Sprache  und  Schrift,  auch  mit  Alasia; 
nur  ganz  vereinzelt  schreiben  die  Könige  von  Mitani  und 
dem  Chetiterlande  auch  einmal  in  der  eigenen  Sprache.  Auch 
der  Pharao  muß  sich  dieser  fremden  Sprache  bedienen  und 
dafür  Kanzlisten  ausbilden.  Darin  gelangt  die  enge  Be- 
rührung, in  die  die  beiden  uralten  Kulturen  des  Orients  jetzt 
getreten  sind,  lebendig  zum  Ausdruck. 


Die  Nachfolger  Thutmosis' lli.  Das  Reich  unter  Amenophislil. 

Thutmosis  III.  ist  um  1450,  gegen  Ende  des  54.  Jahres 
seiner  offiziellen  Regierung,  am  letzten  Phamenot  (März),  ge- 
storben. Der  Tod  des  großen  Kriegsfürsten  gab  das  Signal 
zu  einem  Aufstande  in  Syrien.    Aber  sein  Sohn  Amenophis  IL 


Ameiiophis  II.  147 

hatte  den  kriegerischen  Geist  seines  Vaters  geerbt;  er  rühmt, 
daß  weder  in  seinem  Heere  noch  unter  den  Fürsten  Syriens 
ein  einziger  imstande  sei,  seinen  Bogen  zu  spannen.  Im 
Frühjahr  des  nächsten  Jahres  M  zog  er  gegen  die  Rebellen, 
eroberte  die  Stadt  Sams-edom  in  Palaestina,  unterwarf  das 
Libanongebiet,  und  zog  über  den  Orontes  zum  Euphrat. 
Ernstlichen  Widerstand  wagte  man  nirgends;  ,die  Fürsten 
von  Mitani  kamen  mit  ihren  Abgaben  auf  dem  Rücken  zu 
ihm,  um  von  ihm  den  Lebensatem  zu  erflehn,  ein  großes 
Ereignis,  wie  man  es  seit  der  Götterzeit  nie  gehört  hat". 
Als  er  auf  dem  Rückmarsch  an  Neje  vorbeizog,  „standen 
alle  Asiaten  dieser  Stadt,  Männer  und  Weiber,  auf  der  Mauer, 
ihn  zu  verehren".  Die  Stadt  'kt,  vielleicht  Schreibfehler  für 
Ugarit,  die  versucht  hatte,  die  ägyptische  Garnison  zu  über- 
wältigen, wurde  gezüchtigt;  im  Bezirk  von  Tachas  in  Coele- 
syrien  (o.  S.  132)  erschlug  er  vor  Amon  sieben  rebellische 
Fürsten,  deren  Leichen,  wie  die  des  Trogodytenhäuptlings 
unter  Thutmosis  L  (o.  S.  79),  am  Bug  des  Königsschiffes 
mit  dem  Kopf  nach  unten  mitgeführt,  sechs  an  der  Mauer 
von  Theben,  eine  an  der  von  Napata  in  Nubien  aufgehängt 
wurden.  Außer  reicher  Beute  wurden  550  Marjanni  mit  ihren 
Weibern  nach   Ägypten  gebracht '0- 


')  Mit  Recht  hat  Breasted,  Anc.  Rec.  II  782  den  fragmentarischen 
Bericht  über  den  Feldzug  (Maspero,  ÄZ.  17,  56.  Erman,  ÄZ.  27,  89. 
Lei. RAIN,  Annual  IV)  ins  2.  Jahr  des  Königs  gesetzt:  da  Thutmosis  III. 
am  30./7  starb,  konnte  Amenophis  II.  unmöglich  schon  am  26-/9  des- 
selben Jahres  am  Orontes  sein.  —  Die  Annahme  von  Sethe,  Unters.  I  ob 
und  Breasted,  Anc.  Rec  II,  184,  Am.  IL  sei  von  seinem  Vater  zum  Mit- 
regenten erhoben  worden,  steht  im  Widerspruch  zu  dem  Bericht  des 
Amenemheb  über  den  Thronwechsel,  und  kann  dadurch,  daß  Am.  IL 
dem  Nebu'aui  eine  Statue  „seines  Vaters  Th.  III."  schenkt  und  dieser 
hier  den  Zusatz  „ewig  lebend"  erhält  (Marietie,  Abydos  II  33),  nicht  er- 
wiesen werden.  Am  Tempel  von  Amada  hat  Am.  IL  nicht  gleichzeitig  mit 
seinem  Vater  gebaut,  sondern  dessen  Hauten  fortgeführt,  s.  Breasted, 
Temples  of  Lower  Nubia,  Amer.  J.  of  semit.  Lang.  XXIII  1906,  48  ff. 

')  Das  Material  bei  Breasted.  Zu  dem  nur  verstümmelt  erhaltenen 
Bericht   gehört    eine   Liste   von   24   besiegten  Gebieten  (Legrain,  Ann. 


148  Il'f-  I*^^  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Von  weiteren  Feldzügen  Amenophis'  IL  hören  wir  nichts, 
obwohl  er  lange,  etwa  bis  1415,  regiert  zuhaben  scheint'). 
In  diese  Zeit  fällt  ein  neues  Vordringen  des  Mitanireichs 
nach  Nordsyrien  (s.  u.  S.  157  f.),  gegen  das  die  Ägypter  nichts 
Ernstliches  unternommen  zu  haben  scheinen;  vielmehr  ist  ein 
Friedens-  und  Freundschaftsvertrag  mit  diesem  Reich  ge- 
schlossen worden,  der  die  Grenze  regelte. 

Amenophis'  II.  Sohn  Thutmosis  IV.  ist  dann  noch  einmal 
nach  Nordsyrien  (Naharain)  gezogen  und  hat  die  Tribute  in 
Empfang  genommen,  aber  offenbar  mit  Mitani  Frieden  ge- 
halten. Die  rebellische  Stadt  Gazer  in  Palaestina  hat  er  be- 
siegt und  hier  in  der  Festung  Choriter  angesiedelt.    In  seinem 


V  .34.  W.  M.  MüM.EB,  Eg.  Res.  I  pl  54  f.),  in  der  erkennbar  sind:  Ober- 
und  Unterrezenu,  Chor,  .  . .  Qades,  Chaleb,  Neje,  Sensar,  Tunip,  Qa  Ina, 
Chasor,  Tachas,  Aqitu  ('?). 

')  Das  höciiste  erhaltene  Datum  ist  sein  5.  Jahr  [das  Datum  J.  26 
auf  einem  Weinkrug,  Petrie,  Six  temples  pl.  5,  bezieht  Griffith,  Proc. 
Soc.  Bibl.  Arch.  1909,  42  vielleicht  mit  Recht  auf  Am.  III.].  Nach  den 
Daten  für  Thutmosis  III.  und  Amenophis  III.  liegen  zwischen  beiden 
einige  dreißig  Jahre,  und  Thutmosis  IV.  (höclistes  Datum  J.  8)  kann  nicht 
sehr  lange  regiert  haben,  da  er  jung  gestorben  ist.  So  bleiben  für 
Am.  II.  weit  über  20  Jahre.  Einen  weiteren  Anhalt  bietet,  daß  der  heute 
vor  dem  Lateran  stehende  Obelisk  von Th.  III.  begonnen  und  dann  35  Jahre 
liegen  geblieben  ist,  bis  Th.  IV.  ihn  vollendete  —  leider  gibt  er  nicht 
an,  in  welchem  Jahr.  Falls  die  Arbeit  durch  den  Tod  Th.'  III.  unter- 
brochen wurde,  so  würde  auf  Am.  IL  vielleicht  dieser  ganze  Zeitraum 
fallen.  Andrerseits  fallen  die  36  Jahre  Amenophis'  III.  rund  1405  .bis 
1370  (s.  u.  S.  341).  Wir  werden  also  Amenophis  IL  rund  1450—1415, 
Thutmosis  IV.  1415— 1405  anzusetzen  haben.  Dazu  stimmen  annähernd 
die  manethonischen  Daten  (o.  S.  78):  Thutmosis  (IV.)  9  J.  8  Mte., 
Amenophis  IL  30  J.  10  Mte.,  Horos  (=  Amenophis  III.)  36  J.  5  Mte.,  nur 
daß  die  beiden  ersten  ihre  Stelle  vertauscht  haben.  Daß  das  Intervall 
nicht  größer  gewesen  sein  kann,  bestätigen  die  Biographien  des  Zanni 
(Sethe  Urk.  1004),  der  unter  Th.  IL,  Am.  IL.  Th.  IV.  diente,  des  Amen- 
mose (Sethe  1021  f.),  der  mit  dem  Wedel  vor  Th.  III.  und  noch  vor 
Am.  III.  steht,  des  yaiemhab  (LD.  III  78a.  b),  der  unter  Th.  IlL  ge- 
boren ist  und  unter  Am.  IL,  Th.  IV.,  Am.  III.  gedient  hat.  [Hier  steht 
hinter  allen  drei  Namen  nicht  ma'achru,  sondern  tu  'onch,  obwohl  die 
beiden  ersten  verstorben  sind;  das  ist  für  analoge  Inschriften  zu  be- 
achten.! 


ThutmosisIV.    Amenophis  III.  149 

8.  Jahr  hat  er  einen  Aufstand  der  Neger  in  Uauat  nieder- 
geworfen. Auf  seinem  uns  erhaltenen  Wagenkasten  0  ist  dar- 
gestellt, wie  er  auf  dem  Streitwagen  mit  Pfeil  und  Kriegsaxt 
oder  als  Königslöwe  alle  Feinde  niederwirft;  als  bezwungen 
sind,  mit  scharf  erfaßten  Porträtköpfen  (vgl.  o.  S.  103),  dar- 
gestellt Naharain,  Sinear,  Tunip,  die  Sos-beduinen,  Qades  und 
Tachas  sowie  sechs  Negerstämme. 

Thutmosis  IV.  ist  in  jungen  Jahren  gestorben^);  ihm 
folgte  sein  Bruder  Amenophis  III.,  der  36  Jahre  lang,  ca.  1405 
bis  1370,  das  Weltreich  beherrscht  hat.  Der  einzige  Feld- 
zug, der  in  seinen  zahlreichen  Inschriften  erwähnt  wird,  ist 
sein  „erster  Siegeszug",  ein  Feldzug  nach  Kusch  im  5.  Jahre 
seiner  Regierung  —  auch  das  zeigt,  wie  friedlich  die  Zeiten 
gewesen    sind.     Zur    Zeit    des    höchsten    Wasserstandes,    im 


')  Carter  u.  Neuberrv,  Tomb  of  Thutmosis  IV.  Fremdvölkerphot. 
13—27.  243.  244.  —  Daß  die  sog.  Sphinxstele,  die  erzählt,  wie  dem 
Th.  IV.  als  Prinzen  an  dem  großen  Sphinx  von  Gize  im  Schlaf  der  in 
ihm  hausende  Gott  Harmachis  erscheint  und  das  Könii.tiim  versprii  ht, 
ein  Piiestermärchen  aus  späterer  Zeit  ist,  1  at  Er.man,  Ber.  Berl.  Ak.  1904, 
428  ff.  und  lOfiS  f.  gezeigt.  Die  Einwände  Spiegelberc's,  Or.  Lit.  Z.  1904, 
268  ff.  343,  haben  mich  nicht  überzeugt;  inhaltlich  hat  die  Inschrift 
eine  Paiallele  in  der  l-!entie«stele  und  in  Babjlonien  in  der  gleichfalls 
legendarischen  Inschrift    Sargons  Bd.  I  397. 

^)  Nach  sicheren  anatomischen  Meikmalen  seiner  Mumie  ist  er 
noch  nicht  2-5  Jahre  alt  geworden  (G.  Elmot  S-uth  und  Daressy,  Ann. 
du  serv.  IV  110  ff".):  Amenophis  III.,  der  schon  in  seinem  2.  Jahre  die 
Teje  heiratet,  kann  also  nicht  sein  Sohn,  sondern  nur  sein  Bruder  ge- 
wesen sein.  Da  er  in  der  Bauinschrift  von  Elkab,  LD.  11180  b,  den  Th.  IV. 
seinen  Vater  nennt  {ebenso  in  der  Inschrift  des  yaremhab,  LD.III  78a), 
wird  er  von  diesem  adoptiert  worden  sein;  im  Amarnabrief  51.  4  heißt 
Manachbija.  d.  i.  Thutmosis  III..  koirekt  sein  Großvater.  Seine  Mutter 
Wutemua  kann  also  nicht  GemaMin  Th.'  IV.  gewesen  sein  [als  solche 
wird  sie  auch  niemals  bezeichnet];  ebensowenig  ist  sie  na'ürlich  ii.it 
der  M  taniprinzessin,  Tochter  Artatämas,  Am.  29,  16,  identisch,  wie  man 
oft  angenommen  hat  (dagegen  mit  Recht  Pridik,  Mutemwija,  Dorpat 
1924).  —  Sehr  wichtig  ist,  daß  Thutmosis  IV.  das  Setfest  zweimal  ge- 
feiert hat  (Bre'Sted,  Temples  of  Lower  Nubia,  Amer.  J.  of  Sem.  Lang. 
XXIII,  1906,  p.  51),  ein  weiterer  Beleg  dafür,  daß  dieses  Fest  für  die 
Chronologie  nicht  verwendet  werden  kann,  vgl.  Bd.  1  212  A.  277  A.  S.  SGL 


150  ^^^-  ^^^  Aufrichtung  des  ägj'ptischen  Weltreichs 

Oktober,  in  den  sein  Krönungsfest  fiel,  fuhr  er  mit  der  Flotte 
nach  Nubien.  Die  Gefechte,  bei  denen  etwas  über  1000  Neger 
erschlagen  oder  gefangen  wurden,  werden  in  üblicher  Weise 
als  glänzende  Siege  geschildert.  Er  wird  auch  in  einige  der 
schwer  zugänglichen  Täler  zur  Seite  des  Flusses  eingedrungen 
sein,  in  denen  die  räuberischen  Wüstenstämme  immer  von 
neuem  versuchten,  sich  den  Ordnungen  des  Kulturstaats  zu 
entziehn.  Aber  wenn  der  König  sich  rühmt,  „er  habe  seine 
Grenze  so  weit  gesetzt  wie  er  wollte,  bis  zu  den  vier  Pfeilern 
des  Himmels",  so  ist  er  doch  im  Niltal  schwerlich  über 
Napata  hinaus  in  die  unzugänglichen  Gebiete  des  vierten 
Katarakts  vorgedrungen;  nirgends  findet  sich  hier  eine  Spur 
ägyptischer  Herrschaft,  die  Südgrenze  des  Reichs  ist  auch 
unter  ihm  die  Landschaft  Kari. 

Die  asiatischen  Länder  hat  Amenophis  III.  niemals  be- 
treten, trotz  seines  Rühmens,  daß  er  Rezenu  und  Naharain 
mit  seinem  Schwerte  niederschlage;  und  ebensowenig  Wert 
hat  es,  daß  er,  wie  seine  Vorgänger,  unter  den  untertänigen 
Gebieten  (unter  denen  auch  die  Stämme  von  Libyen  und 
Kusch  sowie  Punt  nicht  fehlen)  neben  den  Namen  aus  Syrien 
und  Naharain  auch  Sinear,  Assur  und  Arrapcha  und  sogar 
die  Kafti  aufzählt^)  —  natürlich  auf  Grund  der  Geschenke, 
die  im  diplomatischen  Verkehr  mit  diesen  Staaten  ausge- 
tauscht wurden.  Das  wahre  Bild  zeigt  ein  an  ihn  gerich- 
teter Brief  des  Fürsten  von  Byblos  (Amarna  85,  69),  der 
ihn  dringend  bittet,  selbst  zu  kommen  und  den  Übergriffen 
des  Amoriterfürsten  Abdasirta  ein  Ende  zu  machen:  „seit 
dein  Vater  aus  Sidon  heimgekehrt  ist,  seit  diesen  Tagen 
haben  die  Länder  sich  an  die  Beduinen  (Gaz)  angeschlossen". 
Danach  ist  Thutmosis  IV.  in  dieser  Epoche  der  letzte  Pharao 
gewesen,  der  persönlich  in  Syrien  eingegriffen  hat. 


1)  LD.  III  88,  auf  den  Säulen  von  Soleb,  sowie  Lepsius  Text  IV  9 
aus  Karnak. 


Amenophis  III.    Beziehungen  zu  den  Nachbarn  151 

Die  Beziehungen  zu  den  Nachbarstaaten: 
Babylonien,  Assyrien,  l^itani,  das  Chetiterreich 

Nach  dem  Tode  Thutmosis'  III.  und  der  Niederwerfung 
des  syrischen  Aufstundes  durch  Amenophis  II.  hat  das  ägyp- 
tische Weltreich  zwei  Menschenalter  lang  im  wesentlichen 
unerschüttert  bestanden.  An  neue  Eroberungen  und  weitere 
Ausdehnung  über  den  Euphrat  ins  innere  Asien  dachte  man 
nicht  mehr.  Die  Beziehungen  zu  den  Nachbarstaaten  haben 
sich  freundschaftlich  gestaltet.  In  ihrer  durch  Gesandtschaften 
vermittelten  Korrespondenz  herrscht  strenge  Etikette,  der 
Pharao  und  die  auswärtigen  Könige  bezeichnen  sich  als 
Brüder,  jeder  wünscht  dem  anderen  Wohlergehn  nebst  seinem 
ganzen  Hause,  seinen  Magnaten,  Rossen  und  Wagen  und 
seinem  Lande,  und  berichtet  über  .sich  das  gleiche.  Burna- 
burias von  Babel  ist  empört,  daß  Amenophis  IV.  ihm  bei  einer 
Erkrankung  nicht  geschrieben  und  seine  Wünsche  nicht  ge- 
sandt hat,  und  läßt  sich  nur  mit  Mühe  durch  die  Annahme 
beruhigen,  daß  er  infolge  der  weiten  Entfernung  nichts  da- 
von gehört  haben  werde.  Durchaus  geboten  ist,  den  Namen 
des  Adressaten  vor  dem  eigenen  zu  nennen;  ein  leider  nur 
fragmentarisch  erhaltener  Brief  beschwert  sich  über  einen 
dagegen  begangenen  Verstoßt).  Zu  festigen  sucht  man  die 
Beziehungen  durch  Verschwägerung;  aber  gerade  hier  zeigt 
sich,  daß  tatsächlich  eine  Gleichstellung  nicht  besteht.  Der 
Pharao  erbittet  und  erhält  bei  jedem  Thronwechsel  die  Töch- 
ter   der    befreundeten  Könige  —  namentlich  Amenophis  III. 


')  Am.  42,  15  Jetzt  deine  Tafel  . . .  warum  [hast  du]  deinen  Namen 
über  meinen  [gesetzt?]".  Die  Vermutung  von  C.  Niebui'R,  das  Fragment 
sei  die  Antwort  Amenophis'  IV.  auf  den  Brief  des  Chetiterkönigs  Subbi- 
luljuma  (41),  der  sich  in  der  Tat  in  der  Grußformel  vor  jenem  nennt, 
ist  trotz  der  Einwände  Knudtzon's  S.  1094  doch  vielleicht  zutreöend. 
Allerdings  nennt  Amenophis  III.  sowohl  in  dem  Brief  an  Kadasman- 
charbe  no.  5  (abweichend  von  no.  1)  wie  in  dem  an  Tarchundarab  von 
Arzawa  no.  31  seinen  Namen  voran,  so  daß  der  Vorwurf  auch  an  den 
Pharao  gerichtet  sein  könnte. 


152  HI-  I^ie  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

ist  darin  geradezu  unersättlich,  seinem  Harem  geliört  die 
Schwester  und  dann  die  Tochter  des  Kada^mancharbe  von 
Babel,  die  Schwester  und  dann  die  Tochter  des  Dusratta  von 
Mitani,  die  Tochter  des  Tarchundarab  von  Arzavva  an  — ; 
aber  zur  Hauptgemahlin,  zur  regierenden  Königin  wird  keine 
von  ihnen  erhoben,  sondern  das  sind  durchweg  Ägypterinnen, 
unter  Amenophis  HL  Teje,  die  Tochter  eines  Privatmanns^). 
Wenn  dagegen  der  Babylonierkönig  KadaSmancharbe  es  wagt, 
eine  ägyptische  Prinzessin  für  sich  zu  begehren,  so  wird  er 
mit  der  Erklärung  abgewiesen:  „von  alters  her  wird  eine 
ägyptische  Königstocher  an  niemand  gegeben";  und  er  schämt 
sich  nicht,  da  er  empfindet,  daß  die  Bemerkung,  Amenophis 
sei  doch  der  König  und  könne  tun  was  er  wolle,  ohne  da& 
Jemand  darein  reden  könne,  nicht  viel  nützen  wird,  ihm  vor- 
zuschlagen, er  solle  doch  irgend  ein  schönes  Mädchen  als 
seine  Tochter  ausstaffieren;  dagegen  werde  er  ihm  seine 
eigene  Tochter  nicht  vorenthalten. 

Das  Entscheidende  sind  die  gewaltigen  Machtmittel  und 
Reichtümer,  über  die  der  Pharao  verfügt,  und  in  erster  Linie 
das  Gold,  das  alle  Könige  begehren  und  für  Kultbilder 
und  die  Ausstattung  der  Feste  brauchen,  und  das  sie  nur, 
von  Ägypten  erhalten  können.  „In  Ägypten",  schreibt  Dus- 
ratta von  Mitani,  „ist  Gold  in  Menge  wie  Staub";  und  so 
bittet  er  immer  von  neuem  um  „viel  Gold,  so  daß  es  sich 
garnicht  zählen  läßt" ''').  In  derselben  Weise  bittet  der  baby- 
lonische König  fortdauernd  um  Gold  für  die  (meistens  wohl 
kultischen)  Werke,  die  er  ausführen  läßt.  Das  übersandte 
Gold  wird  dann  im  Feuer  auf  seine  Reinheit  geprüft,  und 
mehrfach  hören  wir  den  Vorwurf,  daß  es  nicht  vollwichtig 
sondern  legiert  sei"').  Auch  die  Assyrerkönige  werden  reich- 
lich bedacht,  z.  B.  für  einen  Palastbau ■*).    Bescheidener  tritt 


')  Vgl.  u.  S.  323. 

2)  Am.  19,  61;    20,  52.   71;   26,  41;   29,  186.  186     Ebenso  Assui- 
nballit  16,  14. 

»)  Am.  7,  70;  10,  18. 
*)  Am.  16,  14  flP.;  19  ff. 


Vorrang  Ägyptens.    Das  Gold  153 

der  König  von  Alasia  (Cypern)  auf,  der  sich  offenbar  halb- 
wegs als  Vasall  des  Pharao  fühlt;  er  bittet  nur  um  Silber  und 
daneben  vor  allem  um  ÖP).  Im  übrigen  erfolgen  die  Ge- 
schenksendungen, von  denen  mehrfach  lange  Listen  erhalten 
sind,  von  beiden  Seiten  durchweg  im  großen  Stil,  sowohl 
dem  Umfang  wie  dem  Werte  nach;  auch  die  Boten  und  die 
Frauen  —  die  gelegentlich  an  der  Korrespondenz  gleichfalls 
teilnehmen  —  werden  reichlich  bedacht.  Babylonien  sendet 
vor  allem  den  hochgeschätzten  Blaustein  {uknu,  Lazur), 
Cypern  außer  Elfenbein,  Holz  und  Getreide  große  Massen 
Kupfers;  einmal  erfahren  wir,  daß  die  Kupfersendung  klein 
ausfallen  mußte,  weil  „die  Hand  Nergals  (des  Pestgottes)  alle 
Menschen  meines  Landes  getötet  hat",  darunter  auch  den 
Sohn  des  Königs"),  so  daß  die  Kupferbergwerke  nicht  bear- 
beitet werden  konnten;  auch  der  ägyptische  Gesandte  wurde 
dadurch  drei  Jahre  lang  festgehalten. 

Mit  Babylonien,  dem  Reiche  Kardunias,  gehn  die  ge- 
regelten Beziehungen  bis  auf  Karaindas  I.  zurück,  den  sech- 
zehnten in  der  Reihe  der  kossaeischen  Herrscher^);  er  ist  einer 
der  Nachfolger  des  Königs  von  Sinear,  dessen  Geschenke 
Thutmosis  HI.  erwähnt  (o.  S.  128),  und  gehört  wohl  in  die 
Zeit  Amenophis'  IL  Mit  ihm  setzen,  nach  einer  Lücke  von 
zwei  Jahrhunderten,  die  spärlichen  Urkunden  aus  Baby- 
lonien wieder  ein.  Auf  einem  Ziegel  vom  Tempel  Eanna  der 
Nanaia  von  Uruk  nennt  er  sich  „der  mächtige  König,  König 
von  Babel,  König  von  Sumer  und  Akkad,  König  der  Ka^.sü, 
König    von  Kardunias",    berücksichtigt   also    in    seiner  Titu- 


•)  Am  34.  35.  37. 

2)  Am.  85,  10  if.;  37  f. 

5)  Am.  10,  8  (Vgl.  Bd.  I  4fiO).  Bauziegel  IV  R  38,  3  f.  Erwähnt 
wird  er  not  h  in  der  ersten  Angabe  der  sog.  „synchronistischen  Geschichte" 
(Bd.  I318A.).  Ich  bemerke  gleich  hiei-,  daß  der  Name  des  Karaindas  IL 
in  dieser  einmal  (col.  I  8j  in  Karach.irdas  verschrieben  ist;  die  lichtigeie 
Namensfurm  geben  col.  I  14  und  die  Chronik  P.  Alleidings  steht  auch 
in  dem  Biieflragment  bei  ScHROEf  er,  Keilschiifttexte  aus  Assar  ver- 
schied. Inhalts  no.  97  [Karajchardas. 


154  III-  I^iö  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

latur  noch  den  herrschenden  Volksstaram,  allerdings  abwei- 
chend von  den  älteren  Königen  der  Dynastie  an  letzter 
Stelle;  bei  seinen  Nachfolgern  werden  die  Kossaeer  im 
Königstitel  überhaupt  nicht  mehr  genannt,  obwohl  sie  immer 
noch  die  herrschende  Kriegerschicht  bilden.  Man  sieht,  wie 
sich  das  Reich  wenigstens  äußerlich  immer  mehr  babyioni- 
siert. An  innerer  Kraft  freilich  hat  es  nicht  gewonnen. 
Das  Geschäftsleben  bewegt  sich  in  den  herkömmlichen  Formen 
weiter^),  und  auch  die  überlieferte  Kultur  und  Religion  wird 
fortgesponnen;  aber  irgend  etwas  Neues  hat  sie,  in  schrofistem 
Gegensatz  zu  Ägypten,  all  diese  Jahrhunderte  hindurch  nicht 
geschaffen;  besäßen  wir  Kunstdenkmäler  aus  dieser  Zeit, 
so  würde  uns  der  fortschreitende  Verfall  zweifellos  drastisch 
entgegentreten.  Die  weltgeschichtliche  Rolle  Babyloniens  ist 
eben  mit  dem  Ende  der  ersten  Dynastie  von  Babel  ausge- 
spielt, nur  die  erstarrten  Formen  schleppen  sich  inhaltslos 
weiter. 

So  war  denn  auch  an  ein  kraftvolles  Auftreten  nach 
außen  nicht  zu  denken.  Als  die  Kana'anaeer  sich  gegen  Ägyp- 
ten empören  wollten^)  und  sich  deshalb  an  Kurigalzu  IL,  wahr- 
scheinlich den  zweiten  Nachfolger  des  Karaindas,  wandten, 
hat  dieser  das  Gesuch  abgelehnt  und  an  der  Verbindung 
mit  Ägypten  festgehalten^).    Über  die  Beziehungen  zu  Elam 


')  Daß  die  Geschäftsurkunden  aus  Nippur  (Bab.  Exped.  XIV.  XV. 
XVII.)  erst  mit  Burnaburias  einsetzen,  ist  lediglich  Zufall  der  Erhaltung. 
Die  Erklärung,  daß  Nippur  zeitweilig  nicht  zum  Reiche  gehört  habe, 
ist  unhaltbar;  denn  wenn  das  und  nicht  der  Zufall  die  Ursache  wäre, 
■würden  uns  nach  anderen  Herrschern  datierte  Urkunden  erhalten  sein. 

-)  Am.  9,  19.  Dieser  Vorgang  gehört  vielleicht  schon  in  die  Zeit 
der  Erhebung  Abdasirtas. 

')  Die  vielbesprochenen  Schwierigkeiten,  welche  die  Herstellung 
der  babylonischen  Königsliste  an  dieser  Stelle  bietet,  scheinen  mit 
unserem  dürftigen  und  widerspruchsvollen  Material  nicht  sicher  lös- 
bar.   Der  Tatbestand  ist  folgender: 

1.  Die  babylonische  Königsliste  A  (Bd.  I  32-5)  gibt  die  Namen 
der  Kossaeerkönige  von  no.  24  Kadasmanturgu  (1296  — 1280)  ab;  vor- 
her sind  noch  die  Zahlen  22  (oder  höher)  und  26  Jahre  erhalten,  deren 


Babylonien  unter  den  Kossaeern  155 

fehlt  uns  aus  dieser  Zeit  jede  Kunde.  Im  Tigrisgebiet  gehörten 
die  Landschaften  bis  zum  Diäla  hinab  den  Patesi's  von  Assur, 
die   damals    unter   der   Oberhoheit    des  Mitanireichs    standen 


Zuweisung  an  no.  22  Kurigalzu  IH.  1344—1323  und  23  Nazimaruttaä  IL 
1322-1297  sicher  ist.  Bestätigt  werden  Königsfolge  und  Jahieszahlen 
von  Kurigalzu  III.  an  durch  zahlreiche  Geschältsurkunden  aus  Nippur 
(Clay,  Bab.  Exped.  XIV);  vorher  liegen  noch  die  nach  Burnaburias 
datierten  (mindestens  25  J.). 

2.  Die  Amarnabriefe  enthalten  die  Korrespondenz  des  Kadasman- 
charbe  (geschrieben  Kadasmanenlil)  mit  Amenophis  III.,  dfs  Burna- 
burias mit  Amenophis  III.  und  IV.  Nun  nennt  Burnaburias,  Am.  9,  19  ff- 
(vgl.  11  rev.  19),  als  „meinen  Vater",  der  mit  Am.  III.  in  Verbindung 
stand,  den  Kurigalzu,  und  nach  der  Fassung  des  Briefes  ist  es,  wie 
vor  allem  Schnabel,  Mitt.  Vorderas.  Ges.  1908,  1  S.  1290  ff.,  betont 
hat  (ebenso  Weber  zu  den  Amarnabriefen  S.  1029,  u.  a.),  kaum 
möglich,  das  anders  als  wörtlich  zu  verslehn  [allerdings  nennt  auch 
Assur uballit,  Am.  16,  19,  den  Assur nadinache  „mein  Vater",  obwohl  er 
nicht  einmal  sein  Nachkomme,  sondern  nur  sein  zweiter  Nachfolger 
gewesen  ist,  s.  S.  1-57,  1].  So  wird  man  Kurigalzu  nach  Kadasman- 
charbe  und  vor  Burnaburias  einschieben  müssen:  Briefe  von  ihm  sind 
nicht  erhalten. 

3.  Außer  Kurigalzu  I.,  dem  10.  Kossaeerkönig,  Nachfolger  des 
Agumll.  Kakrime  (Königsliste  aus  Assur,  siehe  Nachtr.  zu  Bd.  I  S.  8f.; 
von  seinem  Sohn  Melisipak  I.  stammt  die  Inschrift  Weissbach,  Bab. 
Mise.  2)  kennen  wir  zwei  Könige  dieses  Namens: 

a)  Kurigalzu,  Sohn  des  Burnaburias,  als  solcher  bezeichnet  auf 
Steinen  aus  Nippur,  Hilbregut,  Bab.  Kxp.  I  35.  36.  39,  auf  dem  Onyx- 
auge einer  Statue,  Lehmann,  Z.  Ass.  V.  417  f.,  auf  einem  Kudurru  des 
„Nazimaruttas  (IL),  Sohnes  des  Kurigalzu,  Enkels  des  Burnaburias, 
des  Königs  ohne  Gleichen",  Scheil,  Beleg,  en  Perse  II  86  und  einem 
Kudurru  des  Kastilias  IL,  ebenda  93; 

b)  Kurigalzu,  Sohn  des  Kadasmancharbe,  der  gemäß  der  Urkunde 
Clav,  Bab.  Exped.  XIV  39,  geraume  Zeit  vor  Nazimaruttas  IL,  dem 
Sohn  des  Kurigalzu  III.  regiert  (so  richtig  Ungnad,  Or.  L.  Cit.  Z.  1908, 
11  ff,),  als  „König  ohne  Gleichen"  in  dem  Kudurru  bei  Winckler, 
Z.  Ass.  II  309  (King,  Bab.  boundary-stones  no.  1)  bezeichnet  (ebenso 
in  dem  Kudurru  des  Mardukbaliddin  IV  R.  38  col.  1.  33). 

Besäßen  wir  nur  dieses  Material,  so  würde  niemand  zweifeln, 
daß  die  richtige  Königsliste  wäre:  Karaindas  (L),  Kadasmancharbe  (L), 
Kurigalzu  IL,  Burnaburias  IL.  Kurigalzu  III.,  Nazimaruttas  IL  u.  s.  w. 


156  III-  Die  Aufrichtung  des  ägj'ptischen  Weltreichs 

(o.  S.  133  f.).  Umso  weniger  konnten  die  Herrscher  von  Babel 
daran  denken,  hier  ihre  Ansprüche  auf  Suprematie  zu  ver- 
wirklichen;   KaraindaS  I.    begnügte  sich,    mit  Assurbelnisesu 


4.  Demgegenüber  stehn  nun  aber  zwei  sich  eng  berührende  und 
doch  stark  voneinander  abweichende  Darstellungen  der  Vorgänge  zur 
Zeit  des  Assyrerkönigs  Assuruballit,  der  etwa  1375—1340  regiert 
hat,  in  der  synchronist.  Gesch.  S  und  in  der  Chronik  P  (vgl.  Bd.  I 
318 A).  Beide  kennen  einen  König  Karaindas  II.  (zur  Namensforra 
s.  S.  153,  3)  als  Vorgänger  des  Kurigalzu  111.;  nach  S  ist  er  Sohn 
einer  Tochter  Assuruballits.  nach  P  mit  dieser  vermählt,  und  hat  von 
ihr  einen  Sohn  Kadasmancharbe  (IL).  Nach  P  wird  dieser,  nach  S 
Karaindas  von  einem  kossaeischen  Usurpator  (in  P  Suzigas,  in  S  Nazi- 
bugas  geschrieben)  getötet.  Assuruballit  tötet  diesen  und  setzt  nach 
beiden  den  Kurigalzu  „auf  den  Thron  seines  Vaters";  in  P  ist  dieser 
der  Sohn  des  Kadasmancharbe  (die  Ergänzung  \ Kurigalzu  mär  Ka]dat!- 
mancharbe  ina  kusi>e  [abisu  itasab]  ist  nicht  zweifelhaft),  in  S^  da- 
gegen heißt  er  „der  junge  Kurigalzu,  Sohn  des  Burnaburias".  Von 
den  beiden  bekannten  Kurigalzu  versetzt  also  S  den  einen  (oben  a), 
P  den  anderen  (oben  b)  nebst  seinem  Vater  Kadasmancharbe  hierher. 
Die  ^Entscheidung  ist  schwer,  und  die  modernen  Ansichten  und  Hypo- 
thesen gehn  daher  weit  auseinander.  Nach  langem  Schwanken  möchte 
ich  jetzt  doch  [in  Abweichung  von  Nachtr.  zu  Bd.  I  S.  8]  der  Version 
von  S  den  Vorzug  geben  (also  annehmen,  daß  P  die  beiden  Kurigalzu 
miteinander  verwechselt  hat),  da  sie  mit  den  oben  gewonnenen  Er- 
gebnissen übereinstimmt,  nur  daß  man  dann  noch  einen  König  Kara- 
indas 11.  einschieben  und  weiter  annehmen  muß,  daß  sein  Vorgänger 
BurnaburiaS   noch  einen   Sohn,  den  jungen  Kurigalzu,  hinterlassen  hat. 

Danach  ergibt  sich  als  wahrscheinlichste  Königsfolge: 

17.  Karaindas  I.  ca.  145C— 1415; 

18.  Kadasmancharbe  (-enlil)  ca.  1415—1390; 

19.  Kurigalzu  II.  ca.  1S90- 1376; 

20.  Burnaburias  IL  ca.  1376-1351; 

21.  Karaindas  IL  ca.  1350—1346 
[der  Usurpator  Nazibugas  1345]; 

22.  Kurigalzu  III.  1344— 1323; 

23.  Nazimaruttas  IL  1822—1297  u.  s.  w. 

Ob  Karaindas  IL  die  Tochter  des  Assuruballit  geheiratet  hat  (so 
P)  oder  schon  sein  Vater,  also  doch  wohl  Rurnaburias,  bleibt  zweifel- 
haft; einen  Sohn  Kadasmancharbe  könnte  er  gehabt  haben,  der  dann 
bei  dem  Aufstande  gleichfalls  umgekommen  wäre. 


Babylonien,  Assyrien,  Mitani  157 

von  Assur  einen  Vertrag  abzuschließen  (um   1430) ,   der   die 
Grenze  zwischen  beiden  Staaten  festsetzte'^). 

Das  Reich  Mitani  oder  Chanigalbat  hat  die  durch  Saus^atar 
gewonnene  Machtstellung  (o.  S.  125,  133)  unter  seinen  Nach- 
folgern behauptet  und  noch  erweitert;  im  Vertrage  mit  Aleppo 
erhebt  der  Chetiterkönig  Mursil  II.  gegen  die  Könige  von  Chani- 
galbat und  Aleppo  den  Vorwurf,  dal3  sie  sich,  nach  dem  Kriege 
gegen  Duchalia  II.  (o.  S.  125,  2),  ganz  besonders  gegen  den 
Chetiterkönig  Chattusil  II.  (um  1430)  vergangen  hätten^).  Die 


')  Damit  beginnt  der  erhaltene  Teil  der  „synchronist.  Geschichte". 
Darauf  folgt  die  Angabe  über  einen  gleichartigen  Vertrag  zwischen 
Puzurassur  und  Burnaburias.  Aber  der  letzte  Puzurassur  (IV.)  ist 
nach  der  assyrischen  Königsliste  vielmehr  der  vierte  Vorgänger  des 
Assurbelnisesu.  Ofl'enbar  hat  der  Verfasser  einen  älteren  Burnaburias 
{wahrscheinlich  no.  13  der  Kossaeerkönige,  etwa  um  1.530),  der  wirklich 
einen  Vertrug  mit  Puzurassur  IV,  geschlo-ssen  haben  wird,  mit  Burna- 
burias II.  (seit  ca.  137())  verwechselt  und  daher  den  Vertrag  falsch  ein- 
geordnet. —  Folge  und  Stammbaum  der  assyrischen  Könige  steht  durch 
ihre  Bauinschriften  und  die  Königsliste  (Nachtr.  zu  Bd.  I  S.  14)  völlig 
fest.    Der  Stammbaum  ist: 

27.  Puzurassur  IV.,  um  1530. 

I 

23.  Ellilnasir  II. 

I 

29.  Assurrabi  I. 

I      .       . 

30.  Assurnirari  II. 


31.  Assurbelnisesu  32.  Assurrimnisesu 

um   1430 

I 
34.  Erib.iadadl. 
33.  Assurnadinache.  | 

3">.  Assuruballit  I. 
ca.  1375-1:140. 

Von  Assurnadinache  besitzen  wir  nur  eine  kurze  Bauinschrift 
ohne  Genealogie.  Wenn  Assuruballit  ihn  im  Brief  an  Amenophis  IV. 
„mein  Vater'  nennt  (Am.  16,  19),  so  kann  das  nur  „einer  meiner  Vor- 
gänger' bedeuten;  er  ist  nicht  einmal  sein  Vorfahre,  sondern  lediglich 
sein  zweiter  Vorgänger  (vielleicht  etwa  ein  Sohn  des  Assurrimnisesu). 

^)  Aleppo  vertrag  19  ff.  28,  leider  nur  ganz  lückenhaft  erhalten; 
die  Ergänzungen  Weidner's  sind  ganz  problematisch.  Die  Darstellung 
ist  natürlich  durchaus  einseitig;  wenn  dabei  von  einem  Eingreifen  des 


158  111-  I^J^  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Chetiter  werden  nicht  nur  aus  Syrien  völlig  verdrängt,  sondern 
verlieren  auch  die  Herrschaft  über  die  Gebirgslande  am  oberen 
Euphrat  und  im  östlichen  Kleinasien.  Die  Landschaft  Isuwa 
östlich  vom  Euphratknie  bis  zum  Quellgebiet  des  Tigris  schließt 
sich  dem  Lande  Charri,  d.  i.  dem  Mitanireiche  an,  die  Gaue 
im  östlichen  Taurusgebiet  fallen  ab  und  ihre  Bewohner 
suchen  Aufnahme  jenseits  des  Euphrats;  weiter  im  Norden 
löst  der  König  von  Kizwatna  in  den  pontischen  Gebirgen 
bis  zum  Schwarzen  Meer  seine  Verbindung  mit  dem  Che- 
titerreich  und  wird  Vasall  „des  Charriers",  des  Königs  von 
Mitani^). 

Durch    diesen   völligen   Verfall    des    Chetiterreichs   wird 
es  sich  erklären,  daß  auch  der  König  von  Arzawa  im  ebenen 

Mitanikönigs  in  Nuchasse  die  Rede  zu  sein  scheint,  so  wissen  wir  aus 
Am.  M  und  sonst,  daß  dies  in  Wirklichkeit  unter  ägyptischer  Ober- 
hoheit stand.  Vielleicht  liegt  dabei  das  Auftreten  Dusrattas  von  Mitani 
in  Nordsyrien  zur  Zeit  Abdasirtas  (u.  S.  351)  zugrunde.  —  Die  Liste 
der  Chetiterkönige  dieser  Zeit  ist  (nach  Forreb,  Boghazkiöitexte  in  Um- 
schrift 17*  ff.):  Dudthaliä  IL  ca.  1480;  Arnuwanda  L  ca.  1460;  Chattu- 
sillL  ca.  1435;  Dudchalialll.  ca.  1410:  Arnuwanda  IL  (kurze  Regierung); 
Subbiluljuma,  Bruder  des  vorigen,  seit  ca.  138Ü.  Nach  einer  von  Fori  er, 
Forsch.  II  li,  mitgeteilten  Angabe  ist  Dudchalia  III.  ermordet  worden. 
')  Nach  den  Verträgen  Subbiluljumas  mit  Kizwatna  und  mit 
Mattiwaza;  zur  Datierung  und  Deutung  s.  u.  S.  371,  1.  —  Kizwatna  grenzt 
nach  der  Vertragsurkunde  ans  Meer;  es  produziert  das  in  den  ponti- 
schen Gebirgen  otfenliegende  reine  Eisen  (Winckler,  Vorderasien  im 
2.  Jahrtausend,  Mitt.  Voideras.  Ges.  1913,  4  S.  61;  Meissner,  ZDMG.  72, 
61);  in  ihm  liegt  die  Stadt  Kummanni,  in  der  der  Göttin  Chepa  ein 
großes  Fest  gefeiert  ward  (Forrer,  BT.  in  Umschrift  58  B  §  87  =  Götze, 
Z.  Ass.  36,  306).  Das  kann  nicht  das  kappadokische  Komana  am  Saros 
sein,  wie  Götze  annimmt,  da  ein  Reich,  das  hier  seinen  Mittelpunkt 
hätte,  nicht  ans  Meer  reichen  könnte,  sondern  nur  das  pontische  am 
Iris.  Somit  ist  Kizwatna  das  Flußgebiet  des  Iris  bis  zum  Meer,  nord- 
östlich von  der  Hochebene  des  Chetiterlandes.  [Götze  hat  die  Ansetzung 
am  Golf  von  Issos,  Z.  Ass.  3f.!,  305  ff.  gegen  Forrer,  Forsch.  II  38  f.  in 
den  kleinas.  Forschungen  I  1927,  113  verteidigt,  m.  E.  mit  Unrecht.] 
Sehr  wahrscheinlich  ist  die  zuerst  von  Hommel,  dann  von  Herzfeld 
(s.  Reich  und  Kultur  der  Chetiter  156)  aufgestellte  Vermutung,  daß 
Kizwatna  (mit  Suffix  -na)  identisch  sei  mit  Kat|  atuka,  KaüüaSoxia  (mit 
Pluralendung  -iik). 


Das  Mitanireich  und  die  Chetiter.    Arzawa  159 

Kilikien ')  jetzt  mit  Ägypten  in  Verbindung  trat.  Amenophis  III. 
übersendet  seinem  König  Tarchundaraba  Geschenke  und  for- 
dert seine  Tochter;  zu  beachten  ist  dabei,  daß  er  in  der  im 
übrigen  ganz  dem  Herkömmlichen  entsprechenden  Grußformel 
ihn  nicht  seinen  Bruder  nennt,  und  daß  er  den  eigenen 
Namen  voranstellt^).  In  ähnlicher  Stellung  mag  das  Land  ge- 
standen haben,  aus  dem  ein  „Königssohn"  an  „meinen  Herrn, 
den  König  von  Ägypten,  meinen  Vater",  berichtet  (Am.  44), 
daß  er  den  aus  dem  Chetiterlande  zurückkehrenden  ägyp- 
tischen Gesandten  seine  eigenen  Boten  nebst  sechzehn  Leuten 
als  Geschenk  „an  meinen  Vater"  mitgibt,  natürlich  verbunden 
mit  einer  Bitte  um  Gold.  Dieser  Prinz  ist  also  kein  Unter- 
tan, wie  er  denn  auch  die  für  diese  obligatorische  Formel 
von  siebenmaligem  Fußfall  vor  dem  König  nicht  verwendet, 
sondern  ein  selbständiger  Dynast:  sein  Fürstentum  wird  im 
nördlichsten  Syrien,  etwa  im  Amanosgebiet,  zu  suchen  sein^). 

')  An  der  Ansetzung  Arzawas  im  oberen  Kilikien  halte  ich  mit 
FoRHER,  Forsch.  I  gegen  Götze  (Kleinasien  zur  Chetiterzeit  und  jetzt 
Kleinas.  Forsch.  I  112,  der  es  ins  westliche  Kleinasien  setzen  will)  fest. 
Die  kilikische  Ebene,  die  fruchtbarste  und  kultivierteste  Landschaft 
Kleinasiens,  müssen  die  Chetiter  immer  in  ihren  Machtbereich  gezogen 
haben,  wenn  sie  weiter  in  Syrien  eingriS'en;  und  die  Beziehungen 
Arzawas  zu  Ägypten  führen  auf  dieselbe  Lage.  Auch  Forrek's  Iden- 
tifizierung des  Gebirges  Arinnanda  mit  dem  Misis  Dagh  und  der  Stadt 
Puranda  mit  Pyramos  scheint  mir  zutreffend  (gegen  Götze). 

^)  Die  seltsame  sprachliche  Form  des  Briefs  (Am.  31),  mit  zahl- 
reichen chetitischen  Wörtern,  dürfte  sich  so  erklären,  daß  er  dem  Ge- 
sandten aus  Arzawa  ägyptisch  diktiert  wurde  und  dieser,  da  er  das  Akka- 
dische  nicht  genügend  beherrschte,  bei  der  Übersetzung  die  chetitischen 
Wörter  einsetzte.  Eben  deshalb  mag  er  nicht  abgesandt,  sondern  im 
Archiv  zuiückbehalten  sein.  [Die  daran  angeknüpften  Kombinationen 
Forher's  (die  pippid-Sprache,  Forsch.  II  60  ff.)  sind  sprachlich  unhalt- 
bar.] Der  ganz  in  dieser  Sprache  abgefaßte  „zweite  Arzawabrief  32, 
in  dem  wiederholt  der  Eigenname  Labbaja  vorkommt,  ist  noch  völlig 
dunkel. 

')  Götze,  Klio  19,  1925  S.  350  und  Forrer,  Forsch.  II  32.  1  wollen, 
wie  früher  schon  Winckleü,  den  Namen  des  „Königssohns"  (bei  KNunTZON 
Zikar?)  Zidä  lesen,  und  halten  ihn  für  den  Bruder  des  Chetiterkönigs 
Subbiluljuma,  der  in  Kleinasien  kommandierte.    Aber  der  ganze  Inhalt 


1(50  ni.  Die  Aufrichtung  des  ägyptischen  Weltreichs 

Der  Friedenszustand  zwischen  Ägyiaten  und  Mitani  ist 
nach  ThutmosisIII.  nicht  wieder  f]restört  worden.  Unter  Sau^- 
Satars  Sohn  Artatäma^)  sind  die  Beziehungen  weiter  dadurch 
bekräftigt  worden,  daß  dieser  dem  Pharao — Auienophis  IL 
oder  Thutmosis  IV.")  —  seine  Tochter  zur  Frau  gab,  aller- 
dings, wie  sein  Enkel  berichtet,  erst  auf  die  siebente  Wer- 
bung. Ebenso  mußte  dann  Amenophis  III.  bei  dem  nächsten 
König,  Sutarna,  um  seine  Tochter  Gilucliepa  sechsmal  an- 
halten, ehe  er  sie  im  10.  Jahre  seiner  Regierung  (um  139j) 
erhielt,  mit  einem  Gefolge  von  317  Frauen  ihres  Harems. 
Amenophis  war  stolz  auf  diesen  Erfolg,  er  hat  ihn,  in  der 
von  ihm  dafür  geschaffenen  Weise,  durch  Skarabaeen,  die 
diese  „staunenswerte  Neuigkeit"  verkünden,  dem  Volk  be- 
kannt gegeben.  Umso  beachtenswerter  ist,  daß  Giluchepa 
«o  wenig  wie  irgend  eine  der  auswärtigen  Prinzessinnen  re- 
gierende Königin  geworden  ist;  eben  dieser  Skarabaeus  nennt 
vielmehr  als  „große  Gemahlin  des  Königs"  ausdrücklich  Teje, 
Tochter  des  Juja  und  der  Tuja. 

Eben  dieses  Verhalten  zeigt,  und  die  fortwährenden 
Betteleien  um  Gold  bestätigen,  daß  trotz  aller  Freundschafts- 
versicherungen das  Mitanireich  dem  ägyptischen  nicht  gleich 
stand.    Innerlich  ist  es  offenbar  kein  starker  Staat  gewesen. 


'des  Briefes  zeigt,  daß  er  unmöglich  von  einem  chetitischen  Prinzen 
geschrieben  sein  kann,  sondern  nur  von  einem  von  den  Chetitern  un- 
abhängigen Dynasten. 

')  Der  Stammbaum  der  Mitanikönige  ist: 

Saussatar,  um  1475 

I 

Artatäma 

I 

Sutarna,  um  1400 


Artasuwara  Dupratta  Giluchepa 

seit  ca.  1380  Gem.  Amenophis'  III. 


Mattiwaza  Taduchepa 

Gem.  Amenophis'  III.  u.  IV. 

2)  Ob    der    Vater  Amenophis'  III.    in   Am.  29,    16  ff.   sein   natür- 
licher oder  sein  Adoptivvater  gewesen  ist,  läßt  sich  nicht  entscheiden. 


Ägypten  und  das  Mitanireich  161 

Ihm  fehlte  eine  feste  Grundlage:  die  Masse  der  Bevölkerung 
bestand  aus  Charriern,  die  Herrschaft  lag  in  den  Händen 
der  Oberschicht  der  Marjanni.  Auch  auf  rehgiösem  Gebiet 
stehn  diese  Elemente  unausgeglichen  nebeneinander:  auf 
der  einen  Seite  die  charrischen  Gottheiten  Te§ub,  Simike, 
die  Göttin  Sauska  (vgl.  o.  S.  131,4),  auf  der  anderen  die  in- 
dischen Götter,  und  dazwischen  die  babylonisch-assyrischen 
Gottheiten  Istar  und  Samas.  Bei  den  Wirren  nach  dem  Tode 
Dusrattas  führen  die  Gegensätze  zwischen  Charriern  und  Mar- 
janni zu  blutigen  Kämpfen^).  Gewiß  haben  sie  auch  früher 
schon  eine  Rolle  gespielt;  sie  mögen  mitgewirkt  haben,  als 
Sutarnas  Sohn  ArtaSuwara  einer  Verschwörung  zum  Opfer 
fiel  und  sein  Mörder  Tuchi  sich  im  Namen  von  dessen  un- 
mündigem Bruder  Dusratta  der  Kegentschaft  bemächtigte. 
Diesem  aber  gelang  es,  sich  freizumachen  und  die  Mörder 
seines  Bruders  nebst  ihrem  Anhang  zu  bestrafen  (etwa  um 
1390),  und  dann  einen  Angriff  der  Chetiter  siegreich  ab- 
zuwehren'-). Umso  mehr  Anlaß  hatte  er,  die  freundschaft- 
lichen Beziehungen  zu  Ägypten  weiter  zu  pflegen. 


In  engem  Zusammenhang  mit  der  Maclitentfaltung  Ägyp- 
tens nach  außen  steht  die  Neugestaltung  und  Umbildung 
der  Kultur  und  der  geistigen  Anschauungen,  die  sich  gleich- 
zeitig im  Innern  vollzieht  und  zu  einer  entscheidenden  inneren 
Krisis  geführt  hat.  Indessen  bevor  wir  auf  diese  Entwick- 
lung eingehn  können,  ist  es  geboten,  uns  der  Gestaltung  der 
Kultur  zuzuwenden,  die  sich  inzwischen  auf  Kreta  und  auf 
dem  griechischen  Festland  gebildet  hat. 


')  Das  ist  in  den  Angaben  des  Mattiwazavertrags  ZI.  12  ff.  und 
des  Subbiluljamavertrags  ZI.  53  ff.  deutlich  erkennbar,  so  unsicher  im 
übrigen  das  Verständnis  noch  ist. 

2)  Am.  17,  weiteres  s.  u.  S.  351.  373  f. 


[eyer,  Geschichte  des  Altertums.    lU.  11 


IV.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 


Die  Entwicklung  Kretas.    Aufkommen  und  Charakter 
einer  neuen  Kultur 

GlciclizeitifT  mit  Ägypten  Ist  auch  Kreta  auf  den  Höhe- 
punkt seiner  Entwicklung  rrehingt^).  Seit  alters  haben  beide 
Länder  in  regem  Verkehr  miteinander  gestanden,  von  dem  in 
allen  Epochen  der  kretischen  Kulturentwicklung  gar  manche 
aus  Ägypten  importierte  Waren  —  vor  allem  Steingefäße, 
ferner  Elfenbein  und  Fayence  —  und  Einwirkungen,  so  z.  B. 
in  der  Gestalt  der  als  Eigentumsmarken  dienenden  Siegel 
(Bd.  I  510),  Zeugnis  ablegen.  Mit  der  Inselwelt  des  Ägaei- 
schen  Meers  steht  Kreta  ununterbrochen  in  lebendigster  Ver- 
bindung, gebend  und  nehmend,  wie  z.  B.  das  für  Messer  und 
Waffen  (Pfeil-  und  Lanzenspitzen)  verwendete  Obsidian  aus 
Melos  bezogen  wird.  Auf  dieser  kleinen  Insel  entsteht  dadurch 
eine  dicht  besiedelte  Handelsstadt  (Phylakopi,  Bd.  I  511  f.),  die 
das  für  Leben  und  Krieg  unentbehrliche  Material  weithin  über 
die  Inseln  und  auf  das  griechische  Festland  und  nach  Troja 
exportiert;  auch  als  dann  die  Verwendung  von  Bronze  immer 

')  Von  neueren  Arbeiten  über  die  kretisch-mykenische  Epoche  ist 
grundlegend  die  das  gesamte  Material  sorgfältig  zusammenfassende 
und  sichtende  Arbeit  von  D.  Fimmen,  Die  kretisch-mykenische  Kultur, 
1921  [gefallen  24.  Dez.  1916  in  Rumänien;  herausgegeb.  von  G.  Karo; 
die  kunstgeschichtliche  Entwicklung  ist  von  Fimmen  und  E.  Reisinger 
gemeinsam  bearbeitet.]  Für  Knossos  liegt  jetzt  der  er-ste  Band  des 
zusammenfassenden  Werkes  von  Evans  vor,  The  Palace  of  Minos,  1921 
(Vorzeit,  erster  Palast,  und  ältere  Gestalt  des  jüngeren  Palastes,  bis 
zum  Ende  von  Middle  Minoan  III).  Dazu  zahlreiche  Publikationen 
über  die  einzelnen  Fundstätten,  vor  allem  von  Hatzidakis  und  Xanthu- 
DiDES.  Zusammenfassende  Darstellung  des  gesamten  kretischen  Mate- 
rials durch  G.  Karo  im  Art.  Kreta  bei  Pauly-Wissowa,  XI  1922, 
S.  1743  ff. 


Die  illtere  Kultur  Kretas  163 

weitere  Verbrcituncj  findet,  hat  sich  rliincben  das  billigere 
und  durch  seine  scharfen  Schneiden  und  Sj)it7,en  ausc^e/.eich- 
nete  Obsidian  noch  lange  im  Gebrauch  erhalten.  Mit  Klein- 
asien war,  falls  wir  hier  überhaupt  in  vorgriechischer  Zeit 
mit  einem  Eindringen  neuer  Volksstämme  zu  rechnen  haben, 
jedenfalls  die  älteste  Schicht  der  Bevölkerung  Kretas  und 
ebenso  weithin  die  der  Inseln  und  des  griechischen  Fest- 
landes auch  ethnographisch  verbunden;  in  der  Religion  Kre- 
tas, in  den  Götterdarstellungen  und  Kultsymbolen,  in  den 
phantastischen  Mischwesen  der  Dämonenwelt  tritt  diese  Ge- 
meinsamkeit anschaulich  hervor.  Auf  diesem  Wege  scheinen 
auch  einzelne  auf  Babylonien  zurückgehende  Motive  in  die  kre- 
tische Religion  und  Kunst  gelangt  zu  sein')-  Mit  den  Küsten 
Syriens  und  Phoenikiens  sowie  mit  Cypern  wird  gleichfalls 
schon  seit  alters  ein  Verkehr  bestanden  haben. 

Wie  dann  zu  Anfang  des  2.  Jahrtausends  auf  Kreta 
aus  den  älteren  Ansätzen  eine  höher  entwickelte  einheitliche 
Kultur  erwächst,  ist  früher  schon  dargelegt  worden  (Bd.  1 
513  ff.).  Die  Osthälfte  der  Insel  —  die  Westhälfte  ist  noch 
wenig  erforscht  und  scheint  von  der  Entwicklung  des  Ostens 
kaum  berührt  zu  sein  —  ist  mit  zahlreichen  dicht  bebauten 
Städten  besiedelt,  in  den  Königssitzen  Knossos  und  Phae- 
stos  entstehn  die  großen  Paläste,  deren  Grundmauern  unter 
dem  Neubau  der  folgenden  Epoche  noch  größtenteils  er- 
halten sind.  Dazu  kommen  die  Heiligtümer  auf  den  Berg- 
hohen und  in  Felsgrotten,  sowie  in  den  Palästen  selbst,  mit 
ihren  zahlreichen  Weihgaben.  Auch  sonst  geben  die  Funde, 
Gefäße  aus  Stein,  Metall  und  Ton,  Waffen,  Schmucksachen, 
Siegel  und  Gemmen,  ein  Bild  von  der  reichen  Kultur  dieser 
Epoche.  Charakterisiert  ist  sie  durch  den  in  bunten  Farben 
schwelgenden  Dekorationsstil  der  feinen,  deutlich  die  Nach- 
ahmung metallener  Vorbilder  zeigenden  Tongefäße,  der  sog. 


')  Auf  den  ältesten  sicheren  Beleg  babylonischen  Einflusses  in 
der  iigaeischen  Welt,  das  offenbar  aus  Cypern  importierte  Bleiidol  der 
Göttin  des  Geschlechtslebens  in  der  zweiten  Stadt  von  Troja  (Bd.  I 
498),  sei  auch  hier  hingewiesen. 


164  I^  ■  I'^reta  und  die  kretische  Kultur 

Kamaresvasen.  Auch  eine  Kursivschrift  hat  sich  aus  den  auf 
den  Siegehl  verwendeten  Bildzeichen  schon  in  dieser  Zeit 
entwickelt  (s.  u.  S.  172  f.). 

Über  die  politische  Gestaltung  der  Insel,  namentlich  über 
das  Verhältnis  der  beiden  großen  Königssitze  zueinander,  läßt 
sich  nichts  erkennen;  daß  wohlgeordnete  Verhältnisse  be- 
standen und  der  Staat  eine  bedeutende  Macht  besaß,  vor 
allem  zur  See,  kann  nicht  zweifelhaft  sein.  So  wird  es  sich 
erklären,  daß  im  Gegensatz  gegen  die  festländischen  Städte 
in  Asien  und  Griechenland  und  z.  B.  gegen  die  gleichzeitige 
Stadt  Phylakopi  auf  Melos,  die  kretischen  Städte  unbe- 
festigt sind:  sie  hatten  keine  feindlichen  Angriffe  zu  be- 
fürchten, auch  auf  der  Insel  selbst  müssen  friedliche  Zu- 
stände ohne  Fehden  untereinander  geherrscht  haben.  Mit 
dem  Pharaonenreich  der  zwölften  Dynastie  stand  man  an- 
dauernd in  regem  Verkehr;  die  geschmackvollen  Tongefäße 
des  Karaaresstils  waren  hier  ein  begehrter  Artikel  und  haben 
sich  mehrfach  in  den  Überresten  einer  Stadt  im  Faijüm 
(Kahun)  und  in  Gräbern  dieser  Zeit  bis  tief  nach  Nubien 
hinein  (Anibe)  erhalten.  Vielleicht  haben  die  Pharaonen  nicht 
nur  durch  Gesandtschaften,  sondern  zeitweilig  auch  mili- 
tärisch auf  der  Insel  eingegriffen  (vgl.  Bd.  I  291);  die  Diorit- 
statue  eines  ägyptischen  Beamten  etwa  aus  dem  Ende  der 
zwölften  oder  der  dreizehnten  Dynastie  hat  sich  in  einer  der 
Kamareszeit  augehörenden  Schicht  des  Palastes  von  Knossos 
gefunden. 

Aber  diese  Gestaltung  hat  ein  jähes  Ende  gefunden  in 
der  großen  Katastrophe,  in  der  die  alten  Paläste  von  Knossos 
und  Phaestos  zerstört  worden  sind.  Das  führt  auf  die  Ver- 
mutung, daß  eine  verheerende  Invasion  die  ganze  Insel  heim- 
gesucht hat,  die  mit  der  eben  in  diese  Zeit  fallenden  Auf- 
richtung des  Hyksosreichs  zusammenhängt  (o.  S.  43).  Dafür 
spricht  nicht  nur,  daß  sich  der  Deckel  eines  Alabastergefäßes 
mit  dem  Namen  des  mächtigen  Hyksoskönigs  Chian  in  Knos- 
sos in  der  ältesten  Schicht  des  neuen  Palastes  gefunden  hat, 
.sondern   vor   allem,    daß    die   ägyptischen    Nachrichten    eine 


Aufkommen  eines  neuen  Stils  165 

enge  Verbindung  der  Könige  von  Theben  mit  Kreta  im  Kampf 
gegen  die  Byksos  erkennen  lassen  (o.  S.  55  f).  Offenbar  hat 
Kreta  alsbald  seine  Selbständigkeit  wiedergewonnen;  und  da 
hat  man  auch  begonnen,  die  zerstörten  Paläste  wieder  auf- 
zubauen. 

Mit  dieser  Umwälzung  auf  politischem  Gebiet  verbindet 
sich  nun  ein  tiefgreifender  Wandel  der  Kultur,  der  uns  vor 
allem  in  der  Kunst  ganz  lebendig  entgegentritt')-  An  Stelle 
der  dekorativen  Ornamentik  des  Kamaresstils,  die  auch  da, 
wo  sie  Vorbilder  aus  der  Natur,  wie  z.  B.  Blätter  und  Blüten, 
verwendet,  diese  in  konventionell  stilisierte  Formen  umsetzt 
und  deren  Reiz  auf  der  harmonischen  Farbenwirkung  beruht, 
tritt  eine  von  Grund  aus  entgegengesetzte  Auffassung  der 
Kunst.  Die  geistige  Einstellung  hat  sich  gewandelt;  es  ist, 
als  ob  das  Gefühl  für  die  Natur,  für  den  unerschöpflichen 
Reichtum  ihres  Lebens   und    den   ununterbrochenen  Wandel 


')  Wie  Bd.  I  504  A.  muß  ich  auch  hier  betonen,  daß  ich  die  von 
Evans  auf  Grund  einer  seltsamen  Zahlenspielerei  aufgestellte  und  all- 
gemein angenommene  Einteilung  der  kretischen  Entwicklung  seit  dem 
Ende  der  neolithischen  Zeit  in  drei  dreigliedrige  Perioden  (P]arly, 
Middle  und  Late  Minoan  je  I— III)  für  unglücklich  und  irreführend 
halten  muß.  Vielmehr  hebt  sich,  nach  langen  Vorstufen,  ganz  geschlossen 
und  einheitlich  die  Kamareskultur  =  Middle  Minoan  II  von  allem  Vor- 
hergehenden und  Folgenden  ab.  Mit  der  Zerstörung  der  älteren  Pa- 
läste bricht  sie  schroff  ab,  wenn  auch  Nachwirkungen  in  einzelnen 
Formen  und  Motiven  in  der  Folgezeit  noch  erkennbar  sind.  Aber  der 
neue  Stil,  der  jetzt  aufkommt,  ist  ein  total  anderer,  ja  entgegen- 
gesetzter; und  diesem  (und  nicht  der  Mittelminoischen  Zeit)  gehören  die 
neuen  Paläste  auch  in  ihrer  älteren  Gestalt  an.  Diese  neue  Kultur 
umfaßt  Middle  Minoan  III  und  Late  Minoan  I.  II;  dann  folgt  die  neue 
Katastrophe  und  die  „mykenische"  Epoche  =  Late  Minoan  III.  Weiter 
kommen  können  wir  nur,  wenn  man  sich  von  Evans'  Schema  ent- 
schlossen freimacht  und  die  großen  Kulturepochen  einheitlich  zu  er- 
fassen sucht,  wofür  zunächst  eine  Reihe  scharf  abgegrenzter  Einzel- 
untersuchungen erforderlich  ist.  In  den  bisherigen  Darstellungen  er- 
scheint Middle  Minoan  III  (die  Zeit  der  älteren  Gestalt  der  neuen 
Paläste)  in  ganz  verschwommenem  Lichte,  bald  als  eine  Epoche  des 
Verfalls,  bald  als  eine  neuen  Aufschwungs  und  höchster  Blüte,  bis  man 
unmerklich  in  Late  Minoan  I  hinübergleitet. 


IßQ  IV.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

ihrer  Erscheinung  plötzlich  erwacht  sei:  dieses  Leben  wieder- 
zugeben, nicht  das  Objekt  selbst  in  seiner  dauernden  Gestalt, 
sondern  die  lebendigste  Bewegung,  den  Sinneneindruck  des 
Moments  festzuhalten  und  im  Bilde  zu  verewigen  wird  die 
Aufgabe  der  Kunst. 

Dieser  jähe  Wechsel  nicht  nur  der  Formen,  sondern  vor 
allem  der  Anschauung  hat  zunächst  die  Annahme  nahe- 
gelegt, daß  auch  in  der  Bevölkerung  selbst  ein  Wandel  ein- 
getreten sei;  ein  fremdes  Volk  sei  auf  die  Insel  eingedrungen, 
das  die  neue  Kunst,  die  uns  sogleich  voll  durchgebildet  ent- 
gegentritt, an  seinen  älteren  Sitzen  entwickelt  und  fertig 
mitgebracht  habe.  Freilich  ließ  sich  innerhalb  der  ägaeischen 
Welt  keine  Stätte  nachweisen,  an  der  diese  Entwicklung 
stattgefunden  hätte;  die  asiatischen  Küsten  aber  kommen 
dafür  überhaupt  nicht  in  Betracht,  da  hier  überall  ein  ganz 
anderer,  fundamental  abweichender  Stil  herrscht^).    Die  fort- 


')  Ich  darf  hier  wohl  erwähnen,  daß,  als  im  Frühjahr  1877  Sir 
Charles  Newton,  von  einem  Besuch  bei  den  Schliemannschen  Aus- 
grabungen zurückkehrend,  in  der  Society  of  Antiquaries  in  London 
die  erste  Mitteilung  über  die  mykenischen  Funde  machte  und  auch 
ich  aufgefordert  wurde,  mich  darüber  zu  äußern,  ich  als  besonders 
wichtig  und  überraschend  hervorhob,  daß  sich  in  diesen  garnichts 
Phoenikisches  finde.  Dann  aber  habe  ich  in  der  ersten  Auflage  des 
zweiten  Bandes  (1893)  doch  geglaubt,  neben  Kleinasien  die  Phoeniker 
als  Vermittler  der  orientalischen  Typen  in  der  mykenischen  Kunst 
betrachten  zu  müssen,  obwohl  „in  merkwürdigem  Kontrast  dazu  die 
Tatsache  steht,  daß  wir  Erzeugnisse  der  phoenikischen  oder  klein- 
asiatischen Kunst  unter  den  Fundobjekten  nicht  nachweisen  können" ; 
denn  die  Annahme  Helbig's,  die  Phoeniker  hätten  um  die  Wende  des 
Jahrtausends  ihren  Stil  gewechselt,  erschien  mir  auch  damals  schon 
als  ein  höchst  bedenklicher  Verlegenheitsausweg.  Seitdem  ist  durch 
den  Nachweis,  daß  die  Kafti  sowohl  in  ihrer  körperlichen  Erscheinung 
wie  in  ihrer  Kunst  von  den  Phoenikern  fundamental  verschieden  sind, 
und  vollends  durch  die  Erschließung  der  Denkmäler  Kretas  die  ganze 
Frage  gegenstandslos  geworden  (vgl.  o.  S.  106  ff.),  und  ich  berühre  sie  nur, 
weil  DöRPFELD  die  Phoenikerhypothese  wieder  aufgenommen  hat;  er 
läßt  überdies  die  Phoeniker  aus  Südarabien  kommen  und  den  Stil  der 
jüngeren   kretischen  Kunst  von  dort  her    mitbringen.    In  Wirklichkeit 


Ursprung  der  neukretischen  Kultur  167 

schreitende  Untersuchung  hat  vielmehr  gezeigt,  daß  auch  die 
neue  Kultur  auf  Kreta  bodenständig  ist  und  daß  in  ihr  gar 
manche  der  älteren  Formen  weiterwirken  oder  nachleben,  wie 
denn  auch  die  neuen  Paläste  unmittelbar  auf  den  Fundamenten 
der  alten  erbaut  sind,  deren  Anlage  und  Raumverteilung 
beibehalten  und  nur,  wie  immer  bei  Umbauten,  in  Einzel- 
heiten verschieben  oder  erweitern,  also  in  den  für  die  Einrich- 
tung der  Wohnung  maßgebenden  Erfordernissen  ein  Wandel 
nicht  eingetreten  ist^).  Natürlich  bleibt  es,  bei  dem  Fehlen 
aller  geschichtlichen  Überlieferung,  doch  möglich,  daß  fremde 
Eroberer  auf  die  Insel  gekommen  sind  und  sich  den  dort 
herrschenden  Verhältnissen  angepaßt  haben;  aber  wahrschein- 
licher ist,  daß  auch  hier,  wie  so  oft  bei  einem  auf  den 
ersten  Blick  unvermittelt  erscheinenden  Stilwandel,  eine  or- 
ganische Entwicklung  vorhegt"-).  Die  Kultur  der  Insel  ist 
seit  dem  Ausgang  des  3.  Jahrtausends  mächtig  vorgeschritten, 
das  Leben  ist  reicher,  die  materiellen  Mittel  sind  größer  ge- 
worden. Aber  die  Formen,  die  damals  geschaffen  sind,  ge- 
nügen auf  die  Dauer  nicht  mehr:  sie  schnüren  die  freie 
Gestaltung  in  enge  Grenzen  ein.  trotz  aller  technischen 
Vollkommenheit    erscheinen    sie  hohl    und  inhaltsleer;    über- 


ist dieser  Stil  ein  total  anderer  als  der  des  phoenikischen  Kunsthand- 
werks, und  die  in  ihm  ausgeprägte  Anschauung  den  Phoenikern  und 
den  Semiten  überhaupt  so  fremd  wie  nur  möglich. 

^)  Diese  Zusammenhänge  hat  vor  allem  Karo  betont  (bei  Pauly- 
WissowA  XI  1767,  vgl.  1760),  während  z.  B.  Rodenwaldt,  TirjnsII  198 
die  Herkunft  des  neuen  Stils  aus  einem  benachbarten  Gebiet  für  wahr- 
scheinlich hielt. 

2)  In  Bd.  I  522  habe  ich  eine  Einwanderung  für  wahrscheinlicher 
gehalten  und  darauf  hingewiesen,  daß  die  Votivfiguren  von  Petsofa 
(Middle  Minoan  I)  das  Haar  kurzgeschoren  tragen  (ebenso  die  Männer 
auf  dem  Elfenbeinzylinder  derselben  Zeit  aus  Knossos  bei  Evans,  Palace  1 
197),  nicht  die  üppige  Haartracht  der  Folgezeit,  und  daß  die  beiden 
Porträtköpfe  auf  Siegelabdrücken  des  knossischen  Palastes  der  Kamares- 
zeit (jetzt  bei  Evans,  Palace  I  p.  272.  276)  von  dem  späteren  Typus 
völlig  abweichen,  dagegen  dem  kleinasiatisch-chetitischen  hyperbrachy- 
kephalen  entsprechen.  Volle  Sicherheit  ist  hier  mit  unserem  Material 
nicht  zu  erreichen. 


168  IV.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

sättigt  wendet  man  sich  von  ihnen  ab,  die  innerlich  gewandelte 
Kultur  schafft  sich  einen  Stil,  in  dem  die  neu  erschlossene  An- 
schauung der  Außenwelt  einen  Ausdruck  gewinnt,  der  die 
Empfindung,  aus  der  sie  erwachsen  ist,  lebensvoll  hervor- 
zurufen und  wiederzugeben  vermag. 

Auf  dieser  inneren  Entwicklung  beruht  die  bedeutsame 
Stellung,  die  Kreta  nicht  nur  in  der  Geschichte  der  Kunst, 
sondern  dadurch  zugleich  in  der  Geschichte  der  menschlichen 
Kultur  überhaupt  einnimmt;  die  Individualität  des  Volkes 
hat  sich  in  der  neuen  Kunst  einen  seine  Eigenart  verkör- 
pernden Ausdruck  geschaffen.  Man  mag  zum  Vergleich 
die  Festlegung  des  ägyptischen  Stils  unter  den  ersten  Dyna- 
stien und  weiter  den  jetzt  durch  die  Ausgrabungen  bei  der 
Stufenpyramide  Zosers  in  Sakkara  so  anschaulich  gewordenen 
Gegensatz  zwischen  der  Architektur  der  dritten  und  der  vier- 
ten Dynastie  und  dann  die  Fortentwicklung  zu  den  Grab- 
tempeln der  fünften  Dynastie  und  der  Ausgestaltung  der 
Mastabagräber  heranziehn,  oder  auch  in  Babylonien  das 
Fortschreiten  von  der  primitiven  altsumerischen  Kunst  zu  der 
im  Reich  von  Akkad  unter  Sargon  und  Naramsin  erreichten 
Höhe.  Aber  die  kretische  Entwicklung  geht  darüber  hinaus; 
ein  bereits  voll  ausgebildeter  einheitlicher  Kunststil  wird  be- 
wußt beiseite  geworfen  und  durch  einen  von  ganz  anderen 
Anschauungen  beherrschten  ersetzt.  So  ist  wirklich  gleich- 
artig vielmehr  der  Übergang  vom  geometrischen  zum  archai- 
schen Stil  in  Griechenland  oder  der  vom  romanischen  zum 
gotischen  Stil  und  dann  die  Bekämpfung  und  Verdrängung 
des  letzteren  durch  die  Renaissance,  ebenso  aber  auch  die 
tiefgreifende  Umwälzung  des  Geschmacks  und  des  Hausrats, 
die  wir  im  letzten  Menschenalter  erlebt  haben  ^). 

Es  sind  geniale  Künstler  gewesen,  die  das  neue  Sehen 
der  Welt  im  Bilde  verkörpert  haben.    Ihre  größte  Schöpfung 

')  Einen  ähnlichen,  ganz  überraschenden  Wandel  in  uralter  Zeit 
zeigt  bereits  die  naturalistische  Kunst  des  Magdalenien  (Bd.  I  597)  im 
Gegensatz  zu  der  rein  dekorativen  Ornamentik  der  vorhergehenden 
und  der  folgenden  Epoche. 


Charakter  der  neukretischen  Kunst.    Die  Gemälde  169 

sind  die  Freskogemälde  an  den  Wänden  der  Paläste  und  die 
gleichartigen  Stuckreliefs.  In  reichster  Fülle  entfaltet  sich 
das  Abbild  der  Natur,  die  Wiesen  und  Gärten  in  ihrer 
Blütenpracht,  das  Leben  des  Meeres  mit  den  zwischen  den 
Wasserpflanzen  dahinschwimmenden  Fischen  und  Polypen. 
Alles  ist  auf  den  Augenblick  gestellt.  Die  Blätter  und 
Sträuche  schwingen  sich  im  Winde,  die  Ölbäume  zeigen  ihren 
knorrigen  Wuchs;  die  gerade  Linie,  die  in  den  ägyptischen 
Gemälden  durchaus  vorherrscht,  wird  in  Kreta  grundsätz- 
lich gemieden.  Inmitten  dieser  Landschaften  erscheinen  Men- 
.schen  und  Tiere  immer,  wie  in  Ägypten,  im  Profil  gesehn, 
aber  in  lobhaftester  Bewegung  mit  der  Landschaft  zu  ma- 
lerischer Einheit  verwachsen,  die  Löwen,  Stiere,  Hirsche, 
Wildkatzen  in  gestrecktem  Lauf,  alle  vier  Beine  vom  Boden 
losgelöst  und  übernatürlich  lang  gezogen  —  ein  charakte- 
ristischer Versuch,  den  Sinneneindruck  des  im  Moment  den 
Raum  durchfliegenden  Körpers  im  Bilde  wiederzugeben.  Auf 
einem  der  ältesten  und  schönsten  dieser  Landschaftsbilder, 
aus  Knossos,  pflückt  ein  Knabe,  dunkelblau  gemalt,  die  auf 
dem  Felsboden  des  Parkes  sprießenden  Krokosblüten  und 
sammelt  sie  in  einen  Korb^).  Auf  einem  Gemälde  aus  dem 
Palast  von  Hagia  Triada  bei  Phaestos  beschleicht  inmitten  der 
bunten  Blumenpracht  der  Felslandschaft  eine  Katze  einen 
Fasan,   ähnlich  wie  in  der  Nillandschaft  auf  dem  Dolch  aus 


')  Evans,  Palace  of  Miuos  I  2G5,  möchte  ihn  noch  dem  älteren 
Palast  (Middle  Minoan  II)  zuweisen,  auf  Grund  von  unsicheren  Folge- 
rungen aus  der  Fundschicht.  Es  erscheint  mir  kaum  möglich,  daß  ein 
derartiges  Gemälde  der  Zeit  der  Kamareskultur  angehört.  Rodenwaldt. 
Tiryns  II  195  setzt  es  in  dieselbe  Zeit  wie  die  Gemälde  von  Hagia 
Triada,  d.  i.  M.  M.  III  oder  L.  M.  I  (S.  192  f.),  ebenso  Karo  S.  1758  und 
1778,  bei  dem  sich  ein  merkwürdiges  Schwanken  zeigt:  nach  S.  1760 
ist  M.  M.  III  „eine  Phase  des  Niedergangs",  nach  S.  1768  „eine  Periode 
neuen  Aufschwungs",  nach  S.  1776  „hat  sich  gegen  Ende  von  M.  M.  III 
ein  tiefgreifender  Umschwung  des  künstlerischen  Stils  vollzogen", 
eben  die  Entstehung  der  neuen  lebensvollen  Kunst.  Da  rächt  sich  das 
Festhalten  an  Evans'  Periodisierung;  solche  Äußerungen  zeigen  deut- 
lich, wie  notier  es  ist.  resolut  mit  ihr  zu  brechen. 


170  ^^  •  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

Mykene  (o.  S  57);  auf  einem  anderen  ergeht  sich  eine  Frau 
in  bunten  Gewändern  im  Lustgarten.  Auch  fremde  und  phan- 
tastische Tiere  werden  in  die  Landschaft  gesetzt;  so  lagert 
in  Wandgemälden  des  Thronsaals  von  Knossos  ein  riesiger 
Vogelgreif  zwischen  den  Stauden^),  auf  einem  anderen  lauert 
inmitten  des  Gesträuchs  ein  Pavian.  Dazu  kommen  die  schon 
erwähnten  Seestücke.  Andere  Gemälde  schildern  das  Treiben 
am  Fürstenhof,  Reihen  von  Männern,  die,  wie  in  den  gleich- 
artigen ägyptischen  DarsteUungeu,  Gefäße  als  Tribut  bringen, 
Kulthandlungen,  Stierkämpfe,  die  auf  Kreta  seit  alters  hei- 
misch sind,  denen  das  Volk,  Männer  und  Frauen,  zuschaut, 
teils  aus  Balkonlogen,  teils  unter  den  Ölbäumen  des  Hofes 
in  dicht  gedrängten,  in  flotter  Umrißzeichnung  skizzierten 
Massen.  Neben  den  Freskogemälden  stehn  die  farbigen  Re- 
liefs, für  die  die  einzelnen  Figuren  aus  Stuck  ausgeschnitten 
und  zusammengefügt  sind.  Derart  sind  z.  B.  die  Fayence- 
reliefs einer  säugenden  Wildziege  und  einer  säugenden  Kuh, 
auch  hier  mit  lebendigster  Wiedergabe  der  Bewegung,  und 
die  große  Figur  eines  jugendlichen  Fürsten  (des  „Prinzen 
mit  der  Federkrone"),  der  in  stolzer  Haltung  dasteht,  die 
Lilienkrone  mit  mächtig  aufragenden  Pfauenfedern  auf  dem 
Haupt.  Daran  reihen  sich  die  prächtigen  Reliefs  auf  Prunk- 
gefäßeu  aus  Stein  (Steatit)  und  aus  Edelmetall^)  —  letztere, 
aus  Kreta  importiert,  in  den  Gräbern  von  Mykene  und  Amy- 
klae  (Vaphio)  erhalten.  Bei  der  Gestaltung  des  menschlichen 
Körpers  wird,  in  dem  Streben,  die  athletische  Durchbildung 
stark  zu  betonen,  der  Rumpf  über  den  Hüften  wespenartig 
eingeschnürt,  eine  Bildung,  die  schon  in  den  Tonfiguren  der 
älteren  Zeit  angebahnt  ist. 

Diesen  Schöpfungen  der  Malerei  gegenüber  tritt  die 
Rundplastik  völlig  zurück.  Die  kretische  Kunst  ist  eben,  in 
scharfem   Gegensatz   gegen   das   Dominieren    der   Plastik   in 


*)  Ebenso  auf  dem  Elfenbeinrelief  aus  Mykene.  E-f.  ap/.  1888, 
Taf.  8,  14. 

^)  Grundlegend  Kurt  Müller,  Frühmyken.  Relief,  Jahrb.  d.  Arch. 
Inst.  XXX,  191.=^. 


Gemälde  und  Reliefs.    Glyptik  171 

Ägypten,  durchaus  malerisch.  Größere  Statuen  zu  bilden  hat 
man  überhaupt  nicht  versucht,  und  die  Kleinplastik  lehnt  sich 
durchaus  an  die  von  Malerei  und  Relief  geschaffenen  Vorbilder 
an  und  bleibt  daher  unselbständig.  Gelegentlich  führt  das 
Streben,  die  lebendige  Bewegung  des  Moments  auch  im  Rund- 
bilde festzuhalten,  zu  Wagnissen,  die  dem  Wesen  der  Plastik 
"widersprechen,  so  in  der  Elfenbeinfigur  eines  Jünglings,  der 
frei  in  der  Luft  schwebend,  mit  Spannung  aller  Muskeln  in 
dem  langgestreckten  Leibe,  über  einen  Stier  hinwegspringt  ^). 
Umso  bedeutender  sind  die  in  reicher  Fülle,  teils  im 
Original,  teils  in  Abdrücken  auf  Ton,  erhaltenen  Werke 
der  Glyptik.  Wie  in  der  vorderasiatischen  und  ägyptischen 
Kulturwelt  besitzt  auch  auf  Kreta  jeder  selbständige  Mann 
ein  Siegel  aus  hartem  Stein  oder  Elfenbein,  bei  Armen  aus 
Ton,  mit  dem  er  sein  Eigentum  bezeichnet  und  Urkunden 
beglaubigt,  ursprünglich  in  Form  von  Zylindern  und  Prismen, 
dann  als  Petschaft  oder  in  einen  Ring  gefaßt;  so  hat  sich 
hier  die  Technik  der  Steinschneidekunst  schon  früh  ausge- 
bildet (Bd.  I  510).  Jetzt  gelaugt  sie  zur  vollen  Reife.  Auch 
hier  dominiert  durchaus  das  Streben,  den  Moment  in  leben- 
digster Bewegung  festzuhalten,  so  in  den  Kultszenen  und, 
in  Mykene,  in  den  Einzelkämpfen;  aber  was  in  den  Wand- 
gemälden rasch  hingeworfen  ist  und  daher  oft  zu  flüchtiger 
Behandlung  verführt,  ist  hier  mit  erstaunlicher  Kunstfertig- 
keit auf  kleinstem  Raum  sorgfältig  in  allen  Einzelheiten 
ausgeführt.  So  sind  diese  Werke  der  Kleinkunst  neben  den 
in  der  Technik  gleichartigen  Goldbechern  und  Einlagen  der 
Dolche  wohl  die  schönsten  und  eindruckvollsten  Schöpfungen 
der  neukretischen  Kunst-).    Häufig  werden  diese  Siegel  jetzt 


*)  Wie  diese  und  ilbnliche  Figuren  (Annual  VIII  pl.  2,  8  und 
p.  72  fiP.)  befestigt  waren,  ist  nicht  zu  erkennen,  der  zugehörige  Stier 
ist  nicht  erhalten. 

^)  Neben  sie  stellen  kann  man  vielleicht,  so  fundamental  ver- 
schieden der  Kunststil  ist,  die  Siegelzylinder  des  Reichs  von  Akkad 
Bd.  I  405  und  ihre  Fortsetzung  in  denen  des  Reichs  von  Sumer  und 
Akkad  Bd.  I  420. 


172  I^'-  Kreta  und  die  Icretische  Kultur 

auch  in  Gold  gearbeitet  und  als  Ringe  oder  im  Armband 
als  Schmuckstück  getragen;  gleichartige  Darstellungen  finden 
sich  vielfach   auch  auf  Schiebern  von  Schmuckketten  u.  ä. 

Zur  Differenzierung  der  Eigentumsmarken  werden  auf 
den  Siegeln  seit  alters  die  verschiedensten  Figuren  verw^en- 
det,  Blätter  und  Zweige,  Tiere,  Geräte,  Kombinationen  von 
Strichen,  die  in  bunter  Mannigfaltigkeit  nebeneinander  gestellt 
sind.  Jetzt  werden  vor  allem  Bilder  von,  meist  geflügelten, 
Fabelwesen  üblich,  und  daneben  ganz  phantastische  Ver- 
koppelungen  von  menschlichen  und  tierischen  Gliedmaßen, 
Rümpfen  und  Köpfen,  Beinen  und  Schmetterlingsfiügeln  u.  ä., 
nicht  selten  auch  in  Verbindung  mit  pflanzlichen  Ornamenten. 
Sehr  beliebt  ist  ein  symmetrischer  Aufbau,  so  daß  die  Ge- 
stalten gegeneinander  aufgerichtet  sind,  oft  zu  beiden  Seiten 
einer  Säule  aufspringend  oder  mit  Stricken  an  sie  gebunden, 
so  Sphinxe,  Löwen,  Wildziegen,  Hirsche;  gelegentlich  sind 
auch  die  Köpfe  der  beiden  Tiere  zu  einem  einzigen  ver- 
schmolzen. Manche  dieser  Ungeheuer,  so  die  aus  dem  Orient 
und  Ägypten  übernommenen  Greifen  und  Sphinxe  —  letztere 
immer,  wie  in  Syrien  und  Kleinasien,  in  weibliche  Wesen 
umgewandelt  — ,  sind  wirklich  Darstellungen  der  bizarren 
Gestalten,  in  denen  man  sich,  wie  in  Babylonien  und  Klein- 
asien, die  Dämonen  verkörpert  dachte  und  mit  denen  man 
daher  auch  die  Tierwelt  bevölkerte;  meist  jedoch  sind  es 
deutlich  freie  Schöpfungen  des  Steinschneiders  oder  des  Be- 
stellers, der  das  Siegel  möglichst  individuell  und  von  allen 
anderen  unterscheidbar  zu  gestalten  sucht. 

Aus  den  Abzeichen  der  Siegel  scheint  die  sog.  pikto- 
graphische  Bilderschrift  (nebst  ihrer  Abkürzung  in  einer  Kur- 
sive) hervorgegangen  zu  sein,  von  der  sich  in  den  Palästen 
der  Kamareszeit  manche  Überreste  auf  Scherben  und  Ton- 
täfelchen erhalten  haben.  Wie  weit  sie  sich  an  die  ägyptische 
Schrift  anlehnt,  mit  deren  Hieroglyphen  sich  nicht  wenige 
Zeichen  berühren,  läßt  sich  mit  irgendwelcher  Sicherheit  nicht 
entscheiden;  daß  die  Kenntnis  der  ausgebildeten  Schreibkunst 
des   Pharaonenreichs  und  des  vorderen  Orients  die  Anregung 


Die  Siegel.    Entwicklung  der  Schrift  173 

und  das  Vorbild  gegeben  hat,  wird  sich  nicht  bezweifeln 
lassen.  Diese  ältere  Schrift  ist  dann  weiter  zu  einer  voll 
ausgebildeten  linearen  Kursive  fortentwickelt,  deren  Zeichen 
mit  spitzem  Griffel  in  den  Ton  und  die  Gefäße  eingeritzt  oder 
auch  mit  Tinte  aufgemalt  werden;  sie  ist  weithin  über  die 
Insel  verbreitet  und  liegt  in  zahlreichen  Inventarverzeichnissen 
aus  den  Magazinen,  Listen  von  Personen  und  Lieferungen  u.  ä. 
sowie  in  der  Inschrift  einer  Libationstafel  in  der  Grotte  des 
Lasithigebirges  (Psychro,  Bd.  I  521)  vor.  In  Knossos  ist  sie 
dann  im  einzelnen  noch  wieder  umgestaltet  und  namentlich 
auch  kalligraphisch  verbessert  worden;  doch  ist  diese  Schrift- 
gattung (Klasse  B)  auf  Knossos  beschi'änkt  geblieben.  Nach 
der  Zahl  der  eigentlichen  Schriftzeichen  (gegen  80)  wird  es 
wohl  eine  einfache  Silbenschrift  gewesen  sein,  derselben  Art, 
wie  wir  sie  dann  auf  Cypern  finden;  diese  cyprische  Schrift  ist, 
wie  die  Übereinstimmung  der  Zeichen  zeigt,  deutlich  aus  der 
kretischen  abgeleitet.  Daneben  stehn  aber,  wie  in  Ägypten, 
nicht  wenige  Deutezeichen  (Ideogramme);  auch  lineare  Nach- 
bildungen der  durch  die  Lautschrift  bezeichneten  Gegenstände 
—  Gefäße,  Dreifüße,  Waffen,  Wagen  u.  s.  w.,  vereinzelt  auch 
Pferde,  ferner  Gewichte  in  Form  von  Stierköpfen  —  werden 
in  den  Inventaren  regelmäßig  hinzugefügt.  Rechtliche  oder 
geschichtliche  Urkunden  scheinen  nicht  erhalten  zu  sein,  und 
ebensowenig  etwa  Briefe.  Ob  es  einmal  gelingt,  durch  eine 
glückliche  Kombination  diese  Schrift  zu  entziffern,  steht  dahin, 
und  ist  umso  problematischer,  da  wir  von  der  zugrunde  liegen- 
den Sprache  und  selbst  von  den  Namen  garnichts  wissen,  ab- 
gesehn  etwa  von  dürftigen  Brocken  des  Eteokretischen,  die 
uns  in  mit  griechischen  Buchstaben  geschriebenen  Inschriften 
erhalten  sind  (Bd.  I  505)^).    Sicher  deutbar  sind  bis  jetzt  außer 


')  Grundlegead  für  die  kretischen  Schriftdenkmäler  sind  die 
Arbeiten  von  Evans,  für  die  ältere  Zeit  zusammengefaßt  in  seinen 
Scripta  Minoa  Vol.  I  1909  und  Palace  of  Minos  I  612  ff.;  von  den  In- 
schriften der  Klasse  A  und  B  ist  von  ihm  bisher  nur  ein  Bruchteil 
veröffentlicht,  die  Gesamtpublikation  steht  noch  aus.  —  Besonnen  und 
umsichtig  hat  Sundwall  die  kretische  Schrift  behandelt,  die  Berührung 


174  ^^-  Kreta  und  die  kretische  Kultui" 

den  ideographischen  Bildern  nur  die  Zahlzeichen,  die  in  einem 
einfachen  dekadischen  System  geschrieben  sind. 

In  der  Dekoration  und  Ornamentik  hat  der  Kamaresstil 
noch  längere  Zeit  nachgewirkt,  vor  allem,  langsam  verküm- 
mernd, auf  den  Gefäßen  der  Inseln  und  des  Festlandes; 
auf  Kreta  selbst  wird  er  alsbald  durch  den  neuen,  ihm 
diametral  entgegengesetzten  Stil  vollständig  verdrängt.  Die 
Ornamentik  entnimmt  ihre  Motive,  abgesehn  von  der  Ver- 
wendung von  religiösen  Symbolen  wie  der  Doppelaxt  und 
dem  Stierkopf  auf  Kultgefäßen,  vorwiegend  der  Vegetation 
und  der  Meereswelt  mit  ihren  seltsamen  Tiergestalten.  Be- 
sonders charakteristisch  sind  die  Polypen,  die  zwischen  Ko- 
rallen und  Seegras  schwimmend  mit  ihren  Fangarmen  den 
Bauch  des  Gefäßes  umschließen,  teils  aufgemalt,  teils  plastisch 
auf  Steingefäßen  oder  auf  einem  großen  Steingewicht;  dazu 
Nautili,  Seesterne,  Muscheln,  auch  Delphine.  Nicht  minder 
reich  ist  die  Pflanzenwelt  des  Festlandes  vertreten,  Gräser 
und  Sträucher,  Efeu,  Papyrus,  Palmen,  unter  den  Blumen 
vor  allem  Lilien  und  Krokus.  Durchweg  herrscht  auch  hier 
die  lebendigste  Bewegung;  nicht  sowohl  das  Objekt  selbst 
in  seiner  dauernden  Erscheinungsform,  als  vielmehr  den  un- 
unterbrochenen Fluß  dieses  Naturlebens  zu  erfassen  und  wie- 
derzugeben ist  auch  hier  das  Streben  der  neuen  Kunst.  So 
entstehn  die  reizvollsten  Schöpfungen,  Gefäße,  auf  denen,  sich 
der  Gestalt  des  Kruges  harmonisch  anpassend,  Lilien  oder 
Farnen  aus  dem  Boden  aufsprießen.  Papyrusschilf  in  farbigem 


mit  der  ägyptischen  und  der  cy prischen  weiter  verfolgt  und  einzelnes 
weiter  aufgehellt.  (Vorgriech.  Schritt  auf  Kreta,  Finska  Vefenskap 
Soc.  55,  1914;  die  kretische  Linearschrift,  Jahrb.  archäol.  Inst.  XXX  1915, 
sowie  in  vier  Aufsätzen  in  den  Acta  Academiae  Aboensis  I.  II.  IV  1920. 
1923.  1924).  —  Ob  aus  dem  abweichenden  Schriftsystem  in  Knossos 
auf  eine  Verschiedenheit  der  Sprache  zu  schließen  ist,  ist  sehr  frag- 
lich; vgl.  z,  B.  die  ganz  verschiedenartige  Gestaltung,  welche  die  Keil- 
schrift in  Babylonien  und  in  Assur  erhalten  hat.  Dagegen  können 
ebensogut  ganz  verschiedene  Sprachen  mit  denselben  Zeichen  ge- 
schrieben sein. 


Die  Motive  der  Ornamentik  175 

Relief  das  Grefäß  umschließt,  ein  Rosenzweig  sich  auf  den 
Rand  einer  Fayencevase  lagert.  Dazu  kommen  dann  rein  orna- 
mentale Elemente  wie  Rosetten  und  Spiralen,  die  ebenso,  als 
fortlaufende  Friese,  die  Einfassung  der  Wände  und  den  Decken- 
schmuck oder  auch  die  Umrahmung  eines  prächtigen,  mit  El- 
fenbein und  Gold  ausgelegten  Spielbretts  aus  dem  Palast  von 
Knossos  bilden.  Nicht  selten  sind  zwischen  derartige  Streifen 
in  langen  Reihen  Gemälde  der  großen,  mit  Rindshaut  über- 
zogenen kretischen  Schilde  eingesetzt.  In  anderen  Fällen 
werden  die  Zwickel  zwischen  den  Spiralen  mit  stilisierten 
Blüten  ausgefüllt,  eine  Gestaltung,  die  uns  am  glänzendsten 
in  der  skulpierten  Decke  der  Grabkammer  im  Kuppelgrabe 
von  Orchomenos,  und  daneben  in  zahlreichen  Bruchstücken 
der  Wandgemälde  von  Tiryns  vorliegt^). 

Ägyptische  Einwirkungen  und  innerer  Gegensatz 
zur  ägyptischen  Kunst.    Die  Architektur 

Die  neue  Kultur,  die  in  dieser  Kunst  einen  so  leben- 
digen Ausdruck  gefunden  hat,  ist,  auch  wenn  politisch  ein 
fremdes  Volkstum  auf  die  Insel  eingedrungen  sein  sollte,  doch 
eine  Fortbildung  der  älteren  Gestaltungen,  die  sich  auf  Kreta 
selbst  entwickelt  haben.  Zugleich  aber  steht  sie,  ebenso  wie 
diese,  in  engster  Verbindung  und  Wechselwirkung  mit  der 
Entwicklung,  die  sich  gleichzeitig  in  Ägj^pten  vollzieht.  Die 
regen  politischen  und  kommerziellen  Beziehungen  zwischen 
beiden  Ländern  haben  wir  schon  kennen  gelernt;  ägyptische 
Waren,  Gefäße  aus  Alabaster  und  hartem  Stein  sowie  aus  Fay- 
ence, Glasperlen  und  ähnliche  Schmuckstücke,  Skarabaeen 
mit  den  Namen  Thutmosis'  III.  und  seiner  Nachfolger,  Elfen- 


')  Eingehend  bearbeitet  ist  das  gesamte  Material  von  Rodenvvaldt 
in  Tiryns  II  1912.  —  Schlicht  stilisierte  Blumen  zwischen  den  Rosetten 
finden  sich  übrigens  auch  auf  Kreta,  z.  B.  auf  dem  bemalten  Tonsarg 
(Larnax)  aus  Isopata  (Evans,  Prehist.  Tombs  of  Knossos  p.  91,  Fig. 
102  a). 


176  I^'-  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

bein  (das  uuch  aus  Sjrien  bezogen  sein  kann)^),  Straußeneier 
finden  sich  nicht  selten  sowohl  in  den  kretischen  Palästen  wie  in 
den  Gräbern  des  griechischen  Festlandes^).  Der  Papyrus  mag 
ehemals  auch  auf  Kreta  angepflanzt  oder  sogar  einheimisch  ge- 
wesen sein;  aber  wenn  daneben  die  Lilien  in  der  kretischen 
Malerei  und  Dekoration  ebenso  eine  führende  Stellung  ein- 
nehmen, wie  in  der  gleichzeitigen  ägyptischen  Kunst,  und 
auch  die  Palme  vielfach  dargestellt  und  dekorativ  verwendet 
wird^),  so  ist  der  Zusammenhang  unverkennbar.  Und  wenn 
wir  auf  Siegelsteinen  an  Stelle  der  in  der  kretischen  Baukunst 
gebräuchlichen  dicken  Holzsäulen,  an  die  Tiere  gebunden  sind 
(o.  S.  172),  schlanke  als  Stangen  verwendete  und  im  Boden 
befestigte  Stämme  finden,  die  in  eine  Blätterkrone  (Palm- 
blätter P)  ausgehn,  auf  der  ganz  unorganisch  der  Würfel  liegt, 
der  das  Gebälk  trägt'),  so  ist  hier  einfach  der  in  Ägypten  seit 
dem  Alten  Reich  übliche  Brauch  übernommen,  die  Stangen 
der  Zelte  und  Säulen  mit  Blumen  und  Blättern  zu  schmücken, 
aus  denen  die  ägyptischen  Pflanzensäulen  mit  Papyrus-  und  Pal- 
menkapitell hervorgegangen  sind.  Auch  nach  Vorderasien  haben 
sich  diese  Formen  weithin  verbreitet;  überall,  wo  die  Pflanzen- 
säule vorkommt,  geht  sie  auf  ägyptische  Vorbilder  zurück. 

Wesentlich  schwächer  ist  der  Einfluß  der  asiatischen  Welt, 
trotz  der  engen  Berührung  der  Religion  und  Kultformen 
Kretas   mit  Kleinasien.    Von  hier   mögen   die   phantastischen 


*)  Unter  den  nach  Ägypten  gesandten  Geschenken  findet  sich  bei 
Rechmere'  auch  ein  Elefantenzahn  (wie  bei  den  syrischen  Tributen), 
der  nach  Kreta  nur  aus  Syrien  importiert  sein  kann. 

^)  In  der  Lasithihöhle  findet  sich  unter  den  Weihgaben  auch  eine 
kleine  bronzene  Statuette  des  Amon  (Hogarth  Annual  VI  pl.  10,  1.  2. 
=  Marghiannis,  Ant.  cret.  I  pl.  29,  6). 

^)  Vgl.  E.  Würz,  Der  Ursprung  der  kretisch -mykenischen  Säulen 
(1913). 

*  Evans,  Mycen.  tree  and  pillar  cult  p.  56  Fig.  32,  p.  58  Fig.  34; 
statt  der  Zweige  die  runden  Enden  von  fünf  Balken  p.  62  Fig.  40. 
Die  gleichartige,  gleich  zu  erwähnende  Darstellung  im  vorderasiatischen 
Stil  p.  57  Fig.  33.  Die  ägyptischen  Parallelen  bei  Borchardt,  die  ägypt. 
Pflanzensäule  (1897)  S.  9.  10.  14  f.  19.  22  f.  84. 


Ägyptischer  und  vorderasiatischer  Einfluß  177 

Mischgestalten  auf  den  Siegeln  stammen.  Der  Löwengreif 
und  die  in  ein  weibliches  Wesen  umgesetzte,  meist  geflügelte 
Sphinx  gehn  zwar  in  ihrem  Ursprung  auf  Ägypten  zurück, 
sind  aber  auf  Kreta  in  der  Gestalt  übernommen,  die  ihnen 
die  syrisch -kleinasiatische  Kunst  gegeben  hat^);  in  der  kre- 
tischen Form  hat  dann  ein  ägyptischer  Künstler  den  Greif  auf 
die  Streitaxt  des  Königs  Amosis  gesetzt  (o.  S.  56).  Eine  Gemme 
aus  Mykene  zeigt  zu  beiden  Seiten  einer  Palmsäule  asiati- 
schen Stils  (mit  den  Früchten  unter  den  Blättern)  eine  geflü- 
gelte Sphinx  mit  der  babylonischen  Hörnerkrone  auf  dem 
Kopf.  Auch  babylonische  und  chetitische  Siegelzylinder  haben 
sich  gelegentlich  auf  Kreta  gefunden^). 

Die  von  Ägypten  gegebene  Anregung  führte  mehrfach 
zu  einer  direkten  Übernahme  und  Nachbildung  künstlerischer 
Motive.  Der  oben  S.  56  erwähnte  Dolch  aus  dem  fünften 
Schachtgrab  von  Mykene,  das  Gegenstück  zu  den  Wafi'en  im 
Grabe  der  A'bhotep,  stellt  nicht  eine  kretische  oder  griechische, 
sondern  eine  ägyptische  Landschaft  dar:  durch  das  Papyrus- 
schilf schlängelt  sich  ein  Nilarm  mit  seinen  Fischen,  da- 
zwischen flattern  Enten,  die  von  Wildkatzen  gejagt  werden. 
Die  Gewänder  kretischer  Frauen,  die  in  Fayence  in  den  Vo- 
tivgaben  des  Heiligtums  der  Schlangengöttin  des  Palastes 
von  Knossos  nachgebildet  sind^),  zeigen  eingewebt  eine 
Gruppe  von  Papyrusschilf,  die  aus  einem  Hügel  aufsprießt, 
in  direkter  Nachbildung  und  Umsetzung  einer  in  Ägypten 
ganz  geläufigen,  auch  als  Hieroglyphenzeichen  für  das  Delta 
verwendeten  Darstellung.  Neben  einer  Afi'enfigur  aus  Glas- 
fluß mit  dem  Namen  Amenophis  H.  aus  Mykene  stehn  gleiche 
Figuren  von  Lapislazuli  aus  dem  Königsgrabe  bei  Knossos^); 


')  Vgl.  den  Artikel  Gryps  von  H.  Prinz  bei  Pauly-WissovpaVII  1911  fF. 

-)  Ein    chetitischer  Siegelzylinder   aus   Tiryns    Arch.  Anz.    XXXI 
1916,  146. 

')  In  den  sog.  Temple  Repositories,  Annual  Brit.  School  of  Athens 
IX  82.  Evans  Palace  I  506. 

')  Hall,  Annual  Brit.  School  VIII  188.    Evans,  Prehist.  tombs  of 
Knossos  152. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    II'.  12 


178  IV.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

in  den  Gemälden  aus  Hagia  Triada  schleicht  durch  das  Ge- 
büsch ein  ganz  lebenstreu  wiedergegebener  Pavian.  Der  Ein- 
fluß Ägyptens^)  erstreckt  sich  auch  auf  andere  Gebiete:  auf 
der  berühmten  Schnittervase  aus  Hagia  Triada  schreitet  dem 
Chor  als  Vorsänger  ein  kahlköpfiger,  mit  dem  Lendenschurz 
bekleideter  Ägypter  voran,  der  als  Musikinstrument  das  Si- 
strum  trägt. 

So  erscheint  die  Annahme  nicht  zu  kühn,  daß  die  Ent- 
wicklung der  kretischen  Wandmalerei,  des  führenden  Ele- 
ments in  der  neuen  Kunst,  durch  die  Bekanntschaft  mit 
dieser  in  Ägypten  seit  einem  Jahrtausend  reich  entwickelten 
Kunst  angeregt  ist,  wie  sie  dann  umgekehrt  wieder  stark  auf 
diese  zurückgewirkt  hat.  Nur  umso  deutlicher  wird  jedoch 
eben  durch  diese  fortdauernden  gegenseitigen  Einwirkungen 
und  Entlehnungen,  daß  ihrem  inneren  Wesen  nach  die  beiden 
Kulturen  und  ihr  Kunstgefühl  fundamental  voneinander  ver- 
schieden sind.  Der  Stil  ist  in  jeder  von  beiden  ein  ganz  anderer, 
und  was  immer  die  eine  von  der  anderen  übernimmt,  wird  inner- 
lich umgebildet  und  in  den  eigenen  Stil  übersetzt.  Die  ägypti- 
sche Kunst  ist  stets  streng  gebunden;  sie  wurzelt  in  einer  mehr 
als  ein  Jahrtausend  alten  Tradition  und  einer  Technik,  deren 
Regeln  und  Formen  sie  festhält,  auch  wenn  sie  sie  mit  neuem 
Inhalt  erfüllt  und  neue  Ideen  oder  fremde  Anregungen  be- 
hutsam aufnimmt.  Die  kretische  Kunst  dagegen  ist  jugend- 
frisch und  keck;  sie  wagt  sich  an  die  kühnsten  Aufgaben, 
sucht  das  Unmögliche  möglich  zu  machen,  sie  hat  wohl  ein 
lebendiges  Stilgefühl,  aber  kein  Gefühl  für  die  Grenzen  der 
Kunst.  Daß  sie  durchaus  auf  die  Wiedergabe  des  Moments 
gestellt  ist,  bestimmt  auch  ihren  Charakter;  so  bedeutend 
und  wirkungsvoll  manche  ihrer  Schöpfungen  sind,  es  fehlt 
ihr  die  strenge  Zucht,  die  den  großen  Werken  sowohl  der 
ägyptischen  wie  denen  der  griechischen  Kunst  ihren  Ewig- 
keitswert verleiht.    Eben  darauf  beruht  freilich  zugleich  der 


')  Auch  die  metallenen  Prunkgefäße  mit  aufgesetzten  Blumen, 
die  bei  Rechmeie'  als  Gaben  an  Kreta  erscheinen,  sind  nach  ägyp- 
tischen Vorbildern  gearbeitet  (o.  S.  107). 


Einwirkung  und  innerer  Gegensatz  zur  ägyptischen  Kunst     179 

hochmoderne  Charakter  der  kretischen  Kunst,  durch  den  sie 
eine  einzigartige  Stellung  in  der  Kunstgeschichte  einnimmt. 
Sie  ist  durchaus  heiter,  das  Erzeugnis  einer  Kultur,  die  mit 
offenen  Augen  in  die  bunte  Welt  der  Natur  hineinschaut 
und  den  Reichtum  des  Lebens  behaglich  genießen  will.  So 
hat  sie  auch  ihre  helle  Freude  an  der  Erscheinung  des 
Menschen;  sie  legt  großes  Gewicht  auf  die  athletische  Durch- 
bildung des  Körpers,  die  sich  in  den  Schaustellungen  der 
Feste  in  Ring-  und  Faustkämpfen  und  vor  allem  in  den  Stier- 
kämpfen bewährt,  bei  denen  Jünglinge  und  Jungfrauen 
den  anstürmenden  Wildstier  bei  den  Hörnern  packen  und 
über  ihn  hinwegspringen  —  daß  gar  manche  dabei  aufge- 
spießt werden  oder  sonst  zugrunde  gehn,  wird  als  unver- 
meidlich von  den  zuschauenden  Massen  gleichmütig  hinge- 
nommen und  in  den  Gemälden  und  Reliefs  dargestellt.  Noch 
charakteristischer  ist  das  raffinierte  Kostüm  der  Frauen,  ein 
bunter,  mit  Stickereien  geschmückter  Rock,  der  in  Streifen 
herabfällt,  ein  kokettes  Jäckchen,  das  enganliegend  Rücken 
und  Oberarm  bedeckt  und  über  das  das  Haupthaar  lang 
herabfällt,  der  Rumpf  eng  zusammengeschnürt  durch  einen  ge- 
stickten Gürtel  und  ein  Mieder,  das  die  prallen  Brüste  freiläßt 
und  in  voller  Nacktheit  hervordrängt^).  Auch  das  ist  für  das 
Wesen  der  kretischen  Kultur  bezeichnend,  daß  die  Frauen 
gleichberechtigt  neben  den  Männern  stehn,  sich  in  der  Ge- 
sellschaft frei  bewegen  und  mit  den  Männern  zusammen  den 
Spielen  zuschauen  und  auch  in  ihnen  auftreten. 

Aus  diesem  Charakter  erklärt  es  sich,  daß,  ganz  anders 
als  in  Ägypten  und  in  Griechenland  schon  die  gleichzeitige 
Entwicklung  auf  dem  Festland,  die  kretische  Kultur  eine 
monumentale  Architektur  nicht  geschaffen  hat.  Die  Städte 
bilden  ein  Gewirr  von  schmalen  winkligen  Gassen.  Die  dicht- 
gedrängten mehrstöckigen  Häuser,  von  deren  Aussehn  kleine 
Fayencemodelle  aus  dem  Palast  von  Knossos  ein  Bild  geben. 


')  Das  ist  eine  Modernisierung  des  vor  der  Brust  offenstehenden 
Rocks  mit  hohem  Kragen,  den  die  Frauenfiguren  von   Petsofa  tragen. 


180  ^^'  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

sind  ricach  außen  völlig  abgeschlossen;  die  aus  Quadern  mit 
Balkenlagen  dazwischen  erbaute  Front  liegt  unmittelbar  an 
der  Straße,  die  schmale  Tür  ist  nicht  selten  in  eine  Seiten- 
gasse verlegt,  so  daß  nach  der  Hauptstraße  nur  ein  paar 
Fenster  des  oberen  Stockwerks  hinausschauen.  Bei  größeren 
Häusern  liegen  die  Zimmer,  unter  denen  auch  ein  Bad  nicht 
fehlt,  um  einen  offenen  Säulenhof. 

Inmitten  der  Städte  liegt  auf  einem  Hügel  in  mehreren 
Stockwerken  der  riesige  Palast,  eine  endlose  Reihe  von  Zim- 
mern, die  sich  um  einen  großen,  nach  allen  Seiten  geschlos- 
senen Binnenhof  gruppieren.  Im  Inneren  schaffen  lange  Kor- 
ridore die  Verbindung,  Lichthöfe  und  Schächte  gewähren 
dem  Tageslicht  Zutritt.  Bequeme  Treppen  oder  schräg  an- 
steigende Gänge  führen  in  die  oberen  Stockwerke  mit  ihren 
Prunkgemächern.  Alles  ist  auf  ein  behaglich  genießendes 
Dasein  eingerichtet;  die  Windungen  der  Treppen  und  Gänge 
bereiten  gefällige  Überraschungen,  die  offenen  Hallen  und 
Pfeilersäle  des  Obergeschosses  gewähren  einen  freien  Aus- 
blick in  die  Landschaft  ringsum.  Auch  für  Badezimmer  nebst 
Klosett  mit  Wasserspülung  und  für  durchgehende  Kanali- 
sierung ist  vortrefflich  gesorgt.  Dazu  kommen  Kulträume 
und  die  zahlreichen  Zimmer  für  das  Gesinde  und  die  Scharen 
der  Handwerker  und  Künstler,  die  wie  in  Ägypten  im  Dienst 
des  Fürsten  oder  Mao-naten  arbeiten;  ferner  eine  lauge  dem 
Palast  vorgelagerte  Reihe  von  kellerartigen  Magazinen  mit 
riesigen  Tonkrügen  (Pithoi),  die  die  Vorräte  und  die  Tribut- 
gaben bewahren,  darunter  namentlich  auch  Ol,  das  in  einer 
großen  Ölmühle  gepreßt  wird.  Das  Schema  der  gesamten 
Anlage  geht  auf  die  alten  Paläste  der  Kamareszeit  zurück, 
auf  deren  Grundmauern  sich  in  Knossos  und  Phaestos  die 
Neubauten  erheben;  die  Verfeinerung  und  vor  allem  die  Aus- 
schmückung der  Gemächer  mit  Fresken  und  Reliefs  gehört 
dann  der  neuen   Kunst  an. 

So  anheimelnd  und  reizvoll  diese  Bauten  in  einzelnen 
Teilen  wirken,  so  vollständig  fehlt  ihnen  die  innere  Ge- 
schlossenheit und  der  große  Stil  des  von  einer  einheitlichen 


Architektur.    Die  Paläste  181 

Idee  beherrschten  Bauwerks.  Im  Thronsaal,  in  den  Vorhallen 
an  den  Eingängen,  an  den  Treppen,  in  Kapellen  und  sonst 
wird  das  Gebälk  teils  von  Steinpfeilern,  teils  von  runden 
Holzsäulen  getragen,  immer  mit  Verjüngung  nach  unten, 
während  auf  dem  breiteren  Ende  das  wulstartige  Kapitell 
ruht,  mehrfach  mit  Haken  zum  Aufhängen  von  Vorhängen. 
Aber  zu  einer  weiteren  Entwicklung  hat  das  nicht  geführt, 
eine  wirkliche  Säulenarchitektur,  wie  sie  gleichzeitig  in  Ägyp- 
ten zu  so  grandioser  Entfaltung  gelangt,  ist  der  kretischen 
Bauweise  völlig  fremd;  diese  Säulen  sind  in  ihrer  primitiven 
Form  nicht  mehr  als  ein  Mittel,  um  einen  größeren  lichten 
Raum  zu  schaffen,  der  einen  freundlichen  Eindruck  gewährt^). 
Das  Antlitz  der  Paläste  ist  ganz  nach  innen  und  nach  dem 
großen  Binnenhof  gewandt,  in  scharfem  Gegensatz  gegen 
die  festländischen  Bauten,  welche  den  Hauptraum  nebst  dem 
davor  liegenden,  von  einer  Kolonnade  umschlossenen  Hof  und 
der  Eintrittshalle  dem  Eintretenden  zuwenden.  Nach  außen 
sind  sie,  wie  die  ägyptischen  und  vorderasiatischen  Tempel 
und  Paläste,  durch  die  ungegliederte  Außenwand  abgeschlossen, 
eine  Fassade  fehlt  vollkommen;  mehrere  kleinere  Eingänge 
und  an  der  Nordwestecke  eine  große  Freitreppe  führen  ins 
Innere.  Ein  monumentaler  Eindruck,  wie  ihn  jene  erreichen, 
wird  überhaupt  nicht  erstrebt;  darüber  vermag  auch  der 
große  Hof  an  der  Westseite  des  Palastes  von  Phaestos  mit 
einer  mächtigen,  senkrecht  zum  Haupteiugang  verlaufen- 
den Freitreppe,  auf  der  die  Zuschauer  bei  den  Stierkämpfen 
und  ähnhchen  Schauspielen  Platz  nehmen,  nicht  hinwegzu- 
täuschen. 


')  Kannelierte  Säulen,  wie  sie  sich  vereinzelt  auf  dem  Festland 
finden  (^Schatzhaus  der  Frau  Schliemann"  in  Mykene;  kleine  Elfen- 
beinschnitzerei aus  Kakovatos,  Mitt.  Athen.  Inst  34  Taf.  14.  24),  scheinen 
auf  Kreta  nur  in  dem  Kultraum  des  sog.  Kleinen  Palastes  (u.  S  184,1) 
vorzukommen,  wo  ihre  Gestalt  in  der  Tonerde  im  Abdruck  erhalten 
ist  (Evans,  AnnualXI  7).  —  Daß  man  die  ägyptische  Palmensäule  kannte, 
zeigt  die  Nachbildung  ihres  Kapitells  in  dem  Lampenschaft  aus  Knossos, 
Evans,  Palace  I  345;  aber  in  der  Architektur  ist  sie  nicht  verwendet. 


132  IV.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

Die  Eteokreter  (Kafti)  und  ihre  Religion 

Gestalt  und  Tracht  der  Kreter  haben  wir  schon  kennen 
gelernt;  dabei  wurde  bereits  auf  die  Abweichungen  in  der 
Haartracht  und  vielleicht  auch  im  ethnographischen  Typus 
hingewiesen,  die  zwischen  der  älteren  und  der  späteren  Zeit 
bestehn.  Während  bei  den  Männerfiguren  aus  Petsofa  und 
Sitia^)  das  Haupthaar  ganz  kurz  geschoren  oder  abrasiert 
ist,  ist  später  sowohl  in  den  einheimischen  wie  in  den  ägyp- 
tischen Darstellungen  das  lang  in  Strähnen  über  die  Schultern 
herabfallende  Haupthaar,  mit  einem  gekräuselten  Haarbüschel 
über  der  Stirne,  für  die  Kreter  charakteristisch'*).  Allerdings 
finden  sich  daneben  auch  später  noch  rasierte  Köpfe,  so  bei 
den  Männern  der  sog.  Schnittervase  von  Hagia  Triada  (unten 
S.  191)  und  auf  manchen  Siegeln;  aber  darin  ist  wohl  eher  ein 
Unterschied  des  Standes,  nicht  der  Abstammung  zu  suchen. 
Der  Bart  wird  zu  allen  Zeiten  rasiert,  Rasiermesser  sind 
vielfach  erhalten.  In  der  Kleidung  der  Männer  ist  der  kurze 
Lendenschurz  mit  Gürtel  und  Phallustasche  beibehalten,  da- 
neben kommt  gelegentlich  ein  größeres  Lendentuch  vor,  das 
die  Scham  verdeckt  (o.  S.  108). 

Die  Nachkommen  der  Kreter  der  Blütezeit  werden  wir 
■in  den  „echten  Kretern"  (Eteokretern)  erkennen  dürfen,  die 
sich  vor  den  eindringenden  Griechen  in  den  äußersten  Osten 
der  Insel  zurückgezogen  und  hier  noch  lange  erhalten  haben ^). 
Bei  den  Ägyptern  heißen  sie  Kafti  (mit  unbekannter  Vokaii- 
sation);  und  dieser  Name  scheint  mit  dem  Volksnamen  Japet 


•)  Ant.  cret.  I  33.  II  34.    Annual  TX,  pl.  8  ff. 

2)  Lange  Haare  tragen  auch  die  vier  Fischer  der  sog.  Fischervase 
aus  Phylakopi  auf  Melos  (pl.  22  u.  p.  124);  bekleidet  sind  sie  mit  einem 
Lendentuch.  Die  Malerei  dieses  Gefäßes  ist  zwar  viel  unbeholfener  als 
die  kretische  —  das  Auge  ist  naiv  ganz  groß  mitten  in  die  Backe  ge- 
setzt — ,  zeigt  aber  denselben  flotten  Stil  und  sehr  lebendige  Bewegung, 
steht  also,  wie  die  gesamte  Kultur  von  Melos.  deutlich  unter  kretischem 
Einfluß. 

^)  Ebenso  gab  es  in  der  attischen  Zeit  auf  Karpathos  neben  den 
Griechen  eine  Gemeinde  der  Eteokarpathier. 


Die  Eteokreter  und  die  Religion  183 

identisch,  der,  längst  obsolet  geworden,  im  israelitischen  Völker- 
stammbaura  die  Seevülker  unter  einem  Ahnen  zusammenfaßt^). 
Die  Sprache  der  Eteokreter  scheint,  soweit  wir  nach  den 
geringen  Resten  urteilen  können,  von  dem  Typus  der  klein- 
asiatischen wesentlich  verschieden  zu  sein'O-    Umso  enger  da- 
gegen sind  die  Übereinstimmungen  in  der  Religion.    In  ihre 
Gestaltung^)    gewähren   zahlreiche    Denkmäler   einigen  Ein- 
blick;   auch   hier   setzen   sich   die  Anschauungen   und  Kulte 
der  älteren   Zeit   ununterbrochen  weiter   fort,  was    natürlich 
die    Möglichkeit    nicht   ausschließt,    daß    in    derselben  Weise 
wie  später    die  Griechen    so  auch  früher  schon  fremde  Ein- 
dringlinge  die   alteinheimische  Religion   übernommen   haben 
könnten.    Altererbt  ist  vor  allem  der  Kultus  der  Naturgötter 
in  den  Höhlen  und  auf  den  Gipfeln  der  Berge,  so  auf  dem 
Gipfel  von  Petsofa  an  der  Ostküste  bei  Palaekastro,  auf  dem 
luktas  südlich  von  Knossos,  in  der  Kamareshöhle  am  Südab- 
hang des  Ida,  in  der  Grotte  des  „Ziegenbergs",  des  Aigaion- 
oros  Hesiods,    im    Lasithigebirge    (bei    Psychro,  Bd.  I  521), 
wo  Bruchstücke  eines  Libationsaltars  mit  einer  Weihinschrift 
in  kretischer  Schrift  erhalten  sind,  und  zwischen  diesem  und 
dem    luktas   in    der   Höhle    von    Arkalochori.    Weitere   Aus- 
schmückungen fehlen  völlig,  ebenso  Kultbilder;  dagegen  sind 
sowohl  die  Höhlen  wie  die  von   einer  schlichten  Steinmauer 


1)  Sonst  findet  dieser  Name  sich  nur  noch  als  erratischer  Block 
in  den  griechischen  Göttergenealogien  als  inhaltloser  Name  lapetos; 
vgl.  Bd.  I  5'22. 

*)  Das  legt  immer  wieder  die  Vermutung  nahe,  daß  die  Eteo- 
kreter Eindringlinge  sind,  die  die  Religion  einer  älteren  kleinasiatischen 
(karischen)  Bevölkerung  übernommen  haben,  und  daß  diese  sich  viel- 
leicht in  den  Kydonen  im  Westen  erhalten  hat, 

')  Von  den  zahlreichen  Arbeiten  über  die  kretische  Religion,  z.  B. 
auch  in  den  Werken  von  Lagrange  (La  Crete  ancienne)  und  Dussaud 
(Civilisations  prehelleniques),  Einzeluntersuchungen  von  Della  Seta, 
Rodenwaldt  u.  a.  nenne  ich  besonders  Evans,  Mycen.  Tree  and  Pillar 
Cult  1901  (=  J.  Hell.  Stud.);  H.  Prinz,  Bern,  zur  altkret.  Religion.  Mitt. 
Athen.  Inst.  35,  1910;  Karo,  Religion  des  ägaeischen  Kreises,  in  Haas, 
Bilderatlas  zur  Religionsgesch.  192-5. 


184  IV.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

umsclilossenen  heiligen  Bezirke  auf  den  Bergen  angefüllt 
mit  den  Überresten  von  Opfern  und  zahllosen  schlichten 
Weihgeschenken,  Gefäßen  von  Kupfer  und  Ton,  Waffen, 
kleinen  Rindern  von  Kupfer  —  darunter  in  der  Lasithihöhle 
auch  ein  kleiner  mit  Ochsen  bespannter  Wagen  — ,  Votiv- 
figuren  von  Männern  und  Frauen,  Nachbildungen  mensch- 
licher Gliedmaßen,  die  entweder  für  eine  von  der  Gottheit 
gewährte  Heilung  danken  oder  eine  solche  bewirken  sollen. 
Sehr  zahlreich  sind  darunter  seit  den  ältesten  Zeiten  kleine 
Doppeläxte  von  Kupfer,  ein  durch  ganz  Kleinasien  verbrei- 
tetes Kultsymbol  (Bd.  I  481)  des  kriegerischen  Gewittergottes, 
das  auch  auf  Kreta  überall  wiederkehrt.  An  diesen  Stätten 
wird  der  Kultus  schon  in  frühester  Zeit  aus  denselben  reli- 
giösen Anschauungen  erwachsen  und  gestaltet  gewesen  sein, 
die  dann  die  Griechen  unter  formeller  Anpassung  an  ihre 
Götterwelt  übernommen  und  weiter  gepflegt  haben:  ein  mäch- 
tiger Gott  des  Naturlebens,  der  im  Frühjahr,  bei  dem  Wieder- 
erwachen der  Vegetation,  geboren  und  in  der  Höhle  gegen 
die  feindlichen  Mächte  durch  seine  Verehrer  und  ihre  Waffen- 
tänze geschützt  wird,  dann  als  Himmelsgott  (Zeus)  die  Welt- 
herrschaft ergreift,  aber  im  Sommer,  beim  Verdorren  der 
Pflanzenwelt,  dahinstirbt  —  nach  griechischer  Überlieferung 
liegt  sein  Grab  in  dem  schon  erwähnten  heiligen  Bezirk  des 
luktas  — ,  um  dann  im  nächsten  Jahre  aufs  neue  geboren  zu 
werden. 

Den  Zwecken  des  Kultus  dienende  Räume  finden  sich 
mehrfach  in  den  Palästen  von  Knossos,  Phaestos  und  Hagia 
Triada,  sowohl  den  älteren  wie  den  jüngeren,  und  in  manchen 
der  großen  Magnatenhäuser  ^).  Es  sind  jedoch  nicht  Kapellen, 
sondern  niedrige  Kammern  von  ganz  kleinen  Dimensionen, 
in  denen  sich  kein  Mensch  bewegen  oder  gar  Kulthandlungen 
vollziehen  könnte;  wohl  aber  sind  sie  vollgestopft  mit  sa- 
kralen Objekten  und  Weihgaben  aller  Art  und  haben  ledig- 

')  So  in  dem  sog.  Kleinen  Palast  von  Knossos  (Evans,  Annual  XI,  2  ff.), 
in  Gurnia  und  Kumasa,  und  besonders  instruktiv  in  Niros  westlich  von 
Kandia  (Xanthudides,  Apx-  Etp.  1922,  1  ff.). 


Religion  und  Kultus  185 

lieh  zu  ihrer  Bewahrung  gedient.  Die  große  Zahl  ganz  un- 
ansehnlicher, billig  hergestellter  Gegenstände  völlig  gleicher 
Art  —  z.  B.  schlichte  Schalen  und  Opfertafeln,  mit  Vertie- 
fungen und  Näpfen  zur  Aufnahme  von  Trankspenden,  Früchten, 
Blumen,  ferner  kleine  kupferne  Doppeläxte  u.  ä.  —  zeigt,  daß 
sie  auf  Vorrat  hergestellt  sind  und  die  Hausherren,  die  ofiFenbar 
zugleich  eine  Priesterstellung  einnahmen,  sie,  wie  im  christ- 
lichen Kultus,  an  die  Gläubigen  abgaben  oder  verkauften'). 
War  dann  die  Kammer  überfüllt  oder  konnte  man  sonst  die 
sich  häufenden  und  beschädigt  oder  vielleicht  altmodisch  ge- 
wordenen Weihgaben  nicht  mehr  unterbringen,  so  wurden 
die  Kammern  ausgeräumt  und  ihr  Inhalt  in  Kellerräumen 
zusammengehäuft  —  ein  Verfahren,  das  bekanntlich  ebenso 
in  Ägypten,  in  den  Tempeln  von  Cypern  und  Griechenland 
und  in  zahlreichen  anderen  Kulten  befolgt  wurde  ^).  Derart 
sind  die  in  zwei  großen  Steinkisten  geborgenen  „Temple  Re- 
positories"  im  Palast  von  Knossos.  Dem  aus  kleinen  Kammern 
bestehenden  Bezirk,  in  dem  diese  untergebracht  sind,  ist 
später  eine  nach  dem  Zentralhofe  sich  öffnende  tempelartige 
Fassade  vorgesetzt  worden,  die  sich  aus  den  Überresten  mit 
Hilfe  der  Abbildungen  auf  Wandgemälden  und  Gemmen  hat 
rekonstruieren  lassen^).  Auch  zahlreiche  hier  gefundene  Siegel- 
abdrücke mit  dem  Bilde  der  Berggöttin  bestätigen  den  sa- 
kralen Charakter  dieses  Bezirks,  der  im  übrigen  im  Verhält- 
nis zu  dem  riesigen  Umfang  des  Palastes  nur  einen  sehr  be- 
scheidenen Raum  einnimmt  —  die  Front  ist  nur  5  Meter  lang. 
Ein  wirklicher  Tempel  ist  er  nicht:  wohl  aber  haben  sich 
vor  ihm  und  an  dem  großen  davor  liegenden  Altar  im  Hofe 

^)  So  mit  Recht  Xanthudides  a.  a.  0.  15  ff.  —  Ein  typisches  Bild 
eines  solchen  überfüllten  Kämmerchens  (im  Quadrat  von  1,50  m)  bildet 
der  zu  den  jüngsten  Bestandteilen  des  Palastes  von  Knossos  gehörende 
„shrine  of  tbe  double  axes",  Evans,  Annual  VIII  9G  ff.  (=  Karo,  Religion 
Fig.  59). 

^)  Analog  ist  die  Unterbringung  alter  Manuskripte  in  der  Rumpel- 
kammer (Geniza)  bei  den  Juden  von  Altkairo,  der  wir  den  hebraeischen 
Sirach  und  zahlreiche  andere  Texte  verdanken. 

3)  Evans  im  Journ.  R.  Instit.  of  Architects,  8.  ser.  XVIII,  9.  1911. 


186  IV.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

die  Kulthandlungen  abgespielt.  Die  Unterbauten  solcher  frei- 
stehenden Altäre  sind  auch  sonst  in  den  Höfen  der  Paläste 
mehrfach  erhalten.  Außerdem  liegen  in  dem  sog.  kleinen  Palast 
in  einem  kleinen  Raum  mit  von  Säulen  getragener  Bedachung 
einige  plumpe,  unbearbeitete  Steinblöcke  von  menschenähn- 
licher Gestalt,  in  denen  wir  wohl  primitive  Idole  zu  sehn  haben, 
die  hier  verwahrt  und  wohl  auch  kultisch  verehrt  wurden^). 
Wie  Tempel  sind  auch  Kultbilder  der  Gottheiten  der 
kretischen  Religion  völlig  fremd;  der  Kultus  vollzieht  sich 
durchweg  in  der  freien  Natur  in  unmittelbarer  Verbindung 
mit  der  göttlichen  Macht.  Neben  den  schon  erwähnten  Höhlen 
und  Bergen  werden  überall  in  der  Landschaft  zahlreiche  Be- 
zirke gelegen  haben,  die  den  Göttern  und  ihrer  Verehrung 
geweiht  waren.  Von  ihrer  Gestalt  läßt  sich  aus  den  Abbil- 
dungen auf  Steinvasen  und  Gemmen  einigermaßen  ein  Bild 
gewinnen.  In  der  Regel  ist  der  Bezirk  von  einer  niederen 
Mauer  von  Feldsteinen  umschlossen;  darin  steht  ein  aus 
Quadern  aufgemauerter  Altar  mit  einem  Aufsatz,  dessen  Enden 
hörnerartig  aufragen  (die  sog.  „horns  of  consecration")  — 
ein  seltsames,  für  uns  nicht  deutbares  Symbol,  das  überall 
wiederkehrt  und  in  den  Kultfassaden  an  die  Seiten  der  Säulen 
und  aufs  Dach  gesetzt  ist.  Im  Innern  des  Bezirks  kann  sich 
dann  ein  rechteckiger  Bau  mit  Portal  erheben.  Entweder 
in  diesem  oder  in  dem  äußeren  Bezirk  stehn  die  heiligen 
Bäume,  vor  allem  Feigenbäume,  einer  oder  mehrere,  die  wohl 
an  keiner  Kultstätte  fehlten.  Dazu  kommen  meist  freistehende 
Säulen  innerhalb  des  Portals  und  draußen  hohe  aufgerichtete 
Masten'-').    Ein  vollständiger  Kultbau,    auf  dem  Tauben,  die 

')  Evans,  Annual  XI  8  ff.,  danach  Karo,  Religion  Fig.  34. 

^)  Der  Schilderung  sind  die  beiden  Bruchstücke  von  Steafitvasen 
(K.  Müller,  Arch.  Jahrb.  30,  260  f. ;  Karo,  Rel.  64.  65)  und  die  Gemmen 
aus  Knossos  und  Mykene,  Evans,  Palace  I  160  f.  (Fürtwängler,  Gem- 
men VI  3)  zugrunde  gelegt;  s.  Fig.  c  und  e  auf  Taf.  VIII  nach  Karo 
74.  75.  Abgekürzte  Darstellungen  auf  dem  Siegel  mit  der  Berggöttin 
(Karo  66,  s.  Taf.  f  Fig.  VIII),  sowie  Evans,  Tree  cult  p.  78.  84.  86.  87. 
91.  92,  und  auf  der  Gemme  aus  Mochlos,  Mitt.  athen.  Inst.  35,  343 
(Karo  73);  als  Abkürzung  sind  auch  die  drei  Säulen  mit  runden  Deck- 


Heilige  Bezirke  187 

heiligen  Tiere  der  Göttin,  sitzen,  ist  in  getriebenem  Goldblech 
in  den  mykenischen  Schachtgräbern  mehrfach  nachgebildet^). 
Er  entspricht  durchaus  der  Fassade  im  Palast  von  Knossos: 
zwischen  zwei  schmalen  Säulenhallen  liegt,  weit  höher  auf- 
ragend, über  einem  in  Glasfuß  bunt  mit  Rosetten  u.  ä  aus- 
gelegten Fries  2)  der  enge  Kultbau,  dessen  Architrav  von  einer 
oder  zwei  Säulen  getragen  wird;  auf  dem  Dach  ragen  zahl- 
reiche Kulthörner  auf.  Der  Eintritt  in  die  Räume  ist  durch- 
weg durch  Kulthörner  gesperrt,  die  zwischen  die  Säulen  ge- 
setzt sind;  dadurch  wird  bestätigt,  daß  diese  Bauten  keines- 
wegs Tempel  im  eigentlichen  Sinne  gewesen  sind,  in  denen 
sich  die  Kulthandlungen  abgespielt  hätten,  sondern  eher  Adyta, 
in  denen  man  sich  die  Gottheit  hausend  dachte  und  in  denen 
vielleicht  auch,  dem  Menseben  unnahbar,  die  heiligen  Steine 
oder  ähnliche  Gebilde  verwahrt  waren,  in  denen  sie  ihren  Sitz 
genommen  hatte. 

Ein  vollständiges  Bild  des  ganzen  heiligen  Bezirks  bietet 
ein  Goldring  aus  Mykene^):  auf  einer  in  Stufen  ansteigenden 
Terrasse  liegt  ein  umfriedeter  Hof,  dessen  Türen  offen  stehn; 
durch  ihn  führt  ein  gepflasterter  Weg  zu  dem  Portal  des 
Kultbaus,  über  dem  die  Zweige  von  Bäumen  aufragen.  Zu 
beiden  Seiten  der  Umzäunung  steht  ein  Baum  (Cypresse?) 
und  eine  Adorantin;  am  Rande  ist  Gebüsch  angedeutet.  Diese 
Gestaltung  eines  Heiligtums  ist  nach  Cypern  übertragen  und 
hat  sich  hier  in  Paphos  dauernd  erhalten;  sein  Bild  auf  den 
kyprischen  Münzen  der  Kaiserzeit  zeigt  den  halbkreisförmigen 
Zaun,  der  den  Vorhof  einschließt,  mit  offenen  Türen,  und 
dahinter  auf  einer  Terrasse  dieselbe  Fassade  wie  in  Kreta: 
zwei    niedrigere  Seitenflügel  mit  freistehenden  Säulen  in  der 

balken  und  Tauben  darauf  zu  deuten,  Annual  VIII  29  (Karo  38).  Dazu 
kommen  Altäre  oder  Opfertische  mit  Hörneraufsatz  und  Zweigen,  Karo 
77.  79  u.  a. 

')  Scm.iEMANN,  Mykene  306;  Karo  55  u.  a. 

')  Bekanntlich  findet  sich  dieser  sog.  Kyanos-  oder  Triglyphen- 
fries  mehrfach  auf  Kreta  sowie  in  Tiryns. 

3)  Evans,  Tree  and  Pillar  cult  85;  Furtwängler,  Ant.  Gemmen 
Taf.  VI  2;  Karo  76;  danach  auf  Taf.  d  Fig.  VIII. 


138  IV.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

Halle  und  Tauben  auf  den  Dächern,  dazwischen  der  schmale 
hochragende  Mittelbau,  eingerahmt  von  zwei  hohen  Pfeilern, 
auf  dem  Dach  das  Kulthorn,  im  Innern  der  Steinkegel,  das 
uralte  Symbol  der  Göttin^). 

Die  Gestaltung  der  heiligen  Stätten  zeigt,  daß  auch  die 
Kreter  sich  die  Götter  als  in  Bäumen  und  Holzpfählen ") 
hausend  und  in  diesen  dem  Verehrer  sinnlich  nahbar  glaubten. 
Daneben  steht  als  ein  Hauptsymbol  des  Kultus,  wie  schon 
erwähnt,  die  Doppelaxt.  Unter  den  Weihgaben  der  Höhlen 
ist  sie  sehr  zahlreich  vertreten,  mehrfach  findet  sie  sich 
auf  Siegeln  und  Kultgefäßen,  meist  verbunden  mit  einem 
Stierkopf  ^).  In  dem  Kultraum  in  Niros  standen  vier  große 
Äxte    von  Kupfer,    eine    in    dem    des  Palastes   von  Knossos, 


^)  Blinkenberg,  Le  Temple  de  Paphos,  Dan.  Videnskab.  Selskab, 
hist.-phil.  Meddelser  IX  2,  1924;  die  Parallele  der  Gemme  (S.  187,3) 
hat  er  nicht  herangezogen.  Den  Zusammenhang  haben  natürlich  auch 
Evans  u.  a.  schon  erkannt;  Evans,  Tree  cult  40,  vergleicht  mit  Recht 
auch  den  Tempel  von  Byblos,  in  dem  das  Kulthorn  auf  dem  Dach 
und  der  heilige  Kegel  wiederkehrt. 

^)  Wie  weit  daneben  auch  Steinpfeiler  in  Gebrauch  waren,  läßt 
sich  nicht  sicher  erkennen;  die  altarartigen  Pfeiler  auf  Glasplatten 
aus  Mykene,  auf  die  Dämonen  Libationen  gießen  (bei  Evan-,  Tree 
and  Pillar  cult  19),  scheinen  von  Stein  zu  sein.  Ob  aber  die  Säulen 
und  Masten  der  Gemmen,  an  die  Löwen  oder  Mischwesen  gebunden 
sind  (o.  S.  175),  und  ebenso  die  Säule  des  Löwentors  von  Mykene 
kultische  Bedeutung  hatten  und  nicht  vielmehr  einfach  Wappen  waren, 
ist  sehr  fraglich.  Das  gleiche  gilt  von  dem  Kreuz,  das  sich  auf  Siegeln 
(Evans,  Palace  I  515,  Karo  87)  und  ebenso  im  Temple  Repository  von 
Knossos  findet  (Evans,  Palace  I  516). 

^)  Auf  der  Gemme  aus  Argos  bei  Evans,  Pal.  I  435  Fig.  312c,  sind 
dargestellt  die  Axt,  ein  Stierkopf  und  zwei  Frauenröcke,  also  vier 
Weihgaben;  ebenso  auf  der  aus  dem  Heraeon  bei  Schliemann,  Mykene 
412  no.  541.  Auf  der  Gemme  aus  Knossos  bei  Evans,  Fig.  312  a  (Annual 
VIII  102)  trägt  eine  Frau  denselben  Rock  und  die  Axt  in  den  Händen 
als  Weihgaben;  auf  dem  Abdruck  aus  Zakro,  Evans  Fig.  312b,  verehrt 
ein  Mann  die  Doppelaxt,  ein  anderer  bringt  den  Frauenrock.  Auf  dem 
Goldring  aus  Mykene  bei  Evans,  Tree  cult  61,  Fig.  39,  hängen  an  den 
Deckbalken  einer  Säule,  an  die  zwei  Löwen  gebunden  sind,  zwei  solche 
Röcke.  —  Gemme   mit   vier   Beilen   Annual  VIII  103  =  Karo  78,   mit 


Kultobjekte.    Doppelaxt.    Steine  und  Idole  189 

eine  in  der  Höhle  des  Lasithiberges  und  in  der  von  Arkalo- 
chori.  Daß  sie  hier  kultisch  verehrt  wurden,  kann  nicht 
zweifelhaft  sein^);  ob  aber  der  Steinpfeiler  im  Palast  von 
Knossos,  bei  dem  auf  jedem  Block  Steinbeile  eingehauen 
sind,  sakrale  Bedeutung  hatte  und  sie  nicht  vielmehr  einfach 
Steinmetzzeichen  sind,  ist  mindestens  fraglich-).  Unmittelbar 
mit  Gottheiten  verbunden  oder  in  deren  Händen  erscheinen 
sie  nirgends^);  dagegen  werden  sie  auch  im  Totendienst  auf- 
gerichtet'). 

Daß  auch  Steine  in  Form  von  Kegeln  oder  in  menschen- 
ähnlicher Gestalt  verehrt  wurden,  ist  schon  erwähnt  (S.  186). 
Aus  derartigen  primitiven  Kultobjekten  und  ihrer  Nachbil- 
dung in  Ton  mögen  dann  die  ganz  rohen  Idole  hervorge- 
gangen sein,  die  sich  in  der  Epoche  des  Niedergangs  der 
Kultur  mehrfach  in  den  Kulträumen  gefunden  haben ^):  nie- 


Beil  über  Ochsenkopf  Annual  IX  114  =  Karo  81.  Beile  und  Äxte 
sowie  Opfertafeln  auf  Krugscherben  aus  der  Lasithihöhle:  Annual  \1  104 
=  Karo  49. 

^)  Siehe  die  Gemmen  Evans  312b  in  der  vorigen  Anmerkung. 

2)  Bekanntlich  hat  Evans  diese  Ansicht  aufgestellt  und  aus  der 
Annahme,  die  Doppelaxt  habe  wie  im  Karischen  so  auch  auf  Kreta 
Xdtßpüi;  geheißen,  den  Namen  Xaßüf-iv&o?  erklären  wollen,  der  in  Wirklich- 
keit den  Palast  von  Knossos  als  ,Haus  der  Doppelaxt"  bezeichne.  Diese 
auch  von  Max  Mayer  und  Kretschmer  vermutete  Erklärung  des  Namens 
hat  weithin  Zustimmung  gefunden,  kann  aber  durchaus  nicht  als  ge- 
sichert gelten. 

')  Die  Frau  auf  den  Formsteinen  aus  Palaekastro  (Sitia)  E».  äpy. 
1900  Taf.  3  u.  47  =  Karo  48.  50  (neben  Formen  für  den  Guß  von  Äxten  u.  a.), 
die  in  jeder  Hand  eine  Doppelaxt  oder  eine  Blume  trägt,  ist  nicht  eine 
Göttin,  sondern  die  Votivfigur  einer  Verehrerin;  vgl.  die  Gemme  Evans, 
Fig.  312  a  (S.  188,8).  Auf  dem  großen  Goldring  aus  Mykene  ist  die 
Doppelaxt  nicht  mit  der  Blumengöttin  verbunden,  sondern  schwebt  bei 
der  Kultszene  frei  in  der  Luft,  wie  die  Schildgottheit. 

*)  Auf  dem  Sarkophag  von  Hagia  Triada  sowie  auf  der  Larnax 
von  Palaekastro  Annual  VIII  Taf.  18  =  Karo  57. 

^)  In  dem  späten  Kultraum  in  Knossos  Annual  VIII  99,  auf  einem 
erhöhten  Postament  zwischen  Kulthörnern  mit  Äxten  aufgebaut  (S.  97 
=  Karo  59);  dazu  Evans,  Palace  I  52  (bei  Karo  14  mit  falschem  Zitat). 
In  Gurnia  pl.  11,  1  =  Ant.  cret,  I  36.   Aus  Hagia  Triada  Mon.  Ant.  XIV 


190  I^'^'  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

drige  Tonzylinder,  aus  denen  der  bemalte  Oberkörper  einer 
Göttin  hervorwächst;  die  plumpen  Arme  sind  an  die  Brüste 
gepreßt  oder  nach  oben  ausgestreckt,  gelegentlich  mit  einer 
Schlange  daran;  bei  einer  sitzt  auf  dem  Kopf  eine  Taube,  sie 
ist  also  die  kretische  Taubengöttin.  Vielleicht  sind  diese  Figuren 
erst  unter  dem  Einfluß  der  vom  Festland  her  eindringenden 
griechischen  Eroberer  entstanden;  wir  dürfen  in  ihnen  den 
ersten  Versuch  sehn,  die  Gestalten,  in  denen  die  Phantasie 
sich  die  Götter  denkt  und  in  Kunstschöpfungen  dargestellt 
hat,  nun  auch  in  den  Kultus  selbst  einzuführen;  denn  sonst 
sind  Kultbilder  der  Gottheiten  der  kretischen  Religion,  so- 
weit unsere  Kenntnis  reicht,  noch  völlig  fremd. 

Charakteristisch  für  die  kretische  Kultur  ist  die  sehr 
stark  hervortretende  Beteiligung  der  Frauen  am  Kultus;  dem 
entspricht,  daß,  so  weit  wir  sehn  können,  die  weiblichen  Gott- 
heiten durchaus  überwiegen.  Auch  den  Göttern  gegenüber 
bewahrt  der  Kreter,  und  ebenso  die  Kreterin,  dieselbe  stolze 
Haltung,  mit  der  er  im  Leben  überall  auftritt;  er  begrüßt 
sie  mit  erhobener  Rechten  —  Votivstatuen  in  dieser  Stellung 
sind  mehrfach  erhalten  —  oder  preßt,  wie  es  dem  Diener 
geziemt,  die  Hände  an  die  Brust,  so  mehrfach  bei  Frauen^); 
aber  Kniefall  kommt  in  den  Kultszenen  nur  ganz  vereinzelt 
vor^).    Tieropfer,  an  denen  es  natürlich  nicht  gefehlt  hat,  sind 


739  ff.  =  Ant.  cret.  I  26  (dazu  auch  die  Frauenfigur,  deren  Leib  mit 
zahllosen  Warzen  bedeckt  ist,  die  an  die  ephesische  Artemis  erinnern 
könnten,  ib.  725  =  Ant.  cret.  I  20,  2:  Evans,  Pal.  I  567;  bei  Karo  16 
mit  falschem  Zitat).  In  Prinias  Wide,  Mitt.  athen.  Inst.  26,  247  ff.  Taf.  12. 
In  Bd.  I  517  habe  ich  die  Annahme  babylonisch -assyrischer  Einflüsse 
mit  Recht  abgelehnt,  aber  fälschlich  noch  ein  Nachleben  von  Formen 
aus  älterer  Zeit  für  möglich  gehalten,  für  die  auf  Kreta  jeder  Be- 
leg fehlt. 

^)  So  aus  Mykene,  Schliemann  S.  212;  K.  Müller,  Arch.  Jahrb  30, 
302,  Fig.  20  c.  d.  =  Karo  56  c.  d.,  mehrfach  fälschlich  als  Göttin  gedeutet. 

*)  Auf  einer  Gemme  aus  Ostkreta  (in  Kopenhagen,  publiziert  von 
Bli>kenbbrg  und  Van  Hoorn,  Rev.  arch.  1924,  Bd.  19,  262),  wo  bei  der 
Epiphanie  einer  Göttin  zwei  Frauen  stehend,  zwei  Männer,  die  ihre 
Schilde  auf  den  Boden  gelegt  haben,  knieend  die  Hände  erheben,       , 


Gestalt  des  Kultus.    Der  Festzug  von  Hagia  Triada  191 

in  unserem  Material  nur  im  Totenkult  dargestellt^);  dazu 
kamen  Trankspenden,  Früchte  und  Blumen,  sowie  offenbar 
aus  Ägypten  importierter  Weihrauch,  und  die  zahlreichen 
Votivgaben,  Figuren  der  Verehrer  in  Bronze,  Stein  und  Ton^ 
Schalen  und  Krüge,  kleine  Tierfiguren,  Opfertafeln,  Doppel- 
äxte und  kleine  Nachbildungen  von  Waffen,  auch  Nachbil- 
dungen von  Kultbauten,  Altären  und  Kultgeräten,  und  zum 
Dank  für  eine  Heilung  Modelle  von  Gliedmaßen.  Auf  einer 
Gemme  aus  der  idaeischen  Höhle  steht  eine  Frau  vor  dem 
mit  Zweigen  bedeckten  Opfertisch  und  bläst  durch  eine  große 
Tritonmuschel,  wie  sie  sich  als  Blasinstrumente  mehrfach 
gefunden  haben').  Prozessionen,  Reigen  und  Kulttänze  mit 
Musik  und  Gesang  haben,  wie  überall,  einen  Hauptbestand- 
teil der  Götterfeste  gebildet;  auch  die  so  eifrig  gepflegten 
Stierkämpfe  mögen  dazu  gehört  haben. 

Eine  Steatitvase  aus  Hagia  Triada  stellt  einen  bäuer- 
lichen Festzug  dar.  Geführt  wird  er  von  einer,  wie  es 
scheint,  weiblichen  Gestalt,  vermutlich  einer  Priesterin,  mit 
langem  Haupthaar  in  einem  seltsamen  aus  Maschen  gear- 
beiteten und  in  Fransen  auslaufenden  Gewände^),  mit  einem 
langen  Hirtenstab  auf  der  Schulter  als  Abzeichen  ihrer  Kom- 
mandogewalt. Hinter  ihr  schreiten  paarweise  im  Stampf- 
schritt in  langer  Reihe  die  Teilnehmer  des  Zuges,  alles 
Männer  mit  Lendenschurz  und  Phallustasche,  deren  breites 
Ende  an  den  hochgehobenen  linken  Oberschenkel   gebunden 


')  Die  Plakette  Karo  86  stellt  einen  Dämon  in  Gestalt  der  ägyp- 
tischen Nilpferdgöttin  Tueris  dar,  der  einem  aufgehängten  Kalb 
den  Leib  aufschneidet,  offenbar  eine  Opferszene.  Ferner  gehören  die 
schon  erwähnten  Ochsenköpfe,  mit  und  ohne  Beil,  auf  den  Siegeln 
hierher. 

'-)  Evans,  Palace  I  222  =  Karo  80. 

*)  Ähnlich  ist  das  Gewand  einer  schreitenden  Frau  auf  einem 
Siegelabdruck  aus  Zakro  (Hogarth,  Annual  XVII  264) :  auf  der  Schulter 
trägt  sie  dieselbe  Axt,  wie  die  Schnitter  der  Vase.  Die  vor  ihr  schreitende 
Frau,  die  in  untertäniger  Haltung,  mit  auf  die  Brust  gelegten  Händen, 
auf  sie  zurückschaut,  ist  ihre  Dienerin,  die  ihr  den  Weg  bahnt.  Es  wird 
das  Siegel  einer  Priesterfürstin  sein. 


192  IV.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

ist,  um  dessen  Bewegungen  mitzumachen^);  im  Unterschied 
von  den  sonst  üblichen  kretischen  Gestalten  ist  hei  ihnen, 
wie  schon  erwähnt,  auch  das  Haupthaar  abrasiert  und  der 
Kopf  mit  einer  Kappe  bedeckt.  In  der  Linken  tragen  sie, 
auf  die  Schulter  gelegt,  eine  Axt  mit  langem  Stil  und  ein- 
gesetzter sichelförmiger  Schneide,  also  wohl  eine  Feldhacke; 
an  jede  gebunden  sind  drei  lange  Binsen-  oder  Schilfhalme ^), 
die  über  den  Köpfen  sich  mannigfach  kreuzend  den  Eindruck 
einer  lebend  bewegten  Masse  erzeugen  und  das  Ganze  zur 
Einheit  zusammenfassen.  So  wird  der  Zug  wohl  ein  bäuer- 
liches, aus  dem  Feldbau  erwachsenes  Fest  darstellen,  ob 
gerade  ein  Erntefest,  ist  recht  fraglich,  ebenso  wie  die  üb- 
liche Bezeichnung  des  Gefäßes  als  Schnittervase.  In  der  Mitte 
des  Zuges  gehn  drei  Sänger,  im  Unterschied  von  den  anderen 
mit  kurz  geschnittenem  Haupthaar  und  ohne  Kappen,  und 
ihnen  voran,  wie  schon  erwähnt  (S.  178),  ein  Ägypter  als 
Vorsänger  mit  dem  Sistrum. 

Von  den  kretischen  Gottheiten  kennen  wir  eine  größere 
Zahl  vor  allem  durch  die  Darstellungen  auf  Siegeln  und  Gold- 
ringen; allerdings  erhebt  sich  hier  die  Schwierigkeit,  daß  ein 
beträchtlicher  Teil  derselben  aus  dem  griechischen  Festlande 
stammt,  und  daß  sie  daher,  auch  wenn  sie  von  kretischen 
Künstlern  gearbeitet  sind,  doch  Kulte  darstellen  können,  die 
der  Insel  selbst  fremd  waren.  Andere  sind  dagegen  offenbar 
von  dieser  aus  importiert;  und  im  übrigen  ist  die  Überein- 
stimmung so  groß,  daß  wir  sie,   da  eine  reinliche  Scheidung 


*)  Gegen  Ende  des  Zuges  greift  der  eine,  sich  bückend,  dem  Neben- 
mann mit  einem  Zuruf  an  dies  Glied,  und  der  wendet  sich  scheltend 
um  —  ein  aus  dem  Leben  genommenes  Motiv,  das  von  dem  Künstler 
mit  großem  Geschick  benutzt  ist,  um  die  Monotonie  der  Darstellung 
zu  unterbrechen.  Auch  sonst  herrscht  in  ihr  das  volle  Leben  der 
kretischen  Kunst;  die  Arme  folgen  durchweg  der  Bewegung  der  Beine, 
man  sieht  die  Gestalten  im  Taktschritt  vorüberziehn. 

^)  Die  Deutung  als  Heugabeln  und  der  Äxte  als  Sensen  und 
vollends  manche  andere  Deutungen  (vgl.  Kurt  Müller,  Arch.  Jahrb.  30, 
251  ff.)  scheinen  mir  der  sehr  deutlichen  Darstellung  gegenüber  un- 
haltbar. 


Die  Gottheiten.    Darstellung  der  Epiphanie  193 

nicht  erreichbar  ist,  doch  an  dieser  Stelle  werden  verwenden 
dürfen^). 

Alle  diese  Darstellungen  geben  niemals  ein  wirklich 
vorhandenes  Bild  der  Gottheit,  sondern  immer  nur  ihre  von 
der  Phantasie  geschaffene  und  dem  Gläubigen  im  Bewußtsein 
schwebende  Erscheinungsform.  In  den  besten  Werken  steigert 
sich  das  zu  einer  Darstellung  der  Epiphanie  der  Gottheit; 
wir  schauen  die  geistige  Welt,  in  der  der  Kreter  und  seine 
Kultur  lebt.  So  steht  innerhalb  des  heiligen  mit  Gebüsch  be- 
wachsenen Bezirks  vor  dem  Kultbau  und  dem  davorstehenden 
Mastbaum  eine  Frau  mit  erhobener  Rechten :  da  erschaut  sie 
über  sich  in  der  Luft  den  Gott  schwebend,  mit  einem  Stabe 
in  der  ausgestreckten  Hand-).  Oder  der  Verehrer  steht  vor 
dem  Heiligtum:  da  erscheint  vor  ihm  die  Göttin,  in  der 
gleichen  Haltung,  auf  einem  hohen  Berge,  an  dem  zu  jeder 
Seite  ein  Löwe  aufsteigt^).  Am  bedeutendsten  ist  ein  Gold- 
ring aus  Mykene-^):  zwei  Frauen'')  in  kretischer  Tracht  stehn 
vor  einem  heiligen  Baum;  die  zweite  bringt  Blumen,  die  erste 
streckt  die  Linke  aus,  und  ihr  bietet  die  Göttin,  die  unter  dem 
Baum  sitzt,  einen  Zweig  mit  Mohnkolben.  In  der  Luft  schwebt 
eine  Göttin  in  Schildform,  wieder  mit  einem  Stab  in  der 
Rechten;  darüber  ist  der  Himmel  dargestellt,  mit  Sonne  und 


')  Das  gilt  natürlich  auch  für  ihre  Verwendung  in  der  Schilde- 
rung der  Kultstätten  oben  S.  186  f. 

*)  Evans,  Tree  cult  72.  Palace  1 160  =  Karo  74,  aus  Knossos.  Danach 
auf  Taf.  VIII  e. 

^)  Evans,  Annual  VII  29  =  Karo  66,  in  zahlreichen  Abdrücken  bei 
der  Fassade  in  Knossos.   Abbildung  Taf.  VIII  f. 

*)  Karo  72.  Furtw.Xngler,  Gemmen  II  20.  oft  abgebildet  und  be- 
handelt. Auf  Taf.  VIII  b  nach  einer  mir  von  Prof.  Rodenwaldt  freund- 
lichst überlassenen  Vergrößerung  abgebildet. 

')  Dazu  kommen  zwei  kleine  Frauen  in  einfacherer  Tracht,  die 
eine  hinter  dem  Baum,  die  andere,  gleichfalls  mit  Blumen  in  den 
Händen,  vor  der  Göttin  auf  einem  Felsen,  der  ganz  wie  die  Berge  ge. 
zeichnet  ist,  auf  denen  die  chetitischen  Götter  stehn  (Bd.  I  478  f.).  Ob 
das  auch  Verehrerinnen  (Kinder?)  sind  oder  vielleicht  Gestalten  aus 
dem  Gefolge  der  Göttin,  ist  schwer  zu  entscheiden. 

Meyer,  Geschichte  dos  Älterturas.    II'.  13 


^94  I^-  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

Mond^).  In  die  Mitte  des  Bildes  ist,  wieder  frei  schwebend. 
die  Doppelaxt  gesetzt,  an  den  Rand  eine  Reihe  von  Löwen- 
köpfen. Man  sieht,  die  Absicht,  die  wirklichen  Vorgänge  zu 
schildern,  liegt  dem  Künstler  ganz  fern;  er  benutzt  vielmehr 
die  Kultszene,  um  ein  Gesamtbild  der  idealen  Welt  zu  ent- 
werfen. 

In  derselben  Weise  ist  es  zu  verstehu,  Avenn  der  Baum  sich 
dem  auf  ihn  zueilenden  Verehrer  zuneigt  -).  Die  Gottheit 
ist  nicht  dargestellt,  aber  sie  lebt  in  dem  Baum.  Demge- 
mäß ist  vielleicht  auch  die  Szene  zu  deuten,  wo  ein  Kreter 
den  im  Kultbau  stehenden  Baum  gepackt  hat  und  zu  sicii 
herabzieht-').  Auf  anderen  Goldringen  tritt  eine  Frau  zum. 
Altar,  vor  dem  die  Göttin  sitzt,  einen  Spiegel  in  der  Hand; 
oder  sie  s'tzt  auf  dem  Altar  vor  einem  Strauch  und  streckt 
dem  Verehrer,  der  ihre  Hand  faßt,  den  Zeigefinger  entgegen^). 
Auch  hier  ist  ebensowenig  ein  realer  Vorgang  dargestellt, 
wie  wenn  Dämonen  in  einer  der  ägyptischen  Nilpferdgöttiii 
nachgebildeten  Mischgestalt  Kannen  mit  Trankopfern  tragen 
und    die    Göttin   vor    dem  Altar    auf   einem  Stuhl    sitzt,    den 

')  Das  Band  von  Wellenlinien  darunter  soll  weder  die  Milchstraße 
noch  Wolken  darstellen,  wie  man  gemeint  hat,  sondern  lediglich  den 
Himmel  gegen  Erde  und  Luft  abgrenzen.  Analog  ist  die  Darstellung 
des  Himmels  mit  Sonne  und  Mond  auf  dem  Goldring  aus  Tiryns  über 
opfern'len  Dämonen  (s.  S.  195  Anm.  1).  nur  daß  hier  seltsamerweise 
auch  Zweige  dazwischen  gesetzt  sind. 

-)  Evans,  Tree  cult  78  =  Palace  I  432  Fig.  310  c.  Tsountas-Mannat, 
Myc.  age  p.  225  Fig.  112.  Furtwängler,  Gemmen  H  19,  aus  Vaphio. 
Hinter  dem  Mann  steht  eine  Frau  mit  erregt  ausgestreckten  Armen: 
am  Rande  ein  großer  Schild  und  oben  ein  kreuzförmiges  Symbol.  — 
Ähnlich  P^vANS,  Tree  cult  87,  aus  Kreta. 

3)  EvANS,  Tree  cult  79  =  Palace  I  161,  Karo  75,  aus  Mykene.  Ab- 
bildung Taf.  VIII  c.  Hinter  ihm  steht  zuschauend  eine  Frau,  eine  an- 
dere beugt  sich  über  einen  Altar.  Völlig  erklärbar  ist  das  Bild  nicht.  — 
Ganz  rätselhaft  ist  der  schöne  Goldring  aus  Kreta,  Mitt.  athen.  Inst.  35, 
343  =  Karo  73:  auf  einem  Kahn,  dessen  Heck  in  einen  Pferdekopf  aus- 
läuft [fälschlich  als  Meerungeheuer  gedeutet],  sitzt  eine  nackte  Frau, 
doch  wohl  eine  Göttin,  am  Ufer  steht  ein  Kultbau  und  ein  einge- 
friedeter Baum. 

*)  Evans,  Tree  cult  77  und  92,  aus  Mykene. 


Darstellungen  der  Gottheiten.    Dis  Berggöttin  195 

Becher    in    der    Hand,    hinter    ihr    ein    Adler,    ihr    heiliges 
Tieri). 

In  zahlreichen  anderen  Fällen  ist  lediglich  die  Gottheit 
dargestellt,  meist  verbunden  mit  den  Tieren,  die  ihr  dienen 
und  in  denen  sich  ihre  Eigenart  manifestiert.  80  lernen  wir 
nicht  nur  einen  Teil  des  kretischen  Pantheons  kennen,  son- 
dern gewinnen  zugleich  einen  Einblick  in  seine  Beziehungen 
sowohl  zu  der  kleinasiatischen  wie  zu  der  sich  unter  ihrer  Ein- 
wirkung weiter  ausgestaltenden  griechischen  Religion^).  Die 
auf  dem  Berge  stehende  Göttin  mit  den  Löwen  kehrt  wieder 
auf  Siegelabdrücken  aus  Knossos  und  Zakro,  in  stolzer  Hal- 
tung, die  ausgestreckte  Rechte  hält  den  gebieterisch  vor- 
gestreckten Stab,  der  Löw^e  zu  ihrer  Seite  schaut  gehorsam  zu 
ihr  auf^).  Sie  ist  die  große  Naturgöttin  Kleinasiens,  die 
Rhea  der  Kreter,  die  auf  den  Bergen  haust  und  der  die 
Tiere  des  Waldes,  vor  allem  die  Löwen,  dienen  (Bd.  I  485). 
Wir  dürfen  sie  in  einer  Gemme  aus  Mjkene  wiedererkennen, 
wo  sie  mit  kretischem  Rock  und  nacktem  Oberkörper  gebil- 
det ist  und  zwei  Löwen,  ihr  dienend,  in  üblicher  Weise  anti- 
thetisch gestellt  zur  Seite  stehn')-  Weiter  gehören  die  auf 
Kreta  wie  in  Griechenland  weitverbreiteten  Gemmen  hierher, 


1)  Karo,  Arch.  Anz.  81,  147  (vgl.  Anz.  40,  169f.)  =  K/bo  87,:  aus 
Tiryns.  Darüber  der  Himmel  (s.  S.  194  Anm.  1),  darunter  der  sog. 
Triglyphensims. 

^)  Die  weiblichen  Gottheiten  sind  zus-timmengestellt  von  H  Prinz, 
Mitt.  afhen.  Inst.  85,  149 ö".,  der  aber  zu  weit  geht,  wenn  er  sie  alle 
identifizieren  und  der  kleinasiutisthen  Gtttermutter  gleichsetzen  möchte. 
Auch  in  manchen  Einzelheilen  kann  ich  ihm  nicht  zustimmen,  so 
namentlich  in  der  weitverbreiteten  Deutung  der  Gestalten  von  Ad- 
orantinnen  als  Göttinnen. 

3)  Annual  IX  59  =  Evaks,  Palace  I  505.  Karo  70;  Hog/rth,  Annual 
XVn  2(;5.  Die  Haltung  ist  dieselbe  wie  die  des  Fürsten  auf  dem 
Becher  aus  Hagia  Triada  (Abb.  Taf.  I1I4).  Auf  dem  Haupt  tiägt  sie 
eine  spitze  Mütze,  die  auch  bei  Kriegern  wiederkehrt. 

*)  EvA>s,  Tiee  cult  66  =  Kai  0  67.  Die  Anordnung  kehrt  wieder 
in  dem  „chetitischen"  Relief  unter  der  Hadadstatue  am  Tor  von  Sendjirli 
(v.  Luschan,  Ausgrabungen  IV  Taf.  64,  und  mein  „Reich  und  Kultur 
der  Chetiter"  llOfl'.),  wo  ein  Dämon  zwei  Löwen  hält;  das  Relief  stammt 


196  I^  •  f^reta  und  die  kretische  Kultur 

auf  denen  eine  Göttin  einen  Widder  oder  Bock  packt  oder 
auch,  auf  den  Meeres  wellen  stehend,  mit  jeder  Hand  einen 
Schwan  am  Flügel  ergriffen  hat^).  Wir  dürfen  darin  die  große 
Jagdgöttin  (Artemis)  erkennen,  die  im  Kultus  und  Mythus  der 
altgriechischen  Welt  durchweg  als  eine  der  am  mächtigsten  ins 
Leben  eingreifenden  Gottheiten  erscheint.  Auch  ein  Karneol 
aus  Kreta  wird  sie  darstellen,  auf  dem  eine  Frau  in  kretischer 
Tracht,  mit  stark  hervortretender  Brust,  knieend  den  Bogen 
spannt").  Daneben  findet  sich  ein  männlicher  Gott,  der  zwei 
antithetisch  aufgerichtete  Löwen  packt;  auf  einem  Siegel- 
abdruck aus  Knossos  ist  er  schreitend  dargestellt,  einen  Panther 
zur  Seite,  mit  zylindrischem  Türschild,  Lanze  und  Krieger- 
mütze, also  zugleich  ein  Kriegsgott^). 

Die  eigentliche  Verkörperung  der  kriegerischen  Wehr 
aber  ist  die  Schildgöttin  des  Goldrings  von  Mykene.  Sie  kehrt 
wieder  in  dem  Gemälde  einer  Votivtafel  aus  Mykene.  zwischen 
zwei  Adorantinnen"*),  aber  auch  auf  Siegelabdi-ücken  aus 
Knossos-^).  Deutlich  sieht  man.  daß  der  Kultus  an  die  große 
Schutzwaffe  dieser  Zeit,  den  riesigen  Schild  aus  Rindshaut,  an- 
knüpft, und  daß  diesem  dann  in  der  Phantasie  —  gewiß  nicht 
schon  in  Kultbildern,  wie  später  bei  den  Steinhermen  und  den 


spätestens  aus  dem  9.  Jahrhundert.  Daraus  ist  dann  wieder  der  Gor- 
gogiebel  von  Korkyra  abgeleitet. 

')  Zusammengestellt  bei  Prinz,  Mitt.  athen.  Inst.  35,  163  no.  5 
bis  8.  11.  12,  aus  Kreta.  Vaphio.  Elis;  Fürtwänoler,  Gemmen  II  2-5 — 29. 
MiLCHHÖFER,  Anfänge  der  Kunst  in  Griechenland  (1883)  S.  86.  Reighel, 
Vorhellen.  Götterkulte  (1897)  S.  59. 

2)  Reighel  S.  59  Fig.  19.    Furtwängler  II  24. 

')  Gemme  aus  Kydonia,  Evans,  Tree  cult  65  =  Karo  68;  ähnlich 
aus  Knossos,  AnnualVIIlOl;  Siegelabdruck  aus  Knossos,  Annual  IX 
69  =  Evans,  Palace  I  505,  Karo  69. 

*)  RoDENWALDT,  Mitt.  athen.  Inst.  38,  Taf.  8  =  Karo  58. 

*)  Evans,  Annual  VIII  77  =  Karo  71;  rechts  und  links  von  ihr 
ist  der  Schild  wiederholt.  Evans'  Beschreibung:  group  of  three  warrior.s 
with  8 — shaped  shields,  spears  and  peaked  helmets  (man  hat  sogar 
Kureten  darin  gesucht!)  ist  falsch,  nur  der  mittlere  Schild  wird  von 
einer  Kriegerin  getragen;  bei  den  beiden  anderen  müßten  sonst  Reste 
der  Gliedmaßen  u.  s.  w.  erhalten  sein. 


Jagdgöttin.    Schildgöttin.    Göttin  des  Naturlebens  107 

Brettidolen  —  ein  Kopf  mit  hoher  Zipfelmütze,  Füße  und  eine 
Hand,  die  die  Lanze  hält,  angesetzt  werden.  Es  ist  das  Pal- 
ladion der  Griechen,  das  Kultbild  der  die  Stadtburgen  schir- 
menden lanzenschwingenden  Göttin,  der  Pallas  oder  Athenaia 
Polias,  dessen  Urform  uns  hier  entgegentritt. 

Andere  Göttinnen  verkörpern  die  freundliche  Seite  des 
Naturlebens.  So  die  Göttin  des  Goldrings  von  Mykene,  die 
unter  dem  Baum  sitzt  und  von  den  Frauen  mit  Blumen 
verehrt  wird;  man  wird  sie  in  der  Göttin  Helena  (oevSpiii?) 
von  Therapne  wiedererkennen  dürfen,  die  in  Sparta  in  einer 
Platane  des  Platanistas  von  Jungfrauchören  verehrt  wird; 
der  Baum  wird  mit  einer  Ölspende  begossen,  ein  Kranz  von 
Lotosblüten  daran  aufgehängte.  Nach  einer  bei  Herodot  er- 
zählten Legende  verleiht  sie  den  Kindern  Schönheit.  So  be- 
rührt sie  sich  mit  der  oben  erwähnten  Göttin  der  Zeugung 
und  Fruchtbarkeit,  die  wie  in  Babylonien  und  auf  Cypern, 
aber  auch  in  rohen  Idolen  der  Balkanhalbinsel  (Bd.  I  509) 
die  Brüste  mit  den  Händen  faßt  (vgl.  S.  163,  1).  Diese  selbst 
scheint  identisch  mit  der  Taubengöttin,  deren  Kultbau  in 
Weihgeschenken  in  Knossos  und  Mykene  nachgebildet  ist. 
Sie  selbst  ist  in  Goldblechornamenten  aus  Mykene  mehrfach 
dargestellt  und  zwar  nackt,  also  nicht  in  kretischer,  sondern 
in  der  aus  Babylonien  stammenden  und  durch  Cypern  über- 
mittelten Auffassung;  eine  Taube  sitzt  auf  ihrem  Kopf,  andere 
flattern  um  sie  herum.  Unter  dem  wohl  gleichfalls  aus  der 
Fremde  entlehnten  Namen  Aphrodite  hat  diese  Göttin  von 
Cypern  sich  weithin  über  das  ägaeische  Meer  und  nach  Grie- 
chenland verbreitet. 

Im  „Temple  Repository"  des  Palastes  von  Knossos  haben 
sich  neben  zahlreichen  Weihgeschenken  auch  drei  Fayence- 

')  Theokrit  id.  18,  vgl.  Kaibel,  Hermes  27,  2-55  ff.  Wide,  Lakon. 
Kulte  340  ff.  Herod.  VI  61.  Pausan.  III  15,  3  und  19,  10,  wonach  sie  in 
Rhodos  den  Beinamen  ÖEvSplxti;  hat.  Auch  an  die  kretische  Britomartis 
(angeblicli  „die  süße  Jungfrau")  wird  man  denken  dürfen.  —  Sie  mag 
identisch  sein  mit  der  auf  der  goldenen  Ziernadel  aus  Mykene,  Schlie- 
MANN  223  =  Karo  53  (darüber  zuletzt  Val.  Müller.  Mitt.  athen.  Inst. 
43.  153  ff.)  als  Ornament  verwendeten  Vegetationsgöttin. 


198  I^  •  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

figuren  von  Frauen  in  der  raffinierten  kretisclien  Tracht  ge- 
funden, die  in  den  Händen  Schlangen  tragen;  eine  vierte  aus 
Elfenbein  und  Gold  ist  nach  Boston  gekommen^).  Bei  der 
Hauptfigur  winden  sich  die  Schlangen  auch  um  Gürtel,  Arme 
und  Kopf,  bis  hinters  Ohr;  eine  weitere  schlingt  sich  um 
ihre  hohe  Haube  und  ragt  mit  dem  Kopf  au  dieser  hervor^). 
Man  wird  in  dieser  Gestalt  wohl  eine  Göttin  im  Kostüm  der 
Schlangenbeschwörerinneu  erkennen  müssen,  während  die 
übrigen  eher  diese  letzteren  darstellen,  ebenso  wie  bei  einer 
kleinen,  ganz  rohen  Frauenfigur  aus  einem  Kultraum  in  Pa- 
laekastro,  die  eine  aufgerichtete  Schlange  am  Arm  hält  und 
von  drei  anderen  Frauen  umtanzt  wird'').  Dann  hätten  wir 
also  auch  hier  zwar  nicht  ein  Kultbild  —  dazu  ist  die  Figur 
(34  Zentimeter  hoch)  viel  zu  klein  — ,  aber  wohl  eine  Vorstufe 
dazu"*).  Jedenfalls  aber  haben  wir  es  hier  mit  einem  Kult  zu 
tun,  in  dem  der  Schlangenzauber  eine  Hauptrolle  spielte. 
Kultische  Verehrung  von  Schlangen  ist  daraus  jedoch  nicht 
zu  folgern;  vielmehr  kommen  Schlangen  in  den  Kultdenk- 
mälern niemals  vor,  so  wenig  wie  etwa  Skorpione  und  ähn- 
liches Getier.  So  wird  es  sich  eher  um  die,  in  den  Wohn- 
stätten und  auf  den  Feldern  im  warmen  Klima  ja  ganz 
unentbehrliche  Aufsuchung  und  Vertilgung  der  Schlangen 
handeln,  für  die,  wie  im  Orient  überall  bis  auf  den  heutigen 
Tag,  die  daran  anknüpfenden  Kulthandlungen  magische  Kraft 
gewährten. 

Dieser  Göttin  scheinen  als  Votivgaben  die  hohen,  ihrem 
Kopfputz  gleichartigen  kegelförmigen  Hauben  von  Ton  an- 
zugehören,   die  sich  bereits  in    einem  Kultraum    von  Gurnia 

^)  Evans,  Palace  I  -501  ff.  und  Titelbild.    Karo  39.'  ;1 

^)  Eine  der  anderen  Figuren  trägt  nach  der  Rekonstruktion  bei 
Evans,  Palace  I  504,  eine  niedrige  kronenartige  Kappe,  auf  der  eine 
Löwin  sitzt. 

3)  Annual  X  21 7  ff. 

*)  Dem  entspricht  das  oben  S.  .189,  5  erwähnte  rohe  späte  Idol 
mit  zylindrischer  Basis  aus  Gurnia,  an  dessen  Arm  sich  eine  Schlange 
windet:  Boyd-Hawes,  Gurnia  pl.  11.  1  =  Ant.  cret.  I  36.  Karo  51.  Da- 
neben stehn  mehrere  der  gleich  zu  erwähnenden  Hauben. 


Schlangengöttin  und  Schlangenzauber  199 

aus  der  Blütezeit,  und  dann  später  mehrfach  in  Kumasa  und 
Prinia  gefunden  haben,  mit  scblangenförmig  sich  windenden 
Griffen  zu  beiden  Seiten  und  einem  an  die  Vorderseite  ge- 
setzten Kulthorn.  Bei  zwei  ähnlichen  hohen  Hauben  aus 
Hagia  Triada  ist  darunter  noch  ein  ganz  roher  Kopf  er- 
halten^). Sie  entsprechen  der  hohen  Mütze  der  kleinasiati- 
schen Göttermutter,  aus  der  sich  die  Mauerkrone  entwickelt 
hat.  Gleichartige  Aufsätze,  an  denen  sich  Schlangen  ringeln 
und  auf  deren  Henkeln  und  fensterartigen  Öffnungen  Vögel 
sitzen,  haben  sich  jetzt  in  dem  Tempel  von  Betse'an  in  Palae- 
stina  aus  der  Zeit  Sethos'  I.  gefunden'-).  Auch  hier  tritt  die 
Verbindung  mit  dem  Osten  deutlich  hervor. 

Im  allgemeinen  ist  es  für  den  Charakter  der  kretischen 
Religion  bedeutsam,  daß  von  Naturobjekten  zwar  Bäume  (und 
wohl  auch  andere  Pflanzen)  sowie  hölzerne  und  steinerne 
Pfähle  als  Sitze  der  Gottheit  eifrig  verehrt  werden,  ferner 
Schilde  und  Doppeläxte,  daß  sich  aber  von  dem  in  anderen 
Religionen  und  auch  bei  den  Griechen  eine  so  große  Rolle 
spielenden  Tierkultus  nichts  findet^)  —  denn  die  Löwen  sind 
nur  Begleiter  der  Göttin,  ebenso  die  Tauben  und  andere  Vögel. 
Die  großen  Natunuächte  werden  durchweg  weiblich  gedacht, 
als  gebärend  und  daher  schöpferisch.  Die  männlichen  Gott- 
heiten treten  dem  gegenüber  ganz  zurück;  auch  der  kretische 
Zeus,  wie  wir  ihn  aus  der  griechischen  ÜberHeferung  kennen 
lernen,  ist  ja  in  erster  Linie  der  Sohn  der  großen  Naturgöttin 
und  wirkt  nicht  ewig,  sondern  wird  in  jedem  Jahre  neu  ge- 
boren und  stirbt  wieder,  wie  die  ents])rechenden  Götter  Klein- 
asiens. 

')  Sam  Wide,  Mitt.  athen.  Inst.  XXVI  247  ff.,  sowie  S.  198  Anm.  4, 
Karo  51.  52,  richtig  gedeutet  von  Prinz,  Mützenidole  aus  Kreta,  in  Fest- 
schrift der  schles.  Ges.  Breslau  1911.    Dazu  Val.  Müller,  Der  Polos  14  f. 

2)  Siehe  Gressmann  in  Z.  Alttest.  Wiss.  44,  1926,  73  mit  Val.  Möller's 
Bemerkungen  dazu. 

')  Gewöhnlich  wird  die  Minotaurossage  als  Fortbildung  eine» 
kretischen  Stierkultus  mit  Menschenopfern  gedeutet;  aber  in  den  Mo- 
numenten weist  keine  Spur  auf  etwas  Derartiges  hin,  und  so  scheint 
hier  größte  Zurückhaltung  geboten. 


200  I^-  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

Neben  der  Götterwelt  steht  die  der  Dämonen,  die  als 
unheimliche,  gespenstische  Wesen  von  der  Phantasie  reich 
ausgestaltet  und  auf  den  Siegeln  vielfach  abgebildet  werden^); 
hier  tritt  der  kleinasiatische  und  der  durch  ihn  vermittelte 
babylonische  Einfluß  besonders  stark  hervor.  Daneben  steht 
als  einziges  auf  diesem  Gebiet  aus  Ägypten  übernommenes 
Element  das  Bild  der  Nilpferdgöttin  Tueris^).  In  den  Dar- 
stellungen erscheinen  auch  diese  Dämonen  nicht  selten  im 
Dienst  der  Götter  und  bringen  ihnen  Trankopfer  dar^).  In 
Sagen  und  Mythen  haben  sie  ohne  Zweifel  eine  große  Rolle 
gespielt,  und  manches  davon  wird  weiter  gewandert  und  in 
die  Erzählungen  der  Griechen  eingedrungen  sein.  So  zeigt 
der  Rest  eines  Siegelabdruckes  aus  Knossos  einen  Kahn  mit 
einem  kretischen  Schiffer  darauf,  der  von  einem  Seeunge- 
heuer angefallen  wird,  und  ruft  die  Erinnerung  an  die  Skylla 
wach^);  und  wenn  auf  dem  Abdruck  eines  anderen  knos- 
sischen  Siegels  vor  einem  mit  zahlreichen  Ruderern  bemann- 
ten Kriegsschifi"  ein  riesiges  Pferd  steht  ^),  kann  man  kaum 
umhin,  darin  die  älteste  Gestalt  der  Sage  vom  trojanischen 
Pferd  zu  suchen. 


'j  Daß  viele  der  auf  diesen  vorkommenden  ganz  phantastischen 
Mischwesen  lediglich  Schöpfungen  der  Siegelschneider  sind,  ist  oben 
schon  erwähnt. 

^)  Siehe  o.  S.  191,  1.  Eine  Nachbildung  derselben  aus  ganz  früher 
Zeit  (Early  Minoan)  kommt  schon  in  den  Gräbern  der  Messarä  vor 
(Xanthidues  Taf.  14,  1075). 

^)  Siegel  und  Glasplatten  aus  Vaphio  und  Mykene  bei  Evans, 
Pillar  cult  3  und  19,  sowie  oben  S.  194  f.  (Karo  87).  Vgl.  ferner  die  Pro- 
zession eselsköpfiger  Dämonen,  die  eine  lange  Stange  tragen,  auf  dem 
Fragment  eines  Wandgemäldes  aus  Mykene:  Tsountas-Manatt,  Myc. 
age  301.  E(p.  äpx.  1887  Taf.  10.  Karo  62;  ähnlich  auf  einer  Muschel 
aus  Phaestos,  Mon.  ant.  XII  Taf.  8,  1,  wo  sie  in  der  Hand  das  ägyptische 
Lebenszeichen  (Henkelkreuz)  tragen. 

*)  Evans,  Annual  IX  58.  Karo  S'.',;  vgl.  Studniczka.  Mitt.  athen. 
Inst.  81,  50. 

'']  Annual  XI  18. 


Dämonen  und  Sagen.    Gräber  201 

Gräber  und  Totenkult 

Die  Anlage  und  Ausstattung  <ler  Gräber  hat  sich  in  der 
Blütezeit  Kretas  über  die  verhältnismäßig  einfachen  Formen 
der  ältesten  Epoche  hinaus  nicht  gesteigert,  sondern  ist  eher 
zurückgegangen;  große  aus  rohen  Steinen  aufgeführte  und 
überwölbte  Kuppelgräber,  wie  sie  damals  im  Süden  in  der 
Ebene  der  Messara  (bei  Phaestos)  angelegt  wurden^),  finden 
sich  hier  in  der  Folgezeit  nicht  mehr.  Auf  den  Friedhöfen 
der  Ortschaften  und  in  Einzelgräbern  werden  die  Leichen, 
in  Hockerstellung,  oft  mit  gewölbten  Deckeln  von  Ton  über- 
deckt. Daneben  werden  tönerne  Wannen  und  rechteckige  Ton- 
särge (Larnakes),  die  die  Form  hölzerner  Truhen  nachahmen, 
immer  häufiger;  die  reiche  Bemalung  verwendet  neben  rein 
dekorativen  Motiven  mehrfach  auch  kultische  Symbole,  wie 
die  Doppelaxt,  Kulthörner,  Greifen,  die  wohl  eine  Bezie- 
hung auf  den  Totendienst  enthalten.  Für  die  vornehmeren 
Gräber  werden  im  Kalkstein  Kammern  ausgehauen;  aber  nur 
ganz  vereinzelt  finden  sich  Grabanlagen  größeren  Stils.  Am 
bedeutendsten  ist  das  vielleicht  einem  Könige  angehörende 
Grab  in  dem  Hügel  Isopata  nördlich  von  Knossos,  eine  große 
rechteckige  Kammer  mit  einer  Vorhalle,  zu  der  ein  langer 
Gang  (Dromos)  hinabführt.  Die  Mauern  sind  aus  Quadern 
erbaut  und  durch  Überkragung  spitzbogig  überwölbt.  Dieses 
Grab  gehört  der  letzten  Zeit  der  kretischen  Kultur  an  (Late 
Minoan    H)  -).      Eine    späte    Fortsetzung    der   alten    Kuppel- 

')  Xanthudide«,  The  vaulted  tombs  of  Messara  192.i. 

'•*)  Evans,  Prehistoric  tombs  of  Knossos  (Archaeologia  LIX  1906), 
möchte  aus  den  einer  älteren  Zeit  angehörenden  ägyptischen  Ge- 
fäßen aus  Porphyr,  Diorit  und  Alabaster  folgern,  daß  das  Grab  be. 
reits  wesentlich  früher  angelegt  und  dann  in  spätminoischer  Zeit  neu 
benutzt  sei.  Aber  daß  ältere  Prunkgefäße  aus  dem  Besitz  des  Fürsten 
diesem  mit  .'.ns  Grab  gegeben  wurden,  ist  doch  begreiflich  genug: 
zur  Datierung  kann  nur  das  bemalte  Tongeschirr  aus  weit  späterer 
Zeit  dienen,  darunter  prachtvolle  Amphoren  im  „Palaststil".  Das 
Postulat  S.  167,  Kreta  müsse  den  mykenischen  Kuppelgräbern  gleich- 
wertige Bauten  geschaffen  haben,  ist  unhaltbar:  derartige  Bauten  gibt 
es  eben  auf  Kreta  nicht. 


202  I^  •  Kreta  un  l  die  kretische  Kultur 

gräber  der  Messani  ist  es  nicht,  sondern  steht  eher  bereits 
unter  der  Einwirkung  der  großen  Kuppelgräber  des  griechi- 
schen Festlandes.  An  künstlerischer  Bedeutung  und  monu- 
mentaler Wirkung  steht  es  weit  hinter  diesen  zurück:  die 
großartige  Entwicklung  des  Steinbaus  gehört  dem  griechi- 
schen Festlande  an,  ist  dagegen  der  kretischen  Baukunst 
völlig  fremd. 

In  die  Gestaltung  des  Totendienstes  gewährt  ein  gleich- 
falls dieser  letzten  Periode  angehörender  Steinsarg  aus  Ha- 
gia  Triada  bei  Phaestos  einen  Einblick.  In  den  Gemälden, 
mit  denen  die  beiden  Langseiten  geschmückt  sind,  werden 
die  einzelnen  Szenen  dargestellt.  Auf  der  einen  liegt  der 
gefesselte  Stier  mit  zerschnittener  Kehle  auf  dem  Opfertisch, 
sein  Blut  wird  in  einem  Eimer  aufgefangen ;  unter  dem  Tisch 
liegen  noch  zwei  gefesselte  Wildziegen,  die  offenbar  dann 
auch  geopfert  Averden  sollen.  Eine  Flötenspielerin  begleitet 
die  Handlung  mit  Musik;  ihr  folgen  fünf  weitere  Frauen, 
deren  erste  die  Hände  weihend  über  das  Opfer  ausstreckt. 
Rechts  steht  ein  mit  Kulthörnern  geschmückter  Kultraum, 
der  einen  Ölbaum  umschließt,  davor  auf  hohem  Pfahl  die 
Doppelaxt,  auf  der  ein  Vogel  sitzt,  und  ein  Altar.  Auf  diesen 
bringt  eine  Priesterin,  charakterisiert  durch  ein  Wollfell,  das 
sie  um  die  Hüften  trägt,  segnend  die  Opfergaben,  zwei  Körbe 
mit  Früchten  und  Kuchen  und  eine  Kanne.  Auf  der  anderen 
Seite  gießt  die  Priesterin  das  Opferblut  in  einen  Krug,  der 
auf  die  Postamente  von  zwei  hoch  aufgerichteten  Doppel- 
beilen gestellt  ist;  auch  hier  sitzt  auf  jedem  der  beiden  ein 
Vogel.  Ihr  folgen  zw^ei  Frauen  in  der  üblichen  Tracht,  die 
eine  mit  einem  zweiten  Eimer,  die  andere  spielt  die  Leier. 
Rechts  davon  steht  in  kleinerer  Gestalt,  bekleidet  mit  einem 
die  Arme  verhüllenden  Wollgewande,   der  Tote^j  vor  einem 


')  Gegen  Rodenwaldt,  Mitt.  athen.  Inst.  37,  138  f.,  und  Karo  muß 
ich  an  der  Deutung  dieser  Gestalt  als  des  Toten  festhalten.  Das  ihm 
von  dem  ersten  der  drei  Priester  dargebrachte  Gerät  mit  gekrümmter, 
hochaufragender  Spitze  hat  schon  der  erste  Herausgeber  Paribeni  für 
das  Totenschiff  erklärt,   ebenso  viele  andere,    z.  B.  Düssaud.    Civil,  pre- 


Der  Sarkophag  von  Hagia  Triada  203 

Portal,  vor  ihm  ein  Baum  und  ein  Altar.  Au  diesen  bringen 
drei  Männer,  bekleidet  mit  dem  priesterlichen  wolligen  Fell, 
die  Opfergaben,  einen  Kahn  (?)  und  zwei  Kälber.  Die  beiden 
Schmalseiten  führen  dann  in  die  Phantasiewelt  des  Jenseits: 
zwei  Göttinnen  fahren  auf  einem  Wagen,  der  das  eine  Mal 
mit  Pferden,  das  andere  mit  Greifen  bespannt  ist.  Man  hat 
in  der  einen  der  beiden  Gestalten  den  verklärten  Toten  sehn 
wollen,  den  eine  Göttin  ;  davonführt;  andere  glauben  seine 
Seele  in  einem  phantastisch  mit  einer  Haube  gestalteten  Vogel 
zu  erkennen,  der  über  den  Greifen  flattert.  Als  gesichert  kann 
keine  dieser  Deutungen  gelten. 

Die  Gemälde  des  Sarkophags  geben  uns  zugleich  ein  Bild 
von  der  Weise  der  kretischen  Opfer.  Auch  hier  ist,  wie  in 
so  vielen  Religionen,  das  Blut  des  Opfertiers  die  Gabe,  die 
den  dämonischen  Mächten  zukommt;  die  materielle  Verbin- 
dung mit  ihnen  schaut  das  aufgerichtete  Kultmal  der  Doppel- 
axt und  daneben  der  heilige  Baum,  und  die  Vögel,  die  sich 
darauf  setzen,  bezeugen,  daß  sie  wirklich  anwesend  sind. 
Zur  heiligen  Handlung  gehört  Musikbegleitung.  Bedeutsam 
ist,  daß  auch  hier  die  Frauen  im  Kultus  und  als  Priesterinnen 
stärker  hervortreten   als  die  Männer. 

Staatliche  Verhältnisse.   Bewaffnung  unü  Kriegswesen 

Von  den  staatlichen  Verhältnissen  Kretas  läßt  sich  bei 
dem  völligen  Fehlen  irgendwelcher  Nachrichten  oder  Doku- 
mente ein  Bild  nicht  gewinnen.  Wie  das  Verhältnis  der  beiden 


hellen.,  sowie  Ebert,  Praehist.  Z.  XI  1919..  179;  andere  wie  Karo  sehn 
darin  einen  Elefantenzahn.  Eine  sichere  Entscheidung  scheint  unmög- 
lich. Jedenfalls  aber  erscheint  mir  ebenso  wie  Karo  die  (z.  B.  auch 
von  RoDENWALDT  a.  a.  0.  bestrittene)  Deutung  der  Szene  auf  den  Toten- 
kult durchaus  geboten;  sie  ist  bei  einem  Sarkophag  das  allein  natür- 
liche, von  dem  man  nur  abweichen  darf,  wenn  genügende  Gründe  da- 
gegen sprechen  [daß  die  Sarkophage  der  Kaiserzeit  mythische  Szenen 
darstellen,  kommt  doch  hier  nicht  in  Betracht,  sondern  ist  das  p]r- 
gebnis  einer  langen  kunstgeschichtlichen  Entwicklung].  Völlig  abzu- 
lehnen sind  Deutungen  wie  die  von  E.  Peters:;n,  Arch.  Jahrb.  24, 
162  ff.,  der  überall  mit  spezifisch  griechischen  Ideen  operiert. 


204  IV.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

Herrschersitze  Knossos  und  Phaestos  mit  ihren  Palästen  und 
weiter  das  des  letzteren  zu  dem  wenig  weiter  westlich  nach 
dem  Meere  zu  gelegenen  Hagia  Triada  gewesen  ist,  bleibt 
für  diese  Epoche  eben  so  dunkel  wie  für  die  frühere.  Eben- 
sowenig wissen  wir,  ob  auch  der  für  die  ältere  Zeit  noch 
völlig  unerforschte  Westen  der  Insel,  in  dem  wir  den  Volks- 
stamm der  Kydonen  zu  suchen  haben  (Bd.  I  521  f.),  zu 
dem  Reich  der  im  Zentrum  und  Osten  sitzenden  Eteokreter 
oder  Kafti  gehörte  oder  ob  er  einen  eigenen  Staat  bildete ; 
kleine  Ausgrabungen  von  Gräbern  in  Maleme  Avestlich  von 
Kydonia  (Kanea)  und  in  Atsipas  (an  der  Südseite,  westlich 
vom  Ida)  haben  wenigstens  gelehrt,  daß  auch  hier  dieselbe 
Kultur  herrschte  wie  im  Osten ^).  Im  übrigen  beweist  der 
Umstand,  daß,  im  Gegensatz  zu  Phylakopi  auf  Melos  und  zu 
den  festländischen  Herrschersitzen,  alle  kretischen  Städte  nach 
wie  vor  unbefestigt  geblieben  sind,  daß  auf  der  Insel  fried- 
liche Zustände  herrschten  und  man  weder  einen  inneren  Krieg 
noch  einen  Überfall  zur  See  befürchtete. 

Die  Insel  ist  dicht  besiedelt,  mit  zahlreichen  ansehn- 
lichen, eng  bebauten  Städten.  Daß  an  der  Spitze  des  Reichs 
ein  König  stand,  mit  großem  Hofstaat  beiderlei  Geschlechts 
und  zahlreichen  Beamten,  ist  an  sich  zweifellos  und  wird 
durch  die  großen  Paläste  bestätigt.  Aber  in  den  Wandge- 
mälden und  den  übrigen  Denkmälern  tritt,  in  bezeichnendem 
Gegensatz  gegen  Ägypten,  der  König  niemals  hervor,  es  sei 
denn,  daß  wir  in  dem  „Prinzen  mit  der  Federkrone"  und  in 
dem  mit  Halsketten  und  Spangen  geschmückten  Fürsten,  der 
auf  dem  Steatitbecher  von  Hagia  Triada  in  stolzer  Haltung, 
den  Kommandostab  in  der  Hand,  die  Meldung  eines  Offiziers 
entgegennimmt  (Taf.  III),  den  König  selbst  zu  erkennen  haben. 
Ganz  fremd  ist  der  kretischen  (und  ebenso  der  mykenischen) 
Kunst  jedenfalls  der  in  Ägypten  wie  in  Babylonien  allgemein 
herrschende  Brauch,  den  Herrscher  (und  ebenso  in  Ägypten 
den  Grabherrn)  in  riesiger,    alle  anderen  weit   überragender 


')  Prinz,    Mitt.    athen.    Inst.  .85,  150.    Karo.    Arch.  Jahrb.  30,  198. 


staatliche  Gestaltung.    Waffen  205 

Gestalt  darzustellen.  Daß  den  Herrschern  mächtige  Magnaten 
mit  großem  Grundbesitz  und  zahlreichen  Gefolgsleuten  zur 
Seite  standen,  kann  nicht  zweifelhaft  sein;  ihnen  werden  die 
großen,  palastartigen  Wohnhäuser  angehören,  die  in  Städten 
wie  Tylissos,  Gurnia,  Palaekastro  u.  a.  und  auch  in  Knossos 
selbst  neben  dem  großen  Königspalast  liegen.  Auch  Priester 
und  Priesterinnen  (vgl.  das  Siegel  o.  S.  191,  3)  werden  eine 
große  Rolle  gespielt  haben,  falls  nicht  diese  Funktionen  mit 
der  Stellung  der  Grundherren  verbunden  waren. 

In  der  Bewaffnung  ist  zu  der  Lanze  und  dem  seit  alters 
am  Gürtel  getragenen  Dolch  das  Schwert  hinzugekommen, 
in  der  Regel  als  langer,  spitz  zulaufender  Degen  mit  Doppel- 
schneide, der  vor  allem  zum  Stoßen  dient;  daneben  kommen 
neben  starken  Dolch messern  auch  breitere  wuchtige  Schwerter 
vor,  die  einen  kräftig  durchschlagenden  Hieb  zu  führen  ge- 
statten. Prachtexemplare  mit  reich  mit  Gold  und  Edelsteinen 
besetztem  Griff  und  feiner  Ornamentik  der  Rippe  sind  in  den 
vornehmen  Gräbern  Kretas  wie  des  Festlandes  vielfach  er- 
halten. Das  Schwei-t  ist  die  charakteristische  Waffe  der 
ägaeischen  Welt  geworden;  es  hat  sich  in  dieser  überallhin 
verbreitet,  und  die  Serdanasöldner  haben  sie  nach  Ägypten 
mitgeführt  (o.  S.  57). 

Durch  das  Aufkommen  des  Schwertes  wird  der  Charakter 
des  Kampfes  wesentlich  geändert.  Es  erfordert  eine  ganz 
andere  Durchbildung  und  Schulung  des  einzelnen  Mannes  als 
etwa  der  Ansturm  eines  geschlossenen  Haufens  von  Lanzen- 
kämpfern, und  auch  die  Güte  der  Waffe  kann  entscheidend 
werden.  Wenn  der  Stoß  mit  der  Lanze  versagt  hat  und 
das  Schwert  gezogen  ist,  wandelt  sich  das  Gefecht  in  ein 
Ringen  der  einzelnen  Recken  mit  Hieb  und  Stoß.  Das  kann  zu 
einer  vollen  Auflösung  des  Gefechtes  in  lauter  Einzelkämpfe 
führen,  in  der  Weise  wie  es  die  homerischen  Epen  schildern, 
während  die  Massen  ganz  zurücktreten.  Dem  entspricht  es, 
daß  in  den  kretischen  Denkmälern,  anders  als  auf  dem  griechi- 
schen Festlande,  Bogenschützen  kaum  je  vorkommen.  Aller- 
dings sind  Pfeilspitzen  von  Bronze  garnicht  selten;  aber  die 


206  IV.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

vornehme  Welt  sieht  offenbar  auf  diese  den  Barbaren  ge- 
läufige Fechtweise  mit  Verachtung  hinab,  und  die  Darstel- 
lungen berücksichtigen  sie  daher  nicht ^). 

Unentbehrlich  für  diesen  Kampf  sind  starke  Schutzwaffen. 
Der  für  die  Epoche  charakteristische  Schild  besteht  in  Kreta 
wie  auf  dem  griechischen  Festland  aus  einer  großen,  über 
einen  Rahmen  gespannten  Ilindshaut,  mit  abgerundeten  und 
eingefaßten  Rändern,  in  der  Mitte  gelegentlich  durch  einen 
Metallbuckel  verstärkt.  Er  wird  an  einem  über  der  Schulter 
liegenden  Riemen  (TsXafiwv)  getragen  und  deckt  den  ganzen 
Körper;  an  beiden  Seiten  ist  er  eingekerbt,  um  für  die 
Stoßlanze  Raum  und  Bewegungsfreiheit  zu  schaffen.  Gegen 
das  Anschlagen  des  Schildrandes  werden  die  Schienbeine 
durch  Gam.aschen  geschützt,  an  deren  Stelle  später  eherne 
Beinschienen  (%vy][iio;c)  treten.  Daneben  finden  sich  nicht 
selten,  so  auf  Dolchklingen  und  Goldringen  aus  den  myke- 
nischen  Schachtgräbern,  zylindrisch  gewölbte  Schilde  von 
gleicher  Größe,  oben  abgerundet,  unten  rechteckig.  Diese 
riesigen  Schilde  decken  den  ganzen  Körper  und  machen  es 
dem  Angreifer,  wenn  der  Versuch,  sie  mit  der  Lanze  zu 
durchstoßen,  mißglückt  ist,  schwer,  den  Hals  oder  die  Beine 
mit  dem  Dolchmesser  oder  Schwerte  zu  treffen;  aber  eben- 
sogut hindern  sie  die  eigene  Bewegungsfreiheit.  Daher  führen 
andere  Stämme  der  ägaeischen  Welt,   wie  die  Serdana,  einen 


M  Von  Figuren  von  Schützen  aus  Kreta  kenne  ich  nur  den  nack- 
ten und  kahlköpfigen  Jäger  aus  älterer  Zeit  (M.  M.  I)  auf  dem  Elfen- 
beinsiegel bei  Evans,  Palace  I  197;  dann  den  auf  der  Fayenceplakette 
ausdem  ^Loom-weightbasement"  von  Knossos  (Palacel309  =  Ann.  V1II20) 
und  den  knienden  Schützen  auf  dem  Steatitfragment  aus  Knossos, 
Ann.  VII  44,  besser  bei  K.  Möller,  Arch.  Jahrb.  30,  262.  Beide  führen 
den  einfachen  Bogen.  Ersterer  ist  nach  Haartracht  und  Gestalt  ein 
Kreter  mit  Lendentuch,  -wie  der  gleichartige  Lanzenträger  aus  dem- 
selben Funde.  Der  andere  hat  anderes  Haar  und  Backenbart  und 
trägt  Hosen,  ist  also  wohl  ein  Grieche  (u.  S.  232).  Ferner  die  Jagd- 
göttin, die  den  einfachen  Bogen  spannt,  oben  S.  196.  —  Unter  den  Scbrift- 
zeichen  des  Diskos  von  Phaestos  findet  sich  der  Pfeil  und  der  zu- 
sammengesetzte doppeltgekrümmte  Bogen. 


Waffen  und  Kampfweise  207 

wesentlich  kleineren,  kreisrunden  Schild,  der  sich  als  Schrift- 
zeichen auch  auf  dem  Diskos  von  Phaestos  findet.  Nach 
Kreta  ist  er,  soweit  wir  sehn  können,  erst  nach  dem  Unter- 
gang der  Kaftimacht  gelangt^),  und  hat  dann  auch  auf  dem 
griechischen  Festland  immer  mehr  Verbreitung  gefunden.  Noch 
das  homerische  Epos  kennt  beide  Schildformen  nebeneinander, 
doch  so,  daß  der  riesige,  den  ganzen  Mann  deckende  Schild, 
wie  ihn  z.  B.  Aias  trägt,  gegenüber  dem  Rundschild  (aairlc; 
TrdvTOo'  itarj)  wohl  kaum  mehr  als  eine  von  der  Tradition  fest- 
gehaltene Überlieferung  aus  der  Urzeit  ist^). 

Den  Kopf  schirmt  eine  Lederkappe,  oft  mit  Eberzähnen 
besetzt,  nicht  selten  mit  Backenschienen  und  Nackenschirm. 
In  der  Kegel  fehlt  auch  ein  mächtiger  Helmbusch  nicht.  Es 
ist  auch  für  die  Ethnographie  beachtenswert,  daß  dieser  nach 
Herodot  (I  176)  ebenso  wie  der  zum  Rundschild  gehörende 
Griö  (ö/avov)  und  die  Wappenzeichen  auf  den  Schilden  kari- 
schen Ursprungs  sind  und  die  Griechen  sie  den  Karren  ent- 
lehnt haben. 

Von  der  Kampfweise  sowohl  des  Orients  wie  Griechen- 
lands unterscheidet  sich  Kreta  dadurch,  daß  hier  der  Streit- 
wagen vöUig  fehlt.  Das  Pferd  ist  auf  der  Insel  offenbar  erst 
im  Verlaufe  der  neukretischen  Zeit  importiert  worden.  In 
den  Inventarverzeichnissen  der  letzten  Epoche  des  Palastes 
von  Knossos  findet  es  sich  vielfach^),  daneben  die  leichten 
Wagen;  in  den  Magazinen  wurden  dann  die  einzelnen  Teile 
auseinandersrenommen  —  W^agenkorb  mit  Deichsel    und    die 


')  Er  findet  sich,  zusammen  mit  Schwertern  und  Lanzenspitzen, 
in  späten  Gräbern  von  Muliana  im'  Osten  der  Insel  (Late  Minoan  III): 
Etp.  äpy.  1904  =  Ant.  cret.  II  85. 

2)  Bahnbrechend  ist  hier  das  Werk  von  Wolfgang  Reichei.,  Home- 
rische Waffen  (2.  Aufl.  1901)  gewesen,  dessen  einseitige  Auffassung 
von  Robert,  Studien  zur  Ilias  (1901)  S.  1  ff.  in  wesentlichen  Punkten, 
vor  allem  durch  Scheidung  der  beiden  Schildformen  bei  Homer,  berich- 
tigt worden  ist.  Robert's  Versuch  freilich,  danach  die  Schichten  der 
Ilias  zu  scheiden,  ist  mißglückt. 

^)  Vereinzelt  auch  auf  Siegeln.  Evans,  Scripta  Minoa  p.  43  Fig.  20  a, 
sowie  oben  S.  200. 


208  I^-  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

Räder,  immer  mit  vier  Speichen,  wie  im  Orient  —  und  ge- 
sondert verzeichnet.  Aber  größere  Bedeutung  hat  es  offenbar 
nicht  gewonnen^). 

Die  militärische  Disziplin  veranschaulicht  das  Relief  eines 
Steatitbechers  von  Hagia  Triada^),  wo  ein  Offizier  in  stram- 
mer Haltung  mit  leicht  geneigtem  Haupt  und  geschlossenen 
Beinen,  das  Schwert  an  der  Schulter  —  in  der  anderen  Hand 
trägt  er  ein  langes  Blashorn  — ,  dem  stolz,  gleichfalls  mit 
geschlossenen  Beinen,  vor  ihm  stehenden  Fürsten  drei  Kreter 
vorführt,  die  ganz  in  riesige  Tierfelle  eingehüllt  sind  —  wie 
das  zu  erklären  ist,  ist  völlig  dunkel. 

Handel,  Industrie  und  Schiffahrt 

Die  Kreter  sind  athletische  Gestalten,  durchgebildet  in 
gymnastischen  Übungen  und  Wettkämpfen;  aber  ob  ein  wirk- 
lich kriegerischer  Geist  in  ihnen  lebte,  kann  sehr  fraglich 
erscheinen.  Bedeutsam  ist  jedenfalls,  daß  in  ihrer  Kunst,  in 
bezeichnendem  Gegensatz  zu  der  des  griechischen  Festlandes 
sowohl  wie  zu  der  Ägyptens,  weder  Jagdszenen  noch  kriege- 
rische Kämpfe  dargestellt  sind^).  Auch  das  deutet  auf  ein 
behagliches  Genußleben,  das  sich  in  trügerischer  Sicherheit 
ergeht. 

^)  Daneben  findet  sich  natürlich  der  Ochsenkarren;  so  z.  B.  eine 
Votivbronze  aus  der  Lasithihöhle,  Ann.  VI  108  =  Ant.  cret.  I  29,  20, 
mit  zwei  dicken  viersi^eichigen  Rädern.  Dieselben  Räder,  deren  Rad- 
kranz mit  einem  breit  übergreifenden  Metallreifen  beschlagen  ist, 
haben  die  Götterwagen  des  Sarkophags  von  Hagia  Triada  (o.  S.  203); 
auch  das  zeigt,  daß  der  Streitwagen  Kreta  fremd  geblieben  ist.  Vgl. 
auch  den  vierrädrigen  Wagen  auf  einer  Schrifttafel  von  Tylissos  (Eb. 
apx-  1912,  214);  das  Vorderrad  ist  vierspeichig,  das  Hinterrad  eine 
große  Scheibe. 

^)  K.  Müller,  Archaeol.  Jahrb.  30,  244;  die  beiden  Hauptszenen 
auf  Taf.  in  3.  4.  Die  Deutung  der  Felle  als  Schilde  lehnt  er  mit  Recht 
ab ;  die  müßten  ganz  anders  aussehn. 

')  Ob  die  kleinen  Bruchstücke  von  Fayenceplatten  mit  Gliedern 
nackter  schwarzer  Gestalten  aus  dem  Loom-weight  basement  von 
Knossos,  Evans,  Palace  I  309  f.,  aus  einer  Kampfszene  gegen  ein  fremdes 
Volk  stammen,  ist  nicht  zu  entscheiden. 


Handel  und  Seeverkehr  209 

Umso  größere  Bedeutung  für  das  Leben  besitzen  seit 
alters  Industrie  und  Seefahrt.  Die  Zersplitterung  der  Insel  in 
eine  außerordentlich  große  Zahl  kleiner  Stadtgebiete,  die  für 
Kreta  immer  charakteristisch  geblieben  ist  —  von  neunzig  oder 
hundert  Städten  reden  bekannte  Stellen  Homers  — ,  erklärt 
sich  aus  ihrer  Bodengestaltung:  die  die  ganze  Insel  durch- 
setzenden hohen  Gebirgszüge  haben  überall  die  anbaufähigen 
Flächen  und  Täler  eingeschnürt  und  isoliert.  Aber  die  dichte 
Besiedlung  der  größeren  Städte  mit  ihren  engen  Gassen  er- 
fordert eine  von  Handwerk  und  Handel  lebende  Bewohner- 
schaft; und  vollends  Seestädte  wie  die  auf  der  felsigen  Land- 
zunge Mochlos  und  dem  wasserlosen  Felseiland  Pseira  im 
Golf  von  Mirabello,  die  bis  in  die  frühminoische  Zeit  hin- 
aufragen (Bd.  I  570)  und  jetzt  neugebaut  werden,  ebenso  wie 
Gurnia  im  innersten  Winkel  des  Golfs,  setzen  die  volle 
Entwicklung  der  Schiffahrt  und  des  Seehandels  voraus.  Nur 
durch  den  regen  Verkehr  ist  denn  auch  die  einheitliche 
Kultur  und  vollends  die  Entstehung  eines  Reichs  möglich 
geworden,  das  mindestens  die  ganze  Osthälfte  der  Insel  bis 
zum  Ida  umfaßt  hat.  Dieser  Seeverkehr,  teils  Piraterie,  teils 
Handel,  verbindet  Kreta  seit  den  ältesten  durch  die  Funde 
erkennbaren  Zeiten  sowohl  mit  Ägypten  wie  mit  der  Insel- 
welt im  Norden;  die  KaftischifPe,  die  Thutmosis  III.  in  Phoe- 
nikien  findet  (o.  S.  98,  1),  und  die  zahlreichen  kretischen  Scher- 
ben in  den  phoenikischen  Städten  bezeugen  ihn  für  das  Ost- 
becken des  Mittelmeers.  Durch  ihn  bezieht  Kreta  die  fremd- 
ländischen Stoffe  und  Techniken,  die  Kunst  und  Handwerk 
so  reichlich  verwenden,  wie  Elfenbein,  Alabaster,  Fayence, 
Glas,  den  in  Kreta  ebenso  wie  in  Ägypten  und  dem  Orient 
besonders  geschätzten  Blaustein  (Kyanos),  vereinzelt  auch  den 
auf  dem  griechischen  Festlande  weit  häufiger  vorkommenden 
Ostseebernstein.  Dazu  kommt  weiter  Kupfer,  Silber  und  Gold. 
Kunstvolle  Arbeiten  in  allen  diesen  Materialien  werden  dann 
wieder  von  Kreta  nach  Ägypten  gesandt  (o.  S.  107),  ebenso 
Körbe  mit  Blaustein,  Kupferbarren,  und  auch  ein  Elefanten- 
zahn. Wie  stark  daneben  die  künstlerischen  und  die  religiösen 

Meyer,  Geschichte  des  Alterturas.    II'.  14 


210 


IV.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 


Einwirkungen  und  Beziehungen  sind,    haben  wir  schon    ge- 
sehn. Das  Gold  bezog  man  wohl  meist  aus  Ägypten,  dem  Gold- 
lande   dieser    Epoche,    daneben    aus    den    Minen    und    Gold- 
wäschereien im  Bereich  der  ägaeischen  Welt,  ebenso  wie  das 
Silber,    das  vielleicht  auch  schon  aus  dem  Westen  (Spanien 
und  Sardinien)  eingeführt  wurde.  Woher  das  hier  wie  überall 
im  Orient  und  Europa  für  die  Bronzebereitung  benutzte  Zinn 
stammte,   ist   für  die  gesamte  Bronzezeit  noch  immer  völlig 
ungeklärt.  Die  große  Masse  des  Kupfers  kommt  jedenfalls  aus 
Cypern;    aber  auch   auf  Kreta  selbst   haben   sich   nicht    nur 
Schlacken  und  Schmelztiegel,  die  vom  Ausschmelzen  der  im- 
portierten  rohen    Erzblöcke    in    den    kretischen   Werkstätten 
stammen  könnten,  sondern  auch  Lager  von  Eisen-  und  Kup- 
fererzen mit  Spuren  alter  Schürfstellen  gefunden  i)     Für  den 
Handelsverkehr  dient,  wie  in  Ägypten,   Kupfer  und  Gold  als 
Wertmesser.    Das  Kupfer  wird  in  rechteckige  Blöcke  mit  kon- 
kav  ausgeschweiften   Seiten   gegossen;   solche  Blöcke   haben 
sich   in   den   kretischen  Palästen   vielfach   gefunden,    ebenso 
auf  Amorgos,   auf  Euboea,   auf  Sardinien  und  sonst,  und  in 
Ägypten  unter  den  Gaben,  welche  die  Kafti  bringen;  auf  den 
Schrifttafeln  erscheint  ihr  Bild  vielfach  in  Rechnungen.  Neun- 
zehn solche  Kupferbarren  lagen  aufgereiht  in  einem  Zimmer 
in  Hagia  Triada.     Sie   haben  ein  Durchschnittsgewicht   von 
29  Kilogramm;  dem  entspricht  genau  ein  großes,  rings  von 
den   Fangarmen   eines   Tintenfisches    umschlossenes   Steinge- 
wicht aus  dem  Palast  von  Knossos.    Das  ist  also  das  kretische 
Talent.    Siebzehn  Kupferbarren  in  einem  Funde  aus  dem  Meer 
bei  Kyme   auf  Euboea  —  also  offenbar  von  einem  unterge- 
gangenen  Schiff  stammend  —  haben   sehr   ungleiche,   meist 
wesentlich  geringere  Gewichte,  die  sich  nicht  als  Bruchteile 
dieser  Einheit  auffassen  lassen.    Kleinere  Gewichte  scheinen 
runde  Steinscheiben  mit  Zahlen  darauf  darzustellen.    Daß  im 


')  Nach  einer  freundlichen  Mitteilung  des  deutschen  Konsuls  in 
Kanea  Herrn  G.  Krüger.  Vgl.  weiter  Fimmen,  Kretlsch-myk.  Kultur  120  f. 
Völlig  geklärt  ist  die  Frage  noch  nicht. 


Metalle  und  Gewichte,    Die  Schiffe  211 

kretischen  Verkehr  ein  einheith'ches  Gewichts-  und  Geld- 
sjstem  geherrscht  hat,  ist  offenbar;  aber  es  zu  ermitteln, 
ist  bisher  nicht  möglich  gewesen^).  —  Als  Goldgewicht 
scheinen  goldene  oder  bronzene  )  Ochsenköpfe  gedient  zu 
haben,  die  sich  auch  als  Schriftzeichen  und  ebenso  unter  den 
Gaben  nach  Ägypten  finden,  wo  sie,  neben  liegenden  Löwen, 
Kegeln  u.  ä.,  gleichfalls  zum  Abwägen  von  Goldringen  be- 
nutzt werden^). 

Die  kretischen  Schiff'e')  setzen  die  Form  der  Kähne 
weiter  fort,  die  wir  aus  früher  Zeit  (Bd.  1512)  durch  Zeich- 
nungen auf  Tongefäßen  von  den  Kykladen  (vor  allem  von 
Syros)  kennen.  Charakteristisch  für  sie  ist  der  Ramrasporn 
und  das  hoch  aufgerichtete  Heck.  Neben  den  Ruderbooten, 
von  denen  mehrfach  auch  Modelle  in  Ton  erhalten  sind, 
kennen  wir  schon  aus  den  Zeichnungen  der  älteren  Siegel 
mit  „piktographischen"  Bildzeichen-')  die  Segelschiffe,  mit 
hohem  Mast  und  Takelwerk,  in  denen  wir  die  Handelsschiffe 
zu  erkennen  haben.  Manchmal  steht  eine  Kajüte  darauf,  Avie 
bei  den  ägyptischen  Nilbooten.  Die  Kriegsschiffe  haben  ein 
Oberdeck.  Gelegentlich  findet  sich  auch  bereits  oben  am  Mast 
eine  Rahe,  an  die  das  Segel  aufgebunden   werden  kann,   um 


')  Das  Material  bei  Evans,  Minoan  weights  anrl  currency,  in  der 
Corolla  Numismatica  1906.  S.  836 ff.  Eva>s  hat  aber  viele  Objekte  her- 
angezogen, die  keine  Gewichte  sind  (so  z.  B.  die  Anhängsel  in  Tauben- 
forra  S.  3.51,  vgl.  Annual  VIII  39),  und  die  Gleiihung  mit  z.  T.  will- 
kürlich konstruierten  ägyptischen  und  anderen  Gewichtssystemen  ist  un- 
haltbar. Besonnen  wie  immer  hat  FtMMEN.  S.  121  ff.,  diese  Fragen  be- 
handelt. Vgl.  auch  Regling's  Artikel  Geld  bei  Pauly-Wissowa  VII  970 ff. 
—  Goldene  Wage  aus  Mykene  bei  Fimm.n  124;  auf  Schrifttafeln  bei 
Evans  353  und  sonst. 

^)  Kin  solcher,  mit  Blei  gefüllt,  bei  Fa'ans  p.  :  53. 

')  So  bei  Rechmere'  LD.  11139  a,  und  in  Der  el  Bahri,  Ann.  du 
Serv.  IX  49  no.  2  =  Erman-Ranke  S.  553. 

*}  Grundlegend  Köster,  Das  antike  Seewesen,  1923,  S.  56ff.  Ferner 

FiMMEN    S.   llÜf. 

^)  Zusammengestellt  bei  Evans.  Scrip'a  Minoa  203,  ferner  Palace  I 
p.  118  Fig.  87,  7  und  120  Fig.  89  b;  daraus  sind  die  Abbildungen  bei 
Köster  entnommen. 


212  IV.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

beim  Kampf  nicht  behinderlich  zu  sein^).  Natürlich  werden 
neben  dem  Segel  immer  auch  Ruderer  verwendet,  die  bei  den 
stets  wechselnden  Winden  des  Ägaeischen  Meeres  ganz  un- 
entbehrlich sind. 

Die  Minossage  und  die  Beziehungen  zum  Ausland. 

Die  Inselwelt  und  der  Westen.    Der  Diskus  von  Phaestos 

und  die  Philister 

Schon  in  der  Kamareszeit  hat  Kreta  auf  die  Kykladen 
und  das  griechische  Festland  eingewirkt;  Kamaresgefäße  und 
einheimische  Nachahmungen  derselben  finden  sich  hier  viel- 
fach, so  auch  auf  Ägina  und  in  den  Schachtgräbern  von 
Mykene  Mit  dem  Wandel  des  Kunststils  setzt  dann  zugleich 
ein  mächtiger  Aufschwung  der  kulturellen  und  kommerziellen 
und  offenbar  auch  der  politischen  Stellung  Kretas  ein.  Die 
regen  Beziehungen  zu  Ägypten  haben  wir  bereits  kennen  ge- 
lernt; die  Inselwelt  im  Norden  aber  und  die  südlichen  und 
östlichen  Landschaften  Griechenlands  werden  geradezu  eine 
Dependenz  der  kretischen  Kultur. 

Die  griechische  Sage  berichtet  von  einem  mächtigen 
König  Minos  von  Knossos,  der  die  See  weithin  beherrschte. 
Man  erzählte  von  seinen  Kriegszügen  nach  Griechenland, 
gegen  Athen,  das  ihm  einen  Tribut  von  vierzehn  Knaben  und 
Mädchen  zum  Opfer  für  einen  menschenfressenden  Stier,  den 
Minotauros,    leisten  muß^),    gegen  Megara,   wo  er   sich   auf 

')  So  Evans  1.  c.  p.  15.5  no.  P  27  a. 

2)  In  der  Minotaurossage,  ebenso  wie  in  der  damit  verwandten 
Pasiphaesage,  stecken  gewiß  alte  mythische  Elemente,  deren  Ursprung 
und  Bedeutung  wir  aber  umso  weniger  erkennen  können,  da  sie  ganz 
mit  den  ursprünglich  völlig  davon  zu  trennenden  Sagen  von  Theseus 
und  von  Ariadne  und  mit  der  von  Europa  vei schmolzen  sind.  Ob  sich 
unter  den  phantastischen  Mischwesen  der  kretischen  Siegel  irgend  eines 
befindet,  das  mit  Hecht  als  Prototyp  des  Minotauros  gelten  kann,  ist 
mindestens  fraglich;  die  Gestalten,  die  dafür  ausgegeben  werden  (z.  B- 
Annual  VII  IS.  19.  133),  haben  keineswegs  einen  Stierkopf.  Jedenfalls  ist 
ein  Stierkult  der  kretischen  Religion,  soweit  wir  sie  kennen,  völlig  fremd, 
und  daß  hier  Menschenopfer    üblich  waren,    ist  wenig  wahrscheinlich. 


Die  Minossage  213 

dem  nach  ihm  benannten  Hügel  Minoa  neben  dem  Hafenort 
Nisaea  festsetzt').  Er  steht  in  regem  Verkehr  mit  Zeus, 
von  dem  er  die  Rechtsordnung  erhält,  die  auf  der  Insel 
herrscht.  Neben  ihm  steht  Daidalos,  der  Vertreter  und  Ahn- 
herr der  Künstler  —  die  Ilias  kennt  von  ihm  einen  Reigen- 
tanz, den  er  in  Knossos  für  Ariadne  gearbeitet  habe  — ,  dem 
auch  die  Erbauung  des  Labyrinths  zugeschrieben  wird.  Dann 
aber  entflieht  er  mit  Flügeln,  die  er  sich  anfertigt,  zu  den 
Sikanern  auf  Sicilien  und  findet  hier  beim  König  Kokalos  von 
Kamikos  gastliche  Aufnahme.  Minos,  der  ihm  mit  seinem 
Heere  nachzieht,  wird  hier  im  Kampfe  erschlagen 0- 

Politische  und  ethnographische  Fragen  kennt  die  Volks- 
sage nicht;  ihr  Interesse  haftet  ausschließlich  an  der  glanz- 
vollen Persönlichkeit  und  ihren  außerordentlichen  Schick- 
salen. 80  ist  Minos  von  Knossos  für  sie  einfach  der  Re- 
präsentant Kretas  und  seiner  Macht  in  der  Urzeit,  und  das 
Epos  macht  daher  die  griechischen  (achaeischen)  Fürsten 
Kretas,  von  denen  es  erzählt,  zu  seinen  Nachkommen  und 
spinnt  die  Genealogie  durch  Hineinziehung  zahlreicher,  teils 
mythischer,  teils  ethnographischer  Gestalten  immer  weiter 
aus^).     Dieser  Vorgang   hat    sich    nochmals    wiederholt,    als 


')  Ebenso  werden  andere  Orte  des  Namens  Minoa  natürlich  auf 
ihn  zurücligeführt,  so  ein  Vorgebirge  in  Lakonien,  Ortschaften  auf 
Siphnos  und  Aniorgos  u.  a.,  bis  zu  Heraklea  Minoa  auf  Sicilien  hinab. 
Wie  diese  Namen  entstanden  sind,  läßt  sich  nicht  erkennen.  Scharf 
betont  werden  muß  aber,  daß  die  oft  ausgesprochene  Behauptiing, 
Minos  sei  ursprünglich  ein  Gott,  vollständig  unbegründet  ist:  die 
Überlieferung  kennt  ihn  nur  als  König  von  Kreta  und  Repräsentanten 
der  alten  Macht  der  Insel,  und  wir  haben  keinen  Anlaß  und  daher 
auch  kein  Recht,  etwas  anderes  in  ihm  zu  suchen. 

')  Minos,  Aiö;  [XifäXou  hapnxr^c,  9  Jahre  lang  [d;i rüber  siehe  im 
nächsten  Bande]  König  von  Knossos  Od.  t  178;  ferner  II.  N  450.  Dai- 
dalos II.  S  ,591.  Die  Europasage  S  321,  die  von  Theseus  und  Ariadne 
X  321  ff.  (daher  erhält  er  hier  den  Beinamen  oloöcppcuv).  Seine  Herrschaft 
weittiin  erwähnt  Hesiod  fr.  103  bei  Plato  Minos  320d.  Sein  Untergang 
in  Sicilien  Herod.VII  169  f.  und  sonst,  so  bei  den  Tragikern. 

^)  Dazu  gehört  außer  den  schon  genannten  Gestalten  sowie  Sar- 
pedon,  dem  Repräsentant  der  Lykier,   und  Deukalion,    dem  Vater  des 


214  IV-  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

dann  die  Dorier  sich  auf  der  Insel  festsetzten:  sie  haben  die 
Gestalt  des  Minos  übernommen  und  betrachten  ihn  als  den 
Urheber  ihrer  eigenen  staatlichen  und  rechtlichen  Ordnungen. 
Diese  Traditionen  hat  dann  die  beginnende  historische  For- 
schung, als  sie  ein  geschichtliches  Bild  der  Urzeit  zu  ge- 
winnen unternahm,  verarbeitet  und  mit  den  sonst  erkenn- 
baren Tatsachen  auszugleichen  versucht.  So  ist  das  Bild 
entstanden,  das  Herodot  von  der  ältesten  Geschichte  Kretas 
entworfen  hat.  „Ehemals",  zur  Zeit  des  Minos,  „war  ganz 
Kreta  von  Barbaren  bewohnt";  ein  Teil  der  Bevölkerung, 
der  seinem  Bruder  Sarpedon  anhing,  ist  von  Minos  verjagt 
worden  und  nach  Milyas  in  Asien,  dem  Lande  der  Solyraer, 
hinübergezogen;  das  sind  die  Termilen,  die  später  den  Namen 
Lykier  erhalten  haben.  Minos  hat  weite  Gebiete  unterworfen 
und  die  See  beherrscht;  die  auf  den  Kykladen  sitzenden 
Karer  —  damals  Leleger  genannt  —  füllten  seine  Schiffe'). 
Nach  seinem  Untergang  bei  den  Sikanern  zieht  sein  ganzes 
Volk  ihm  nach,  um  ihn  zu  rächen;  nach  mancherlei  Schick- 
salen werden  sie  nach  der  östlichen  Halbinsel  Unteritaliens 
verschlagen   und   siedeln   sich   hier   an;    sie   werden    zu    den 


Idomeneus,  auch  Minos'  Bruder  und  Doppelgänger,  der  „blonde"  (Od. 
f]  323)  Rhadaraanthys,  ein  Gesetzgeber  wie  jener,  der  im  Gefilde  Klysion, 
dem  seligen  Lande  am  Knde  der  Erde,  die  Herrschaft  führt  (Od.  ?  564 
Pindar  Ol.  2,  75).  Manche  Inseln  und  Orte  Griechenlands  und  Klein- 
asiens werden  gelegentlich  mit  ihm  verbunden.  Es  liegt  unzweifelhaft 
eine  kretische  Gottesgestalt  zugrunde,  die  aber  für  uns  nicht  mehr 
faßbar  ist.  Weiteres  bei  Malten,  Elysion  und  Rhadamanthys,  Arch- 
Jahrb.  28,  1913,  dessen  Ansicht,  die  Vorstellung  einer  Entrückung  ins 
Elysion  sei  dem  griechischen  Epos  noch  fremd  (wobei  Hesiod  spY**  I^^  ^• 
ignoriert  wird),  ich  aber  nicht  tür  richtig  halten  kann. 

')  Herod.  I  171  &.  (vgl.  Thuk.  I  4)  III  122;  hier  offenbart  sich 
Herodots  geschichtlicher  Sinn  darin,  daß  er  den  Unterschied  zwischen 
diesen  alten  Überlieferungen  und  der  av&ptunfji-r]  XsfoiJLsvfj  y^vs*]  deutlich 
empfindet;  in  letzterer  war  Polykrates  der  erste,  der  eine  Seeherrschaft 
erstrebte.  Durch  diese  Empfindung,  wenn  sie  auch  oft  nur  halbbewußt 
ist,  unterscheidet  sich  sein  ganzes  Werk  fundamental  von  denen  des 
Hekataeos,  Hellanikos  u.  s.  w. 


Herodots  Darstellung  der  kretischen  Geschichte  215 

Messapieni  Japygiens.  Auf  Kreta  sind  nur  die  Bewohner 
von  Polichne  und  Pralsos  im  äußersten  Osten  zurückgeblieben 
—  die  späteren  Eteokreter  — ;  so  wird  die  menschenleere 
Insel  von  anderen  Volksstämraen,  darunter  vor  allem  Hellenen, 
in  Besitz  genommen^).  Diese  nehmen  eifrig  am  troischen 
Krieg  teil,  werden  aber  nach  der  Rückkehr  durch  Krankheit 
und  Hunger  aufgerieben,  so  daß  die  nochmals  verödete  Insel 
nunmehr  von  den  jetzigen  Kretern  —  das  sind  natürlich  die 
Dorier  —  besiedelt  werden  kann. 

Diese  ganze  Darstellung  ist  deutlich  nicht  Überlieferung 
- —  wenn  sie  sich  auch  auf  Angaben  der  Praisier  beruft  und 
ebenso  für  die  Lykier  eine  sachlich  richtige  Tradition  be- 
nutzt — ,  sondern  Konstruktion;  es  ist  ein  Versuch,  die  Be- 
vülkerungsgeschichte  Kretas  klarzulegen  und  die  Angaben  des 
Epos  darin  einzufügen.  Aber  offenbar  hat  sie  das  richtige  ge- 
troffen: Minos  ist  ursprünglich  nicht  der  Ahnherr  der  griechi- 
schen Fürsten  Kretas,  die  vor  Troja  mitkämpfen  —  dazu  hat 


aXXou«;  xe  ä/Jlpcoi^ou;  xal  it.aK'.z'zi.  "EXXtiVx^,  Her.  VII  171.  Kr  hat  natür- 
lich die  Völker  im  Sinn,  die  die  Odyssee  x  175 flf.  aufzählt,  behilft 
sich  aber  mit  dieser  unbestimmten  Fassung,  weil  ihn  die  Nennung  der 
Namen  in  Schwierigkeiten  bringen  würde;  aus  demselben  Grunde  ver- 
meidet er,  die  jetzigen  Kreter  als  Dorier  zu  bezeichnen,  denn  diese 
sitzen  ja  nach  der  Homerstelle  schon  zur  Zeit  des  troischen  Krieges 
da.  Das  Datum  Tpiivj  y-ve'^  }J.sta  iVUvcuv  xsXi'KYJaavtcx  f-^^ofl-at  x"<  Tput'.xa 
beruht  natürlich  auf  dem  Stammbaum  des  Idomeneus  N  450;  aber 
auch  hier  nennt  er  keine  Namen,  weil  er  empfindet,  wie  widersinnig 
es  ist,  daß  Minos'  Enkel  über  die  stammfremden  Eindringlinge  herr- 
schen soll.  —  Ich  bemerke  gleich  hier,  daß  ich  Beloch's  Ansicht 
(Origini  Cretesi.  in  Ausonia  IV  1909),  die  ganze  Erzählung  des  Odysseus 
t  l(j5fF.  sei  ganz  späten  Ursprungs,  und  in  diese  seien  wieder  die 
Verse  über  die  Volksstämme  Kretas  175 — 177  noch  später  eingeflickt, 
für  einen  schweren  Mißgriff  halte.  Sie  verkennt  vollkommen  den  hohen 
dichterischen  Gehalt  dieses  ganzen  Gedichts,  des  Bruchstücks  einer 
durch  die  Schlußredaktion  mit  anderen  zusammengearbeiteten  Odysseus- 
dichtung,  und  ebenso  betreffs  v.  175  ff.  die  im  Epos  so  häufig  hervor- 
tretende Neigung  der  Aoeden,  wo  sich  eine  Gelegenheit  bietet,  eine  für 
den  Hörer  interessante  Belehrung  einzufügen  (vgl.  u.  S.  237,  1). 


216  I\'.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

ihn  erst  das  Epos  gemacht^)  — ,  sondern  der  Repräsentant 
des  vorgriechischen  Kreta,  seiner  Macht  und  seiner  Kultur.  Ob 
er  eine  geschichtliche  Persönlichkeit  gewesen  ist,  läßt  sich 
hier  sowenig  erkennen  wie  bei  so  vielen  anderen  Gestalten 
der  Sage,  da,  anders  als  bei  der  germanischen  Sage,  alle 
gleichzeitige  und  vollends  urkundliche  Überlieferung  völlig 
fehlt.  Aber  das  Bild,  das  die  Sage  bewahrt,  ist  in  den 
Grundzügen  durchaus  zutreffend;  daß  die  Überheferung  wohl 
Raubzüge  nach  dem  griechischen  Festlande  kennt,  aber  von 
einer  Herrschaft  des  Minos  über  dasselbe  nichts  weiß,  er- 
höht noch  ihren  Wert  und  bestätigt  ihre  Zuverlässigkeit  in 
geradezu  überraschender  Weise. 

Daß  Kreta  die  Inseln  weithin  beherrscht  hat,  wird  da- 
durch bestätigt,  daß  vor  allem  Melos  und  seine  Hauptstadt 
Phylakopi  und  ebenso  Thera  nach  Ausweis  der  Funde  ganz 
unter  kretischem  Einfluß  stehn.  Auch  daß  die  Bevölkerung 
hier  damals  karisch  war,  wird  zutreffend  sein'^).  Von  anderen 


M  Eine  Parallele  zu  der  Annexion  des  Minos  durch  die  Griechen 
ist  die  Auffassung  der  schottischen  Gesch'chte,  die  seit  Walter  Scott 
populär  geworden  ist,  die  Verherrlichung  und  Heroisierung  der  gae- 
lischen  Gestalten  des  Hochlandes  durch  die  Nachkommen  ihrer  er- 
bittertsten Gegner,  die  Angelsachsen  des  Lowlandes. 

*)  Thukydides  I  8  bringt  als  Beweis  dafür  bekanntlich,  daß  von 
den  Gräbern  auf  Delos,  die  die  Athener  im  Jahre  426  aushoben,  über 
die  Hälfte  nach  Ausweis  der  WaiFen  und  der  Bestattungsweise  karisch 
gewesen  sei.  Das  ist  freilich  ein  unsicheres  Argument;  denn  auch  bei 
anderen  Volksstämmen  können  damals  dieselben  Bräuche  geherrscht 
haben,  zumal  wenn  sie  gleichfalls  zu  den  Kleinasiaten  gehörten.  — 
Im  übrigen  konstruieren  Herodot  und  Thukydides  entgegengesetzt: 
nach  jenem  sind  die  Karer  der  Inseln  Untertanen  des  Minos,  dem  sie 
zwar  nicht  Tribut  zahlen,  aber  die  Schiffe  bemannen,  und  werden  eben 
durch  ihn  das  bei  weitem  mächtigste  Volk  jener  Zeit,  bis  sie  weit 
später  durch  die  Dorier  und  lonier  von  den  Inseln  verjagt  werden; 
nach  Thuk.  dagegen  hat  gerade  Minos  sie  verjagt,  um  der  P  raterie 
ein  Ende  zu  machen  und  seine  Einkünfte  zu  mehren;  die  Verwaltung 
der  Inseln  übergab  er  seinen  Söhnen.  —  Ob  Herodots  Behauptung  zu- 
treffend ist,  der  alte  Name  der  Karer  sei  Leleger  gewesen,  läßt  sich 
nicht  entscheiden;  vgl.  Bd.  I  506. 


Der  Diskus  von  Phaestos  217 

Volksstämmen  der  Welt  des  Ägaeischen  Meeres^)  erfordert 
an  dieser  Stelle  nur  derjenige  eine  Erwähnung,  von  dem  das 
vielleicht  eigenartigste  Fundstück  aus  dieser  Epoche  stammt, 
ein  Diskus  von  Ton,  der  sich  zusammen  mit  Gefäßen  und 
Schrifttafeln  aus  dem  Beginn  der  kretischen  Neuzeit  im  Palast 
von  Phaestos  gefunden  hat.  Er  ist  auf  beiden  Seiten  mit 
Schriftzeichen  bedeckt,  die  mit  einem,  vermutlich  hölzernen, 
Stempel  eingedrückt  sind.  Die  Schrift  läuft  spiralförmig 
von  rechts  nach  links  und  vom  Rande  nach  der  Mitte;  die 
Wörter  sind  durch  senkrechte  Striche  abgetrennt,  die  ebenso 
wie  die  Trennungslinien  der  Zeilen  mit  einem  Griffel  ein- 
geritzt sind:  dem  Schlußzeichen  eines  Wortes  ist  nicht  selten 
ein  schräger  Strich  angefügt.  Das  wird  Vokallosigkeit  be- 
zeichnen; die  Schrift  ist  deutlich  eine  Silbenschrift  ähnhch 
der  akkadischen,  auch  hier  verbunden  mit  ideographischen 
Zeichen.  Die  Schrift  ist  rein  hieroglyphisch,  aber  von  der 
altkretischen  (piktographischen)  so  gut  wie  von  der  ägypti- 
schen und  der  chetitischen  durchaus  verschieden;  daß  einzelne 
Zeichen,  wie  Baum  und  Rosette,  sich  berühren,  ist  natürlich 
und  nichts  beweisend.  Die  erste  Gruppe  der  Vorderseite  be- 
ginnt mit  einem  Kopf  und  einem  Rundschild,  und  ebenso  elf 
weitere,  mehrfach  unmittelbar  aufeinanderfolgend,  sonst  nur 
durch  wenige  Gruppen  getrennt;  auf  der  anderen  Seite  findet 
sie  sich  nur  noch  zu  Anfang  des  ersten  Wortes.  Es  liegt 
nahe,  darin  eine  Namensliste  zu  sehn,  vielleicht  von  Kriegern, 
die  als  Gesandte  geschickt  sein  mögen*). 

Off"enbar  ist  dies  Denkmal  nicht  auf  Kreta  selbst  ent- 
standen-^); es  wird  etwa  ein  Beutestück  oder  eine  Tributgabe 
sein.  Wir  lernen  durch  dies  eine  Dokument  eine  ganz  eiffen- 


')  Vgl.  Bd.  X  524.  Die  dort  gegebenen  Bemerkungen  über  den 
Diskus  von  Phaestos  (zuletzt  behandelt  von  Evans,  Palace  I)  sind  hier 
wiederholt. 

'")  Einer  der  Namen  kommt  zweimal  vor,  A  17  und  A  29.  —  Das 
Kopfzeichen  allein  ohne  Schild  findet  sich  sechsmal,  auch  hier  immer 
zu  Anfang  einer  Gruppe. 

^)  Man  könnte  höchstens  an  die  Kydonen  im  Westen  denken. 


218  IV'.  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

arfcipfe,  selbständige  Kultur  kennen,  die  sich  unabhängig  von 
Kreta  und  doch  in  Verbindung  mit  ihm  irgendwo  im  Bereich 
des  Ägaeischen  Meeres  entwickelt  und  die  in  ganz  über- 
raschender Weise  einen  Vorläufer  der  Buchdruckerkunst  ge- 
schaffen hat,  der,  wie  so  viele  derartige  Erfindungen,  völlig 
isoliert  geblieben  ist  und  daher  keinerlei  Nachwirkung  hinter- 
lassen hat.  Daß  die  Erde  an  der  Stätte,  wo  diese  Kultur 
heimisch  war,  weitere  Denkmäler  birgt,  kann  nicht  zweifel- 
haft sein;  wenn  es  einmal  gelingen  sollte,  sie,  sei  es  auf 
einer  Insel,  sei  es  an  den  Küsten  Kleinasiens,  aufzufinden, 
dürfen  wir  weittragende  Aufschlüsse  und  daneben  vermutlich 
auch  manche  neue  Rätsel  erwarten.  Einigen  Anhalt  geben 
einstweilen  die  Bilder  der  Schriftzeichen.  Ihre  Waffen  sind  ein 
Rundschild  mit  kleinen  Buckeln  wie  bei  den  Serdana  (vgl. 
o.  S.  57),  die  Streitaxt,  und  der  zusammengesetzte  doppelt- 
gekrümmte Bogen  mit  gefiedertem  PfeiP).  Die  Frauen  tragen 
eine  Art  Reifrock  und  langes  Haar  ähnlich  den  kretischen; 
die  Männer  dagegen,  sowohl  in  den  Köpfen  wie  in  den 
ganzen  Figuren,  sind  kahlköpfig  und  bartlos,  aber  das  oben 
erwähnte  Kopfzeichen  trägt  eine  Kopfbedeckung  von  Federn. 
Eine  Kappe  mit  Federkrone  ist  in  den  ägyptischen  Darstel- 
lungen, im  Unterschied  von  anderen  Seevölkern  wie  den 
Serdana  und  Tur^a"),  das  charakteristische  Abzeichen  der 
Philister  und  Zakkari;  und  auch  sie  tragen  weder  Bart  noch 
Haupthaar.  So  ist  es  recht  wahrscheinlich,  daß  wir  in  dem 
Diskus  und  seiner  Schrift  eine  Schöpfung  der  Philister  zu 
erkennen  haben^). 


')  Den  unter  den  Schriftzeichen  vorkommenden  Kahn  »mit  dem 
scharf  abgesetzten  steilen  Achtersteven"  möchte  Köster,  Ant.  See- 
wesen 60,  „als  direkten  Nachkommen  der  Kykladenschiffe  auf  den  Ton- 
pfannen von  Syros  betrachten".  Dieser  Steven  findet  sich  ähnlich  auch 
Lei  den  Kriegssi hiffen  der  Nordvölker  (Philister,  Serdana  etc.),  die  gegen 
Ägypten  ziehn ;  im  übi  ii^en  aber  sind  sie  als  Segelschiffe  ganz  andersartig. 

')  Dagegen  trägt  der  Sardus  I'ater  auf  römischen  Münzen  Sar- 
diniens einen  gleichartigen  Federuufsatz.    Weiteres  s.  u.  Kap.  XII. 

')  Die  schon  vor  drei  Menschenaltern  aufgestellte  Vermutung,  die 
Philister  seien  identisch  mit  den  Pelasgern,    ist    neuerdings    mehrfach 


Die  Philister.    Sardinien  und  Sicllien  219 

Schwer  zu  entsclieiden  ist,  wie  weit  die  Erzählungen  von 
den  Zügen  des  Minos  und  der  Kreter  nach  Sicilien  und  Ita- 
lien einen  geschichtlichen  Kern  enthalten^).  Kretisch-rayke- 
nische  Gefäße  und  gelegentlich  auch  Bronzewaffen  und 
Schmuckstücke  haben  sich  in  den  Gräbern  Siciliens  und 
Unteritaliens  nicht  selten  gefunden,  meist  aus  der  späteren, 
mykenischen  Zeit;  aber  von  einer  Einwirkung  auf  die  ein- 
heimische Kultur  und  ihr  Kunsthandwerk  ist  hier  nichts  zu 
erkennen.  Es  sind  fremde  Waren,  die  gelegentlich  durch  See- 
handel oder  auch  Seeraub  in  diese  Gebiete  gelangt  sind,  aber 
hier  keinerlei  Anregung  gebracht  haben.  Vollends  als  Irrtum 
hat  sich  die  Annahme  erwiesen,  daß  die  Wohnhäuser  und 
die  Felsgräber  Siciliens  mit  flachgewölbten  Kammern  oder 
gar  die  Nuraghen  Sardiniens  und  die  Steinbauten  Maltas 
unter  kretisch-mykenischem  Einfluß  entstanden  seien'^).  Ver- 
einzelt mag  ein  Schiff  aus  der  Ostwelt  auch  jetzt  schon  ein- 


wieder  aufgenommen  worden;  und  möglich  ist  es  natürlich,  daß 
'Sg-  in  -st-  übergegangen  ist.  Man  kann  damit  verbinden,  daß  nach 
der  Odyssee  x  177  auch  Pelasger  auf  Kreta  wohnen,  vielleicht,  wie 
man  um  des  Ank'angs  an  Gyrton  in  Thessalien  u.  a.  willen  annimmt 
(so  FicK,  Vorgriech.  Vornamen,  19;).5,  S.  20 f.),  in  Gortyn,  das  nach 
Steph.  Byz.  auch  Larisa  geheißen  haben  soll,  und  in  seiner  Nachbar- 
schaft. Wer  zu  solchen  Kombinationen  neigt,  kann  also  annehmen, 
daß  die  Philister  =  Pelasger  des  Diskus  sich  in  der  nächsten  Nähe  von 
Phae->tos  festgesetzt  hätten.  Aber  beweisbar  ist  hier  garnichts,  und  Auf- 
klärung können  nur  neue  Funde  bringen. 

')  Daß  die  japygischen  Messapier  nicht  kritischen  Ursprungs, 
sondern  Illyrier  sind,  bedarf  kaum  der  Bemerkung. 

*)  Das  Material  hat  Fim.men,  S.  108  fif.,  zusammengestellt  und  um- 
sichtig und  besonnen  wie  immer  beurteilt.  Ich  bemerke,  daß  ich  auch 
umgekehrt  ebensowenig  wie  Fimmen  der  Ansicht  Schuc  ihardt's  zu- 
stimmen kann,  der  die  Kulturentwicklung  von  West  nach  Ost  gehn 
läßt  und  in  den  um  einen  Hof  gelagerten  ovalen  K. immern  der  Stein- 
häuser Maltas  die  Urform  der  Wohnhäuser  und  Paläste  von  Kreta, 
Ägypten,  Boghazkiöi,  Pergamon,  Pompeji  gefunden  zu  haben  glaubt 
(der  altmittelländische  Palast,  Ber.  Berl  Ak.  1914-,  277  ff.,  sowie  in  seinem 
.Alteuropa").  [Das  „Hau^modell"  von  Melos  (B  LI. 51-2  am  Ende)  mit 
sieben  um  einen  Hof  gelagerten  Rundbauten  erklärt  jetzt  Oelm.\.nn,  Mitt. 
athen.  Inst.  50,  19 ff.,  wohl  richtig  als  Kornspeichermodell.] 


220  I^  •  Kreta  und  die  kretische  Kultur 

mal  über  Italien  hinaus  ins  Westraeer  gelangt  sein,  wenn 
auch  schwerlich  bis  nach  Spanien.  Die  Frage  aber,  ob  sich 
politische  und  ethnographische  Beziehungen  gebildet  haben, 
die  zu  großen,  weite  Gebiete  umfassenden  Bewegungen  führen 
konnten,  hängt  im  wesentlichen  davon  ab,  ob  die  Gleich- 
setzung der  Serdana  mit  Sardinien,  der  Sakarusa  mit  den  Sike- 
lern  berechtigt  ist,  und  darüber  eine  sichere  Entscheidung 
zu  geben,  ist  bei  dem  Stande  unseres  Materials  unmöglich, 
wenn  auch  namentlich  für  die  erstere  Gleichung  manches 
spricht,  so  vor  allem  der  ganz  eigenartige  ethnographische 
Typus  der  Serdana  und  ihre  Bewafi'nung,  der  die  von  späteren 
sardinischen  Bronzen  ähnlich  sieht').  Sicher  ist,  daß  diese  Völ- 
ker dem  Bereich  der  ägaeischen  Kultur  angehören;  dann  bleibt 
aber  immer  noch  fraglich,  ob  sie  um  die  Mitte  des  2.  Jahr- 
tausends schon  an  den  Stätten  gesessen  haben,  wo  wir  sie 
später  finden,  oder  ob  sie  nicht  wie  die  Tyrsener  erst  in  den 
großen  Völkerbewegungen  des  12.  Jahrhunderts  von  Osten  her 
nach  Italien  und  seinen  Inseln  gelangt  sind. 


')  Vgl.  0.  S.  57  und  unten  Kap.  XII. 


V.  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische 
Kultur 


Griechenland  unter  dem  Einfluß  der  i(retischen  Kultur. 
Die  Schachtgräber  von  Mykene 

Auf  dem  griechischen  Festland  und  den  vorliegenden 
Inseln,  wie  z.  B.  Agina,  ist  die  Einwirkung  Kretas  schon 
in  der  Kamareszeit  durch  das  Auftauchen  kretischer  Ton- 
gefäße und  vor  allem  durch  Nachahmung  ihres  von  dem 
einheimischen  ganz  verschiedenen  Dekorationsstils  zwischen 
den  Scherben  und  Geräten  einer  primitiven  bronzezeitlichen 
Kultur')  erkennbar.  Mit  dem  Aufkommen  der  neuen  Kultur 
dringt  diese  alsbald,  etwa  seit  dem  Beginn  des  16.  Jahr- 
hunderts,   immer   mächtiger    auf  das  Festland  ein    und  ver- 


')  Ein  Eingehn  auf  die  in  letzter  Zeit  namentlich  von  den  eng- 
lischen und  amerikanischen  Gelehrten,  vor  allem  Wace  und  Blegen, 
eifrig  und  erfolgreich  betriebene  Erforschung  der  neolithischen  und 
der  Kupferbronzezeit  von  Griechenland  gehört  nicht  hierher.  Für  die 
letztere  haben  sie  die  Bezeichnung  „helladisch"  eingeführt  und  sie  in 
drei  jedesmal  wieder  nach  dem  verhängisvollen  kretischen  Vorbild 
dreigeteilte  Perioden  gegliedert,  von  denen  die  letzte  (Late  Helladic  I 
bis  Hl)  der  „mykenischen*  entsjjricht.  Im  einzelnen  ist  hier  noch  alles 
im  Werden;  die  noch  immer  ausstehende  Weiterbearbeitung  der  Aus- 
grabung von  Orchomenos  (Bd.  I  508  A.)  und  die  Ausgrabungen  von 
Wolters  und  Wolter  auf  Aegina  werden  weitere  Förderung  bringen. 
Wie  weit  sich  aus  den  zahlreichen  lokalen  Variationen  der  mehrfach 
wechselnden  Keramik  einigermaßen  gesicherte  ethnographische  Fol- 
gerungen werden  ziehn  und  etwa  das  erste  Auftreten  der  Griechen 
wird  bestimmen  lassen,  bleibt  abzuwarten;  einstweilen  erscheint  hier 
noch  Zurückhaltung  geboten.  —  Übersicht  der  Ergebnisse  bis  1920 
bei  FiMMEN,  Kretisch-myken.  Kultur^,  mit  Beiträgen  von  Reisinger, 
S.  68  ff.,  124  ff.,  ferner  die  Berichte  von  Wace  (1919—21)  und  Wood- 
ward (1922—24;  1924—25)  in  J.  Hell.  Studies  41.  44.  45. 


222      V.  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

schmilzt  mit  den  einheimischen  Lebensformen  und  Kultui- 
ansätzen  zu  einer  der  kretischen  parallellaufenden  Entwicklung, 
die,  so  sehr  sie  formell  von  dieser  abhängig  ist,  doch  neben  ihr 
ein  eigenes,  in  vielem  selbständiges  Sonderleben   führt. 

Von  den  Zuständen  der  griechischen  Welt  läßt  sich 
einigermaßen  ein  Bild  gewinnen.  Dem  zerrissenen  Charakter 
der  Landschaft  entsprechend  ist  die  Bevölkerung  in  zahlreiche 
kleine  Fürstentümer  zersplittert.  Zum  Sitz  wählen  die  Herr- 
schero-eschlechter  nicht  hochragende,  nach  allen  Seiten  iso- 
lierte Bergkuppen,  wie  etwa  die  Larisa  von  Argos,  die  Ithome 
in  Messenien,  Akrokorinth,  auf  denen  später  die  beherrschen- 
den Akropolen  der  an  ihrem  Fuß  liegenden  Städte  erbaut 
wurden,  sondern  niedrigere,  womöglich  nach  allen  Seiten  ab- 
fallende Höhend,  die  mit  Mauern  aus  gewaltigen,  rohbe- 
hauenen  Steinblöcken  umschlossen  wurden.  In  dieser  Festung 
liegt  der  Herrenhof  (Megaron),  der  zu  einem  Palast  ausge- 
baut werden  kann.  Hier  hausen  die  Fürsten  inmitten  ihres 
Gaus  in  enger  Verbindung  mit  dem  Kriegeradel,  dessen 
Wohnhäuser  das  ihre  umgeben;  am  Fuß  der  Festung  liegen 
die  dorfartigen  Siedlungen  der  abhängigen  Bevölkerung, 
über  deren  Frondienste  sie  zur  Erbauung  von  Burgmauer 
und  Palast  verfügen  ). 

Die  in  der  ältesten  Zeit  weitverbreiteten,  aus  Hütten 
von  Schilf  und  Lehm  entstandenen  Rundhäuser  und  Oval- 
bauten'O  sind  verdrängt  durch  das  im  Innern  Europas  schon 


')  Analog   ist    das  Verhältnis    der   Akropolis  Athens    zum    Lyka- 

bettos. 

2)  Ob,  wie  man  oft  vermutet  hat,  sich  der  Unterschied  zwischen 
den  eingedrungenen  Griechen  und  der  älteren,  unterworfenen  Bevöl- 
kerung (von  der  die  Griechen  die  meisten  Ortsnamen  u.  s.  w.  über- 
nommen haben)  noch  erhalten  hat  oder  bereits  volle  Verschmelzung 
eingetreten  war,  läßt  sich  mit  Sicherheit  nicht  entscheiden.  Das  letztere 
ist  weitaus  das  wahrscheinlichere;  die  Gliederung  in  einen  kriegerischen 
Herrenstand  und  eine  wirtschaftlieh  und  sozial  abhängige  Bevölkerung 
(mit  Hörigen)  ist  auch  in  einem  einheitlichen  Volkstum  überall  natur- 
wüchsig. 

3)  Siehe   Bd.   I  509.    Reste   solcher   Rundbauten,    darunter   einer 


Fürstensitze  und  Haustypus  223 

seit  der  neolithischen  Zeit  herrschende  und  von  den  Griechen 
wohl  bei  der  Einwanderung  aus  dem  Norden  niitgebrachte 
rechteckige  Haus,  das  von  Holz  und  Lehm  auf  Fundamenten 
von  Bruchsteinen  erbaut  wird.  Es  ist  nach  einem  festen 
Typus  angelejit,  der  schon  in  der  sog.  zweiten  Stadt  von  Troja 
befolgt  ist  (Bd.  I  4  93):  ein  rechteckiger  Saal,  mit  einer 
offenen  Vorhalle,  deren  Deckbalken  von  zwei  auf  Steinblöcken 
ruhenden  Baumstämmen  getragen  wird.  Inmitten  dieses  Saales, 
an  dessen  Wänden  die  Sitzbänke  des  Hausherrn  oder  des 
Fürsten  und  seiner  Umgebung  stehn,  liegt  unter  freiem 
Himmel  der  runde  Herd  mit  dem  heiligen  Herdfeuer  (/'.sita, 
soTia),  das  den  Hausfrieden  schirmt  und  auch  dem  Fremden 
und  dem  Flüchtling,  der  ihm  naht,  den  Schutz  des  Gast- 
rechts gewährt;  das  gemeinsame  Mahl,  an  dem  auch  die 
Götter  ihren  Anteil  erhalten,  mit  der  vorhert^ehenden  Hand- 
waschung (/Epvitj/)  bekräftigt  die  Unverbrüchlichkeit  der  so 
geschaffenen  Verbindung.  Rückwärts  und  seitwärts  können 
weitere  Zimmer  hinzutreten;  die  Geschlossenheit  und  Einheit- 
lichkeit des  Zentralbaus,  des  Megaron,  wird  dadurch  nicht 
gestört.  Vor  ihm  liegt  ein  großer  eingefriedeter  Hof  mit  dem 
Altar  des  Himmelsgottes,  der  den  Zaun  beschirmt  (Zeus  her- 
keios). 

Die  führende  Stellung  in  der  griechischen  Welt  nimmt 
die  Landschaft  Argos  ein.  Argos  ist  eine  für  griechische 
Verhältnisse  ziemlich  ausgedehnte  Ebene,  rings  von  Bergen 
und  im  Süden  vom  Meer  umschlossen ;  dem  vollständigen 
Fehlen  fließender  Gewässer  —  denn  die  Rinnsale  der  zahl- 
reichen Gießbäche,  auch  des  Inachos,  füllen  sich  nur  nach 
Regengüssen    im   Gebirge  vorübergehend    mit  Wasser  —  ist 


von  28  m  Durchmesser,  mit  Schieferplatten  und  Lehmziegeln  ge- 
deckt, und  von  Ovalhäusern  liegen  auch  unter  dem  Palast  von  Ti- 
ryns  —  Eine  seltsame  Verbindung  des  Ovalhnuses  mit  zum  Teil  recht- 
eckigen Zimmern  zeigt  das  Haus  von  Chamaizi  Sitia  im  Osten  Kretas 
(Middle  Minoan  I),  das  bis  jetzt  ganz  isoliert  steht:  s.  Noack,  Oval- 
haus und  Palast  in  Kreta,  1908,  56  ff.,  sowie  Mackenzie,  Annual  XIV 
414  S. 


224      ^-  ^'^^  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

seit  alters  durch  zahlreiche  gegrabene  Brunnen  abgeholfen 
und  dadurch  ein  ertragreiches  Acker-  und  Weideland  ge- 
schaffen^). Der  sich  weit  nach  Südosten  öffnende  Golf  schafft 
eine  bequeme  Verbindung  mit  Kreta  und  den  Kykladen.  Im 
griechischen  Epos  trägt  der  hier  ansässige,  zu  den  Achaeern 
gehörende  Volksstaram  den  Namen  Danaer.  Wahrscheinlich 
dürfen  wir  diesen  Namen  in  den  ägyptischen  Quellen,  trotz 
der  abweichenden  Endung,  in  den  Danuna  wiederfinden,  von 
denen  der  König  von  Tjros  um  1400  dem  Pharao  unter 
anderen  Neuigkeiten  „aus  Kana'an"^)  berichtet,  daß  der 
König  von  Danuna  gestorben  und  sein  Bruder  ihm  gefolgt  ist, 
ohne  daß  es  zu  Unruhen  gekommen  wäre  („sein  Land  ist 
ruhig").  Unter  Ramses  III.  erscheinen  die  Danuna  unter  den 
Seevölkern  „aus  den  Inseln",  die  an  der  Invasion  Syriens  teil- 
nehmen. 

Auf  den  Höhen  und  Bergkuppen  am  Rande  der  Ebene 
und  im  gebirgigen  Hinterlande,  bis  zu  dem  im  Südosten  des 
Golfes   steil   ins    Meer    vorspringenden    Felsen    des    Palamidi 

')  Genau  wie  gegenwärtig  hat  die  Ebene  Argos  nicht  nur  zur 
Zeit  des  Paupanias  (II  15,  5.  25,  3),  sondern  schon  in  ältester  Zeit  aus- 
gesehn,  wie  das  Beiwort  TcoXü8i'|/iov  IL  A  171  und  die  aus  dem  Versiegen 
der  Flüsse  entstandene  Danaidensage  beweist,  vgl.  Forsch.  I  74  ff. 
[Strabo  VIII  6,  7  ff.  erklärt  die  Wasserarmut  fälschlich  für  dichterische 
Erfindung]  In  scharfem  Kontrast  dazu  steht  der  Wasserreichtum  der 
Südwestecke  mit  der  Quelle  von  Lernai  und  dem  Erasinos,  aus  dem 
die  Sagen  von  der  lernaeischen  Hydra  und  der  Amymone  erwachsen 
sind.  —  Die  Anlage  der  Brunnen  wird  dem  Danaos  oder  vielmehr 
seinen  Töchtern  zugeschrieben:  ^Apfo?  avuSpov  söv  Aotvaal  ö-iaav  "ApYoc 
evu5f,ov,  Stn.bo  VllI  6,  8,  nach  Eustath.  zu  A  171  aus  Hesiod  (fr.  24 
Rzach).  [Mit  völliger  Verkennung  der  Entwicklungsgeschichte  der 
griechischen  Sagen  macht  Beloch,  Griech.  Gesch. ^  1  1.  185.  I  2,  63 
Danaos  und  die  Danaiden  zu   „ Wolkengeistern ".] 

^)  Amarnabrief  151,  22.  Der  Pharao  hat  dem  Abimelech  von  Tyros 
geschrieben:  „was  du  aus  Kana'an  (Kinachni)  hörst,  das  schreibe  mir." 
Daher  hat  man  vielfach  gefolgert,  daß  Danuna  in  Syrien  gelegen 
haben  müsse.  Aber  offenbar  ist  der  Name  in  ganz  umfassendem  Sinne 
gebraucht.  Ks  folgen  Nachrichten  über  Ugarit,  über  Aitaqama  von 
Qades  u.  a.;  da  ist  es  ganz  begr  itlich,  daß  eine  Kunde  über  Vorgänge 
im  Ägaeischen  Meer  vorausgeschickt  ist. 


Die  Landschaft  Argos.    Mykene  225 

von  Nauplia  und  dem  unweit  davon  in  der  Ebene  isoliert 
liegenden  Hügel  von  Tiryns,  liegen  zahlreiche  Ortschaften, 
deren  Überreste  bis  in  alte  Zeit  hinaufragen.  Aber  sie  alle 
treten  etwa  seit  dem  Ende  des  17.  Jahrhunderts  ganz  zurück 
hinter  der  Königsburg  Mykene^).  Sie  liegt  „im  innersten 
Winkel  von  Argos"  ({lü/cj)  "Ap^eo?  iTCTroßöroio,  7  263),  18  Kilo- 
meter vom  Meer  entfernt,  zwischen  zwei  hohen  Bergen  auf 
einem  etwa  50  Meter  über  das  Vorland  aufragenden,  zu  beiden 
Seiten  durch  tiefe  Schluchten  eingeschlossenen  Felsrücken; 
weiter  oberhalb  in  der  Schlucht  entspringt  die  Quelle  Perseia, 
auf  dem  nach  der  Ebene  zu  sich  rechtwinklig  anschließenden 
Hügel  liegen  die  Wohnstätten  der  abhängigen  Bevölkerung. 
Diese  Lage  zeigt  deutlich,  daß  Mykene  seine  Entstehung  nicht 
einer  spontanen  Entwicklung  verdankt"''),  sondern  dem  Willens- 
akt eines  Fürsten,  der  diese  Stätte  als  günstig  gelegen  für 
die  Beherrschung  der  ganzen  Landschaft  erkannte;  es  über- 
schaut die  ganze  Ebene  und  beherrscht  zugleich  den  Ausgang 
der  Gebirgsstraßen  nach  Norden  und  nach  dem  Isthmus. 

In  Mykene  tritt  uns  das  Eindringen  der  kretischen  Kul- 
turerzeugnisse auf  das  Festland  und  die  dadurch  geschaffene 
Umbildung  und  Steigerung  der  Lebensformen  anschaulich 
entgegen.  Vor  der  älteren  Burgmauer,  erst  später  in  sie 
einbezogen,  liegen  sechs  Schachtgräber,   in  denen  im  ganzen 

')  Zu  den  grundlegenden  älteren  Werken  über  Mykene  seit 
Schliemann's  Ausgrabungen  (Mykenae  1877)  und  der  zusammenfassenden 
Darstellung  von  Tsuntas  und  Manatt,  The  Mycenaean  age  1896  [auf 
dem  Titel  1903],  ist  jetzt,  außer  zahlreichen  Einzelarbeiten,  die  Ver- 
öflentlichung  und  methodische  Verarbeitung  der  neuen  englischen  Aus- 
grabungen von  1920 — 23  durch  Wage  im  Annual  of  the  British  School  25 
hinzugekommen  [und  zuletzt  die  sorgfältige  Revision  des  Bestandes 
und  Inhalts  der  Schachtgräber  von  Karo,  Mitt.  athen.  Inst,  40  (ge- 
schrieben 1916,  erschienen  1927)]. 

^)  Den  natürlichen  Mittelpunkt  für  eine  städtische  Entwicklung 
bildet  der  im  unteren  Teil  der  Ebene  weit  vorspringende  Hügel  der 
Aspis  mit  der  steilen  Burg  Larisa  dahinter.  Aber  hier  ist  eine  Stadt, 
die  den  Namen  der  Ebene  Argos  annahm,  erst  in  dorischer  Zeit  ent- 
standen, in  der  mykenischen  Epoche  lag  hier  nur  eine  unbedeutende 
Ortschaft  und  kein  Herrschersitz. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    II'.  15 


220      V.  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

neunzelm  Leichen  beigesetzt  sind,  neun  Männer,  acht  Frauen 
und  zwei  Kinder^).  Alle  diese  Gräber  sind  geradezu  überfüllt 
mit  den  kostbarsten  Beigaben :  Diademe,  Ketten  und  Gehänge, 
Goldblech  in  Gestalt  von  Blättern  und  Blüten.  Schmetterlingen, 
Tintenfischen,  Sphinxen,  Seepferden  u,  ä.,  die  wahrscheinlich 
zum  Teil  auf  Frauengewänder  aufgenäht  waren,  dicke  orna- 
mentierte Platten  von  Kästen,  goldene  und  silberne  Becher, 
Ochsenköpfe  u.  s.  w.  An  verarbeitetem  Gold  hat  S.  hliemann 
im  dritten  Grabe,  in  dem  drei  Frauen  und  zwei  Kinder  be- 
stc-ttet  sind,  nicht  weniger  als  870  Objekte  gezählt,  ab- 
gesehn  von  den  Massen  goldener  Perlen  und  kleinerer  Frag- 
mente; und  nicht  weniger  reich  sind  die  übrigen  Gräber. 
Dazu  kommen  Schwerter  und  Dolche  mit  eingelegter  Arbeit, 
prächtige  Siegelringe  von  Gold  oder  edlen  Steinen,  Elfen- 
bein, Perlen  von  Glas  sowie  von  nordischem  Bernstein,  eine 
prachtvolle  Alabastervase,  ferner  natürlich  Tongefäße,  welche 
die  den  Toten  mitgegebenen  Lebensmittel  enthielten.  Den 
Männern  sind  außer  goldenen  Brustplatten  Goldmasken  aufs 
Gesicht  gelegt,  die  ihre  Porträtzüge  wiedergeben;  sieben  sind 
ganz  oder  teilweise  erhalten.  Das  vierte  Grab,  mit  drei  Män- 
nern und  zwei  Frauen,  ist  nach  Ausweis  der  in  ihm  lie- 
genden, mit  Gold  und  Kristallblättern  eingefaßten  Szepter 
sicher  ein  Königsgrab.  Auf  ihm  war  ein  runder  Brunnen- 
schacht aufgemauert,  durch  den  das  Opferblut  hinabfließen 
konnte.  Auch  das  fünfte  Grab  ist  offenbar  ein  Königsgrab, 
und  wohl  auch  das  zweite  und  sechste  (die  beiden  ältesten). 


')  Die  Verteilung  ist  nach  Tsuntas-Manatt,  Mye.  age  94: 
Grab      I  (bei  Schi.iema.nn  2):  3  Frauen 
II  (   „  ,  5):  1  Munn 

„      III  (  ,  ,  3):  3  Frauen,  2  Kinder 

^      IV  (  „  „  4):  3  Männer,  2  Frauen 

,        V  (   „  ,  1):  3  Männer 

,      VI  (erst  von  Stamatakis  ausgegraben)  2  Männer 
Dazu  kommen  dann    noch    das    zerstörte  Grab    südlich   außerhalb   des 
Plattenrings,    aus    dem    der  Goldring    mit   der   Vegetationsgöttin    und 
andere  Golds;: eben  stammen  (Schi.iemann.  Mykenae  398  ff.),  und  das  Grab 
unter  dem  „Granary"  beim  Löwentor  (Annual  25,  52  ff.). 


Die  Schachtgräber  von  Mykene  227 

Alle  mit  Ausnahme  des  zweiten  sind  mehrfach  zu  Beisetzungen 
benutzt  worden,  so  daß  uns  hier  wahrscheinlich  eine  Folge 
von  neun  Herrschern  einer  Dynastie  erhalten  ist.  In  der  Auf- 
schüttung über  den  Gräbern  liegen  die  Leichen  geopferter 
Diener  (oder  Feinde)  und  Tiere,  dazu  zahb-eiche  Gefäßscher- 
ben, die  die  Fortdauer  des  Totendienstes  beweisen.  Weiter 
oben  stehn  die  Grabstelen,  bei  den  Frauengräbern  einfache 
Steintafeln  ohne  Skulptur  oder  mit  laufenden  Spiralbändern 
geschmückt;  bei  den  Männern  steht  auf  der  von  Spiralorna- 
menten umrahmten  Hauptfläche  die  Gestalt  des  Toten  auf 
seinem  Streitwagen,  Neun  dieser  Stelen,  genau  entsprechend 
der  Zahl  der  männlichen  Leichen,  sind  vollständig  oder  wenig- 
stens in  einzelnen  Bruchstücken  erhalten^).  Später  ist  dieser 
ganze  Grabbezirk  weiter  aufgeschüttet  und  mit  einem  Ring 
von  großen  Steinplatten  eingefriedet")  und  dann  in  die  er- 
weiterte Burgmauer  einbezogen  worden. 

So  tritt  uns  hier  ein  hochentwickelter  Totenkult  entgegen, 
dessen  Anforderungen  weit  über  alles  hinausgehn,  was  wir  in 
Kreta  kennen.  Er  trägt  dieselbe  Gestalt,  die  wir  überall  bei 
naturwüchsigen  Völkern  wiederfinden,  die  zu  einer  höheren 
materiellen  Kultur  gelangt  sind  und  dadurch  über  reichere 
Mittel  verfügen,  so  in  Europa  bei  den  Skythen,  den  Slawen, 
den  Skandinaviern;  auch  der  ägyptische  Totenkult  hat  ur- 
sprünghch  dieselbe  Gestalt  gehabt,  und  im  homerischen  Epos 
lebt  er  in  Resten  noch  fort.  Dem  König  und  seiner  Familie 
wird  nicht  nur  die  Nahrung  und  Kleidung  mitgegeben  und 
von  den  Nachkommen  bei  den  Totenfesten  immer  von  neuem 
zugeführt,  deren  er  für  eine  erträgliche  Existenz  im  Toten- 
reich bedarf,  sondern  auch  alles,  was  sein  Leben  verschönert 
hat  und  woran  sein  Herz  hängt,  und  dazu  eine  Dienerschaft, 
die  ihm  in  den  Tod  folgt,  sei  es  freiwillig  unter  der  zwingen- 


')  Siehe  die  letzte,  alles  neue  Material  verwendende,  Behandlung 
der  Stelen  durch  Hurstiey  in  Annual  25,   127 if. 

^)  Mit  dem  Plattenring  vergleicht  Schüchhardt,  Praehist  Z.  II 
324,  mit  Recht  den  großen  Steinkreis,  der  Stonehenge  und  ähnliche 
megalithische  Gräber  umschließt. 


228      V.  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

den  Gewalt  der  Sitte,  sei  es  dazu  aufgegriffen  und  hin- 
geschlachtet. In  Mykene  ist  er  zu  gewaltigen  Dimensionen 
entwickelt;  im  Verhältnis  zum  Machtbereich  seiner  Herr- 
scher, mögen  wir  ihn  auch  noch  so  weit  ausdehnen,  ist  hier 
dafür  mindestens  ebensoviel  aufgewendet  worden,  wie  zur 
sel))en  Zeit  im  Weltreich  der  Pharaonen. 

Zugleich  legt  diese  Ausstattung  der  Gräber  Zeugnis  ab 
für  die  mächtige  Stellung  der  Könige  Mykenes.  Eine  Fremd- 
herrschaft der  kretischen  Fürsten  über  die  argi tische  Land- 
schaft, wie  man  gelegentlich  vermutet  hat,  erscheint  voll- 
kommen ausgeschlossen.  Umso  reicher  und  eigenartiger  sind 
die  Aufschlüsse,  die  sich  aus  den  Grabfunden  über  die  kul- 
turellen und  damit  zugleich  auch  über  die  ethnographischen 
Verhältnisse  gewinnen  lassen^). 

Ganz  dominierend  tritt  der  Einfluß  Kretas  hervor;  von  den 
schönsten  Werken  der  Glyptik  stammen  nicht  wenige  aus  den 
mykenischen  Schachtgräbern.  Dadurch  und  ebenso  durch  die 
Tongefäße  ist  zugleich  ihre  Zeit  festgesetzt  auf  die  Blütezeit  der 
neukretischen  Kunst  (Middle  Minoan  III  und  Anfang  von  Late 
Minoan  I),  also  die  erste  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  als  sie, 
eben  zu  voller  Entfaltung  gelangend,  noch  die  frische  Schöpfer- 
kraft der  Jugend  besaß;  von  dem  späteren,  in  Manier  ver- 
fallenden Stil  findet  sich  hier  noch  nichts.  Dazu  stimmt,  daß 
sich  Objekte  mit  den  Namen  Amenophis'  III.  und  der  Teje 
in  den  jüngeren  Schichten  von  Mykene  mehrfach  gefunden 
haben ^);  die  wesentKch  älteren  Schachtgräber  stammen  somit 
aus  der  Zeit  der  ersten  Könige  des  Neuen  Reichs.  —  Aber 
neben  diesem  aus  der  Fremde  eingedruno-enen  Gut  steht  un- 


^)  Für  das  Verhältnis  der  „mykenischen"  zur  kretischen  Kultur 
und  den  Nachweis  der  einheimischen  Elemente,  die  sich  hier  mit  den 
aus  Kreta  übernommenen  Einwirkungen  verbinden,  sind  grundlegend 
vor  allem  die  Arbeiten  von  Kurt  Müller,  Frühmyken.  Reliefs,  Jahrb. 
Arch.  Inst.  XXX  1915,  und  von  Rodenwaldt,  Tiryns  II  1912  und  Fries 
des  Megarons  von  Mykene  1921,  sowie  seine  Aufsätze  über  die  mykeni- 
schen Gemälde,  Mitt.  athen.  Inst.  36,  1911.  221ff.  und  37,  1912,   129ff. 

2)  Zusammengestellt  bei  Fimmen,  S.  173 ff. 


Kretische  und  einheimische  Arbeiten  in  Mykene  229 

vermittelt  das  heimische  Erbe.  So  liegen  neben  den  mit  glän- 
zenden Firnisfarben  bemalten  Gefäßen  kretischen  Stils  die 
überall  in  Griechenland  produzierten  der  sog.  Mattmalerei 
von  ganz  abweichender  Form  mit  linearen  Ornamenten,  Drei- 
ecken, Kreisen  u.  ä.,  auch  Spiralen,  außerdem  monochrome 
mit  dunklem  Ton,  gelegentlich  mit  eingeritzten  Linearmustern 
(sog.  Orchomenosware).  Dazu  kommen  Hunderte  von  ganz 
primitiven  kleinen  weiblichen  Idolen  und  Kühen  von  Ton, 
die  in  derselben  Weise  linear  bemalt  sind.  Die  zahlreichen 
Bernsteinketten  zeigen  die  Fortdauer  der  Verbindung  mit  dem 
Norden  und  der  von  dort  mitgebrachten  Tradition.  Pferd  und 
Streitwagen,  die  auf  Kreta  fehlen,  sind  hier  allgemein  ver- 
breitet. Auch  Tracht  und  Waffen  zeigen  Abweichungen.  Fer- 
ner gehört  der  Steinbau  hierher,  der  sich  alsbald  zu  gewal- 
tigen Schöpfungen  entwickelt.  Ganz  anschaulich  tritt  der 
Gegensatz  in  den  Reliefs  der  Grabstelen  hervor:  der  Streit- 
wagen mit  dem  darauf  stehenden  Krieger  —  einmal  hat  er 
ein  riesiges  Schwert  am  Gürtel  — ,  das  galoppierende  Pferd, 
der  voranschreitende  Diener  mit  einem  Schwert  in  der  Hand, 
das  alles  ist  so  primitiv  und  unbeholfen  gezeichnet,  daß  man 
selbst  die  ältesten  sumerischen  Reliefs  oder  die  vom  süd- 
lichen Stadttor  von  Sendjirli  kaum  damit  in  Parallele  setzen 
kann.  Deutlich  liegen  hier  Arbeiten  einheimischer  Stein- 
metzen vor,  denen  die  Aufgabe,  lebende  Wesen  auch  nur  in 
Umrissen  wiederzugeben,  noch  völlig  fremd  war  ').  Umso  stär- 
ker ist  der  Kontrast  nicht  nur  gegen  die  feinen  Arbeiten  der 
Glyptik,  sondern  auch  gegen  die  Goldmasken  auf  den  Leichen, 
die,  seitdem  sie  wieder  in  ihre  ursprüngliche  Fassung  gebracht 
und  von  der  Entstellung  durch  den  darauf  lastenden  Druck 
befreit  sind,  die  Züge  der  Toten  ganz  naturgetreu  und  lebendig 
wiedergeben;  diese  Aufgabe  wird  also  einem  kretischen  Metall- 
arbeiter übertragen  worden  sein.  Den  Fortschritt  des  kretischen 


')  Die  Spiralbänder  und  die  rechteckige  Einschließung  des  Re- 
liefs dilgegen  sind  ganz  sauber  gezeichnet  und  ausgearbeitet;  soweit 
reichte  die  Schulung,  die  wohl  mit  den  im  inneren  Europa  herrschen- 
den Traditionen  in  Verbindung  steht. 


230      ^  •  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

Einflusses  zeigt  dann  eine  Grabstele,  deutlich  die  jüngste  von 
allen,  die  neben  zwei  älteren  auf  dem  fünften  Grabe  stand: 
hier  ist  der  Krieger  auf  dem  Wagen  wesentlich  korrekter  ge- 
zeichnet, das  Pferd,  das  über  einem  auf  seinem  Schilde  lie- 
genden Mann  dahinsprengt,  hat  vier  Beine,  nicht  nur  zwei, 
wie  dort,  und  darunter  ist  ein  Löwe  gezeichnet,  der  in  ge- 
strecktem Galopp,  doch  ohne  die  für  den  kretischen  Stil  cha- 
rakteristische übernatürliche  Verlängerung,  einem  allerdings 
gänzlich  verzeichneten  Wilde  nachjagt. 

'  Im  übrigen  besteht  zwischen  diesen  Männergestalten  und 
den  Goldmasken  ein  höchst  überraschender  Unterschied.  Die 
Goldmasken  haben  einen  sorgfältig  gepflegten  Schnurrbart 
mit  nach  oben  gekrümmten  Spitzen  und  vollem  Backen-  und 
Kinnbart,  nur  das  Kinn  selbst  ist,  wie  beim  „Matrosenbart", 
ausrasiert;  die  Gestalten  der  Grabstelen  dagegen  tragen  deut- 
lich keinen  Bart;  auch  das  Haupthaar  scheint  hier  kurz  ge- 
schoren. Daß  das  nicht  etwa  aus  Unbeholfenheit  der  Stein- 
metzen zu  erklären  ist,  ergibt  sich  daraus,  daß  in  der  Fol- 
gezeit auch  die  sicher  einheimische  Gestalten  darstellenden 
Reliefs  und  Statuetten  vielfach  bartlos  sind  wie  die  Kreter,  und 
jedenfalls  immer  den  Schnurrbart  abrasieren,  eine  Sitte,  die 
sich  dann  in  der  griechischen  Welt  das  ganze  Mittelalter  hin- 
durch und  in  dem  konservativen  Sparta  allezeit  erhalten  hat; 
der  Schnurrbart  ist  hier  ebenso  verpönt  wie  bei  den  semiti- 
schen Nomaden. 

Somit  sind  die  über  den  Gräbern  errichteten  Grabstelen 
jünger  als  die  Bestattungen.  Ein  Bevölkerungswechsel  ist 
schon  dadurch  ausgeschlossen,  daß  der  Totenkult  sich  fort- 
setzt und  die  Gräber  als  heilig  durch  den  Plattenring  ein- 
geschlossen werden.  Wohl  aber  hat  die  Sitte  sich  geändert. 
Das  wnrd  dadurch  bestätigt,  daß  sich  unter  den  Beigaben 
der  Schachtgräber  keine  Rasiermesser  finden  —  so  wenig 
wie  Metallspiegel  und  wie  die  für  die  spätere  griechische 
Tracht  unentbehrlichen  Spangen  (Fibeln)  — ,  während  sie  in 
den  jüngeren  Gräbern  der  mykenischen  Epoche  ganz  gewöhn- 
lich sind.    Auch  für  die  Mode  wird  der  kretische  Einfluß  be- 


Stelen  und  Masken.    Die  Goldringe  der  Schachtgräber        231 

stimmend:  man  schämt  sich  der  heimischen  Barttracht  und 
rasiert  mindestens  den  Schnurrbart  ab,  während  der  Backen- 
und  Kinnbart  vielfach  beibehalten  wird  und  sich  in  der  Folge- 
zeit wieder  völlig  durchgesetzt  hat.  Ebenso  läßt  wenigstens 
die  vornehme  Welt  das  Haupthaar  nach  kretischem  Vorbild 
lang  herabfallen;  im  Epos  ist  diese  Haartracht  das  charak- 
teristische Abzeichen  der  Achaeer  (xdpT]  -/ojiöwvce?  'Ayaioi). 

Von  den  kretischen  Arbeiten  mögen  manche  durch  Han- 
del oder  Seeraub  in  den  Besitz  der  Fürsten  Mykenes  gelangt 
sein.  Bei  nicht  wenigen  dagegen  lehren  die  dargestellten 
Szenen,  daß  sie  an  ihrem  Hofe  selbst  gearbeitet  sind,  daß 
die  Fürsten  also  kretische  Goldarbeiter  und  Steinschneider  in 
ihren  Diensten  gehabt  haben.  Das  gilt  vor  allem  von  den  beiden 
Goldringen  aus  dem  vierten  Schachtgrabe  0-  Die  Gravierungen 
sind  im  besten  kretischen  Stil  gearbeitet,  aber  der  eine  Gold- 
ring zeigt  den  Fürsten  auf  der  Jagd,  wie  er  auf  dem  Streit- 
wagen, den  Wagenlenker  zur  Seite,  den  Bogen  auf  einen  flüch- 
tigen Hirsch  anlegt,  der  andere  im  Kampf  gegen  zwei  auf  ihn 
einstürmende  Feinde-):  den  ersten  von  diesen,  der,  schon  auf 
die  Knie  geworfen,  das  Schwert  auf  ihn  zückt,  hat  er  an  der 
Schulter  gepackt  und  wird  ihn  mit  dem  Dolchmesser  durch- 
bohren, der  zweite,  im  Eberhelm  mit  fliegendem  Federbusch 
wie  der  Sieger,  also  gleichfalls  ein  Fürst,  sucht,  gedeckt  durch 
einen  mächtigen  Ovalschild,  w^eit  ausholend  mit  der  Lanze  das 
Haupt  des  Gegners  zu  treffen,  aber  vergeblich:  der  Stoß 
geht  an  dessen  Helm  vorbei.  Das  sind  die  Siegelringe  der 
in  diesem  Grabe  bestatteten  Fürsten,  die  ihre  Taten  verherr- 
lichen^).   Dem   entspricht   es,    daß    auf  Kreta   solche  Szenen 

')  ScHLiEHANN,  Mjk.  S.  259.  Reichel,  Hom.  Waffen  S.  4  Fig.  11 
und  S.  92  Fig.  35.    Firtwängler,  Ant.  Gemmen  Taf.  ü  3,  8. 

^)  Abgebildet  auf  Taf.  VIII,  a.  Hinter  ihm  sitzt  auf  dem  Boden,  ge- 
spannt zuschauend,  ein  nackter  Mann  mit  kurzem  Kinnbart  und  einer 
Kappe  auf  dem  Haupt;  das  wird  der  Diener  (Waffenträger)  des  Fürsten 
sein,  der  in  den  Kampf  selVjst  nicht  eingreifen  darf. 

^)  Gleichartig  sind  die  Darstellungen  auf  den  drei  goldenen  Schie- 
bern aus  dem  Frauengrab  (III)  bei  Schliemann,  Myk.  202  =  Tsuntas- 
Manatt  181.  FuRTWÄNGLER,  Gemmen  II  1.  14  [bei  Reichll,  Hom.  Waffen 


232      V.  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

kaum  je  dargestellt  werden^),  daß  der  Streitwagen  hier  keine 
KoUe  spielt  und  auch  der  Bogen  in  den  Händen  vornehmer 
Krieger  nicht  erscheint. 

Noch  weiter  führen  die  Reliefs  von  zwei  nur  in  Bruch- 
stücken erhaltenen  Silbergefaßen  aus  demselben  Grabe.  Auf 
dem  einen 2)  waren  Kampf szenen  dargestellt;  die  Krieger  füh- 
ren die  Lanze  und  den  großen  kretischen  Schild  und  tragen  den 
mit  Eberzähnen  besetzten  Helm  mit  großem  Busch,  aber  be- 
kleidet sind  sie  mit  einem  kurzärmligen  Leibrock,  der  hosen- 
artig bis  zur  Mitte  des  Oberschenkels  reicht,  eine  Tracht,  die 
sich  ebenso  auf  mehreren  Gemmen  aus  Mykene,  bei  einer 
Bronzestatuette  aus  Tiryns,  und  bei  den  Jägern  auf  einem 
der  eingelegten  Dolche  aus  dem  gleichen  Grabe  findet  —  das 
ist  also  die  bei  den  Festlandsgriechen  dieser  Zeit  übliche 
Tracht').  Das  andere  Gefäß')  stellt  eine  auf  einem  Hügel 
gelegene  Festung  dar,  die  offenbar  von  einem  plötzlichen 
Überfall  durch  Feinde  überrascht  wird.  Auf  dem  Bergabhang 
sammeln  sich  die  Krieger  zur  Abwehr,  Schleuderer  und 
Schützen,  alle  nackt,  dazu  zwei  Männer  mit  Lanzen  in  einem 

S.  2  Fig.  2  fälschlich  dem  vierten  Grabe  zugewiesen] :  ein  Kampf  mit 
einem  Löwen,  ein  sich  lagernder  Löwe,  und  eine  Kampfszene,  in  der 
der  Sieger  dem  Gegner  über  den  Rand  seines  riesigen  Rindshautschildes 
hinweg  das  Dolchmesser  in  die  Kehle  stößt.  Ferner  die  Kampfszene 
auf  dem  Sardonyx  aus  demselben  Grabe  bei  Reichel  S.  2  Fig  5,  Furt- 
wÄNGLER,  Gemmen  II  2  (bei  Sghliemann  S,  233  Fig.  313  ganz  verzeichnet 
und  falsch  interpretiert). 

')  Ein  Karneol  aus  Kreta  mit  iihnlicher  Kampfszene,  nur  viel  un- 
beholfener ausgeführt,  bei  Reicmel  S.  4  Fig.  12.  Furtwängler,  Gemmen  II 4. 

2)  Die  wichtigsten  Bruchstücke  bei  K.  Müller.  Arch.  Jahrb.  30. 
318,  andere  bei  Reichel,  Hom.  Waffen  106;  eine  vollständige  Veröffent- 
lichung fehlt  noch. 

^)  Die  Belege  bei  K.  Müller  S.  263;  die  Bronze  aus  Tiryns  bei 
Tsuntas-Manatt  161,  56.  Hierher  gehört  weiter  der  bärtige  Schütze 
auf  dem  Fragment  aus  Knossos  oben  S.  206,  1. 

*)  Das  Hauptfragment  ist  zuerst  von  Tsuntas  Etp.äpx.  1891  publiziert, 
seitdem  oft  wieder  abgebildet,  weitere  Bruchstücke  zuerst  bei  Reichel, 
Hom.  Waffen  13.  Jetzt  hat  Stais,  Mitt.  athen.  Inst.  40,  45  ff.  Taf.  77  f.  das 
ganze  Gefiiß  rekonstruiert.  Behandelt  vor  allem  von  K.  Müller  a.  a.  0. 
321  ff.    (Danach  auf  Taf.  VII,  1.) 


Mykenische  Silbervase  mit  Feldzug  nach  Asien  233 

seltsamen  steifen  Mantel  (?);  auf  den  Zinnen  der  Burg  be- 
gleiten die  Frauen  den  Kampf  mit  angstvollem  Zuruf,  auch 
Männer  erscheinen  über  der  Mauer.  Weiter  unten  ist  der 
Oberkörper  eines  Mannes  in  kurzarmigem  Leibrock  und  mit 
Eberzahnhelm  erhalten,  der  eine  lange  Stange  gegen  den 
Boden  stößt;  man  glaubt  in  ihm  einen  Krieger  zu  erkennen, 
der  ein  Boot  vom  Lande  abstößt.  Jedenfalls  gehört  er  zu 
den  Angreifern,  von  denen  weitere  Überreste  nicht  erhalten 
sind^),  und  seine  Tracht  zeigt,  daß  diese  nicht  etwa  Kreter, 
sondern  Mykenaeer  sind.  Die  Festung  dagegen  liegt  weder 
auf  Kreta,  wo  es  befestigte  Städte  überhaupt  nicht  gibt,  noch 
in  Griechenland,  wo  sie  ganz  anders  aussehn,  sondern  stimmt 
in  der  Gesamtanlage,  der  Vormauer  und  dem  hoch  darüber 
aufragenden  Hauptbau  mit  Türmen  und  großem  Tor,  und 
der  aus  regelmäßigen  Schichten  rechteckiger  Ziegel  erbauten 
Mauer  durchaus  zu  den  Festungen  Asiens'-).  Auch  die  nackten 
Männer  mit  kurzem  struppigem  Haar  weisen  in  die  gleiche 
Richtung.  Die  Darstellung  bezeugt  also  den  Kriegszug  eines 
mykenischen   Fürsten  nach  den  Küsten  Kleinasieus^). 

Auch  der  Dolch  aus  dem  fünften  Schachtgrab,  in  den 
Szenen  aus  der  Nillandschaft  eingelegt  sind  (o.  S.  56),  wird 
nicht  aus  Kreta  importiert,  sondern  in  Mykene  selbst  von 
einem  kretischen  Künstler  gearbeitet  sein,  so  gut  wie  der 
Dolch  mit  der  Löweujagd  aus  dem  vierten  Grabe. 

So  erscheint  Mykene  schon  im  1(3.  Jahrhundert  geradezu 
als  ein  zweiter  Sitz  der  neukretischen  Kunst,  die  hier  in  der 
Auswahl    der  dargestellten  Szenen  sowie  in  Tracht  und   Be- 


')  Die  weiteren  Kombinationen  und  Deutungsversucbe,  die  an 
die  Darstellung  geknüpft  sind,  bleiben  recht  problematisch,  da  ja  nur 
ein  Bruchteil  des  Gefäßes  erhalten  ist  (vgl.  auch  Rodenwalut,  Tiryns  II 
203.  2).  Das  gilt  wohl  auch  von  der  Rekonstruktion  durch  Stais.  gegen 
die  auch  K.  Miller  Bedenken  äußert. 

^)  Vgl.  o.  S.  86.  Gleicbartig  ist  die  auf  einem  kretischen  Siegel 
aus  Zakro  dargestellte  Festung  bei  Evans,  Palace  I  r!08  Fig.  227  a 
(227b  ist  abweichend). 

*)  Auf  die  Folgerungen,  die  sich  daraus  für  die  ägyptischen 
Kampf darstellungen  ergeben,  können  wir  erst  später  eingehn. 


234      ^  ■  D^s  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

wafifhung^)  sich  den  einheimischen  Forderungen  anpaßt'-).  An 
eine  Herrschaft  der  Kreter  über  das  Festland  ist  nicht  zu 
denken;  vielmehr  tritt  gerade  in  diesen  Szenen  der  kriege- 
rische Charakter  der  Griechen  im  Gegensatz  zu  der  weich- 
lichen Art  Kretas  deutlich  hervor.  Weit  eher  mögen  die 
Griechen  schon  damals  Raubzüge  nach  der  Insel  unternom- 
men haben,  so  gut  wie  nach  den  Kykladen  und  den  klein- 
asiatischen Küsten.  Die  kretischen  Künstler  jedoch  werden 
ebenso  wie  die  Mehrzahl  der  importierten  Gefäße  —  so  die 
gi-oßen  Trinkhörner  (Rhyta)  in  Form  eines  silbernen  Stier- 
kopfes mit  goldenen  Hörnern  und  eines  goldenen  Löwen- 
kopfes^)  —  durch  den  regen  Verkehr  nach  Mykene  gekom- 
men sein. 

Daneben  stehn  nicht  wenige  einheimische  Arbeiten  in  Gold, 
die  den  fremden  Stil  nachzuahmen  versuchen,  ohne  ihn  wirk- 
lich innerlich  zu  erfassen,  darunter  zahlreiche  als  Schmuck- 
stücke angeheftete  Tierfiguren  (Sphinxe,  Greifen,  Polypen, 
Schmetterlinge,  Hirsche,  Katzen,  Vögel,  zum  Teil  antithetisch 

')  Zu  erwähnen  ist  noch  das  Bruchstück  eines  Fayencereliefs 
aus  dem  dritten  Schachtgrab,  das  einen  Kriegerkopf  nebst  einem  Stück 
des  i;roßen  Schildes  darunter  darstellt  (Sghuchhardt,  Schliemanns 
Ausgr.  237.  Reichel,  Hom.  WaflVn  42).  Der  bartlose  Kopf  und  der 
Eberzahnhelm  mit  Sturmband  stimmen  ganz  mit  dem  Elfenbeinkopf 
aus  einem  Grabe  der  Unterstadt  Tsuntas-Manatt  197,  Reichel  S.  103 
überein,  nur  sitzt  an  dem  Helm  hier  noch  ein  hörnerartig  gekrümnater 
Ansatz.  Man  hat  ihn  mit  den  Halbmonden  auf  den  Helmen  der  Sei- 
dana  identifizieren  wollen;  aber  es  ist  vielmehr  das  eine  der  beiden 
hakenartigen  Hörner,  die  in  den  Kriegerfiguren  der  Folgezeit  bis  zur 
„mykenischen  Kriegervase"  hinab  ganz  gewöhnlich  sind  und  in  denen 
Reichel  S.  98  f.  107  (vgl.  Robert,  Studien  zur  llias  48)  die  fdloi  bei 
Homer  erkannt  hat.    Weiteres  in  Abschnitt  XII. 

*}  Auch  im  Stil  finden  sich  begreiflich  genug  feinere  Unterschiede 
von  den  auf  Kreta  selbst  gearbeiteten  Werken;  das  hat  Kurt  Müller, 
der  sie  eindringend  analysiert  hat,  auf  die  Vermutung  geführt,  die 
beiden  Silberbecher  seien  im  westlichen  Kreta  entstanden,  aus  dem 
ja  Denkmäler  bisher  nicht  vorliegen,  eine  Hypothese,  die  sich  weder 
durch  irgendwelche  Tatsachen  stützen  läßt  noch  den  Charakter  dieser 
Denkmäler  erklären  könnte. 

3)  KarO;  Arch.  Jahrb.  26.  1911,  249ff.,  beide  aus  dem  vierten  Grabe. 


Kultszenen  aus  den  Schachtgräbern  235 

gruppiert)  und  Goldbleche  von  Kästen  mit  getriebenen  Re- 
liefs von  Tierkämpfen,  die  nahezu  eben  so  unbeholfen  aus- 
gefallen sind  wie  die  Grabstelen  ^).  Dazu  gehören  auch  die 
kleinen,  gleichfalls  als  Schmuckstücke  verwendeten  Figuren 
einer  nackten  Göttin,  die  von  Tauben  umflattert  wird,  aus 
dem  Frauengrabe  (III).  Daneben  haben  sich  in  diesem  sowie 
in  dem  Königsgrabe  (IV)  mehrere  Nachbildungen  des  kre- 
tischen Kultbaus  dieser  Göttin  gefunden-').  Dieselbe  Göttin, 
die  Aphrodite  der  Griechen,  haben  wir  auch  auf  Kreta  selbst 
getroffen.  Auch  hier  zeigt  sich,  wie  beim  Baumkult,  bei  der 
Jagdgöttin  (Artemis)  und  bei  der  Schildgottheit  (Palladion), 
daß  eine  Scheidung  zwischen  Kreta  und  dem  Festlande  auf 
dem  Gebiet  der  ReKgion  mit  unserem  Material  nicht  durch- 
führbar ist'^),  und  daß,  mag  auch  die  ursprüngliche  Konzep- 
tion der  Gottheiten  sehr  verschieden  gewesen  sein,  die  Griechen 
ihre  Gestaltung  im  Phantasiebilde  und  in  weitem  Umfang 
auch  ihre  Attribute  und  die  Formen  des  Kultus  aus  der  fort- 
geschrittenen kretischen  Kultur  übernommen  haben,  so  gut 
wie  die  Gestalten  und  Mythen  der  Dämonenwelt. 

Die  Eroberung  Kretas  durch  die  Acliaeer 

Während  das  griechische  Festland  von  der  Kultur  Kretas 
durchtränkt  wird,  ist  sie  auf  der  Insel  selbst  alsbald  innerlich 
erschlafit.  Die  Lebensformen  bleiben  die  gleichen,  der  Palast 
in  Knossos  wird  im  einzelnen  mehrfach  umgebaut  —  zu  den 
jüngeren  Räumen  („Spätrainoisch  11")  gehört  z.  B.  der  Thron- 
saal mit  Sitzbänken  und  einem  Königsthron  von  Alabaster 
und    zwei    ffroßen    im  Schilf    lagernden    Greifen    als  Wand- 


')  Behandelt  von  K.  Müller,  Arch.  Jahrb.  30,  2 94 ff.  894  ff.  Schlie- 
MANN,  Myk.  S.  206  ff.  307.  354.  364. 

2)  K.  Müller  S.  302  f.  Schliemann  S.  209.  306.  Vgl.  o.  S.  195  ff'. 

^)  Es  ist  sehr  möglich,  daß  auch  der  Goldring  mit  der  Vegeta- 
tionsgöttin und  dem  in  der  Luft  schwebenden  Palladion  oben  S.  193 
im  Auftrag  eines  mykenischen  Fürsten  gearbeitet  ist  und  die  hier  herr- 
schenden religiösen  Anschauungen  wiedergibt.  Aber  die  Konzeption 
und  die  Gestaltung  der  Gottheiten  ist  durchaus  kretisch. 


236      ^  •  D'is  >;riechische  Festliuid  und  die  mykenische  Kultur 

gemjilde.  Aber  das  frische  Leben  der  Kunst  schwindet,  der 
kecke  Naturalismus  entartet  zur  Manier,  die  die  einmal  ge- 
schaffenen Formen  festzuhalten  sucht,  aber  in  der  Ausführung 
immer  mehr  degeneriert  —  ein  charakteristisches  Beispiel 
dafür  ist  der  Abstand  der  Gemälde  des  Sarkophags  von  Hagia 
Triada  (o.  S.  202)  von  den  älteren  Kunstwerken.  In  der  Be- 
malung der  großen,  in  ihrer  Art  vollendeten  dreihenkligen 
Amphoren  des  sog.  Palaststils  ist  die  Nachbildung  der  Natur 
aufgegeben;  die  Pflanzen  und  Blüten,  die  Polypen,  die  Felsen 
und  Korallen  des  Meeresgrundes  werden  streng  schematisch 
stilisiert  und  der  architektonischen  Gliederung  des  Gefäßes 
untergeordnet  so  gut  wie  die  Spiralen  und  Wellenlinien  oder 
die  der  Architektur  entlehnten  Halbrosetten  (Triglyphen). 
Der  Farbenreichtum  der  älteren  Zeit  ist  völlig  geschwunden, 
man  malt  mit  schwarzem  Firnis  auf  hellem  Tongrund.  Auch 
neue  Gefäßforraen  kommen  auf,  so  die  Bügelkannen,  die  dann 
für  die  Folgezeit  charakteristisch  werden.  Äußerlich  hat  sich 
offenbar  nicht  viel  geändert,  und  die  Paläste  stehn  nach 
wie  vor  prächtig  da;  aber  deutlich  empfindet  man,  daß  die 
Schöpfungskraft  erlahmt  ist  und  das  innere  Leben  entweicht. 
Li  dieser  Epoche  langsamen  Niedergangs  ist  die  Lisel 
einer  verheerenden  Katastrophe  erlegen,  die  der  selbständigen 
Weiterentwicklung  der  kretischen  Kultur  ein  jähes  Ende  be- 
reitet hat.  Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  es 
Stämme  des  griechischen  Festlandes  gewesen  sind,  die  sie 
herbeigeführt  haben.  Die  kretische  Seemacht  war  offenbar 
nicht  stark  genug,  die  Scharen  der  Eindringlinge  abzuwehren; 
zu  Lande  aber  waren  die  Kreter  bei  ihrer  unzureichenden 
militärischen  Organisation  den  Fremden  nicht  gewachsen,  und 
die  unbefestigten  Städte  lagen  ihnen  schutzlos  offen.  So  wur- 
den alle  Städte  verwüstet,  die  Paläste  von  Knossos,  Phaestos, 
Hagia  Triada  wurden  niedergebrannt  und  liegen  seitdem  in 
Trümmern.  Nur  im  Osten,  in  Praisos  und  Polichne,  ver- 
mochte die  alte  Bevölkerung  sich  unabhäni^ig  zu  erhalten^); 


Vielleicht  gilt  das  gleiche  auch  von  den  Kydonen  im  Westen; 


Niedergang  Kretas.    Eroberung  durch  die  Griechen  237 

im  Hauptteil  der  Insel  aber,  vor  allem  in  Knossos,  gebieten 
fortan  nacb  der  Sagenüberlieferung,  die  auch  hier  auf  einer 
durchaus  zutreffenden  Tradition  beruht,  achaeische  Fürsten  0- 
Diese  Machthaber  haben  sich  auch  in  den  zerstörten 
Palästen  angesiedelt  und  einen  Teil  der  Räume  wieder  auf- 
gebaut*). Auch  von  der  älteren  Bevölkerung  sind  nicht  wenige 


da  dieser  bisher  für  die  ältere  Zeit  noch  gänzlich  unerforscht  ist,  läßt 
sich  darüber  nichts  ermitteln. 

')  Da  Beloch  (und  ihm  folgend  Kahrstedt,  Neue  Jahrb.  XXII 
1919,  71  tf.)  die  dorische  Wanderung  leugnet  und  die  Achaeer  zu 
Doriern  macht,  sind  ihm  natürlich  auch  die  kretischen  Achaeer  des 
Epos  (Idomeneus  u.  s.  w.)  Dorier  —  eine  Verirrung  der  Hyperkritik, 
die  prinzipiell  jeden  Versuch  verwirft,  die  Entwicklung  der  Sagen- 
überlieferung geschichtlich  zu  verstehn  und  aus  ihr  geschichtliche 
Tatsachen  zu  ermitteln.  Eine  lehrreiche  Parallele  zu  den  Schicksalen 
Kretas  bietet  die  Invasion  und  Eroberung  Englands  erst  durch  die 
skandinavisch  sprechenden  Dänen,  dann  durch  die  romanisierten  Nor- 
mannen. —  Über  Herodots  Darstellung,  sowie  über  die  Völkerliste 
1 175— 177s.o.S.215, 1.  Der  Dichter  versetzt  die  zu  seiner  Zeit  bestehenden 
Bevölkerungsverhältnisse  schon  in  die  troische  Zeit.  Über  die  Pelasger, 
die  er  neben  Achaeern,  Eteokretern,  Kydonen  und  Doriern  nennt, 
wissen  wir  sonst  nichts,  sowenig  wie  über  die  Kydonen;  es  ist  aber 
sehr  möglich,  daß  sie  schon  gleichzeitig  mit  den  Achaeern  aus  Thessa- 
lien nach  Kreta  gekommen  sind,  vielleicht  nach  Gortyn,  vgl.  o.  S.  218,  3, 
doch  ist  gegen  ethnographische  Konstruktionen  auf  Grund  der  Orts- 
namen, wie  sie  Fick,  Vorgriech.  Ortsnamen  190-5,  versucht  hat,  starke 
Zurückhaltung  dringend  geboten.  —  Vordorische  Elemente  in  Sprache 
und  Kultur  im  mittleren  Kreta,  im  Idagebiet  (Eleutherna,  Vaxos, 
Gortyn),  die  mit  dem  Arkadischen,  d.  i.  mit  der  Sprache  der  Achaeer 
des  Peloponnes  übereinstimmen,  bei  Solmskn,  Rhein.  Mus.  63,  332; 
bestätigt  durch  den  Namen  der  hier  auf  dem  Wege  von  Knossos  nach 
Gortyn  liegenden  Stadt  'Apx&Ssc.  Die  zahlreichen  Gräber  von  Arkades, 
mit  Leichenverbrennung  und  Gefäßen  geometrischen  und  orientalisieren- 
den  Stils,  gehören  der  folgenden  Epoche  an;  doch  werden  drei  kleine, 
später  noch  lange  zu  Beisetzungen  benutzte  Kuppelgräber  bis  ans  Ende 
der  mykenischen  Zeit  hinaufreichen  (Journ.  Hell.  Stud.  44,  278). 

2)  DöRPFELr>'s  Hypothese,  daß  die  Achaeer  ein  griechisches  Megaron 
in  den  älteren  Palast  gebaut  hätten,  ist  von  Mackenzie,  Annual  XI 
181  ff.,  und  NoACK,  Ovalhaus  und  Palast  in  Kreta  1908,  widerlegt  und 
jetzt  wohl  allgemein  aufgegeben. 


238      ^^-  D^s  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

offenbar  in  den  alten  Wohnsitzen  geblieben  und  haben  sich, 
vielleicht  als  Hörige,  der  Fremdherrschaft  gefügt.  So  setzen 
sich  denn  auch  die  Formen  der  alten  Kultur,  die  ja  auch 
den  Eroberern  nicht  mehr  fremd  war,  weiter  fort.  Aber  die 
Schöpferkraft  ist  völlig  geschwunden,  die  Bemalung  der  Ge- 
fäße und  ebenso  die  der  Tonsärge  in  Truhenform,  die  jetzt 
üblich  werden  (o.  S.  liOl),  zeigen  geistig  wie  technisch  den 
ständig  fortschreitenden  Verfall.  Auch  die  rohen  Idole  einer 
weiblichen  Gottheit,  bei  denen  der  Oberkörper  mit  plumpen 
Armen  aus  einem  Zylinder  herauswächst,  gehören  erst  dieser 
Zeit  an,  ebenso  die  Mehrzahl  der  Mützenidole  (S.  199).  Im 
übrigen  sind  natürlich  die  alten  Stätten  und  Formen  des  Kul- 
tus weiter  bestehn  geblieben  und  von  den  Griechen  über- 
nommen worden,  so  gut  wie  die  Sagengestalt  des  Zeussohnes 
Minos,  den  das  Epos  zum  Ahnen  der  achaeischen  Könige 
macht  ^). 

Für  die  Zeit  der  Katastrophe  bietet  einen  Anhalt  einer- 
seits, daß  nach  Thutmosis  III.  in  den  ägyptischen  Grabge- 
mälden unter  den  Gesandtschaften  aus  der  Fremde  die  Kafti 
nicht  mehr  erscheinen,  obwohl  die  kulturellen  Beziehungen 
zur  ägaeischen  Welt  fortbestehn  und  der  Import  der  von 
dort  bezogenen  Tongefäße  eher  noch  wächst,  und  daß  andrer- 
seits die  in  großen  Massen  im  Palast  Amenophis'  IV.  in  El 
Amarna  erhaltenen  Scherben  solcher  Gefäße  (darunter  zahl- 
reiche Bügelkannen)  durchweg  bereits  den  völlig  degenerierten 
Stil  (Late  Minoan  III)  zeigen,  und  ebenso  schon  manche  aus 
der  Zeit  Amenophis'  III.-)-  Demnach  werden  wir  den  Unter- 
gang des  kretischen  Reichs  und  die  Festsetzung  der  Achaeer 
auf  Kreta  spätestens  in  den  Anfang  der  Regierung  Ameno- 
phis' III.  rund  um  1400  ansetzen  dürfen. 


')  Genau    ebenso  eignen  sich  später  die  dorischen  Spartaner  die 
Gestalten  des  Agamemnon  und  Orestes  und  der  Tyndariden  an. 

*)  Sorgfältige  Zusammenstellung  des  Materials  oei  Fimmen  S.  16'2ff. 


Invasion  von  Kreta.    Fortbildung  des  mykenischen  Stils        239 

ä^^ykene  und  Tiryns.    Die  Kuppelgräber.    Das  argivische 
Königreich 

Inzwischen  war  die  Entwicklung  auf  dem  griechischen 
Festland  weiter  fortgeschritten.  Die  Denkmäler,  die  sie  ge- 
schaffen hat,  gehören  zum  Teil  noch  in  die  Zeit  vor  dem 
Falle  Kretas,  wie  z.  B.  die  Vasen  im  kretischen  Palaststil  im 
Kuppelgrab  von  Pylos  und  gleichartige  Scherben  aus  Mykene 
und  sonst  beweisen^).  Aber  bei  dem  Fehlen  jeder  Kunde 
über  den  geschichtlichen  Verlauf  ist  es  unmöglich,  innerhalb 
dieser  Entwicklung  den  Zeitpunkt  zu  bestiumien,  in  den  die 
Eroberung  Kretas  und  überhaupt  die  Ausbreitung  der  Griechen 
über  das  ägaeische  Meer  fällt;  wir  müssen  uns  darauf  be- 
schränken, das  Gesamtbild  der  Gestaltung  zu  zeichnen,  soweit 
sie  sich  aus  den  Monumenten  erkennen  läßt. 

Die  kretisch-mykenische  Mischkultur,  in  deren  erstes  Sta- 
dium die  Schachtgräber  von  Mykene  einen  Einblick  gewährt 
haben,  hat  sich  weithin  über  die  Küstenlandschaften  des 
Südens  und  Ostens  der  griechischen  Halbinsel  ausgebreitet. 
Vor  allem  in  der  argivischen  Ebene  ist  das  kretische  Kunst- 
gewerbe voll  eingebürgert;  es  entstehn,  zunächst  wohl  durch 
aus  Kreta  eingewanderte  oder  herübergeholte  Handwerker 
betrieben,  Fabriken  von  Tongefäßen ^),  in  denen  in  der  Ge- 
staltung und  Bemalung  die  jüngste  Form  des  kretischen  Stils 
(Late  Minoan  H)  beibehalten  wird,  nur  daß  die  rein  dekora- 
tive Stilisierung  der  Motive  sich  noch  weiter  fortbildet  und 
die  naturalistische  Wiedergabe  des  ursprünglichen  Vorbildes 


')  K.  MüixER,  Mitt.  atben.  Inst.  34,  318  f.  Er  weist  nach,  daß 
hier  eine  festländische  Variation  des  kretischen  Stils  (Spätminoisch  II) 
vorliegt;  aber  mit  Rtcht  nimmt  Reisinger,  Kret.  Vasenmalerei  39  f.  an, 
daß  sie  nicht  von  einheimischen,  sondern  von  kretischen  Fabrikanten 
gearbeitet  sind,  die  auf  dem  Festland  angesiedelt  waren;  sie  haben 
hier  die  kretischen  Formen  und  Motive  in  derselben  Weise  modifiziert, 
wie  wir  das  bei  den  Metallarbeiten  und  Siegeln  in  den  Schachtgräbern 
gesehn  haben. 

2)  Siehe  Kurt  Müller  über  die  Vasen  des  Palaststils  aus  Kako- 
vatos.  Mitt.  athen.  Inst.  34,  269  ff.,  und  Reisinger,  Kret.  Vasenmalerei  39  f. 


240      ^  •  I^'^*^  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

aus  der  Pflanzen-  und  Tierwelt  völlig  preisgegeben  wird^). 
Neben  diesen  eleganten  Waren,  deren  Formen  sich  durchweg 
als  Nachbildungen  metallener  Prunkgefäße  in  billigerem  Ma- 
terial erweisen,  hat  sich,  wenngleich  durch  die  führende  In- 
dustrie stark  zurückgedrängt,  bei  den  einheimischen  Hand- 
werkern nach  wie  vor  die  Fabrikation  der  altüberkommenen 
primitiven  Gefäße  mit  linearer  Ornamentik  in  Mattmalerei  für 
den  Hausgebrauch  und  die  ärmere  Bevölkerung  erhalten.  Auch 
in  den  Metallarbeiten  und  Siegeln  hat  der  kretische  Stil  die 
volle  Herrschaft,  und  ebenso  in  der  Dekoration  und  den  Wand- 
malereien der  Gebäude^).  Daneben  aber  ist  der  Steinbau  zu 
voller  Entwicklung  gelangt;  man  hat  gelernt,  die  gewaltigen 
Blöcke,  sowohl  polygonal  wie  in  rechteckigen  Quadern,  zu- 
nächst mit  der  Axt,  dann  auch  mit  der  Säge,  regelrecht  zu  be- 
arbeiten und  aneinanderzufügen.  Die  Technik  des  Bogenbaus 
ist  dieser  Zeit  noch  völlig  fremd;  aber  durch  Überkragung, 
durch  reihenweises  Vorschieben  der  Blöcke,  die  durch  den  auf 
ihnen  lastenden  Druck  in  ihrer  Lage  festgehalten  werden, 
vermag  man  einen  Raum  zu  überdecken  und  so,  mit  gewal- 
tiger Kraftanstrengung,  den  Eindruck  zu  schaffen,  den  in  der 
entwickelten  Baukunst  ein  spitzbogiges  Gewölbe  erzeugt.  Die 
Dekoration,  die  jetzt  in  Stein  umgesetzten  Holzsäulen,  deren 
nach  unten  sich  verjüngende  Gestalt  beibehalten  wird,  die 
Wandmalereien,  die  Friese  an  den  Sockeln  mit  Halbrosetten 
und  Palmetten  (sog.  Triglyphenfriese  o.  S.  175.  187),  mit  ein- 
gelegten Würfeln  von  bläulichem  Glasfluß,  sind  aus  Kreta 
übernommen;  aber  in  den  gewaltigen  Steinbauten  und  ebenso 
in  dem  von  dem  kretischen  völlig  abweichenden  Grundriß  der 


1)  Es  ist  der  „dritte  mykenische  Stil"  Fcrtwängler's  undLöscHCKE's 
(Myken.  Tongefäße  1879;  Myken.  Vasen  1886),  der  dann  allmählich 
in  den  völlig  degenerierten  , vierten  Stil"  übergeht. 

")  Die  Scherben  mit  kretischen  Schriftzeichen,  die  sich  vereinzelt 
in  Tiryns  und  Orchomenos  gefunden  haben,  sind  offenbar  aus  Kreta 
importiert.  Wenn  die  Griechen  der  mykenischen  Zeit  selbst  geschrieben 
hätten,  müßte  in  der  Masse  der  Funde  die  Schrift  viel  häufiger  vor- 
kommen und  überdies  eine  Nachwirkung  ausgeübt  haben,  von  der  sich 
keine  Spur  findet. 


Fortentwicklung  des  Steinbaus.  Tor  und  Palast  von  Mykene      241 

Paläste  offenbart  sich  die  Selbständigkeit  und  die  Energie  der 
festländischen  Bevölkerung. 

In  Mykene  ist  die  alte  Burgmauer  ausgebessert  und  durch 
einzelne  Türme  verstärkt,  und  vor  allem  am  Eingang  durch 
Einbeziehung  des  Gräberrundes  erweitert  worden.  Hier,  am 
Haupttor  und  dem  dasselbe  schützenden  Turm,  ist  die  Außen- 
seite der  Mauer  nicht  polygonal,  sondern  in  regelrecht  ge- 
schichteten Steinquadern  aufgeführt.  Auf  den  Türpfosten  ruht 
ein  riesiger  Steinbalken,  über  dem  zur  Entlastung  ein  drei- 
eckiger Raum  ausgespart  ist;  in  diesen  ist  eine  Kellefplatte 
von  Kalkstein  eingesetzt,  auf  der  eine  kretische  Säule  mit 
Unterbau  und  Gebälk  von  zwei  mächtig  aufgerichteten  Löwen 
flankiert  wird  —  eine  nach  Art  der  Siegelbilder  der  kretischen 
Kultbauten  wappenartig  abgekürzte  Darstellung  des  Königs- 
palastes und  der  Macht  des  in  ihm  thronenden  Herrschers. 
Außer  diesem  Tor,  durch  das  die  Fahrstrecke  zum  Palast 
hinaufführt  und  von  dem  alle  Straßen  in  die  Landschaft 
ausgehn,  besitzt  Mykene  nur  noch  eine  Ausfallspforte  auf  der 
Rückseite,  die  den  Zugang  zur  Quelle  Persaia  weiter  oben 
in  der  Schlucht  gestattet.  Später  ist  dann  hier  im  Osten  vor 
der  Mauer  noch  ein  Wasserreservoir  angelegt,  zu  dem  ein 
geheimer  Treppengang  durch  die  Mauer  hinabführt. 

Vom  Palast  von  Mykene  ist  nur  ein  Teil  der  Grund- 
mauern nebst  dem  Treppenaufgang  erhalten.  Doch  haben 
sich  aus  dürftigen  Resten  der  Wandgemälde,  die  sich  hier 
im  Schutt  gefunden  haben,  die  Fresken  rekonstruieren  las- 
sen, mit  denen  die  Wände  des  Megaron  bemalt  waren.  Sie 
stellen,  wie  später  unter  Sethos  L  im  Tempel  zu  Karnak,  in 
fortlaufender  Reihe  einen  Kriegszug  dar,  das  Lager,  den  Aus- 
zug zum  Kampf  und  die  Schlacht;  wie  auf  den  Silbervasen 
der  Schachtgräber  ist  auch  hier  Tracht  und  Bewaffnung  die 
mykenische^).   Dazu  kommt  das  Gemälde  einer  Votivtafel,  auf 

')  Eingehend  behandelt  und  glänzend  rekonstruiert  sind  die  Ge- 
mäldereste (und  ebenso  der  Belag  des  Fußbodens)  von  Rodenwaldt,  Fries 
des  Megarons  von  Mykenai,  1921,  vgl.  vorher  Mitt.  athen.  Inst.  36,  221  ft"., 
sowie  Tiryns  11  184 f.  200  f.  Weitere  Bruchstücke  im  Annual  2-5,  162  fif.. 
Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    II'.  16 


242      ^-  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

der  das  Schildidol  der  Kriegsgöttin  ganz  im  kretischen  Stil 
von  zwei  Frauen  verehrt  wird^). 

An  die  Burg  schließt  sich  die  Unterstadt  auf  dem  nie- 
drigeren, rechtwinklig  an  sie  ansetzenden  Höhenrücken.  Sie 
war  unbefestigt^)  und  scheint,  wie  das  homerische  Beiwort 
(IL  A  52)  „weitstraBig"  zeigt,  mehr  dorfartig  besiedelt  ge- 
wesen zu  sein.  Der  Hügel  hat  zugleich  als  Nekropole  gedient; 
an  den  Abhängen  zerstreut  liegen  die  großen   Kuppelgräber. 

Neben  Mykeue  steht  eine  zweite  Herrscherburg  in  Tiryns 
auf  einem  niedrigen  Hügel  unweit  des  Meeres  und  der  durch 
einen  Felsvorsprung  gebildeten  Bucht  von  Nauplia.  Auf  dem 
von  einem  Mauerring  umschlossenen  Hügel  lag  ein  Palast, 
von  dessen  den  mykenischen  gleichartigen  Wandgemälden  sich 
gleichfalls  einige  Reste  erhalten  haben ^).  In  der  Folgezeit, 
etwa  um  1300,  ist  die  ältere  Anlage  durch  einen  mächtigen 
Neubau  ersetzt  worden.  Der  gesamte  Hügel,  einschließlich  der 
niedrigeren  Unterburg,  wird  von  einem  mächtigen  Mauerring 
umzogen,  dessen  durch  Überkragung  überwölbte  Kasematten 

235  ff.,  behandelt  von  Miss  W.  Lamb  [ferner  aus  dem  „lamphouse", 
Annual  24,  18V* ff.];  dazu  Rodenwaldt  im  Gnomon  1926,  2t2ff  Auf 
die  Diskussion  über  die  Datierung  kann  ich  nicht  eingehn;  sicher  ist 
nur.  daß  die  Gemälde  von  Mykene  mit  denen  des  älteren  Palastes  von 
Tiryns  zusammengehören,  also  wohl  rund  um  1400,  sei  es  nun  einige 
Jahrzehnte  vor  oder  auch  nach  der  Er.  be.  ung  Kretas  anzusetzen  se.n 
werden,  ebenso  wie  die  Erbauung  des  Löwentors;  weiter  zu  gelangen 
ist  bei  unserem  Material  unmöglich. 

')  Rodenwaldt,  Mitt.  athen.  Inst    37.  129  ff. 

')  Die  schwache,  aus  kleinen  Steinen  erbaute  Mauer  der  Unter- 
stadt, von  der  einige  Reste  erhalten  sind,  gehört  erst  der  hellenisti- 
schen Zeit  an.  s.  Boethius  im  Annual  25,  417. 

')  Vorher  hat  hier  schon  eine  ältere  Ansiedlung  gelegen,  von  der 
ein  großer  Rundl>au  aus  Ziegeln  unter  dem  l'alaste  teilweise  erhalten 
ist.  —  Die  bahnbreihenden,  von  Dörpfeld  vortrefflich  bearbeiteten  Er- 
gebnisse der  Ausgrabung  Schliemxnn's  (1886)  sind  ^either  durch  deutsche 
Ausgrabungen  unter  Karo's  Leitung  wesentlich  erweitert  worden,  über 
die  ein  Hbschließender  Hericht  noch  aussteht.  Für  die  Gemälde  Roden- 
waldt. Tiryns  II  1912;  für  die  nachmykenische  Zeit  und  den  Hera- 
tempel Frickenhaus,  Tiryns  I  1912.  Übersicht  bei  Karo,  Führer  durch 
die  Ruinen  von  Tiryns  1915. 


Burg  und  Palast  von  Tiryns  243 

eine  der  eindrucksvollsten  Schöpfungen  der  mykenischen  Ar- 
chitektur darstellen.  Die  Oberburg  umschließt  den  Palast,  in 
dem  die  von  den  kretischen  völlig  abweichende  Anlage  der 
mykenischen  Paläste  ihren  vollendeten  Ausdruck  gefunden  hat. 
Von  Osten  her  führt  der  Weg  durch  ein  mächtiges  Tor  hinauf 
zur  Eingangshalle  (Propylon)  des  großen  Hofs  vor  der  Front 
des  Palastes.  Von  ihm  gelangt  man  durch  ein  zweites  Pro- 
pylon in  einen  großen,  rings  von  Säulenhallen  umgebenen  Hof, 
in  dessen  Mitte  der  Altar  des  Zeus  herkeios  steht,  und  aus 
diesem  durch  eine  lichte  Eingangshalle  nebst  anschließendem 
Vorzimmer  in  den  Hauptraum,  den  Männersaal  (Megaron)  mit 
dem  Hausherd  unter  einer  Öffnung  des  von  vier  Holzsäulen 
getragenen  Daches  und  dem  erhöhten  Königssitz  an  der  Längs- 
wand. Dieser  Zentralbau  beherrscht,  in  bezeichnendem  Gegen- 
satz gegen  die  kretischen  Paläste,  die  gesamte  Anlage  und 
schafft,  in  organischer  Verbindung  mit  den  mächtigen  ihn 
umschließenden  Festungsmauern,  einen  einheitlichen  Gesamt- 
eindruck, der  dort  völlig  fehlt.  Die  Einzelgestaltung  dagegen 
ist,  wie  in  Mykene,  durchweg  von  den  kretischen  Vorbildern 
abhängig,  so  die  Holzsäulen,  die  Alabaster friese  mit  Halb- 
rosetten und  eingelegtem  Glasfluß,  die  Bemalung  des  Fuß- 
bodens mit  einem  Teppichmuster,  das  zwischen  Gewebe  nach- 
bildenden Quadraten  abwechselnd  Delphine  und  Polypen  ein- 
setzt. Rings  um  das  Megaron  liegen,  wie  in  Kreta,  ohne 
einheitlichen  Plan  zahlreiche  Kammern  und  Korridore i);  auch 
ein  Badezimmer  fehlt  hier  so  wenig  wie  dort'-^);  vortreff'lich 
gesorgt  ist  für  Wasserleitung  und  Kanalisation.  Die  Wand- 
gemälde stellen  eine  Frauenprozession  und  Jagden  dar,  ferner 
eine  über  einen  Stier,  den  sie  bei  den  Hörnern  packt,  hin- 
wegspringende Frau.  Diese  Form  des  Kampfspiels  ist  also  auch 
auf  dem  Festlande  übernommen  worden.  Künstlerisch  zeigen 
diese  Gemälde  einen   gewaltigen  Rückschritt   gegenüber  den 


')  Darunter  auch  ein  zweites  kleineres  Megaron  mit  Vorhof,  in 
dem  man  wohl  mit  Recht  das  Frauengemach  erkennt. 

'}  Das  homerische  Wort  aoativSo?  ist  deutlich  eins  der  vielen 
Lehnworte  aus  einer  fremden  Sprache  von  kleinasiatischem  Typus. 


244      ^-  D^^  griecliische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

altern;  wie  auf  Kreta  ist  auch  auf  dem  Festlande,  wenn  auch 
etwas  später,  die  künstlerische  Kraft  nach  kurzer  Blütezeit 
ständig  weiter  gesunken  und  der  Routine  erlegen. 

Unter  der  Festung,  deren  Unterburg  in  Kriegszeiten  als 
Zufluchtsstätte  für  Menschen  und  Vieh  dienen  konnte,  liegt 
auch  hier  die  offene  Ortschaft;  ein  schmaler,  durch  eine  starke 
Vormauer  gesicherter  Treppenweg  führt  an  der  Westseite  un- 
mittelbar zu  ihr  hinab. 

Daß  so  in  der  argivischen  Ebene  zwei  Königsburgen 
dicht  nebeneinander  liegen  —  der  Abstand  beträgt  nur  15  Kilo- 
meter') — ,  hat  vielfach  zu  der  Annahme  geführt,  daß  die 
durchaus  einheitliche  Landschaft  jahrhundertelang  in  zwei 
selbständige  Fürstentümer  zerrissen  gewesen  sei.  Indessen 
eine  solche  Trennung  des  Küstengebiets  von  dem  Binnen- 
lande ist  geographisch  wie  historisch  eine  Unmöglichkeit; 
Mykene  ist  ohne  rege  Verbindung  mit  dem  Meere  ganz  un- 
denkbar. Eine  Bestätigung  bietet  das  große  Straßennetz,  das 
vom  Löwentor  Mykenes  ausgeht.  Längs  der  Gebirgsabhänge 
sind  diese  Straßen  in  zahlreichen  Überresten  erhalten.  Sie 
sind  alle  im  „kyklopischen"  Stil  erbaut:  am  Abhang  wird 
durch  Absprengen  von  Felsblöcken  und  Aufschichten  der- 
selben an  der  anderen  Seite  eine  schmale  Fahrstraße  von 
3'/..  Meter  Breite  geschaffen,  die,  nachdem  die  Höhe  gewonnen 
ist,  möglichst  horizontal  geführt  wird  und  daher  auch  weite 
Ausbuchtungen  nicht  scheut.  Alle  die  zahlreichen  Gießbäche 
und  Wasserdurchlässe  sind  im  kyklopischen  Stil  durch  Über- 
kragung mit  großen,  roh  behauenen  Blöcken  überbrückt. 
Deutlich  sind  diese  Straßen  für  die  leichten,  zweirädrigen 
Kriegswagen  erbaut,  die  so,  auf  ebenen  Wegen,  das  Land 
rasch  durchjagen  und  in  kurzer  Zeit  überall  eingreifen  konn- 
ten. Drei  dieser  Straßen  führen  ins  Gebirgsland  im  Norden 
und  Osten  und  weiter  bis  zum  Isthmus,  eine  vierte  südwärts 
oberhalb   der  Ebene   nach  Prosymna   mit   der  Kultstätte  der 


')  Er  ist  also  weit  geringer  als  der  zwischen  Rnossos   und  Phai 
stos,  die  überdies  durch  einen  (iebirgsrücken  getrennt  sind. 


Mykene  und  Tiryns.    Das  Straßennetz  245 

Landesgöttin  Hera.  Es  kann  nicht  zweifelhaft  sein,  daß  diese 
Straßen  sich  auch  in  der  Ebene  —  wo  sie  natürlich  nicht 
mehr  erhalten  sind  —  bis  nach  Tiryns  und  zum  Meere  und 
ebenso  durch  das  Hinterland  nach  Osten  fortgesetzt  haben; 
hier  hat  sich  auf  der  Straße  nach  Epidauros  noch  eine  mäch- 
tige Brücke  des  gleichen  Stils  erhalten')-  Dieses  einheitliche, 
planmäßig  angelegte  Straßennetz  beweist  die  beherrschende 
Stellung  und  die  festbegründete  Staatsmacht  Mykenes  und 
widerlegt  noch  zwingender  als  die  Denkmäler  der  Stadt  selbst 
die  weitverbreitete  Ansicht,  daß  in  der  mykenischen  Epoche 
die  politischen  Zustände  noch  primitiver  und  zersplitterter 
gewesen  seien  als  in  der  homerischen  Zeit.  Die  letztere  ist 
vielmehr  eine  Zeit  fortschreitender  Zersetzung  und  Atomi- 
sierung;  aber  diesen  mittelalterlichen  Zuständen  voraus  lie- 
gen auch  hier  weit  kräftigere  staatliche  Gebilde,  in  derselben 
Weise,  wie  der  Zersplitterung  des  germanischen  Mittelalters 
das  Frankenreich  und  das  Reich  Karls  des  Großen,  und  in 
Ägypten  der  Feudalzeit  des  Mittleren  Reichs  der  Einheitsstaat 
der  Pyramidenerbauer  vorangeht. 

Mithin  kann  Tiryns  niemals  ein  selbständiger  Staat  ge- 
wesen sein,  sondern  nur  eine  zweite  Königsstadt  im  Reich 
von  Mykene.  Es  wird  gegründet  sein,  um  dem  Meer  möglichst 
nahe  zu  sein.  Der  Gedanke,  etwa  auf  dem  Hügel  von  Nauplia 
oder  gar  auf  dem  steil  darüber  aufragenden  Burgfelsen  des 
Palamidi  eine  Stadt  und  ein  Schloß  zu  erbauen,  lag  dieser 
Epoche,  die  durchweg  —  so  z.  B.  auch  in  Athen  —  die  expo- 
nierte Lage  unmittelbar  am  Meer  scheut,  noch  völlig  fern; 
der  Hügel  von  Tiryns  dagegen  bot  alles,  was  man  begehren 
konnte.  Es  mag  die  bevorzugte  Residenz  der  Herrscher  ge- 
worden sein;  so  wird  es  weit  glänzender  ausgebaut  als  das 
seinen    altertümlichen  Charakter  bewahrende  Mykene -)• 


')  Das  Straßennetz  ist  von  Steffen,  Knrten  von  Mykene  1884, 
klargelegt.  Die  Brücke  auf  der  Straße  nach  Epidauros  (TbUNTAs-MANATi- 
p.  37)  hat  er  dahei  auffallenderwei&e  nicht  berücksichtigt. 

')  Das  Verhältnis  der  beiden  Städte  zueinander  wird  ähnlich 
gewesen  sein  wie  später  das  von  Assur  zu  Kalach  und  Ninive,  in  denen 


246     ^'^-  ^^^  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

Auch  die  anderen  Ortschaften  der  Argohs,  in  denen  sich 
Überreste  aus  mykenischer  Zeit  gefunden  haben,  so  Prosymna 
(beim  Heraeon),  Mideia,  Naupha  und  weiter  südlich  die  Burg 
von  Asine  sowie  die  Orte  der  Akte,  auch  der  Hügel  der 
Aspis  von  Argos  u.  a.  sind  wohl  Sitze  von  Adelsgeschlech- 
tern gewesen ;  aber  diese  waren  nicht  unabhängige  Dynasten, 
sondern  zum  Kriegsdienst  verpflichtete  Gefolgsleute  der  my- 
kenischen  Könige.  Das  wird  dadurch  bestätigt,  daß  sich  zwar 
in  diesem  Gebiete  überall  Felsgräber  mit  mykenischen  Scherben 
finden,  aber  Kuppelgräber  nur  drei,  eins  bei  Prosymna  (dem 
Heraeon),  eins  bei  Mideia,  mit  außerordentlich  reicher  Aus- 
stattung, eins  bei  Tiryns.  Dem  gegenüber  stehn  die  neun 
Kuppelgräber  von  Mykene;  deutlich  zeigt  sich,  daß  dies  dauernd 
die  Hauptstadt  des  Reichs  geblieben  ist,  in  der  die  Könige 
sich  ihre  Grabstätten  erbauten,  während  an  den  anderen  Orten 
nur  gelegentlich  einmal  ein  zu  größerer  Macht  gelangter  Dynast 
sich  ein  gleichartiges  Grabmal  errichtet  hat.  Bei  dem  völligen 
Fehlen  geschichtlicher  Überlieferung  ist  es  unmöglich,  in  den 
zeitlichen  Verlauf  der  politischen  Entwicklung  und  die  gewiß 
wiederholt  vorgekommene  Verschiebung  der  Machtverhältnisse 
einen  näheren  Einblick  zu  gewinnen. 

Mit  diesen  Grabbauten  ist  die  voll  entwickelte  mykenische 
Blütezeit  weit  über  die  Epoche  der  Schachtgräber  hinausge- 
schritten. Die  vornehmen  Magnaten  legen  ihre  Gräber,  die 
wahrscheinlich  als  Geschlechtsgräber  gedient  haben,  in  den 
Felswänden  an;  zu  der  rechteckigen  Kammer  führt  durch 
diese  ein  Zugang,  der  dann,  wenn  das  Grab  nicht  mehr  be- 
nutzt wird,  vermauert  und  mit  Felsblöcken  verschüttet  wird. 
Für  das  Königsgrab  dagegen  wird  im  Felsen  eine  große  Höh- 
lung ausgeschachtet  und  in  dieser  ein  mächtiger  Rundbau 
aufgeführt,  der  durch  konzentrische  Steinringe  von  stetig  ab- 
nehmendem Durchmesser  gebildet  ist,  so  daß  sich  der  Bau 
nach  oben  bienenkorbartig  wölbt  und  endlich  durch  einen 
Schlußstein  gedeckt  werden  kann.  Dann  wird  der  Bau  mit  Erde 

man   auch,   wenn    alle   geschichtlichen  Nachrichten    fehlten,    die  Sitze 
verschiedener  Reiche  suchen  könnte. 


Die  Kuppelgräber  247 

überschüttet.  Den  Zugang  bildet  auch  hier  ein  langer  in  den 
Felsen  geschnittener  Gang  (Dronios)  mit  verschließbarer  Tür. 
Die  neun  verstreut  auf  den  Abhängen  des  Hügels  der 
Unterstadt  liegenden  Kuppelgräber  von  Mykene  lassen  einen 
ständigen  Fortschritt  der  Technik  erkennen.  Die  primitivsten 
sind  „kyklopisch"  aus  kleinen,  nur  flüchtig  behauenen,  un- 
regelmäßig zusammengefügten  Steinen  erbaut,  an  den  Fels- 
wänden des  Dromos  fehlt  jede  Bekleidung,  die  Eingangstür 
ist  mit  mehreren  Steinblöcken  überdeckt.  Bei  einem  (dem 
sog.  Grab  des  Aegisthos)  ist  ihr  später  ein  besseres  Portal 
mit  Pfeilern  aus  regelrecht  behauenen  Quadern  vorgesetzt. 
Allmählich  verbessert  sich  dann  die  Bauweise,  der  Dach- 
balken des  Tores  ist  größer  und  sorgfältig  behauen  und  dar- 
über ein  Entlastungsdreieck  ausgespart,  auch  der  Dromos 
wird  mit  Mauern  eingefaßt,  Quadern  werden  häufiger  ver- 
wendet. Die  vollendete  Form  ist  erreicht  in  dem  von  der  an- 
tiken Tradition  als  Schatzhaus  des  Atreus  bezeichneten  Grabe; 
durch  die  Großartigkeit  seiner  Dimensionen,  die  innere  Ge- 
schlossenheit der  Anlage  und  die  Präzision,  mit  der  die  ge- 
waltigen Steinblöcke  behauen  und  zusammengefügt  sind,  ge- 
hört dieser  Riesenbau  zu  den  wirkungsvollsten  Schöpfungen 
der  Architekturgeschichte  und  stellt  sich  neben  die  Pyramiden 
Ägyptens.  Die  Wände  des  Kuppelraums  waren  mit  bron- 
zenen Rosetten  geschmückt;  für  die  Leichen,  die  sonst  im 
Fußboden  beigesetzt  wurden,  ist  eine  große  viereckige  Kammer 
angefügt,  so  daß  der  Hauptraum  hier  lediglich  den  Totenfeiern 
dient.  Die  Eingangstür  ist  (wie  auch  die  der  Leichenkammer) 
mit  einer  riesigen  Steinplatte  überdeckt,  mit  dem  Entlastungs- 
raum darüber;  die  Türpfosten  waren  außen  mit  reich  deko- 
rierten Halbsäulen  verkleidet,  die  sich  nach  Art  der  kreti- 
schen Holzsäulen  nach  unten  verjüngen.  Auch  der  Dromos 
ist  ganz  von  Quaderwänden  eingefaßt.  Dies  Grab  ist  deut- 
lich gleichzeitig  mit  dem  Löwentor  und  vermutlich  von  dem- 
selben Herrscher  errichtet.  Jünger  ist  dann  das  zierliche, 
am  Eingang  mit  kannelierten  Halbsäulen  geschmückte  Grab 
in  der  Nähe  des  Löwentors,  das  jetzt  als  „Grab  Frau  Schlie- 


248      V.  Das  griediifche  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

nianns"  oder  „Grab  der  Klytämnestra"  bezeichnet  wird.  Da- 
mit oder  mit  dem  vielleicht  noch  jüngeren  und  wesentlich 
kleineren  „Tomb  of  Genii",  das  zu  wiederholten  Bestattungen 
benutzt  zu  sein  scheint,  bricht  die  Reihe  ab^).  So  haben  wir 
in  den  neun  Gräbern  eine  Folge  von  mindestens  neun  Kö- 
nio-en,  die  zusammen  über  zwei  Jahrhunderte  lang,  also  rund 
von  1480 — 1230,  regiert  haben  werden. 

Diese  Monumente  zeigen  die  gewaltige  Bedeutung,  welche 
der  Totendienst  gewonnen  hat.  Nahezu  in  demselben  Um- 
fang wie  in  den  Zeiten  des  Alten  Reichs  Ägyptens  wird  ein 
Hauptteil  der  Machtmittel  des  Herrschers  wie  der  Magnaten 
dazu  verwendet,  ihren  Leichen  eine  würdige  Ruhestätte  zu 
schaffen.  Für  die  Ausstattung  des  Daseins  im  Totenreiche 
wird  dem  Gestorbenen  der  kostbarste  Teil  seiner  Habe  mit- 
gegeben^). Diener  (vielleicht  zum  Teil  Kriegsgefangene,  wie 
bei  Patroklos  in  der  Uias)  und  Dienerinnen  wurden,  wie  die 


')  Die  eingehende  Untersuchung  der  mykenischen  Kuppelgräber 
durch  Wace,  Annual  25,  283  ff.,  hat  erwiesen,  daß  sie  sich  in  eine 
kontinuierliche  Entwicklungsreihe  einfügen.  Früher  hatte  ich  geglaubt, 
daß,  wie  bei  den  Pyramiden,  das  vollkommenste  Grab,  das  des  Atreus, 
auch  eines  der  ältesten  sei  und  dann  die  Leistungsfähigkeit  erlahmt 
sei,  eine  Ansicht,  an  der  Evans,  J.  Hell.  Stud.  45,  75  und  264.  auch 
jetzt  noch  gegen  Wage  festhält  [dagegen  Wace,  J.  Hell.  Stud.  46,  llOff.l- 
Indessen  der  Nachweis  der  aufsteigenden  Entwicklung  erscheint  strin- 
gent;  und  daß  im  „Grabe  des  Aegisthos"  dem  älteren,  zu  dem  ,Cy- 
Clopean  Tomb"  und  dem  ,Epano  Phournos"  stimmenden  Portal  ein 
aus  Quadern  erbautes  vorgelegt  ist,  das  den  Übergang  zu  den  folgen- 
den Gräbern  bildet,  beseitigt  vollends  jeden  Zweifel.  Dann  ist  aber 
auch  die  Folgerung  unabweislich.  daß  die  Kuppelgräber  sämtlich 
Königsgräber  sind  und  nicht,  wie  Tsüntas  annahm,  zum  Teil  Familien- 
gräber des  Adels,  der  in  den  Dörfern  gesessen  habe,  in  die  er  die  Unter- 
stadt von  Mykene  auflöst;  denn  dann  könnten  sie  nicht  eine  chrono- 
logische Folge  darstellen,  sondern  müßten  wenigstens  zum  Teil  gleich- 
zeitig sein. 

^)  Die  großen  Grabbauten  sind,  analog  den  Königsgräbern  des 
Neuen  Reichs,  oflenbar  mindestens  ebenso  reich  ausgestattet  gewesen 
wie  die  Schaclitgräber;  daher  nennt  die  griechische  Tradition  sie 
, Schatzhäuser".  In  Mykene  sind  sie  früh  ausgeplündert;  in  Vaphio, 
Asine,  Kakovatos  u.  a.  ist  ein  Teil  der  Schätze  erhalten. 


Der  Totendienst.    Das  Reich  von  Mykene  249 

gefundenen  Gebeine  bestätigen,  am  Grabe  geschlachtet,  ebenso 
die  Rosse.  Dazu  kommen  die  Totenopfer,  deren  Blut  in  die 
Erde  fließt;  denn  der  Totengeist  bedarf  des  Blutes,  um  sein 
gespenstisches  Dasein  lebendig  zu  erhalten.  Daß,  genau  wie 
später,  an  bestimmten  Tagen  die  Nachkommen  sich  immer 
wieder  zu  Totenfeiern  versammelten  und  Leichenschmäuse  mit 
Opfergaben  hielten,  zeigen  die  zahlreichen  Scherben  aus  jün- 
gerer Zeit,  die  sich  in  den  Gräbern  finden.  Auch  an  Leichen- 
spielen, vor  allem  Wettrennen,  wird  es  jetzt  so  wenig  gefehlt 
haben  wie  in  der  homerischen  und  nachhomerischen  Zeit;  viel- 
mehr ist  das  ein  Brauch,  der  bis  in  die  Urzeit  zurückreicht. 

In  dieser  Gestaltung  des  Totendienstes  mit  seinen  strengen 
und  blutigen  Forderungen  tritt  ebenso  wie  im  Kriegswesen 
und  den  Festungsbauten  der  Gegensatz  gegen  Kreta  mit  seiner 
heiter-sorglosen  Auffassung  des  Lebens  deutlich  zutage.  Wie 
wir  gesehn  haben,  sind  diese  Grabformen  mit  Steinbau  und 
Überkragung  gegen  Ende  der  Selbständigkeit  Kretas  auch 
dorthin  übertragen  worden,  aber  in  weit  unvollkommenerer 
Form;  an  das  Kuppelgrab  des  Atreus  reicht  das  Grab  von 
Isopata  (S.  201)  nicht  entfernt  hinan. 

Mit  dem  aus  den  Denkmälern  gewonnenen  Bilde  stimmt 
die  griechische  Sagentradition  in  ihren  wirklich  bis  in  die  ray- 
kenische  Epoche  zurückreichenden  Bestandteilen  vollständig 
überein.  In  ihr  bildet  die  argivische  Landschaft  ein  einheit- 
Hches  Reich,  dessen  Herrscher  weithin  über  die  griechische 
Welt  gebietet.  In  der  Sage  vom  troischen  Kriege  ist  es  der 
König  von  Mykene,  Agamemnon,  „der  mächtig  über  alle  Ar- 
giver  gebietet  und  dem  die  Achaeer  gehorchen";  mit  seinem 
Szepter,  das  seine  Vorfahren  von  Zeus  durch  den  Götter- 
boten  Hermes  erhalten  haben,  herrscht  er  über  viele  Inseln 
und  ganz  Argos  —  dieser  Name  umfaßt  hier  und  an  zahl- 
reichen gleichartigen  Stellen,  wie  die  alten  Grammatiker  richtig 
erklären,  den  ganzen  Peloponnes^);  die  übrigen  „Könige",  die 

')  IL  A  78.  B  100  ff.  Neben  'Ap^elot  wird  promiscue  Aivrxot  und 
'Ax^i'-i  zur  Bezeichnung  der  Gesamtheit  der  verbündeten  Griechen  ver 
wendet. 


250      ^-  ^^^  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

sich  zum  Kampf  gegen  Troja  verbunden  haben,  sind  seine 
Gefolgsleute,  die  sich,  so  oft  sie  sich  auflehnen  mögen  und  so 
sehr  er  an  ihren  Beirat  gebunden  ist,  schließlich  doch  immer 
seiner  Übermacht  fügen  müssen.  Der  Zeit  des  Epos  ist  eine 
umfassende  Staatsgewalt  längst  fremd  geworden,  sie  kennt  nur 
eine  Fülle  selbständiger  Kleinstaaten;  umso  weniger  kann  diese 
Gestaltung  von  ihr  neu  geschahen  sein,  sondern  sie  beruht 
auf  alter  und  echter  Tradition,  die  in  den  jüngeren  Schichten 
des  Epos  mehr  und  mehr  verblaßt.  Das  Königsgeschlecht,  in 
dem  ein  Seniorat  herrscht,  so  daß  auf  den  verstorbenen  Herr- 
scher sein  Bruder  und  dann  dessen  ältester  Neffe  folgt  ^),  führt 
seinen  Stammbaum  auf  Pelops  zurück.  Dieser  Name  stellt 
sich  zu  den  zahlreichen  alten  Volksnamen  mit  dem  Suffix  -op 
(vgl.  u.  S.  270)  und  mag  daher  ursprünglich  ein  verschollener 
Volksstamm  gewesen  sein;  dauernd  lebendig  geblieben  ist  er 
nur  dadurch,  daß  die  ganze,  durch  den  Isthmus  vom  Festlande 
getrennte  Halbinsel  den  Namen  „Pelopsinsel"  trägt.  Auch  da- 
rin spricht  sich  die  Machtstellung  aus,  welche  das  von  ihm 
abgeleitete  Herrschergeschlecht  besessen  hat. 

Auch  in  der  Heraklessage  residiert  Eurystheus,  der  Herr- 
scher aus  Zeus'  Geschlecht,  dem  Zeus  die  Herrschaft  „über  alle 
Umwohner"  verheißen  hat  und  dem  daher  auch  Herakles 
dienstbar  werden  muß,  in  Mykene;  hierhin  bringt  ihm  Herakles 
regelmäßig  die  Beutestücke  "0-    In  dem  dritten  großen  Sagen- 

')  So  ist  die  Königsfolge  in  der  Ilias  B  105  ff.:  auf  Pelops  folgt 
sein  Sohn  Atreus,  dann  dessen  Bruder  Thyestes,  dann  Atreus'  Sohn 
Agamemnon;  dieser  wird  dann  von  Thyestes'  Sohn  Aegisthos  er- 
mordet Bekanntlich  ist  die  Ableitung  des  Pelops  von  Tantalos  und 
aus  Lydien  dem  homerischen  Epos  noch  fremd,  und  ebenso  ist  die 
Sage  von  den  Greueltaten  des  Atreus  und  Thyestes  hier  fernzuhalten. 

'l  In  der  Ilias  T  115  wird  Eurystheus  im  'kfjfoi;  'Ax'utxöv  geboren; 
o;  iiavTeo3t  neptxtiövs:o'.v  ävä^ei  v.  104  =  109  wird  1-22  durch  o;  'Af/^u- 
oiatv  ävd^n  ersetzt.  In  Mykene  residiert  er  0  Ö38ff.,  und  so  durchweg 
in  den  Heraklesabenteuern.  Mehrfach  (so  schon  Hesiod  Theog.  292) 
wird  er  dann  nach  Tiryns  versetzt,  weil  dies  als  Heimat  des  Amphi- 
tryon  gilt  (so  schon  Hesiod  Aspis  81),  und  man  daher  gelegentlich  auch 
den  Herakle-;  dorthin  zurückkehren  ließ.  Aber  gehören  ist  Herakles  immer 
in  Theben  [denn  daß  der  ganz  späte  Heraklesroman  bei  Diodor  IV  10 


Das  Reich  von  Mykene  in  der  Sage.    Pelops  251 

kreis,  dem  vom  Kampf  gegen  Theben  kommt  zwar  Mjkene 
nicht  vor^),  aber  die  argivische  Linischaft  ist  auch  hier 
der  Sitz  eines  mächtigen  Herrschers,  des  Adrastos'-*),  der  die 
Führung  des  Krieges  übernimmt). 


die  Verjagung  des  Amphitryon  aus  Tiryns  und  seine  Übersiedlung 
nach  Theben  erst  nach  Herakles'  Geburt  folgen  läßt,  ist  eine  ganz 
sekundäre  Erfindung  (vielleicht  au-;  M.itris  if  au^xinj  'Hp/x'.jo')«  über- 
nommen, s.  Diod.  I  24,  4  =  IV  10,  1)];  die  Behauptung  Frihi'LÄnder's, 
Herakles  (Philol.  Unters.  XIX  1907)  8.45,  .daß  Herakles  ursprünglich 
in  Tiryns,  nicht  in  Theben  geboren  v/ar,  darf  ich  wohl  als  sicher 
betrachten",  der  Frickenhaus,  Tiryns  I  19,  u.  a.  gefolgt  sind,  entbehrt 
jeder  Begründung.  In  Tivyn-;  soll  nach  Clera.  AI  portr.  4,  47  eine 
Statue  dis  Herakles  von  Skyllis  und  Diponios  (also  ganz  archaisch)  ge- 
standen haben;  soist  findet  sic'i  ein  Herakleskult  in  Argolis  nirgends. 

')  Daher  erfindet,  als  die  Helden  des  thebanischen  Kriegs  in  die 
Hias  eingeführt  waren,  der  Dichter  von  A  376  ff.  daß  Tydeas  nach 
Mykene  geschickt  wir  1,  um  auch  dessen  Hilfe  zu  gewinnen,  aber  Zeus 
die  Teilnahme  durch   Vorzeichen  verhindert. 

*)  Die  Gestalt  des  Adrastos  gehört  nach  Sikyon.  wie  sein  dortiger 
Kult  beweist;  was  den  Anlaß  gegeben  hat,  ihn  zum  Führer  des  Kriegs 
gegen  Theben  z\i  machen,  läßt  sich  nicht  mehr  erkennen.  Aber  im 
Epos  ist  er  König  von  Argos  —  ursprünglich  natürlich  der  Landschaft, 
später  als  die  Stadt  ge  leutet  [daß  dann  im  Schiffskatalog  ß  572 
Sikyon  seine  Königssfadt  h-ißt,  ist  sekundärer  Kompromiß]  — ,  un  1  es 
verherrlicht  die  Taten  der  Arglver  (vgl.  Herodot  V  67):  der  eihaltene 
Eingang  der  homerischen  Thebais  lautet:  'Apfo?  ötsiSs.  9-si,  KoKu^.'\fi<i-^, 
ev<1ev  a/ixrs^. 

')  Für  die  Ermittlang  der  in  den  Sagen  erhaltenen  historisch  n 
Überlieferungen  dürfen  natürlich  nur  die  den  Ep  m  zugrunde  lie- 
genden Traditionen  verwendet  werden.  Völlig  fern  zu  halten  sind  die 
jüngeren,  a  is  den  Verhältnissen  der  doris  hen  Zeit  bis  in<s  6.  Jahr- 
hundert hinab  erwachsenen  Erzählungen  und  Mythen  lokalen  Ursprungs. 
In  der  genealogischen  Dichtung  und  dann  bei  den  sog.  Logographen 
wird  d  IS  Material  gesammelt  und  immer  weiter  aus^esponnen;  die 
Notwendigkeit,  all  die  einzelnen  Gestalten  unterzubringen  und  die 
Widersprüche  ausz  igleichen  führt  dann  zu  den  langen  und  komplizierten 
Stammbäumen  [in  die  neben  Danaos  und  Ai^'yptos  sowie  Perseus  u  s.w. 
auch  der  Urmensch  Pelasgos  hineingezogen  wiri,  weil  man  den  Namen 
der  thessalischen  Ebene  ti  [IcX.'»3Y'-*'>v  '\ofOi  auf  das  peloponnesische 
Argos  übertrug;  siehe  weiter  meine  Forschungen  I  67  ff.],  die  in  den 
folgenden    Jahrhunderten    noch    immsr    weiter    ins    Ungemessene     an- 


252      V.  D;is  griechische  Festland  und  die  nijkenische  Kultur 

Die  volle  Bestätigung  bietet,  daß  die  Landschaft  auch 
im  Kultus  eine  Einheit  bildet.  Sie  hat  nur  eine  Schutzgott- 
heit und  nur  einen  religiösen  Mittelpunkt:  das  Heiligtum  der 
großen  Landesgöttin  Hera,  der  "Hpa  'Af^Yna,  das  bei  Pro- 
sjmna  am  Fuß  des  Berges  Euboia  an  der  Straße  von  Mykene 
nach  Tiryns  gelegen  ist^).  Der  Tempel,  das  Heraion,  der  dann 
unter  der  Verwaltung  der  Stadt  Argos  steht,  ist  natürlich  weit 
jünger;  daß  aber  ihr  Kult  in  die  mykenisclie  Epoche  hinaufragt, 
beweist  das  hohe  Ansehn,  in  dem  sie  im  Epos  steht,  und  die 
weite  Verbreitung  ihres  Dienstes,  so  vor  allem  nach  Samos. 


schwellen.  Diese  gnnze  Pseudohistoiie  ist  für  die  Erkenntnis  der  Ver- 
hältnisse der  mjkenischen  Epoche  ohne  jeden  Wert,  so  oft  auch  die 
Neueren  versucht  haben,  etwas  daraus  herauszupressen.  Hieiher  ge- 
hört auch,  daß  der  SchiÖskatalog,  weil  Dioniedes  in  den  jüngeren 
Schichten  der  Ilias  nach  Argos  gesetzt  wird  und  hier  herrschen  soll 
(S  119.  ^MTl),  im  Widerspruch  mit  allen  älteren  Angaben  des  Epos 
die  argivische  Landschaft  zerlegt  in  ein  südliches  Reich  unter  Diome- 
des,  das  Argos,  Tiryns  und  die  Städte  der  Akte  umfaßt,  und  ein  nöid- 
liches  unter  Agamemnon  mit  Mykene,  Korinth,  Sikyon  und  demi 
ganzen  Aigialos  (d.  i.  Achaia).  Nach  Tiryns  gehört  die  Kultsage  von 
der  Raserei  der  durch  Hera  in  Kühe  verwandelten  Töchter  des  Proito^; 
dieser  ist  daher  für  die  Genealogen  König  von  Tiryns  [in  der  Bellero- 
phonepisode  II.  Z  1-57  dagegen  herrscht  Proitos  über  die  "A^^tyy.],  dem 
die  Kyklopen  die  Mauern  erbauen.  So  wird  Tiryns  zu  einem  selbstän- 
digen Reich  gemacht,  das  er  im  Kampf  mit  seinem  Bruder  Akrisios 
von  Argos  gewinnt;  dann  werden  gelegenllich  auch  Perseus,  Eurystheus 
u.  a.  hierher  gesetzt.  Das  alles  ist  keine  Sage,  sondern  schematiscbe 
Konstruktion  der  Sagenbearbeiter  von  Hesiod  an,  die  dabei  meist 
mit  möglichst  wenig  Phantasie  operieren,  weil  es  ihnen  lediglich  dar- 
auf ankommt,  an  der  Hand  der  Stammbäume  ein  echt  gesrhichtlich 
aussehendes  Gerippe  herzustellen.  Dann  folgen  weiter  die  Konstruk- 
tionen des  Hellanikos,  die  Thukydides  I  9  übernommen  hat. 

')  Über  Prosymna  s.  Frickenhaus,  Tiryns  I  114ff. ;  über  den  Hera- 
kult in  Tiiyns  und  das  alte  Kultbild  aus  Bimbaumholz  nebst  den 
Traditionen  über  lo  und  Kallithye  siehe  gegen  Fbickekhaus'  Konstruk- 
tionen 1  2(J  fi.  Robert,  Hermes  55,  1920,  ol'4ü.,  und,  ihn  mehrfach  be- 
richtigend, Jacoby,  Hermes  57,  1922,  8t  6  ff.  [Ganz  verfehlt  ist  Frickenhaus' 
Behauptung  S.  119.  weil  der  Tempel  erst  aus  dem  7.  Jahihundert 
stammt,  müsse  II.  A  52,  wo  Argos.  Sparta  und  Mykene  von  Hera  als 
ihre  liebsten  Städte  bezeichnet  werden,  erst  noch  später  gedichtet  sein.] 


Die  Hera  von  Aigos.    Lakonien.    Amyklae  253 

Der  übrige  Peloponnes.  Boeotien.  Der  Krieg  gegen  Tlieben 

Gegen  die  argivisclie  Ebene  treten  die  übrigen  Land- 
schaften weit  zurück.  Im  Eurotastal,  dem  „hohlen  Lake- 
daimon",  liegt  auf  einem  Hügel  bei  Vaphio  ein  Kuppelgrab, 
aus  dem  zwei  der  prächtigsten  Schöpfungen  aus  der  Blüte- 
zeit der  neukretischen  Kunst  stammen,  zwei  Goldbecher  mit 
getriebenen  Reliefs,  von  denen  das  eine  das  Einfangen  der 
Stiere,  das  andere  die  weidende  Rinderherde  darstellt^).  In 
der  Nähe  liegt  Amyklae,  das  als  Herrschersitz  der  achaei- 
schen  Fürsten  Lakoniens  sowohl  durch  die  Tradition  wie  durch 
die  Verbreitung  des  Kults  des  ApoUon  von  Amyklae  nach 
Cypern  und  Kreta  erwiesen  wird").  Den  Kern  dieses  Kults 
bildet  das  Hyakinthienfest,  ein  im  Hochsommer  gefeiertes 
Trauerfest  um  den  Tod  eines  schönen  Jünglings,  das  sich 
zu  den  zahlreichen  gleichartigen  Kulten  Kleinasiens  stellt,  die 
das  Hinschwinden  und  Tod  der  Vegetation  betrauern.  Es  ge- 
hört also  bereits  der  vorgriechischen  Bevölkerung  an,  auch 
der  Name  ist  kleinasiatisch.  Die  ältesten  Fundschichten  im 
Tempel  von  Amyklae  aus  mykenischer  Zeit,  darunter  zahl- 
reiche kleine  Weihgeschenke  wie  in  den  kretischen  Heilig- 
tümern, zeigen,  daß  dabei  das  Opferblut  in  die  Erde  gegossen 
wurde,  wie  beim  Totenkult •^). 

Auch  in  den  Vorhöhen  des  Taygetos  und  an  seinem  West- 
abhang liegen  ein  paar  Kuppelgräber,  so  bei  Kampos  (Gere- 
nia)  mit  der  Bleistatuette  eines  Adoranten.    Bedeutsamer  sind 

*)  Eingehend  behandelt  von  Kurt  Müij-er,  Arch.  Jahrb.  30,  325  ff. 
Hier  lag  der  Ort  Pharis  (Friedländer,  Mitfc.  athen.  Inst.  34,  71);  aber 
die  Entfernung  ist  so  gering,  daß  man  das  Grab  unbedenklich  einem 
Fürsten  von  Amyklae  wird  zuschreiben  dürfen. 

-)  Cypr.  Apohni  am'ikoloi,  phoenikisch  durch  "-»Dia  r|*r-i  wieder- 
gegeben, Hauptgott  von  Idalion,  Gl  Sem.  I  89  ff.  Hafenort  'ApLuxXaiov 
auf  Kreta  Steph.  Byz.  sowie  Collitz-Beghtel,  Griech.  Dialektinschr.  lU 
5C25  und  im  Gesetz  von  Gortyn  (ebenda  4991)  col.  HI  8.  —  Amyklae 
als  Hauptstadt  der  vordorischen  Bevölkerung:  Pindar  Pyth.  1,  65.  Isthm. 
7,  14.    Über  Agamemnon  in  Lakonien  s.  u.  S.  298. 

*)  TsuNTAS,  EfT,}i.  1892.  Tod  und  Wage,  Catalogue  of  the  Sparta 
Museum  p.  222  ff.  244  ff. 


254      V.  Das  griechische  Festland  und  die  mjkenische  Kultur 

die  drei  Kuppelgi  über  von  Kakovatos  in  der  Mitte  der  West- 
küste des  Peloponnes  am  Fuß  einer  kleinen,  2  Kilometer 
vom  Meer  entfernten  Burg;  es  ist  das  Pylos  Homers,  der 
Sitz  des  Neleus  und  Nestor  i).  Mehrere  Kuppelgräber  liegen 
in  der  Hochebene  des  südöstlichen  Arkadiens  bei  Tegea''); 
im  übrigen  tritt  das  Binnenland  und  die  nördliche  Küste  des 
Peloponnes  sowie  das  Isthmusgebiet  ganz  zurück. 

In  Mittelgriechenland  tritt  am  bedeutendsten  Boeotien 
hervor.  Diese  rings  von  Bergzügen  umschlossene  Binnenland- 
schaft  zerfällt  in  der  mykenischen  Epoche  in  zwei  auch  geo- 
graphisch geschiedene  Gebiete,  die  erst  später  durch  die  von 
Nordwesten  einbrechenden  Boeoter  zu  einer  Einheit  zusam- 
mengefaßt sind.  Im  Süden  liegt  das  Reich  der  Kadmeer  mit 
der  Hauptstadt  Theben  0-    Theben  ist  eine  typische  Binnen- 

')  Publiziert  von  Dörpffld.  Mitt.  athen  Inst.  82.  3:^.  88,  die 
Grabfunfle  von  Kurt  Müli.f.r  ebenda  M.  De  Lage  stimmt  j.enau  zu 
den  Angaben  .!er  Ilias  und  Odyss-ee  über  Fylos.  so  daß  (trotz  Wiia- 
MüwiTZ,  Ilias  und  Homer  i-OS,  der  die  Existenz  eines  Ortes  Pylos  iiber- 
haupt  le^treilet)  an  der  Llentitiit  nicht  ge/weiielt  weulen  kann  In 
derselben  Gei:end  haben  es  die '<>(jiT,ptxo.Tepf;i.  denen  Strabo  folgt  (WII 
3,  7.  14.  16.  26 fi'.).  gesucht,  die  f-eine  Llentiläi  mit  dem  me-sFenischen 
Pylos  (Koryphasion)  und  vollends  mit  dem  elischen  am  Peneios  mit 
Recht  be.streiten. 

=)  FiMMiN  S.  10,  wonach  eins  fünf  schöne  mykenische  Vasen  ent- 
hielt: sie  sind  noch  unpubliziert. 

^)  Daß  KaSjjiE'-o'  oder  h'jL^jfxziwvt<i  nicht  lediglich  aus  dem  Namen 
der  Burg  gebildet  ist  (wie  ich  früher  annahm),  soi.dern  wirklich 
der  Vülksname,  scheint  sicher  zu  sen.  Ihr  Eponymus  ist  Kadmos,  an 
den  dann  zahlreiche  Sagen  und  Kombinationen  angeknüptt  haben. 
Er  wie  seine  Gemahlin  Harmonia  haben  Sthlangengestali  [später  in 
Veiwandlung  umgeileutet]  wie  Kekiops  in  Athen,  und  seine  Mannen, 
die  iTt'ipto'.  [von  denen  sich  später  boeotis(he  Adelsgeschlechter  ab- 
leiten] sind  aus  den  Zähnen  eines  von  ihm  erschlaj^enen  Drachen  er- 
wachsen, die  er  in  de  Erde  sät.  ^eben  ihm  steht  die  iTf'göltin 
Europa  (in  einer  Höhle  in  Teumessos  von  Zeus  verborgen:  Antimachos 
Thebais  fr.  3  bei  Steph  l'yz.  'i'E'jfiY,ao' «;  Pausan.  IX  19,1;  AY.fiYjx-rip 
Eof,a)ii7]  in  Lebadea  Pausan.  IX  39,  4.  5.;  Tochter  des  Tityos  von 
Orch(menos  Pindar  Pyth.  4,  81.  Apoll.  Khod.  I  181),  die  er  suchen 
muß.  als  sie  entführt  (ursprünglich  ot  enbar  enlrückt)  ist.  Sie  wird 
dann  mit  der  kretischen  Göttin  Hellotis  in  Gortyn  identifiziert  (Seleuko» 


Pylos.    Theben  und  die  Kadmeer  255 

Stadt;  seine  Burg,  die  gewöhnlich  Kadmeia  genannt  wird  und 
sich  von  allen  anderen  mykenischen  Kön'gsburgen  dadurch 
unterscheidet,  daß  sie  sieben  Tore  hat,  liegt  auf  einem  von 
zwei  Bächen,  der  Dirke  und  dem  Hismenos,  umschlossenen 
Hügel  am  Südrande  der  von  ihm  beherrschten  aonischen  Ebene. 
In  ihr  liegen  die  Trümmer  des  Palastes,  mit  Resten  von  Stuck- 
fresken, die  stilistisch  denen  des  älteren  Palastes  von  Tiryns 
und  des  von  Mykene  gleichstehn  und  also  der  Zeit  um  l4U0 
angehören  werden^). 

Die  griechische  Sage  berichtet  von  einem  Heerzug  gegen 
Theben  unter  Führung  des  Königs  von  Argos;  in  der  Tra- 
dition, die  das  Epos  immer  weiter  ausgestaltet,  steht  er  eben- 
bürtig neben  dem  Zug  nach  Troja'-).    Wie  ein  geschichtliches 

bei  Athen.  XV  678  a)  und  zur  Mutter  des  Minos,  den  Zeus  in  Stier- 
gestalt von  ihr  zeugt.  Dadurch  wird  sie  auch  zur  Tochter  des  Phoinix 
(so  II.  3  321.  Hesiod  fr.  30  u.  a.);  denn  Phoinix  (vgl.  o.  S.  97)  ist  ein 
angesehener  kretischer  Gott.  Kadmos  ist  dessen  Bruder,  also  ihr 
Oheim;  die  späieren  Genealogien  machen  dann  Kadmos,  Phoinix  und 
Europa  zu  Kindern  des  Agenor,  und  dieser  schickt  Kadmos  aus,  die 
Schwester  zu  suchen.  So  sind  Kadmos  und  sein  ganzes  Geschle  ht  zu 
Phoenikern  geworden.  Lange  Zeit  hat  man  das  geglaubt  und  Theben 
für  eine  phoenikische  Kolonie  gehalten  [eine  Be>tiitigung  fand  man  in 
den  sieben  Toren,  die  man  aus  semitischem  Planetenkult  erklären 
wollte!],  so  laut  die  Lage  Thebens  mitten  im  Binnenlande,  ohne  Ver- 
bindung mit  der  See,  dagegen  spricht.  —  Die  Europasage  war  in  dem 
Epos  K'jpcÜTtii  des  Eumelos  behandelt,  das  die  boeotiscben  Sagen  und 
die  Geschiclite  des  Dionysos  ausführlich  darstellte,  aber  schwerlich  die 
kretischen;  ferner  in  Stesichoros'  E  )pu)a=tTt.  Der  Name  der  boeotiscben 
Erdgöttin  ist  dann  zunächst  zur  Bezeichnung  Mittelgriechenlands  im 
Gegensatz  zum  Peloponnes  und  den  Inseln  (hymn.  Homer  1,  2^>0  =  290f.), 
dann  zum  Namen  des  gesamten  Kontinents  geworden;  auch  das  beweist, 
daß  ihre  Übertragung  nach  Kreta  durchaas  sekundär  ist. 

')  Über  seine  Ausgrabungen  berichtet  Keramopullos  r^  o-xta  toö 
Kd^oo.  Effin.  1909,  und  ausführlich  Bri^-uxd  im  'Apx-  AsXtt'-v  III  1917, 
der  die  Topographie  und  die  vielumstrittene  Frage  nach  den  sieben 
Toren  endgültig  gelöst  zu  haben  scheint.  Die  Fresken  sind  behandelt 
von  RoDENWALDT,  Tiryus  II.  speziell  S.  188  ff. 

^)  Ganz  deutlich  hat  Hesiod  das  ausgesprochen  (op.  IfilfiF):  das 
Heroengeschlecht  ist  zugrunde  gegangen  teils  in  den  Kämpfen  vor 
Theben,  teils  in  denen  vor  Troja. 


256      ^'-  I^'^s  griechische  FesUand  und  die  mykenische  Kultur 

Ereignis  überall,  wo  Vorgänge  der  Gegenwart  in  den  popu- 
lären Erzählungsstoff  übergehn  und  dann  in  epischen  Lie- 
dern dauernd  lebendig  erhalten  werden,  sich  sofort  mit  Stoffen 
ganz  anderen  Ursprungs,  teils  Mythen,  teils  Märchen  durch- 
setzt und  dadurch  von  Grund  aus  umgestaltet  wird,  so  ist 
es  auch  diesen  beiden  Sagenkreisen  gegangen:  der  troische 
verschmilzt  mit  dem  Mythus  von  Helena  und  dem  von  Achil- 
leus  und  wird  dann  durch  Hineinziehung  neuer  Gestalten,  so 
zunächst  des  Odysseusmythus,  immer  mehr  erweitert,  im  the- 
banischen  tritt  vor  allem  die  Oedipussage  nebst  der  Gestalt 
des  blinden  Sehers  Tiresias  hinzu.  Ferner  ist  Amphiaraos 
mit  ihm  verbunden,  der  Gott  des  benachbarten  Oropos  im 
Gebiet  der  Graer,  der  in  einer  Höhle  unter  der  Erde  haust 
und  dort  Traumorakel  gibt  —  das  wird  dadurch  erklärt,  daß 
Zeus  im  Kampfe  von  Theben  durch  einen  Blitzstrahl  die  Erde 
spaltet  und  er  lebend  in  die  Unterwelt  hinabfährt.  Bei  der 
weiteren  Ausbildung  der  Sage  in  der  epischen  Dichtung 
loniens^)  sind  dann  die  religiösen  und  prophetischen  Züge 
immer  mehr  ausgesponnen  und  durch  Einfügung  neuer  Ge- 
stalten vermehrt  worden;  aber  ganz  deutlich  ist,  daß  die 
Grundlage   überall    —    auch    in    der    Oedipussage")    —   echt 


')  Dadurch  sind  dann  die  Kadmeer  in  die  Besiedlungsgeschichte 
loniens  (so  nach  Priene:  Hellanikos  fr.  101  Jacoby  bei  Hes.  Ka8|ie'0'.. 
Strabo  XIV  1,  12.  Pausan.  VII  2,  3.  10)  und  die  Stammbäume  der 
Adelsgeschlechter  (so  den  der  Theliden  von  Milet,  aus  dem  Thaies 
stammt:  Herod.  I  170.  Diog.  Laert.  I  22)  eingeführt  worden  (Herod. 
I  146;  ein  Tyrann  Kadmos  von  Kos  Herod.  VII  163).  Ein  arger  Miß- 
griff war  aber  die  Behauptung,  die  Namen  Kadmos  und  Kadmeer 
stammten  aus  Kleinasien  und  seien  erst  spät  durch  das  ionische  Epos 
auf  Theben  übeitiagen  (so  Friedländer,  Herakles  61).  [D.iß  ein  Berg 
bei  Laodikea  am  Lykos  tief  im  Innern  Kadmos  heißt,  virird  zufällige 
Homonymie  sein;    in  die  Kadmossagen  ist  er  niemals   hineingezogen.] 

2)  Der  thebanische  S;igenkreis  ist  zuletzt  eingehend  von  Robert. 
Oiilipus  1915  [danach  kürzer  in  seiner  Heldensage]  behandelt  und 
analysiert,  wo  auch  zu  den  älteren  Ansichten  (namentlich  zu  Bethe, 
Theban.  Heldenlieder  1891)  Stellung  genommen  ist.  Sehr  deutlich  zeigt 
sich,  daß  wir  von  den  großen  Epen  (Oidipodie,  Thebais  und  Epigonen, 
und  vielleicht  'A;i.'ftapdou  i^sXa-ia)  nur  ein  ganz  unvollkommenes  Bild 


Die  Sage  vom  Krieg  gegen  Theben  257 

boeotische  Kulte  und  Mythen  bilden,  und  zwar  meist  Erdgott- 
heiten und  Orakel,  von  denen  das  Land  auch  später  noch  voll 
war.  Diese  ursprünglich  selbständig  nebeneinander  stehenden 
Erzählungen,  die  Ursprung  und  Sonderart  einzelner  Kulte 
ätiologisch  erklären  sollten,  sind  dann  mit  der  Tradition  vom 
Kriege  gegen  Theben  verbunden  worden.  Herbeigeführt  wird 
er  durch  den  Zwist  zweier  Brüder  um  die  Herrschaft,  der 
zur  Werbung  von  Bundesgenossen  für  den  Krieg  und  zum 
gegenseitigen  Brudermord  im  Zweikampf  führte  —  das  ist 
ein  weitverbreitetes  Motiv  populärer  Erzählungen,  in  dem 
keinerlei  mythische  Elemente  zu  suchen  sind.  Das  hat  dann 
weiter  dazu  geführt,  daß  sie  zu  Sühnen  des  Oedipus  aus  seiner 
blutschänderischen  Ehe  gemacht  werden;  dadurch  wird  die 
ganze  Oedipussage  einschließlich  der  Sphinx  —  des  Dämons 
des  4>LXtov  o^joc.  gegenüber  von  Theben  am  Nordrande  der  aoni- 
schen  Ebene,  dem  die  Gestalt  des  von  der  kretischen  Kunst 
aus  dem  Orient  übernommenen  Mischwesens  gegeben  wird  — 
—  mit  dem  Kriege  verbunden^).    Nur  umso  deutlicher  tritt 

zu  gewinnen  vermögen,  und  daß  daneben  ursprünglich  noch  andere 
Gestaltungen  gestanden  haben,  die  in  diese  Epen  nicht  Aufnahme  ge- 
funden haben  und  daher  verschollen  sind.  Aber  die  sehr  verschieden- 
artigen Elemente,  aus  denen  die  epische  Sagengestalt  zusammen- 
gewachsen ist,  lassen  sich  doch  noch  in  den  Grundzügen  sondern. 

')  Der  Name  des  Eteokles,  den  ebenso  der  Urkönig  von  Orcho- 
menos  führt,  kann  sehr  wohl  geschichtlich  sein  [einen  Doppelgänger 
hat  er  unter  den  sieben  Angreifern  in  Eteoklos];  der  Name  Polyneikes 
dagegen  ist  deutlich  für  den  Bruderzwist  erfunden.  Über  die  Ver- 
mutung, daß  Eteoklos  in  den  Texten  aus  Boghazkiöi  vorkomme,  siehe 
Abschnitt  XII. 

*)  Im  einzelnen  ist  Anlaß  und  Hergang  sehr  verschieden  ge- 
staltet. Nach  Hesiod  op.  163  wird  der  Krieg  geführt  |j,yjX(uv  ivex' 
O'otrtöSao,  nach  Od.  X  271  ff.  herrscht  Oedipus  nach  der  Aufdeckung 
der  Blutschande  und  dem  Selbstmord  der  Epikaste  weiter  über  Theben, 
von  ihren  Erinnyen  und  den  Göttern  mit  schweren  Nöten  heimgesucht, 
nach  II.  4>  679  ist  er  im  Kampf  gefallen  (SsSoüitöto,;  OlotTcooao)  und 
werden  ihm  in  Theben  Leichenspiele  gefeiert.  In  der  Thebais  ver- 
flucht Oedipus  im  Zorn  seine  Söhne,  weil  er  sich  von  ihnen  gekränkt 
glaubt.  Das  alles  zeigt,  daß  die  Verbindung  des  Oedipus  mit  dem  Krieg 
sekundär  ist. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertums.     II i.  17 


258     V.  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

demgegenüber  der  geschichtliche  Kern  hervor.  Ein  Kriegs- 
zug des  Königs  von  Argos  gegen  Theben,  also  ein  Versuch, 
seine  Herrschaft  auch  über  Mittelgriechenland  auszudehnen,  ist 
durchaus  begreiflich.  Vielleicht  darf  man  daraus,  daß  unter 
den  Angreifern  auch  der  Aetoler  Tydeus  erscheint,  schließen, 
daß  sie  in  den  Bergstämmeu  des  Westens  Bundesgenossen 
fanden^).  Allerdings  wäre  es  voreilig,  zu  folgern,  daß  der 
Krieg  eine  wirklich  Epoche  machende  Bedeutung  gehabt  haben 
müsse,  da  die  Heldensagen  anderer  Völker,  vor  allem  die  ger- 
manischen, zeigen,  daß  oft  genug  ziemlich  unwesentliche  Vor- 
gänge (wie  z.  B.  der  Untergang  des  Burgunderreichs  von 
Worms)  in  der  Sage  eine  zentrale  Stellung  gewinnen,  während 
weit  wichtigere  Ereignisse,  wie  die  Invasion  des  Römerreichs, 
dem  Gedächtnis  vollständig  entschwinden.  Jedenfalls  aber 
handelt  es  sich  um  ein  Unternehmen,  das  nicht  zum  Ziele  ge- 
führt hat:  daß  der  Angriff  abgeschlagen  wird  und  die  Führer 
vor  den  Toren  Thebens  sämtlich  fallen'-'),  bildet  den  Inhalt 
der  Kämpfe.  Er.st  ganz  sekundär  wird  dann  eine  Eroberung 
Thebens  zehn  Jahre  später  durch  die  Söhne  der  Gefallenen 
hinzugefügt'^);  da  ist  die  Eroberung  des  kadmeischen  Thebens 
durch  die  Boeoter  in  der  Völkerwanderung  fälschlich  in  die 
Urzeit  hinaufsresetzt. 


')  Roberts  Annahme  (Oidipus  129;  Heldensage  9'24),  daß  Tydeus 
ursprünglich  aus  Euboea  stamme,  weil  hier  bei  Artemision  an  der  Nord- 
küste eine  kleine  Ortschaft  Tooei'a  lag  (I  Gr.  XII  9  no.  1189,  16  u.  29), 
erscheint  mir  zu  gewagt,  um  ihr  folgen  zu  können. 

2)  Nur  der  Oberkönig  Adrastos  entkommt  auf  dem  göttlichen 
Roß  Areion.  —  Die  Siebenzahl  der  Kämpferpaare  ist  durch  die  Sieben- 
zahl der  Tore  geschaffen,  daher  sind  die  Namen  in  den  Listen  zum 
Teil  verschieden. 

*)  Daß  die  Gestalten  der  Epigonen  in  der  Ilias  nusgebildet  sind 
und  ihnen  dann  erst  auch  die  Eroberung  Thebens  zugeschrieben  wiid 
(II.  A  405;  daher 'TicoS-}]?ai  B  505),  hat  Wilamowitz  erkannt,  dem  Robert 
zustimmt. 


Die  Bauten  im  Kopaissee  259 

Orchomenos  und  die  Winyer.  Thessalien,  Euboea  und  Athen. 
Die  Kykladen 

Der  Norden  Boeotiens  ist  eine  fruchtbare  Ebene,  die 
vom  Kephissos  und  seinen  zahlreichen  Nebenflüssen  durch- 
strömt wird;  durch  das  Gebirge,  das  ihm  im  Osten  den  Zu- 
gang zum  Meer  sperrt,  hat  er  sich  an  zahlreichen  (23)  Stellen 
durch  unterirdische  Spalten  (Katabothren)  einen  Abfluß  ge- 
schahen. Etwa  seit  dem  Ende  des  2.  Jahrtausends  v.  Chr.  sind 
diese  verstopft  und  dadurch  das  Kulturland  weithin  in  einen 
Schilfsee  von  wechselnder  Ausdehnung,  den  Kopaissee,  ver- 
wandelt; erst  im  Jahre  1892  sind  die  Wasser  abgeleitet  und 
das  ganze  Gebiet  trocken  gelegt  worden.  Dabei  sind  die  großen 
Dämme  aus  kyklopischen  Steinblöcken  zutage  getreten,  mit 
denen  in  der  mykenischen  Epoche  die  Flußläufe  eingedeicht, 
das  Wasser  auf  die  Felder  verteilt  und  zu  den  Katabothren 
geleitet  war^).  Zwischen  ihnen  liegt  im  Osten,  im  „atha- 
mantischen  Gefilde",  auf  einem  niedrigen  Felsplateau,  ähnlich 
dem  von  Tiryns,  nur  viel  umfangreicher,  umschlossen  von 
einer  gewaltigen  kyklopischen  Mauer  eine  starke  Festung, 
mit  zwei  Haupt-  und  zwei  Nebentoren.  An  der  Nordseite 
liegen  die  Fundamente  eines  Palastes,  der  aus  zwei  recht- 
winklig zusammenstoßenden,  je  etwa  60  Meter  langen  Flü- 
geln besteht,  in  denen  sich  an  langgestreckte  Korridore  die 
Flucht  der  Zimmer  reiht.  In  der  Mitte  der  Insel  liegt  ein 
großer  Hof,  der  als  Wohnstätte  für  das  Gesinde  und  Sam- 
melplatz für  die  Mannschaft  gedient  haben  mag.  Weitere 
Gebäudereste  haben  sich  nicht  gefunden;  so  mag  die  Stadt, 
die  vielleicht  dem   homerischen  Arne  entspricht'-),  früh  ver- 


')  Kambanis,  Bull.  Corr.  Hell.  16  und  17,  1892  f.  E.  Curtius,  Die 
Deichbauten  der  Minyer,  Ber.  Berl.  Ak.  1892  =  Ges.  Abb.  I  266  ff.  — 
Die  Festung,  die  jetzt  den  albanischen  Namen  Gulas  oder  Gla  (Gha) 
trägt:  NoACK,  Mitt.  athen.  Inst.  19,  1894,  de  Ridier,  Bull.  Corr.  Hell.  18, 
1894.  Tsi  ntas-Manatt,  Myc.  age  874  ff. 

')  Im  Schiffskatalog  B  507  erscheinen  zwei  später  nicht  mehr 
nachweisbare  Städte,  woKüaxdtpuXoi;  "Apvf;  (auch  H  9)  und  MtSsta,  die 
man  dann  irgendwo   unterzubringen   suchte.   Arne  hat  Zenodot   unbe- 


260     V-  I^^s  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

lassen  und  vielleicht  niemals  voll  ausgebaut  worden  sein.  Aber 
die  Herrscher,  die  sie  erbaut  haben,  müssen  weithin  über  das 
umliegende  Land  geboten  haben;  die  Verbindung  mit  dem 
Meer  und  der  Hafenbucht  Larymna  sowie  mit  Anthedon  ist 
durch  Kastelle  auf  den  Berghöhen  gesichert. 

Am  Westrande  der  Ebene,  am  Ausläufer  eines  lang- 
gestreckten Höhenrückens,  liegt  die  Stadt  Orchomenos,  an 
einer  Stätte,  an  der  die  Schichten  der  älteren  Ansiedlungen 
bis  tief  in  die  neolithische  Zeit  des  3.  Jahrtausends  hinein, 
die  runden  und  ovalen  Hütten  der  vorgriechischen  Bevölke- 
rung und  darüber  die  rechteckigen  Häuser  der  eindringenden 
Griechen  mit  den  Hockergräbern  und  den  wechselnden  Formen 
der  Tongefäße  besonders  reich  erhalten  sind  (Bd.  I  509.  526). 
Darüber  liegen  die  Häuser  der  mykenischen  Stadt,  mit  dürf- 
tigen Überresten  der  Wandmalereien  des  Palastes,  die  sti- 
listisch denen  des  jüngeren  Palastes  von  Tiryns  entsprechen, 
also  wohl  rund  um  1300  anzusetzen  sind^).  Dazu  gehört  ein 
gewaltiges  Kuppelgrab,  das  in  Bauart  und  Dimensionen  dem 
des  Atreus  ebenbürtig  zur  Seite  steht,  es  aber  noch  über- 
trifft durch  die  prachtvolle  skulpierte  Decke  der  Grabkammer, 
deren  Ornamentik  —  Spiralbänder  mit  Blüten  in  den  Zwik- 
keln,  dazu  eine  Umrahmung  durch  Rosetten  —  ebenso  in 
den  Wandgemälden  von  Tiryns  wie  in  den  Deckengemälden 


greiflicherweise  in  "Aoxp-/)  korrigiert  (Strabo  IX  2,  35.  schol.  A  zu 
B  507),  während  andere  es  mit  Chaeronea  identifizierten  (schol.  B  1.  c. 
Pausan.  IX  40,  5.  Steph.  Byz.  Xaipcüv^w).  Nach  Strabo  I  3,  18  =  IX 
2,  35  sind  beide  durch  die  Überschwemmungen  zerstört.  Außerdem  wußte 
man  von  zwei  dadurch  untergegangenen  Städten  Athenai  und  Eleusis, 
Strabo  IX  2,  18.  Pausan.  IX  24,  2.  Steph.  Byz.  'A9-T,vat,  die  Strabo 
(d.  i.  Apollodor)  richtig  am  Bach  Triton  bei  Alalkamenai  sucht,  dem 
großen  Athenaheiligtum  (II.  A  8.  E  908),'  nach  dem  Athena  den  Bei- 
namen TptxoYEVJta  führt  (Pausan.  IX  33,  7).  Lykophron  644  läßt  in 
Arne  die  Temmiker  wohnen,  d.  h.  die  Urboeoter,  die  er  mit  dem  Namen 
eines  verschollenen  Stammes  bezeichnet,  der  nach  Strabo  IX  2,  3 
(vgl.  VII  7,  1)  von  Sunion  her,  also  aus  Attika,  eingewandert  sein  soll 
(vgl.  V.  786  und  Steph.  Byz.  TefifAc^). 

')  Bulle,  Orchomenos  1907.    Rodenwaldt,  Tiryns  II  190  f. 


Orcfaomenos  261 

ägyptischer  Gräber  aus  der  achtzehnten  und  neunzehnten  Dy- 
nastie wiederkehrt. 

Der  Ruhm  des  Reichtums  von  Orchomenos  ist  lange 
lebendig  geblieben  (11.  1  381).  Wie  es  sich  zu  der  Festung 
im  Kopaissee  verhalten  haben  mag,  ist  nicht  zu  ermitteln. 
Vielleicht  hat  ein  König  von  Orchomenos  einmal  seinen  Sitz 
hierher  verlegt,  auf  die  Felsenburg  näher  dem  Meer;  denn 
daß  hier  jemals  zwei  Reiche  nebeneinander  bestanden  haben 
.sollten,  ist  höchst  unwahrscheinlich^).  Die  Sage,  daß  König 
Erginos  von  Orchomenos  die  Thebaner  besiegt  und  tribut- 
pflichtig gemacht  habe,  mag  eine  richtige  Tradition  von  der 
alten  Machtstellung  dieses  Reichs  enthalten^);  wenn  aber 
weiter  erzählt  wird,  Herakles  habe  dann  den  Erginos  besiegt 
und  Orchomenos  den  Thebanern  unterworfen,  so  ist  das  ein 
Reflex  der  Aufrichtung  der  Suprematie  Thebens  über  das 
inzwischen  gleichfalls  boeotisch  gewordene  Orchomenos^). 
Dieser  Niedergang  der  ehemals  so  mächtigen  Stadt  ist  wesent- 
lich befördert  durch  Verstopfung  der  Katabothren  und  die  Ent- 
stehung des  großen  Schilfsees,  der  den  größten  Teil  des  alten 
Ackerbodens  der  Bebauung  entzog'').    Durch  diese  Schicksale 


')  Die  Annahme,  die  Festung  sei  ein  vom  See  verschlungenes 
Altorchomenos,  ist  unbegründet;  die  Angaben  Strabos  IX  2,  18.  40. 
42  besagen  nur,  daß  im  Gegensatz  zu  der  späteren  Stadt  der  make- 
donischen Zeit  auf  dem  Bergrücken  Altorchomenos  in  der  Ebene  (d.  i. 
beim  Kuppelgrab)  gelegen  habe  und  der  spätere  Seeboden  damals 
Ackerland  gewesen  sei. 

'-)  Isokrates  im  Plataikos  10  verwendet  sie  für  seine  Zwecke  gegen 
Theben. 

')  Vgl.  z.  B.  Thuk.  IV  76  'Op^opiJvöv  xöv  MtvÜEiov  itfioTjpov  xaXoiS- 
fiEvov,  vüv  8^  Bo'.cÖTiov.  Im  Schiffskatalog  erscheint  bekanntlich  Orcho- 
menos (mit  Aspledon)  noch  als  ein  selbständiges  Minyerreich. 

*)  Das  wird  dann  auch  dem  Herakles  zugeschrieben  (Pausan.  IX 
38,  7  f.  üpä^Ets  'HpaxXeou?  bei  Jahn,  Bilderchron.  69).  Strabo  IX  2,  18 
berichtet,  daß  durch  ein  Erdbeben  eine  neue  Katabothre  (xa^fia;  es 
ist  die  von  Kephalari)  dem  Wasser  einen  Abfluß  nach  Larymna  öffnete 
und  so  die  Überschwemmung,'  die  schon  Kopai  zu  verschlingen  drohte, 
einschränkte.  Als  dann  auch  diese  sich  verstopfte,  beauftragte  Ale- 
xander den  Bergbauingenieur  (|j.sTaXXeorf|C)  Krates  aus  Chalkis  mit  der 


262     ^^-  I^'i-s  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

der  Stadt  erklärt  es  sich,  daß  Orchomenos,  ganz  anders  als 
Theben,  auf  die  Gestaltung  der  Epen  und  der  Sagengeschichte 
keinen  Einfluß  geübt  hat^). 

Als  ständigen  Beinamen  führt  Orchomenos  den  Beinamen 
„die  Minyerstadt",  'Opxo'^Bvb:;  MtvDsio?;  das  Kuppelgrab  gilt 
daher  als  „Schatzhaus"  seines  Eponymen  Minyas.  Dadurch  ist 
uns  der  Name  des  hier  ansässigen  Volksstammes  erhalten. 
Wie  weit  er  sich  ausgedehnt  haben  mag,  wissen  wir  nicht. 
In  nachhomerischer  Zeit  ist  der  Name  dann  auf  die  Argo- 
nauten übertragen  worden,  die  aus  dem  thessahschen  Hafen- 
ort lolkos  ausziehen,  wie  denn  die  spätere  Sage  thessalische 
und  boeotische  Gestalten  durchweg  durcheinanderwirft');  da- 
durch, daß  man  dann  überall,  wo  Geschlechter  und  Volks- 
stämme  sich   für  Nachkommen   der  Argonauten   ausgaben^). 


Wiederherstellung  (erwähnt  auch  bei  Steph.  Byz.  'AO-r]v'x'.);  aber  die 
Vollendung  des  Werks  wurde  durch  die  Unruhen  in  Boeotien  ver- 
hindert. Diesen  Arbeiten  gehören  die  sechzehn  Schachte  auf  dem  Paß 
nach  Larymna  an,  von  denen  aus  der  Kanal  durch  den  Berg  getrieben 
werden  sollte.  Früher  hat  man  dieselben  irrtümlich  bereits  den  Minyern 
zugeschrieben;  siehe  dai^'egen  Kambanis,  Bull.  Corr.  Hell.  17,  324  und 
NoACK,  Mitt.  athen.  In^t.  19,  412  f. 

')  Was  Pausanias  als  orchomenische  Sagengeschichte  gibt,  ist 
meist  ganz  sekundär.  Über  Eteokles  s.  o.  S.  257,  1.  Das  Epos  Mivuä? 
hatte,  soweit  wir  nach  den  spärlichen  Fragmenten  urteilen  können, 
die  sämtlich  Szenen  im  Hades  schildern  (wohl  aus  einem  Vortrag  des 
Orpheus  vor  den  Argonauten),  mit  Orchomenos  nichts  zu  tun;  siehe 
WiLAMOwrrz,  Hom.  Unters.  222.  Robert,  Nekyia  des  Polygnot  79. 

-)  So  auch  in  den  Sagen  von  Athanias  und  denen  von  den  Raub- 
zügen der  Phlegyer  und  ihres  Eponymen  Phlegyas.  Die  Urgestalt  dieser 
Sage  (auf  die  auch  IL  N  302  anspielt)  läßt  sich  nicht  mehr  rekon- 
struieren, und  so  muß  es  unentschieden  bleiben,  ob  die  Phlegyer  ein 
rein  mythisches  Gebilde  oder  wirklich  ein  verschollener  Räuberstamm 
gewesen  sind. 

^)  So  einerseits  dielonier  vonTeos,  andrerseits  auf  dem  Umweg  über 
Lemnos  (wo  nach  der  in  der  Ilias  oft  erwähnten  Sage  die  Argonauten 
von  den  Frauen,  die  dort  ihre  Männer  ermordet  haben.  Nachkommen 
zeugen)  und  weiter  über  Sparta  und  Thera  die  Könige  von  Kyrene.  Von 
den  letzteren  werden  auch  die  Triphylier  (Paroreaten)  im  Westen  des 
Peloponnes  abgeleitet  (Herod.  IV  143.  VIII  73).    Das  stellt  sich  zu  den 


Orchomenos  und  die  Minyer.    Die  Aeoler  263 

diese  zugleich  als  Minyer  bezeichnete,  ist  der  Schein  ent- 
standen, als  seien  die  Minyer  ehemals  ein  weithin  über  die 
griechische  Welt  verbreitetes  Volk  gewesen,  das  sich,  wenn- 
gleich unter  anderem  Namen,  auch  noch  in  historischer  Zeit 
erhalten  habe. 

Die  Vermischung  thessalischer  und  boeotischer  Sagen  ist 
umso  begreiflicher,  da  beide  Landschaften  ursprünglich  dia- 
lektisch eine  Einheit  gebildet  haben,  gewiß  mit  Einschluß  des 
dazwischen  liegenden  Gebiets.  Von  hier  sind  dann  die  Kolo- 
nisten ausgegangen,  welche  Lesbos  und  die  gegenüberliegende 
Küste  besiedelt  und  die  Sagen  und  Kulte  der  Heimat  mit 
hinübergenommen  und  weiter  ausgebildet  haben.  Wir  dürfen 
die  große  Volksgruppe,  die  uns  hier  erkennbar  wird,  wohl 
unter  dem  Namen  Aeoler  zusammenfassen,  mit  dem  diese 
Kolonisten  sich  benennen.  Ganz  anschaulich  tritt  diese  Ein- 
heitlichkeit auch  auf  sozialem  Gebiet  darin  hervor,  daß  im 
Gegensatz  zu  allen  anderen  Gnechenstämmen  die  rechtliche 
Abhängigkeit  des  Haussohnes  vom  Vater,  auf  der  seine  Zu- 
gehörigkeit zur  Gemeinde  beruht,  nicht  durch  Hinzufügung 
des  Vaternamens  im  Genitiv,  sondern  im  Thessalischen,  Boeo- 
tischen,  Lesbischen  immer  durch  ein  daraus  gebildetes  pos- 
sessives Adjektiv  bezeichnet  wird.  Eine  Spur  davon,  daß 
der  Aeolername  auch  im  Mutterlande  schon  geläufig  war, 
hat  sich  darin  erhalten,  daß  die  Landschaft  von  Kalydon 
und  Pleuron  an  der  Küste  Aetoliens,  Orten,  die  in  der  Sagen- 
geschichte eine  große  Rolle  spielen  und  auch  mit  dem  Krieg 
gegen  Theben  verbunden  werden,  noch  im  5.  Jahrhundert  den 
Namen  Aeolis  führt  ^).  Der  Eponym  Aiolos  wird  dann  natürlich 

zahlreichen  Übertragungen  thessalischer  Sagengestalten  auf  den  Westen 
des  Peloponnes  (Oichalia  mit  Eurytos  und  Iphitos;  Kentauren  auf  dem 
Pholoegebirge;  Asklepios  und  die  Asklepiaden;  auch  Neleus' Gemahlin 
Chloris  stammt  nach  Od.  \  2S1  aus  Orchomenos)  und  mag  vielleicht 
wirklich  auf  alte  Beziehungen  zurückgehn.  II.  A  722  kennt  einen  Fluß 
MivoTjio?  bei  Pylos,  über  den^man  freilich  später  nichts  mehr  wußte 
(StraboVlIl  s/lQ). 

')  Thuk.  III  102,  5.  Dazu  stimmt  die  von  Wilamowitz,  Ber. 
Berl.  Ak.   1921,  729  f.,   behandelte  Angabe   des  schol.  B   zu  II.  B  494 


204      ^-  Das  griechische  FesUand  und  die  mykenische  Kultur 

nach  Thessalien  versetzt^).  Hier  hat  die  mykenische  Kultur 
gleichfalls  Fuß  gefaßt;  in  der  Umgebung  des  Golfes  von  Pa- 
gasae  und  lolkos  liegen  mehrere  Kuppelgräber,  und  von  hier 
aus  hat  sie  sich  weithin  über  die  Binnenebene  verbreitet. 

Auch  auf  Euboea  hegen  nicht  wenige  Kuppelgräber  und 
Felskammergräber   mit  mykenischen  Gefäßen  sowohl  an  der 


(doch  wohl  eher  aus  Aristoteles'  otxauöiAaxa  Tz6).tuiv  als  aus  Ephoros), 
daß  Kalydon  in  einem  Streit  zwischen  den  Aetolern  und  den  Aeolern 
auf  Grund  von  II.  B  494ff.  den  Aetolern  zugesprochen  wird  (von  Wila- 
MOWiTZ  evident  richtig  ins  Jahr  366  gesetzt).  Ephoros  bei  Strabo  IX  3, 
12.  X  3,  4  und  6  läßt  diese  Aeoler  mit  den  Boeotern  zusammen  aus 
Thessalien  kommen;  er  läßt  sie  also  um  der  homerischen  Angaben 
willen  erst  später,  zur  Zeit  der  großen  Wanderungen,  an  Stelle  der 
Kureten  treten.  In  der  Ilias  gehören  nicht  nur  im  SchiÖskatalog, 
sondern  auch  N  217.  H  115  ff.  Pleuron  und  Kalydon  den  Aetolern,  und 
daher  auch  Oineus,  Tydeus,  Meleagios.  In  der  Meleagergeschichte 
1  529  ff.  dagegen  sitzen  die  Aetoler  mit  Oineus  und  Meleager  in  Ka- 
lydon und  werden  von  den  Kureten  von  Pleuron  bekriegt;  Koupfjts? 
ist  deutlich  nicht  ein  Volksname,  wie  die  Späteren  natürlich  annehmen 
müssen,  sondern  frei  von  der  Dichtung  geschaffen  [„die  junge  Mann- 
schaft" ?  oder  die  „Geschorenen"?,  wie  z.  B.  der  Euboeer  Archomachos 
bei  Strabo  X  3,  6  deutet,  der  sie  daher  von  den  on:t9-Ev  nofiowvts«; 
"Afiavic?  ableitet].  (In  derselben  Weise  erfunden  ist  der  Name  T-r]Xs- 
ßocxt.  gegen  die  in  der  Heraklessage  Amphitryon  zieht).  Dagegen  be- 
richtet Phrynichos  im  Prolog  der  Tragödie  nKsupiüvtat  (fr.  5),  in  der 
das  Schicksal  Meleagers  vorkam  (Pausan.  X  31,  4),  von  einer  Invasion 
durch  einen  Heerzug  der  Hyanten  aus  Boeotien  (doch  wohl  identisch 
mit  den  sich  bei  den  Aetolern  ansiedelnden  Aeolern;  Apollodor  bei 
Strabo  X  3,  4  folgt  offenbar  dem  Phrynichos,  wenn  er  sagt  H  xy)?  Botw- 
Tia?  litsXa-ov:«?  "Tavtct?  iotopelcö'ai  xr*i  eitoixou?  ■zolc.  Altw^oE?  -^evojasvoo,;). 
1)  Er  ist  zunächst  der  Stammvater  der  Heroen  der  Argonauten- 
sage; dann  werden  an  ihn  zahlreiche  andere  Geschlechter  angeschlossen, 
so  Neleus  und  die  Pylier,  die  argivischen  Könige,  Sisyphos  von  Korinth 
u.  a.  —  W.  Schulze,  Ber.  Berl.  Ak.  1910,  803  f.  erklärt  den  Namen 
AIoXt]?  als  die  „Bunten"  und  verbindet  damit  den  Namen  der  A»iv.s?. 
der  „Rußigen",  im  Pindos  und  die  gleichgebildeten  Namen  TsjAp-lxs?, 
die  „Dunklen",  4>otvixE?  (Heros  und  Fluß  Phoinix  bei  den  Thermopylen, 
Stadt  Phoinike  in  Epiros)  die  „Roten",  und  4>atäxE<;  (kombiniert  mit  dem 
Ort  Baiax-rj  Hekataeos  bei  Steph.  Byz.,  gleichfalls  bei  den  Chaonern 
in  Epiros)  die  .Graubraunen"  als  alte  von  Farben  abgeleitete  Stamm- 
namen. 


Thessalien.    Euboea.    Die  Graer  265 

Ostküste  wie  bei  Chalkis^);  und  es  kann  nicht  zweifelhaft 
sein,  daß  sich  hier,  in  der  günstigen  Lage  am  Euripos,  früh 
ein  reiches  Verkehrsleben  entwickelt  hat.  Mit  dem  gegen- 
überliegenden, nur  durch  einen  schmalen  Meerarm  von  ihr 
getrennten  Festland  muß  die  Insel  immer  in  reger  Verbin- 
dung gestanden  haben,  auf  die  denn  auch  in  der  Bevölke- 
rung manche  Andeutungen  hinwiesen.  Die  Bewohner  Eu- 
boeas  heißen  bei  Homer  Abanten,  ein  Name,  der  in  dem  Ort 
Abai  im  östlichen  Phokis  wiederkehrt^).  In  Oropos  wird  im 
5.  Jahrhundert  und  vermutlich  schon  weit  früher  derselbe 
Dialekt  gesprochen  wie  in  dem  gegenüberliegenden  Eretria, 
und  der  hier  ansässige  Volksstamm  der  Graer,  aus  dessen 
Namen  auch  der  der  benachbarten  Stadt  Tanagra  gebildet 
ist,  steht  zur  Zeit  der  griechischen  Kolonisation  in  enger 
Verbindung  mit  Chalkis  und  beteiligt  sich  an  der  Gründung 
von  Kyme  in  Campanien;  dadurch  ist  der  Graername  in  der 
italischen  Weiterbildung  Graici  bei  den  Römern  der  Name 
des  gesaraten  Hellenenvolks  geworden^). 


')  Siehe  Fimmen  S.  6. 

'^}  Aristoteles  bei  Strabo  X  1,  3,  der  sie  für  Thraker  erklärt. 
Bei  Homer  findet  sich  der  Name  außer  im  Schiffskatalog  nur  noch 
A  464.  Wie  dann  ihr  Eponym  Abas  zum  Vater  der  Argiver  Proitos 
und  Akrisios  geworden  ist,  läßt  sich  nicht  erkennen. 

^)  Über  die  Graer  siehe  Wilamowitz,  Hermes  XXI,  von  dem  ich 
in  manchen  ^Einzelheiten  abweichen  muß.  e?  'iJpujiröv  x-fj?  Fpaix-r]? 
Thuk.  in  91;  x->]v  y^'^  '^V  TpatÄ-^v  bei  Oropos  II  23  (die  richtige  Lesung 
bewahrt  Steph.  Byz.  'Üpcurto;).  Die  Stadt  Fpaia  im  boeotischen  Schiffs- 
katalog B  498,  die  Aristoteles  (bei  Steph.  Byz.  Täva^pa  und  'üpiuncK;) 
für  Oropos  erklärt,  ist  gewiß  Tanagra  (so  Pausan.  IX  20,  2;  siehe  die 
Diskussion  darüber  bei  Strabo  IX  2,  10,  Steph.  Byz.  a.  a.  0.,  schol.  B 
zur  llias;  bei  Steph.  Byz.  ist  Fpala  jiöXm;  'EpETpta?).  Ein  Demos  Fpa-?](; 
der  Pandionis  IGr.  II  991.  Der  Eponyraos  Tpäq  wird  dann  in  der  ganz 
dürftigen  Geschichte  der  aeolischen  Wanderung  (Strabo  XIII  1,  3,  offen- 
bar nach  Ephoros;  Pausan.  III  2,  1;  schol.  Lycoph.  1374;  um  des  An- 
klangs  des  Granikos  willen  muß  er  zuerst  an  diesen  ziehn,  so  auch  bei 
Kephalon  [von  Gergis.  d.  i.  Hegesianax]  bei  Steph.  Byz.  Fpatxoi;,  wo- 
nach auch  die  Bewohner  von  Parion  [in  Wirklichkeit  ionisch]  Fpaixs^ 
AloXstov  sein  sollen)  zum  Oekisten  von  Lesbos  gemacht.  —  Beteiligung: 


266     ^-  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

Als  ein  weiterer  Stamm  werden  die  Hyanten  genannt, 
deren  Name  sich  in  dem  phokischen  Hyarapolis,  dicht  bei 
Abae,  erhalten  hat.  Damit  verbinden  sich  die  Tciaotot  von 
Hyettos  bei  Orchomenos^),  und  weiter  Hyria  in  der  Nähe 
der  Bucht  von  Aulis,  gegenüber  von  Chalkis,  wo  das  im 
Hyantennamen  zwischen  zwei  Vokalen  ausgefallene  s  wie  im 
Dialekt  von  Eretria  in  r  übergegangen  ist.  Hier  hat  ein 
großes,  jetzt  wie  es  scheint  verschwundenes  Kuppelgrab  ge- 
legen, das  die  Überlieferung  als  Schatzhaus  des  Hyrieus  be- 
zeichnet^). 

Es  wäre  verkehrt,  in  allen  diesen  Namen  verschiedene 
Volkstümer  zu  suchen 'O,  die  sich,  wie  die  Alten  es  auffassen, 


der  Tanagraeer  an  der  Besiedlung  von  Kyme  beweist  die  Phratrie 
der  Eunostiden  in  dessen  Tochterstadt  Neapel,  die  nach  dem  Heros 
Eunostos  in  Tanagra  (Plut.  qu.  gr.  40)  benannt  ist.  Daß  auf  diesem 
Wege  der  Graername  bei  den  Römern  allgemeine  Bezeichnung  der 
, Griechen"  geworden  ist,  hat  Busolt  erkannt.  Diese  italische  Benennung 
hat  zur  Erfindung  eines  Tprxiv.6;,  Sohn  des  Zeus  und  der  Pandora, 
Tochter  des  Deukalion,  geführt,  der  nach  Lydus  de  mens.  I  13  hinter 
Agrios  und  Latinos  in  Hesiods  Theogonie  eingeschoben  ist  (bei  Rzach^ 
als  fr.  4).  Aristoteles  meteor.  I  14  versetzt  die  toti  jjljv  Fpaixot  vöv  S' 
"EXXyjvs?  nach  Dodona  (vgl.  Apollodor  I  7,  3).  Die  Alexandrinischen 
Dichter  verwenden  dann  Fpaixot  oft  für  "EXXvjve?,  so  Lykophron  und 
Kallimachos   bei  Strabo  I  2.  89  =  V  1,  9. 

')  Hellen.  Oxyr.  11,  3;  ferner  der  Ort  Hysiai  am  Kithaeron.  Apol- 
lodor bei  Strabo  X  4  läßt  die  Hyanten  nach  Aetolien  auswandern.  Vgl. 
auch  Phrynichos  trag.  fr.  5,  oben  S.  264  Anm. 

^)  Pausan,  IX  87,  5,  wonach  es  von  Trophonios  und  Agamedes 
erbaut  ist.  Darauf  ist  dann,  wahrscheinlich  durch  die  Telegonie  (Wila- 
MOWiTZ,  Hom.  Unters.  186),  die  Geschichte  vom  Schatzhaus  des  Rham- 
psinit  übertragen.  Bei  Korinna  ist  er  Sohn  des  Poseidon  und  Vater 
des  Orion,  des  Gottes  und  Ahnen  von  Tanagra;  davon  hat  auch  Pindar 
geredet  (Strabo  IX  2,  12).  —  Der  Zusammenhang  der  Namensformen 
Tpia  und  Tatai  tritt  auch  in  den  bei  Strabo  IX  2,  12  und  Steph. 
Byz.  Tpta  und  Toli  erhaltenen  Notizen  hervor. 

^)  Außer  den  schon  aufgezählten  werden  bei  Strabo  VIT  7,  2 
und  Pausan.  X  5  noch  die  Aoner  genannt,  d.  i.  Bewohner  des  Aoni- 
schen  Gefildes  bei  Theben,  ferner  bei  Pausanias  als  älteste  Bewohner 
Thebens  die  Ektenen  (unter  Ogygos,  an  den  die  Flutsage  und  der 
Nam3    des   Ogygifchen    Tores   von  Theben    anknüpft).    Aristoteles   bei 


Hyanten.    Attika  267 

neben  und  nacheinander  in  der  Landschaft  zusammengedrängt 
hätten;  wohl  aber  erkennen  wir  hier  wie  überall  in  der  grie- 
chischen Welt  die  durch  die  Siedlungsverhältnisse  bedingte 
Zersplitterung  jedes  Gebiets  in  zahlreiche  kleine  Gruppen,  die 
sich  bald  befehden,  bald  verbinden  und  gelegentlich  schon  in 
der  Urzeit,  wie  unter  Theben  und  Orchomenos,  und  dann  wieder 
seit  dem  Ausgang  des  griechischen  Mittelalters  durch  die  Bil- 
dung stärkerer  Mächte  und  durch  den  Zwang  der  Lage  zu 
größeren  völkischen  Einheiten  zusammenwachsen.  Da  hat  sich 
dann  die  Erinnerung  an  das  Sonderdasein  der  Vorzeit  in  ein- 
zelnen derartigen  Splittern  erhalten. 

Etwas  anders  liegen  die  Verhältnisse  in  Attika.  Hier 
finden  sich  Kuppelgräber  bei  Eleusis,  Acharnae  (Menidi),  Tho- 
rikos.  Dazu  kommt  die  Königsbui-g  auf  der  Akropolis  mit 
dem  Palast  des  Erechtheus  und  der  großen  Ringmauer  aus 
mächtigen  Felsblöcken,  dem  IleXapY'.xöv  evv£d7:')Xov.  Manche 
Traditionen  lassen  erkennen,  daß  einzelne  Teile  der  Land- 
schaft, die  überhaupt  geographisch  keine  geschlossene  Ein- 
heit bildet,  einmal  ein  Sonderdasein  geführt  haben,  so  vor 
allem  Eleusis,  aber  auch  Brauron,  die  Tetrapolis  von  Mara- 
thon u.  a.  Nur  umso  auffallender  ist  demgegenüber,  daß  hier, 
völlig  abweichend  vom  gesamten  übrigen  Griechenland,  kein 
einziger  Stammname  überliefert  wird^):  die  Bewohner  der  ge- 
samten Landschaft  benennen  sich  zu  allen  Zeiten  nur  nach 
der  Hauptstadt,  'Aö-zjvaioi,   und  bilden  einen  einzigen  Staat. 


Strabo  VII  7,  2  nennt  ferner  die  Leleger,  d.  i.  die  in  zahlreichen  Orts- 
namen erkennbare  vorgriechische  Bevölkerung  (vgl.  Bd.  I  506).  Später 
sind  dann  nach  Strabo  IX  2,  ;5.  25.  X  3,  17  um  der  Musen  am  Helikon 
willen  noch  Thraker  sowie  natürlich  Pelasger  hinzugekommen.  Vgl. 
im  allgemeinen  Fimmen,  Besiedlung  Boeotiens  bis  in  frühgriech.  Zeit 
Neue  Jahrb.  29,  l.n2,  521  fi".| 

')  Die  einzige  Ausnahme  bildet  die  Angabe  über  die  Temmiker  bei 
Sunion  oben  S.  260  Anm.  Ferner  könnte  man  aus  dem  Namen  Mo'J/ortta, 
den  die  Landschaft  geführt  haben  soll  (Strabo  IX  1,  18.  5,  22.  Steph. 
Byz,  u.  a.),  einen  verschollenen  Stamm  der  Mopsopen  erschließen.  Bei 
Plin.  V  96  wird  es  (am  des  hier  lokalisierten  Propheten  Mopsos  willen) 
der  älteste  Name  Pamphjliens. 


268     ^  •  ^^^  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

Eine  derartige  größere  Einheit  widerspricht  an  sich  den  Zu- 
ständen der  mittelalterlichen  Zeit  durchaus ;  nur  umso  sicherer 
können  wir  schließen,  daß  sie,  wie  denn  auch  die  Tradition 
annimmt,  bereits  in  die  mykenische  Epoche  zurückgeht  und 
daß  die  Herren  der  Burg  von  Athen  schon  damals  ihre  Herr- 
schaft über  das  ganze  Land  ausgedehnt  und  dies  staatlich 
geeinigt  haben  ^). 

Die  Lage  der  Hauptsitze  der  mykenischen  Kultur  zeigt 
deutlich,  daß  sie  überall  auf  der  Verbindung  mit  der  See  be- 
ruht. Die  befruchtende  kretische  Kultur  ist  in  alle  Buchten 
gedrungen,  die  den  Zugang  von  Süden  und  Osten  gewähren, 
während  der  große  Golf,  der  sich  nach  Westen  öffnet,  nebst 
den  vorliegenden  Inseln  völlig  zurücktritt.  Ganz  unberührt 
sind  auch  diese  Gebiete  nicht  gebheben,  Ansiedlungen  und 
Gräber  mit  mykenischen  Scherben  finden  sich  auch  hier  nicht 
selten  (so  in  Delphi);  aber  größere  Bauten  haben  sie  nirgends 
aufzuweisen,  für  das  Kulturleben  sind  sie  völlig  passiv  ge- 
blieben. 

Auch  auf  den  Inseln  des  Ägaeischen  Meeres  ist  die  my- 
kenische Kultur  an  Stelle  der  älteren  kretischen  getreten.  Die 
Ausbreitung  der  Griechen  wird  hier  um  dieselbe  Zeit  be- 
gonnen haben  wie  die  Invasion  Kretas.  Auf  den  meisten 
Kykladen  finden  sich  mykenische  Scherben  desselben  Stils 
wie  in  der  Argolis.  Auf  Naxos  liegt  ein  Kuppelgrab.  Auf 
Melos  ist  die  zweite  neukretische  Stadt  von  Phylakopi  nieder- 
gebrannt und  darüber  eine  dritte  erbaut,  in  der  ein  größeres 
Haus  ein  von  Korridoren  umschlossenes  Megaron  mit  dem 
Herd  in  der  Mitte  und  mit  Resten  mykenischer  Wandmalerei 
enthält.  Auf  Thera  sind  die  Gebäude  der  mykenischen  An- 
siedlung,  auch  hier  mit  Trümmern  der  Wandmalerei,  durcb 
einen  großen  Vulkanausbruch  verschüttet  und  dadurch  er- 
halten.   Die  Ausbreitung  hat  Rhodos  erreicht,  wo  in  lalysos, 


')  Natürlich  ist  es  aber  sehr  möglich,  daß  damals  sowohl  Eleusis, 
wie  die  Tetrapolis  von  Marathon  nebst  Rhamnus  noch  nicht  zu  Athen 
gehörten,  sondern  die  Landschaften  im  Norden  einen  Teil  des  Gebiets 
der  Graer  bildeten;  vgl.  Wilamowitz,  Ber.  Berl.  Ak.  1925,  236  f. 


Der  Westen.    Die  Inseln.    Der  Norden.    Dodona  269 

nahe  der  Nordspitze  der  Insel,  eine  große  Nekropole  von 
der  mykenischen  Besiedlung  Kunde  gibt.  Auf  die  Weiter- 
entwicklung dieses  zunächst  durchaus  nach  Osten  gerichteten 
Vordringens  werden  wir  später  zurückkommen  müssen. 


Die  Verteilung  der  griechisclien  Stämme. 
Ältere  Schichtungen.    Epiros  und  IVIakedonien 

Von  der  Ausbreitung  und  Verteilung  der  griechischen 
Stämme  über  das  von  ihnen  besetzte  Gebiet  werden  wir  immer 
nur  ein  sehr  unvollkommenes  Bild  gewinnen  können.  Scharf 
muß  auch  an  dieser  Stelle  betont  werden,  daß  sich  bei  ihnen 
nicht  die  mindeste  Erinnerung  daran  bewahrt  hat,  daß  ihre  Vor- 
fahren einmal  aus  weiter  Ferne  eingewandert  sind  (vgl.  Bd.  I 
527);  sie  betrachten  sich  durchweg  als  Autochthonen.  Wohl 
aber  wissen  sie  mancherlei  von  Umwälzungen  und  Wande- 
rungen auf  diesem  Boden  zu  erzählen,  Richtiges  und  Falsches; 
dabei  haben  namentlich  die  in  nachhomerischer  Zeit  in  der 
genealogischen  Dichtung  einsetzenden  und  von  den  ältesten 
Historikern  immer  weiter  ausges[)onnenen  Konstruktionen  über 
ein   angebliches  Urvolk  der  Pelasger  verhängnisvoll  gewirkt. 

Als  gesichert  kann  gelten,  daß  die  Sitze  der  griechischen 
Stämme  im  2.  Jahrtausend  beträchtlich  weiter  nach  Norden 
reichten,  als  in  späterer  Zeit;  hier  hat  die  Völkerwanderung 
um  1200  eine  wesentliche  Verschiebung  herbeigeführt.  Die 
nordwestgriechischen  (dorischen)  Stämme,  die  damals  in  Thes- 
salien und  Mittelgriechenland  einbrachen,  müssen  vorher  weit 
nach  Illyrien  und  Makedonien  hinein  gesessen  haben.  In 
Epiros  finden  sich  zahlreiche  griechische  Ortsnamen.  Die  ur- 
alte Kultstätte  von  Dodona,  mit  dem  Orakel  des  in  den  Was- 
sern des  fruchtbaren  Tales  hausenden  Zeus  Naios,  ist  immer 
griechisch  geblieben.  Aus  der  Patroklie,  die  ihm  den  Bei- 
namen des  Pelasgischen  gibt,  erfahren  wir,  daß  die  Propheten, 
denen  die  Offenbarungen  zuteil  wurden,  wenn  sie  mit  un- 
gewaschenen Füßen  auf  dem  Erdboden  schliefen  —  also  eins 
der  vor  allem  in  Boeotien  weitverbreiteten  Traumorakel  — , 


270     ^-  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

den  Namen  'EXXoi  trugen^).  Si)üter  ist  der  Kultus  völlig  ge- 
ändert: Zeus,  dem  seine  Gemahlin  Diona  zur  Seite  steht,  er- 
teilt das  Orakel,  das  von  drei  Priesterinnen  verwaltet  wird, 
durch  das  Rauschen  des  heiligen  Eichbaums.  Mit  den  Hel- 
len verbindet  sich  der  von  Hesiod^)  überlieferte  Name  Hel- 
lopia  für  die  Landschaft  von  Dodona,  der  in  Nordeuboea 
wiederkehrt  und  weiter  mit  der  Landschaft  Hellas  und  dem 
Hellenenstamm  in  Südthessalien  zusammenhängt.  Da  ist, 
in  Konkurrenz  mit  dem  gleichfalls  weit  verbreiteten  Suffix 
-av  (-"/jv),  an  den  Stamm  ein  Suffix  -ok  getreten,  mit  dem 
in  alter  Zeit  zahlreiche,  später  meist  halb  verschollene  Stamm- 
namen gebildet  sind.  So  im  oberen  Makedonien  die  "AXfitoÄSc 
und  AGDpioTTsc^),  in  Epiros  die  Kaoato;rtoi  oder  KaooiuTrafot, 
im  Pindos  die  AöXojrsc,  die  dann  auch  die  Insel  Skyros  be- 
setzt haben,  Mitglieder  der  pylaeischen  Amphiktionie  und 
von  Herodot  VH  132  zu  den  Griechen  gerechnet.  Dann  die 
ApooTTs?  am  Oeta,  im  Süden  Euboeas  (bei  Karystos)  und  auf 
der  argivischen  Akte  in  Hermione  und  Asine,  also  ein  Stamm, 
der  vom  Malischen  Meerbusen  aus  die  See  befuhr  und  sich 
an  mehreren  Küstenplätzen  festgesetzt  hat.  Weiter  gehört  der 
Name  Pelops  hierher  (o.  S.  250),  und  in  Attika  der  Urkönig 
Kekrops  und  der  angeblich  älteste  Landesname  Mopsopia 
(s.  o.  S.  267, 1).  Die  Bildung  liegt  auch  in  dem  in  der  homeri- 
schen Dichtersprache  noch  in  stereotypen  Formeln  erhaltenen 
Wort  [xsporsc:  „Menschen"  (die  „Sterblichen" ')  vor,  ein  Beweis, 


')  IL  n  233  ff.:  vgl.  meine  Forschungen  I  37  ff.  Die  Späteren  stan- 
den dieser  Stelle  ganz  ratlos  gegenüber;  die  zum  Teil  ganz  wilden 
Korrekturen  und  Erläuterungen  zeigen  deutlicb,  wie  groß  die  Kluft 
ist,  die  zwischen  Homer  und  der  Zeit  liegt,  in  der  die  geschichtliche 
Kunde  einsetzt.  —  Sophokles  (Trach.  116B),  Aristarch  (schol.  A)  und 
Apollodor  (Strabo  VII  7,  10)  haben  SeXXoi  gelegen,  Pindar  (fr.  59)  da- 
gegen zweifellos  richtiger  (vgl.    schol.  Town.)  ö/Atpl  Se  c'  'EX/ot. 

')  Fr.  134  RzACH^  bei  Strabo   und  schol.  Soph.  Trach.  1167. 

^)  Die  Landschaft  yj  Asuptoiro?  am  Erigon,  Strabo  VII  7,  8.  Liv. 
39,  53.    Ein  Asupöreio?  M/v-tSüiv  IGr.  VII  356. 

*)  Auf  Kos  (-f]  Mz^otz'k;)  gilt  Meroper  später  als  Name  der  Urbe- 
völkerung der  Insel.  —Auch  Ortsnamen  wie  EupwTioic,  'iipojitö^,  'AXötit]  u.  a. 


Hellenen.    Stammnamen  auf  -op.    Die  Epiroten  271 

daß  sie,  mag  sie  auch  aus  einer  fremden  Sprache  übernommen 
sein,  doch  auch  von  den  Griechen  selbst  verwendet  worden 
ist.    Doch  bleibt  natürlich  die  Möglichkeit,    daß  wir  es  hier 

—  und  ebenso  bei  den  Pelasgern  Thessaliens  —  mit  Resten 
der  vorgriechischen  Bevölkerung  zu  tun  haben,  die  sich  dann 
mehr  oder  weniger  hellenisiert  haben. 

In  der  Folgezeit  sind  nun  aber  die  Griechen  bis  auf  ge- 
ringe Reste,  so  in  Dodona^),  aus  Epiros  verdrängt  worden. 
Es  empfiehlt  sich,  gleich  an  dieser  Stelle  darauf  hinzuweisen, 
daß,  entgegen  gegenwärtig  weit  verbreiteten  Ansichten^),  nach 
allen  Zeugnissen,  die  uns  vorliegen,  die  Stämme,  die  wir  in 
geschichtlicher  Zeit  hier  antreffen,  nicht  griechisch,  sondern 
eine  „barbarische"  Sprache  gesprochen  haben,  also  wahr- 
scheinlich zu  den  Illyriern  gehört  haben.  Allmählich  ist 
dann  auch  bei  ihnen  von  der  Küste  her  das  Griechische  ein- 
gedrungen, und  im  Molosserreich  ist  im  4.  Jahrhundert,  wie 
bei    den   Aetolern,    der   delphische   („norddorische")   Dialekt 

—  also  nicht  etwa  eine  einheimische  Sprachform  —  die  offi- 
zielle  Sprache    geworden-').     Auch   in   die   aetolischen   Berge 


werden  wir  hier  einreihen  dürfen,  vielleicht  auch  Mo'iiov  in  Thessalien 
(in  die  Niihe  des  Tempepasses  gesetzt,  IG.  IX  2,  1056),  dessen  Epony- 
mos,  der  Lapithe  Mo'|o(;  'AfJuiMxioY];  Tixapr^aioi;  (also  hier  an  diesen 
Fluß  versetzt,  Hesiod  scut.  181)  am  Argonautenzug  als  Seher  teilnimmt 
und  dann  einen  Doppelgänger  als  Sohn  der  Manto,  Tochter  des  Tiresias, 
erhält,  der  später  in  Pamphylien  und  Kilikien  als  Gründer  ihrer  großen 
Orakel  zu  stets  steigendem  Ansehn  gelangt  ist.  Mit  ihm  muß  auch 
der  Name  Mo-^onta  zu>ammenhüngen. 

')  Daß  Dodona  griechisch  geblieben  ist.  beweist  der  Kultus  und  das 
Ansehn  des  Orakels  in  der  griechischen  Weit  und  bestätigt  Herod.  II  5ti. 
IV  33. 

2)  So  Bei  OCH,  Griech.  Gesch.^  I  2,  33  ff.,  der  es  z.  B.  fertig  ge- 
bracht hat,  die  Aussage  des  Thukydides  II  68  über  die  Amphilocher  in 
ihr  Gegenteil  zu  verkehren. 

^)  Nach  Thuk.  11  68  haben  die  Amphilocher,  soweit  sie  der 
Griechenstadt  Argos  Untertan  waren,  die  griechische  Sprache  ange- 
nommen (TjXXYjvio^Yjaav  x-)]v  vüv  f^^üJa-av) ;  die  übrigen  sind  ßäpß'ipo'. 
(ebenso  El  112,  7),  ebenso  die  Chaoner  und  ihre  Nachbarn.  In  dem 
peloponnesischen  Heer  des  Knopos  429  sind  nach  II  80  außer  Griechen 


272     ^^-  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

sind  derartige  nichtgriecbische  Stämme  eingedrungen,  die  sich 
dann  mit  den  griechischen  Aetolern  etwa  in  derselben  Weise 
zu  einer  Konföderation  zusammenschlössen,  wie  die  verschie- 
denen Nationalitäten  des  Schweizer  Bundesstaats;  aber  noch 
im  Jahre  197  bezeichnet  König  Philipp  V.  die  Agraeer,  Apo- 
doten  und  Amphilocher  (die  damals  mit  zum  Bunde  gehörten) 
als  nicht  zu  Hellas  gehörend^). 

Eine  Spur  eines  früheren  derartigen  Vorstoßes  scheint 
darin  vorzuliegen,  daß  der  Name  der  Athamanen,  eines  im 
Pindos  sitzenden  epirotischen  Volksstammes,  in  dem  Namen 
zweier  Ebenen,  des  athamantischen  Gefildes  bei  Halos  am 
Pagasaeischen  Meerbusen,  und  des  gleichnamigen  in  Boeotien 
am  Kopaissee,  wiederkehrt.    Dadurch  ist  ihr  Eponvme  Atha- 


als  ßäpßapot  Chaoner,  Thesproter,  Molosser,  Atintanen,  Parauaeer,  Oresten 
(die  nach  Hekataeos  fr.  130  Jacoby  bei  Steph.  Byz.  ein  MoXoaaixov 
eO-vo^  sind).  Vgl.  auch  I  47.  Ebenso  sind  nach  [Skymn.]  444  ff.  die 
Thesproter,  Chaoner,  die  Nachbarn  des  amphilochischen  Argos  ßdf/ßapoi, 
und  im  Binnenlande  bei  Dodona  wohnen  is.'.-;ä'.s<;  ß'vpßapot.  Strabo  VII 
1,  1  nennt  als  ßapßapoi  in  Epiros  die  Thesproter,  Kassopaeer,  Amphi- 
locher, Molosser  und  Athamanen.  Vierzehn  epirotische  Stämme  hat  Theo- 
pomp aufgezählt  (Strabo  VII  1,  5,  der  sie  §  8  von  den  'IXXuptx'-^t  eO^vy) 
im  Norden  unterscheidet).  —  Daß  die  Molosser  Griechen  seien,  wird 
mit  Unrecht  daraus  gefolgert,  daß  bei  Herod.  VI  127  unter  den 
Freiern  der  Agariste  auch  ein  Molosser  Alkon  erscheint;  denn  das 
molossische  Königshaus,  das  sich  von  Achills  Sohn  Neoptolemos  ab- 
leitete, galt  natürlich  ebensogut  als  griechisch,  wie  das  makedonische- 
—  Daß  die  Chaoner  in  Epiros  dasselbe  Volk  sind,  das  wir  als  Choner 
an  der  gegenüberliegenden  italischen  Küste  finden,  ist  oft  bemerkt. 

')  ODx  EOTiv  'E).Xd;  Polyb.  XVIII  5,  8.  Hellenisiert  sind  sie  da- 
mals natürlich  längst;  daher  bezeichnen  die  makedonischen  Gesandten 
im  Jahre  200  in  einer  Rede  vor  den  Aetolern  (Liv.  31,  29,  15,  aus  Poly- 
bios)  die  Aetoler,  Akarnanen,  Makedonen  als  eiusdem  linguae  homi- 
nes  im  Gegensatz  zu  den  aliegeni  barbari,  d.  i.  den  Römern.  Bei 
Thukydides  sind  auch  die  Agraeer  noch  ein  selbständiges  Volk  (III  106. 
111.  IV  77).  Von  den  Eurytanen,  die  mit  den  Ophionen  und  Apodoten 
zusammen  die  Koalition  bildeten  (III  94.  100,  vgl.  Arrian  I  10.  2),  sagt 
Thuk.  III  94,  sie  seien  iik-fioxov  fispo;  tiJüv  AltcuAtüv,  a-^vuizzöxazoi  ol  xyjv 
fXcüaoav  xctl  tu}j.o(f)äYoi  etoiv,  tn^  Kz-^o-t/zai;  sie  waren  also  ein  Barbaren- 
volk, das  notdürftig  ein  griechisches  Kauderwelsch  radebrechte. 


Epiros.    Athamanen.    Die  Makedonen  273 

raas  in  die  griechischen  Genealogien  verflochten  und  hat  hier 
eine  große  Rolle  erhalten. 

Etwas  anders  liegt  es  mit  den  Makedonen.  Die  viel  ver- 
handelte und  in  die  politischen  Kämpfe  der  Gegenwart  hinein- 
gezogene Frage  nach  ihrer  Nationalität  scheint  sich  dahin  zu 
entscheiden,  daß  die  Makedonen  einen  griechischen  Dialekt 
gesprochen  haben,  der  sich  zwar  durch  manche  Lautverän- 
derungen, so  vor  allem  durch  die  Wandlung  der  Aspiraten 
in  Medien^),  von  den  andern  unterschied,  aber  im  allgemeinen 
dem  Dorischen  nahestand^).  Das  makedonische  Reich  aber 
ist  erst  etwa  im  8.  oder  7.  Jahrhundert  —  die  homerische 
Poesie  kennt  die  Makedonen  noch  nicht,  wohl  aber  die  Land- 
schaften Pierien  am  Fuß  des  Oljmp  und  weiter  östlich  Ema- 
thien^)  —  durch  Eroberung  unter  Führung  einer  Dynastie  ent- 
standen, die,  wie  es  scheint  von  der  emathischen  Ebene  mit 
der  Hauptstadt  Aigai  oder  Edessa  am  Fuß  des  Gebirges  aus- 
gehend, die  Landschaften  von  Pierien  bis  zum  Strymon  unter- 


')  Die  indogermanische  Media  aspirata  ist  im  Makedonischen 
zur  Media,  in  den  anderen  griechischen  Dialekten  zur  Tenuis  aspirata 
und  dann  zur  Affricata  geworden.  Der  durch  diese  Lautverschiebung 
geschaifene  Unterschied  ist  viel  geringer  als  der  zwischen  Nieder- 
deutsch und  Hochdeutsch. 

2)  Wenn  Herodot  I  .^G  und  VIII  43  die  Dorier,  als  sie  im  Pindos 
saßen,  ein  MaxsSvöv  eS-vo?  nennt,  scheint  er  mit  diesem  Namen  die 
Gesamtheit  der  griechischen  Gebirgsstämme  im  Norden  zu  bezeichnen. 
Vgl.  Strabo  VII  7,  8  evcoi  8e  xal  oöfATtaGav  x-i^v  [X^XP'  Kopxopai;  (d.  i.  das 
gesamte  Gebiet  des  makedonischen  Reichs  im  3.  Jahrhundert)  Maxe- 
Soviav  irpooaYopcüooacv,  alz'.oko-^ob'jzsc,  OLiia,  on  xal  xoopä  xai  S'.aXsxtw  xal 
xXa|xu8c  xal  akXoK;  toiouxo'.?  /pdivtat  napartX*f]atu)c '  svtoi  8e  xal  ^[yKuiZtol 
eloiv.  —  Makedon  und  Magnes  Söhne  des  Zeus  von  einer  Tochter  Deu- 
kalions:  Hesiod  fr.  5;  Makedon  S.  d.  Aiolos:  Hellanikos  fr.  74  Jacob y. 
Makednos  oder  Makedon  S.  d.  Lykaon  (wie  Thesprotos;  vgl.  Wilamowitz, 
Ber.  Berl.  Ak.  1926,  145ff.):  Apollodor  m  8,  1.  Steph.  Byz.  'ßpuircö?. 
Aelian  bist.  an.  X  48:  daher  sind  die  Makedonen  Pelasger:  Aeschyl. 
Suppl.  255.  Justin  VII  1.  Makedon  f'^Y-v^«  [Skymn.]  peripl.  620.  — 
Nebenform  Maxstta,  MaxexY](;,  fem.  Maxet:?  und  Maxsaaa:  Steph.  Byz. 
MaxsSovta,  zum  Teil  aus  Const.  Porph.  de  Them.  II  p.  48  ergänzt. 

3)  II.  S  226. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    II'.  ^^ 


274     ^-  1^3'S  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

warf  und  die  Dynasten  des  Hinterlandes,  des  „oberen  Make- 
doniens", von  sich  abhängig  machte^).  Dadurch  sind  nicht 
wenige  thrakische  und  illjrische  Elemente  in  ihre  Sprache 
gekommen;  aber  nicht  nur  zahlreiche  uns  erhaltene  make- 
donische Glossen  haben  ein  durchaus  griechisches  Gepräge, 
sondern  in  Eigennamen  wie  IIzoXb[s.(xIoz  und  in  der  Bezeichnung 
des  Reiteradels  als  staipoi,  als  Gefolgschaft  des  Königs,  haben 
sie  die  altgriechischen  Formen  erhalten,  die  später  in  Griechen- 
land selbst  geschwunden  sind.  Wenn  sie  daher  auch,  mit  Aus- 
nahme des  Königsgeschlechts,  als  ein  hellenisches  National- 
gefühl entstand  und  der  Hellenenname  aufkam,  unter  diesen 
nicht  inbegriffen,  sondern  als  Ausländer  (ßdpßapoi)  betrachtet 
wurden'''),  so  kann  doch  kein  Zweifel  sein,  daß  die  Makedonen 
oder  wenigstens  dasjenige  Volkselement,  auf  dem  ihre  ge- 
schichtliche Bedeutung  beruht,  ein  Zweig  des  griechischen 
Volkstums  gewesen  sind^). 

Die  Götterwelt.  Athena 

An  Kämpfen  und  Wanderungen  wird  es  in  der  ältesten 
Zeit   so  wenig   gefehlt   haben  wie   später.     So  wird    es   sich 


'j  Herod.  VIII  137  ff.  Thuk.  II  99.  Die  Dynastie  heißt  'ApY^aSat: 
das  hat  veranlaßt,  daß  sie  sich  aus  dem  peloponnesischen  Argos  ableitete 
und  ihren  Stammbaum  an  Temenos  und  dadurch  an  Herakles  und 
Perseus  anknüpfte. 

^)  Es  wird  oft  verkannt,  daß  auch  Isokrates  diese  seit  Herodot 
(und  natürlich  schon  lange  vor  ihm)  allgemein  herrschende  Anschau- 
ung teilt.  Nach  ihm  hat  Phil.  107  f.  der  Begründer  des  makedonischen 
Reichs  x&v  li.lv  toreov  töv  'EXXtivixov  oXtui;  siacs,  tyjV  8e  ev  MaxeSovia 
ßaat>.Et*v  xaxaaxelv  inE'9-U|ji.Y|aev;  er  hat  }ji6vo(;  töiv 'EXX-fjva>v  c«t)X  b\xo<fiüXou 
YEvoo?  apxetv  ä^ituoa«;  eine  feste  Monarchie  begründen  können,  was 
unter  Griechen  nicht  möglich  gewesen  sein  würde. 

^)  Siehe  die  Bearbeitung  des  sprachlichen  Materials  durch  0.  Hoff- 
mann, Die  Makedonen,  1906.  Vgl.  Solmsen,  Rhein.  Mus.  59,  1904  S.  487, 
1.  504.  Zu  den  nichtgriechischen  Elementen  gehört,  wie  W.  Schulze, 
Zur  Gesch.  latein.  Eigennamen  (Abh.  Gott.  Ges.  V  2,  1904)  S.  40  er- 
kannt hat,  die  Bildung  ßaofXtaca,  die  in  der  hellenistischen  Zeit  die 
echt  griechische  Form  ßaotXeia  (attisch  ßaoiXtvva)  verdrängt. 


Verbreitung  der  Namen,  Mythen  und  Kulte  275 

erklären,  daß  zahlreiche  Orts-  und  Flußnamen  ohne  erkenn- 
bare appellative  Bedeutung,  meist  wohl  schon  der  vorgrie- 
chischen Bevölkerung  angehörend,  an  den  verschiedensten 
Stellen  des  Landes  wiederkehren^).  Einzelne  weitere  Auf- 
schlüsse werden  sich  aus  der  Geschichte  der  einzelnen  Kulte 
und  dem  Auftauchen  derselben  Götter  und  Mythen  an  weit 
voneinander  getrennten  Stellen*)  wohl  noch  gewinnen  lassen, 
wie  sich  in  Ägypten  auf  diesem  Wege  wenigstens  teilweise 
ein  Einblick  in  die  älteste  Verteilung  der  Bevölkerung  erreichen 
läßt  (Bd.  I  178  ff.);  wesentlich  erschwert  wird  das  allerdings 
in  Griechenland  dadurch,  daß  unsere  Kunde  hier  erst  relativ 
sehr  spät  einsetzt,  wo  sich  schon  zahlreiche  neue  Beziehungen 
gebildet  haben,  und  daß  sie  stark  getrübt  ist  einerseits  durch 
die  Ausbildung  einer  poetisch  ausgestalteten  Götterwelt  im 
Epos,  die  überall  neben  den  lokalen  Kulten  zu  universeller 
Geltung  gelangt,  andrerseits  durch  die  systematisierende  Zu- 
sammenfassung und  Umgestaltung  der  mythischen  Traditionen 
in  den  genealogischen  Epen  und  bei  den  dies  Material  immer 
wieder  aufs  neue  verarbeitenden  Historikern.  Oft  genug  ge- 
währen   daher   die    Nachrichten,    die   wir    aus   späterer   Zeit 


')  Hierher  werden  wir  auch  das  Wort  Argos  rechnen  dürfen,  das 
wohl  allgemein  „Ebene"  bedeutet  (nach  alexandrinischer  Lehre  bei 
Strabo  VIII  6,  9  erst  bei  den  vetu-repoi);  so  die  der  Pelasger  in  Thessa- 
lien, der  Oresten  in  Makedonien  [woher  bei  Appian  Syr.  63  die  Ar- 
geaden  abgeleitet  werden],  der  Amphilocher  in  Epiros,  der  Danaer  im 
Peloponnes.      j 

")  Hierher  mag  auch  gehören,  daß  nicht  wenige  Mythen  sowohl  in 
Thessalien  wie  im  Westen  des^Peloponnes  lokalisiert  sind  (o.  S.  263  Anm.); 
ferner,  daß  Pelias  von  lolkos  und  Neleus  von  Pylos  Brüder  sind.  Söhne  des 
Poseidon  von  Tyro  (die  dann  Gemahlin  KpYj^Yjo?  A-.oXi'Sao  und  von  ihm 
Mutter  der  thessalischen  Eponymen  Aison  und  Pheres  und  des  nach  Elis 
gehörenden  Amythaon  wird);  sie  empfängt  die  Kinder  von  Poseidon,  der 
die  Gestalt  des  Flußgottes  Enipeus  annimmt  (Od.  l  23.5  ff.).  Auch  dieser 
Fluß  findet  sich  sowohl  in  Elis  wie  in  Thessalien ;  daß  Tyro  die  Tochter 
des  Salmoneus  ist,  des  EponjTnen  des  Ortfs  Salmone  an  der  Quelle 
des  elischen  Enipeus  (Strabo  VHI  8,  33),  zeigt,  daß  diese  Gestalten  nach 
Elis  gehören  und  Pelias  eingefügt  ist,  um  die  thessalischen  und  elisch- 
peloponnesischen  Genealogien  zu  verknüpfen. 


276     ^-  I^^s  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

über  die  lokalen  Kulte  und  Bräuche  erhalten,  einen  weit 
wertvolleren  Anhalt  als  diese  Erzählungen,  die  den  trügeri- 
schen Schein  höchsten  Altertums  erwecken. 

Es  kommt  hinzu,  daß  nicht  nur  die  kretische  Kultur,  als 
sie  den  Anstoß  zu  einer  höheren  Entwicklung  auf  griechischem 
Boden  gab,  auch  die  Religion  aufs  stärkste  beeinflußt  hat, 
sondern  daß  weiter  durch  die  ständig  fortschreitende  Be- 
rührung mit  den  Völkern  der  Inselwelt  und  Kleinasiens  immer 
wieder  neue  Kulte  und  Erzählungen  übernommen  wurden.  So 
ist  die  bunte  Mannigfaltigkeit  der  griechischen  Götterwelt 
und  der  griechischen  Mythologie  entstanden. 

Vielfach  sind  offenbar  die  Kultstätten  der  vorgriechischen 
Bevölkerung  und  die  an  ihnen  hausenden  Mächte  nebst  den 
Formen  des  Kultus  bei  der  Einwanderung  von  den  Griechen 
übernommen  und  fortgeführt  worden.  Damit  mag  auch  der 
in  Griechenland  weitverbreitete  Tierdienst  zusammenhängen, 
der,  soweit  wir  sehn  können,  sowohl  der  indogermanischen 
wie  der  kretischen  Religion  ganz  fremd  ist;  in  der  altgrie- 
chischen Religion  dagegen  offenbart  sich  jede  Gottheit  zu- 
gleich in  der  Gestalt  des  ihr  Wesen  verkörpernden  Tieres. 
Überhaupt  aber  wandelt  sich  durch  die  Seßhaftigkeit,  durch 
das  Verwachsen  mit  dem  Boden  der  Charakter  der  einfachen 
religiösen  Vorstellungen,  die  sie  aus  der  Vorzeit  mitgebracht 
haben,  umso  stärker,  je  mehr  der  Charakter  der  Wohnsitze  zu 
immer  weitergehender  Zersplitterung  in  kleine  Ländergruppen 
führt.  So  ist  auch  Zeus,  neben  der  Erdgöttin  einer  der 
wenigen  Götter,  die  bereits  der  indogermanischen  Zeit  ange- 
hören, ein  wesentlich  anderer  geworden.  Zwar  bleibt  er  der 
Himmelsgott,  der  den  Bhtz  schleudert,  und  der  „Vater  der 
Götter  und  Menschen"  und  wird  von  jeder  Familie  als  Ahne 
(TraTpuHO?)  verehrt  —  nur  bei  den  loniern  ist  darin  Apollon 
an  seine  Stelle  getreten  — ;  im  Kult  dagegen  ist  er  überall 
eine  lokale  Gottheit  geworden,  die  auf  allen  Berghöhen  thront, 
aber  auch  in  der  Tiefe  (so  in  Dodona)  ihren  Sitz  hat  und 
die  Hürde  des  Hofes  beschirmt  (o.  S.  243).  Daher  wird  er 
beim  Opfer  nicht  als  universale  Gottheit,  sondern  immer  nur 


Fortbildung  der  Kulte.    Tierdienst.    Das  Palladion,  Atlienaia     277 

als  dieser  mit  der  Einzelgemeinde  verbundene  Sondergott  an- 
gerufen; der  Beiname,  den  er  als  solcher  führt  und  der  ihn 
von  allen  anderen  gleichartigen  Zeusgestalten  scheidet,  ist 
dafür  ganz  unentbehrlich. 

Das  gleiche  gilt  von  allen  Gottheiten  des  Kultus.  Auf 
manche  von  ihnen,  so  auf  Herakles  und  Apollon,  werden  wir 
später  zurückkommen.  Dagegen  muß  an  dieser  Stelle  noch 
eine  Gottheit  besprochen  werden,  durch  die  auf  die  älteren 
geschichtlichen  Verhältnisse  ein  helles  Licht  fällt,  die  Burg- 
göttin Athena. 

Wir  haben  die  bildliche  Darstellung  der  Kriegsgöttin  in 
Mykene  kennen  gelernt  (o.  S.  241  f.),  ein  riesiger  Schild  mit 
angefügten  menschlichen  Gliedmaßen,  in  der  Hand  die  Lanze 
schwingend.  Es  ist  das  Palladion,  das  wir  überall  in  den 
Städten  als  Schirmer  der  Burg  antreffen^);  die  Göttin  selbst 
heißt  Pallas  „die  Lanzeschwingerin".  Aber  im  Epos  heißt  sie 
IlaXXac'AdrjvatTj,  also  nach  einer  Stadt  Athen;  und  nicht  nur 
in  der  berühmtesten  Stadt  dieses  Namens,  sondern  in  der 
ganzen  griechischen  Welt,  in  der  sie  überall  eine  der  höchsten 
Gottheiten  ist,  lautet  ihr  Eigenname  immer  nur  einfach 'AO-rj- 
vaia  „die  von  Athen";  sie  heißt  also  nach  der  Stadt,  nicht 
diese    nach   einer  Göttin').     Es   gibt  nun   zwei  Städte  dieses 

')  Daß  sich  das  alte  Kultsymbol  in  Argos  in  dem  „Schilde  des 
Diomedes"  erhalten  hat,  der  in  der  Prozession  getragen  wird,  die  das 
Kultbild  der  Athena  begleitet,  wenn  sie  zum  Bade  im  Inachos  fährt 
(Kallimachos  5.  3.5),  hat  Wilamowitz,  Ber.  Berl.  Ak.  19"21,  9.51  erkannt. 

^)  Man  scheut  sich,  das  anzuerkennen,  offenbar  weil  man  eine 
Erklärung  dafür  nicht  zu  finden  weiß.  Aber  die  Tatsache  ist  ganz 
unbestreitbar:  gerade  in  Athen  führt  die  Göttin  keinen  wirklichen 
Eigennamen,  sondern  heißt  immer  nur  „die  Athenische",  'Ad-i]vaia, 
später  mit  Wegfall  des  i  'A^Yjvaa  und  kontrahiert 'A\)-y]v«.  'AO-äva,  'A'S-^vfj 
ist  eine  Verkürzung,  die  namentlich  im  Aeolischen  viele  Analogien  hat. 
[Wer  es  für  den  ursprünglichen  Götternamen  hält,  hat  zu  erklären,  wie 
es  kommt,  daß  dieser  durch  'A6"r]vaia  ganz  in  den  Hintergrund  gedrängt 
ist,  was  niemals  auch  nur  versucht  ist;  das  Problem  bleibt  aber  auch 
dann  dasselbe.  |  Bei  Homer  werden  beide  Formen  promiscue  gebraucht, 
je  nach  dem  Bedürfnis  des  Verses.  'A9-rivat  ist  ein  tj^jischer  Stadtname, 
wie  Mux-?]va'.  (das  oft  genug  zu  Muxrjvv]  verkürzt  wird).' 


278     ^-  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

Namens^),  die  Hauptstadt  Attikas  und  die  alte,  früh  im 
Kopaissee  verschwundene  Stadt  in  Boeotien  (o.  S.  260  Anm.). 
Aber  der  Kult  hat  sich  hier  erhalten  in  den  beiden  nahe  bei- 
einander gelegenen  Orten  Alalkomenai  und  Itonos;  zwischen 
ihnen  fließt  der  Bach  Triton,  an  dem  die  Göttin  geboren  ist^). 
Andrerseits  gilt  der  Kult  der  Athena  in  Athen  selbst  als 
sekundär:  nach  der  ganz  feststehenden  athenischen  Tradition 
hat  zuerst  Poseidon  die  Burg  in  Besitz  genommen,  dann  ist 
Athena  gefolgt,  und  die  Götter  haben  zu  ihren  Gunsten  ent- 
schieden. In  Wirklichkeit  hausen  immer  beide  auf  der  Burg, 
und  zwar  so,  daß  der  Vorrang  Poseidons  unverkennbar  ist. 
Poseidon  „der  Erderschütterer"  ist  ein  Erdgott,  der  seine 
Macht  vor  allem  im  Erdbeben  manifestiert^).  Auf  der  Burg 
führt  er  den  Beinamen  Erechtheus,  aus  dem  sich  dann  im 
Mythos  ein  von  der  Erde  geborener  ürkönig  abzweigt;  und 
in  dessen  Hause,  das  das  von  Poseidon  mit  dem  Dreizack  in 
den  Fels  gestoßene  Mal  und  eine  Salzquelle   umschließt,   die 

')  Eine  dritte,  'AO'Yjvai  Aid?E<;,  liegt  an  der  Nordwestspitze  Euboeas. 

*)  Strabo  IX  2.  28.  29.  35.  Pausan.  IX  33,  5  ff.  Itonos  mit  dem 
Athenakult  findet  sich  ebenso  in  Südthessalien  bei  Haloo.  Nach  Strabo 
IX  3,  29.  5,  14  hätten  die  Boeoter  jistä  -cct  Tpio-.xa  den  Kult  der  itoni- 
schen  Athena  von  hier  mitgebracht;  der  boeotische  Bund  feiert  ihr 
hier  die  Flafiß&'.üJt'.a  (ebenso  Pausan.  IX  34,  1).  —  'AXaXxofj.tvrit?  'A8-(ivr] 
IL  A  8.  E  908.  Tp'.zo-^ivtia  A  515  u.  a.  Nach  der  von  Chrysipp  (v.  Arnim, 
Stoic.  Fragm.  II  257)  bewahrten  Parallelversion  zu  Hesiod  Theog.  886  ff. 
gebiert  Zeus  die  Athena  itap'  xop!jtpT|V  Tpttcovo;  zk  oy%-qz'.v  uotafioto.  Die 
übliche  Sage,  daß  Athena  aus  dem  Haupt  des  Zeus  geboren  sei,  wird 
WiLAMOwiTZ,  Her.  Berl.  Ak.  1921,  956  f.  richtig  so  erklären,  daß  sie 
ursprünglich  gewappnet  aus  dem  Berge  am  Triton  hinter  Alalkomenai 
(xelxai  opoU(;  &ö>i  u-^av  6'^y)/vo5  jrpo?  toI?  itoolv  £axato:<;  Paus.  IX  33,  5) 
hervorgesprungen  ist  und  dieser  Berg  als  Sitz  und  Erscheinungsform 
des  Zeus  galt. 

')  Sein  Wesen  ist  durch  die  ständigen  Beinamen  evoaix^'tuv,  evvoai- 
•{■aio?,  Y«'"'1°X°?  deutlich  bezeichnet.  Später,  bei  der  Ausbildung  des 
Göttersystems,  ist  er  dann  zum  Meergott  geworden,  und  das  hat  wieder 
die  Mythen  veranlaßt,  die  seinen  Kult  im  Binnenlande  erklären  sollen, 
so  vor  allem  den  von  Odysseus.  —  Der  Name,  dessen  älteste  Form 
IloxetSä/^cuv  oder  IloxiSiScv  ist,  bezeichnet  ihn  wahrscheinlich  als  ,  Herrn 
(nöxi — c,)  der  Erde  (?ä  wie  in  AT,u.Tjx-r]p,  AyjU))". 


Das  boeotische  Athen  und  seine  Göttin  279 

er  hatte  hervorsprudeln  lassen,  hat  Athena  neben  ihm  ihren 
Kultsitz  erhalten^).  Das  zeigt  deutlich,  daß  die  Göttin,  die 
die  Burg  beschirmt  (Athena  Uokii.^;)  und  in  den  Eulen,  die 
hier  im  Gemäuer  hausen,  dem  menschlichen  Auge  sichtbar 
wird  (daher  '(Xoloym'kk;  „mit  Eulenantlitz"),  zu  dem  Herrn  des 
Felsens  erst  hinzugetreten  ist,  als  auf  diesem  in  mykenischer 
Zeit  die  Königsburg  erbaut  wurde. 

Somit  wird,  wie  die  Geburtssagen  bestätigen,  das  boeo- 
tische Athen  der  Ausgangspunkt  des  Namens  und  der  Kult- 
formen gewesen  sein;  von  hier  aus  ist  dann  der  Name  der 
Stadt  und  ihrer  Göttin  nach  dem  attischen  Athen  übertragen. 
Ganz  anschaulich  tritt  uns  darin  —  und  ebenso  im  Herakles- 
kult —  ein  großer  Zusammenhang  entgegen,  der  Boeotien 
und  Attika  umschließt  und  auch  nach  Thessalien  hinüber- 
greift, und  zugleich  die  dominierende  Stellung,  die  das  Reich 
von  Orchomenos  —  denn  nur  zu  diesem  kann  das  boeotische 
Athen  gehört  haben  —  eingenommen  hat.  Nur  auf  dieser 
Machtstellung  kann  es  beruhen,  daß  der  Name  „Göttin  von 
Athen"  sich  über  die  ganze  griechische  Welt  verbreitet  hat 
und  der  allgemeine  Name  der  Burggöttin  geworden  ist,  nicht 
selten  mit   Verdrängung  eines  älteren  Namens^). 

Achaeer  und  lonier.    Apollon 

Weitere  Aufschlüsse  gewährt  die  Verteilung  der  grie- 
chischen Dialekte.  Sie  scheiden  sich  in  zwei  Hauptgruppen: 
in  der  einen,  den  nordwestgriechischen  (dorischen)  Dialekten, 
hat   sich,    wo    auf  t  ein  /  folgt,    der   ältere  Lautbestand    er- 


'j  Kult  des  riojf'.owv  'EpexO-eui;  in  Athen  IG.  P  5S0:  Sitz  seines 
Priesters  im  Theater  IG.  III  276.  Athena  8üvs  'EpexO"f]o;  tc'jxcvöv  Söjaov 
Od.  f\  81,  vgl.  II.  B  548  ff.  (aus  dem  6.  Jahrhundert),  wo  umgekehrt 
Athene  den  erdgeborenen  Erechtheus  in  ihren  Tempel  aufnimmt.  Bei 
der  Erbauung  des  Erechtheons  im  peloponnesischen  Kriege  sind  die 
alten  Traditionen  peinlich  beobachtet  worden. 

*)  So  in  Tegea  und  Mantinea,  wo  sie  ursprünglich  einfach  'A>.ea 
hieß  (IG.  V  75.  262),  was  dann  hier  zum  Beinamen  der  Athena  ge- 
worden ist. 


280      ^'  ^^^  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

halten,  in  den  übrigen  ist  t  vor  i  zu  5  geworden  und  da- 
durch ein  sehr  weitgreifender  Lautwandel  herbeigeführt^). 
Die  Nordwestgriechen,  die  in  primitiven  Zuständen  verharrten 
und  von  der  kretischen  Kultur  nicht  beeinflußt  wurden,  kom- 
men für  die  ältere  Geschichte  noch  nicht  in  Betracht^). 
Aus  der  anderen  Gruppe  haben  wir  die  Aeoler  in  Thessalien 
und  Mittelgriechenland  schon  kennen  gelernt.  Neben  ihnen 
steht,  in  vielen  Formen  eng  verbunden,  in  anderen  stark  ab- 
weichend, die  Sprache  der  vordorischen  Bevölkerung  des  Pelo- 
ponnes,  die  sich  im  Arkadischen  erhalten  hat  und  von  den 
Kolonisten  aus  Lakonien  und  Argolis  nach  Cypern  und  Pam- 
phylien  getragen,  in  einzelnen  Spuren  (S.  237,  1)  auch  auf 
Kreta  nachweisbar  ist. 

Das  Epos  faßt  alle  Stämme  dieser  Gruppe  unter  dem 
Namen  Achaeer  zusammen.  In  der  geschichtlichen  Zeit  da- 
gegen führen  diesen  Namen  lediglich  die  Bewohner  zweier 
eng  begrenzter  Gebiete,  des  südlichsten  Teils  Thessaliens  und 
der  Nordküste  des  Peloponnes,  und  in  beiden  wurde  damals 


')  Daß  dieser  Lautwandel  für  die  Gruppierung  der  griechischen 
Dialekte  grundlegend  ist,  ist,  seitdem  ich  in  der  ersten  Auflage  (1892) 
darauf  hingewiesen  habe,  allgemein  anerkannt.  Besonders  anschaulich 
tritt  er  in  den  verschiedenen  Formen  des  Namens  Poseidon  hervor: 
dorisch  IlotstSä /^cuv,  rTotioav  u.  a.,  davon  notstSata,  Iloxioavia,  in  den 
andern  Dialekten  IIoGEiociujv  u.  a.  (arkadisch  rioootSav),  davon  FloasiStuvtct; 
ferner  (pspovtt  —  (pipouac,  fixav.  —  s /^txooi,    Y'p°vTta  —  ■^z^oocia.  u.  s.  w. 

^)  Ich  bemerke  gleich  hier,  daß  die  Geschichtlichkeit  der  sog. 
dorischen  Wanderung,  die  von  Beloch  (dem  Kahrstedt  folgt)  mit 
radikaler  Hyperkritik  geleugnet  wird,  auch  von  sprachlicher  Seite 
völlig  erwiesen  ist.  Für  Thessalien  und  Boeotien  s.  Solmsen,  Thessa- 
liotis  und  Pelasgiotis.  Rhein.  Mus.  58,  .598  ff. ;  Eigennamen  als  Zeugen 
der  Sprachmischung  in  Boeotien,  ebenda  .59,  481  ff.  Für  den  Pelo- 
ponnes beweist  die  Übereinstimmung  des  Kyprischen  mit  dem  Arka 
dischen,  daß  dies  auch  in  den  Küstenlandschaften  geherrscht  hat.  Da 
wird  dadurch  bestätigt,  daß  der  Gott  vom  Taenaron  auch  unter  der 
dorischen  Herrschaft  die  arkadische  Namensform  riooocoäv  oder  vielmehi 
mit  dem  lakonischen  Wandel  von  intervokalischem  s  in  h  üo/iotSäv  be 
halten  hat.  Vgl.  auch  Solmsen,  Vordorisches  in  Lakonien,  Rhein.  Mus, 
62,  329  tt'.    Auch  der  Name  Stenvkiaros  in  Messenien  ist  vordorisch. 


Die  griechischen  Dialekte.    Die  Achaeer  281 

nicht  etwa  ein  „achaeischer",  sondern  ein  nordwestgriechisclier 
Dialekt  gesprochen.  So  stehn  wir  liier  vor  einem  Problem, 
das  sich  mit  Sicherheit  nicht  lösen  läßt  und  dadurch  noch 
verwickelter  wird,  daß  mit  dem  Achaeernamen  der  Land- 
schaftsname Hellas  eng  verbunden  ist^).  Im  peloponnesischen 
Achaia  kann  der  Name  nicht  ursprünglich  sein^);  so  lag  die 
Vermutung  nahe,  er  habe  auch  im  Epos  ursprünglich  nur  die 
Heimat  Achills  bezeichnet^)  und  sei  in  derselben  Weise  ver- 
allgemeinert worden,  wie  der  der  Danaer  und  Argeer.  In- 
dessen dem  steht  gegenüber,  daß  sich  der  Achaeername  auf 
Cypern  mehrfach  erhalten  hat  und  die  achaeische  Demeter 
hier  wie  in  Boeotien  einen  angesehenen  Kult  hat;  und  auch 
auf  Rhodos  trägt  die  Burg  der  in  mykenischer  Zeit  besiedelten 
Stadt  lalysos    den   Namen  Achaia'*).    So  werden  wir   in    der 


')  Für  das  peloponnesische  Achaia  wird  er  dadurch  erwiesen, 
daß  die  achaeischen  Kolonisten  in  Unteritalien  ihre  neue  Heimat 
Hf^akri  'EXXa?  nennen. 

*)  Die  vom  genealogischen  Epos  geschaffene  und  von  den  Histo- 
rikern übernommene  Erzählung,  die  Achaeer  seien  beim  Einfall  der 
Herakliden  aus  Lakonien  unter  Tisamenos  abgezogen  und  hätten  die 
lonier  aus  dem  Küstenlande  (Aigialos)  im  Norden  verjagt,  i.st,  wie  die 
gesamte  angebliche  Geschichte  der  Heraklidenwanderung,  ein  dürftiges 
Machwerk  ohne  jeden  Wert.  —  Wahrscheinlich  ist  das  peloponnesische 
Achaia  vom  Norden  her,  vom  westlichen  Mittelgriechenland  aus.  in 
derselben  Weise  dorisiert  worden,  wie  Elis.  Vielleicht  wird  man  an- 
nehmen dürfen,  daß  diese  Eindringlinge,  als  sie  sich  zu  einer  lockeren 
Stammföderation  zusammenschlössen,  für  diese  den  ruhmvollen  Namen 
Achaja  gewählt  haben.  In  dem  Namen  Hoostoav  auf  den  Münzen  der 
achaeischen  Kolonie  Posidonia  und  in  diesem  selbst  hat  sich  eine  Nach- 
wirkung der  älteren,  ionischen  Bevölkerung  erhalten. 

^)  Hier  haben  sich,  wie  Solmsen  nachgewiesen  hat,  manche  Spuren 
des  ursprünglichen  „thessalischen"  Dialekts  erhalten. 

■*)  'AxaioiidvTEc^  ol  TYjV  xwv  ■&g(Juv  e/ovisi;  icpiuaüv7|V  iv  Köitpco  Hesych. 
Axat<i)v  a-Kz-q  Strabo  XIV  6,  3.  —  Burg  Achaia  in  lalysos  JG.  XIII  1,  677. 
Athen.  VIII  360 e.  Zeno  bei  Diod.  V  57.  —  Demeter  'Axaia  in  Boeotien: 
Plut.  de  Is.  69  u.  a.;  in  Thespiae  IG.  VII  1867.  Nach  Herod.  V  .57  bringt 
das  Geschlecht  der  Gephyraeer  aus  Tanagra  ihren  Kult  nach  Athen: 
daher  Aristoph.  Acharn.  708  mit  schol.  Sitz  der  Priesterin  Ar^iir^xpiq 
KoüpoTpoaou  ''Ayuiaq  im  Theater  IG.  III  373. 


282     V.  Das  r»riechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

Tat  die  gesarate  bisher  besprochene  Schicht  der  vordorischen 
Griechen  unter  dem  Namen  Achaeer  zusammenfassen  dürfen^). 
Neben  diesen  achaeischen  Stämmen  stehn  auf  der  einen 
Seite  die  Dorier  und  ihre  Verwandten,  auf  der  anderen  die 
lonier,  lawones.  Nach  der  Überlieferung  saßen  diese  ur- 
sprüngUch  an  der  Nordküste  des  Peloponnes.  im  späteren 
Achaia.  Das  wird  dadurch  bestätigt,  daß  sie  den  Kultus  des 
Gottes,  der  auf  dem  an  der  Nordküste  ihnen  gegenüberliegenden 
Berge  HeHkon  sitzt,  des  Poseidon  Helikonios,  mit  nach  Asien 
hinübergenommen  und  ihn  hier  zu  ihrem  Bundesgott  erhoben 
und  ibm  am  Fuß  des  Mykale  das  Fest  der  Panionien  gefeiert 
haben^).  Vielleicht  darf  man  damit  auch  den  Namen  des 
'\6viO(;  v.öX'noQ  verbinden,  der  das  ganze  Westmeer  (unseren 
adriatischen  Meerbusen)  bezeichnet,  falls  er  wirklich,  trotz  des 
kurzen    o,    mit    dem    loniernamen    zusammenhängt^).    Weiter 


')  Im  übrigen  bezeichnet  auch  bei  Homer  mehrfach  der  Achaeer- 
name  lediglich  die  nördliche  Landschaft,  so  T  75  =  258  "^ApYo?  s?  '-^wö- 
ßoTov  xal'AxcxctSa  xaXXtyu'-'^txa,  und  speziell  die  Heimat  Achills  A  770  u.a. 
(Der  Schiffskatalog  versetzt  B  681  ff.  das  Reich  Achills  mit  Achaeern 
und  Myrmidonen  im  Widerspruch  mit  den  sonstigen  Angaben  der  Ilias 
ins  phthiotische  Achaia  [über  dieses  s.  Kip,  Thessal.  Studien  1910],  also 
dahin,  wo  diese  Namen  wirklich  heimisch  sind.)  —  Auf  die  Achijawa 
der  chetitischen  Texte  und  die  Aqaiwasa  der  Ägypter  können  wir  erst 
später,  in  Abschnitt  XII,  eingehn. 

^)  Diesen  Kultus  kennt  II.  I  404  (rein  ionisch).  Poseidon  auf 
dem  Helikon  auch  im  homer.  Epigramm  6  und  hymn.  hom.  21  ("neben 
Aigai).  Sonst  wird  der  Name  gewöhnlich  von  der  Stadt  Helike  in 
Achaia  abgeleitet,  so  auch  II.  0  203,  wo  die  Danaer  dem  Poseidon  in 
Helike  und  Aigai  Opfer  bringen  (daher  gehören  beide  Städte  B  574  f. 
zum  Reich  Agamemnons),  was  sprachlich  unmöglich  ist:  aber  beide 
Namen  werden  gewiß  zusammenhängen. 

')  Auf  die  Frage,  ob  auch  der  Name  des  Argonautenhafens 
'IujXxo?  und  weiter  der  in  den  Genealogien  vielfach  vorkommende  Name 
"laoo?  (Führer  der  Athener  II.  0  33;  'laoov  "Apyt»?  =  Griechenland  Od. 
a  246)  mit  den  loniern  zusammenhängen,  gehe  ich  nicht  ein;  darüber 
ist  Sicherheit  nicht  zu  gewinnen.  —  Die  'lojv'.aSei;  vufi'fi at  (in  einem  Heil- 
quell bei  Salmone  in  Elis  Strabo  VIII  3,  32.  Pausan.  VI  22,  7.  Nikander 
bei  Athen.  XV  683.  Hesych.  latpoi)  haben  mit  den  loniern  nichts  zu 
tun,  sondern  sind  „Heilnymphen".  Über  das  Ä30?  'Iiuvatov  in  Triphylien 


Die  lonier  283 

finden  wir  sie  an  der  Steilküste  im  Osten  des  argivischen 
Golfs  in  der  Landschaft  Kynuria^).  Ihr  Hauptsitz  aber  ist 
Attika  und  Euboea.  Von  hier  aus  haben  sie  sich  dann  über 
die  Kykladen  und  nach  dem  kleinasiatischen  Festland  ausge- 
breitet; als  Ausgang  dieser  ionischen  Wanderung  gilt  immer 
Athen  ^). 

Auch  der  ionische  Dialekt  hat  die  durch  den  Übergang 
von  -ti  in  -si  bewirkte  tiefgreifende  Umwandlung  mitgemacht. 
Auch  sonst  berührt  er  sich  vielfach  mit  dem  Aeolischen,  in 
anderen  Formen  aber  im  Gegensatz  zu  diesem  mit  dem  Ar- 
kadisch-kyprischen^),  was  die  ursprünglichen  Wohnsitze  an 


Strabo  VIII  3,  19  und  den  Fluß  'loicuv  in  Arkadien  Kallim.  hymn.  1,  21 
wissen  wir  sonst  garnichts. 

')  Herod.  VIII  73  ol  Kuvouptot  aütoy&ovs^  sövre^  Sov-eoua'.  fioävot  (im 
Gegensatz  zu  den  übrigen  Peloponnesiern)  ehai  'louve;,  dann  von  Argos 
aus  dorisiert. 

^)  Daher  sind  II.  N  685  ff.  die  'läovjc;  lK%tx'-'^iu'c<;  das  Heer  des 
Atheners  Menestheus  [die  einzige  Stelle,  wo  bei  Homer  die  lonier  vor- 
kommen], an  dessen  Stelle  0  337  lasos  tritt  (S.  282,  3).  Athen  npsaßu- 
tatf)  Y"^'*  'laovia;  bei  Solon  (von  den  Interpreten  vielfach  mit  ärg- 
ster Gewaltsamkeit  weggedeutet).  —  Daß  daneben  die  einzelnen  ioni- 
schen Städte  aus  anderen  Orten  abgeleitet  werden,  beruht  zum  Teil 
auf  wirklicher  Beimischung,  zum  Teil  darauf,  daß  die  Herrscher-  und 
Adelsgeschlechter  ihre  Stammbäume  an  die  Heroen  des  Epos  an- 
knüpften. 

')  So  vor  allem  in  dem  Infinitiv  auf  -vz-..  der  dem  Ionisch- 
attischen  und  dem  Kyprisch-arkadischen  gemeinsam  ist  im  Gegensatz 
zum  Lesbischen  -jisvat,  im  übrigen  Aeolischen  und  im  Dorisch-nordwest- 
griechischen -fitv.  —  Das  augenfälligste  Charakteristikum  des  Ionisch- 
attischen,  der  Wegfall  des  vau,  ist  dagegen  jungen  Datums  und  erst 
eingetreten,  als  die  Orientalen  den  loniernamen  in  seiner  alten  Form 
(lawan)  übernommen  hatten.  Die  Aussprache  des  langen  ü  als  ä  (wie 
im  Hannoveranischen  und  mit  der  Weiterentwicklung  zu  geschlossenem 
€  im  Englischen,  die  auch  im  Griechischen  eingetreten  ist  und  schließ- 
lich zu  der  Aussprache  I  geführt  hat)  ist  im  Attischen  nicht  durch- 
gedrungen, das  im  übrigen  stark  vom  Boeotischen  beeinflußt  ist  (tt  statt 
oa,  pp  statt  pa;  letzteres  hat  sich  weithin  verbreitet,  auch  ins  Arkadische 
und  Elische,  vgl.  Solmsen,  Rhein.  Mus.  59,  489).  Mit  dem  Lesbischen 
ist  dem  Asiatisch-ionischen,  im  Gegensatz  zum  Attischen,  der  Wegfall 
des  h   gemeinsam;    in    allen    drei   Dialekten    wird    im  Artikel  toi,   t«i 


284     V.  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

der  peloponnesischen  Küste  weiter  bestätigt.  Als  eine  in  sich 
geschlossene,  von  den  übrigen  Griechen  seit  alters  getrennte 
Gruppe  sind  die  lonier  charakterisiert  dadurch,  daß  in  ihren 
Gemeinden  die  Einteilung  in  die  vier  Phylen  der  Geleonten, 
Hopleten,  Aigikoreis  und  Argadeis  bestand  \),  und  daß  alle 
ionischen  Familien  ihre  Abstammung  nicht,  wie  die  übrigen 
Griechen,  von  Zeus,  sondern  von  Apollon  als  Ahnen  (Traiptoioc) 
ableiteten  2). 

Dadurch  wird  zugleich  erwiesen,  daß  Apollon  ein  Haupt- 
gott der  lonier  ist.  Soweit  wir  sehn  können,  gehört  dieser 
gewaltige,  unnahbare  Gott,  der  ebensogut  Segen  wie  Ver- 
derben sendet,  in  dunklen  Orakelsprüchen  die  Zukunft  ver- 
kündet, wenn  er  gnädig  gesinnt  ist,  das  Meer  stillt  und  die 
Schiffer  als  Delphin  geleitet,  zunächst  der  Inselwelt  an:  hier 
hat  er  auf  Delos,  in  der  Mitte  der  Kykladen,  sein  ui-altes 
Heiligtum  in  einer  Grotte  am  Abhang  des  Berges  Kj'nthos,  in 
der  er  geboren  ist.  Ebenso  ist  sein  Kult  auf  Kreta  ganz  all- 
gemein verbreitet;  von  hier  aus  ist,  wie  der  homerische  Hymnus 
richtig  angibt,  der  Apollon  Delphinios  nach  der  Orakelstätte 
Pytho  am  Parnaß  gebracht  worden.  Identifiziert  wird  er  mit 
den  Orakelgottheiten  des  westlichen  Kleinasiens,  darunter  vor 
allem  einem  Hauptgott  der  Lykier^).    Dann  aber  hat  er  sich 

durch  ol,  al  verdrängt,  ebenso  im  Kretischen  mit  Ausnahme  von  Itanos 
im  äußersten  Osten  (wo  die  ältere  Form  durch  den  Einfluß  von  Rhodos 
erhalten  sein  mag). 

M  In  den  Kolonien  sind  vielfach  weitere  Phylen  hinzugekommen 
und  nur  ein  Teil  der  altionischen  erhalten;  dazu  kamen  dann  häufig 
Neueinteilungen  der  Bürgerschaft,  wie  in  Athen  unter  Kleisthenes. 
Nur  umso  deutlicher  tritt  das  hohe  Alter  der  ursprünglichen  Phylen 
hervor,  deren  Namen  für  uns  völlig  undeutbar  sind,  so  viel  man  auch 
in  alter  und  neuer  Zeit  darüber  kombiniert  hat. 

2)  Plato  Euthydem  302  c.  Aristot.  pol.  Ath.  fr.  1,  vgl.  c.  .55,  3. 
Diod.  XVI  .57,  4.  Vgl.  weiter  meine  Forschungen  II  021  ff.  Daher  ist 
Ion,  der  Ahne  der  lonier,  ein  Sohn  Apollons  von  Kreusa,  der  Tochter 
des  Erechtheus  (Hesiod  hat  dann,  um  Ion  in  den  Hellenenstammbaum 
einzufügen,  für  ihn  einen  Vater  Xuthos  erfunden). 

^)  Daß  der  Name  Apollon  (dessen  Herkunft  und  Bedeutung  ganz 
anklar  ist)  nicht  aus  Lykien  stammt,  wie  Wilamowitz    annahm,   habe 


Apollon  285 

weithin  über  alle  griechischen  Stämme  verbreitet  und  ist  hier 
mit  ganz  andersartigen  Gottheiten  identifiziert  worden,  so  vor 
allem  mit  dem  Herdengott  (Nö^ioq  und  Kapvsioc,  dem  Haupt- 
gott der  Dorier),  aber  z.  B.  auch  mit  dem  Steinpfahl,  der  die 
Wege  beschirmt  ('Aydcsuc),  außerdem  natürlich  überall  mit  den 
Orakelgottheiten,  so  in  Boeotien  und  Thessalien.  Zu  wirklicher 
innerer  Einheit  sind  diese  verschiedenen  Gestalten  trotz  der 
Namensgleichheit  nie  gelangt;  aber  durch  diese  Gleichsetzung 
ist  Apollon  zu  einem  der  Hauptgötter  der  gesamten  Griechen- 
welt geworden.  Zur  Zeit  der  Blüte  der  epischen  Dichtung 
faßt  die  ständig  wiederkehrende  Wunschformel  ai  ^ap  Zeö 
TS  Ttdrep  %7.l  'A'9'7]vat7]  xal  "AtcoXXov  die  drei  großen  Gottheiten, 
die  man  damals  überall  als  die  mächtigsten  anerkannte,  zu 
einer  Einheit  zusammen. 

Stoffe  und  Heimat  der  Heldensagen 

Eine  Bestätigung  und  zugleich  Ergänzung  erhält  das  von 
uns  gewonnene  Bild  durch  eine  Zusammenstellung  der  Ge- 
biete, aus  denen  der  Sagenstoif  des  griechischen  Epos  stammt. 
Ganz  stark  tritt,  der  Ausbildung  desselben  in  Aeohs  ent- 
sprechend, das  aeolische  Gebiet  des  Mutterlandes  hervor, 
Thessalien,  Boeotien  und  der  zwischenliegenden  Landschaften, 
vor  allem  das  Spercheiosgebiet,  Phthia  die  Heimat  Achills, 
Oichalia,  Trachis,  der  Oeta;  daran  reiht  sich  in  Aetolien 
Kalydon  und  Pleuren  (s.  o.  S.  263)  mit  den  Sagengestalten 
des  Tydeus,   Meleager  und  der.    bei  Homer  allerdings  nicht 


ich  Bd.  I  483  A.  bemerkt.  Der  Name  'AitoX/.ojvt5f]i;  wird  CI  Lyc.  6  lykisch 
nicht  durch  ein  einheimisches  Äquivalent  wiedergegeben,  sondern  durch 
pulenida  transkribiert.  Daß  der  Name  seiner  Mutter  Lato  aus  dem 
lykischen  lada  „Frau"  entlehnt  ist,  ist  gewiß  möglich,  kann  aber  nicht 
als  gesichert  gelten.  —  In  Thessalien  zeigt  die  Entstellung  des  Namens 
zu  AitXoDv  deutlich,  daß  er  hier  nicht  heimisch,  sondern  importiert  ist.  — 
Mit  Recht  hebt  Wilamowitz  hervor  (Hermes  38,  575  ff.),  daß  Apollon 
in  der  Ilias  der  Hauptgegner  der  Achaeer  ist:  das  Epos  ist  zwar  später 
ionisch  geworden,  aber  die  Gestaltung  des  Sagenstoffs  ist  die  Schöpfung 
der  Aeoler,  die  lonier  stehn  damals  noch  völlig  beiseite. 


286      ^-  ^^^  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

erwähnten  Atalante.  Sonst  kennt  man  aus  dem  Westen 
das  Orakel  von  Dodona;  dadurch,  daß  der  ursprünglich 
nach  Arkadien  gehörende  Odysseus  auf  die  fernste  bekannte 
Insel,  Ithaka,  versetzt  wird,  ist  dann  auch  diese  Gegend 
nebst  den  Thesprotern  in  den  Bereich  der  Dichtung  hinein- 
gezogen^). 

Im  Peloponnes  treten  die  Hauptsitze  der  mykenischen 
Kultur,  die  argivische  Landschaft  mit  Mykene,  Lakedaimon, 
Pylos,  auch  im  Epos  entsprechend  hervor.  Auch  arkadische 
Sagenstoffe  fehlen  nicht:  die  Odysseussage  ist  hier  entstan- 
den, die  Gestalt  des  Atlas  stammt  wohl  sicher  von  hier,  und 
der  Dichter  der  Atö?  anäiri  kennt  die  Lokalisierung  der  Styx 
in  dem  Wasserfall  von  Nonakris  bei  Pheneos').  Weiter  natür- 
lich Kreta.  Ferner  spielen  die  Lykier  und  ihre  Sagengestalten 
eine  große  Rolle,  was  gewiß  nicht  erst  auf  die  spätere  ionische 
und  dorische  Kolonisation  der  Nachbargebiete  Lykiens,  son- 
dern auf  viel  ältere  Beziehungen  mit  diesem  Wandervolk  zu- 
rückgeht (siehe  weiter  Abschnitt  XII).  Außerdem  ist  natürlich, 
dem  Stoff  der  troischen  Sage  entsprechend,  das  hellespontische 
Gebiet  (einschheßlich  der  mit  der  Argonautensage  verknüpften 
Insel  Lemnos)  genau  bekannt. 

Nur  umso  stärker  tritt  hervor,  daß  andere  Teile  der  grie- 
chischen Welt  völlig  zurücktreten.   Für  die  Nordwestgriechen 


')  Umso  beachtenswerter  ist  es,  daß  die  Akainanen  bekanntlich 
überhaupt  nicht  vorkommen.  Phoker  werden  nur  ganz  vereinzelt  er- 
wähnt, ebenso  wie  die  Kephallenen  und  auch  die  Lokrer  von  Opus 
(außer  im  Schiffskatalog  nur  N  685.  712,  wo  eine  ganze  Reihe  von 
Völkern  in  den  Kampf  geführt  wird;  aus  Opus  stammt  nach  S  326. 
V  85  Patroklos,  der  aber  gewiß  nicht  als  Lokrer  gedacht  ist).  Ob 
Aias  S.  d.  Oileus  ursprünglich  Lokrer  gewesen  ist,  ist  sehr  fraglich; 
er  ist  von  dem  größeren  Aias  garnicht  zu  trennen.  Das  westliche  Lokris 
fällt  völlig  aus. 

2)  Der  Glaube  an  die  zwingende  Kraft  des  Eides  beim  Stüyi,; 
5i(up  ist  natürlich  viel  älter.  Aber  daß  dies  hier  0  37  (wiederholt 
Od.  e  185)  nicht  ein  Strom  in  der  Unterwelt  ist,  wie  bei  Hesiod,  son- 
dern ein  Wasserfall  (tö  xatEißöjjiEvov  Stufö;  CScup),  zeigt,  daß  der  Dichter 
die  Lokalisierung  kennt.  —  Über  den  Odysseusmythos  siehe  meinen  Auf- 
satz Hermes  30,  241  ff. 


Die  Heimat  der  Sagengestalten  des  Epos  287 

und  Dorier  ist  das  begreiflich  genug;  umso  bedeutsamer  da- 
gegen, daß  Athen  und  Euboea  gänzlich  ausfallen.  Zwar  werden, 
außer  im  SchifiFskatalog,  die  Abanten  Euboeas  in  der  Ilias 
noch  einmal  (A  464),  die  Athener  (oder  statt  ihrer  die  lonier) 
dreimal  (N  195.  685  ff.  0  337)  unter  den  Kämpfenden  er- 
wähnt; aber  die  Dichter  wissen  so  wenig  von  den  in  Attika 
heimischen  Sagengestalten,  daß  sie  dafür  einen  Fürsten  Mene- 
stheus  erfinden  ^),  den  in  der  attischen  Königsgeschichte  unter- 
zubringen dann  den  späteren  Bearbeitern  der  Urgeschichte 
Mühe  genug  gemacht  hat.  Von  den  Kykladen  kommt  keine 
einzige  vor;  und  ebensowenig  werden  die  Nordküste  des  Pelo- 
ponnes  nebst  dem  Isthmusgebiet"),  Kynurien  und  die  Dryoper- 
städte  auf  der  argivischen  Akte  oder  eine  von  dort  stam- 
mende Sagengestalt  erwähnt. 

Es  ist  die  ionische  Welt,  die  so  negativ  umgrenzt  wird; 
dadurch  werden  zugleich  die  Überlieferungen  über  die  älteren 
Wohnsitze  der  lonier  aufs  beste  bestätigt.  Auch  sie  haben  in 
diesen  die  Einwirkungen  der  kretischen  Kultur  in  derselben 
Weise  erfahren  wie  die  Achaeer  —  so  haben  sich  Kammer- 
gräber und  mykenische  Gefäße  z.  B,  auch  an  der  Nordküste 
des  Peloponnes  bei  Patrai  gefunden  — ;  zugleich  aber  zeigt 
sich,  daß  sie  schon  damals  als  eine  selbständige  Stamm- 
gruppe getrennt  neben  diesen  gestanden  haben.  Zur  Helden- 
sage und  Mythologie  haben  sie  nichts  beigesteuert,  sondern 
diese  ist  eine  Schöpfung  der  Achaeer. 


')  Oder  statt  seiner  0  337  f.  lasos  (s.  o.  S.  282,  3).  Menestheus  ist 
hier  0  321  deutlich  ebenso  wie  A  328  später  eingeschoben,  um  ihn  noch 
unterzubringen.    Erwähnt  wird  er  noch  M  331.  373. 

')  Daß  Korinth  (erwähnt  N  664;  außerdem  soll  'Etpüpfj  |jlux']' 
'Ap-^eoq  litiioßoTO'.o  in  der  Beilerophonepisode  Z  152.  210  gleich  Korinth 
sein)  keine  Rolle  spielt,  erklärt  sich  daraus,  daß  es  (ebenso  wie  Aegina) 
erst  viel  später  zu  Bedeutung  gelangt  ist  (daher  im  Schifl'skatalog  B  570 
i<pveiöv  Köptvöov).    Megaris  gehört  zu  Attika. 


288      ^-  I^'^^  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

Die  Entwicklung  der  griechischen  Sagendichtung 
im  Vergleich  mit  der  germanischen 

Daß  die  Schöpfunpf  der  griechischen  Heldensage  und  ihre 
Ausgestaltung  in  epischen  Liedern  bis  in  die  Blütezeit  der 
mykenischen  Epoche  hinaufragt,  wird  wie  durch  den  Inhalt 
so  auch  durch  die  Form,  in  der  die  Dichtungen  überliefert  sind, 
durchweg  bestätigt.  Das  Metrum,  in  dem  sie,  unter  Begleitung 
mit  einem  Saiteninstrument,  gesungen  werden,  der  Hexameter, 
ist  nichts  weniger  als  naturwüchsig,  sondern  ein  künstliches 
Gebilde,  das  eine  lange,  wenn  auch  im  einzelnen  nicht  er- 
kennbare Entwicklungsgeschichte  voraussetzt.  Noch  deut- 
licher redet  die  Sprache.  In  den  großen  Epen  trägt  sie  ioni- 
sches Gewand;  aber  darunter  läßt  sich  deutlich  eine  ältere 
aeolische  Gestaltung  erkennen,  die  in  zahlreichen  Lautformen 
und  grammatischen  Bildungen  hervortritt,  die  auch  die  ioni- 
schen Dichter  nach  Belieben  verwenden^).  Und  dahinter  liegt 
vielfach  noch  älteres  Sprachgut,  das  sonst  überall  vollständig 
geschwunden  ist,  wie  \Lspo7izq  „Menschen"  (o.  S.  270)  oder 
der  Genitiv  auf  -oio,  oder  sich  nur  noch  in  abgelegenen  Dia- 
lekten erhalten  hat,  wie  los  und  aotocp,  /dva^  und  /dvaaaa 
im  Kyprischen  und  Pamphylischen  —  ein  Beweis,  daß  diese 
Wörter  im  Epos  aus  der  achaeischen  Sprache  der  myke- 
nischen Zeit  entstammen.  Dazu  kommen  die  zahlreichen  stereo- 
typen Wendungen  und  Verse,  die  von  den  Dichtern  immer 
wieder  verwendet  werden,   und  die  erstarrten  Beinamen  der 


\)  So  verfehlt  es  war,  einzelne  angeblich  oder  wirklich  ältere 
Stücke  ins  Aeolische  (oder  wie  Fick  in  alle  möglichen  Dialekte)  zu  um- 
schreiben, so  wenig  kann  ich  den  Anschauungen  Mahlow's  (Neue 
Wege  durch  die  griechische  Sprache  und  Dichtung.  1927)  zustimmen, 
der  alle  künstliche  Dialektmischung  leugnet  und  annimmt,  das  Neben- 
einander verschiedener  Formen  habe  bis  in  die  attische  Tragödie  hin- 
ein wirklich  in  der  lebendigen  Sprache  bestanden.  Sein  Buch  bringt 
viele,  sehr  beherzigenswerte  Anregungen  und  macht  eine  Nachprüfung 
auch  der  bisher  in  der  Sprachwissenschaft  herrschenden  Anschauungen 
dringend  erforderlich;  aber  das  Werden  der  Literatursprache,  die  ja 
überall  ein  Kunstprodukt  ist,  hat  er  völlig  verkannt. 


Entwicklung  und  C4estalt  der  epischen  Dichtung  289 

Heroen,  die  zuweilen  in  der  überlieferten  Sage  ganz  unmoti- 
viert erscheinen,  wie  z.  B.  TZToklTzopd-OQ  für  Odysseus^).  Manche 
Wörter  sind  nicht  nur  den  Späteren,  sondern  ofiPenbar  schon 
den  Sängern  selbst  unverständlich  gewesen,  werden  aber  ver- 
wendet, weil  sie  zum  ererbten  Gut  der  von  ihnen  erlernten 
Dichtersprache  gehören. 

Auch  in  der  Gestaltung  des  Stoffs  steht  Altes  und  Junges 
nebeneinander.  Die  Denkweise  und  die  Lebensformen  des 
Ritteradels,  unter  dessen  Herrschaft  die  Sänger  leben  und  bei 
dessen  Gelagen  sie  ihre  Dichtungen  vortragen,  bestimmen  die 
Ausgestaltung  der  einzelnen  Szenen.  Aber  daneben  ragen 
immer  die  von  der  Vorzeit  geschaffenen  Gebilde  lebensvoll  in 
die  gewandelte  Kultur  hinein.  Man  weiß,  daß  es  eine  andere 
und  größere,  in  weiter  Ferne  liegende  Vorzeit  ist,  die  man 
darstellen  will,  und  bemüht  sich,  alles  fernzuhalten,  was  eine 
jüngere  Zeit  gewandelt  oder  hinzugebracht  hat.  So  steht 
neben  der  jüngeren  Bewaffnung  unvermittelt  die  ältere  mit 
dem  mykenischen  Rundschild,  die  Helden  kämpfen  zu  Wagen, 
nicht  als  Reiter,  wie  in  der  Gegenwart;  wie  in  der  Ursage  füh- 
ren die  Götter  Apollon  und  Artemis  und  die  Heroen  Herakles 
und  Odysseus  einen  kunstvollen  Bogen,  obwohl  der  Bogen- 
kampf  längst  nicht  mehr  als  standesgemäß  gilt;  auch  das 
ethnographische  Bild  der  Vorzeit,  die  ehemalige  Verteilung 
der  Stämme,  hat  man  peinlich  festgehalten  und  die  Namen 
der  Dorier  und  lonier  so  gut  wie  völlig  vermieden.  Die 
Heldendichtung  ist  eben  konservativ  wie  alle  Tradition. 

Ein  näheres  Eingehn  auf  die  Geschichte  des  Epos  muß 
der  Darstellung  des  griechischen  Mittelalters  vorbehalten 
bleiben.  Um  eine  gesicherte  Grundlage  zu  gewinnen,  ist  es 
aber  unumgänglich,  wenigstens  einige  Hauptmomente  bereits 


')  Odysseus  ist  nicht  „  Stadt ezerstörer",  weil  er  Troja  zerstört 
hat  [sonst  zerstört  er  nur  noch  die  Kikonenstadt  Ismaros],  sondern 
weil  er  nach  der  ältesten,  im  Epos  längst  verschollenen  Konzeption 
seiner  Gestalt  der  Städtezerstörer  schlechthin  war,  hat  man  ihm  auch 
bei  der  Zerstörung  Trojas  eine  freilich  sehr  bescheidene  Rolle  (durch 
die  List  vom  hölzernen  Pferd)  zugewiesen. 

Meyer,  UeschicLte  des  ÄltertumB.    II'.  19 


290     ^-  I^*s  griechische  Festhind  und  die  mykenische  Kultur 

an  dieser  Stelle  kurz  zu  berühren  und  dabei  auch  die  wich- 
tigste Parallele,  die  germanische  Heldensage,  zum  Vergleich 
heranzuziehn^).  Sie  ist  darum  so  wichtig  und  aufschluß- 
reich, weil  uns  für  sie  die  zugrunde  liegenden  geschicht- 
lichen Ereignisse  durch  gleichzeitige  Zeugnisse  bekannt  sind 
und  wir  daher  bei  ihr  die  historischen  Elemente  von  den 
mythischen  und  von  den  freien  dichterischen  Schöpfungen 
mit  Sicherheit  scheiden  können^). 

Gemeinsam  ist  beiden  Entwicklungen  einmal,  daß  die 
Heldenlieder,  wie  auch  bei  den  Serben  und  Kirgisen  und  wo 
sie  sonst  vorkommen,  von  berufsmäßigen  Sängern,  die  ihr 
traditionelles  Handwerk  erlernt  haben,  bei  Gelagen  und  Festen 
mit  einer  späteren  Zeiten  sehr  monoton  erscheinenden  Melodie, 
begleitet  von  einem  primitiven  Saiteninstrument,  vorgetragen 
werden;  sodann,  daß  sie  sich  nicht  an  den  Stellen  und  bei  den- 
jenigen Stämmen  entwickelt  haben,  deren  Schicksale  den  An- 
stoß gegeben  haben,  sondern  in  oft  weit  entlegenen  Gebieten. 
So  hat  bei  den  Germanen  die  Sage  vom  Untergang  der 
Burgunderkönige  ihre  Gestaltung  bei  den  Franken  erhalten; 
und  dann  hat  sie  sich  weithin  bei  den  germanischen  Stämmen 
verbreitet  und  tritt  uns,  wie  die  übrigen  Sagenstofife  auch, 
am   frühesten    in    der   angelsächsischen    Überlieferung,    dann 


')  Ich  darf  nicht  mehr  hofl'en,  daß  es  mir  noch  vergönnt  sein 
wird,  den  lange  gehegten  Plan  einer  eingehenderen  Bearbeitung  der 
Entwicklung  der  griechischen  Sagendichtung  und  des  Epos  —  mit  der 
Ausarbeitung  habe  ich  vor  Jahren  einmal  begonnen  —  noch  auszu- 
führen. So  muß  ich  mich  mit  einer  knappen  Darlegung  meiner  Auf- 
fassung begnügen,  wie  ich  das  seiner  Zeit  schon  in  der  ersten  Auf- 
lage des  zv^reiten  Bandes  getan  habe. 

^)  Eine  weitere  sehr  lehrreiche  Parallele  bietet  die  russische 
Sagendichtung,  in  der  die  Gestalten  des  Gioßfüisten  Wladimir  und 
des  um  ihn  gescharten  Kreises  in  ihren  geschichtlichen  Namen  er- 
halten sind,  der  ursprüngliche  Inhalt  aber  ganz  durch  McärchenstofiFe 
verdrängt  ist  (W.  Woli.ner,  Untersuchungen  über  die  Volksepik  der 
Großrussen,  1879).  Auch  hier  lebt  die  Tradition  nicht  an  der  Stätte 
fort,  wo  sie  entstanden  ist,  in  der  Ukraine,  sondern  weit  davon  ent- 
fernt bei  den  Großrussen  am  Onec^asee. 


Die  Parallele  der  germanischen  Sagendichtung  291 

bei  den  Skandinaven  auf  Island  und  Grönland  entgegen,  wäh- 
rend sie  in  Deutschland  ihre  abschließende  Gestaltung  in  Öster- 
reich erhält^).  In  derselben  Weise  haben  die  griechischen 
Heldensagen,  die  bei  den  Achaeern  des  Festlandes  entstanden 
sind,  ihre  Ausgestaltung  an  der  kleinasiatischen  Küste  zu- 
nächst bei  den  Aeolern,  dann  bei  den  loniern  erhalten  und 
sind  erst  von  hier  aus,  als  das  Epos  geschaffen  war,  durch 
die  Rhapsoden  wieder  ins  Mutterland  zurückgebracht  worden. 
Dieses  Wanderleben  der  Sage  ist  für  ihre  Gestaltung 
von  entscheidender  Bedeutung;  erst  dadurch,  daß  sie  sich 
loslöst  von  dem  Boden,  auf  dem  sie  entstanden  ist,  ist  die 
Möglichkeit  zu  freier  Entwicklung  und  schöpferischer  Aus- 
gestaltung durch  die  Dichtung  gegeben.  Sie  ist  nicht  mehr 
stofflich  gebunden  durch  heimische  Traditionen,  weder  ge- 
schichtlich noch  religiös^);  sie  wandelt  sich  in  eine  inter- 
essante Erzählung  aus  der  Vorzeit,  in  die  der  Sänger  die 
eigenen  Anschauungen  und  Empfindungen  seiner  Umwelt 
hineinlegen,  die  er  immer  reicher  ausbilden  und  durch  Hin- 
einziehung anderer  gleichartiger  Stoffe  erweitern  und  vertie- 
fen kann.  Dabei  bleibt  er  aber  immer  gebunden  an  den  Gang 
der  Sage,  den  Zusammenhang  der  Tradition,  die  allen  Hörern 
lebendig  vor  der  Seele  steht.  In  ihn  muß,  auch  wenn  der  Sän- 
ger Neues  schafft,  seine  Darstellung  wieder  einmünden,  so  gut 
wie  er  von  ihm  ausgeht;  und  so  erscheint  jedes  Einzelgedicht, 
so  selbständig  es  sein  mag,  doch  immer  zugleich  als  ein  Aus- 


')  Daneben  steht  bei  den  Sachsen  die  Lokalisierung  in  Soest. 

-)  \'öllig  unhaltbar  ist  m.  E.  die  weitverbreitete  Ansicht,  das  Inter- 
esse an  den  Sagen  beruhe  darauf,  daß  die  Fürstengeschlechter  ihre 
Stammbäume  auf  die  Heroen  der  Sage  zurückführten  und  diese  einen 
geschichtlichen  Kern  enthielten.  Vielmehr  setzen  alle  diese  Stamm- 
bäume bereits  die  volle  Entwicklung  der  epischen  Sage  voraus  und 
hüben  geschichtlich  nicht  mehr  Wert  als  die  Ableitung  der  makedoni- 
schen und  epirotischen  Könige  und  der  römischen  Adelsgeschlechter  von 
griechischen  Heroen  oder  der  Franken  von  Troja.  Vollends  der  Hera- 
klidenstammbauni  ist  ein  armseliges  Machwerk  der  genealogischen 
Dichtung  (Herod.  VI  52),  das  den  dorischen  Herrscherhäusern  durch  die 
Autorität  der  literarischen  Überlieferung  oktroyiert  worden  ist. 


292     V.  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

schnitt  aus  dem  Gesamtgebiet  des  ererbten  Sagenstoffes  (des 
Kyklos). 

In  der  Weiterentwicklung  der  Sagendichtung  sind  Ger- 
manen und  Griechen  verschiedene  Wege  gegangen.  Bei  den 
Skandinaven  ist  die  Stufe  des  Epos  nicht  erreicht,  sondern 
hier  entwickelt  sich  aus  dem  ursprünglichen,  volkstümlichen 
Heldenlied  die  Kunstdichtung  der  Skalden,  welche  den  Sagen- 
stoff nicht  mehr  erzählt,  sondern  als  Substrat  benutzt,  seine 
Kunst  zu  zeigen  und  zugleich  eine  einzelne  Situation  psycho- 
logisch vertieft  auszugestalten.  Die  Lieder  der  Edda  sind 
nichts  weniger  als  Vorstufen  des  Epos;  sie  entsprechen  nicht 
den  Dichtungen  der  homerischen  Aoeden,  sondern  denen  der 
kitharodischen  und  chorischen  Lyrik  der  Griechen,  eines 
Stesichoros,  Simonides,  Pindar,  Bakchylides;  die  Ergänzung 
bildet,  wie  dort  die  genealogischen  Epen,  so  hier  die  syste- 
matische Ordnung  des  gesamten  Sagenstoffs  in  der  Poetik 
Snorris  und  in  der  Völsungasaga. 

Deutschland  dagegen  hat  allerdings  ein  Heldenepos  ge- 
schaffen. Aber  hier  ist  es  eine  Neubildung  unter  der  Ein- 
wirkung der  fremden,  lateinischen  und  französischen  Epik ; 
und  vor  ihm  liegt  als  benutzte  Vorstufe  eine  lateinische  Be- 
arbeitung des  Stoffes').  Wie  wenig  hier  von  einer  organisch 
zum  Epos  aufsteigenden  Fortentwicklung  die  Rede  sein 
kann,  zeigt    am   deutlichsten   die  Wahl  eines   lyrischen  Me- 


')  Ich  sehe  nicht  den  mindesten  Grund,  die  Zuverlässigkeit  des 
Berichts  der  Klage  über  das  lateinische,  von  Konrad  im  Auftrage  des 
Bischofs  Pilgrim  von  Passau  (971—991)  verfaßte  Werk  zu  bezweifeln; 
diese  wird  vielmehr  durch  die  gewaltsame  Hineinziehung  desselben  in 
den  Stoff  (die  in  den  epischen  Liedern  der  Serben,  Kirgisen  u.  a.  viel- 
fache Analogien  hat)  aufs  beste  bestätigt.  Auch  sonst  scheint  mir  die 
Auffassung  der  Vorgeschichte  des  Nibelungenliedes  bei  Roethe  (Nibe- 
lungias  und  Waltharius,  Ber.  Berl.  Ak.  1906,  649  ff.)  vielfach  zutreffen- 
der als  die  Heusler's  (Nibelungensage  und  Nibelungenlied,  2.  Aufl.  1923), 
so  tiefgreifende  Förderung  und  Anregung  wir  diesem  verdanken.  — 
Eine  Analogie  bietet  auch  die  Schöpfung  des  iranischen  Nationalepos 
durch  Firdusi  (eines  richtigen  Kyklos)^  auf  Grund  der  in  Prosa  ge- 
schriebenen Sammlung  des  Sagenstoffs. 


Die  Entstehung  des  germanischen  und  des  griechischen  Ejios     293 

trums,  das  an  sich  infolge  seiner  strophischen  Gliederung 
für  eine  epische  Erzählung  so  ungeeignet  ist  wie  nur  mög- 
lich. Da  ist  die  griechische  Entwicklung  einen  ganz  anderen 
Weg  gegangen.  Sie  besitzt  ein  festes,  seit  Jahrhunderten 
ausgebildetes  Metrum,  das  eine  Fülle  feststehender  Wen- 
dungen, Beiworte  und  Sätze  geschaffen  hat,  die  immer  wieder 
stereotyp  verwendet  werden.  Zugleich  ist  damit  die  Möglich- 
keit gegeben,  ältere  Dichtungen  wörtlich  oder  mit  geringen 
Änderungen  in  einen  neuen  Zusammenhang  einzufügen.  So 
vollzieht  sich  hier  der  Fortschritt  vom  Einzelgedicht  zum 
großen  Epos  ohne  Bruch,  und  andrerseits  kann  dies  immer 
wieder  durch  neue  Einschiebungen  erweitert  werden.  Auf 
diese  Weise  ist  aus  dem  Gedicht  von  der  M-^vt?  das  große 
Epos  vom  Kriege  gegen  Ilion,  die  'IXiac,  erwachsen,  das  eben 
darum  Vorgänge,  die  in  Wirklichkeit  in  den  Anfang  des  Krie- 
ges gehören  müßten  —  wie  den  Aussöhnungsversuch,  die 
Vorführung  der  wichtigsten  Helden  in  der  TsiyooxoTcia  und  der 
'A'j-apLejJLVovo?  £7ri7ra)XY]atc,  die  aptoTsia  des  Diomedes  u.  a.  — 
in  den  durch  die  Mf^v.?  gegebenen  Rahmen  einfügt  und  da- 
mit widersinnig  ins   10.  Jahr  des  Krieges  versetzt^). 


')  Ein  weiteres  Eingehn  auf  die  Geschichte  des  Epos  gehört 
nicht  hierher.  So  bemerke  ich  nur  ganz  kurz,  daß  die  Ilias  der  klassi- 
schen Zeit  (ebenso  wie  das  ursprüngliche  Gedicht  von  der  Mvjvt;)  mit 
dem  Tode  Achills  abschloß;  die  sog.  AlO-töjiii;  schloß  unter  der  ge- 
wöhnlichen Übergangsformel  int;  oc  •(•'  otii^pisJiov  xätp ov  "Ev.topoi; '  ■/)).)>£  8' 
'A|i.aCujv  unmittelbar  an  Hektors  Bestattung  an.  Die  fortschreitende 
ästhetische  Kritik  hat  dann  die  Fortsetzung  als  Homers  unwürdig  ab- 
geschnitten und  untergehn  lassen,  so  stark  sie  in  den  letzten  Gesängen 
der  Ilias  vorbereitet  ist  (ebenso  wie  von  der  Odyssee  die  Telegonie, 
von  Hesiods  Theogonie  die  Kataloge,  von  der  Erga  die  'Opviö-ofxävcsia 
abgeschnitten,  aber  die  Ubergangsverse  beibehalten  sind).  Die  folgenden 
Ereignisse,  von  dem  Streit  um  die  Wafl'en  bis  zur  Zerstörung  llions, 
waren  dann  in  einem  zweiten  Gedicht,  der  'Dvioti;  |xf/.pa,  zusammenge- 
faßt (s.  Aristoteles  poet.  23,  womit  Proklos'  Inhaltsangabe  überein- 
stimmt), deren  Prooemium  uns  erhalten  ist;  die  vorhergehenden  ebenso, 
mit  einem  dem  der  Ilias  nachgebildeten  Prooemium,  in  den  Kyprien. 
Alle  Gedichte  des  trojanischen  wie  des  thebanischen  Sagenkreises 
gingen   unter   dem  Namen    des  Homeros    von  Smyrna,    bis    auch   hier 


294     ^^-  ^''''S  griechische  Festland  uad  die  mykenische  Kultur 

Im  Gegensatz  zu  diesem  Auseinandergehn  in  der  for- 
malen Gestaltung  tritt  die  Übereinstimmung  auf  stofflichem 
Gebiet  umso  stärker  hervor.  Die  geschichtlichen  Stoffe,  die 
den  Anstoß  zur  Bildung  der  germanischen  Heldensage  ge- 
geben haben,  sind  entstanden  in  einem  Zeitraum  von  knapp 
zwei  Jahrhunderten  und  sind  sogleich  in  die  volkstümliche 
Tradition  übergegangen:  es  sind  die  Ostgoten  Ermanarich 
(t  gegen  375)  und  Vidigoia  (Witige),  von  dessen  Tod  im 
Theißgebiet  durch  die  Sarmaten  Priscus  auf  seiner  Gesandt- 
schaftsreise zu  Attila  durch  gotische  Lieder  erfuhr^);  der 
Untergang  der  Burgunder  von  Worms  durch  die  Hunnen 
(435);  Attilas  Tod  bei  Nacht  (453),  den  das  Gerücht  so- 
gleich seiner  neuen  Gemahlin  Ildiko  zuschrieb,  an  deren  Seite 
er  nach  einem  wüsten  Gelage  tot  im  Bett  gefunden  wurde, 
während  die  offizielle  Version  im  Klagelied  bei  der  Leichen- 
feier, dem  Cantus  funereus,  den  gewaltsamen  Tod  ausdrück- 
lich bestritt^);  sodann  die  Sagen  von  Theodorich  (488 — 526) 


die  Kritik  einsetzte.  Die  einzelnen  Stücke  (Rhapsodien)  waren  viel- 
fach nur  ganz  locker  miteinander  verbunden  (besonders  drastisch  ist 
der  Übergang  von  Ilias  A  zu  B),  so  daß  die  Rhapsoden  sie  für  ihre 
Vorträge  beliebig  herausgreifen  konnten;  den  allgemeinen  Gang  der 
Sage  kannte  ja  jedermann.  In  Athen  ist  dann  für  die  Panathenaeen 
der  kontinuierliche  Vortrag  der  gesamten  Epen  vorgeschrieben  worden, 
bei  dem  die  einzelnen  Rhapsoden  sich  ablösten.  Darauf,  und  nicht 
etwa  auf  einer  pisistratidischen  Redaktion,  beruht  es,  daß  an  einigen 
Stellen  eine  sekundäre  Überarbeitung  im  athenischen  Interesse  den 
älteren  Text  verdrängt  hat,  so  vor  allem  in  dem  Abschnitt  des  Schiffs- 
katalogs über  Athen  und  Salamis.  —  Nebenbei  bemerke  ich  noch, 
daß  die  gegenwärtig  weitverbreitete  Strömung,  welche  im  Vollgefühl 
intuitiver  Erkenntnis  („synthetisches  Schauen"!)  auf  alle  ernste  wissen- 
schaftliche Arbeit  mit  Verachtung  herabsieht,  auch  die  Behauptung 
erzeugt  hat,  der  Schiffskatalog  sei  eins  der  ältesten  und  authentisch- 
sten Stücke  der  Ilias  —  ebenso  wie  sie  die  Wohnsitze  der  Phaeaken 
und  Kyklopen  richtig  in  Afrika  entdeckt  hat,  und  die  Insel  Atlantis 
nicht  minder.  Gegen  diesen  Unfug,  der,  wenn  es  so  weiter  geht,  den 
Untergang  aller  Wissenschaft  herbeiführen  wird,  kann  garnicht  ener- 
gisch genug  protestiert  werden. 

')  Jordanis  Get.  43.  178  (aus  Ablabius). 

^)  Priscus   bei  Jordanis  Get.  254  ff.    Daneben   bewahrt   die  Sage 


Die  Stoffe  der  germanischen  Heldensage  295 

und  vom  Untergang  des  Thüringerreichs  unter  Hermina- 
frid  durch  die  Sachsen  und  die  Franken  unter  Theuderich  IL 
(Hugdietrich)  und  den  Verrat  des  Iring  im  Jahre  531;  dazu 
kommt  noch  die  Sage  von  Walther  von  Aquitanien  und  seinem 
Kampf  am  Wasgenstein,  deren  geschichtliche  Wurzel  uns  nicht 
mehr  faßbar  ist.  Geschichtliche  Sagen  hat  auch  die  Folgezeit 
in  Fülle  erzeugt,  und  an  Karl  d.  Gr.  hat  sich  in  Frankreich 
noch  einmal  ein  ganzer  Sagenkreis,  freilich  von  sehr  ande- 
rem Charakter,  angeschlossen;  die  germanische  Heldensage 
dagegen  entstammt  ausschließlich  der  Völkervvanderungszeit 
und  hat  deren  Denkweise  und  Charakter  bewahrt.  Dabei  ist 
jedoch  stark  zu  betonen,  daß  es  keineswegs  besonders  wich- 
tige oder  gar  die  bedeutsamsten  Ereignisse  der  Epoche  sind, 
die  in  der  Sage  festgehalten  werden;  vielmehr  weiß  sie  nichts 
von  den  Kämpfen  mit  Rom,  der  Invasion  der  römischen  Pro- 
vinzen und  überhaupt  vom  Römerreich  oder  etwa  von  der 
Schlacht  auf  den  Katalaunischen  Feldern.  Das  große  Hunnen- 
reich Attilas  hat  sie  festgehalten ;  aber  von  Theodorich  kennt 
sie  nur  den  Kampf  mit  Odoaker  (später  durch  Hermanarich 
ersetzt)  und  macht  ihn  und  seine  Gefolgsleute  (Hildebrand) 
zu  schutzsuchenden  Flüchthngen  am  Hofe  Attilas.  Auch  der 
Untergang  des  kurzlebigen  Burgunderreichs  von  Worms  (413 
bis  435)  durch  Aetius  und  die  Hunnen  (von  der  Sage  durch 
Attila  ersetzt)  war  nur  eine  Episode  ohne  große  Bedeutung;  von 
der  Ansiedlung  des  Volks  in  Savoyen  (443  durch  Aetius)  und 
dem  großen  Burgunderreich  der  Folgezeit  weiß  sie  nichts.  Das 
Volk  ist  ihr  gleichgültig:  sie  hat,  wie  es  der  Sage  geziemt,  nur 
Interesse  für  das  Schicksal  der  Könige,  deren  Namen  sie  treu 
bewahrt,  die  sie  aber  zu  Brüdern  macht  und  in  der  Burg 
Attilas,  der  sie  um  ihres  Schatzes  willen  zu  sich  lockt,  um- 
kommen läßt.  Damit  wird  die  Sage  von  Attilas  Ermordung 
verbunden;  Ildiko  (Grimhild)  wird  zu  ihrer  Schwester  und 
vollzieht  für  sie  die  Rache.    Zu  einem  großen  Sagenkreis  und 

den  Namen  seiner  Hauptgemahlin  Kreka  (so  bei  Priscus;  deutsch 
Helche.  in  der  Edda  Herkja)  und  ebenso  den  seines  (in  Wirklichkeit 
von  ihm  ermordeten)  Bruders  und  Mitregenten  Bleda. 


296      ^-  ^^^  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

damit  zu  vollem  inneren  Leben  dagegen  erwächst  die  Sage 
durch  die  auf  fränkischem  Boden  alsbald,  spätestens  etwa  im 
6.  Jahrhundert,  vollzogene  Verbindung  mit  der  dem  Gebiet 
des  Mythus  entstammenden  Sage  von  Siegfried  und  Brunhild 
nebst  dem  Nibelungenhort  im  Rhein  und  der  Gestalt  Hagens. 
Die  beiden  Sagen  werden  aufs  engste  miteinander  verschmol- 
zen: der  Burgunderkönig  Günther  wird  zum  Gemahl  Brunhilds, 
seine  Schwester  Kriemhild,  gegen  alle  naturwüchsige  Sagen- 
anschauung, zur  Witwe  Siegfrieds,  der  Schatz,  den  Attila 
erbeuten  will,  zum  Nibelungenhort,  der  Nibelungenname  auf 
die  Burgunderkönige  übertragen,  Hagen  auch  in  ihre  Kata- 
strophe als  ihr  Bruder  oder  Gefolgsmann  eingeführt.  Wie 
der  innere  Widersi3ruch,  der  so  in  die  Sage  gekommen  ist, 
zu  der  gewaltigen  Umgestaltung  und  Vertiefung  der  älteren 
Überlieferung  in  der  deutschen  Weiterbildung  des  SagenstofiFs 
geführt  hat  —  wohl  der  großartigsten  Schöpfung  der  ge- 
samten Sagendichtung  der  Weltliteratur  — ,  haben  wir  hier 
nicht  zu  verfolgen;  und  ebenso  bedarf  es  nur  eines  kurzen 
Hinweises  darauf,  wie  die  Sage  immer  wieder  Aveitere  Stoffe 
in  ihren  Bereich  hineinzieht,  z.  B.  in  der  deutschen  Fortbildung 
die  Helden  aus  anderen  Sagenkreisen,  die  so  zu  einem  großen 
Ganzen  zusammenwachsen,  vor  allem  Theodorich  (Dietrich 
von  Bern),  aber  auch  Walther  von  Aquitanien  und  Iring  von 
Thüringen,  die  ebenso  wie  jener  und  wie  auch  Hagen  an 
Attilas  Hof  versetzt  werden.  Dazu  treten  dann  noch  Gestalten 
aus  der  Gegenwart,  wie  der  Markgraf  von  Bechelaren  und 
schließlich  die  sächsischen  Markgi-afen  Gero  (f  963)  und  Ecke- 
wart (t  1002),  sowie  der  Bischof  Pilgrim  von  Passau  (971 
bis  991). 

Der  Trojanische  Krieg 

Den  Stoff  der  griechischen  Heldensagen  bilden  die  Sagen 
vom  Kampf  um  Theben  und  vom  Krieg  gegen  Troja  ')•    Die 


')  Daneben  stehn,  neben  kleineren,  isoliert  dastehenden  Stoffen, 
wie  der  Sage  von  Meleager  oder  vom  Kampf  der  Lapithen  und  Ken- 
tauren,   die    beiden  großen  Sagenkreise  von  den  Argonauten  und  von 


Entwicklung  der  Nibelungensage  und  der  troischen  Sage     297 

ältesten  Stücke,  die  in  die  Ilias  Aufnahme  gefunden  haben, 
ragen  jedenfalls  bis  ins  9.,  wenn  nicht  ins  10.  Jahrhundert 
hinauf  —  und  bei  den  thebanischen  Epen  wird  es  ebenso 
liegen  — ;  der  Abschluß  reicht  bis  ins  7.  und  6.  Jahrhundert 
hinab. 

Auch  hier  sehn  wir,  wie  der  Sagenstoff  immer  mehr 
anschwillt  und  immer  neue  Gestalten  in  den  älteren  Kreis 
hineingezogen  werden,  teils  freie  Schöpfungen  der  Dichtung, 
wie  wahrscheinlich  Hektor,  Aias  u.  a.,  teils  ursprünglich  völlig 
selbständig  dastehende  Heroen,  wie  Odysseus  u.  a.  Die  Ge- 
stalten der  thebanischen  Sage  werden  auch  in  den  troischen 
Krieg  eingeführt,  Herakles  mit  ihm  verknüpft,  allmählich 
nahezu  alle  Völkerschaften,  die  der  Sänger  kennt,  griechische 
wie  thrakische  und  asiatische,  an  ihm  beteiligt.  Manche 
Figuren  mögen  auch  einer  wesentlich  jüngeren  Zeit  ange- 
hören und  geschichtlichen  Ursprungs  sein,  so  wenig  wir  das 
im  einzelnen  nachweisen  können. 

Dahinter  liegt  dann  die  Urgestalt  der  Sage.  Auch  sie  ist 
in  beiden  Fällen,  wie  in  der  Nibelungensage,  geschaffen  durch 
die  Umgestaltung  eines  geschichthchen  Hergangs  in  der  Ver- 
knüpfung mit  einem  Mythos;  erst  dadurch  erhält  sie  ihr  in- 
neres Leben  und  die  Fähigkeit  zu  einer  weiteren  Entwicklung. 
Bei  der  thebanischen  Sage,  die  oben  schon  kurz  besprochen 
ist,  läßt  sich  das  Wesen  dieses  Mythus  nicht  genauer  erken- 
nen; bei  der  troischen  ist  es  die  Erzählung,  daß  die  große 
Göttin  Helena  (vgl.  S.  197).  die  in  Therapne  bei  Sparta  ihren 
Kult  hat,  von  einem  Räuber  entführt  und  von  einem  Brüder- 
paar befreit  und  zurückgebracht  wird.  Diese  Sage  ist  uns  in 
zwei  parallelen  Fassungen  überliefert.  Das  eine  Mal  ist  der 
Räuber  Theseus,  die  Retter  sind  ihre  Brüder,  die  Tyndariden 


Herakles.  Aus  ihnen  haben  die  Sänger  in  der  Blütezeit  des  Epos  offen- 
bar bei  ihren  Vorträgen  ebensooft  geschöpft  wie  aus  den  Sagen  von 
Theben  und  von  Ilion;  aber  zu  selbständigen  Epen  sind  sie  nicht  er- 
wachsen und  daher  später  verschollen.  Stofflich  unterscheiden  sie  sich 
von  den  beiden  anderen  dadurch,  daß  sie  ihrem  Ursprung  nach  aus- 
schließlich dem  Mythus  angehören. 


298     ^-  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultui- 

(Dioskuren),  die  großen  Nothelfer,  die  immer  die  Haupt- 
götter von  Sparta  geblieben  sind.  In  der  anderen  Fassung 
ist  der  Räuber  Alexandros^),  die  Ketter  das  Brüderpaar  Aga- 
memnon und  Menelaos.  Auch  sie  werden  später  —  oder  viel- 
leicht schon  seit  Urzeiten')  —  in  Sparta  als  Götter  verehrt, 
sowohl  Zeus  Agamemnon  (in  Lapersai),  wie  vor  allem  Mene- 
laos, der  Gemahl  der  Helena,  der  dann,  als  er  zum  Heros 
geworden  ist,  mit  Helena  zusammen  von  Zeus  mit  der  Un- 
sterblichkeit beschenkt  und  ins  Eljsion  entrückt  wird. 

Diese  lakonische  Sage  ist  nun  mit  der  Erzählung  vom 
Kriegszug  eines  Königs  von  Mykene  gegen  Troja  verschmolzen. 
Helena,  nebst  dem  Schatz  ihres  Gemahls  Menelaos,  wird  von 
dem  Trojaner  Paris  geraubt,  der  mit  Alexandros  identifiziert 
wird  —  in  der  Doppelnamigkeit  liegt  die  Kontamination 
noch  deutlich  vor  — ,  ihr  Schwager  Agamemnon,  der  den 
Zug  zu  ihrer  Befreiung  führt,  ist  König  von  Mykene,  der 
weithin  über  Griechenland  gebietet. 


')  Daneben  steht  in  Amyklae  eine  Göttin  Alexandra,  die  dann 
von  den  Mythographen  mit  Kassandra  identifiziert  wird. 

^)  Eine  sichere  Entscheidung  ist  kaum  möglich.  Aber  sehr  zu 
beachten  ist,  daß  nicht  nur  Menelaos  immer  in  Sparta  ansässig  ist, 
sondern  neben  der  Lokalisierung  Agamemnons  in  Mykene  immer  die  in 
Lakonien  steht.  Im  Iota  der  Ilias  gehört  ihm  Lakonien  und  Messenien, 
in  Proteus'  Erzählung  an  Menelaos  Od.  5  514  will  Agamemnon  auf 
der  Heimkehr  Malea  umfahren,  also  ofifenbar  nach  Amyklae;  aber  ein 
Sturm  verschlägt  ihn  ä-j^ob  irc'  £oxatfr]v  zu  Aigisthos  (der  nach  y  263 
ftuxü>  "ApYJo?  liTTcc-ßotoio  lebt).  Dazu  stimmt,  daß  Pindar  Pyth.  11,  32 
ebenso  wie  Stesichoros  fr.  39  und  Simonides  fr.  207  (bei  schol.  Eurip. 
Orest.  46)  Agamemnon  in  Amyklae  residieren  lassen.  Wie  vollständig 
später  die  Spartaner  sowohl  Agamemnon  wie  Orestes  für  sich  in  An- 
spruch genommen  haben,  ist  bekannt  (vgl.  Pindar  Pyth.  11,  16  Aaxwv 
'Opsata;;  Nem.  11,  34  führt  Orestes  die  Aeoler  aus  Amyklae  nach 
Tenedos).  Zeus  Agamemnon  in  Lapersai:  Staj^hylos  bei  Clem.  AI.  protr.  2, 
38.  Lykophron  1124.  169  ff.  —  Den  Raub  der  Helena  durch  Theseus 
und  ihre  Befreiung  durch  ihre  Brüder,  die  dabei  auch  Theseus'  Mutter 
Aithra  als  Sklavin  mitnehmen  [vgl.  die  Kypseloslade  bei  Pausan.  V  19,  3), 
kennt  auch  die  Ilias  F  144,  vermutlich  auf  Grund  der  Kyprien,  die 
auch  F  236  ff.  zugrunde  liegen. 


Helena,  Agamemnon,  Menelaos.    Achilleus  299 

Dazu  ist  aber  noch  ein  zweiter  Mythus  getreten,  der 
von  dem  Heldenjüngling  Achilleus,  dem  Sohn  der  Meer- 
Igöttin  Thetis,  dem  vom  Geschick  nach  herrlichen  Taten  ein 
früher  Tod  bestimmt  ist.  Diese  Sage  stammt  aus  Thessalien 
und  ist,  wie  so  vieles  thessalische  Gut  (so  auch  der  Götter- 
berg Olympos,  die  Kentauren,  die  Argonautensage  u.  a.),  von 
den  Aeolern  mit  der  troischen  Sage  verschmolzen  worden,  als 
bei  ihnen  der  Heldengesang  zu  reicher  Entwicklung  gelangte. 
Daher  werden  dem  Achilleus  vor  allem  Kämpfe  in  den  Ge- 
bieten zugeschrieben,  in  denen  sie  sich  angesiedelt  haben 
oder  festzusetzen  suchten,  auf  Lesbos  (von  wo  die  Gestalt 
der  Briseis  stammt),  auf  Tenedos  ^),  gegen  Teuthranien  und 
gegen  die  Ebene  von  Thebe  am  Adramyttischen  Golf.  Das 
ist  die  erste  große  Erweiterung  der  Sage ;  durch  sie  werden 
die  nordgriechischen  Stämme  in  den  Kampf  hineingezogen. 
Das  hat  zur  Folge,  daß  der  Hafen  von  Aulis  im  innersten 
Euripos,  der  den  Aeolern  als  Ausgangspunkt  ihrer  Kolonisa- 
tion gilt,  nun  auch,  widersinnig  genug,  der  Sammelplatz  der 
Flotte  Agamemnons  geworden  ist. 

Streichen  wir  diese  mythischen  Elemente  und  die  dann 
hinzugekommenen  Erweiterungen  hinweg,  so  bleibt  als  Kern 
der  Heerzug  eines  mächtigen  Königs  von  Mykene  gegen  die 
Stadt  in  der  Skamanderebene  unfern  des  Hellesponts.  Dieser 
Kern  muß  geschichtlichen  Ursprungs  sein  so  gut  wie  der 
Kern  der  Burgundersage;  den  geschichthchen  Hergang  zu 
rekonstruieren,  ist  freilich  hier  ebensowenig  möglich,  wie  es 
bei  dieser  möglich  sein  würde,  wenn  wir  nicht  die  gleich- 
zeitige historische  Überlieferung  besäßen.  Immerhin  läßt  sich 
jedoch  wenigstens  einiges  erkennen.  Daß  Seezüge  von  My- 
kene nach  Asien  vorgekommen  sind,  beweist  die  oben  be- 
sprochene Silbervase  aus  dem  vierten  Schachtgrabe,  so  wenig 
auch  Anlaß    ist,  diese    etwa    auf   den  Krieg   gegen  Troja  zu 

*)  Hier  erschlägt  er  den  Riesen  Kj^knos,  der  nach  der  älteren,  in 
Hesiods  Aspis  erhaltenen  Sage  bei  Pagasae  in  Thessalien  von  Herakles 
bezwungen  wird.  Später  ist  dann  auch  noch  sein  Sohn  Tennes,  der 
Eponymos  der  Insel,  hinzugefügt. 


300     V.  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

deuten.  Andrerseits  ist  Troja  in  dieser  Epoche  eine  an- 
sehnliche Königsburg,  deren  mächtige,  aus  regelrecht  be- 
hauenen  Quadern  aufgeführte  Ringmauer  eine  größere  Zahl 
von  Steinhäusern  der  gleichen  Bauart  umschließt;  und  in 
dieser  Stadt  haben  sich,  neben  einheimischer  Keramik.  Scher- 
ben raykenischer  Gefäße  in  großer  Zahl  gefunden.  Dadurch 
ist  die  Zeit,  14.  und  13.  Jahrhundert,  festgelegt  und  zugleich 
ein  lebhafter  Handelsverkehr  mit  dem  Reich  von  Mykene  er- 
wiesen. Bei  dem  regen  Export  mykenischer  Waren,  der  durch 
die  weite  Verbreitung  ihrer  Keramik  bezeugt  wird,  ist  es  be- 
greiflich, daß  hier  Handelsinteressen  auch  für  die  Politik 
maßgebende  Bedeutung  gewannen;  denn  daß  der  Expansions- 
trieb und  das  Streben  nach  Beute  gerade  zu  einem  Zuge 
nach  Troja  geführt  hat,  kann  nur  aus  dem  Streben  hervor- 
gegangen sein,  sich  der  großen  Seestraße  nach  dem  Schwarzen 
Meer  zu  bemächtigen.  Daß  die  Sage  von  diesen  Zusammen- 
hängen nichts  mehr  weiß  und  sie  durch  das  mythische  Motiv 
des  Frauenraubes  ersetzt,  ist  nur  natürlich.  Zu  einer  Fest- 
setzung der  Griechen  in  der  troischen  Landschaft  ist  es  aller- 
dings nicht  gekommen ;  aber  die  Stadt  ist,  wie  die  Ruinen 
in  Übereinstimmung  mit  der  Sage  zeigen,  zerstört  und  nieder- 
gebrannt worden  und  lag  seitdem  in  Trümmern,  bis  Thraker 
und  Kimmerier  und  dann  weit  später  die  Aeoler  von  Lesbos 
sich  hier  festsetzten^). 

Das  Volk,  das  die  Achaeer  bekämpfen,  führt  den  Namen 
Troer,  die  Stadt  heißt  Ilios  (Vilios)-'),  die  Burg  führt  mehr- 


')  Über  Topographie  und  Ruinen  vgl.  Bd.  1491.  Daß  die  troische 
Sage  nicht  ein  Reflex  der  aeolischen  Besiedlung  ist,  die  erst  im  8.  Jahr- 
hundert beginnt,  ist  jetzt  wohl  allgemein  anerkannt.  Ganz  unberechtigt 
ist  die  Behauptung,  die  Sage  habe  ursprünglich  nur  einen  Krieg  gegen 
Ilion,  aber  nicht  die  Eroberung  erzählt,  die  daher  erst  spätere  Erfindung 
sei,  weil  unsere  Ilias  natürlich  nur  von  Kämpfen  vor  der  Eroberung 
handelt.  Aber  sie  setzt  diese  überall  voraus,  und  die  'IXiou  jiep3t(;  enthält 
mindestens  stofflich  manche  Szenen,  die  weit  älter  sind  als  die  Myjvc?. 

*)  Das  später  herrschend  gewordene  Neutrum  Ilion  findet  sich  bei 
Homer  nur  ganz  vereinzelt.  Daneben  ist  aus  dem  "Volksnamen  der  Stadt- 
name Tpoi-fi  gebildet. 


Geschichtlicher  Kern  der  troischen  Sage  301 

fach  den  Sondernamen  Pergamos.  Diese  Namen  werden  ein- 
heimisch sein,  so  gut  wie  die  der  Flüsse  Skamandros  und 
Simoeis.  Die  Troer  sind  ein  kleinasiatischer  Volksstamm.  Da- 
neben erscheint  nicht  selten  der  Volksname  Dardaner,  der  sich 
in  dem  Namen  der  Stadt  Dardanos  am  Hellespont,  unweit  von 
Ilion,  erhalten  hat,  aber  zugleich  bei  einem  thrakischen  Volk 
oberhalb  Makedoniens  wiederkehrt;  ob  sich  darin  eine  Ein- 
wirkung von  Wanderungen  und  Völkermischungen  erhalten 
hat,  läßt  sich  nicht  entscheiden,  und  ebensowenig,  ob  sie  mit 
den  Dardani  identisch  sind,  die  Ramses  IL  unter  den  Völker- 
schaften im  Chetiterheer  nennt.  In  weit  späterer  Zeit,  seit 
dem  7.  Jahrhundert^),  ist  dann  noch  der  Name  Teukrer  hin- 
zugekommen; das  ist  offenbar  ein  bei  den  großen  Völkerver- 
schiebungen der  Folgezeit  eingedrungener  Stamm,  der  die  alte 
Bevölkerung  aufgesogen  und  sich  im  Binnenlande  (Gergis)  bis 
in  die  Perserzeit  erhalten  hat'-). 

Geschichtlich,  oder  mindestens  kleinasiatischen  Ursprungs, 
sind  auch  die  Namen  Priamos  und  Paris.  Daß  auch  unter 
den  Namen  auf  griechischer  Seite  einzelne,  wie  z.  B.  Atreus 
von  Mykene,  geschichtlich  sind,  ist  möglich;  die  meisten  sind 
jedoch  entweder  mythischen  Ursprungs  oder  freie  Schöpfungen 
der  Dichter. 

Eng  verbunden  mit  den  Troern  erscheinen  die  Lykier. 
Ein  lykischer  Heros  Sarpedon  spielt  in  der  Ilias  eine  Haupt- 
rolle^), der  Bogenschütze  Pandaros,  der  in  Pinara  in  Lykien 
seinen  Kult  hat'),  wird  mit  dem  Namen  der  Landschaft  und 
ihrem  Gotte  Apollon  XdxtjYsvyjs  in  den  Norden  der  Troas 
nach  Zeleia  versetzt,  der  Name  des  lykischen  Flusses  Xan- 
thos  auf  den  Skamander  übertragen.  Das  kann  nicht  erst 
eine  Neuerung  der  ionischen  Schicht  sein,  etwa  ein  Reflex 
von  Kämpfen  zwischen  loniern  und  Lykiern,  von  denen  wir 

')  Kallinos  bei  Strabo  XIII  1,  48. 

^)  Wie  ein  Bruder  des  Aias  zu  dem  Namen  Teukros  gekommen 
ist,  bleibt  völlig  dunkel. 

^)  Vgl.  WiLAMowiTZ,  Die  Ilias  und  Homer  13-5  f. 
*)  Strabo  XIV  3,  5. 


302      ^  ■  Das  griechische  Festland  und  die  mykenische  Kultur 

sonst  nichts  wissen,  sondern  muß  bereits  einer  weit  älteren 
Sagengestaltung  angehören.  Etwas  mehr  Licht  fällt  darauf, 
seit  wir  einige  Kunde  von  den  lykischen  Stämmen  im  südlichen 
Kleinasien  erhalten  haben  (den  Lugga,  s.  u.  Abschnitt  XII),  die 
weithin  Seeraub  trieben.  So  mag  es  auch  in  mykenischer  Zeit 
schon  mehrfach  zu  Zusammenstößen  zwischen  ihnen  und  den 
Achaeern  gekommen  sein,  als  diese  sich  im  Süden  Kleinasiens 
festzusetzen  suchten.  Ihre  Hineinziehung  in  den  troischen 
Krieg  wäre  dann  die  übliche  Sagenkontamination;  nicht  un- 
denkbar ist  es  freilich  auch,  daß  sie  wirklich  an  diesem  Kriege 
teilgenommen,  ja  daß  sie  sich  in  der  Tat  hier  in  Zeleia  fest- 
gesetzt haben. 

Mit  diesen  wenigen  Ergebnissen  müssen  wir  uns  be- 
gnügen; so  unzulänglich  sie  sind,  so  tragen  sie  doch  dazu 
bei,  das  Bild  zu  beleben,  das  wir  von  den  Zuständen  und 
Vorgängen  der  mykenischen  Epoche  gewinnen  können^). 


')  Über  das  angebliche  Vorkommen  von  Troja  in  einem  chetiti- 
schen  Text  s.  u.  Abschnitt  XII.  —  Ganz  haltlos  ist  der  Einfall  von 
Kretschmer,  Glotta  Xin  1924,  205  ff.,  die  Sagengestalt  des  Alexandros 
von  Vilios  sei  aus  dem  Dynasten  Alaksandus  von  üilusa  entstanden, 
dessen  Gebiet  in  die  Arzawalandschaften  im  rauhen  Kilikien  und  des- 
sen Nachbarschaft  gehört  und  der  mit  dem  Chetiterkönig  Muwattal 
(ca.  1320—1288)  einen  Vertrag  schließt  (u.  S.  442,  1);  diesen  selbst  hat  er 
mit  einem  sonst  unbekannten  Motylos  identifiziert,  der  nach  einer  Notiz 
bei  Steph.  Byz.  SafAuXc-x  diese  angebliche  k;irische  Stadt  gegründet  und 
Helena  und  Paris  aufgenommen  haben  soll  —  in  Wirklichkeit  eine  sonst 
nie  erwähnte  ganz  sekundäre  Weiterspinnung  ihrer  Abenteuer,  über 
deren  Quelle  wir  nicht  das  mindeste  wissen. 


VI.  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der 
achtzehnten  Dynastie 


Gestaltung  der  Kultur.    Gräber  und  Totentempel 

Neben  der  jugendlich  kecken,  rasch  prächtig  aufblühenden 
und  dann  ebenso  rasch  verwelkenden  kretischen  Kultur  steht 
als  ihr  diametraler  Gegensatz  die  ägyptische.  Eine  gefestete 
Tradition,  die  sich  im  Verlauf  von  nunmehr  bereits  anderthalb 
Jahrtausenden  kontinuierlich  ausgebildet  hat,  beherrscht  das 
gesamte  Leben  des  Ägypters  und  gestaltet  die  Anschauungen 
und  Formen,  in  denen  sich  sein  Denken  und  Empfinden  be- 
wegt. Auch  der  Neubau  des  Reichs,  so  einschneidend  er  die 
Organisation  des  Staats  umwandelt,  erstrebt  doch  nur  eine  den 
völlig  geänderten  politischen  und  militärischen  Bedingungen 
entsprechende  Wiederherstellung  der  glänzenden  Epochen  der 
Vorzeit,  da  durch  Befolgung  der  von  den  Göttern  gesetzten 
Ordnungen  das  Gedeihen  des  Reichs  gesichert  war.  Stellung 
und  Titulatur  des  Pharao  bleiben  unverändert;  auch  die  alten 
Amtstitel  werden  so  weit  wie  möglich  beibehalten,  selbst  die 
Fiktion,  daß  das  durch  die  Vereinigung  der  beiden  Lande 
geschaffene  Doppelreich  unverändert  weiterbestehe,  wird  fort- 
geschleppt, so  wenig  die  Wirklichkeit  damit  übereinstimmt. 
Daß  jetzt  Amon,  der  Gott  der  neuen  Hauptstadt,  im  offi- 
ziellen Pantheon  an  die  Spitze  der  Götterwelt  tritt  und  als 
diejenige  Erscheinungsform  des  Weltenherrschers  Re'  gilt,  in 
der  dieser  das  Reich  beschirmt  und  dem  von  ihm  gezeugten 
König  eine  noch  größere  Macht  gewährt  als  allen  seinen  Vor- 
gängern, ist  lediglich  die  Konsequenz  aus  den  religiösen  An- 
schauungen, die  seit  dem  Mittleren  Reich  in  der  Theologie 
und  bei  allen  in  ihre  Geheimnisse  Eingeweihten  zu  voller 
Herrschaft  gelangt  sind. 


304     VI.  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

Die  ersten  Könige  der  achtzehnten  Dynastie  hatten  vollauf 
zu  tun  mit  der  Durchführung  der  Organisation,  der  Ausglei- 
chung der  in  den  langen  Wirren  über  das  Land  ergangenen 
Verheerung,  der  Wiederherstellung  der  Tempel  und  des  Kultus. 
Was  von  Skulpturen  aus  ihrer  Zeit  erhalten  ist  —  viel  ist 
es  nicht  — ,  bewegt  sich  zunächst  durchaus  in  den  im  Mitt- 
leren Reich  herrschenden  Formen,  ebenso  wie  ihre  Inschriften 
die  überkommene,  klassisch  gewordene  Sprache  festhalten. 
Allmählich  aber  führt  der  Wiederaufstieg  zu  einem  Fort- 
schreiten, neue  Anschauungen  und  Formen  beginnen  hervor- 
zutreten. Eine  erste  Abweichung  von  den  alten  Traditionen 
zeigt  sich  unter  Thutmosis  I.  in  der  Verlegung  des  Königs- 
grabes aus  der  alten,  von  den  ersten  Königen  noch  beibe- 
haltenen Nekropole  am  Fuß  der  westlichen  Berge  (bei  Drah- 
abulnegga)  in  die  Felswand  eines  der  Welt  entrückten  Wüsten- 
tales tief  im  Gebirge  (s.  o.  S.  76)  und  die  dadurch  bedingte 
Trennung  des  Totentempels  vom  Grabe. 

Dieser  Schritt  ist  für  die  Entwicklung  der  ägyptischen 
Architektur  von  weittragender  Wirkung  gewesen.  Die  Ziegel- 
pyramide, die  sich  noch  Amenophis  I.  als  Grabstätte  in  Drah- 
abulnegga  errichtet  hat  und  die  sich  bei  bescheidenen  Privat- 
gräbern noch  lange  erhält,  wird  von  den  hohen  Beamten  wie 
von  den  Königen  aufgegeben 0;  da  die  Ägypter  eine  Idee,  die 
sich  einmal  durchgesetzt  hat,  niemals  wirklich  abstoßen  können, 
auch  wenn  sie  tatsächlich  völlig  veraltet  ist,  hilft  man  sich  da- 
durch, daß  man  ins  Grab  eine  kleine  Pyramide  aus  Stein  setzt, 
an  deren  Seitenfläche  der  Tote  dargestellt  ist,  wie  er  zur  auf- 
gehenden Sonne  betet.  In  den  großen  Grabbauten  aber  tritt 
an  ihre  Stelle  das  bei  den  Gaufürsten  schon  seit  der  Entwick- 
lung ihrer  selbständigen  Stellung  unter  der  fünften  Dynastie 
herrschend  gewordene  Felsengrab.  Bei  den  Magnaten  besteht 
es  in  der  Regel  aus  einer  Vorhalle  und  einem  langen,  senkrecht 


1)  Die  ältesten  CTräber  in  der  Liste  des  von  Gardiner  und  Weigall 
herausgegebenen  Catalogue  of  the  private  Tombs  of  Thebes  stammen 
aus  der  Zeit  Thutmosis'  I.  Das  Felsengrab  scheint  also  bei  Königen 
und  Beamten  gleichzeitig  aufgekommen  zu  sein. 


Felsengräber  der  Magnaten  und  der  Könige  305 

dazu  verlaufenden  Gange,  der  zur  Sargkammer  führt;  weitere 
Kammern  können  hinzutreten.  Beim  Königsgrab  entwickelt 
sich  das  gleiche  Grundschema  von  Regierung  zu  Regierung  zu 
immer  größeren  Dimensionen,  mit  mehreren  Hallen  und  Sei- 
tenkammern; Treppen  führen  hinab,  tiefe  Schachte  sperren 
dem  Eindringenden  den  Weg.  Der  gesamte  Plan  ist  in  allen 
Einzelheiten  vorher  entworfen;  Anlage  und  Ausführung  zei- 
gen, wie  die  Beherrschung  der  Technik  vom  Grabe  Thut- 
mosis'  I.  bis  zu  dem  Amenophis'  IL  und  III.  ständig  sicherer 
wird  und  die  Aufgabe  immer  größer  gestellt  werden  kann.  Die 
Wände,  und  ebenso  der  gewaltige  Sarkophag  aus  nubischem 
Sandstein  —  unter  der  neunzehnten  Dynastie  tritt  Granit  von 
Assuan  an  seine  Stelle  —  sind  mit  Inschriften  und  Bildern 
bedeckt,  die  neben  zahlreichen  anderen  Szenen  aus  dem  jen- 
seitigen Leben  des  Königs  im  Reich  des  Osiris  und  des  Re 
nebst  den  zugehörigen  Zauberformeln  vor  allem  seine  Fahrt 
durch  das  Nachtreich  der  Unterwelt  im  Sonnenschiff  darstel- 
len, vorbei  an  all  den  Schreckgespenstern  und  Ungeheuern, 
die  ihn  bedrohen,  aber  ihm  nichts  antun  können.  In  den 
Privatgräbern  überwiegen  durchaus  die,  meist  auf  Stuckbe- 
wurf gemalten,  seltener  gemeißelten  Szenen  aus  dem  irdischen 
Leben,  teils,  wie  im  Alten  und  Mittleren  Reich,  das  Leben 
und  Treiben  in  Haus  und  Hof,  in  Garten  und  Feld,  auf  der 
Jagd  und  beim  Fischfang,  mit  den  Scharen  der  Handwerker 
und  des  Gesindes,  daneben  aber  auch  in  großer  Ausführlich- 
keit seine  Taten  im  Dienste  des  Königs,  die  Verwaltung 
seiner  Ämter,  die  Vorführung  der  Abgaben  aus  Ägypten,  der 
Gesandtschaften  und  Tribute  der  Fremdvölker,  die  Aushebung 
der  Rekruten,  die  Teilnahme  an  den  Kriegszügen. 

In  den  Königsgräbern  ist  für  solche  Szenen  kein  Platz; 
sie  gehören  in  die  für  den  Totenkult  errichteten  Tempel  am 
Fuß  der  Gebirgslandschaft.  Auch  diese  Tempel  haben  ihren 
ursprünglichen  Charakter  geändert;  mit  dem  Totendienst  ist 
der  Kult  des  Amon  und  der  Hathor,  der  Beschirmerin  der 
Nekropole,  verbunden,  der  Pharao,  der  im  Tod,  wie  die  offi- 
zielle Formel  lautet,   „aufsteigt  zum  Himmel  und  sich  vereint 

Meyer,  Geschichte  des  Altertnras.    11'.  20 


306      ^^-  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

mit  der  Soniienscheibe",  lebt  hier  fort  in  vertrautem  Verkehr 
mit  der  Gottheit,  die  ihn  im  Mutterleibe  erzeugt  hat. 

Alle  anderen  Totentempel  der  achtzehnten  Dynastie  sind 
bis  auf  ganz  dürftige  Überreste  verschwunden;  erhalten  ist 
lediglich,  dank  seiner  vom  Kulturboden  weit  entfernten  Lage 
unmittelbar  am  Fuß  des  Gebirgs,  der  Tempel  der  Hatsepsut 
(o.  S.  116)^).  In  dieser  genialen  Schöpfung  ihres  Ministers 
Senmut  tritt  uns  gleich  zu  Anfang  der  Geist  der  neuen  Zeit 
ganz  lebendig  entgegen.  Er  liegt  neben  dem  in  Terrassen 
aufsteigenden  Grabtempel  Mentuhoteps'  III.  und  IV.,  der  größ- 
ten Schöpfung  der  elften  Dynastie  (Bd.  I  277);  in  ihm  sind 
auf  der  untersten  Terrasse  Baumalleen  gepflanzt,  auf  der 
obersten  liegt  die  von  einer  Pfeilerhalle  umgebene  Pyramide, 
dahinter  der  Hof,  der  zu  den  Grabkammern  im  Felsen  führt. 
Diese  Anlage  hat  offenbar  auf  den  Bau  Hatsepsuts  einge- 
wirkt; aber  ganz  anders  als  dort  fügt  er  sich  in  die  Land- 
schaft ein  und  verwächst  mit  der  sich  senkrecht  hinter  ihm 
auftürmenden  Felswand  wie  sonst  nirgends  zu  einer  gran- 
diosen Einheit.  Ein  von  Sphinxen  eingefaßter  Weg  führt  zum 
ersten,  mit  Palmen  und  Weinstöcken  bepflanzten  Hof.  Aus 
diesem  führt  eine  Rampe  zur  ersten  Terrasse,  auf  der  die 
von  der  Expedition  nach  Punt  mitge])rachten  Weihrauch- 
bäume ihren  Platz  gefunden  haben.  Die  Terrassen  sollen  über- 
haupt die  stufenförmig  aufsteigende  Landschaft  der  „Treppe 
von  Punt"  nachbilden.  Auf  der  oberen  Terrasse  lagen  dann, 
um  einen  geräumigen  Binnenhof  gelagert,  die  Räume  für 
den  Totenkult  und  die  zum  Teil  in  den  Felsen  getriebenen 
und  überwölbten  Kapellen  der  Götter.  Alle  Wände,  die  die 
Höfe  und  Terrassen  einfassen,  sind  mit  Säulenhallen  um- 
rahmt, auch  die  große  Stützmauer  an  der  nach  außen 
liegenden  Südseite  der  unteren  Terrasse  ist  mit  Pilastern  ge- 


')  Natürlich  war  auch  er  zerfallen  und  verschüttet;  dann  haben 
koptische  Mönche  darauf  das  Kloster  Der  el  Bahri  gebaut  und  die 
Skulpturen  aufs  ärgste  zerstört.  Aber  die  Fundamente  sind  überall 
erhalten,  und  so  läßt  er  sich  im  wesentlichen  vollständig  rekonstruieren. 


Totentempel  der  fjatsepsut  307 

schmückt,  die  mit  Falken  und  Schlangen,  den  Symbolen  der 
Schutzgottheiten  der  beiden  Reiche,  gekrönt  sind.  Als  Säulen 
sind  durchweg  nur  sechzehn-  oder  achtkantige  Pfeiler  ver- 
wendet, auf  deren  Abakus,  einem  einfachen  Würfel,  der 
Architrav  ruht;  diese  schlichte  und  eben  darum  umso  vor- 
nehmer wirkende  Form,  die  mit  feinem  Kunstgefühl  gewählt 
ist,  steigert  noch  den  harmonischen  Eindruck  der  gesamten 
Anlage,  die  sich  überdies  von  fast  allen  anderen  ägyptischen 
Bauwerken  auch  dadurch  unterscheidet,  daß  sie  von  außen  voll 
übersehbar  ist  und  daher  dem  Beschauer  die  Einheitlichkeit 
des  künstlerischen  Gedankens  sofort  lebendig  entgegentritt. 
Alle  Wände  sind  geschmückt  mit  Reliefs,  die  in  ihrer 
sauberen,  lebensvoll  bewegten  Ausführung  zeigen,  daß  die 
im  Mittleren  Reich  erreichte  Höhe  wieder  gewonnen  und 
überboten  ist.  Neben  dem  Verkehr  des  weiblichen  Pharao 
mit  den  Göttern,  der  Darstellung  ihrer  übernatürlichen  Er- 
zeugung und  Geburt,  ihrer  Aufziehung  durch  die  Göttinnen 
nehmen  die  Großtaten  ihrer  Regierung  einen  breiten  Raum 
ein,  außer  der  Aufrichtung  der  Riesenobelisken  im  Tempel  von 
Karnak  (o.  S.  115)  vor  allem  die  Expedition  nach  Punt.  Kein 
Zweifel,  daß  sie.  unter  Führung  ihres  Günstlings,  den  Bau  oft 
besucht,  sich  an  seinem  Fortschreiten  erfreut  und  sich,  mit 
denselben  Gefühlen  wie  die  Magnaten  des  Alten  Reichs  und 
die  ihres  eigenen  Hofes  bei  Besichtigung  ihrer  Gräber,  aus- 
gemalt haben  wird,  wie  sie  dereinst  als  Geist  an  diesen 
Stätten  wandeln  und  im  Beschauen  dieser  Szenen  die  Freu- 
den ihres  irdischen  Daseins  immer  von  neuem  genießen  wird. 
Vor  dem  Tempel  hat  sie  sich  am  Eingang  des  Tales  einen 
Palast  erbaut,  der,  wie  alle  diese  Bauten  aus  Lehmziegeln  und 
Holz,  bis  auf  geringe  Spuren  verschwunden  ist. 

Die  Göttertempel  der  achtzehnten  Dynastie. 
Schlachtengemälde.    Einwirkung  der  kretischen  Kunst 

Neben  die  Grabbauten  treten  jetzt  in  ganz  anderer  Weise 
als   früher   die  Tempel   der  Götter.    Kapellen,  in   denen    die 


308     ^I-  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

Götterbilder  und  der  zum  Kultus  gehörende  Apparat  bewahrt 
wurde,  hat  es  in  Ägypten  zu  allen  Zeiten  gegeben;  aber 
größere  Tempelbauten,  in  denen  zugleich  eine  klar  erfaßte 
religiöse  Idee  zum  Ausdruck  gelangt,  hat  das  alte  Ägypten 
nur  ein  einziges  Mal  geschaffen,  in  den  Sonnenheiligtümern 
der  fünften  Dynastie.  Sonst  sind  uns,  in  bezeichnendem 
Gegensatz  zu  den  Totentempeln  der  Pyramiden,  Göttertempel 
aus  dem  Alten  Reich  überhaupt  nicht,  aus  dem  Mittleren 
nur  in  dürftigen  Resten  erhalten.  Die  Formen  und  Zere- 
monien des  Kultus  waren  längst  voll  entwickelt,  und  ebenso 
die  Grundformen  der  Architektur;  aber  zu  Monumentalbauten 
großen  Stils  für  den  Dienst  der  Götter  hat  diese  ganze  Zeit, 
die  anderthalb  Jahrtausende  umfaßt,  nur  ein  einziges  Mal 
das  Bedürfnis  empfunden,  in  dem  Jahrhundert  der  fünften 
Dynastie,  die  auch  dadurch  eine  Sonderstellung  einnimmt 
und  einen  ersten  Höhepunkt  in  der  geistigen  Entwicklung 
Ägyptens  bezeichnet,  auf  dem  sich  die  folgende  Zeit  der 
Zersetzung  nicht  mehr  zu  halten  vermochte.  Auch  der  Amon- 
tempel  der  zwölften  Dynastie  in  Karnak,  von  dessen  Grundriß 
einige  Reste  erhalten  sind,  war  ein  bescheidener  Bau  von 
40  Metern  im  Quadrat,  und  nicht  viel  anders  werden  der 
Ptahtempel  von  Memphis  und  auch  der  Sethtempel  der  Hyksos 
in  Auaris  und  die  übrigen  ausgesehn  haben. 

Jetzt  aber  gelangen  die  religiösen  Gedanken,  welche 
unter  der  fünften  Dynastie  hervorgetreten  waren,  zu  voller 
Verwirklichung.  Die  äußeren  Erfolge  haben  die  Religiosität 
mächtig  gesteigert;  und  zugleich  gewähren  sie  in  reichstem 
Maße  die  Mittel,  ihre  Forderungen  zu  erfüllen.  Immer  dringen- 
der empfindet  man  die  Verpflichtung,  den  Göttern  den  Dank 
abzustatten  und  ihnen  vollen  Anteil  an  allem  zu  gewähren, 
was  sie  dem  Pharao  so  überschwenglich  beschert  haben. 

Der  Löwenanteil  fällt  natürlich  dem  Amon  von  Theben 
zu.  Schon  Amosis  und  Amenophis  I.  haben  wie  anderswo 
so  auch  in  Karnak  an  den  Tempeln  gebaut;  aber  die  neue 
Wendung  beginnt  doch  erst  mit  Thutmosis  I.  Er  hat  vor 
dem  alten  Tempel  des  Amon  in  Karnak,  der  dann  unter  den 


Die  Tempel  der  achtzehnten  Dynastie.    Karnak  309 

Neubauten  so  gut  wie  völlig  verschwunden  ist,  hinterein- 
ander zwei  große  Pylone  und  vor  ihnen  zwei  mächtige  Obe- 
lisken errichtet,  die  dann  von  Hatsepsut  noch  überboten 
wurden  (o.  S.  115).  Deren  Obelisken  wurden  dann  wieder 
von  Thutmosis  III.  in  ein  Portal  eingemauert  und  so  den 
Blicken  völlig  entzogen;  dafür  stellte  er  zwei  neue  Obelisken 
vor  die  seines  Vaters.  Auch  die  inneren  Räume  hat  er  stark 
umgestaltet,  vor  allem  durch  Einbau  eines  Saales,  an  dessen 
Wänden  er  seine  Annalen  bis  zum  42.  Jahr  seiner  Regierung 
aufzeichnen  ließ').  Hinter  dem  alten  Tempel  erbaute  er  einen 
großen  Festsaal,  dessen  Dach  an  den  Seiten  von  vierecki- 
gen Pfeilern  und  im  Mittelschiff  von  Nachbildungen  von  Zelt- 
stangen getragen  wird  —  eine  wenig  ansprechende  Säulen- 
form, die  hier  an  Stelle  der  sonst  üblichen  Papyrussäulen 
tritt  und  später  nie  wieder  verwendet  wird.  Ringsum  liegen 
zahlreiche  Kammern  und  Kapellen,  deren  Statuen  und  Reliefs 
neben  den  Göttern  und  in  engem  Verkehr  mit  ihnen  den 
König  darstellen  und  einmal  auch  seiner  Vorgänger  auf  dem 
Thron  gedenken,  von  denen  die  sog.  Königstafel  von  Karnak 
eine  Auswahl  zusammenstellt. 

Überhaupt  dienen  die  Tempelbauten  ebensosehr  der  Ver- 
herrlichung des  Königs  wie  der  des  großen  Gottes  und  der 
diesem  als  Gehilfen  untergeordneten  Gottheiten.  Oder  viel- 
mehr, beides  bildet  hier  wie  in  den  Totentempeln  eine  un- 
trennbare Einheit:  der  Gott  und  der  Pharao,  der  lebende  und 
der  zum  Himmel  emporgestiegene,  sind  so  eng  ineinander 
verwachsen,  daß  die  Großtaten  des  Königs,  wie  sie  seine  Er- 
wählung durch  den  Gott  erweisen,  so  auch  dessen  Allmacht 
verkünden.  So  hat  denn  auch  Thutmosis  III.  den  Tempel  mit 
langen  Listen  der  von  ihm  besiegten  Völker  und  Ortschaften 
geschmückt;  er  berichtet,  in  durchaus  legendarischer  Fassung 


')  Über  die  sehr  verwickelte  Folge  und  Umgestaltung  der  Bauten 
hat  BoRCHARDT,  Zur  Baugesch.  des  Amontempels  von  Karnak,  in  Sethe's 
Unters.  Vi,  1905  Äuflilärung  gebracht.  Natürlich  kann  an  dieser  Stelle 
von  den  Bauten  nur  dasjenige  kurz  berührt  werden,  was  für  die  ge- 
schichtliche Darstellung  wesentlich  ist. 


310      VI.  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

(o.  S.  112),  ähnlich  wie  Hatsepsut  in  Der  el  Bahri,  wie  er  von 
Amon  zum  König  berufen  wird,  er  beschreibt  die  Bauten  und 
die  reichen  Geschenke  aus  der  Siegesbeute,  mit  denen  er  ihm 
den  Dank  gezollt  hat;  er  bildet  die  Pflanzen  ab,  die  er,  wie 
Hatsepsut  aus  Punt,  aus  der  Fremde  eingeführt  und  im  Garten 
gepflanzt  hat. 

Nur  umso  beachtenswerter  ist,  daß  Darstellungen  von 
Kämpfen  und  Schlachten  noch  völlig  fehlen.  Die  Gestalten 
der  Ausländer  vermag  man  scharf  zu  erfassen  und  in  vortreff- 
lich gelungener  Charakteristik  wiederzugeben;  das  gleiche  gilt 
von  den  Seetieren  des  Ozeans  bei  Hatsepsut  und  auch,  trotz 
mancher  seltsamen  Verzeichnungen,  von  den  Pflanzen  bei 
Thutmosis  III.;  die  Reliefs  von  Der  el  Bahri  und  die  Ge- 
mälde der  Gräber  lehren,  daß  erzählende  Bilderzyklen  den 
Künstlern  durchaus  geläufig  waren,  so  die  ausführliche  Dar- 
stellung der  Flottenexpedition  nach  Punt,  die  Vorführung  der 
Gesandtschaften  und  Abgaben,  der  Aufmarsch  der  Soldaten 
zur  Parade  u.  s.  w.  Aber  das  hält  sich  im  Rahmen  der  seit 
alters  geläufigen  Darstellungen  so  gut  wie  die  der  Arbeiten 
auf  dem  Felde  und  in  der  Werkstatt  der  Handwerker,  wie 
denn  auch,  wo  mehrere  Gruppen  nebeneinander  stehn,  die 
staflFelförmige  Anordnung  in  übereinander  gesetzte  Streifen 
beibehalten  wird,  die  in  den  wenigen  aus  dem  Alten  und 
Mittleren  Reich  erhaltenen  Bildern  von  AnginflFen  auf  eine 
Festung  durchaus  herrscht.  Ein  Schlachtgemälde  dagegen 
erfordert  die  Wiedergabe  des  Kampfgetümmels  und  des 
wirren  Durcheinander  der  Kämpfer  und  der  Streitwagen,  und 
daran  hat  sich  die  Kunst  unter  Thutmosis  III.  noch  nicht 
gewagt.    Zum  ersten  Male^)  tritt  uns  eine  solche  Darstellung 


')  Einen  ersten  Ansatz  zeigt  ein  Skarabaeus  Thutmosis'  I.  (New- 
BERRY,  Scarabs  pl.  27,  4):  er  steht  mit  gespanntem  Bogen  auf  dem 
Streitwagen,  der  Feind  ist  von  einem  Pfeil  durchbohrt.  Auch  hier  ist 
die  Einwirkung  der  mykenischen  Vorbilder  unverkennbar.  [Das  an- 
gebliche Siegel  Thutmosis'  IL,  das  die  übliche  Kampfszene  und  auf  der 
anderen  Seite  den  König  darstellt,  wie  er  nach  assyrischem  Vorbild 
einen  Löwen  beim  Schwanz  packt  und  ausholt  um  ihn  niederzuschlagen 


Entwicklung  der  Schlachtenbilder.    Kretischer  Einfluß        311 

entgegen  auf  dem  Streitwagen  seines  Enkels  Thutmosis'  IV., 
und  zwar  gleich  hier  in  derjenigen  Auffassung,  die  für  die 
Folgezeit  herrschend  geblieben  ist  (so  auf  zwei  Truhen  Tut- 
*anch-amons).  Nicht  den  wirklichen  Verlauf  der  Schlacht 
darzustellen  ist  die  Aufgabe,  sondern  den  Pharao  als  den 
Sieger,  dem  kein  Feind  widerstehn  kann.  In  riesiger  Ge- 
stalt, ganz  allein,  stürmt  er  auf  seinem  Streitwagen  mit  ge- 
spanntem Bogen  in  die  Scharen  der  Feinde,  die  vergeblich 
das  Heil  in  der  Flucht  suchen,  sondern  mit  ihren  Rossen, 
von  seinem  nie  irrenden  Pfeil  getroffen,  im  Todeskampf  zu 
Boden  stürzen. 

Eine  solche  rein  symbolische  Behandlung  des  Vorgangs 
ist  das  diametrale  Gegenteil  der  durchaus  realistischen  Wieder- 
gabe der  Wirklichkeit  in  der  kretischen  Kunst.  Und  doch 
kann  kein  Zweifel  sein,  daß  gerade  hier  die  von  dort  ge- 
kommenen Anregungen,  und  zwar  speziell  die  am  Hof  der 
mykenischen  Fürsten  schon  im  16.  Jahrhundert  geschaffenen 
Kampfszenen,  entscheidend  eingewirkt  haben.  Nur  so  er- 
klärt sich  die  ganz  unägyptische  Zusammenfassung  zu  einer 
einheitlich  komponierten  Szene,  das  völlige  Fehlen  einer 
horizontalen  Grundlinie,  auf  der  sonst  die  Gestalten  stehn, 
die  lebhafte  Bewegung  der  sich  drängenden  und  vielfach 
überschneidenden  Figuren.  Besonders  deutlich  wird  die  fremde 
Einwirkung  auch  darin,  daß  die  galoppierenden  Rosse,  ab- 
weichend von  allen  älteren  Tierdarstellungen,  nicht  mehr 
mit  allen  vier  Beinen  auf  dem  Boden  stehn,  sondern  ganz  frei 
springen,  und  der  Boden  überhaupt  nicht  angedeutet  ist'). 

Wir  haben  gesehn,  wie  schon  im  Anfang  des  Neuen 
Reichs   auf   den  Waffen   des   Königs   Amosis   eine    kretische 


(Perrot -Chipiez,  Gesch.  d.  Kunst  I  674  der  Übersetzung),  stammt  in 
Wirklichkeit  von  Sosenq  IV.,  s.  Maspero  AZ.  17,  63  und  Pietschmann  zu 
der  Stelle  S.  S64.] 

*)  Das  hat  H.  Schäfer  hervorgehoben,  Kunst  des  alten  Orients 
S.  78.  Seine  für  die  Kunstgeschichte  grundlegenden  Werke  (Von  äg. 
Kunst,  2.  Aufl.  1922;  Grundlagen  der  äg.  Rundbildnerei  1923  [Der  Alte 
Orient  Bd.  23,  Heft  4])  sind  natürlich  durchweg  herauzuziehn. 


312     VI-  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

Figur  und  die  überlange  Streckung  des  springenden  Löwen 
nachgebildet  ist,  wie  die  mykenischen  Deckenmuster  in  die 
ägyptischen  Gräber  übernommen  werden.  Wenn  dann  kre- 
tische und  mykenische  Gefäße  in  Ägypten  vielbegehrt  und 
geradezu  Mode  werden  —  auch  an  ägyptischen  Nachahmungen 
fehlt  es  nicht  — ,  so  wirkt  dabei  der  Reiz  des  Exotischen 
mit,  der  sich  in  jeder  hochentwickelten  Kultur  fühlbar  macht 
und  sich  ebenso  in  der  Einführung  syrischer  Waren  und  in 
der  wachsenden  Neigung  zur  Aufnahme  kana'anaeischer  Worte 
und  Wendungen  in  die  elegante  Redeweise  der  Gebildeten 
zeigt.  Die  ägyptische  und  die  ägaeische  Kunst  stehn  zuein- 
ander ähnlich  wie  die  europäische  zur  ostasiatischen  seit 
dem  18.  Jahrhundert.  Neben  der  äußerlichen  Berührung  geht 
immer  eine  stille  gegenseitige  Anregung  einher.  Wenn  jetzt 
die  seit  dem  Beginn  des  Alten  Reichs  völlig  aufgegebene 
Bemalung  der  Tongefäße,  vor  allem  mit  Blättern  und  Blüten 
—  doch  findet  sich  gelegentlich  auch  ein  anspringendes  Pferd 
dargestellt  — ,  wieder  aufkommt  und  die  Fläche  durch  par- 
allele Streifen  gegliedert  wird,  so  ist  darin,  bei  aller  Abwei- 
chung in  Zeichnung  und  Farben,  die  von  außen  gekommene 
Einwirkung  unverkennbar.  Überhaupt  aber  hat  sich  eine  Aus- 
gleichung der  verschiedenen  Kulturgebiete  vollzogen,  die  in 
den  Formen  der  Gefäße  von  Stein,  Ton  und  Metall,  in  den 
Goldschmiedearbeiten,  in  den  Schmucksachen  deutlich  her- 
vortritt. Charakteristisch  dafür  sind  die  großen  Schalen  von 
getriebenem  Golde,  auf  deren  Rand  Blumen  und  Vögel,  aber 
auch  Steinbockköpfe,  Frösche,  Löwen  und  selbst  der  König 
auf  dem  Streitwagen  aufgesetzt  sind^).  Die  Motive  sind 
durchaus  ägyptisch,  aber  sie  erscheinen  vor  allem  unter  den 
Tributen  und  Geschenken  der  Syrer  und  Kaftier  und  auch 
der  Neger  Nubiens.  Die  fremden  Goldschmiede  haben  also 
in  Ägypten  geschaffene  Formen  übernommen,  um  die  dort 
besonders   hoch   geschätzte    und   vielbegehrte  Ware   für  den 


')  H.  ScHÄKKR,    Die   altilg.    Prunkgefäße    mit    aufgesetzten  Rand- 
verzierungen (in  Sethe's  Unters.  IV)  1903. 


Beziehungen  zur  kretischen  Kunst  313 

Pharao  und  seine  Magnaten  zu  liefern.  In  Griechenland  und 
Etrurien  hat  sich  die  Nachwirkung  lange  erhalten;  gleich- 
artige Bronzeschalen  sind  hier  noch  in  viel  späterer  Zeit  ge- 
arbeitet worden. 

Der  Gegensatz  der  beiden  Kulturen  spricht  sich  am  deut- 
lichsten aus  in  der  Architektur.  Das  Streben  nach  Monumen- 
talität, das  den  kretischen  Palästen  so  völlig  fehlt  ^),  ist  von 
Anfang  an  die  dominierende  Triebkraft  der  großen  Bauten 
Ägyptens.  Erwachsen  ist  es  aus  dem  Versuch,  im  Toten- 
kult die  Zeit  zu  überwinden  und  im  Gegensatz  zum  ephe- 
meren irdischen  Dasein  dem  Totengeist  eine  ewige  Existenz 
zu  sichern.  Jetzt,  im  Neuen  Reich,  durchdringt  dieses  Streben 
auch  den  Tempelbau  und  wird  hier  ins  Gigantische  gestei- 
gert; sowohl  im  Grundriß  wie  im  Aufbau  hat  kein  anderes 
Bauwerk  der  Erde  solche  Dimensionen  erreicht  und  so  ge- 
waltige Materialmassen  bewältigt.  Und  dabei  ist  doch  sowohl 
die  innere  Einheit  der  Anlage  bewahrt  wie  die  feine  Emp- 
findung für  die  Verwendung  der  architektonischen  Formen; 
die  mächtigen  Säulen,  in  den  vom  Alten  Reich  geschaffenen, 
dem  Papyrus  und  der  Palme  entlehnten  Formen,  gelangen 
hier  in  den  großen  Hallen  und  Höfen  zu  vollster  Wirkung, 
und  nicht  minder  die  Verbindung  der  Architektur  mit  dem 
plastischen  und  malerischen  Schmuck  der  Wände  und  mit 
den  davorstehenden  Riesenstatuen  der  Könige  und  Götter. 

Idee  und  Gestalt  des  ägyptischen  Tempels 

Der  ägyptische,  den  Kultfesten  mit  ihren  Prozessionen 
dienende  Tempel  ist  die  große  Schöpfung  der  achtzehnten 
Dynastie^).    Äußerlich  mag   er  den  Vergleich  mit  den  grie- 

')  In  den  Festungsmauern  und  Kuppelgrübern  des  griechischen 
Festhxndes  dagegen  tritt  dies  Streben  sofort  hervor,  eben  in  dem,  was 
Kreta  fehlt  und  was  die  Griechen  der  mykenischen  Epoche  selbständig 
hinzugefügt  haben. 

*)  Natürlich  hat  es  in  Ägypten  seit  alters  Tempel  gegeben;  aber 
sie  haben  offenbar  ganz  anders  ausgesehn  wie  die  des  Neuen  Reichs, 
und  werden  Kapellen   gewesen  sein,    in    denen   der  Gott    wohnte    und 


314     VI.  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

chischen  Tempeln  nahelegen,  vor  allem  durch  die  Bedeutung, 
welche  die  Säule  in  beiden  gewonnen  hat;  und  auch  darin 
berühren  sich  beide,  daß  die  griechischen  Tempelbauten  des 
6.  und  5.  Jahrhunderts  ebenso  wie  die  ägyptischen  und  wie 
die  Dome  des  Mittelalters  das  Erzeugnis  einer  Epoche  sind, 
in  der  die  gesteigerte  Religiosität  sich  mit  dem  Streben  ver- 
bindet, den  durch  die  Gunst  der  Götter  mächtig  gewachsenen 
Wohlstand  einer  hohen  Kultur  zugleich  in  vollendeter  künst- 
lerischer Form  wirkungsvoll  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Aber 
innerlich  steht  der  ägyptische  Tempel  in  diametralem  Gegen- 
satz zum  griechischen.  Dieser,  aus  dem  Megaron  des  Palastes 
erwachsen  und  womöglich  auf  beherrschender  Anhöhe  ge- 
legen, ist  das  stattliche  Wohnhaus  des  Gottes,  aus  dem  er 
die  Landschaft  überschaut;  von  weit  her  zieht  er  alle  Blicke 
auf  sich,  er  wirkt  durch  die  harmonische  Schönheit  des  durch 
den  Säulenumgang  zu  einem  einheitlichen  Körper  zusammen- 
geschlossenen Gebäudes;  aber  eine  mystisch-religiöse  Stim- 
mung erzeugt  er  nicht.     Beim   ägyptischen  Tempel  dagegen 


sein  Kultinventar  nebst  den  Schätzen  bewahrt  war;  sie  mögen  sich 
in  den  unten  S.  318  erwähnten  Kapellen  fortsetzen.  Auch  der  Tempel 
von  Karnak  war  ja  im  Mittleren  Reich  lediglich  ein  quadratisches  Ge- 
bäude von  40  m  Seite;  die  Erweiterung  zu  einem  Langbau  mit  vor- 
gelegten Pylonen  beginnt  erst  unter  Thutmosis  I.  Sonst  sind  nur  einige 
Granitblöcke  des  Cheops  vom  Tempel  in  Bubastis  erhalten,  über  dessen 
Grundriß  sich  nichts  erkennen  läßt.  Daß  das  riesige  Labyrinth  ganz 
anders  ausgesehn  hat  als  die  Prozessionstempel  des  Neuen  Reichs  und 
der  Folgezeit,  lassen  die  Beschreibungen  deutlich  erkennen,  so  unklar 
im  einzelnen  vieles  bleibt;  auf  dem  ungeheueren  Trümmerfeld  ist  von 
der  Anlage  nichts  mehr  zu  erkennen,  außer  daß  es,  wie  auch  alle  Be- 
schreibungen angeben,  unmittelbar  mit  der  Pyramide  Amenemhets  III. 
verbunden,  also  nicht  ein  Kulttempel,  sondern  der  Totentempel  dieses 
Königs  gewesen  ist.  —  Der  Pylon  heißt  ägyptisch  bchni,  eine  Feminin- 
bildung von  hchn  (Mask.)  „Burg,  Schloß",  ist  also  vom  Festungs-  und 
Palastbau  auf  das  Tempeltor  übertragen.  Das  Wort  findet  sich  als 
]n2  »Tor,  rtiipYo?",  ebenso  im  Hebräischen,  und  ist  wohl  ein  Fremdwort. 
In  älterer  Zeit  kommen  beide  Worte  noch  nicht  vor;  auch  das  zeigt, 
worauf  H.  Schäfer  mich  hinweist,  daß  wir  es  mit  einer  Neuschöpfung 
der  18.  Dynastie  zu  tun  haben. 


Religiöser  Charakter  des  ägyptischen  Kulttempels  315 

ist  alles  auf  die  Erweckung  dieser  Stimmung  angelegt.  Nach 
außen  ist  er  von  einer  ungegliederten  Mauer  umschlossen; 
an  der  schmalen  Frontseite  sperren  zwei  gewaltige,  von  rie- 
sigen Flaggenstangen  hoch  überragte  Tortürme  (Pylonen)  den 
Einblick.  So  ist  die  Stätte,  in  der  der  Gott  wohnt,  von  der 
profanen  Welt  scharf  geschieden;  wer  durch  das  schmale 
Tor  eintritt,  ist  entrückt  in  die  Welt  der  überirdischen  Mächte. 
Tief  im  Innern  liegt,  ganz  im  dunkeln,  die  Kapelle,  in  der, 
in  einem  von  Tüchern  verhüllten  und  mit  Emblemen  ge- 
schmückten Kasten  den  profanen  Blicken  entzogen,  der  Fetisch 
des  Gottes  bewahrt  wird;  sie  steht  auf  der  heiligen  Barke, 
auf  der  bei  den  Prozessionen  diese  realste  Inkarnation  des 
Gottes  auf  den  Schultern  der  Priester  ans  Tageslicht  hin- 
ausgetragen wird,  um  in  den  Säulenhöfen  des  Tempels  der 
Menge  zu  erscheinen,  Orakel  zu  erteilen,  mit  dem  König 
in  vertrauten  Verkehr  zu  treten  und  an  bestimmten  Fest- 
tagen anderen  Gottheiten  in  ihren  Heiligtümern  Besuche  ab- 
zustatten oder  sie  zu  empfangen.  Dieser  Prozessiousweg,  auf 
dem  der  König  zum  Gott  und  der  Gott  zu  König  und  Volk 
zieht,  beherrscht  den  gesamten  Bau  ^)  und  gibt  ihm  die  innere 
Einheit.  Schon  von  weither  ist  draußen  die  Richtung  durch 
die  lange  auf  das  Portal  zuführende  Sphinxallee  bestimmt 
festgelegt,  und  geradlinig  setzt  sie  sich  im  Inneren  fort  durch 
die  in  derselben  Achse  liegenden  Tore  der  Höfe  und  Säulen- 
hallen mit  überhöhtem  Mittelgang. 

Am  vollkommensten  ist  die  Idee  des  ägyptischen  Tem- 
pels verwirklicht  in  dem  schönsten  und  einheitlichsten  von 
allen,  dem  Tempel,  den  Amenophis  III.  dem  Amon  in  Luxor 
(Opet)   erbaut   hat'^).    Hier  ist   dem  Tor   eine  langgestreckte 


\t  Die  dominierende  Bedeutung  der  Richtung  oder  des  Weges 
für  die  ägyptische  Baukunst  hat  Spengler  mit  Recht  stark  betont. 

^)  Den  von  Ramses  II.  vorgelegten  großen  Säulenhuf  mit  den 
Pylonen,  in  den  eine  kleine,  bis  dahin  frei  liegende  Kapelle  Thut- 
mosis'  III.  einbezogen  ist,  muß  man  sich  natürlich  fortdenken.  Dadurch, 
daß  die  Umfassungsmauern  zerstört  sind  und  die  mächtigen  Säulen 
frei  aufragen,  drängt  sich  dem  Beschauer  unwillkürlich  der  Vergleich 


316      VI.  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

Halle  vorgelegt,  in  der  ein  durch  zwei  Reihen  von  je  sieben 
gewaltigen  Säulen  gebildeter  Gang  den  Eintretenden  emp- 
fangt und  so  gleich  zu  Anfang  die  Richtung  auf  das  End- 
ziel, die  Kultzelle  des  Gottes,  aufs  stärkste  betont.  Dann 
durchschreitet  er  den  großen,  von  Säulengängen  umschlos- 
senen Hof,  in  dem  die  Scharen  der  Gläubigen  sich  sammeln, 
um  den  Zeremonien  des  Kultus  zuzuschauen.  Es  folgt  ein 
großer  Säulensaal,  in  den  nur  von  oben  durch  kleine  Fenster 
ein  gedämpftes  Licht  fällt;  die  Papyrusbündel  nachahmenden 
dicken  Säulen  stebn  wie  immer  dicht  gedrängt,  so  daß  sie 
nach  der  Seite  höchstens  schmale  Durchblicke  gewähren  und 
die  Richtung  auch  hier  gewahrt  bleibt.  Dahinter  liegen  dann 
rings  um  das  Allerheiligste  im  Dunkel  die  zahlreichen  Räume, 
in  denen,  neben  den  für  den  Kultus  erforderlichen  Geräten, 
die  unermeßlichen  Reichtümer  des  Gottes  mit  den  Weih- 
geschenken aufgespeichert  sind. 

Das  Grundschema  der  Anlage  ermöglicht  es,  immer  wieder 
neue  Säle  und  Pylonen  vorzulegen  und  so,  wie  vor  allem  in 
Karnak,  den  Bau  ins  Unermeßliche  zu  verlängern,  ohne  da- 
durch die  innere  Einheit  aufzuheben.  Dominierend  bleibt 
immer,  ebenso  wie  in  den  Grabbauten,  das  Streben,  im  be- 
wußten Gegensatz  zu  den  ephemeren  Wohnungen  der  Sterb- 
lichen einschließlich  der  Königspaläste,  für  die  überirdischen 
Mächte,  zu  denen  ja  auch  die  Geister  der  Verstorbenen  ge- 
hören, ein  Haus  zu  schaffen,  das  ihrer  Allmacht  entspricht 
und  ewig  besteht  wie  sie  selbst.  Daher  die  Säulenwälder 
und  die  wahrhaft  gigantischen  Dimensionen  der  Säulen,  die 
Kolossalstatuen  der  Könige  und  Götter,  die  riesigen  Mono- 
lithe der  am  Eingang  aufgerichteten  Obelisken.  Das  alles 
ist   dem    griechischen    Empfinden    durchaus   fremd   und    wird 


mit  einem  griechischen  Tempel  auf,  der  sich,  so  irreführend  er  ist,  nur 
schwer  überwinden  läßt.  —  Gegen  Borchardt's  Annahme,  die  Säulen- 
halle am  Eingang  sei  ursprünglich  als  Mittelschiff  eines  Säulensaals 
wie  der  Ramses'  II.  in  Karnak  geplant  gewesen,  .s.  H.  Schäfer,  ÄZ.  61, 
1926,  52  ff. 


Luxor.    Verhältnis  zum  griechischen  Tempel  und  den  Domen     317 

von  ihm  abgelehnt^).  Dagegen  ist  der  ägyptische  Tempel 
aus  demselben  religiösen  Gefühl  entstanden,  das  die  großen 
romanischen  und  gotischen  Dome  geschaffen  hat;  die  Stim- 
mung, welche  der  ägyptische  Kultus  mit  seinem  sorgfältig 
durchgebildeten  Zeremoniell  in  den  auch  hier  von  Weih- 
rauch erfüllten  Hallen  erzeugt  hat,  wird  durchaus  gleich- 
artig gewesen  sein,  und  dem  entspricht  in  beiden  die  Schei- 
dung des  AUerheiligsten  mit  dem  Kultobjekt  von  den  für  die 
Laien  bestimmten  Hallen  und  die  privilegierte  Stellung  der 
Priesterschaft,  der  allein  ein  Einblick  und  ein  wirkliches  Ver- 
ständnis für  die  Mysterien  der  Religion  gewährt  ist^). 


')  Wie  ein  Grieche  über  die  großen  Silulensäle  urteilen  mußte,  ist 
bei  Strabo  XVII  1,  28  in  der  Beschreibung  der  ägyi^tischen  Tempel  aus- 
gesprochen: ä'oti  Zk  xiq  v.a\  TzoXöznAo^  olxo^,  xaJ^äitsp  sv  MsfA'pst,  ß«oßapix-qv 
EX<"V  f'iv  xatotaxsuTjV'  hXyjV  y«P  '^ob  i>.f(a\o>'y  sivat  xal  itoXXwv  xal  iroXuaTtytuv 
t»öv  axö).u)v  o'jSsv  syst  X^P^^^  °'^^^  '(pi'fiv.ö'j,  oXkä  fiataioreoviav  ejA'^atvac  fiäX- 
Xov.  Ganz  wird  sich  dem  Eindruck,  daß  es  im  Grunde  nur  [j-atoctoTtovia, 
zwecklose  Renomage,  ist,  vielleicht  mancher  auch  in  dem  Silulensaal  der 
Ramessiden  in  Karnak,  trotz  der  gewaltigen  Wirkung  dieses  Säulenwaldes, 
nicht  entziehn  können.  —  Sehr  beachtenswert  ist,  daß  im  Koloniallande 
Sicilien  sich  die  Auffassung  auch  in  der  Baukunst  der  orientalischen 
nähert:  einen  Tempel  wie  den  des  Zeus  von  Agrigent  mit  seinen  riesigen 
Karyatiden  würde  das  feine  Empfinden  Athens  niemals  zugelassen  haben. 

^)  Eine  dritte,  ganz  andersartige  Verkörperung  der  religiösen  Idee 
im  Kultbau  ist  seit  Beginn  der  Kaiserzeit  in  dem  Zentralbau  geschaffen, 
-dessen  gewaltiger  Innenraum  das  Gefühl  der  Unendlichkeit  erweckt, 
so  zuerst  im  Pantheon  des  Agrippa.  Trotz  der  Weiterverwendung  der 
•überkommenen  Bauformen  bezeichnen  diese  Bauten  den  entschiedenen 
Bruch  mit  den  griechischen  Anschauungen;  siezeigen,  daß  eine  diesen 
gänzlich  fremde  religiöse  Strömung  die  Herrschaft  gewinnt.  Ihren  nie 
wieder  erreichten  oder  gar  übertroflenen  Höhepunkt  stellt  die  Aja 
Sophia  dar,  weitaus  der  großartigste  Innenraum,  den  die  Erde  trägt.  Sehr 
.lehrreich  ist,  wie  diese  Bauform  sich  in  den  Moscheen  von  Kairo  all- 
mählich des  ursprünglich  von  ihr  völlig  geschiedenen  Moscheenhofs  be- 
mächtigt. Den  letzten  Schritt  haben  die  großen  osmanischen  Baumeister 
getan,  indem  sie  das  Vorbild  der  Aja  Sophia  übernahmen,  aber  nun 
auch  die  Außenseite  harmonisch  gestalteten  und  zugleich  durch  Zu- 
fügung  des  Vorhofs  und  Eingliederung  der  schlanken  Minarette  den 
Idealtypus  der  Moschee  schufen,  der  in  der  Suleimanije  die  glanz- 
'vollste  Verwirklichung  gefunden  hat. 


318      ^'1-  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

Auch  darin  älinelt  der  ägyptische  Kultus  dem  christ- 
lichen, daß  ihm,  im  Gegensatz  zu  den  meisten  anderen  Reli- 
gionen, die  Verbrennung  von  Opfern  fremd  ist;  die  reichen 
Gaben  —  Brot,  Fleisch,  Feldfrüchte,  Getränke,  Blumen  — 
werden  lediglich  auf  dem  Opfertisch  oder  Altar  aufgeschichtet 
und  dem  Gott  ebenso  wie  dem  Toten  durch  das  Anschauen 
und  die  zugehörigen  Gebetsformeln  ideell  zugeführt,  dann 
aber  weggeräumt   und   auf  die   dazu  Berechtigten   verteilt^). 

Neben  den  großen  Tempeln  sind  unter  der  achtzehnten 
Dynastie  nicht  wenige  kleinere  Heiligtümer  von  ganz  anderer 
Anlage  erbaut  worden.  Sie  stehn  auf  einem  erhöhten  Unter- 
bau mit  vorgelagerter  Treppe,  die  zu  dem  von  zwei  Säulen  ge- 
tragenen Portal  hinaufführt;  um  die  inneren  Gemächer  führt 
ein  Umgang,  der  zwischen  den  den  Architrav  tragenden  Pfei- 
lern einen  Ausblick  nach  außen  gewährt.  So  ähneln  diese 
Kapellen  in  der  Tat  den  griechischen  Tempeln,  auch  in  den 
Dimensionen.  Aber  sie  enthalten  lediglich  die  Zellen,  in  denen 
der  Gott  oder  mehrere  miteinander  verbundene  wohnen,  sind 
dagegen  für  die  Entfaltung  des  Kultus  mit  all  seinem  Pomp 
ganz  ungeeignet.  Vielleicht  darf  man  vermuten,  daß  sich  in 
ihnen  die  Form  der  bescheidenen  Heiligtümer  des  Alten  und 
Mittleren  Reichs  erhalten  hat.  In  der  griechischen  Zeit  sind 
solche  Kapellen,  die  sog.  „Geburtshäuser",  regelmäßig  auf 
dem  Platz  vor  den  großen  Tempeln,  als  Zubehör  zu  diesen, 
erbaut,  und  ebenso  sind  auch  im  Neuen  Reich  diese  Wohn- 
häuser der  Götter  etwas  ganz  anderes  als  die  großen  Kult- 
tempel. 

Amenophis  III.  und  Teje.  Die  Blütezeit  der  ägyptischen  Kunst 

Wie  in  Theben  dem  x\-mon-),  haben  die  Könige,  vor 
allem  die  großen  Bauherren  Thutmosis  HI.  und  Amenophis  HL, 


'j  Gleichartig  ist  der  persische  Kultus.  Brandopfer  sind  erst  in 
der  Spätzeit  in  Ägypten  aufgekommen,  offenbar  unter  Einwirkung 
aus  Asien. 

■-)  Dazu  kommt  in  Karnak  unter  Thutmosis  III.    ein  Tempel    des 


Tempelbauten.    Amenophis  III.  319 

überall  in  Ägypten  und  in  Nubien  den  lokalen  Gottheiten 
Tempel  errichtet.  Dazu  kommen  die  Totentempel  in  der  the- 
banischen  Nekropole :  zu  dem  Amenophis'  III.  gehören  die 
beiden  monolithen  Kolosse  aus  Sandstein,  die  später  die  Grie- 
chen dem  Memnon  zugeschrieben  haben,  über  20  Meter  hohe 
Sitzbilder  des  Königs,  deren  Maße  nur  von  Ramses  II.  in 
Abusimbel  noch  überboten  worden  sind.  Weiter  südlich,  jen- 
seits Medinet  Habu,  hat  sich  Amenophis  III.  einen  großen 
Paiast  erbaut;  ein  paar  Bruchstücke  von  Reliefs  zeigen,  daß 
in  ihnen  der  Sieg  des  Königs  über  Asiaten  und  Neger  in 
derselben  Weise  verherrlicht  war,  wie  auf  dem  Streitwagen 
Thutmosis'  IV.  Neben  dem  Palast  hat  er.  wie  er  auf  den 
bei  diesem  Anlaß  ausgegebenen  Skarabaeen  der  Welt  mit- 
teilt, binnen  fünfzehn  Tagen  für  seine  Gemahlin  Teje  einen 
großen  Lustsee  angelegt  (jetzt  Birket  Habu).  dessen  Um- 
fassungsmauern noch  erhalten  sind. 

In  der  langen  Regierung  Amenophis'  III.,  rund  1410 
bis  1375,  gelangt  die  klassische  Kunst  Ägyptens  auf  den 
Höhepunkt  ihrer  Entwicklung^).  Das  Weltreich  stand  fest 
geordnet  da,  nach  außen  wie  im  Innern  herrschte  andauernder 
Friede,  die  unermeßlichen  Mittel  und  Arbeitskräfte,  die  dem 
König  und  den  Göttern  ununterbrochen  zuströmten,  standen 
unbegrenzt  zur  Verfügung,  Handel  und  Wandel  gedieh,  die 
führenden  Schichten  des  Volkes,  die  hohen  Beamten  und  die 
grundbesitzende  Aristokratie  der  Wagenkämpfer,  die  die  Streit- 
rosse züchteten,  erfreuten  sich  eines  gesicherten,  stets  anwach- 


Ptah,  unter  Amenophis  III.  einer  des  Kriegsgottes  Montu  und  einer  der 
Mut,  der  Gemahlin  Amons. 

')  Sehr  anschaulich  tritt  der  Gegensatz  zwischen  der  Zeit  Ame- 
nophis' III.  und  der  späteren  Epoche  im  Tempel  von  Luxer  an  den  Säulen 
hervor:  Amenophis  hat  seine  Namen  in  feingeschnittenen,  wenig  er- 
höhten, buntbemalten  Hieroglyphen  oben  auf  die  Säulenschäfte,  unter 
dem  Kelchkapitell,  gesetzt,  wo  sie  sich  dem  Ganzen  harmonisch  ein- 
fügen; Ramses  II.  hat  ihn  überall  weiter  unten  in  tief  eingeschnittenen 
Zeichen  einhauen  lassen  und  dadurch  die  Harmonie  zerstört  und  den 
Bau  geschändet. 


320     VI.  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

senden  Wohlstandes,  der  es  gestattete,  das  Leben  behaglich 
und  geschmackvoll  auszugestalten.  So  konnten  Kunst  und 
Kunsthandwerk  sich  frei  betätigen  und  den  seit  alters  im 
Volke  lebenden  künstlerischen  Sinn  allseitig  entfalten^).  Wer 
die  Überfülle  der  in  dieser  Epoche  geschaffenen  Kunstwerke 
überschaut,  der  großen  Monumente  sowohl  wie  der  Erzeug- 
nisse des  Hausrats  und  des  Luxus,  wird  immer  aufs  neue 
erstaunen  über  die  geradezu  unabsehbare  Zahl  technisch  ge- 
schulter Arbeitskräfte,  die  dafür  zu  Gebote  standen,  von  den 
einfachen  Steinmetzen  und  Ziegelstreichern,  den  Malern  und 
Zimmerleuten  weiter  zu  den  Vorarbeitern  und  den  überwachen- 
den Aufsehern,  und  so  hinauf  bis  zu  den  Baumeistern,  welche 
die  Grundrisse  entwerfen,  den  Künstlern,  welche  die  Vorlagen 
für  die  Reliefs  der  Wände  zeichnen  und  die  Modelle  für  die 
Statuen  formen,  und  schließlich  dem  obersten  Leiter,  der  den 
Gesamtplan  aufgestellt  hat  und  die  Ausführung  ständig  über- 
wacht. Und  das  gleiche  gilt  von  den  Werkstätten  der  Bild- 
hauer, der  Goldschmiede,  der  Töpfer,  der  Möbeltischler,  der 
Feinarbeiter,  welche  die  kostbaren  Geschmeide,  die  Schmuck- 
sachen und  Geräte  aus  Glas  und  Fayence  sowie  aus  Halb- 
edelsteinen herstellen,  mögen  diese  Werkstätten  nun  von 
privaten  Unternehmern  aus  dem  Handwerkerstande  geleitet 
werden  oder  dem  Haushalt  der  großen  Herrenhöfe  angehören, 
auf  denen  sie  in  den  Grabgemälden  so  oft  in  regstem  Be- 
triebe dargestellt  sind. 


')  Gegenüber  der  reichen  Kunstblüte  dieser  P^poche  tritt  die  Lite- 
ratur in  dem  uns  erhaltenen  Material  ganz  zurück;  abgesehn  von  den 
religiösen  Texten  und  den  Königsinschriften  haben  wir  kaum  irgend 
ein  literarisches  Schriftstück  aus  der  18.  Dynastie,  in  starkem  Gegensatz 
gegen  die  immer  wieder  abgeschriebene,  als  klassisch  geltende  Literatur 
aus  der  Übergangszeit  der  Herakleopoliten  und  der  12.  Dynastie  und 
die  Fülle  von  Texten  aus  der  19.  Dynastie.  Das  ist  schwerlich  bloß  Zu- 
fall, so  stark  auch  dieser  dabei  mitspielt.  Wesentlich  mitgewirkt  haben 
wird,  daß  man  unter  der  18.  Dynastie  noch  an  den  Sprachformen  der 
älteren  Zeit  festhielt.  Hier  hat  die  Reformation  Echnatens  entscheidend 
eingewirkt;  erst  von  da  an  wagt  man,  die  inzwischen  stark  gewandelte 
Sprache,  das  , Neuägyptische',  auch  literarisch  zu  verwenden. 


Blüte  der  klassischen  Kunst  Ägyptens  321 

Es  kann  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  die  Gestaltung  dieses 
Kunstlebens  in  seinem  unerschöpflichen  Reichtum  im  ein- 
zelnen vorzuführen.  Beherrscht  und  dadurch  zugleich  in  festen 
Schranken  gehalten  ist  sie,  mag  sie  sich  nun  in  monumen- 
talen Werken  von  riesigen  Dimensionen  betätigen  oder  für 
einen  verfeinerten,  behaglich  sich  ergehenden  Lebensgenuß 
arbeiten,  von  zwei  Momenten:  einem  feinen  ästhetischen  Ge- 
fühl für  das  Angemessene,  auf  dem  die  innere  Vornehmheit 
beruht,  mit  der  auch  in  den  Schöpfungen  des  Luxus  bei  aller 
Pracht  jede  Übertreibung  und  renommistische  Aufdringlich- 
keit vermieden  wird  —  ein  Vergleich  etwa  der  ägyptischen 
Geschmeide  und  Juwelen  mit  den  babylonischen  und  assyri- 
schen macht  diese  Überlegenheit  des  ägyptischen  Kunst- 
empfindens sehr  deutlich^)  — ;  und  zweitens,  damit  eng  zu- 
sammenhängend, die  Bindung  durch  den  festen  Stil,  dessen 
Normen,  seit  mehr  als  einem  Jahrtausend  voll  entwickelt, 
unverbrüchlich  alle  Kunsttätigkeit  beherrschen.  Auf  dieser 
stilistischen  Gebundenheit,  die  für  den  Ägypter  die  selbst- 
verständliche Voraussetzung  seines  Schaffens  ist,  beruht  der 
tiefgreifende  Unterschied  zwischen  der  ägyptischen  und  der 
kretischen  Malerei  und  Plastik;  sie  verleiht  der  ägyptischen 
Kunst  zugleich  ihren  idealen  Charakter.  Auch  die  wunder- 
bar feinen  und  ansprechenden  Reliefporträts  aus  der  Zeit 
Amenophis'  III.  geben  Gestalt  und  Kopf  des  Königs  und  der 
Magnaten  nicht  naturalistisch  wieder,  wie  sie  tatsächlich  ge- 
staltet waren,  sondern  so,  wie  sie  aussehn  sollen.  Porträtzüge 
fehlen  nicht,  aber  sie  werden  in  derselben  Weise  idealisiert, 
wie  es  die  griechische  Plastik  des  5.  Jahrhunderts  getan  hat, 
ehe  sich  hier  die  realistische  Wiedergabe  des  Porträts  durch- 
setzte. Wie  bewußt  die  Künstler  diese  Umsetzung  in  den 
ägyptischen  Stil  vollzogen  haben,  lehren  jetzt  die  Gesichts- 
masken aus  der  Werkstatt  des  Bildhauers  Thutmosis  in  Amarna, 
aus  denen  wir  ihr  vielfach  von  den  Bildern  stark  abweichen- 


*)  Wer  Amerika   kennt,   wird    den   gleichen  Gegensatz    zwischen 
dem  amerikanischen  und  dem  europäischen  Luxus  sehr  oft  empfinden. 
Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    11'.  21 


322      ^'I-  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

des  Aussehn  kennen  lernen;  auf  ihnen  sind  durch  Pinsel- 
striche die  Korrekturen  angemerkt,  die  der  Künstler  bei  der 
Ausarbeitung  der  Statue  zu  befolgen  hat.  Auch  die  aus  Kreta 
übernommenen  Motive  werden  in  derselben  Weise  in  den 
ägyptischen  Stil  umgesetzt. 

Innerhalb  der  dadurch  gesetzten  Grenzen  hat  sich  die 
innere  Form  der  Anschauung  in  der  bildenden  Kunst  eben- 
sogut gegen  die  ältere  Zeit  geändert,  wie  in  der  Architektur. 
Das  Streben  nach  gefälliger  Wirkung  beherrscht  die  Linien- 
führung und  die  Behandlung  der  Körperformen,  und  gestaltet 
auch  den  Gesichtsausdruck  nicht  nur  der  Männer  und  Frauen 
aus  den  Kreisen  der  vornehmen  Welt,  sondern  ebenso  den 
der  Könige  und  selbst  der  tierköpfigen  Götter,  so  den  Löwen- 
kopf der  Sechmet  oder  die  ehrwürdigen  Paviane  des  Thout. 
Aus  ihnen  allen  spricht,  im  Gegensatz  zu  dem  schweren  Ernst 
der  Porträtköpfe  des  Mittleren  Reichs,  eine  zufriedene  behag- 
liche Stimmung  und  ein  gütiges  Wohlwollen,  wie  es  ja  auch 
die  Majestät  des  Pharao  und  die  Götter  selbst  ihrem  Volke 
tagtäglich  gewähren. 

Charakteristisch  für  den  Wandel  der  Lebensformen,  der 
sich  langsam  vollzogen  hat,  ist  auch  die  neue  Tracht,  welche 
seit  der  Mitte  der  achtzehnten  Dynastie  aufkommt.  An  Stelle 
der  knappen,  eng  anliegenden  Kleidung  der  älteren  Zeit  treten 
jetzt  weite,  weiche  Gewänder,  die  den  ganzen  Körper  um- 
schließen und  sich  anmutig  in  zahlreiche  Falten  legen.  Dem 
entspricht  die  sorgfältig  gepflegte  Frisur  der  Frauen,  während 
zum  Ornat  der  Männer,  die  sich  nach  wie  vor  das  Haupthaar 
abrasieren,  jetzt  eine  mächtige,  fein  gekräuselte  Allongen- 
perücke gehört. 

Auch  das  Wesen  der  Könige  hat  sich  gewandelt.  In 
Amenophis  III.  ist,  trotz  aller  immer  aufs  neue  wiederholten 
offiziellen  Phraseologie,  der  kriegerische  Geist  seiner  Vor- 
fahren völlig  erloschen.  Wirkliche  Kriege  hat  er  nie  ge- 
führt, und  wir  werden  noch  sehn,  wie  er  die  Stellung  seines 
Reichs  in  Syrien  vernachlässigte,  so  dringend  die  Ereignisse 
dort  sein   Eingreifen  [erforderten.     Dafür   hat   er   das   Leben 


Amenophis  III  und  die  klassische  Kunst.    Teje  323 

in  vollen  Zügen  genossen  und  sich  gesonnt  in  dem  Glanz 
der  Stellung,  die  sein  Vater  Amon  ihm  verliehen  hatte.  So- 
weit sich  ein  Einblick  in  die  Persönlichkeit  gewinnen  läßt, 
erscheint  er  als  der  typische  Repräsentant  seiner  Epoche  und 
der  Strömung,  welche  die  ägyptische  Kultur  ergriffen  hatte. 
Bezeichnend  dafür  ist,  daß  er  Vorgänge,  auf  die  er  beson- 
ders stolz  war,  dem  Publikum  dadurch  mitteilte,  daß  er  — 
analog  etwa  den  Gedächtnismünzen  —  Skarabaeen  ausgab, 
auf  denen  sie  verzeichnet  sind,  so  den  Bericht  über  eine 
große  Jagd  in  seinem  2.  Jahr,  die  Angabe,  daß  er  in  den 
zehn  ersten  Jahren  seiner  Regierung  insgesamt  102  Löwen 
mit  seinen  Pfeilen  erlegt  habe,  die  Entsendung  der  Prinzessin 
Giluchepa  von  Mitani  in  seinen  Harem  mit  einer  Gefolgschaft 
von  317  Personen  (o.  S.  160),  gleichfalls  im  Jahre  10,  und 
im  nächsten  Jahre  die  Anlage  des  großen  Lustsees  bei  Medinet 
Habu  für  seine  Gemahlin  Teje  (o.  S.  319),  und  vor  allem,  schon 
gleich  zu  Anfang  seiner  Regierung,  seine  Vermählung  mit 
Teje,  der  Tochter  des  Juja  und  der  Tuja.  Diese  Ehe  ist 
oflenbar  eine  Liebesheirat  gewesen,  und  die  kluge  Ägypterin '), 
deren  fesselnde  Züge  ein  Meisterstück  der  ägyptischen  Porträt- 
kunst, ein  kleiner  Holzkopf 2),  lebensvoll  wiedergibt,  hat  es 
verstanden,  ihren  Gatten  dauernd  an  sich  zu  fesseln  und  auch 


')  Durch  die  Auffindung  der  Mumien  ihrer  Eltern  sind  die  phan- 
tastischen, zu  wahrhaften  Romanen  austjesponnenen  Kombinationen,  als 
sei  sie  eine  Ausländerin  und  gar  eine  Prinzessin  aus  Mitani  gewesen, 
völlig  widerlegt.  Beide  sind  echte  Ägypter;  auch  die  Namen  sind  rein 
ägyptisch.  Amenophis  III.  hat  seinen  Schwiegereltern  eine  angesehene 
Stellung  am  Hofe  und  ein  prächtig  ausgestattetes  Grab  im  Königstal, 
aber  weder  ein  weltliches  Amt  noch  ein  höheres  Priestertum  verliehn; 
zu  politischem  Einfluß  sind  sie  ofi"enbar  nicht  gelangt.  Tej^s  Bruder 
'Anen  dagegen  ist  Hoherpriester  von  Hermonthis  (Kees,  ÄZ.  53,  81).  Zum 
Titel  „Gottesvater"  für  den  Schwiegervater  des  Kr.nigs  s.  Borchardt, 
Ber.  Sachs.  Ges.  LVII  1905,  254.  [Die  Fayenceschale  Proc.  Soc.  Bibl. 
Arch.  1913,  63,  auf  der  Juja  „Fürst  von  Zahi"  heißt,  ist  eine  hand- 
greifliche Fälschung.] 

^)  VeröÖentlicht  von  Borchardt,  Der  Porträtkopf  der  Königin 
Teje,  18.  wiss.  Veröffentl.  d.  DOG.  1911. 


324     ^  I-  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

in  höherem  Alter  ihre  dominierende  Stellung  als  alleinige 
Genossin  des  Throns  zu  behaupten,  hoch  über  all  den  asiati- 
schen Fürstentöchtern,  die  nacheinander  in  den  Harem  des 
Pharao  wanderten.  Sie  ist  offenbar  die  eigentliche  Leiterin 
der  Regierung  gewesen.  König  Dusratta  von  Mitani  schreibt 
sowohl  an  sie  wie  an  ihren  Sohn  nach  dem  Tode  ihres  Gatten, 
daß  sie  besser  als  irgend  jemand  sonst  alle  Verhandlungen 
kenne,  die  dieser  mit  ihm  geführt  hat,  und  bittet  sie,  dafür 
zu  wirken,  daß  dies  .schöne  Verhältnis  unter  der  neuen  Re- 
gierung erhalten  und  womöglich  noch  zehnfach  gesteigert 
werde,  vor  allem  natürlich  durch  die  Sendung  reicher  Gold- 
geschenke. 

In  Amarna  hat  Ainenophis  IV.  gegen  Ende  seiner  Re- 
gierung ein  Relief  anfertigen  lassen,  das  seinen  Vater  und 
seine  Mutter  in  dem  realistischen  Stil  der  neuen  Kunst  dar- 
stellt. Ihr  Bild  ist  zerstört  —  dafür  kann  der  hölzerne  Por- 
trätkopf eintreten,  der  derselben  Kunstrichtung  angehört  — , 
aber  seines  erhalten^).  In  schärfstem  Kontrast  zu  den  üb- 
lichen idealisierten  Porträts  zeigt  es  sein  Bild,  wie  er  in  der 
Erinnerung  des  Sohnes  und  seiner  Künstler  lebte :  ein  müder, 
alter,  wohlbeleibter  Mann,  der  in  schlaffer,  nachlässiger  Hal- 
tung auf  seinem  Thronsessel  sitzt,  ohne  eine  Spur  von  Energie. 
Da  schauen  wir  den  wirklichen  Amenophis  HL,  den  die 
Mahnungen,  die  aus  der  syrischen  Provinz  kamen,  nicht  mehr 
zum  Handeln  zu  treiben  vermochten  und  der  die  Dinge  gehn 
ließ,  wie  sie  gehn  wollten.  Wir  begreifen,  daß  er  in  volle 
Abhängigkeit  von  einer  klugen,  energischen  Frau  versank; 
man  wird  an  die  Maintenon  und  so  manche  ähnliche  Frau 
erinnert,  die  durch  die  Beherrschung  ihres  Gatten  und  Lieb- 
habers entscheidend  in  die  Geschicke  großer  Reiche  einge- 
griffen haben. 


Veröffentlicht  von  Griffith,  J.  Egypt.  Archaeol.  XII  1926  pl.  1. 


Amenophis  III.  und  Teje.    Steigerung  der  Religiosität  325 

Religion  und  Theologie 

Daß  der  Ägypter  sein  Leben  so  schön  und  genußreich 
aufbauen  und  die  in  ihm  lebenden  Empfindungen  voll  ver- 
wirklichen kann,  verdankt  er  der  Gnade  der  Götter,  die  sich 
nach  dem  Willen  des  Weltenherrschers  Re'  von  allen  Län- 
dern der  Erde  das  Niltal  und  all  seine  Städte  zu  ihrem 
Wohnsitz  erkoren  und  ihm  die  Herrschaft  über  alle  Bar- 
baren verliehen  haben.  Wir  haben  schon  gesehn,  wie  da- 
durch die  Religion  zu  einer  ganz  anderen  Bedeutung  im 
Leben  gelangt  ist  als  früher:  so  gewaltig  die  Grabbauten 
sind,  so  treten  sie  doch  seit  Thutmosis  IIL  weitaus  zurück 
hinter  den  Tempelbauten.  Ständig  mehrt  sich  zugleich  der 
Reichtum  der  Götter,  vor  allem  der  zwar  zu  den  Kosten  der 
Tempelbauten  herangezogene,  aber  von  den  staatlichen  Ab- 
gaben exin)ierte  Grundbesitz  mit  Scharen  von  Hörigen,  Bauern 
und  Arbeitern;  und  damit  wächst  die  Priesterschaft  zu  immer 
selbständigerer  Stellung,  zu  einem  Staat  im  Staate  heran.  Die 
RePgion  und  der  Kultus  beherrschen  alles  Tun  des  Ägypters, 
vom  Pharao  bis  zum  ärmsten  Knecht;  auf  Schritt  und  Tritt 
empfindet  er  das  unmittelbare  Eingreifen  der  Götter  und  die 
Pflicht,  ihren  Weisungen,  die  sie  in  Träumen  und  Vorzeichen, 
sowie  in  Orakeln  erteilen,  unweigerlich  zu  gehorchen,  die  in 
jeder  Einzelheit  ausgebildeten  Vorschriften,  die  die  Priester- 
schaft bewahrte  und  auslegte,  peinlich  zu  befolgen. 

Zugleich  aber  hatte  sich  hier  ein  tiefgreifender  Unter- 
schied herausgebildet.  Die  religiösen  Ideen  und  Spekulationen, 
deren  Entstehung  bis  in  den  Ausgang  des  Alten  Reichs  zu- 
rückreicht (Bd.  I  269  fip.).  haben  sich  inzwischen  stetig  w^eiter 
gesponnen  und  zu  einer  durchgebildeten  Theologie  entwickelt. 
Dadurch  ist  auch  in  Ägypten  die  Scheidung  eingetreten  zwi- 
schen der  Masse  der  Gläubigen  und  der  Oberschicht  der 
Gebildeten,  die  in  jeder  fortgeschrittenen  und  daher  mit  Spe- 
kulation durchsetzten  Religion  unvermeidlich  ist  und  in  der- 
selben Weise  das  religiöse  Leben  im  Brahmanismus  und  Bud- 
dhismus, im  Christentum   und  Islam   gestaltet   und  innerlich 


326      ^  I-  Kultur  und  Religion  Ägy|5tens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

zerspaltet.  Für  den  Mann  aus  der  Masse  des  Volks  sind  die 
Götter,  an  die  er  glaubt  und  die  in  sein  Leben  eingreifen, 
die  lokalen  Mächte  seines  Heimatgaus,  vor  allem  „sein  Stadt- 
gott", in  dessen  Dienst  er  geboren  ist,  nebst  den  als  Gattin 
und  Sohn  neben  ihm  stehenden  Gottheiten.  Er  weiß  und 
erlebt  tagtäglich,  daß  sie  ihm  helfen  und  schaden,  je  nach- 
dem er  sich  verhält  und  seine  Pflichten  erfüllt,  daß  auch  seine 
zukünftige  Existenz  von  ihnen  abhängt,  und  daß  er  sich  im 
Jenseits  vor  Osiris  zu  verantworten  hat;  das  genügt  voll- 
ständig, und  es  ist  ihm  gleichgültig,  daß  ihnen  die  Kirchen- 
lehre vielleicht  nur  eine  begrenzte  Wirksamkeit  zuschreibt, 
und  daß  er  weiß  und  sieht,  daß  hoch  über  ihnen  der  welt- 
beherrschende Sonnengott  Re'  schwebt.  Worauf  es,  wie  in 
aller  naturwüchsigen  Religion,  allein  ankommt,  ist,  daß  sie  als 
lebendige  Mächte  wirken,  und  daß  er  verpflichtet  ist,  ihnen  zu 
dienen  und  die  vorgeschriebenen  Kulthandlungen  zu  voUziehn. 
Für  die  höheren  Stände  dagegen,  die  „Wissenden",  die 
in  die  Geheimnisse  der  Theologie  eingeweiht  sind,  ist  das  Bild 
ein  ganz  anderes.  Da  gibt  es  in  Wirklichkeit  nur  e'inen  Gott, 
den  Sonnengott.  Er  ist  der  Eine ;  er  hat  sich  in  der  Urzeit 
selbst  gezeugt  in  seinem  geheimnisvollen  Namen ^),  er  hat 
das  All  geschaff'en  und  gestaltet,  alles  Leben  strömt  von  ihm 
aus  und  wird  von  ihm  erweckt  und  durch  seine  Strahlen 
gespendet.  Alle  anderen  Götter  sind  nur  seine  Namen  oder 
Glieder  und  gehn  daher  völlig  in  ihm  auf.  Auch  die  Men- 
schenseele stammt  von  ihm,  und  nach  dem  Tode  tritt  sie  ein 
in  sein  Gefolge  am  Himmel  und  vereinigt  sich  mit  ihm.  So 
ist  die  ägyptische  Religion,  wie  die  Theologie  sie  ;  gestaltet, 

')  Neben  dieser  mystischen  Formel  werden  die  alten  mythischen 
Vorstellungen  immer  weiter  fortgeschleppt,  daß  er  sich  durch  Selbst- 
begattung gezeugt  hat  (in  dem  Bilde  des  sich  selbst  umarmenden  Skara- 
baeus,  des  Urgottes  Cheperi,  hat  man  das  gelegentlich  plastisch  dar- 
zustellen versucht  —  denn  der  Mistkäfer,  der  das  Samenei  vor  sich  her- 
rollt und  befruchtet,  ist  ja  nach  uralter  Vorstellung  die  Verkörperung 
des  Schöpferuottes)  oder  aber  als  „Gemahl  seiner  Mutter%  wie  denn  in 
der  bekannten  Darstellung  die  Sonnenkugel  in  den  Schoß  der  Himmels- 
göttin eingeht  und  hier  sich  selbst  als  Sonne  des  nächsten  Tages  zeugt. 


Die  Volksreligion  und  der  solare  Pantheismus  327 

ein  solarer  Monotheismus  oder  vielmehr  Pantheismus,  der  in 
der  Theorie  vor  keiner  Konsequenz  zurückscheut. 

Ausgegangen  ist  diese  Lehre  von  Heliopolis  (On),  dem 
uralten  Zentrum  der  ägyptischen  Theologie,  und  seinem  Gott 
Atum-Re',  und  hat  von  da  aus  allgemeine  Anerkennung  ge- 
funden. Seit  dem  Mittleren  Reich  hat  sie  auch  im  Kultus  der 
einzelnen  Tempel  dadurch  Ausdruck  gefunden,  daß  die  meisten 
der  Hauptgötter  einfach  mit  Re'  identifiziert  und  dadurch 
lediglich  für  dessen  Erscheinungsformen  erklärt  werden,  so 
neben  Atum-Re*  von  Heliopolis,  dargestellt  in  Menschengestalt 
mit  der  Königskrone,  der  falkenköpfige  Re  Hor-achte,  wohl  die 
am  allgemeinsten  verbreitete  Form  des  Sonnengottes,  weiter 
die  widderköpfigen  Amon-Re'  von  Theben  und  Chnum-Re'  von 
Elephantine,  der  falkenköpfige  Montu-Re'  von  Hermonthis 
und  Theben,  der  krokodilköpfige  Sobek-Re'  vom  Faijüni  und 
von  Ombos  u.  a.;  selbst  Seth  wird  in  Tanis  gelegenthch  mit 
Re'  gleichgesetzt  und  fährt  in  der  Sonnenbarke.  Die  unter- 
geordneten Gottheiten  sind  dann  seine  Diener  oder  sein  Ge- 
folge. Entsprechend  werden  die  weiblichen  Gottheiten  durch- 
weg einfach  als  „Herrin  des  Himmels"  bezeichnet  und  so  für 
Gemahlinnen  und  Mütter  des  Sonnengottes  erklärt. 

In  der  Praxis  freilich  hat  sich  auch  dieser  bequeme  Aus- 
weg niemals  völlig  durchführen  lassen.  Vor  allem  Ptab.  der 
Gott  der  alten  und  als  solche  offiziell  auch  in  der  thebani- 
schen  Zeit  anerkannten  Reichshauptstadt  Memphis,  ist  nie- 
mals mit  Re'  identifiziert  worden,  sondern  ist  ebensogut  wie 
Atum-Re'  „der  Urgott  und  Vater  aller  Götter,  der  den  Him- 
mel ausgebreitet,  die  Erde  gegründet  und  mit  dem  Ozean 
umzogen,  die  Menschen  gebildet  und  die  Götter  geschaffen 
hat";  er  ist  älter  als  Re'  und  im  Göttersjstem  dessen  Vater ^). 


')  Wie  für  die  politische  Geschichte  ist  es  auch  für  die  Religion 
verhängnisvoll,  daß  uns  von  dem  großen  Ptahtempel  von  Memphis  so 
gut  wie  nichts  erhalten  ist :  wir  würden  dort  die  notwendige  Ergänzung 
zu  den  thebanischen  Denkmälern  erhalten  und  Ptah  dort  ebenso  ein- 
seitig als  der  Urgott  und  Schöpfer,  der  eigentliche  Reichsgott  und 
Königägrott  hervortreten,  wie  hier  Ämon.    Zwischen  beiden  steht  Atum 


328      ^  I-  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

Eine  analoge  Stellung  nimmt  wenigstens  in  Hermopolis,  das 
ja  ursprünglich  völlig  selbständig  neben  Heliopolis  stand, 
mit  einem  von  dem  dortigen  wesentlich  abweichenden  theo- 
logischen System,  der  Gott  Thout,  der  Schöpfer  der  acht 
Urelemente,  ein ;  sonst  aber  hat  er  sich  als  Mondgott  diesem 
System  unterordnen  müssen  und  steht  neben  dem  Götter- 
könig Re*  als  dessen  Vezir  und  Schreiber,  der  alle  Weis- 
heit und  Wissenschaft  den  Menschen  offenbart  hat.  Auch 
der  Totengott  Osiris,  an  den  sich  Anubis  anschließt,  hat 
immer  seine  Sonderstellung  bewahrt.  Und  zwischen  ihnen 
allen  steht  tatsächlich  ganz  selbständig  Horus  oder  vielmehr 
die  verschiedenen  Götter,  die  alle  diesen  Namen  führen, 
außer  dem  falkenköpfigen  Re'  Hor-achte,  der  am  Horizont 
aufgehenden  Sonne,  der  Sohn  der  Isis  und  Rächer  des  Osiris, 
teils  als  Kind  (Harpokrates).  teils  als  mannhafter  Besieger 
des  Seth  und  Herrscher  über  beide  Lande,  der  sich  im  König 
inkorporiert,  und  der  Horus  von  Edfu,  dessen  Bild  in  Gestalt 
der  geflügelten  Sonnenscheibe  auf  alle  Tempelportale  und  alle 
Inschriftentafeln  gesetzt  wird. 

Tatsächlich  ist  denn  auch  die  Konkurrenz  der  einzelnen 
Götter  und  ihrer  Kultstätten  durch  diese  Gestaltung  der 
Lehre  nicht  aufgehoben,  sondern  nur  gewaltig  gesteigert. 
Sie  alle  sind  in  der  Idee  identisch,  nur  Formen  des  einen, 
und  was  von  dem  einen  ausgesagt  wird,  kann  auch  auf  jeden 
anderen  übertragen  werden ;  aber  sie  unterscheiden  sich  durch 
ihre  Namen  und  das  Zeremoniell  ihres  Kultus,  und  jeder 
fordert  seine  Anerkennung  und  verheißt  dem  Frommen  ein 
Heil,  das  nur  er  gewähren  kann.  So  wachsen  die  Ansprüche 
des  Kultus  ständig,  und  die  Könige  sind  nur  zu  bereit,  sie  zu 
erfüllen,  weil  sich  damit  zugleich  ihre  eigene  Verherrhchung 
immer  mehr  ins  Ungemessene  steigert,  ohne  daß  sie  emp- 
finden, wie  sehr  sie  dadurch  in  Abhängigkeit  geraten  und 
ihre  Allmacht  tatsächlich  an  die  Priesterschaft  abgeben.    In 

von  Heliopolis.  Unter  Ramses  III.  im  Pap.  Harris  stehn  diese  drei  gleich- 
berechtigt nebeneinander,  und  alle  anderen  treten  ganz  hinter  ihnen 
zurück. 


Solarer  Monotheismus  und  Götterkonkurrenz  329 

dieser  Vergötterung  des  Königs  scheute  man  vor  keiner  Kon- 
sequenz zurück;  Amenophis  III.  hat  sich  selbst  nicht  nur  in 
Soleb,  wo  er  als  Landesgott  Nubiens  mit  Araon  zusammen 
verehrt  wird  (o.  S,  142),  sondern  auch  in  Memphis,  hier 
natürlich  in  Verbindung  mit  Ptah^),  unter  seinem  Thron- 
namen Nebmare'  einen  Tempel  erbaut.  In  den  Reliefs  von 
Soleb  ist  er  dargestellt,  wie  er  „sein  lebendes  Abbild  auf 
Erden'-)  Nebma're',  Herrn  von  Nubien,  den  großen  Gott, 
Herrn  des  Himmels"  verehrt;  gebildet  wird  er  als  König  mit 
dem  Uraeus  an  der  Stirn,  aber  mit  dem  krummen  Widder- 
horn  Amons  an  der  Stirn  und  dem  Monde  (Vollmond  von 
der  Mondsichel  umschlossen)  auf  dem  Haupt,  also  wohl  als  In- 
karnation Amons  und  zugleich  als  identisch  mit  dessen  Sohn, 
dem  Mondgott  Chonsu  von  Theben.  In  ähnlicher  Weise  hat  Teje 
etwas  weiter  unterhalb  in  Sedeinga  einen  Temjjcl  erhalten. 

In  den  Hymnen  an  Ptah,  an  Amon,  an  den  Sonnengott, 
die  uns  in  Handschriften,  in  Königsinschriften  und  auf  Grab- 
stelen vielfach  erhalten  sind,  gelangen  die  tieferen  religiösen 
Gedanken  nicht  selten  zu  wirkungsvollem  Ausdruck.  Aber 
immer  wieder  drängen  sich  die  altüberkommenen  mythischen 
und  magischen  Formeln  und  Gestalten  dazwischen,  die  für 
den  Ägypter  nun  einmal  Realitäten  sind  und  bleiben.  Man 
behilft  sich  durch  mystische  Deutung,  die  in  ^inem  primi- 
tiven, oft  ganz  rohen  Mythus  oder  in  einer  absurden  Zere- 
monie eine  geheimnisvolle  Anspielung  auf  irgend  eine  Er- 
scheinungsform des  Sonnengottes  und  die  uranfänglichen 
Schicksale  sucht,  aus  denen  die  Weltordnung  und  die  Götter 
entstanden  sind')-    Das    führt   dann    stetig  weiter    zu  immer 

')  Breasted,  Anc.  Rec.  II  880  Anm. 

-)  Ob  die  allgemein  angenommene  Deutung,  das  Possessivpro- 
nomen bezeichne  den  Sonnengott,  also  „lebendes  Abbild  des  Re'",  zu- 
treffend ist,  ist  mir  nach  dem  Wortlaut  der  Inschrift  der  Widder  und 
Löwen  (, König  Amenophis  machte  es  als  sein  Denkmal  für  sein  Ab- 
bild") sehr  fraglich:  parallel  steht  daneben  ,er  machte  es  als  sein 
Denkmal  für  seinen  Vater  Amon  von  Theben". 

^)  Sehr  instruktiv  dafür  sind  die  schon  vor  der  12.  Dynastie  be- 
ginnenden Kommentare  zum  17.  Kapitel  des  Totenbuchs,  das  jetzt  von 


330     ^  I-  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

größerem  Wirrsal  und  öfiFnet  zugleich  dem  krassesten  Zauber- 
wesen mit  allem  daran  hängendem  Aberglauben  Tor  und  Tür, 
Im  Neuen  Reich  ist  das  gewaltig  gewachsen;  erst  jetzt  ist  Isis, 
„die  große  Zauberin",  die  in  der  älteren  Zeit  noch  ganz  zurück- 
steht, zu  einer  der  wirksamsten  Gottheiten  der  Volksreligion  er- 
wachsen, die  als  Herrin  aller  verborgenen  Naturkräfte  das 
ganze  Reich  der  Magie  beherrscht  und,  wenn  man  sich  nur 
recht  darauf  versteht,  dem  Menschen  dienstbar  machen  kann. 
Auch  von  der  Gestaltung  der  Vorstellungen  vom  Tode 
und  vom  Jenseits  gilt  das  gleiche.  Die  Identität  des  Toten- 
geistes, der  das  Gericht  im  Westreich  bestanden  hat  — 
daher  der  ständige  Zusatz  „der  gerechtfertigte"  (ma'a  chru, 
wörtlich  „der  dessen  Wort  richtig,  d.  h.  als  solches  erwiesen 
ist")  —  mit  Osiris  ist  allgemein  anerkannt,  und  ständig  wird 
der  Name  Osiris  vor  den  des  Verstorbenen  gesetzt;  auch 
dem  niedrigen  Volk  wird  die  Vollziehung  der  dafür  erforder- 
lichen Zeremonien  und  die  Balsamierung  möglich  gemacht^). 
Auf  der  Grabstele  tritt  die  altherkömmliche  Darstellung  des 
Totenopfers  zurück;  dafür  betet  der  Tote  auf  ihr  zu  Osiris 
oder  auch  zum  Sonnengott.  Wie  schon  in  der  fünften  Dy- 
nastie treten  auch  jetzt  in  den  Grabinschriften  die  schlichten 
Anschauungen  von  einer  sitthchen  Verantwortung,  die  sich 
vor  dem  Richterstuhl  des  Osiris  zu  bewähren  hat,  und  der 
Glaube  an    ein  seliges  Leben  im  Westreich  und  zugleich  im 


Grapow,  Religiöse  Urkunden  (1915  ff.,  bis  jetzt  drei  Hefte),  vortrefflich 
bearbeitet  ist.  An  jeden  Satz  werden  solche  verzwickte  Deutungen  an- 
geschlossen und  nicht  selten  mehrere  zur  Auswahl  gestellt.  In  der 
Folgezeit  und  bis  in  die  Spätzeit  hinein  wird  das  dann  immer  weiter 
fortgesponnen. 

')  Herodot  hat  die  drei  Formen  der  Leichenbehandlung  aus- 
führlich beschrieben  (II  85  ff.):  die  kostspieligste  für  die  Reichen,  die 
für  den  Mittelstand  und  die  der  Armen.  Jede  der  drei  erfordert  eine 
70tägige  Behandlung.  Manche  Einzelheiten  sind  erst  später  aufge- 
kommen, so  die  Beschmierung  des  Gesichts  der  Frauen  der  Familie 
und  der  Klageweiber  mit  Lehm,  die  auf  den  Särgen  der  22.  Dynastie 
vielfach  dargestellt  ist.  Ebenso  gehören  die  aufrechtgestellten  Särge 
in  Kapellenform  erst  der  Spätzeit  an. 


/  ■  Zauberwesen.    Totendienst  331 

Gefolge  des  Sonnengottes  als  das  entscheidende  Moment  her- 
vor. In  diesen  Äußerungen  empfinden  wir  die  ihrer  hoch- 
entwickelten geistigen  Kultur  entsprechenden  ethischen  und 
religiösen  Gedanken,  in  denen  der  Ägypter  lebt  und  die  im 
Grunde  alles  andere  Beiwerk  aufheben  und  überflüssig  machen 
sollten.  Aber  dieses  Beiwerk  wird  nicht  nur  weiter  fortge- 
schleppt, sondern  eben  infolge  der  gesteigerten  materiellen 
Kultur  ins  Unendliche  vermehrt.  Da  muß  alles  getan  werden, 
die  Leiche  zu  konservieren;  ein  Sarg  wird  über  den  anderen 
gestülpt;  die  Eingeweide  werden  in  vier  Krüge  verteilt,  mit 
den  Figuren  von  vier  Gottheiten,  der  „Horussöhne",  die  sie 
beschirmen  (die  sog.  Kanopen);  au  Stelle  des  Herzens,  das 
im  Gericht  von  Thout  auf  die  Wagschale  gesetzt  und  gegen 
die  Figur  der  Wahrheitsgöttin  Ma'at  gewogen  wird,  wird  ein 
Skarabaeus  in  die  Leiche  gesetzt,  mit  einer  Zauberformel, 
die  den  günstigen  Ausgang  sichern  soll.  Unabsehbar  ist  die 
Zahl  der  Amulette,  die  dem  Toten  mitgegeben  werden  müssen, 
damit  seine  Leiche  so  gut  ausgerüstet  ist  wie  die  des  Osiris. 
Schon  im  Mittleren  Reich  hat  man  dem  Toten  außer  den 
Statuen  gelegentlich  kleine  Tonfiguren  in  Mumiengestalt  bei- 
gegeben, die  seinen  Namen  tragen;  jetzt  werden  diese  in 
Arbeiter  mit  Hacke  und  Sack  umgewandelt,  die  durch  die 
darauf  gesetzte  Zauberformel  gezwungen  werden,  für  ihn  die 
Feldarbeiten  auf  den  Gefilden  des  Westreichs  zu  besorgen, 
und  in  immer  größerer  Zahl,  bei  den  Königen  bis  zu  Tau- 
senden, werden  diese  oft  sehr  sorgfältig  gearbeiteten  Puppen 
ihm  ins  Grab  gelegt.  Dazu  kommt  dann  das  Inventar  an 
Hausrat,  Möbeln,  Pflügen,  Schiff'en  u.  s.  w.  So  hat  sich  in 
allen  Städten  des  Niltals  eine  Industrie  von  gewaltigem  Um- 
fang entwickelt,  die  lediglich  für  die  Toten  arbeitet;  und 
dazu  kommen  einerseits  die  Scharen  der  Balsamierer,  andrer- 
seits die  Baumeister  und  Künstler,  welche  die  Gräber  an- 
legen und  ausschmücken. 

Auch  die  Zaubertexte,  die  dem  Toten  sein  Dasein  im 
Jenseits  sichern  sollen,  schwellen  immer  mehr  an.  In  den 
Königsgräbern    werden    sie,    wie    ehemals    die    „Pvramiden- 


332      ^  I-  Kultur  und  Religion  Ägyptens  unter  der  achtzehnten  Dynastie 

texte",  in  prachtvoll  gemeißelten  Hieroglyphen  an  die  Fels- 
wände der  Kammern  gesetzt,  so  z.  B.  das  schon  erwähnte 
umfangreiche  Buch,  das  die  Fahrt  der  Sonnenharke  durch 
die  Unterwelt  ausführlich  beschreibt.  Für  gewöhnlich  aber 
gibt  man  dem  Toten  eine  große  Papyrusrolle  mit,  das  „Buch 
vom  Herausgehn  bei  Tage",  d.  h.  von  der  Wiederbelebung 
des  zum  Osiris  gewordenen  Toten,  so  daß  er  sich  bei  Tages- 
licht auf  Erden  herumtreiben  kann,  das  sog.  „Totenbuch". 
Seine  Anfänge  gehn  in  die  Zeit  der  Auflösung  des  Alten  Reichs 
zurück  (Bd.  I  276) ;  schon  im  Mittleren  Reich  sind  immer  wieder 
neue  Sprüche  hinzugetreten,  die  ältesten  Texte  wiederholt  kom- 
mentiert und  dabei  umgedeutet  und  entstellt  (S.  329,  3),  und 
dieser  Prozeß  setzt  sich  bis  in  die  Spätzeit  hinein  fort.  Es  be- 
ruht durchaus  auf  der  Theologie  von  Heliopolis.  die  ja  den 
Osiris  und  seinen  Kreis  schon  früh  in  ihre  „Götterneunheit" 
aufgenommen  hat.  Daher  ist  Atum  in  ihm  der  Urgott  und 
der  große  Sonnengott,  der  die  Welt  beherrscht;  mit  ihm  wird 
der  Tote  durch  den  Zauberspruch  identisch  und  kann  daher 
alle  bösen  Mächte  und  Dämonen,  die  ihm  auflauern,  abwehren 
und  zugleich  in  die  Sonnenbarke  eintreten  und  auf  Erden 
„Gestalten  annehmen,  welche  er  will",  während  er  zugleich 
bei  Osiris  oder  als  Osiris  im  Westreich  lebt.  Die  meisten  an- 
deren Götter  der  ägyptischen  Kultstätten  werden  daneben  be- 
rücksichtigt und  in  seinen  Kreis  hineingezogen  (so  vor  allem 
Thout);  die  beiden  großen  Konkurrenten  des  Atum  dagegen, 
Ptah  und  Amon,  werden  niemals  erwähnt,  auch  nicht  in  den 
Texten,  die  erst  im  Neuen  Reich  entstanden  sind;  da  ist  die 
latente  Konkurrenz,  die  trotz  aller  Formeln  der  offiziellen  Theo- 
logie weiter  besteht,  deutlich  erkennbar.  In  der  Ausgestaltung 
kann  sich  dann  das  Spuk-  und  Zauberwesen  ungehindert  er- 
gehn;  während  in  den  älteren  Bestandteilen  die  derben  Ge- 
bilde des  primitiven  Mythus  vorherrschen,  werden  die  jüngeren 
immer  mehr  von  den  wahnwitzigsten  Einfällen  einer  durch  die 
Magie  völlig  haltlos  gewordenen  Phantasie  überwuchert. 

Auf  dem    ununterbrochenen  Durcheinanderfließen    dieser 
so  ganz  verschiedenartigen  Vorstellungen  beruht   das  Wesen 


Das  Totenbuch.    Die  Theologie  333 

der  ägyptischen  Theologie;  die  viel  gepriesene  und  viel  ver- 
spottete „Weisheit  der  Ägypter"  besteht  in  der  unauflös- 
lichen Verbindung  tiefsinniger  oder  wenigstens  sich  für  tief- 
sinnig ausgebender  Ideen  einer  mystischen  Spekulation  mit 
den  Rudimenten  urältester  Mythologie  und  mit  den  Erzeug- 
nissen bizarrsten  Aberglaubens  und  wüster  Magie.  In  dem 
Nebeneinander  des  pantheistischen,  in  Menschengestalt  dar- 
gestellten Urgottes  und  des  Kultus  der  heiligen  Widder  und 
Ochsen,  Falken  und  Geier,  Katzen  und  Paviane,  Fische  und 
Schlangen,  Nilpferde  und  Krokodile,  und  der  in  ihnen  ver- 
körperten tierköpfigen  Götter  tritt  diese  Do])pelheit  anschau- 
lich zutage. 

König  und  Volk  haben  die  Lehre,  welche  die  Priester 
verkündeten,  gläubig  hingenommen.  Aber  es  ist  begreiflich, 
daß  es  Persönlichkeiten  gab,  die  sich  dadurch  nicht  befrie- 
digt fühlten,  die  die  Halbheit  und  den  inneren  Widerspruch 
zwischen  Theorie  und  Praxis  schwer  em})fanden.  Von  den 
Diskussionen,  die  dadurch  entstanden,  ist  keine  Kunde  auf  uns 
gekommen;  aber  die  unmittelbar  folgenden  Ereignisse  zeigen, 
daß  sie  stattgefunden  haben,  und  daß  es  gärte  in  der  Schicht 
der  „Wissenden".  Ägypten  ist  in  die  entscheidende  Krisis 
seines  geistigen  Lebens  eingetreten;  ob  es  gelingen  werde,  über 
den  bisherigen  Zustand  hinauszukommen,  die  Anschauungen  zu 
reinigen  und  sich  zu  befreien  von  der  Wucht,  mit  der  die 
immer  mehr  anschwellende  religiöse  Tradition  auf  dem  geisti- 
gen Leben  lastete,  war  die  Frage,  deren  Beantwortung  über 
die  weitere  Zukunft  Ägyptens  entscheiden  mußte. 

Diese  Krisis  hat  sich  umso  verhängnisvoller  gestaltet, 
da  sie  sich  mit  einer  schweren  Erschütterung  der  äußeren 
Machtstellung  Ägyptens  verband,  die  den  Fortbestand  des 
Weltreichs  der  Pharaonen  in  Frage  stellte. 


VII.  Niedergang  der  ägyptischen  Machtstellung  in 
Syrien.  Vordringen  der  Beduinen  und  der  Chetiter 


Quellen  und  Chronologie 

An  Streitigkeiten  zwischen  den  Vasallenfürsten  in  Syrien, 
an  Versuchen,  ihr  Gebiet  auf  Kosten  der  Nachbarn  und  Ri- 
valen zu  erweitern,  wird  es  niemals  gefehlt  haben;  die  Auf- 
gabe der  Pharaonen  und  ihrer  Generale  war  es,  die  Inter- 
essen des  Reichs  zu  wahren,  treu  ergebene  Vasallen  gegen 
ehrgeizige  Aufrührer  zu  schirmen,  und  zugleich  die  immer 
gegen  die  Kulturgebiete  andrängenden  Beduinenstämme  im 
Zaum  zu  halten. 

Aber  unter  dem  schlaffen  Regiment  Amenophis'  III.  er- 
lahmte die  Tatkraft.  Im  Gefühl  seiner  Göttlichkeit  ließ  er 
die  Dinge  gehn  wie  sie  wollten,  und  keine  noch  so  dringende 
Bitte  und  Mahnung  vermochte  ihn  dazu  zu  bringen,  sein 
behagliches  Dasein  in  Theben  mit  den  Strapazen  eines 
Kriegszugs  nach  Syrien  zu  vertauschen;  selbst  zu  energi- 
schen Befehlen  ließ  er  sich  nur  schwer  bestimmen.  An 
Rivalitäten  und  selbstsüchtigen  Bestrebungen  unter  seinen 
Offizieren  wird  es  auch  nicht  gefehlt  haben.  So  kam  es, 
daß  in  Syrien  in  stets  steigendem  Maße  Unruhen  ausbrachen, 
denen  die  Regierung  unschlüssig  und  ziellos  gegenüber- 
stand. 

Einen  lebendigen  Einblick  in  diese  Vorgänge  verdanken 
wir  dem  Archiv  von  Amarna.  Als  Amenophis  IV.  in  seinem 
6.  Jahr  seine  Residenz  hierhin  verlegte,  hat  er  einen  be- 
trächtlichen Teil  der  Korrespondenz  seines  Vaters  und  seiner 
eigenen  mit  den  auswärtigen  Königen  und  den  syrischen  Va- 
sallen mitgenommen,  die  dann  in  den  folgenden  Jahren  noch 
weiter  anwuchs;   und  dies  Material  ist   uns,  wie  es    scheint, 


Die  Briefe  von  Amarna  335 

nahezu  vollständig  erhalten^).  Sehr  empfindlich  ist,  daß  diese 
Briefe  niemals  ein  genaueres  Datum  enthalten.  Bei  den 
Briefen  aus  (und  nach)  Babylonien,  Mitani,  Assur  und  dem 
Chetiterreich  ist  neben  dem  Verfasser  wenigstens  auch  der 
Adressat  genannt;  daraus  ergibt  sich,  daß  nahezu  die  Hälfte 
dieser  Briefe  aus  der  Zeit  Amenophis'  III.  stammt,  und  das 
gleiche  Verhältnis  wird  wohl  annähernd  auch  für  die  Briefe 
der  Vasallen  gelten.  Unter  diesen  nennen  den  Adressaten  nur 
die  vier  Briefe  des  Akizzi  von  Qatna,  und  diese  sind  alle  an 
Amenophis  III.  gerichtet. 

Aus  den  Briefen  Akizzis  ergibt  sich,  daß  der  Aufstand  des 
Aitakkama  von  Kinza,  das  Vordringen  des  Amoriters  Aziru 
und  das  erste  Eingreifen  der  Chetiter  unter  Subbiluljuma  in 
Nordsyrien,  von  dem  die  Urkunden  aus  Boghazkiöi  berichten, 
bereits  in  die  Zeit  Amenophis'  III.  fällt,  trotz  des  freund- 
schaftlichen Briefs,  den  der  Chetiterkönig  an  Amenophis  IV. 
bei  dessen  Thronbesteigung  schreibt  (41).  Dadurch  sind  neben 
vielen  anderen  auch  der  Brief  des  Königs  von  Nuchasse  (51) 
und  der  von  Tunip  (59)  datiert  und  ebenso  ein  Teil  der 
Briefe  des  Ribaddi  von  Byblos,  die  um  Hilfe  gegen  Aziru 
bitten  (102  ff.).  Diese  Briefe  setzen  sich  dann  unter  Ame- 
nophis IV.  weiter  fort ;  sicher  an  diesen  gerichtet  sind,  weil 
sie  Vorgänge  unter  dem  Vater  des  Adressaten  erwähnen, 
z.  B.  108  (ZI.  28  ff.).  116  (ZI.  21  ff.).  131  (ZI.  32  ff.).  132 
(ZI.  10  ff.).    Für  die  Briefe  aus  Palaestina  bietet  einen  Anhalt, 


')  Gefunden  1887  und  vor  allem  nach  Berlin,  daneben  nach  Lon- 
don, Kairo,  Oxford  u.  a.  gekommen.  Nach  der  ersten  Ausgabe  (1889) 
und  Bearbeitung  (1896)  durch  H.  Winckler  ist  jetzt  grundlegend  die 
Ausgabe  (Umschrift  und  Übersetzung)  von  Knüdtzox  (vollendet  1915) 
mit  ausführlichem  sachlichem  Kommentar  von  ihm  und  0.  Weber  und 
Glossar  von  Ebeling.  Dagegen  fehlt  ein  philologischer  Kommentar  noch 
vollständig,  und  vielfach  sind  die  Übersetzungen  und  Ergänzungen  der 
in  vielen  Fällen  nur  in  Bruchstücken  vorliegenden  Texte  trotz  allen 
Scharfsinns  nur  geraten  und  nicht  selten  sprachlich  und  sachlich  un- 
möglich. Ohne  vorsichtige  Kritik  dürfen  alle  diese  Übersetzungen  nicht 
benutzt  werden.  —  Sechs  weitere  Briefe  hat  Thureau -Dangin,  Rev. 
d'Ass.  XIX  1923,  91  ff.  veröffentlicht. 


336     VII.  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.  Chetiter  und  lieduinen 

daß  auf  dem  Brief  Labajas  254  mit  Tinte  das  hieratische 
Datum  „Jahr  12"  (natürlich  Amenophis'  IV.)  vermerkt  ist; 
daraus  folgt,  daß  diejenigen  Briefe,  in  denen  Labajas  Tod 
erwähnt  oder  vorausgesetzt  wird,  noch  beträchtlich  weiter 
hinabreichen.  Der  jüngste  aller  Briefe  ist  170,  der  über  ein 
Vorrücken  der  Chetiter  berichtet,  das  nach  den  Texten  aus 
Boghazkiöi  kurz  vor  den  Tod  Amenophis'  IV.  fällt. 

In  beträchtlich  frühere  Zeit  dagegen  gehört  der  Auf- 
stand Abdasirtas,  des  Vaters  Azirus,  auf  den  sich  die  erste 
Hälfte  der  Briefe  des  Ribaddi  von  Byblos  bezieht  (68  —  95, 
ebenso  natürlich  die  Briefe  Abdasirtas  selbst  60  ff.);  sie  rei- 
chen offenbar  ziemlich  w^eit  in  die  Regierung  Amenophis'  III. 
hinauf^). 

Eine  %vesentliche  Ergänzung  haben  die  im  Archiv  von 
Boghazkiöi  erhaltenen  Texte  gebracht,  vor  allem  die  immer 
mit  ausführlichen  geschichtlichen  Einleitungen  versehenen 
Urkunden  der  Verträge,  die  Subbiluljuma  mit  den  von  ihm 
besiegten    Fürsten    geschlossen    hat'-).     Auch    hier    fehlt    die 


*)  Die  Scheidung  der  Briefe  Ribaddis  in  die  aus  der  Zeit  Abda- 
sirtas und  die  aus  der  Zeit  Azirus  und  die  daraus  sich  ergebende  An- 
ordnung hat  Knudtzon  in  seiner  Ausgabe  im  wesentlichen  rithtig  durch- 
geführt (vgl.  auch  seinen  Aufsatz  in  Beitr.  zur  Assyr.  IV). 

^)  Die  wichtigsten  Ergebnisse  der  von  ihm  ausgegrabenen  Texte 
hat  Huco  WiNCKi.ER  sogleich  in  den  Mitt.  DOG.  35,  Dez.  1907  veröffentlicht 
(dazu  seine  Abhandlung  „Vorderasien  im  2.  Jahrtausend",  Mitt.  Vorderas. 
Ges.  1913,  4).  Die  in  akkadischer  Sprache  verfaßten,  meist  in  mehreren 
Exemplaren  vorliegenden  Verti  äge,  bearb.  von  Br.  Meissner,  Jahresber. 
der  sehles.  Ges.  1917  und  Weidner,  Mitt.  DOG.  58,  1917,  sind  von  Weidner, 
Boghazkiöistud.  8  u.  9,  1923,  vollständig  übersetzt  und  kommentiert.  Im 
einzelnen  ist  auch  hier  wie  bei  den  Amarnabriefen  noch  vieles  sehr  un- 
sicher und  Zurückhaltung  geboten;  es  kommt  hinzu,  daß  die  chetitische 
Kanzlei  die  akkadische  Sprache  offenbar  noch  weniger  beherrschte  als 
die  Schreiber  dieser  Briefe  und  sich  daher  meist  sehr  unbeholfen  aus- 
drückte. —  Von  den  Texten  aus  Boghazkiöi,  sowohl  den  akkadischen 
wie  den  chetitischen  und  denen  in  anderen  Sprachen,  ist  bis  jetzt  nur 
ein  Teil  veröffentlicht,  und  die  Bearbeitung  der  letzteren  steht  natürlich 
noch  in  den  Anfängen.  Transkription  der  geschichtlichen  chetitischen 
Texte  bis  auf  Mursil  IL  durch  Forrer,  Bogh.-Texte  in  Umschrift  1926 


Die  Amarnabriefe  und  die  Texte  aus  Bughazkiöi  337 

Datierung;  aber  vielfach  fügen  sicli  die  Angaben  aus  beiden 
Quellen  ohne  weiteres  ineinander  und  ermöglichen  dadurch 
auch  den  Zeitpunkt  der  übrigen  Nachrichten  im  Gesamt- 
verlauf der  Begebenheiten  wenigstens  annähernd  festzu- 
legen. 

Einen  festen  Endtermin  bietet  die  Erzählung  Mursils  IL, 
daß  sein  Vater  Subbiluljuma,  als  er  bei  Karkemis  stand,  den 
Lupakki  und  Te.sub(':')-zalman^)  zur  Eroberung  des  Landes 
*Amq  (Coelesyrien)  ausschickte;  darüber  erschraken  die  Ägyp- 
ter, und  da  ihr  König  Bibchururias  gestorben  war,  wandte 
sich  dessen  Witwe  an  den  Chetiterkönig  mit  der  Bitte,  da 
sie  keinen  Sohn  habe,  ihr  einen  seiner  Söhne  als  Gatten  zu 
schicken^).  Dieser  kommt  dann  in  Ägypten  um,  worauf  der 
König  einen  Rachekrieg  unternimmt.  Den  Einfall  des  Lupakki 
in  'Amq  berichtet  nun  der  Amarnabrief  170  an  den  Pharao; 
mithin  kann,  da  es  ganz  unmöglich  ist,  daß  nach  der  kurz 
nach  Amenophis'  IV.  Tode  erfolgten  Rückverlegung  der  Re- 
sidenz nach  Theben  noch  Briefe  in  das  Archiv  von  Amarna 
gekommen    sein   können,    Bibchururias    nur   der    Thronname 


(41.  42.  4(;.  Veiöffentl.  d.  DOG.).    Mehrere    andere  wichtige  Texte   hat 
FoRRER,  Forschungen  I.  II,  19'2G,  behandelt. 

')  Ob  der  ideograiihisch  geschriebene  Gottesname  Tesub  zu  lesen 
ist,  ist  ganz  unsicher. 

^)  Der  Text,  der  aus  einem  größeren  Werk  des  Mursil  II.  über 
die  Geschichte  seines  Vaters  stammt,  ist  veröffentlicht  Keilinschr.  v. 
Bogh.  V  T)  von  Hrozny  und  in  Umschrift  von  Forrer,  Bogh. -Texte  in 
Umschrift  no.  41 ;  der  betreffende  Abschnitt  (Rückseite  col.  3  und  4),  zu- 
erst btsprochen  von  Hrozny,  Mitt.  DOG.  56  (1915),  35  f.,  ist  übersetzt 
von  Zimmern,  Z.  Ass.  35,  37  ff",  und  von  Friedrich,  Aus  dem  het.  Schrift- 
tum I  (Alter  Orient  24,  3)  12  ff.  Er  bricht  mitten  in  der  Erzählung 
in  der  Mitte  von  col.  4  ab;  auf  der  freigelassenen  unteren  Hälfte  der 
Tafel  steht  die  Bemerkung:  „Tafel  7.  Noch  nicht  auf  Bronzetafel  aus- 
gefertigt" (so  richtig  Sommer,  Bogh.-Stud.  IH  17.  X  5;  falsch  übersetzt 
bei  Forrer,  Bogh.-Texte  in  Umschrift  33*).  Die  vorangehende  Erzählung 
ist  von  Forrer,  Forsch.  H  31,  kurz  besprochen,  aber  noch  nicht  über- 
setzt. —  Erwähnt  werden  diese  Vorgänge  auch  in  den  Gebeten  Mursils 
bei  Forrer  S.  13  f.  [wo  seine  Übersetzung  von  §  4  unverständlich  bleibt] 
und  23,  und  ganz  kurz  S.  10. 

Meyer,  Geschichte  dea  Altertums.    II'  22 


338     ^"11-  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.    Chetiter  und  Beduinen 

Amenophis'  IV.  Nefercheprure*  sein^),  und  der  Brief  fällt  in 
sein  letztes  Regierungsjahr. 

Einen  weiteren  Anhalt  gibt,  daß  nach  einer  Angabe 
Muwattals  sein  Großvater  Subbiluljuma  im  Kriege  gegen 
Charri  (d.  i.  Mitani)  sechs  Jahre  lang  in  Syrien  gestanden, 
seine  Herrschaft  bis  über  Kinza  und  Amurri  ausgedehnt, 
die  Ägypter  besiegt  und  seine  Söhne  in  Aleppo  und  Kar- 
kemis  zu  Königen  eingesetzt  habe"-').  Innerhalb  dieser  sechs 
Jahre  ist  also  Amenophis  IV.  gestorben,  vermutlich  gegen 
Ende  des  Zeitraums^).  Das  höchste  von  ihm  erhaltene  Datum 
—  auf  Steinkrügen*)  —  ist  sein  18.  Jahr,  und  es  ist  nicht 
wahrscheinlich,  daß    er   länger  regiert  hat;  mithin    sind   die 


1)  Sonst  durch  Napchururia  u.  ä.  (bei  Subbiluljuma  41  zu  Chüria 
verkürzt)  wiedergegeben.  An  sich  könnte  es  sehr  wohl  auch  der  Thron- 
name Tut'anch-amons  Nebcheprure'  sein,  wie  man  zuerst  annahm;  aber 
das  ist  sachlich  unmöglich.  Forrer's  Vermutung,  Forsch.  II  25  f.,  Mursil 
habe  die  beiden  Namen  verwechselt,  ist  höchst  unwahrscheinlich.  — 
Die  Königin  von  Ägypten  erhält  den  Zusatz  „die  daehamim  [. .]  war"  ; 
das  ist  offenbar  nicht  ihr  Eigenname,  sondern  ein  Appellativum,  etwa 
, Witwe"   (Ehel('Lf). 

2)  FoRRER,  Forsch,  n  10. 

3)  FoRRER  setzt  den  Tod  schon  ins  S.Jahr;  es  bleibt  indessen 
fraglich,  wieweit  man  den  kurz  die  wichtigsten  Vorgänge  zusammen- 
fassenden Bericht  zu  genaueren  chronologischen  Schlüssen  verwenden 
darf.  Nach  dem  Gebet  Mursils  bei  Forrer,  Forsch.  11  13,  hat  sein  Vater 
die  ägyptische  Grenzprovinz  'Amq  vor  der  Bitte  um  Entsendung  seines 
Sohns  zum  König  zweimal  geschlagen,  also  noch  unter  Amenophis  IV. 
Nordsyrien  einschließlich  von  Kinza  (und  Amurri)  hat  er  nach  der  An- 
gabe des  Vertrages  mit  Mattiwaza  ZI.  46  in  einem  Jahre  unterworfen. 
Damit  schließt  im  Vertrage  der  Bericht  über  die  Vorgänge  in  Syrien, 
und  es  folgt  der  über  die  Einsetzung  Mattiwazas  in  Mitani  durch 
Subbiluljumas  Sohn  Bijassil,  den  er  zum  König  von  Karkemis  gemacht 
hat.  Diese  Stadt  selbst  hat  ihm  freilich  noch  längere  Zeit  Widerstand 
geleistet;  während  er  vor  ihr  stand,  schickte  er  den  Lupakki  nach 
'Amq.  Danach  ist  wohl  das  wahrscheinlichste,  daß  auf  die  erste  Unter- 
werfung Nordsyriens  eine  längere  Pause  gefolgt  ist,  ehe  der  König 
sich  entschloß,  durch  den  Zug  nach  'Amq  direkt  mit  Ägypten  zu 
brechen. 

*)  Siehe  Gactier,  Livre  des  Rois  II. 


.    •  Chronologie  339 

an  ihn  gerichteten  Briefe  aus  Amarna  auf  einen  Zeitraum 
von  achtzehn  Jahren  zu  verteilen. 

Weiter  wissen  wir  aus  Darstellungen  in  den  Gräbern 
von  Amarna,  daß  im  12.  Jahr  des  Königs  Tribute  und  Ge- 
fangene aus  Syrien  und  Nubien  am  Hofe  vorgeführt  wurden^), 
also  in  demselben  Jahre,  aus  dem  der  von  Loyalität  über- 
strömende Brief  254  des  Rebellen  Labaja  stammt.  Damals 
hat  also,  wahrscheinlich  im  Jahre  11,  ein  ägyptisches  Heer 
in  Syrien  eingegriffen,  wenn  auch  schwerlich  mit  größerem 
Erfolg;  es  liegt  nahe,  das  zwar  nicht  mit  dem  Feldzuge  des 
Chetiterkönigs  selbst  —  der  erst  etwas  später  fallen  kann 
und  zu  einem  Zusammenstoß  mit  ägyptischen  Truppen  nicht 
geführt  hat  — ,  aber  wohl  mit  den  Wirren  in  Verbindung 
zu  bringen,  die  zu  dessen  EingTeifen  geführt  haben.  Für  die 
vorausliegenden  Ereignisse  unter  Amenophis  IV.  bleiben  also 
zehn  Jahre. 

Ein  absolutes  Datum  hat  Forrer  zu  ermitteln  versucht 
aus  der  Erwähnung  eines  Vorzeichens,  das  die '  Sonne  im 
9.  Jahr  des  Königs  Mursil  H.  gegeben  hat^),  als  dieser  gegen 
das  Land  Azzi  aufbrach,  das  er  nach  den  Angaben  seiner 
Annalen  im  10.  Jahr  bekriegt  hat.  Er  hält  dies  Vorzeichen 
für  eine  Sonnenfinsternis  und  findet  diese  im  Anschluß  an 
den  Astronomen  C.  Si:iioch  in  der  in  Boghazkiöi  sichtbaren 
ringförmigen  Sonnenfinsternis  am  13.  März  ^1335.  Danach 
wäre  Mursils  1.  Jahr  =  1344,  das  letzte  Jahr  Subbiluljumas, 
da  die  dazwischenliegende  Regierung  seines  älteren  Sohnes 
Arnuwanda  III.  jedenfalls  nur  kurz  gewesen  ist,  etwa  1346. 
Weiter   verwendet   er   die    Angabe,    daß    Mursil   zu   Anfang 


')  Davies,  Rock  tombs  of  Amarna  II  40  ff  .pl.  87—40  (Merire'  II.) 
und  m  9  ff.  pl.  13—15  (Chuja).  Das  Datum  der  Vorführung  ist  der 
8.  Mechir,  der  in  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  v.  Chr.  nach  Mitte 
Januar  jul.  oder  Anfang  Januar  greg.  fällt,  l'er  Feldzug  fiel  also  in 
den  vorhergehenden  Sommer  und  Herbst. 

^)  Forsch.  II  2  ff.  Die  weiteren  ^Ergänzungen  und  Übersetzungen 
des  nur  ganz  lückenhaft  erhaltenen  Textes  erscheinen  recht  proble- 
matisch. 


340      ^^11-  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.    Chetiter  und  Beduinen 

seines  15.  Jahres  (also  1330)  ein  Fest  am  Fluß  Mala  gefeiert 
hat,  und  daß  er  dieses  in  einem  Gebet  als  Sühne  für  eine 
Seuche  ankündigt,  die  bei  dem  Feldzug  ausbrach,  den  sein 
Vater  nach  dem  Untergang  eines  seiner  Söhne  gegen  Ägypten 
geführt  hat  und  die  nun  bereits  zwanzig  Jahre  dauert.  Da- 
nach würde  dieser  Krieg  ins  Jahr  1350,  rund  fünf  Jahre 
vor  Subbiluljumas  Tod.  der  Tod  Amenophis'  IV.  etwa  1351 
fallen!). 

Es  wäre  hoch  willkommen,  wenn  wir  hier  wirklich  ein 
astronomisch  feststellbares  Datum  erhalten  hätten.  Es  ist 
jedoch  lediglich  postuliert,  daß  das  für  das  Sonnenomen  ver- 
wendete Verbum  sakiachta  wirklich  „verfinsterte  sich"  be- 
deutet; es  kann  ebensogut  irgend  ein  anderes  Phänomen 
bezeichnen,  wie  so  häufig  in  den  babylonischen  und  assyri- 
schen Omina'-).  Als  astronomisch  gesichert  kann  daher  das 
FoKRER'sche  Datum  durchaus  nicht  betrachtet  werden^).  In- 
dessen annähernd  zutreffend,  mit  einem  Spielraum  von  we- 
nigen Jahren,  ist  dies  Datum  jedenfalls;  es  jstimmt  sowohl 
zu  den  assyrischen  und  babylonischen  Synchronismen,  wie 
zu  dem,  was  wir  über  die  ägyptische  Chronologie  ermitteln 
können.  Für  diese  bildet  den  Ausgangspunkt,  daß  Ramses  II. 
kurz  nach  1300  zur  Regierung  gekommen  ist,  und  daß  wir 
auf  seinen  Vater  Sethos  I.    und    seinen  Großvater  Ramses  I. 


*)  Beiseite  hisse  ich  die  weitere  Kombination  Forrer's,  der  aus 
Mursils  Annalen  §1.51  f.  (Bogh.-Texte  in  Umschrift  no.  61A)  folgert, 
von  der  Zeit  an,  wo  Subbiluljunia  in  Syrien  stand,  habe  dessen  Nefle 
das  kleinasiatische  Land  Balä  20  Jahre  lang  bis  zum  16.  Jahre  Mursils, 
also  1B48— 1329,  gegen  die  Gasgaeer  geschirmt.  Denn  die  Ergänzung 
und  Übersetzung  des  entscheidenden  Satzes  mit  der  Zahlenangabe  bei 
FoRRER  S.  9  (II  41  f.)  beruht  lediglich  auf  Vermutung,  selbst  ob  .Jahr  20" 
dasteht,  ist  ganz  unsicher;  s.  Hrozn^'s  Publikation  des  Textes  Keil- 
schrifttexte aus  Bogh.  V  S.  bl. 

2)  [So  jetzt  auch  Götze  in  Kleinas.  Forsch.  I  1927,  116.] 
')  Auch  die  Möglichkeit  sche'.nt  durch  Forrer's  Gegenargumente 
noch  nicht  ausgeschlossen,  daß,  wenn  es  sich  wirklich  um  eine  Finsternis 
handelt,    die   totale  Sonnenfinsternis  ^vom  8.  Januar  1310    in   Betracht 
käme,  Forrer's  Daten  also  um  5  Jahre  hinaufzurücken  wären. 


Chronologie  341 

(regierte  ein  Jahr  und  wenige  Monate)  nicht  mehr  als  höch- 
stens ein  Jahrzehnt  rechnen  dürfen^).  Haremhabs  Regierung 
endet  also  um  1310.  Nun  wissen  wir,  daß  die  offizielle 
Chronologie  der  Ägypter  die  ganze  Zeit  vom  Tode  Ameno- 
phis'  III.  an  dem  Haremhab  zugerechnet  hat.  Eine  nach 
diesem  datierte  Urkunde  aus  der  Zeit  Ramses'  II.  erwähnt 
sein  59.  Jahr'-^).  Wir  werden  also  diesen  Zeitraum  auf  rund 
sechzig  Jahre  anzusetzen  haben,  den  Tod  Amenophis'  III. 
mithin  auf  ca.  1370,  den  Amenophis'  IV.  auf  ca.  1352/1; 
das  stimmt,  wie  man  sieht,  genau  zu  dem  von  Forrer  er- 
schlossenen Datum.  Wir  können  daher  die  von  diesem  auf- 
ge.stellten  Daten ^)  unbedenklich  übernehmen,  wenn  auch  mit 
dem  Vorbehalt,  daß  sie  vielleicht  um  ein  paar  Jahre  zu  er- 
höhen sind. 

Nach  oben  ergänzt  werden  sie  durch  die  weitere  An- 
gabe^), daß  Subbiluljuma  zwanzig  Jahre  gewartet  hat,  bis 
er  gegen  die  Charrier  (Mitani)  in  Syrien  vorging.  Das  wird 
sich  auf  das  siegreiche  Vorgehen  Dusrattas  gegen  die  Che- 
titer  zu  Anfang  seiner  Regierung  beziehen,  von  dem  er  Am.  17, 
30  ff.  an  Amenophis  III.  berichtet;  das  ist  danach  etwa  ins 
28.  Jahr  des  Pharao  (um  1378)  zu  setzen.  Das  darauffolgende 
erste  Eingreifen  Subbiluljumas  in  Syrien,  das  er  selbst  zu 
Anfang  des  Vertrags  mit  Mattiwaza  berichtet  und  das  wir  aus 
den  Amarnabriefen  kennen,  ist  dabei  übergangen,  da  es  ohne 
dauernde  Folgen  geblieben  ist. 


')  Weiteres  s.  u.  S.'?41.S.  448. 

^)  Prozeßakten  des  Mes  ZI.  8  bei  Lorkt.  ÄZ.  39  S.  4  und  Moret 
S.  11. 

^)  Boghazkiöitexte  in  Umschrift  S.  VI. 

*)  Forrer  Forsch.  II  10,  in  der  oben  S.  388  angeführten  Inschrift 
Muwattals.  [Daß  ich  die  von  Forrer  auf  das  Intervall  von  20  Jahren 
gebauten  Hypothesen  S.  19  f.  für  phantastisch  halte,  bedarf  kaum  der 
Bemerkung.] 


342     ^U-  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.   Chetiter  und  Beduinen 

Eindringen  der  semitischen  Nomadenstämme  ins  Kulturland. 
Aramaeer  und  Israeliten 

Als  treibendes  Element  der  Bewegung-,  die  ganz  Syrien 
seit  dem  Beginn  des  14.  Jahrhunderts  ergriffen  hat,  erscheinen 
in  den  Amarnabriefen  durchweg  die  Beduinen.  Sie  über- 
schwemmen das  Land  und  bedrohen  die  Städte;  die  Dynasten 
nehmen  sie  in  ihre  Dienste,  um  ihr  Machtgebiet  zu  erweitern, 
und  überlassen  ihnen  die  eroberten  Ortschaften  zur  Aus- 
plünderung und  Besiedlung.  Bezeichnet  werden  sie  mit  dem 
Namen  Chabiri,  der  meist  ideographisch  Sa-Gaz  oder  einfach 
Gaz  geschrieben  wird^-  Es  ist  ein  Ausdruck,  der  sich  ver- 
einzelt auch  in  babylonischen,  häufig  in  chetitischen  Texten 
findet,  und  zwar  vor  allem  im  Namen  einer  Göttergruppe, 
die  in  den  Vertragsurkunden  am  Schluß  der  langen  Liste  der 
chetitischen  Götter,  aber  vor  „den  Unter weltsgöttern  und  der 
Gesamtheit  der  männlichen  und  weiblichen  Götter  des  Landes 
Chatti",  als  „Götter  der  Lulachi  und  Götter  der  Chabiri" 
bezeichnet   werden  0-    Offenbar   sind   es   nicht  Völkernamen, 


')  Bekanntlich  findet  sich  die  Schreibung  Chabiri  in  den  Amarna- 
briefen nur  in  denen  des  Abdchiba  von  Jerusalem;  aber  schon  Winckler 
hatte  sogleich  erkannt,  daßT.hier  die  Aussprache  der  in  den  übrigen 
Briefen  dieselbe  Rolle  spielenden  Sa-Gaz  vorliege.  Das  ist  jetzt  durch 
die  Texte  aus  Boghazkiöi  vollauf  bestätigt  worden,  wo  die  Schreibungen 
iläni  chabiri  und  ildni  Sa-Gaz  miteinander  wechseln.  —  Zusammen- 
stellung der  Stellen  bei  Forrer,  ZDMG.  76,  251.  3000  Chabirileute  werden 
in  den  Bruchstücken  einer  altchetiti^chen  Königsinschrift  bei  Forrkr, 
Bogh.-Texte  in  Umschrift  no.  17  A,  Rs.  39  =  B  ZI.  9'  (vgl.  S.  9)  erwähnt, 
Sa-Gazleute  in  dem  Fragment  der  chetitischen  Übersetzung  der  Naram- 
sinsage  ebenda  no.^5  Rs.  ZI.  10'. 

2)  Das  gesamte  Material  hat  Gl'stavs,  Z.  Altt.  Wiss.  44,  1920,  2b  ff. 
zusammengestellt  und  die  wilden  Hypothesen  von  Jirku,  die  Wande- 
rungen der  Hebraeer  (Alter  Orient  24,  2)  widerlegt.  Neben  iläni  Lulachi 
iläni  Chabiri  (resp.  Sa-Gaz)  „Die  lulachischen  und  die  chabirischen 
Götter"  (gelegentlich  mit  Zufügung  der  chetitischen  Pluralemiungen 
nom.  -eS,  gen.  -as)  findet  sich  auch  iläni  sa  Nu[sic\]- lacht  (Keil- 
schrifttexte aus  Bogh.  I  3  Rs.  4)  und  iläni  sa  Sa-Gaz  (ebenda  I  2  Rs.  27 
bei  Weidner,  Bogh.-Stud.  8  S.  30),    letzteres   determiniert  mit  ,Leute% 


Eindringen  der  Bc?duinen  (Chabiri)  343 

sondern  Bezeichnungen  von  bestimmten  Bevölkerungsgruppen 
des  chetitischen  Reichs.  Über  die  Lulachier  wissen  wir  weiter 
nichts;  die  Chabiri  sind,  wie  die  Amarnatafeln  lehren,  noma- 
dische Wanderstämme,  die  in  Kleinasien  etwa  in  derselben 
Weise  zwischen  der  seßhaften  Bevölkerung  gesiedelt  haben 
werden,  wie  wir  das  z.  B.  in  Westdeutschland  in  der  neolithi- 
schen  Zeit  finden.  Semiten  aber  wie  die  Chabiri  der  Steppen 
Syriens  und  Mesopotamiens  und  in  der  syrisch -arabischen 
Felswüste  werden  sie  dort  schwerlich  gewesen  sein.  In  den 
Amarnatexten  erscheinen  neben  den  letzteren  mehrfach  die 
Suti,  d.  i.  die.  beduinischen  Schützen,  sowohl  als  Soldtruppen 
wie  als  Räuberscharen  ^). 

Diese  in  die  Kulturgebiete  Syriens  und  Mesopotamiens 
eindringenden  semitischen  Volksstärame  werden  in  den  assy- 
rischen Berichten  zuerst  unter  Arikdenilu,  der  sie  um  1320 
bekämpft  hat,  als  Achlame  und  Suti  erwähnt-);  spätere  Texte 
bezeichnen  die  Achlamaeer  häufig  als  Aramaeer.  Auch  in 
einem  nur  ganz  lückenhaft  erhaltenen  Amarnatext  wird  über 
sie  berichtet  in  Beziehung  zu  dem  König  von  Kardunias^). 
Dann  bekämpft  Siilmanassar  I.  (um  1280)  die  mit  dem  König 
von  Chaniffalbat  verbündeten  Chetiter  und  Achlamaeer^),  und 


also  „Götter  der  Lulacliier  und  der  Chabiri".  Aus  letzteren  ist  dann 
ein  Einzelgott  Chabiru  geworden,  der  spater  itn  Gefolge  des  Gewitter- 
gottes Adad  in  das  Pantheon  von  Assur  aufgenommen  ist  (Schroeder, 
Keilschr.  versch.  Inh.  42,  col.  2,  9;  vgl.  Gustavs,  Z.  Altt.  Wiss.  40,  313). 

1)  Vgl.  0.  S.  93.  Suti  und  Sa-gaz  als  Söldner  eines  Dynasten 
Am.  195,  29,  als' Bedränger  der  Ortschaften  318,  13  (hier  hiti  geschrie- 
ben); ebenso  die  suü  allein  16,  38  f.  169.  2-5  ff.;  im  Dienste  des  ägypti- 
schen Generals  Pachuru  122,  34.  123,  14.  Auch  in  dem  Bericht  über 
Subbiluljumas  Kämpfe  bei  Karkamis,  Forrer,  Bogh.  in  Uiuschrift  no.  41, 
2  ZI.  1.  4.  5,  erscheinen  die  stlte  oder  sute  als  Krieger. 

^)  Inschrift  Adadnirari's  I.  über  die  Taten  seiner  Vorgänger  bei 
WunNER,  Inschr.  der  altassyr.  Könige  S.  63.  Das  Material  über  die 
Achlame  zusammengestellt  von  Streck,  Mitt.  Vorderas.  Ges.  1906,  3, 
S.  13  f.  (KlioVI  193);  danach  Schiffer,  Die  Aramaeer  1-5  tf.  Als  Be- 
dränger der  ägyptischen  Boten  nennt  Assuruballit  die  Suti  Am.  16,  37. 

3)  Am.  200. 

■*)  Jetzt  bei  Weidner  S.  116. 


344     ^'11-  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.    Chetiter  und  Beduinen 

Chattusil  III.  redet  in  einem  Schreiben  an  den  Babylonier- 
könig  von  der  Störung  des  Gesandtschaft.sverkehr.s  durch  die 
Achlaniaeer ').  In  der  Folgezeit  ist  dann  in  ständigem  Fort- 
schreiten der  ganze  Norden  Mesopotamiens  mit  Charrän  und 
Nisibis  und  Nordsyrien  bis  nach  Damaskus  und  zum  Quell- 
gebiet des  Jordan  von  Aramaeern  besetzt  und  ihre  Sprache 
überall  an  Stelle  der  älteren  getreten,  auch  in  Babylonien 
breiten  sie  sich  immer  weiter  aus;  über  die  Anfänge  dieser  In- 
vasion, die  Überschwemmung  der  Kulturgebiete  durch  eine 
neue  Schicht  der  semitischen  Nomaden  aus  ihrer  Wüsten- 
heimat geben  uns  die  Amarnatexte  Auskunft^). 

Eng  verbunden  mit  den  Aramaeern  erscheinen  in  ihren 
Traditionen  die  Israeliten.  Ihre  Ahnen,  ursprünglich  im 
äußersten  Süden  Palaestinas  und  im  Ostjordanlande  heimische 
Gestalten  mythischen  und  kultischen  Ursprungs,  werden  in 
der  Genealogie  zu  Verwandten  der  Aramaeer  gemacht,  in 
scharf  betontem  Gegensatz  zu  den  Kana'anaeern;  sie  sind 
nicht  seßhafte  Bauern  wie  diese,  sondern  wandernde  Vieh- 
züchter. Abrahams  Geburt  wird  nach  Charrän  versetzt,  von 
hier  aus  zieht  er  nach  Hebron;  nach  dem  Opferspruch 
Deut.  26,  5  ist  der  Ahne  des  Volks  „ein  schweifender  Ara- 
maeer". Nun  steht  fest,  daß  die  Israeliten  im  14.  Jahrhun- 
dert in  das  Gebirgsland  Palaestinas  (Ephraim)  eingedrungen 
sind:  denn  zur  Zeit  Merneptahs  sitzen  sie  bereits  hier,  unter 
Sethos  I.  und  Ranises  11.  aber  kann  ihre  Invasion   nicht    sfe- 


')  Keilschrifttexte  aus  Bogh.  I  10  ZI.  37,  Winckler,  MDOG.  3.5,  22. 

^)  In  den  israelitischen  Sagen  sitzen  die  Aramaeer  und  ihr  Re- 
präsentant Laban  ursprünglich  im  „Ostlande"  Qedem,  d.  i.  in  der  syri- 
schen Wüste,  und  eben  dahin  gehören  die  in  dem  Stammbaum  Gen.  22, 
20  ff.  aufgezählten  aramaeischen  Stämme.  Bei  J  wird  dann  Laban  zwar 
in  Charrän  lokalisiert,  aber  geschildert  wird  sein  Wohnsitz  nicht  als 
eine  Stadt,  sondern  als  eine  weite,  von  Viehzüchtern  bewohnte  Steppe. 
Siehe  m.  Israeliten  und  ihre  jNachbarstämme  S.  28-5  ff.  —  Die  Erkennt- 
nis, daß  die  Aramaeer  in  Nordsyrien  und  Mesopotamien  erst  seit  der 
Amarnazeit  eingedrungen  sind,  verdanken  wir  H.  Winckler.  Nach 
Amos  1,  5.  9,  7  kommen  die  Aramaeer  von  Damaskus  aus  Qir,  einem 
sonst    nie  erwähnten  Lande,  das  offenbar  in  der  Wüste  zu  suchen  ist. 


Invasion  der  Aramaeer  und  der  Israeliten  345 

setzt  werden;  mithin  muß  sie  in  die  Amarnazeit  fallen. 
Vorher  werden  sie  vermutlich  im  nordwestlichen  Arabien 
(Midian)  im  Bereiche  des  Sinaivulkans  gezeltet  haben;  von 
hier  haben  sie  den  Kult  des  einsam  in  diesem  hausenden 
Feuergottes  Jahwe  mitgenommen,  dessen  diwanai-tigen  Thron - 
sitz,  den  „Kasten  Jahwes",  sie  auf  ihren  Zügen  mit  sich 
führen,  damit  der  Gott  sie  begleiten  und  unter  ihnen  weilen 
könne. 

Die  Festsetzung  der  Israeliten  in  Palaestina  und  die  Aus- 
breitung der  Aramaeer  in  Syrien  und  Mesopotamien  sind  die 
Ergebnisse  einer  einlieitlichen  Völkerbewegung,  in  deren  An- 
fänge die  Urkunden  von  Amarna  einen  Einblick  gewähren. 
Dadurch  wird  es  zugleich  wahrscheinlich,  daß  auch  die  Israe- 
liten damals  einen  aramaeischen  Dialekt  gesprochen  und  das 
Hebraeische  erst  von  den  Kana'anaeern  übernommen  haben, 
als  sie  sich  unter  ihnen  ansiedelten  M. 

Nun  werden  die  Israeliten  von  den  Fremden,  mit  denen 
sie  in  Berührung  kamen,  immer  'Ibrim.  Hebraeer  genannt, 
und  ihre  Sprache  heißt  daher  hebraeisch').  Auch  das  ist  kein 
Volksname,  sondern  eine  appellative  Benennung,  die  wohl  als 
„Leute  von  Jenseits"  (des  Jordan?)  gedeutet  worden  ist.  Eine 
Spur  davon,  daß  „Hebraeer"  ursprünglich  eine  umfassendere 
Bedeutung  hatte,  scheint  sich  darin  erhalten  zu  haben,  daß  die 


')  Dabei  ist  zu  beachten,  daß  das  Aramaeische  nach  Ausweis  der 
ältesten  Inschriften  dem  Kana'anaeischen  noch  wesentlich  näher  stand 
als  später.  —  Auf  Zusammengehörigkeit  der  Aramaeer  und  Israeliten 
weist  weiter  hin,  daß  wir  in  Nordsyrien  (in  Gerdjin  bei  Sendjirli)  eine 
Landschaft  Ja'udi  finden,  die  doch  wohl  mit  Jehüda  zusammengehört, 
und  daß  die  Assyrer  hier  unter  Tigletpilesar  III.  einen  König  Azrijäu 
erwähnen,  und  ebenso  unter  Sargon  der  Name  Ilubi'di  von  Hamät 
auch  Jaubi'di  geschrieben  wird,  die  Aramaeer  also  auch  den  Gott 
Jahu  =  Jahwe  gekannt  zu  haben  scheinen. 

^)  , Hebraeer"  findet  sich  im  A.  T.  bekanntlich  nur  im  Munde 
der  Fremden,  hier  aber  durchweg,  und  außerdem  in  dem  der  Israeliten 
selbst,  wenn  sie  zu  Fremden  sprechen,  aber  niemals  als  Selbstbezeich- 
nung des  Volks.  Als  Name  der  Sprache  kommt  es  zufälligerweise  erst 
im  N.  T.  vor  ('Eßpaioxti. 


346     ^11-  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.   Chetiter  und  Beduinen 

Völkertafel  des  Jahwisten  den  Eponymus  'Eber  zum  Stamm- 
vater zahlreicher  arabischer  Stämme  und  zum  Sohn  des  Ur- 
ahnen Sem  macht^);  bne  sem  „Leute,  die  einen  Namen  (oder 
vielmehr  ein  Stammzeichen,  arab.  wasm,  ein  Totem)  haben", 
nennen  sich  die  adelsstolzen  Beduinen,  die  eine  vollständige 
Stammesgenealogie  besitzen  (wie  sie  allen  israelitischen  Stamm- 
bäumen zugrunde  liegt),  im  Gegensatz  zu  den  degenerierten 
Städtern,  die  wohl  noch  Adelsgeschlechter,  aber  keinen  Stamm- 
verband und  keine  Stammesgenealogie  mehr  besitzen. 

Nun  berührt  sich  'Ibri  sowohl  lautlich  wie  seiner  Be- 
deutung nach  so  eng  mit  Chabiri,  daß  hier  ein  Zusammen- 
hang kaum  zu  verkennen  ist.  Einer  unmittelbaren  Gleich- 
setzung, so  daß  Chabiri  einfach  durch  Hebraeer  wiederzugeben 
wäre,  stehn  ebensowohl  lautliche  Bedenken^)  gegenüber  wie 
die  Tatsache,  daß  das  Wort  seit  alters  auch  Volkselemente  im 
chetitischen  Kleinasien  bezeichnet,  wo  wir  von  Hebraeern  im 
üblichen  Sinne  nicht  reden  können.  So  mag  die  ursjjrüng- 
liche,  ganz  allgemeine  Benennung  der  nomadischen  Wander- 
stämme in  Palaestina  volksetymologisch  in  'Ibri  umgewandelt 
und   als    „die    von   Jenseits"   (nämlich    des  Jordan)    gedeutet 


')  Gen.  10,  23  ff.;  daher  heißt  v.  21  Sem  „der  Vater  aller  Söhne 
'Ebers".  Außerdem  sind  auch  die  übrigen  Wüstenstämme,  wie  Aram, 
Moab,  Edom  u.  s.  w.  durch  die  genealogische  Verknüpfung  mit  den 
Ahnen  Israels  ihm  subsumiert,  in  scharfem  Gegensatz  gegen  die  seß- 
haften Kana'anaeer. 

^)  Aus  der  im  Vertrage  Mursils  IL  mit  dem  Amoriterkönig  vor- 
kommenden Schreibung  Cha-ab-hi-ri  (Kellschr.  aus  Bogh.V  9  Rs.  4,  22) 
hat  Gustavs  mit  Recht  gefolgert,  daß  die  Aussprache  Chabiri  war. 
Das  würde,  wenn  ch  ein  ^  wiedergibt,  wie  so  oft,  auf  ein  hebr.  'ööer 
führen,  während  '^ibri  (mit  der  gewöhnlichen  Verkürzung  von  a  in  ge- 
schlossener Silbe  zu  i)  ein  Äquivalent  chttbri  erfordert.  Dadurch  wird 
die  früher  auch  von  mir  vertretene  direkte  Gleichsetzung  beider  Formen 
sehr  fraglich.  Ganz  unhaltbar  ist  die  von  Jirku  wieder  aufgenommene 
Gleichsetzung  der  Hebraeer  mit  der  ägyptischen  Benennung  der  aus- 
ländischen Fronarbeiter  "pr  (oft  '^ajmriii  gelesen).  [Das  Wort  kommt 
jetzt  auch  in  einer  Inschrift  Sethos'  I.  in  Betsean  vor,  die  aber  meines 
Wissens  noch  nicht  publiziert  ist,  so  daß  sich  über  Zusammenhang  und 
Bedeutung  nichts  sagen  läßt.] 


Hebraeer  und  Chabiri  ,.  347 

worden  sein.  Die  sachliche  Identität  der  Hebraeer  oder  Israe- 
liten mit  dem  in  Palaestina  eindringenden  Teil  der  Chabiri 
der  Amarnatafeln  ist  aber  jedenfalls  zweifellos. 

Die  Aufstände  unter  Amenophis  III. 
Erstes  Eingreifen  Mitanis  und  der  Chetiter 

Die  ältesten  Nachrichten  über  das  Vordringen  der  Cha- 
biri erhalten  wir  durch  die  Briefe  des  Fürsten  von  Byblos 
Rib 'addi  (Ribhadad)  an  den  Pharao.  Immer  von  neuem  klagt 
er,  daß  diese  Kriegerscharen  Byblos  bedrängen  und  in  Not 
bringen,  so  daß  Lebensmittel  aus  dem  Delta  beschafift  werden 
müssen  und  Gefahr  besteht,  daß  dies  ganze  Gebiet  dem  Pharao 
verloren  geht.  „Seit  dein  Vater  aus  Sidon  heimgekehrt  ist," 
schreibt  er  einmal  an  Amenophis  III.  ^),  „seit  diesen  Tagen 
haben  sich  die  Länder  den  Chabiri  zugewandt,  daher  habe 
ich  nichts  (kann  ich  nichts  ausrichten)."  Diese  Äußerung 
zeigt,  daß  die  Bewegung  die  ganze  Regierungszeit  Ame- 
nophis' III.  erfüllt  hat.  Einmal  ist  Byblos  durch  Pachamnata, 
den  Kommandanten  von  Simyra  (8umur)  und  Statthalter 
(rahis)  des  Pharao,  gerettet  worden;  aber  jetzt  ist  auch 
Simyra  selbst  bedroht^).  Hier  hat  der  Amoriterhäuptling  Abd- 
asirta'')  eingegriffen.  In  einem  Rechtfertigungsschreiben  an 
Pachamnata,  „seinen  Herrn",  der  also  damals  mit  seinen 
Truppen  abwesend  war,  berichtet  er,    daß  Krieger  aus  dem 

')  Am.  85,  69.  Daß  der  Briet  an  Am.  III.  gerichtet  ist,  ergibt  sich 
aus  der  Erwähnung  Abdasirtas. 

^)  Am.  68,  von  Knüi*tzon  mit  liecht  an  den  Anfang  der  Briefreihe 
gestellt,  da  hier  Abdasirta  noch  nicht  erwähnt  wird,  und  da  Pachanute 
(hier  so  geschrieben)  auch  dessen  V^orgesetzter  ist  (60.  62).  Ob  auch  die 
ganz  verstümmelten  Briefe  69  u.  70  hierher  gehören,  ist  sehr  fraglich. 

^)  So  schreibt  Ribaddi  fast  überall  seinen  Namen,  und  ebenso 
er  selbst  61.  62,  daneben  Abd-asratum  60  (ebenso  Ribaddi  88.  92.  94. 
102)  und  63  Abdi  astati  (jedenfalls  verschrieben).  In  64  ist  der  Name 
der  Göttin  mit  dem  Ideogramm  der  Istar  geschrieben,  und  man  liest 
daher  Abd-astarti,  ob  mit  Recht,  ist  doch  recht  fraglich,  da  das  Zeichen 
in  Syrien  sehr  wohl  für  einen  anderen  Götternamen  verwendet  sein 
kann.    Ganz  unsicher  ist  die  Lesung  des  Namens  in  6.5. 


348     VII.  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.    Chetiter  und  Beduinen 

(sonst  nie  erwähnten)  Orte  Seclilal  Siniyra  überfallen  hätten; 
da  sei  er  von  'Arqa  (Irqat)  aus  herbeigeeilt,  habe  Stadt  und 
Palast  aus  ihren  Händen  gerettet  und  bitte  jetzt  um  Ent- 
sendung von  Truppen.  Ebenso  erklärt  er  dem  König,  daß 
er  das  ganze  Amoriterland,  Ullasa  und  Siniyra  für  ihn 
schirme  1).  Aber  diese  Loyalität  ist  nur  Maske;  in  Wirklich- 
keit ging  er  darauf  aus,  sich,  Avenn  auch  unter  der  Ober- 
hoheit des  Pharao,  in  den  Besitz  des  ganzen  Küstengebiets 
zu  setzen.  Daher  tritt  er  in  enge  Verbindung  mit  den 
Kriegerscharen  der  Chabiri,  während  er  zugleich  die  Bevölke- 
rung der  Ortschaften  gegen  die  Stadtherren,  die  Vasallen  der 
Ägypter,  aufhetzt.  In  mehreren  Orten,  so  in  Ambia  und 
'Arqa,  ist  sie  diesen  Lockungen  gefolgt  und  hat  die  Fürsten 
erschlagen;  auch  Ribaddi  von  Byblos  wurde  bei  einem  Mord- 
anfall schwer  verwundet.  Er  geriet  in  schwerste  Bedrängnis, 
eine  der  Ortschaften  seines  Gebiets  nach  der  anderen  wurde 
ihm  entrissen,  schließlich  auch  Batrun  (Botrys)  im  Norden 
von  Byblos'^).  Durch  immer  erneutes  Drängen  erreicht  er 
schließlich,    daß    der  König    den  Amanappa  (d.  i.   Amenope, 


')  Am.  62.  60.  64  und  wohl  auch  6ö;  dagegen  gehört  67  nicht 
hierher  (s.  Weber's  Anmerkungen).  —  1,31,  32  ff.  erzählt  Ribaddi,  daß 
Amenophis III.  den  Pachamnata  mit  einem  kleinen  Heer  entsandt  habe; 
dieser  aber  habe  nicht  auf  ihn  gehört,  vielmehr  sein  Sohn  Simyra 
geplündert  (also  wohl  den  Abdasirta  unterstützt).  An  Pachamnatas 
Stelle  ist  dann  Chaja  als  rabis  getreten,  den  Ribaddi  bittet,  sich  Truppen 
geben  zu  lassen,  um  Simyra  wieder  zu  nehmen;  er  selbst  hofft  dann, 
dem  Abdasirta  bei  Sigata  entgegentreten  zu  können.  Chaja  ist  dann 
dauernd  in  Syrien  geblieben,  s.  u.  Erwähnt  auch  66,  4  und  vielleicht 
117,  65  (geschrieben  Cha);  101,  2  wird  er  als  Feind  des  Königs  an- 
geklagt. Er  ist  wohl  mit  Chaja,  dem  Sohn  des  Miare  (d.  i.  Meri  re') 
289,  31,  und  mit  dem  Gesandten  Amenophis'  IV.  an  Burnaburias  Chäi 
11,  19.  rev.  13  identisch;  vgl.  u.  S.  364,  3.  368,  1. 

'^)  Diese  fortschreitende  Entwicklung  läßt  sich  in  den  im  wesent- 
lichen richtig  geordneten  [über  die  Briefe  an  Amanappa  s.  S.  349,  2] 
Briefen  71-93  deutlich  verfolgen.  Ob  69.  70.  99  hierher  gehören,  .'st  sehr 
fraglich;  97.  98.  100  sind  jünger.  In  den  späteren  Briefen  139  u.  140  wird 
die  Ermordung  der  Fürsten  von  'Arqa,  Amnia  und  Ardata  dem  Aziru  zu- 
geschrieben, der  also  damals  der  Gehilfe  seines  Vaters  gewesen  sein  wird. 


^Virren  in  Syrien.    Abdasirta  gegen  Bjblos  349 

Amenophis),  der  früher  Regent  der  Provinz  gewesen  war, 
jetzt  aber  am  Hofe  lebte,  mit  einer  kleinen  Trappenschar  ent- 
sendet 0.  Dieser  scheint  auch  wirklich  nach  Simyra  gekommen 
zu  sein,  konnte  sich  aber  hier  nicht  behaupten^);  sein  Er- 
scheinen bewirkt  vielmehr  nur,  daß  Abdasirta  und  die  Chabiri 
ihre  Angriffe  umso  nachdrücklicher  gegen  Byblos  als  die 
Hauptstütze  der  ägyptischen  Herrscliaft  richten  (79).  Auch 
Zimrida  von  Sidon  ist  auf  die  Seite  Abdasirtas  getreten^), 
was  ihn  ebensowenig  wie  diesen  hindert,  an  den  Pharao  und 
seine  Beamten  loyale  Briefe  zu  schreiben  und  um  Hilfe  gegen 
die  Chabiri  und  Entsendung  eines  Heeres  zu  bitten.  Der 
Fürst  von  Tyros  dagegen  wurde  erschlagen,  und  mit  ihm  die 
Schwester  Ribaddis  und  ihre  Kinder,  die  sich  hierher  ge- 
flüchtet hatten^).  Man  sieht,  wie  die  Notlage  die  Dynasten 
zwingt,  nach  beiden  Seiten  Verbindung  zu  suchen,  wenn  sie 
nicht  untergehn  -wollen.  Byblos  schwebte  drei  Jahre  lang 
(85,  8  f.  86,  38)  in  äußerster  Bedrängnis,  zumal  auch  die  Ver- 
proviantierung vom  Delta  aus  nur  nachlässig  betrieben  wurde. 


')  85,  19  fl'.  hat  Surata  von  Akko  (vgl.  88,^46.  8,  29.  232)  400  Mann 
und  30  Gespanne  erhalten;  Ribaddi  fordert  ebensoviel  für  Byblos. 

'■')  117,  22  fi".  Amanappa  ist  nach  seinem  früheren  Aufenthalt  in 
Simyra  (73,  40)  in  Ägypten,  und  hierhin  sind  die  Briefe  an  ihn  73.  77. 
82.  86.  87  (vgl.  74,  .51  an  den  König)  gerichtet.  Dann  verspricht  er 
sein  Kommen,  worauf  Ribaddi  fordert,  daß  er  sich  300  Mann  vom 
König  geben  lassen  soll  (93).  In  79  ist  er  bei  Ribaddi  eingetroffen; 
die  Briefe  sind  also  von  Knudtzon  falsch  eingereiht.  In  einem  späteren 
Brief  (109,  62)  erwähnt  R.,  daß  Amanappa  und  Cha[ja]  (o.  S.  348,  1) 
Simyra  geräumt  haben;  danach  scheinen  sie  es  vorübergehend  besetzt 
zu  haben.  So  mag  der  Brief  112  hierher  gehören,  nach  dem  der  König 
dem  Ribaddi  befohlen  hat,  Chaja  nach  Simyra  hineinzubringen,  und 
ihm  das  auch  bei  Nacht  gelungen  ist.  —  Gehört  auch  der  seltsame 
Brief  9 6. ."-hierher?  —  Amanappa  vrird  bei  den  folgenden  Ereignissen 
nicht  mehr  erwähnt;  an  seine  Stelle  ist  offenbar  Jancham  getreten, 
neben  dem  Chaja  weiter  funktioniert  (166.  167.  u.  a.). 

^)  83,  16.  Die  Briefe  Zimridas  144.  145  gehören  vermutlich  in 
diese  Zeit. 

*)  Die  weiteren  Angaben  des  Briefs  89  sind  noch  ganz  unver- 
ständlich, so  auch,  in  welchem  Sinne  Tyros  mit  Ugarit  verglichen  wird. 


350     ^^11.  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.   Chetiter  und   Beduinen 

Ribaddi  klagt,  daß  die  Bewohner  ihre  Habe  und  ihre  Kinder 
hergeben  müssen,  um  damit  ihr  Brot  zu  bezahlen :  „Mein  Feld 
ist  wie  eine  Frau  ohne  Gatten,  weil  die  Bestellung  fehlt." 
Schließlich  droht  er,  wenn  er  keine  Antwort  erhalte  oder  in 
zwei  Monaten  kein  Heer  eintrefiFe,  werde  er  entweder  gleich- 
falls sich  mit  Abdasirta  verbünden  oder  mit  seinen  Leuten 
abziehn  und  so  sein  Leben  retten  (82,  83).  Das  hat  gewirkt. 
„Als  Abdasirta  Sirayra  besetzt  hatte",  schildert  Ribaddi  später 
den  Hergang,  „und  ich  die  Stadt  auf  eigene  Faust  schirmte, 
aber  keine  Besatzungstruppe  bei  mir  war,  da  schrieb  ich  dem 
König  meinem  Herrn,  und  ein  Heer  zog  aus  und  nahm 
Simyra"  ^).  Der  Führer  des  Heeres  war  Jancham^),  der  Ver- 
trauensmann des  Königs  für  die  syrischen  Lande.  Abdasirta 
scheint  sich  gefügt  und  seinen  Frieden  mit  Ägypten  gemacht 
zu  haben^);  Simyra  mußte  er  diesem  wieder  überlassen  und 
sich  auf  das  Amoriterland  beschränl^en. 

In  diese  Wirren  haben  nun  aber  auch  die  Nachbarreiche 
eingegriffen,  Mitani  und  die  Chetiter.  Li  den  Briefen  ist  da- 
von immer  nur  in  kurzen,  oft  unverständlichen  Andeutungen 
die  Rede.  So  schreibt  Ribaddi,  als  er  schon  in  großer  Be- 
drängnis ist,  daß  der  Chetiterkönig  Eroberungen  gemacht 
hat*).   Ein  unbekannter  Dynast  berichtet,  daß  der  König  von 


')  Am.  1.38,  28  ff.  {snbi  „Heer"  wird  hier  als  singularisches  Femi- 
ninum konstruiert,  vgl.  hebr.  mXD:!:).  Ähnlich  108,  28  ff.  117,  20  ff.  132, 
10  ff.,  Stellen,  die  freilich  im  einzelnen  noch  nicht  völlig  verständlich 
sind.  Vgl.  auch  127,  31.  —  Nach  131,  38  hat  der  König  nach  dem  argen 
Verhalten  Pachamnatas  (S.  348,  1)  mit  seinem  kleinen  Heer  auf  Ri- 
baddis  Bitten  ein  großes  Heer  geschickt,  das  Erfolg  hatte.  Aus  der  Zeit, 
wo  das  ägyptische  Heer  tatkräftig  eingreift,  haben  wir  begreiflicher- 
weise keine  Briefe. 

*)  Abdchiba  schreibt  289,  45  den  Namen  Jich-enchamu;  steckt 
darin  das  ägyptische  J'^och,  Mond? 

')  Darauf  weist  hin,  daß  Ribaddi  101  seine  Erschlagung  durch 
die  Rebellen  mißbilligt,  da  der  König,  nicht  sie  selbst,  ihn  über  sie 
gesetzt  habe.  —  95,  41  berichtet  Ribaddi  nach  Knudtzon's  Lesung,  daß 
Abdasirta  schwer  krank  ist. 

!  *)  75,  36  ff.:  er  hat  erobert  kali  wutäti  kutiti  (vgl.  o.  S.  102,  1); 


Krieg  zwischen  Mitani  und  den  Chetitern  351 

Mitani  mit  seinen  Streitwagen  und  Truppen  ausgezogen  ist; 
und  durch  Ribaddi  erfahren  wir,  daß  der  Mitanikönig  bis 
Simyra  vorgerückt  war  und  nach  Byblos  ziehn  wollte,  aber 
durch  Wassermangel  zur  Umkehr  genötigt  wurde;  dabei  wurde 
das  Amoriterland  ausgeplündert^).  Damit  werden  wir  verbinden 
dürfen,  daß  Dusratta  von  Mitani,  als  er  nach  seiner  Thron- 
besteigung und  Beseitigung  der  Mörder  seines  Bruders  die 
Freundschaft  seines  Vaters  mit  Amenophis  III.  erneuert,  diesem 
schreibt,  die  Chetiter  hätten  sein  Land  angegriffen,  er  aber 
habe  sie  besiegt,  und  ihm  aus  der  Beute  ein  Zweigespann, 
einen  Knaben  und  ein  Mädchen  als  Geschenk  sendet  (17,  30  ff.). 
Mit  eben  diesem  zeitweiligen  Erfolge  Dusrattas  beginnt  der 
Chetiterkönig  Subbiluljuma  die  Skizze  der  Vorgänge  in  der 
Einleitung  des  Vertrags,  den  er  später  mit  Dusrattas  Sohn 
geschlossen  hat.  Offenbar  hat  Dusratta  den  Krieg  mit  den 
in  Nordsjrien  vordringenden  Chetitern  benutzt,  um  als  Ver- 
bündeter der  Ägypter,  wenn  auch  mit  der  Nebenabsicht,  seine 
Machtstellung  zu  erweitern,  weiter  im  Süden  einzugreifen; 
AbdaSirta  dagegen  wird  in  Verbindung  mit  den  Chetitern  ge- 
standen haben '^). 

Das   Eingreifen   des   ägyptischen   Heers   unter  Jancham 
hat  keine  dauernde  Beruhierunsf  srebracht.  Aus  einem  nur  teil- 


das  weitere:  „der  König  von  Mitta  (Mitani?),  der  König  von  Nachnia 
(Naharain?)  ..."   ist  ganz  unklar. 

')  58;  vgl.  85,  51  ff.,  wo  „König  von  Tana"  wohl  sicher  Schreib- 
fehler für  Mitani  ist.  Ausplünderung  von  Amurri  durch  Mitana  86,  10. 
Weitere  Erwähnungen  in  verstümmelten  Texten  90,  20.  95,  27  ff.  101, 
10.  —  109,  5  ff.  bezieht  sich  nicht  auf  Vorgänge  dieser  Zeit,  sondern 
auf  die  früheren  Kampfe  Ägyptens  mit  Mitani,  in  denen  die  Fürsten 
von  Byblos  auf  ägyptischer  Seite  standen. 

")  Hierher  gehört  wohl  auch  die  Mahnung  des  Königs  von  Alasia 
35,  49,  der  Pharao  solle  mit  den  Königen  von  Chatti  und  Sinear  (.Sanchar) 
nicht  in  Verbindung  treten;  vgl.  die  Anknüpfungsversuche  der  Auf- 
ständischen in  Babylonien  oben  S.  154.  Wenn  Ribaddi  76, 14  sagt,  Abda- 
sirta  benehme  sich  mit  seinem  Eroberungsstreben  wie  ein  König  von 
Mitana  oder  der  Kasse  (Kossaeer)  (ebenso  104,  18  ff.  116,  67  ff.  von  Aziru, 
wo  noch  der  Chetiterkönig  hinzugefügt  ist),  so  ist  das  wohl  auch  eine 
Anspielung  auf  derartige  Beziehungen. 


352     ^'11-  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.    Chetiter  und  Beduinen 

weise  verständlichen  Brief  erfahren  wir,  daß  AbdaSirta  von 
Truppen,  die  ins  Amoriterland  eingebrochen  sind,  erschlagen 
ist,  und  daß  die  Inselfestung  Arados,  die,  soweit  wir  wissen, 
niemals  unter  ägyptischer  Oberhoheit  gestanden  hat,  in  diese 
Händel  eingegriffen  und  mit  ihren  Schilfen  die  Küstenplätze 
angegriffen  hat^).  Ribaddi  von  Byblos  fordert  daher,  der 
König  solle  die  aradischen  Schiffe  in  Ägypten  beschlagnah- 
men; aber  das  geschah  nicht,  und  so  schritten  sie  unbeküm- 
mert weiter.  Allen  Besitz  des  Abdasirta  haben  sie  dessen 
Söhnen,  dem  Aziru  und  seinen  Brüdern,  übergeben,  ihnen  die 
Wiederbesetzung  von  Ullaza,  Ardata,  Ambia,  Sigata  u.  a.  er- 
möglicht, 'Arqa  und  Simyra  bedrängt  (105).  Die  Stadtfürsten, 
soweit  sie  nicht  zu  Aziru  übertraten,  wurden  hingerichtet 
(125,  35.  130,  32).  „Alle  Gebiete  von  Byblos  bis  Ugarit  sind 
feindlich  im  Anschluß  an  Aziru",  während  der  ägyptische 
Statthalter  Jancham  untätig  zuschaut  (98).  Alle  Mahnungen 
Ribaddis,  schleunigst  Truppen  aus  Ägypten  an  Jancham  zu 
schicken  und  in  die  Städte  zu  legen,  verhallten  wirkungslos. 
Schließlich  hat  Ribaddi  es  auf  wiederholtes  Drängen  Janchanis 
möglich  gemacht,  den  Entsatz  von  Simyra  zu  versuchen,  aber 
ohne  Erfolg.  Die  Stadt  wird  von  den  Söhnen  Abdasirtas  zu 
Lande  und  den  Schiffen  von  Arados  zur  See  „wie  ein  Vogel  im 
Käfig"  eingeschlossen'-).    In  engem  Bunde  mit  ihnen  und  mit 


^)  Am.  101,  ofi'enbar  Bruchstücke  eines  Briefs  Ribaddi?.  In  welchem 
Zusammenhang  ZI.  10  Mitana  genannt  wird,  ist  ganz  dunkel,  ebenso  wer 
die  drei  Städte  sind,  ZI.  32,  die  an  der  Ermordung  Abdasirtas  beteiligt 
zu  sein  scheinen.  Sie  wird  ZI.  3  ff.  den  in  Ämurn  eingebrochenen 
Scharen  der  „  r/ri-Zzm-Leute"  zugeschrieben,  die  nach  105,27.  108,  38. 
110,  48  ff.  auch  Schiffe  haben,  die  Arados  an  sich  nimmt.  Erwähnt  auch 
126,  63,  wo  sie  Abdasirtas  Söhne  unterstützen.  Wie  das  Ideogramm  zu 
lesen  und  zu  übersetzen  ist,  ist  unbekannt. 

2)  Der  Verlauf  läßt  sich  an  den  rasch  aufeinander  folgenden  Briefen 
Ribaddis  an  den  König  104.  105.  107.  106.  103  und  seinen  sowie  Japach- 
addis  Briefen  an  Jancham  98.  102  einigermaßen  verfolgen.   In  102,  14. 

104,  37    [wo  Knüdtzon's  Übersetzung  von  ZI.  iB  ff.  offenbar  falsch  ist], 

105,  29,  vgl.  86.  107,  47  erklärt  er,  daß  es  ihm  nicht  möglich  sei,  den 
Befehl,    nach  Simyra   zu   gehn,    auszuführen;   in  103,  14   und  106,  24 


Vordringen  des  Aziru  von  Amurra  gegen  Phoenikien         353 

Arados  stand  auch  jetzt  wieder  Zimrida  von  Sidon,  der  die 
Inselfeste  Tyros  blockierte  und  ihr  Wasser  und  sonstige  Zu- 
fuhr abschnitt,  die  Boten  ihres  Königs  Abimelek  abfing,  und 
den  Aziru  über  alle  Vorgänge  in  Ägypten  auf  dem  laufenden 
hielt  1). 

In  diesen  Kämpfen,  die  sich  jahrelang  hinzogen^),  hat 
Aziru  an  der  Spitze  seiner  Brüder  die  zeitweilig  von  seinem 
Vater  gewonnene  Machtstellung  wieder  erlangt^).  Aber  die 
Bewegung  ging  viel  weiter.   Aziru  stand  in  enger  Verbindung 

dagegen  ist  er  wirklich  dort,  und  112,  40  ff.  läßt  er  den  Chaja  bei  Nacht 
hineinbringen.  In  diese  Zeit  seiner  Abwesenheit  von  Byblos  werden  die 
von  dort  an  den  Pharao  gerichteten  Briefe  139  und  140  fallen,  die 
den  König  über  Aziru  aufklären  sollen  und  daher  auch  seine  früheren 
Frevel  (vgl.  o.  S.  348,  2)  aufzählen.  In  dieselbe  Zeit  gehört  auch  der  Brief 
der  Beamten  von  '^Arqa  100  (der  Stadtfürst  war  ja  unter  Abdasirta  er- 
schlagen) an  den  König,  den  sie  ihrer  Treue  versichern;  er  hasse  sie 
mit  Unrecht,  die  Söhne  des  Königsfeindes  (d.  i.  Abdasirtas)  suchten  sie 
vergeblich  zu  gewinnen.  Sie  sind  in  Bedrängnis  und  haben  das  Stadttor 
verschlossen.  Das  ist  also  ungefähr  gleichzeitig  mit  103,  12,  wo  dem 
ägyptischen  Statthalter  (rahü)  nur  noch  Simyra  und  'Arqa  übrig  ge- 
blieben sind.  Später  wird  es  nicht  mehr  erwähnt,  wird  also  gleichfalls 
bald  genommen  worden  sein.  (Der  Königsbote  Turbichä  100,  12  wird 
gleichzeitig  von  Hibaddi  10-5,  35  erwähnt.] 

')  Daß  die  Briefe  Abimilkis  von  Tyros  146.  147.  1-51  schon  in  diese 
Zeit  gehören,  ergibt  sich  daraus,  daß  er  VA,  -59  ff.  den  Angriö  Aitaqamas 
und  Azirus  auf  Namjawazi  berichtet.  Jünger  sind  149.  148—150,  wo  Si- 
myra gefallen  und  Uzu  (Palaetyros)  von  Zimrida  genommen  ist  (149,  39- 
49.  67),  und  dann  1.53—1.56.  —  Zimrida  (ebenso  wie  Japach-addi)  Gegner 
des  Ribaddi  von  Byblos  103,  18.  106,  19  (wie  vorher  83,  25,  o.  S.  349). 

*)  106,  16  sagt  Ribaddi,  daß  die  Feindschaft  gegen  ihn  schon 
fünf  Jahre  bestehe. 

^)  Wie  es  scheint,  ist  Aziru  erst  allmählich  als  der  führende  unter 
den  Söhnen  Abdasirtas  (von  denen  nur  Puba'al  104,  7  als  Eroberer 
von  Ullaza  und  vielleicht  Ba'aluja  165,  9.  170,  2  mit  Namen  genannt 
sind)  hervorgetreten;  in  102 — 106.  108  ist  von  ihnen  immer  nur  kol- 
lektiv die  Rede;  107,  26  erscheint  Azirus  Name  in  Ribaddis  Briefen 
zum  ersten  Mal.  Mit  Recht  hat  daher  Knudtzon  diese  Briefe  an  den 
Anfang  gestellt.  Freilich  sagt  Ribaddi  auch  später  noch  oft  einfach  „die 
Söhne  Abdasirtas",  so  bei  der  Einnahme  Simyras  116,  12;  vermutlich 
waren,  während  Aziru  in  Tunip  saß,  an  der  Küste  vorwiegend  seine 
Brüder  tätig. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    II'.  23 


354      ^n.  Niedergang  der  ägyptischen  .Alacht.   Chetiter  und  Beduinen 

mit  Aitaqania,  dem  König  der  großen  Stadt  Kinza  (Qade§)  am 
Orontes  im  Hinterlande  des  Amoritergebiets,  der  daran  ging, 
sich  das'Amq,  die  Hochebene  der  xoiXt]  Supia  (Biqä')  zwischen 
Libanon  und  Antilibanon,  und  das  Land  Ubi,  die  Ebene  von 
Damaskus,  zu  unterwerfen.  In  beiden  Landschaften  machten 
einzelne  Dynasten,  in  Ubi  Arzawija  von  Ruchizi  und  Teuwatti 
von  Lapana,  im  'Amq  Dasa  mit  ihm  gemeinsame  Sache,  wäh- 
rend diejenigen,  die  Ägypten  treu  blieben,  ihre  Ortschaften 
niedergebrannt  sahen  und  erfolglos  flehentliche  Hilfsgesuche 
an  den  König  sandten^).  Der  benachbarte  Dynast  Namjawaza^) 
sah  sein  Gebiet  verwüstet,  sein  Leben  bedroht;  die  Stadt 
Janu'am  verschloß  ihm  die  Tore,  mehrere  andere  Fürsten,  so 
der  von  Busruna  (wahrscheinlich  Bostra  im  Haurän)  traten  auf 
Seiten  seiner  Gegner;  er  versuchte,  die  Landschaft  Tachas, 
Damaskus  und  die  Festung  Kumedi  am  Südeingang  der  Biqä' 
zu  schützen,  aber  auch  Damaskus  ist,  wie  es  scheint,  von 
Aziru  besetzt  worden^). 

Diese  Erfolge  sind  dem  Aitaqama  und  Aziru  ermöglicht 
worden  durch  die  Verbindung  mit  den  Chetitern.    Bei  diesen 

M  Gleichlautende  Briefe  der  Fürsten  von  Chasab,  Chazi  und  zwei 
anderen  Orten  aus  der  Zeit,  wo  Aitaqama  zu  den  Chetitern  zieht: 
Am.  173 — 175  und  Rev.  d'Ass.  19,  94.  Aitaqama  und  Aziru  im  'Amq: 
Am.  140.  Weiteres  in  AHzzis  Brief  53. 

^)  In  welche  Stadt  er  gehört,  ist  aus  seinen  Briefen  nicht  zu 
erkennen;  vielleicht  ist  sein  Vater  Sutarna  (194,  9)  mit  dem  Dynasten 
dieses  Namens  von  Musichuna  identisch,  der  182 — 184  um  Truppen 
zur  Wiedereinnahme  der  Städte  des  Königs  bittet.  Die  Lage  dieses 
Orts  kennen  wir  freilich  auch  nicht. 

^)  Aitaqamas  Vorgehn  in  Ubi  (wofür  N.  Abi  schreibt)  und  gegen 
Namjawaza  berichtet  Akizzi  53,  26  jGF.  an  Amenophis  ITI. ;  mithin  ge- 
hören außer  151,,  59  ff.  (vgl.  o.  S.  353. 1)  auch  Namjawazas  Briefe  194—197 
hierher;  zu  197.  16  ff.  bildet  Aitaqamas  Darstellung  189,  9  ff.  das  Gegen- 
stück. —  Namjawazas  Gegner  mit  dem  arischen  Namen  Biridaswa 
197,  7.  33.  196  scheint  Fürst  von  Janu'am  gewesen  zu  sein.  —  Wenn 
Ribaddis  Meldung  107,  26  exakt  ist,  daß  Aziru  mit  seinen  Brüdern  in 
Damaskus  ist,  so  muß  er  das  dem  Namjawaza  (197,  21)  entrissen  haben; 
darauf  übernimmt  Arzawija  die  Truppen  des  Aziru  (197,  26  ff.).  Die 
Notlage  von  Damaskus  deutet  auch  Akizzi  53,  63  durch  den  Vergleich 
mit  Qatna  an;  später  wird  es  nicht  wieder  erwähnt. 


Aziru  und  Aitaqama.    Eingreifen  Subbiluljuinas  355 

hatte  König  Subbiluljuma  zunächst  die  stark  verfallene  Macht 
des  Reichs  im  östlichen  Kleinasien  wieder  gefestigt.  Dann 
wandte  er  sich  gegen  Dusratta  von  Mitani,  um  ihm  seine  Er- 
oberungen in  Nordsyrien  zu  entreißen.  Dabei  kam  ihm  die 
Verbindung  mit  den  Aufständischen  wesentlich  zustatten; 
während  er  Nordsyrien  verwüstete,  zog  Aitaqama  ihm  mit 
seinen  Truppen  entgegen  und  griff  den  König  Akizzi  von 
Qatna^)  an,  den  er  vergeblich  zum  Anschluß  an  die  Chetiter 
zu  bringen  suchte.  In  gleiche  Bedrängnis  gerieten  die  Könige 
von  Nuchasse,  Ni,  Zinzar,  Tunanat  und  die  Stadt  Tunip; 
Hadadnirari  von  Nuchasse,  Akizzi  von  Qatna  und  andere 
richteten  dringende  Hilfsgesuche  an  den  Pharao;  Tunip  bat, 
ihm  endlich  —  nach  zwanzig  Jahren  —  ihren  Thronerben, 
den  Sohn  des  Akitesup,  zuzusenden,  aber  vergeblich.  Vielmehr 
drang  jetzt  auch  Aziru  nach  Norden  vor  und  hat  Ni  und  bald 
darauf  auch  Tunip  besetzt.  Der  König  von  Nuchasse,  Aitaqama, 
Aziru  haben  dann  dem  Subbiluljuma  gehuldigt;  dieser  kann 
sich  rühmen,  daß  er  seine  Herrschaft  bis  zum  Libanon  aus- 
gedehnt habe 2).  Mit  Ägypten  blieb  er  trotzdem  in  freund- 
schaftlichen  Beziehungen   und    tauschte    mit   Amenophis  III. 

')  [Jetzt  (Anfang  1928)  ist  durch  französische  Ausgrabungen  fest- 
gestellt worden,  daß  Qatna  mit  der  großen  Ruinenstadt  Mesrife,  westlich 
von  Emesa  (Homs)  im  Quellgebiet  des  Eleutheros  identisch  ist.] 

-)  Auskunft  über  diese  Vorgänge  geben  die  Briefe  Akizzis  an 
Amenophis  III.  .52—57,  der  von  Tunip  .59,  der  Hadadniraris  von  Nuchasse 
51,  ferner  die  aus  dem  *Amq  174—176  und  Rev.  d'Ass.  19,  94,  und  die 
Namjawazas  196.  197,  sowie  die  Azirus  (s.  u.  S.  .358.  3).  In  dem  Brief  von 
Tuni})  ist  leider  die  wichtigste  Stelle  21  ff.  völlig  dunkel,  und  auch  im 
folgenden  nicht  erkennbar,  ob  die  Aussagen  über  Aziru  als  Praeteritum 
oder  als  Futurum  zu  übersetzen  sind.  Ebenso  ist  ganz  unklar,  was 
Akizzi  .5,5,  53  ff.  über  das  Verhalten  des  Chetiterkönigs  gegen  die  Sonne, 
„den  Gott  meines  Vaters%  berichtet.  Subbiluljuma  erwähnt  im  Vertrag 
mit  Mattiwaza  seinen  ersten  Feldzug  gegen  Dusratta  nur  kurz  ZI.  3  f. 
Daß  damals  Aziru  sein  Vasall  geworden  ist,  gibt  sich  aus  dem  Vertrage 
Mursils  II.  mit  Dubbitesup  von  Amurru  ZI.  2  f.,  wonach  er  später  von 
Subbiluljuma  abgefallen  ist.  Der  Libanon  heißt  bei  den  Chetitern  Nib- 
lani  oder  Lablani.  —  Daß  Muwattal  in  dem  Überblick  der  Beziehungen 
Subbiluljumas  zu  Syrien  bei  Forreb,  Forsch.  II  10.  diesen  ersten  Feld- 
zug übergangen  hat,  ist  oben  S.  841   schon  erwähnt. 


356     ^'11-  Nit'dergano-  der  ilgjptlschen  Macht.   Chetiler  und  Beduinen 

Briefe  und  Geschenke;  da  von  hier  aus  nichts  gegen  ihn  ge- 
schah, mag  er  Nordsyrien  als  herrenloses  Land  betrachtet 
haben,  auf  das  ihm  von  den  Siegen  seiner  Vorfahren  über 
Aleppo  her  ein  Anrecht  zustehe.  Auch  von  einer  Gegenwehr 
Dusrattas  erfahren  wir  nichts^).  Seine  Lage  zwang  ihn  zu 
noch  engerem  Anschluß  an  Ägypten ;  als  Amenophis  IIL  auch 
von  ihm  seine  Tochter  Taduchepa  verlangte,  schickte  er 
sie,  anders  als  seine  Vorgänger,  sofort  mit  reicher  Mitgift; 
natürlich  erwartete  er  dafür  noch  viel  mehr  Gold,  als  diese 
erhalten  hatten''). 

Der  Thronwechsel  in  Ägypten.  Fortgang  der  Wirren  in  Syrien 

Bald  darauf  ist  Amenophis'  IIL  Regierung  in  seinem 
36.  Jahre  zu  Ende  gegangen.  Dusratta  sandte  ihm,  offenbar 
um  ihm  Genesung  zu  bringen,  das  Kultbild  der  Istar  von 
Ninive,  der  „Herrin  der  Lande",  die  selbst  verkündet  hatte, 
sie  wolle  nach  Ägypten  ziehn,  „dem  Lande,  das  ich  liebe". 
„Möge  Istar,   die  Herrin  des  Himmels^),  meinen  Bruder  und 


')  In  Betracht  kommt  die  Angabe  Akizzis  -56,  86  ff.  =  54.  38  ff., 
der  aus  Mitani  zurückkehrende  ägyptische  Gesandte  melde,  daß  dort 
drei  oder  vier  Könige  dem  Chetiterkönig  feind  seien.  Der  Bericht  aus 
Byblos  140,  31  ff.  über  das  Verhalten  der  Könige  von  Chatti  und  Narima 
(=  Mitani)  bricht  mitten  im  Satze  ab. 

^)  Bei  diesem  Anlaß  ist  auch  der  große  Brief  Dusrattas  in  char- 
rischer  Sprache  geschrieben  (behandelt  vor  allem  von  Jensen,  Z.  Ass.  V, 
VI.  XIV,  und  Messerschmidt,  Mitanistudien,  Mitt.  Vorderas.  Ges.  1894,  4; 
die  phantasievolle  Arbeit  von  Bork,  Die  Mitanisprache,  Mitt.  Vorderas. 
Ges.  1909,  1  hat  keine  Förderung  gebracht),  in  dem  auch  von  einer 
Grenzregulierung  die  Rede  ist:  die  Landschaft  Masrianni  soll  dem  Ame- 
nophis, die  Landschaft  Charruche  dem  Dusratta  gehören;  beide  sind 
unbekannt.  —  Den  regen  Verkehr  zwischen  beiden  Ländern  zeigt  außer 
den  Angaben  der  Briefe  über  die  Gesandtschaften  z.  B.  Am.  255  über 
die  Entsendung  von  Karawanen  nach  Chanigalbat  (d.  i.  Mitani). 

^)  Die  Göttin  von  Ninive  erhält  hier  dieselben  Titel  wie  alle  großen 
Göttinnen  Ägyptens;  man  sieht,  wie  ähnlich  in  allen  Kulturstaaten  die 
religiösen  Grundanschauungen  geworden  sind.  Das  Entscheidende  ist 
lediglich  Name  und  Bild  der  zu  universeller  Wirkung  erhobenen  Lokal- 
gottheiten:   „Istar  ist  für  mich    mein  Gott;    für   meinen  Bruder"   (der 


Tod  Amenophis'  III.    Amenopbis  IV.  und  Mitani  357 

mich  beschützen  und  hunderttausend  Jahre  uns  große  Freude 
uns  beiden  geben!"  —  Wünsche,  wie  sie  in  den  ägyptischen 
Königsinschriften  immer  wieder  ausgesi^rochen  und  von  den 
Göttern  zugesagt  worden. 

Die  Erfüllung  hat  auch  Istar  nicht  zu  gewähren  ver- 
mocht. An  den  Thronerben  Amenophis  IV.  senden  dann  so- 
wohl Subbiluljuma  wie  Dusratta  Schreiben  mit  der  Bitte  um 
Fortsetzung  der  alten  Freundschaft  und  Überweisung  der  vom 
Vater  versprochenen  Geschenke.  Dem  Mitanikönig  mußte  alles 
daran  liegen,  die  Verbindung  mit  Ägypten  zu  festigen;  immer 
von  neuem  versichert  er  seine  Anhänglichkeit  und  Liebe 
„Chanigalbat  und  Ägypten  sind  eins"  — ;  er  wendet  sich  zu- 
gleich an  die  Königin  Teje,  die  die  Beziehungen  zwischen 
beiden  Reichen  genau  kenne,  damit  sie  bei  ihrem  Sohn  ihren 
Einfluß  geltend  mache.  Aber  Amenophis  IV.  blieb  spröde, 
trotz  der  Rücksicht,  die  er  auf  seine  Mutter  nahm^;  er  hat 
zwar  die  Taduchepa  aus  dem  Harem  seines  Vaters  in  den 
eigenen  übernommen,  aber  die  Hoffnung  auf  viel  Gold  nicht 
erfüllt:  statt  der  vom  Vater  versprochenen  Gottesbilder  aus 
purem  Gold,  besetzt  mit  Lasursteinen,  schickte  er  nur  mit  Gold 
überzogene  Holzbilder.  Die  Boten  aus  Mitani  hielt  er  lange 
Zeit  an  seinem  Hofe  fest 2).  Der  kriegerische  Geist  seiner 
Ahnen  war  schon  in  seinem  Vater  völlig  erloschen,  sein  In- 
teresse aber  ganz  anderen  Aufgaben  zugewandt;  so  blieben 
ihm  die  Vorgänge  in  Asien  gleichgültig,  und  er  hat  sie  im 
Grunde  gehn  lassen,  wie  sie  wollten. 

Beiden  Pharaonen  sind  offenbar  die  fortwährenden  Klagen 
aus  Syrien  und  vor  allem  die  dringenden  Mahnungen  Ribaddis 
unbequem  und  lästig  gewesen^).  Man  mochte  am  Hofe  denken, 
sie  daher  zurücksenden  soll)  ^ist  sie  nicht  sein  Gott",  setzt  Dusratta 
am  Schluß  hinzu. 

')  Im  Grabe  des  Cheru-f  in  Theben  aus  dem  Anfang  seiner  Re- 
gierung steht  Teje  hinter  ihm  in  Verehrung  vor  Atum  und  Hathor 
(Davies  im  J.  Eg.  Archaeol.  IX  134,  pl.  22,  1). 

^j  Ebenso  zurückhaltend  war  er  Subbiluljuma  gegenüber  (Am.  -11, 
14  f.). 

*)  Vgl.  IOC,  13  ff.   117,  7  ff.  124.  3.5  fl'.     Einen    besonderen   Grund 


358      VII.  Niedergang  der  ägyptischen  Macht     Chetiter  und  Beduinen 

daß  diese  Zänkereien  zwischen  den  Dynasten  herkömmlich  seien 
und  ein  jeder  selbstsüchtige  Absichten  verfolge,  ja  daß  im 
Grunde  durch  ihre  Rivalität  die  ägyptische  Oberhoheit  nicht 
gefährdet,  sondern  eher  sicher  gestellt  werde.  Auch  haben 
die  Beschuldigten  sich  nicht  etwa  oflfen  als  Rebellen  erklärt, 
sondern  schrieben  an  den  Pharao  und  seine  Beamten  als  loyale 
Untertanen,  die  ihnen  von  den  Gegnern  gemachten  Vorwürfe 
seien  böswillige  Verleumdungen.  Aitaqama  von  Kinza  (Qades) 
behauptet,  Narajawaza  habe  die  Händel  angefangen  und  seine 
Ortschaften  niedergebrannt;  er  dagegen  habe  ihm  die  Land- 
schaften Tachas  und  Ubi  wieder  entrissen  und  unter  dem 
Schutze  „deiner  Götter  und  deiner  Sonne  an  den  König, 
meinem  Herrn,  zurückgebracht".  Da  jeder  der  beiden  Dynas- 
ten Nomadenschareu  in  seinem  Dienst  hatte,  kann  jeder  dem 
anderen  vorwerfen,  dieser  übergebe  das  Land  den  Chabiri, 
während  er  selbst  diese  wieder  verjage^).  Nicht  anders  äußern 
sich  später  Zimrida^)  und  Aziru,  der  sein  Vorgehn  gegen  Si- 
myra  damit  verteidigt,  daß  man  ihn  dort  nicht  eingelassen 
liabe^),  und  um  Schutz  gegen  den  drohenden  Angriff  des 
Chetiterkönigs  bittet;  damit  wird  er  auch  die  Besetzung  von 
Tunip  gerechtfertigt  haben*).  Auch  war  es  ja  keineswegs  die 


zur  Beschwerde  hatte  Ribaddi  noch  durch  einen  Rechtshandel  (dm) 
mit  dem  Beamten  im  Delta  Japachaddi  (so  schreibt  er  selbst  seinen 
Namen  in  den  Briefen  97  und  98;  bei  Ribaddi  immer  Japa-addi),  der 
behauptet,  für  die  Getreidelieferungen  nach  Byblos  keine  Bezahlung 
erhalten  zu  haben  und  daher  Ribaddis  Besitz  und  Schiffe  beschlag- 
nahmt. Dieser  beschuldigt  ihn  daher  des  Zusammenwirkens  mit  den 
Rebellen  Zimrida  von  Sidon  und  Aziru  (83,  25.  103,  19.  106,  19.  114, 
16).  Dieser  Prozeß  zieht  sich  von  den  Zeiten  Abdasirtas  an  durch 
alle  Briefe  Ribaddis,  ohne  daß  dieser  eine  definitive  Entscheidung 
erreicht. 

'j  Aitaqama  189  und  Namjawaza  197  stellen  30  dieselben  Vor- 
gänge von  entgegengesetztem  Standpunkt  aus  dar.  In  195  redet  Nam- 
jawaza von  „meinen  Truppen,  Wagen  und  Brüdern,  meinen  Chabiri  und 
meinen  Süti",  die  er  für  den  Dienst  des  Königs  bereithalte. 

^)  144  f.,  vielleicht  schon  in  die  Zeit  Abdasirtas  gehörig. 

')  157,  11. 

*)  Er  schreibt  165.  166.  161  von  seinem  Aufenthalt  in  Tunip.  ohne 


Die  Lage  in  Syrien.    Eingreifen  der  Ägypter  359 

Absicht  dieser  Dynasten,  nun  etwa  die  ägyptische  Oberhoheit 
mit  einer  anderen  zu  vertauschen;  sondern  sie  benutzen  die 
politische  Lage,  um  ihren  Machtbereich  gegen  die  Rivalen 
möglichst  auszudehnen,  verwenden  dazu  die  Truppen,  die  sie 
von  den  Beduinen  beziehn,  und  halten  sich  in  den  Verhand- 
lungen mit  den  Ägyptern  wie  mit  dem  Chetiterkönig  den  Weg 
nach  beiden  Seiten  offen. 

Schließlich  hat  man  sich  in  Ägypten  doch  noch  zu  einem 
Einschreiten  aufgerafft,  wie  es  scheint,  eben  um  die  Zeit  des 
Thronwechsels  0.  Die  Oberleitung  der  asiatischen  Angelegen- 
heiten am  Hof  lag  in  den  Händen  Janchams,  um  dessen 
Wiederentsendung  mit  einem  Heer  Ribaddi  und  andere  immer 
von  neuem  bitten.  Er  selbst  ist  freilich  zunächst  noch  in 
Ägypten  geblieben-);  aber  nach  Syrien  wird  ein  Heer  ent- 
sandt, wie  es  scheint  unter  Führung  des  Pachor-').  An  alle 
Vasallen  ergeht  der  Befehl,  dafür  Truppen  und  Lebensmittel 
bereit  zu  halten,  und  nicht  nur  zahlreiche  kleinere  Dynasten 


daß    dafür  eine  Rechtfertigung  erforderlich  wäre;    auch   in  dem  Brief 
des  Königs  162  wird  ihm  deshalb  kein  Vorwurf  gemacht. 

')  Für  diese  Datierung  spricht,  daß  Ribaddi  in  dem  nach  ZI.  22 
an  Amenophis  IV.  gerichteten  Brief  117  den  Bichura  erwähnt,  siehe 
Anm.  8. 

2)  Als  der  rabis  von  Simyra  gestorben  ist,  bittet  Ribaddi,  den 
Jancham  an  seine  Stelle  zu  setzen  (106).  und  drängt  auf  sein  Kommen 
(102.  116,  72),  ebenso  Abdchiba  von  Jerusalem  2S9,  4.5  und  Bajawa  215. 
Aber  nach  dem  Falle  von  Simyra  ist  er  noch  am  Hofe  (116,  73.  132,  29. 
vgl.  127,  23);  danach  muß  auch  117,  61  verstanden  werden,  wo  Am.  IV. 
aufgefordert  wird,  Jancham  und  Pachor  zu  befehlen,  daQ  sie  mit  den 
Stadtfürsten  zusammen  Amurri  besetzen  sollen.  Auch  zur  Zeit  der 
Briefe  Suwardatas  (283.  284.  Rev.  d'Ass.  49,  98)  ist  Jancham  noch  am 
Hof,  ebenso  289,  45.  296,  24  und  in  dem  an  ihn  gerichteten  Brief  256. 
dagegen  171,  5.  270  f.  286,  28  in  Syrien. 

3)  Der  Name  wird  meist  Puchuru  (189.  18jf.  190,  2.  207.  17.  20«,  11), 
aber  bei  Ribaddi  Bichura  (117,;61.  123,  13.  34.  132,  47)  und  Pachura 
(122,  31)  geschrieben.  Aus  der  Kombination  von  116,  75  und  129,  85 
mit  132,  47  ergibt  sich,  daß  ihm  der  Verwaltungsbezirk  Kumedi  zu- 
gewiesen ist,  ,also  Coelesyrien,  vielleicht  nebst  Galilaea.  Neben  dem 
ägyptischen  Kommandanten  {rabis  oder  rahüj  steht  natürlich  der  Stadt- 
fürst Von  Kumedi  198. 


360      ^n.  Niedergang  der  ilgyi>tisehen  Tvlacht.   Chetiter  und  Beduinen 

erklären   ihren  Gehorsam^),    sondern  ebenso  Aitaqama  sowie 
Arzawija  von  Riicbizi")- 

Zu  bedeutender  Wirkung  hat  freilich  auch  dies  Eingreifen 
nicht  geführt.  Vielmehr  ist  eben  um  die  Zeit  des  Thronwech- 
sels Simyra  dem  Aziru  übergeben  worden;  der  Kommandant 
Pawaru,  den  Ribaddi  vergeblich  gewarnt  hatte,  wurde  er- 
schlagen'O-  So  geriet  Ribaddi  vollends  in  dieselbe  Lage,  wie 
zur  Zeit  Abdasirtas.  Nicht  besser  erging  es  dem  Abimelek 
von  Tyros;  zwar  ein  Angriff  Zimridas  von  Sidon  im  Bunde 
mit  Aziru  und  Arados  auf  die  Festung  selbst  wurde  abge- 
schlagen, aber  Uzu  (Palaetyi'os)  auf  dem  Festlande  hat  Zimrida 
besetzt  und  so  der  Inselfestung  das  Trinkwasser  und  den  Be- 
zug von  Holz  abgeschnitten  und  die  Bestattung  der  Toten 
unmöglich  gemacht^).  Ribaddi  hielt  allen  Mahnungen  seiner 
Familie  zur  Versöhnung  mit  Aziru  gegenüber  an  dem  Ver- 
trauen auf  ägyptische  Hilfe  fest,  und  als  seine  Untertanen, 
deren  Bedrängnis  stetig  anwuchs,  in  dem  Glauben,  diese  werde 
niemals  kommen,  sich  empörten,  hat  er  den  Aufstand  blutig 
niedergeschlagen.  Schließlich  aber  blieb  ihm  kein  anderer 
Ausweg,  als  nach  Berytos  zu  dessen  König  Ammunir  (Cham- 
munir)   zu  gehn,  um  von  dort  Hilfe  zu  holen.    Da  hat  ihm, 


')  Siehe  die  Schreiben  198.  195  .(Namjawaza).  201—208.  211  ff. 
Einige  dieser  Briefe  können  natürlich  auch  zu  einem  späteren  Feldzug 
gehören. 

^)  189.  191  f. 

-')  Ribaddi  meldet  das  116  an  Amenopbis  IV..  der  eben  den  Thron 
seines  Vaters  bestiegen  hat.  Übergabe  durch  Chaib  oder  Chabi  132,  42. 
149,  37  (Brief  Abimeleks).  [Die  Angaben  über  Chaib  und  Simyra  107, 
14  ff.  sind  ganz  unklar.  Wenn  Knudtzon's  Ergänzungen  in  133  richtig 
sind,  ist  Chaib  dann  nach  Ägypten  gegangen.]  Tötung  des  Pawara  oder 
Biwari  [vielleicht  pa-uer  „der  Große"]  129,  95  f.  131,  22.  132,  45.  Rev. 
d'Ass.  19,  91.  Hier  wird  er  als  rabis  mit  der  Glosse  zukitii,  d.  i.  po 
(ebenso  256,  9)  bezeichnet,  und  dieser  Titel  erhält  131,  21  und  23  den 
Zusatz  malik  sarri,  d.  i.  etwa  Rat  oder  Bevollmächtigter  des  Königs. 
Erwähnt  wird  Pawaru  auch  124,  44.  263,  21  und  von  Abdchiba  von 
Jerusalem,  der  sein  Eintreffen  erwartet,  287,  45  (Pauru). 

*)  Brief  Abimeleks  149  (gleichzeitig  mit  der  Einnahme  von  Simyra 
ZI.  39.  59)  148.  150. 


Untergang  Ribaddis  vor  Byblos  361 

unter  Führung  seines  Bruders,  Byblos  die  Tore  verschlossen 
und  ist  zu  Aziru  übergetreten.  „Was  seit  Ewigkeit  nicht  ge- 
schehn  ist,  unsere  Götter  sind  aus  der  Stadt  ausgezogen." 
Aus  seinem  Exil  sandte  der  alte  Mann,  dessen  Familie  in  den 
Händen  seiner  Feinde  war,  immer  wieder  flehentliche  Briefe 
an  den  Pharao,  in  denen  er  den  Reichtum  und  die  Bedeutung 
von  Byblos  für  Ägypten  betont;  er  schickte  seinen  Sohn  an 
den  Hof,  aber  schon  vier  Monate  lang  ist  er  dort  festgehalten, 
ohne  daß  er  das  Antlitz  des  Königs  gesehn  hat^).  Nicht  min- 
der dringend  sind  die  Hilfsgesuche  des  Abimelek  von  Tyros. 
Endlich  erhalten  er  und  Ammunir  von  Berytos  die  Ankün- 
digung, daß  ein  ägyptisches  Heer  eintreffen  wird,  und  halten 
sich  bereit,  es  aufzunehmen.  Damit  brechen  diese  Briefe  ab-). 
Aus  einem  späteren  Schreiben  des  Pharao  an  Aziru  erfahren 
wir,  daß  Ribaddi,  der  sich  vergeblich  an  diesen  gewandt  hatte 
und  schließlich  nach  Sidon  gegangen  war,  —  offenbar  hat  er 
in  Verzweiflung  über  seine  Lage  ein  Abkommen  mit  seinen 
Gegnern  gesucht,  das  ihm  die  Rückkehr  nach  Byblos  ermög- 
lichen sollte  —  hier  von  Aziru  seinen  Feinden  ausgeliefert 
und  getötet  ist^). 

Diese  Vorgänge  haben  sich  offenbar  über  mehrere  Jahre 
erstreckt.  Wie  weit  dabei  ein  Eingreifen  einerseits  Mitanis, 
andrerseits  der  Chetiter  mitgewirkt  hat,  läßt  sich  nicht  er- 
kennen.   Nach   Subbiluljumas  Darstellung  hat   Dusratta    den 

')  Am.  134—138. 

^)  Am.  141 — 143.  1-53.  154.  Große  Schwierigkeiten  bieten  15.5  [mit 
der  völlig  rätselhaften  Bezeichnung  von  Tyros  als  , Stadt  der  Salma- 
jäti"  und  des  Dynasten  als  Diener  desselben].  Der  Schluß  lautet,  schein- 
bar ganz  zusammenhanglos:  „Der  König  frage  den  rabis,  ob  sie  [wer?] 
in  Simyra  wohnen.  Siehe,  der  Dynast  von  Berut  ist  zu  Schiff  gegangen, 
und  der  von  Sidon  geht  auf  zwei  Schiffen,  und  ich  gehe  mit  allen  Schiffen 
meiner  ganzen  Stadt ('?).  Und  es  sorge  der  König  für  seine  Diener  und 
schütze  die  Schiffe  (?)  des  Königs  in  .  . ."  Gehört  das  hierher,  so  fahren 
diese  Dynasten  wohl  den  aus  Ägypten  zur  See  erwarteten  Truppen  ent- 
gegen; dann  hätte  also  auch  Zimrida  von  Sidon  sich  jetzt  ebenso  wie 
Aziru  U.S.W,  gefügt,  wie  er  142  erklärt,  alles  für  die  Ankunft  des 
ägyptischen  Heeres  bereit  zu  machen. 

•)  162.  1  ff. 


362      VII.  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.   Chetiter  und  Beduinen 

Frieden  mit  ihm  aufs  neue  durch  Kriegszüge  nach  Nordsyrien 
—  das  die  Chetiter  als  von  Rechts  wegen  ihnen  gehörig  be- 
trachteten —  gebrochen  und  dabei  den  König  Sarrupsa  von 
Nuchasse  verjagt.  Der  Chetiterkönig  hat  diesem  Unterstützung 
zugesagt  und  ihm,  wie  es  scheint,  auch  einige  Truppen  ge- 
sandt, aber  weiter  zunächst  nicht  eingegriffen^).  In  den  näch- 
sten Jahren  regieren  hier  mehrere  Könige  gemeinsam,  die 
auch  mit  dem  ägyptischen  Gesandten  wieder  in  Verbindung 
stehu-);  auch  Aitaqama  von  Kinza  und  Aziru  treten  jetzt 
unter  die  ägyptische  Oberhoheit  zurück.  In  den  Amarna- 
briefen  wird  ein  Eingreifen  Mitanis  in  dieser  Zeit  nie  er- 
wähnt'^); trotzdem  ist  wohl  anzunehmen,  daß  ein  von  Dusratta 
im  Bunde  mit  Ägypten  ausgeübter  Druck  diesen  Wandel 
herbeigeführt  hat. 

Die  Zustände  in  Paiaestina 

Nicht  besser  als  im  Orontesgebiet  und  in  Phoenikien 
sah  es  in  Paiaestina  aus.  Auch  hier  sind  die  Briefe  voll  von 
Klagen  über  Gewalttätigkeiten  einzelner  Dynasten,  über  rebel- 
lische Ortschaften,  über  das  Vordringen  und  die  Plünderungen 
der  Chabiri,  denen  das  ganze  Land  anheimzufallen  droht,  nebst 
Mahnungen  zur  Entsendung  von  Truppen  und  Besatzungen 
für  die  bedrohten  Städte;  dazu  kommen  dann,  außer  Angaben 
ü])er  die  geleisteten  Tribute  (vor  allem  Sklaven  und  Sklavinnen) 
und  Beförderung  der  nach  Chanigalbat  und  nach  Babylonien 


')  Vertrag  mit  Mattiwaza  ZI.  r>  ff.  .Ss;  Vertrag  mit  Tette  von 
Nachasse  ZI.  2  ff. 

2)  Am.  160,  '24.  161,  36.  169,  97;  Vertrag  Mursils  mit  Dubbitesup 
von  Amurru  ZI.  .3.  Ih.  Es  werden  die  Verwandten  Sarrupsas  sein,  die 
dann  Subbiluljuma  gefangen  fortführt,  die  also  Vasallen  von  Mitani 
geworden  waren  (Vertrag  mit  Mattiwaza  38  f.). 

3)  In  der  Angabe  109,  39  f.  =  108,  13  f.  (vgl.  auch  100,  21),  die 
Söhne  Abdasirtas  hätten  gefangene  ägyptische  Offiziere  und  Soldaten 
für  Lebensmittel  an  das  Land  Subari  (in  108  verschrieben  Suri)  ina 
luqi  (etwa:  zur  Beute)  gegeben,  ist  unter  Subari  gewiß  nicht  Mitani 
zu  verstehn;  sondern  es  sind  Händler  aus  den  mesopotamischen  Wander- 
stämmen,   denen  die  Gefangenen   als  Schuldknechte   gegeben  werden. 


Kämpfe  in  Palaestina.  Vordringen  der  Beduinen  363 

gehenden  Karawanen,  die  Versicherungen  unbedingten  Gehor- 
sams gegen  den  König  und  seinen  Beamten,  den  sie,  wenn  er 
den  ersehnten  Kriegszug  antritt,  aufnehmen  und  verpflegen 
und  mit  ihren  Truppen  unterstützen  werden.  Wie  wüst  die 
Zustände  im  Lande  sind,  zeigen  die  Beschwerden  des  Burna- 
burias, daß  zwei  an  Amenophis  IV.  geschickte  Karawanen  von 
den  ägyptischen  Statthaltern  ausgepUindert,  babylonische  Kauf- 
leute von  dem  Stadtfürsten  Zatatna  von  Akko  und  einem  be- 
nachbarten Dynasten  in  dem  Ort  Chinaton  in  Galilaea  aus- 
geplündert und  umgebracht  seien  ^);  an  den  Pharao  schreiben 
beide  natürlich  sehr  loyale  Briefe.  Im  Norden  Palaestinas, 
wo  Namjawaza  (o.  S.  354)  die  Sache  des  Königs  vertrat-),  war 
alles  in  Gärung.  Der  Fürst  der  Bergfeste  Chasor  suchte  in 
Verbindung  mit  den  Chabiri  sein  Gebiet  auszudehnen  und  hat 
unter  anderem  dem  Ajab,  dem  Herrscher  der  viel  weiter  im 
Süden  jenseits  des  Jordan  gelegenen  Stadt  Pella,  drei  Ort- 
schaften entrissen,  also  ein  großes  Gebiet  zusammengebracht^). 
Aber  auch  Ajab  scheint  in  ähnlicher  Weise  um  sich  gegriffen 

')  Am.  7,  73  ff.  8,  G3  ft.  .Sum-adda  ist  offenbar  identisch  mit  Sum- 
adda  oder  Samu-adda  (d.  i.  -nnar)  von  .Samchuna,  in  der  Nachbar- 
schaft Akkos,  vielleicht  auch  mit  Sumu-chadi,  der  beim  König  in 
schlechtem  Ruf  steht  und,  wenn  er  nach  Ägypten  ginge,  dort  festgehalten 
werden  würde  (97).  Zatatna  iSutatna)  von  Akko  233— 2.Sö;  sein  Vater 
Zarata  oder  Saratu  232  und  Sr,,  20  (88,  46).  24-5,  24  ff. 

2)  Er  wird  noch  erwähnt  129,  82.  2-50,  24  (Gegner  der  Söhne 
Labajas;  Knudtzon's  Übersetzung  ist  schwerlich  richtig)  und  234,  wo 
Zatatna  von  Akko  sich  weigert,  dem  Befehl  des  rabis  .Suta  gemäß  den 
flüchtigen  Zirdamjasda  an  Namjawaza  auszuliefern. 

')  148,  41  f.  Rev.  d'Ass.  19,  96.  Der  Name  der  Stadt  Ajabs  in  2.->ß 
ist  Bichilim  =  Pella  (o.  S.  92,  1)  zu  lesen.  Als  das  Eingreifen  der  Ägypter 
bevorsteht,  versichert  der  Fürst  von  Chasor  natürlich,  daß  er  als  treuer 
Diener  seine  Städte  für  den  König  schirmt;  dieser  möge  ..dessen  ge- 
denken, was  gegen  deine  Stadt  Chasor  und  deine  Diener  getan  ist" 
(227  f.).  —  Die  dominierende  Stellung,  die  der  Fürst  von  Chasor  hier 
einnimmt,  kehrt  wieder  in  den  israelitischen  Traditionen  über  Jabin 
von  Chasor  Jos.  12  =  Jud.  4.  —  Aus  den  Gebieten  nördlich  von  Palae- 
stina  gehört  weiter  hierher,  daß  Amenchatbi  (also  ein  Mann  mit  ägypti- 
schem Namen)  von  Tusulti  (o.  S.  91,  1)  mit  Hilfe  der  Chabiri  eine  Reihe 
von  Ortschaften  erobert,  aber  schließlich  von  Majarzana  von  Chazi  be- 


364      ^11-  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.   Chetiter  und  Beduinen 

zu  haben.  Noch  ärger  hat  es  weiter  südlich  Labaja  getrieben. 
In  Verbindung  mit  dem  Dynasten  Milkil  und  dessen  Schwieger- 
vater Tagi  hat  er  im  Bereich  der  Ebene  Jezre'el  den  Stadt- 
fürsten einen  Ort  nach  dem  andern  entrissen,  so  Sunem,  Bur- 
quna,  Gitrimmon  u.  a.,  Sichern  und  sein  Gebiet  den  Chabiri 
überlassen,  den  Biridija  in  Megiddo  belagert,  ja  weiter  im 
Süden  Gazer  am  Rande  der  Küstenebene  besetzt^). 

Da  ist  der  König  ernstlich  eingeschritten,  wahrscheinlich 
im  11.  Jahre  seiner  Regierung*).  Die  Oberleitung  von  Ägypten 
aus  blieb  nach  wie  vor  in  den  Händen  Janchams;  nach  Syrien 
aber  schickte  er  als  „Königssohn  im  Lande  Kana'an"  den  Chani, 
Sohn  der  Mairia  (Merire')  mit  dem  Auftrag,  den  Feinden  des 
Königs  den  Kopf  abzuschlagen").  Gegen  die  durch  die  Auf- 
gebote der  Vasallen  unterstützten  ägyptischen  Offiziere"*)  und 

siegt  wird  (185  =  186),  und  daß  gegen  den  König  von  Tubichi  (nS'a 
o.  S.  91,  1)  sich  sein  Bruder   mit  Hilfe   der  Chabiri    empört  hat  (179). 

»)  Das  Material  bieten  die  Briefe  der  Gegner  237.  244.  249.  250, 13. 
42  ff.  289,  22  und  die  Rechtfertigungsschreiben  Labajas  252  (größten- 
teils unverständlich).  253.  254.  Leider  sind  die  Städte,  in  denen  Labaja, 
Tagi  und  Milkil  saßen,  nicht  genannt. 

2)  Siehe  o.  S.  339. 

^)  Der  Erlaß  mit  dem  Befehl,  die  Verpflegung  der  Truppen  vor- 
zubereiten, ist  in  einem  Schreben  an  Indar'uta  von  Aksap,  Rev.  d'Äss. 
19,  100,  erhalten.  301,  12  erhält  Subanda  (in  Südpalaestina)  von  Chani 
einen  Befehl  zur  Lieferung  des  Tributs  (500  Rinder,  20  Mädchen), 
227,  16,  wo  Knldtzon  seinen  Namen  gewiß  mit  Recht  ergänzt  hat,  er- 
wartet der  König  von  Chasor  seine  Ankunft.  Weiteres  s.  u.  S.  368.  Er  ist 
gewiß  identisch  mit  dem  Dolmetscher  Chane,  der  unter  Am.  IIL  mit  Mane 
zu  Dusratta  geht  (21.  2-5).  —  Der  Name  seines  Vaters  kehrt  in  der  Schrei- 
bung Miarie  wieder  bei  dem  Vater  des  Chaja,  der  289,  31  Truppen  nach 
Jerusalem  geschickt  hat;  doch  ist  dieser  Name  so  gewöhnlich,  daß  daraus 
nicht  mit  Sicherheit  gefolgert  werden  kann,  daß  sie  Brüder  waren. 
Chaja  gibt  in  dieser  Zeit  auch  an  den  Sohn  des  Labaja  und  an  Milkil 
Befehle  über  Geleitung  von  Karawanen  und  Tributlieferung  255,  8. 
268,  16,  und  ist  wohl  identisch  mit  dem  oben  S.  348,  1  erwähnten,  der 
dann  bei  Aziru  eingreift  (S.  368,  1).  —  Der  nur  hier  vorkommende  Titel 
ist  natürlich  ein  Seitenstück  zum  „Königssohn  von  Kus"  (vgl.  oben 
S.  89,  1). 

*)  Als  Kommandanten  (robis)  erscheinen  in  dieser  Zeit  vor  allem 
Maja  216—218.  292,  33.  300,  26  (in  Gazer).  328.  24  (in  Lakis).  337,  26 


Kingreifen  des  ägyptischen  Heeres  unter  Chani  365 

Truppen  wagte  man  keinen  Widerstand ;  von  allen  Dynasten 
ergingen  Erklärungen  des  Grehorsams  und  der  Freude  über 
sein  Eingreifen  an  den  Pharao,  so  auch  vom  König  von  Chasor 
und  von  Labaja,  Tagi  und  Milkil.  Die  Unterwerfung  Milkils 
und  Tagis  wurde  gnädig  angenommen;  dem  Labaja  dagegen 
haben  alle  Entschuldigungen  nichts  geholfen,  auch  nicht  die 
Versicherung,  er  werde  unweigerlich  gehorchen,  auch  wenn 
der  König  verlangen  würde,  daß  er  ihm  seine  Frau  abtrete 
oder  sich  den  Dolch  ins  Herz  stoße.  Der  König  verlangte  seine 
Überführung  nach  Ägypten,  und  als  er  sich  dem  durch  Be- 
stechung des  Zurata  von  Akko  entzog,  ist  er  auf  der  Flucht 
erschlagen  worden^).  Durch  Flucht  hat  sich  auch  Aj ab  von 
Pella  den  Kommandanten  des  Königs  entzogen").  Das  ver- 
wüstete Gebiet  von  Sunem  wurde  von  Biridija  von  Megiddo, 
der  an  der  Verfolgung  Labajas  eifrig  teilgenommen  hatte,  und 
anderen  Stadtfürsten  besetzt,  und  jener  rühmt  sich,  hier 
Bauern  aus  den  Nachbarorten  zu  Frondiensten  angesiedelt  zu 
haben''). 

Auf  diese  Erfolge  geht  es  offenbar  zurück,  daß  dem  Pharao 
in  Amarna  nach  Beendigung  des  Feldzugs  im  Januar  seines 
12.  Jahres  Gefangene  und  Gesandtschaften  aus  Syrien  mit  ihren 
Tributgaben  vorgeführt  werden  konnten ■*).    Die  Darstellungen 


und  -neben  ihm  Addaja  2.^4,  :".7  (bei  Labaja).  28-5,  24.  287,  47  ff.  289,  32 
(in  Jerusalem  und  Gaza)  sowie  .Suta  2.S4,  14  ff.  (in  Akko).  288,  19  ff. 
(in  Jerusalem).  Ferner  Rachmanum  (?)  284,  9  (bei  Suwardata)  und  Ria- 
nappa  292,  36.  31.5,  13.  326,  17  (in  Südpalaestina,  Jurza,  Askalon  u.a.), 
sowie  der  287,  45  in  Jerusalem  erwartete  Pauru.  —  Tademaja  oder 
Atachmaja  265  und  Rev.  d'Ass.  19,  96  ist  Königsbote. 

')  245.  2.50,  17.  280,  30.  Seine  Briefe  an  den  König  2.52—2-54; 
zu  254,  38  ff.  siehe  die  Übersetzung  von  Delitzsch  auf  S.  1317.  Milkils 
Begnadigung  254,  24  ff.    Seine  und  Tagis  Briefe  an  den  König  264—271. 

2)  Am.  256,  wo  das  mit  den  Aufständen  im  Süden  Judas  ver- 
bunden wird. 

^)  Rev.  d'Ass.  19,  97;  gegen  die  anderen  Dynasten  erhebt  er  den 
Vorwurf,  daß  sie  das  nicht,  tun.  Vgl,  dazu  die  weitgreifenden  Kom- 
binationen von  Alt,  Palaestinajahrbuch  20,  1924,  34  ff.  mazza  ist  offen- 
bar das  hebr.  c)2,  Frondienst. 

■•)  Siehe  o.  S.  389.     Zu  beachten  ist,  daß  nur  Semiten  dargestellt 


366      ^11-  Niedertrang  der  ägyptischen  ]\Iacht.   Chetiter  und  Beduinen 

zeigen  zugleich,  daß  die  Ausbeute  nicht  groß  gewesen  ist.  So 
hat  denn  auch  das  Strafgericht  keine  dauernde  Wirkung  ge- 
habt; vielmehr  kommen  alsbald  die  gleichen  Klagen  in  noch 
gesteigertem  Maße.  Die  beiden  Söhne  Labajas,  von  Rache- 
durst erfüllt,  setzten  das  Treiben  ihres  Vaters  fort^)  und  wurden 
dabei  trotz  aller  loyalen  Briefe  an  den  Pharao  durch  Milkil 
und  Tagi  weiter  unterstützt^).  Die  Chabiri  aber  drangen  in 
immer  größeren  Scharen  ein,  plünderten  die  Ortschaften  und 
erpreßten  Kontributionen  von  den  Städten  am  Rande  der  Küsten- 
ebene, wie  Gazer,  Ajalon,  Sor'a,  Lakis,  ja  selbst  von  Askalon^). 
Die  ägyptischen  Gouverneure  vermochten  so  wenig  Hilfe  zu 
bringen,  daß  vielmehr  Addaja  die  von  Chaja  nach  Jerusalem 
gelegte  Besatzung  nach  Gaza,  der  Grenzfestung  im  äußersten 
Süden,  zurückzogt);  die  Städte  und  Dynasten  waren  lediglich 
auf  Selbsthilfe  angewiesen.  In  Jerusalem  suchte  sich  Abdchiba 
der  Angriffe  der  Chabiri  sowie  Milkils  und  der  Söhne  Labajas 
zu  erwehren,  im  Küstengebiet  der  Dynast  Su  ward  ata  von  Reite 
(Qe'ila,  westlich  von  Jerusalem),  unterstützt  von  Zurata  von 
Akko  und  Indar'uta  von  Aksap.  Zunächst  gehn  beide  zusam- 
men •'^);  als  aber  die  Stadt  Qe'ila  sich  gegen  ihren  Herrn  em- 
pörte, ist  Abdchiba  mit  ihr  in  Verbindung  getreten,  offenbar 
um  sie  nicht  in  die  Hände  Milkils  fallen  zu  lassen^).  Dadurch 
geraten  die  beiden  Fürsten,  die  doch  dieselben  Interessen  ver- 
treten, in  üblicherweise  in^dynastischen  Gegensatz;  Suwardata. 
dem  die  Wiedereroberung  der  Stadt  gelingt,  bezeichnet  den  Abd- 
chiba als  einen  zweiten  Labaja  und  tritt  zeitweilig  mit  Milkil 


sind,  dagegen  keine  Chetiter.  Daneben  fehlen  auch  Tribute  und  Ge- 
fangene aus  den  Negerländern  nicht. 

^)  Daneben  hat  der  eine  von  ihnen.  Mutba'al,  Berichte  an  den 
König  und  an  Jancham  geschickt  (2-55  f.). 

2)  250,  32  ff.  287,  29.  289,  .5  ff.  '2b. 

3}  287,  14  f.  273,  20.  Über  die  Bedrängnis  von  Gazer  ferner  292, 
42  ff.  (vgl.  294,  16  ff.).  297,  16.  298,,  20  ff'.  299,  14. 

*)  287.  4.5  ö\  289,  30  ff.,  vgl.  286,  25. 

»)  Rev.  d'Ass.  19,  98. 

«)  279  (falsch  übersetzt».  280.  289,  25  ff'.  299,  10  (vielleicht  auch 
287,  11). 


Zusammenbruch  der  ägyptischen  Herrschaft  in  Palaestina     367 

in  Verbindung^).  Aber  ein  Ort  nach  dem  andern  fällt  von  ihm 
ab,  bis  zu  dreißig  Ortschaften,  und  auch  seinem  Genossen  Milkil 
wachsen  die  Chabiri  so  über  den  Kopf,  daß  er  sich  an  den 
König  gegen  sie  um  Hilfe  wendet^).  Abdchiba  geht  es  nicht 
besser;  er  ist  auf  Jerusalem  beschränkt  und  bittet  schließlich, 
wenn  der  König  auch  in  diesem  Jahre  kein  ägyptisches  Heer 
schicken  kann,  ihn  und  die  Seinen  abholen  zu  lassen,  damit 
er  bei  seinem  Herrn  sterben  könne ^).  Mehrere  Dynasten  sind 
erschlagen^),  der  König  wird  bald  keine  Stadtfürsten  mehr 
haben.  Auch  der  äußerste  Süden  ist  von  den  Chabiri  über- 
schwemmt''), „alle  Städte  des  Landes  Gari,  wie  Udumu  (Duma 
Jos.  15,  52),  Araru  ('Aro'er),  Chinianabi  ('En'anab  Jos.  11,  21. 
15,  50),  Magdalim  u.  a.",  also  die  Ortschaften  der  Abdachung 
des  Gebirges  Juda  südlich  vom  Hebron,  „sind  feindlich"  ^')-  lui- 
mer  wieder  heißt  es  in  den  Briefen,  daß  wenn  nicht  schleunigst 
ein  Heer  geschickt  wird,  alles  Land  des  Königs  an  die  Chabiri 
verloren  geht').  Schließlich  hat  dieser  den  dringenden  Bitten 
nachgegeben,  Jancham  zu  entsenden,  auf  den  man  Vertrauen 
hat.  Er  ist  auch  in  Palaestina  eingetroffen^).  Aber  viel  hat 
offenbar  auch  er  nicht  ausrichten  können;  vielmehr  ist  in  den 
letzten  Jahren  Amenophis'  IV.  die  ägyptische  Herrschaft  hier 
in  vollster  Auflösung  begriffen. 


')  280,  33.  290,  6.  Abdchiba  versichert  demgegenüber  immer  wieder, 
daß  er  dem  Pharao,  dem  er  seine  Einsetzung  verdanke,  treu  ist;  er  sei  ein 
Offizier,  nicht  ein  Stadtfürst.    Den  Milkil  nennt  er  286,  36  Ilimilku. 

'')  271,  9  ff.  281—283. 

')  288,  57  ff. 

*)  288,  40  ff.  =  33Ö. 

^)  305,  20.  307.  313.  318.  Neben  den  Chabiri  werden  auch  hier 
mehrfach  die  Süte  genannt  (297,  16.  318,  13). 

*)  256,  22  ff.  Nur  die  Festungen  Gaza  und  Joppe  sind  sicher  be- 
schützt 296,  32;  vgl.  294,  20. 

')  272.  273.  274.  286,  49  fi'.  287,  20  ff.  u.  a. 

*}  Sicher  dort  ist  er  270,  11  (bei  Milkil,  von  dem  er  2000  Seqel 
Silber  sowie  Frau  und  Kinder  verlangt;  er  hat  also  sein  Verhalten  durch- 
schaut). 271,  25.  286,  28  (bei  Abdchiba;  dieser  Brief  ist  also  später 
als  289,  45,  wo  er  um  seine  Entsendung  bittet).  330,  14;  vielleicht  auch 
296;  24.   Dagegen  215.  10.  256.  283,  28.  289,  65  ist  er  noch  in  Ägypten. 


8()8      VII.  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.   Chetiter  und  Beduinen 

Eroberung  Syriens  durch  die  Chetiter. 
^äiedergang  des  Reichs  Mitani,  Vordringen  der  Assyrer 

Nach  dem  Eingreifen  in  Palaestina  ist  Chani  in  die  nörd- 
lichen Gebiete  gegangen,  um  auch  hier  Ordnung  zu  schaffen. 
An  energisches  Auftreten  war  hier,  wo  offenbar  nur  eine  kleine 
Truppenmacht  zur  Verfügung  stand  ^),  noch  weniger  zu  denken 
als  in  Palaestina;  so  versucht  man  es  mit  Güte.  Genaueres  er- 
fahren wir  nur  über  das  Verhalten  Azirus.  Chani  sendet  ihm 
den  Befehl  des  Königs,  Simyra  wieder  aufzubauen  und  selbst 
an  den  Hof  zu  kommen,  um  sich  zu  rechtfertigen.  Aber  Aziru 
sitzt  in  Tunip  und  kommt  nicht  zu  ihm.  Chani  selbst,  der 
offenbar  nur  als  vorübergehender  Repräsentant  des  Königs  ent- 
sandt war,  ist  inzwischen  schon  wieder  nach  Ägypten  zurück- 
gegangen; wie  weit  er  sonst  eingegriffen  hat,  wissen  wir  nicht. 
Auf  die  Vorwürfe  des  Königs,  er  habe  zwar  einen  Gesandten 
des  Chetiterkönigs  verpflegt,  aber  nicht  den  seines  Herrn,  ent- 
schuldigt sich  Aziru,  er  habe  Chanis  Ankunft  zu  spät  erfahren 
und  ihn  nicht  mehr  erreichen  können,  ihm  aber  durch  seine 
Brüder  reiche  Verpflegung  gesandt  und  werde  auch  in  Zukunft 
ebenso  verfahren.  Den  Wiederaufl^au  von  Simyra  müsse  er 
aufschieben,  weil  die  Könige  von  Kuchasse  ihn  befehden.  Daß 
er  Byblos  besetzt  habe,  erklärt  er  in  einem  anderen  Schreiben, 
tue  der  ägyptischen  Herrschaft  keinen  Abbruch:  „Ich  bin 
dein  Diener  so  gut  wie  alle  früheren  Dynasten,  die  in  seiner 
(Ribaddis)  Stadt  waren";  er  werde  dem  König  alles  liefern,  was 
diese  gegeben  haben.  Indessen  offene  Widersetzlichkeit  kann 
er  umso  weniger  wagen,  da  er  einen  Angriff  des  Chetiter- 
königs erwarten  muß  und  dafür  den  Schutz  der  ägyptischen 
Armee  braucht.  So  fügt  er  sich  den  Befehlen  des  von  Chani 
zurückgelassenen  Agenten  Chatib,  der  die  Könige  von  Nuchasse 
auffordert,  ihm  seine  Ortschaften  zu  entreißen,  ihm  den  Haupt- 
teil seiner  Metallschätze  abnimmt,  und  dauernd  bei  ihm  bleibt. 


')  Ihr  Befehlshaber   ist    nach  wie   vor    Chäi,    den  Aziru  166.  167 
ab  „mein  Bruder"  anredet. 


Amenophis  IV.  und  Aziru  369 

um  ihn  gefügig  zu  erhalten^).  Er  bittet,  Chani  nochmals  zu 
entsenden;  dann  wolle  er  ihm  alle  Feinde  des  Königs  über- 
geben. 

Amenophis  IV.  hat  in  einem  langen  Schreiben  geantwor- 
tet, von  dem  im  Archiv  von  Amarna  eine  Abschrift  erhalten 
ist.  Er  hält  ihm  seine  Vergehungen  vor,  sein  Verhalten  gegen 
Ribaddi,  seine  Verbindung  mit  „dem  Dynasten  von  Qade§  ( Aita- 
qama),  einem  Manne,  auf  den  der  König  zürnt";  seine  Ent- 
schuldigungen seien  unwahr,  „es  ist  nicht  alles  richtig,  was 
du  sagst".  Wenn  er  in  seiner  Bosheit  beharre,  werde  er  mit 
seinem  ganzen  Geschlecht  durch  das  Beil  des  Königs  sterben; 
wenn  er  sich  dienstwillig  erweise,  werde  er  leben:  „Du  weißt  ja, 
daß  der  König  in  bezug  auf  das  gesarate  Land  Kana'an  nicht 
begehrt,  es  rauh  zu  behandeln."  Er  solle  sofort  an  den  Hof 
kommen  oder  seinen  Sohn  schicken;  „dann  wirst  du  den  König 
sehn,  durch  dessen  Anblick  alle  Lande  leben".  Er  sendet  den 
Chani  mit  einer  Liste  der  Auszuliefernden,  die  er  gefesselt 
nach  Ägypten  schicken  soll.  Aziru  hat  gehorcht.  Seine  Lage 
war  inzwischen  dadurch  noch  schwieriger  geworden,  daß  Subbi- 
luljuma  in  Nuchasse  eingerückt  ist;  aber  trotzdem  entschließt 
er  sich,  mit  Chatib  nach  Ägypten  zu  gehn,  im  Vertrauen  auf 
die  Zusicherung  des  Königs  und  „meines  Herrn  und  Vaters" 
Düdu,  der  am  Hof  zu  seinen  Gunsten  wirkt ^).  Seinem  Sohn 
machen  die  Könige  von  Nuchasse  Vorwürfe,  er  habe  seinen 
Vater  für  Gold  nach  Ägypten  verkauft,  dieser  werde  nie  wieder 
zurückkehren,  und  die  Beduinen  (Süti)  fallen  über  sein  Land 
her,  da  er  jetzt  zum  Werkzeug  Ägyptens  geworden  sei^).  Aber 
die  Befürchtungen  haben  sich  nicht  erfüllt;  Aziru  ist  in  Gnaden 
aufgenommen  und  nach  Amurru  zurückgesandt  worden,  wohl 
in  der  Hoffnung,  daß  er  hier  dem  Vordringen  der  Chetiter 
entgegentreten  könne. 

Inzwischen  war  über  das  Mitanireich  die  Katastrophe 
hereingebrochen. 


')  Am.  1.57.  160.  161.  162,  7  f. 
2)  Am.  164-168. 
')  Am.  169. 
Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    II'.  24 


370     ^'11-  Niedergang  der  iigyptischen  Macht.    Chetiter  und  Beduinen 

Schon  seit  geraumer  Zeit  hatte  der  Niedergang  der  Mitani- 
niacht  dem  Fürsten  von  Assur  die  Möglichkeit  geboten,  dessen 
Oberhoheit  abzuschütteln.  Bereits  um  1390  hat,  etwa  gleich- 
zeitig mit  Dusrattas  Regierungsantritt,  Assurnadinache  die 
Beziehungen  zu  Ägypten  wieder  aufgenommen  und  ebenso 
wie  „der  chanigalbataeische  König"  von  Amenophis  III.  zwan- 
zig Talente  Gold  erhalten.  Jetzt  schreibt  sein  zweiter  Nach- 
folger AssuruballitO  an  Amenophis  IV.,  natürlich  mit  der 
Bitte  um  viel  Gold.  Den  Königen  von  Kardunias  war  diese 
Anerkennung  der  von  ihnen  als  Vasallen  betrachteten  Fürsten 
als  „Brüder"  des  Pharao  nicht  erfreulich;  Burnaburias  (seit 
ca.  1390)  weist  Amenophis  IV.  auf  das  loyale  Verhalten  seines 
Vaters  Kurigalzu  bei  dem  Anerbieten  der  Kana'anaeer  (S.  154) 
hin  und  fährt  fort:  „Die  Assyrer,  meine  Untertanen,  habe  ich 
dir  nicht  geschickt.  Warum  sind  sie  nach  ihrem  Gutdünken 
in  dein  Land  gekommen?  Wenn  du  mich  lieb  hast,  laß  sie 
keinerlei  Geschäfte  machen,  sondern  mit  leeren  Händen  ab- 
ziehn"^).  Aber  gegen  Assyrien  vorzugehn  war  er  nicht  im- 
stande; alsbald  hat,  sei  es  er  selbst,  sei  es  sein  Nachfolger 
Karainda.s  II.  eine  Tochter  Assuruballits  geheiratet^),  und 
dieser  hat  später  entscheidend  in  die  Geschicke  Babyloniens 
eingegriffen.  Jetzt  bot  sich  ihm  die  Gelegenheit  zum  Vor- 
gehn  gegen  Mitani. 

Während  Du.sratta  in  Syrien  stand  und  in  Nuchasse 
eingrifft),  hat  Subbiluljuma  in  den  Gebirgslanden  zu  beiden 


')  Am.  1.5.  16.  Die  dazwischenliegende  Regierung  des  Eribaadad  I. 
ist  ofi'enbar  nur  kurz  gewesen,  vgl.  o.  S.  1-57,  1. 

2)  Am.  9. 

^)  Siehe  o.  S.  154,  3. 

*)  Man  wird  doch  wohl  annehmen  dürfen,  daß  er  dabei  im  Ein- 
verständnis mit  Ägypten  handelte  oder  wenigstens  seine  Beziehungen 
zu  diesem  nicht  zu  verletzen  meinte.  —  In  diesen  Zusammenhang 
gehört  der  Bericht  der  Urkunde  Keilschriftt.  aus  Bogh.  III  no.  3, 
übersetzt  von  Hrozny,  Bogh.-Stud.  II  130  ff.,  und  Friedrich,  Aus  dem 
het.  Schrifttum  I,  (Alter  Orient  24,  3)  S.  19  f.  Es  ist  ein  Erlaß  des 
Königs  Mursil  ü.,  der  den  Abirattas  zum  König  von  Barga  einsetzt. 
Diese  Stadt,    deren  König  auch  in  dem  Fragment  eines  Amarnabriefs 


Emporkommen  der  Assyrer.    Subbiluljuma  371 

Seiten  des  Euphrat  im  Norden  von  Mitani  operiert.  Die  Be- 
richte, die  er  über  seine  Unternehmungen  in  den  Einleitungen 
zu  seinen  auf  Grund  derselben  geschlossenen  Verträgen  mit 
Mitani,  Nuchasse  und  Kizwatna  gibt,  sind  äußerst  unbeholfen 
abgefaßt  —  dabei  wirkt  mit,  daß  er  oder  seine  Kanzlisten 
die  akkadische  Sprache,  in  der  sie  verfaßt  sind,  nur  unzu- 
reichend beherrschte  —  und  geben  jedesmal  nur  einen  Teil 
der  Ereignisse,  während  anderes  verschwiegen  oder  nur  kurz 
angedeutet  wird.  Die  Verbindung  der  einzelnen  Nachrichten 
ermöglicht,  ein  allgemeines  Bild  der  Hergänge  zu  gewinnen  ^ ). 


(57)  neben  dem  von  Qatna  vorkommt,  lag  nach  Salmanassar  II.  (Mono- 
lithinschr.  III  R.  8,  88)  zwischen  Aleppo  und  Hamät,  also  im  mitt- 
leren Orontesgebiet.  Mursil  erzählt,  daß  der  König  von  Charri,  d.  i. 
natürlich  Dusratta  von  Mitani,  dem  Großvater  des  Abirattas  die  Stadt 
Ijaruwaia  entrissen  und  dem  Großvater  des  Tette  gegeben  habe,  der 
als  ein  Chabiru  (geschrieben  Sa .  Gaz)  bezeichnet  vpird.  Da  sieht  man, 
wie  das  Vordringen  der  aramaeischen  Nomaden  durch  diese  Vorgänge 
gefördert  wird.  —  Tette  ist  wohl  identisch  mit  dem  König  von  Nuchasse. 
der  dann  Vasall  Subbiluljumas  wird.  Aber  dann  haben  sich  die  „Könige 
von  Nuchasse  und  der  von  Kinza"  wieder  gegen  Mursil  empört  (Vertrag 
mit  Dubbitesub)  und  sind  erst  nach  geraumer  Zeit,  wahrscheinlich  in 
seinem  9.  Jahr,  von  ihm  wieder  unterworfen  worden.  In  diesen  Zu- 
sammenhang gehört  ofienbar  die  hier  besprochene  Urkunde,  die  die 
p]mpörung  des  Tette  und  En-urtas  gegen  Mursil  und  ihre  Besiegung 
erwähnt,  während  Abirattas  treu  bleibt  (also  wie  Aziru  von  Amurru 
und  seine  Nachkommen)  und  dafür  belohnt  wird.  Abirattas'  Sohn  heißt 
Du-tesub  (var.  Irtesub)  wie  der  Sohn  Azirus,  ist  aber  mit  diesem  nicht 
identisch,  wie  Hrozny  annahm.  —  Der  zweite,  im  Eingang  zerstörte 
Teil  der  Urkunde  (col.  3  u.  4)  hat  mit  Barga  nichts  zu  tun,  sondern 
regelt  die  Beziehungen  zu  Diibbitesub  von  Amurru,  dem  Enkel  Azirus, 
und  zu  Dudchalia  von  Karkemis. 

')  Die  Hauptmoniente,  die  in  Betracht  kommen,  sind  folgende: 
1.  Der  Vertrag  Subbiluljumas  mit  Mattiwaza,  dem  Sohn  Dusrattas, 
beginnt  mit  dem  Satz:  „Als  mit  Subb.  Artatama,  König  von  Charri,  sie 
untereinander  einen  Vertrag  schlössen,  da  trat  Dusratta,  König  von 
Mitani,  dem  Chetiterkönig  und  ich  ihm  entgegen" ;  darauf  folgt  ein 
Überblick  der  verschiedenen  Kriege  zwischen  beiden.  Aus  diesem  selt- 
samen Eingang  hat  man  ein  selbständiges  Reich  Charri  erschlossen 
und  es  in  Armenien  gesucht.  Aber  nachher  ZI.  48  f.  heißt  es,  daß  erst 
als  Dusratta  ermordet  war,    ,der  Gott  Tesub  das  Recht  des  Artatama 


372     VII.  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.    Chetiter  und  Beduinen 

Subbiluljuma  war  zunächst  beschäftigt,  die  chetitische 
Herrschaft  im  Osten  Kleinasiens  und  den  Gebirgsländern  am 

entschied  und  ihn,  seinen  toten  Sohn,  zum  Leben  erweckte."  Er  kann 
jetzt  zusammen  mit  seinem  Sohn  Sutarna  in  Mitani  eingreifen  und 
dies  Reich  vernichten  [das  wird  von  Mattiwaza  in  seiner  Ausfertigung 
des  Vertrages  weit  eingehender  erzählt,  während  er  alles  Vorhergehende 
beiseite  läßt].  Mithin  ist  er  vorher  nur  ein  Prätendent  gewesen,  mit 
dem  Subbiluljuma  einen  Vertrag  geschlossen  hat,  und  die  Erwähnung 
im  Eingang  dient  lediglich  zur  Vorbereitung  des  späteren  Auftretens 
des  Artatama.  „König  von  Charri"  heißt  er  um  seiner  Nationalität 
willen,  nicht  weil  Charri  ein  eigenes  Reich  und  gar  eins  von  größerer 
Bedeutung  gewesen  wäre.  Charrier  heißt  ja  gerade  in  diesem  Vertrage 
(in  beiden  Exemplaren)  ständig  die  Bevölkerung  des  Reichs  Mitani  [ab- 
gesehn  von  den  Marjanni],  die  Charrier  leisten  zusammen  mit  dem 
König  von  Mitani  den  Eid,  genug,  Charri  ist  nur  ein  anderer  Name 
für  das  offiziell  Mitani  genannte  Reich,  so  gut  wie  Chanigalbat. 

2.  Dieselbe  Bedeutung  hat  Charri  nun  offenbar  auch  in  dem  Ver- 
trage mit  Kizwatna.  Der  Name  des  Chetiterkönigs  ist  weggebrochen, 
und  so  hat  man  ihn  bald  dem  Mursil  IL,  bald  dem  Muwattal,  bald 
dem  Subbiluljuma  zugeschrieben.  Es  wird  erzählt,  daß  „vormals  unter 
meinem  Großvater"  Kizwatna  zum  Chetiterreich  gehörte,  dann  aber  zu 
Charri  abfiel,  ebenso  wie  dann  das  Land  Isuwa.  In  sehr  konfuser  Weise 
werden  die  Verhandlungen  mit  „dem  Charrier"  berichtet.  Dann  hat 
der  Erzähler  selbst  Isuwa  wieder  unterworfen,  die  Übergriffe  des  Char- 
riers  zurückgewiesen  und  den  Sunassura  von  Kizwatna  aus  einem 
Vasallen  der  Charrier  zu  einem  echten  König  gemacht,  der  durch  ein 
enges  Bündnis  an  das  Chetiterreich  geknüpft  wird.  Die  Beziehungen 
zum  Charrier  werden  abgebrochen,  die  Defensiv-  und  Offensivkriege 
werden  sie  gegen  ihn  gemeinsam  führen.  Es  ist  klar,  daß  hier  die- 
selben Vorgänge  erzählt  werden,  die  Subbiluljuma  im  Vertrag  mit 
Mattiwaza  10  ff.  ausführlicher  berichtet,  speziell  die  Wiederunterwerfung 
von  Isuwa  in  zwei  gesonderten  Feldzügen,  das  zur  Zeit  seines  Vaters 
(Dudchalia  III.)  abgefallen  war.  Der  König  des  Kizwatnavertrages  ist 
also  Subbiluljuma  (so  jetzt  auch  Forrer,  Forsch.  II  39);  sein  Großvater. 
unter  dem  es  abfiel,  ist  Chattusil  IL,  gegen  den  ja  der  Mitanikönig 
in  Verbindung  mit  Aleppo  erfolgreich  vorgegangen  war  (o.  S.  157). 
„Der  Charrier"  des  Vertrages  ist  mithin  Dusratta  von  Mitani,  und  der 
Vertrag  ist  abgeschlossen,  ehe  Subbiluljuma  sich  zum  entscheidenden 
Vorgehn  gegen  diesen  anschickte,  offenbar  nach  dem  ersten  Feldzug 
gegen  Isuwa.  [Daß  der  Vertrag  mit  Kizwatna  den  Abfall  Isuwas  und 
der  Nachbargebiete  ebenso  wie  den  von  Kizwatna  in  die  Zeit  „meines 
Großvaters"  setzt,    nach  dem  Vertrage   mit  Mattiwaza  dagegen  Isuwa 


Vordringen  der  Chetiter  unter  Subbiluljuma  373 

Euphrat,  über  Isuwa  und  die  Gaue,  die  sich  ihm  angeschlos- 
sen hatten  (o.  S.  158),  wiederherzustellen;  dadurch  wird  sich 
erklären,  daß  sein  erster  Eingriff  in  Nordsyrien  (0.  S.  355) 
ohne  dauernde  Wirkung  geblieben  ist.  Er  ist  in  Isuwa  ein- 
gedrungen, hat  die  ausgewanderten  Stämme  in  sein  Reich 
zurückgeführt,  und  Sunassura,  den  König  von  Kizwatna,  wie- 
der zum  Anschluß  an  das  Chetiterreich  gewonnen.  Nach  seiner 
Darstellung  war  dieser  froh,  fortan  nicht  mehr  „Knecht"  der 
Charrier,  sondern  ein  freier  König  zu  sein.  Der  Vertrag  nimmt 
scharf  Stellung  gegen  die  Charrier  von  Mitani  und  bindet  Kiz- 
watna und  seinen  Herrscher  eng  und  dauernd  an  das  Chetiter- 
reich; diese  unauflösliche  Verbindung  findet  auch  darin  ihren 
Ausdruck,  daß  der  Chetiterkönig  in  allen  Verträgen,  die  er 
fortan  mit  anderen  Staaten  schließt,  im  Anschluß  an  die 
chetitischen  Götter  immer  auch  die  von  Kizwatna  als  Zeugen 
anruft. 

Im  Mitanireich  selbst  war  Subbiluljuma  mit  einem  Prä- 
tendenten Artatama  in  Verbindung  getreten  und  hatte  ihn  als 

sich  zur  Zeit  des  Vaters  des  Subbiluljuma  empört  hat,  ist  nicht  als 
Widerspruch  aufzufassen,  zumal  da  wir  aus  dem  Vertrage  mit  Aleppo 
wissen,  daß  der  Niedergang  der  chetitischen  Macht  unter  Chattusil  II.. 
dem  Großvater  Subbiluljuma?,  eingetreten  ist.] 

3.  Der  Vertrag  Subbiluljumas  mit  Tette  von  Nuchasse  erzählt  im 
Eingang  das  Vorgehn  des  Königs  von  Mitani  gegen  Sarrupsa  (=  Ver- 
trag mit  Mattiv?aza  38)  und  den  gleichzeitigen  Zug  Subbiluljumas 
gegen  Isuwa.  Das  weitere  ist  völlig  zerstört.  Der  Vertrag  des  Mu- 
wattal  II.  mit  Aleppo  erzählt  die  altern  Beziehungen  zwischen  beiden 
Reichen,  läßt  aber  in  seinem  trümmerhaften  Zustande  über  das  Kin- 
greifen Subbiluljumas  in  Aleppo  und  Nuchasse  kaum  noch  etwas  er- 
kennen. 

4.  In  den  Verträgen  mit  Tette  von  Nuchasse  (II  6  fl'.j  und  Aziru 
(ZI.  5  fi".)  nennt  Subbiluljuma  als  Länder,  mit  denen  er  Krieg  führen 
könnte,  Charri,  Misri  (Ägypten),  Kardunias  (Babylonien),  ferner  Astata 
(am  Euphrat)  und  Alse;  auch  da  ist  ganz  klar,  daß  Charri  nichts  an- 
deres ist  als  Mitani,  mit  dem  er  ja  im  Kriege  steht  und  das  daher 
unmöglich  fehlen  kann.  Ebenso  im  Vertrage  mit  Tunip  bei  Weidner, 
Bogh.-Stud.  9  S.  142,  30.  144,  8  und  in  den  Angaben  über  den  Krieg 
in  Charri  bei  Forrer,  Forsch.  IL  9  f.  u.  29:  nach  S.  36  findet  sich  für 
Mitani  in  einem  Paralleltext  die  Variante  Charlas. 


374     ^  If'  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.    Chetiter  und  Beduinen 

„König  von  Charri"  anerkannt^).  Von  der  anderen  Seite  gingen 
die  Assyrer  unter  Assuruballit  gegen  Mitani  vor.  So  hatte 
Subbiluljuma,  nachdem  er  auf  einem  zweiten  Feldzug  Isuwa 
völlig  unterworfen  hatte,  leichtes  Spiel.  Der  Fürst  von  Alzi 
im  Bereich  des  oberen  Tigris  schloß  sich  ihm  an^),  er  konnte 
Wassuganni,  die  Hauptstadt  des  Mitanireichs,  besetzen  und 
ausplündern,  Dusratta  war  nicht  mehr  imstande,  ihm  ent- 
gegenzutreten. Dann  zog  er  über  den  Euphrat  nach  Syrien. 
Aleppo  unterwarf  sich,  ebenso  der  König  Takuwa  von  Ni ; 
dessen  Bruder  Akitesub,  der  an  der  Spitze  der  Marjanni  zu- 
sammen mit  dem  Fürsten  Akija  von  Arachti  Widerstand  ver- 
suchte, wurde  überwältigt,  die  Rebellen  gefangen  fortgeführt'^. 
Auch  Qatna  erging  es  nicht  besser;  die  Befürchtungen,  die 
sein  Herrscher  Akizzi  schon  vor  Jahren  ausgesprochen  hatte 
(S.  355),  erfüllten  sich.  Dann  rückte,  eben  um  die  Zeit,  da 
Aziru  seine  Hilfsgesuche  aus  Tunip  an  den  Pharao  richtete 
und  dann  selbst  an  den  Hof  ging,   Subbiluljuma  in  Nuchasse 

^)  Sein  und  seines  Sohnes  Suttarna  Name  beweist;  daß  er  der- 
selben Dynastie  angehörte  wie  Dusratta.  Seine  Erhebung  wird  mit  den 
Thronwirren  zusammenhängen,  unter  denen  Dusratta  zur  Regierung 
kam  (o.  S.  161);  er  mag  damals  von  Tuchi,  dem  Mörder  Artasuwaras. 
zum  König  ausersehn  worden  sein. 

^)  Er  überließ  ihm  die  Feste  Kutmar.  bei  den  Assyrern  Kulli- 
meri  genannt.  Mehrere  der  hier  vorkommenden  Orte,  darunter  auch 
die  Festung  Süta  =  Sudi,  werden  später  von  Adadniräri  I.  in  der  Ein- 
leitung seiner  Inschriften  wieder  genannt  (Inschr.  der  altassyr.  Könige 
von  Ebeling,  Meissner,  Weidner  S.  57  f.).  Zur  Typographie  s.  Forrer. 
Provinzeinteilung  des  assyr.  Reichs  20  sowie  Weidner  in  den  Anmer- 
kungen zu  seinen  Übersetzungen. 

^)  Arachti  ist  vielleicht  identisch  mit  Arrech  bei  Thutmosis  III. 
oben  S.  129,  2.  Im  einzelnen  bietet  der  Text  hier  mehrfach  Schwierig- 
keiten, die  eine  sichere  Übersetzung  nicht  zulassen.  Takuwa  ist  derselbe 
Name,  den  Am.  51  der  König  von  Nuchasse  führt,  den  Thutmosis  III. 
eingesetzt  hat  (o.  S.  129).  Ebenso  findet  sich  in  Tunip  ein  Akitesub,  dessen 
Sohn  die  Stadt  als  König  erbittet  (Am.  59,  o.  S.  355).  Ein  wohl  gleich- 
namiger [. .  .]  tesub,  Sohn  des  Täku,  wird  in  den  Trümmern  des  Ver- 
trages eines  Chetiterkönigs  mit  Tunip  erwähnt  (bei  Weidner,  Bogh.- 
St.  9,  143  ZI.  27).  Diese  Namen  weisen  auf  verwandtschaftliche  Be- 
ziehungen zwischen  den  Dynastenfamilien  hin. 


Subbiluljuma  gegen  Mitani  und  Nordsyrien  375 

ein,  führte  die  Familie  des  Sarrupsa,  dem  er  früher  Schutz 
zugesagt  hatte,  der  dann  aber  umgekommen  zu  sein  scheint  \), 
gefangen  fort,  und  setzte  Tette  als  König  ein.  So  wenig  wie 
Dusratta  scheinen  auch  die  Äg3^pter  irgendwelchen  Widerstand 
versucht  zu  haben;  offenbar  hat  die  schwache  ägyptische  Be- 
satzung die  noch  behaupteten  Plätze,  wie  z.  B.  Tunip.  ohne 
Gegenwehr  geräumt.  In  Subbiluljumas  Berichten  werden  sie 
überhaupt  nicht  erwähnt,  offiziell  bestand  offenbar  trotz  allem 
noch  immer  der  Friedenszustand  zwischen  beiden  Reichen.  So 
mußte  auch  Aziru  sich  den  Tatsachen  fügen;  er  ist  nach  seiner 
Rückkehr  aus  Ägypten  von  diesem  abgefallen  und  wieder  in 
das  Vasallenverhältnis  zum  Chetiterkönig  zurückgetreten,  an 
dem  er  fortan  dauernd  festgehalten  hat").  Subbiluljuma  hat 
die  Grenzen  des  Landes  Amurru  festgestellt  und  ihm  einen 
Jahrestribut  von  300  Sekel  reinen  Goldes  auferlegt. 

Dagegen  hat  Aitaqaraa  von  Kinza  versucht,  seine  Un- 
abhängigkeit zu  behaupten;  aber  er  wurde  besiegt  und  mit 
seiner  Familie  und  seinen  Marjanni  gefangen  fortgeführt, 
ebenso  wie  der  wohl  von  ihm  abhängige  Dynast  des  Landes 
Abina,  des  Abi  oder  Opa  der  Ägypter  und  der  Amarnabriefe, 
der  Ebene  von  Damaskus-"*).     Aitaqama  muß    dann   aber   be- 

'J  Ein  klares  Bild  läßt  sich  aus  den  knappen  Angaben  im  Ver- 
trage mit  Mattiwaza  und  den  Trümmern  des  Berichts  im  Vertrage  mit 
Tette  nicht  gewinnen.  Die  sonst  nie  erwähnte  Stadt  ükulzat  wurde 
von  Nuchasse  getrennt  und  einem  Diener  des  Sarrujjsi  als  Fürstentum 


^j  Krwähnt  im  Vertrag  Chattusils  III.  mit  Bentesina  von  Amurru. 
Vom  Vertrage  Subbiluljumas  mit  Aziru  ist  der  Eingang  nicht  erhalten: 
einige  weitere  Angaben  im  Vertrag  Mursils  IL  mit  Dubbitesub,  dem 
Enkel  Azirus.  In  dem  Bericht  Subbiluljumas  über  seinen  Feldzug  im 
Vertrage  mit  Mattiwaza  werden  Aziru  und  die  Amoriter  auffallender- 
weise nicht  erwähnt,  und  ebensowenig  Tunip. 

'■')  Neben  Aitaqama  nennt  Subb.  hier  noch  seinen  Vater  Sutatarra, 
der  in  den  Amarnatexten  nie  vorkommt.  Die  Annahme,  daß  dies  der- 
selbe Name  sei,  wie  der  auch  in  diesen  bei  mehreren  Dynasten  vor- 
kommende Name  Sutarna,  ist  sehr  unwahrscheinlich  und  wird  dadurch 
in  keiner  Weise  erwiesen,  daß  der  sonst  immer  Sutarna  geschriebene 
Name  des  Sohnes  Artatamas  (s.  u.)   in  einem  Exemplar  des  Vertrages 


376      ^  U-  Niedergang  der  ägyptischen  Macht.    Chetiter  und  Beduinen 

gnadigt  und  wieder  eingesetzt  sein,  da  er  sich  nachher  in 
Kinza  gegen  Mursil  II.  empört  und  von  diesem  in  seinem 
9.  Jahre  besiegt  wird^). 

So  hatte  Subbiluljuma  das  ganze  Land  vom  Euphrat  bis 
zum  Libanon  in  einem  Jahre  aufs  neue  unterworfen.  Alle 
dortigen  Kleinstaaten  werden  durch  gleichlautende  Verträge 
—  erhalten  sind  solche  ganz  oder  teilweise  mit  Nuchasse, 
Amurru  und  (aus  späterer  Zeit)  mit  Tunip  —  ganz  an  den 
Chetiterkönig  gefesselt  und  zur  Heeresfolge  gegen  jeden  Feind 
und  jeden  Aufstand  im  Innern  verpflichtet;  dafür  sagt  auch  er 
ihnen  im  Kriegsfalle  seine  Hilfe  zu.  In  Aleppo  dagegen  und 
in  Karkemis  hat  er  seine  Söhne  Telibinus  und  Bijassil  zu 
Königen  eingesetzt;  doch  dauerte  es  noch  geraume  Zeit,  ehe 
Karkemis  wirklich  bezwungen  wurde ^). 

Währenddessen  waren  der  von  Subbiluljuma  anerkannte 
Prätendent  Artatama  und  sein  Sohn  Sutarna  in  Mesopotamien 
eingebrochen  und  hatten  zusammen  mit  den  Königen  von  Assur 
und  von  Alse  das  Land  und  seine  Hauptstadt  gründlich  aus- 
geplündert. Sutarna,  der  hier  die  Herrschaft  übernommen 
zu  haben  scheint,  zerstörte  den  Palast  Du.srattas  in  Wassu- 
ganni,  gab  die  ehemals  von  Saussatar  aus  Assur  entführte 
goldene  Tür  (o.  S.  133)  dem  Assyrerkönig  zurück  und  erkannte 

Subbiluljumas  mit  Mattiwaza  (A  ZI.  ,53;  das  richtige  hat  B  34,  ebenso 
wie  Mattiwaza  durchweg)  in  Suttatarra  verschrieben  ist.  —  Subbilul- 
juma, der  ja  überall  sein  Vorgehn  als  sittlich  gerechtfertigt  nach- 
zuweisen sucht,  behauptet,  er  habe  Kinza  nicht  angreifen  wollen,  aber 
dessen  Herrscher  habe  den  Krieg  angefangen. 

')  Annalen  des  Mursil  IL  bei  Forrer,  Bogh.-Texte  'n  Umschrift 
S.  43*,  vgl.  seinen  Vertrag  mit  Dubbitesub  ZI.  13  S.  Die  Empörung  der 
Könige  von  Nuchasse  und  Kinza  gegen  Subbiluljuma  in  ZI.  3  ff.,  an 
der  Aziru  nicht  teilnahm,  ist  wohl  nicht  ein  späterer  Auf.stand  gegen 
diesen,  sondern  ihr  im  Mattiwazavertrag  erzählter  Widerstand,  wähi'end 
Aziru  sich  damals  sogleich  unterworfen  hat  und  am  Kampf  gegen  sie 
teilnahm. 

"^j  Siehe  den  Bericht  des  Muwattal  bei  Forrer,  Forsch.  II  10,  der 
die  Taten  seines  Großvaters  im  Kriege  gegen  Charri  einschließlich  des 
Kriegs  mit  Ägypten  kurz  zusammenfaßt.  Über  die  sich  daraus  er- 
gebenden chronologischen  Daten  s.  o.  S.  338. 


Subbiluljuma  in  Syrien.    Unterwerfung  Mitanis  377 

ihn  damit  als  selbständigen  Herrscher  an.  Andere  Kostbar- 
keiten verschenkte  er  nach  Alse.  Dusratta  war  einer  Ver- 
schwörung erlegen;  „Mitani  ging  völlig  zugrunde".  Unter 
der  charrischen  Bevölkerung  wurde  ein  großes  Blutbad  an- 
gerichtet, die  Häuser  niedergerissen,  die  Magnaten  an  Assur 
und  Alse  zur  Pfählung  ausgeliefert^).  Dusrattas  Sohn  Matti- 
waza  suchte  zunächst  Zuflucht  in  Babylonien ;  indessen  der 
Kossaeerkönig  wollte  offenbar  auch  im  trüben  fischen  und 
trachtete  ihm  nach  dem  Leben.  Da  blieb  ihm,  als  er  glück- 
lich entkommen  war,  nichts  übrig,  als  sich  dem  Subbiluljuma 
zu  Füßen  zu  werfen. 

Diesem  konnte  das  Schalten  Sutarnas  in  Mitani  nicht 
genehm  sein,  durch  das  das  Land  jenseits  des  Euphrat  tat- 
sächlich wieder  in  die  Hand  der  Assyrer  überging.  So  nahm 
er  Mattiwaza  gnädig  auf  und  versprach,  ihn  nach  Mitani 
zurückzuführen^).  Er  vermählte  ihn  mit  seiner  Tochter  und 
übertrug  die  Rückführung  seinem  Sohne  Bijassil  von  Kar- 
kemis.  Beide  zusammen  haben  die  Truppen  Sutarnas  bei 
Irrite  im  westlichen  Mesopotamien  besiegt;  die  Stadt  Charrau 
ergab  sich,  die  Assyrer  wurden   zurückgeschlagen,   die  Stadt 


')  Sowohl  in  der  Krzählung  Subbiluljumas  ZI.  b?,  wie  in  der 
Mattiwazas  ZI.  12.  14  wird  die  Bevölkerung,  über  die  das  Strafgericht 
ergeht,  ausdrücklich  als  Charrier  bezeichnet  [wenn,  wie  Weidner  be- 
merkt, in  dem  Exemplar  B  des  Subb. -Vertrags  anstatt  Charri  nach  Aus- 
weis der  erhaltenen  Endsilbe  [marjanjni  gestanden  zu  haben  scheint, 
so  kann  das  kaum  etwas  anderes  als  Schreibfehler  sein].  Steht  darin 
ein  Gegensatz  gegen  die  Marjanni  des  Sutarna  Subb.  ZI.  .54?  —  Auch 
sonst  bietet  der  Bericht  Mattiwazas  manche  Unklarheiten,  so  die  An- 
gabe, daß  Akitesub  mit  seinen  Kriegswagen  und  Marjanni  nach  Kar- 
dunias  flieht  und  dessen  König  ihm  diese  abnimmt  und  ihn  töten  will. 
Dieser  Akitesub  ist  doch  wohl  der  Bruder  des  Takuwa  von  Ni,  den 
Subbiluljuma  besiegt  hat;  daß  dieser  behauptet,  ihn  nebst  allen  seinen 
Marjanni  gefangen  nach  Chatti  fortgeführt  zu  haben,  ist  ein  Wider- 
spruch, wie  er  auch  sonst  in  derartigen  Berichten  vorkommt. 

*)  Mattiwaza  erklärte  dabei,  er  wolle  an  der  Stellung  Artatamas 
nichts  ändern,  sondern  als  sein  Vasall  regieren.  Nachher  aber  ist  von 
diesem  nicht  mehr  die  Rede;  Mattiwaza  will  damit  nur  (in  derselben 
Weise  wie  Subbiluljuma)  seine  loyale  Gesinnung  bezeugen. 


378     ^'11-  Niedergang  der  ägyptischen  Macht,    Chetiter  und  Beduinen 

Wassuganni  erobert^).  In  dem  Vertrage  mit  Subbiluljuma  wer- 
den sowohl  Mattiwaza  wie  seine  Untertanen,  die  Charrier, 
die  ihn  beschwören  müssen,  durch  die  feierhchsten  Fhich- 
formeln  zur  Treue  und  Hilfeleistung  verpflichtet.  Nebenfrauen 
darf  Mattiwaza  nehmen,  aber  rechtmäßige  Königin  ist  allein 
die  chetitische  Prinzessin.  Als  Grenze  der  beiden  Länder  wird 
der  Euphrat  bestimmt  —  damit  ist  der  Verzicht  Mitanis  auf 
Syrien  ausgesprochen;  —  aber  beide  Euphratufer  bis  über 
Tirqa  südlich  von  der  Chaborasmündung  hinab  (das  Land 
Astata),  werden  dem  Bijassil  von  Karkemis  abgetreten'-),  mit 
dem  Mattiwaza  zu  enger  Freundschaft  verpflichtet  wird,  und 
dadurch  Mitani  noch  weiter  von  Sj^rien  abgeschnitten. 

Wie  weit  inzwischen  die  Ägypter  ihre  Herrschaft  über 
die  phoenikische  Küste  wieder  hergestellt  haben,  läßt  sich 
nicht  erkennen.  Simyra  und  Byblos  werden  im  Besitz  Azirus 
geblieben  sein  —  auch  der  Pharao  selbst  hatte  sein  Vorgehn 
zwar  hier  getadelt,  aber  nicht  rückgängig  zu  machen  gesucht; 
—  auch  ob  Sidon  sich  ernstlich  wieder  unterworfen  hat,  er- 
scheint recht  fraglich.  Tyros  dagegen  werden  sie  behauptet 
haben,  und  vielleicht  auch  Berytos.  Außerdem  stand  das 
Hinterland  Coelesyrien  ('Amq)  noch  unter  ihrer  Herrschaft. 
Von  hier  aus  haben  sie,  während  Subbiluljuma  vor  Karkemis 
lag,  versucht,  Kinza  (also  Aitaqaraa)  wieder  auf  ihre  Seite  zu 
bringen^).  Da  hat  Subbiluljuma  seinen  Feldherrn  Lupakku 
nebst  einem  Genossen  gegen  sie  gesandt;  in  zwei  Kriegs- 
zügen wurde  das  *Amq  ausgeplündert.  Damit  hatte  er.  was  er 
bisher  vermieden  hatte,  offen  mit  Ägypten  gebrochen  und  den 
Kriegszustand  herbeigeführt ' ). 

')  Davon  haben  außer  den  Resten  des  Mattiwazavertrags  ZI.  -51 
auch  die  Trümmer  des  geschichtlichen  Berichts  bei  Forrer,  Bogh.- 
Texte  in  Umschrift  44  §  8  erzählt.  Weiteres  in  dem  Text  bei  Friedrich. 
Archiv  f.  Keilschriftforsch.  II  119  ff.  =  Forrer,  Forsch.  II  43  f. 

^)  Zur  Topographie  s.  Führer,  Forsch.  II  41  ff.  Über  Tirqa  siehe 
Bd.  I  433. 

^)  Davon  ist  bei  Forrer,  Bogh. -Teste  in  Umschrift  no.  41  col.  2 
§  10  erzählt. 

*)  Die  Quellen  s.  o.  8.  337  f.    Sein  Sohn  ^Mursil  II.  stellt  in  seinen 


Bruch  zwischen  Subbiluljuma  und  Ägypten  379 

Die  Nachricht  von  dem  Einfall  des  chetitischen  Heeres 
unter  Lupakku  in  'Amq  bringt  der  jüngste  der  Briefe  des 
Archivs  von  Amarna\).  Das  Ergebnis  der  Regierung  Ame- 
nophis'  IV.  für  die  Stellung  Ägyptens  in  Asien  faßt  ein  Erlaß 
seines  Nachfolgers  Tut'anch-amon  mit  den  Worten  zusammen: 
„Wenn  man  (Truppen)  nach  Phoenikien  (Zahl)  schickte,  um 
die  Grenzen  Ägyptens  zu  erweitern,  so  konnten  sie  nichts 
ausrichten."  Aber  unmittelbar  nach  dem  chetitischen  Angrift' 
ist  in  Ägypten  die  Krise  eingetreten,  welche  die  gesamte  bis- 
herige Politik  des  Reichs  wie  im  Innern  so  nach  außen  von 
Grund  aus  umgewandelt  hat. 


Berichten  bei  Forrkr,  Forsch.  II  13  f.  u.  28,  den  Angrifi'  auf  Ägypten 
als  ein  von  den  Chetitern  begangenes  Unrecht  dar,  weil  daraus  die 
Seuche  entstand,  die  das  Land  20  Jahre  lang  heimsuchte. 

')  170.  In  dem  Zitana,  der  nach  einer  noch  unverbürgten  Nach- 
richt mit  9000  (?)  Kriegern  nach  Nuchasse  gekommen  sein  soll,  hat  Forreh 
mit  Recht  Zidä.  den  Bruder  des  Königs,  erkannt,  der  damals  in  Klein- 
asien stand. 


VIII.  Versuch  der  Durchführung  des  solaren 
Monotheismus  und  Eestauration  der  Orthodoxie 


Amenophis  IV.    Die  Einführung  des  Sonnenkults 

Während  die  Machtstellung  des  ägyptischen  Reichs  immer 
mehr  verfiel,  war  der  neue  König  ganz  anderen  Aufgaben 
zugewandt.  Offenbar  von  Jugend  auf  hatte  Amenophis  IV., 
vielleicht  unter  dem  Einfluß  von  Theologen  aus  Heliopolis, 
sich  ganz  erfüllt  mit  den  Ideen  des  solaren  Monotheismus. 
Tagtäglich  empfand  er  an  sich  selbst  die  Leben  schaffende 
Kraft  der  Sonnenstrahlen,  die  unmittelbare  Offenbarung  des 
Gottes,  der  sich  an  jedem  Morgen  in  seiner  leiblichen  Ge- 
stalt allen  Augen  sichtbar  aus  den  Bergen  des  Ostens  er- 
hebt und  Tag  für  Tag  gleichmäßig  seine  Bahn  über  den  Him- 
mel dahinzieht,  alle  Welt,  Menschen,  Tiere  und  Pflanzen,  be- 
lebend und  zu  reger  Tätigkeit  erweckend,  bis  er  am  Abend 
zur  Ruhe  geht  und  damit  auch  die  Welt  in  Dunkel  und 
Schlaf  versenkt.  Er  war  eine  tief  religiöse,  sensitive  und 
schwärmerisch  veranlagte  Natur,  wie  sie  hochgesteigerte  Kul- 
turen so  häufig  erzeugen,  ganz  der  Welt  der  Ideen  zugewandt 
und  den  realen  Bedingungen  und  Aufgaben  des  Erdendaseins 
entfremdet.  Umso  schwerer  empfand  er  den  inneren  Wider- 
spruch zwischen  der  Lehre  des  theologischen  Systems  und  der 
Praxis  des  Kultus.  Unter  dem  Namen  des  Re'  und  Har'achte 
und  selbst  des  Atum  mochte  man  den  wahren  Sonnengott 
verehren,  aber  es  war  nicht  nur  ein  Widersinn,  sondern  Lug 
und  Frevel,  wenn  andere,  und  gar  tiergestaltige  Götter,  wie 
vor  allem  der  Amon  von  Theben,  seinen  Namen  usurpierten 
und   seine  Wirkungen  sich  selbst  zuschrieben. 

So  ist  Amenophis  IV.  nach  seiner  Thronbesteigung  und 
Krönung,    die   in   üblicher  Weise    in    Hermonthis,    der   alten 


Amenophis  IV.  3g  1 

Hauptstadt  des  thebanischen  Graus  (Bd.  I  275)  stattfand,  so- 
fort ans  Werk  gegangen^);  ihm  allein,  seinem  Sohne,  hatte 
der  Gott  die  Erkenntnis  eröffnet,  ihm  die  Herrschaft  über  die 
Welt  verliehen;  so  war  es  heiligste  Pflicht,    hinter  der  alles 


')  In  einem  unbeschriebenen  Grabe  im  Tal  der  Königsgräber  ist 
der  Sarg  Amenophis'  IV.  mit  einer  Leiche  und  mit  Beigaben  gefunden 
worden,  die  zum  Teil  seiner  Mutter  Teje  und  vielleicht  auch  seiner 
Gemahlin  Nofret-ite  angehören.  Die  Leiche  unA  die  übrigen  Objekte 
müssen  also  nach  der  Zerstörung  von  Amarna  zusammengerafft  und 
nach  Theben  überführt  worden  sein.  Aus  anatomischen  Merkmalen  er- 
gibt sich  (Elliot  Smith  bei  Davis,  Tomb  of  Queen  Tiyi,  1910),  daß  der 
hier  bestattete  Mann  nicht  älter  als  25 — 30  Jahre  gewesen  sein  kann 
(ebenso  bei  Thutmosis  IV.  o.  S.  149.  2).  Da  Amenophis  IV.  mindestens 
17  volle  Jahre  regiert  hat,  müßte  er  also  spätestens  als  lOjähriger  Knabe 
auf  den  Thron  gekommen  sein;  erst  nach  mindestens  25jähriger  Ehe 
hätte  also  Teje  endlich  einen  Thronerben  zur  Welt  gebracht.  Weiter 
würde  folgen,  daß  er  lediglich  eine  Puppe  in  den  Händen  Anderer  ge- 
wesen wäre.  Aber  das  widerspricht  allen  in  diesem  Punkte  ganz  un- 
anfechtbaren Zeugnissen,  nach  denen  er  selbst  die  Seele  der  Bewegung 
und  der  Verkünder  der  neuen  Lehre  gewesen  ist  (vgl.  H.  Schäfer, 
Äg.  Z.  .55,  1918,  1  tf.,  der  Borchari'T  s  Konstruktionen,  Mitt.  DOG.  .57,  1917 
widerlegt  hat).  Die  monotheistische  Reformation  ist  ganz  ebenso  sein 
Werk  und  untrennbar  mit  seiner  Persönlichkeit  verbanden,  wie  die 
Wiederherstellung  der  antiken  Religion  mit  der  Julians.  [Die  von 
G.  Möller,  Äg.  Z.  56,  100  herangezogene  Parallele  des  Khalifen  Häkim, 
des  inkarnierten  Gottes  der  Drusenreligion,  ist  ganz  verfehlt:  Häkim 
ist  zwar  mit  11  Jahren  Khalif  geworden,  hat  aber  sein  tolles  Treiben 
und  seine  mannigfach  wechselnden  religiösen  Neuerungen  erst  be- 
gonnen, als  er  16  Jahre  alt  geworden  war.]  Sein  Porträt  zeigt  denn 
auch  sowohl  in  den  Gesichtszügen  wie  in  der  Körperbildung  von  An- 
fang an  einen  voll  ausgewachsenen,  keineswegs  mehr  jugendlichen  Mann. 
Seit  jetzt  seine  ganz  realistischen  Statuen  im  Tempel  von  Karnak  aus 
dem  Anfang  seiner  Regierung  gefunden  sind,  sind  vollends  alle  Zweifel 
gehoben.  Somit  bleibt,  unter  der  Voraussetzung,  daß  die  anatomischen 
Gründe  unanfechtbar  sind,  nur  der  Ausweg,  daß  statt  seiner  eine  an- 
dere Leiche  aus  Amarna  in  den  Sarg  gelegt  worden  ist.  Dafür  hat 
Sethe,  Beiträge  zur  Gesch.  Am.  IV.,  Nachr.  Gott.  Ges.  1921, 122  &.,  weitere 
Gründe  aus  den  Beigaben  der  Leiche  beigebracht  und  auch  sonst  die 
ganze  Frage  eingehend  besprochen.  [Nur  seiner  Verwertung  des  von  Am. 
gefeierten  Setfestes  kann  ich  nicht  zustimmen,  da  dies  m.  E.  sichere 
chronologische  Schlüsse  nicht  gestattet,  vgl.  o.  S.  149,  2.] 


382    ^l'I-  Üiirohfüliiniig  d.  solar.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

andere    zurückstehn    mußte,    die  Wahrheit   zu  bekennen    und 
die  Untertanen  zu  der  richtigen  ReHgion  zu  bekehren. 

Der  erste  Schritt  war  die  Erbauung  eines  Heiligtums 
der  Sonne  in  Karnak,  der  heiligen  Stätte  Amons.  Für  den 
Gott  behält  er  die  Benennung  Re'  Har'achte  („Re',  der  Horus 
am  Horizont")  noch  bei,  aber  mit  dem  bezeichnenden  Zusatz 
„der  jubelt  im  Horizonte  in  seinem  Namen  als  Lichtglanz, 
der  in  der  Sonnenscheibe  ist",  —  er  wählt  zwei  Appellativa, 
um  ganz  deutlich  zum  Ausdruck  zu  bringen,  daß  der  Gott 
eben  die  sichtbare,  unmittelbar  wirkende  Sonne  selbst  ist, 
nicht  etwa  ein  von  ihr  verschiedenes  Wesen,  das  sich  in  ihr 
nur  manifestiert^).  Meist  wird  dann  die  langatmige  Formel 
schlechtweg  durch  Aten  „die  Sonnenscheibe"  ersetzt.  In  seinen 
Königsnamen  nahm  er  den  Titel  eines  Oberpriesters  dieses 
Gottes  auf.  Dem  Palast,  den  er  sich  in  Theben  erbaut,  gibt 
er  den  Namen  „Jubel  im  Horizont",  entsprechend  dem  Bei- 
namen seines  Gottes^).   Wie  eilig  er  die  Sache  betrieben  hat, 


')  Sethe,  Ber.  Gott.  Ges.  1921.  107  ff.,  übersetzt  die  Formel  tn  ruf 
m  sw  nti  m  ^tn  durch  „in  seinem  Namen  als  Su,  welcher  ist  der  Aten" 
und  erklärt  Su  (determiniert  mit  der  Sonne  und  dadurch  unterschieden 
von  dem  Luftgott  Sow)  für  ein  anderes  Wort  für  „Sonne".  Alsdann 
wären  aber  kw  und  'in  einfache  Tautologien,  wie  sie  doch  für  solche 
mit  Recht  als  „lehrhaft"  bezeichneten  Namen  wenig  passen.  Ich  kann 
daher  auch  Sethe's  Deutung  von  nti  m  als  Bezeichnung  der  Identität 
nicht  zustimmen,  sondern  muß  an  der  älteren  Auffassung  festhalten. 
Hn  (die  konventionelle  Aussprache  Aton  ist  ganz  unsicher)  ist  das 
Appellativum  für  die  Sonnenscheibe,  das  in  religiösen  Texten  vielfach 
vorkommt,  aber  vor  Amenophis  IV.  niemals  eine  Gottheit  bezeichnet 
oder  gar  einen  Tempel  gehabt  hat  (auch  nicht  unter  Amenophis  III..  wie 
mehrfach  behauptet  worden  ist).  Wenn  nun  ^siv  in  der  Sonnenscheibe" 
der  eigentliche  Name  des  wahren  Gottes  ist.  so  muß  sw  die  wirksame 
Eigenschaft  der  Sonne  bezeichnen,  also  etwa  den  Lichtglanz  oder  auch 
die  Sonnenwärme;  und  das  paßt  auch  für  die  von  Sethe  S.  109,  3  zu- 
sammengestellten Stellen  durchaus.  [Der  Ort  \r\ir\  in  Zebülon  Jos.  19,  18 
=  Chinaton  bei  Akko  Am.  8,  17.  24-5,  32  ist  nicht  ägyptisch  und  hat 
mit  dem  Aten,  dessen  Namen  man  oft  darin  gesucht  hat.  nichts  zu  tun.] 

2)  In  diesem  VnA^i^ißchn)  Cha'emachut  hat  er  nach  einem  hierati- 
schen Vermerk  auf  Am.  27  in  seinem  2.  Jahre  den  ersten  ihm  von  Dus- 
ratta  gesandten  Brief  empfangen. 


Einführung  des  Sonnenkults  383 

zeigt  eine  Inschrift  in  den  Steinbrüchen  von  Silsilis,  die  an- 
gibt, daß  er  alle  Steinmetzen  „von  Elephautiue  bis  zum  Delta" 
und  die  Offiziere  aufbot,  um  dort  einen  Obehsken  von  Sandstein 
für  den  Gott  brechen  zu  lassen.  Sein  Tempel  in  Karnak  ist 
bei  der  Reaktion  völlig  zerstört  worden;  aber  mehrere  Blöcke 
aus  ihm  sind  dadurch  erhalten,  daß  Haremhab  sie  für  einen 
von  ihm  erbauten  Pylon  verwendet  hat.  Auf  einem  dieser 
Blöcke  befindet  sich  rechts  das  übliche  Bild  Amenophis'  III. 
mit  der  Sonne  des  Horus  von  Edfu  darüber  —  dieser  König 
hat  also  hier  einen  Bau  begonnen,  den  der  Sohn  dann  in 
seinen  Sonnentempel  umgewandelt  hat  — ;  die  Darstellung  auf 
der  linken  Seite  dagegen  hat  Amenophis  IV.  getilgt  und  durch 
seinen  eigenen  Namen  und  den  des  neuen  Gottes  nebst  dessen 
Bild  in  Gestalt  des  falkenköpfigen  Har'achte  mit  der  Sonnen- 
scheibe auf  dem  Haupt  ersetzt  0-  Damals  also  hat  er  noch 
die  herkömmliche  Darstellung  des  Sonnengottes  beibehalten. 
Auch  die  Verehrung  der  übrigen  Götter  galt  noch  als  mit  der 
des  Aten  verträglich:  über  der  Inschrift  von  Silsilis  ist  der 
König  in  üblicher  Weise  in  Verehrung  vor  Amon  dargestellt, 
darüber  schwebt  die  geflügelte  Sonnenscheibe-). 

Obelisken  werden  gewöhnlich  aus  Anlaß  des  Setfestes  er- 
richtet; und  auch  dieses  Fest  mit  seinen  zahlreichen,  in  ur- 
alte Zeit  zurückreichenden  Zeremonien  (Bd.  I  220  f.)  hat 
Amenophis  IV.,   wie  manche  seiner  Vorgänger  auch'^),    nicht 

')  S.  H.  Schäfer  in  den  Anitl.  Berichten  aus  den  preuß.  Kunst- 
sammlungen XLI  1920,  158  if.,  der  auf  Grund  einer  Reinigung  des  Re- 
liefs (im  Berl.  Mus.)  den  Tatbestand  definitiv  geklärt  und  damit  die  leb- 
haften darüber  geführten  Diskussionen  erledigt  hat.  —  Weitere  Blöcke 
vom  Tempel  bei  Breasted,  Anc.  Rec.  II  932  und  Schäfer,  ÄZ.  .5.5,  28.  2 
sowie  Amtl.  Ber.  XL  1919,  225  (nach  Pri.sse). 

^)  Abgebildet  bei  Lepsius,  Denkm.  Text  IV  97  (die  Inschrift  LD  III. 
llOi);  Schäfer,  Rel.  und  Kunst  von  El-Amarna  S.  11.  Gleichartig  ist 
eine  Stele  aus  dem  Steinbruch  von  Zernik  gegenüber  von  Esne:  Le- 
grain, Ann.  du  Serv.  III  259  ff.  Ebenso  verehren  im  Grabe  des  Cheru-f 
(o.  S.  357,  1)  der  König  und  seine  Mutter  den  Atum  und  die  Hathor, 
und  im  Totengebet  werden  zahlreiche  Götter  angerufen;  dazu  kommt 
dann  ein  Gebet  an  den  Sonnengott. 

^)  So  Mentuhotep  V.  Bd.  I  277  A;  über  Thutmosis  IV.  s.  o.  S.  149,  2. 


384   VIII.  Durchführung  d.  solar.  MonotheisTiius,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

erst,  wie  es  dem  Herkommen  entsprach,  im  30.  Jahre  seiner 
Regierung,  sondern  alsbald  nach  ihrem  Antritt  gefeiert. 
Offenbar  ist  dabei  der  neue  Tempel  eingeweiht  und  das  Fest 
benutzt  worden,  um  die  Verehrung  des  Aten  feierlich  zu  pro- 
klamieren und  allen  Untertanen  anzubefehlen.  Damit  werden 
weitere  Bestimmungen  über  die  Gestaltung  seines  Kultus  ver- 
bunden gewesen  sein.  Vor  allem  ist  jetzt  festgesetzt  worden, 
daß  der  Gott  zwar  neben  seinem  eigentlichen  Namen  Aten 
auch  noch  den  des  Re'  und  Har'achte  führen  darf,  daß  aber 
eine  Darstellung  in  menschlicher  oder  gar  halbtierischer  Ge- 
stalt nicht  mehr  zulässig  ist;  er  darf  nur  so  gebildet  werden, 
wie  er  wirklich  aussieht:  als  die  runde  Scheibe,  die  vom 
Himmel  ihre  Strahlen  auf  die  Erde  hinabsendet  und  durch 
sie  alles  Leben  erweckt.  Daher  enden  die  Strahlen  in  Hände, 
die  das  Zeichen  des  Lebens  (daneben  auch  das  des  Gedeihens) 
darreichen  und  die  auf  dem  Opfertisch  aufgehäuften  Gaben 
in  Empfang  nehmen.  Dabei  erhält  sich  die  alte  Vorstellung, 
daß  die  Gewalt  des  Gottes  durch  die  Uraeusschlange  dar- 
gestellt wird;  sie  hängt  an  der  Sonnenscheibe  ebenso  wie  an 
der  Krone  des  Königs  und  der  Königin.  Diese  beiden  stehn 
in  den  Bildern  regelmäßig,  dem  Gott  Weihrauch  oder  Blumen 
darbietend,  unter  den  Strahlen;  ihnen  fließt  das  Leben,  das 
er  gewährt,  unmittelbar  zu,  sie  sind  von  Gott  auserwählt,  die 
wahre  Erkenntnis  zu  gewinnen  und  in  dem  Reich,  das  er 
ihnen  übergeben  hat,  überallhin  zu  verbreiten^). 

Die  fundamentale  Bedeutung  des  Setfestes  für  die  Ein- 
führung der  wahren  Religion^)  hat  darin  ihren  Ausdruck  ge- 


')  Die  neue  Darstellung  findet  sich  zuerst  aus  einer  Zeit,  wo  der 
König  sich  noch  Amenophis  nennt,  in  den  Gräbern  des  (später  nach 
Amarna  übergesiedelten)  Parannofer  (Davies,  J.  Eg.  Arch.  IX  1,  36  ff., 
pl.  23)  und  des  Ra'mose  (v.  Bissing,  Denkm.  zur  Gesch.  der  Kunst  Am.  IV. 
Ber.  bayr.  Ak.  1914  Abh.  3,  Taf.  6)  in  Theben,  in  letzterem  neben 
älteren  Darstellungen,  so  daß  die  Neuerung  mitten  in  die  Anlage  des 
Grabes  fällt;  ferner  auf  dem  gleich  zu  erwähnenden  Tempelrelief. 

')  Szenen  aus  der  Feier  des  Festes  durch  Amenophis  IV.  sind  auf 
einem  von  Griffith,  J.  Eg.  Arch.  V  61  ff.  veröffentlichten,  von  Schäfer, 
Ber.  Berl.  Ak.  1919,  477  ff.  erläuterten  Kalksteinblock  dargestellt. 


Gestaltung  und  Einführung  des  Sonnenkults  385 

funden,  daß  dem  Namen  Aten  ein  darauf  bezüglicher  Zusatz 
angefügt  wird:  „der  große  lebende  Aten,  der  im  Setfeste, 
Herr  von  Himmel  und  Erde,  der  beide  Lande  erleuchtet"  0- 
Auf  einem  Block  aus  dem  Tempel  in  Karnak  strecken  die 
Sonnenstrahlen  dem  König  das  Schriftzeichen  des  Festes  ent- 
gegen-); zugrunde  liegt  die  Auffassung,  daß  der  Gott  dadurch, 
daß  er  dem  König  diese  Feier  gewährte,  sein  Werk  bestätigt 
und  sich  in  ihm  manifestiert  hat.  In  den  Gebeten,  in  denen 
dem  König  in  üblicher  Weise  eine  endlose  Lebensdauer  ge- 
wünscht wird,  wird  daher  immer  wieder  an  Aten  die  Bitte 
gerichtet,  er  möge  ihm  viele  Myriaden  von  Setfesten  ge- 
währen. Vermutlich  hat  sich  der  König  selbst,  wie  so  mancher 
seiner  Vorgänger  und  Nachfolger  nicht  nur  in  Ägypten,  in 
solchen  Illusionen  gewiegt. 

Überall  im  Lande  werden  jetzt  Tempel  des  Aten  errichtet, 
so  in  Hermonthis,  Memphis,  Heliopolis  —  dessen  Gott  Atum-Re' 
ja  mit  Aten  identisch  ist  und  mit  dem  daher  andauernd  enge 
Fühlung  bestand  —  und  gewiß  noch  in  vielen  anderen  Städten. 
In  Nubien  hat  der  König  dafür  w^enig  unterhalb  des  dritten 
Katarakts,  oberhalb  von  Soleb,  eine  neue  Stadt  erbaut,  die 
den  Namen  Gem-aten  erhielt,  den  auch  der  Tempel  in  Kar- 
nak trug'^). 

Wie  jede  an  den  Fundamenten  des  Überlieferten  rüttelnde 
Umwälzung,  mag  sie  wie  hier  von  der  Religion  oder  aber 
von  politischen  oder  sozialen  Motiven  ausgehn,  sofort  das 
gesamte  geistige  Leben  ergreift  und  neue  Anschauungen  er- 
weckt, die  äberall  das  Bestehende  in  Frage  stellen  und  um- 

')  So  schon  im  Grabe  Parannofers.  Später  ist  der  Zusatz  ^mihb-st 
in  „Herr  der  Setfeste"  geändert  worden;  die  Inschrift  aus  Assuan 
(v.  Bissing  S.  3  fF.  Taf.  I,  aus  der  Amarnazeit)  sagt  dafür  noch  präziser 
„der  das  Setfe^t  gemacht  hat"  ('r  hb-stj. 

2)  ScHÄi  ER,  Amt].  Ber.  aus  den  preuß.  Kunstsammlungen  40,  1919, 
S.  225  =  Kunst  des  Alten  Orients  no.  360.   ÄZ.  58  S.  36  und  Taf.  I. 

')  Breasted.  ÄZ.  40,  106  ff.  Americ.  J.  of  Semit,  lang.  XXV  1908, 
51  ff.  Der  Tempel  ist  von  Sethos  I.  in  einen  des  Amon  verwandelt,  aber 
die  Stadt  (jetzt  Ruinen  von  Sesebi)  hat  ihren  Namen  Gem-aten  noch 
unter  den  meroitischen  Königen  bewahrt. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    H'.  25 


386   VIII. Durchführung  d.  solar.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

gestalten  wollen,  so  auch  hier.  Gleichzeitig  mit  der  Ein- 
führung des  neuen  Götterbildes  kommt  ein  neuer  Stil  in  die 
bildende  Kunst:  die  Reliefs  aus  dem  Anfang  seiner  Regie- 
rung zeigen  noch  ganz  die  konventionellen  klassischen  For- 
men; dann  aber,  spätestens  etwa  in  seinem  dritten  Jahre,  er- 
scheinen urplötzlich  schroff  naturalistisch  gebildete  Gestalten; 
Gesichtszüge,  Bewegung,  die  gesamte  Komposition  und  der 
Ausdruck  der  Szenen  sind  total  anders  geworden.  Besonders 
anschaulich,  geradezu  verblüffend,  wirkt  der  Gegensatz  in  den 
thebanischen  Gräbern  aus  dieser  Zeit,  dem  des  Vezirs  Ra'mose, 
wo  an  derselben  Wand  auf  der  einen  Seite  der  König  und 
seine  Frau  im  alten  Stil,  auf  der  anderen  im  neuen  dargestellt 
sind,  wie  sie,  beschienen  von  den  Strahlen  des  Aten,  in  un- 
gezwungener Haltung  auf  die  Brüstung  des  großen  Fensters 
im  Palaste  lehnen,  um  den  verdienten  Beamten  die  Ehren- 
geschenke zuzuwerfen  —  eine  der  früheren  Zeit  völlig  fremde, 
jetzt  neu  geschaffene  Darstellung,  die  sich  ebenso  in  dem 
gleichzeitigen  Grabe  des  Hofbeamten  Parannofer  findet  und 
dann  ständig  wiederholt  wird. 

Völlig  fertig  und  ganz  unvermittelt  tritt  uns  in  diesen 
Reliefs  der  neue  Stil  entgegen.  Und  doch  müssen  wir  annehmen, 
daß  er  sich,  ebensogut  wie  die  neue  Religion,  vorher  bereits 
vorbereitet  hat.  Es  muß  Kreise  gegeben  haben,  die  sich  über- 
sättigt fühlten  von  dem  klassischen,  durch  seine  volle  Aus- 
bildung zu  konventionellem  Formalismus  gewordenen  Stil,  der 
ihnen  hohl  und  leer  und  darum  unwahr  erschien  und  das,  was 
sie  empfanden,  nicht  auszudrücken  vermochte^). 

Entscheidend  ist,  wie  in  der  Religion,  so  auch  hier  ge- 
wesen, daß  der  König  sich  mit  Feuereifer  der  neuen  Richtung 
hingab.  Beides  hängt  aufs  engste  zusammen:  die  alten  Formen 
der  bildlichen  Darstellung  waren  eben  so  unwahr  wie  die  alte 
Religion.   Er  aber,  wie  ein  jetzt  seinem  Namen  ständig  an- 

')  Auf  die  volle  Parallele,  die  der  Bruch  mit  dem  gotischen  Stil 
in  der  Renaissancezeit  und  vor  allem  die  Abwendung  vom  klassischen 
Stil  im  letzten  Viertel  des  19.  Jahrhunderts,  dem  Impressionismus  u.  s.w. 
bietet,  braucht  kaum  hingewiesen  zu  werden. 


Umwandlung  des  Kunststils  387 

gefügter  Zusatz  sagt,  „lebte  von  der  Wahrheit",  so  gut  wie 
sein  Gott,  und  verabscheute  die  Lüge.  Daher  wollte  er  auch  so 
dargestellt  sein,  wie  er  wirklich  aussah,  nicht  in  der  erlogenen 
Gestalt  des  traditionellen  Königsbildes.  In  der  Zeit,  in  der 
er  den  Amon  noch  nicht  rücksichtslos  bekämpfte  —  der  Name 
Amenophis  steht  auf  den  Gürteln  der  Statuen  — ,  hat  er  mehrere 
Kolossalstatuen  für  den  Tempel  des  Aten  in  Karnak  herstellen 
lassen,  die  ihn  in  krasser  Natürlichkeit  darstellen,  mit  von  Fal- 
ten durchfurchtem  Gesicht,  hängendem  Kinn,  langem  dünnen 
Hals,  schwachem  Brustkörper,  dickem  Bauch  und  schmäch- 
tigen Armen  und  Unterschenkeln.  So  hat  er  im  Leben  aus- 
gesehn;  aber  der  Kontrast  gegen  das  pompöse  Pharaonen- 
ornat wirkt  geradezu  grotesk;  und  ebenso  erscheinen  die  ent- 
sprechenden Reliefs  oft  wie  eine  Karrikatur,  sowenig  dies 
natürlich  der  Absicht  entspricht. 

Charakteristisch  für  Ägypten  ist  nun,  daß  diesen  Zügen 
des  Königs  die  seiner  Umgebung,  sowohl  der  Königin  wie  der 
Magnaten,  möglichst  angeähnelt  werden,  als  hätten  damals  alle 
Menschen  wirklich  so  ausgesehn.  Daß  dies  mit  dem  Bekennt- 
nis zu  der  vom  König  gepredigten  ,  Wahrheit",  das  auch  in 
den  Grabinschriften  oft  genug  ausgesprochen  wird,  in  schroffem 
Widerspruch  steht,  hat  man  nicht  empfunden.  Der  König  ist 
ja  ein  wirklicher,  lebendiger  Gott  —  an  diesem  Glauben  hat 
auch  die  neue  Religion  nichts  geändert ^  —  und  Sohn  des 
Sonnengottes  (mag  dieser  nun  Amon,  Re'  oder  Aten  heißen); 
so  ist  es  Pflicht,  sich  in  allem  nach  seinem  Vorbild  zu  richten. 
Nur  durch  diesen  tief  im  Volk  wurzelnden  Glauben  ist  es  be- 
greiflich, daß  das  Unternehmen,  die  alte  Religion  umzustürzen, 
überhaupt  gewagt,  und  vollends,  daß  es  zeitweihg  durchge- 
führt werden  konnte. 

Diese  Unterwürfigkeit  unter  den  Willen  des  Königs  ge- 
langt in  den  Werken  der  neuen,  naturalistischen  Kunst  wo- 
möglich noch  stärker  zum  Ausdruck  als  früher;  die  Menschen, 


')  Auf  dem  Kalksteinbloek  oben  S.  384.  2  steht  sein  Oberpriester 
in  gebückter  Haltung  hinter  ihm. 


888   VIII.  Durchführung  d.  solar.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

ob  vornehm  oder  gering,  die  vor  dem  König  stehn,  die  Sol- 
daten, die  auf  ihn  zulaufen,  können  den  Rücken  garnicht 
tief  genug  beugen.  Auf  uns  wirkt  diese  Servilität  in  der  rea- 
listischen Darstellung  vielleicht  noch  abstoßender  als  in  den 
gleichartigen,  durch  den  strengen  Stil  gehobenen  Darstellungen 
der  älteren  Zeit  (z.B.  Reliefs  aus  dem  Tempel  des  Neweserre'); 
für  den  Ägypter  dagegen  ist  die  Befolgung  dieses  Zeremoniells 
etwas  Selbstverständliches,  sowohl  dem  Könige  wie  dem  Vor- 
gesetzten gegenüber,  aber  eben  darum  für  das  richtige  Ver- 
ständnis der  geschichtlichen  Vorgänge  nur  umso  bedeutsamer. 

Im  Gegensatz  zu  den  Untertanen  behandelt  Amenophis  IV. 
seine  Gemahlin  Nofret-ite  ebenso  wie  sein  Vater  die  Königin 
Teje  als  sich  völlig  gleichstehend.  Durchweg  erscheint  sie 
neben  ihm  in  gleicher  Größe;  auch  in  die  Gebetsformeln  an  den 
Sonnengott  ist  sie  mit  aufgenommen.  In  stärkster  Abweichung 
von  all  seinen  Vorgängern  trägt  er  garkeine  Bedenken,  sich 
in  rein  menschlichen  Verhältnissen  darstellen  zu  lassen,  im 
intimsten  Verkehr  mit  Frau  und  Kindern  oder  in  nachlässiger 
bequemer  Haltung  behaglich  auf  dem  Stuhle  sitzend,  mit  vollem 
Verzicht  auf  die  Pose  der  Majestät. 

Diese  Ablehnung  alles  Traditionellen  und  daher  Unnatür- 
lichen hat  ferner  bewirkt,  daß  die  neuen  Gebetsformeln  nicht 
mehr  in  der  klassischen,  im  Leben  längst  stark  veränderten 
Sprache  des  Mittleren  Reichs  abgefaßt  sind,  sondern  zum 
erstenmal  in  der  offiziellen  Literatur  die  modernen  Sprach- 
formen (das  „Neuägyptische")  verwenden.  Auch  darin  zeigt 
sich,  daß  die  Bewegung  das  gesamte  geistige  Leben  ergriffen 
hat  und  von  Grund  aus  umzugestalten  versucht. 

Für  die  Annahme  der  wahren  Religion  hat  der  König 
mit  Wort  und  Tat  eifrig  gewirkt.  Die  Grabinschriften  der 
Magnaten  erwähnen  oft,  daß  sie  die  „Lehre"  vom  König 
selbst  empfangen  haben  und,  wenn  sie  „die  Wahrheit  lieben 
und  die  Lüge  verabscheuen",  damit  den  Mahnungen  und  dem 
Vorbild  folgen,  das  er  ihnen  gegeben  hat.  An  sanftem  Druck 
und  an  Mitteln  „zur  Gewinnung  der  Herzen",  wie  Mohammed 
sich  in  ähnlicher  Lage  ausdrückte,  fehlte  es  nicht:  wer  sich 


Religiöse  Propagantla.    Die  Krisis  389 

für  überzeugt  erklärte  und  eifrig  mitwirkte,  durfte  auf  reiche 
Belohnung  und  rasche  Beförderung  zu  hohen  Ämtern  hoffen ; 
erwähnt  ist  schon,  daß  die  Darstellung  der  Belohnungen,  die 
Verleihung  der  goldenen  Ketten  und  Schmucksachen,  die  König 
und  Königin  vom  Audienzfenster  des  Palastes  aus  dem  Ge- 
ehrten zuwarfen,  vom  Grabe  des  Vezirs  Ra'mose  an  in  den 
Grabreliefs  ständig  wiederkehrt.      .   ^ 

Die  Krisis  und  die  Religionsverfolgung 

Zunächst  mochte  Amenophis  glauben,  daß  die  Verehrung 
des  Sonnengottes  in  seiner  wahren  Gestalt  als  Aten,  als 
Sonnenscheibe,  lediglich  den  der  überlieferten  Religion  zu- 
grunde liegenden  Anschauungen  den  richtigen  Ausdruck  geben 
und  sich  daher  mit  dem  bestehenden  Pantheon  noch  vertragen 
könne.  Aber  ein  solcher  Kompromiß  ließ  sich  nicht  aufrecht 
erhalten.  Wohl  mochten  sich  auch  unter  den  Priestern  ein- 
zelne Apostaten  finden;  als  Ganzes  dagegen  war  die  Priester- 
schaft überall  mit  dem  alten  Glauben  untrennbar  verwachsen, 
vor  allem  aber  die  Stellung  der  Amonpriester  von  Theben 
durch  den  neuen  Obergott  in  ihren  Grundlagen  angetastet. 
Die  Stimmung  der  Volksmassen  stand  ganz  auf  ihrer  Seite; 
die  neue,  von  einem  Bruchteil  der  Oberschicht  ausgehende 
Bewegung  war  ihnen  vollkommen  fremd  und  unverständlich. 
So  war  ein  Zusammenstoß  unvermeidlich.  In  dem  großen  Edikt 
über  die  Gründung  seiner  neuen  Hauptstadt  in  Amarna  redet 
der  König  von  einem  Vorfall  im  4.  Jahre  seiner  Regierung, 
der  ärger  gewesen  sei  als  alles,  was  seine  letzten  Vorgänger  ^) 
erlebt  hatten  (wie  es  scheint,  bei  Aufständen  der  besiegten 
Untertanen)  —  alles  Aveitere  ist  leider  hoffnungslos  zerstört. 
Offenbar  handelt  es  sich  um  einen  großen  Aufstand,  der  mit 
Waffengewalt  niedergeworfen  werden  mußte. 

In  dieser  Lage  lag  die  Entscheidung  beim  Militär.  In 
den  Grabreliefs  von  Amarna  ist  der  König  immer  von  einer 
starken  Leibwache  umgeben.    Während  diese  in  den  älteren 


'j  Erhalten  i?t  nur  der  Thronname  Thatraosis'  des  III.  oder  IV. 


390   ^^I-  Durchführung  d.  solar.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

Darstellungen,  z.  B.  in  Der  el  Bahri,  immer  nur  aus  ägyp- 
tischer Infanterie  besteht,  kommen  hier  regelmäßig  fremde 
Truppen  hinzu,  syrische  Lanzenkärapfer,  libysche  Schützen, 
Neger  mit  Bogen  und  Dolchmessern  oder  auch  mit  Keulen. 
Diesen  ausländischen  Soldknechten  ^)  war  die  Religion,  um  die 
gekämpft  wurde,  völlig  gleichgültig;  aber  dem  König  waren 
sie  ergeben  und  standen  ihm  unbedingt  zur  Verfügung.  Nur 
dadurch,  daß  er  sich  auf  sie  stützen  konnte,  ist  die  Bezwin- 
gung der  Aufstände  und  die  Durchführung  der  religiösen  Um- 
wälzung ermöglicht  worden. 

Die  Krisis  des  Jahres  4  hat  die  letzte  Entscheidung  herbei- 
geführt. Noch  in  demselben  Jahre  entschloß  sich  der  König, 
der  widerspenstigen  Amonsstadt  den  Rücken  zu  wenden:  feier- 
lich verkündet  er,  daß  sein  Vater  Aten  ihm  eingegeben  habe, 
ihm  eine  neue,  nur  ihm  angehörende  Kultstätte  zu  gründen. 
Für  die  Neugründung  wählte  er  eine  bisher  unbewohnte  Stätte 
in  Mittelägypten,  etwas  oberhalb  von  Hermopolis,  eine  kleine, 
rings  von  Höhenzügen  und  Wüste  umschlossene  Ebene  am 
rechten  Nilufer  (jetzt  el  'Amarna).  Ausdrücklich  versichert 
er,  daß  das  Stadtgebiet  bisher  weder  einem  Gott  noch  einem 
Stadtfürsten  gehört,  er  also  keinerlei  Eigentumsrechte  verletzt 
habe.  Auch  die  neue  Religion  hält  fest  an  der  uralten,  den 
ganzen  Kultus  Ägyptens  beherrschenden  Anschauung,  daß 
jede  Gottheit,  wenn  sie  auch  am  Himmel  weilt,  doch  im  Nil- 
tal eine  Stätte  haben  muß,  die  ihr  als  Eigentum  angehört, 
„ihre  Stadt",  in  der  sie  wohnt  und  die  den  Mittelpunkt  ihres 
Kultus  bildet.  Ohne  eine  solche  kann  man  sich  auch  den  Aten 
nicht  denken,  wenngleich  er  der  Menschheit  tagtäglich  sicht- 
bar erscheint.  So  erhält  die  Neugründung  den  Namen  Acht-aten, 
„Horizont    des  Aten",    gewissermaßen    die    Projektion    seiner 


')  Zu  ihnen  gehört  offenbar  der  nach  Gesichtsbildung,  Bart  und 
Haartracht  aus  Nordsyrien  stammende  Trur*,  der  auf  dem  Berliner 
Relief  ÄZ.  36  Taf.  VII  auf  einem  Klappstuhl  sitzend  aus  dem  vor  ihm 
stehenden  Bierkrug  durch  einen  Heber  trinkt,  bedient  von  einem 
ägyptischen  Knaben.  Hinter  ihm  steht  seine  lange  Lanze,  vor  ihm  sitzt 
seine  Frau  'rbur'a. 


Die  neue  Sonnenstadt  und  die  Religionsverfolgung  391 

himmlischen  Wohnung  auf  die  Erde.  Untrennbar  mit  ihm  ver- 
bunden ist  der  König,  der  Verkünder  seiner  Lehre;  hier  will 
er  fortan  residieren,  hier  sein  Grab  anlegen,  in  das,  auch  wenn 
er  an  einem  anderen  Orte  sterben  sollte,  seine  Leiche  überführt 
werden  soll,  ebenso  wie  die  der  Königin  und  ihrer  Kinder. 
Königskult  und  Atenkult  fließen  ineinander;  so  wird  der  Gottes- 
name ganz  nach  dem  Schema  des  Königsnamens  ausgestattet, 
nach  ihm  datiert  wie  nach  dem  König,  mit  diesem  zusammen 
feiert  auch  der  Gott  die  Jubiläen  der  Setfeste  ^).  In  der 
Gründungsurkunde  von  Acht-aten  werden  ausführlich  die  ein- 
zelnen Baulichkeiten  des  geplanten  Tempels  aufgezählt,  ebenso 
die  Anlage  des  Palastes  und  vor  allem  der  Gräber  für  den 
König  und  seine  Familie  sowie  für  die  Priester  und  Beamten. 
Die  enge  Verknüpfung  der  ganzen  Bewegung  mit  dem  Sonnen- 
kult von  Heliopolis  tritt  deutlich  darin  hervor,  daß  der  Ober- 
priester des  Aten  denselben  Titel  ur-mau  erhält,  wie  der  dor- 
tige, und  daß  auch  der  zum  Kult  des  Atum  gehörende  Stier 
Mnevis  hier  ein  Grab  erhalten  soll  —  diese  Gestalt  des  Tier- 
dienstes wird  also  als  legitim  anerkannt-). 

Dagegen  setzt  jetzt  die  rücksichtslose  Verfolgung  des 
Amon  ein.  Er  wird  behandelt  wie  ein  Usurpator,  der  sich 
widerrechtlich  ein  Amt  angemaßt  hat,  das  ihm  nicht  zukommt: 
seine    Statuen    werden    zerschlagen,    seine    Reliefbilder    weg- 


')  Diese  Momente  hat  Gunn,  Notes  on  the  Aten  and  his  names, 
J.  Eg.  Arch.  IX  1923,  168  ff.  mit  Recht  hervorgehoben. 

*)  Den  auf  drei  aufs  ärgste  beschädigten  Stelen  erhaltenen  Text 
des  Edikts  vom  J.  4  und  ebenso  den  der  Grenzsielen  vom  J.  6  hat 
Daviks,  The  Rock  Tonibs  of  El  Amarna  vol.  V  (1908)  mit  Beihilfe  von 
Ghiffith,  soweit  es  möglich  ist,  -wiederhergestellt  und  übersetzt  —  eine 
unübertreffliche  Leistung  liebevoller  Versenkung  in  die  Trümmer  und 
scharfsinniger  Erfassung  jeder  Andeutung.  Das  Datum  „J.  4"  des  Edikts 
ist  mit  Unrecht  angezweifelt  worden,  weil  der  Königsname  hier  schon 
Echnaten  lautet.  Offenbar  sind  die  Stelen  erst  nach  dem  Namens- 
wechsel fertiggestellt  worden;  aber  die  Vorgänge,  d'.e  sie  berichten,  ge- 
hören an  den  Anfang,  die  der  Grenzstelen  dagegen  an  den  Schluß  der 
Stadtgründung;  das  Intervall  von  2  Jahren  ist  mithin  auch  durch  den 
Inhalt  völlig  gesichert. 


392    ^lU.-  Durchführung  d.  solar.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

gemeißelt,  sein  Name  ausgekratzt,  wo  immer  er  sich  findet, 
sogar  in  den  Keilschriftbriefen  im  Archiv  von  Amarna,  und 
so  seine  Existenz  vernichtet.  Denn  das  ist  der  Sinn  dieses 
Vorgehens:  indem  man  Namen  und  Bild  zerstört,  tötet  man 
den  Gott  selbst,  der  in  ihnen  lebt  wie  der  Geist  des  Toten 
in  den  Bildern  seines  Grabes.  Wie  die  Verfolgung  der  Hatsepsut 
und  ihrer  Gehilfen  durch  Thutmosis  III.  hat  sich  auch  die 
Verfolgung  Amons  über  ganz  Ägypten  und  Nubien  erstreckt. 
Man  kann  sich  vorstellen,  wie  die  Soldateska  des  Königs  sich 
über  alle  Kultstätten  ergoß,  jeden  Widerstand  niederschlug, 
wie  unter  ihrem  Schutz  der  verhaßte  Gottesname  bis  in  die 
entlegensten  Winkel  der  Tempelinschriften  wie  der  Grab- 
inschriften getilgt  und  die  Fortführung  des  Kultus  unterdrückt 
wurde,  so  daß  die  Tempel  leer  standen  und  verfielen. 

Nicht  viel  besser  ist  es  alsbald^)  auch  den  übrigen  Göttern, 
mit  Ausnahme  der  solaren  Götter  wie  Atum  und  Horus,  er- 
gangen; immer  deutlicher  ,kam  zum  Bewußtsein,  daß  auch 
ihre  Existenz  sich  mit  der  Allgewalt  des  einen  Sonnengottes 
nicht  vertrug.  So  sind  auch  ihre  Namen  zerstört  worden,  wenn 
auch  nicht  ganz  mit  dem  wilden  Haß  wie  der  des  Amon; 
gelegentlich  ist  sogar  das  Wort  „Götter"  getilgt,  weil  der  Plural 
dem  Monotheismus  widersprach. 

Auch  für  seinen  eigenen,  mit  dem  Amons  gebildeten 
Namen  hat  der  König  die  Konsequenz  gezogen:  seit  seinem 
6.  Jahr  hat  er  ihn  durch  den  Namen  Echnaten  ersetzt'^). 
Auch  im  Namen  seines  Vaters  hat  er  den  Amon  tilgen  lassen 
und  nennt  ihn,  den  er  im  übrigen,  ebenso  wie  dessen  Adoptiv- 

')  Aus  seinem  5.  Jahre  ist  ein  Schreiben  an  den  König,  der  hier 
noch  Amenophis  heißt,  erhalten,  in  dem  ihm  ein  Beamter  berichtet, 
daß  der  Tempel  des  Ptah  von  Memphis  in  gutem  Zustand  ist,  und  zu 
Ptah  für  ihn  betet:  Griffith,  Petrie  Papyri  p.  91«  Damals  hatte  also 
die  Verfolgung  der  übrigen  Götter  noch  nicht  begonnen. 

*)  Sethe,  ÄZ.  44,  116  ff.,  hat  dafür  die  seitdem  allgemein  au- 
fgenommene Übersetzung  „es  gefällt  dem  Aten"  vorgeschlagen,  im  Sinne 
von  „Aten  hat  Wohlgefallen",  nämlich  an  dem  König.  Ob  sie  wirklich 
zutreffend  ist,  ist  mir  doch  recht  fraglich.  Jedenfalls  ist  Ech-n-atea 
formell  dem  Amen-hotep  nicht  gleichwertig. 


Volle  Durchführung  der  Religion.    Die  neue  Hauptstadt        393 

vater  Thutmosis  IV.  und  vermutlich  aucli  andere  seiner  Vor- 
gäng-er,  in  hohen  Ehren  hält  und  auch  in  der  neuen  Haupt- 
stadt bildlich  darstellt  und  beschenkt,  immer  nur  mit  seinem 
Thronnamen,  unter  dem  er  ja  zugleich  der  Götterwelt  an- 
gehört (o.  S.  329). 

Gleichzeitig  wurde  der  Bau  der  neuen  Hauptstadt  mit  reg- 
stem Eifer  betrieben;  schon  nach  zwei  Jahren,  im  Frühjahr 
seines  6.  Jahres,  konnte  der  König  mit  seinem  Hofstaat  dorthin 
übersiedeln.  Damals  hat  er  auch  das  weite  Kulturland  gegen- 
über auf  dem  linken  Nilufer  bis  an  die  Höhen  der  Wüste  im 
Westen  dem  Stadtgebiet  oder  vielmehr  dem  Aten  als  Eigentum 
zugewiesen.  Zugleich  gelobte  er  feierlich,  er  wolle  fortan 
die  Grenzen,  die  er  überall  durch  große  Inschriftentafeln  fest- 
legte, nicht  mehr  überschreiten,  also  ganz  auf  dem  heiligen, 
niemals  durch  einen  falschen  Gott  entweihten  Boden  des 
Sonnengottes  leben;  zwei  Jahre  darauf  hat  er  diesen  Eid 
nochmals  erneuert. 

Die  Sonnenstadt  Amarna 

In  dieser  neuen  Stadt  kann  sich,  ungehindert  durch  alte 
Traditionen  und  durch  Monumente  der  verworfenen  Religion, 
die  moderne  Kultur  mit  der  ihr  vom  König  gegebenen  Kunst- 
richtung frei  und  einheitlich  entfalten,  wenn  auch  die  Eile, 
mit  der  man  gearbeitet  hat,  oft  genug  bemerkbar  ist.  Zu- 
gleich gewährt  sie,  da  sie  kaum  über  ein  Jahrzehnt  bestanden 
hat  und  dann  unbewohnt  in  Trümmern  liegen  geblieben  ist,  ein 
Bild  der  Profanbauten,  wie  es  sonst  keine  Ruinenstätte  Ägyp- 
tens bietet.  Die  deutschen  und  die  englischen  Ausgrabun- 
gen haben  große  Teile  der  Stadt  aufgedeckt  mit  den  breiten 
Hauptstraßen  und  den  Villen  der  Magnaten,  in  denen  ein  mit 
Bäumen  bestandener  Garten  und  ein  Teich  mit  einer  Laube 
davor  niemals  fehlt.  In  der  Anlage  herrscht  durchweg  die 
geradlinige  Richtung,  auch  in  den  Alleen;  der  Teich  ist 
immer  rechteckig;  der  Gedanke  an  einen  Naturpark,  wie  wir 
uns  vielleicht  die  kretischen  Gärten  denken  dürfen,  liegt  den 
Ägyptern   ganz   fern.     Gleichartig,  nur   in    viel  größeren  Di- 


3!H   VIII.  Durchführung  d.  solar.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

mensionen,  ist  der  Königspalast,  der  den  Namen  Maru-aten 
führt,  mit  zahlreichen  Einzelbauten,  Hallen  und  Kiosken; 
ein  großer  rechteckiger  See,  zu  dem  eine  Rampe  hinabführt, 
liegt  auch  hier  in  der  Mitte.  Die  Fußböden  sind  mit  Stuck 
belegt  und  mit  flott  gezeichneten  Bildern  aus  der  Pflanzen- 
und  Tierwelt  bemalt,  in  denen  die  Einwirkung  der  kreti- 
schen Kunst  ganz  anschaulich  zutage  tritt.  Der  volle  Reich- 
tum der  neuen  realistischen  Kunstrichtung  entfaltet  sich  in 
den  buntbemalten  Reliefs,  die  König  und  Königin  in  trautem 
Verein  darstellen,  in  einer  ungezwungenen  Haltung,  wie  sie 
in  jeder  anderen  Epoche  der  ägyptischen  Kunst  ganz  un- 
denkbar wäre,  etwa  nachlässig  nebeneinander  sitzend  und  mit 
den  Töchtern  scherzend  oder  auch  die  Mahlzeit  einnehmend, 
oder  in  graziöser,  fast  koketter  Haltung  sich  gegenüberste- 
hend, mit  flatternden  Gewändern,  der  König  auf  seinen  Stock 
gestützt,  während  die  Königin  ihm  wohlriechende  Blumen  hin- 
hält oder  die  Töchter  nackt  auf  dem  Diwan  miteinander  spie- 
len. Die  Schöpfungen  der  Rundplastik  vollends  gehören  zu 
den  bedeutendsten  und  wirkungsvollsten  Kunstwerken  aller 
Zeiten.  Daß  wir  hier  durch  die  Aufdeckung  der  Werkstatt 
des  Bildhauers  Thutmosis  mit  ihren  zahlreichen  Modellen  und 
angefangenen  Statuen  und  daneben  den  Gipsmasken  zugleich 
einen  lebendigen  Einblick  in  ihren  Betrieb  erhalten,  ist  schon 
erwähnt^).  Neben  dem  Kopf  der  Königin,  deren  formvoll- 
endeter aber  etwas  kühler  Schönheit  der  eigenartige  Reiz  ab- 
geht, den  der  Kopf  der  Teje  (o.  S.  323)  ausübt,  und  dem  rea- 
listischen Porträt  des  alten  Amenophis  HI.  (o.  S.  324)  stehn 
die  immer  erneuten  Versuche,  das  geistige  Leben  des  Königs 
zu  erschließen,  seinen  schwärmerisch-sentimentalen,  oft  ge- 
radezu weichhchen  Ausdruck  richtig  zu  treffen.  In  manchen 
dieser,  immer  zugleich  von  der  Individualität  des  Künstlers 
getragenen  Gestalten  ist  das  vorzüglich  gelungen;  in  anderen 

')  S.  822.  Ein  Bild  einer  Künstlerwerkstatt  ist  in  dem  Grabe  des  Hui 
erhalten,  wo  der  Meister  die  Statue  einer  Prinzessin  bemalt,  während 
ein  Schüler  gespannt  zuschaut,  ein  zweiter  einen  Kopf,  ein  dritter  ein 
Stuhlbein  abzeichnet:  Davies.  Rock  Tombs  IV  18. 


Die  Sonnenstadt  Amarna.    Weiterbildung  der  Religion        395 

streift  es  durch  starke  Betonung  seiner  eigenartigen  Körper- 
bildung, namentlich  des  übermäßig  langen  Hinterkopfs,  des 
dünnen  Halses,  des  hängenden  Kinns  geradezu  an  Karikatur; 
und  das  tritt  noch  stärker  hervor,  wenn,  wie  es  vielfach  ge- 
schehn  ist,  diese  Züge  auch  auf  Frau  und  Töchter  des  Kö- 
nigs übertragen  werden. 

Die  Neugestaltung  der  Religion  war  bei  der  Übersied- 
lung nach  Amarna  im  wesentlichen  vollendet;  in  Einzelheiten 
ist  in  der  Folgezeit  noch  manches  gebessert  worden,  um  den 
exklusiven  Monotheismus  noch  schärfer  hervortreten  zu  lassen. 
So  wird  im  Gottesnamen  die  ursprünglich  mit  dem  Falken 
geschriebene  Bezeichnung  als  Horus  zunächst  durch  eine  rein 
phonetische  Schreibung  ersetzt,  und  dann  völlig  gestrichen 
und  durch  „Re\  der  Herrscher  der  Horizonte"  ersetzt,  ebenso 
das  Wort  s«,  das  an  den  gleichnamigen  Gott  erinnert^).  Aus 
seiner  eigenen  Titulatur  hat  der  König  die  Beziehung  auf 
Theben  durch  den  neuen  Herrschersitz  Acht-aten,  die  Formel 
„der  die  Kronen  in  Hermonthis  erhoben  hat"  durch  „der  den 
Namen  des  Aten  erhoben  hat"  ersetzt.  In  dem  schönen  Sonnen- 
hymnus, der  in  voller  Fassung  oder  gekürzt  in  allen  Grä- 
bern steht,  wird  die  Allmacht  und  die  in  Menschen  und  in 
allem  Getier  Leben  und  Bewegung  erweckende  Macht  der 
Sonne  enthusiastisch  und  mit  tiefem  religiösem  Gefühl  ge- 
priesen; von  Kämpfen  des  Sonnengottes  dagegen,  von  denen 
die  alte  Rehgion  so  viel  erzählte,  ist  mit  keinem  Worte  die 
Rede  und  ebensowenig  von  seiner  sengenden,  vernichtenden 
Gewalt,  obwohl  deren  Symbol,  die  furchtbare  Uraeusschlange. 
beibehalten  ist.  Auch  im  Totenkult  ist  aller  Spuk  und  alles 
Zauberwesen  abgestreift,  auch  die  Unterweltsbilder,  die  in 
den  Königsgräbern  eine  so  große  Rolle  spielen,  fehlen  völlig. 
An  Stelle  des  Osiris  ist  auch  hier  Aten  getreten;  das  Gebet 
an  ihn  schafft  dem  gläubigen  Verehrer  ein  seliges  Dasein  im 
Jenseits. 


^)  Die  dafür  eingesetzte  letzte  Formel  scheint  zu  bedeuten:  ,in 
seinem  Namen  lebender  Re",  Vater  (oder  ,mein  Vater?'),  der  als  Aten 
kommt."    Als  „Vater"  wird  Aten  in  den  Inschriften  häufig  angerufen. 


396   VIII.  Durchführung  d.  solar.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

Daß  es,  trotz  redlichsten  Strebens,  nicht  möglich  war, 
alle  altüberkommenen  Vorstellungen  zu  beseitigen,  die  mit 
der  neuen  Religion  in  innerem  Widerspruch  standen,  war 
unvermeidlich.  Dahin  gehört  z.  B.  die  Beibehaltung  des  Mne- 
visstiers  (o.  S.  891)  —  der  allerdings  später  in  Amarna  nie  mehr 
vorkommt,  so  daß  vielleicht  bei  der  vollen  Ausbildung  der  Re- 
ligion auch  er  gestrichen  worden  ist  —  oder  im  Totenkult 
die  der,  jetzt  aber  auf  Aten  gestellten,  Zauberformel  für  die 
Zuwendung  der  Speisegaben,  der  ins  Grab  gelegten  Puppen 
und  des  Skarabaeus  an  Stelle  des  Herzens,  Im  allgemeinen 
aber  ist  es  erstaunlich,  wie  stark  überall  aufgeräumt  ist,  und 
vielleicht  noch  überraschender,  daß  zur  Bildung  einer  neuen 
Mythologie,  wie  sie  sonst  auch  eine  neue  Religion  sofort  er- 
zeugt, sich,  soweit  wir  sehn  können,  keinerlei  Ansatz  findet. 
Der  solare  Monotheismus  ist  einer  der  konsequentesten  Gestal- 
tungen des  Monotheismus,  die  die  Religionsgeschichte  über- 
haupt kennt. 

Am  verhängnisvollsten  ist  vielleicht  gewesen,  daß  die 
alte  Anschauung  von  der  unmittelbaren  Verbindung  des  Kö- 
nigs mit  der  Gottheit  unverändert  geblieben  ist.  Allerdings 
war  das  ganz  unvermeidlich,  da  nur  dadurch  die  Einführung 
der  neuen  Religion  überhaupt  möglich  gewesen  ist.  Von 
einem  eigentlichen  Königskult,  wie  er  zu  Anfang  noch  bestand 
(o.  S.  387),  finden  wir  freilich  in  Amarna  nichts  mehr,  ab- 
gesehn  davon,  daß  Amenophis  III.  seine  Göttlichkeit  behält. 
Aber  auch  Echnaten  ist  der  Sohn  des  Aten,  seines  Vater.s, 
er  erhält  von  ihm  die  Inspiration,  und  seine  Persönlichkeit 
ist  mit  dem  Kultus  ganz  unmittelbar  verbunden.  Das  über- 
trägt sich  weiter  auf  seine  Gemahlin  und  zum  Teil  auch  auf 
seine  Töchter,  gleich  von  der  Geburt  an  —  Söhne  hat  er 
nicht  gehabt.  Sie  stehn  im  Mittelpunkt  der  Grabdarstel- 
lungen, unmittelbar  bestrahlt  von  der  Sonne  Atens,  ihre  Na- 
men fehlen  in  keinem  Gebet,  auch  der  Sonnenhymnus  läuft 
aus  in  die  Verherrlichung  des  Königs,  des  einzigen,  der  den 
wahren  Gott  erkannt  und  dem  dieser  die  Welt  übergeben 
hat;  und  neben  dem  Gottessohn  steht  auch  hier  die  Königin 


Der  König  als  Prophet.    Unpersönlichkeit  des  Sonnengottes     397 

Nofret-ite.  Und  doch  ist  die  Stellung  des  Königs  eine  sehr 
andere  geworden:  tatsächlich  ist  es  der  Prophet,  dem  die 
Ehrung  gilt.  Damit  tritt  Echnaten  als  erster  in  die  Reihe 
der  wenigen  wirklichen  Religionsstifter,  welche  in  der  Welt- 
geschichte aufgetreten  sind. 

Aus  dieser  Verknüpfung  mit  der  Person  des  Königs  und 
Propheten  erwächst  das  Verhängnis,  das  über  seinem  Werk 
schwebt:  wenn  er  keinen  Nachfolger  findet,  der  dieser  Stel- 
lung gewachsen  ist,  muß  es  zusammenbrechen.  Damit  ver- 
bindet sich  noch  ein  zweites  Moment.  Alle  Religion,  mag 
die  Theologie  sie  noch  so  abstrakt  gestalten,  bedarf,  um  die 
Seelen  zu  packen,  eines  Gottes,  der  dem  Menschen  gleicht,  wie 
der  Mensch  denkt  und  empfindet  und  daher,  wie  auch  immer 
gesteigert,  von  der  religiösen  Phantasie  in  Menschengestalt 
gedacht  wird;  nur  zu  einem  solchen  Gotte  ist  ein  unmittel- 
bares, persönliches  Verhältnis  denkbar.  Diese  Gestalt  aber 
hat  die  neue  Rehgion  verworfen  und  durch  das  Bild  der 
Sonnenscheibe  mit  ihren  in  Hände  endenden  Strahlen  er- 
setzt. Diesem  Bilde  mag  wohl  ein  Schwärmer  wie  Echnaten 
eine  Persönlichkeit  andichten;  aber  in  Wirklichkeit  kann  sie 
eine  Persönlichkeit  niemals  werden  und  bleibt  für  die  Massen 
kalt  und  seelenlos,  ein  Geschöpf,  nicht  ein  Schöpfer.  Zu 
dem  Gott,  der  sich  unter  anderem  auch  in  der  Sonne  mani- 
festiert, wie  Atum  oder  Amon,  oder  zu  dem  Schöpfergott 
Ptah,  der  auch  diese  geschaffen  hat,  kann  das  Volk  beten 
und  von  ihm  Hilfe  in  allen  Nöten  erhoffen;  die  Sonne  Aten 
vermag  die  Gefühle  wirklicher  Frömmigkeit  und  inbrünstiger 
Hingebung  nicht  zu  erwecken. 


Der  Ausgang  Echnatens  und  die  Reaktion.  Tut'anch-amon  und 
Haremhab.  Wiederunterwerfung  Palaestinas 

Durch  die  Übersiedlung  nach  Amarua  hat  Echnaten  sich 
innerlich  von  seinem  Reich  und  Volk  geschieden.  Er  hat  seinen 
Eid  gehalten,  die  Grenzen  des  abgesteckten  Gebiets  nicht 
Avieder  zu  überschreiten.    Damit  hat  er  freilich  keineswegs  das 


398   VIII.  Durclit'ührung  d.  solar. Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

übrige  Land  sich  selbst  überlassen;  im  Gegenteil,  sein  Gebot 
herrschte  von  Napata  bis  nach  Syrien  hinein^),  und  die  Be- 
kämpfung der  alten  Götter  wurde  im  ganzen  Niltal  durch- 
geführt. „Die  Tempel",  so  schildert  sein  Nachfolger  Tut- 
*anch-amon  den  Zustand  des  Landes,  „aller  Götter  und  Göt- 
tinnen von  Elephantine  bis  zum  Delta  lagen  in  Trümmern, 
ihre  Kapellen  verfielen  und  wurden  zu  Ruinen,  auf  denen 
Gras  wuchs,  ihre  Sanktuare  waren,  als  ob  sie  nie  existiert 
hätten,  ihi-e  Häuser  wurden  zu  Promenaden."  Alles  Tempel- 
gut mit  dem  reichen  Grundbesitz  und  den  Scharen  der  Hö- 
rigen war  offenbar  für  den  Staat  eingezogen;  daraus  werden 
die  Mittel  für  den  prächtigen  Ausbau  der  Sonnenstadt  be- 
schafft worden  sein.  Aller  Widerstand  wurde  gewaltsam  nieder- 
gehalten. Indessen  auf  eine  unmittelbare,  persönliche  Ein- 
wirkung, auf  eine  weitere  aktive  Propaganda  hatte  Echnaten 
jetzt  verzichtet,  er  lebte  in  seiner  Welt  für  sich,  umgeben 
von  seinen  Truppen  und  von  devoten  Dienern  und  Beamten, 
denen  sein  Wort  GottesofFenbarung  war. 

So  erfahren  wir  denn  auch  nur  wenig  von  den  weiteren 
Vorgängen  unter  seiner  Regierung.  Mit  großer  Freude  hat 
er  den  Besuch  begrüßt,  den  (etwa  im  0.  Jahre)  seine  Mutter 
der  neuen  Residenz  abstattete;  sie  bekundete  dadurch,  daß  sie 
sein  Werk  anerkannte.  Ln  Grabe  ihres  Hofmarschalls  Hui 
ist  eingehend  dargestellt,  wie  sie  mit  Sohn  und  Schwieger- 
tochter zusammen  speist  und  wie  sie  von  diesen  in  eine  für 
sie  erbaute  Kapelle  des  Tempelbezirks  geführt  wird,  die  den 
Namen  „Schatten  des  Re   der  Königinmutter  Teje"  erhält  — 

'j  Auch  im  Sonnenhymnus  sind  Syrien  (Chor),  Nubien  (Kus)  und 
Ägypten  (d.  h.  tatsächlich  die  ganze  bekannte  Welt)  die  Länder,  die 
Aten  geschaflfen  hat  und  regiert.  Es  war  ein  verhängnisvolles  Miß- 
verständnis, wenn  man  daraus  gefolgert  hat,  Echnaten  habe  (eventuell 
in  Anlehnung  an  syrische  Kulte)  eine  neue  Religion  schaffen  wollen, 
die  das  ganze  Reich  zusammenfaßt.  Vielmehr  ist  seine  Religion  ganz 
und  gar  aus  echt  ägyptischen  Vorstellungen  erwachsen.  Nubien  ist 
ägyptisiert,  und  wie  früher  Amon  und  die  anderen  ägyptischen  Götter, 
so  wird  hier  natürlich  jetzt  Aten  eingeführt;  die  Stellung  Syriens  da- 
gegen war  eine  ganz  andere. 


Die  späteren  Jahre  Echnatens  399 

gleichartig  benannte  Kapellen  gab  es  auch  für  die  Königin 
und  ihre  älteste  Tochter;  die  Symbolik,  die  dem  Namen  zu- 
grunde liegt,  ist  für  uns  nicht  erkennbar. 

An  Versuchen,  den  Herrscher  zu  beseitigen  und  die  alten 
Zustände  wieder  herzustellen,  wird  es  nicht  gefehlt  haben. 
Im  Grabe  des  Mahu,  des  Obersten  der  Polizei  (der  Mazoi), 
ist  ausführlich  eine  Szene  dargestellt,  wie  diesem  an  einem 
Wintertage  —  das  Kolilenbecken  mit  loderndem  Feuer  steht 
vor  ihm  —  eine  aufregende  Meldung  gebracht  wird;  er  be- 
steigt seinen  Wagen  und  bringt  die  Gefangenen  ein,  die  er 
dem  Vezir  und  den  höchsten  Zivil-  und  Militärbeamten  vor- 
führt, einen  kahlköpfigen  Ägypter  und  zwei  Ausländer  mit 
spitzem  Bart  und  langem  Haar;  der  Vezir,  hocherregt,  bricht 
in  den  Segenswunsch  über  Aten  und  den  König  aus.  Das 
ist  offenbar  kein  alltägliches  Ereignis,  sondern  die  glückliche 
Entdeckung  eines  Attentats  und  daher  als  Höhepunkt  seiner 
Amtstätigkeit  von  Mahn  in  seinem  Grabe  dargestellt^). 

Wie  ergebnislos  die  Versuche  des  Königs  verlaufen  sind, 
seine  Herrschaft  über  Syrien  zu  behaupten,  haben  wir  schon 
gesehn.  In  seinen  dorthin  gerichteten  Erlassen  redet  er  als 
der  allmächtige  Gebieter,  der  seinen  Untertanen  gnädig  ge- 
sinnt ist,  aber  die  Rebellen  energisch  bestraft:  „wisse,  daß 
der  König  wohlbehalten  ist  wie  die  Sonne  am  Himmel;  seinen 
zahlreichen  Kriegern  und  Streitwagen  vom  oberen  bis  zum 
unteren  Land,  von  Sonnenaufgang  bis  zum  Sonnenuntergang 
geht  es  sehr  wohl"  -).  In  Wirklichkeit  dagegen  vermochte 
er  nichts  mehr  auszurichten  und  war  außerstande,  diese  Streit- 
macht nach  Asien  zu  schicken,  weil  er  sie  im  Lande  brauchte. 
Seine  Regierung  hat  jedenfalls  bis  in  sein  18.  Jahr  ge- 
dauert, aber  schwerlich  viel  länger.  Ob  er  eines  natürlichen 
Todes  gestorben  ist,  wissen  wir  nicht;  daß  sein  Tod  mit  dem 
Angriff  der  Chetiter  zusammenfällt,  legt  die  Vermutung  nahe, 
daß   er  von  Männern,  die   über  seine  Außenpolitik  entrüstet 

*)  Abgebildet   und    erläutert    von    D.\vies,    Rock  Tombs  IV  pl.  26 
und  p.  17. 

2)  An  Aziru,  Am.  162,  78  ff.    Ebenso  Rev.  d'Ass.  19,  100. 


400   VII!.  Durchführung  d.  solar. Monotheismus,  Restaurat.  d. Orthodoxie 

waren,  beseitigt  worden  ist.  Im  Innern  hat  man  zunächst 
versucht,  seine  Politik  fortzusetzen;  die  Nachfolge  erhielt, 
da  er  keinen  Sohn  hatte,  S'akere',  der  mit  seiner  ältesten 
Tochter  Merit-aten  vermählt  war  oder  vermählt  wurde.  Ihre 
Namen  und  Bilder  erscheinen  unter  der  Sonnenscheibe  in 
einem  nur  halb  vollendeten  Gemälde  in  dem  unter  Echnaten 
begonnenen  Grabe  des  Merire*  in  Amarna,  der  wie  von  jenem 
so  auch  von  dem  neuen  König  mit  dem  „Golde"  bekränzt 
wird^).  Aber  der  Boden  schwankte  unter  seinen  Füßen;  die 
Autorität  des  geboreneu  Königs  konnte  der  angeheiratete  Erbe 
nicht  gewinnen.  So  kam  die  verwitwete  Königin  —  offen- 
bar Nefret-ite"-)  —  auf  den  Gedanken,  die  Hilfe  des  Chetiter- 
königs  zu  gewinnen  und  dadurch  zugleich  den  von  dort  dro- 
henden Angriff  zu  verhindern;  sie  bat  ihn,  da  sie  keinen  Sohn 
habe,  um  einen  seiner  Söhne,  den  sie  zu  ihrem  Gatten  und 
zum  König  machen  wolle,  einen  ihrer  Knechte  könne  sie  dazu 
nicht  nehmen.  Sie  spricht  also  ganz  als  Regentin  des  Lan- 
des. Nach  Beratung  mit  seinen  Großen  schickte  Subbiluljuma 
einen  Gesandten  nach  Ägypten,  um  zu  ermitteln,  ob  das  Ange- 
bot wirklich  ernst  gemeint  sei;  die  Königin  aber  entsandte  den 
Chani,  eben  den,  den  Echnaten  verwendet  hatte  (o.S.364.368f.), 
als  Bevollmächtigten  mit  einem  Schreiben,  das  ihren  Entschluß 
von  neuem  bekräftigte.  Da  ging  Subbiluljuma,  der  eben  jetzt 
Karkemis  nach  heftigem  Kampfe  eingenommen  und  ausgeplün- 
dert hatte,    darauf  ein  und   entsandte   einen   seiner  Söhne ^). 


1)  Davies,  Rock  Tonibs  II  pl.  41  =  LD.  III  99  a.  Sonst  findet  sich 
S'akeres  Name  nur  noch  auf  ein  paar  Skarabaeen  aus  Amarna  und 
auf  einem  Ring  aus  Gurob  (Petrie,  Kahun,  Gurob  und  Hawara  pl.  28). 

2)  Bedenken  könnte  erregen,  daß  in  den  jüngeren  Teilen  des 
Palastes  von  Amarna  ihr  Name  durch  den  ihrer  ältesten  Tochter,  der 
Thronerbin  Merit-aten,  ersetzt  ist  (Pekt  und  Woollpy,  City  of  Akhe- 
naten  I  p.  150  ff.).  Aber  zum  Chetiterkönig  spricht  die  Witwe  ganz  als 
die  legitime  Königin  und  Mitregentin  ihres  Gemahls;  ihre  Stellung  ist 
also  eben  die,  die  Nefret-ite  so  lange  eingenommen  hat.  Danach  hat 
diese  den  Echnaten  überlebt,  und  die  Zurückdrängung  ihres  Namens 
im  Palaste  muß  einen  anderen  Grund  haben. 

=*)  Damit   bricht   der  Bericht  Bogh.-Texte   in  Umschrift  41  col.  4 


Die  Reaktion.    Der  Knabe  Tut'anch-amon  als  König  401 

Aber  inzwischen  war  in  Amarna  der  volle  Umschwung 
eingetreten.  Der  chetitische  Prinz  wird  erschlagen,  S'akere' 
und  die  Königin  verschwinden,  an  ihre  Stelle  tritt  ein  Knabe 
Tut'anch-aten,  der  mit  der  dritten  Tochter  Echnatens  (die 
zweite  war  vorher  gestorben)  vermählt  wird.  Die  halbfertige 
Sonnenstadt  wird  verlassen  und  sinkt  in  Trümmer,  die  Resi- 
denz wird  nach  Theben  zurückverlegt,  auf  religiösem  Gebiet 
aber  setzt  eine  gründliche  Reaktion  ein.  Der  Tempel  des  Aten 
in  Theben  wird  niedergerissen i),  Name  und  Bild  des  Ketzer- 
königs überall  gründlich  zerstört 2),  der  Kult  der  alten  Götter 
wieder  aufgenommen;  wir  besitzen  eine  kleine  Votivstele,  auf 
der  Tut'anch-aten  noch  unter  diesem  Namen  dem  Amon  und 
der  Mut  huldigt^).  Alsbald  aber  muß  er  seinen  Namen  „leben- 
des Abbild  des  Aten"  in  Tut'anch-amon  umwandeln,  und 
ebenso  seine  Gemahlin  den  ihren  „sie  lebt  vom  Aten"  in 
*Anches-en-amon, 

Deutlich  erkennt  man,  daß  hinter  dieser  Bewegung  Per- 
sönlichkeiten gestanden  haben,  die  die  Unhaltbarkeit  des  bis- 
herigen Treibens  erkannten,  das  den  Weiterbestand  des  Reichs 
in  Frage  stellte  und  es  zu  einem  Lehensstaat  des  Chetiterreichs 
zu  machen  drohte,  und  die  daher  entschlossen  waren,  zur 
alten  Religion  und  Staatsform  zurückzukehren.  Es  kann  kein 
Zweifel  sein,  daß  der  eigentliche jLeiter  und  der  Organisator 


ab,  s.  0.  S.  337,2;  die  Fortsetzung  gibt  das  Gebet  Mursils  bei  Forrer, 
Forsch.  II  18  f.  Forrer  glaubt  auch  in  den  Fragmenten  S.  28  f.  ein 
Schreiben  Subbiluljumas  in  dieser  Angelegenheit  zu  erkennen. 

')  Die  Behauptung,  dieser  Kult  habe  noch  weiter  bestanden  und 
Tut'anch-amon  habe  noch  an  diesem  Tempel  gebaut,  ist  unbegründet. 
Der  Block  mit  Skulpturen  und  Inschriften  des  letzteren,  der  dann  in 
den  Pylon  Haremhabs  verbaut  ist  (Prisse  d'AvENNES,  Mon.  eg.  pl.  XI  1), 
enthält  keinerlei  Beziehung  auf  den  Atenkult  und  muß  von  einem  an- 
deren Bau  dieses  Königs  stammen. 

^)  Umso  auffallender  ist,  daß  sein  Sarg,  allerdings  mit  einer 
falschen  Leiche  (0.  S.  381,  1),  zusammen  mit  Teilen  der  Grabausrüstung 
seiner  Gemahlin  und  seiner  Mutter  nach  Theben  gebracht  und  hier  im 
Tale  der  Königsgräber  geborgen  ist.  wohl  durch  einen  treuen  Anhänger. 

^)  ÄZ.  .38,  112. 
Meyer,  Geschichte  des  Alteituins     II'.  26 


40'^    VIII.  Durchführung  d.  solar. Monotheismus;  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

des  Staatsstreichs  der  spätere  König  Haremtab  gewesen  ist. 
Haremhab  stammte  aus  einem  vornehmen  Geschlecht  in  der 
mittelägyptischen  Stadt Hat-nesut(Alabastronpolis im  17. Gau); 
auf  den  Schutz  ihres  Gottes  Horus  führt  er  seine  Laufbahn 
zurück.  Er  muß  schon  unter  Echnaten  eine  führende  Stel- 
lung in  der  Armee  eingenommen  haben;  wahrscheinlich  ist 
er  identisch  mit  dem  „General  der  Truppen  des  Königs  und 
Vorsteher  der  Arbeiten  in  Acht-aten  (Amarna)"  Pa-aten- 
emtab,  der  sich  in  Amarna  ein  Grab  angelegt  hat,  das  über 
die  ersten  Anfänge  nicht  hinausgekommen  ist,  also  dem  Ende 
der  Regierung  Echnatens  angehört  \);  er  hat  dann^^also,  der 
herrschenden  Sitte  sich  fügend,  seinen  Namen  „Horus  am 
Feste"  in  „der  Aten  am  Feste"  umgewandelt.  Selbst  nach 
der  Krone  zu  greifen  war  für  ihn  noch  zu  früh;  so  wahrte 
man  den  Schein  der  Legitimität,  indem  man  ein  willenloses 
Kind  auf  den  Thron  setzte  und  mit  der  Erbtochter  vermählte  2), 
während  alle  Macht  in  den  Händen  Haremhabs  lag. 

Über  die  Stellung,  die  Haremhab  unter  diesem  König 
einnahm,  erhalten  wir  Kunde  wie  später  durch  die  Inschrift 
über  seine  Thronbesteigung  so  vorher  durch  die  Inschriften 
und  Skulpturen    des  Grabes,  das   er  sich  damals  in  Sakkara 


>)  Davies,  Rock  Tombs  Hl  15  und  pl.  13.  Die  mit  Tinte  vor- 
gezeichnete Inschrift  ist  jetzt  verschwunden;  die  von  Daressy  gegebene 
Lesung  „Vorsteher  der  Soldaten  (General)"  erkennt  Davies  als  richtig 
an.  Der  Namenswechsel  würde  in  dieselbe  Zeit  gehören,  wo  der  Horus- 
falke  auch  im  Namen  des  Aten  zuerst  durch  die  phonetische  Schreibung 
ersetzt  und  dann  ganz  gestrichen  wird  (0.  S.  395). 

2)  Das  Alter  Tut'anch-amons  ergibt  sich  aus  seiner  noch  ganz 
jugendlichen  Mumie.  Daraus,  daß  er  in  der  Inschrift  des  von  ihm 
wiederhergestellten  Löwen  Amenophis'  HL  in  Soleb  diesen  , seinen 
Vater"  nennt  (Lepsius,  Auswahl  13;  Loret,  Rec.  XI  212),  folgt  natürlich 
nicht,  daß  dieser  sein  Vater  gewesen  war;  das  ist  durch  sein  Alter  völlig 
ausgeschlossen.  Weshalb  man  gerade  ihn  zum  König  gemacht  hat,  wissen 
wir  nicht;  dem  Königshause  gehört  er  nur  durch  seine  Gemahlin  an.  — 
Zwei  jugendliche  Statuen  des  Königs  in  Kairo:  Legrain,  Cat.  gen., 
Statues  I  p.  53  f.,  nachher  wie  immer  von  llaremhab  usurpiert.  Auch  die 
ganz  jugendliche  „painted  limestone  figure  of  Akhenaten"  in  Amarna 
(J.  Eg.  Archaeol.  X  1924,  pl.  24)  wird  in  Wirklichkeit  ihn  darstellen. 


yaremhab  als  Reichsregent  403 

angelegt  hat^);  das  zeigt  zugleich,  daß  er,  der  Lage  des 
Reichs  entsprechend,  die  Regierung  von  Memphis,  nicht  von 
Theben  aus  geführt  hat.  Seine  Titulatur  bezeichnet  ihn  ganz 
unverhüllt  als  den  allmächtigen  Gebieter  des  Reichs;  er  ist 
der  Größte  der  Großen,  der  Kommandant  der  Kommandanten, 
das  Oberhaupt  der  vertrauten  Räte,  vom  König  an  die  Spitze 
der  beiden  Lande  gestellt,  um  sie  zu  regieren,  vor  allem  aber 
der  Generalissimus  der  Truppen  des  Königs.  „Ich  habe  die 
Gesetze  des  Königs  festgestellt,"  sagt  er  auf  seiner  Statue; 
„das  Herz  des  Königs  war  zufrieden  mit  seiner  Verwal- 
tung", heißt  es  in  der  Thronbesteigungsinschrift,  „er  war 
entzückt  über  seine  Wahl;  daher  machte  er  ihn  zum  Ober- 
haupt des  Landes,  damit  er  die  Gesetze  der  beiden  Lande 
als  Fürst  (rpti)  dieses  gesamten  Landes  durchführe,  er  allein 
ohne  einen  zweiten.  Das  Volk  (bewunderte)  die  Aussprüche 
seines  Mundes.  Wurde  er  vor  den  Herrscher  gerufen,  so 
begann  der  Palast  zu  zittern;  aber  wenn  er  seinen  Mund 
öffnete,  dem  König  zu  antworten,  so  erfreute  er  ihn  durch  seine 
Aussprüche,"  die  sich  an  das  von  Thout  und  Ptah  gewie- 
sene Herkommen  hielten.  „So  verwaltete  er  die  beiden  Lande 
viele  Jahre  hindurch;  die  Verwaltungsbehörden  (zcimt)  neig- 
ten sich  vor  ihm  am  Portal  des  Palastes,  die  Fürsten  der 
Fremdvölker  des  Südens  und  Nordens  erhoben  preisend  die 
Hände  wie  zu  einem  Gott.  Alles  geschah  nach  seinem  Be- 
fehl, man  wünschte  ihm  Heil  und  Gedeihen"  —  ein  sonst 
nur    dem    König   zustehender  Segenswunsch  —    „und   grüßte 

')  Die  Hauptteile  des  Grabes  (grundlegend  Breasted,  ÄZ.-38,  1900, 
47)  sind  in  Leiden  und  jetzt  zusammen  mit  dem  Fragment  in  Wien  von 
BoESER,  Beschreibung  der  äg.  Sammlung  von  Leiden  IV  Taf.  21—25  vor- 
trefflich veröffentlicht.  Ein  weiteres  zu  dieser  Szene  gehörendes  Bruch- 
stück ist  jetzt  vom  Berliner  Museum  erworben  und  von  H.  Schäfer  in  den 
Berichten  aus  den  preußischen  Kunstsammlungen  1928,  März,  publiziert. 
Andere  Stücke  sind  in  London  (ÄZ.  15,  148  ff"),  Kairo  (Mariette,  Mon.'div. 
74  f.)  u.  a.  Übersicht  bei  Breasted,  Anc.  Rec.  III  1  ff'.  Nachträglich  ist 
seinem  Bilde  überall  der  Uraeus  an  der  Stirn  hinzugefügt,  in  dem  Wiener 
Fragment  auch  sein  Königsname  in  den  Text  eingesetzt.  Hinzu  kommt 
die  schöne  Statue  in  New  York  (Winlock,  J.  Eg.  Archaeol.  X  1924,  1  ff.). 


404   ^'^UI-  Durchführung  d.  solar.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

ihn  als  Vater  der  beiden  Lande."  Daß  der  in  diesen  Texten 
niemals  genannte  König,  unter  dem  er  diese  Stellung  ein- 
nahm, Tut'anch-amon  gewesen  ist,  wird  dadurch  bestätigt, 
daß  eine  Sitzstatue  aus  seinem  Grabe  einen  an  ihn  gerich- 
teten Erlaß  Tut'anch-amons  in  der  Hand  hält^). 

Die  wichtigste  Aufgabe,  deren  Lösung  die  Usurpation 
begründete  und  rechtfertigte,  war  der  Krieg  gegen  die  Chetiter. 
Natürlich  hat  Subbiluljuma  nach  dem  Untergang  seines  Sohnes 
einen  Rachekrieg  unternommen.  Nach  dem  Bericht  seines 
Nachfolgers  Mursil  Hl  hat  er  Fußvolk  und  Kriegswagen  der 
Ägypter  besiegt  und  zahlreiche  Gefangene  fortgeschleppt '0. 
Die  ägyptischen  Nachrichten  dagegen  reden  von  einem  Siege 
über  die  Asiaten  und  von  reicher  Beute.  Der  Widerspruch 
löst  sich  dadurch,  daß  nach  dem  chetitischen  Bericht  bei  den 
Gefangenen  eine  Seuche  ausbrach,  die  auch  die  Sieger  er- 
griff und  das  Reich  zwanzig  Jahre  lang  heimgesucht  hat^). 
Dadurch  wurde  es  Subbiluljuma  unmöglich,  seinen  Sieg  weiter 
zu  verfolgen ;  er  mußte  den  Krieg  abbrechen.  Aber  auch  die 
Ägypter  haben  einen  Angriff  auf  das  Chetiterreich  nicht  gewagt, 
unter  den  Gefangenen  Harembabs  finden  sich  keine  Chetiter. 
So  besteht  fortan  tatsächhch  ein  Friedenszustand  zwischen 
beiden  Reichen^).  Dadurch  ist  es  den  Ägyptern  möglich  ge- 
worden, wenigstens  in  Palaestina  erfolgreich  einzugreifen.  Der 
Sieg,  in  dem  Haremhab  die  Asiaten  schlug  und  zu  dem  er 
den  König  mitgenommen  hat^),  ist  offenbar  hier  gegen  die 
rebellischen    Dynasten    und    die    Chabiru    erfochten    worden. 

')  Der  Torso  dieser  Statue  in  Kairo  (Legrain,  Cat.  gen.,  Statues  I 
81  f.),  auf  der  er  dieselben  Titel  führt  wie  überall,  darunter  „großer 
General",  ist  seltsamerweise  in  den  Diskussionen  über  diese  Vorgänge 
immer  übersehn  worden. 

*)  FoRRER,  Forsch.  II  14. 

ä)  FoRRER,  Forsch.  II  11.  12.  14. 

*)  Ob  man  aus  der  Erwähnung  des  vertragsmäßigen  Zustande« 
zwischen  Ägypten  und  Subbiluljuma  im  Vertrage  Ramses'  II.  ZI.  14  folgern 
darf,   daß  jetzt  ein  neuer  Friedensvertrag  geschlossen  ist,  bleibt  fraglich. 

^)  Er  nennt  sich  „Begleiter  seines  Herrn  auf  dem  Kriegsschau- 
platz an  jenem  Tage  der  Niedermetzlung  der  Asiaten".  Vgl.  auch  seine 
Titel   „Gefolgsmann    des    Königs    bei    seinen  Zügen   nach    den    Fremd- 


yaremhab  gegen  die  Chetiter  und  in  Palaestina  405 

Prachtvolle  Reliefs  aus  seinem  Grabe  zeigen  in  scharf  cha- 
rakterisierten Porträts  die  Scharen  der  mitgebrachten  Gefan- 
genen, darunter  außer  Semiten  nicht  wenige  Gestalten  mit 
ganz  andersartigen,  durchaus  europäisch  anmutenden  Zügen, 
eben  die  arischen  Marjanni  (o.  S.  34  und  Taf.  I),  die  ja  gerade  in 
Palaestina  stark  vertreten  waren ;  wenn  Namen  dabei  ständen, 
würden  wir  darunter  gewiß  manche  aus  den  Amarnabriefen 
bekannte  Dynasten  wiederfinden. 

Diese  Reliefs,  und  ebenso  die  nur  teilweise  erhaltenen 
Gestalten  des  Königs  und  der  Königin,  denen  Haremhab  die 
Gefangenen  vorführt,  sind  ganz  in  dem  Stil  von  Amarna  ge- 
arbeitet; aber  mit  Unrecht  hat  man  daraus  gefolgert,  daß 
diese  Szene  und  der  ihr  vorangehende  Krieg  unter  Echnaten 
gespielt  habe.  Nichts  weist  auf  diesen  oder  den  Atenkult  hin, 
vielmehr  erscheint  Haremhab  hier  durchaus  als  Verehrer  des 
Amon,  Re\  Horus  und  der  übrigen  Götter,  und  spricht  die  üb- 
lichen Totengebete  an  Osiris.  Er  wird  die  Künstler  des  Grabes 
aus  Amarna  mitgebracht  haben,  als  dieses  verlassen  wurde. 

Die  Vorgeschichte  des  Feldzugs  ist  in  dem  der  geschilderten 
Szene  rechts  gegenüberstehenden  Relief  dargestellt.  Hier  fleht 
eine  Schar  bärtiger  Asiaten  den  Haremhab  fulifällig  an,  zum 
Teil,  wie  in  den  Amarnabriefen.  „auf  Bauch  und  Rücken  ge- 
worfen" ;  unter  ihnen  befinden  sich  auch  zwei  Libyer  und  ein 
Neger.  Dahinter  stehn  andere  Asiaten  in  syrischer  Tracht 
mit  ihren  Pferden,  alle  unbärtig,  aber  mit  einer  langen  über 
die  Schläfe  herunterhängenden  Haarflechte  und  einem  Zopf, 
in  denen  wir  auch  wieder  Marjanni  werden  erkennen  dürfen. 
Die  Reste    der   zugehörigen  Inschrift^)  schildern  ihre  Lage: 

ländern  des  Südens  und  Nordens"  und  „Königlicher  Legat  an  der  Spitze 
seiner  Armee  gegen  die  Länder  des  Südens  und  Nordens".  Auch  das 
Edikt  Tufanch-amons  nimmt  auf  diese  Erfolge  Bezug. 

')  Die  Inschrift  in  dem  Wiener  Fragment  bei  Wiedemann,  Proc. 
See.  BibL  Arch.  11,  425  und  Bergmann,  ÄZ,  27,  125;  Breasted.  Anc. 
Rec.  m  19  f.  Die  Verbindung  des  Wiener  Fragments  mit  dem  Leidener 
durch  Breasted  ÄZ.  .38.47  zeigt,  daß  die  auf  diesem  erhaltene  Szene 
mit  der  Inschrift  zusammengehört.  Das  richtige  Verständnis  dieser 
bisher  falsch  gedeuteten  Inschrift  hat  jetzt  H.  Schäfer  a.  a.O.  ersehlos- 


406   ^11-  Durchführung  d.  solar. Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

ihre  Ortschaften  sind  niedergebrannt,  ihre  Felder  verwüstet, 
andere  an  ihre  Stelle  getreten,  ihre  Länder  hungern,  sie  leben 
wie  Ziegen  in  den  Bergen,  und  so  flehen  sie  den  Pharao  an, 
sein  mächtiges  Schwert  zu  senden.  Ein  Dolmetscher  trägt 
dem  im  Schmuck  der  Goldketten  vor  ihnen  stehenden  Harem- 
hab ihr  Gesuch  vor  und  überbringt  ihnen  dessen  Bescheid, 
daß  der  Pharao  die  Maßregeln  zum  Schutz  ihrer  Gebiete  an- 
geordnet hat. 

Diese  Schilderung  deckt  sich  vollständig  mit  den  stän- 
digen Notschreien  der  Amarnabriefe.  Mit  ihnen  hat  Harem- 
hab in  diesem  Bilde,  wie  die  Libyer  und  der  Neger  unter 
den  Gesuchern  zeigen,  sogleich  die  gleichartigen  Zustände  auf 
afrikanischem  Boden  verbunden.  Auch  hier  hat  er  die  er- 
schütterte Autorität  des  Reichs  wiederhergestellt.  In  dem  Frag- 
ment einer  Beischrift,  die  ofienbar  zu  der  verlorenen  Dar- 
stellung der  nubischen  Beute  gehört,  war  von  seinem  Feld- 
zug nilaufwärts,  gegen  Ku.s,  als  königlicher  Legat  die  Rede, 
Dann  heißt  es:  „er  fuhr  nordwärts.  Da  erschien  der  König 
auf  dem  Tribunal  für  die  Vorführung  der  Tribute,  und  der 
Tribut  des  Nordens  und  Südens  wurde  gebracht,  während 
der  Für.st  Haremhab  dabei  stand"  ^).  Daß  der  König  auch  hier 
Tut  anch-amon  ist,  wird  dadurch  bewiesen,  daß  dieselbe  Szene 
in  dem  Grabe  des  Hui,  des  „Königssohns  von  Kus  von  Eilei- 
thyia  bis  Napata  oder  Kari"  (o.S.81,  1),  dargestellt  ist,  natür- 
lich mit  Weglassung  des  Haremhab ;  hier  führt  Hui  dem 
unter  dem  Baldachin  sitzenden  Tut'anch-auion  die  Tribute 
aus  Syrien  (Rezenu)  und  Nubien  (Kus)  vor'-). 

sen.  In  der  letzten  erhaltenen  Zeile  dieser  Inschrift  (rechts)  ist  jetzt 
der  Thronname  I.Iaremhabs  eingesetzt  („sie  preisen  den  guten  Gott 
Zosercheprure'");  ursprünglich  hat  hier  gewiß  der  Name  Tut'anch- 
amons  Nebcheprure'  gestanden.  —  Über  der  oberen  Reihe  der  Gefange- 
nen war  eine  dichtgedrängte  Masse  von  Pferden  dargestellt,  oflFenbar 
aus  der  Beute;  von  ihnen  sind  nur  noch  die  Hufe  erhalten. 

')  Fragment  in  Alexandria  bei  Wiedemann,  Proc.  Soc.  Bibl.  Arch.  11^ 
424;  Breasted,  Anc.  Reo.  III  13. 

2)  LD.  III  117  f.  Mit  der  Kurzform  Hui  wechselt  die  vollere  Na- 
mensform Amenhotep  (Sethe,  ÄZ.  44,  89). 


Wiederherstellung  des  Kultus  '  407 

Die  Restauration  der  Ortliodoxie  und  des  Staats 

Neben  den  äußeren  Kriegen  ging  die  Restauration  im 
Innern  einher.  In  einer  großen  Inschrift  im  Tempel  von 
Karnak  ^)  berichtet  Tut*anch-amon  ausführlich  über  die  Wieder- 
herstellung des  Kultus.  Voran  geht  eine  Schilderung  des 
traurigen  Zustandes,  in  dem  sich  das  Land  bei  seiner  Krö- 
nung befand,  der  Verödung  der  Tempel,  der  Erfolglosigkeit 
der  Truppen  in  Phoenikien  (S.  379).  „Die  Götter  hatten  die- 
sem Lande  den  Rücken  gewandt;  wenn  man  einen  Gott  an- 
flehte, um  ein  Orakel  von  ihm  zu  erhalten,  kam  er  nicht; 
wenn  man  eine  Göttin  anrief,  kam  sie  ebensowenig."  Jetzt 
aber  hat  ein  König  den  Thron  bestiegen,  den  Amon  selbst 
gezeugt,  Kamutf  („der  Stier  seiner  Mutter")  gebildet,  die 
Seelen  von  Heliopolis  insgesamt  gestaltet  haben,  einen  immer- 
währenden König,  einen  Horus.  der  ewig  dauert,  einen  guten 
Herrscher,  der  für  das  Gedeihen  aller  Götter,  seiner  Väter, 
wirkt.  Er  herrscht  über  die  Lande  des  Horus,  Ägypten  und 
das  Ausland,  jedes  Land  beugt  sich  vor  ihm.  „Er  hat  wieder- 
hergestellt, was  verfallen  war  von  den  Denkmälern  der  Vorzeit, 
er  hat  die  Lüge  niedergeschlagen  und  die  Wahrheit  befestigt* 
—  die  Schlagworte  Echnatens  erhalten  jetzt  die  umgekehrte 
Bedeutung.  In  einer  Thronsitzung  im  Palaste  Thutmosis'  I.') 
wurden  die  entscheidenden  Beschlüsse  gefaßt.  Vor  allem  er- 
hielten die  beiden  großen  Reichsgötter  Amon  von  Theben 
und  Ptah  von  Memphis  große,  die  früheren  noch  überragende, 
mit  Edelsteinen  geschmückte  Statuen  von  Gold.  Aber  auch 
alle  anderen  Götter  wurden  bedacht,  ihre  Tempel   und  Ein- 

')  Legrain.  Rec.  29,  1907,  162  ff.  Die  Jahreszahl  ist  leider  zerstört.— 
Bruchstück  einer  Inschrift  zum  Preise  Tut'anch-amons  aus  dem  unter 
ihm  von  Hui  in  Faras  unterhalb  des  zweiten  Katarakts  errichteten 
Tempel  Shotep-neteru  „Befriedung  der  Götter":  Grtffith,  Annais  of 
Archseol.  Vm  83  ff.  Neben  seinen  sonstigen  Titeln  führt^IJui  hier  mehr- 
fach auch  den  eines  „Vorstehers  der  Goldlande  des  Königs". 

')  Einen  solchen  kennen  wir,  wie  Legraix  bemerkt,  in  Memphis- 
So  hat  der  König  wohl  hier,  nicht  in  Theben  residiert ;  Haremhab  wird 
ihn  dort  unter  ständiger  Aufsicht  gehalten    haben. 


408    ^  III.  Durchführung  d.  solar.  Monotheismus.  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

künfte  wiederhergestellt,  Barken  für  die  Götterprozessionen 
auf  dem  Nil  gebaut.  Für  ihren  Dienst  wurden  wieder  Priester 
und  Propheten  bestellt  „aus  den  Kindern  der  Magnaten 
ihrer  Städte  (der  Städte  der  Lokalgötter),  Söhne  von  Leuten 
mit  bekannten  Namen"  —  im  Gegensatz  zu  den  Emporkömm- 
lingen, die  Echnaten  befördert  hatte.  Die  Schatzkammern 
wurden  aufgefüllt,  zahlreiche  Sklaven  und  Sklavinnen,  vor 
allem  aus  der  Kriegsbeute,  den  Tempeln  überwiesen  und 
durch  Reinigungszeremonien  geweiht,  ebenso  die  für  den 
Kultus  unentbehrlichen  Chöre  der  Musikantinnen  und  Tän- 
zerinnen. 

Sehr  anschaulich  tritt  uns  diese  Wiederaufnahme  des 
alten  Kultus  im  Tempel  von  Luxor  entgegen.  Wie  überall, 
werden  auch  hier  die  ausgemeißelten  Namen  und  Bilder 
Amons  wieder  eingesetzt;  der  unter  Amenophis  IIL  noch 
nicht  zum  Abschluß  gelangte  Bau  wird  wieder  aufgenommen, 
die  Wände  des  großen  Säulengangs  am  Eingang  im  Namen 
Tut'anch-amons  mit  einer  Darstellung  der  Götterprozcssion 
am  Neujahrstage  geschmückt.  Was  in  diesen  offiziellen  Denk- 
mälern unter  dem  Namen  Tut'anch-amons  erscheint,  ist  jedoch 
in  Wirklichkeit  das  Werk  Haremhabs.  Daher  hat  dieser,  als 
er  König  geworden  war,  überall,  und  so  auch  in  Luxor  und 
in  dem  großen  Erlaß,  seinen  Namen  an  Stelle  des  seines 
Schützlings  gesetzt \).  Das  ist  keine  Verfolgung  eines  Usur- 
pators, sondern  er  hat  damit  nur  auch  offiziell  an  sich  ge- 
nommen, was  tatsächlich  von  ihm  geschaffen  war. 

Tut'anch-amon  hat  die  Jahre,  in  denen  er  mannbar  wurde, 
nicht  lange  überlebt''').  Zu  seinem  Nachfolger  wurde  wieder 
ein  Mann  aus  der  Umgebung  Echnatens  erhoben,  der  unter 
ihm  sich  ein  Grab  in  Amarna  angelegt  hatte  und  hier  als 
eifriger  Verehrer    des  Aten  erscheint,    Eje  (Ai),  der  Gemahl 


')  Geändert  hat  er  durchweg  nur  Vornamen  und  Eigennamen, 
nicht  die  übrigen  Namen  der  Königstitulatur.  In  dem  Erlaß,  den  er 
in  der  Statue  in  seinem  Grabe  in  der  Hand  hält  (S.  404,  1),  hat  er  da- 
gegen Tut'anch-amons  Namen  natürlich  belassen. 

2)  Das  höchste  von  ihm  erhaltene  Datum  ist  sein  6.  Jahr. 


Tut'anch-amons  Tod.    Eje  409 

der  Teje,  der  „Amme"  der  Königin  Nofret-ite').  Er  hat  seinem 
Vorgänger  das  Grab  im  Tal  der  thebanischen  Königsgräber 
ausgerichtet,  und  dadurch,  daß  dieses  Grab  allein  von  allen 
unversehrt  mit  der  vollen,  geradezu  unermeßlichen  Ausstat- 
tung an  Kunstwerken  und  Kostbarkeiten  aller  Art,  darunter 
auch  dem  Sarge  von  massivem  Gold,  erhalten  geblieben  ist^), 
ist  dieser  König,  einer  der  unbedeutendsten  von  allen,  gegen- 
wärtig vielleicht  der  populärste  unter  allen  Pharaonen  ge- 
worden —  eine  Ironie  des  Zufalls,  die  besonders  anschaulich 
ins  Bewußtsein  führt,  wie  stark  unsere  Geschichtserkenntnis 
vom  Spiel   des  Zufalls  abhängig  ist. 

Was  den  Anlaß  zu  Ejes  Erhebung  gegeben  hat,  ob 
Haremhab  einer  Gegenströmung  nachgeben  mußte,  ob  er 
seine  Zeit  noch  nicht  gekommen  glaubte  und  das  Streben 
mitwirkte,  wenigstens  äußerlich  noch  einen  gewissen  Zusam- 
menhang mit  der  alten  Linie  aufrecht  zu  erhalten,  läßt  sich 
nicht  erkennen^).  Nicht  unmöglich  ist,  daß  in  Theben  eine 
Paktion  zur  Macht  gelangte,  die  er  dulden  mußte,  während 
er  selbst  in  Memphis  die  Regierung  führte. 


')  Daraus  scheint  sich  der  Titel  „Gottesvater"  (d.  h.  "Vater  des 
Königs)  zu  erklären,  den  er  auch  als  König  ständig  als  Bestandteil 
seines  Eigennamens  führt.  Das  Grab  in  Amarna  bei  Davies,  Rock 
Tombs  VI  14ff. ;  vollendet  ist  auch  dieses  nicht.  Sein  Hauptamt  ist 
Vorstand  des  Königlichen  Marstalls. 

*)  Erhalten  ist  es  dadurch,  daß  der  Eingang  durch  das  darüber 
angelegte  Grab  Ramses'  VI.  völlig  verschüttet  wurde.  So  ist  das  be- 
harrliche Suchen  Lord  Carnarvon's  und  H.  Carter's  nach  neuen  Königs- 
gräbern im  Nov.  192"2  durch  seine  Aufdeckung  belohnt  worden.  P's  war 
einmal,  wohl  kurz  nach  der  Beisetzung,  von  Grabräubern  heimgesucht 
worden,  die  einiges  geraubt  und  durcheinander  geworfen  haben;  sonst 
ist  es  intakt  geblieben. 

^)  Auf  dem  Grabstein  des  Nachtmin  aus  dem  4.  J.  des  Eje  (LD. 
III  114  i,  in  Berlin)  sind  oben  unter  dem  Bilde  der  vier  Wölfe  des 
Upuaut  einige  Reste  der  Sonnenstrahlen  des  Aten  erkennbar  (Steindorff, 
ÄZ.  29,  1251.  Es  ist  aber  nicht  etwa  eine  ältere,  zur  Inschrift  ge- 
hörige Darstellung  später  durch  eine  neue  ersetzt  worden,  sondern 
man  hat  einen  Steinblock  aus  der  Zeit  Echnatens  abgearbeitet  und  für 
die  Inschrift  benutzt  (H.  Schäfer). 


410   VIII.  Durchführung  d.  solar.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

Eje  hat  seine  Regierung  benutzt,  um  sich  ein  großes 
Grab  abseits  vom  Haupttal  der  Königsgräber  neben  dem 
Amenophis'  III.  anzulegen.  Er  hat  nur  wenige  Jahre  re- 
giert^). Ob  er  gewaltsam  beseitigt  worden  ist,  wissen  wir 
nicht.  Haremhab  übergeht  natürlich  in  der  Darstellung  seiner 
Thronbesteigung  diese  Vorgänge  vollständig  und  begnügt 
sich  mit  der  Wendung,  daß  nach  vielen  Jahren  seiner  Re- 
gentschaft sein  Schutzgott  Horus  von  Hat-nesut  den  Wunsch 
empfand,  ihn  auf  seinen  ewigen  Thron  zu  setzen,  mit  ihm 
nach  Theben  zog  und  ihn  vor  Amon-re*  führe.  Dieser  — 
der  zu  dem  Zweck  aus  seinem  Tempel  in  Karnak  in  den  von 
Luxor  zog,  wo  die  Krönungszeremonien  vollzogen  wurden  — 
gab  freudig  seine  Zustimmung,  die  Uraeusschlange  wurde  an 
seiner  Stirn  befestigt 2),  alle  Schutzgötter  des  Reichs  begrüßten 
den  Erwählten  Amons  mit  Jubel  und  setzten  seine  Königsnamen 
fest.  Aber  er  hat  Ejes  Namen  überall  ausgetilgt,  wo  er  sich 
vorfand,  auch  in  seinem  Grabe,  ihn  also  als  illegitimen  Usur- 
pator betrachtet^);  das  zeigt  deutlich,  daß  der  Thronwechsel 
gewaltsam  und  gewiß  nicht  ohne  Blutvergießen  erfolgt  ist. 
Haremhab  hat  zugegriffen,  als  er  den  Moment  gekommen 
glaubte,  den  letzten  Schritt  zu  tun,  damit  aber  zugleich  den 
bisher  noch  zum  Schein  aufrecht  erhaltenen  Zusammenhang 
mit  dem  alten  Herrscherhause  zerrissen  und  eine  neue  Dy- 
nastie, die  neunzehnte,  begründet. 


')  Das  höchste  erhaltene  Datum  ist  sein  4.  -Jahr. 

-)  Diese  Stelle  der  Inschrift  Haremhabs  hat  Sethk,  ÄZ.  42,  184 
und  44,  35  aufgeklärt  und  gezeigt,  daß  hier  nicht  etwa,  wie  man  bis 
dahin  annahm,  von  seiner  Vermählung  mit  einer  Prinzessin  die  Rede 
ist.  Haremhabs  Gemahlin  heißt  Mutnozemt  und  hat  mit  der  Schwä- 
gerin Amenophis'  IV.  Mutbenret,  mit  der  man  sie  bis  auf  Sethe  iden- 
tifizierte, nichts  zu  tun.  Über  ihre  Herkuuft  wissen  wir  nichtsVeiter; 
aber  dem  alten  Königshause  hat  sie  nicht  angehört. 

')  Sein  Verhalten  gegen  Tut'anch-amon  ist  wesentlich  anders. 
Er  hat  dessen  Namen  auf  den  Monumenten  nur  mit  einer  leichten 
Korrektur,  die  den  alten  überall  erkennen  läßt,  durch  den  seinen  er- 
setzt. Ejes  Namen  dagegen  ist  durch  tiefe  Hiebe  überall  vollständig 
ausgetilgt. 


Haremhab  als  König.    Sein  Edikt  411 

Haremhab  hat  als  König  das  Werk  der  Restauration 
vollendet.  „Vom  Delta  bis  nach  Nubien"  werden  die  Tempel 
und  die  Götterbilder  wiederhergestellt  und  ihr  Besitz  wieder 
auf  den  alten  Stand  gebracht^).  In  Karnak  hat  er  für  zwei 
neue  Pylonen  im  Süden  des  Tempels  die  Steinblöcke  des  zer- 
störten Atentempels  verwendet.  In  Bruchstücken  erhalten  ist 
uns  ein  großes  Edikt,  das  die  Strafbestimmungen  gegen  die 
Erpressungen  und  Bedrückungen  durch  die  Beamten  und 
Steuererheber,  gegen  die  Räubereien  der  Truppen,  gegen 
parteiische  und  ungerechte  Richter  umfassend  neu  regelt;  in 
schweren  Fällen  wird  die  Todesstrafe,  in  anderen  Abschnei- 
dung der  Nase  und  Einsperrung  in  die  Grenzfeste  Sile  am 
Isthmus^),  für  Soldaten,  die  den  Bauern  die  dem  Fiskus  zu- 
fallenden Tierhäute  rauben,  hundert  Stockschläge  mit  fünf 
offenen  Wunden  verhängt.  Deutlich  sieht  man,  wie  arg  in- 
folge der  religiösen  Wirren  Verwilderung  und  Zuchtlosigkeit 
um  sich  gegriffen  hat.  Bezeichnend  für  die  Tendenz  der 
Regierung  ist,  daß  er  sich  in  einem  Falle  auf  das  Vorgehn 
Thutmosis'  III.  beruft.  Haremhab  rühmt  sich,  daß  er  das 
Niltal  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  bereist,  die  Zustände  in 
allen  Einzelheiten  genau  kennen  gelernt,  tüchtige,  gut  vor- 
gebildete Beamte  ausgesucht  und  in  die  Richterkollegien  der 
beiden  Hauptstädte  eingesetzt  habe.  Der  eigentliche  Sitz  der 
Regierung  ist  unter  ihm,  wie  schon  in  seiner  Regentschaft, 
Memphis  geblieben'');  so  sehr  auch  von  ihm  und  seinen  Nach- 
folgern Theben  weiter  mit  prächtigen  Bauten  geschmückt  und 
der  Primat  seines  Gottes  Amon  betont  wird  —  auch  die  Grab- 
stätte der  Könige  ist  es  noch  lange  geblieben,  auch  Haremhab 
hat  sich  hier  als  König  ein  neues  Grab  angelegt  — ,  so  ist  doch 

')  Dazu  gehört  auch  die  Wiederherstellung  des  Grabes  Thut- 
mosis' IV".  in  seinem  8.  Jahr  durch  eine  Kommission,  die  sich  durch 
Graffiti  in  dem  Grabe  verewigt  hat  (Breasted,  Änc.  Rec.  III  32). 

*)  Später  ist  an  ihre  Stelle  bekanntlich  Rhinokorura  (el  'aris)  in 
der  Sinaiwüste  g  treten  (Strabo  XVI  2,  81.  Diod.  I  60). 

^)  Der  Bericht  über  seine  Thronbesteigung  schließt  damit,  daß  er 
nach'der  Krönung  „stromabwärts  fuhr  als  Abbild  des  I^ar-achte"  und 
sich  der  Durchführung  der  Organisation  de?  Landes  widmete. 


412    ^Ul-  Durchführung  d.  solar.  Monotheismus,  Kestaurat.  d.  Orthodoxie 

«iie  eigentliche  Glanzzeit  Thebens  mit  dem  Auftreten  Ech- 
natens  zu  Ende,  das  Schwergewicht  der  von  der  Natur  des 
Landes  gegebenen  Bedingungen  setzt  sich  wieder  durch. 

Haremhab  hat  mindestens  ein  Vierteljahrhundert  als 
König  regiert^).  Über  die  auswärtigen  Beziehungen  haben 
wir  nur  sehr  dürftige  Kunde,  vor  allem,  weil  die  Wand  zwi- 
schen seinen  Pylonen,  deren  Reliefs  diese  Vorgänge  darstellten, 
bis  auf  geringe  Reste  zersört  ist^).  Einen  Kri^gszug  hat  er 
nach  Kuä  unternommen  —  seine  triumphierende  Heimkehr 
ist  an  der  Wand  einer  Felskapelle  in  Silsilis  dargestellt  — ; 
aus  Punt  hat  ihm  eine  Gesandtschaft  reiche  Gaben,  vor  allem 
Säcke  Gold,  gebracht;  andere  Bruchstücke  beziehen  sich  auf 
einen  Kriegszug  nach  Syrien,  aus  dem  er  Gefangene  und 
Beutestücke  aller  Art,  vor  allem  Prunkgefäße,  dem  Amon  dar- 
brachte^). Außerdem  nennen  die  Reste  einer  Völkerliste  Ort- 
schaften aus  Nordsyrien,  darunter  auch  die  Chetiter;  ob  daraus 
aber  ein  neuer,  sonst  weder  in  den  ägyptischen  noch  in  den 
chetitischen  Denkmälern  erwähnter  Krieg  mit  diesen  erschlossen 
werden  darf,  läßt  sich  mit  Sicherheit  nicht  entscheiden^). 

')  Siehe  u.  S.  41 3.  Das  höchste  in  Urkunden  erhaltene  Datum  ist  sein 
8.  Jahr.  Das  früher  auf  ihn  bezogene  J.  21  auf  einem  Ostrakon  in  London 
gehört  in  die  Regierung  Ramses'  III.,  s.  Erman,  Ber.  Berl.  Ak.  1910.  843  f. 

^)  Das  erhaltene  bei  Breasted,  Anc.  Rec.  HI  35—89.  Fremdvölker- 
phot.  862—364.  331  —333.  Ferner  die  Ortsliste  aus  Syrien  bei  W.  M.  Müller, 
Eg.  Res.  I  p.  41  und  pl.  56  (wodurch  seine  früheren  Angaben  Asien 
und  Europa  292.  Rec.  17,  41  f.  Mitt.  A'orderas.  Ges.  1897,  276  f.  be- 
richtigt sind!. 

^)  Die  Gefangenen  der  oberen  der  beiden  erhaltenen  Reihen  werden 
seltsamerweise  als  ^elende  Magnaten  der  yaunebu"  bezeichnet,  ob- 
wohl sie  nach  Gesichtsbildung  und  Tracht  deutlich  Syrer  sind.  Auf  Be- 
ziehungen der  syrischen  Gegner  zu  den  Seevölkern  weist  vielleicht  hin, 
daß  unter  den  Gefäßen  mehrere  mit  Steinbockköpfen  u.  ä.  verziert  sind. 

*)  Die  Entscheidung  hängt  dr.von  ab,  ob,  wenn  Chattusil  in  der 
ägyptischen  Fassung  seines  Vertiages  mit  Ramses  II.  die  früheren  Ver- 
träge unter  Subbiluljuma  und  unter  „meinem  Vater  Muwattal"  erwähnt, 
hier  , Vater"  für  , Bruder"  verschrieben  ist,  oc'er  aber  „mein  Vater 
Mursil"  einzusetzen  ist.  In  letzterem  Falle  würde  es  sich  um  einen 
Vertrag  zwischen  Mursil  und  Haremhab  handeln  und  dieser  einen  vor- 
hergehenden Krieg  voraussetzen. 


tjaremhab.    Chronologie  413 

Die  Nachwirkungen  der  Krise  auf  das  Geistesieben  Ägyptens 

Mit  der  Thronbesteigung  Hareiuhabs  und  der  Gründung 
einer  neuen,  von  den  Göttern  anerkannten  Dynastie  ist  die 
Zeit  der  über  Ägypten  hereingebrochenen  Wirren  abge- 
schlossen. Die  Spuren  der  Ketzerei  sind  vertilgt ;  Aineno- 
phis  IV.  Echnaten  ist  „der  Feind  (Frevler)  von  Amarna"  '), 
dessen  verfluchter  Name  überhaupt  nicht  mehr  genannt  wer- 
den darf.  Auch  seine  Nachfolger  werden  in  den  Listen  des 
Königskults  übergangen,  Haremhab  unmittelbar  an  Ameno- 
phis  III.  angeschlossen  und  die  ganze  Zwischenzeit  ihm  zu- 
gerechnet. So  erklärt  es  sich,  daß  in  einer  Prozeßurkunde 
aus  der  Zeit  Ramses'  II.  Haremhabs  59.  Jahr  vorkommt  -). 
Danach  werden  wir  die  Zeit  vom  Tode  Amenophis'  III.  bis 
zu  dem  Haremhabs  auf  rund  sechzig  Jahre  (ca.  1370—1810) 
ansetzen  dürfen,  von  denen  gut  die  Hälfte  auf  Amenophis  IV. 
und   seine   drei  Nachfolger,  der  Rest    auf  Haremhab  fällt  ^). 


')  In  den  Prozeßakten  des  Mes  (Loret  ÄZ.  39,  1  ff.  mit  dem  Kom- 
mentar von  MoRET  S.  11  ff.)  wird  ein  Vorgang  unter  ihm  durch  „zur 
Zeit  des  chru  n  Achtaten"  datiert  (S.  10  ZI.  S.  14).  Dieselbe  Wendung 
hat  offenbar  in  dem  kleinen  Fragment  auf  S.  .5  gestanden,  wo  Acht-aten 
(Amarna)  erhalten  ist. 

^)  Inschrift  des  Mes  ZI.  8,  vgl.  o.  S.  341,2. 

*)  Ich  stelle  die  Namen  und  Daten  der  Denkmäler  und  die  Liste 
Manethos  zusammen,  die  am  besten  bei  Josephus  c.  Ap.  I  98  f.  erhalten 
ist  (vgl.  meine  Äg.  Chron.  88  ff.): 

Denkmäler  Manetho 

(min.  =  höchste  erhaltene  .lahrzahl)  Dyn.  18: 

Amenophis  III 36  .J.      9.  Horos 3ij  .1.  ."i  Mt. 

Amenophis IV. Echnaten  min.     18  „      10.  O-OYarl^p  Akenchere.?  ll)  r3  „  1   „ 
S'akere*  (wenige  Wochen).  11.  Rathoti.s  äosXcpöi;    .     .     9  , 

Tut'anch-amon  min.    ...       f»  ,      12.  Akencheres  (II)      .     .  12  „  5   „ 

Eje  min 4,      13.  Akencheres  stjpo- iIII)  12  ,  3   , 

yaremhab  min '^  ;,     14.  Harmais        .     .     .     .     4  „  1   , 

Die  Zahl  der  Könige  stimmt;  aber  wie  Manethos  Namen  zu  er- 
klären sind,  ist  völlig  dunkel.  Steckt  in  Akencheres  irgend  eine  Be- 
zeichnung der  Frevler  nach  Analogie  des  chru  n  AchUaten?  Seine 
Jahrzahlen  sind  ganz   unbrauchbar. 


414    ^'^11-  Durchführung  d.  solar.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

„Wehe  dem,  der  dich  antastet!"  heißt  es  in  einem  Hymnus 
auf  Amon^);  „deine  Stadt  besteht,  aber  der  dich  antastete, 
ist  gefällt.  Pfui  über  den,  der  gegen  dich  frevelt  in  irgend 
einem  Lande  .  .  .  Die  Sonne  dessen,  der  dich  nicht  kannte, 
ist  untergegangen,  aber  wer  dich  kennt,  der  leuchtet.  Das 
Heiligtum  dessen,  der  dich  antastete,  liegt  im  Dunkel, 
aber  die  ganze  Erde  im  Lichte."  Die  ganze  Episode  konnte 
als  eine  vorübergehende  Störung  der  geheiligten  Ordnung 
erscheinen,  nach  deren  Beseitigung  man  einfach  wieder  in 
die  altgewohnten  Geleise  zurückkehrte.  Indessen  die  wirk- 
liche Gestaltung  zeigt  ein  ganz  anderes  Bild :  auch  hier  hat 
sich  erwiesen,  daß  eine  Restauration  niemals  imstande  ist, 
das  Geschehene  ungeschehn  zu  machen  und  die  Fäden  da 
wieder  aufzunehmen,  wo  sie  abgerissen  sind.  Durch  den  Ver- 
such, die  tieferen  Gedanken,  welche  in  der  ägyptischen  Re- 
ligion lebten,  gewaltsam  zu  verwirklichen,  ist  ein  Bruch  in 
die  Entwicklung  gekommen ;  mit  seinem  Scheitern  ist  ein 
weiterer  Fortschritt  unmöghch  geworden.  Statt  dessen  gilt  es, 
die  altüberlieferten  Formen  und  Anschauungen  wiederher- 
zustellen und  peinlich  zu  befolgen,  und  so  legt  sich  über 
das  geistige  Leben  des  Volks,  stetig  anwachsend,  die  starre 
Wucht  der  Traditon,  die  alle  freie  Bewegung  erstickt  und  die 
gesamte  Zukunft  beherrscht. 

Eine  in  vieler  Beziehung  lehrreiche  Parallele  bietet 
der  Bildersturm  [im  byzantinischen  Reich.  Auch  dort  hat 
der  Widerspruch  zwischen  dem  Monotheismus  der  offiziellen 
Kirchenlehre  und  der  Praxis  des  Kultus  zu  dem  Versuch  ge- 
führt, die  abgöttischen  Bilder  zu  zerstören  und  die  Haupt- 
träger ihres  Dienstes,  die  Mönche,  gewaltsam  zu  beseitigen; 
und  auch  dort  haben  sich  nicht  wenige  Würdenträger  der 
Hierarchie  gefunden,  die  sich  dem  Vorgehn  der  Kaiser  an- 
schlössen^).  Gescheitert  ist  auch  dort  das  Unternehmen  daran, 

')  Erman,  Aeg.  Rel.  S.  72.  ÄZ.  42,  106  f. 

2)  Ihrem  inneren  Werte  und  religiösen  jGehalt  nach  stehn  im 
übrigen  die  beiden  Vorgänge  einander  nicht  gleich:  der  solare  Mono- 
theiBmus  Ethnatens  -wurzelt  religiös  weit  tiefer  als  der  Bildersturm,  der 


Charakter  und  Wirkungen  c]er  Restauration  415 

daß  man  die  Kraft  der  religiösen  Empfindungen  unterschätzte, 
die  hinter  dem  volkstümlichen  Kultus  standen.  Das  Ergebnis 
aber  ist  gewesen,  daß  der  griechischen  Kirche  fortan  ein 
weiterer  Fortschritt  verbaut  war,  wie  er  im  Abendland  zunächst 
zum  vollen  Ausbau  des  römisch-katholischen  Systems  und  dann 
weiter  zur  Reformation  geführt  hat;  sie  ist  dauernd  an  die  bis 
dahin  erreichte  Gestaltung  des  orthodoxen  Systems  gefesselt 
geblieben,  das  bei  der  Restauration  wiederhergestellt  wurde. 

Ohne  bedeutende  Nachwirkung  ist  natürlich  die  Auf- 
rüttelung der  Geister  durch  den  mit  fanatischer  Leidenschaft 
durchgeführten  Religionskampf  nicht  geblieben.  Die  lebhaft  be- 
wegten Reliefs  aus  dem  Grabe  Haremhabs  mit  den  scharf  er- 
faßten Porträts  der  Gefangenen  gehören  noch  ganz  in  die  Kunst 
von  Amarna.  Als  dann  der  klassische  Stil  wieder  zur  Herr- 
schaft gelangte,  verrät  sich  doch  in  zahlreichen  Einzelzügen  die 
Befruchtung  durch  die  revolutionäre  Kunst  des  Naturalismus; 
nur  dadurch  ist  es  möglich  geworden,  daß  er  in  der  Rames- 
sidenzeit  noch  eine  zweite  Blüteperiode  durchlebt  hat. 

Auf  religiösem  Gebiet  haben  die  Ideen  von  der  All- 
macht des  Sonnengotts,  aus  denen  die  Lehre  Echnatens  er- 
wachsen ist,  in  den  großen  Sonnenhymnen  der  Gräber  der 
Folgezeit,  so  auch  in  dem  Haremhabs  in  Sakkara,  und  ebenso 
z.  B.  im  15.  Kapitel   des  Totenbuchs,  einen  sehr  lebendigen, 

auf  halbem  Wege  stehn  bleibt  und  ein  neues  religiöses  Ideal  nicht  zu 
schaffen  vermochte,  sondern  sich  lediglich  an  die  Äußerlichkeiten  hält. 
Eben  darum  hat  er^sich  länger  behaupten  können  als  die  rasch  zu- 
sammenbrechende radikale^ Reform  Echnatens.  —  Eine  gleichartige 
Bewegung  hat  sich  gegenwärtig  auf  demselben  Boden  abgespielt  in 
der  Verjagung  aller  Derwische  aus  der  Türkei;  ob  sich  dieser  radi- 
kale Bruch  mit  dem  die  weitesten  Volksschichten  des  Islams  beherr- 
schenden Mystizismus  auf  die  Dauer  behaupten  wird,  kann  nur  die 
Zukunft  lehren.  —  Eine  weitere  Parallele  bietet  der  allerdings  unter 
wesentlich  anderen  kulturellen  und  politischen  Verhältnissen  unter- 
nommene Versuch  des  Reformjudentums  unter  Antiochos  Epiphanes, 
Religion  und  Volk  zu  hellenisieren;  sein  Scheitern  führt  zum  vollen 
Siege  der  Orthodoxie  in  ihrer  pharisäisch-talmudischen  Gestalt  und 
damit  zur  vollen  Erstarrung  in  den  von  Ewigkeit  her  feststehenden, 
in  den  Einzelheiten  immer  minutiöser  ausgesponnenen  Formeln. 


416    ^'IH^-  Durchführung  d.  sohir.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

tiefempfundenen  Ausdruck  gefunden,  aber  jetzt  natürlich  wie- 
der im  Anschluß  an  die  alten  Sonnengötter  Rö'-Har'achte, 
Atum-re*,  den  weltschöpfenden  Urkäfer  Cheperi,  und  ver- 
bunden mit  den  übrigen  Mächten  des  großen  Götterkreises 
wie  Thout,  Hathor,  Ma'at  der  Göttin  der  Wahrheit  und  des 
Rechts,  die  der  Welt  und  dem  Toten  den  belebenden  Nord- 
wind sendet,  und  weiter  mit  Osiris  und  den  herkömmlichen 
Formen  des  Totendienstes.  Auch  in  den  Hymnen  auf  Amon 
wird  seine  Identität  mit  der  sichtbaren  Sonne  stark  betont; 
in  einem  Gebet  unter  Haremhab  an  ihn,  den  Götterkönig, 
heißt  es  geradezu:  „er  kennt  den,  der  ihn  kennt,  belohnt 
den,  der  ihm  dient,  schirmt  den,  der  ihm  folgt;  er  ist  Re', 
sein  Körper  der  Sonnendiskus  (aten),  er  besteht  in  Ewig- 
keit" ^).  Aber  er  ist  mehr  als  die  Sonne;  er  ist  die  beherr- 
schende Erscheinungsform  des  Urgotts,  aus  dem  alle  anderen 
hervorgegangen  sind,  und  doch  eine  von  ihnen  allen  ge- 
schiedene Persönlichkeit,  zugleich  geheimnisvoll,  auch  in  sei- 
nem „verborgenen"  Namen ^),  und  sichtbar  im  Götterbilde 
mit  allen  ihm  zukommenden  menschlichen  und  tierischen 
Attributen,  in  seiner  Inkarnation  in  dem  heiligen  Widder, 
und  verhüllt  in  dem  Fetisch,  der  in  dem  Kasten  des  Naos, 
den  profanen  Blicken  entzogen,  in  der  Götterbarke  auf  den 
Schultern  der  Priester  vor  die  andächtige  Menge  hinausge- 
tragen wird  und  Orakel  erteilt.  Für  die  thebanischen  Dyna- 
sten bleibt  er  der  Reichsgott,  wenn  er  diese  Stellung  auch 
tatsächlich  mit  dem  Ptah  von  Memphis  und  mit  Atum-re'  von 
Heliopolis  teilen  muß,  und  erhält  als  solcher  Filialen  in  den 
Tempeln  Nubiens  und  der  Oasen.  Trotzdem  ist  er,  außer 
an  diesen  Kultusstätten,  niemals  wirkhch  populär  geworden; 
für  die  Massen   des  Volks   bleibt  Re'  selbst   der  Götterkönig 

')  Aus  dem  Grabe  des  Neferhotep  (Dümichex.  Hist.  Inschr.  II40e. 
Brigsch,  Rec.  de  mon.  I  37.  Benedite  in  den  Mem.  de  la  mission  V  489  ff.) 

^)  ^mn  rn-f,  eine  schon  in  weit  früherer  Zeit  geschaffene  theo- 
logische Konception,  die  jetzt  zur  Deutung  des  Namens  Amon  benutzt 
■wird.  —  Beigesellt  wird  ihm  jetzt  eine  Göttin  Amonit;  beiden  zu- 
sammen hat  z.  B.  Haremhab  (ursprünglich  Tut'anch-amon)  in  Karnak 
Kolossalstatuen  errichtet  (Legraix,  Rec.  23,  64). 


Spätere  Gestaltung  der  Religion  417 

und  Weltenherr,  an  den  alle  tieferen  religiösen  Empfindungen 
ansetzen. 

Für  die  Gebildeten  ist  der  von  Eclinaten  so  schwer 
empfundene  Gegensatz  zwischen  dem  in  der  Praxis  herr- 
schenden Polytheismus  und  dem  theoretischen  Monotheismus 
durch  die  orthodoxe  Theologie  überwunden.  Sehr  anschau- 
lich gelangt  das  innere  Wesen  der  ägyptischen  Religion  in 
einem  Gebet  Ramses'  IV.  zum  Ausdruck,  in  dem  er  den 
Osiris  von  Abydos  um  Verdoppelung  seiner  Lebensdauer 
bittet:  „denn  Du,"  so  ruft  er  ihn  an,  „bist  der  große  Herr 
von  Heliopolis  (Atum-re*),  der  große  Herr  von  Theben  (Amon), 
der  große  Herr  von  Memphis  (Ptah)".  Alle  Götter  des  Kultus 
sind  für  den  W^issenden  nur  Erscheinungsformen  des  Einen, 
ganz  wie  im  Christentum  die  drei  Götter  der  Trinität  doch 
nur  Ein  Gott  sind.  Eben  in  diesem  logischen  Widersinn 
offenbart  sich  die  untrügliche  Wahrheit  der  in  den  heiligen 
Büchern  des  Thout  niedergelegten  Offenbarung,  die  man  als 
Mysterium  hinzunehmen  und  auszudeuten  hat,  so  gut  man  es 
vermag.  Nur  um  so  eifriger  werden  daher  alle  Formen  der 
Einzelkulte  festgehalten,  der  Schwerpunkt  der  Religion  wird 
in  die  peinliche  Befolgung  der  seit  Ewigkeit  unverbrüchlich 
festgestellten  Zeremonien  des  Kultus  verlegt  und  diese  werden 
immer  weiter  ins  Absurde  ausgesponnen.  Um  ihre  Auslegung 
haben  die  folgenden  Generationen  bis  in  die  griechische  und 
römische  Zeit  hinein  sich  eifrig  bemüht;  aber  einen  neuen 
Gedanken  sucht  man  in  der  ungeheuren  religiösen  Literatur, 
die  uns  aus  diesen  Epochen  erhalten  ist,  vergebens;  immer 
aufs  neue  werden  in  entsetzlicher  Monotonie  lediglich  die  alten 
Formeln  und  Mythen  und  Deutungen  Avieder  vorgetragen. 

Nur  auf  einem  Gebiet  w  ar  noch  ein  Fortschreiten  mög- 
lich, auf  dem  der  Magie  und  des  Aberglaubens.  Zu  allen 
Zeiten  war  es  für  das  ägyptische  wie  für  jedes  auf  gleicher 
Stufe  stehende  Volk  unzweifelhaft,  daß  Wissen  und  Speku- 
lation magische  Kräfte  verleiht  und  der  „Weise"  in  erster 
Linie  ein  Zauberer  ist,  der  Wunder  tun  kann;  jetzt  greift 
das  Zauberwesen  immer  weiter  um  sich.  Zahlreiche  Zauber- 
Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    II'  27 


418   VIII.  Durchführang  cl.  solar.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

papyri  zur  Abwehr  oder  zur  Dienstbarmachung  der  Gespen- 
ster und  Ungeheuer,  der  Krokodile  und  Schlangen,  zur  Siche- 
rung gegen  feindliche  Umtriebe  und  umgekehrt  zur  Schädi- 
gung der  Gegner  sind  auf  uns  gekommen;  von  den  Zeiten 
der  neunzehnten  Dynastie  bis  auf  den  Sieg  des  Christentums 
und  noch  darüber  hinaus  steht  kein  Zweig  der  ägyptischen 
Literatur  so  in  Blüte  wie  dieser.  Stark  beeinflußt  ist  er  von 
dem  Zauberritual  des  Totendienstes  und  den  dabei  verwen- 
deten Amuletten.  Dazu  kommt  das  Suchen  nach  dem  ge- 
heimnisvollen Namen  des  Urgottes,  durch  den  man  alle  Götter 
und  Gespenster  zwingen  kann;  und  diesen  gestaltet  man  am 
wirkungsvollsten  durch  eine  absolut  sinnlose  Zusammenstel- 
lung beliebiger  Buchstaben.  Von  dieser  großen  Entdeckung 
—  die  vielleicht  durch  das  Bekanntwerden  der  fremden  Spra- 
chen Asiens  und  Afrikas  sowie  der  Kafti  beeinflußt  ist,  die 
auch  sonst  zu  Zauberzwecken  verwendet  oder  geradebrecht 
Averden  —  wird  in  diesen  Texten  der  ausgiebigste  Gebrauch 
gemacht  bis  tief  in  die  christliche  Zeit  hinein,  da  konnte 
jeder  Nachfolger    die  Vorgänger  noch  überbieten. 

In  der  Heilkunde  hat  es  an  Zaubersprüchen  und  an  den 
naiven  Heilmitteln  der  „Dreckapotheke"  niemals  ganz  gefehlt; 
aber  jetzt  dringt  auch  hier  die  magische  Formel  immer  weiter 
vor,  die  medizinischen  Schriften  seit  der  neunzehnten  Dynastie 
sind  voll  davon  und  stehn  dadurch  tief  unter  den  viel  sachhcher 
verfahrenden  Werken  der  älteren  Zeit.  Eifrig  gepflegt  wird, 
ebenso  wie  in  Babylonien,  die  Kunde  der  Vorzeichen.  „Die 
Ägypter",  sagt  Herodot,  „haben  mehr  Vorzeichen  heraus- 
gefunden als  alle  anderen  Menschen.  Denn  Avenn  ein  Vor- 
zeichen eintritt,  schreiben  sie  auf,  Avas  daraus  folgt,  und 
Avenn  später  etwas  Ahnliches  vorkommt,  glauben  .sie,  daß 
die  Folge  die  gleiche  sein  wird."  „Auch  das  haben  sie  her- 
ausgefunden, Avelchem  Gott  jeder  Monat  und  jeder  Tag  ge- 
hört und  Avie  sich  je  nach  dem  Geburtstag  die  Schicksale 
eines  Jeden  gestalten,  Avie  er  sterben  und  welcher  Art  er  sein 
Avird."  Solche  TagAvählerei  Avar  begreiflicherweise  seit  alters 
im  Schwünge;  ein  Papyrus  der  zAvölften  Dynastie  aus  Kahun 


Fortentwicklung  des  Zauber wesens.    Beginnende  Erstarrung     419 

verzeichnet  zu  jedem  der  dreißig  Monatstage,  ob  er  „gut" 
oder  „böse"  sei\).  Jetzt  wird  auch  diese  Wissenschaft  weiter 
ausgesponnen:  ein  Buch,  das  uns  in  der  Abschrift  eines  Schil- 
lers aus  der  Ramessidenzeit  großenteils  erhalten  ist,  gibt  zu 
jedem  Tage  der  zwölf  Monate  des  Jahres  genau  an,  was  man 
an  ihm  tun  oder  lassen  soll,  ob  man  ausgehn  darf  oder  zu 
Hause  bleiben  und  nicht  arbeiten  soll  u.  s.  w.,  und  motiviert 
das  ausführlich  durch  die  mythologischen  Ereignisse,  die  sich 
an  ihm  abgespielt  haben ^). 

So  wird  das  geistige  Leben  Ägyptens  immer  mehr  in 
Fesseln  geschlagen.  Wohl  fehlt  es  auch  in  der  Folgezeit 
nicht  an  Äußerungen  echter  Frömmigkeit,  vor  allem  in  den 
Grabschriften,  und  ebensowenig  an  Lehrschriften,  die  die 
Normen  einer  anständigen  Lebensführung  und  die  von  Gott 
gegebenen  Gebote  der  Moral  —  denn  in  der  Ethik  tritt  in 
der  Literatur  aller  Völker  die  Persönlichkeit  des  Einzelgottes 
völlig  in  den  Hintergrund  gegenüber  dem  allgemeinen  Be- 
griff der  Gottheit,  des  LTrhebers  der  sittlichen  Weltordnung  — 
eingehend  und  wirkungsvoll  darlegen.  Aber  neue  Ideen  zu 
schaffen,  fortzuschreiten  über  das  Erreichte  hinaus,  ist  das 
Ägyptertum  nicht  mehr  imstande.  Dreimal  im  Verlauf  seiner 
langen  Geschichte  —  und  darauf  beruht  die  einzigartige  Stel- 
lung, die  es  in  der  Geschichte  der  Kulturvölker  einnimmt  — 
ist  es  befähigt  gewesen,  nach  Epochen  der  inneren  Zer- 
setzung sich  neu  zu  erheben  und  unter  Wahrung  des  alt- 
ererbten Gutes  eine  neue  höhere  Gestaltung  seiner  Kultur 
voll  innerer  Lebenskraft  zu  schaffen.  Ein  viertes  Mal  ist  es 
ihm  nicht  mehr  beschieden  gewesen.  Wohl  folgt  auf  die 
Krisis  von  Amarna  nochmals  ein  neuer  Aufschwung  unter 
den  Ramessiden,    der   zeigt,  wie   gewaltige   Kräfte   in  Staat 

')  Völlig  analog  sind  die  „Tage"  Hesiods,  die  ebenso  die  Glück 
oder  Unheil  bringende  Bedeutung  der  80  Monatstage  aufzählen,  die 
für  alle  Monate  gleichmäßig  gelten.  Herodot  sieht  darin,  wie  durch- 
weg, eine  Entlehnung  aus  Ägypten  (xal  loutotot  Tüiv  'EKXr^vwv  ol  sv 
itoiT,as'.  YJvofJLfevoi  r/p-fjoavco  II  82). 

-)  Pap.  Sallier  IV.    Kürzer  ein  Papyrus  aus  der  22.  Dyn. 


420    ^  III-  Diirohlührung  d.  solar.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

und  \'olk  noch  lebendig"  waren.  Aber  innerlich  zehrt  diese  Zeit 
doch  nur  vom  Geschaifenen,  das  bis  in  seine  letzten  Kon- 
sequenzen durchgebildet  wird.  So  vollzieht  sich  in  der  Epoche 
der  neunzehnten  und  zwanzigsten  Dynastie  das  Ausleben  der 
großen  Kulturschöpfung  der  achtzehnten  Dynastie,  bis  sie, 
nicht  nur  äußerlich  erschöpft,  sondern  innerlich  morsch  ge- 
worden, in  sich  zusammensinkt. 

Die  religiöse  Krisis  unter  Echnaten  und  das  Scheitern 
seines  Keformversuchs  bildet  den  Wendepunkt  der  geistigen 
Entwicklung  Ägyptens.  Die  Nachwirkungen  des  Bruchs  konn- 
ten nicht  mehr  überwunden  werden;  auch  die  Restauration 
unter  der  sechsundzwanzigsten  Dynastie  hat  wirklich  Lebens- 
kräftiges nicht  mehr  zu  erzeugen  vermocht,  ihr  Ideal  liegt  nicht 
in  der  Zukunft,  sondern  in  der  Rückkehr  zu  der  Urzeit  der 
Pyramidenerbauer.  Die  alten  Formen,  innerlich  ausgehöhlt, 
blieben  unverändert  bestehn');  wie  sie  uns  in  stereotyper 
Monotonie  in  den  Tempeln  der  Ptolemaeer  und  der  römi- 
pchen  Kaiser  entgegentreten,  hätten  sie  sich  noch  ungezählte 
Jahrhunderte  hindurch  weiter  fortsetzen  können,  wenn  nicht 
schließlich  eine  von  außen  hineinbrechende  Bewegung  dem 
ganzen  inhaltlos  gewordenen  Treiben  ein  Ende  gemacht  hätte. 

Die  Darstellung  der  Bewegung  in  der  Überlieferung  bei 
E^anetho 

Zu  einer  wirklichen  Geschichtsschreibung  sind  die  Ägyp- 
ter so  wenig  gelangt  wie  die  Babylonier.  Dem  praktischen 
Bedürfnis  genügten  die  Königslisten  und  die  unter  jeder  Re- 
gierung offiziell  geführten  Jahrbücher,  aus  denen  uns  in  ein- 
zelnen Köiiigsinschriften,  wie  denen  Thutmosis'  III.,  und  sonst 
einige  wenige  Reste  erhalten  sind.  Daneben  stehn  populäre 
Erzählungen    sagenhaften  Charakters,    wie  die  vom  Hyksos- 


'!  In  dieser  Beziehung  läßt  sich  Ägypten  mit  der  Gestaltung  ver- 
gleichen, welche  die  chinesische  Kultur  seit  der  Ausbildung  i!es  kon- 
fuzianischen Systems  und  des  Mandarinentums  und  der  Rezeption  des 
Buddhismus  unter  der  Handynastie  seit  den  ersten  nachchristlichen  Jahr- 
linnderten  angenommen  hat. 


Die  Darstellung  Manethos  421 

könig  Apopi  oder  von  der  Einnahme  von  Joppe  durcH  einen 
Offizier  Thutmosis'  III.  Die  Art,  wie  diese  Volksüberlieferuu^- 
später  die  Geschichte  der  religiösen  Krisis  dargestellt  hat,  ist 
für  die  Denkweise  der  Ägypter  in  den  Zeiten  des  vollen  Nieder- 
gangs so  charakteristisch,  daß  wir  sie  nicht  übergehn  dürfen. 
Erhalten  ist  sie  in  einem  von  Josephus  bewahrten  Fragment 
Manethos,  der  sie,  wie  er  angibt,  nicht  aus  den  Chroniken, 
sondern  aus  populärer  Tradition  aufgenommen  hat').  Er  vor- 
setzt die  Vorgänge  unter  einen  König  Amenophis,  der  kein 
anderer  ist  als  Merneptah,  der  Sohn  Ramses'  IL,  nach  dem 
Ägypten  einer  Invasion  aus  Syrien  erlag;  wiederhergestellt 
wird  die  Unabhängigkeit  des  Reichs  durch  Ramses  III.  (rich- 
tiger bereits  durch  dessen  hier  übergangenen  Vater  Setnacht), 
der  hier  zum  Sohn  des  Amenophis  gemacht  wird.  Aber  dieser 
Merneptah  wird  zugleich  mit  Amenophis  IV.  Echnaten  gleich- 
gesetzt —  daher  die  Namensform  Amenophis  —  und  die  In- 
vasion auf  eine  religiöse  Revolution  in  Ägypten  selbst  zurück- 
geführt; von  der  Volkstradition  sind  mitliin  zwei  Vorgänge 
zusammengeworfen,  die  in  Wirklichkeit  durch  rund  zwei  Jahr- 
hunderte voneinander  getrennt  sind-).  Die  Erzählung  lautet: 
„König  Amenophis  hatte  den  Wunsch,  die  Götter  zu 
schauen  wie  vor  ihm  König  Hor^),  und  wandte  sich  deshalb 

')  oüx  ex  Tcöv  itr/p'  Al-^oKzloi^  fp'/.ii.ii.äxMV^  o.kk'  cÜ;  ctoxö?  üj)xoXö-,yjx£v 
£•/.  Ttüv  aSsonotüj^  [jiu9-oXo-|'oufj.Evu)v  Jos.  c.  Ap.  I  105,  ebenso  229.  287. 
Josephus  hat  die  Erzählung  nicht  aus  Manethos  Werk  selbst  entnommen, 
sondern  aus  der  umfangreichen  Literatur  über  den  Ursprung  der  Juden, 
die  sich  seit  dem  3.  Jahrhundert  entwickelt  hatte  und  die  er  durch- 
weg ausschreibt. 

'')  Auf  dem  ^"ersuch,  die  Episode  von  Amenophis  und  Osaisijjh 
in  die  Königsliste  einzufügen  [Josephus  I  230  sagt  ausdrücklich,  da'l 
dieser  Amenophis  nicht  in  der  Liste  stand  und  Manetho  daher  bei  ihm 
keine  Regierungszahl  angegeben  habe:  'Aaeviutpiv  ßa3iX£a  Ttpos^sii;  ^izMc, 
rjvona  xai  8tä  zobzo  ypövov  aötoü  ty,?  ßaaüeia?  optaai  [xr,  xoXfAYJcai;],  be- 
ruht die  ungeheure  Konfusion,  die  bei  Josephus  wie  in  den  Auszügen 
bei  Alricanus  und  Eusebius  in  der  Liste  der  19.  Dynastie  herrscht, 
vgl.  die  Analyse  in  meiner  Äg.  Chronol.  7  6  ff.  88  Ö'. 

^)  Das  ist  Amenophis  IIL,  der  bei  Manetho  Horos  heißt;  diesem 
frommen  König,  ('er  ja  in  seinen  Denkmälern  durchweg  in  intimstem 


422    ^  III.  Durchführung  rl.  solar.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

an  den  weisen  Amenophis,  den  Sohn  des  Paapis.  Dieser  er- 
klärte, sein  Wunsch  könne  erfüllt  vrerden,  wenn  er  das  ganze 
Land  von  den  Aussätzigen  und  den  sonstigen  durch  körper- 
liche Gebrechen  Befleckten  reinige.  Der  König  läßt  sie  alle, 
80000  Mann,  darunter  auch  einige  angesehene  Priester,  zu- 
sammenbringen und  zur  Zwangsarbeit  in  die  Steinbrüche  öst- 
lich vom  Nil  bringen.  Der  weise  Amenophis  aber  fürchtet 
den  Zorn  der  Götter  und  sieht  kraft  seiner  Sehergabe  voraus, 
daß  die  Befleckten  auswärtige  Hilfe  finden  und  dreizehn  Jahre 
lang  über  Ägypten  herrschen  werden.  Dies  dem  König  zu 
sagen,  wagt  er  nicht;  er  schreibt  es  auf  und  gibt  sich  den 
Tod.  Da  wurde  der  König  mutlos.  Als  aber  längere  Zeit 
vergangen  war,  gestattete  er  ihnen,  um  ihre  Lage  zu  mildern, 
sich  in  der  jetzt  öde  daliegenden  ehemaligen  Hyksosstadt 
Auaris,  der  Stadt  des  Typhon  (Seth)  niederzulassen.  Hier  wäh- 
len sie  einen  Priester  Osarsiph  aus  Heliopolis  zum  Oberhaupt 
und  schwören,  ihm  in  allem  zu  gehorchen.  Er  befiehlt,  weder 
die  Götter  zu  verehren,  noch  sich  der  in  Ägypten  als  heilig 
geltenden  Tiere  zu  enthalten,  sondern  sie  zu  schlachten,  und 
mit  niemandem  außer  den  Mitverschworenen  zu  verkehren, 
wandelt  auch  alle  herkömmlichen  Sitten.  Auaris  läßt  er  be- 
festigen und  zum  Kriege  rüsten;  als  Bundesgenossen  ruft  er 
die  von  Amosis\)  verjagten  Hirten  herbei,  die  sich  in  Jeru- 
salem festgesetzt  hatten.  Die  kommen  mit  einem  Heere  von 
200000  Mann.  König  Amenophis  weiß  durch  die  Prophezeiung, 
was  ihm  bevorsteht;  so  läßt  er  die  heiligen  Tiere  zusammen- 
bringen, die  Götterbilder  sorgfältig  verbergen;  seinen  fünf- 
jährigen Sohn  Ramses^)  bringt  er  bei  einem  Freunde  in  Sicher- 
heit.   Er  selbst  tritt  mit  300000  Kriegern   den  Asiaten  bei 

Verkehr  mit  den  Göttern  steht,  -wird  also  vom  Volksglauben  die  Er- 
füllung dieses  Wunsches  zugeschrieben,  ähnlich  wie  bei  Herodot  II  122 
König  Rampsinit  lebend  in  die  Unterwelt  geht  und  dort  mit  Demeter 
(Isis)  Würfel  spielt. 

^)  Im  Text  des  Josephus  ist  dieser  Name  auch  hier  durch  Tuth- 
niosis  ersetzt,  s.  o.  S.  -52,  2. 

^j  In  der  vollständigen  Bezeichnung  c.  Ap.  I  24ö  tov  i>'.b\i  Ss&co 
töv  v.al   Ta^Ea3Y]'iTto  'PaW^oöi;    zo'j    natf/öc    [d.  i.    Ramses  IL    wie  §  231] 


Manethos  Erzählungen.    Amenophis  und  Osarsiph  423 

Pelusion  entgegen^),  wagt  aber  keinen  Kampf,  da  er  nicht 
gegen  die  Götter  kämpfen  will,  sondern  zieht  unter  Mitnahme 
des  Apis  und  der  übrigen  heiligen  Tiere  nach  Äthiopien,  wo 
der  König  ihn  und  sein  ganzes  riesiges  Heer  aufnimmt  und 
verpflegt  —  daß  Äthiopien  (d.  i.  Nubien,  Ku^)  damals  eine 
Provinz  des  Pharaonenreichs  war,  ist  vergessen,  und  um  die 
von  der  Natur  gegebenen  Bedingungen  kümmert  sich  diese 
Erzählung  so  wenig  wie  z.  B.  die  vom  Aufenthalt  der  Israe- 
liten in  der  Sinaiwüste.  Die  Hirten  aus  Jerusalem  aber  be- 
mächtigten sich  mit  den  Befleckten  zusammen  des  ganzen 
Landes,  steckten  Städte  und  Dörfer  in  Brand,  plünderten  die 
Tempel,  verstümmelten  die  Götterbilder;  ja,  sie  verwandelten 
die  Sanktuare  in  Küchen,  zwangen  die  Priester  und  Propheten, 
die  heiligen  Tiere  zu  schlachten,  und  warfen  sie  besitzlos 
hinaus.  So  hausten  sie,  bis  die  dreizehn  Jahre  um  waren. 
Da  kehrte  Amenophis  mit  einem  großen  Heer  aus  Äthiopien 
zurück,  sein  Sohn  Ranises  stieß  mit  anderen  Truppen  zu  ihm; 
sie  besiegten  die  Hirten  und  die  Befleckten  und  verjagten  sie 
unter  großem  Gemetzel  nach  Syrien." 

Die  Invasion  der  Asiaten  und  die  abschließenden  Ereig- 
nisse gehören  in  die  Zeit  vor  Ramses  HL;  das  Treiben  der 
Befleckten  dagegen,  die  Verfolgung  der  Götter  und  Schlach- 
tung der  heiligen  Tiere,  schildert  deuthch  das  Wüten  Ech- 
natens  und  seiner  Anhänger  gegen  die  ägyptische  Religion. 
Dazu  gehört  auch  der  Priester  von  Heliopolis  Osarsiph  als 
Führer  der  Bewegung^).  Benutzt  ist  die  Erzählung  zugleich, 
um  den  Juden  einen  gehässigen  und  verächtlichen  Ursprung 

u)vo[iaofievov  liegt  die  S.  421,2  erwähnte  Kontusion  vor.  Nachher  §2öl 
heißt  er  Taft-^-rjc. 

')  Vgl.  §  274. 

^)  Der  Name  kann  echt  ägyptisch  sein,  entlehnt  von  einem  gleich- 
namigen, im  Totenbuch  und  sonst  mehrfach  erwähnten  Gott  (nach 
Manelho  ist  er  otitö  toö  Iv  ^Hh.ooKÖXv.  ^■soö  'Oaipscu;  benannt).  Recht 
ansprechend  ist  aber  die  Vermutung,  deren  Urheber  ich  nicht  mehr 
ermitteln  kann,  Osarsiph  sei  ursprünglich  eine  Ägyptisierung  des  Na- 
mens Joseph,  wobei  dann  das  hebraeische  Jo-  als  Name  .Jahwes  auf- 
gefaßt und  ägyptisch  durch  Osiris  lOsar-)  ersetzt  wäre. 


421    ^"III.  Durchführung  d. solar.  Monotheismus,  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

anzuhängen;  Osarsipli  soll  seinen  Namen  in  Moses  gewand(^lt 
haben  \).  Damit  verbunden  ist  dann  das  seit  alters  entwickelte 
Schema  der  ägyptischen  Prophetie,  die  eine  durch  den  Zorn 
der  Götter  herbeigeführte  Katastrophe  verkündet,  in  der  die 
ausländischen  Feinde  sich  der  Herrschaft  bemächtigen,  das 
Land  ausplündern,  die  Tempel  zerstören,  die  soziale  Ordnung 
umstürzen,  bis  dann  ein  gottgeliebter  König  ersteht,  die  Feinde 
verjagt,  und  in  langer,  gesegneter  Regierung  die  alten  Ord- 
nungen wiederherstellt^).  Zu  dem  Schema  gehört  auch  die 
Flucht  des  Königs  nach  Äthiopien,  die  ebenso  in  der  Nek- 
tanebossage  wiederkehrt.  Der  Verkünder  der  Prophezeiung 
in  der  Osarsiphsage.  Amenoph^s,  der  Sohn  des  Paapis,  ist 
eine  wohlbekannte  Persönlichkeit,  Leiter  der  Bauten  unter 
Amenophis  IIL^).  Vor  allem  durch  seinen  Totenkult  hat  sich 


')  Gekannt  hat  diese  Herleitung  der  .Juden  schon  Hekataeos  von 
Abdera.  nach  dem  die  Juden  Fremde  sind,  die  zur  Zeit  einer  Seuche 
aus  Ägypten  ausgetrieben  werden  (Diod.  40,  3).  Hier  ist  sie  aber  nicht 
gehässig  gestaltet;  die  gleichzeitige  Auswanderung  des  Danaos  und  Kad- 
mos  wird  ebenso  erklärt.  Daneben  steht  die  wohl  ältere  Ableitung  der 
Juden  von  den  vertriebenen  Hyksos  (mit  denen  sie  ja'auch  die  mane- 
thonische  Erzählung  von  Osarsiph  wieder  zusammenbringt),  die  dann 
Josephus  wieder  eifrig  verteidigt. 

2)  Siehe  Bd.  I  297.  Der  dort  (vgl.  §  280  A.)  angeführte  Petersburger 
Papyrus  ist  jetzt  veröflentlicht  und  von  Erman  Ag.  Lit.  151  ff.  und 
Ranke  (bei  Gressmann,  Altorient.  Texte  zum  A.  T.  2.  Aufl.  1926,  46  ff.) 
neu  übersetzt.  Die  Prophezeiung,  welche  den  Untergang  des  Alten 
Reichs  und  das  Emporkommen  der  12.  Dynastie  (Amenemhet  I.)  schil- 
dert, wird  von  Neferrehu  dem  König  Snofru  vorgetragen.  Die  Mah- 
nungen des  Apu-uer  sind  neu  übersetzt  von  Erman  S.  130  ff.,  Ranke 
S.  51  ff.,  die  FrojAezeiungen  des  Lammes  unter  Bokchoris  von  Ranke 
S.  48  f. 

3)  Über  ihn  s.  Sethe  in  ;den  Aegyptiaca  (1896)  S.  106  &.,  der 
die  älteren  Annahmen  widerlegt  hat,  er  habe  die  Memnonkolosse  er- 
richtet und  den  ursprünglichen  Tempel  von  Der  el  Medine  erbaut: 
ferner  Breastep,  Anc.  Rec.  II  911  ff.  Wir  besitzen  von  ihm  mehrere 
Statuen,  darunter  eine  vortrefflich  gearbeitete,  die  ihn  als  Achtzig- 
jährigen mit  sehr  charakteristischem,  nichts  weniger  als  schönem 
Greisenkopf  darstellt  (Masiero,  Ann.  du  serv.  II  281  ff.).  Daß  das  ihm 
in  den  Mund  gelegte  Dekret  (auf  Kalkstein),  das  seinen  Totenkult  gegen 


Amenophis,  Sohn  des  Paapis,  und  die  prophetische  Literatur     425 

sein  Gedächtnis  erhalten,  und  so  gilt  er  der  Spätzeit  als  ein 
Weiser,  „dessen  Name  ewig  bestelm  bleibt  und  dessen  Sprüche 
nicht  vergehn  werden"  \),  und  ist  in  der  ptolemäischen  Zeit 
geradezu  zum  Gott  gevN^orden.  So  erklärt  sich,  daß  er  in  der 
manethonischen  Erzählung  zum  Träger  der  Prophezeiung  ge- 
gemacht wird,  die  das  von  Amenophis  IV.  über  Ägypten  ge- 
brachte Unheil  verkündet  —  wozu  im  übrigen  seine  wirkliche 
Lebenszeit  sehr  gut  paßt.  Aus  derselben  Zeit,  dem  3.  Jahr- 
hundert V.  Chr.,  besitzen  wir  ein  Ostrakon,  das  seine  Mahii- 
sprüche  in  griechischer  Sprache  enthält;  in  Wirklichkeit  freilich 
sind  diese  Sätze  aus  griechischen  Spruchsammlungen  entnom- 
men^). Eine  weitere  Parallele  bietet  ein  griechischer  Papyrus, 
der  die  Übersetzung  einer  „Verteidigungsrede  des  Töpfers  vor 
König  Amenophis  —  also  demselben  König,  wie  bei  Manetho  — 
über  die  Ägypten  bevorstehenden  Schicksale"  enthält:  der 
Töpfer  verkündet  die  Heimsuchung  und  Verödung  des  Landes 
durch  die  ty phonischen,  aus  Syrien  kommenden  „Gürtelträger'' 
und  dann  den  Untergang  der  Stadt  am  Meere  —  d.  i.  Alexan- 
drias —  und  das  WiederautTalühen  des  Landes  unter  dem 
vom  Sonnengott  abstammenden,  von  Isis  beschützten  König, 
dem  eine  gesegnete  Regierung  von  55  Jahren  verheißen  wird^). 
Diese  Prophezeiung  stammt  also  aus  der  Zeit,  wo  die  Ägypter 

Kingrifie  schützen  soll,  ein  Machwerk  aus  der  Zeit  der  21.  Dyn.  ist, 
hat  G.  Möller,  Ber.  Berl.  Ak.  1910,  932  ff.,  gezeigt. 

')  Auch  die  Auffindung  eines  zauberkräftigen  Totentextes  wird 
ihm  zugeschrieben,  s.  Sethe  a.  a.  0.  112  f. 

')  WiLCKEN  in  den  Aegyptiaca  S.  142  ü'.  Die  Überschrift  'Ajxevwtoj 
yTtoi^ic-xt  gibt  den  Namen  Amenhotep  in  korrekter  Form,  nicht  ent- 
stellt zu  'Ansv(ii<pi(;,  wieder,  vgl.  o.  .S.  75,  1. 

')  ci.Ko).o^irx  xEf«a}iEü)<;  fji£d'YjPjj.eveü[XEVY)  Tipoi;  'AfAEviLniv  TÖv  f,o.zikia.  xaxcc 
xö  cüvaxöv  itspl  tcüv  vfj  klföizziu  fisIXovxcuv.  Der  Text  ist  zuletzt  von  Wii.cken, 
Hermes  40,  -544  ff.  behandelt  [wodurch  seine  frühere  Besprechung  Aegyp- 
tiaca 146  ff.  hinfällig  geworden  ist]  und  jetzt  wesentlich  verbessert  von 
Reitzensteix,  Studien  zum  antiken  Synkretismus  S.  38  ff.  (Studien  der 
Bibl.  Warburg  VII  1926),  dessen  Annahme  iranischen  Einflusses  auf  die 
ägyptische  Prophetie  ich  aber  nicht  zustimmen  kann.  —  In  den  Ciuvotpöpoo 
sind  die  persischen  und  griechischen  Fremdherrscher  zusammenge- 
schlossen. 


426   VIII.  Durchführung  d.  solar.  Monotheismus^  Restaurat.  d.  Orthodoxie 

.sich  .seit  Ptolemaeo.s  V.  gegen  die  griechische  Herrschaft  er- 
hoben, und  soll  die  Wiederaufrichtung  des  Pharaonenreichs 
vorbereiten^).  Auch  darin  berührt  sich  dieser  Text  mit  der 
Erzählung  Manethos,  daß  der  Töpfer  vor  Abschluß  seiner 
Verkündung  tot  zusammenbricht,  ebenso  wie  das  Lamm,  das 
dem  König  Bokchoris  das  kommende  Unheil  prophezeit^); 
beide  werden  dann  vom  König  feierlich  bestattet. 


')  Völlig  gleichartig  sind  die  in  der  sog.  demotischen  Chronik  er- 
läuterten Prophezeiungen,  vgl.  dazu  meine  Kleinen  Schriften  II  69  ff. 
=  Ber.  Berl.  Ak.  1915,  287  ff. 

^)  Übersetzung  des  daraus  erhaltenen  demotischen  Fragments  bei 
Ranke  a.  a.  0.  48  f.  Diese  Prophezeiung  kannte  auch  Manetho  (vgl.  ÄZ.  46, 
13.5  f.). 


IX.  Die  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und 
das  Chetiterreich 


Ramsesi.  DerSäuiensaalvonKarnak.  Organisation  der  Armee 

Haremhab  hat  den  äg-yptischen  Staat  auf  der  Grundlage 
der  restaurierten  Orthodoxie  wieder  aufgebaut.  Auch  die 
Wiedergewinnung  der  Weltstellung  des  Reichs  hat  er  an- 
gebahnt, Nubien  aufs  neue  fest  mit  Ägypten  verbunden  und 
in  Asien  nicht  ohne  Erfolg  gegen  die  Beduinen  und  die  Che- 
titer  Krieg  geführt,  aber  dauerhafte  Ordnung  hier  nicht  zu 
schaffen  vermocht.  Die  Durchführung  dieser  Aufgabe  mußte 
er  seinen  Nachfolgern  überlassen,  die  zugleich  im  Innern  die 
Ernte  seiner  unermüdlichen  Arbeit  einheimsen  konnten. 

Der  erste  von  ihnen  ist  Ramses  I.  gewesen.  In  welchem 
Verhältnis  er  zu  seinem  Vorgänger  gestanden  hat,  wissen  wir 
nicht.  Sein  Sohn  ist  er  nicht  gewesen,  aber  ebensowenig  etwa 
ein  Usurpator  und  Begründer  einer  neuen  Dynastie');  viel- 
mehr gilt  Haremhab  dauernd  als  legitimer  Pharao,  im  Gegen- 
satz zu  seinen  Vorgängern  erscheint  sein  Name  immer  an 
der   Spitze    der   folgenden  Herrscherreihe,  wenn   auch    nicht 


')  In  Karnak  hat  Legrain  zwei  Statuen  eines  VezirsPra'mose,  Sohnes 
des  Sethos,  aus  der  Zeit  Haremhabs  gefunden  (Ann.  da  Serv.  14,  29  ff.) 
und  vermutet,  daß  dieser  mit  Ramses  I.  (der  dann  den  Artikel  in  seinem 
Namen  weggelassen  hätte)  identisch  sei.  Das  ist  nicht  unmöglich; 
indessen  findet  sich  ein  Vezir  Sethos,  Sohn  des  Vezirs  Pra'mose,  auch 
unter  Ramses  II.  auf  der  , Stele  des  Jahres  400"  in  Tanis.  Daß  man 
in  der  Regel  die  19.  Dynastie  mit  Ramses  I.  begonnen  hat,  hat  in  der 
Überlieferung  gar  keine  Begründung.  Die  Liste  Manethos  liegt  sowohl 
bei  Josephus  wie  in  der  Epitome  bei  Africanus  und  Eusebius  nur  in 
ärgster  Konfusion  vor,  s.  Äg.  Chronol.  88  ff.  Josei^hus  gibt  überhaupt 
keinen  Djnastieeinschnitt,  die  Epitome  beginnt  die  19.  Dynastie  mit 
Sethos.   Geschichtlich  liegt   der  Einschnitt  natürlich  bei  Ilaremhab. 


428     IX.  Die  neunzehnte  Dynastie.   Ägypten  und  das  Chetiterreich 

als  ihr  leiblicher  Ahne.  Das  Verhältnis  ist  völlig  gleichartig 
dem  zwischen  Thutmosis  I.  und  den  ersten  Königen  der  acht- 
zehnten Dynastie;  auch  dort  liegt  in  der  genealogischen  Folge 
der  Dynastie  ein  Einschnitt,  dessen  wahres  Wesen  in  den 
offiziellen  Denkmälern  offenbar  absichtlich  verhüllt  ist. 

Ramses  I.  war  bereits  ein  älterer  Mann  und  hat  nur 
wenig  über  ein  Jahr  auf  dem  Thron  des  Horus  gesessen^). 
Aber  geschichtlich  kommt  seiner  Thronbesteigung  dieselbe 
Bedeutung  zu,  wie  zwei  Jahrhunderte  vorher  der  Thutmosis'  I.: 
mit  ihm  beginnt,  ganz  wie  bei  letzterem,  die  Entfaltung  der 
Kraft  des  Keichs  in  gewaltigen  Tempelbauten  und  die  Heraus- 
bildung des  Kunststils  der  Ramessidenzeit.  Unter  seiner  Re- 
gierung ist  der  Bau  des  Säulensaals  im  Amontempel  von 
Karnak  begonnen,  der  dann  unter  seinem  Sohn  und  seinem 
Enkel  in  jahrzehntelanger  Arbeit  zum  Abschluß  gelangt  ist''=). 
Dieser  Bau  in  Form  einer  Basilika  ist  der  gigantischste  Säuleu- 
wald, den  die  Erde  trägt.  Auf  den  Pylon  Amenophis'  III. 
führt  der  durch  zwei  Reihen  21  Meter  hoher  Papyrussäulen ■) 
gebildete   Mittelgang,    mit    überhöhtem    Dach,    durch    dessen 


')  Bei  Joseplius  regiert  er  1  J.  -i  Mt.  ibei  Africanus  zu  1  J.  ver- 
kürzt). Die  Stele  von  Wadi  Haifa  (Breasted,  Anc.  Rec.  III  74  ff.)  ist 
vom  20./6.  seines  2.  Jahres  datiert,  fügt  aber  am  Schluß  ganz  unvermittelt 
die  Königsnamen  Sethos'  I.  hinzu.  Offenbar  hat  dieser  damals  schon 
tatsächlich  die  Regierung  geführt.  Er  hat  die  Inschrift  auf  einer 
Stele  vom  30./12.  seines  1.  Jahres  wörtlich  wiederholt  (Breasted  III 
157  ff.),  das  mit  dem  2.  seines  Vaters  identisch  sein  wird. 

^)  Nach  Mariette  (danach  Steindorff  im  Baedeker)  findet  sich 
der  Name  Ramses'  I  außer  auf  dem  im  Westen  vorgelagerten  Pylon 
(LD.  III  124a— c)  auch  auf  der  sechsten  (von  Norden  her  gerechne;) 
der  ersten  Reihe  der  hinter  ihm  stehenden  Bündelsäulen  (no.  81  bei 
Lepsius).  Der  Bau  ist  also  von  hier  aus  begonnen  worden.  Die  Kürze 
der  Regierung  Ramses'  I.  hat  H.  Schafer  (Kunst  des  Orients  99)  zu  der 
Vermutung  geführt,  daß  der  Plan  schon  vor  ihm,  also  unter  Haremhab, 
entworfen  sei.  Das  ist  sehr  wohl  möglich,  wenn  auch  dtr  Regierungs- 
wechsel hier  ebenso  deutlich  den  Beginn  einer  neuen  Epoche  der  ägypti- 
schen Kunstgeschichte  bezeichnet,  wie  vorher  die  Regierung  Thutmosis'  1. 

*)  Sie  überbieten  die  des  Säulengangs  von  Luxor  (16  m)  noch 
um  .5  m. 


Ramses  I.  und  der  Säulensaal  von  Karnak  429 

Seitenfenster  das  gedämpfte  Tageslicht  einströmt;  und  dieser 
ist  zu  beiden  Seiten  von  Seitenschiffen  umschlossen,  mit  je 
sieben  Reihen  dichtgedrängter,  13  Meter  hoher  Bündelsäulen, 
im  ganzen  122;  den  Eingang  bildet  ein  neuer  mächtiger  Py- 
lon mit  einer  Vorhalle.  Geplant  war  ohne  Zweifel  davor  ein 
großer  Hof,  wie  er  am  Eingang  eines  Tempels  sonst  niemals 
fehlt,  mit  einem  abschließenden  ersten  Pylon;  begonnen  ist 
freilich  die  Ausführung  erst  unter  der  zweiund/wanzigsten 
Dynastie,  und  den  Pylon  haben  erst  die  Ptolemaeer  errichtet, 
aber   auch  nicht  vollenden  können. 

Mit  diesem  Wunderwerk  beginnt  die  unabsehbare  Reihe 
der  Riesenbauten,  durch  die  die  Dynastie  der  Ramessiden 
alle  ihre  Vorgänger,  selbst  Amenophis  III.,  überboten  und 
schließlich  die  Kräfte  des  Reichs  erschöpft  hat.  Für  das  Reich 
aber  ist  der  Säulensaal  ron  Karnak  die  mächtigste  Manifes- 
tation des  Triumphs  der  Orthodoxie  über  die  Ketzerbrut,  die 
sie  anzutasten  gewagt  hat^);  indem  der  Gottessohn  dem  all- 
mächtigen Götterkönig,  der  ihn  erzeugt  hat,  diesen  herrlichen 
Bau  errichtet  und  sich  in  allen  Gemälden  und  Skulpturen 
auf  den  Säulen  und  Wänden  zu  ihm  und  seinen  Genossen  be- 
kennt, sichert  er  sich  zugleich  die  Weltherrschaft,  die  der  Gott 
ihm  verheißen  hat. 

Wie  die  Bautätigkeit  wird  jetzt  auch  die  kriegerische 
Politik  der  achtzehnten  Dynastie  im  großen  Stil  wieder  auf- 
genommen. Auch  hier  wird  die  Organisation  des  Heerwesens, 
die  unter  den  Ramessiden  besteht,  bereits  von  Haremhab 
stammen.  Die  Einteilung  des  ägyptischen  Aufgebots  in  zwei 
Phylen  (s«),  die  des  Südens  und  die  des  Nordens,  von  der 
er  in  seinem  Edikt  redet,   wird  in  alte  Zeiten   zurückgehn^); 

')  In  die  Fundamente  sind  denn  auch  die  zerschlagenen  Trümmer 
von  Bauten  Amenophis'  IV.  verbaut  (Ann.  du  Serv.  XXV.  1925,  8); 
ebenso  solche  des  Kje  (Lepsiüs,  Denkra.  Text  III  1.5). 

*)  Die  Vermutung,  daß  ihnen  die  beiden  Klassen  der  Kalasirier 
und  Hermotybier  bei  Herodot  II  164  ff.  IX  32  entsprechen,  ist  höchst 
unwahrscheinlich :  ihre  geographische  Verteilung  ist  eine  ganz  andere, 
ihre  Namen  sind  jung,  und  die  ganze  Organisation  der  fiaytu-oi  als 
gesonderte  Kriegerkaste  geht  nicht  über  Sosenq  I.  (Sesonchis)  hinauf. 


430     IX.  Die  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und  das  Chetit erreich 

neu  dagegen  scheint  die  Gliederung  der  Feldarmee  in  nach 
den  Hauptgüttern  benannte  Legionen,  die  wir  unter  Sethos 
(wo  drei  erwähnt  werden)  und  Ramses  (vier)  finden;  jeder 
Legion  des  Fußvolks  ist  eine  Abteilung  Streitwagen  zuge- 
ordnet. Hinzu  kommen  die  ägyptische  Leibwache  des  Pharao^) 
und  jedenfalls  seit  Ramses  IL  als  ein  zweites  Gardekorps  die 
Serdana  (s.  u.  S.  457),  die  unter  ihm  und  seinen  Nachfolgern 
immer  als  eine  Kerntruppe,  die  wesentlich  zur  Entscheidung 
beiträgt,  besonders  hervorgehoben  werden. 

Diese  Serdana  sind  nach  den  Schlachtdarstellungen  die 
einzigen  Ausländer,  die  in  der  Feldarmee  verwendet  werden. 
Wohl  gibt  es,  ganz  ab  gesehn  von  der  Pohzeitruppe  der 
Mazoi,  zahlreiche  fremde  Söldner  in  Ägypten,  wie  zu  allen 
Zeiten  aus  Nubien,  so  jetzt  auch  aus  den  libyschen  Stämmen; 
und  auch  aus  Palaestina  und  Syrien  werden  sie  nicht  gefehlt 
haben.  Aber  die  Stellung,  die  sie  in  der  Haustruppe  Ech- 
natens  einnahmen,  ist  ihnen  genommen;  die  Armee,  welche 
die  Macht  Ägyptens  begründet  und  in  siegreichen  Kämpfen 
aufrecht  erhält,  ist  auch  jetzt  noch,  abgesehn  von  den  Ser- 
dana, eine  nationale  Armee.  Dagegen  werden  die  Fremd- 
truppen ebenso  wie  in  der  Amarnazeit  in  weitem  Umfang  als 
Besatzungstruppen  verwendet.  Daß  das  auch  unter  den  Ra- 
messiden  der  Fall  war,  zeigt  ein  Vorfall,  der  in  einem  Lite- 
raturwerk dieser  Zeit  als  ein  aus  dem  Leben  gegriffenes  Bei- 
spiel angeführt  wird^):  ein  Schreiber,  d.  h.  ein  höherer  Be- 
amter, wird  beauftragt,  .,zur  Bekämpfung  der  Rebellen,  die 
Na'aruna  heißen"  —  das  ist  das  kaua'anaeische  Wort  für  die 
Jungmannschaft  (D'''n>^*,  das  dann  Ramses  H.  im  Chetiterkrieg 


1)  Diese  aus  beiden  Klassen  gebildete  Garde  {je  1000  Mann)  kennt 
auch  Herod.  II  168. 

2)  Pap.  Anast.  I  17,  3  ff.  Erm.4N  Lit.  284  f.  Die  richtige  Lesung 
Zaha  verdanken  wir  der  grundlegenden  Bearbeitung  Gardiner's,  Eg. 
Hierat.  Tests,  I  p.  19*  (früher  las  man  Rohan  =  Hammamät;  daß  es  sich 
wirklich  um  Phoenikien  handelt,  bestätigt  der  Name  na'aruna).  Es 
wird  fingiert,  daß  der  in  dieser  Schrift  verhöhnte  Schreiber  die  Auf- 
gabe, die  Truppe  zu  verproviantieren,  nicht  richtig  lösen  kann. 


Organisation  des  Heeres.    Söldnertruppen  Sethos  I.  431 

für  ein  von  ihm  gebildetes  Elitekorps  verwendet  — ,  eine 
Truppe  nach  Phoenikien  zu  führen,  die  aus  1900  Mann  (Ägyp- 
tern) sowie  520  Serdana.  1600  Kahak  und  (100)  Masauasa 
—  zwei  libyschen  Stämmen,  von  denen  der  erste  schon  unter 
Amenophis  I.  (o.  S.  81),  der  andere,  aus  dem  fernen  Westen, 
hier  zum  erstenmal  erscheint  —  und  880  Negern  besteht, 
im  ganzen  5000  ohne  die  Offiziere.  Nach  diesem  Schema 
werden  wir  uns  die  Garnisonen,  die  in  die  phoenikischen  und 
palaestinensischen  Festungen  gelegt  wurden,  wohl  durchweg 
gebildet  zu  denken  haben. 

Sethos'  I.  Feidzug  gegen  die  Beduinen  Palaestinas  und  gegen 
die  Libyer 

Sethos  I.  hat,  als  er  nach  der  kurzen  Regierung  seines 
Vaters  Ramses  I.  den  Thron  bestieg,  in  den  kräftigsten  Mannes- 
jahren stehend  und  von  kriegerischem  Geiste  beseelt,  sich  so- 
fort der  Wiederaufrichtung  der  ägyptischen  Weltherrschaft 
zugewandt.  Die  dringendste  Aufgabe  war,  der  Überschwem- 
mung Palaestinas  durch  die  Beduinen,  die  Chabiri  der  Amarna- 
briefe,  die  Sos  der  ägyptischen  Inschriften,  ein  Ende  zu  ma- 
chen; denn  Haremhabs  Erfolge  waren  vorübergehend  ge- 
blieben, die  Zustände  waren  auch  jetzt  nicht  anders  als  unter 
Amenophis  IV.  „Die  Stammeshäuptlinge  der  Beduinen  (Sos)", 
so  wird  Sethos  gemeldet,  „haben  sich  vereinigt  und  im  Cho- 
riterlande  Fuß  gefaßt:  sie  sind  in  vollem  Aufruhr  und  Hader, 
einer  tötet  den  andern,  sie  kümmern  sich  nicht  um  die  Ge- 
bote des  Hofes."  Gleich  im  Frülijahr  seines  ersten  Jahres 
ist  Sethos  an  der  Spitze  eines  starken  Heeres  von  der  Grenz- 
festung Sile  am  Isthmuskanal  aufgebrochen.  Die  wichtigsten 
Episoden  seiner  Feldzüge  hat  er  in  einem  Bilderzyklus  an 
der  nördlichen  AußenAvand  der  Säulenhalle  von  Karnak  ver- 
ewigt,  dessen  Reliefs  zum  größeren  Teil  erhalten  sind^);    in 


')  Die  Anordnung  ist:  Östlich  der  Tür.  untere  Reihe, 
Krieg  gegen  die  Sos :  1.  Schlacht  bei  Pa-Kana'an.  2. — 4.  Hin-  und 
Rückmarsch.    .5.    Vorführung    der    Gefangenen    und    der    Beute    vor 


432     J'^-  L»i^  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und  das  Chetiteireich 

ihnen  tritt  uns  iii  derselben  Weise,  wie  vorher  schon  auf  einer 
Truhe  aus  dem  Grabe  Tut'anchamons,  das  unter  der  Einwirkung 
Kretas  und  Mykenes  geschaffene  ägyptische  Schlachtgemälde 
voll  entwickelt  entgegen.  Eine  wesentliche  Ergänzung  unserer 
Kunde  bietet  jetzt  die  Inschrift  einer  von  Sethos  auf  seinem 
ersten  Feldzug  errichteten  Stele  in  Betsean^);  aber  gerade  da- 
durch kommt  erst  recht  zum  Bewußtsein,  wie  lückenhaft  und 
unzulänglich  unsere  lediglich  aus  solchen  Bildern  geschöpfte 
Kunde  naturgemäß  ist. 


Amon.  Mittlere  Reihe,  Kämpfe  gegen  die  seßhafte  Bevölkerung: 
6.  Libanon.  7.  Jenu'am.  8.  u.  9.  Bindung  und  Fortführung  der  Ge- 
fangenen. 10.  Vorführung  vor  Amon.  In  1.  4.  5.  ist  das  Datum  „Jahr  1" 
genannt;  die  Stele  von  Betsean  zeigt,  daß  auch  die  Kämpfe  der  mitt- 
leren Reihe  in  dasselbe  Jahr  gehören  und  von  Breasted  richtig  ein- 
gereiht sind.  Die  obere  Reihe  ist  völlig  weggebrochen.  —  West- 
lich der  Tür:  Die  untere  Reihe  stellt  den  Krieg  mit  den  Che- 
titern.  die  mittlere  den  mit  den  Libyern  dar;  von  der  oberen  ist 
die  P^roberung  der  Amnriterstadt  Qades  erhalten,  die  also  in  einen 
anderen  Feldzug  gehört,  und  am  Ende  der  Reihe  Reste  der  Vorführung 
der  Beute  und  der  Gefangenen  in  syrischer  Tracht  (Fremdvölkerphot. 
225.  226.  327,  über  der  Vorführung  der  Libyer).  Zu  ihnen  gehört  das 
Stück  mit  Gefäßen,  das  Wreszi.nski  als  Beigabe  zu  Taf.  -52  abge- 
bildet bat  und  fälschlich  als  jetzt  verloren  und  zur  libyschen  Beute 
gehörend  bezeichnet.  —  Den  Abschluß  bildet  auf  beiden  Seiten  ein 
großes  Relief  mit  der  stereotypen  Abschlachtang  der  Gefangenen  vor 
Amon  und  einer  sehr  konfusen  Liste  der  besiegten  Völker  und  Orte,  in 
die  auch  zahlreiche  Namen  aus  älteren  Listen  promiscue  aufgenommen 
sind,  mit  denen  Sethos  nichts  zu  tun  gehabt  hat,  so  Naharain,  Alasia. 
Assur,  Tunip,  Menüs  u.  a.,  ferner  die  „neun  Bogenvölker",  afrikanische 
Stämme,  Punt  u.  s.  w.  (LD.  HI  129,  vgl.  W.  M.  Müller  Egypt.  Res.  I 
43  f.  u.  pl.  57  f.).  Ebenso  auf  einem  Sphinx  im  Tempel  des  Sethos  zu 
Qurna  LD.  III  131.  wo  die  Namen  13—24  eine  geschlossene  Liste  geben,  die 
als  zuverlässig  gelten  kann.  Sechs  von  diesen  sind  auch  in  einer  ver- 
stümmelten Liste  in  Abydos  erhalten  (Daressy  Rec.  21.  2,  der  Mariette's 
Publikation  Abydos  Ipl.  28  f.  berichtigt);  vgl.  u.  S.  452,  2.  Genaue  Re- 
produktion und  PJrläuterung  der  Reliefs  jetzt  bei  Wreszinski,  Atlas  zur 
iig.  Kulturgesch.  II  Taf.  34  ff. 

')  Publiziert  und  erläutert  von  Mop.et,  Rev.  de  l'Eg.  anc.  I  1925, 
18  ff.  Übersetzung  von  Ranke  bei  Gressmann,  Altorient.  Texte  ^95  (in 
Kinzelheiten  verbessert  Z.  Alttest.  Wiss.  44,  1926,  72). 


fcethos  I.  gegen  die  Beduinen  433 

Auf  dem  Marsch  durch  die  Sinai  wüste  hatte  Sethos  fort- 
dauernd mit  den  Beduinenscharen  zu  kämpfen.  Umso  mehr 
Anlaß  hatte  er,  die  Heerstraße  nach  Palaestina  zu  sichern 
durch  Anhige  einer  langen  Reihe  von  Brunnen,  die  von 
Kastellen  und  Wachttürmen  beschützt  wurden^).  Zu  einer 
größeren  Schlacht  kam  es  dann  auf  dem  Hochland  Südpalae- 
stinas,  bei  der  auf  einer  steilen  Anhöhe,  mit  einem  Quell  vor 
der  Mauer,  gelegenen  „Feste  des  Kana'an".  Die  Sos  wurden 
völlig  geschlagen,  ihre  Widerstandskraft  gebrochen;  in  Massen 
wurden  beduinische  Gefangene  nach  Ägypten  geschleppt.  Die 
einheimischen  Dynasten  aber,  die  bisher  mit  ihnen  in  Ver- 
bindung gestanden  hatten,  begrüßten  jetzt  huldigend  den 
Pharao  und  brachten  ihm  ihre  Gaben  dar;  „er  hatte",  so  sagt 
die  Beischrift,  „dem  Prahlen  der  Magnaten  der  Choriter  ein 
Ende  gemacht"  -j. 

Dann  ist  Sethos  weiter  nach  Norden  gezogen.  Eine  In- 
schrift aus  Betsean  berichtet,  daß  der  aufständische  Fürst  von 
Hamat  (östlich  vom  See  Tiberias,  s.  o.  S.  92,  2)  Truppen  aus- 
gerüstet und  im  Bunde  mit  den  Leuten  von  Pella  (Phr.,  o.  S.  92, 1) 

')  In  den  Reliefs  sind  die  drei  Einzelszenen  no.  2  bis  4  — 
2.  der  König  fährt  langsam  nach  rechts,  also  heimwärts,  wendet  sich 
aber  rückwärts  den  ihm  huldigenden  choritischenj  Häuptlingen  zu; 
8.  der  König  auf  dem  Streitwagen  nach  links  im  Ansturm  auf  die 
Beduinen;  4.  der  König  fährt  mit  den  Gefangenen  heimwärts  nach 
rechts  und  wird  in  Sile  von  den  Ägyptern  begrüßt'—  dadurch  äußer- 
lich zu  einer  Einheit  verbunden,  daß  diese  Kastelle  und  Brunnen  in 
fortlaufender  Reihe  neben  und  unter  den  Gespannen  des  Königs  dar- 
gestellt sind:  vgl.  Gardiner,  J.  Eg.  Arch.  VI  1920,  99  ff.  Ihre  Namen, 
von  der  , Festung  der  Horaswege",  d.  i.  Sile  (o.  S.  143,  2)  bis  nach  Raphia 
und  Gaza,  kehren  in  der  Streitschrift  des  pap.  Anastasi  I  wieder 
(Erman,  Literatur  292),  nur  daß  Sethos'  Name  durch  Ramses  II  ersetzt 
ist.  Die  Reliefs  zeigen  deutlich,  daß  es  sich  um  gegrabene  Brunnen 
handelt.  Beim  Niedergang  des  Reichs  werden  sie  alsbald  wieder  ver- 
fallen sein;  unter  den  Persern  behalf  man  sich  mit  Wasserkrügen, 
die  in  Masse  aus  Ägypten  hingebracht  wurden  (Herod.  III  6).; 

^j  Der  Name  der  Festung,  vor  der  diese  Szene  sich  abspielte,  ist 
leider  zertört.  In  den  Reliefs  ist  die  seßhafte  Bevölkerung  durch 
Kleidung,  Haar,  Bart  und  Kopfbedeckung  durchweg  von  den  Sos  streng 
geschieden. 

Meyer,  öeschichte  des  .-Mtertums.    II'  28 


434     IX-  Diß  neunzehnte  Dynastie.   Ägypten  und  das  Chetiterreich 

BetSean  besetzt  und  den  Fürsten  A'on  Rechob  eingeschlossen 
hat.  Da  schickt  Sethos  je  eine  Legion  gegen  Hamat,  gegen 
BetSean,  und  gegen  Jenu'am,  und  sie  nehmen  diese  an  einem 
einzigen  Tage.  Der  Kampf  gegen  das  auf  einem  bewaldeten 
Berge  mit  einem  Quellbach  gelegene  Jenu'am  ist  in  den  Reliefs 
dargestellt;  Sethos  dringt  auf  seinem  Wagen  gegen  die  Feinde 
vor,  packt  den  durch  seinen  nie  irrenden  Pfeil  verwundeten 
feindlichen  Häuptling  beim  Hals  und  reißt  ihn  vom  Wagen 
herab,  während  sein  Wagenführer  sich  ergibt.  Man  kann 
zweifeln,  ob  dieser  Szene  etwas  Tatsächliches  zugrunde  liegt 
oder  ob  sie  nur  in  üblicher  Weise  die  siegreiche  Allgewalt  des 
Königs  verherrlicht,  der  ganz  allein  alle  Siege  erficht,  wie  er 
dann  auch  die  Feinde  beim  Schopf  packt  und  bindet  oder  unter 
dem  Arm  auf  seinen  Streitwagen  ninwut.  Jedenfalls  ist  Sethos 
kurz  nach  der  Einnahme  von  Jenu'am  wieder  in  Ägypten  ge- 
wesen^), und  bei  seinem  triumphierenden  Einzug  in  die  Grenz- 
festung Sile  führt  er  nur  die  gefangenen  Sos  vor  sich  her, 
nicht   die  aus  der  seßhaften  Bevölkerung^), 

Die  Besiegung  der  Beduinen  ist  von  Sethos  mit  Recht 
als  entscheidender  Erfolg  stark  betont  worden.  Durch  sie  ist 
den  anarchischen  Zuständen,  die  seit  zwei  Menschenaltern  in 
Palaestina  herrschten,  ein  Ende  gemacht  und  wieder  Ord- 
nung geschaffen  worden.  Was  von  Beduinen  im  Lande  blieb, 
mußte  sich  fügen  und  Ruhe  halten,  so  der  Stamm  Israel,  der 
sich  in  dem  Waldgebirge  westlich  vom  Jordan  (Ephraim) 
festgesetzt  hatte ^).  In  Betsean,  das  den  Übergang  über  den 
Jordan  beherrscht,  ist  unter  Sethos  das  erwähnte  Sieges- 
denkmal  aufgestellt   und   ein  neuer  Tempel  gebaut   worden, 

')  Die  Inschrift  von  Betsean  ist  vom  lO./H-  des  Js.  1  datiert 
(nach  dem  damaligen  Stande  des  Kalenders  jedenfalls  im  Mai) ;  am 
30./12.  desselben  Jahres  erläßt  er  in  Memphis  die  Anordnungen  für 
den  Tempel  in  Bohan,  die  die  Stiftung  seines  Vaters  wiederholen 
(o.  S.  428,  1). 

')  Auch  bei  der  Vorführung  der  Gefangenen  vor  Amon  sind  die 
beiden  Gruppen  in  Szene  5  und  10  völlig  voneinander  getrennt. 

3)  Wir  finden  die  Israeliten  hier  unter  Merneptah;  mithin  müssen 
sie  sich  vor  Sethos,  also  in  der  Amarnazeit,  hier  angesiedelt  haben. 


Sethos  in  Palaestina  und  im  Libanon  435 

im  Ostjordanlande  unweit  von  'Astarot  und  Edre'i  haben  sich 
die  Reste  einer  ägyptischen  Stele  gefunden,  auf  der  er  den 
Amon  und  die  Mut  verehrt^);  gleichartige  Denkmäler  hat  es 
gewiß  noch  viele  gegeben.  Wo  Widerstand  versucht  wurde, 
wurde  er  leicht  bewältigt.  In  einer  Liste  der  von  Sethos 
eroberten  Ortschaften  werden  neben  Pella,  Betsean,  Jenu'am 
weiter  Kumidi,  Bet'anat  und  Qart'anab  genannt^).  In  dem 
Rehefzyklus  von  Karnak  ist  eine  Burg  Gader  („Festung") 
dargestellt,  deren  Torbalken  bei  der  Erstürmung  zusammen- 
gestürzt sind.  Daran  angeschlossen  ist  die  Huldigung  der 
„Häuptlinge  des  Libanon",  die  entgegenzunehmen  der  König 
vom  Wagen  gestiegen  ist;  in  ihren  langen  Gewändern  legen 
sie  selbst  Hand  an,  Tannen  für  ein  großes  Schiff  und  die 
Flaggenmasten  des  Amontempels  zu  fällen.  Daraus  folgt, 
daß  auch  die  phoenikische  Küste  wenigstens  zum  großen  Teil 
wieder  in  ägyptischem  Besitz  gewesen  sein  muß,  wohl  schon 
seit  den  Zeiten  Haremhabs;  als  von  Sethos  erobert  nennt 
die  erwähnte  Liste  hier  Akko  und  Tyros  nebst  Usu  (Palae- 
tyros)»). 

Auch  an  der  Westgrenze  Ägyptens  hat  Sethos  gekämpft. 
Wie  es  scheint,  hat  in  Nordafrika  unter  den  hellfarbigen, 
blondhaarigen  und  blauäugigen  Stämmen  am  Nordrande  des 
Kontinents,  die  wir  nach  griechischem  Sprachgebrauch  Libyer 
nennen'*),  eine  neue,  vom  Westen  her  gegen  das  Niltal  vor- 

')  Quaterly  Statements,  Palest.  Explor.  Fund  1901.  347;  danach 
bei  Gressmann,  Alton  Bilder  zum  A.  T.  2.  Aufl.  no.[_90. 

2)  Auf  dem  Sphinx  von  Qurna  (o.  S.  432  Anm.)  no.  1.5.  16.  17.  20. 
23.  24  (dazu  ein  unlesbarer  Ort  no.  18).  No.  24  ist  hier  in  Qarm-m  ver- 
schrieben; das  richtige,  Qart'anab,  bietet  die  Liste  von  Abydos.  Mit 
Qirjat'anab  (=  23r>  Jos.  11,  21.  15;  50)  im  äußersten  Süden,  das  pap. 
Anast.  I  neben  Betsopher  (=  Debir,  Jud.  1,  11  f.  ==  Jos.  15,  15  f.)  nennt, 
kann  dieser  Ort  n'.cht  identisch  sein. 

^)  No.  13.  21.  22;  weiteres  s.  u.  S.  4.52. 

*)  Möller  hat  in  dem  grundlegenden  Aufsatz  ZDMG.  78,  36  Ü. 
(vgl.  0.  S.  81,  4)  mit  Recht  hervorgehoben,  daß  sie  von  den  älteren,  rot- 
braunen und  schwarzhaarigen  Zehenu  verschieden  sind.  Sie  sind  in 
Sethos'  Relief  und  vor  allem  in  den  Darstellungen  der  Menschenrassen 
in  den  Gräbern  Sethos'  L  (Fremdvölkerphot.  806.  LD.  III  136)  und  Ram- 


436     I^-  I^^*^  neunzehnte  Dynastie.  iÄgypten  und  das  Chetiterreich 

dringende  Bewegung  eingesetzt^).  Sethos  hat  in  den  Reliefs 
von  Karnak  den  Kampf  gegen  sie  dem  gegen'|die  Beduinen 
und  gegen  die  Chetiter  gleichgestellt.  Er  selbst  erschlägt 
vom  Streitwagen  aus  einen  libyschen  Häuptling,  der  mit  dem 
Kampfstock,  der  Hauptwaffe  dieser  Stämme,  auf  ihn  ein- 
dringt; einen  anderen  durchbohrt  er  im  Fußkampf  mit  der 
Lanze.  Darin  mag  starke  Übertreibung  stecken 2);  aber  ein 
ernstlicher  Kampf  gegen  eine  das  Kulturland  bedrohende  In- 
vasion wird  es  doch  gewesen  sein:  „Er  hatte  bewirkt,  daß  sie 
auf  dem  Kampfplatz  nicht  standhielten  'und  vergaßen,  den 
Bogen  zu  spannen,  sondern  in  den  Höhlen  verweilten  wie 
Wölfe  in  Angst  vor  seiner  Majestät." 

Das  Chetiterreich  unter  Mursil  li.  und  Muwattal 

Das  Vordringen  der  Ägypter  in  Syrien  hat  zu  einem 
neuen  Zusammenstoß  mit  den  Chetitern  geführt.  Hier  hatte 
Subbiluljuma,  die  Traditionen  seiner  Vorgänger  in  früheren 
Jahrhunderten  wieder  aufnehmend!,  unter  geschickter  Aus- 
nutzung der  politischen  Verhältnisse,  die  eindringenden  Be- 
duinen und  Amoriter  zugleich  [benutzend  und  in  Abhängig- 
keit haltend,  die  Macht  Mitanis  gebrochen  und  die  Kleinstaaten 


ses'  III.  (Phot.  813;  daraus  bei  Möller  Abb.  .5,  der  das  Bild  fälschlich 
dem  Setbosgrabe  zuschreibt)  vortreftlich  dargestellt.  In  den  Grabtexten 
heißen  sie  Zemeh  (Möller  Tuimah);  wenn  Sethos  sie  in  den  Kampf- 
bildern Zehenu  nennt,  so  wird  das  mit  Möller  als  falsche  Übertragung 
des  alten  Namens  zu  erklären  sein.  Beide  Volksgruijpen  tragen  Phallus- 
tasche  und  Federn  im  Haar  (letztere  bei  Ramses  III.  weggelassen), 
aber  die  Zemeli  sind  außer  durch  die  helle  Farbe  ^durch  geflochtene 
Zöpfe  an  beiden  Schläfen,  lange,  buntbetupfte^  Ledermäntel  und  Täto- 
wierung von  jenen  geschieden. 

')  Daher  finden  sich  pap.  Anast.  I  17,3  unter  den  Söldnern  neben 
Kahak  (0.  S.  81)  auch  Masawasa  (Maxyer),  0.  o.  8.^31. 

^)  Die  Gefangenen  heißen  Häuptlinge  der  Zehenu  und  haben 
libysche  Tracht;  aber  in  der  Beischrift  ist  von  dem  Sieg  über  Rezenu 
und  die  Asiaten  C^Amu)  die  Rede,  die  erbeuteten  Gefäße  sind  syrisch, 
die  kostbaren,  dem  Amon  dargebrachten  Steine  und  Metalle  stammen 
„aus  dem  Sieg  über  alle  Feindeslande" ;  bei  den  Libyern  wird  nicht 
viel  Beute  zu  machen  gewesen  sein. 


Sethos  gegen  Libyen.    Das  Chetiterreich  Subbiluljumas       437 

Nordsyriens  der  ägyptischen  Machtsphäre  entrissen.  Durch 
feierliche  Verträge,  unter  Anrufung  der  unabsehbaren  Götter- 
scharen sowohl  des  eigenen  Reichs  wie  des  Vasallenstaats, 
verpflichtete  er  die  Dynasten  der  besetzten  Gebiete  zur  An- 
erkennung und  Sicherung  des  Vorrangs  der  chetitischen  Dyna- 
stie, zur  Tributzahlung  und  zur  Heeresfolge  gegen  jeden 
äußeren  und  inneren  Feind.  Daneben  hat  er  regelmäßig  große 
Scharen  der  Bevölkerung  als  Knechte  ins  Chetiterland  ver- 
schleppt, und  seine  Nachfolger  sind  ebenso  verfahren.  Da- 
durch wurden  den  nur  schwach  bevölkerten  Landschaften  des 
östlichen  Kleinasiens  fortwährend  Arbeitskräfte  zugeführt, 
sowohl  als  Kriegsknechte,  wie  vor  allem  für  Viehzucht  und 
Feldbau,  und  so  die  herrschende,  offenbar  nur  ziemlich  dünne, 
Oberschicht,  entlastet;  umso  stärker  konnte  diese  für  die  mit 
dem  Anwachsen  des  Reichs  sich  stetig  mehrenden  Anforde- 
rungen des  Krieges  und  der  Verwaltung  herangezogen  werden. 
In  allen  Verträgen  wird  eingeschärft,  daß  diese  Gefangenen, 
wenn  sie  in  einen  Vasallenstaat  flüchten,  wieder  ausgeliefert 
werden  müssen. 

Die  großen  Erfolge  Subbiluljumas  in  Syrien  und  Meso- 
potamien fallen  in  die  letzten  Jahre  seiner  Regierung.  Da- 
mals hat  er  den  verkümmerten  Rest  des  Reichs  der  Charrier 
von  Mitani  unter  Dusrattas  Sohn  Mattiwaza  ganz  an  sich 
gefesselt,  die  Assyrer  zurückgewiesen,  seine  Söhne  zu  Köni- 
gen von  Aleppo  und  Karkemis  gemacht,  den  Amoriterfürsten 
Aziru,  den  Aitaqama  von  Kinza  und  die  übrigen  Dynasten 
wieder  unterworfen,  dem  weiteren  Vordringen  der  Ägypter 
unter  Haremhab,  wie  auch  der  Kampf  im  einzelnen  verlaufen 
sein  mag.  Halt  geboten.  Aber  als  er  bald  darauf  starb,  war 
das  neue  Großreich  innerlich  noch  nirgends  gefestigt,  ja  in 
Kleinasien  hatten  die  Nachbarn  seine  dauernde  Abwesenheit 
in  Syrien  und  Mitani  zu  Übergriffen  benutzt,  ohne  daß  er 
dagegen    einschreiten    konnte^);    man   sieht,    daß    die   Kräfte 


')  Zehnjahrannalen    Mursils  II.   rs.  3,  47.  67.  94.    Große   Annalen 
bei  FoBRER  58B  IV  59  ff.  (Frieprich  im  Alten  Orient  24,  3  S.  12);  sowie 


438     I-^-  Diö  neunzehnte  Dynastie.   Ägypten  unl  das  Chetiterreioh 

des  herrschenden  Volkes  für  die  Aufgabe  nicht  ausreichten. 
So  gab  wie  seinerzeit  der  Tod  Thutmosis'  III.,  so  auch  jetzt 
der  Tod  des  energischen  Kriegsfürsten  (um  1346)  überall  das 
Signal  zum  Abschütteln  des  fremden  Jochs.  Die  Lage  war 
umso  bedrohlicher,  da  die  beim  Kriege  mit  Ägypten  einge- 
schleppte Epidemie  (S.  404)  noch  jahrelang  das  Land  ver- 
heerte. Auch  der  Thronfolger  Arnuiinda  III.  war  von  schwerem 
Siechtum  befallen  und  ist  ihm  alsbald  erlegen.  Auf  seinen 
jungen  Bruder  Mursil  II.  glaubten  die  Aufstündischen,  wie 
er  selbst  erzählt,  erst  recht  geringschätzig  herabsehn  zu 
können.  Aber  er  hat  sich  der  Aufgabe  gewachsen  gezeigt.  Er 
sicherte  sich  zunächst  den  göttlichen  Segen  durch  eine  feier- 
liche Prozession  zu  der  großen  Sonnengöttin  von  Arinna,  und 
hat  dann  systematisch  die  Wiederaufrichtung  des  Reichs  be- 
gonnen^). 

Im  Gegensatz  zu  seinem  Vater  hat  sich  Mursil  jahrelang 
ganz  auf  die  Kämpfe  in  Kleinasien  beschränkt.  Vor  allem 
galt  es,  die  Scharen  der  Gasgaeer  zu  bewältigen,  die  schon 
seit  alters,  offenbar  aus  den  pontischen  Gebirgen  im  Nord- 
osten vordringend,  das  Chetiterland  weithin  überschwemmten^) 
und  ausplünderten  und,  oft  in  Verbindung  mit  einheimischen 
Rebellen,  nicht  wenige  Ortschaften  dauernd  besetzten.  Auch 
Subbiluljuma  hatte  gegen  sie  gekämpft,  dann  aber,  wie  schon 
erwähnt,  infolge  der  syrischen  Kriege  nichts  mehr  gegen  sie 
tun  können.  So  hätte  leicht  an  Stelle  des  chetitischen  Reichs 
ein  gasgaeisches  treten  können,  in  derselben  Weise,  wie  die 
indogermanischen  Chetiter  selbst  sich  hier  festgesetzt  hatten. 


im  Vertrage  mit  Kupanta-Kal  ZI.  9  f.  (Forrer,  Forsch.  I  10;  Friedrich, 
Staatsverträge,  Mitt.  Vorderas.  Ges.  1926,  1,  S.  106). 

')  Wir  besitzen  von  ihm  die  Annalen  seiner  ersten  10  Jahre  (mit 
mehreren  Lücken;  denen  die  Geschichte  des  2.,  8.  und  9-  Jahres  fast 
ganz  zum  Opfer  gefallen  ist;  Übersetzung  von  Hrozny,  Boghazkiöi- 
Studien),  in  denen  er  nur  seine  eigenen  Taten  berichtet,  und  nicht  wenige 
Bruchstücke  seiner  ausführlichen  Annalen,  die  weiter  reichen  und  die 
auch  die  Taten  der  übrigen  Heerführer  berücksichtigen.  Die  Texte  bei 
Forrer,  Bogh. -Texte  in  Umschrift  no.  48  und  49—68. 

-)  Vgl.  die  Angaben  Chattusils  III.  bei  Forrer,  Forsch.  I  37  f. 


Die  Feldzüge  Mursils  II.   Vordringen  der  Assyrer  439 

Jahr  für  Jahr  hat  Mursil  gegen  sie  Krieg  geführt  und  all- 
mählich seine  Herrschaft  wieder  aufgerichtet.  Daran  schließt 
in  seinem  10.  Jahre  ein  Feldzug  gegen  das  Land  Azzi  oder 
Chajasi  im  nordwestlichen  Armenien.  Schon  vorher  hat  er  in 
seinem  3.  und  4.  Jahr  den  Herrscher  von  Arzawa  im  oberen 
Kilikien,  der  die  Auslieferung  von  flüchtigen  Gefangenen  ver- 
weigerte und  den  Gehorsam  aufsagte,  besiegt  und  übers  Meer 
[nach  Cypern?]  gejagt^),  während  die  Dynasten  der  bisher 
von  Arzawa  abhängigen  Taurusgebiete  aufs  neue  durch  Ver- 
träge gefesselt  wurden. 

In  Syrien  hat  Mursil  zunächst  kaum  eingreifen  können; 
vielmehr  ist,  wie  eine  Angabe  seiner  Annalen  erwähnt,  in 
seinem  2.  Jahre  (um  1344)  der  Assyrerkönig  bis  an  den  Eu- 
phrat  gegenüber  von  Karkemis  vorgedrungen^).  Es  ist  Assur- 
uballit  (ca.  1380 — 1340),  der  hier  gegen  Ende  seiner  langen 
Regierung  bedeutende  Erfolge  errungen  und  das  ganz  ge- 
schwächte Reich  Mitani  vollends  zurückgedrängt  hat^);  da- 
her rühmt  sein  Urenkel  Adadnirari  I.,  Assuruballit  habe   „das 


')  Über  Arzawa  s.  0.  S.  159,  1.  Auch  Forrer's  Identifizierung  des 
Arinnandugebirges  mit  dem  Masis  Dagh  am  kilikischen  Rande  des 
Golfs  von  Issos  und  der  Stadt  Puranda  mit  dem  von  ihm  nachgewiesenen 
Pyramos  an  der  alten  Mündung  des  gleichnamigen  Flusses  (Dschihan) 
scheint  mir  sehr  wahrscheinlich  (Forsch.  I  60  ff.).  Aber  die  von  ihm 
energisch  angegriffenen  geographischen  Probleme  bedürfen  noch  wieder- 
holter Nachprüfung  und  weiterer  Durcharbeitung  des  Materials,  ehe  die 
Lösung  als  gesichert  gelten  kann,  und  gegen  manche  seiner  Ansätze 
erheben  sich  starke  Bedenken,  so  gegen  die  seltsame  Gestalt  seines 
Holajaflußlandes,  das  doch  bei  ihm  in  Wirklichkeit  kein  „Flußland"  ist. 

2)  FoRRER,  Forsch.  II  36.  45  f. 

^)  Das  Reich  Mitani  besteht  noch  zur  Zeit  Muwattals,  da  im 
Vertrage  mit  Alaksanda  von  Uilusa  als  selbständige  Mächte,  gegen 
die  dieser,  wenn  es  zum  Kriege  kommt,  Heeresfolge  leisten  soll,  die 
Könige  von  Ägypten  (Mizri),  Babylonien  (Sanchara,  wie  im  Amarna- 
brief  85,  49,  ägypt.  Sangar),  Chanigalbat  (d.  i.  Mitani)  und  Assur  auf- 
gezählt sind  (FoRRER,  Forsch.  I  76),  und  ebenso  noch  zur  Zeit  Salmanas- 
sarsL,  des  Zeitgenossen  Chattusils.  Wenn  Ramses  II.  unter  den  Bundes- 
genossen der  Chetiter  an  erster  Stelle  Naharain  nennt,  so  ist  dieser 
Name  hier,  wie  so  häufig,  auf  Nordsyrieu  ausgedehnt. 


440      IX.  Die  neunzehnte  Dynastie.   Ägypten  und  das  Chetiterreich 

Land  Muzri  (in  den  armenischen  Bergen)  unterworfen  und 
die  Streitmacht  des  weiten  Subari  (die  traditionelle  Bezeich- 
nung der  mesopotamischen  Steppe)  aufgelöst".  Westlich  vom 
Euphrat  wurden  Karkemi^  und  Aleppo  von  Mursils  Brüdern 
behauptet,  die  Subbiluljuma  hier  zu  Königen  eingesetzt  hatte; 
aber  die  Könige  von  Nuchasse  haben  sich  wieder  unabhängig 
gemacht,  und  ebenso  in  Kinza  der  Sohn  Aitaqamas,  der  seinen 
Vater  umgebracht  hatte.  Ihr  alter  Genosse  und  Rivale  Aziru  von 
Amurru  dagegen  hielt  an  den  Chetitern  fest  und  lieferte  regel- 
mäßig seinen  Jahrestribut.  Erst  in  seinem  9.  Jahre  (ca.  1337) 
hat  Mursil  durch  seine  Feldherrn  Nuchasse  und  Kinza  wieder 
unterworfen  und  aufs  neue  Scharen  von  Einwohnern  fort- 
führen lassen,  während  der  greise  Amoriterfürst  Aziru  und 
seine  Nachkommen  'jetzt  als  [Hauptstützen  der  chetitischen 
Herrschaft  über  Syrien  bis  zum  Libanongebiet  erscheinen  0. 
Weiter  nach  Süden  scheint  Mursil  nicht  vorgedrungen  zu 
sein^). 

Mursil  hat  zwei  Jahrzehnte  lang^)  Jahr  für  Jahr  Krieg 
geführt,  nur  unterbrochen  durch  die  Winterzeit  und  die  großen, 
mit  peinlicher  Beobachtung  des  Rituals  gefeierten  Grötterfeste. 
In  diesen  Feldzügen  hat  er  in  blutigen  Kämpfen  überall  die 
Widerstandskraft  gebrochen,  die  befestigten  Ortschaften  er- 
obert und  ausgeplündert.  Außer  der  reichen  Beute  hat  er 
regelmäßig  in  noch  größerem  Umfang  als  sein  Vater  gewal- 
tige Massen  der  Besiegten  ins  Chattiland  überführt,  teils  als 
Knechte  des  Königs,  teils  als  Hörige  der  Magnaten,  der  ad- 
ligen Grundbesitzer  und  Krieger;  es  ist  dieselbe  Methode,  zu 
der  später,  seit  Tiglatpileser  III.,  die  großen  assyrischen  Er- 

')  Neben  Mursils  Annalen  (Forrer,  Umschrift  58  B  §  89  ff.)  gibt  der 
von  Mursil  mit  Azirus  Enkel  Duppitesub  geschlossene  Vertrag  Auskunft, 
der  in  akkadischer  und  chetitischer  Fassung  in  mehreren  sich  ergänzen- 
den Bruchstücken  erhalten  ist  (Friedrich,  Staatsverträge  I.  Mitt.Vorderas. 
Ges.  1926,  1). 

^)  Falls  es  zwischen  ihm  und  Haremhab  noch  einmal  zum  Kriege 
gekommen  ist,  würde  er  in  diese  Zeit  gehören. 

')  Nach  Forrer's  Rekonstruktion  reichen  die  Bruchstücke  seiner 
»ausführlichen  Annalen"  bis  in  sein  20.  Jahr.1 


Das  Chetiterreich  unter  Mursil  II.  44] 

oberer  gegriffen  haben,  um  ihr  Reich  zu  einer  Einheit  zu- 
sammenzuschweißen. Der  Hauptteil  der  Landschaften  des 
östlichen  Kleinasiens  nördlich  vom  Taurus  ist,  in  mehrere 
Provinzen  zerlegt '0,  dem  Chattiland  einverleibt  und  steht  un- 
mittelbar unter  dem  König  und  seinen  Beamten.  Das  König- 
reich Kizwatna  am  Iris  und  bis  zum  Schwarzen  Me«r  ist 
damit  in  einer  Art  von  Personalunion  verbunden;  ein  eigner 
König  scheint  hier  später  nicht  mehr  bestanden  zu  haben, 
wohl  aber  hat  Subbiluljuma  seinen  Sohn  Telibinus,  den  er 
dann  zum  König  von  Aleppo  machte,  in  Kizwatna  als  Priester 
eingesetzt'-').  Der  Sitz  dieses  Priestertums  war  Komana  am 
Iris,  das  schon  in  dieser  Zeit  ebenso  wie  ein  Jahrtausend 
später  unter  den  pontischen  Königen  einen  großen  Priester- 
staat gebildet  hat^).  Von  hier  wird  auch  Puduchepa  stammen, 
„die  Tochter  der  Pentip^arri,  des  Priesters  der  Istar  von 
Lawazantijas",  die  Gemahlin  Chattusils  III.,  die  diesem  als 
gleichberechtigte  Königin  zur  Seite  steht;  denn  in  der  ägyp- 
tischen Fassung  seines  Vertrags  mit  Ramses  II.  heißt  sie 
„Tochter  des  Landes  Kizwatna".  Auch  daß  in  diesem  Ver- 
trage, wie  früher  unter  Subbiluljuma  (o.  S.  373),  nach  den 
chetitischen  Göttern  „die  Götter  von  Kizwatna"  als  Zeugen 
angerufen  werden,  beweist  die  enge  Verbindung  der  beiden 
nominell  geschiedenen  Reiche. 

An  das  Keruland  des  Reichs  schließen  sich  im  Taurus- 
gebiet^)  die  zu  Tributzahlung  und  Heeresfolge  verpflichteten 
Vasallenstaaten.  Nicht  wenige  von  ihnen  kennen  wir  durch 
die  Verträge,   die   Mursil   oder   einer   seiner   Nachfolger  mit 

\)  So  hat  Chattusil  unter  seinem  Bruder  Muwattal  das  „obere 
Land"  verwaltet,  d.  i.  die  Landschaften  am  oberen  Halys  bis  zum 
Euphrat. 

^)  Götze,  Z.  Ass.  36,  808;  Forrep,  Forsch.  II  ,39. 

2)  Siehe  den  von  HnozN'i',  Boghazkiöistudien  III  GO  ff.  behandelten 
religiösen  Text,  eine  Rede  der  Mastikka  (offenbar  einer  Priesterin),  die 
im  Eingang  als  „Frau  aus  Kizwatna".  am  Schluß  als  „Frau  aus  Kumani" 
bezeichnet  wird. 

"}  Auf  Mursils  Beziehungen  zu  den  Lugga  und  zu  Achchijawa 
komme  ich  in  Abschnitt  XII  zurück. 


442     IX.  Die  neunzehnte  Dynastie.   Ägypten  vmd  das  Chetiterreich 

ihnen  geschlossen  hat^).  Charakteristisch  für  sie  und  über- 
haupt für  das  gesamte  Vorgehn  der  Chetiterkönige  ist,  daß 
sie  sich  durchweg  auf  ererbte  Rechtsansprüche  berufen  und 
sich,  etwa  in  derselben  Weise  wie  später  die  Römer,  bemühen, 
die  bestehende  Rechtsordnung  innezuhalten;  Heimsuchungen, 
wie  s.  B.  die  nach  Subbiluljumas  Angriff  auf  Ägypten  aus- 
gebrochene Epidemie,  werden  als  göttliche  Strafe  für  rechts- 
widrige Unternehmungen  betrachtet  und  müssen  gesühnt 
werden.  Gegen  Vertragsbruch  und  Nichterfüllung  der  über- 
nommenen Verpflichtungen  dagegen  schreiten  die  Könige  im 
Vertrauen  auf  die  göttliche  Hilfe  energisch  ein;  wenn  aber 
die  Aufständischen  sich  wieder  unterwerfen  und  um  Gnade 
bitten,  verfahren  sie  milde,  geben  ihnen  ihr  Land  zurück 
oder  setzen  ihre  Söhne  ein,  obwohl  diese,  was  besonders  her- 
vorgehoben wird,  rechtlich  ihren  Anspruch  verwirkt  haben. 
Regelmäßig  sind  in  die  Verträge  genaue  Angaben  über  die 
Grenzen  aufgenommen,  die  für  die  geographische  Festlegung 
der  einzelnen  Landschaften  eine  Grundlage  bieten 2). 

Sehr  wertvoll  für  die  Bestimmung  des  Umfangs  der 
chetitischen  Macht  sind  die  Listen  der  Landschaften,  die 
Ramses  H.  in  der  poetischen  Schilderung  der  Schlacht  bei 
Qades  an  vier  Stellen  ziemlich  übereinstimmend  als  Ver- 
bündete angegeben  hat'^),  aus  denen  er  Truppen  heranzog. 
Da    der  Krieg    unter    Mursils    Sohn    geführt    wurde,    werden 


V)  Es  sind  aus  Kleinasien:  Verträge  des  Mursil  mit  dem  Fürsten 
von  Chaballa,  dem  von  Mira  und  Kuwalija,  und  dem  Land  des  Secha- 
flusses,  drei  ursprünglich  zu  Arzawa  gehörenden  Landschaften  (be- 
arbeitet von  Friedrich,  Het. -Texte  II  in  Mitt.  Vorderas.  Ges.  1926,  1; 
FoRRER,  Forsch.  I).  Vertrag  des  Muwattal  mit  Alaksandu  von  Uilusa 
(FoRRER,  Forsch.  I  73  ff.).  Vertrag  des  Dudchalia  mit  dem  König  des 
Hülajaflußlandes  (Forrer,  Forsch.  I  6  ff.  82  f.). 

2)  Auf  diese  Angaben  sind  Forrer's  Forschungen  nebst  den  zu- 
gehörigen sorgfältigen  Karten  aufgebaut.  Doch  wird  es  noch  wieder- 
holter "Nachprüfungen  bedürfen,  ehe  seine  Resultate  im  einzelnen  als 
gesichert  verwertet  werden  können. 

3j  Sie  sind  auf  Grund  der  Zusammenstellung  aller  inschriftlich 
und  handschriftlich  erhaltenen  Texte  gegeben  (Bbeastep,  Anc.  Rec.  III 


Die  Vasallen  und  Hilfstruppen  der  Chetiter  443 

wir  annehraeü  dürfen,  daß  das  Verzeichnis  im  wesentlichen 
den  bereits  unter  Mursil  erreichten  Bestand  darstellt.  An 
die  Chetiter  ist  sogleich  Naharain  angereiht,  hier  wohl 
als  Gesamtname  für  die  Euphratlandschaften  Nordsyriens; 
am  Schluß  stehn  die  syrischen  Namen  Karkemis,  Aleppo, 
Ugarit,  Qedi  (o.  S.  102),  Nuchasse,  Qades  (d.  i.  Kinza)  und 
ein  sonst  nichtbekanntes  Musanez;  die  Amoriter  dagegen  stan- 
den zur  Zeit  dieses  Krieges  unter  ägyptischer  Oberhoheit  (s.  u. 
S.  451).  Den  Hauptteil  bilden  die  Kleiuasiatischen  Landschaf- 
ten, die  sich  jetzt  fast  alle  in  den  chetitischen  Texten  wieder- 
finden. Die  Liste  lautet:  Arzawa^),  Pitasa,  Mäsa,  Arawanna'^), 
die  Gasgaeer^),  Karkisa,  ferner,  schon  an  früherer  Stelle  ein- 
gereiht, die  sonst  noch  nicht  nachgewiesenen  Dardeni,  in  denen 
man  schwerlich  mit  Recht  die  Dardaner  der  Troas  gesucht 
hat,  schließlich  die  auch  von  den  Chetitern  mehrfach  erwähn- 
ten Luka,  die  Lykier,  die  schon  in  den  Amarnatexten  (38)  in 
derselben  Weise  wie  später  als  ein  Seeräubervolk  vorkommen : 
der  König  von  Alasia  (Cypern)  klagt,  daß  sie  ihm  jahraus 
jahrein  eine  kleine  Ortschaft  entreißen,  während  der  Pharao 
ihn  in  Vordacht  zu  haben  scheint,  daß  seine  Leute  mit  ihnen 
zusammen  Seeraub  gegen  Ägypten  treiben.  Ganz  sicher  ist 
es  freilich  nicht,  daß  sie  damals  schon  in  dem  später  Lykien 

306.  309  mit  Anm.  d.-312);  die  vierte  Liste  hat  er  ausgelassen.  Voll- 
ständige Übersetzung  bei  Roeder,  Ägypter  und  Hetiter  (Alter  Orient  20) 
und  Erman,  Lit.  der  Äg.  Jede  der  vier  Listen  hat  einzelne  Namen  aus- 
gelassen und  dafür  andere  aufgenommen;  so  erscheinen  z.  B.  Nuchasse 
und  Aleppo  nur  je  einmal.    Im  Text  sind  sie  sämtlich  gegeben. 

')  Geschrieben  'Arazu,  früher  als  Arados  gedeutet,  von  Götze 
richtig  als  Arzawa  erkannt. 

^)  Auch  auf  dem  Reliefblock  aus  Karnak,  Fremdvölkerphot.  329. 
330  (Reich  und  Kultur  der  Chetiter  Taf.  l,  WaesziNSKr,  Atlas  II  761,  ge- 
schrieben ^rwnn''  [früher  als  Ilion  oder  lonien  gedeutet!],  neben  Karkemis 
und  „Marjanna  von  Naharain"  und  Chetitern,  die  ein  Prinz  als  Ge- 
sandte (nicht  als  Gefangene!)  vorführt.  Arawanna  liegt  im  Gebiet  des 
Euphratdurchbruchs  durch  den  Taurus,  in  der  Nachbarschaft  von  Isuwa 
(0.  S.  158.  373):  Vertrag  Subbiluljumas  mit  Mattiwaza  ZI.  20,  Zehnjahr- 
annalen  Mursils  IV  47  if. 

*)  Geschrieben  Ksk>;  =  chet.  Gasgas-  —  Über  Mäsa  s.  0.  3.  22,  1. 


444     IX-  Die  neunzehnte  Dynastie.  Ägypten  und  das  Chetiterreich 

genannten  Küstenlancle  gesessen  haben;  indessen  der  ägypti- 
sche Text  sagt,  daß  der  Chetiterkönig  „alle  Länder  von  den 
Enden  des  Meeres  an"  unter  Führung  ihrer  Fürsten  zu- 
sammengebracht, für  die  Anwerbung  alles  Silber  in  seinem 
Lande  zusammengerafft  und  hingegeben  habe. 

Eine  große  Armee,  wie  sie  der  Krieg  gegen  Ägypten 
erforderte,  läßt  sich  in  den  Großreichen  des  Orients,  wenn 
sie  nicht  ein  großes  Feldheer  geschaffen  haben,  wie  in  voll- 
kommenster Weise  die  Osmanen  in  den  Janitscharen,  bei  den 
gegebenen  wirtschaftlichen  Verhältnissen  infolge  der  weiten 
Entfernungen  und  der  Schwierigkeiten  der  Verpflegung  immer 
nur  mit  gewaltiger  Kraftanstrengung  und  nach  jahrelanger 
Vorbereitung  ins  Feld  führen^).  FürMie  Kriege  Subbiluljumas 
und  Mursils  und  ihrer  Feldherrn  ließen  sich  in  der  Regel 
nur  kleinere  Heere  aufbieten,  die,  ebenso  wie  unter  Thut- 
mosis  IIL,  in  jedem  Feldzug  nur  eine  eng  begrenzte  Aufgabe 
zu  lösen  hatten  —  eben  darum  setzen  sich  die  Kriege  Jahr 
für  Jahr  fort,  und  das  Ergebnis  ist  in  jedem  doch  nur  die 
Unterwerfung  eines  kleinen  Gebiets,  die  oft  genug  noch  mehr- 
fach wiederholt  werden  muß,  während  gleichzeitig  eine  an- 
dere Landschaft  die  günstige  Gelegenheit  zum  Aufstand  be- 
nutzt"). 

Die  Gestalt  des  Heeres  läßt  sich  wenigstens  iiu  allge- 
meinen erkennen  =^);  in  den  großen  Schlachtengemälden  Ram- 

')  Etwas  anderes  ist  es,  wenn  ein  noch  nicht  seßhaft  gewordenes 
kriegerisches  Volk  sich  verheeiend  über  ferne  Länder  ergießt,  wie  die 
Hunnen  und  die  Mongolen.  Die  Vernichtung  aller  Gegner  und  die 
Niedertretung  der  Kultur,  die  dadurch  herbeigeführt  wird,  haben  weder 
die  Chetiter  und  die  Ägypter  noch  später  die  Assyrer,  Chaldaeer,  Perser 
erstrebt,  trotz  aller  Strafgerichte  über  die  Widerspenstigen;  dazu  waren 
sie  selbst  zu  kultiviert. 

2)  Die  Verhältnisse  sind  im  wesentliche!:  gleichartig  denen  der 
deutschen  Könige  bei  den  Heerzügen  nach  Italien. 

3)  Unter  den  Ritualtexten  aus  Boghazkiöi  ist  die  zweite  Tafel: 
,wenn  man  das  Heer  zum  Eide  führt"  erhalten  (bearbeitet  von  Fried- 
rich, Z.  Ass.  85.  ICO  ff.  und  Alter  Orient  25.  2  [1925],  16  ff.).  Es  ist  aber 
nicht  ,der  chetit.  Soldateneid",  sondern  das  Ritual,  das  über  die  Eid- 
brüchigen^  die  gegen  den  König,  sein  Haus  und  das  Land  Chatti  freveln 


Das  Heer  der  Chetiter  445 

ses'  II.  wird  es  anschaulich  vorgeführt.  Es  entspricht  durch- 
aus dem  ihrer  ägyptischen  Gegner.  Die  Kerntruppe  ist  das 
Aufgebot  des  Fußvolks,  das  mit  Lanze  und  kurzem  Dolch- 
messer bewaffnet  ist^).  Die  entscheidende  Waffe  aber  bildeten 
auch  hier  die  Streitwagen,  die  geschlossen  anrücken.  Sie  sind 
durchweg  mit  drei  Mann  besetzt,  dem  Streiter,  der  Bogen 
und  Lanze  führt,  dem  Schildträger  und  dem  Wagenlenker. 
Alle  Chetiter  zeigen  in  den  ägyptischen  Darstellungen  den 
bekannten  für  sie  charakteristischen  Kopftypus;  aber  Aväh- 
rend  die  Infanterie  auch  in  der  Tracht  durchweg  gleich- 
förmig gebildet  wird,  mit  langem,  in  zwei  Strähnen  aus- 
laufendem Haarschopf,  bartlosem  Kinn  und  langem  Rock, 
erscheinen  unter  den  Wagenkämpfern  daneben  andere,  bei 
denen  das  Haupthaar  bis  auf  einen  vom  Hinterkopf  herab- 
hängenden Zopf  abrasiert  ist.  Daß  diese  beiden  Typen  be- 
reits in  weit  älterer  Zeit  nachweisbar  sind,  ist  oben  S.  10 
schon  bemerkt;  sie  werden  zwei  im  Chattilande  nebeneinander 
stehenden  Bevölkerungsschichten  entsprechen,  die  wir  aber 
zurzeit  noch  nicht  weiter  identifizieren  und  benennen  können. 
Auch  Wagen  und  Bewaffnung  'sind  verschieden:  die  Zopf- 
träger haben  viereckige  Schilde  und  viereckige  Wagenkasten 
wie  die  in  den  ägyptischen  Bildern  unter  sie  gemischten 
Semiten  (s.  u.  S.  459)],  die  anderen,  die  den  Hauptteil  des 
Volkes  bilden,  eingekerbte  Amazonenschilde  und  oben  ab- 
gerundete Wagenkasten'-).  — 

Auf  Mursil  ist,  etwa  um  1320,  sein  Sohn  Muwattal  ge- 
folgt. Über  ihn  erfahren  wir  einiges  durch  die  ausführliche 
Erzählung,  die  sein  Bruder  und  Nachfolger  Chattusil  von 
seinen   Schicksalen   bis   zur  Thronbesteigung    gegeben  hat^). 


(also  auch  Untertanen  aus  unterworfenen  Gebieten),  die  von  den  zu- 
gehörigen magischen  Handlungen  begleiteten  Fluchformeln  ausspricht. 

•)  Die  Ägypter  verwenden  für  die  chetitisehe  Infanterie  das  Wort 
tuhir,  s.  0.  S.  102,  3. 

^)  Siehe  die  Abbildung  auf  Taf.  IV. 

^)  Bearbeitet  und  übersetzt  von  GötzE;  Chetit.  Texte  1,  Mitt. 
Vorderas.  Ges.  1924;  3. 


446      I^-  Die  neunzehnte  Dynastie.  Ägypten  und  ilas  Chetiteneich 

Er  will  darin  zeigen,  wie  die  Göttin  Istar  ihn  von  Jugend 
auf  beschirmt,  alle  Gefahren  von  ihm  abgewendet,  und  ihn 
schließlich  auf  den  Thron  geführt  hat.  Schon  als  schwachen 
Knaben  hat  sein  Vater  ihn  infolge  eines  Traumes  zu  ihrem 
Priester  bestellt.  Sein  Bruder  Muwattal  gab  ihm  dann  eine 
Stellung  im  Staatsdienst  und  übertrug  ihm  die  Verwaltung  des 
„oberen  Landes"  und,  nachdem  er  die  wider  ihn  von  Chattu- 
sils  Vorgänger^)  ausgestreuten  Verleumdungen  geprüft  und 
abgewiesen  hatte,  auch  ein  militärisches  Kommando.  Mehr- 
fach wurde  er  im  Kampf  gegen  eingedrungene  Feinde  —  man 
wird  wieder  an  die  Gasgaeer  denken  müssen  —  verwendet 
und  hat  sie  hinausgeschlagen.  „Welche  Feindesländer  ich  be- 
siegt habe,  solange  ich  jung  war,"  schreibt  er,  „darüber  werde 
ich  wahrheitsgemäß  eine  Tafel  anfertigen  und  vor  der  Gott- 
heit niederlegen"^);  deutlich  sieht  man,  daß  dabei  sein 
Oberbefehl  nur  nominell  und  er  daher  in  den  offiziellen  An- 
nalen  nicht  genannt  war ;  so  will  er  das  jetzt  als  König  nach- 
holen. Zugleich  ergibt  sich,  daß  es  sich  um  einen  ziemlich 
großen  Zeitraum  handelt:  Chattusirmag  beim  Tode  seines 
Vaters  etwa  zehn  Jahre  alt  gewesen  sein,  so  daß  dann  unter 
der  Regierung  seines  Bruders  rund  zehn  weitere  Jahre  ver- 
gingen, bis  er  zum  Manne  herangewachsen  und  wirklich  selb- 
ständig geworden  war. 

Inzwischen  aber  hatte  sich  Muwattal  zu  einer  tiefeinschnei- 
deuden,  verhängnisvollen  Maßregel  entschlossen :  er  verlegte 
die  Residenz  von  Chattusas  (Boghazkiöi)  nach  Dattasa  im 
„Unterland"  und  überführte  auch  „die  Götter  von  Chatti  und 
die  Manen"  hierher^).  Was  ihn  dazu  veranlaßt  hat,  erfahren 
wir  nicht;  als  Motiv  wird  lediglich  ein  götthcher  Befehl  an- 
gegeben, also  ein  dafür  eingeholtes  Orakel.  Das  „Unterland" 
ist  zweifellos  die  Bezeichnung  der  Landschaften  im  Süden  vom 
Halys  und  vom  alten  Mittelpunkt  des  Reichs,   aber  eine  ge- 


')  Dieser  ständige  Rivale  des  Chattusil  ist  ein  Sohn  des  Zidä,  des 
Bruders  von  Subbiluljuma  (vgl.  o.  S.  379;  1). 

2)  I  74  f.   Nachher  folgt  II  29  „meine  erste  Mannestat". 
*)  Siehe  dazu  weiter  Forrer,  Forsch.  I  32  i. 


Das  Chetiterreich  unter  Muwattal  447 

nauere  Bestimmung  bisher  nicht  möglich^).  Lediglich  der 
Wunsch,  sich  eine  neue  Hauptstadt  zu  bauen,  kann  nicht  zu- 
grunde liegen,  sondern  es  müssen  schwerwiegende  politische 
und  wohl  auch  wirtschaftliche  Gründe  den  Anlaß  gegeben 
haben;  aber  weiteres  läßt  sich  nicht  erkennen. 

Die  Verlegung  der  Hauptstadt  gab  nun  aber  das  Signal 
zu  einem  allgemeinen  Aufstand  in  den  Kernlanden  des  Reichs. 
Die  Gasgaeer  erhoben  sich  aufs  neue,  überschwemmten  und 
plünderten  das  Land  weit  über  den  Halys  (Marassanda)  hinaus 
—  unter  anderem  wird  auch  Kanes  (bei  Kültepe)  von  ihnen 
bedrängt,  während  im  Norden  z.  B.  Gaziura  am  Iris  in  ihre 
Hände  gefallen  ist.  Zehn  Jahre  lang,  sagt  Chattusil,  wurden 
die  Felder  nicht  bestellt;  alle  Errungenschaften  Mursils  schie- 
nen wieder  verloren.  Erst  in  langen  Kämpfen  hat  Muwattal 
das  Reich- allmählich  wieder  zusammengebracht.  Dabei  hat 
auch  Chattusil  mit  Hilfe  der  Istar  mehrfach  Siege  erfochten; 
zum  Lohn  dafür  hat  ihm  sein  Bruder  einen  Teil  der  wieder- 
eroberten Gebiete  mit  der  Hauptstadt  Chakpissa  als  eigenes 
Königreich  übergeben,  und  er  hat  die  alten  Einwohner  in  die 
verödeten  Landschaften  zurückgeführt. 

Chronologie 

In  dieser  Lage  des  Reichs  ist  der  Krieg  mit  Ägypten, 
zunächst  mit  Sethos  L,  ausgebrochen.  Die  Chronologie  dieser 
und  der  folgenden  Zeit  läßt  sich  im  Anschluß  an  das  oben 
S.  340  f.  Ermittelte  einigermaßen  feststellen.  Der  Stammbaum 
der  chetitischen  Könige  ist: 

1.  Subbiluljuma   ca.  1380—1346 

2.  Arnuanda  IL           3.  Mursil  II. 
t  um  1345 ^1 

4.  Muwattal        6.  Chattusil  III. 

! 

5.  ürchitesub 


')  Forrer"s  Lokalisieruug  von  Dattasa  auf  der  Bergfeste  Zengi- 
barkale  bei  Develi  Karahissar  im  Südwesten  des  Argaeos  (Forsch.  I  34  f.) 
st  nicht  haltbar,  wie  er  jetzt  bei  Bereisung  dieses  Gebiets  erkannt  hat; 
die  Mauerreste  auf  dem  steilen  Gipfel  gehören  einer  weit  späteren  Zeit  an. 


448     I^-  Dio  neunzehnte  Dynastie.   Ägypten  und  das  Chetiterreich 

Die  sechs  Könige  von  Subbiluljuma  bis  Chattusil  umfassen 
mithin  nur  drei  Generationen,  was  sich  dadurch  erklärt,  daß 
Chattusil  beim  Tode  seines  Vaters  noch  nicht  erwachsen  war. 
Für  ihn  ergibt  sich  ein  sicheres  Datum  daraus,  daß  er  mit 
Kadasmanturgu  von  Babel  (1296  —  1280)  und  seinem  Sohn 
Kada§manellil  II.  (1279  — 1274)  in  Korrespondenz  stand  und 
letzterem  über  die  auf  den  Krieg  mit  Ägypten  folgenden 
Verhandlungen  mit  diesem  schreibt 0-  Das  sind  offenbar  die 
Verhandlungen,  die  zu  dem  Bündnisvertrage  mit  Ramses  IL 
geführt  haben;  dieser  ist  also  um  1278  geschlossen  worden. 
Nach  dem  ägyptischen  Datum  der  Urkunde  fällt  er  ins 
21.  Jahr  Ramses'  IL;  dieser  ist  also  um  1298  zur  Regie- 
rung gekommen,  und  die  Schlacht  bei  Qades  in  seinem 
5.  Jahre  fällt  ca.  1294.  Der  Krieg  hat  sich  dann  unter 
Muwattal  und  Urchite.sub  und  vermutlich  bis  in,  Chattusils 
erste  Jahre  noch  geraume  Zeit  fortgesetzt;  begonnen  hat 
er  einige  Jahre  vor  1298  unter  Sethos  L,  also  etwa  um  1305. 
Vor  der  Sclilacht  bei,  Qade§  wird  Muwattal  nach  den  An- 
gaben seines  Bruders  über  diese  Zeit  mindestens  15 — 20  Jahre, 
und  vielleicht  beträchtlich  länger  (etwa  1320 — 1290)  regiert 
haben.  Dazu  stimmt,  daß  man  Mursil  schAverlich  viel  mehr 
als  25  Jahre  (ca.  1345 — 1320)  wird  geben  dürfen,  da  seine 
Annalen  nicht  über  sein  20.  Jahr  hinausreichen.  Chattusil  ist 
kurz  vor  dem  Tode  Kadasmanturgus  und  vor  dem  Bündnis  mit 
Ägypten  König  geworden,  also  um  1281;  vor  ihm  regiert 
Urchitesub  7  Jahre,  bis  er  von  Chattusil  besiegt  und  abge- 
setzt wird.  Muwattal  ist  also  gegen  1288  gestorben.  Chattusils 
Tod  wird  dann  um  1260  anzusetzen  sein-);  denn  auf  ihn  folgen 
bis  zum  Untergang  des  Chetiterreichs  um  oder  kurz  nach  1200 


*)  Siehe  u.  S.  478.  Die  Regierungszeiten  der  babylonischen  Könige 
dieser  Zeit  sind  in  der  Königsliste  A  (Bd.  I  S.  366  f.)  erhalten  und  hier 
von  der  Ansetzung  des  Endjahres  der  Dynastie  in  1173  (Nachtr.  S.  2  ff.) 
aus  berechnet.  Weidner,  Die  Könige  von  Assyrien  (Mitt.  Vorderas.  Gesii 
1921,  2),  setzt  sie  2—3  Jahre  später  an. 

'^)  Da  er  beim  Tode  seines  Vaters  noch  ein  Knabe  war,  ist  er  also 
etwa  70  Jahre  alt  geworden  (1330—1260). 


Chronologie  der  Epoche  449 

noch  drei  Generationen,  Dudchalia  IV.,  Arnuanda  IV.  und 
Dudchalia  V.  Ramses  IL  hat  Chattusil  jedenfalls  lange  über- 
lebt; seine  67jährige  Regierung^)  ist  nach  unseren  Ergeb- 
nissen auf  1298 — 1232  anzusetzen,  mit  einem  Spielraum  von 
wenig  mehr  als  2 — 3  Jahren. 

Daß  sich  diese  Daten  mit  den  für  Subbiluljuma,  Ame- 
nophis  IV.  und  Haremhab  zu  erschließenden  gut  vertragen, 
haben  wir  oben  S.  340  f.  schon  gesehn.  Die  drei  Generationen 
von  Subbiluljuma  bis  Chattusil  umfassen  mithin  ungefähr 
120  Jahre,  1380—1260.  Ungefähr  ebensolang  haben  inÄgypten 
die  drei  durch  Haremhab  —  dem  Ramses  I.  zuzurechnen  ist  — , 
Sethos  I.  und  Ramses  II.  vertretenen  Generationen  regiert, 
nämlich  von  1352/1-1232. 

Sethos'  Krieg  gegen  die  Chetiter  und  Amoriter 

Was  den  unmittelbaren  Anlaß  zum  Angriff  Sethos'  I. 
auf  das  Chetiterreich  gegeben  hat,  wissen  wir  nicht;  die  Not- 
lage, in  die  dieses  geraten  war,  mag  ihn  dazu  angereizt 
haben.  Aber  der  Krieg  lag  in  der  Natur  der  Dinge  und  ent- 
sprach den  Traditionen,  die  der  Pharao  von  seinen  Vor- 
gängern übernommen  hatte.  Chattusils  kurze  Angabe,  daß 
er,  als  sein  Bruder  gegen  Ägypten  zog,  diesem  Fußvolk  und 
Wagenkämpfer  aus  allen  ihm  zugewiesenen  Landschaften 
zugeführt  habe,  bezieht  sich  offenbar  auf  die  Schlacht  bei 
Qades;  daß  er  näher  auf  diesen  Krieg  einzugehn  vermeidet, 
wird  sich  daraus  erklären,  daß  er  Rühmliches  nicht  zu  be- 
richten hat  und  den  Krieg  überhaupt  mißbilligt.  So  sind 
wir  für  Sethos'  Feldzug  lediglich  auf  den  Bilderzyklus  seiner 
Reliefs  angewiesen,  in  denen  natürlich  nur  einzelne  Episoden 
zur  Darstellung  gelangt  sind').   Wir  sehn  den  König  in  üb- 

')  Diese  auch  bei  Manetho  angegebene  Dauer  ist  bekanntlich  durch 
Ramses'  IV.  Inschrift  aus  Äbydos  bezeugt  (Breasted,  Rec.  IV  471). 

*)  Wenn  die  Szenen  auf  der  Westhälfte  der  Wand  ebenso  wie  die 
auf  der  Osthälfte  von  unten  nach  oben  aufeinander  folgen,  so  fällt  der 
Chetiterkrieg  vor  den  Libyerkrieg,  und  auf  diesen  folgt  dann,  vom 
Chetiterkrieg  wie  vom  ersten  palaestinensischen  Feldzug  gesondert,  der 
Amoriterkrieg.  Breasted  dagegen  möchte  den  Libyerkrieg  vor  den 
Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    IP.  29 


450     IX.  Die  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und  das  Chetiterreich 

lieber  Weise  auf  dem  Streitwagen  mit  gespanntem  Bogen  in 
das  Getümmel  der  Feinde  hineinstürmen,  die  sich  wider- 
standslos zur  Flucht  wenden;  ein  Häuptling,  dem  sein  Wagen- 
lenker schon  erschossen  ist,  wendet  den  Wagen  zu  eiliger 
Flucht  und  will  selbst  herunterspringen,  andere  sind  schon 
davon  gefahren  oder  haben  ein  Pferd  bestiegen,  um  galop- 
pierend zu  entkommen;  Haufen  von  Leichen  bedecken  das 
Schlachtfeld.  Dann  folgt  die  Fortführung  der  Gefangenen 
nach  Ag}'pten,  darunter  auch  ein  Streitwagen  mit  seiner  ge- 
fesselten Bemannung,  schließlich  ihre  Vorführung  vor  Amon 
und  seine  Genossen  im  Tempel  von  Karnak^). 

Weiteres  erfahren  wir  nicht;  aber  daß  Sethos  in  der  Tat 
einen  bedeutenden  Sieg  über  die  Chetiter  erfochten  hat,  ist 
nicht  zu  bezweifeln.  Über  den  Schauplatz  des  Krieges  läßt 
sich  leider  garnichts  sagen.  Daran  wird  sich  dann  ein  Feld- 
zug gegen  ihre  Vasallen,  die  Amoriter,  geschlossen  haben; 
das  in  der  obersten  Reihe  des  Reliefs  erhaltene  Bild  stellt  den 
Zug  dar,  „den  Pharao  unternahm,  um  das  Land  von  Qades 
(und)  das  Amoriterland -)  zu  verwüsten".  Sethos  dringt  zu 
Wagen  auf  die  flüchtigen  Feinde  ein,  und  seine  Pfeile  treflfen 
die  Schützen  auf  den  Zinnen  der  beiden  Stadtmauern,  der 
äußeren  und  der  darüber  aufrasrenden  inneren,  die  verzweifelt 


chetilischen  ins  2.  Jahr  des  Sethos  setzen.  Dafür  spricht,  daß  in  der 
Beischrift  zu  der  Fortführung  der  chetitischen  Gefangenen  die  Unter- 
würfigkeit nicht  nur  von  Rezenu,  sondern  auch  von  Zehenu  erwähnt  wird. 

')  Die  Feinde  und  die  Gefangenen  haben  durchweg  die  charakte- 
ristischen Züge  der  Chetiter,  aber  zum  Teil  statt  der  Zöpfe  semitische 
Haartracht.  Manche  tragen  eine  Art  Hehnkappe  mit  einer  kurzen, 
dünnen  Feder,  wie  die  Amoriter  in  Qades,  die  aber  bärtig  sind.  Wo 
ein  Schild  vorkommt,  ist  er  rechteckig,  aber  die  Wagenkasten  sind  oben 
abgerundet. 

^)  pa  ta  n  p«  Amor.  Wie  bei  pa  kana'^an  =  fi?j3n  erhält  auch  der 
Landesname  Amurru  den  Artikel.  Wreszinski  betrachtet  mit  Recht  die 
beiden  Namen  als  koordiniert;  aber  daraus  folgt  noch  nicht,  daß  es 
zwei  verschiedene  Landschaften  sind,  sondern  Qades  mit  seinem  Gebiet 
ist  ein  Teil  des  Amoriterlandes.  Die  Amoriter,  Semiten  mit  Vollbart 
und  Haarschopf,  führen  Bogen  und  rechteckigen  Schild;  über  ihre 
Helmkappe  siehe  die  vorige  Anmerkung. 


Sethos'  I.  Krieg  gegen  die  Chetiter  und  die  Amoriter         451 

den  Widerstand  aufgeben  und  ura  Gnade  flehen.  Die  Stadt 
Qades  liegt  auf  einem  bewaldeten  Berge,  ist  also  die  Stadt 
in  Obergalilaea  (Naphtali).  Daraus  ergibt  sich,  daß  sich  das 
Amoriterreich  Azirus  und  seiner  Nachkommen  unter  der 
Oberhoheit  der  Chetiter  bis  in  diese  Gebiete  ausgedehnt  hat. 
Von  den  übrigen  Bildern  sind  noch  kleine  Reste  der  Fort- 
führung der  Gefangenen  und  der  Darbringung  der  Beute  an 
Amon  erhalten. 

Einige  weitere  Aufschlüsse  ergeben  zwei  Verträge  mit 
dem  Amoriterreich  aus  dem  Archiv  von  Boghazkiöi^).  König 
Chattusil  erwähnt  darin,  daß  nach  dem  Enkel  Azirus  sich 
Bentesina  des  Königtums  von  Amurru  bemächtigte  —  ob 
als  legitimer  Erbe  oder  als  Usurpator,  läßt  sich  nicht  er- 
kennen — ,  daß  aber  Muwattal  ihn  absetzte  und  gefangen  fort- 
führte. Chattusil  dagegen  nahm  sich  seiner  an,  erbat  ihn  von 
seinem  Bruder  und  gewährte  ilim  eine  Wohnstätte  in  seinem 
Gebiet;  als  er  dann  dem  Muwattal  gefolgt  war,  setzte  er  Ben- 
tesina wieder  ein,  gab  ihm  eine  Tochter  zur  Gemahlin  und 
erneuerte  mit  ihm  den  alten  Vertrag  aus  der  Zeit  Subbilul- 
jumas  und  Azirus.  Chattusils  Sohn  Dudchalia  bestätigt  in 
einem  Vertrage  mit  Bentesinas  Sohn  nicht  nur  diese  Angaben, 
sondern  fügt  hinzu,  daß  die  Amoriter  sich  gegen  Muwattal 
empört  hatten  und  zu  Ägypten  abgefallen  waren  ■),  daß  dann 
aber  Muwattal  in  oder  nach  dem  Kriege  mit  Ägypten  die 
Amoriter  wieder  unterworfen  und  den  Sabili  zum  König  ein- 
gesetzt hat;  eben  diesen  hat  dann  Chattusil  zugunsten  des 
Bentesina  abgesetzt. 

Beide  Urkunden  vermeiden,  ebenso  wie  Chattusils  An- 
trittsproklamation  (o.  S.  449),  auf  die  Beziehungen  zu  Ägypten 


')  Vertrag  Chattusils  mit  Bentesina  von  Amurru  (akkadisch),  bei 
Weidner,  Bogh.-Stud.  9,  124  fi".,  und  Vertrag  Dudchalias  IV.  mit  dessen 
Sohn  (chetitisch),  bisher  unpubliziert,  auszugsweise  von  Winckler, 
Vorderasien  im  2.  Jahrtausend  (Mitt.  Vorderas.  Ges.  1913,  4)  S.  98  f. 
übersetzt  (vorher  schon  MDOG.  35,  1907,  44  f.). 

^)  Der  Text  scheint  hier  nach  Winckler's  Andeutungen  unsicher; 
es  ist  sehr  zu  bedauern,  daß  er  noch  nicht  veröfl'entlicht  ist. 


452     IX.  Die  nennzehnte  Dynastie.   Ägypten  und  das  Chetiterreich 

einzugehn,  vielmehr  erwähnt  Chattusil  sie  überhaupt  nicht. 
Aber  in  Wirklichkeit  ist  der  Übertritt  der  Amoriter  zu  Ägypten 
offenbar  die  Folge  von  Sethos'  Vordringen  gewesen;  Bente- 
sina  kam  dadurch  in  dieselbe  Lage  wie  früher  Aziru.  Die 
milde  Behandlung,  die  ihm  zuteil  wird,  zeigt,  daß  ihm  seine 
Untertanen  keine  Wahl  gelassen  haben.  Während  der  näch- 
sten Jahre  gehört  das  Land  Amurru  zum  ägyptischen  Macht- 
bereich: in  der  Liste  der  im  Chetiterheer  vertretenen  Völker- 
schaften erscheinen  die  Amoriter  nicht,  das  südlichste  am 
Kampf  teilnehmende  Fürstentum  ist  Qades  (Kinza);  dagegen 
organisiert  Ramses  sein  Heer  „an  der  Küste  von  Amurru",  von 
hier  aus  stößt  eine  seiner  Abteilungen  in  der  Schlacht  zu 
ihm.  In  Qades  hat  sich  ein  Relief  gefunden,  auf  dem  Sethos 
den  Amon  nebst  Mut  und  Chons  sowie  den  syrischen  Gott 
Re§ep  verehrt^);  somit  scheint  auch  diese  Stadt  unter  seiner 
Oberhoheit  gestanden  zu  haben.  Danach  wird  es  durchaus 
zutreffend  sein,  wenn  die  Liste  der  von  ihm  eroberten  Orte 
außer  Akko  und  Tyros  auch  die  in  der  Amarnazeit  so  viel 
umstrittenen  Festungen  Sirayra  und  Ullaza  im  Eleutherostal 
nennt-);  man  wird  vermuten  dürfen,  daß  weitere  Feldzüge 
in  diesen  Gebieten  auf  dem  oberen,  jetzt  zerstörten  Teil  der 
Tempelmauer  dargestellt  waren.  Umso  auffallender  ist,  daß 
die  Städte  des  nördlichen  Phoenikiens,  Sidon,  Berytos,  Byblos 
in    dieser   Zeit    niemals   erwähnt   werden,   auch   nicht    unter 


')  Syria  III  1922  S.  108  und  Taf.  22;  danach  bei  Gressmann,  Altor. 
Bilder  91. 

^)  no.  14  und  19  der  Liste,  s.  o.  S.  432  Anm.  Ob  die  weiteren  in  den 
Listen  LD.  III  131a  (vgl.  W.  M.  Müller,  Asien  191  ff.)  und  zum  Teil  auch 
129  (vgl.  W.  M.  Müller,  Eg.  Res.  I  43)  wirr  zusammengeschriebenen 
Namen  noch  einige  geschichtlich  verwertbare  enthalten,  ist  nicht  zu 
entscheiden.  In  ihnen  finden  sich  Qades,  Qatna,  Qumidi,  ferner  sogar 
zweimal  Tunip,  Tachas  und  ein  unbekanntes  Pabech,  sodann  das  in 
den  Listen  oft  genannte,  nicht  lokalisierbare  Mennus,  aber  daneben 
Sinear,  Assur,  Alasia  u.  a.  Das  auch  sonst  vorkommende  Barga  (z.  B. 
W.  M.  Müller,  Res.  II  S.  96  u.  98)  ist  ein  auch  in  dem  Brieffragment 
Am.  57,  3  erwähntes  Gebiet  südlich  von  Aleppo  (Urkunde  Mursils  bei 
Hrozn*.  Bogh.-Stud.  II  130  ff.;  Friedrich,  Alter     Orient  24,  3  S.  19). 


Sethos  I.  gegen  die  Amoriter  und  in  Phoenikien  453 

Ramses  IL  Daraus,  daß  dieser  in  seinem  4.  Jahre  und  dann 
noch  dreimal  an  der  Mündung  des  Hundsflusses  (Nähr  elKelb), 
nördlich  von  Beirut,  Stelen  an  der  Felswand  errichtet  hat^), 
hat  man  geschlossen,  daß  hier  die  von  Sethos  erreichte  Grenze 
gelegen  habe.  Aber  es  ist  kaum  denkbar,  daß  die  alte  Verbin- 
dung dieser  Handelsstädte  mit  Ägypten  nicht  längst  wiederauf- 
genommen sein  sollte,  und  wenig  wahrscheinlich,  daß  die  Amo- 
riter die  von  Aziru  gewonnene  Herrschaft  über  Byblos  dauernd 
behalten  haben').  Allerdings  gehörte  diesen  sicher  ein  be- 
trächtlicher Teil  der  Libanonküste,  und  ihr  Gebiet  scheint 
sich  noch  weiter  nach  Norden  ausgedehnt  zu  haben;  aber 
die  Straße  durch  das  Eleutherostal  ist  in  ägyptischem  Besitz 
gewesen. 

Die  Wiederaufnahme  der  Feldzüge  nach  Syrien  hat  die 
schon  unter  Haremhab  eingetretene  Verlegung  des  tatsäch- 
lichen Sitzes  der  Regierung  nach  Unterägypten  vollends  un- 
vermeidlich gemacht.  So  wurde  im  äußersten  Osten  des  Nil- 
landes, nahe  am  Meere,  in  der  Gegend  der  Hyksosstadt 
Auaris  und  des  späteren  Pelusion,  eine  neue  Residenzstadt 
erbaut,  die  zugleich  als  starke  Festung  neben  der  Grenz- 
sperre von  Sile  und  den  Brunnenstationen  auf  der  Wüsten- 
straße Ägypten  gegen  etwaige  Invasionen  der  Beduinen  deckte. 


»)  LD.  III  197  und  Text  V  890.  Die  Inschriften  sind  völlig  ver- 
wittert, so  daß  sich  nicht  sagen  läßt,  ob  sie  geschichtliche  Angaben  ent- 
hielten. Durch  das  tiefeingeschnittene  Flußtal  scheint  damals  eine  Straße 
über  den  Libanon  nach  Coelesyrien  geführt  zu  haben. 

^)  Daraus,  daß  sich  im  Grabe  des  Königs  Achiram  von  Byblos 
zwei  Alabasterkanopen  mit  dem  Namen  Ramses'  IL  gefunden  haben 
(DussAUD,  Syria  V  1924,  135  ff.),  folgt  keineswegs,  daß  er  in  diese  Zeit 
gehört  oder  gar,  daß  er  ägyptischer  Vasall  gewesen  ist  (dagegen  mit 
Recht  Spiegelbero,  Or.  Lit.  Z.  1926,  73.5  und  Lidzbarski,  ebenda  1927, 
4-53).  Er  wird  beträchtlich  jünger  sein;  seine  Grabschrift,  bisher  das 
älteste  Denkmal  des  phoenikischen  Alphabets,  ist  schwerlich  mehr  als 
1 — 2  Jahrhunderte  älter  als  die  Inschrift  des  Mesa'  (um  8-50).  —  Arados 
wird  in  dieser  Zeit  weder  in  den  ägyptischen  noch  in  den  chetitischen 
Texten  jemals  erwähnt;  diese  Inselburg  wird  völlig  unabhängig  ge- 
wesen sein. 


454     I^-  Die  neunzehnte  Dynastie.   Ägypten  und  das  Chetiterreich 

Ramses  IL  hat  während  seiner  ganzen  Regierung  die  Ge- 
schäfte des  Reichs  von  hier  aus  geleitet  und  ihr  den  Namen 
»Stadt  des  Ramses  Miamun  des  Siegreichen"  gegeben^).  Sie 
bestand  aber  schon  bei  seinem  Regierungsantritt;  denn  als- 
bald nach  dem  Tode  seines  Vaters  ist  er  nach  Theben  ge- 
zogen, das  natürlich  seine  offizielle  Rangstellung,  ebenso  wie 
Memphis,  weiter  behielt,  um  hier  in  Luxor  das  große  Amons- 
fest  im  Monat  Paophi  zu  feiern,  und  ist  dann  von  hier  aus 
stromabwärts  nach  der  Ramsesstadt  gefahren^).  Ihre  Erbau- 
ung hat  also  schon  unter  Sethos  begonnen,  Ramses  hat  sie 
dann  vollendet  und  ihr  den  Namen  gegeben,  den  sie  dauernd 
behalten  hat^). 


')  Die  Frnge  nach  der  Lage  der  Ramsesstadt  ist  von  Gardiner 
in  der  alles  Material  sorgfältig  bearbeitenden  Abhandlung  The  Delta 
residence  of  the  Raraessides,  J.  Eg.  Areh.  V  1918,  definitiv  geklärt.  Zu- 
gleich hat  er  die  Annahme  von  Peirie,  Hyksos  and  Israelits  Cities 
cp.  5,  der  die  Ramsesstadt  in  den  Ruinen  von  Teil  er-Retabe  im  west- 
lichen Teil  des  Wadi  Tümilät  (mit  Resten  von  Inschriften  und  Reliefs 
Ramses'  II,  vgl.  u.  S.  487)  gefunden  zu  haben  glaubte,  als  unbegründet 
erwiesen. 

")  Inschrift  von  Abydos  (Mariette,  Abydos  I  6,  29;  Breasted,  Rec.  III 
261).  Auf  der  Rückreise  landet  er  in  Abydos,  s.  u.  S.  455.  Wenn  diese 
Inschrift  auch  erst  später  aufgezeichnet  ist,  liegt  doch  kein  Grund  vor, 
die  Geschichtlichkeit  der  Angabe  zu  bezweifeln.  Sie  wird  bestätigt  durch 
die  Inschrift  des  Nebwenenf,  Sethe,  ÄZ.  44,  30  ff.,  den  Ramses  bei  diesem 
Aufenthalt  in  Abydos  am  1./3.  J.  1  auf  Grund  einer  von  Amen  selbst 
getroffenen  Wahl  zu  dessen  Hohenpriester  in  Theben  einsetzte.  Über 
das  Datum  des  Paophifestes  vom  23./2.  J.  1  s.  Sethe  S.  35  Anra.  1. 

=*)  Sethk,  ÄZ.  62,  113,  folgert  daraus,  daß  in  dem  Gedicht  über 
die  Ramsesstadt  Pap.  Anast.  II 1  =  IV  6  der  Thronname  des  Ramses  in 
der  Kurzform  Usimare'  geschrieben  ist,  die  inschriftlich  nur  in  seinen 
ersten  Monaten  vorkommt,  das  Gedicht  müsse  aus  dieser  Zeit  stammen. 
Das  scheint  mir  nach  dem  Inhalt  unmöglich;  und  es  ist  zu  beachten, 
daß  die  Schreiber  dieser  Handschriften  daneben  teils  den  Kurznamen 
Sessu,  teils  einfach  den  Thronnamen  des  zu  ihrer  Zeit  regierenden 
Pharao  Merneptah  einsetzen.  —  Bekanntlich  hat  der  Elohist  Exod.  1,  11 
(danach  Gen.  47,  11  c  und  in  den  Itineraren),  der  einige  Kenntnis  Ägyptens 
besitzt,  die  Erbauung  der  „Vorratsstädte"  Pitom  (im  Wadi  Tümilät, 
s.  u.  S.487  f.)  und  Ramses  zur  Ausmalung  der  israelitischen  Fronarbeiten 
verwendet. 


Die  Ramsesstadt.   Ramses  IL  .         455 

Ramses  II.  und  der  große  Chetiterkrieg 

Das  höchste  von  Sethos  erhaltene  Datum  ist  sein  9.  Jahr. 
Viel  länger  kann  er  nicht  regiert  haben;  denn  von  den 
großen  Bauten,  die  er  begonnen  hat,  ist  keiner  unter  ihm 
fertig  geworden,  weder  der  Süulensaal  in  Karnak,  noch  der 
große  Tempel  von  Abydos,  noch  sein  Totentempel  in  Theben 
(Qurna).  Auch  zeigt  seine  wohlerhaltene  Mumie,  daß  er  im 
kräftigsten  Mannesalter  gestorben  ist^). 

Sein  junger  Sohn  Ramses  IL  hat  sich  dieser  Bauten  sofort 
tatkräftig  angenommen,  um  so  seinem  Vater  ein  seliges  Fort- 
leben im  Reiche  des  Osiris  und  in  seinen  mit  reichem  Kultus 
ausgestatteten  Statuen  in  den  Tempeln  von  Theben,  Mem- 
phis, Abydos  und  damit  zugleich  sich  selbst  seinen  Segen  aus 
der  Götterwelt  zu  sichern.  Eine  große  Inschrift  in  Abydos 
erzählt,  wie  er  alsbald  nach  der  Thronbesteigung  auf  der 
Rückfahrt  aus  Theben  in  Abydos  landet,  den  mitten  im  Bau 
stehenden,  jetzt  vom  Verfall  bedrohten  Zustand  des  Osiris- 
tempels  und  auch  die  völlig  verfallenen  Gräber  der  alten 
Könige-)  besichtigt  und  die  Vollendung  des  Baus  anordnet. 
In  seiner  Rede  an  die  Magnaten  erzählt  er,  wie  er,  der  Sproß 
des  Re*  und  Sohn  des  Sethos,  von  diesem  als  ältester  Sohn 
und  Thronerbe  proklamiert,  mit  der  Krone  geschmückt  und 
mit  einem  Harem  ausgestattet  sei;  so  sei  er  schon  im  Ei 
und  auf  den  Armen  seines  Vaters  der  eigentliche,  von  den 
Göttern  eingesetzte  Regent  des  Landes  gewesen.  In  einem 
gleichartigen  Text  sagen  die  Masrnaten.  als  Knabe  von  zehn 


')  Gegen  Breasted's  Angabe,  Rec.  III  181,  der  Statthalter  Setau 
von  Kus  aus  der  Zeit  Ramses'  IL  komme  schon  im  2.  Jahr  Sethos'  I. 
vor  (nach  Spiegelberg)  s.  Reisner,  The  viceroys  of  Ethioi^ia, .).  Eg.  Arch.  VI 
44;  er  gehört  lediglich  in  die  spätere  Zeit  Ramses'  IL 

2)  Einen  Ersatz  für  diese  bildet  die  Königstafel  im  Tempel,  auf  der 
Sethos,  von  seinem  Sohn  in  Priestertracht  begleitet,  allen  als  legitim 
anerkannten  Königen  die  Totenopfer  bringt.  Auch  diese  Tafel  wird 
von  Ramses  aufgestellt  sein;  er  hat  sie  dann  in  seinem  eigenen  Tempel 
in  Abydos  wiederholt. 


456     IX-  I'iö  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und  das  Chetiterreich 

Jahren  sei  er  bereits  das  Oberhaupt  der  Armee  gewesen^). 
Das  alles  sind  die  altüberlieferten  Wendungen  des  offiziellen 
Stils,  denen  die  langen  Antworten  der  Hofbeamten  entspre- 
chen, die  ihrer  Bewunderung  Ausdruck  geben  für  den  hoch- 
herzigen Entschluß  des  Königs,  der  alle  seine  Vorgänger  in 
jeder  Beziehung  weitaus  übertreffe.  Es  war  eine  Verkennung 
des  wahren  Charakters  solcher  Kundgebungen,  wenn  man 
sie  für  geschichtliche  Wahrheit  genommen  und  nicht  selten 
ernsthaft  geglaubt  hat,  Ramses  sei  wirklich  der  Mitregent 
seines  Vaters  oder  gar  unter  ihm  schon  der  eigentliche  Herr- 
scher gewesen.  Aber  eben  so  verkehrt  ist  es,  daran  zu  zwei- 
feln, daß  er  der  anerkannte  Thronfolger  war^),  und  daß  er 
von  einem  warmen  Pietätsgefühl  für  seinen  Vater  beseelt  ge- 
wesen ist.    Da  er  67  Jahre  regiert  hat,  kann  er  bei  der  Thron- 


^)  Inschrift  von  Abydos,  Breasted,  Rec.  III  251  ff. ;  Gauthier,  ÄZ.  48, 
52  ff.,  und  Stele  von  Kubban,  Breasted  III  282  ff. 

äj  Breasted  (ÄZ.  87,  130  ff.;  danach  Rec.  ÜI  123  ff.)  bat  erwiesen, 
daß  die  Gestalt  eines  „ältesten  Königssohns",  der  in  den  Reliefs  des 
Libyerkriegs  zweimal  hinter  Sethos  steht  —  und  zwar  hinter  dem  Tri- 
umphzug, erst  nach  rechts,  dann  nach  links  gewandt,  mit  dem  Namen 
Ramses,  hinter  der  Erschlagung  des  Häuptlings  nur  mit  Titel,  ohne 
Namen  — ,  nachträglich  über  eine  ursprünglich  dastehende  Inschrift  ge- 
setzt und  dann  wieder  getilgt  ist.  Er  folgert  daraus,  daß  Ramses  nicht 
der  Thronerbe  gewesen  sei,  daß  er  aber  seinen  Bruder  beseitigt,  darauf 
dessen  Bild  und  Namen  getilgt  und  in  dem  einen  Falle  durch  den 
eigenen  ersetzt  habe.  Damit  scheint  mir  aus  diesen  Korrekturen  (wie 
deren  ja  in  den  Reliefs,  z.  B.  bei  Ramses  IL,  viele  vorkommen)  viel 
zu  viel  gefolgert.  Vielmehr  wird  Ramses,  der  seinen  Vater  als  Knabe 
im  Libyerkrieg  begleitet  haben  wird,  den  Wunsch  gehabt  haben,  sich 
dabei  anbringen  zu  lassen,  und  der  Künstler  hat  dazu  verschiedene  Ver- 
suche gemacht,  sie  aber  wieder  getilgt,  weil,  wie  der  Augenschein  lehrt, 
der  Raum  nicht  reichte  (sie  werden  mit  Stuck  überdeckt  worden  sein). 
Ebenso  ist,  wie  Breasted  gleichfalls  erkannt  hat,  ein  Prinz,  gewiß 
Ramses,  im  Amoriterkrieg  in  die  Fortführung  der  Gefangenen  ein- 
gesetzt (Fremdvölkerphot.  280)  und  hier  stehn  gelassen,  weil  Raum  ge- 
nug war.  Ein  anderer  Prinz,  von  dessen  Namen  nur  geringe  Reste  er- 
halten sind  (er  heißt  aber  nicht  „ältester  Sohn"),  folgt  dem  König  im 
Triumphzug  über  die  Sos  (Fremdvölkerphot.  196  und  322;  die  Wieder- 
gabe bei  Breasted  Fig.  5,  nach  Rosellini,  ist  ganz  ungenau). 


Ramses  11.    Seekampf  gegen  die  Serdana  457 

besteigung  höchstens  einige  zwanzig  Jahre  alt  gewesen  sein^). 
In  ihm  lebte  der  Geist  seines  Vaters,  und  er  war  entschlossen, 
dessen  Werk  im  Innern  wie  nach  außen  zu  erhalten  und  fort- 
zuführen. 

Gleich  in  den  Anfang  seiner  Regierung  müssen  nicht 
nur,  wie  so  oft  nach  einem  Thronwechsel,  die  üblichen 
Kämpfe  mit  Negern  von  Kus  und  mit  libyschen  Stämmen 
fallen^),  sondern  auch  ein  Raubzug  des  Seevolks  der  Ser- 
dana gegen  Ägypten,  der  von  der  ägyptischen  Flotte  besiegt 
wurde.  Denn  eine  Felsinschrift  in  Assuan  vom  26./ 11.  seines 
2.  Jahres  rühmt  nicht  nur  seine  Siege  über  Asiaten,  Libyer 
(Zehenu)  und  Nubier  —  das  würde  an  sich  kaum  mehr  be- 
deuten, als  daß  „Sinear  und  Chatti,  sich  vor  seinem  Ruhm 
beugend,  zu  ihm  kommen" ;  zugrunde  liegen  wird  die  übliche 
Gesandtschaft  nach  dem  Thronwechsel,  welche  die  mit  dem 
Vorgänger  bestehenden  Beziehungen  erneuerte  — ,  sondern 
auch,  „daß  er  die  Krieger  des  großen  Meeres  des  Nordlandes 
bezwingt  (fch),  während  sie  im  Schlaf  liegen"^).  So  erklärt 
sich,  daß  die  Serdana,  die  in  seinen  Feldzügen  als  eine  beson- 
dere Gardetruppe  erscheinen,  charakterisiert  durch  ihre  Waffen 
—  Lanze  und  langes  mykenisches  Dolchmesser,  Rundschild, 
Helme  mit  halbmondförmigem  Aufsatz  —  und  durch  die 
ganz  eigenartigen  Züge  ihrer  bartlosen  Gesichter,  als  „Ge- 
fangene aus  den  Siegen  des  Königs"  bezeichnet  werden^);  die 


*)  In  den  Bildern  der  Schlacht  bei  Qades  erscheinen  bereits  mehrere 
seiner  Söhne  (ebenso  in  Bet  el  Wali).  Mitgenommen  hat  er  sie  und  ihre 
Mutter  sicher,  da  sie  fliehend  dargestellt  sind.  Aber  auch  wenn  er 
über  90  Jahre  alt  geworden  sein  sollte,  können  sie  damals  nur  Knaben 
im  Älter  von  höchstens  10  Jahren  gewesen  sein. 

*)  Siege  über  Neger  sind  (neben  ihren  Tributen)  in  den  nubischen 
Tempeln  von  Bet  el  Wali  (wo  Ramses  dem  niedergeworfenen  Häuptling 
mit  dem  Sichelschwert  den  Kopf  abschlägt,  während  ihn  gleichzeitig 
eine  nach  der  syrischen  Göttin  'Anat  benannte  Hündin  anfällt),  Derr 
und  Abusimbel  dargestellt,  die  Erschlagung  eines  libyschen  Häuptlings 
in  Abusimbel  und  Bet  el  Wali. 

»)  LD.  III  175  g;  DE  Rouge,  Inscr.  hier.  253;  Breasted,  Rec.  III  479. 

■*)  In  dem  Gedicht   über  die  Schlacht   bei  Qades;    ebenso  in  der 


458     I'^-  ^i^  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und  das  Chetiterreich 

gefangenen  Piraten  aus  dem  schon  früher  im  ägyptischen 
Solddienst  bewährten  Stamme  sind  also  in  diese  Truppe  ein- 
gereiht worden.  Eine  weitere  Bestätigung  geben  Bruchstücke 
einer  Inschrift  aus  Tanis,  die  von  den  „widerspenstig  ge- 
sinnten" Serdana  und  von  Kriegsschiffen  auf  dem  Meere 
reden;  das  wird  sich  auf  diese  Kämpfe  beziehn^).  Sie  mögen 
wüe  später  so  auch  damals  schon  mit  den  Libyern  in  Verbin- 
dung getreten  sein. 

Man  kann  vermuten,  daß  der  „erste  Kriegszug"  des 
Königs,  über  den  wir  nichts  weiter  erfahren  —  der  große 
Chetiterkrieg  des  Jahres  5  ist  der  „zweite"  — ,  einer  dieser 
Kämpfe,  vielleicht  der  gegen  die  Libyer,  gewesen  ist;  denn 
die  herkömmliche  Annahme,  daß  die  Errichtung  einer  Tafel 
am  Nähr  el  Kelb  im  Jahre  4  (o.  S.  453)  aus  einem  Feldzug 
nach  Phoenikien  stamme,  ist  ganz  unsicher,  da  der  Text  dieser 
Inschrift  völlig  zerstört  ist;  sie  beweist  nur,  daß  der  König 
damals,  wie  auch  später  oft,  in  Phoenikien  gewesen  ist  und 
dort  die  Verhältnisse  geordnet  haben  wird. 

Ob  Sethos  beabsichtigt  hat,  den  Krieg  gegen  die  Che- 
titer  weiter  fortzusetzen  und  auch  Naharain  (Nordsyrien) 
wieder  zu  unterwerfen,  läßt  sich  nicht  sagen.  Jedenfalls  hat 
Muwattal  sich  zunächst  passiv  verhalten ;  die  in  der  Inschrift 
von  Assuan  erwähnte  Gesandtschaft  mag  Verhandlungen  über 
ein  friedliches  Abkommen  versucht  haben.  Auf  die  Dauer 
jedoch  konnte  das  Chetiterreich  dem  Vordringen  der  Ägypter 
in  Syrien  nicht  untätig  zusehn;  vor  allem  den  Abfall  der 
Amoriter,  die  es  seit  zwei  Generationen  als  rechtlich  zu 
seinem  Machtbereich  gehörig  betrachtete,  durfte  es  nicht 
ungestraft  lassen.  So  hat  König  Muwattal  sich  endlich  zu 
einem  energischen  Gegenschlag  entschlossen.  Durch  umfas- 
sende Werbungen,  für  die  er,  wie  der  ägyptische  Bericht 
es    darstellt,  alle  Geldmittel  des  Reichs   zusammenraffte  und 


Schilderung   der   Ramsesfeste   Pap.  Anast.  II  5,  2  u.  8  verso,  1    (Erman 
Lit.  340). 

')  Petrie,  Tanis  II  78;  de  Rouge,  Inscr.  hier.  70,  13  ff.;  Breasted, 
Rec.  III  491. 


Ausbruch  des  großen  Chetiterkriegs  459 

erschöpfte,  brachte  er  eine  große  Armee  zusammen.  Alle 
oben  S.  443  aufgezählten  Gebiete  des  chetitischen  Macht- 
bereichs lieferten  Fußtruppen  (Lanzenträger  und  Schützen) 
und  Streitwagen,  sowohl  die  Landschaften  Kleinasiens  wie 
die  von  Nordsyrien  (Naharain)  bis  nach  Qades  (Kinza)  hin, 
das  im  Gegensatz  zu  den  Amoritern  jetzt  jedenfalls  wie- 
der auf  chetitischer  Seite  stand;  an  der  Spitze  ihrer  Kon- 
tingente zogen  die  Vasallenfürsten  selbst  mit  ins  Feld,  dar- 
unter auch  Muwattals  Bruder  Chattusil,  der  Regent  des  „Ober- 
landes"^). Ein  anschauliches  Bild  dieser  Volksmassen  gibt 
das  große  Schlachtenbild,  das  Ramses  IL,  mit  Variationen 
in  den  Einzelheiten,  an  allen  großen  Tempelbauten  hat  dar- 
stellen lassen^).  Neben  den  beiden  Typen  der  Chetiter  er- 
scheinen bärtige  Semiten  mit  Haarschopf  und  andere,  die 
das  Haupthaar  abrasiert  oder  ganz  kurz  geschnitten  haben ^). 


')  Zwei  andere  Brüder.  Sapasar  und  Masarma,  nennen  die  ägypti- 
schen Darstellungen  unter  den  Flüchtigen  und  Gefallenen;  ferner  außer 
Obersten  der  Fußtruppen  (üihir)  und  der  Garde  (smsu)  des  Chetiter- 
königs,  einem  Leibwächter  (qfu),  seinem  Sekretär,  mehreren  Wagen- 
lenkern auch  den  Fürsten  von  Aleppo  und  mehrere  „Obersten  der 
Schützen"  von  einzelnen  sonst  unbekannten  Landschaften  (geschrieben 
Qbsu,  Tanis,  'nnas,  mit  Varianten),  die  wohl  in  Kleinasien  zu  suchen  sind. 

^)  Mehr  oder  weniger  vollständig  erhalten  sind  sie  auf  den  Py- 
lonen von  Luxor,  in  Abusimbel,  zweimal  im  Ramesseum,  der  untere 
Teil  in  Abydos,  und  ebenso  nochmals  an  der  Außenwand  von  Luxor. 
Jetzt  liegen  sie  für  Abusimbel  in  von  Breasted  autgenommenen  Photo- 
graphien, für  die  übrigen  Tempel  in  denen  der  Fremdvölkerexpedition 
Bürchardt's  in  vortrefllichen  Aufnahmen  vollständig  vor.  Vorher  waren 
sie  bei  Champollion,  Roselmni,  Lepsius  nur  teilweise  veröffentlicht;  da- 
nach hat  ßuF.ASTED  in  seiner  grundlegenden  Arbeit  The  battle  of  Kadesh 
(Decennial  Publications,  Chicago  1903)  in  sehr  dankenswerter  Weise  die 
Gesamtbilder  (mit  Ausnahme  des  von  Mariette  ausgegrabenen,  aber 
nicht  publizierten  Abydos)  zusammengestellt.  In  Einzelheiten  können 
seine  Zeichnungen  jetzt  mehrfach  berichtigt  und  ergänzt  werden;  eine 
umfassende   archäologische  Bearbeitung   ist  ein  dringendes  Bedürfnis. 

^)  Fremdvölkerphot.  329  (o.  S.  448,  2)  steht  über  einer  von  einem 
Prinzen  eingeführten  Gruppe  von  Semiten  und  Chetitern  „Marjanni  von 
Naharain" ;  der  alte  Name  des  Kriegeradels  (auch  pap.  Anast.  I  23,  2 
und  28. 1  auf  den  verhöhnten  Gegner,  den  Mahir,  angewendet)  wird  also 


460     IX.  Die  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und  das  Chetiterreich 

Daneben  sind  die  durch  Gesichtsbildung  und  Tracht  scharf 
charakterisierten  Beduinen  (Sos)  zahlreich  vertreten;  oflfen- 
bar  sind  sie  in  Massen  zum  Heere  geströmt,  auch  aus  dem 
ägyptischen  Machtbereich:  da  tritt  die  alte  Verbindung  der 
gegen  die  Kulturländer  vordringenden  semitischen  Nomaden, 
der  Chabiri,  mit  den  Chetitern  noch  einmal  deutlich  hervor, 
die  zu  der  Aramaisierung  Nordsyriens  und  Mesopotamiens 
geführt  hat^). 

In  diesen  Gemälden  besteht  das  Gros  der  chetitischen 
Infanterie  in  der  Schlacht  bei  Qades,  das  beim  König  vor 
der  Stadt  steht,  aus  zwei  Abteilungen  von  je  8000  und 
9000  Mann 2).    Dazu  kommen  vielleicht   noch   einige  weitere 


noch  gebraucht,  aber  ihr  von  Haremhab  so  lebendig  wiedergegebener 
„europaeischer"  Typus  kommt  jetzt  nicht  mehr  vor. 

^)  Am  deutlichsten  ist  die  Darstellung  in  Luxor,  Fremdvölker- 
phot.  424.  425,  danach  auf  Taf.V,  wo  vor  der  Mauer  von  Qades  zwölf  Re- 
präsentanten der  verschiedenen  Völkerschaften  stehn  (früher  ganz  un- 
zulänglich bei  RosELLiNi,  Mon.  stör.  104,  was  W.  M.  Müller,  Asien  361, 
zu  unhaltbaren  Deutungen  verführt  hat;  in  Abusimbel  und  am  Rames- 
seum  ist  das  Bild  ganz  flüchtig  ausgeführt,  die  große  Gruppe  meist 
weggelassen).  Ein  Chetiter  ist  nur  no.  9;  no.  2.  5.  8.  11  sind  Semiten 
mit  Haarschopf;  no.  3.  6.  10  mit  kahlem  Schädel;  no.  1.  4.  7.  12  sind 
Beduinen,  und  zwar  1  und  7  mit  Turban,  4  mit  Mütze.  12  mit  einem 
struppigen  Haarbüschel  auf  der  Mütze.  Alle  drei  Trachten  kehren  bei 
den  Sos  Sethos'  I.  in  Karnak  vielfach  wieder.  Wie  diese  sind  sie  auch 
in  Luxor  durch  Spitzbart,  rasierten  Kopf  und  kurzes,  eng  anliegendes 
Wams  charakterisiert.  Die  übrigen  Gestalten  tragen  den  langen  Mantel 
der  Chetiter  und  Semiten.  Alle  haben  eine  Lanze,  sechs  einen  kurzen 
Dolch;  zwei  Beduinen  und  ein  kahlköpfiger  Semit  tragen  den  chetitischen 
Amazonenschild.  Dieselben  Gestalten  stehn  auch  auf  den  Zinnen  der 
beiden  Mauern  und  ebenso  in  der  von  Ramses  erstürmten  Festung  in 
Qedi  (Fremdvölkerphot.  39.5.  Wreszinski  72). 

-)  So  in  Abusimbel  (Breasted's  Phot.  164.  166),  wo  bei  der  einen 
Gruppe  des  Fußvolks  ^[tuhir]  des  Kampfes  des  Chetiterfürsten  ...  die  vor 
ihm  stehn,  8000",  bei  der  anderen  , andere  iuhir  des  Kampfes,  die  hinter 
ihm  stehn,  9000  Mann"  steht.  Im  Ramesseum  (Fremdvölkerphot.  585) 
findet  sich  nur  die  erste  Beischrift:  ^tilhir,  die  vor  ihm  stehn,  8000". 
In  Luxor  (Phot.  414—417)  folgt  dem  nach  links  fliehenden  König,  der 
sich  erschreckt  umwendet,  eine  Schar  mit  der  Beischrift  Juhir  der 
Garde  (qr'uj,  die  dem  Chetiterkönig  folgen  (seine  Leibwache  bilden)"; 


Bestand  des  chetitischen  Heeres  461 

chetitische  Truppen  und  vor  allem  das  Fußvolk  der  Hilfs- 
völker. Die  Zahl  der  Streitwagen  aus  Chetifcern  und  Bundesge- 
nossen, die  Ramses  angreifen,  schätzt  die  ägyptische  Schlacht- 
schilderung auf  2500,  zu  denen  nachher,  wie  es  scheint,  noch 
weitere  1000  kommen.  Das  ergibt,  wenn  die  Zahlen  an- 
nähernd richtig  sind,  da  jeder  Wagen  mit  drei  Mann  besetzt 
ist,  10  500  Mann.  Die  Zahlen  der  Fußtruppen  sind  keineswegs 
übertrieben,  wie  etwa  bei  den  Angaben  der  Griechen  über 
die  Heere  der  Perser,  sondern  werden  ganz  zutreffend  sein; 
der  Gesamtbestand  des  Heeres  wird  sich  somit,  auch  wenn 
wir  die  Zahl  der  Streitwagen  reduzieren,  abgesehn  vom  Troß 
auf  etwa  25 — 30  000  Mann  belaufen  haben,  eine  sehr  ansehn- 
liche Heeresmacht,  wie  sie  der  Orient  auch  in  weit  späteren 
Zeiten  infolge  der  Entfernungen  und  der  Schwierigkeiten  der 
Verpflegung  immer  nur  mit  großer  Anstrengung  hat  auf- 
bringen und  längere  Zeit  im  Felde  halten  können. 

Auch  das  Heer,  mit  dem  Kamses  im  Frühjahr  seines 
5.  Jahres  (am  9./10.,  d.  i.  etwa  am  17.  April  1294)  von  der 
ägyptischen  Grenzfestung  Sile  aus  den  Feinden  entgegen- 
zog, wird  ungefähr  ebenso  stark  gewesen  sein^).    Es  war  in 


die  andere  Abteilung  ist  noch  nach  rechts  gegen  den  Feind  gewandt, 
mit  der  Beischrift:  „iuhir,  die  hinter  ihm  standen,  9000  Mann".  In 
Abydos  (Phot.  94—97)  steht  der  sich  abwendende  König  richtig  in  der 
Mitte  der  beiden  Abteilungen;  rechts  von  ihm,  gegen  den  Feind  ge- 
wandt: „9000  [iuhir  der]  Garde  (qr'u)  des  Chetiterkönigs",  nach  links, 
vor  ihm  „[Uihir]  des  Chetiterkönigs,  sehr  zahlreich  an  Mannen  und 
Gespannen",  und  weiterhin  inmitten  der  Scharen  des  Fußvolks  Juhir 
der  zupirez  (determiniert  mit  dem  Wagen,  offenbar  ein  chetitisches 
Wort)  des  Lagers  des  Chetiterkönigs". 

')  Für  die  Schlacht  bei  Qades  haben  wir  aus  Ägypten  drei  Quellen: 

1.  Eine  poetische  Darstellung,  erhalten  im  pap.  Sallier  III  (nebst 
pap.  Eaifet;  über  das  Datum  am  Schluß  des  Papyrus,  das  früher  fälschlich 
auf  die  Abfassungszeit  des  Gedichts  bezogen  wurde,  auch  von  Erman, 
Lit.  326,  siehe  jetzt  Erman,  Die  äg.  Schülerhandschriften,  Abb.  Berl. 
Akad.  192.5  S.  11  f.)  und  hieroglyphisch  in  Luxor,  Karnak,  Abydos.  Über- 
setzung bei  Erman,  Literatur  325  ff. 

2.  Einen  nüchtern  gehaltenen  prosaischen  Bericht  in  Luxor,  Rames- 
seum,  Abusimbel. 


462     IX.  Die  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und  das  Chetiterreicli 

vier  nach  Amon,  Rö',  Ptalj  und  Seth  benannte  Legionen  oder 
Divisionen  gegliedert,  deren  jede  außer  einem  Regiment  In- 
fanterie, bewajffnet  mit  Lanzen  und  Streitäxten  oder  Sicheln, 
sowie  mit  großen  Schilden,  eine  Abteilung  der  Streitwagen 
umfaßte;  dazu  kam  das  Korps  der  Serdana,  während  andere 
Fremdtruppen  nicht  herangezogen  wurden.  Ramses  rückte 
an  der  Küste  Phoenikiens  (Zahi)  vor  und  sonderte  hier  eine 
Elitetruppe  als  Vorhut  ab,  die  an  der  Küste  des  Amoriter- 
landes  entlang  ziehn  und  durch  das  Eleutherostal  zu  ihm  stoßen 
sollte;  nachher  werden  sie  mit  semitischen  Namen  als  na- 
'aruna,  „junge  Mannschaft",  bezeichnet^).  Mit  dem  Hauptteil 
der  Armee  zog  er  selbst  über  den  Libanon,  wahrscheinlich  im 
Tal  des  Nähr  el  Kelb^),  nach  Coelesyrien.   Am  9./11.  (16.  Mai) 

3.  Die  Reliefs,  mit  kurzen  Beischriften,  s.  S.  459,  2.  Während  die 
beiden  Texte  sich  fast  ganz  auf  die  Verherrlichung  der  persönlichen 
Leistung  des  Königs  beschränken,  geben  diese  Bilder  zahlreiche  weitere 
sehr  wichtige  Vorgänge,  die  dort  übergangen  werden,  und  im  ganzen 
ein  sehr  reichhaltiges  und  anschauliches,  sachlich  durchaus  richtiges 
Bild  des  Hergangs.  Vortrefflich  behandelt  ist  das  gesamte  Material  von 
Breasted,  The  battle  of  Kadesh  (vgl.  o.  S.  459,  2).  und  danach  in  seinen 
Records  III.  Einzelne  Ergänzungen  und  Berichtigungen  lassen  sich 
noch  vor  allem  aus  den  Billern  gewinnen. 

')  Vgl.  S.  430.  Den  Zusammenhang  des  Berichts  im  Gedicht  ZI.  12  ff. 
hat  nur  Erman  in  seiner  Übersetzung  richtig  erkannt:  an  die  Angabe 
über  die  Stellung  der  vier  Legionen  im  Orontestal  schließt  unmittelbar 
die  über  die  „aus  allen  Offizieren  seines  Heeres  (d.  i.  aus  deren  Regi- 
mentern)" gebildete  Vorhut,  die  an  der  Amoriterküste  stand.  Dadurch 
wird  ihre  Identität  mit  den  während  der  Schlacht  aus  dem  Amoriter- 
lande  eintreffenden  Na'aruna  evident.  —  Im  pap.  Anast.  I  27,  1  wird 
der  Miihir  ironisch  als  „Führer  der  Na'aruna  (D''~irj))  Erster  des  Saba 
(SSi*)"  angeredet. 

^)  Dabei  berührte  er  eine  nach  seinem  Namen  benannte  Stadt 
„[im  Lande]  der  Zedern",  offenbar  eine  Festung  im  Libanon,  vermutlich 
identisch  mit  der  hier  von  Thutmosis  angelegten  oben  S.  125  und  mit 
der  im  pap.  Anast.  III  verso  5,  4  (Breasted,  Rec.  634)  erwähnten  „Stadt 
des  Merneptah  im  Gebiet  von  Amuru  (verschrieben  in  Arm)";  denn  in 
der  Regel  werden  diese  Königsstädte  jederzeit  nach  dem  regierenden 
Pharao  benannt.  [Gardiner's  Deutung  der  im  Epus  nur  lückenhaft  er- 
haltenen Stelle  auf  die  Ramsesstadt  in  Ägypten,  J.  Eg.  Arch.  V  180, 
kann  ich  nicht  für  richtig  halten.] 


Die  Schlacht  bei  Qades  463 

erreichte  er  die  letzten  Vorhöhen  im  Orontestal,  35  Kilometer 
südlich  von  Qades  ^).  Seine  Annahme,  der  Feind  stehe  noch 
in  weiter  Ferne  in  Nordsyrien,  erhielt  hier  scheinbar  eine 
Bestätigung  durch  zwei  beduinische  Überläufer,  die  meldeten, 
der  Chetiterkönig  sitze  voll  Angst  im  Norden  von  Tunip  im 
Gebiet  von  Aleppo,  und  ihre  Stämme  wollen  ihn  verlassen 
und  zum  Pharao  übertreten.  Auf  diese  Kunde  überschritt  er 
bei  Sabtuna,  dem  späteren  und  heutigen  Ribla,  den  Orontes, 
rückte  mit  der  Legion  des  Amon  rasch  auf  Qades  vor,  und 
schlug  sein  Lager  im  Nordwesten  der  Stadt  auf;  die  drei 
anderen  Legionen  sollten  in  Marschordnung  folgen.  Aber  in 
Wirklichkeit  stand  Muwattal  mit  seinem  Heer  in  Schlacht- 
ordnung, verdeckt  durch  die  Mauern  der  Festung,  hinter 
Qades,  und  die  angeblichen  Überläufer  waren  von  ihm  ent- 
sandt worden,  um  die  Ägypter  in  die  Falle  zu  locken.  Erst 
im  letzten  Moment  erhielt  Ramses  durch  zwei  aufgefangene 
chetitische  Spione  Kunde  von  der  Lage,  in  der  er  sich  be- 
fand; das  Schlachtengemälde  zeigt,  wie  diese  durch  Schläge 
zur  Aussage  gezwungen  werden,  während  der  Pharao,  im 
Lager  auf  goldenem  Throne  sitzend  und  von  seiner  Leib- 
wache umgeben,  seinen  Offizieren  und  Beamten  Vorwürfe 
wegen  der  mangelhaften  Aufklärung  macht  und  in  höchster 
Eile  seinen  Vezir  nebst  einem  berittenen  Adjutanten  entsendet, 
um  die  übrigen  Legionen  heranzuholen.  Aber  die  chetitischen 
und  semitischen  Streitwagen  hatten  bereits  oberhalb  von  Qades 
den  Fluß  überschritten  und  die  ahnungslose  Legion  des  Re 
auf  dem  Marsche  überfallen  und  zersprengt;  sie  setzten  hinter 

')  Die  topographischen  Fragen  und  die  Lage  von  Qades  (jetzt 
Teil  Nebi  Mindu)  hat  Breasted  definitiv  geklärt  und  dabei  auch  die 
von  KoLDEWEY  in  den  Ausgrabungen  von  Sendschirli  11  179  gegebene 
Planskizze  herangezogen.  Es  liegt  auf  einem  Hügel  zwischen  dem 
Orontes  im  Osten,  der  sich  hier  seenartig  verbreitert,  und  dem  in  ihn 
mündenden  Bach  'Ain  et  Tennür;  im  Süden  ist  von  diesem  ein  noch 
jetzt  erkennbarer  Festungsgraben  zum  Orontes  gezogen.  Die  ägypti- 
schen Zeichnungen  stellen  die  Festung  (auf  der,  wie  auch  auf  anderen 
Städten  Syriens,  eine  riesige  Fahne  weht)  daher  mit  Recht  als  rings 
vom  Wasser  umgeben  dar. 


464     IX.  Die  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und  das  Chetiterreich 

den  Flüchtlingen  her,  durchbrachen  den  Schildwall,  der  das 
Lager  der  Amonslegion  umschloß,  und  drangen  verheerend 
hinein.  Der  Schlachtplan  Muwattals  schien  vollständig  ge- 
glückt, Ramses  und  sein  Heer  rettungslos  dem  Untergang 
geweiht.  Die  Königssöhne  und  ihre  Mutter  wurden  in  schleu- 
niger Flucht  gerettet,  eine  Panik  ergriff  das  Heer.  Aber 
Ramses  verzagte  nicht;  mit  raschem  Entschluß  warf  er  sich 
auf  dem  Streitwagen  dem  Feinde  entgegen,  im  Vertrauen 
auf  seinen  Vater  Amon,  der  ihn  in  der  Not  nicht  im  Stich 
lassen  dürfe  —  in  der  poetischen  Schilderung  der  Schlacht 
erzählt  er  selbst,  wie  Amon  ihm,  als  er  in  der  Schlacht  ganz 
allein  stand,  zu  Hilfe  eilte  und  seine  Hand  ergriff.  Es  ge- 
lang ihm,  seine  Truppen  zu  sammeln  und  ihnen  Mut  einzu- 
flößen. Mit  Recht  kann  er  sich  rühmen,  daß  er,  und  zwar  er 
allein,  die  Entscheidung  erfochten  habe,  wenn  es  auch  eine 
gewaltige  Übertreibung  ist,  daß  er  ganz  allein  2500  Wagen 
der  Feinde,  die  ihn  umzingelt  hatten,  in  die  Flucht  gejagt 
habe.  Hier  treten  die  Gemälde  ergänzend  und  berichtigend 
ein:  sie  stellen  ihn  zwar  auch,  in  üblicher  Weise,  in  riesiger 
Gestalt  dar,  wie  er  vom  Wagen  aus  seine  tödlichen  Pfeile 
in  die  Massen  sendet;  aber  daneben  zeigen  sie,  wie  die  ägyp- 
tischen Soldaten  und  die  Serdaua  die  ins  Lager  eingedrun- 
genen Feinde  niederstoßen  und  die  Streitwagen  sich  in  langen 
Reihen  den  feindlichen  entgegeuwerfen.  Daß  das  möglich 
war,  beweist,  daß  eine  stramme  Disziplin  und  wirklicher 
militärischer  Geist  in  der  ägyptischen  Armee  lebte,  offenbar 
in  weit  höherem  Maße  als  in  der  chetitischen  —  eben  darum 
hat  diese  die  offene  Feldschlacht  vermieden  und  zur  Kriegs- 
list gegriffen.  Die  Entscheidung  ist  dann  offenbar  dadurch 
herbeigeführt,  daß,  was  alle  Gemälde  ausführlich  darstellen, 
während  die  beiden  Berichte  es  übergehn,  gerade  im  rich- 
tigen Moment  das  Elitekorps  der  Na'aruna,  Fußvolk  und 
Wagen,  von  der  Amoriterküste  her  eintraf;  das  unerwartete 
Eingreifen  dieses  neuen  Gegners  wird  die  Wendung  herbei- 
geführt haben.  Schließlich  haben  dann  der  Vezir  und  der 
Adjutant  auch  die  Legion    des  Pta^i  im  Eilmarsch  herange- 


Die  Schlacht  bei  Qades  465 

führt ^);  doch  müssen  bis  dahin  ein  paar  Stunden  vergangen 
sein.  Jedenfalls  gelang  es,  die  Feinde  aus  dem  Lager  hin- 
auszuwerfen und  in  die  Flucht  zu  schlagen.  Der  Chetiter- 
könig,  der  inmitten  seines  Fußvolks  vor  Qades  den  Her- 
gang überschaute,  wagte  nicht,  dies  in  die  Schlacht  zu 
werfen ;  aber  er  entsandte  noch  einmal  ein  mächtiges  Ge- 
schwader von  Streitwagen,  „die  Fürsten  von  Arzawa,  Masa, 
Arawanna,  der  Lukka  und  der  Dardani,  die  von  Karkamis, 
Karkisa,  Aleppo,  die  Brüder  der  Chattifürsten,  alle  zusam- 
men 1000  Gespanne,  die  sich  geradeswegs  auf  das  Feuer 
(den  Pharao)  stürzten".  Ramses  erzählt,  daß  da  auch  sein 
Wagenlenker  Menes,  der  tapfer  an  seiner  Seite  ausgehalten 
hatte'-),  den  Mut  verlor  und  zur  Flucht  riet.  Aber  er  harrte 
aus;  in  sechsmaligem  Ansturm  habe  er  sich  auf  die  Feinde 
geworfen,  bis  sie  schließlich  die  Flucht  ergriffen.  Von  den 
nachsetzenden  Ägyptern  wurden  sie  in  den  Orontes  geworfen; 
viele  der  hohen  Offiziere  und  Beamten  sowie  zwei  Brüder  des 
Chetiterkönigs  fanden  dabei  den  Tod,  andere,  wie  der  Fürst 
von  Alejipo,  wurden  von  den  am  jenseitigen  Ufer  gelähmt 
stehenden  Mannschaften  herausgezogen  und  gerettet.  Das 
Schlachtgemälde  schließt  ab  mit  der  Vorführung  der  Gefan- 
genen und  der  Aufhäufung  und  Zählung  der  den  Gefallenen 
nach  ständigem  Brauch  als  Trophäen  abgeschlagenen  Hände. 
Nach  der  poetischen  Erzählung  hat  Ramses  am  nächsten 
Tage  die  Schlacht  mit  »-leichem  Erfolgte  fortojesetzt,  bis  der 


')  In  Luxor  am  Ostturme  links  oben  (Phot.  426  und  408)  ist  nur 
das  Eintreffen  des  Vezirs,  an  der  Außenmauer  (Phot.  367  ff.)  das  des 
Vezirs  zu  Wagen  und  des  berittenen  Adjutanten  bei  der  Legion  des 
Ptah  dargestellt,  in  Abusimbel  rechts  oben  sind  beide  Szenen  unter- 
einander gestellt.  Sie  rufen  den  Truppen  zu:  , Vorwärts!  Pharao  euer 
Herr  steht  allein"  oder  „unter  dem  Feinde!"  An  der  Außenmauer  von 
Luxor  treffen  ihnen  gegenüber  von  der  anderen  Seite  her  die  Na'aruna 
ein,  während  in  den  anderen  Darstellungen  beide  Szenen  weit  von- 
einander getrennt  sind. 

')  Außer   ihm    und  den  Dienern    seines  Haushalts   rühmt    er    be- 
sonders die  beiden  großen  Rosse  seines  Wagens,  die  daher  fortan  ständig 
in  seinem  Palaste  vor  seinen  Augen  gefüttert  werden  sollen. 
Meyer,  Geschichte  des  AltertuiiiS.    II*.  30 


466     I^-  I'iö  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und  das  Chetiterreich 

Chetiterkönig  verzweifelt  den  Widerstand  aufgab  und  in  einem 
demütigen  Brief  um  Frieden  bat.  Unter  Zustimmung  seines 
Heeres  gewährt  Ramses  großmütig  die  Bitte  und  kehrt  mit 
seinem  Heere  nach  siegreich  erstrittenem  Frieden  heim  in 
die  Stadt  seines  Namens,  die  er  sich  als  Residenz  an  der  Ost- 
grenze Ägyptens  gegründet  hatte. 

So  enthusiastisch  diese  Schilderung  gehalten  ist,  so  läßt 
sich  doch  auch  aus  ihr  der  wirkliche  Hergang  in  den  Grund- 
zügen erkennen.  Ramses  hat  durch  sein  persönliches  Ein- 
greifen die  drohende  Katastrophe  in  einen  glänzenden  Sieg 
verwandelt,  auf  den  er  mit  Recht  stolz  sein  durfte.  Die  Wir- 
kung der  Niederlage  der  chetitischen  und  syrischen  Streit- 
wagen läßt  sich  mit  der  der  persischen  Flotte  bei  Salamis 
vergleichen :  der  große  Heerzug  gegen  Ägypten  war  geschei- 
tert und  ein  zweites  Mal  hat  das  Reich  eine  derartige  Armee 
so  wenig  wieder  aufbringen  können,  wie  die  Perser  gegen 
Griechenland.  Chattusil  gebt  denn  auch,  wo  er  diesen  Krieg 
erwähnt,  ganz  kurz  darüber  hinweg;  irgend  etwas  Rühmliches 
■war  davon  nicht  zu  erzählen.  Aber  auch  Ramses  hat  den  Sieg 
nicht  weiter  ausbeuten  und  weder  Qades  erobern,  noch  etwa 
nach  Nordsyrien  ziehn  können,  schon  weil  es  unmöglich  war, 
die  große  Armee  länger  im  Felde  zu  ernähren;  er  mußte 
sich  begnügen,  den  Angriff  abgewehrt  zu  haben,  und  kehrte 
nach  Ägypten  heim.  Ein  vorübergehender  Waffenstillstand 
mag  geschlossen  sein,  der  den  Chetitern  den  ungehinderten  Ab- 
zug gewährte;  aber  einen  demütigenden  Frieden  zu  schliel^en 
hatten  sie  keinen  Anla"\  vielmehr  haben  auch  sie  ihre  An- 
sprüche aufrecht  erhalten.  Der  Kriegszustand  zwischen  bei- 
den Reichen  hat  daher  noch  länger  als  ein  Jahrzehnt  fort- 
bestanden. 

Aus  diesen  Kriegsjahren  hat  Ramses  zahlreiche  Einzel- 
kämpfe um  Festungen  an  den  Wänden  seiner  Tempelbauten 
verewigt.  Am  Pylon  des  Ramesseums^)  sind  die  im  8.  Jahre 


')  LD.  III  1.56  und  Text  III  127.  W,  M.  Müller,  Eg.  Res.  II  100  f, 
Phot.  506—510.    Daü  bei  Dapur  und  einigen    anderen   die   Jahreszahl 


Kämpfe  in  Palaestina  und  Phoenikien  467 

seiner  Regierung  eroberten  Festungen,  ursprünglich  insgesamt 
achtzehn,  in  langen  Reihen  ganz  gleichförmig  schematisiert 
abgebildet.  Die  Gefangenen,  die  von  Königssöhnen  aus  ihnen 
herausgeführt  werden,  sind  durchweg  Semiten  mit  ihrer  ver- 
schiedenen Bart-  und  Haartracht;  nur  einmal  erscheint  dazwi- 
schen ein  Chetiter^).  Soweit  ihre  Namen  erhalten  und  identi- 
fizierbar sind,  liegen  sie  fast  alle  in  Palaestina,  so  Salem, 
Merom,  „die  Festung  auf  dem  Berge  von  ßet'anat  Karpu". 
Gleichartig,  nur  viel  inhaltreicher  ausgestaltet,  sind  die  Dar- 
stellungen an  der  Südwand  des  Säulensaals  von  Karnak"); 
hier  sind  fünfzehn  Festungen  abgebildet  —  meist  sind  in 
den  Einzelszenen  zwei  zusammengefaßt  und  übereinander  ge- 
stellt — ,  die  der  König  teils  zu  Wagen,  teils  zu  Fuß,  mit  Pfeil 
und  Bogen  oder  mit  Schild  und  Lanze  oder  Sichelschwert 
angreift  und  einnimmt.  Unter  ihnen  finden  sich  Akko  und  ein 
Uas  (oder  Quas)-Asru  geschriebener  Ort,  also  eine  Stadt  der 
auch  sonst  nicht  selten  erwähnten  Landschaft  Äser  in  Ober- 
galilaea  im  Hinterlande  des  südlichsten  Phoenikiens,  deren 
Name  später  der  eines  israelitischer  Stammes  geworden  ist ')• 
Danach  werden  wir  auch  die  übrigen,  sonst  nicht  bekannten 


fehlt,  beiuht  wohl  nur  darauf,  daß  bei  ihnen  der  Name  zuviel  Raum 
erforderte. 

')  15ei  der  Einnahme  von  Kawir  Reihe  4,  ?. 

*)  W.  M.  MüLi  EH,  Eg.  Res.  II  1(»4  ff  i>l.  86—39.  Phot.  283—237. 
Wbesz'Ns  I,  Atlas  II  54— -56.  Den  Abschluli  bildet  die  Abs  hlachtung 
der  Feinde  vor  Araon  und  die  staik  beschädigte  Völkerliste  LI".  III 
144  (hier  fälschlich  auf  die  Nordwand  vei setzt  und  daher  >ethos  I. 
zuges(  hrieben.  vgl.  Text  19],  die  Müllek,  Res.  I  46  und  Taf.  60  ff. 
eingehend  behandelt  hat.  Darunter  stand  ui  sprünglich  eine  Szene 
aus  der  Schlacht  bei  Qades,  siehe  die  Abbildung  bei  Bukasted,  Battle  of 
Kadesh  pl.  7. 

')  Erkannt  von  W.  M.  Müller,  Asien  286  f,  vgl.  meine  Israeliten 
540.  Die  Lage  wird  be-lätigt  durch  die  Ortsiis'.e  pap.  Gulenischef 
(pap.  hierat.  de  l'Eremitagei  4,  4  f.,  wo  auf  AsAalon,  Aidod,  Gaza 
'«zV.  d.  i.  Äser  folgt.  Auch  hier  ist  ein  seiiiiti>ches  .s-  d.irch  s  wie  1er- 
gegebeii,  ebenso  wie  immer  in  'Ast-.irt.  Auf  ein  Abenteuer  des  Fürsten 
Qasaidi  von  A?er  „als  ihn  die  Hyäne  in  der  Teiebinte  fand",  wird 
pap.  Anast.  I  23,  6  angespielt. 


468     I^-  Die  neunzehnte  D^'nastie.    Ägypten  und  das  Chetiterreich 

Ortschaften  in  Palaestina  zu  suchen  haben.  Mehrere  dieser 
und  weiterer  gleichartiger  Kämpfe  sind  in  anderen  Bildern 
in  Luxor  und  Karnak  ausführlicher  dargestellt,  so  Askalon, 
das  bei  der  Erstürmung  um  Gnade  fleht  ^),  die  im  Buschwald 
des  Hügellandes  gelegene  Festung  Mutira^),  die  Burg  Satuna, 
hinter  der  ein  Wald  von  Laubholz  und  Zedern  liegt  —  also 
wohl  im  Libanon  — ,  in  dem  ein  auf  einem  Baum  Schutz 
suchender  Flüchtling  von  einem  nachkletternden  Bären  ge- 
packt wird^).  Die  Erstürmung  einer  anderen  Feste  zeigen  die 
Reste  eines  Bildes  in  Karnak^).  Besonders  eindrucksvoll  ist 
ein  Bild  in  Luxor :  eine  von  den  Ägyptern  zerstörte  Festung, 
deren  Trümmer  jetzt  in  schauerlicher,  von  keinem  Lebe- 
wesen betretener  Einöde,  inmitten  wüsten  Gestrüpps  und 
abgehauener  Baumkronen  daliegen  —  die  Stämme  wird  man 
als  Bauholz  mitgenommen  haben,  für  die  Aste  hatte  man 
keine  Verwertung '^). 

Weiter  nach  Norden  führt  uns  in  der  Liste  des  Rames- 
seums  „die  Festung  im  Land  Amuru  Dapur".  Auf  ihre  Be- 
zwingung war  Ramses  besonders  stolz,  und  so  hat  er  sie  in 
einem  großen  Gemälde  sowohl  nochmals  im  Ramesseum  wie 
in  Luxor  darstellen  lassen'').  Danach  lag  sie,  wie  üblich, 
auf  einer   steilen,  befestigten  Anhöhe,  bei  der   aber  diesmal 

')  Karnak  LD.  III  145  c.  Phot.  239.  Wreszinski  Taf.  58. 

2)  Luxor  phot.  384—6.  Wreszinski  Taf.  71.  Auch  in  den  Szenen 
in  Karnak  phot.  234. 

')  Luxor  phot.  374—383.  Burchardt,  ÄZ.  51,  196  ff.  Der  Künstler 
hat  die  Feinde  fälschlich  als  Libyer  gezeichnet  und  dann  nachträglich 
wenigstens  teilweise  in  Semiten  korrigiert.  P]r  selbst  hat  Zedern  nie 
gesehn  und  stellt  sie  daher  als  schlanke  gradlinige  Stämme  dar,  wie 
Flaggenmasten. 

")  LD.  III  145  b.    Phot.  238.  Wreszinski  Taf.  57. 

5)  Luxor  Phot.  371—3.  Wreszinski  Taf.  65. 

8)  Ramesseum  LD.  III  166.  Phot.  544—8.  Luxor  W.  M.  Müller, 
Res.  II  pl.  45.  Phot.  397—404.  Den  zugehörigen  Text  hat  Sethe  ÄZ. 
44,  36  ff.  richtig  erklärt.  Wreszinski  Taf.  78  und  108.  Auf  dies  Bild 
geht  auch  die  schematische  Darstellung  der  Einnahme  einer  syrischen 
Festung  (mit  darüber  wehender  Fahne)  in  Abusimbel  bei  Breasted,  Rec.  III 
454  f.  (Breasted's  Phot.  130)  zurück. 


Ranises  in  Nordsyrien.    Erstürmung  von  Dapur  469 

kein  Gewässer  angegeben  ist,  und  war  besonders  sorgfältig 
gebaut,  mit  einer  Vormauer  und  einer  zweiten,  höheren  Ring- 
mauer, beide  aus  Ziegeln  regelmäßig  geschichtet,  mit  Türmen 
und  Zinnen,  über  denen  die  innere  Burg  aufragt;  auf  dieser 
weht,  wie  auf  Qades,  eine  mächtige  Fahne,  durch  die  mehrere 
lange  Pfeile  gesteckt  sind.  Ramses  hat  auch  hier  zunächst 
die  feindlichen  Wagen  und  Fußvölker,  auf  dem  Streitwagen 
stehend,  in  die  Flucht  geschlagen;  dann  aber  ist  er  herab- 
gesprungen und  rühmt  sich,  die  Verteidiger  der  Festung  zwei 
Stunden  lang  mit  seinen  Pfeilen  überschüttet  zu  haben,  ehe 
er  daran  dachte,  einen  Panzer  anzulegen^);  er  schwört,  daß  die 
Art,  wie  er  im  Bilde  dargestellt  ist,  völlig  wahrheitsgetreu 
sei.  Bei  der  Erstürmung  haben,  wie  auch  sonst  vielfach, 
seine  Söhne  eifrig  mitgekämpft. 

In  dem  zugehörigen  Text  wird  die  Lage  von  Dapur 
genauer  angegeben  als  „im  Gebiet  der  Stadt  Tunip  im  Lande 
Naharain  (Nordsyrien) ",  mithin  ganz  im  Norden  des  Amoriter- 
landes,  nördlich  von  Eleutheros;  und  zugleich  heißt  es  eine 
Chetiterstadt  und  die  Verteidiger  der  Festung  sind  sämtlich 
Chetiter,  während  die  Kämpfer  im  Vorterrain  wenigstens  in 
Luxor  durchweg  als  Semiten  gebildet  sind'-').  Diese  Angaben 
in  Verbindung  mit  den  oben  S.  451  erwähnten  Urkunden  aus 
Boghazkiöi  gestatten  den  Versuch,  ein  Gesamtbild  des  Verlaufs 
wenigstens  in  den  Grundzügen  zu  entwerfen.  Li  den  auf  die 
Schlacht  bei  Qades  folgenden  Jahren  hat  Muwattal,  während 
Ramses  in  Ägypten  blieb,  die  Amoriter  wieder  unterworfen, 


')  Dieser  Schuppenpnnzer  ist  ebenso  wie  die  Helmkappe  den 
Semiten  entlehnt  und  führt  daher  auch  den  semitischen  Namen  zrjn, 
hebr.  pi-iD  und  jrViT  (in  den  Geschenken  Dusrattas  an  Amenophis  III. 
sariam  und  zariam  Am.  22,  3,  37  ff.).  Er  verbreitet  sich,  wie  manche 
andere  semitische  Waffen,  unter  der  19.  Dynastie  allmählich  bei  den 
äg.  Offizieren  (W.  Wolf,  Bewaffnung  des  äg.  Heeres  S.  96  f.) 

^)  Im  Ramesseum  sind  sie  dagegen  auch  Chetiter.  —  Analog  ist 
der  Chetiter  zwischen  zwei  Semiten  in  Kawir  o.  S.  467, 1  (erobert  im  J.  8), 
einem  Ort,  der  im  Ramesseum  unmittelbar  vor  Dapur  steht  (bei  dem 
unter  den  Gefangenen  nur  ein  Semit  erhalten  ist);  er  wird  wohl  in  der- 
selben Gegend  gelegen  haben. 


470     I-^-  -^iö  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und  das  Chetiterreich 

den  Bentesina  gefangen  weggeführt  und  dabei  offenbar  in 
die  Festung  Dapur,  die  vielleicht  erst  er  selbst  ausgebaut  hat, 
eine  chetitische  Garnison  gelegt,  während  das  Aufgebot  der 
Amoriter  in  üblicher  Weise  zur  Hilfeleistung  verpflichtet  war. 
Im  Zusammenhang  damit  wird  der  große  Aufstand  gegen  die 
ägyptische  Herrschaft  stehn,  der  jetzt  ganz  Palaestina  ergreift. 
Diesmal  sind  es  nicht  die  Beduinen,  wie  in  der  Amarnazeit 
und  unter  Sethos,  sondern  die  von  der  seßhaften  Bevölke- 
rung bewohnten  Festungen  des  Gebirgslandes  und  der  Küste 
von  Askalon  bis  nach  Akko;  der  Hauptteil  der  phoenikischen 
Küste  bis  nach  Beirut  hinauf  wird  dagegen  auch  jetzt 
bei  Ägypten  geblieben  sein').  So  mußte  Ramses  ähnlich  wie 
Thutmosis  HI.  nochmals  von  vorn  beginnen.  Im  Jahre  8, 
drei  Jahre  nach  der  Schlacht  von  Qades,  muß  Ramses  eine 
Festung  nach  der  anderen  bezwingen.  In  diesen  Kämpfen 
zeigt  sich,  welch  gewaltige  Stoßkraft,  ganz  wie  die  Schlacht- 
gemälde es  darstellen,  in  der  ägyptischen  Armee  lag,  wie 
fest  sie  durch  das  persönliche  Eingreifen  des  Königs  zusam- 
mengefügt und  mit  kriegerischem  Geist  erfüllt  war''):  die 
Truppen,  die  vor  der  Stadt  den  Angreifern  entgegentraten, 
wurden  von  den  Streitwagen  überrannt,  und  dann  stürmt  das 
Fußvolk,  darunter  die  Prinzen  und  die  Serdana,  sich  gegen 
die  Geschosse  und  Feldsteine  von  oben  durch  große  Schilde 
oder  Schutzdächer  deckend,  die  Abhänge  hinauf  und  sucht  die 
Mauern  mit  Sturmleitern  zu  ersteigen,  die  Tore  zu  sprengen 
und  die  Torbalken  auszureißen,  während  die  Verteidiger  auf 
den  Zinnen  mit  einem  Pfeilhagel  überschüttet  werden.  Wesent- 
lich mitgewirkt   hat  die  Kleinheit   all   dieser  Festungen;   die 


')  Auf  diesen  Feldzügen  wird  Ramses  die  drei  weiteren,  gänzlich 
verwitterten  Stelen  errichtet  haben,  die  er  am  Hundsfluß  neben  die 
vom  Jahre  4  stellte,  darunter  eine  im  J.  10  (Lepsius,  Text  V  890). 

^)  Deutlich  tritt  hier  ein  Foitschritt  gegen  die  Zeiten  Thutmosis'III. 
hervor,  dem  die  Eroberung  einer  Stadt  immer  nur  in  einzelnen  Fällen 
gelingt.  Es  ist  eine  Entwicklung  wie  von  den  griechischen  Kriegen 
des  5.  Jahrhunderts  bis  zur  Zeit  Alexanders,  nur  daß  dort  die  Technik 
in  Aügriff  und  Verteidigung  ganz  anders  entwickelt  war. 


Fortgang  und  Ergebnisse  des  Krieges  471 

Besatzung  fühlt,  daß  sie  der  Übermacht  nicht  gewachsen  ist, 
und  so  ist  sie,  wenn  die  Kräfte  erschöpft  sind,  gezwungen,  in 
demütiger  Ergebung  die  Rettung  zu  suchen. 

Diese  Kämpfe  mögen  sich  jahrelang  fortgesetzt  haben, 
manche  der  dargestellten  Szenen  beträchtlich  später  fallen 
als  das  Jahr  8.  Allmählich  ist  Ramses  weiter  vorgedrungen, 
hat  Dapur  erstürmt  und  schließlich,  noch  weiter  im  Norden, 
eine  gleichartig  gebaute  Festung  „im  Lande  Qedi  im  Gebiet 
von  Naharain"  ')■  Unter  den  Verteidigern  findet  sich  hier  auch 
ein  Beduine;  weitaus  die  meisten  sind  Chetiter;  andere  sind 
gleichfalls  bartlos,  haben  aber  eine  hohe  gerade  Stirn  und 
einen  kurzen  Haarschopf.  Nach  dem  Fall  der  Festung  werden 
die  Gefangenen  in  großen  Massen  von  den  Prinzen  fortgeführt 
als  Tempelsklaven  für  Amon  von  Theben. 

Damit  hört  unsere  Kunde  auf.  Wir  wissen  nur,  daß  trotz 
dieser  Erfolge  weder  Nordsyrien  und  das  Orontestal,  noch 
der  Hauptteil  des  Amoriterlandes-)  wieder  unter  die  ägyp- 
tische Herrschaft  gekommen  sind,  während  Palaestina  und 
das  Libanongebiet  dauernd  behauptet  wurden.  Eine  über 
Südsyrien  und  Palaestina  handelnde  Schrift  aus  dieser  Zeit 
benennt  Simyra  nach  Rarases'^)  und  bestätigt  dadurch,  daß 
diese  Festung  zum  ägyptischen  Machtbereich  gehörte.  So 
wird  das  Eleutherostal  dauernd  die  Grenze  der  ägyptischen 
Macht  gebildet  haben. 

Wirren  im  Chetiterreich.    Chattusil  lli.    Fortscliritte 
Assyriens  und  Untergang  Mitanis 

Die  Texte  aus  Boghazkiöi  versagen  bisher  für  diese  Zeit 
fast  gänzlich;   von  dem  Krieg  gegen  Ägypten  zu  reden,  ver- 


>)  Luxor  phot.  387—396.  Wbeszinski  Taf.  72—75.  Zuer?.t  ver- 
öffentlicht von  W.  M.  Müller,  Res.  II.  Von  dem  Namen  der  Stadt  ist 
nur  Hn  .  .  .  erhalten.    Über  Qedi  s.  o.  S.  102. 

2j  Vgl  0.  S.  4.51  f. 

*)  Pap.  Anast.  I  18,  8:  „das  Simyra  des  Sesu"  [Kurzname  für 
Ramses  II.  J.  —  Über  Byblos  s.  o.  S,  453. 


472     IX.  Die  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten   and  das  Chetiterreich 

meiden  sie  offenbar  mit  Absicht^).  Der  Bericht  Chattusils  über 
seine  Schicksale  erzählt  im  Anschluß  an  den  Feldzug  Mu- 
wattals  gegen  Ägypten,  daß  er  jetzt  Puduchepa,  die  Tochter 
des  Priesters  der  Istar  aus  Kizwadna,  heiratet,  einen  von  den 
Gasgaeern  unterstützten  Aufstand  in  dem  ihm  zugewiesenen 
Land  Chakpis  niederwirft  und  sie  hier  zur  legitimen  Königin 
erhebt.  Eine  von  seinem  alten  Gegner,  dem  Sohne  des  Zidä 
(seinem  Vetter),  gegen  ihn  erhobene  Anklage  schlägt  er  mit 
Hilfe  der  Istar  —  also  wohl  durch  einen  Gottesspruch  — 
siegreich  nieder;  der  Verleumder  mit  seiner  Familie  wird 
ihm  ausgeliefert,  er  aber  verschont  sie  und  verbannt  sie  nach 
Alasia  (Cypern)  —  diese  Insel,  die  auf  den  Verkehr  mit  beiden 
Großreichen  angewiesen  war,  hat  also  wohl  in  einem  gewissen 
Abhängigkeitsverhältnis  zum  Chetiterreich  gestanden. 

Bald  darauf  ist  Muwattal  gestorben  (um  1287).  Chat- 
tusil  rühmt  sich,  in  durchaus  loyalem  Verhalten  dessen  Sohn 
Urchitesub  auf  den  Thron  von  Chattusas  gesetzt  und  ihm 
weitere  Erfolge  erfochten  zu  haben.  Indessen  der  Neffe  war 
mißtrauisch  gegen  den  übermächtig  gewordenen  Oheim  und 
begann,  ihm  ein  Gebiet  nach  dem  anderen  zu  entziehn. 
Sieben  Jahre  lang,  sagt  Chattusil,  habe  er  sich  gefügt;  als 
Urchitesub  ihm  aber  auch  seinen  Herrschersitz  Chakpis  fort- 
nehmen wollte,  sagte  er  ihm  auf  und  forderte  ein  Gottes- 
gericht „durch  die  Istar  von  Samucha  und  den  Donnergott 
von  Neriq",  d.  h.  eine  Entscheidung  durch  die  Waffen.  Seine 
Schutzgöttin  hat  ihn  auch  diesmal  nicht  im  Stich  gelassen: 
zahlreiche  Magnaten,  mit  denen  er  offenbar  schon  vorher 
Verbindungen  angeknüpft  hatte,  traten  zu  ihm  über-),  Urchi- 


')  In  die  Zeit  Muwattals  gehören  die  ansehnlichen  Bruchstücke 
eines  von  Meissner,  ZDMG.  72,  37  ff.  behandelten  Briefes  (Keilschr. 
aus  Bogh.  I  1.5  und  19),  in  dem  von  den  Heeren  des  ägyptischen  und 
des  chetitischen  Königs,  von  den  syrischen  Fürstentümern  u.  ä.  die 
Rede  ist.  Wer  der  Schreiber  ist,  ist  ganz  dunkel,  und  ein  Zusammen- 
hang nicht  herstellbar;  die  von  MEissNfR  versuchte  Deutung  auf  den 
Feldzug  von  Qades  scheint  unmöglich. 

')  Vgl.   die   Angaben   des  Vertrags  zwischen  Dudchalia  IV.    und 


Urchitesub  und  Chattusil.    Vordringen  der  Assyrer  473 

tesub  wurde  in  der  Götterstadt  Samucha  eingeschlossen  „wie 
ein  Schwein  im  Koben";  die  Mauer  der  Festung  stürzte  ein, 
Urchitesub  wurde  gefangen.  Das  Anerbieten  seiner  verräte- 
rischen Mannen,  ihm  den  Kopf  abzuschlagen,  hatte  Chattusil 
schon  früher  zurückgewiesen,  und  auch  jetzt  behandelte  er 
ihn  gnädig;  er  überwies  ihm  ein  Gebiet  in  Nuchasse,  und 
hier  hätte  Urchitesub  bleiben  können,  wenn  er  nicht  mit 
Kardunias  (Babylonien)  Verbindungen  angeknüpft  hätte;  da 
wurde  er  übers  Meer  verbannt.  So  hatte  Istar  ihre  Ver- 
sprechungen erfüllt  und  Chattusil  zum  Großkönigtum  erhoben. 
Wie  die  Göttin  selbst,  so  erhielten  seine  Anhänger  reiche 
Belohnungen;  über  seine  Feinde  und  Verleumder  aber  erging 
ein  schweres  Strafgericht  (um  1280). 

Zu  diesen  inneren  Wirren  kamen  die  fortdauernden  Kon- 
flikte mit  Assyrien.  Die  Macht  des  Fürsten  von  Assur  war 
seit  Assuruballit  (ca.  1380 — 1340)  ständig  gewachsen^).  In 
dem  Ringen  um  das  Gebiet  des  der  Auflösung  verfallenen 
Mitanireichs  hatte  er  die  Chetiter  über  den  Euphrat  zurück- 
gedrängt, die  Erben  der  alten  Dynastie  auf  die  Gebirgslande 
am  oberen  Tigris  beschränkt  und  die  Herrschaft  über  das 
nördliche  Mesopotamien  gewonnen.  Auch  Ninive  gehörte  jetzt 
wieder  den  Assyrern'-').  Von  hier  aus  suchten  .sie  gegen  die 
Berglande    im  Osten  und  Norden    vorzudringen ;    so  hat  As- 


dem  König  des  Landes  des  Seehaflusses,  der  gegen  Urchitesub  auf 
Chattusils  Seite  trat:  Forreh,  Forsch    I  89. 

')  Außer  den  Königslisten  sind  die  Quellen  die  sog.  synchroni- 
stische Geschichte  und  die  Chronik  P  (s.  Bd.  I  318)  und  die  meist  aus 
den  Ausgrabungen  der  Deutschen  Orientgesellschaft  in  Assur  stam- 
menden Königsinschriften,  die  jetzt  bis  auf  Salmanassar  I.  hinab  von 
EßtLiNG,  Meissner,  WEmNER,  Die  Inschriften  der  altassyr.  Könige  (1926), 
zusammengestellt  und  übersetzt  sind.  Meist  sind  es  Bauinschriften, 
die  nur  wenige  historische  Angaben  enthalten.  Am  wichtigsten  ist  die 
große,  in  vielen  Exemplaren  erhaltene  Inschrift  Adadniraris  L,  der 
auch  die  Taten  seiner  drei  Vorfahren  kurz  aufzählt. 

^)  Assuruballit  hat  hier  den  ehemals  von  einem  Samsiadad  er- 
bauten Tempel  der  Istar  wiederhergestellt  (Inschr.  Salmanassars  I 
no.  10). 


474     I^-  Di*^  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und  das  Chetiterreich 

suruballit    hier    das    Land    Muzri    unmittelbar    hinter    Ninive 
unterworfen  ^). 

Ein  gesicherter  Besitz  war  freilich  Mesopotamien  keines- 
wegs. Vielmehr  hatten  sich  hier  „im  weiten  Lande  Subari" 
von  der  Steppe  und  Wüste  zu  beiden  Seiten  des  Euphrat 
aus  in  dem  von  zahlreichen  Flußtälern  durchzogenen  Hügel- 
lande se't  der  Amarnazeit  die  aramaeischen  Stämme  immer 
weiter  ausgebreitet;  sie  haben  allmählich  die  ältere  charri- 
sche  Bevölkerung  vollständig  absorbiert,  so  daß  in  der  spä- 
teren israelitischen  Überlieferung,  wenn  sie  auch  eine  Kunde 
von  ihrer  Herkunft  aus  Qir  in  der  syrischen  Wüste  im  Osten 
(im  Lande  Qedem)  bewahrt  hat,  doch  Charrän  (Karrhae) 
am  Belichos  zum  Wohnsitz  ihrer  Ahnen  (Laban)  bereits  in 
der  Ui'zeit  gemacht  wird.  Li  den  keilschriftlichen  Texten 
werden  sie  bald  allgemein  als  Sutü  „Schützen"  (o.  S.  93), 
bald  mit  dem  Stammnamen  Achlamaeer  bezeichnet.  Auch 
gegen  Babylonien  beginnen  sie  vorzudringen;  und  das  hat, 
so  scheint  es,  zu  einem  Zusammengehn  der  Kossaeerkönige 
von  Kardunias  mit  den  Assyrern  geführt.  Von  dem  König, 
der  in  einer  Chronik  Karaindas  H.  heißt'),  in  einer  anderen 
durch  dessen  angeblichen  Sohn  Kadasmancharbe  ersetzt  wird 
—  es  ist  der  König,  der  etwa  1350—1346  regiert  hat  — , 
wird  berichtet,  daß  er  der  Sohn  einer  Tochter  Assuruballits 
war  und  daß  er  die  Sutü  vom  Sonnenaufgang  bis  Sonnen- 
untergang bis  zur  Vernichtung  bezwungen,  Festungen  im 
Gebirge  Chichi  angelegt,  Brunnen  gegraben  und  besiedelt 
habe  —  ein  Erfolg,  den  er  wohl  der  Verbindung  mit  As- 
syrien verdankt. 


')  Dies  viel  umstrittene  Land  ist  identisch  mit  dem  „Gebirge 
Muzri"  (Djebel  Maklub),  an  dessen  Fuß  Sargon  seine  Stadt  (Khorsabad) 
erbaut  hat. 

^)  rsp.  Karachardas:  weiteres  s.  o.  S.  156  Anm.  Die  Regierungs- 
zahlen sind  von  Kurigalzu  III.  (1844 — 23)  an  erhalten,  und  dadurch  die 
Daten  von  da  an  mit  einem  Spielraum  von  2 — 8  Jahren  (je  nachdem 
man  das  Knde  der  Kossaeerdynastie  mit  Weidner  ins  J.  1171  oder  wie 
ich  ins  J.  1173  setzt)  gesichert. 


Fortschritt  der  Assyrer  gegen  Babylonien  475 

Es  ist  begreiflich,  daß  die  kossaeische  Kriegerkaste,  in 
deren  Händen  das  Regiment  im  Lande  lag,  sich  gegen  diese 
den  altererbten  Ansprüchen  widersprechende  Anlehnung  an 
Assyrien  auflehnte;  im  Jahre  1345  wurde  der  König  von 
den  Kossaeern  erschlagen  und  einer  der  Ihrigen,  Nazibugas, 
„ein  Sohn  Niemandes",  zum  Herrscher  erhoben.  Daist  As- 
suruballit  eingeschritten,  hat  den  Usurpator  beseitigt  und 
den  legitimen  Erben  Kurigalzu  III.  „den  Jungen"  auf  den 
Thron  gesetzt.  Seine  Nachfolger  haben  diese  Stellung  be- 
hauptet; als  Kurigalzu  (1344 — 23)  nach  Erfolgen  gegen  Elam 
einen  Angriff  auf  Assyrien  wagte,  wurde  er  von  Assuruballits 
Sühn  Ell'lnirari  besiegt  und  das  Land  Subari,  also  Meso- 
potamien, das  offenbar  das  eigentliche  Streitobjekt  bildete, 
zwischen  beide  Staaten  geteilt.  Ebenso  hat  Ellilniraris  Enkel 
Adadnirari  I.  den  nächsten  König,  Kurigalzus  Sohn  Nazima- 
ruttas  II.  (1322 — !21'7),  besiegt  und  jetzt  avich  die  Grenze 
östlich  vom  Tigris  bis  zum  Gebiet  der  Lulumaeer  im  Zagros- 
gebirge festgelegt. 

Auch  sonst  schreitet  die  Assyrermacht  weiter  fort,  sowohl 
gegen  die  Gebirgsstämme  in  den  Zagrosketten  wie  gegen  die 
armenischen  Gebirge^).  Dazu  kommen  immer  wieder  Kämpfe 
in    Mesopotamien.    Arikdenilu   besiegt    „das   Kriegsvolk   der 


')  Die  Königsfolge  nach  Assuruballit  (ca.  1.3=0—40)  ist:  Ellilnirari 
(—  ca.  1325),  Arikdenilu  (—  ca.  1305),  der  die  Gebirgslande  der  Gu- 
taeer  im  Osten  sowie  das  Land  Kudn  uch  unterwirft  (von  seinem  Kriegs- 
bericht sind  Reste  erhalten),  Adadnirari  I.  (—  ca  1280).  der  gleichfalls 
mit  den  Gutaeern  und  Lulumaeern  (Lulubaeern)  kämpft.  Beide  Stämme 
werden  seit  alters  oft  erwähnt  (s.  Bd.  I  3P5  u.  s.w),  die  Gutaeer  haben 
nach  dem  Untergang  des  Reichs  von  Akkad  Babjlonien  über  ein  Jahr- 
hundert lang  beherrscht.  —  Die  Gleichsetzung  von  Kudmuch  (o.  S.  134) 
oder  Katmuch  mit  Kummuch  =  Kommagene  (so  wieder  Weidner  in  der 
Übersetzung  S.  61,  14)  hat  Forrer,  Provinzeinteilung  des  assyr.  Reichs 
S.  17  f.  mit  Recht  bekämpft;  da  Salmanassars  I.  Eroberungen  sich  nach 
seiner  In^^chrift  III  18  f.  über  die  Gebirgslnnde  ,von  der  Grenze  von 
Uruatri  bis  Kuilmuch"  erstreckten,  kann  es,  da  üruatri  in  Armenien 
liegt  (s.  S.  476,  2).  nur  südöstlich  davon  gelegen  haben,  wenn  auch 
nach  Assurnasirpal  Ann.  I  73  westlich  vom  Tigris. 


476     IX.  Die  neunzehnte  Dynastie.   Ägypten  uml  das  Chetiterreich 

Achlamaeer  und  Sutü",  sein  Sohn  Adadnirari  I.  erobert  zahl- 
reiche inzwischen  wieder  verloren  gegangene  Städte  des  ehe- 
maligen Mitanireichs  bis  zum  Euphrat  bei  Karkemis  hin,  dar- 
unter die  alte  Hauptstadt  Wassuganni,  und  dringt  bis  ins  Ge- 
birge Kasijar  (Masios,  jetzt  Tür  'Abdin)  vor;  die  Gegner 
nennt  er  nach  alter  Weise  Subaraeer '). 

Sein  Sohn  Salmanassar  I.  hat  sich  dann,  nach  Nieder- 
werfung von  Aufständen  in  den  armenischen  Grenzgebirgen-), 
gegen  das  Land  Chanigalbat,  d.  i.  den  Rest  des  alten  Mitani- 
reichs, gewendet;  da  er  rühmt,  auf  schmalen  Pfaden  durch 
steile  Pässe  vorgedrungen  zu  sein,  kann  es  sich  nur  um  das 
Bergland  im  Quellgebiet  des  Tigris  bis  zum  Durchbruch  des 
Euphrat  durch  die  Tauruiskette  handeln.  Der  König  Sattuara 
fand  Hilfe  einerseits  bei  den  Achlamaeern,  andrerseits  bei  den 
Chetitern.  Die  Verbündeten  verlegten  den  Feinden  mit  einem 
starken   Heer   den   Zugang  zum    Wasser;    aber   Salmanassar 


')  In  einem  Teil  der  zahlreichen  Exemplare  dieses  Textes  fehlt 
die  Ortsliste.  Schroeder  und  Weidner  (in  seiner  Übers.  S.  XXIV  und  61) 
folgern  daraus,  diese  Städte  seien  nachher  wieder  abgefallen  (ebenso 
Kutmuch  und  Muzri,  die  in  einigen  Exemplaren  bei  den  Eroberungen  des 
Arikdenilu  und  Assuruballit  weggelassen  sind).  Wenn  man  überhaupt 
chronologische  Folgerungen  daraus  ziehen  dürfte,  würde  ich  eher  um- 
gekehrt annehmen,  daß  diese  Namen  den  weiteren  Fortgang  seiner 
Eroberungen  bezeichnen;  aber  ofl'enbar  handelt  es  sich  nur  um  eine 
kürzere  Fassung,  die  das  weitere  Detail  wegläßt. 

^)  Das  aufständische  Land,  in  dessen  Gebirgen  er  in  drei  Tagen 
acht  Kantone  unterwirft,  51  fvar.  41)  Ortschaften  zerstört  und  die  Ge- 
fangenen fortschleppt,  heißt  bei  ihm  üruatri.  Das  ist  offenbar  eine 
ältere  Form  für  Urartu,  d.  i.  das  Land  der  Alarodier  in  Armenien  (so 
auch  Weidner).  Die  angeführten  Daten  zeigen  zugleich,  daß  es  sich 
trotz  der  renommistischen  Daten  nur  um  ein  kleines  Gebiet  handelt, 
wie  so  oft.  Die  aufständische  Stadt  Arina,  die  er  dann  gründlich  zer- 
stört, kann  unmöglich,  wie  Weidner  meint,  die  Chetiterstadt  Arina 
mit  dem  großen  Sonnenheiiigtum  sein  —  dann  würde  er  ganz  anders 
davon  reden  — ,  sondern  ist  eine  kleine  Bergfestung.  Nach  Tiglat- 
pileser  I  ann.  5,  77  lag  sie  im  Lande  Muzri  am  .Fuß  des  Berges  Aisa, 
(also  nahe  bei  Ninive);  und  auch  bei  Salmanassar  folgt  die  Unter- 
werfung ,des  ganzen  Landes  Muzri"  unmittelbar  auf  die  Zerstörung 
von  Axina. 


Salmauassar  I.  gegen  Mitani  477 

wagte  mit  seinen  vom  Durst  getriebenen  Truppen  den  An- 
griff und  erfocht  einen  vollen  Sieg;  wie  Schafe,  erzählt  er, 
habe  er  die  Chetiter  und  Achlamaeer  niedergemetzelt.  Sattuara 
entkam  in  eiliger  Flucht  nach  Westen.  Über  das  besiegte  Land 
aber  ergoß  sich  die  Brutalität,  die  die  Assyrer  charakterisiert, 
in  ihrer  furchtbarsten  Gestalt:  14400  Gefangene,  so  rühmt 
er,  habe  er  geblendet  und  fortgeschleppt,  neun  Festungen 
nebst  der  Residenz  erobert,  180  Ortschaften  in  Schutthaufen 
verwandelt.  Auch  die  von  Adadnirari  I.  eroberten  Gebiete  im 
Ka§ijar  und  bis  zum  Euphrat  wurden  wieder  unterworfen  und 
ausgeplündert. 

Damit  hat  das  Mitanireich  in  Mesopotamien  sein  Ende 
gefunden.  Der  Name  Chanigalbat  ist  in  der  Folgezeit  auf  die 
Landschaft  von  Melitene  westlich  vom  Euphrat  beschränkt  \). 
wo  sich  die  Nachkommen  der  alten  Dynastie  behauptet  haben 
werden. 

Genauere  Daten  für  die  Assyrerkönige  besitzen  wir  nicht; 
aber  nach  den  Synchronismen  mit  Babylonien  fällt  Salmanas- 
sars  L  Regierung  ungefähr  1280  —  1260.  Die  Feldzüge,  von 
denen  seine  Inschrift  berichtet,  hat  er  gleich  „im  Beginn 
seines  Priestertums"  unternommen'").  Somit  kann  der  Chetiter- 
könig,  der  Chanigalbat  zu  Hilfe  kommt,  nur  Chattusil  III. 
sein").     Dadurch  fällt  weiteres  Licht    auf  seine  Beziehungen 


')  Tigletpilesar  I.  Ann.  5,  34.  Die  Könige  von  Kummuch  mit  den 
iranischen  Namen  (o.  S.  37,  1)  Kundaspi  (im  J.  8.54)  und  Kustaspi  (740) 
werden  Nachkommen  der  alten  Dynastie  von  Mitani  sein. 

-)  Auf  den  Krieg  gegen  Chanigalbat  folgt  noch  ein  Zug  gegen 
die  aufständischen  Gutaeer.  Dann  folgt  der  Bericht  über  den  Neubau 
des  Tempels  Assurs. 

^)  Daß  er  in  seiner  großen  Inschrift  davon  schweigt,  so  gut  wie 
von  dem  Kriege  mit  Ägypten,  i-t  durchaus  begreiflich.  Statt  dessen 
rühmt  er,  mit  den  üblichen  Übertreibungen,  die  Könige,  mit  denen 
seine  Vorgänger  in  guten  Beziehungen  standen,  hätten  sie  auch  mit 
ihm  bewahrt  und  ihm  Gesandte  und  Geschenke  geschickt;  die  Vasallen- 
fürsten hätten  ihm  gehuldigt,  ,was  mir  aber  Feind  war,  das  besiegte 
ich".  Aber  auch  Feinde  seiner  Vorfahren  hätten  sich  mit  ihm  ver- 
tragen [dabei  ist  offenbar  Ägypten  gemeint]. 


478     ^^-  ^iö  neunzehnte  Dynastie.   Ägypten  und  das  Chetiteireich 

zu  Babyloniea.  Er  hat  mit  Kadasmanturgu  (129G — 1280» 
Nachfolger  des  Nazimaruttas  II.)  einen  durch  Verschwäge- 
rung bekräftigten  Vertrag  geschlossen,  in  dem  sie  sich  und 
ihren  Nachkommen  gegenseitig  Hilfe  zusagten,  und  Kadas- 
manturgu  hat  sich  bereit  erklärt,  mit  seinem  Heer  an  dem 
Krieg  gegen  Ägypten  teilzunehmen^).  Dazu  ist  es  jedoch 
nicht  mehr  gekommen;  vielmehr  ist  Kadasmanturgu  bald 
darauf  gestorben,  sein  junger  Sohn  Kadasmanellil  II.  (1280  bis 
1274)  aber  hat  unter  dem  Einfluß  seines  Ministers  Ittimarduk- 
balatu  das  Kondolenzschreiben  Chattusils  unfreundlich  be- 
antwortet und  behauptet,  dieser  behandle  ihn  nicht  als 
Bruder,  sondern  als  Vasallen.  Die  Unterbrechung  des  Ge- 
sandtschaftsverkehrs entschuldigt  er  damit,  daß  die  Achla- 
maeer  feindlich  sind  und  daß  der  König  von  Assur  seine 
Boten  nicht  durchlassen  werde.  Diese  Angabe  beleuchtet  die 
Situation:  offenbar  tällt  Salmanassars  Krieg  gegen  Chani- 
galbat  und  die  Chetiter  eben  in  diese  Zeit,  ins  Jahr  1280 
oder  1279,  und  Chattusil  hat  von  Babylonien  auf  Grund  des 
Bündnisvertrags  Hilfstruppen  gefordert.  Daß  Kadasmanellil 
oder  vielmehr  sein  Minister  nach  den  Erfahrungen  seiner  Vor- 
gänger zu  einem  neuen  Kriege  gegen  Assyrien  wenig  Nei- 
gung hatte,  ist  begreiflich;  so  lehnt  er  die  Forderung  als 
demüt'gende  Zumutung  ab  und  läßt  den  Gesandtschaftsver- 
kehr einschlafen.  Er  mag  auch  daran  gedacht  haben,  den 
Krieg  zwischen  Chattusil  und  Urchitesub  für  seine  Interessen 
auszunutzen. 

Diese  Auffassung  wird  dadurch  bestätigt,  daß  Chattusil, 

')  Wir  erfahren  über  diese  Dinge  aus  einem  mehrere  Jahre  nach 
dem  Thronwechhel  und  nach  dem  Frieden  mit  Ägypten  geschriebenen 
großen  Brief  an  Kadasmanellil  II.  (Keilschr.  aus  ßogh.  I  lU),  in  dem 
Chattusil  zahlreiche  Kinzelfragen  bespricht.  Mehrere  Abschnitte  sind 
nur  in  stark  verstümmelten  Bruchstiicken  erhallen.  Übersetzung  der 
am  besten  erhaltenen  Teile  bei  Friedrich,  Aus  dem  het.  Schri  ttum 
124  ff.  (Alter  Orient  24,  8;  vorher  WlNcKL^R,  MDOG.  85,  22  f.  Weidner, 
MDOG.  5?<,  74 f.)  —  Das  ßiuchstück  eines  Briefes  Kada^manturgus  an 
Chattusil,  „nicht  viel  mehr  als  die  Eingangsformer,  erwähnt  Winckler, 
MDOG.  35,  21. 


Beziehungen  der  Chetiter  zu  Assyrien  und  Babylonien        479 

als  er  nach  längerer  Unterbrechung,  nach  dem  Frieden  mit 
Ägypten,  wieder  an  Kadasmanellil  schreibt 0,  ihm  vorhält: 
„ist  dein  Reich  so  klein?  Du  hast  ja  mehr  Pferde  als  Stroh! 
Was  ist  der  König  von  Assur,  daß  er  deinen  Boten  zurück- 
halten könnte?"  Er  freut  sich  zu  hören,  daß  sein  Bruder 
zum  Mann  geworden  sei  und  zur  Jagd  gehe;  er  mahnt  ihn, 
nicht  länger  untätig  dazusitzen,  sondern  seinen  Feind  an- 
zugreifen und  sein  Land  zu  plündern.  Das  zielt  deutlich 
auf  Assyrien.  Erfolg  hat  diese  Mahnung  freilich  nicht  ge- 
habt; das  Reich  Kardunias  war  eben  innerlich  morsch  und 
dem  aufstrebenden  Assyrien  nicht  gewachsen.  Der  junge 
König  aber  ist  schon  nach  sechsjähriger  Regierung  gestorben. 

Friedensschluß  und  Bündnis  zwischen  Ägypten  und 
dem  Chetiterreich 

Diese  Weltlage  hat  auch  auf  die  Beziehungen  zu  Ägypten 
entscheidend  eingewirkt.  Chattusil  hatte  offenbar  auch  früher 
schon  die  Kriegspolitik  seines  Bruders  nicht  geliilligt,  in  der 
richtigen  Erkenntnis,  daß  die  Kräfte  des  Reichs  ohnehin  kaum 
au.sreichten,  die  einzelnen  Gebiete  zusammenzuhalten  und  die 
fortwährenden  Raubzüge  der  Gasgaeer  abzuwehren.  Auch  in 
Ägypten  wird  man  erkannt  haben,  daß  in  dem  langen  Ringen 
die  Kräfte  erschöpft  waren  und  man  nicht  weiter  kommen 
könne.  So  ist  es  etwa  im  Jahre  1278  zum  Frieden  zwischen 
beiden  Reichen  gekommen.  Auch  Urchitesub  hat  sich  durch 
Vermittlung  des  Königs  von  Mira,  eines  Vasallen  im  süd- 
östlichen Kleinasien,  an  Ramses  gewandt  und  ihn  um  Hilfe 
gebeten;  aber  dieser  zog  es  vor,   mit  Chattusil  abzuschließen 


')  Offenbar  hat  Iltnuardukbalatu  inzwischen  das  gewöhnliche 
Schicksal  eines  Vezirs  erlebt  und  ist  von  dem  jungen  König,  als  dieser 
sich  zu  fühlen  begann,  beseitigt  worden.  Das  beweist  nicht  nur  die 
Gehässigkeit,  mit  der  Chattusil  von  dem  uralt  gewordenen  Minister 
spricht,  sondern  auch  die  Angabe,  daß  die  Schreiber,  die  angeblich 
den  früheren  Brief  Ch.ittusils  nicht  richtig  vorgelesen  haben,  jetzt 
nicht  mehr  leben,  also  beseitigt  sind. 


48 0     I^-  ß'6  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und  das  Chetiterreich 

und  auch  seiner  Bitte  um  Unterstützung,  vor  allem,  wie  vor 
alters,  mit  Gold  und  Silber  zu  willfahren^). 

Über  den  eigentlichen  Friedensvertrag  haben  wir  keine 
Kunde ^).  Er  muß  vor  allem  eine  Abgrenzung  der  Macht- 
bereiche enthalten  haben.  Damit  wird  zusammenhängen,  daß 
Chattusil  den  von  seinem  Bruder  abgesetzten  Bentesina  in 
Amurru  unter  den  alten  Bedingungen  wieder  einsetzte;  das 
ist  offenbar  eine  Konzession  an  Ägypten,  das  dafür  auf  die 
Oberhoheit  über  das  Amoriterland  und  das  Orontestal  nebst 
Qades  (Kinza)  verzichtete.  An  der  Küste  wird  der  Eleutheros 
die  Grenze  gebildet  haben. 

Für  Chattusil  war  die  Beendigung  des-  Kriegszustandes 
nur  die  Vorstufe  zu  einer  festen  Allianz  mit  Ägypten,  die 
seinem  Reich  dauernd  eine  gesicherte  Stellung  gewähren  sollte. 
Nach  längeren  Verhandlungen^)  sandte  er  die  von  ihm  ent- 


')  Brief  von  Ramses  an  den  König  von  Mira  (zur  Lage  s. Forrer, 
Forsch.  I.  76  ff.),  offenbar  von  diesem  an  das  Archiv  in  Boghazkiöi 
weitergegeben,  in  Bruchstücken  erhalten  Keilschr.  aus  Bogh.  I  24,  teil- 
weise übersetzt  von  Meissner,  ZDMG.  72,  43  f.  -58  [mit  falschem  Zitat]. 
Geschrieben  ist  der  Brief  nach  Abschluß  des  Bündnisses,  als  Ramses 
den  Urchitesub  endgültig  fallen  lassen  konnte. 

^)  Das  Bruchstück  des  Briefes  eines  Chetiterkonigs  nach  Ägypten, 
Keilschr.  aus  Bogh.  114  kann  unmöglich  in  diese  Verhandlungen  ge- 
hören, wie  Weidner,  MDOG.  58,  77  und  Meissner,  ZDMG.  72,  44  an- 
nehmen. Der  Schreiber  beschwert  sich,  daß  bei  seiner  Thronbesteigung 
die  Glückwunschgesandtschaft  mit  den  üblichen  Geschenken  nicht  er- 
folgt sei,  ist  also  nicht  Chattusil,  und  Ramses,  dessen  Name  (ver- 
schrieben Rijamaatisa)  Vs.  2.5  vorkommt,  ist  deutlich  nicht  der  Adres- 
sat. Der  Brief  wird  von  einem  Nachfolger  Chattusils,  etwa  Arnuanda  IV., 
an  Merneptali  gerichtet  sein.  Weiteres  s.  u.  S.  529. 

^)  In  diese  gehört  die  Ankunft  eines  ägyptischen  G^^andten  bei 
Chattusil,  über  die  dieser  dem  Kadasmanellil  Auskunft  gibt;  die  wei- 
teren Angaben  darüber  sind  leider  zerstört.  Die  beiden  ägyptischen 
Gesandten,  welche  die  chetitischen  (Tartesub  und  einen  zweiten  sowie 
Ra'mose,  in  dem  W.  M.  Müller  richtig  den  Dolmetscher  erkannt  hat) 
zu  Ramses  bringen,  werden  die  Verhandlungen  mit  Chattusil  geführt 
und  den  Wortlaut  mit  ihm  festgesetzt  haben.  Daß  die  Anregung  von 
Chattusil  ausgegangen  ist,  zeigt  der  gesamte  Wortlaut  der  Urkunde; 
insoweit   ist   es  berechtigt,    wenn    Ramses   im  Eingang   der  Inschrift. 


Friede  und  Bündais  zwischen  Ramses  und  Chattusil  481 

worfene  Fassung  des  Vertrages  auf  silberner  Tafel;  zur  Be- 
glaubigung war  auf  der  Vorderseite  das  Bild  des  Königs, 
den  der  Gewittergott  Tesub  umarmt,  auf  der  Rückseite  das 
der  von  der  Sonnengöttin  von  Arinna  umarmten  Königin 
Puduchepa  eingefügt.  Ramses  nahm  die  Urkunde  in  seiner 
Residenz  in  der  Ramsesstadt  in  Empfang  und  erwiderte  sie 
durch  eine  inhaltlich  identische  Ausfertigung,  in  der  die  Zu- 
sagen von  ägyptischer  Seite  den  gleichlautenden  von  der 
anderen  vorangehn;  stark  gekürzt  hat  er  nur  die  Motive, 
in  denen  Chattusil  erklärt,  daß  er  das  von  seinem  Bruder 
Muwattal  unterbrochene  Vertragsverhältnis  der  Zeit  Subbilul- 
jumas  und  Mursils  wiederherstellen  und  verbessern  will,  ge- 
mäß dem  Friedensverhältnis,  das  Re'  und  Tesub  seit  der 
Urzeit  zwischen  beiden  Ländern  geschaffen  haben.  Die  Ur- 
kunde ist  ganz  nach  dem  Muster  der  zahlreichen  chetitischen 
Verträge  aus  dieser  Zeit  abgefaßt,  nur  daß  diesmal  beide 
Staaten  vollständig  gleichberechtigt  nebeneinander  stehn. 
Zwischen  beiden  Königen  und  ihren  Nachkommen  soll  in 
Ewigkeit  Friede  und  Brüderschaft  und  ein  festes  Bündnis 
zu  Schutz  und  Trutz  bestehn.  Keiner  soll  das  Gebiet  des 
anderen  angreifen,  wohl  aber  ihm  jederzeit  beistehn  gegen 
jeden  innern  und  äußern  Feind  ^).  Es  folgen  Bestimmungen, 
daß  Flüchtlinge,  und  zwar  sowohl  vornehme  Leute  wie  ge- 

in  der  er  den  Text  veröflentlicht,  sagt,  die  Gesandten  seien  gekommen 
ihn  um  Frieden  zu  bitten.  —  Daß  der  Friedensschluß  und  die  Ab- 
grenzung der  Machtbereiche  dem  Vertrage  voranliegen  müssen,  bedarf 
keiner  Bemerkung  mehr. 

^)  Hier  unterscheidet  sich  die  ägyptische  Ausfertigung  von  der 
chetitischen  (hieroglyphischen)  dadurch,  daß  sie  die  Stellung  von  Hilfs- 
truppen fordert  und  die  zur  Wahl  gestellte  Möglichkeit,  daß  der  König 
selbst  sie  führt,  gestrichen  hat.  Der  weitere,  im  hierogl.  Text  ganz 
verstümmelte  und  daher  falsch  gedeutete  Abschnitt  ZI.  20  f.  enthält, 
wie  im  akkadischen  Exemplar,  die  eidliche  Verpflichtung,  in  ferner 
Zukunft,  wenn  der  Erbe  auf  den  Thron  gekommen  ist,  diesen  anzu- 
erkennen und  mit  aller  Kraft  gegen  aufständische  Magnaten  zu  unter- 
stützen. [ZI.  19  init.  am  Schluß  des  Abschnittes  über  die  Hilfeleistung 
ist  in  Übereinstimmung  mit  dem  von  Weidner  richtig  gedeuteten  akkad. 
Text  zu  übersetzen:  „indem  er  Vergeltung  übt  gegen  das  Chattiland'.j 
Meyer,  Geschichte  des  Altertums     H'.  31 


482     I^-  DJ6  neunzehnte  Dynastie.   Ägypten  und  das  Chetitericich 

ringes  Yolk^),  das  in  der  Fremde  Dienste  sucht,  nicht  auf- 
genommen werden  dürfen,  sondern  zurückgeliefert  Averden 
müssen.  Im  chetitischen  Exemplar  ist  dann  hinter  der  ganz 
nach  chetitischem  Muster  gestalteten  Anrufung  aller  Götter 
beider  Länder  (darunter  auch  der  von  Kizwatna,  der  Heimat 
der  Königin)  noch  ein  Nachtrag  zugefügt,  der  bestimmt, 
daß  solche  Flüchtlinge  und  ihre  Familien  nach  der  Rück- 
lieferung in  keiner  Weise  verfolgt  und  weder  ihr  Vermögen 
konfisziert  noch  sie  getötet  oder  irgendwie  verstümmelt  wer- 
den dürfen.  Da  gewinnt  man  einen  Einblick  in  die  Ver- 
handlungen: die  Forderung  ist,  ihrer  schon  im  Gesetz  des 
Telibinus  (o.  S.  28)  scharf  hervortretenden  rechtlich-humanen 
Gesinnung  entsprechend,  von  den  Chetitern  gestellt  und  von 
den  Ägyptern  erst  nach  langem  Sträuben  bewilligt  worden. 
Ramses  hat  sie  dann  angenommen  und  in  seiner  Ausfertigung 
gleich  an  der  richtigen  Stelle  eingefügt^). 

Dies  Bündnis,  geschlossen  um  1278,  das  die  vorderasiati- 
sche Welt  in  zwei  friedlich  nebeneinander  stehende  Macht- 
sphären teilte,  hat  dauernden  Bestand  gehabt.  Eine  rege 
Korrespondenz,  von  der  in  Boghazkiöi  einige  Bruchstücke  er- 
halten sind,  entwickelte  sich  zwischen  den  Königen,  wie  in 
der  Amarnazeit;   auch  die  Königinnen,  Nofret'ari   (Naptera) 

'j  , Leute,  die  man  nicht  kennt",  wie  in  babylonischen  und  assyri- 
schen Texten  ,, Söhne  Niemandes*  im  Gegensatz  zu  dem  auch  in  Ägypten 
geläufigen  ,Sohn  einer  Person". 

^)  Der  Vertrag  ist  von  Ramses  auf  Grund  des  chetitischen  Exem- 
plars in  hieroglyphischer  Übersetzung  in  Karnak  und  im  Ramesseum 
(hier  nur  in  Fragmenten)  aufgestellt.  Grundlegende  Bearbeitung  (nach 
Bouriant)  von  W.  M.  Müller,  Mitt.  Vorderas.  Ges.  1902,  .5;  ferner 
Breasted,  Rec.  III  367  tf.  Die  ägyptische  Ausfertigung,  in  akkadischer 
Sprache,  ist  in  Boghazkiöi  in  mehreren  durchweg  unvollständigen  Exem- 
plaren erhalten;  bearbeitet  von  Meissner,  Ber.  Berl.  Ak.  1917,  282  und, 
mehrfach  verbessert  und  mit  Hinzuziehung  der  Bruchstücke  der  Rück- 
seite, von  Weipner,  Bogh.  Stud.  9,  112  ff.  (1923),  der  die  sorgfältige 
Bearbeitung  beider  Texte  durch  Gardiner  und  Langdon,  J.  Eg.  Arch.  VI 
1920,  179  ff.  für  den  akkadischen  in  einigen  Stellen  berichtigt.  Beide 
Texte,  soweit  damals  vorliegend,  auch  bei  Roeder,  Ägypter  und  Che- 
titer.  Alter  Orient  20.  1919. 


Ehebündnis  zwischen  Ramses  und  den  Chetitern  483 

von  Ägypten  und  Putuchepa  von  Chatti,  wechselten  höfliche 
Schreiben  mit  warmen  Erklärungen  ihrer  Zuneigung  und  ihrer 
Freude  über  „den  schönen  Frieden  und  die  schöne  Brüder- 
schaft", die  jetzt  dauernd  begründet  war.  Noch  enger  ge- 
stalteten sich  die  Beziehungen,  als  Chattusil  sich  im  34.  Jahr 
des  Ramses  (um  1265  v.  Chr.)  entschloß  —  offenbar  nach 
dem  Tode  der  Nofret'ari  — ,  seine  älteste  Tochter  mit  reicher 
Mitgift  dem  Pharao  als  Gemahlin  zu  senden.  Ramses  stellt 
das  in  einer  großen,  an  zahlreichen  Stellen  aufgestellten 
Inschrift  1)  als  Ergebnis  der  Notlage  des  Chetiterreichs  dar, 
dem  sein  Gott  Tesub  —  von  den  Ägyptern  durchweg  Seth 
genannt  —  zürnte  und  ununterbrochene  Dürre  sandte  („nicht 
gibt  der  Himmel  Wasser  auf  uns");  vergeblich  habe  Chattu- 
sil eine  Gesandtschaft  nach  der  anderen  an  Ramses  geschickt, 
um  einen  gnädigen  Frieden  zu  erhalten,  dieser  habe  nicht 
auf  ihn  gehört,  bis  er  den  letzten  ihm  noch  gebliebenen  Aus- 
weg ergriff,  „auf  daß  er  uns  Frieden  gebe  und  wir  leben". 
Das  sind  maßlose  Übertreibungen,  wie  sie  die  Ägypter  liebten 
und  wie  sie  sich  in  den  Inschriften  des  Ramses  ständig  weiter 
ins  Ungemessene  steigern.  Im  Fortgang  seiner  Darstellung 
schlägt  er  denn  auch  einen  wesentlich  anderen  Ton  an.  Er 
ist  ebenso  wie  seine  Untertanen  hocherfreut  „über  solche  un- 
erhörten  Dinge" ;  er  betet  zu  Seth  (Tesub)  um  Zurückhaltung 

')  Früher  war  nur  das  vielfach  beschädigte  Exemplar  von  Abu- 
simbel  bekannt,  bearbeitet  von  Breasted,  Reo.  III  415  fiF.  Jetzt  sind 
weitere  Exemplare  in  Karnak  und  Elephantine  zutage  gekommen,  aus 
denen  Kuentz,  Ann.  du  Serv.  25,  192.5,  181  flP.,  den  Text  fast  vollständig 
hergestellt  und  vortrefflich  bearbeitet  hat.  —  Eine  Vermutung  von 
KüENTZ  weiter  ausführend  hat  Sethe,  Deutsche  Lit.  Z.  1926,  S.  1873  ff.. 
aus  dem  Text  einen  zweiten  siegreichen  Feldzug,  nach  der  Schlacht 
bei  Qades  und  dem  Frieden  des  J.  21,  konstruiert,  der  durch  diese 
Vermählung  beendet  sei,  von  dem  aber  in  den  zahllosen  Denkmälern 
Ramses'  IL  mit  keinem  Wort  oder  Bild  die  Rede  ist.  Er  hat  seltsamer- 
weise nicht  erkannt,  daß  der  Sieg,  den  Ramses  ,ganz  allein"  erkämpft  und 
durch  den  er  sich  „einen  Namen  für  die  Ewigkeit  schuf,  kein  anderer 
ist  als  die  Schlacht  bei  Qades,  und  hat  die  Phrasen  mit  ihren  maß- 
losen Übertreibungen  der  Erfolge  und  der  Notlage  des  ChetiterreichE 
fälschlich  für  geschichtliche  Wahrheit  genommen. 


484     I^-  ^^^  neunzehnte  Dynastie.    Ägypten  und  das  Chetiterreich 

von  Schnee  und  Regen,  und  sendet  seine  Magnaten  und  sein 
Heer  den  Gästen  nach  Phoenikien  (Zahi)  an  die  Grenze  seines 
Reichs  entgegen.  Bei  schönstem  Wetter  treffen  sie  ein,  alle 
Welt,  einschließlich  der  ägyptischen  Vasallen,  jubelt  über 
das  große'  Wunder,  die  ägyptischen  Truppen  schmausen  und 
zechen  einträchtiglich  mit  den  chetitischen  (den  tiihir)  zu- 
sammen. So  triflFt  die  Prinzessin  im  Januar  (Phamenoth)  seines 
34.  Jahres  in  der  Ramsesstadt  ein  und  wird  hier  unter  dem 
Namen  Maatnofrure'  „die  die  Schönheit  des  Sonnengottes 
schaut"  zur  legitimen  Königin  erhoben. 

Obwohl  der  Text  davon  schweigt,  wird  man  doch  nicht 
bezweifeln,  daß  der  Wunsch,  das  Ehebündnis  zu  schließen, 
von  Ramses  ausgegangen  ist:  er  erneuert  dadurch  das  Ver- 
hältnis, in  dem  ehemals  seine  Vorgänger  zu  den  verbündeten 
Dynastien  gestanden  hatten  und  durch  das  damals  der  Vor- 
rang Ägyptens  offiziell  anerkannt  war.  Insofern  durfte  er 
.die  Ehe  als  einen  großen,  ihm  von  den  Göttern  gewährten 
Erfolg  betrachten.  Aber  ein  tiefgreifender  Unterschied  be- 
steht trotzdem:  während  ehemals  die  fremden  Prinzessinnen, 
mochte  ihre  Ankunft  auch  so  freudig  bekannt  gegeben 
werden  wie  von  Amenophis  III.  die  der  Giluchepa  von  Mi- 
tani,  doch  tief  unter  der  allein  die  königlichen  Ehren  teilen- 
den offiziellen  Ehegattin  des  Pharao  aus  ägyptischem  Ge- 
blüt standen,  wird  jetzt  die  chetitische  Prinzessin  als  „große 
königliche  Gemahlin  und  Herrin  der  beiden  Lande"  an- 
erkannt und  auf  den  Denksteinen  des  Königs  neben  ihm  dar- 
gestellt^). 

*)  x\n  diese  Ehe  knüpft  eine  zu  Ehren  des  Gottes  Chons  von 
Theben  erfundene  Legende,  die  etwa  in  persischer  Zeit  aufgezeichnet 
ist  (die  „Bentreschstele"  des  Louvre,  Erman,  ÄZ.  1883,  .54  ff.  Breasted, 
Rec.  III  429  ff.),  die  erzählt,  wie  König  Ramses  II.  (dessen  Titel  mehr- 
fach entstellt  sind  und  den  Lepsius  daher  zu  einem  Ramses  XII.  ge- 
macht hat)  auf  seinem  jährlichen  Feldzug  nach  Naharain  die  schöne 
Tochter  des  Fürsten  von  Rechten  heiratet  und  unter  dem  Namen 
Nofrure'  zur  Königin  erhebt.  Als  dann  deren  Schwester  Bentresch 
von  einem  bösen  Geist  besessen  wurde,  entsendet  auf  Bitten  des  Pharao 
der  Gott  Chons,  der  als  der  „schön  Ruhende"  in  Theben  sitzt,  seinen 


Ehe  Ramses'  II.  mit  der  Tochter  Chattusils  485 

So  geschah  es,  wie  Ptah  von  Memphis,  der  Urvater  der 
Götter,  seinem  Sohn  ausspricht,  den  er  als  Widder  von  Men- 
des  im  Leibe  seiner  Mutter  gebihlet  hat,  „was  unerhört  ist 
seit  der  Götterzeit  und  nicht  berichtet  in  der  geheimnisvollen 
Chronik  im  Bücherhause  seit  der  Zeit  des  Re'  bis  auf  dich, 
daß  Chatti  und  Ägypten  eines  Herzens  sind".  Durch  die  engen 
Beziehungen  gestaltetesich,  wie  die  Inschrift  am  Schluß  her- 
vorhebt, der  Handelsverkehr  zwischen  beiden  Reichen  immer 
enger.  „Wenn  ein  Mann  oder  eine  Frau  in  ihren  Geschäften 
nach  Phoenikien  (Zahi)  gingen,  konnten  sie  ohne  Furcht  in 
ihrem  Herzen  ins  Chattiland  gelangen,  infolge  der  Größe  des 
Sieges  seiner  Majestät." 


aktiven  Doppelgänger,  ,Chons  den  Plänemacher",  der  die  Reise  nach 
Rechten  in  1  Jahr  5  Monaten  zurücklegt,  den  Geist  austreibt,  und 
dann,  als  man  ihn  festhalten  will,  durch  AVunder  seine  Rücksendung 
erzwingt.  Das  ist  ein  Gegenstück  zu  der  Entsendung  der  Istar  von 
Ninive  zur  Heilung  Amenophis'  III.  oben  S.  .Sn6.  —  Auf  der  Stele  von 
Abusimbel  ist  Chattusil  nebst  seiner  Tochter  dargestellt,  wie  sie  Ram- 
ses begrüßen.  Daraus  hatte  man  früher  fälschlich  gefolgert,  daß  er  seine 
Tochter  selbst  überbracht  habe.  Vgl.  jedoch  unten  S.  495,  1. 


X.  Die  Kultur  der  Ramessidenzeit 

Die  untertänigen  Gebiete.    Der  Verl;ehr 

Mit  dem  Chetiterfrieden  endet  die  zweite  Epoche  der 
ägyptischen  Eroberungen.  Fortan  beschränken  sich,  wie  ehe- 
mals Amenophis  III.,  so  jetzt  auch  Ramses  IL  und  seine 
Nachfolger  darauf,  das  Gewonnene  festzuhalten  und  für  die 
Zwecke  des  Reichs  auszunutzen.  Über  die  Organisation  feh- 
len genauere  Angaben;  doch  wird  man  nicht  zweifeln,  daß 
das  Abgabensystem  und  ebenso  die  Stellung  der  Vasallen- 
fürsten so  geblieben  ist,  wie  sie  Thutmosis  III.  gestaltet 
hatte.  An  lokalen  Unruhen  wird  es  natürlich  kaum  je  ge- 
fehlt haben.  In  Palaestina  machten  die  Beduinen  (Sos)  fort- 
während zu  schaffen.  Einer  dieser  aus  dem  Osten  einge- 
drungenen Wüstenstämme,  der  Stamm  Israel,  hatte  sich  in 
dem  bisher  wenig  besiedelten  Waldgebirge  Ephraim  \)  fest- 
gesetzt und  wird  hier  geduldet,  wird  aber  oft  genug  unbot- 
mäßig gewesen  sein :  Ramses'  Sohn  Merneptal.i  rühmt  in  einer 
Prunkinschrift,  in  der  er  die  von  ihm  bezwungenen  Gebiete 
Palaestinas  aufzählt  (s.  u.  S.  577):  „Israel"  —  durch  das  De- 
terminativ als  Stammname  bezeichnet  • —  „ist  verwüstet  und 
hat  keinen  Samen  (d.  i.  Nachkommen)"  —  die  einzige  Er- 
wähnung der  Israeliten  in  den  Denkmälern  dieser  Epoche 
und  zugleich  der  entscheidende  Beweis,  daß  sie  damals  längst 


*)  Vgl.  0.  S.  U6.  Ephraim  ist  ein  echter  Lokalnanie,  nicht  ein 
Stammesname  (das  zugehörige  Ethnikon  ist  Ephrati)  und  bezeichnet 
das  Gebirgsland  etwa  von  Rama  und  Bet-el  an  (zwischen  ihnen  liegt  der 
Ort  Ephrat  mit  dem  Grabe  Rachels,  Gen.  H-i),  16  ff.  =  48,  7.  Sam.  I 
10,  2,  vgl.  meine  Israeliten  273,  in  den  späten  Glossen  fälschlich  mit 
Betlehem  identifiziert).  Die  israelitische  Überlieferung  kann  erst  im 
nächsten  Bande  besprochen  werden. 


Palaestina  und  die  Ostgreaze.    Städte  im  Wadi  Tumilät       487 

im  Lande  saßen  V).  Andere  Raubscharen  werden  von  Osten 
und  Süden  immer  wieder  eingefallen  sein;  wie  unsicher  die 
Straßen  im  Gebirge  sind  und  wie  der  dorthin  gesandte  Offi- 
zier oft  genug  Überfällen  der  Beduinen  (Sos)  ausgesetzt  ist, 
wird  in  einem  Literaturwerk  dieser  Zeit  anschaulich  ge- 
schildert^). Im  Tempel  von  Bet  el  Wali  ist  ein  Sieg  Ramses'  II. 
über  sie  abgebildet,  und  eine  gleichartige  Darstellung,  von 
der  ein  kleiner  Rest  erhalten  ist,  befand  sich  an  der  Süd- 
wand des  Säulensaals  von  Karnak^).  Eine  Inschrift  rühmt, 
Kamses  II.  habe  „im  Lande  der  Sos  ein  großes  Gemetzel  an- 
gerichtet, ihre  Berglande  erobert  und  in  <ihren>  Festungen 
Bauten  auf  seinen  Namen  aufgeführt').  Daneben  wurde 
friedlichen  Scharen,  wie  ehemals  unter  Haremhab  und  wie 
schon  im  Mittleren  Reich  (Bd.  I  289),  gestattet,  sich  mit  ihren 
Herden  in  den  Grenzgebieten  niederzulassen.  Dafür  kam  vor 
allem  das  Wadi  Tumilät  in  Betracht,  das  sich  vom  Delta  her, 
aus  der  Gegend  von  Bubastis,  als  ein  schmaler  Streifen  Kultur- 
landes durch  das  niedrige  Wüstenplateau  bis  zum  Timsähsee 
auf  dem  Isthmus  hinzieht  und  durch  das  ein  Schiffahrtskanal 
bis  zum  Roten  Meer  angelegt  war  (o.  S.  117).  Ramses  II. 
Jiat  dies  Gebiet  weiter  erschlossen  und  hier  mehrere  ansehn- 
liche   Festungen    erbaut,    so    in    der   Mitte  Teil  er  Retäbe''). 


')  Der  israelitischen  Überlieferung  ist  die  Erinnerung  an  diese 
Vorgänge  ebenso  vollständig  entschwunden  wie  z.  B.  der  germanischen 
Sage  die  an  die  Kämpfe  mit  den  Römern. 

*)  Pap.  Anast.  L  bei  Erman,  Äg.  Lit.  S.  287.  288.  290. 

»)  Bet  el  Wali:  Phot.  182—184.  Karnak:  Phot.  .828  (gefangene 
Beduinen  unter  den  Pferden  des  Königs). 

*)  Pktrie,  Hyksos  and  Israelite  cities  pl.  28  =  31  (dazu  das  Relief 
pi.  29,  30),  vgl.  Gardiner,  J.  Eg.  Arch.  V  267,  1.  de  Rouge  Inscr.  hier. 
67  ZI.  6.    Ähnlich  '.n  der  Inschrift  von  Tans. 

^)  Petrie's  Annahme,  dies  sei  die  Ramsesstadt,  ist  von  Gardiner 
widerlegt  (s.  o.  S.  454,  1),  der  im  J.  Eg.  Arch.  V  (speziell  266  ff.)  die  topo- 
graphische Frage  mustergültig  behandelt  hat.  Danach  ist  auch  die  im 
übrigen  grundlegende  Arbeit  von  Küthmann,  Die  Ostgrenze  Ägyptens. 
Berlin  1912,  zu  berichtigen.  Die  Ruinen  von  Teil  el  Mas-chuta  .sind  von 
Navili.e.  The  Store-City  of  Pithom,  1885  aufgedeckt. 


488  X.  Die  Kultur  der  Ramessiilenzeit 

aus  dessen  Tempelruinen  die  angeführte  Inschrift  stammt, 
wahrscheinlich  die  Stadt  Pitom  („Haus  des  Atum"),  weiter 
östlich,  bei  Teil  el  Mas-chuta,  Sukkot  (äg.  Zeku).  Ein  in  einer 
Briefsammlung  erhaltenes  amtliches  Schreiben  aus  der  Zeit 
Merneptahs  berichtet,  daß  Beduinenstämmen  (Sos)  von  Edom 
—  das  einzige  Mal,  daß  dieser  Name  in  den  ägyptischen  Texten 
vorkommt  —  „der  Durchzug  durch  die  Festung  Merneptahs 
in  Sukkot  nach  den  Teichen  von  Pitom  Merneptahs  in  Sukkot 
gestattet  ist,  damit  sie  und  ihre  Herden  auf  dem  Gehöft  des 
Pharao  ihr  Leben  fristen  können"  ^).  Gleichartige  Vorgänge 
bewahrt  die  israelitische  Sage  von  der  durch  Hungersnot  her- 
beigeführten Ansiedlung  ihrer  Ahnen,  Abrahams  und  Israels 
mit  seinen  Söhnen  —  beide  Erzählungen  sind  ursprünghch 
Dubletten  —  in  Ägypten.  Der  Elohist,  der  einige  Anschauung 
von  Ägypten  besitzt,  läßt  sie  daher  als  Fronarbeiter  die  „ Ma- 
gazinstädte"  Pitom  und  Ramses  erbauen  und  nennt  Sukkot  als 
erste  Station  beim  Auszug  aus  Ramses^).  Die  Landschaft, 
in  der  sie  angesiedelt  werden,  nennt  er  Gosen,  ein  Name, 
der  wohl  sicher  dem  der  Stadt  Gesem,  der  Hauptstadt  des 
20.  Gaus  im  östlichen  Delta  am  Eingang  des  Wadi  Tümilät, 
entspricht^),  und  hier  zur  Bezeichnung  dieser  ganzen  Land- 
schaft dient. 


')  Pap.  Anast.VI4,  13  ff.  Breasted,  Rec.  III  636  f.,  vgl.  o.  S.  98,  3. 
Beide  Orte  sind  hier  nach  dem  regierenden  König  benannt,  wie  so  oft; 
unter  Ramses  würde  natürlich  dessen  Name  dastehn.  Die  Stelle  zeigt 
deutlich,  wie  Gardiner  erkannt  hat,  daß  Sukkot  (Zeku)  sowohl  der  Name 
der  Landschaft  wie  der  der  Grenzfestung  ist,  deren  Mauern  in  Teil 
el  Maschuta  erhalten  sind,  und  daß  Pitom  (ndtouixo?  Herod.  II  158,  am 
Kanal)  nicht  ein  zweiter  Name  desselben  Ortes  ist,  sondern  weiter 
landeinwärts  liegt.  In  griechisch-römischer  Zeit  heißt  er  Heropolis, 
und  dies  lag  nach  Angabe  eines  in  Teil  el  Maschuta  gefundenen 
Meilensteins  8  römische  Meilen  (östlich)  von  diesem  an  der  Straße 
nach  Klysma  -  Suez.  Das  stimmt,  wie  Gardiner  hervorhebt,  genau  zu 
dem  Abstand  von  Teil  er  Retäbe. 

*)  Das  hat  dazu  geführt,  daß  man  Ramses  fälschlich  im  Wadi 
Tümilät  gesucht  hat  (s.  o.  S.  454). 

3)  Naville,  Goshen  and  the  shrine  of  Saft  el  Henneh,  1887.  Es  ist 
der  Sitz    des  I.Ior-Sopd,    des  ,Herrn    des   Ostlandes" ;    der   Nomos  und 


Die  Ostgrenze.    Ägyptische  Denkmäler  in  Palaestina  489 

Wie  hier,  wird  auch  an  der  Hauptstraße  nach  Asien  in  Sile 
scharfe  Grenzwacht  gehalten;  aus  der  Zeit  Merneptahs  (J.  3) 
ist  uns  ein  Bruchstück  des  Tagebuchs  eines  hier  stationierten 
Beamten  erhalten,  der  die  durchpassierenden  Offiziere  und 
Beamten  und  die  Briefe  registriert,  die  sie  an  den  Hof  oder 
an  die  Festungskommandanten  in  Syrien  mit  sich  führen^). 
Daß  Auswanderung  nicht  gestattet  war  und  die  Flüchtlinge, 
die  in  der  Fremde  ein  Unterkommen  suchten,  zurückgeliefert 
werden  mußten,  haben  wir  beim  Vertrage  mit  Chattusil  gesehn, 
ebenso  aber,  daß  sich  ein  reger  Geschäftsverkehr  wie  inner- 
halb des  Reichs  so  mit  den  Nachbarstaaten  entwickelte,  wie 
mit  dem  Chetiterreich,  so  natürlich  auch  mit  Babylonien  und 
Assyrien.  In  den  Phoenikerstädten  wird  sich  mit  dem  Handel 
der  Wohlstand  ständig  gehoben  haben  und  damit  der  Grund 
für  ihren  gewaltigen  Aufschwung  in  der  folgenden  Epoche 
gelegt  worden  sein^).  In  Palaestina  hat  das  Pharaonenreich 
eine  lebhafte  Kulturtätigkeit  entwickelt.  Wie  Sethos  hat  auch 
Ramses  am  Tempel  in  Betsean  gebaut,  und  in  seinem  34.  Jahre, 
also  zur  Zeit  des  Ehebündnisses  mit  der  Tochter  Chattusils,  hier 
einen  Denkstein  errichtet,  auf  dem  er  dem  Amon  —  der  offen- 
bar auch  hier  eine  Kultstätte  erhielt  —  Prunkgefäße  darbringt. 
Nicht  weit  von  dem  Denkstein  seines  Vaters  im  Haurän,  bei 
Sech  Sa'd  in  der  Gegend  von  'Astarot,  hat  sich  ganz  ver- 
wittert  ein  großer  Basaltblock  erhalten,    der  sog.  Hiobstein, 


seine  Hauptstadt  heißen  später  Arabia,  und  diese  hat  sich  mit  dem  als 
Phakusa,  jetzt  Fäqüs  erhaltenen  Namen  weiter  nach  Norden  verschoben. 
Gardiner,  J.  Eg.  Arch.  V  218  ü'.  bezweifelt  die  Identität  und  die  Lesung 
des  Ortsnamens  als  Cjsm  (so  richtiger  als  Qsm,  in  LXX  reosfji  ganz 
korrekt  wiedergegeben),  die  er  durch  Ssmt  ersetzen  will,  m.  E.  mit 
Unrecht. 

')  Pap.  Anast.  III  verso  6  u.  5,  Breasted,  Rec.  III  G29  ü'.  Erman- 
Ranke,  Ägypten  64-5,  auf  einem  Blatt,  das  der  Schreiber  Paibasa  bei 
der  Zusammenklebung  der  Schriftrolle  für  seine  Musterschrift  ver- 
wendet hat.  —  Vgl.  weiter  unten  S.  .578,  1. 

')  Da  es  zum  mindesten  höchst  unsicher  ist,  ob  die  phoenikische 
Bachstabenschrift  schon  in  diese  Epoche  hinaufreicht  (o.  S.  453,  2),  kön- 
nen wir  darauf  erst  im  nächsten  Bande  eingehn. 


^90  X.  Die  Kultur  der  Kaiuessidenzeit 

auf  dem  er  eine  einheimische  Gottheit  mit  undeutbarem  Namen 
verehrt^).  Gleichartige  Denkmäler  und  StUdtebauten,  die  sich 
unter  Merneptah  weiter  fortsetzen,  hat  es  in  Palaestina  ge- 
wiß vielerorts  gegeben. 

Auf  dem  Mittelmeer  besaß  das  Keicli  eine  ansehnliche 
Handels-  und  Kriegsflotte,  mit  dem  Haupthafen  in  der  Ramses- 
stadt-),  und  ein  reger  Seeverkehr  bestand  wie  mit  den  asiati- 
schen Küsten  so  mit  der  ägaeischen  Welt.  Mykenische  Ge- 
fäße sind  fortdauernd  in  Phoenikien  und  Palaestina  und  in 
stets  steigendem  Maße  in  Ägypten  importiert  worden,  wo  sie 
in  ähnlicher  Weise  beliebt  waren  und  daher  auch  vielfach 
nachgeahmt  wurden,  wie  die  chinesischen  im  18.  Jahrhundert 
in  Europa^).  Dagegen  haben  sich  die  Namen  der  Pharaonen 
der  neunzehnten  Dynastie  in  der  ägaeischen  Welt  nirgends 
gefunden,  wie  denn  auch  diese  Gebiete  selbst  in  den  renom- 
mistischen Inschriften  Ramses'  H.  nicht  mehr  erwähnt  wer- 
den. Die  nahen  politischen  Beziehungen  in  der  Blütezeit 
Kretas  sind  seit  dessen  Fall  gelockert,  Gesandtschaften  mit 
Geschenken,  wie  unter  Thutmosis  HL,  kamen  nicht  mehr  vor. 
Wohl  aber  zeigt  der  schon  erwähnte  Piratenzug  der  Serdana, 
daß  die  Verhältnisse  .sich  geändert  haben:  die  Seevölker  ha- 
ben sich  fühlen  gelernt  und  die  Vorstöße  Europas  gegen  den 
Orient  beginnen. 

Sehr  auffallend  ist.  daß  auch  von  Punt  unter  Sethos 
und  Ramses  niemals  die  Rede  ist,  auch  nicht  in  den  verherr- 
lichenden Prunkinschriften;  denn  daß  sie  in  den  stereotypen 
Völkerlisten  neben  afrikanischen  Stämmen  nach  wie  vor  ge- 


')  Schumacher,  Z.  D.  Pal.  Ver.  14,  14'J  f.  P]uM.\s  ebenda  1-5,  205  ff- 
iind  ÄZ.  31,  100.  Zusammenstellung  der  Denkmäler  beider  Könige 
bei  Gressman.n,  Altor.  Bilder  ^  no.  90  f.  97  f.  103. 

2)  „Die  Schifi'e  der  Stadt  fahren  ab  und  landen"  ;  sie  ist  die 
Stätte,  „wo  man  deine  (des  Königs)  Fußtruppen  mustert,  wo  deine 
Schiffstruppe  landet,  wenn  sie  dir  Gaben  bringt",  Pap.  Anast.  III  2. 
III  7,  Erman,  Äg.  Lit.  261.  340,  Gardiner,  .J.  Kg.  Arch.  V  185  f.  252. 

')  Nachahmungen  mykenischer  Bügelkaunen  sind  im  Grabe  Ram- 
ses' III.  dargestellt :  Fremdvölkerphot.  809.  642  f.  =  Fimmen,  Kretisch- 
myk.  Kultur  20s  f.  Abb.  202.  203. 


Seeverkehr.    Punt.    Fremde  Elemente  in  Ägypten  491 

nannt  werden,  beweist  natürlich  garnichts.  Handelsfahrten 
auf  dem  Roten  Meer  wird  es  auch  jetzt  gegeben  haben,  wenn 
auch  mit  vielfachen  Unterbrechungen;  und  man  kennt  und 
iireist  in  Ägypten  nach  wie  vor  den  Weihrauch  und  die  Bal- 
same von  Punt  und  weiß  auch,  daß  das  große  Meer,  auf  dem 
man  nach  Punt  fährt,  bis  zur  Euphratmündung  reicht^),  wenn 
man  auch  die  Seefahrten  wohl  nie  bis  dahin  ausgedehnt  haben 
wird.  Aber  die  Tribute  von  Punt,  die  noch  Haremhab  er- 
halten hat,  sind  jetzt  schwerlich  noch  eingegangen;  erst 
liamses  HI.  hat  wieder  eine  Expedition  dorthin  entsandt. 

Sowohl  durch  die  Kriege  wie  durch  den  andauernden 
Verkehr  sind  ununterbrochen  fremde  Volkselemente  ins  Nil- 
tal eingeströmt,  teils  als  Kriegsgefangene,  die  den  Göttern 
oder  den  Soldaten  und  Magnaten  als  Sklaven  überwiesen  wur- 
den, teils  als  Händler  und  Söldner  und  auch  als  Ansiedler, 
wie  die  Beduinen  im  Wadi  Tümihit:  in  der  Ramsesstadt,  in 
Memphis,  und  gewiß  auch  in  anderen  Städten  entstehn  ganze 
Quartiere  dieser  kana'anaeisch-phoenikischen  Zuwanderer,  die 
ihre  heimischen  Gottheiten  mitbringen.  Physisch  erfährt  da- 
durch die  Rasse  eine  stets  wachsende  Beimischung  fremden 
Bluts,  von  Süden  her  mit  Bedja  und  Negern  —  auch  die 
Mumie  Sethos'  I.  zeigt  nubische  Züge  — .  von  Westen,  in  der 
Folgezeit  immer  mehr  anwachsend,  mit  Libyern,  von  Osten 
mit  Semiten;  geistig  dagegen  hat  das  Ägyptertum  mit  seiner 
altgefesteten  Kultur  sich  diese  fremden  Elemente  assimiliert. 
Aber  ununterbrochen  strömen  in  diese  Kultur  mit  den  Waren 
und  Industrieprodukten  des  Auslandes  auch  fremde  Anschau- 
ungen ein,  vor  allem  aus  der  semitischen  Welt.  Eine  wirk- 
liche Kunst  freilich  gab  es  in  Phoenikien  und  Palaestina 
nicht,  sondern  nur  eine  handwerksmäßige  Technik;  daher 
reicht  die  von  hier  kommende  Einwirkung  in  keiner  Weise  an 
die  schöpferische  Einwirkung   heran,    welche    die  Berührung 

*)  Im  großen  Harrispapyrus  77,  9,  bei  Ramses'  III.  Expedition 
nach  Punt,  heißt  es  „das  große  Meer  des  verkehrten  Wassers",  d.  h. 
des  Euphrat,  der  ja  naturwidrig  in  entgegengesetzter  Richtung  üießt 
wie  der  Nil,  s.  Breasted.  Rec.  IV  407. 


492  -^^  ^'^*^  Kultur  der  Ramessidenzeit 

mit  der  kretischen  Kultur  unter  der  achtzehnten  Dynastie 
gebracht  hatte.  Äußerlich  jedoch  tritt  sie  weit  stärker  her- 
vor. Kana'anaeische  Wörter  dringen  in  Masse  ins  Ägyptische 
ein,  nicht  nur  für  die  von  dort  bezogenen  Waren  und  Waf- 
fen, Roß  und  Wagen,  Streitaxt  und  Panzer,  sondern  ebenso 
z.  B.  der  semitische  Friedensgruß  haUhn  oder  die  Bezeichnung 
der  Jungmannschaft  (S.  430.  462);  neumodische  Schriftstücke 
und  Literaturwerke  erAveisen  durch  solche  fremden  Wörter  und 
Phrasen,  daß  sie  wirklich  auf  der  Höhe  des  Zeitgeschmacks 
stehu.  Semitische  Götter  finden  in  stets  wachsender  Zahl  Auf- 
nahme in  das  ohnehin  immer  unabsehbarer  anschwellende 
ägyptische  Pantheon,  so  Qades  (o.  S.  101)  und  die  Kriegs- 
gottheiten Resep  und  'Anat  (o.  S.  457,  2),  nach  der  z.  B.  Ram- 
ses  IL  nicht  nur  Rosse  und  Hunde,  sondern  auch  seine  Tochter 
Bent'anat  benennt,  sowie  eine  berittene,  mit  Lanze,  Helm  und 
Schild  bewehrte  Göttin  'Asit^).  Ba'al  erscheint  ganz  als  Äqui- 
valent des  Seth,  des  Gottes  des  Auslandes,  dessen  seit  der 
Hyksoszeit  verfallener  Kult,  wie  der  von  ihm  abgeleitete  Name 
des  Königs  Sethos  (Seti)  zeigt,  im  Königshause  lebendig  war 
und  jetzt  in  den  Deltastädten  wieder  eifrig  gepflegt  wird,  so 
in  dem  von  Ramses  IL  neu  aufgebauten  und  mit  Tempeln 
geschmückten  Tanis.  Kaum  weniger  tritt  Astarte  hervor,  die 
große  Göttin  des  Geschlechtslebens  und  der  Fruchtbarkeit;  in 
Memphis  erhält  sie  im  Semitenquartier  südlich  vom  Tempel 
des  Ptah  einen  Tempel  und  gilt  daher  als  dessen  Tochter;  eine 
in  einigen  Bruchstücken  erhaltene  Legende  erzählt,  wie  sie 
nach  Ägypten  geht,  um  hier  ihren  Kult  zu  begründen,  und 
die   Götterneunheit   sie  huldigend    aufnimmt^').     Welche   Be- 


')  In  dem  Wüstentempel  von  Redesie  LD.  III  138a,  Fremdvölker- 
phot.  120,  unter  Sethos,  wohl  das  weibliche  Korrelat  zu  dem  Gotte 
'Esau  (Giowoc).  Über  eine  Göttin  Ba'alat  sapon  in  Memphis  s.  W.  M. 
Miller,  Asien  und  Europa  315. 

2)  Erman,  Äg.  Lit.  218  f.  Daß  sie  identisch  ist  mit  der  i^[vt\  'A'f  poBitv] 
im  TEiiEvoi;  des  Proteus  im  Tuptwv  otpatörteSov  (dieser  Name  wird  wohl 
erst  aus  der  Zeit  der  26.  Dyn.  stammen)  im  Süden  des  'HcpaioTsiov  von 
Memphis    Herod.  II  112,   unterliegt   keinem  Zweifel;   vgl.  Schäfer  ÄZ. 


Kana'anaeische  Einflüsse  und  Götter  in  Ägypten  493 

deutung  diesen  Kulten  zukam,  zeigt  deutlich,  daß  die  vier 
Quartiere  der  Ramsesstadt  bezeichnet  sind  durch  einen  Tem- 
pel des  Amon  im  Westen,  der  Buto  (der  Schutzgöttin  des 
Delta)  im  Norden,  der  Astarte  im  Osten,  des  Seth  im  Süden. 
Ebenso  heißt  eine  der  vier  Legionen  des  Sethos  und  Ramses 
nach  Seth,  der  so  den  drei  Hauptgöttern  Ägyptens,  Amon, 
Re'  und  Ptah,  gleichberechtigt  zur  Seite  steht. 

Ein  anschauliches  Bild  des  Handelsverkehrs  mit  Vorder- 
asien und  der  durch  ihn  eingeführten  Waren  gibt  ein  fingierter 
Brief  aus  den  Schreiberheften  dieser  Zeit,  der  die  Bedürf- 
nisse des  königlichen  Hofs  schildert^).  Da  erscheinen  Möbel 
mit  eingelegter  Arbeit  aus  dem  Amoriterlande  und  aus  Qedi, 
chetitische  Waffen,  Wein  und  Obst  aus  dem  Chetiterlande, 
Öle  aus  allen  syrischen  Landschaften,  die  zu  Schiff  kommen 
wie  das  Bier  aus  Qedi,  Kupfer  aus  Cypern,  Pferde  aus  Sinear, 
Stiere  aus  Chatti,  ferner  junge  kilikische-)  Sklaven,  ausge- 
zeichnet durch  Schönheit  und  gewandtes  Benehmen,  die  zur 
Bedienung  des  Königs  bestimmt  sind  und  später,  wenn  sie 
älter  geworden  sind,  in  der  Küche  und  zum  Brauen  des 
Qedibiers  beschäftigt  werden.  Diese  schmucken  Ausländer 
aus  fernen  Landen  sind  offenbar  eine  Rarität  und  daher  weit 
höher  geschätzt  als  junge  Kana'anaeer  und  Neger,  wenn- 
gleich auch  diese  schön  gekleidet  werden,  um  als  Wedel- 
träger zu  dienen. 


40,  34.  Ihr  Kult  hat  sich  hier  und  ebenso  im  Serapeum  bis  in  die 
griechische  Zeit  erhalten,  s.  Wilcken,  Urkunden  der  Ptolemaeerzeit  I 
S.  37.  Die  Namensform  'Astart  (mit  Femininendung),  die  die  Ägypter 
übernommen  haben,  ist  spezifisch  kana'anaeisch. 

')  Pap.  Anast.  IV  1.5  £F.  =  III  8  f.,  Erman  Lit.  265  f. 

2)  Krk,  von  W.  M.  Müller,  Asien  352  mit  Recht  als  -[bn,  KU.'.xs?, 
assyr.  Chilakku  gedeutet  (worauf  auch  das  Qedi-bier  hinweist),  wenn- 
gleich dieser  Name  sonst  in  dieser  Zeit  nie  vorkommt;  nicht  unmög- 
lich ist  seine  Vermutung,  daß  Karkisa  (o.  S.  443)  eine  Variante  des- 
selben Namens  ist. 


494  ^-  ^^^  Kultur  der  Kamessidenzeit 

Die  Verwaltung.    Die  Ramsesstadt  und  die  übrigen 
Städtegründungen 

In  der  Verwaltung  des  Staats  hat  sich,  soweit  wir  sehn 
können,  kaum  etwas  geändert;  die  streng  durchgebildete  Be- 
amtenhierarchie, welche  die  Begründer  des  Neuen  Reichs  ge- 
schaffen haben,  zu  der  die  gelehrte  Erziehung  der  „Schreiber" 
den  Eintritt  eröffnet,  funktioniert  schlecht  und  recht  weiter 
in  den  altgewohnten  Geleisen.  Aber  daneben  finden  wir  jetzt 
auch  in  hohen  Stellungen  immer  häufiger  Leute  aus  dem 
Haushalt  des  Königs  (wba,  von  Ermax  treffend  durch  ,Truch- 
seß"  wiedergegeben),  ein  Zeichen,  daß  die  in  absoluten  Mon- 
archien kaum  vermeidliche  Günstlingswirtschaft  sich  gegen- 
über den  Zeiten  Thutmosis'  III.  auch  hier  immer  mehr  ein- 
nistet. Auch  Ausländer  werden  unter  den  Beamten  immer 
häufiger,  kenntlich  an  den  semitischen  Namen  und  wohl  meist 
aus  dem  Sklavenstande  hervorgegangen,  wie  so  viele  Paschas 
in  der  Türkei. 

Der  Sitz  der  Regierung  ist  jetzt  die  Ramsesstadt  an  der 
Ostgrenze  „zwischen  dem  Choriterlande  und  Ägypten",  „der 
Anfang  des  Auslandes  und  das  Ende  Ägyptens".  Von  der 
Herrlichkeit  der  neuen  Gründung  geben  mehrere  Schriftstücke 
eine  enthusiastische  Schilderung,  die  lebhaft  an  die  Schilde- 
rungen Alexandrias  unter  den  Ptolemaeern  erinnert^).  Sie 
ist  angelegt  wie  Theben,  von  gewaltigem  Umfang;  die  Be- 
völkerung zahlreicher  Ortschaften  ist  in  ihr  angesiedelt.  Die 
Landschaft  ringsum  ist  von  üppiger  Fruchtbarkeit,  mit  Pal- 
men und  Obstbäumen,  Kornfeldern,  Gemüsebeeten  und  Wein- 
gärten, durchschnitten  von  mehreren  Kanälen  und  Teichen, 
voll  von  Fischen  und  Vögeln,  unter  denen  der  Sichör  („Horus- 
see"),  die  östlichste  der  Lagunen  des  Nil,  aus  der  man  Salz 
gewinnt,  besonders  gerühmt  wird.  Der  Hafen  am  Meer  liegt 
voll  von  Schiffen,  die  mit  ihren  Waren  aus-  und  einfahren. 
So  strömen  hier  alle  Herrlichkeiten  der  Erde  zusammen; 
jeder  Wunsch  der  Bewohner  wird  erfüllt,  „die  Kleinen  in  ihr 

■)  Ermax,  Lit.  261  f.  3S7  ff.  Gardiner,  J.  Eg.  Arch.  V  185  tf. 


Die  Ramsesstadt.    Städte  und  Tempel  in  Nubien  495 

leben  wie  anderswo  die  Großen".  In  der  Mitte  liegt  der 
Königspalast  „gleich  dem  Horizont  des  Himmels",  in  dem  der 
Pharao  residiert,  vor  dem  alle  Länder  und  Fürsten  sich  beu- 
gen; man  erzählt,  daß  der  Großkönig  des  Chattireichs  den 
Fürsten  von  Qedi  aufgefordert  hat,  mit  ihm  nach  Ägypten 
zu  ziehn,  um  hier  dem  Ramses  zu  huldigen,  denn  nur  durch 
seine  Gnade  existieren  sie^).  In  der  Stadt  liegen  die  Truppen 
des  Königs  einschheßlich  der  Serdana,  und  an  den  Festtagen, 
wenn  er  hier  triumphierend  seinen  Einzug  hält  oder  weiter 
hinaufzieht  nach  Theben,  um  dem  Amon  die  Gefangenen  dar- 
zubringen, strömt  die  ganze  Jugend  in  Festgewändern  zu- 
sammen mit  Zweigen  in  den  Händen,  und  die  Bittgesuche 
werden  ihm  vorgetragen. 

Außer  der  Ramsesstadt  sind  von  Ramses  II.  mehrere 
andere  Städte  im  Delta  angelegt  oder  erweitert  und  mit  Bau- 
ten geschmückt,  so  Tanis  und  die  Städte  im  Wadi  Tümilät. 
Daneben  wird  vor  allem  die  Kolonisation  Unternubiens  bis 
zum  zweiten  Katarakt  fortgeführt  und  zum  Abschluß  gebracht. 
Ramses  II.  hat  hier  nicht  weniger  als  fünf  Felsentempel  er- 
baut, zu  denen  natürlich  befestigte  Ortschaften  mit  Garnisonen 
gehörten:  Bet  el  Wali  bei  Kalabse,  Gerf  Husen,  Sebua,  Derr, 
Abusimbel;  dazu  kommt  noch  der  kleine  freistehende  Tempel 
von  Akse  unterhalb  Wadi  Haifa.  In  diesen  Tempeln  wird 
meist  er  selbst  neben  Amon,  Re',  Ptalj  als  Landesgott  verehrt. 
Rechnen  wir  noch  die  unter  der  achtzehnten  Dj'nastie  erbau- 
ten Tempel  von  Kalabse,  Amada,  Buhen  bei  Wadi  Haifa, 
sowie  Festung  und  Tempel  von  Semne  oberhalb  des  zweiten 
Katarakts  hinzu,  so  ergibt  sich,  daß  dieser  Teil  Nubiens  da- 


')  Wie  weit  das  geschichtlich  ist,  läßt  sich  nicht  erkennen.  Die 
weitere  Äußerung  des  Chetiterkönigs  »jedes  Land  existiert  nach  seinem 
Belieben,  und  das  Chattireich  nach  seinem  Willen  allein.  Nimmt  der 
Gott  seine  Opfer  nicht  an,  so  bekommt  es  keinen  Regen  zu  sehn", 
verwendet  die  Darstellung,  die  Ramses  in  der  Proklamation  über  seine 
Ehe  mit  der  chetitischen  Prinzessin  gegeben  hat  (0.  S.  483);  auch  das 
ist  ein  Beweis,  daß  Sethe's  Datierung  des  Textes  über  die  Ramsesstadt 
(0.  S.  4.54.  8)  nicht  haltbnr  ist. 


496  ^-  ^'^  Kultur  der  Ramessidenzeit 

iiials  so  dicht  besiedelt  gewesen  ist,  wie  es  die  Natur  des 
Landes  irgend  zuließ.  Um  so  auffallender  ist,  daß  im  oberen 
Nubien,  wo  Amenophis  III.  Tempel  und  Stadt  von  Soleb  nebst 
Sedeinga  (o.  S.  329)  erbaut  hat,  bis  nach  Napata  hinauf  sich 
keine  Spur  einer  Bautätigkeit  der  neunzehnten  Dynastie  findet; 
nur  den  Sonnentempel  Echnatens  in  Sesebi  (o.  S.  385)  hat  Se- 
thos I.  in  einen  Amontempel  umgebaut,  die  zugehörige  Stadt, 
deren  Grundriß  noch  erkennbar  ist,  hat  den  Namen  Gematen 
aus  der  Ketzerzeit  dauernd  behalten^). 

Daß  die  nubischen  Goldminen  im  Wadi  'Aläqi  weiter  aus- 
gebeutet wurden,  bestätigt  der  Bericht  Ramses'  IL,  daß  es 
dem  „Königssohn  von  Kus"  auf  seine  Anweisung  gelungen 
ist,  auf  der  Wüstenstraße  dorthin  einen  Brunnen  auszuheben, 
nachdem  ein  gleicher  Versuch  unter  Sethos  mißglückt  war^). 
Dagegen  hatte  Sethos  Erfolg,  als  er,  in  seinem  9.  Jahre,  nach 
Besichtigung  der  Wüstenstraße,  die  von  Edfu  zu  den  Gold- 
minen des  Gebirges  am  Roten  Meer  führte,  hier  nach  Wasser 
graben  ließ;  an  dem  Brunnen  hat  er  eine  Station  mit  einem 
Tempel  erbauen  lassen.  Die  Minen  auf  der  Sinaihalbinsel 
waren  natürlich  gleichfalls  dauernd  in  Betrieb. 

Tempelbauten  und  bildende  Kunst.    Die  Schlachtgemäide 

Unter  Sethos  und  Ramses  hat  sich,  im  engsten  Zusam- 
menhang mit  der  in  ruhmreichen  Kriegen  gewonnenen  Wieder- 
herstellung des  Weltreichs,  das  freilich  den  alten  Umfang  nicht 
mehr  erreichen  konnte,  der  Glanz  der  ägyptischen  Kultur 
noch  einmal  voll  entfaltet;  sie  erlebt  einen  zweiten  Höhe- 
punkt ihrer  Entwicklung,  der  die  Schöpfungen  der  Epoche 
Amenophis'  III.  noch  zu  überbieten  strebt.    Der  Staat  ist  neu 


'j  Über  die  Ruinen  in  Nubien  verweise  ich  auch  hier  auf  den 
inhaltreichen  Bericht  Breasted's  über  seine  Bereisung  des  ganzen  Ge- 
biets bis  nach  Meroe.  Amer.  J.  of  Semit.  Lang.  XXIII  1906  und 
XXV  1908. 

2)  Breasted,  Rec.  III  282  ff.  Aus  Sethos'  Zeit  stammt  die  bekannte 
Karte  der  Goldminen. 

8)  Breasted,  Rec.  III  162  ff. 


Die  Tempelbauten  der  Ramessiclen  497 

gefestigt,  die  vou  den  Göttern  gewollte  Weltordnimg  uner- 
schütterlich begründet;  so  können  die  Mittel  des  Reichs  in 
vollstem  Ausmaß  der  höchsten  ihm  gestellten  Aufgabe  dienen, 
die  Allmacht  der  Götter  Ägyptens  und  ihres  mit  ihnen  un- 
trennbar verbundenen  Sohnes  zu  verherrlichen  und  der  Mit- 
welt und  Nachwelt  sinnfällig  darzustellen.  Es  beginnt  eine 
Bautätigkeit,  wie  sie  die  Welt  in  diesem  Umfang  niemals 
wieder  gesehn  hat.  Sie  setzt  unter  Ramses  I.  ein  mit  der 
Grundlegung  des  Säulensaales  von  Karnak;  unter  Sethos 
kommen  außer  Bauten  in  Memphis,  Heliopolis  und  anderen 
Orten  der  große  Osiristempel  von  Abydos  und  sein  eigner 
Totentempel  in  Theben  (Qurna)  sowie  sein  gewaltiges  Grab 
hinzu.  Sein  Sohn  hat  dann  alle  diese  Bauten  zum  Abschluß 
geführt  und  nahezu  in  jeder  Stadt  des  Niltals  vom  Delta  bis 
zum  zweiten  Katarakt  neue  Tempel  erbaut  oder  alte  erwei- 
tert. Die  Bauten  in  den  Deltastädten  und  in  Nubien  sind 
schon  erwähnt;  in  Memphis  und  Heliopolis  .sind  sie,  wie  die 
gesamten  Tempelbauten,  nahezu  restlos  geschwunden.  In 
Abydos  hat  er  neben  den  prächtigen,  von  ihm  vollendeten 
O.siristerapel  seines  Vaters  einen  zweiten,  kleineren  gestellt, 
der  seinem  Totenkult  im  Reich  des  Osiris  dienen  soll  und 
seine  eigenen  Taten  verherrlicht.  In  Theben  hat  er  dem  unter 
Tut'anch-amon  und  Haremhab  restaurierten  Amonstempel  von 
Luxor  (Opet)  einen  großen  Hof  mit  mächtigem  Pylon  vor- 
gelegt, in  dessen  Säulengang  eine  Kapelle  Thutmosis'  III.  ein- 
bezogen wurde.  In  Karnak  hat  er  den  großen  Säulensaal 
vollendet;  der  gigantische  Entwurf  dagegen,  der  dem  von 
Ramses  I.  begonnenen  Werk  den  unentbehrlichen  vorderen 
Abschluß  geben  sollte  (o.  S.  429),  ist  nicht  ausgeführt  wor- 
jden  —  offenbar  trat  die  Überzahl  der  anderen  Bauten 
hindernd  dazwischen  — ,  erst  in  weit  späterer  Zeit  ist  der 
■große  erste  Hof  und  schließlich  unter  den  Ptolemaeern  der 
abschheßende  erste  Pylou  vor  den  Säulensaal  gelegt  worden, 
bis  dahin  begnügte  man  sich  mit  einer  Vorhalle,  auf  die  vom 
Nilufer  her  eine  Widderallee  zuführte.  Zu  diesen  Güttertem- 
peln  kommt  dann  in  der  Totenstadt  an  der  Westseite  des  Nils 

Meyer,  Geschichte  des  Alteriums.    11'  32 


408  X-  I^iö  Kultur  der  Ramessidenzeit 

der  große  Tempel  Ramses'  IL,  das  Ramesseum,  von  dem  uns 
außer  den  mächtigen  Ruinen  auch  die  in  allem  Wesentlichen 
zutreffende  Beschreibung  erhalten  ist,  die  unter  Ptolemaeos  I. 
Hekataeos  von  Abdera  von  dem  Wunderbau  gegeben  hat^). 
Alle  diese  Tempel  sind  nach  dem  unter  Amenophis  III. 
voll  ausgebildeten  Schema  des  Prozessionstempels  angelegt; 
auch  die  Arcbitekturformen  sind  die  gleichen  geblieben.  Aber 
die  vertikale  Gliederung  der  ursprünglich  als  Bündel  von 
Papyrusstengeln  gedachten  Säulenschäfte  ist  jetzt  aufgegeben, 
sie  sind  zu  kreisrunden  Trägern  der  Überdachung  geworden. 
Die  alte  Idee,  daß  aus  dem  Erdboden  die  in  Blüten  oder  in 
Schilfbündel  endenden  Pflanzen  aufragen,  über  denen  das 
als  Himmel  gestaltete  Dach  schwebt,  lebt  noch  darin  nach, 
daß  dieses  Dach  niemals  unmittelbar  auf  dem  Pflanzenkapi- 
tell aufliegt,  sondern  diesem  noch  ein  schlichter  Würfel  als 
Träger  des  Gebälks  aufgesetzt  ist.  Im  großen  Säulensaal 
von  Karnak  wird  die  Wirkung  weiter  durch  die  unverhältnis- 
mäßige Höhe  der  Bündelkapitelle -j  und  durch  den  riesigen 
Umfang  der  Säulenschäfte  getrübt;  in  ihrer  dichtgedrängten 
Stellung,  die  absichtlich  jeden  schrägen  Durchblick  aus- 
schließt, erscheinen  sie  plump,  der  harmonische  Eindruck 
des  Tempels  von  Luxor  wird  nicht  mehr  erreicht.  Überdies 
sind  diese  Säulen  vollständig  mit  tief  eingeschnittenen  In- 
schriften und  Skulpturen  bedeckt,  die  ihren  ursprünglichen 
Charakter  vollends  auflieben.  Auch  in  Luxor  hat  Ramses, 
beseelt  von  unermeßlicher  Eitelkeit,  sich  nicht  versagen  kön- 
nen, seinen  Namen  überall  aufdringlich  tief  in  die  Säulen 
einschneiden  zu  lassen,  in  schroffem  Gegensatz  gegen  die 
feinen,  bescheiden  auftretenden  Inschriften  Amenophis'  III., 
und  hat  dadurch  den  vornehmen  Bau  aufs  häßlichste  entstellt. 


')  Diodor  I  47—49.  bezeichnet,  als  Grab  des  Osymandyas  (Ent- 
stellung des  Thronnamens  Ramses'  II  Usimare').  DieChetiter  der  Kampf- 
szenen werden  hier  als  Baktrer  gedeutet;  vgl.  Tacit.  Ann.  II  60  bei 
Germanicus'  Besuch  in  Theben. 

2)  Das  Verhältnis  der  Kapitelle  (mit  Ausschluß  des  Abacus)  za 
dem  £flatten  Schaft  ist  etwa  2 : 5. 


Die  Bauten  fiamses'  II.    Felsentempel  499 

Neben  Säulen  werden  in  steigendem  Maße  Pfeiler  ver- 
wendet, an  denen  Statuen  des  Osiris  oder  des  Königs  lehnen. 
Dazu  kommt  die  geradezu  unübersehbare  Masse  von  stehen- 
den und  sitzenden  Königsstatuen,  mit  denen  Ramses  II.  seine 
Tempel  füllte,  bis  zu  den  Riesenkolossen  vor  dem  Tempel 
von  Luxor  (sechs,  14  Meter  hoch,  dazu  sechs  kleinere,  aber 
immer  noch  7  Meter  hohe  in  seinem  Säulenhof),  im  Rames- 
seum,  in  Memphis,  deren  Maße  die  Memnonsstatuen  Ame- 
nophis'  III.  erreichen  und  sie  durch  das  Material,  harten 
Granit,  noch  überbieten.  Kaum  weniger  zahlreich  sind  die 
Götterstatuen,  und  auch  an  Obelisken  fehlt  es  nicht.  Dazu 
sind  alle  Wände  der  Bauten,  einschließlich  der  riesigen  Py- 
lonen am  Eingang,  vollständig  mit  Reliefgemälden  geschmückt, 
die  teils  Kultszenen,  teils  die  Siege  des  Königs  darstellen 
und  verherrlichen. 

Zu  all  diesen  Bauten  tritt  nun  noch  eine  neue  Gattung 
hinzu:  die  Pelsentempel.  Felsgrüber  mit  Kammern  und  Hal- 
len, geschmückt  mit  Reliefs  und  Inschriften,  haben  die  Ägypter 
zu  allen  Zeiten  geschaffen;  unter  der  achtzehnten  Dynastie  sind 
sie  in  den  Gräbern  der  thebanischen  Totenstadt  zu  reichster 
Entwicklung  gelangt,  den  Höhepunkt,  sowohl  durch  die  Riesen- 
dimensionen der  Anlage  wie  durch  die  wunderbar  feine  Aus- 
führung der  Skulpturen  und  Inschriften,  bildet  das  Grab  Sethos'  I. 
im  Tal  der  Königsgräber.  Ramses  II.  hat  dann  diese  Bauweise 
auf  seine  Tempel  in  Nubien  übertragen^).  Den  Anstoß  mag 
der  Wunsch  gegeben  haben,  den  schmalen  Streifen  Kultur- 
landes möglichst  zu  schonen;  dazu  aber  kam  der  Reiz,  den 
die  Aufgabe  bot.  Der  gesamte  Bau  mit  der  Pfeilerhalle,  den 
Kulträumen  und  den  Seitenkammern  wird  gewissermaßen 
in  den  Felsen  hineingeschoben;  besonders  anschaulich  zeigt 
sich  dadurch  zugleich,  daß  der  ägyptische  Tempel  ganz  auf- 
gebaut ist  auf  die  Idee  des  Weges  zu  der  in  geheimnisvollem 


')  Einen  ersten  Ansatz  stellt  die  Felskapelle  FJaremhabs  in  Sil- 
silis  mit  Darstellung  seines  Triumphznges  nach  dem  Feldzug  gegen 
Nubien  und  eine  von  ihm  im  Gebel  Adde  schräg  gegenüber  von  Abu- 
simbel  angelegte  Felskapelle  dar- 


500  ^-  I^iö  Kultur  der  Ramessidenzeit 

Dunkel  liegenden  Stätte  tief  im  Innern,  an  der  der  Gott 
haust,  und  eine  Wirkung  nach  außen  nur  durch  die  Gestal- 
tung des  Eingangs  erstrebt.  Neben  den  kleineren  Felstempeln 
von  Bet  el  Wali,  Gerf  Husen  (von  dem  „Königssohn  von  Kus*" 
Setau  erbaut),  Sebü'a  und  Derr  steht  der  Riesentempel  von 
Abusimbel,  vielleicht  das  gigantischste  Bauwerk  der  Erde. 
Keine  Beschreibung  und  keine  Abbildung  vermag  den  Ein- 
druck wiederzugeben,  den  es  erzeugt.  Auf  einer  Terrasse 
sitzen,  aus  dem  Felsen  gehauen,  vier  20  Meter  hohe  Statuen 
des  Königs;  hoch  oben,  über  der  weithinauf  geglätteten 
Hinterwand,  begrüßt,  nach  altherkömmlicher  Symbolik,  eine 
Reihe  von  Pavianen  den  aufgehenden  Sonnengott,  während 
dann  bei  Tagesanbruch  das  Sonnenlicht  von  hier  aus  lang- 
sam hinabsteigt,  bis  es  durch  das  Portal  zwischen  den  Ko- 
lossen in  den  von  acht  Pfeilern  getragenen  Innensaal  ein- 
dringt. Auch  an  jedem  von  diesen  lehnt  wieder  eine  8  Meter 
hohe  Statue  des  Königs  in  Gestalt  des  Osiris,  alle  aus  dem 
Felsen  gehauen;  und  alle  diese  Statuen,  draußen  wie  drinnen, 
geben  trotz  der  gewaltigen  Dimensionen  die  Porträtzüge  Ram- 
ses'  IL  lebensvoll  w^ieder,  einige  in  vorzüglicher  Ausführung. 
Die  Innenwände  sind  dann,  Avie  überall,  mit  religiösen  und 
geschichtlichen  Darstellungen  bedeckt,  darunter  vor  allem 
das  große  Gemälde  der  Schlacht  bei  Qades.  Dem  modernen 
Menschen  erscheint  es  unfaßbar,  wie  in  wenigen  Jahrzehn- 
ten^) ein  solches  Werk  geschaffen  werden  konnte,  das  für 
sich  allein  den  unvergleichlichen  Ruhmestitel  jeder  anderen 
Epoche  bilden  würde:  hier  aber  stehn  all  die  anderen  Tempel- 
])auten  daneben,  und  in  Abusimbel  selbst  noch  ein  zweiter 
kleinerer  Felsentempel,  der  seiner  ersten  Gemahlin  Nofret-ari 
geweiht,  also  gleichfalls  vor  der  Ehe  mit  der  Chetiterin  er- 
baut ist,  am  Eingang  mit  je  drei  Statuen  des  Königs  und 
der  Königin  geschmückt. 

Ano-esichts  all  dieser  Bauwerke  staunt  man  immer  von 


')  Die  große  Inschrift'  über  die  Ehe  mit  der  chetitischen  Prin- 
zessin im  J.  34  ist  draußen  neben  dem  südlichsten  Koloß  aufgestellt; 
damals  wird  also  der  Tempel  bereits  fertig  gewesen  sein.  ; 


Der  Tempel  von  Abuc^imbel.    umfang  der  Kunsttätigkeit      501 

neuem  über  die  geradezu  unabsehbare  Menge  geschulteu 
Arbeiter,  die  dieser  Zeit  zu  Gebote  standen,  von  den  Stein- 
metzen und  Maurern,  den  Kunsthandwerkern,  den  Vorar- 
beitern und  den  Lehrh'ngen  der  Bildhauerschulen  bis  zu  den 
Meistern,  die  die  Pläne  und  Zeichnungen  entwarfen,  die  Aus- 
führung überwachten  und  den  plastischen  Werken  die  letzte 
Vollendung  gaben.  Auf  diese  Schöpfungen  des  Königs  ist 
aber  die  Kunsttätigkeit  der  Epoche  keineswegs  beschränkt; 
vielmehr  gehn  ihnen  auch  jetzt  ununterbrochen  die  prächtig 
ausgestatteten  Grabbauten  der  Magnaten  zur  Seite,  vor  allent 
in  den  Nekropolen  von  Memphis  und  Theben,  denen  wir  ge- 
rade in  dieser  Zeit  nicht  wenige  Kunstwerke  ersten  Ranges 
verdanken.  Ermöglicht  ist  diese  einer  modernen  Zeit  gänz- 
lich unfaßbare  Entfaltung  einer  monumentalen  Kunst  nur 
dadurch,  daß  wie  auf  religiösem  und  staatlichem,  so  auch  auf 
künstlerischem  Gebiet  die  in  der  Amarnazeit  erschüttert« > 
Tradition  wieder  die  volle  Herrschaft  gewonnen  hatte  und 
damit  die  unverbrüchliche  Sicherheit  des  Stils  gewährte, 
welche  die  rasche  Ausführung  ermöglichte.  Innerhalb  der  da- 
durch gesetzten  Schranken  ist  jedoch  in  der  Einzelgestaltung 
noch  so  viel  Spielraum  gelassen,  daß  die  Individualität  des 
Künstlers  noch  nicht  erstickt  ist  und  daher  auch  die  in  de)- 
Amarnazeit  gegebenen  neuen  Anregungen  noch  nachwirken 
können. 

Besonders  deutlich  tritt  das  in  den  Gemälden  hervor.  Die 
Technik  ist  unverändert  die  altherkömmliche  geblieben,  mö- 
gen, wie  vielfach  in  den  Gräbern,  die  Farben  lediglich  auf 
die  mit  Stuck  überzogene  Fläche  aufgesetzt  sein  oder  mögen, 
wie  an  den  Tempelwänden  durchweg,  die  Umrisse  durch 
Üaches  oder  durch  versenktes  Relief  schärfer  hervorgehoben 
und  dadurch  zugleich  eine  leichte  plastische  Wirkung  erzielt 
sein;  aber  in  der  Wiedergabe  der  aus  dem  Leben  gegriffenen 
Szenen,  z.  B.  der  Gelage  und  der  dabei  aufgeführten  Tänze 
oder  der  Leichenzüge,  herrscht  reiches,  buntbewegtes  Leben, 
und  die  Darstellung  ist  von  einer  so  feinen  Empfindung 
durchweht,  daß  die  Fortwirkung  der  Amarnakunst  unverkenn- 


gQ2  X.  Die  Kultur  der  Ramesside nzeit 

bar  ist.  So  entstehn  Meisterwerke  ersten  Ranges,  wie  der 
Leichenzug  aus  einem  mempliitischen  Grabe  ^),  auf  dem  in 
dem  großen,  aus  den  höchsten  Beamten  und  Priestern  des 
Reichs  bestehenden  Gefolge  jede  Gestalt  ihre  Individualität 
wahrt  und  so  trotz  der  über  ihnen  allen  liegenden  Trauer 
jede  Monotonie  vermieden  ist.  Gleichwertiges  hat,  in  einem 
o-anz  anderen  Stil,  erst  die  griechische  Kunst  auf  dem  Höhe- 
punkt ihrer  Entwicklung  wieder  zu  schaffen  vermocht. 

Im  Gemälde  hat  die  ägyptische  Kunst  in  der  Ramessiden- 
zeit  noch  einen  gewaltigen  Schritt  vorwärts  gemacht.  Wir 
haben  früher  gesehn,  wie  unter  direkter  Einwirkung  der 
kretisch-mykenischen  Kunst  die  Darstellung  von  Schlachten 
und  Jagden  langsam  in  Ägypten  Eingang  findet.  Das  hat 
dann  unter  Sethos  I.  zu  dem  oben  beschriebenen  Bilderzyklus 
geführt,  der  in  langen  Reihen  von  Einzelszenen  den  Verlauf 
seiner  Feldzüge  bis  zur  Vorführung  der  Gefangenen  darstellt 
und  sie  mit  dem  altüberkommenen,  längst  symbolisch  ge- 
wordenen Bilde  abschließt,  auf  dem  der  König  die  Gesamt- 
masse der  an  einen  Pfahl  gebundenen  feindlichen  Häuptlinge 
vor  Amon  am  Schopf  faßt  und  niederschmettert.  Ramses  II. 
aber  ist  noch  weit  darüber  hinausgegangen:  er  hat  die  Hel- 
dentat, auf  die  er  vor  allen  anderen  stolz  war,  den  Sieg  bei 
Qades,  in  ihrem  gesamten  Verlauf  in  zwei  großen,  unmittel- 
bar aneinander  anschheßenden  Tableaus  zusammengefaßt,  von 
denen  das  eine  die  Vorgänge  im  Lager  von  dem  Verhör  der 
abgefangenen  Spione  bis  zum  Einbruch  der  chetitischen 
Streitwagen,  das  andere  die  Schlacht  vor  der  vom  Fluß  um- 
strömten Festung  bis  zur  Einbringung  der  Gefangenen  und 
der  Zählung  der  den  Gefallenen  abgeschnittenen  Hände  dar- 
stellt. Er  hat  diese  Bilder  nicht  weniger  als  sechsmal  an 
seinen  Tempeln  darstellen  lassen:  in  Luxor  am  Pylon  und 
an  der  Außenmauer  des  Tempels,  im  Ramesseum  am  Pylon 
und  an  der  Innenwand  des  zweiten  Hofs,  in  Abydos  an  der 

1)  In  Berlin  (no.  12411),  publiziert  von  Erman  ÄZ.  1895,  18:  einige 
Stücke  daraus  bei  Schäfer,  Kunst  des  alten  Orients  373  u.  374,  sowie 
Schäfer,  Von  Äg.  Kunst,  Taf.  39. 


Die  Schlachtgemälde  503 

Außenwand  seines  Tempels,  in  Abusinibel  im  Innern.  Dabei 
sind,  je  nach  den  räumlichen  Bedingungen,  manche  Einzel- 
szenen verschieden  verteilt  und  leicht  modifiziert;  aber  zu- 
grunde liegt  überall  der  gleiche  Entwurf,  der  von  einem 
genialen  Künstler  geschaffen  sein  muß.  Es  ist  eine  der  wich- 
tigsten und  lohnendsten  Aufgaben  der  ägyptischen  Kunstge- 
schichte, diesen  Entwurf  vollständig,  mit  den  ursprünglichen 
Farben,  zu  rekonstruieren  und  in  allen  Einzelheiten  nicht  nur, 
wie  bisher  schon,  geschichtlich,  sondern  auch  künstlerisch  zu 
analysieren^).  Der  Gedanke,  den  Gesamtinhalt  des  Ereignisses 
in  einem  auf  einen  Moment  gestellten  Idealbild  zusammen- 
zufassen, wie  ihn  in  genialer  Weise  die  Siegesstele  Naramsins 
(Bd.  I  405)  oder  etwa  das  Mosaik  der  Alexanderschlacht  ver- 
wirklicht hat,  liegt  dem  ägyptischen  Künstler  ebenso  fern  wie 
etwa  dem  Polygnot  in  dem  Gemälde  der  Marathonschlacht 
und  der  Zerstörung  von  Troja  oder  der  gesamten  mittel- 
alterlichen Kunst  bis  in  die  Frührenaissance  hinein;  vielmehr 
sollen  dem  Beschauer  alle  Hauptmomente  des  Verlaufs  im 
erzählenden  Bilde  anschaulich  vorgeführt  werden.  Aber  im 
Gegensatz  zu  dem  Bilderzyklus  des  Sethos  faßt  jedes  der 
beiden  Gemälde  die  einzelnen,  mit  Liebe  ausgestalteten  Epi- 


*)  Seit  für  alle  übrigen  Tempel  die  vortreäliohea  Photographien 
Burchardt's,  für  Abusimbel  die  Breasted's  vorliegen,  ist  diese  Auf- 
gabe vollständig  lösbar.  Bis  dahin  sind  wir  für  die  Gesamtbilder  auf 
die  aus  den  im  einzelnen  vielfach  sehr  ungenauen  älteren  Publikationen 
mit  großer  Sorgfalt  susammengestellten  Übersichtsblätter  Breasted's 
in  seiner  Battle  of  Kadesh  (o.  S.  459,  2)  angewiesen;  nur  Abydos  und  die 
Szenen  an  der  Außenmauer  von  Luxor  fehlen  bei  ihm,  da  sie  bisher  über- 
haupt noch  nicht  publiziert  sind,  —  In  Abusimbel  ist  das  Schlachtbild 
über  das  Lagerbild  gestellt;  in  Luxor  und  im  Raraesseum  sind  die  beiden 
Bilder  auf  die  beiden  Türme  der  Pylonen,  in  Abydos  auf  die  beiden 
Seiten  der  AuÜenwand  des  Tempels  verteilt.  Ursprünglich  wollte  man 
in  Luxor  die  Schlacht  auf  dem  Westtunu  darstellen  und  hat  hier  die 
Gestalt  des  Königs  vorgezeichnet  und  nachher  getilgt,  als  man  die 
Lagerszene  hierher  und  die  Schlacht  auf  den  Ostturm  setzte;  ebenso 
ist  auf  dem  Südturm  des  Ramesseams  der  König  auf  dem  Streit- 
wagen  zuerst  an   eine  später    als   ungeeignet   erkannte  Stelle  gesetzt. 


504  ^-  I^'ß  Kultur  der  Rumessidenzeit 

soden^)  zu  einer  starken  Gesamtwirkung  zusammen.  Den 
beherrschenden  Mittelpunkt  bildet  in  beiden  die  Riesengestalt 
des  Königs;  im  Lager  auf  goldenem  Thron  sitzend,  umgeben 
von  seiner  Leibgarde  aus  Ägyptern  und  Serdana  und  von  den 
höchsten  Beamten,  denen  er  wegen  ihrer  Unachtsamkeit 
Vorwürfe  macht,  während  die  eingefangenen  Spione  durch 
Schläge  zur  Aussage  gezwungen  werden,  in  der  Schlacht  auf 
dem  Kriegswagen  mit  mächtigen  Rossen  in  das  Getümmel  der 
feindlichen  Wagen  daherstürmend  und  seine  tödlichen  Pfeile 
entsendend.  Während  aber  die  danebenstehenden  erzählenden 
Texte,  der  prosaische  so  gut  wie  der  poetische,  nur  von  den 
Taten  des  Königs  reden  und  ihn  ganz  allein  den  Sieg  er- 
fechten lassen,  da  alle  anderen  verzagen,  gibt  das  Gemälde 
ein  geradezu  überraschendes  Bild  des  wirklichen  Hergangs 
und  ermöglicht  ihn  vollständig  zu  rekonstruieren:  die  Feinde 
kämpfen  hier  wirklich,  sie  brechen  ins  Lager  ein,  die  Prin- 
zen fahren  in  eiliger  Flucht  davon,  die  Legion  des  Ptah 
wird  schleunigst  herbeigeholt,  das  rechtzeitige  Eintreifen  der 
Na'aruna  schafft  den  Ägyptern  Luft,  lauter  Dinge,  über  die 
der  geschichtliche  Bericht  vollständig  schweigt.  Der  Künstler 
wird  selbst  beim  Kampf  zugegen  gewesen  sein  und  hat  ihn 
aus   eigener  Anschauung  geschildert. 

Diesen  großen  Gemälden  an  künstlerischem  Wert  gleich- 
stehend sind  einige  der  Bilder  aus  den  späteren  Kämpfen 
(o.  S.  468  f.),  so  die  Eroberung  von  Satuna,  das  Bild  einer 
zerstörten  Stadt  inmitten  der  verwüsteten  Landschaft,  und 
vor   allem    die  Erstürmung  von  Dapur.    Auch   hier   sind   die 


')  Besonders  wertvoll  ist  die  eingehende  Schilderung  des  Treibens 
im  Lager  (vgl.  Schäfer,,  Klio  VI,  397  f.).  In  diesem  liegt  auch  ein 
zahmer  Löwe  mit  gefesselten  Vorderfiißen,  den  Ramses  als  Prunkstück 
mit  sich  geführt  hat.  Nichts  damit  zu  tun  hat  d'e  Figur  eines  auf- 
springenden Löwen  an  s-eiiiem  Wagenkasten:  das  ist  ein  Relief  von 
Metall,  ist  aber  schon  von  den  Interpreten  bei  Hekataeos  (Diod.  I  48,  1) 
dah'n  mißverstanden,  daß  wirklich  ein  Löwe  am  Kampfe  teilgenommen 
habe,  während  andere  es  als  plumpe  Renommage  deuteten.  Vgl.  aber 
S.  .595,  1.  —  In  Abusimbel  haben  die  Künstler  in  einigen  Fällen  ihre 
Nnmen  unter  die  Gemälde  eingetragen:  Roeder  AZ.  50,  76  f. 


Die  Schlachtgemälde.    Statuen.    Überhastung  ,505 

einzelnen  Stufen  des  Kampfes  zu  einem  einheitlichen  Ge-' 
samtbilde  von  gewaltiger  Wirkung  verbunden :  wir  sehn  den 
König,  wie  er  im  Vorgelände  die  Feinde  überrennt  und 
dann,  vom  Wagen  gesprungen,  im  schlichten  Leibrock  ohne 
Panzer,  die  Verteidiger  in  der  Festung  mit  Pfeilen  über- 
schüttet, während  die  übrigen  Mannschaften  nebst  den  durch 
große  Schilddächer  gedeckten  Königssöhnen  den  Burghügel 
erstürmen  und  dann  eine  Mauerterrasse  nach  der  anderen 
erklimmen.  Vergeblich  suchen  die  Verteidiger  sich  mit  Ge- 
schossen und  runden  Steinkugeln  zu  wehren,  schon  sind  die 
Ägypter  in  die  höchste  Bastion  eingedrungen,  und  so  bleibt 
ihnen  nichts  als  um  Gnade  zu  flehn  und  sich  zu  ergeben. 

Gegen  Malerei  und  Relief  tritt  die  Rundplastik  zurück. 
Allerdings  sind  auch  in  dieser  Zeit  neben  den  Kolossen 
manche  in  menschlichen  Dimensionen  gehaltene  Statuen  der 
Könige  und  der  Götter  geschaffen  worden,  so  das  Sitzbild 
Ramses'  IL  in  Turin,  in  dessen  Zügen  sich  gütiges  Wohl- 
wollen mit  majestätischer  Hoheit  und  Energie  eindrucksvoll 
verbindet;  aber  die  Vollendung,  in  der  die  Porträtstatuen  des 
Mittleren  Reichs  und  die  Echnatens  einen  Einblick  in  die  Seele 
des  Herrschers  gewähren,    ist  nicht  wieder  erreicht  worden. 

So  gewaltig  der  Eindruck  ist,  den  die  Schöpfungen 
Ramses'  H.  hervorrufen,  so  wenig  fehlt  es  daneben  an  tiefem 
Schatten.  Die  Überfülle  der  gleichzeitig  in  Angriff  genom- 
menen Werke  führte  notwendig  zu  Überhastung  und  flüch- 
tiger Arbeit.  Die  Sauberkeit  und  feine  künstlerische  Emp- 
findung, mit  der  wie  ehemals  die  Skulpturen  und  Inschriften 
unter  Amenophis  III.  so  jetzt  die  Sethos'  I.  in  Abydos  und 
in  seinem  Grabe  ausgeführt  sind,  findet  sich  in  denen  seines 
Sohnes  nur  noch  vereinzelt.  Unter  den  Wiedergaben  der 
Schlacht  bei  Qades  steht  die  am  Ramsestempel  von  Abydos 
weitaus  am  höchsten,  hier  lebten  offenbar  noch  die  guten 
Traditionen  der  Zeit  Sethos'  I.  weiter.  Dagegen  ist  z.  B.  das 
Gemälde  in  Abusimbel  recht  flüchtig  ausgeführt  und  großen- 
teils nur  in  Umrißzeichnung  skizziert,  und  den  zahlreichen 
Fehlern  in  den  beigefügten  Inschriften  merkt  man  an.  daß  hier 


506  ^'  I^^6  Kultur  der  Ramessidenzeit 

lokale  Arbeiter  verwendet  wurden,  die  Sprache  und  Schrift 
nur  unvollkommen  beherrschten.  Mehrere  der  nubischen  Felsen- 
tempel, so  der  von  Derr')  und  der  von  Gerf  Husän  mit  den 
plumpen  Statuen  an  den  Pfeilern  sind  geradezu  liederlich 
gearbeitet,  und  das  gleiche  gilt  von  gar  manchen  Werken 
dieser  Zeit.  An  Stelle  der  gemessenen  Ruhe  der  früheren 
Epochen  tritt  bei  Ramses  II.  hastige  Überstürzung;  beseelt 
von  maßloser  Großmannssucht,  die  in  der  schon  berührten 
Art,  wie  er  seinen  Namen  auf  die  Denkmäler  der  Vorzeit 
setzte,  geradezu  in  Roheit  entartete,  wollte  er  sich  immer 
von  neuem  sonnen  im  Glanz  seiner  Göttlichkeit,  durch  die 
Masse  und  die  kolossalen  Dimensionen  alles  von  seinen  Vor- 
gängern Geschaffene  weitaus  überbieten  und  der  Nachwelt 
nichts  mehr  zu  tun  übrig  lassen. 

Je  länger  seine  Regierung  dauerte,  desto  mehr  führte 
diese  Überspannung  der  Kräfte  zu  flüchtiger  Arbeit,  zum 
Schwinden  des  echten  Kunstempfindens,  zu  Erschlaffung  und 
Stillstand.  Dazu  kommt  der  ins  Maßlose  gesteigerte  Ver- 
brauch der  materiellen  Mittel,  der  zu  finanzieller  Erschöpfung 
führen  mußte.  Das  tritt  ganz  sinnfällig  darin  zutage,  daß 
im  Gegensatz  zu  den  unzähligen  Denkmälern  aus  den  ersten 
Jahrzehnten  Ramses'  IL  die  Zahl  der  Bauten  und  Monu- 
mente und  auch  die  der  Urkunden  und  privaten  Inschriften, 
die  wir  seinen  späteren  Jahren  zuweisen  können,  auffallend 
gering  ist.  Ganz  deutlich  erhält  man  den  Eindruck,  daß  mit 
dem  Ausgang  der  langen  Regierung  Ramses'  II.  die  Blüte- 
epoche des  Neuen  Reichs  ihr  Ende  erreicht  hat. 

Literatur  und  Religion.    Das  Tempelgut 

Von  der  Literatur  der  Ramessidenzeit  ist  in  den  Papyri 
und  auf  den  wie  im  privaten  und  öffentlichen  Verkehr  so  in 
den  Schulen  als  kostenloses  Schreibmaterial  verwendeten 
Scherben   von   Tongefäßen    und  Kalksteinsplittern    (Ostraka) 


'j  Breasted,  Temples  of  Lown  Nubia,  Amer.  J.  of  Semit,  Lang.  XXIII 
p.  40  f. 


Sinken  der  Kunst.    Der  iSchulbetrieb  507 

manches  auf  uns  gekommen.  So  haben  sich  im  Ramesseum 
aus  der  Zeit  der  Nachfolger  Ramses'  IL  Massen  solcher 
Scherben  und  Papierfetzen  gefunden,  auf  denen  die  Knaben 
in  der  mit  diesem  Tempel  verbundenen  Schreibschule  die 
Texte  nach  Diktat  niedergeschrieben  haben;  beim  Schluß 
der  Schulstunden  brechen  sie  ab,  oft  mitten  im  Satz,  und 
haben  die  Stücke  dann  auf  den  Kehrichthaufen  geworfen. 
Dazu  kommen,  vorwiegend  aus  ünterägypten  und  meist 
aus  derselben  Zeit,  nicht  wenige  Musterhandschriften  der 
„Schreiber",  die  an  ihre  Vorgesetzten  („Lehrer'')  gerichtet 
und  von  diesen  kalhgraphisch  korrigiert  worden  sind  (vgL 
o.  S.  67f.);  sie  sind  ihnen  dann  mit  ins  Grab  gelegt  worden. 
Aber  auch  wirkliche  Bücher  haben  sich  mehrfach  erhalten, 
daneben  natürlich  Aktenstücke,  Briefe,  Rechnungen  u.  ä. 

Unter  den  in  diesen  Handschriften  bewahrten  Texten 
nehmen  auch  jetzt  die  klassischen  Literaturwerke  des  Mitt- 
leren Reichs  einen  großen  Raum  ein,  da  sie  als  Muster  des 
getragenen  Stils  gelten,  der  namentlich  in  den  Prunkinschrifteii 
der  Könige  immer  wieder  nachgeahmt  wird,  auch  in  der 
Sprachform,  deren  im  Leben  längst  durch  tiefgreifende  Um- 
bildung gewandelte  Gestalt  man  künstlich  festzuhalten  sucht. 
Um  so  beachtenswerter  ist,  daß  sich,  im  Gegensatz  zu  den 
von  der  babylonischen  Schrift  beherrschten  Gebieten  Vorder- 
asiens, im  ägyptischen  Schulbetrieb  sprachliche  Arbeiten, 
Grammatik  und  Lexikographie  nicht  entwickelt  haben;  was 
an  derartiges  erinnert,  beschränkt  sich  auf  schlecht  geordnete 
Listen  von  Ortsnamen,  Göttern  u.  ä.  So  kommt  es,  daß  in- 
folge der  stetigen  Vermengung  alter  und  neuer  Formen  und 
Schreibungen  nicht  nur  die  Orthographie  verwildert  und  das 
Gefühl  für  grammatisch  und  phonetisch  korrekte  Wiedergabe 
der  Sprache,  sowohl  der  alten  wie  der  neuen,  vollständig 
abhanden  kommt,  sondern  daß  auch  das  Verständnis  der  klas- 
sischen und  ebenso  der  heiligen  Texte  immer  unsicherer  wird; 
die  Handschriften  der  Schüler  lassen  immer  wieder  erkennen, 
wie  wenig  sie  von  den  Texten  verstanden  haben,  die  sie  me- 
chanisch niederschrieben. 


508  ^-  ^^'*^  Kultur  der  Ramessidenzeit 

Neben  der  erstarrten  archaischen  hat  indessen  jetzt  auih 
die  lebendige  Sprache  ihr  Recht  gewonnen,  Wie  in  Baby- 
lonien  schon  seit  der  Zeit  Sargons  das  Sumerische  durch  die 
semitische  Sprache,  im  Chetiterreich  die  babylonische  durch 
die  chetitische,  bei  den  Kulturvölkern  der  Neuzeit  das  Latei" 
nische  durch  die  Volkssprachen  verdrängt  wird  und  wie  im 
modernen  Griechenland  die  klassische  Sprache  dem  Neu- 
griechischen hat  weichen  müssen,  so  gewinnt  in  Ägypten 
das  „Neuägyp tische"  immer  weiteren  Boden.  Im  täglichen 
Leben,  im  gesamten  Geschäftsverkehr,  in  den  amtlichen  Akten- 
stücken, Korrespondenzen  und  Protokollen  wird  lediglich  neu- 
ägyptisch geschrieben,  ja  seine  Sprachformen  beginnen  trotz 
alles  Widerstrebens  —  denn  Echnatens  kecke  Neuerung,  in 
seinen  staatlichen  und  religiösen  Kundgebungen  in  der  Volks- 
sprache zu  reden,  ist  natürlich  von  der  Reaktion  aufgegeben 
worden  —  gelegentlich  auch  in  die  Königsinschriften  ein- 
zudringen. Daneben  aber  hat  sich  eine  reiche,  lebensfrische 
Literatur  populären  Charakters  in  dieser  Sprache  entwickelt, 
von  der  auch  die  Schreiberhandschriften  nicht  wenig  aufge- 
nommen haben,  volkstümliche  Erzählungen  geschichtlichen 
Inhalts  wie  die  vom  Hyksoskönig  Apopi  oder  von  der  Ein- 
nahme von  Joppe  unter  Thutmosis  III.  durch  eine  List  im 
Märchenstil.  Sagen  und  Märchen  wie  das  aus  mythischen 
Elementen  fortgebildete  von  den  zwei  Brüdern,  aus  dem  ein 
Motiv  —  die  Versuchung  des  jüngeren  durch  die  Frau  des 
älteren,  der  er  widersteht  und  die  ihn  dann  verleumdet  — 
in  die  Josephsage  der  Israeliten  übergegangen  ist,  oder  das 
Märchen  von  dem  Königssohu,  der  trotz  aller  Vorsicht  dem  ihm 
verkündeten  Geschick  nicht  entgeht.  In  die  volkstümliche  Lite- 
ratur gehören  auch  die  anmutigen,  bei  den  Gelagen  gesungenen 
Liebeslieder,  von  denen  uns  Bruchstücke  erhalten  sind.  Höhere 
Ansprüche  erheben  die  Dichtungen  zum  Preise  des  Königs  und 
der  neuen  Ramsesstadt,  die  oben  S.  494  f.  verwertet  sind.  Auch 
das  große  Gedicht  über  die  Schlacht  bei  Qades,  das  sowohl 
handschriftlich  wie  in  den  Inschriften  bei  den  Gemälden  er- 
halten ist,  ist  in  der  Volkssprache  abgefaßt. 


Die  volkstümliche  Literatur.    Eine  Streitschrift  509 

Einen  großen  Raum  nehmen  in  den  Schreiberhand- 
schriften außer  den  „  Weisheitslehren ",  den  Weisungen  zu 
wohlanständigem  Verhalten  und  sittlich  korrekter  Lebens- 
führung die  altherkömmlichen  Mahnungen  zu  eifrigem  Lernen 
und  die  Schilderung  der  glänzenden  Stellung  des  „Schreibers'" 
ein,  daneben  die  Sammlungen  von  teils  fingierten,  teils  wirk- 
lich dem  Leben  entnommenen  Musterbriefen,  an  denen  der 
feine  Stil  gelernt  werden  soll.  Welch  reges  literarisches 
Leben  aber  in  diesen  Kreisen  geherrscht  hat,  zeigt  in  über- 
raschender Weise  eine  umfangreiche  Streitschrift  gegen  einen 
Beamten  der  Zeit  Ramses'  IL,  dessen  literarische  Leistungen 
von  seinem  Gegner,  unter  notdürftiger  Verhüllung  durch  die 
obligaten  Höflichkeitsphrasen,  aufs  ärgste  sowohl  stilistisch 
wie  inhaltlich  zerzaust  werden;  am  Schluß  wird  ihm  aus- 
führlich nachgewiesen,  daß  ihm  jede  wirkliche  Anschauung 
der  Verhältnisse  Syriens  fehlt,  so  viel  er  sich  auch  darauf 
zugute  tut  (vgl.  o.  S.  430).  Offenbar  hat  diese  Fehde  zwi- 
schen den  Gelehrten  ein  lebhaftes  Literesse  erweckt;  Stücke 
aus  der  Invektive  sind  vielfach  als  Vorlagen  für  Diktate  in 
der  Schule  verwendet  worden.  Sie  läßt  ahnen,  daß  hinter 
den  traditionellen  Formen  in  derselben  Weise,  wie  wir  es 
auf  dem  Gebiete  der  bildenden  Kunst  annehmen  müssen, 
auch  in  der  Literatur  in  der  Gestaltung  des  Stoffs  und  der 
Stilform  im  Wetteifer  der  Persönlichkeiten  auch  grundsätz- 
liche Anschauungen  bewußt  hervorgetreten  sind,  so  wenig 
daraus  eine  theoretische  Erörterung  der  Prinzipien  nach 
griechischer  Art  erwachsen  ist. 

Im  allgemeinen  trägt  die  gesamte  Kultur  der  Rames- 
sidenzeit  ein  durchaus  modernes  Gepräge.  Das  humane  Emp- 
finden, das  das  Agyptertum  seit  alters  auszeichnet,  und  das 
Streben,  die  Sittengebote  zu  befolgen,  gegen  die  Mitmenschen 
gerecht  und  wohlwollend  zu  handeln,  gesteigert  durch  das 
Bewußtsein,  im  Totengericht  Rechenschaft  ablegen  zu  müssen, 
tritt  in  der  Literatur  überall  hervor  und  gelangt  auch  in 
den  Äußerungen  Ramses'  II.  im  Schlachtgedicht  wirkungs- 
voll zum  Ausdruck.    Der  erreichten  Höhe,  die  das  Leben  so 


610  ^-  ^^^  Kultur  der  Ramessidenzeit 

schön  und  genußreich  zu  gestalten  gestattet,  ist  man  sich  voll 
bewußt,  und  man  lebt  des  Glaubens,  daß  unter  dem  Schutz 
der  Götter  die  nach  außen  wie  nach  innen  gefesteten  Zustände 
in  alle  Zukunft  weiter  bestehn  werden. 

Daher  ist  für  neue  Ideen  kein  Raum.  Wir  haben  schon 
gesehn,  wie  unter  der  Herrschaft  der  restaurierten  Ortho- 
doxie das  geistige  Leben  erstarrt  und  die  Kultur  unfrucht- 
bar wird.  Ständig  gesteigert  wird,  eng  verbunden  mit  dem 
wachsenden  Aberglauben,  die  Religiosität.  Es  wird  allmäh- 
lich Brauch,  nicht  nur  über  die  Zukunft  das  Orakel  zu  be- 
fragen, sondern  auch  in  allen  Streitigkeiten  über  den  Tat- 
bestand und  Rechtsfragen  die  Entscheidung  des  Gottes  ein- 
zuholen —  nachweisbar  zuerst,  seit  Ramses  III.,  beim  Kultus 
des  zum  Gott  gewordenen  Amenophis  I.  in  der  thebanischen 
Nekropole^);  alsbald  wird  die  Entscheidung  bei  großen  Staats- 
aktionen von  Amon  selbst  erbeten,  dessen  Fetisch  sie  in  der- 
selben Weise  erteilt,  wie  er  seine  Priester  bestellt  oder  nach 
der  offiziellen  Darstellung  Thutmosis  III.  zum  Thronfolger 
erwählt  hat  (o.  S.  112). 

So  wächst  denn  die  Macht  der  Priesterschaft  und 
auch  ihre  Zahl  ständig;  oft  genug  wird  sie,  so  wenig  die 
offiziellen  Texte  davon  reden,  auch  den  allmächtigen  Gottes- 
sohn auf  dem  Thron  des  Horus  unter  ihren  Willen  ge- 
zwungen haben.  Durch  die  ununterbrochen  den  Göttern  zu- 
fließenden Geschenke  an  Grundbesitz,  an  Sklaven  und  Schätzen 
aller  Art  aus  der  Beute  und  an  sonstigen  Gaben  schwillt  der 
unter  ihrer  Verwaltung  stehende  Besitz  der  großen  Tempel 
ins  Ungemessene  an.  Genauere  Kunde  darüber  gibt  die  Zu- 
sammenstellung, die  beim  Tode  Ramses'  III.  über  den  Besitz 
der  Götter,  ihre  Einkünfte  und  die  ihnen  neu  zugekommenen 
Gaben    gemacht  worden    ist-).     Daraus   ergibt    sich  zugleich, 


')  Siehe  Erman,  Zwei  Aktenstücke  aus  der  thebanischen  Gräber- 
stadt, Ber.  Berl.  Ak.  1910,  380  ff. 

^)  Im  großen  Harrispapyrus,  s.  Erman,  Ber.  Berl.  Ak.  1903,  467  ff., 
der  nachweist,  daß  das  hier  gleichfalls  offiziell  als  Gabe  des  Königs  be- 
zeichnete , Besitztum  für  ewig"   nebst  dem  jährlichen  Einkommen  der 


Anwachsen  des  Tempelguts  511 

wie  unendlich  Amon  von  Theben  tatsächlich  die  beiden 
anderen,  ihm  offiziell  gleichberechtigt  zur  Seite  stehenden 
Reichsgötter,  den  Atum-rfe'  von  Heliopolis  und  den  Ptat  von 
Memphis  überflügelt  hat  —  die  übrigen  Götter  und  Tempel 
kommen  demgegenüber  kaum  in  Betracht.  Danach  gehört 
dem  Amon  etwa  ein  Zehntel  des  Kulturbodens  Ägyptens, 
mit  81322  Leibeigenen,  421 3G2  Stück  Vieh  u.  s.  w.;  der 
Grundbesitz  des  Atum-re'  beträgt  kaum  den  fünften,  der  des 
Ptalj  gar  nur  den  fünfundachtzigsten  Teil  der  Grundfläche 
des  Amon,  jener  mit  12963  Menschen  und  45  544  Rindern, 
dieser  mit  3079  Menschen  und  10  047  Rindern. 

So  ist  der  Besitz  des  Amon  zu  einem  Staat  im  Staat 
erwachsen.  Eine  starke  Regierung  vermag  noch,  die  Hand 
über  ihm  zu  halten,  zumal  die  Ernennung  der  Oberpriester, 
auch  wenn  dafür  formell  das  Orakel  eingeholt  wird,  tatsäch- 
lich doch  dem  Pharao  zusteht.  Erschlafft  aber  die  Staats- 
gewalt, so  wird,  zumal  da  gleichzeitig  die  Religiosität  immer 
weiter  anwächst,  dieser  Kirchenstaat  seine  eigenen  Wege 
gehn  und  zuletzt  den  Herrscher  zur  Puppe  machen  oder  vom 
Throne  verdrängen.  Das  ist  die  Entwicklung,  die  sich,  lang- 
sam und  unbemerkt  fortschreitend,  in  Ägypten  vollzogen  hat; 
durch  sie  hat  schließlich  das  Königtum  des  Neuen  Reichs 
sein  Ende  gefunden^). 


Götter,  in  Wirklichkeit  ihren  überkommenen  Besitz  darstellt,  den  Kam* 
ses  in.  nur  bestätigt  hat,  wie  jeder  König.  Beim  Tode  Ramses'  II.  wird 
dieser  Besitz  kaum  geringer  gewesen  sein. 

')  Erman  a.  a.  0.  S.  574  bestreitet  das,  weil  er  die  früher  aus  dem 
Papyrus  Harris  gezogenen  Folgerungen  über  den  Umfang  des  Kirchen- 
guts und  die  Schenkungen  Ramses'  III.  auf  ein  geringeres  Maß  reduziert 
hat.  „Die  Tempel",  sagt  er,  , waren  sehr  reich,  aber  sie  waren  nicht  so 
reich,  daß  sie  eine  Gefahr  für  den  Staat  bilden  mußten".  Dabei  ist  m.  E. 
stark  unterschätzt,  was  ein  Besitz  wie  der  des  Amon,  der  nach  seiner 
Berechnung  „mindestens  ein  Zehntel  der  Äcker  und  ein  Hundertstel 
der  Bevölkerung"  umfaßt,  in  den  Händen  einer  geschlossenen  und  ziel- 
bewußten Priester^chaft  bedeutet. 


XI.  Das  Chetiterreich  und  seine  Nachbarn. 
Babylonien  und  Assyrien 

Organisation  und  Charakter  des  chetitischen  Reichs 

Neben  dem  Pharaonenreich  steht,  seit  dem  Bündnisver- 
trag von  diesem  als  gleichberechtigte  Großmacht  anerkannt, 
das  Reich  der  Chetiter.  Auch  in  seiner  inneren  Gestaltung 
sucht  dieses  es  dem  Ägypterreich  gleichzutun.  Geschaffen  ist 
es  durch  die  Herrscher  eines  Fürstentums  im  Innern  Klein- 
asiens, die  ihre  Macht  über  die  Nachbargebiete  ausdehnen 
und  neben  dem  alten  Titel  „König  von  Kussar"  den  eines 
„Königs  von  Chatti"  annehmen;  seit  aber  Subbiluljuma  die 
Untervi^erfung  der  Küstengebiete  und  der  syrischen  Lande 
wieder  energisch  aufnahm  und  ein  wirkliches  Großreich  be- 
gründete, setzt  er,  und  ebenso  seine  Nachfolger,  vor  seinen 
Namen  den  Titel  „Sonne"  und  redet  von  sich  in  offiziellen 
Erlassen  als  „meine  Sonne".  Das  knüpft  daran  an,  daß 
auch  bei  den  Chetitern  die  Sonnengottheit  an  der  Spitze 
des  Pantheons  steht,  ist  aber  offenbar  nicht  organisch  aus 
den  einheimischen  Anschauungen  erwachsen,  wie  in  Ägypten, 
sondern  diesem  nachgebildet:  neben  den  Pharao,  den  der 
Sonnengott  (und  zugleich  alle  anderen  Götter)  als  Sohn  ge- 
zeugt hat,  tritt  der  Chetiterkönig  wohl  nicht  so  sehr  als  In- 
karnation, als  vielmehr  als  irdischer  Repräsentant  der  Sonne 
selbst^).    So  schwebt  denn  auch  in  den  hieroglyphischen  In- 

')  Eine  weitere  realistische  Ausgestaltung  dieses  Verhältnisses,  wie 
sie  die  offizielle  Königslegende  der  Ägypter  in  so  reichem  Maße  ent- 
wickelt hat,  scheint  es  im  Chetiterreich  nicht  gegeben  zu  haben,  sonst 
würde  es  in  den  Königsinschriften  an  Anspielungen  darauf  schwerlich 
fehlen.  Auch  das  zeigt,  daß  wir  es  in  der  Königstitulatur  mit  einer 
künstlichen  Schöpfung  zu  tun  haben.  —  Ich  weise  noch  darauf  hin. 
daß  den  Babyloniern  und  der  semitischen  Welt  eine  derartige  Gleich- 


Stellung  des  Königs  513 

schrifteil  der  Chetiter  über  dem  Namen  des  Königs  die  ge- 
flügelte Sonnenscheibe,  und  in  den  Reliefs  von  Jazylykaja 
bei  Boghazkiöi  trägt  er  die  Tracht  und  den  Krummstab  des 
Sonnengottes.  In  einem  dieser  Bilder  umschließt  der  Donner- 
gott Tesub,  der  Schirmherr  des  Reichs,  den  König  mit  dem 
linken  Arm^);  es  ist  genau  dieselbe  Gestalt,  in  der  nach 
der  Angabe  der  ägyptischen  Inschrift  das  Siegel  des  Chat- 
tusil  auf  der  an  Ramses  geschriebenen  Vertragsurkunde  an- 
gebracht war. 

Zum  Namen  des  Großkönigs  gehört  ferner  das  Beiwort 
„der  Tapfere"^);  er  ist  in  erster  Linie  der  Heerführer,  der 
wie  der  Pharao  an  der  Spitze  seiner  Truppen  kämpft  und 
sie  zum  Siege  führt.  Daneben  hat  er  vor  allem  den  Verkehr 
mit  den  Göttern  zu  pflegen  und  die  zahllosen  Zeremonien 
des  bis  ins  Kleinste  ausgearbeiteten  Kultrituals  gewissenhaft 
zu  vollziehn ;  wie  der  Pharao  und  wie  die  babylonischen 
Könige  ist  auch  er  dadurch  in  seinem  öffentlichen  Auftreten 
auf  Schritt  und  Tritt  gebunden  und  seine  Bewegungsfreiheit 
beschränkt.  Zur  Seite  steht  ihm  eine  zahlreiche  Hofljeamten- 
schaft  und  daneben  seine  Hauptgemahlin,  die  in  derselben 
Weise  wie  in  Ägypten  als  Mitregentin  angesehn  wird  und 
ihren  starken  Einfluß  auch  nach  seinem  Tode  als  Königin- 
mutter behaupten  kann.  Im  Tode  geht  der  König  dann  wie 
der  Pharao  in  die  Götterwelt  ein  —  „er  ist  Gott  geworden" 

Setzung  des  Königs  mit  einem  Gotte  vollständig  fremd  ist;  denn  die 
Erhebung  des  Königs  zum  Gott  im  Reich  von  Akkad  und  von  Sumer 
und  Akkad  (Bd.  I  402)  ist  etwas  wesentlich  anderes  und  überdies  längst 
wieder  aufgegeben.  Die  Griechen  haben  den  Glauben,  daß  der  König 
als  Gott  gelte,  fälschlich  auf  den  Perserkönig  übertragen,  weil  sie  die 
Proskynese  so  mißverstanden;  die  Göttlichkeit  der  sassanidischen  Könige 
aber  ist  aus  hellenistischen  Vorstellungen  übernommen. 

')  Daher  nennen  sich  Subbiluljuma  und  Mursil  im  Titel  „Ge- 
liebter des  Tesub". 

^)  Geschrieben  mit  dem  Ideogramm  für  qardu,  das  sich  später 
nicht  selten  unter  den  Beiwörtern  der  Assyrerkönige  (zuerst  bei  Sal- 
manassar I.  in  der  Hauptinschrift  ZI.  10)  und  der  Götter  findet,  ägyptisch 
durch  tnr  übersetzt  (auch  hier  oft  vom  Pharao  gerühmt).  Aber  titular 
ist  es  nur  bei  den  Chetiterkönigen. 

Mej'er,  Geschichte  des  Altertums.    II'  '^>'i 


514   ^^-  Das  Chetiterreicl;  und  seine  Nachbarn.  Babylunien  und  Assyrier. 

ist  der  offizielle  Ausdruck  für  seinen  Tod — ;  auch  hier  werden, 
wie  in  Ägypten,  der  ganzen  Reihe  der  verstorbenen  Herrscher 
Totenopfer  dargebracht^). 

Neben  diesen  Übereinstimmungen  und  Entlehnungen  treten 
aber  auch  die  Unterschiede  beider  Reiche  stark  hervor.  Vor 
allem  fehlt  dem  Chetiterreich  die  geschlossene  Einheit  des  Nil- 
landes, sowohl  geographisch  wie  national.  Die  Könige  von 
Chattusas  (Boghazkiöi)  haben  in  fortwährenden  Kämpfen  den 
Hauptteil  des  östlichen  Kleinasiens  von  den  Taurusketten  und 
der  zentralen  Steppe  bis  zum  Schwarzen  Meer  als  Chattireich 
zusammengefaßt,  mit  Angliederung  des  Königreichs  Kizwadna, 
das  ihnen  jetzt  durch  die  Ehe  Chattusils  HL  mit  der  aus 
dem  dortigen  Priestergeschlecht  stammenden  Königin  Pudu- 
chepa  noch  fester  verbunden  war").  Den  Hauptteil,  abge- 
sehn  vom  Irisgebiet  und  den  Landschaften  am  Taurus  und 
Antitaurus,  kann  man  als  Stromgebiet  des  Halys  bezeichnen; 
jedoch  eine  innere  Einheit  vermag  ihm  dieser  Fluß  nicht  zu 
geben,  der  es  in  weitem  Bogen  durchzieht,  aber  weder  schiff- 
bar ist  noch  seine  Ufer  befruchtet. 

Wie  schon  zur  Zeit  der  assyrischen  Handelskolonien  des 
3.  Jahrtausends  zerfällt  dieses  Gebiet  in  zahlreiche  kleine 
Gaue  mit  städtischem  Mittelpunkt  und  lokaler  Selbstverwal- 
tung durch  die  Ältesten;  die  Reste  dieser  ummauerten  Ort- 
schaften liegen  unter  den  Schutthügeln  (türkisch  Hüjük),  die 
weithin  über  die  Landschaften  zerstreut  sind^).  Sie  alle  haben 
ihre  lokalen  Gottheiten;  zusammen  bilden  sie  „die  1000  Götter 
des  Chattilandes",  die  wichtigeren  werden  in  den  Vertrags- 
urkunden in  langer  Liste  namentlich  als  Zeugen  aufgerufen. 
Manche  dieser  Kultstätten  sind  zu  ansehnlichen  Heiligtümern 
mit  reichem  Besitz  und  großen  Scharen  von  Hörigen  er- 
wachsen; mehrere  dieser  „Gottesländer",  so  Komana  am 
Iris  und  die  gleichnamige  Stadt  am  Saros,  haben  sich  durch 
allen  Wechsel  der  politischen  und  nationalen  Gestaltung  hin- 

')  Siehe  Forrer.  Bogh.-Texte  in  Umschrift  S.  13*  ff 

2)  Siehe  o.  S.  472. 

^)  Vgl.  Forrer.  Mitt.  DOG.  65,  27  ff. 


Organisation  und  Charakter  des  Reichs.    Die  Reichssprache     516 

durch  als  selbständige  Priesterfürstentümer  bis  in  die  römische 
Zeit  hinein  erhalten. 

In  der  Regel  waren,  so  scheint  es,  die  kleineren  Stadt- 
gebiete zu  größeren  Verwaltungsbezirken  zusammengefaßt, 
die  an  die  Magnaten  des  Hofstaates  und  des  Heeres,  dar- 
unter die  Angehörigen  des  Königshauses,  vergeben  wurden.  Zu 
ihnen  gehören  vor  allem  das  „obere  Land"  und  das  König- 
tum von  Chakpis,  mit  denen,  nebst  zahlreichen  anderen  Ge- 
bieten, Chattusil  von  seinem  Bruder  belehnt  wurde  (o.  S.  446. 
472).  Offenbar  war  die  wirtschaftliche  Entwicklung  nicht  so 
weit  fortgeschritten,  daß  ein  wirklicher  Beamtenstaat  wie  der 
des  Neuen  Reichs  möglich  gewesen  wäre;  man  konnte  lokale, 
selbständig  gestellte  Machthaber  nicht  entbehren,  und  das 
Reich  stand  eher  auf  der  Stufe,  die  Ägypten  nach  dem  Ende 
des  Alten  Reichs  erreicht  hatte  und  aus  der  dann  die  Mon- 
archie des  Mittleren  Reichs  erwachsen  war. 

Dazu  kommt  weiter,  daß  die  Bevölkerung  nichts  weniger 
als  homogen  ist.  Die  für  manche  Kultgesänge  und  Beschwö- 
rungen vorgeschriebenen,  zum  Teil  auch  in  literarischen  Texten 
vorliegenden  Sprachen,  das  Protochattische,  Charrische,  Lu- 
wische,  Balaische,  sind  nicht  etwa  nur  durch  die  geheiligte 
Tradition  künstlich  im  Kultus  beibehalten,  wie  das  Sume- 
rische in  Babylonien,  das  Sanskrit  in  Indien  oder  die  christ- 
lichen Kirchensprachen,  sondern  völlig  lebendige  Volksspra- 
chen ;  Unterschiede  in  der  Rechtsstellung  ihrer  Gebiete  finden 
sich  auch  im  Gesetzbuch^).  Die  darüber  gelagerte  chetitische 
Reichssprache  aber  ist  eine  aus  den  verschiedensten  Elementen 
gebildete  Mischsprache,  die  äußerlich  in  ein  indogermanisches 
Flexionsschema  gezwängt,  aber  im  Wortschatz  ganz  von  frem- 
dem Gut  überwuchert  ist.  So  ist  sie  nicht  organisch  erwachsen 
und  schwerlich  wirklich  bodenständig  gewesen,  sondern  macht 
weit  eher  den  Eindruck  einer  künstlichen  Bildung  oder  eines 
aus  dem  Sprachwirrwarr  entstandenen  Notbehelfs.  Jedenfalls 
zeigt  sie,  daß  der  Volksstamm,  von  dem  das  Reich  ausgegangen 


')  §  5.  19—21. 


516    XI-  D'i*  Chetiteireich  und  .seine  Nachbarn.  Babjlonien  und  Assyrien 

ist,  sich  nicht  rein  erhalten  hat,  sondern  sich  aufs  stärkste 
mit  der  unterworfenen  Bevölkerung  gemischt  haben  muß. 

Bei  den  sich  immer  wiederholenden  Aufständen  und  den 
Invasionen  der  Gasgaeer  werden  diese  Gegensätze  mitgewirkt 
haben  ebenso  bei  der  zeitweiligen  Verlegung  der  Hauptstadt  ins 
„Unterland"  durch  Muwattal  (o.  S.  446).  Jedenfalls  ist  klar, 
daß  der  Zusammenhalt  des  Reichs  wesentlich  auf  der  Armee 
und  auf  der  Persönlichkeit  des  Königs  beruht.  In  der  Götter- 
welt wird  es  beschirmt  durch  die  großen  Reichsgötter,  die 
(weibliche)  Sonnengottheit  des  großen  Zentralheiligtums  von 
Arinna,  „die  im  Chattilande  das  Königtum  des  Königs  und 
der  Königin  lenkt",  und  den  Donnergott  (Tesub)  „den  Herren 
des  Chattilandes"  ^). 

Das  Regiment  des  Königs  ist  nicht  die  Willkürherr- 
schaft eines  Eroberers,  sondern  beruht  auf  einer  festen  Rechts- 
ordnung, zu  deren  Durchführung  er  berufen  ist.  Wie  seit 
alters  in  Ägypten,  Babylonien  und  Assyrien  sind  ihre  Sätze 
auch  im  chetitischen  Reich  in  einem  Rechtsbuch  niedergelegt, 
von  dem  uns  nahezu  200  Paragraphen  erhalten  sind^j.  Da- 
durch gewinnen  wir  zugleich  einen  Einblick  in  die  wirt- 
schaftlichen und  sozialen  Verhältnisse.  Die  Grundlage  bildet 
natürlich  Landwirtschaft  und  Viehzucht;  daneben  sind  alle 
Gewerbe  vertreten,  und  ebenso,  wie  seit  alters,  die  Kaufleute 
und  Händler,  Im  Geschäftsverkehr  herrschte,  wie  in  ganz 
Vorderasien,  die  babylonische  Rechnung  nach  Silbergeld  mit 
sexagesimaler  Gliederung  der  Gewichtseinheiten  (Talent,  Mine, 


')  Bezeichnend  ist,  daß  in  den  Listen  jeder  dieser  beiden  im  Reich 
waltenden  Gottheiten  ihr  himmlisches  Gegenbild  als  gesonderter  Gott 
zur  Seite  steht:  „der  männliche  Sonnengott  des  Himmels"  und  „Tesub 
des  Himmels" ;  dann  folgen  die  zahlreichen  Tesubs  der  einzelnen  Orte. 

^)  Publiziert  und  zuerst  bearbeitet  von  Hrozny;  dann  Zimmern  und 
Friedrich,  Heth.  Gesetze  (Alter  Orient  23,  2)  1922,  mehrfach  verbessert 
von  Friedrich,  Aus  dem  het.  Schrifttum  I  27  ff.  (Alter  Orient  24,  o). 
Im  einzelnen  ist  vieles  noch  recht  unsicher  und  weitere  Aufklärung 
von  dem  Fortschreiten  der  Erforschung  zu  erhoffen,  so  namentlich  über 
die  Ausdrücke  für  die  zahlreichen  Bernfsklassen  und  Schichten  der  Be- 
völkerung. 


Recht  und  Wirtschaft  517 

Seqel);  auch  die  Bußen  für  Körperverletzung,  Diebstahl, 
Sklavenraub,  Geldfrevel  und  andere  Vergehen  sind  vielfach 
neben  oder  an  Stelle  der  Sachentschädigung  in  Geld  zu  ent- 
richten. Ebenso  sind  die  Normalpreise  für  Vieh,  landwirt- 
schaftliche Produkte,  Zeugstoffe,  Tierhäute  u.  a.  im  Gesetz- 
buch festgesetzt^). 

Die  Rechtsstellung  der  Bevölkerung  zeigt  zahlreiche  Ab- 
stufungen, von  den  Vollfreien  bis  hinab  zu  den  niedrigeren  Be- 
rufen und  zu  den  Sklavenmassen,  deren  Stellung  und  Ehen 
gleichfalls  gesetzlich  geregelt  sind,  so  daß  sie  eher  als  Hörige 
oder  Leibeigene  betrachtet  werden  müssen.  Sie  werden  großen- 
teils aus  den  Scharen  von  Kriegsgefangenen  hervorgegangen 
sein,  die  seit  Subbiluljumas  Kriegszügen  ins  Chattiland  ver- 
pflanzt worden  sind.  Der  Hauptteil  der  Gutshöfe  ist  freies 
Eigentum,  mit  zahlreichen  Leibeigenen  —  einen  Anhalt  zur 
Schätzung  der  Zahl  der  Knechte  gibt  neben  anderen  Sätzen 
die  Bestimmung,  daß  wer  einen  freien  Menschen,  Mann  oder 
Frau,  erschlägt,  dafür  vier  Köpfe,  für  einen  Sklaven  oder 
eine  Sklavin  zwei  zu  stellen  hat.  Anderes  Land  ist  vom 
König  verliehenes  Lehensgut.  mit  der  Verpflichung  zu  per- 
sönlichem Kriegsdienst.  Auch  sonst  liegt,  so  scheint  es.  auf 
den  Grundstücken  die  Verpflichtung  zur  Stellung  von  Krie- 
gern, die  dafür  auch  gegen  Lohn  gemietet  werden  können; 
daneben  finden  wir  Gefolgsleute,  die  sich  den  Vollkriegern 
angeschlossen  haben  —  man  kann  dabei  vielleicht  an  die 
Schildträger  und  Kutscher  der  Wagenkämpfer  denken.  Auch 
die  Abgabenpflicht  ist  nach  der  Rechtsstellung  des  Grund- 
besitzes und  der  Privilegien  der  einzelnen  Volksgruppen  ver- 
schieden geregelt. 

Charakteristisch  für  das  chetitische  Gesetzbuch  ist  das 
Streben  nach  gerechter  und  maßhaltender  Abwägung  der  ge- 
gebenen Bedingungen  und  eine  humane  Gesinnung,  die  schon 

')  Sehr  wichtig  ist  die  Angabe,  daß  der  Preis  für  4  Minen  Kupfer 
1  Seqel  Silber  ist  (§  66*).  Das  Verhältnis  der  beiden  Metalle  ist  also 
240:1;  das  Silber  steht  hier,  wie  durchaus  begreiflich,  höher  als  in 
Babvlonien. 


518    XI.  Das  Chetiterreich  und  seine  Nachbarn.  Babylonien  und  Assyrien 

in  der  Gesetzgebung  des  Telibinus  (o.  S.  28)  eindrucksvoll 
hervortritt.  Nur  ganz  selten  werden  Leibes-  und  Lebens- 
strafen, Verstümmelungen  u.  ä.  verhängt,  in  scharfem  Gegen- 
satz gegen  die  harten  Strafen  der  babylonischen  und  assyri- 
schen und  auch  der  ägyptischen  Gesetze.  Wir  werden  darin 
ein  Erbteil  erblicken  dürfen,  das  das  herrschende  Volk  aus 
indogermanischer  Vorzeit  mitgebracht  und  weiter  ausgebildet 
hat.  Wenn  auch  für  Totschlag  nur  Ersatz  des  Erschlagenen 
durch  mehrere  „Köpfe",  für  Körperverletzung  nur  eine  hohe 
Geldbuße  verlangt  wird  —  für  den  Leibeigenen  die  Hälfte 
des  Satzes  für  den  Freien  — .  so  liegt  dem  allerdings  die 
Anschauung  aller  auf  naturwüchsiger  Kulturstufe  stehenden 
Völker  zugrunde,  die  die  Tötung  noch  nicht  als  kriminelles 
Verbrechen  betrachtet  und  dafür  nur  eine  Blutbuße  ver- 
langt; aber  sie  ist  mit  Bewußtsein  festgehalten  und  weiter- 
gebildet, und  das  Talionsrecht  („Auge  um  Auge,  Zahn  um 
Zahn"),  das  sonst  auf  dieser  Stufe  überall  herrscht,  ist  völlig 
aufgegeben.  In  der  auf  uns  gekommenen  Redaktion,  die  aus 
der  Zeit  des  Chattusil  IIL  oder  seiner  Nachfolger  stammen 
wird,  wird  mehrfach  hervorgehoben,  daß  die  älteren  Sätze 
jetzt  noch  weiter  gemildert  sind,  und  ebenso,  daß  der  König 
auf  die  Gebühren,  die  er  in  solchen  Fällen  früher  „für  den 
Palast"  erhob,  jetzt  verzichtet  hat.  Bei  schweren  Verbrechen, 
z.  B.  der  mit  dem  Tode  bestraften  Unzucht  mit  einem  Tier 
oder  der  Vergewaltigung  einer  Ehefrau,  ist  dem  König  das 
Begnadigungsrecht  vorbehalten.  Dieser  Denkweise  entspricht 
die  überraschend  milde  Behandlung,  die  besiegten  Feinden, 
äußeren  und  inneren,  durchweg  zuteil  wird,  während  die  Pha- 
raonen und  ebenso  die  semitischen  Könige,  so  die  der  As- 
syrer  und  der  Israeliten,  oder  später  die  Römer,  ihrem  Grimm 
in  Abschlachtung  und  brutaler  Mißhandlung  der  Besiegten 
freien  Lauf  lassen.  Das  ist  umso  auffallender,  da  die  Che- 
titerkönige  in  ihren  Inschriften  immer  bemüht  sind,  nach- 
zuweisen, daß  sie  streng  rechtlich  verfahren  sind.  Sie  wollen 
keine  nach  fremdem  Gut  verlangenden  Eroberer  sein,  son- 
dern haben  zu  den  Waffen  nur  gegriffen,   wenn  die  Erfüllung 


Charakter  des  Rechts.    Korrektheit  und  Humanität  519 

ihrer  durch  frühere  Verträge  begründeten  Ansprüche  und 
Forderungen  verweigert  ist.  Dann  bleibt  ihnen,  wenn  alle 
Verhandlungen  erfolglos  sind,  nichts  übrig,  als  der  Appell 
an  das  Gottesgericht  des  Krieges,  das  der  gerechten  Sache 
den  Sieg  gewährt.  Fällt  die  Entscheidung  gegen  den  König 
oder  trifft  ihn  sonst  ein  Unglück  wie  z.  B.  die  langjährige 
Epidemie  nach  dem  Kriege  Subbiluljumas  gegen  Ägypten 
(o.  S.  404),  so  sucht  er  den  Grund  seiner  Verschuldung  — 
so  bekennt  Mursil.  daß  sein  Vater  den  Krieg  gegen  Ägypten 
rechtswidrig  begonnen  hat  —  und  bemüht  sich,  die  ver- 
scherzte Gunst  der  Götter  durch  Sühnezeremonien  wiederzu- 
gewinnen. 

Diese  Auffassung,  die  lebhaft  an  das  Verhalten  der 
Römer  bei  ihren  Kriegen  erinnert,  regelt  auch  das  Verhalten 
zu  den  Göttern.  Hier  ist  der  Ritualismus,  der  alles  Gewicht 
auf  die  korrekte  Vollziehung  der  vorgeschriebenen  Hand- 
lungen legt,  in  ähnlicher  Weise  ausgebildet,  wie  später  bei 
Etruskern  und  unter  ihrem  Einfluß  bei  den  Römern.  Hier- 
her gehört  auch  die  Ausbildung  der  Lehre  von  den  Vor- 
zeichen aus  Opfern  und  Vogelflug  und  aus  Prodigien  aller  Art 
und  die  bestimmte  Formulierung  der  darauf  begründeten  An- 
fragen über  die  Deutung  beim  Orakel,  das  dann  die  Entschei- 
dung gibt.  Darauf  hat  Babylonien  stark  eingewirkt,  wo  ja 
diese  Künste  seit  langem  voll  entwickelt  sind,  so  vor  allem 
in  der  Beobachtung  der  Vorzeichen,  die  Sonne  und  Mond 
und  andere  Himmelserscheinungen  geben ^).    Eigenartig   und 


')  Einige  derartige  Texte  sind  von  Friedrich,  Aus  dem  het.  Schrift- 
tum II  (Alter  Orient  25,  2)  2?>  ff.  übersetzt.  Im  einzelnen  ist  die  Deutung 
noch  vielfach  ganz  unsicher;  so  kann  S.  27  f.  „wenn  der  Mond  stirbt' 
unmöglich  eine  Mondfinsternis  bezeichnen,  da  Deutungen  für  das  Ein- 
treten dieses  Ereignisses  vom  14.  bis  zum  21.  Tage  des  Monats,  ja  bis 
zum  Neumond  gegeben  werden;  es  muß  eine  ganz  andersartige  Er- 
scheinung sein.  Ebensowenig  kann  der  Text  S.  29  f.  richtig  verstanden 
sein,  wo  für  jeden  der  13  Monate  das  Schick.sal  der  in  ihm  geborenen 
Knaben  verkündet  sein  soll;  denn  unmöglich  kann  man  geglaubt  haben, 
daß  allen  im  Laufe  des  ganzen  Monats  geborenen  Knaben  dasselbe 
Schicksal  bevorstehe,  z.  B.  im  5.  oder  9.  Monat  ein  frühzeitiger  Tod,  u.  s.  w. 


520    XI.  Das  Chetiterreich  und  seine  Nachbarn.  Babj'lonien  und  Assyrien 

wieder  ganz  mit  dem  römischen  Ritual  übereinstimmend  ist, 
daß  Avenn  man  eine  feindliche  Stadt  zerstören  will,  ihren 
Göttern  Opfergaben  hinstellt  und  sie  aufgefordert  werden,  auf 
dem  ihnen  durch  daraufgelegte  bunte  Tücher  bezeichneten 
Wege  die  Stadt  zu  verlassen;  dann  soll  der  Reichsgott 
Tesub  sie  zerstören  und  seinen  Stieren  zum  Weideland  geben, 
kein  Mensch  soll  sie  wieder  besiedeln^).  Ebenso  wird  in 
einem  Gebet  die  Istar  von  Ninive  —  die  mächtige  Göttin, 
deren  Kult  sich  weithin  über  Mesopotamien  und  die  nörd- 
lichen Gebirgslande  verbreitet  hat  (vgl.  S.  356)  —  angerufen, 
aus  allen  Orten,  wo  sie  wohnen  mag,  herbeizukommen,  dem 
König.shause  und  dem  Chattilande  Segen  zu  bringen  und  den 
Feinden  ihre  Kraft  zu  rauben  und  hier  Männer  wie  Frauen 
unfruchtbar  zu  machen'-). 

Im  übrigen  muß  für  die  chetitische  Religion  ein  Verweis 
auf  die  Darstellung  im  ersten  Bande  (§  478  jff.)  genügen;  denn 
für  eine  Ausnutzung  des  in  den  Urkunden  aus  Boghazkiöi  ent- 
haltenen Materials  und  eine  Erörterung  der  Frage,  ob  in  ihr 
neben  den  von  der  älteren  Bevölkerung  übernommenen  und  den 
aus  Babylonien  eingedrungenen  Anschauungen  noch  indoger- 
manisches Gut  erhalten  ist,  ist  die  Zeit  noch  nicht  gekommen. 

Literatur.   Kunst.    Die  Königsstädte.    Die  hieroglypiiischen 
Inschriften 

Die  Anfänge  einer  höheren  Kultur  im  chetitischen  Ge- 
biet gehn  auf  die  im  3.  Jahrtausend  von  Babylonien  und 
Assyrien  gekommenen  Einwirkungen  zurück.  Neben  den  mate- 
riellen und  technischen  Elementen  —  zu  denen  auch  der  Ge- 
brauch des  Siegels  gehört,  für  das  hier  (neben  Zylindern 
und  Knopfsiegeln)  die  Form  des  Petschafts  vorherrscht  — 
ist  von  hier  auch  die  Schrift  übernommen,  die  dann  auch 
zur  Schreibung  der   einheimischen  Sprachen  verwendet  wird 


'j  Friedrich  S.  22. 

2)  Friedrich  S.  20f.;   Sommer,  Z.  Ass.  33,  8-5  ff.  Vgl.  auch  den  Text 
bei  Friedrich  S.  10  ff. 


Literatur  521 

und  schließlich  zur  Entstehung  einer  chetitischen  Literatur 
geführt  hat.  Sie  beginnt  mit  Übersetzungen  babylonischer 
Ritualtexte,  Mythen  und  Sagen  und  mit  lexikalischen  Hilfs- 
büchern zur  Erlernung  der  Schrift  nach  babylonischem  Muster. 
Dazu  treten  dann,  neben  den  Königserlassen,  Chroniken  und 
Urkunden,  gleichartige  Schriften  in  chetitischer  Sprache.  Auch 
auf  diesem  Gebiet  macht  sich  das  Reich  fortschreitend  immer 
selbständiger:  Avährend  die  von  Subbiluljuma  erhaltenen  Ver- 
tragsurkunden alle,  oft  unbeholfen  genug,  in  babylonischer 
(akkadischer)  Sprache  abgefaßt  sind,  wird  von  Mursil  II.  an 
immer  häufiger  das  Chetitische  verwendet;  nur  für  den  Ver- 
kehr mit  Amurru  und  mit  Ägypten  wird  die  internationale 
Diplomatensprache  beibehalten. 

In  den  einheimischen  Schriftwerken  tritt  wieder  die 
Sonderstellung  der  Chetiter  im  Kreise  der  orientalischen 
Völker  anschaulich  hervor:  während  die  gesamte  Literatur 
sowohl  Ägyptens  wie  der  babylonisch-semitischen  Welt  ano- 
nym ist,  nennen  die  chetitischen  Schriften  in  der  Regel  den 
\  erfasser,  und  zwar  nicht  nur  bei  von  Priestern  oder  Prie- 
sterinnen verfaßten  V^erken  über  Vorzeichen  und  Rituale,  bei 
denen  die  Autorität  des  Sachkenners  die  Zuverlässigkeit  durcli 
seinen  Namen  deckt  M,  sondern  ebenso  z.  B.  bei  dem  Werk 
des  Kikkuli  von  Mitani  über  Pferdezucht  und  Wettrennen 
(o.  S.  34  f.).  Darin  zeigt  sich  eine  Schätzung  der  Individualität 
auf  geistigem  Gebiet,  wie  sie  sonst  allen  älteren  Kulturen 
völlig  fremd  ist. 

In  der  Architektur  und  der  bildenden  Kunst  setzt  sich 
die  Entwicklung,  die  wir  früher  (S.  31  f.)  schon  in  Mesopo- 
tamien und  Nordsyrien  kennen  gelernt  haben,  im  chetitischen 

')  So  z.  B.  das  Ritual  des  Päpanikri  (Sommer  und  Ehelolf,  Bogh.- 
Stud.  X)  über  die  zahllosen  Zeremonien,  die  bei  der  Geburt  Unheil  ab- 
wenden (der  Verfasser  wird  als  ^chattili-mRnn  von  Komana"  bezeichnet, 
hat  also  wohl  im  Kultus  die  protochattischen  Formeln  zu  rezitieren); 
ferner  der  Mythus  von  einem  Götterkampf,  auf  dem  das  Ritual  des  dem 
Tesub  des  Himmels  gefeierten  Burullifestes  beruht,  von  dem  Priester 
Kella  von  Neriq  (Zimmern,  Der  Kampf  des  Wettergottes  mit  der  Schlange 
Illujankas,  in  der  Streitberg-Festgabe  1924,  4:^0  fl'.)- 


622    ^i-  ^^^  Chetiterreich  und  seine  Nachbarn.  Babylonien  und  Assyrien 

Großreich  weiter  fort.  Das  größte  Bauwerk  ist  die  Haupt- 
stadt Chattusas  (Bogliazkiöi).  Sie  liegt  in  einer  sich  nach 
Nordwesten  öffnenden  Talmulde  des  Hochplateaus,  über  die 
rings  steile  Felskuppen  bis  zu  Höhen  von  200  Metern  aufragen, 
ja  die  Fläche  der  Oberstadt  im  Süden  bis  zu  300  Metern. 
Neben  Babel  i.st  sie  weitaus  die  größte  Stadt  des  damaligen 
Vorderasiens;  auch  die  Ramsesstadt  wird  schwerlich  größer  ge- 
wesen sein.  Ursprünglich  mag  hier,  im  Anschluß  an  die  steilen 
und  leicht  verteidigungsfähigen  Felsburgen,  eine  kleinere  Stadt 
gelegen  haben;  in  ihrer  abschließenden  Gestalt  aber  ist  sie 
einheitlich,  unter  geschickter  Benutzung  des  Terrains,  als  starke 
Festung  angelegt.  So  darf  man  vielleicht  vermuten,  daß  diese 
Anlage  bei  der  Rückverlegung  der  Hauptstadt  geschaffen  ist, 
vielleicht  erst  unter  Chattusil  HI.  Der  Mauerring  aus  großen 
Steinquadern,  in  regelmäßigen  Abständen  durch  Türme  ver- 
stärkt, mit  einer  niedrigeren  Vormauer  wie  in  den  syrischen 
Festungen,  ruht  auf  einem  geböschten  Erdwall,  der  an  den 
exponiertesten  Stellen,  so  beim  Südtor.  eine  beträchtliche  Höhe 
erreicht.  Die  Bui-gkuppen  im  Innern  sind  stark  befestigt  und 
durch  Zwischenmauern  verbunden;  ebenso  wehren  in  der  Unter- 
stadt mehrere  solche  Mauerlinien  dem  eingedrungenen  Feinde 
das   weitere  Vorschreiten. 

In  der  Gesamtanlage  und  der  Technik  des  Mauerbaus 
stellt  sich  Bogliazkiöi  den  im  übrigen  weit  kleineren  Festun- 
gen von  Mykene  und  Tiryns  zur  Seite,  ebenso  in  den  durch 
Überkragung  überwölbten  unterirdischen  Gängen  (Poternen); 
an  einer  besonders  exponierten  Stelle,  wo  ein  Gießbach  das 
Stadtgebiet  durchzieht  und  der  Abhang  durch  eine  Zwischen- 
mauer gedeckt  ist,  sind  diese  unter  dieser  durch  den  Erdwall 
hindurchgeführt  und  ermöglichen  rasche  Ausfälle  der  Be- 
satzung. Gleichartig  ist  eine  Poterne  tief  unter  dem  Südtor, 
am|liöchsten  Punkte  des  Stadtgebiets;  außerdem  gestatten 
hier  zwei  steile  Treppen,  die  am  Wall  hinabführen,  dem 
Feind  größere  Abteilungen  entgegenzuwerfen,  während  er 
zugleich  von  den  hoch  darüber  aufragenden  Türmen  be- 
schossen  wird.    Auch    die  Stadttore  sind    unter   der   darüber 


Festungsbauten.    Bildwerke  523 

fortlaufenden  Mauer  durch  den  Wall  geführt  und  überkragt. 
An  den  kolossalen  Monolithen  der  Torpfosten  eines  dieser 
Tore  ist  ein  Motiv  verwendet,  das  sich  schon  an  den  älte- 
sten Torlaibungen  von  Sendjirli  findet  (o.  S.  32):  ein  mäch- 
tiger Löwe  mit  weit  aufgerissenem  MauL  aus  dem  zwischen 
den  großen  Eckzähnen  die  Zunge  heraushängt,  starrt  schreck- 
haft den  Nahenden  entgegen.  Gewaltig  hebt  sich  der  Kopf 
aus  der  riesigen  Mähne  hervor;  durch  die  aus  leuchten- 
dem Stein  eingesetzten  Augen,  durch  die  Grimm  atmenden 
Nüstern  mit  den  riesigen  Barthaaren  darunter  wird  der  Ein- 
druck des  Furchtbaren  noch  gesteigert.  Dagegen  sind  Beine 
und  Krallen  nur  in  plumpen  Umrissen  angedeutet.  Offenbar 
hat  man  mit  Absicht  an  dem  archaischen  Stil  festgehalten 
und  volle  Wiedergabe  der  Naturwahrheit  garnicht  erstrebt: 
es  sind  überirdische  Wesen,  die  den  Schutz  der  Stadt  über- 
nehmen. Das  Motiv  hat  weithin  nachgewirkt:  aus  ihm  ist 
der  Erstarrung  und  Tod  bringende  Gorgokopf  der  Griechen 
hervorgegangen  ^). 

Bei  den  übrigen  Toren  fehlen  diese  Löwen.  Dagegen  steht 
an  der  Stadtseite  eines  anderen  Tores,  durch  das  die  Haupt- 
straße ins  Binnenland  nach  Südwe.sten  führt,  in  hohem  Relief 
die  Gestalt  des  Kriegsgottes,  der  hier  den  zum  Kampf  aus- 
rückenden Truppen  zuschaut,  bekleidet  nur  mit  einem  kurzen 
Leibrock,  in  der  Rechten  die  Streitaxt,  im  Gürtel  das  Dolch- 
messer, auf  dem  Haupt  den  nach  babylonischer  Art  mit 
einem  Hörn  als  Abzeichen  der  Göttlichkeit  geschmückten 
Helm,  unter  dessen  Nackenschirm  der  lange  chetitische  Zopf 
über  die  Schulter  herabfällt.  Die  Stellung  der  Gestalt:  Kopf 
und  Beine  im  Profil  die  behaarte  Brust  von  vorn,  die  Linke 
geballt  erhoben,  i.st  durchaus  die  in  der  ägyptischen  wie  in 
der  vorderasiatischen  Kunst  herkömmliche.  Die  sorgfältige 
Modellierung  der  Muskulatur  an  Brust  und  Knie,  die  etwas 
weichlichen  Gesichtszüge,  die   durch   die   zu    leisem   Lächeln 

*)  Das  Gorgoneion  gilt  zwar  als  Kopf  [einer  Frau,  hat  aber  durch- 
aus die  tierischen  Züge  des  chetitischen  Löwenkopfs  bewahrt;  siehe 
weiter  Reich  und  Kultur  der  Chetiter  S.  11-3  f. 


524   XL  Das  Chetiterieich  und  seine  Nachbarn.  Babylonien  und  Assyrien 

verzogeneu  Mundwinkel  einen  wohlwollenden  Ausdruck  er- 
halten, erinnern  an  archaisch-griechische  Skulpturen;  es  ist 
bei  weitem  das  beste  Werk,  das  uns  von  chetitischer  Kunst 
erhalten  ist,  und  bestätigt  so,  daß  Mauer  und  Tor  der  jüng- 
sten Epoche  des  Reichs  angehören  \). 

In  dem  großen  Turm  über  dem  Südtor  sind  die  Tür- 
laibungen zu  beiden  Seiten  mit  geflügelten  Sphinxen  ge- 
schmückt, die  den  Laibungslöwen  in  Sendjirli  entsprechen. 
Dies  Motiv,  solche  Fabeltiere  als  Wächter  des  Eingangs 
aufzustellen,  ist  später  bekanntlich  von  den  Assyrern  über- 
nommen worden,  ebenso  wie  die  Verkleidung  der  Wände 
mit  Reliefplatten,  die  wir  in  Sendjirli  und  in  Teil  Chalaf, 
vielleicht  bereits  nach  ägyptischem  Vorbild,  schon  in  den 
ältesten  Bauten  linden,  während  sie  der  babylonischen  Bau- 
weise ganz  fremd  ist. 

Im  Innern  der  Stadt  sind  die  Grundrisse  mehrerer  klei- 
nerer Gebäude  in  der  Oberstadt  und  eines  großen  in  der  Unter- 
stadt aufgedeckt,  letzteres  rings  von  Reihen  langgestreckter 
Kammern  umgeben,  die  den  Magazinen  der  kretischen  Paläste 
gleichen  und  demselben  Zweck,  der  Aufbewahrung  der  Tribute, 
Lebensmittel  und  Schätze  dienten;  außerdem  befand  sich  in 
ihnen  ein  Archiv,  dem  wir  einen  großen  Teil  der  Tontafeln  ver- 
danken. So  ist  dieser  Bau  wohl  nicht  ein  Tempel,  sondern  ein 
Palast,  der  aber  auch  einen  Kultraum  enthielt.  Ein  zweites 
nicht  minder  ergiebiges  Archiv  lag  in  der   großen  Zitadelle 


'I  Ich  muß  durchaus  daran  festhalten,  daß  die  Figur  einen  Gott 
darstellt,  vgl.  Reich  und  Kultur  der  Chetiter  106  ff.,  wo  auch  die 
mit  ihr  vollkommen  übereinstimmende  Berliner  Bronze  und  ein  Götter- 
kopf (mit  Hörnerkrone)  mit  demselben  Gesichtsausdruck  (aus  Boghaz- 
kiöi,  jetzt  in  Konstantinopel)  abgebildet  sind.  Wenn  Puchsteix  (Boghaz- 
kiöi  S.  68j  sie  für  ein  Königsbild  hielt,  so  hat  ihn  dabei  vor  allem  die 
Übereinstimmung  der  Tracht  mit  der  des  von  ihm  fälschlich  als  König 
gedeuteten  Gottes  bestimmt,  der  in  Jazylykaja  den  König  umarmt. 
Die  gleiche  Tracht  zeigen  alle  sonst  erhaltenen  Darstellungen  des 
Tesub  und  ebenso  der  Gott  auf  dem  Relief  von  Fraktin  (Reich  u.  Kultur 
g.  105),  während  die  Königstracht  außer  auf  dem  Relief  von  Fraktin 
(S   527,3)  eine  ganz  andere  ist. 


Boghazkiöi  und  üjük.    Sphinxe.    Grabstelen  525 

(Böjükkale)  im  Osten  der  Stadt;  ein  weiteres  in  dem  Tempel 
der  Sonnengöttin  von  Arinna  wird  in  den  Texten  oft  erwähnt. 

Etwa  vier  Meilen  nördlich  von  Boghazkiöi,  auf  dem 
Hügel  Üjük  (richtiger  Hüjük),  liegen  die  Reste  einer  cheti- 
tischen  Königsburg,  von  der  das  von  zwei  mächtigen  Sphinxeii 
flankierte  Eingangstor  und  auf  den  Steinplatten  der  Um- 
fassungsmauer mehrere  Reliefs  erhalten  sind,  so  eine  Kult- 
szene, in  der  König  und  Königin  den  auf  einem  Postament 
stehenden  göttlichen  Stier  verehren,  nebst  der  daran  an- 
schließenden Prozession,  ferner  Jagden  auf  Hirsche  und  einen 
Eber.  An  der  rechten  Innenfläche  des  Toreingangs  ist  unter 
einer  Göttin  das  Reichswappen  angebracht,  ein  doppelköpfiger 
Adler,  der  mit  den  Krallen  zwei  kauernde  Hasen  packt  M. 
Diese  Reliefs  tragen  noch  einen  durchaus  primitiven  und  naiv 
unbeholfenen  Charakter;  somit  ist  Üjük  wesentlich  älter  als 
Boghazkiöi  und  mag  vielleicht  noch  beträchtlich  vor  Subbilul- 
juma  erbaut  sein. 

In  den  Sphinxen  ist  eine  in  Ägypten  geschaffene  und 
nur  hier  bedeutungsvolle  Gestalt,  äußerlich  schon  in  Syrien 
in  einen  weiblichen  Dämon  umgewandelt,  von  den  Chetitern 
als  Schirmer  der  Burg  und  Abwehrer  der  Feinde  übernom- 
men; auch  Kopftuch  und  Haartracht  der  Sphinxe  von  Üjük 
sind  nach  mißverstandenen  ägyptischen  Vorbildern  gebildet^). 
Auch  sonst  tritt,  den  politischen  und  kulturellen  Verhältnissen 
entsprechend,  die  ägyptische  Einwirkung  in  der  Kunst  stark 
hervor  und  überwuchert  die  älteren  aus  Babylonien  stammen- 
den Motive.  Hierher  gehören  die  Grabstelen  mit  Darstellung 
des  Totenmahls,  die  sich  im  Taurusgebiet  (Mar'as,  Sendjirli) 
vielfach  erhalten  haben,  aber  in  einem  Exemplar  auch  im 
Sangario.sgebiet  südwestlich  von  Angora;  und  gerade  dieses 
Relief  ist   so   primitiv   und   berührt   sich   so    eng  mit    denen 


')  Gleichartig  sind  die  "Wappen  der  ältesten  sumerischen  Städte, 
Bd.  I  370.  Der  Doppeladler  als  Reichswappen,  aber  ohne  die  Hasen, 
findet  sich  ebenso  in  Jazylykaja,  unter  zwei  darüber  schreitenden 
Göttinnen. 

2)  Siehe  Reich  und  Kultur  d.  Chet.  2.=.  f. 


526   XL  Das  Cbetiterreich  und  seine  Nachbarn.  Babylonien  und  Assyrien 

von  Üjük,  daß  dadurch  zugleich  seine  Zeit  bestimmt  istM. 
Weiter  aus  Ägypten  übernommen  ist  die  geflügelte  Sonnen- 
scheibe. Auch  dieses  Symbol  wird  natürlich  mißverstanden 
und  umgedeutet,  aus  den  von  der  Sonne  herabhängenden 
Uraeusschlangen  ein  Vogelschwanz  gemacht,  in  die  Scheibe 
ein  Stern  oder  eine  Mondsichel  gesetzt^).  In  dieser  Gestalt 
schwebt  sie  über  der  Figur  des  Sonnengottes  und  ebenso  über 
dem  Namen  seines  irdischen  Repräsentanten,  des  Königs. 

Wie  es  den  Chetitern  gelungen  ist,  mit  den  primitiven 
Mitteln  ihrer  Kunst  dennoch  ihre  religiösen  Anschauungen 
in  den  Götterbildern  eigenartig  und  wirkungsvoll  darzustellen 
und  damit  in  die  religiöse  Symbolik  neue  bedeutsame  Motive 
einzuführen,  die  sich  weithin  verbreitet  haben,  ist  früher  schon 
dargelegt^).  Dort  ist  auch  die  eindrucksvollste  dieser  Dar- 
stellungen besprochen  worden,  die  große  Götterprozession  in 
der  Felsschlucht  von  Jazylykaja  bei  Boghazkiöi,  die  geradezu 
zu  einem  Weltbild  geworden  ist.  Hier  finden  sich  neben  den 
Göttern  und  den  Königsbildern  auch  Beischriften  in  einer 
eigenartigen  Hieroglyphenschrift.  Diese  Schrift^)  hat  sich, 
zum  Teil  in  einer  Kursive,  bis  weit  in  die  Assyrerzeit  hinein 
erhalten  und  tritt  uns  damals  auf  nicht  wenigen  Denkmälern 
aus  Nordsyrien  und  dem  Taurusgebiet  entgegen.  So  wird 
vielfach  angenommen,  sie  sei  erst  nach  dem  Fall  des  Chetiter- 
reichs  von  einem  ganz  anderen  Volk  geschaffen  worden.  Aber 
die  Skulpturen  von  Jazylykaja  lassen  sich  von  der  Chetiter- 
stadt  Boghazkiöi  unmöglich  trennen;  und  die  vollständige 
Übereinstimmung  des  hier  dargestellten,  von  Tesub  umarmten 
Königs  mit  dem  Siegel  Chattusils  auf  der  ägyptischen  Ver- 

')  Ebenda  S.  37  f. 

^)  Die  chetitische  Gestalt  ist  dann  wieder  von  den  Assyrern  über- 
nommen, die  ein  Bild  des  Assur  hineinsetzen,  wie  dann  die  Perser  das 
Bild  Ahmamazdas. 

3)  Bd.  I  478  ff.;  feiner  Reich  und  Kultur  der  Chetiter  85  ff.  Hin- 
zu kommt,  aus  jüngerer  Zeit,  vor  allem  die  gleichfalls  von  ägyptischen 
Ideen  stark  beeinflußte  Darstellung  des  Weltbildes  an  der  Wand  des 
Kultbaus  von  Iflatün  in  Lykaonien,,  ebenda  S.  114  ff. 

*)  Vgl.  Bd.  I  474- 


Götterbilder.    Die  chetitische  Bilderschrift.    Königsnamen      527 

tragsurkunde  beweist  vollends,  daß  hier  ein  König  des  Che- 
titerreichs,  wahrscheinlich  eben  Chattusil  III.,  dargestellt  ist 
und  daß  er  diese  Skulpturen  geschaffen  hat. 

So  werden  wir  annehmen  müssen,  daß  sich  die  Che- 
titer  neben  der  Keilschrift  für  monumentale  Darstellungen 
nach  ägyptischem  Vorbild  eine  eigene  Bilderschrift  geschaffen 
haben  ^),  die  dann  später  auch  zum  Schreiben  (z.  B.  auf  Blei- 
tafeln und  auf  Gefäßen)  benutzt  wurde,  vielleicht  auch  von 
ganz  anderssprachigen  Völkern.  Völlige  Sicherheit  wird  natür- 
lich nur  zu  gewinnen  sein,  wenn  die  Entzifferung,  die  bisher 
allen  Bemühungen   getrotzt  hat,   doch   noch  gelingen  sollte. 

Denkmäler  mit  Königsnamen  in  dieser  Schrift  haben  sich 
auch  sonst  mehrfach  gefunden^).  Einer  steht  am  Anfang 
einer  ganz  verwitterten  Inschrift  an  einer  Felswand  (Nisan- 
tas)  unterhalb  der  Burg  Sarykale  in  Boghazkiöi.  Südlich 
vom  Argaeos,  bei  Fraktin  am  Zamanti-su,  ist  ein  nur  in  Um- 
rissen skizziertes  Felsrelief  ^)  offenbar  aus  ziemlich  früher 
Zeit  erhalten,  auf  dem  ein  König  und  eine  Königin,  beide 
mit  beigeschriebenen  Namen,  einem   Gott  resp.  einer   Göttin 


')  An  sich  ist  das  Nebeneinander  beider  Schriften  kaum  auffälliger, 
als  die  Beibehaltung  der  Hieroglyphen  in  Ägypten  für  monumentale  In- 
schriften neben  dem  sonst  durchweg  verwendeten  Hieratischen. 

2)  Zusammengestellt  und  behandelt  Reich  u.  Kultur  d.  Chet.  31  ff. 
139  ff.  In  der  Regel  sind  die  Hieroglyphen  des  Königsnamens  zu  beiden 
Seiten  von  einer  Gruppe  umrahmt,  die  aus  einem  spitzen  Kegel  mit 
einer  Volute  [darüber  besteht;  darüber  schwebt  meist  der  Sonnen- 
vogel. Gegen  die  von  Prinz  und  mir  gegebene  Erklärung  ist  Six, 
Die  hohe  Pforte  der  Chetiter  (Acta  Orientalia  II  199  ft'.)  wieder  zu  der 
Deutung  als  Aedicula  zurückgekehrt;  es  sei  eine  Nachbildung  des  von 
Säulen  getragenen  Palastportals,  über  dem  die  Sonne  schwebt,  der 
Balken,  auf  dem  sie  sitzt,  sei  fortgelassen.  Aber  es  steht  völlig  fest, 
daß  auch  Kegel  mit  Volute  allein  den  Königstitel  darstellen  und  daß 
der  spitze  Kegel  nur  in  der  Stilisierung  in  Jazylykaja  einer  nach  oben 
stark  verjüngten  Säule  ähnlich  sieht,  ganz  abgesehn  davon,  daß  Säulen 
sich  in  den  chetitischen  Bauten  irgends  nachweisen  lassen.  So  muß 
ich  an  unserer  Deutung  festhalten. 

3)  Rekonstruiert  Reich  und  Kultur  d.  Chet.  S.  105.  Der  König 
trägt  hier  dieselbe  Tracht  wie  der  Gott. 


528   XI-  I^3,s  Chetiterreich  und  seine  Nachbarn.  Babylonien  und  Assyrien 

libieren.  Der  Name  des  iu  Jazylykaja  von  Tesub  umarmten 
Königs,  also  wahrscheinlich  Chattusils,  kehrt  auf  einem  Altar 
in  Emirghazy  in  Lykaonien  wieder.  In  der  Nachbarschaft, 
an  einem  Hügel  des  Gebirges  Karadagh  mit  den  Ruinen  einer 
Festung,  sind  mehrere  Inschriften  eines  anderen  Königs  er- 
halten, davon  eine  neben  seinem  roh  in  den  Felsen  geritzten 
Bilde,  das  ihn  auf  dem  Thron  sitzend  darstellt.  Somit  hat 
sich  das  Gebiet  des  Reichs  jedenfalls  bis  7,um  isaurisch- 
pisidischen  Alpenland  hin  erstreckt,  was  durch  die  Angaben 
der  Inschriften  bestätigt  wird.  Weiter  nördlich,  jenseits  der  zen- 
tralen Steppe,  liegen  auf  einem  Felsen  die  von  einer  mäch- 
tigen Steinmauer  umschlossenen  Ruinen  einer  großen  Königs- 
burg (Giaurkalessi,  südAvestlich  von  Angora),  die  derselben 
Zeit  angehört;  an  der  Felswand  sind  zwei  Götter  in  der 
Tracht  des  Tesub  dargestellt,  die  auf  eine  vor  ihnen  sitzende 
Göttin  zuschreiten  \). 

Die  besprochenen  Monumente  zeigen,  daß  die  chetitische 
Kunst  sich  selbständig  neben  die  ägyptische  und  babylonische 
gestellt  hat  und  in  aufsteigender  Entwicklung  begriffen  ist. 
Diese  Entwicklung  ist  durch  den  jähen  Untergang  des  Reich> 
geknickt  worden  und  sie  ist  verkümmert;  aber  die  Schöpfungen, 
die  das  Gepräge  ihrer  Eigenart  tragen,  haben  noch  lange 
tiefgreifend  nachgewirkt  sowohl  auf  Syrien  und  Assyrien  wie 
nach  Westen  auf  die  Entwicklung  der  griechischen  Welt. 

Die  Vasallen.    Beziehungen  zu  Ägypten 

Zu  dem  Reichsgebiet  kommen,  durch  feierliche  Eide  ge- 
bunden und  zu  Tributzahlung  und  Heeresfolge  verpflichtet, 
die  Vasallenstaaten  im  südlichen  Kleinasien  und  in  Syrien. 
In  Karkemis  und  Aleppo  regieren  Nachkommen  Subbilulju- 
mas,  und  auch  .sonst  werden  manche  Orte  von  Chetitern  be- 
setzt und  kolonisiert  worden  sein,  so  Dapur  (o.  S.  469).  Die 
von  Chattusil  eingeschlagene  Friedenspolitik  und  das  Bündnis 


')  Die  Göttin  ist  von  Forrer  entdeckt :  Mitt.  DOG.  6.t  S.  ?.s  und 
Abb.  22  sowie  17.  Weiteres  s.  u.  S.  544-. 


Die  syrischen  Vasallen.    Beziehungen  zu  Ägypten  529 

mit  Ägypten  hat  ihrer  Herrschaft  größere  Sicherheit  und  Dauer 
gewährt.  Als  Bentesina  von  Amurru  wegen  einer  Geldfor- 
derung von  dreißig  Talenten  an  die  Leute  von  Akkad  zur 
Selbsthilfe  greifen  will  und  König  Kadasmenellil  von  Babel 
sich  darüber  bei  Chattusil  beschwert,  schlägt  dieser  , seinem 
Bruder"  vor,  gegen  den  chetitischen  Vasallen  Klage  zu  er- 
heben; dann  werde  er  Bentesina  vorladen  und  von  ihm  ver- 
langen, daß  er  sich  vor  den  Göttern  rechtfertige,  da  sein  un- 
gebührliches Verhalten  ihn,  seinen  Landesherren,  ebensogut 
treffe,  wie  den  verbündeten  König i).  Unter  Dudchalia  IV.  wird 
dann  Bentesinas  Sohn  unter  den  gleichen  Bedingungen  wie 
sein  Vater  zum  König  von  Amurru  eingesetzt^). 

Wenn  wir  von  Kriegen  kaum  noch  etwas  erfahren,  so 
liegt  das  allerdings  zum  Teil  daran,  daß  von  Chattusils  An- 
nalen  nur  dürftige  Bruchstücke  erhalten  sind;  eins  von  diesen 
zählt  eine  Reihe  von  Landschaften  im  späteren  Kilikien  und 
seiner  Nachbarschaft  auf,  die  er  unterworfen  hat').  Über  seine 
Nachfolger  Dudchalia  IV.,  Arnuanda  IV.  und  Dudchalia  V. 
ist  dann  die  Kunde  noch  dürftiger^). 

Zu  Ägypten  blieben  die  Beziehungen  dauernd  freund- 
schaftlich. Es  will  wenig  besagen,  wenn  sich  ein  Chetiter- 
könig  (vielleicht  Chattusils  Enkel  Arnuanda  IV.)  einmal  dar- 
über beschwert,  daß  ihm  der  Pharao  (Merneptah?)  zu  seiner 
Thronbesteigung  nicht,  wie  es  üblich  ist,  eine  Glückwunsch- 
gesandtschaft mit  Geschenken  geschickt  habe;  denn  in  dem- 
selben Brief  erklärt  er  sich  zu  friedhcher  Regelung  einer 
Grenzstreitigkeit  bereit  und  bedauert,  daß  er  die  Bitte  um 
reines  Eisen  aus  Kizwadna  zur  Zeit  nicht  erfüllen  kann;  er 


')  In  dem  oben  S.  478,  1  erwähnten  Brief,  übersetzt  bei^WiNCKLKR 
MDOG.  35,  24. 

*)  Bruchstücke  des  Vertrages  in  Übersetzung  bei  Winckleb,  Vorder- 
asien im  2.  Jahrtauspnd  S.  98  f.  (Mitt.  Vorderas.  Ges.  1913,  4).  Nach 
FoRRER,  Forsch.  I  89  führt  der  Amoriterkönig,  mit  dem  Dudchalia 
diesen  Vertrag  schloß,  den  Namen  Istarai. 

ä)  FoRRER  Forsch.  I  30.  39,  vgl.  77. 

*)  Einzelne  Angaben  über  sie  bei  Winckler,  MDOG.  35,  27  ff. 
FoRRER,  MDOG.  63,  5.  6.  18. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertnins.    II'  34 


530    ^I-  Daiä  Chetiterreich  und  seine  Nachbarn.  Babvlonien  und  Assyrien 

werde  aber  welches  anfertigen  lassen^).  Mernephtali  ist  dann, 
als  wieder  einmal  eine  Hungersnot  herrschte,  dem  verbün- 
deten Reich  durch  eine  große  Getreidesendung  über  See  zu 
Hilfe  gekommen^),  in  derselben  Weise,  wie  ein  Jahrtausend 
später  die  Ptolemaeer  so  oft  befreundeten  griechischen  Staaten 
geholfen  haben. 

Assyrien  und  Babylonien.  Ausgang  des  Kossaeerreichs. 
Elamitische  Invasion 

Die  Hoffnungen,  die  Chattusil  auf  eine  Ermannung  des 
Kossaeerkönigs  gesetzt  hatte,  haben  sich  nicht  erfüllt^).  Die 
Macht  Assyriens  dagegen  ist  ständig  gewachsen.  Das  spricht 
sich   auch   darin    aus,   daß  die  Fürsten  neben  ihren  priester- 


')  0.  S.  480,  2.  Weitere  Schriftstücke  erwähnen  einen  aus  Ägypten 
geholten  Arzt  (?)  Parimachu,  der  für  den  König  Kuranta  von  Tar- 
chuntas  einen  Palast  bauen  soll  (Winckler,  Vorderasien  im  2.  Jahr- 
tausend, Vorderas.  Ges.  1918,  4,  S.  15)  und  die  Geburt  einer  ägyptischen 
Prinzessin,  die  der  Chetiterkönig  zur  Fürstin  eines  Vasallenstaates 
machen  möchte  (Meissneb,  ZDMG.  72,  62  f.  Ganz  unsicher  ist  Meissner's 
Ergänzung  und  Deutung  des  Brief fragments  KBo.  I  23  auf  S.  61  f.). 

^)  Merneptahs  Inschrift  von  Karnak,  ZI.  24,  „bestätigt  durch  einen 
Brief  eines  Chattikönigs  an  einen  Sohn  des  Pharao  Marniptah,  worin 
er  diesem  angibt,  daß  die  ägyptische  Getreideflotte  Vura  ansteuern 
solle"  FoRRER,  MDOG.  63,  5.  Ob  seine  auch  sprachlich  bedenkliche 
Gleichsetzung  von  Vura  mit  Myra  in  Lykien  sich  bestätigt,  bleibt  ab- 
zuwarten; jedenfalls  ist  die  Flotte  nicht,  wie  er  annimmt,  „ganz  genau 
nach  Norden  auf  dem  kürzesten  Wege  nach  Kleinasien  gefahren^. 
sondern  bestenfalls  über  Cypern.  Daß  die  Beziehungen  zu  den  Che- 
titern  unter  Merneptah  friedlich  waren,  bestätigt  auch  die  sog.  Israel- 
stele [von  Breasted,  Bec.  III  .580  Anm.  h  falsch  gedeutet]. 

^)  Wie  der  junge  Kadasmanellil  II.  1279—74  (o.  S.  478)  haben 
auch  seine  Nachfolger  Kudurellil  1273—65,  Sagaraktisurias  1264 — 52, 
Kastilias  II.  1251—44  keine  langen  Regierungen  gehabt.  Es  muß  daher 
mehrfach  ein  Bruder  auf  den  andern  gefolgt  sein,  falls  wir  nicht 
etwa  mit  gewaltsamen  Thronwechseln  und  Usurpatoren  zu  tun  haben. 
—  Wie  ungenau  die  chronologischen  Angaben  der  späteren  Babylonier 
sind,  wird  drastisch  dadurch  illustriert,  daß  Nabonid  die  Erbauung  des 
Tempels  der  Anunit  in  Sippara  durch  Sagaraktisurias  «00  .Tahre  vor 
seine  Zeit,  also  um  1350,  ansetzt  (Bd.  I  326A.)1 


Anwachsen  der  assyrischen  Macht  531 

liehen  Titeln  jetzt  den  eines  Königs  von  Assur  anzunehmen 
beginnen  und  seit  Adadnirari  I.  den  ehemals  von  Samsiadad  IL 
geführten  Titel  sar  kissati  „König  der  Menge"  (der  Menschen- 
masse) hinzufügen^)  und  damit  den  Anspruch  auf  die  Vor- 
herrschaft in  der  Welt  erheben.  Eben  darum  hat  ihn  dann 
auch  Sagaraktisurias  von  Kardunias  angenommen;  darin  ge- 
langt die  Rivalität  der  beiden  Reiche  drastisch  zum  Ausdruck. 

Zwischen  dem  Chetiterreich  und  Assyrien  besteht  die 
Spannung  weiter.  In  dem  Vertrage  Dudchalias  IV.  mit  dem 
Sohne  Bentesinas  von  Amurru  folgt  auf  die  übliche  Ver- 
pflichtung, mit  den  Königen  von  Ägypten  und  von  Kardunias 
je  nach  dem  Verhältnis  „der  Sonne"  zu  ihnen  Freund  oder 
Feind  zu  sein  —  Chanigalbat  oder  Mitani  wird  hier  unter 
den  ebenbürtigen  Mächten  natürlich  nicht  mehr  genannt  — , 
die  eidliche  Verpflichtung,  „dem  König  von  Assur  feind  zu 
sein,  wie  er  der  Sonne  feind  ist" ;  er  darf  weder  seine  eigenen 
Kaufleute  nach  Assyrien  hineinlassen,  noch  assyrischen  den 
Eintritt  oder  Durchzug  gewähren,  sondern  muß  sie,  wenn 
sie  trotzdem  in  sein  Land  kommen,  festnehmen  und  an  die 
Sonne  ausliefern.  Im  Gegensatz  zu  dem  regen  Handel  mit 
Ägypten  und  Babylonien  besteht  also  gegen  Assyrien  volle 
Verkehrssperre. 

Den  Höhepunkt  seiner  Macht  erreicht  Assyrien  unter 
Salmanassars  Sohn  Tugultininurta  I.  (ca.  1260 — 35)^).  Er 
hat  zunächst  wieder  in  den  Gebirgsländern  gekämpft,  so- 
wohl  im    Südosten    gegen   die   Gutaeer,  wie    im   Nordwesten 


')  Kissat  ist  Abkürzung  von  kissat  nisi  „Masse  (Fülle)  der 
Menschen",  vgl.  z.  B.  in  der  großen  Inschrift  Adadniraris  1,  15  sabit 
kissat  nisi  „der  die  Menschenmasse  als  Besitz  ergreift".  —  „König  von 
Assur"  nennt  sich  zuerst  Assuruballit  auf  seinem  Siegel  (Übersetzung 
no.  6).  Daß  dann  Arikdenilu  (Ubers.  no.  1)  einen  Eponymen  „Sohn 
des  Eribaadad,  Königs  von  Assur"  (des  Vaters  Assuruballits)  nennt, 
ist  nachträgliche  Übertragung  des  Titels  auf  den    älteren  Herrscher. 

*)  Auf  dem  von  Tugultininurta  I.  erbeuteten  Siegel,  s.  u.  S.  533,  2. 

')  Alles  Material  bei  King,  Records  of  the  reign  of  Tukulti- 
Ninib  I.,  1904.  Zu  seiner  Inschrift  kommen  die  Angaben  der  Chronik  P, 
während  von  der  synchron.  Gesch.  hier  nur  wenige  Worte  erhalten  sind. 


532   ^I-  Das  Chetiterreicb  und  seine  Nachbarn.  Babylonien  und  Assyrien 

gegen  die  zahlreichen  kleinen,  unter  Häuptlingen  stehenden 
Kantone  oder  Clans  der  armenischen  Berge,  für  die  jetzt  der 
Name  Na'iriländer  aufkommt.  Unter  blutigen  Gefechten  und 
Verheerungen  hat  er  den  Machtbereich  hier  nach  dem  Eu- 
phrat  zu  erweitert;  auch  Alzi  (Alse,  o.  S.  374.  376),  Purukuzzi, 
Kummuch  u.  a.  nennt  er  unter  den  unterworfenen  Distrikten. 
Dabei  wurde  auch  „das  weite  Gebiet  von  Subari"  wieder 
heimgesucht.  Dann  aber  wandte  er  sich  im  Jahre  1244  oder  43 
gegen  Kastilias  IL  von  Kardunias.  Die  Kossaeer  wurden  ge- 
schlagen, Kastilias  selbst  gefangen.  Der  Sieger  setzte  ihm 
den  Fuß  auf  den  Nacken  und  schleppte  ihn  in  Ketten  vor 
den  Gott  Assur.  Über  Babylonien  setzte  er  einen  Statthalter 
ein;  er  selbst  aber  nahm  die  Titel  „Kön^'g  der  vier  Weltteile, 
König  von  Kardunias,  König  von  Sumer  und  Akkad"  an^). 
Dann  erbaute  er  sich  auf  das  Geheiß  Assurs,  den  er  mit  Ellil 
gleichsetzt,  eine  neue  Königsstadt  Kar-Tugultininurta  auf  dem 
linken  Tigrisufer  gegenüber  von  Assur,  mit  einem  Tempel 
des  Assur  und  der  übrigen  Götter  nebst  der  zugehörigen  Zikur- 
rat  und  einer  mächtigen  Lehmziegelterrasse,  auf  der  sich  der 
Königspalast  erhob '^).    . 

Inzwischen  aber  hatte  König  Kidinchutrudas  von  Elam 
die  Lage  Babyloniens  benutzt,  um  die  Niederlage,  welche  ein 

')  WiNCKLER,  Altor.  Forsch.  III  329  ff.,  hat  erkannt,  daß  die 
Chronik  P  die  beiden  Kriegszüge  unterscheidet  und  daß  die  große 
Inschrift  Tugultininurtas  vor  dem  zweiten  Zug  und  der  Zerstörung 
Babels  abgefaßt  ist.  —  Die  babylonische  Königsliste  erkennt  ihn  natür- 
ich  nicht  als  König  an,  sondern  nennt  statt  dessen  die  Regenten,  zu- 
erst Ellilnadinsum  und  Kadasmancharbe  mit  je  l'/^  Jahren  (1243 — 41), 
dann  Adadsumiddin  mit  6  Jahren  (1240—35);  dann  folgt  Kastilias' 
Sohn  Adadsumnasir  (früher  Adadnadinache  gelesen)  mit  30  Jahren  (1234 
bis  05).  Das  gibt  einen  Anhalt  zur  Wiederherstellung  der  in  P  erzählten 
Vorgänge. 

^)  Die  verhältnismäßig  gut  erhaltenen  Ruinen  sind  von  der  deut- 
schen Orientgesellschaft  aufgedeckt,  s.  MDOG.  53,  41  ff  ;  sie  stimmem 
vollständig  zu  der  Schilderung  der  in  die  Fundamente  gelegten  In- 
schrift. Nach  der  Katastrophe  ist  die  Stadt  verödet,  wenn  sie  auch 
noch  im  8.  Jahrhundert  neben  Assur  genannt  wird  (Forrer,  Provinz- 
einteilung 10  f.). 


Tugultininurta  I.  von  Assur.    Eroberung  von  Babel  533 

Jahrhundert  vorher  sein  Vorgänger  Churbatila  durch  Kuri- 
galzu  III.  erlitten  hatte'),  wieder  auszugleichen.  Er  drang  ins 
Zentrum  von  Sinear  ein,  überfiel  Nippur,  plünderte  und  zer- 
störte Der  und  andere  Städte  östlich  vom  Tigris,  nahe  der 
assyrischen  Grenze,  und  „machte  der  Herrschaft  des  Ellil- 
nadinsum  (des  von  Tugultininurta  eingesetzten  Regenten)  ein 
Ende"  (1242).  Im  Lande  scheint  er  Anhang  gefunden  zu 
haben;  vermutlich  hat  er  den  nächsten  Herrscher,  Kadas- 
mancharbe  IL,  zum  König  eingesetzt,  der,  wie  sein  Name  zeigt, 
der  kossaeischen  Dynastie  angehört  haben  wird.  Da  zog 
Tugultininurta  1241  aufs  neue  gegen  Babel  und  erstürmte  die 
Stadt.  Babel  wurde  geplündert  und  ausgemordet,  die  Tempel- 
schätze fortgeführt'-');  um  eine  Wiederherstellung  des  Reichs 
rechtlich  unmöglich  zu  machen,  nahm  er  auch  die  Statue 
des  mit  dem  Götterkönig  Ellil  identifizierten  Marduk,  die 
das  Königtum  vergab,  aus  dem  Tempel  Esagilla  fort  und 
brachte  sie  nach  Assur.  Als  seinen  Statthalter  setzte  er  den 
Adadsumiddin  ein,  gegen  den  Kidinchutrudas  einen  zweiten 
Kriegszug  unternahm,  bei  dem  er  Isin  eroberte  und  dem  feind- 
lichen Heer  eine  arge  Niederlage  beibrachte.  Damit  bricht 
das  von  der  Chronik  erhaltene  Stück  ab. 

„Sieben  Jahre  (1241 — 35)  regierte  Tugultininurta  über 
Kardunias.  Darauf  empörten  sich  (offenbar  unter  dem  Ein- 
fluß des  elamitischen  Angriffs)  die  Magnaten  von  Akkad  und 
Kardunias  und  setzten  den  Adadsumnasir  (den  Sohn  des 
Kastilias  IL)  auf  den  Thron  seines  Vaters."  Auch  in  Assyrien 
selbst  brach   ein    Aufstand    aus,  an    dessen  Spitze    der    Sohn 

')  Oben  S.  475.  Bei  dieser  Gelegenheit  hat  Kurigalzu  einen  kleinen, 
bei  einer  früheren  Plünderung  Nippurs  als  Beutestück  nach  Susa  ge- 
brachten Agatstein  mit  der  Weihinschrift  eines  Beamten  Dungis  nach 
Nippur  zurückgebracht:  Hilprecht,  Bab.  Exp.  I  p.  .81. 

^)  Zu  den  Beutestücken  gehörte  das  Siegel  des  Sagaraktisurias 
»Königs  der  Menge",  auf  das  er  seinen  Namen  mit  dem  gleichen  Titel 
setzte.  Im  J.  689  hat  es  Sanherib  bei  der  PJroberung  Babels  gefunden 
und  darauf  gesetzt,  daß  er  es  nach  600  (!)  Jahren  wiedergewonnen 
habe.  Die  Nachbildung  in  Ton.  die  er  anfertigen  ließ,  ist  erhalten, 
s.  King  S.  60  ff.  106  ff. 


534   XI.  Das  Chetiterreich  und  seine  Nachbarn.  Babylonien  und  Assyrien 

des  Königs  AssurnadinpaP)  stand.  Von  den  Magnaten  unter- 
stützt brach  er  in  die  neue  Hauptstadt  ein  und  Tugultininurta 
wurde  erschlagen  (1234). 

Wir  besitzen  nur  diesen  mageren  Bericht  des  Chronisten, 
der  den  Untergang  des  Eroberers  als  Strafe  für  seinen  Frevel 
an  Babel  betrachtet;  ob  bei  dem  Aufstand  in  Assyrien  tiefer 
greifende  Ursachen  oder  lediglich  persönliche  Motive  dahinter 
standen,  läßt  sich  nicht  erkennen.  Das  Ergebnis  aber  ist, 
daß  Assyrien  wieder  einmal  zur  Ohnmacht  hinabsinkt;  auch 
die  in  Mesopotamien  eroberten  Gebiete  werden  großenteils 
wieder  ihre  eigenen  Wege  gegangen  sein.  Babylonien  da- 
gegen scheint  unter  Adadsumnasir  (1234—1205),  der  wie  sein 
Vorgänger  den  Titel  sar  kissat  annahm,  zeitweilig  wieder 
erstarkt  zu  sein,  vielleicht  in  Anlehnung  an  Elam;  wir  be- 
sitzen von  ihm  in  späterer  Abschrift  Bruchstücke  eines  Schrei- 
bens an  die  gemeinsam  regierenden  Könige  Assurnirari  III. 
und  Nabudän,  die  Nachfolger  Assurnadinpals.  in  dem  er  sie 
ganz  als  Vasallen  behandelt'-)-  Ihr  Nachfolger  Ellilkudurusui: 
hat  dann  den  Kampf  gegen  Babylonien  wieder  aufgenommen, 
jedoch,  falls  die  nur  in  Bruchstücken  erhaltenen  Reste  der 
darüber  berichtenden  Chronik   richtig  gedeutet  werden^),  in 


')  In  Chron.  P  verschrieben  Assurnasirpal.  [Die  Stele  von  Assur 
bei  Andrae  no.  10  kann  also  nicht  ihm  gehören.]  Außer  in  der  assyrischen 
Königsliste  bei  Weidner,  Mitt.  Vorderas.  Ges.  1921,  2  S.  14  (vgl.  S.  19) 
findet  sich  die  richtige  Namensform  auch  in  einer  kurzen  Inschrift 
aus  Assur,  in  der  er  sich  Sohn  des  Tugultininurta  nennt  (Schroeder, 
Keilschrift,  histor.  Inhalts  II  no.  62). 

2)  III  R.  4,  5.  Der  Name  ist,  wie  in  dieser  Zeit  meist.  Assurnarara 
geschrieben.  In  den  Königslisten  wird  Nabudän,  dessen  Name  auf  Ab- 
hängigkeit von  Babylonien  deutet,  nicht  genannt.  In  dem  Fragment 
einer  Liste  bei  Weidsek,  Mitt.  Vorderas.  Ges.  191.5  S.  2  (Schroeder, 
Keilschr.  versch.  Inhalts  no.  1.5),  sind  für  Assurnirari  6  J-,  für  f^Uil- 
kudurusur  5  J.  angegeben.  Daraus  ergeben  sich  unter  Heranziehung 
des  Todesdatums  Adadsumnasirs  1205  als  wahrscheinliche  Daten:  Assur- 
nadinpal  12B4— 1216.  Assurnirari  III.  121.5—1210.  Ellilkudurusur  120« 
bis  1205.    Dann  folgt  Ninurtapalekur. 

3)  Eine  gesicherte  Ergänzung  und  Übersetzung  des  vielbehandeiten 
Bruchstücks    der    synchron.    Gesch.   wird    ohne    neues    Material    nicht 


Bedrängnis  Assyriens.    Elamitisclie  Invasion  in  Babylonien     535 

der  Schlacht  ebenso  wie  sein  Gegner  Adadsumnasir  den  Tod 
gefunden  (1205).  Sicher  steht  jedenfalls,  daß  sich  in  As- 
syrien ein  Usurpator  der  Herrschaft  bemächtigte,  Ninurta- 
palekur,  und  eine  neue  Dynastie  begründete^).  Aber  weder 
er  noch  sein  Sohn  Assurdän  I.,  der,  wie  sein  Urenkel  Tiglat- 
pileser  I.  sagt,  durch  die  Gnade  der  Götter  zum  Greisen- 
alter gelangte,  also  lang  regiert  hat  (etwa  1190 — 60),  scheinen 
viel  erreicht  zu  haben,  wenn  auch  Tiglatpileser  von  Ninurta- 
palekur  rühmt,  daß  „sein  Netz  wie  ein  urimiuhaum  über  sein 
Land  gebreitet  war  und  er  die  Scharen  Assurs  treu  weidete". 
Auch  in  Babylonien  haben  wir  über  die  nächsten  Könige 
Melisipak  II.  1204—1190  und  Mardukbaliddin  I.  1189— 77^) 
kaum  etwas  zu  berichten.  Aber  ihr  Nachfolger  Zamamasumid- 
din  wurde  sowohl  von  Elam,  wie,  vermutlich  durch  dessen Vor- 
gehn  angelockt,  von  Assyrien  angegriffen  (1176).  Assurdän 
hat  nach  der  Chronik  mehrere  Grenzorte  im  Osten  des  Tigris, 
darunter  Zaban  im  Bereich  des  südlichen  Zab,  erobert  und 
reiche  Beute  fortgeführt.  Der  König  von  Elam  dagegen, 
Sutruknachunte,    „König   des   susischen  Anzan,  großer  Fürst 


möglich  sein;  s.  King,  Kecords  of  Tukultininib  jj.  105.  Winckler,  Altor. 
Forsch.  III  348  f.  Schnabel,  Mitt.  Vorderns.  Ges.  1908,  1  >S.  45  ff- 
Weidner,  ebenda  1915,  4  S.  76. 

')  Nach  dem  Fragmente  MDOG.  2(j.  60  war  dieser  der  Sohn  eine^ 
Kribaadad.  Bis  auf  ihn  führt  Tiglatpileser  I.  Ann.  7,  55  seinen  Stamm- 
baum zurück.  Adadnirari  III.  (S05 — 782)  dagegen,  der  seine  drei 
letzten  Vorfahren  (bis  Assurn;) sirpal  II.)  aufzählt,  nennt  sich  Nach- 
komme des  Tukultininurta  I.,  Königs  von  Assur,  Sumer  und  Akkad, 
des  Salmanassar  I.  und  des  uralten  Ellilkapkapu,  behauptet  also,  aus 
der  alten  Dynastie  zu  stammen,  während  er  die  dazwischenliegenden 
Könige  aus  der  Dynastie  Ninurtapalekurs  übergeht.  Danach  wird  in  der 
dunklen  Zeit  nach  1000  v.  Chr.  ein  neuer  Wechsel  der  Dynastie  ein- 
getreten sein. 

■)  Erhalten  sind  von  ihnen  wie  von  anderen  Königen  aus  der 
letzten  Zeit  der  kossaeischen  Dynastie  und  dann  von  Nebukadnezar  I. 
und  seinen  Nachfolgern  mehrere  Steinurkunden  (kudurru)  über  Land- 
schenkungen. Auf  dem  Kudurru  IV  R.  41  nennt  sich  Mardukbaliddin 
Sohn  des  Melisipak  „Nachkomme  des  Kurigalzu,  des  Königs  ohne 
Gleichen",  betont  also  seine  Abstammung  aus  dem  legitimen  Königshaus. 


.536   ^^-  I'äs  Chetiterreich  and  seine  Nachbarn.  Babylonien  und  Assyrier. 

von  Hatamti"^),  ist  tief  in  Babylonien  eingedrungen  und 
hat  es  zusammen  mit  seinem  Sohn  Kudurnachunte  gründlich 
ausgeplündert  und  verwüstet;  zahlreiche  Denkmäler,  darunter 
die  Siegesstele  Naramsins  —  auf  die  er  eine  Weihinschrift 
an  den  Gott  En-Susinak  von  Susa  setzte  — ,  die  Gesetzes- 
stele Chammurapis  und  viele  andere  wurden  aus  Nippur 
und  Sippara  nach  Susa  fortgeschleppt;  dadurch  sind  sie  uns 
hier  erhalten.  Zamamasumiddin  fand  in  diesen  Kämpfen 
nach  nur  einjähriger  Regierung  den  Tod,  sein  Nachfolger 
Ellilnadinache  (1175  —  73)  konnte  nichts  ausrichten.  Damit 
hat  die  Herrschaft  der  Kossaeer  über  Sinear,  nachdem  sie 
576  Jahre  bestanden  hatte,  ihr  Ende  gefunden;  die  kos- 
saeische  Kriegerkaste  wird  in  diesen  Kämpfen  aufgerieben 
sein,  die  folgende  Zeit  kennt  Kossaeer  nur  noch  in  ihrer 
alten  Heimat  in  den  wilden  Gebirgen  am  oberen  Choaspes 
und  Eulaeos  (Chuzistän)^). 

In  Babylonien  aber  erhob  sich  aus  der  heimischen,  ak- 
kadischen  Bevölkerung  eine  neue  Dynastie^).  Das  muß  zu- 
gleich zu  einer  Neuorganisation  des  Heerwesens  geführt  haben, 
über  die  wir  freilich  im  einzelnen  nichts  wissen;  in  dieser 
Beziehung  wird  man  den  Hergang  mit  der  Vernichtung  der 
Mamluken  in  Ägypten,  der  Janitscharen  im  osmanischen 
Reich  vergleichen  dürfen.  Das  ist  jedenfalls  bei  dem  un- 
kriegerischen Charakter  der  des  Wafienhandwerks  entwöhn- 
ten, nur   ihren  Geschäften   nachgehenden  Bevölkerung^  nur 

1)  Vgl.  Bd.  I  363.! 

2)  Einige  Auskunft  über  diese  Vorgänge  gibt,  außer  den  nach 
Susa  verschleppten  Monumenten,  'die  nur  in  späterer  Abschrift  frag- 
mentarisch erhaltene  Inschrift  des  ersten  Königs  der  nächsten  Dy- 
nastie (nicht  Nebukadnezar  I.!)  III  R.  38,  2,  die  Winckler,  Altor. 
Forsch.  I  534  S.  übersetzt  hat  [zuerst  erkannt  von  Lehmann,  Zwe  Haupt- 
probleme S.  167,  vgl.  auch  Winckler,  Gesetze  Hammurabis  S.  IX  if.]; 
ferner  die  von  ihm  im  Anschluß  daran  S.  .538  ff.  behandelten  Frag- 
mente von  Inschriften  Nebukadnezars  I,  die  von  seinen  Siegen  handeln. 

')  Die  vierte  von  Babel.  Warum  sie  , Dynastie  von  Isin  (geschrieben 
Pa  •  'e)"  heißt,  wissen  wir  nicht.  Nebukadnezar  I.  selbst  nennt  sich 
■Sit  Babili  , Sproß  von  Babel". 

■•)  Diesen  sich  aus  den  Ausgrabungen  ergebenden  Charakter  hebt 


Ende  der  Kossaeerherrschaft  537 

in  beschränktem  Maße  gelungen.  So  ist  es  begreiflich,  daß 
der  neue  König  Marduksapikzer  (1172 — 55)  noch  ganz  unter 
dem  Druck  der  Elamiten  gestanden  und  sich  bei  einem  An- 
griff auf  sie  am  Uknü  (Choaspes)  eine  schwere  Niederlage 
geholt  hat;  in  den  Resten  eines  von  ihm  stammenden  Klage- 
gebets an  die  Götter  i)  schildert  er  ergreifend  die  Not  und 
Verwüstung  des  Landes.  Dagegen  hat  er  oder  sein  Sohn 
Ninurtanadinsum  (1154 — 49)  gegen  die  Assyrer  Erfolg  ge- 
habt. Die  Einzelheiten  sind  auch  hier  ganz  dunkel"^),  aber 
wir  sehn,  daß  in  Assur  gegen  Assurdän  mit  babylonischer 
Hilfe  ein  Usurpator  (Ninurta-)Tugultiassur,  wohl  ein  Nach- 
komme der  alten  Dynastie,  zur  Herrschaft  gelangt  ist.  Er 
hat  dann  die  von  Tugultininurta  aus  Babel  entführte  Statue 
des  Marduk  zurückgegeben  und  damit  den  König  von  Babel 
als  seinen  Oberherru  anerkannt.  Auch  das  Siegel  des  Saga- 
raktisurias  wird  damals  zurückgegeben  sein.  Auf  die  Dauer 
freilich  hat  er  sich  nicht  behaupten  können;  er  mußte  schließ- 
lich mit  seinen  Anhängern  nach  Babel  flüchten,  und  Assur- 
däns  Sohn  Mutakkilnusku  bestieg  den  Thron  ^).  Daher  be- 
zeichnet Tiglatpileser  I.  diesen  als  den  legitimen  Sohn  Assur- 
däns  und  sagt  von  ihm,  daß  ihn  „Assur  der  große  Herr  in 
Erwählung  der  Treue  seines  Herzens  begehrte  und  rechtmäßig 

Rküther,  Die  Innenstadt  von  Babylon,  S.  20,  mit  Recht  hervor;  in  den 
Häusern  des  Merkes  , fanden  w^ir  Waffen  verschwindend  wenig,  in  den 
(iräbern  fehlen  sie  völlig". 

')  S.  536,  2. 

*)  Die  Quelle  ist  ein  in  späterer  Abschrift  erhaltenes  Schreiben 
(IV  R  34,  2)  an  einen  assyrischen  König,  der  ganz  von  oben  herab 
zur  Rede  gesetzt  wird,  in  dem  der  Verfasser  auch  von  dem  Ein- 
greifen seines  Vaters  zugunsten  des  Ninurta-Tugultiassur  und  seines 
Beamten  (Vezirs?)  Assursumlisir  redet.  Zuerst  behandelt  von  Winckler, 
Altor.  Forsch.  I  389  ff.  und  seitdem  oft  besprochen.  Weitere  Aufklärung 
hat  erst  die  assyrische  Königsliste  gebracht,  nach  der  Ninurta-Tugulti- 
assur Assurdäns  I.  Nachfolger  geworden  ist.  Somit  ist  der  Verfasser 
entweder  Nebukadnezar  I.  oder  wohl  eher  sein  Vater,  der  Adressat 
wahrscheinlich  Mutakkilnusku. 

^)  Vielleicht  hat  sich  Assurdän  in  einem  Teile  des  Landes  be- 
hauptet und  dann  die  Herrschaft  wiedergewonnen. 


538   ^-  -^^^  Chetiterreich  und  seine  Nachbarn.  Babylonien  und  Assyrien 

zum  Hirten  des  Landes  Assur  machte";  da  ist  der  Gegensatz 
gegen  den  Usurpator  deutlich  ausgesprochen. 

In  Babylonien  hat  dann  der  nächste  König  Nebukad- 
nezar  I.  (1148  bis  ca.  1125)  endlich  gegen  Elara  Erfolg  ge- 
habt. In  einer  hartumstrittenen  Schlacht  am  Eulaeos  hat  er 
ihren  König  geschlagen  und  reiche  Beute  davongeführt.  An 
eine  Unterwerfung  Elams  und  eine  wirkliche  Ausgleichung 
der  Schäden  und  Rücklieferung  der  geraubten  Denkmäler 
war  freilich  nicht  zu  denken;  aber  die  Unabhängigkeit  Baby- 
loniens  war  damit  wiedergewonnen.  Auch  die  Lulubaeer  und 
Kossaeer  rühmt  er  sich  besiegt  zu  haben  und  nennt  sich 
weiter  „Eroberer  von  Amurri" ;  in  der  Tat  mögen  die  Amoriter 
in  dieser  Zeit,  nach  dem  Untergang  des  Chetiterreichs,  ver- 
sucht haben,  ihre  Macht  nach  dem  Euphratgebiet  auszu- 
dehnen und  dabei  besiegt  worden  sein^).  Auch  im  Krieg 
gegen  Mutakkilnuskus  Sohn  Assurris'isi  von  Assur  (ca.  1145 
bis  1125),  der  ihn  angegriffen  zu  haben  scheint,  war  er  zu- 
nächst erfolgreich;  nach  mehreren  Wechselfällen  konnte  er 
gegen  die  Stadt  Assur  selbst  vordringen  und  die  Belage- 
rung beginnen.  Aber  Assurris'isi  führte  ein  Ersatzheer  her- 
bei, schlug  ihn  in  die  Flucht  und  eroberte  sein  Lager,  und 
damit  war  auch  die  Unabhängigkeit  Ass3Tiens  wieder  ge- 
sichert. 

In  einer  Bauinschrift  rühmt  sich  Assuris'isi,  die  Lulu- 
maeer  und  die  gesamten  Gutaeer  in  ihren  Gebirgen  besiegt  und 
die  weiten  Scharen  der  Achlamaeer  niedergeworfen  zu  haben. 
Er  hat  also  einigermaßen  den  alten  Bestand  des  Reichs  wieder- 
hergestellt. Noch  weit  größere  Erfolge  hat  dann  sein  Sohn 
Tiglatpileser  I.  errungen,  Babylonien  dagegen  ist  trotz  der 
vorübergehenden   Erfolge   Nebukadnezars  I.  nicht  wieder  zu 


')  Außer  den  oben  S.  536, 2  angeführten  Texten  geben  die  Kudurrus 
Nebukadnezars  I.  (Peiser  in  Sghrader's  Keilinschr.  Bibliothek  III), 
Schenkungsurkunden  für  seine  hervorragendsten  Mitkämpfer  und  für 
einen  zu  ihm  übergetretenen  Elamiten,  einige  Auskunft.  Über  den  Kr'eg 
gegen  Assurris'isi  berichtet  die  synchron.  Gesch.,  während  dessen  In- 
schrift, die  vielleicht  älter  ist,  davon  schweigt. 


Nebukadnezar  I.  von  Babel.    Stagnation  der  Kultur  539 

einer  Kräftigung  gelangt;  auch  in  den  Ruinen  des  inneren 
Stadtquartiers  von  Babel  ist  der  fortschreitende  Niedergang 
seit  der  Kossaeerzeit  deutlich  erkennbar. 

Kultur  und  Kunst  Babyioniens  und  Assyriens 

Die  Geschichte  Assyriens  und  Babyioniens  verläuft  in 
dieser  ganzen  Zeit,  und  noch  zwei  Jahrhunderte  weiter,  in 
eintöniger  Monotonie,  in  einem  stetigen  Hin  und  Her,  das  zu 
dauernden  Ergebnissen  niemals  führt.  So  kann  sie  ein  größeres 
Interesse  nicht  erwecken.  In  den  Königsinschriften  wieder- 
holen sich,  ganz  wie  bei  den  Ägyptern,  immer  von  neuem 
die  gleichen  Phrasen  über  die  Macht,  die  Frömmigkeit  und 
das  kriegerische  Ungestüm  des  von  Assur  und  den  großen 
Göttern  berufenen  und  geleiteten  Königs,  das  Gemetzel,  das 
er  unter  den  Feinden  anrichtet,  die  Mauern,  Tempel,  Paläste, 
die  er  wieder  hergestellt  oder  neu  erbaut  hat;  aber  wäh- 
rend in  Ägypten  ein  reichgestaltetes,  in  lebhafter  Bewegung- 
begriffenes  Kulturleben  dahinter  steht,  fehlt  das  hier  voll- 
kommen. Das  Leben  verläuft  von  Generation  zu  Generation 
gleichmäßig  weiter  in  den  ererbten,  von  der  Kultur  des 
3.  Jahrtausends  geschaff'enen  Bahnen.  Landwirtschaft,  Gewerbe 
und  Handel  gehn  ihren  Gang  schlecht  und  recht,  je  nach 
der  momentanen  politischen  Lage,  unter  den  durch  den  Geld" 
verkehr  und  das  Gesetzbuch  Chammurapis  geregelten  Ord- 
nungen ;  auch  in  der  Organisation  der  Staatsverwaltung  und 
der  Steuern  und  Fronden  wird  sich  in  Babylonien  trotz  der 
Beseitigung  der  Kossaeerkaste  nichts  Wesentliches  geändert 
haben;  an  die  Stelle  der  bisherigen  Machthaber  treten  die 
Gehilfen  und  Günstlinge  der  neuen  Dynastie.  Die  Macht  der 
Könige  ist,  wie  in  allen  despotischen  Staaten,  durch  die  Rück- 
sichten, die  sie  auf  die  für  die  Führung  der  Geschäfte  und 
Kriege  unentbehrlichen  Magnaten  und  auf  die  Volksstimmung 
nehmen  müssen,  nicht  nur  in  Babylonien  stark  gebunden, 
sondern  ofi'enbar,  trotz  alles  Prunkens  der  Königsinschriften, 
auch  in  Assyrien,  wie  die  wiederholten  Aufstände  und  Thron- 
wechsel zeigen.  Daneben  wird  die  Priesterschaft,  der  sie  selbst 


540   ^I-  Das  Chetiterreich  und  seine  Nachbarn,  ßabylonien  und  Assyrien 

angehören,  immer  einen  großen  Einfluß  behauptet  haben;  die 
Sorge  für  die  Tempelbauten  und  die  Ausstattung  des  Kultus 
ist  auch  hier  in  beiden  Staaten  jederzeit  eine  Hauptpflicht 
der  Könige. 

Auch  die  Traditionen  der  Götcerlehre,  der  Sage  und  Ge- 
schichte und  des  von  der  Priesterschaft  gepflegten  Wissens 
werden  weiter  überliefert,  die  alten  Texte  immer  von  neuem 
abgeschrieben  und  vermehrt,  die  Chroniken  weitergeführt  — 
bei  ihrer  Benutzung  zur  Ermittlung  von  Ereignissen  der  Vor- 
zeit ist  man  freilich,  wie  wir  geselin  haben,  oft  flüchtig  genug 
verfahren  — ;  die  Kenntnis  des  für  die  Erlernung  der  Schrift 
unentbehrlichen  Sumerischen  sucht  man  mit  Hilfe  der  Para- 
digmen und  Wörterbücher  zu  erhalten  und  hat  den  Texten 
vielfach  akkadische  Interlinearübersetzungen  beigefügt  und 
auch  umgekehrt  akkadische  Texte  ins  Sumerische  zurücküber- 
setzt, wobei  es  nicht  ohne  viele  Fehler  abging.  Auch  wird 
sich  ohne  Zweifel  der  Bestand  des  wahren  wie  des  eingebil- 
deten Wissens  auf  dem  Gebiet  der  Himmelskunde,  der  Samm- 
lung und  Deutung  der  Vorzeichen,  speziell  der  Opferschau. 
der  Magie  und  der  Heilkunde  gemehrt  haben,  so  gut  wie  auf 
dem  der  Theologie  und  der  Mittel,  die  Gnade  der  Götter  durch 
Bußgebete  und  Opfergaben  zu  gewinnen.  Aber  neue  Gedanken 
und  irgend  eine  innere  Fortentwicklung  suchen  wir  in  dieser 
ganzen  Literatur  vergeblich;  die  Fortschritte  in  der  Astro- 
nomie und  die  wissenschaftliche  Ausbildung  eines  geschlos- 
senen astronomisch-astrologischen  Systems  gehören  erst  der 
folgenden  Epoche,  der  Zeit  des  assyrischen  Großreichs  und 
der  Chaldaeer  an  (vgl.  Bd.  I  427).  So  ist  es  auch  jetzt  noch 
ganz  unmöglich,  in  der  Weise,  wie  das  in  Ägypten  der  Fall  ist, 
aus  inneren  Gründen  die  Zeit  irgend  einer  Schrift  zu  bestim- 
men und  so  zu  einer  wirklichen  Literatur-  und  Kulturgeschichte 
zu  gelangen^).  Vielmehr  ist  das  ganze  2.  Jahrtausend  in  Baby- 

')  Auch  Meissner  hat  daher  in  seinem  umfassenden  Werk  über 
die  babylonisch-assyrische  Kultur  (Babylonien  und  Assyrien  I  1920 
n  1925)  auf  eine  Darstellung  der  geschichtlichen  Entwicklung  ver- 
zichten müssen. 


Literatur  und  Kunst  in  Babylonien  und  Assyrien  541 

lonien  eine  Zeit  des  Stillstands  und  der  Erstarrung  und  daher 
eines  fortschreitenden  Rückgangs,  innerlich  wie  äußerlich. 

Unmittelbar  sinnfällig  tritt  dieser  Niedergang  in  der  Kunst 
zutage.  Im  Grunde  ist  die  ganze  Geschichte  der  Kunst  Baby- 
loniens  seit  der  Mitte  des  3.  Jahrtausends  nur  ein  ununter- 
brochenes Herabsinken  von  der  kurzen  im  Reiche  von  Akkad 
unter  Naramsin  erreichten  Blütezeit.  Jetzt  entartet  sie  völlig. 
Natürlich  hat  man  immer  weiter  Götterbilder,  Votivreliefs, 
Schmucksachen,  Siegelzylinder  angefertigt,  bunte  Gewänder 
gewebt  u.  s.  w.  Aber  das  alles  sind  nur  Erzeugnisse  einer 
mechanisch  fortgeführten,  völlig  degenerierten  Routine,  alles 
innere  Leben  und  aller  Kunstgeschmack  ist  geschwunden. 
Nirgends  zeigt  sich  das  deutlicher,  als  auf  den  jetzt,  seit 
den  letzten  Kossaeern  —  die  ältesten  erhaltenen  stammen 
von  Nazimaruttas  IL  und  Kastilias  III.  —  aufkommenden 
Urkundensteinen  (Kudurru),  Belehnungsurkunden  für  vornehme 
Beamte,  denen  Grundstücke  als  .steuerfreies  Eigentum  zu- 
gewiesen wurden^).  Über  den  Text  wurden  auf  den  Stein- 
block in  langen  Reihen  die  Symbole  zahlreicher  Götter  ge- 
setzt (unter  denen  allmählich  auch  astrale  Symbole  zahlreicher 
werden),  um  so  die  Urkunden  zu  bekräftigen;  aber  von  irgend- 
welchem Versuch,  sie  künstlerisch  zu  verbinden  oder  gar  ein 
einheitliches  Bild  daraus  zu  schafien,  ist  keine  Rede,  selbst 
Auswahl  und  Anordnung  ist  durchaus  willkürlich.  Wo  dann 
vollends,  wie  mehrfach  unter  der  vierten  und  den  folgenden 
Dynastien,  auch  noch  das  Bild  des  Königs  darauf  gesetzt  wird, 
fällt  es,  trotz  des  reichen  Kostüms,  so  plump  und  unbeholfen 
aus,  daß  es  an  die  tastenden  Anfänge  der  primitiven  sume- 
rischen und  chetitischen  Kunst  erinnert. 

So  ist  denn  auch  der  Hausrat,  der  sich  in  den  Haus- 
quartieren Babels  erhalten  hat.  ebenso  armselig  und  kunst- 
los wie  gleichzeitig  in  Palaestina,  in  schärfstem  Kontrast  zu 
der   Überfülle   geschmackvoller  Schöpfungen  der  Kleinkunst 

')  Sehr  unpassend  werden  sie  meist  als  „Grenzsteine  (boundary 
stones)"  bezeichnet.  Verzeichnis  derselben  bei  Hinke,  Boundary  stone 
of  Nebuchadnezzarl.  1907 (Bab.  Exped.  of  Pennsylvania,  Series  D,Vol.  IV). 


542   ^I  •  I^s  Chetiterreich  und  seine  Nachbarn.  Babylonien  und  Assyrien 

und  des  Kunsthandwerks  in  Ägypten.  Eine  babylonische  Kunst 
existiert  in  Wirklichkeit  überhaupt  nicht  mehr. 

Auch  in  Assyrien  liegen  die  Dinge  nicht  viel  anders. 
Die  Assyrer  haben  die  Kultur,  Literatur  und  Religion  Baby- 
loniens  übernommen,  aber  innerlich  Neues  kaum  hinzugefügt, 
abgesehn  davon,  daß  hier  der  Staramgott  Assur  die  herr- 
schende Stellung  unter  den  Göttern  einnimmt  und  daher  mit 
Ellil  identifiziert  wird,  wie  in  Babel  Marduk,  und  daß  ein- 
zelne religiöse  Anschauungen  und  Darstellungsformen  aus  dem 
chetitisch-mitanischen  Kulturkreise  eingedrungen  sind.  Die 
Sonderart  der  Assyrer  tritt  in  ihrem  kriegerischen  Charakter 
hervor,  der  ihrem  Königtum  eine  weit  größere  Energie  ver- 
leiht und  es  immer  wieder  zu  dem  Versuch  treibt,  gegen- 
über den  kraftlosen  Prätensionen  Babels  die  Vorherrschaft 
zu  gewinnen.  Das  führt  dann  zu  der  früh  hervortretenden 
Brutalität  ihrer  Kriegführung,  die  zu  dem  weit  humaneren 
Verfahren  ihrer  chetitischen  Rivalen  in  einem  für  beide  Völ- 
ker bezeichnenden  Gegensatz  steht.  Dieselbe  Denkweise  tritt 
auch  im  assyrischen  Recht  hervor,  von  dem  uns  Aufzeich- 
nungen, vor  allem  über  die  Rechtsverhältnisse  der  Frauen, 
etwa  aus  dem  12.  Jahrhundert  erhalten  sind^).  Die  Sätze  sind 
von  dem  Gesetzbuch  Chammurapis  beeinflußt,  stehn  aber  an 
Präzision  der  juristischen  Formulierung  hinter  ihm  ebenso 
wie  hinter  dem  chetitischen  zurück;  bezeichnend  ist  auch  hier, 
im  Gegensatz  zu  diesem,  die  große  Zahl  der  Leibes-  und 
Lebensstrafen,  die  in  ihnen  verhängt  werden. 

Indessen  trotz  der  größeren  Regsamkeit  und  der  stär- 
keren Verbindung  mit  dem  Westen  fehlt  es  auch  in  dem 
Assyrien  dieser  Zeit  noch  durchaus  an  neuen  Gedanken  und 
einem  inneren  Fortschreiten.  Von  einer  assyrischen  Kunst 
kann  daher  in  dieser  Zeit  eigentlich  überhaupt  nicht  die 
Rede  sein.  Die  assyrischen  Tempel  unterscheiden  sich  aller- 
dings von  den  babylonischen  Vorbildern  dadurch,  daß  hier 
unter  westlichem  Einfluß  für  den  Kultraum  mit  dem  Götter- 


Ehelolf  und  Koschaker.    Ein    aJtassyrisches  Rechtsbucli,  1922. 


Charakter  und  Kunst  Assyriens  543 

bild  an  Stelle  des  Breitraums  ein  Längsraum  getreten  ist. 
Aber  alle  Bauten,  auch  die  Paläste,  werden  nach  wie  vor 
aus  Lehmziegeln  aufgeführt;  der  Gedanke,  das  hier,  anders 
als  in  der  Tiefebene  von  Sinear,  leicht  zu  beschaffende  Stein- 
material zu  verwenden,  wie  bei  den  Chetitern  und  Ägyp- 
tern, liegt  noch  völlig  fern.  Die  Folge  ist,  daß  die  Tempel 
und  Paläste  unter  der  Einwirkung  der  Witterung  immer 
wieder  in  kürzester  Zeit  verfallen  und  vom  Regenwasser  weg- 
geschwemmt werden  und  dann  immer  wieder  neu  aufgebaut 
werden  müssen.  Wie  fern  aber,  trotz  der  auch  hier  vor- 
handenen und  reichgeschmückten  Götterstatuen,  den  Assyrern 
noch  jede  plastische  Betätigung  lag.  zeigen  drastisch  die 
Gedächtnismale,  welche  .sich  die  Könige  und  die  höchsten 
Beamten,  wenn  sie  das  eponyme  Jahramt  bekleidet  hatten^), 
in  einem  kleinen  Tal  vor  der  Stadt  Assur  errichten  durften*). 
Es  sind  über  2  Meter  hohe  Steintafeln,  in  die  ein  Inschriften- 
feld in  Form  einer  eingesenkten  Holz-  oder  Bronzetafel  ein- 
gelassen ist,  mit  der  Inschrift  „Bild  (salam)  des  N.  N."  Aber 
ein  Bild  findet  sich  nirgends,  sondern  der  Stein  selbst,  wie 
auch  sonst  auf  gleichartiger  Kulturstufe,  z.  B.  bei  ähnlichen 
Gedächtnismalen  in  Palaestina  (Gazer)  und  bei  den  Israeliten^), 
verkörpert  die  Person  und  die  Inschrift  erhält  ihn  in  seinem 
Namen  lebendig. 

Ein  Fortschritt  beginnt  erst,  als  Assurnasirpal  II.  (884 
bis  860)  aus  dem  Westen  die  Verkleidung  der  Wände  mit 
Steinplatten  übernahm  und  diese  mit  Reliefs  und  Inschriften 
schmückte.  Erst  von  da  an  hat  sich,  langsam  fortschreitend, 
eine  assyrische  Baukunst  und  eine  assyrische  Plastik  entwickelt. 


')  Daß  alle  auf  den  Stelen  vorkommenden  Personen  (einschließlich 
der  Könige)  Eponymen  sind,  hat  Forrer,  Provinzeinteilung  S.  6  erkannt. 

-)  ÄNDRAE,  Die  Stelenreihen  in  Assur,  1913.  Vgl.  meine  Bemer- 
kungen Archaeol.  Anz.  1913,  77  ff.  =  Kleine  Schriften  II  1  ff . 

^)  Gleichartig  ist  die  Entwicklung  des  Götterbildes  aus  dem  auf- 
gerichteten Stein,  der  Masseba  oder  der  Hernie. 


XII.  Die  großen  Wanderungen. 
Ausgang  der  mykenischen  Zeit,  Ende  des 
Chetiterreichs  und  Niedergang  Ägyptens 


Das  westliche  Kleinasien.    Die  Lykier.    Die  Achaeer  in 
Pamphylien  und  auf  Cypern 

In  die  Beziehungen  des  Chetiterreichs  zum  Westen  Klein- 
asiens hat  sich  bisher  ein  zureichender  Einblick  noch  nicht 
gewinnen  lassen.  Die  Festung  Giaurkalessi  südlich  von  Angora 
mit  ihren  Felsreliefs  ist  oben  schon  erwähnt^);  die  gleich- 
artigen Felsreliefs  eines  Königs  oder  Gottes,  mit  Beischrift 
in  chetitischen  Hieroglyphen,  in  dem  Gebirgsland  hinter  dem 
Golf  von  Smyrna,  sowie  das  Bild  der  Berggöttin  des  Sipylos, 
das  in  einer  Nische  hoch  oben  in  der  steilen  Felswand  öst- 
lich von  Magnesia  aus  dem  Felsen  gehauen  ist,  gleichfalls 
mit  hieroglyphischer  Beischrift,  scheinen  zu  bezeugen,  daß 
die  Chetiterkönige  ihre  Herrschaft  hier  wenigstens  zeitweilig 
bis  ans  Ägaeische  Meer  ausgedehnt  haben ^).  Weitere  Auf- 
schlüsse dürfen  wir  vielleicht  von  den  Bruchstücken  der  An- 
nalen  Dudchalias  IV.  erhoffen,  in  denen  von  der  Unterwerfung 
von   zweiundzwanzig   Landschaften    des   Landes   Assuwa   die 


')  Wahrscheinlich  gehören  auch  die  Felsskulpturen  mit  Inschrift 
nebst  einem  Altar  beim  Midasgrab  im  Quellgebiet  des  Sangarios  hier- 
her: Ramsay,  Mitt.  Athen.  Inst.  XIV,  182  ff. 

^)  Das  Material  siehe  in  Reich  und  Kultur  der  Chetiter  S.  IH  f. 
155.  Herodot  II  106  beschreibt  die  beiden  Skulpturen  an  der  Straße 
von  Ephesos  nach  Phokaea  und  an  der  von  Sardes  nach  Smyrna  ganz 
zutreffend  (er  schreibt  sie  fälschlich  dem  Sesostris,  andere  richtiger 
dem  Memnon  zu).  Das  erstere  befindet  sich  südlich  von  Njmphaeon 
(Nif)  oberhalb  eines  Bachtales  (in  der  Nähe  noch  ein  zweites,  kleineres 
Relief),  das  andere  ist  nicht  wiedergefunden.  —  Das  Bild  der  Götter- 
mutter snt  KooStvoo  itExpa  bei  Magnesia  am  Sipylos  (von  den  Neueren 
fälschlich  Niobe  genannt)  erwähnt  Pausan.  III  23,  4. 


Das  westliche  Kleinasien.    Die  Lykier  545 

Rede  ist;  dieser  Name  scheint  den  Westen  der  Halbinsel  zu 
bezeichnen  \). 

Unter  den  Völkerschaften,  die  zum  Chetiterheer  Truppen 
stellen,  nennt  Ramses  IL  auch  die  Luka  (Lukki).  Zur 
Amarnazeit  haben  sie  Cypern  mit  Kriegszügen  belästigt,  und 
unter  Merneptah  erscheinen  sie  unter  den  Seevölkern,  die 
mit  den  Libyern  zusammen  Ägypten  angreifen.  In  einer 
chetitischen  Vertragsurkunde  werden  sie  (in  der  Schreibung 
Lugga)  in  Verbindung  mit  mehreren  kleinen  Landschaften 
genannt,  die  etwa  bis  zum  pisidischen  Alpenland  reichen; 
so  ist  die  Vermutung  nicht  unwahrscheinlich,  der  spätere 
Name  Lykaonen  für  einen  der  hier  hausenden  Stämme  sei 
eine  Weiterbildung  von  Luka.  Aber  auch  in  weiterer  Aus- 
dehnung ist  von  Luggaländern  die  Rede^).  Daß  der  Name 
dem  griechischen  Lykien  entspricht,  kann  nicht  zweifelhaft 
sein.  Aber  hier  erhebt  sich  eine  eigenartige  Schwierig- 
keit. Das  Volk,  das  die  Griechen  Lykier  nennen,  nannte 
sich  selbst  Tramilen^)  und  ist  nach  durchaus  glaubwürdiger 
Überlieferung  aus  Kreta  nach  der  Küste  des  damals  von 
den  Solymern  bewohnten  Landes  Milyas  hinübergezogen.  Daß 
das  richtig  ist,  wird  dadurch  durchaus  bestätigt,  daß  ihre 
Wohnsitze  nur  den  Küstensaum  von  Telmessos  bis  zu  den 
Chelidonischen  Inseln  sowie  das  Xanthostal  umfassen,  während 
die  innere,  rings  von  hohen  Bergen  umschlossene  Hochebene 


')  FoRRER,  MDOG.  63,  (3.  Verötientlicht  sind  die  Texte  noch  nicht. 
Daß  Assawa  [ich  gebe  hier  wie  durchweg  das  babylonische  s  im  Che- 
titischen wie  im  Assyrischen  durch  s  wieder]  mit  dem  Landschafts- 
namen 'Aa[a  am  Kayster  (II.  B  461;  davon  der  lydische  Stamm  'Haiovsc(;, 
vgl.  u.  S.  557  Anm.)  zusammenhängt,  wie  Forrer  annimmt,  ist  nicht  un- 
möglich. Dagegen  ist  seine  Deutung  des  unter  diesen  Landschaften  vor- 
kommenden Taruisa  als  Troja  ganz  willkürlich  und  gewaltsam;  dagegen 
jetzt  Friedrich  in  den  Kleinas.  Forsch.  I  100  f. 

2)  FoRRER,  Forsch.  I  76.  MDOG.  63,  4.  7.  Er  glaubt  weiter,  in 
Millawanda  die  Landschaft  IMilyas,  in  Talaowa  Tlos  in  Lykien  zu  er- 
kennen.   Eingehender  hat  er  sein  Material  noch  nicht  vorgelegt. 

')  Herod.  I  173.  VII  92  (TspiicXat)  und  oft  in  den  lykischen  In- 
schriften. Vgl.  Bd.  I  476. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertums      II'.  85 


546  Xn.  Die  großen  Wanderungen 

Milyas  von  den  Solymern  bewohnt  war^).  Die  Tramilen 
sind  also  über  See  gekommene  Ansiedler  so  gut  wie  die 
Griechen,  welche  die  Westküsten  Kleinasiens  besetzt  haben; 
die  Auswanderung  aus  Kreta  wird  eine  Folge  der  Eroberung 
des  Hauptteils  der  Insel  durch  die  Griechen  gewesen  und  der 
Festsetzung  der  Achaeer  auf  Rhodos  in  mykenischer  Zeit 
parallel  gegangen  sein.  So  ist  vielleicht  auch  der  Name 
Lykier  von  dem  älteren  Landes-  und  Volksnamen  dieser  Ge- 
biete auf  die  Tramilen  übertragen  worden;  auch  die  Sprache, 
die  ebenso  wie  viele  ihrer  Eigennamen  ein  durchaus  klein- 
asiatisches Gepräge  trägt,  könnten  sie  von  den  Ureinwoh- 
nern übernommen  haben.  Eben  so  möglich  bleibt  es  freilich 
auch,  daß  die  Luka  oder  Lykier  sich  ehemals  auch  ins 
Westmeer  und  nach  Kreta  ausgedehnt  haben  und  die  Tra- 
milen einer  ihrer  Stämme  sind.  Darauf  scheint  auch  ihre 
Verbindung  mit  den  Troern  und  Dardanern  in  der  troja- 
nischen Sage  hinzudeuten  (o.  S.  301  f.).  Das  sind  Fragen,  auf 
die  eine  gesicherte  Antwort  bisher  noch  unmöglich  ist. 

Ein  weiteres  Land  aus  dem  Süden  Kleinasiens  ist  Ach- 
chijawa.  Mit  diesem  Land  ist  bereits  Mursil  IL  (ca.  1345 
bis  1320)  mehrfach  in  Berührung  gekommen;  ein  im  Zu- 
sammenhang damit  genannter  Tawagalawas  scheint  der  König 
dieses  Landes  gewesen  zu  sein.  Zugleich  zeigen  die  darüber 
vorliegenden  Angaben,  daß  es  den  Lugga  sowie  Millawanda 
benachbart  und  daß  es  am  Meere  gelegen  war:  ein  vor 
Mursil  über  das  Meer,  wahrscheinlich  nach  Cypern,  geflüch- 
teter Sohn  des  Königs  von  Arzawa  (vgl.  o.  S.  439)  geht 
von   da   zum   König    von   Achchijawa^).      Somit   hat  Forrer 

')  Die  heftigen  Kämpfe  zwischen  beiden  Stäaimen  kennt  auch 
die  Bellerophonepisode  der  Ilias  Z.  184  f.  204. 

2)  Abgesehn  von  den  kurzen  Angaben  in  Mursils  Annalen  bei 
Forrer,  Umschrift  no.  51  A,  ZI.  24  f.  (=  Forsch.  I  45)  und  4S  III  1  ff., 
ergänzt  durch  das  von  Götze  und  Friedrich.  Kleinas.  Forsch.  I  95  mit- 
geteilte Bruchstück,  sind  wir  bisher  nur  auf  die  Mitteilungen  von  F  »rrkr, 
MDOG.  63,  5.  7  ff.  und  Frikdri  h  a.  a.  0.  10t  f.  angewiesen,  aus  denen  ich 
aufgenommen  habe,  was  als  gesichert  gelten  kann.  Im  einzelnen  scheint 
der  von  Tawagalawas  handelnde  Text  noch  ganz  dunkel  zu  sein. 


Das  Reich  Achchijawa  (Pamphylien)  547 

gewiß  recht,  wenn  er  dies  in  Pamphylien  sucht.  Deutlich 
ist  es  hier  kein  Vasallenstaat,  sondern  ein  selbständiges  Reich. 
Weitere  Aufschlüsse  erhalten  wir  unter  Dudchalia  IV.  (ca.  1260 
bis  1230).  In  dem  Vertrage,  den  er  mit  dem  Amoriterkönig 
geschlossen  hat  (o.  S.  531),  wird  unter  den  Königen,  die  dem 
Chetiterkönig  gleichgestellt  sind  und  gegen  die  der  Vasall 
sich  ebenso  verhalten  soll  wie  sein  Oberherr,  neben  denen 
von  Ägypten,  Kardunias  und  Assur  auch  der  von  Achchijawa 
genannt,  ist  aber  dann  in  der  Urkunde  getilgt,  sei  es,  daß 
die  Beziehungen  zu  ihm  sich  geändert  hatten,  sei  es,  daß 
man  nachträglich  erwogen  hat,  daß  er  für  die  Amoriter  zu 
weit  ablag  und  diesen  daher  hier  keine  Verpflichtungen  auf- 
erlegt werden  sollten.  Jedenfalls  aber  zeigt  dieser  Text,  daß 
Achchijawa  damals  eine  unabhängig  neben  dem  Chetiterreich 
stehende  Großmacht  gewesen  ist. 

So  ist  es  denn  damals  auch  zu  einem  Kriege  zwischen 
beiden  gekommen.  Attarissijas  „der  Mann  von  Achchijawa"  ^) 
verjagt  seinen  Nachbar  Madduwattas  von  Zippaslä,  dieser  findet 
Schutz  bei  Dudchalia  IV.,  dessen  Feldherr  den  Attarissijas 
besiegt  und  zum  Rückzug  in  sein  Land  zwingt^).  Später, 
zur  Zeit  des  Arnuanda  IV.  (ca.  1230—1200),  hat  dann  At- 
tarissijas einen  Raubzug  nach  Cypern  (Alasia)  unternommen, 
für  den  der  Chetiterkönig  Entschädigung  verlangt^). 

Der  Name  Achchijawa  sieht  ganz  aus  wie  eine  keil- 
schriftUche  Wiedergabe  des  griechischen  Volksnamens  Achaeer 
'Axacfoc'). 


')  Hier  Achchija  geschrieben.  —  Weiter  erwähnt  Forrer,  MDOG. 
63,  5  f.  einen  damit  zusammenhängenden  Krieg  gegen  Talaowa,  das 
er  mit  Tlos  in  Lykien  (lyk,  Tlawa)  gleichsetzt. 

-)  Der  V(n  Forrer  a.a.O.  S.  6.  16  S.  benutzte  Text  ist  inzwischen 
veröffentlicht  und  von  Friedrich  a.  a.  0.  94  f.  besprochen  worden.  Er 
weist  nach,  daß  darin  nicht  von  100  Schiffen,  wie  Forrer  annahm, 
sondern  von  100  von  den  Chetitern  erbeuteten  Kriegswagen  des  Atta- 
rissijas die  Rede  ist. 

')  Forrer  S.  18  und  dazu  Friedrich  S.  100.  102.  106  f. 

*)  Sprachwissenschaftlich  korrekte  Wiedersrabe  solcher  Eigen- 
namen dürfen  wir  in  fremder  Sprache  und  Schrift  niemals  erwarten; 


rAQ  XII.  Die  großen  Wanderungen 

Und  nun  ist  Pamphylien  in  der  Tat  in  mykenischer  Zeit 
von  Griechen  aus  dem  Peloponnes  besiedelt  worden;  denn 
der  in  einigen  Inschriften  erhaltene  griechische  Dialekt,  der 
in  den  Städten  Pamphyliens  gesprochen  wurde,  stimmt  im 
Wortschatz  und  in  den  Lautformen  meist  mit  dem  Arkadischen 
und  Kyprischen  überein,  enthält  also  ein  starkes  achaeisches 
Element.  Daneben  stehn  allerdings  einzelne  „dorische"  For- 
men; mithin  haben  sich  hier  mehrere  griechische  Stämme 
gemischt  1),  worauf  auch  der  Name  Pamphyler  hinzuweisen 
scheint.  Ganz  dunkel  ist,  wie  es  gekommen  ist,  daß  auch 
der  Meerbusen,  in  den  der  Maeander  mündet,  nebst  der  zu- 
gehörigen Küste  nach  den  Pamphylern  benannt  wird^);  haben 

im  übrigen  steht  Achchijawa  der  griechischen  Form  nicht  ferner  als 
lateinisch  Achivi,  wo  das  im  Griechischen  verlorene  w  gleichfalls  be- 
wahrt ist. 

')  Während  man  früher  die  Pamphyler  fast  allgemein  zu  der 
achaeisch-arkadischen  Gruppe  der  griechischen  Dialekte  stellte  (so  vor 
allem  Meillet,  Rev.  des  et.  Gr.  21,  1908,  413  ff.),  hat  Bechtel,  Die  griech. 
Dialekte  II  (1922),  sie  unter  die  dorischen  gestellt;  leider  ist  aber 
sein  Werk,  da  er  es  peinlich  vermeidet,  die  Verzweigung  der  Dialekte 
und  ihre  gegenseitige  Beeinflussung  historisch  begreifbar  zu  machen, 
für  den  Nichtspezialisten  fast  unbenutzbar.  Zum  Arkadischen  und 
Kyprischen  stimmt  der  Genitiv  TSpafiooao  und  apYopo,  Atpopotatc,  Tcepxe- 
Stoxs,  der  Name  /Totvaoaa  der  Göttin  von  Perge;  dorisch  ist  «pixaii  (20), 
huapoi  u.  a. 

^}  Erhalten  in  den  Gründungsorakeln  von  Magnesia  (Kern,  Grün- 
dungsgesch.  v.  Magn.  1894.  Inschr.  v.  Magnesia  17)  und  in  der  Angabe 
bei  Livius  38,  13,  11  beim  Galaterfeldzug  des  Vulso  189  (auf  die 
Täubler,  Glotta  XV  146  hingewiesen  hat),  daß  die  Stadt  Tabae  im 
Quellgebiet  eines  Nebenflusses  des  Maeander  gelegen  sei  in  finibus 
Pisidarum  in  ea  j)arte,  quae  vergit  ad  Pamphylium  mare;  also 
war  der  Ausdruck  noch  zu  Polybios'  Zeit  geläufig.  Darf  man  damit 
verbinden,  daß  nach  Pausan.  VII  3,  7  in  Erythrae  außer  Kretern, 
Lykiern  und  Karern  auch  Pamphyler  gesessen  haben  sollen?  —  Seit 
Hesiods  Melampodie  wird  die  Ansiedlung  der  Pamphyler  an  die  Orakel- 
propheten Amphilochos  und  Mopsos  angeknüpft,  die  von  Troja  über 
Klares  nach  Pamphylien  und  Kilikien  ziehn  (Strabo  XIV  1,  27.  4,  3. 
5,  16  f.;  ebenso  Herod.  HI  91.  VII  91.  Theopomp  fr.  111  u.  a.).  Nach 
Plin.  V  96  heißt  es  daher  ursprünglich  Mopsopia.  —  Mit  der  dorischen 
Phyle   der  Pamphyler  haben  die  kleinasiatischen  schwerlich  etwas  zu 


Die  Pamphyler  und  Achchijawa  549 

sie  sich  in  alter  Zeit  auch  hier  angesiedelt  und  sind  sie  viel- 
leicht erst  von  hier  aus  in  die  reiche  und  dicht  besiedelte 
Küstenebene  am  Fuß  des  pisidischen  Alpenlandes  gezogen? 
Wir  stehn  hier  vor  Rätseln,  die  wir  mit  dem  bisher  vor- 
liegenden Material  nicht  lösen  können. 

Die  dorischen  Elemente  mögen  in  späterer  Zeit  etwa  von 
Kreta  aus  hinzugekommen  sein,  während  die  achaeische  An- 
siedlung  ins  14.  und  13.  Jahrhundert  fällt.  So  kann  Forrer'^ 
Annahme  richtig  sein,  daß  Tavagalavas  von  Achchijawa  den 
griechischen  Namen 'Eis /^oxXs/-^;;  wiedergibt^).  Dagegen  war 
es  ein  Mißgriff,  wenn  Führer  glaubte,  er  werde  als  ein  Aoler 
bezeichnet^);  und  ebenso  ist  seine  Annahme  unhaltbar,  Jaß 
die  Insel  Lesbos  in  den  chetitischen  Texten  vorkomme.  Ein 
Omentext  aus  der  Zeit  Mursils  II.  erwähnt  allerdings,  in  noch 
völlig  unklarem  Zusammenhang,  die  Gottheit  von  Achchi- 
jawa und  die  von  Lazpas,  so  daß  diese  beiden  Landschaften 
in  Beziehung  zueinander  gestanden  zu  haben  scheinen.  Aber 
der  einzige  Text,   in  dem  Lazpa  sonst  noch  vorkommt^),  ist 

tun.  Die  Ableitung  der  mächtigen  Pisider.stadt  Selge  aus  Sparta, 
Polyb.  V  76.  Strabo  XII  7,  8  und  auf  Münzen  (ebenso  Sagalassos)  ist 
natürlich  sekundär.  Nach  Skylax  und  Arrian  I  2*J  ist  Side  Kolonie 
von  Kyme. 

*)  Damit  soll  natürlich  nicht  behauptet  werden,  daß  er  mit  dem 
Urkönig  von  Orchomenos  und  Begründer  des  Charitenkults  P^teokles 
oder  Eteoklos  (Hesiod  bei  schol.  Find.  Ol.  14,  1.  Strabo  IK  2,  40. 
Pausan.  I  34)  identisch  wäre,  wie  Forrer  meint,  oder  mit  seinem 
Namensvetter  von  Theben.  Nach  Pausanias  machten  jenen  einige  zum 
Sohn  des  Flusses  Kephisos,  andere  gaben  ihm  einen  Andreus,  Sohn  des 
Peneios,  zum  Vater,  nach  dem  die  Landschaft  ursprünglich  'AvSpviii; 
(wie  später  <I>XsYoav'c!(;)  geheißen  haben  soll  (IX  34,  6  ff.  36,  1).  Forrek 
glaubt,  diesen  Andreus  in  einem  Antarawas  wiederzufinden,  der  in  dem 
gleich  zu  erwähnenden  Texte  vorkommt;  aber  nach  Friedrich  S.  105 
ist  es  ganz  unsicher,  ob  dieser  mit  Achchijawa  zusammenhängt.  Die 
Geschichten  bei  Pausanias  haben  jedenfalls  nicht  den  mindesten  ge- 
schichtlichen Wert. 

*)  Siehe  Friedrich  S.  97  f.,  der  nachweist,  daß  das  Wort  ajaicalas 
nach  dem  Zusammenhang  kein  Völkername  sein  kann,  wie  es  denn 
auch  nicht  mit  dem  Ideogramm  für  Land  oder  Stadt  determiniert  ist. 

')  Forrer.  Forsch.  I  90. 


550  ^I-  ^iß  großen  Wanderungen 

ein  Schreiben  an  den  Chetiterkönig  aus  derselben  Zeit,  in  dem 
der  Herrscher  des  Landes  des  Sechaflusses  unter  anderem 
darüber  klagt,  daß  ein  gewisser  Bijamaradus  das  Land  Lazpa 
geschlagen  habe.  Nun  liegt  das  Sechaflußland  jedenfalls  in 
der  Nachbarschaft  von  Uilusa,  Karkisa  und  anderen  Distrikten 
des  Taurusgebiets;  somit  kann  Lazpa  unmöglich  die  Aveit  ab- 
gelegene Insel  Lesbos  sondern  nur  der  Name  eines  Gebiets 
in  der  Nähe  von  Achchijawa  (Pamphylien)  sein. 

Auch  der  Gleichsetzung  des  Namens  Attarissijas  mit  Atreus 
stehn  sprachlich  die  schwersten  Bedenken  gegenüber^),  und 
sachlich  liegt  in  den  chetitischen  Texten  nichts  vor,  was 
auf  eine  Beziehung  zu  dem  König  von  Mykene  oder  auf 
das  Hinübergreifen  eines  großen  Achaeerreichs  vom  Mutter- 
land nach  den  kleinasiatischen  Küsten  hinwiese.  Zur  Zeit  ist 
auf  diesem  Gebiet,  gegenüber  der  vorschnellen  Übernahme 
und  Popularisierung  kühner  Hypothesen,  Zurückhaltung  noch 
dringend  geboten;  erst  wenn  das  Material  vollständig  vor- 
gelegt und  sorgfältig  nachgeprüft  ist,  wird  man  mit  größerer 
Sicherheit  urteilen  können''*). 

Andrerseits  freilich  habe  ich  bereits  vor  einem  Men- 
schenalter (1893)  behauptet,  wie  die  Festsetzung  der  Grie- 
chen in  Cypern  und  Pamphyhen  müsse  auch  die  an  der 
Westküste  Kleinasiens  in  die   mykenische  Epoche  fallen,  da 

')  Man  könnte  sich  mit  der  Annahme  helfen,  daß  der  Name,  der 
ja  schwerlich  griechischen  Ursprungs  ist,  aus  einer  anderen  Sprache 
stamme  und  von  Griechen  und  Asiaten  in  abweichender  Form  um- 
gestaltet sei,  wenn  nur  sonst  irgend  etwas  auf  die  Identität  hindeutete. 

^)  Es  ist  sehr  zu  bedauern,  so  begreiflich  es  auch  ist,  daß  Forrer 
im  J.  1924  (MDOG.  63)  sich  darauf  beschränkt  hat,  lediglich  die  Er- 
gebnisse, die  er  gefunden  zu  haben  glaubte,  provisorisch  zu  veröfifent- 
lichen,  ohne  die  Belege  hinzuzufügen.  Die  beabsichtigte  ausführliche 
Darlegung  und  Begründung  ist  dann,  wie  es  so  oft  geht,  durch  äußere 
Hindernisse  hinausgeschoben  worden,  und  die  Fortsetzung  seiner  „For- 
schungen" auch  gegenwärtig  noch  nicht  erschienen.  So  war  eine 
kritische  Nachprüfung  zunächst  unmöglich ;  sie  hat  jetzt,  gefördert 
dadurch,  daß  inzwischen  einige  der  betreffenden  Texte  veröffentlicht 
sind,  in  den  Aufsätzen  von  Friedrich  und  Götze  im  ersten  Heft  der 
Kleinas.  Studien  begonnen,  worauf  Forrer's  Antwort   abzuwarten  ist. 


Die  Griechen  in  Kleinasien  551 

die  Besiedlung  eines  so  ausgedehnten  Küstengebiets  sich  in 
derselben  Weise  wie  bei  gleichartigen  Kolonisationen,  der  grie- 
chischen in  Unteritalien,  Sicilien,  am  Schwarzen  Meer,  der 
holländischen  und  englischen  in  den  fremden  Kontinenten, 
in  allmählichem,  sich  Generationen  lang  fortsetzendem  Fort- 
schreiten vollzogen  haben  müsse  ^)  und  daher  zugleich  die  Pro- 
sperität des  Mutterlandes  und  eine  fortwährende  Verbindung 
mit  ihm  voraussetze-).  So  könnte  es  nur  willkommen  sein, 
wenn  diese  Auffassung  eine  urkundliche  Bestätigung  fände; 
aber  bisher  wenigstens  ist  das  nicht  der  Fall.  Auch  sonst 
wird  sie  zum  mindesten  stark  einzuschränken  sein.  Aller- 
dings haben  die  Ausgrabungen  in  Milet  gezeigt,  daß  hier 
in  jungmykenischer  Zeit  eine  befestigte  Ansiedlung  gegründet 
ist^);   sie   liegt   auf   der  Nordspitze    der    weit   ins   Meer  vor- 


')  Andersartig  ist  natürlich  die  durch  Eroberung  des  ganzen 
Landes  ermöglichte  makedonisch-hellenistische,  römische,  spanische 
Kolonisation;  aber  von  einer  solchen  Eroberung  kann  hier  keine 
Rede  sein. 

'^)  Die  griechische  Überlieferung  hat  über  diese  Kolonisation 
keinerlei  Kunde  bewahrt;  was  davon  erzählt  wird,  ist  armselige  Kon- 
struktion. Die  obere  Zeitgrenze  war  dadurch  gegeben,  daß  das  Epos 
sie  geflissentlich  ignoriert.  Sie  betrachtet  alle  Kolonisationen  als  ein- 
heitliche, spontane  Akte:  die  Besiedlung  von  Cjpern  und  Pamphylien 
wird  unmittelbar  an  den  troischen  Krieg  angeknüpft  (wie  andere 
Heroen  nach  Italien  geschickt  werden),  die  Aeoler  sollen  (weil  ihre 
Könige  sich  von  Agamemnon  ableiteten)  unter  Orestes  und  dessen  Nach- 
kommen lange  vor  dem  Einbruch  der  Herakliden  und  Dorier  aus  La- 
konien  ausgewandert  und  über  Aulis  (o.  S.  299)  nach  Lesbos  und  Kyme 
gekommen  sein:  die  lonier  seien  von  den  durch  die  Dorier  aus  La- 
konien  vertriebenen  Achaeera  aus  dem  Norden  des  Peloponnes  nach 
Athen  verdrängt  und  zwei  Generationen  später  von  hier  nach  Asien 
hinübergezogen.  Die  Modernen  betrachten  dann  die  Auswanderung 
als  eine  Folge  der  dorischen  Wanderung;  das  ist  eine  Konstruktion, 
die  sich  im  Altertum  nur  bei  Vellejus  I  2  findet,  aber  sonst  der  grie- 
chischen Darstellung  ganz  fremd  ist. 

')  WiEGAND,  Sechster  Bericht,  Abh.  Berl.  Akad.  1908,  S.  7  ff.,  und 
jetzt  V.  Gerkan  im  Miletwerk  I  Heft  S,  S.  73  ff.  113  ff.  Zu  der  mykeni- 
schen  Stadt  (beim  Athenetempel)  gehört  weiter  südlich  die  Nekropole 
mit  Felskammern  und  Dromoi. 


552  ^11-  ^^^  großen  Wanderungen 

springenden  felsigen  Halbinsel.  Aber  ihre  Stellung  wird  da- 
durch charakterisiert,  daß  die  Steine  für  die  Bauten  (Gneis) 
nicht  im  Hinterland  gebroclien,  sondern  übers  Meer  geholt 
worden  sind,  Avahrscheinlich  von  dem  am  Nordufer  der  Bucht 
steil  aufragenden  Mykale  her.  Es  handelt  sich  hier  also  um  die 
ersten  Anfänge  der  Kolonisation,  wie  sie  auch  an  anderen 
Stätten  schon  vorgekommen  sein  mögen ;  indessen  haben  sich 
sonst  mykenische  Ansiedlungen  bisher  weder  in  lonien  noch 
in  Aeolis  nachweisen  lassen. 

So  wird  es  wohl  dabei  bleiben  müssen,  daß  die  Ausbrei- 
tung der  Griechen  über  das  Ägaeische  Meer  in  mykenischer 
Zeit  das  Festland  kaum  berührt  hat,  sondern  die  umfassende 
Besiedlung  der  Westküste  Kleinasiens  ein  Ergebnis  der  großen 
Umwälzungen  in  der  Völkerwanderung  des  12.  Jahrhunderts 
gewesen  ist. 

Umso  stärker  war  der  Expansionstrieb  in  das  Ostbecken 
des  Mittelmeeres  gerichtet.  Hier  ist  die  Kolonisation  aus  dem 
regen  Handelsverkehr  mit  den  Kulturgebieten  des  Orients  er- 
wachsen, von  dem  die  steigende  Verbreitung  mykenischer  Ge- 
fäße in  Cypern,  Palaestina,  Ägypten  Zeugnis  ablegt.  Die  erste 
Station  bildete  die  schon  erwähnte  mykenische  Besiedlung  von 
Rhodos.  Dann  folgte  die  Festsetzung  in  Pamphylien  und 
weiter  die  auf  Cypern,  der  für  alle  Seefahrten  unentbehrlichen 
Zwischenstation  auf  dem  Wege  nach  Phoenikien  und  Ägypten. 
Hier  lockte  zugleich  der  Kupferreichtum  der  Insel.  Seit  rund 
1400  V.  Chr.  mehren  sich  hier  in  den  Schachtgräbern  und 
Grabkammern  der  Nekropolen,  neben  ägyptischen  und  ein- 
heimischen Erzeugnissen,  ständig  die  mykenischen  Waren  ^); 

')  Die  Datierung  der  Gräber  von  Enkomi  (Salamis)  ist  durch 
PouLSEN,  Jahrb.  Arch.  Inst.  26,  1911,  215  ff.  und  Fimmex,  Kretiscb- 
myk.  Kultur  117  ff.  gegen  den  Herausgeber  Murray  (Excavations  in 
Cyprus,  1900)  festgestellt.  Einen  sicheren  Anhalt  gibt  Grab  93,  das 
Skarabaeen  der  Teje  und  Amenophis'  IV.  enthält,  ferner  reichen  ägyp- 
tischen Goldschmuck,  zwei  chetitische  Siegelzylinder  (pl.  IV,  no.  606. 
607),  einen  mykenischen  Goldring  (no.  .546,  Ziege  und  Vogel  zu  jeder 
Seite  einer  Palme)  und  im  Dromos  eine  mykenische  Scherbe  (p.  9  Fig.  15). 
Ebenso  ist  Grab  24  (von  Poulsen  versehentlich  mit  dem  unbedeutenden 


Die  Griechen  auf  Cypern  55o 

alsbald  werden  sie  so  überwiegend,  daß  sie  ein  Eindringen 
griechischer  Ansiedler  in  die  Ortschaften  der  Insel  erweisen. 
Mit  ihnen  zusammen  werden  auch  andere  Seevölker  gekommen 
sein;  wir  werden  darauf  die  schon  erwähnte  Klage  des  Königs 
von  Alasia  im  Amarnabrief  38  beziehen  dürfen,  daß  „Leute 
von  Lukki  ,Jahr  für  Jahr  in  meinem  Lande  eine  kleine  Stadt 
nehmen";  Lukki  mag  hier  allgemeine  Bezeichnung  der  See- 
völker sein  und  die  Achaeer  mitumfassen.  Ein  weiteres  Zeugnis 
ist  der  oben  schon  erwähnte  Zug  des  Attarissijas  von  Ach- 
chijä  nach  Alasia. 

So  bestätigen  diese  Funde,  was  Avir  aus  der  Sprache,  aus 
dem  Kult  des  Apollon  Amyklos  und  dem  Namen  der  Stadt 
Lakedaimon  im  Binnenlandc  der  Insel  erschließen  müssen. 
Auch  der  Achaeername  hat  sich  hier  mehrfach  erhalten,  so 
in  der  Beziehung  der  Seher  als  'Ayawfxavrst;;  (o.  S.  281,4). 
Auch  die  Tradition  bewahrt  eine  richtige  Kunde,  wenn  sie 
Paphos  von  Arkadern  —  natürlich,  wie  bei  der  Besiedlung 
von  Pamphylien.  nach  dem  troischea  Kriege,  und  daher  unter 
Führung  ihres  in  der  Ilias  genannten  Königs  Agapenor  — 
gegründet  sein  läßt  und  Kurion,  mit  dem  Kult  eines  Gottes 
Perseutas,  von  Argos  ableitet^).  Die  mykenischen  Traditionen 
haben  auf  der  Insel  lange  nachgewirkt,  unter  starker  Bei- 
mischung der  einheimischen,  seit  alters  von  Babylonien  und 
von  Ägypten  beeinflußten  Kulturelemente. 

Unter  den  Griechenstädten  an  der  Küste  tritt  am  be- 
deutendsten Salamis  an  der  Ostküste  hervor,  an  einer  Bucht. 
in  die   der  Fluß  Pediaeos  mündet"),  mit  der   OToßen  Nekro- 


Grab  2  zusammengeworfen),  aus  dem  die  Elfenbeinbüchse  pl.  11  88;<. 
Kampf  zwischen  Krieger  und  Greif,  stammt,  durch  den  Skarabaeus 
Ramses'  III.  pl.  IV  29  datiert.  Die  übrigen  Gräber  liegen  mei^t  zwischen 
diesen  beiden  Endpunkten. 

')  Salamis  wird  natürlich  von  der  gleichnamigen  Insel  abgeleitet, 
unter  Teukros,  ferner  werden  die  Theseussöhne  auch  hierhergebracht, 
u.  ä.  Im  allgemeinen  s.  Herodot  V  11,8.  VII  90.  Strabo  XIV  6,  8.  ferner 
Lykophron  494.  586  ff.  und  die  Angaben  bei  Skylax. 

^)  Später  ist  sie  durch  Anschwemmungen  des  Flusses  aufgefüllt 
und  die  Stadt  ans  Meer  verlegt  worden. 


Kg^  XII.  Die  großen  Wanderungen 

pole  von  Enkomi.  Auch  hier  ist  die  griechische  Stadt  an 
Stelle  einer  älteren  einheimischen  Ansiedlung  getreten.  Von 
hier  aus  ist  offenbar  die  fruchtbare  Binnenebene  besiedelt 
worden,  in  der  zahlreiche  Griechenstädte,  wie  Chytroi,  Lake- 
daimon,  Ledra,  Idalion  von  der  fortschreitenden  Intensität  der 
Besiedlung  zeugen.  An  der  Südküste  sind  vor  allem  Paphos 
und  Kurion  zu  nennen,  ferner  die  alte,  in  vormykenische 
Zeit  hinaufragende  Ansiedlung  bei  Psemmatismeno  (östlich 
von  Amathus),  die  ehemals  der  Haupthafen  für  den  Verkehr 
mit  Ägypten  gewesen  zu  sein  scheint^). 

Durch  diese  Invasion  der  Griechen  ist  das  Königreich 
Alasia,  das  zur  Zeit  der  achtzehnten  Dynastie  die  ganze 
Insel  umfaßte,  zugrunde  gegangen,  und  auch  die  Chetiter- 
könige,  die  mehrfach  nach  ihr  übergegriffen  haben,  haben 
sie  nicht  behaupten  können.  Die  einheimische  Bevölkerung 
hat  sich  und  ihre  Sprache,  wie  Inschriften  und  eine  An- 
gabe des  Skylax  beweisen,  in  Amathus  in  der  Mitte  der 
Südküste  bis  ins  4.  Jahrhundert  selbständig  erhalten.  Die 
Phoeniker,  die  weiter  östlich  die  Stadt  Kition  oder  Qartchadast 
(„Neustadt")  gegründet  haben,  sind  wahrscheinlich  erst  nach 
den  Griechen  auf  die  Insel  gekommen  und  treten  in  der 
älteren  Zeit  ganz  gegen  sie  zurück.  Ins  Binnenland  und  zu 
den  dortigen  Bergwerken  sind  sie  erst  nach  449  vorgedrungen, 
als  Athen  die  Insel  den  Persern  überlassen  hatte  und  diese 
ihre  Herrschaft  auf  die  Phoeniker  stützten. 

Von  Kreta  aus  ist,  wie  vor  allem  Scxdwall  nachgewiesen 
hat,  kretische  Schrift  nach  Cypern  gekommen  und  hier  weiter 
zu  einer  reinen  Silbenschrift  fortgebildet,  die  in  Amathus  für 


')  Da  die  von  Brugscei  (Gesch.  Ig.  603)  aufgestellte  Gleichsetzung 
meist  undeutbarer  Namen  in  einer  Liste  Ramses'  III.  (Dümichen,  Hist. 
Inschr.  I  11  f.)  mit  kyprischen  und  kilikischen  Städten  noch  immer 
wieder  Gläubige  findet  (so  auch  bei  Oberhimmer  im  Artikel  Kypros 
bei  Pauly -Wissowa),  sei  ausdrücklich  hervorgehoben,  daß  sie  ganz 
phantastisch  ist  und  nicht  benutzt  werden  darf.  Schon  W.  M.  Möller, 
Asien  und  Europa  227,  hat  sie  mit  vollem  Recht  als  ganz  indiskutabel 
abgelehnt. 


Die  Griechen  auf  Cyperii  555 

die  einheimische  Sprache  verwendet  wird  und  dann  auch  von 
den  Griechen  auf  der  Insel  übernommen  wird. 

Sehr  anschaulich  tritt  die  enge  Verbindung,  in  der  die 
Insel  seit  alters  mit  der  ägaeischen  Welt  steht,  darin  hervor, 
daß  die  in  Taubengestalt  erscheinende  Gestalt  der  Göttin 
des  Liebeslebens,  deren  Kult  und  Bild  wir  auf  Kreta  und 
in  Mykene  kennen  gelernt  haben  \),  mit  der  großen  Göttin 
von  Cypern  gleichgesetzt  und  nach  der  Insel  benannt  wird 
(KuTrpcc,  KuTrpoYsveia).  Wie  ihre  Gestaltung  als  üppiges  nacktes 
Weib  —  die  auf  Cypern  wieder  aus  Babylonien  übernommen 
ist  —  wird  auch  ihr  Name  Aphrodite  von  hier  entlehnt  sein. 
Ihre  angesehenste  Kultstätte  war  das  früh  griechisch  gewor- 
dene Paphos,  wo  Kinyras,  der  Eponymos  ihres  Priester- 
geschlechts, als  Begründer  ihres  Kultus  gilt').  Daneben  wird 
vor  allem  Amathus  genannt,  wo  sich  der  einheimische  Kult 
ohne  griechische  Beimischung  erhalten  haben  wird. 

Dje  Seevölker  und  die  ethnographischen  Probleme. 
Tyrsener  und  Achaeer 

Die  bisher  behandelten  Probleme  werden  noch  ver- 
wickelter durch  Augabeu.  die  wir  aus  Ägypten  erhalten. 
Unter  Merueptah  hat  sich  eine  Koalition  von  Völkern  „aus 
den  Ländern  des  Meeres"  oder  von  „aus  allen  Ländern  ge- 
kommenen Nordleuten"  mit  libyschen  Stämmen  zu  einem  An- 
griff auf  Ägypten  verbunden^).  Genannt  werden  Aqaiwasa, 
Tur(u)sa,  Luka.  Serdana.  Sakarusa  (Sakalsa).    Drei  von  ihnen, 


')  Oben  S.  197.  2;J5. 

-)  In  der  Ilias  A  20  ächenljt  Kin^  ras  dem  Agamemnon  als  ^r.vVjtov 
für  den  Krieg  einen  prachtvollen  Panzer. 

')  Das  Material  aus  Mernephtahs  Inschrift  in  Karnak  und  der 
Stele  von  Athribis  bei  Breasted,  Anc.  Reo.  III  -574  ff.  .i96  ff.  Der  Zusatz 
,von  den  Meerländern"  steht  in  jener  am  Schluß  der  Liste  der  Gefallenen, 
hinter  den  Aqaiwasa,  und  ist  in  der  Stele  von  Athribis,  wo  die  Reihen- 
folge geändert  ist,  bei  diesen  geblieben.  Daß  er  sich  aber  auf  alle 
diese  Völker  bezieht,  geht  sowohl  aus  dem  Eingang  der  Inschrift  von 
Karnak  wie  aus  den  Angaben  Ramses'  III.  hervor. 


556  ^11-  Die  großen  Wanderungen 

die  Tursa,  Serdana  und  Sakarusa,  erscheinen  nachher  wieder 
bei  der  großen  Völkerwanderung  unter  Ramses  III.  neben 
den  Philistern  und  Zakkari,  den  Danauna  „von  ihren  Inseln" 
und  den  Uases  ..von  der  See".  Die  Aqaiwasa  und  die  Luka 
kommen  nur  bei  Merneptah  vor,  und  zwar  haben  jene,  wie  die 
Liste  der  Erschlagenen  zeigt,  damals  bei  weitem  das  größte 
Kontingent  gestellt;  die  Luka  dagegen  werden  in  dieser  Liste 
überhaupt  nicht  erwähnt,  waren  also  offenbar  nur  mit  wenigen 
Leuten  beteiligt. 

Daß  die  Heimat  dieser  Stämme  im  Bereich  des  Agaeischen 
Meeres  zu  suchen  ist,  kann  nicht  zweifelhaft  sein.  Die  Luka 
(Lykier)  haben  war  schon  kennen  gelernt,  ebenso  die  Serdana 
und  ihre  alten  Beziehungen  zu  Ägypten,  dem  sie  auch  jetzt 
ein  starkes  Söldnerkontingent  stellen.  Die  Tursa  „vom  Meere"  ^) 
können  nur  die  Tyrsener  sein,  die  eine  griechische  Sage  (im 
homerischen  Dionysoshymnus)  als  Seeräuber  im  Agaeischen 
Meer  kennt  und  die  hier  auf  Lemnos  und  Imbros  noch  im 
6.  Jahrhundert  gesessen  haben,  während  der  Hauptteil  des 
Volkes  nach  Italien  hinüber  gezogen  ist  und  hier  der  Land- 
schaft Etrurien  den  Namen  gegeben   hat'-).    In   den  Sakarusa 


^)  So  bei  der  Darstellung  eines  Gefangenen  (hier  Tuirsa  ge- 
schrieben) unter  Ramses  III.,  Fremdvölkerphot.  498. 

2)  Wie  gegenwärtig  wohl  die  meisten  Forscher  halte  auch  ich 
jetzt  die  Überlieferung,  daß  die  Etrusker  über  See  nach  Italien  ge- 
kommen sind,  für  zutrefl'end.  Die  Argumente  allgemeiner  Art,  mit 
denen  Schuchhardt  (Die  Etrusker  als  altitalisches  Volk,  Praehist.  Z. 
16,  1925.  109  ff.)  wieder  ihre  Autochthonie  in  Italien  zu  erweisen  sucht, 
kann  ich  nicht  als  beweiskräftig  ansehn.  Dagegen  zeigt  die  Besied- 
lung Toscanas  und  weiter  der  Polandschaft  deutlich  ein  Vordringen 
der  Etrusker  von  der  Westküste  aus:  das  wird  durch  die  Erhaltung 
der  latinischen  Bevölkerung  in  Falerii  und  die  Spuren  älterer  um- 
brischer  Besiedlung  des  Landes  weiter  bestätigt.  Dagegen  ist  es  sehr 
fraglich,  ob  die  Ableitung  der  Etrusker  aus  Lydien  irgendwie  be- 
rechtigt ist.  Herodot  I  94  läßt  sie  bekanntlich  unter  ihrem  Eponymos 
Tyrsenos  aus  Lydien  auswandern;  aber  der  Lyder  Xanthos  (bei  Dien. 
Hai.  I  28)  weiß  davon  nichts,  sondern  nennt  statt  dessen  den  Torrhebos. 
den  Eponymos  des  lydischen  Stammes  der  Torrheber  (am  oberen  Kay- 
stros).    Der  bei  beiden  zugrunde  liegende  Stammbaum  läßt  sich  unter 


Die  Seevöiker.    Die  Etrusker  (Tursa,  Tyrsener)  557 

(Sakalsa)  hat  man  auf  Grund  des  Namensanklangs  die  Sikeler 
zu  erkennen  geglaubt,  die  damals  noch  in  IJnteritalien  saßen. 
Möglich  ist  das  gewiß,  so  gut  wie  die  Ableitung  der  Serdana 
aus  Sardinien,  da  die  große  Völkerbewegung  dieser  Epoche 
in  der  Tat  nach  Italien  hinübergegriffen  hat;  aber  als  ge- 
sichert kann  es  nicht  betrachtet  werden. 

In  den  Aqaiwasa  endlich  hat  man  allgemein  die  Achaeer 
erkannt,  deren  Namen  'Ayai/oi,  abgesehn  von  dem  Suffix^), 
sehr  korrekt  wiedergegeben  sein  würde. 


Heranziehung  von  Herod.  IV  45  und  Dion.  Hai.  I  27  vollständig  rekon- 
■struieren:  Masnes  (s.  AVilamowitz,   Hermes  34,  222) 

Atys  Kotvs 

^ .r 

Lydos  Torrhebos  Asies  (Eponym  der  'AoiovsT(;) 
über  die  durch  Hekataeos  vollzogene  Gleichsetzung  der  Tyrsener 
mit  den  Pelasgern  und  ihre  Ableitung  aus  Athen  habe  ich  Forsch.  I 
gehandelt,  und  ebenda  nachgewiesen,  daß  Herod.  I  57  die  bei  Dion. 
Hai.  I  29  bewahrte  Lesung  (die  Hude  in  seiner  Ausgabe  nicht  einmal 
erwähnt,  statt  sie  in  den  Text  zu  setzen)  die  allein  richtige  ist,  nach 
der  die  Bewohner  von  Cortona  im  inneren  Etrurien  dieselbe  Sprache 
sprechen,  wie  die  angeblichen  Pelasger  von  Plakia  und  Skylake,  d.  i. 
die  Tyrsener,  die  von  den  Athenern  aus  Lemnos  verjagt  sind  und 
deren  Sprache  uns  in  Inschriften  auf  Lemnos  erhalten  ist.  Wie  weit 
die  Versuche,  eine  Verwandtschaft  des  Etruskischen  mit  kleinasiatischen 
und  kaukasischen  Sprachen  zu  erweisen,  sich  als  stichhaltig  bewähren 
werden,  wird  sich  erst  entscheiden  lassen,  wenn  ein  Verständnis  der 
etruskischen  Sprache  erschlossen  sein  wird.  Gänzlich  in  der  Luft 
schweben  die  Hypothesen  von  Hammarström  und  Kretschmer,  Glotta  XI 
211  ff.  276  ff.  XIV  300  f.  über  angeblich  etruskische  Bestandteile  in 
griechischen  Wörtern,  z.  B.  daß  in  der  Notiz  bei  Steph.  Byz.  TsTparcoXii; 
rtic; 'AttixYji;*  aZz-q  npoxepov  sxaXelxo 'TttYjvia  das  eti'uskische  Zahlwort 
/mS-  stehe,  das  vielleicht  vier  bedeutet.  —  Der  alte  Volksname  ist 
Turs,  in  der  Völkertafel  des  Priestercodex  Gen.  10,  2  erhalten  als  dtm, 
offenbar  mit  der  häufigen  Verschreibung  von  waw  in  jod  aus  0*nn 
entstellt.  Daraus  ist  mit  den  gerade  in  Italien  für  Ethnika  ganz  geläufigen 
Suffixen  -anus  und  -cus  einerseits  Turscus  und  Tursanus,  TopcYjvo?  (auf 
dem  Helm  Hieros  Tupav'),  andrerseits  mit  Metathesis  Etruscus  und 
Etruria  (aus  -sia)  gebildet. 

^)  Es  ist  sehr  auffallend,  daß  drei  dieser  Namen  und  ebenso  der 
der   mit   ihnen   verbündeten   libyschen   Masauasa   auf  -Sa  enden.    Bei 


558  ^11-  I*i6  großen  Wanderungen 

Nun  erfahren  wir  aus  Merneptahs  Angaben  aber  noch, 
daß  die  Sakarusa,  Tursa,  Serdana  und  Aqaivvasa  —  die  Luka 
werden  hier  nicht  erwähnt  —  beschnitten  waren.  Bei  den 
Ägyptern  besteht  seit  alters  der  Brauch,  den  Gefallenen  eine 
Hand  abzuschneiden  und  danach  ihre  Zahl  zu  ermitteln  und 
zugleich  die  Belohnungen  zu  verteilen  M-  Unter  Merneptah 
aber  wurden  den  Libyern  die  Phalli  abgeschnitten,  weil  sie 
unbeschnitten  waren  —  ein  Brauch,  der  ebenso  bei  den  Israe- 
liten in  der  Geschichte  Davids  im  Kampfe  mit  den  Philistern 
vorkommt  (Sam.  118,  25  ff.);  uubeschnitten  zu  sein  gilt  eben 
als  Schande,  und  so  zeigt  man  noch  an  den  Leichen  die 
Verachtung  gegen  die  Unreinen.  Bei  den  Seevölkern  da- 
gegen werden  nicht  die  Phalli,  sondern  die  Hände  ab- 
geschnitten,   „weil    sie    keine  Vorhaut    hatten"').     Über   die 


letzteren,  deren  Name  dem  der  Maxyer  u.  ä.  entspricht,  mag  es  sich 
um  ein  libysches  Suffix  handeln,  bei  den  Tursa  gehört  sa  zum  Stamm; 
sind  die  Namen  der  Aakarusa  und  Aqaiwasa  ihnen  assimiliert? 

')  Dabei  ist  es  offenbar  mehrfach  vorgekommen,  daß  beide  Hände 
abgeschnitten  wurden.  So  wird  es  sich  erklären,  daß  in  der  Liste 
Merneptahs  die  Zahl  der  Hände  größer  ist  als  die  der  Toten,  z.  B. 
.Sakarusa  222  Mann,  macht  250  Hände,  Tursa  742  Mann,  macht 
790  Hände". 

^)  Die  zuerst  von  Brugsch  aufgestellte  Deutung  des  Wortes  qar- 
nata  als  Vorhaut  {^  nh^^)  ist  von  Naville,  Sphinx  XHI.  1910,  227  ff., 
bestritten  worden;  er  sucht  in  ihm,  in  Polemik  gegen  meine  Bemer- 
kung in  Bd.  I  167  A.  (3.  Aufl.  S.  55),  die  von  den  Libyern  getragene 
Phallustasche,  und  diese  Übersetzung  ist  auch  in  d.is  Ägypt.  Hand- 
wörterbach von  Erman  und  Grapow  aufgenommen  worden,  wenn  auch 
mit  einem  Fragezeichen.  Aber  sie  ist  völlig  unhaltbar.  Die  Abbildungen 
Ramses'  Hl.  (von  Merneptah  sind  keine  erhalten)  geben  volle  Aufklärung. 
Unter  ihm  werden  den  Gefallenen  sowohl  die  Hände  wie  die  Phallen 
abgeschnitten.  Wie  sie  auf  einen  Haufen  geworfen  und  gezählt  werden, 
ist  in  Medinet  Habu  zweimal  dargestellt.  Das  eine  Mal  (Rosellini,  Mon. 
stör.  135  U.S.W.)  sind  die  Phallen  in  der  in  Ägypten  herkömmlichen 
Weise  gezeichnet;  in  der  nnderen  Darstellung,  auf  der  südlichen  Außen- 
wand, für  die  mir  eine  vorzügliche  Zeichnung  von  Haves  vorliegt  (die 
Zeichnung  bei  Champolijon  not.  I  367,  der  W.  M.  Müller.  Asien  und 
Europa  358  folgt,  ist  ungenau),  sind  nur  die  penes,  ohne  Hoden,  ab- 
geschnitten; und  sie  laufen  vorn  ganz  spitz  zu,  haben  also  sicher  Vor- 


Die  Seevölker  beschnitten.    Die  Äqaiwasa  559 

anderen  bei  Ramses  III.  vorkommenden  Völker  haben  wir 
keine  Angaben;  aber  von  den  Philistern  wissen  wir  sicher, 
daß  sie  unbeschnitten  waren,  und  das  wird  auch  von  ihren 
übrigen  Genossen  gelten. 

Es  ist  sehr  überraschend,  die  Beschneidung  hier  in  der 
Seewelt  zu  treffen.  In  Ägypten  ist  sie  seit  ältester  Zeit  hei- 
misch und  von  hier  aus  haben  sie  die  Israeliten  und  die  Phoe- 
niker  übernommen^);  daß  die  Serdana  und  die  mit  ihnen 
in  Berührung  stehenden  Stämme  die  Sitte  gleichfalls  von  den 
Ägyptern  entlehnt  haben,  ist  denkbar.  Später  freilich  finden 
wir  sie  in  diesen  Gebieten  nirgends  mehr  —  die  Kolcher,  die 
nach  Herodot  beschnitten  waren,  liegen  viel  zu  weit  ab  — , 
auch  nicht  bei  den  Etruskern,  Soll  man  nun  annehmen,  daß 
auch  die  Achaeer  sie  wenigstens  im  Kolonialgebiet  zeitweilig 
mitgemacht  haben?  Oder  sind  die  Äqaiwasa  doch  ein  ganz 
anderes  Volk  und  dann  etwa  identisch  mit  den  Achchijawa 
und  diese  keine  Achaeer?  Es  ist  peinlich,  hier  wie  in  vielen 
anderen  Fragen,  daß  unser  Material  so  dürftig  und  wortkarg 
ist;  aber  die  Gesamtlage  spricht  doch  stark  dafür,  daß  auch 
die  Achaeer,  die  eben  damals  sich  im  östlichen  Mittelmeer 
ausbreiteten,  an  diesen  Bewegungen  beteiligt  gewesen  sind, 
so  gut  wie  nachher  die  Danaer  (Danauna). 

Von  den  unter  Ramses  III.  hinzukommenden  Völker- 
schaften läßt  sich  über  die  Uases  „von  der  See"  nichts  weiter 
ermitteln.  In  den  Danauna  (im  Amarnabrief  151  Danuna, 
o.  S.  224)   „von   ihren   Inseln"    werden    wir   den  Namen    der 


häute.  Beide  Male  steht  qarnata  darüber;  somit  ist  das  sicher  nicht 
die  Phallustasche,  sondern  kann  nur  die  Vorhaut  resp.  das  unbeschnittene 
Glied  bedeuten.  ,Die  keine  qarnata  hatten"  kann  also  nur  „Be- 
schnittene" bedeuten. 

')  Daß  die  Beschneidiing  eine  Nachahmung  der  ägyptischen  Sitte 
sei,  sagt  die  israelitische  Überlieferung  Jas.  5,  9  ausdrücklich,  in  bester 
Übereinstimmung  mit  Herodot  II 104:  <I>oivuji;  xal  Suptot  ol  ev  rj  n-xXaiaTivg 
{d.  i.  die  Juden)  x-xl  a'jtol  b\i.oko-^koo<i'.  Jtap'  A'-foxtioi^  HifiaU-rjuevat  (tYjv 
icjptxoa-riv).  DieÄgypter  und  Phoeniker  alle  beschnitten  {'Y^kn'.):  Aristoph. 
av.  505  ff.  Die  bne  Chamor  von  Sichern  (wahrscheinlich  Choriter)  da- 
gegen sind  nach  Gen.  34  nicLt  beschnitten. 


560  -^II-  ^^^  großen  Wanderungen 

Danaer  von  Argos  erkennen  dürfen.  Das  Hauptkontingent 
der  Seevölker  aber,  die  Ramses  III.  in  großen  Schlachten 
zu  Land  und  zur  See  besiegt,  bilden  die  beiden  engverbun- 
denen Stämme,  deren  Namen  Pursta  (auch  Puirsta)  und  Zak- 
kari  geschrieben  werden.  Die  Konsonanten  des  ersteren  (Prst) 
sind  die  korrekte  Wiedergabe  von  cnu^'^E,  Philister.  Aus 
der  israelitischen  Überlieferung  wissen  wir,  daß  diese  in  die 
Küstenebene  des  dann  nach  ihnen  Palaestina  benannten  Landes 
von  der  Insel  Kaptor  her  eingewandert  sind  und  die  alten 
hier  liegenden  Städte  wie  Gaza  und  Askalon  besetzt  haben ^); 
weiter  nördlich,  in  Dor,  haben  nach  einem  ägyptischen  Be- 
richt^) die  Zakkari  sich  festgesetzt.  Nach  Ausweis  der  Funde 
haben  sie  Gefäße  der  spätmykenischen  Zeit  mitgebracht  und 
in  ihrer  neuen  Heimat  diesen  Stil  beibehalten  und  weiter- 
gebildet^). Daß  die  Insel  Kaptor  Kreta  ist,  kann  nicht  zweifel- 
haft sein,  wenn  der  Name  auch  in  umfassenderem  Sinn  die 
weitere  ägaeische  Inselwelt  mit  einschließen  mag.  Auf  nahe 
Beziehungen  zu  den  Kafti  weist  hin,  daß  in  einer  Liste  von 
Kaftunamen,  die  ein  ägyptischer  Schreiber  auf  einer  Holztafel 
verzeichnet  hat,  ein  Name  'Akasan  vorkommt,  der  dem  des 
Philisterkönigs  Akis  (LXX  A^/oüc)  von  Gat  (Sam.  I  21,  11) 
zur  Zeit  Davids  und  dem  des  Ikausu  von  Aqqaron  zur  Zeit 
Assarhaddodons  und  Assurbanipals  entspricht*). 

Aber  auch  der  Volksname  Kreter  ("'n'nD)  hat  sich  bei  den 
Philistern  neben  diesem  immer  lebendig  erhalten^).  Außerdem 


^)  Arnos  9,  7.  Jerem.  47,  4,  und  im  Kommentar  zum  Deutero- 
nomium  2,  3.  Hier  [und  in  der  ganz  konfusen  Stelle  Jos.  13,  3]  er- 
halten ihre  Vorgänger  den  Namen  Q"^)^. 

^)  Reise  des  Wenamon  (Breasted,  Rec.  IV  565). 

3)  über  die  Philisterkeramik  s.  Thiersch,  Arch.  Anz.  1908,  378  ff. 
Timmen,  Kret.-myk.  Kultur  195  ff. 

*)  Spiegelberc,  Z.  Ass.  8,  884.  W.  M.  Müller,  Z,  Ass.  9,  891  ff.). 

*)  Sam.  I  30,  14.  Bei  Zephanja  2,  5  bezeichnet  „Bewohner  des 
Meeresufers,  Volk  der  Kreter",  denen  der  Untergang  verkündet  wird, 
die  Gesamtheit  der  Philister,  die  im  Parallelismus  damit  genannt  werden 
{ebenso  Ezech.  25,  56),  und  im  nächsten  Vers  heißt  ihr  Land  direkt 
ms  KpY^T-r)  (so  richtig  LXX  und  danach  Wellhausen).  In  der  Benenaung 


Philister  und  Zakkari.    Japhet  5g £ 

erscheinen  die  Philister  oder  vielmehr  die  gesamten  Seevölker 
in  der  Sage  unter  dem  Namen  Japhet,  dem  verkündet  wird, 
daß  Gott  ihm  weiten  Raum  schaffen  und  daß  er  auch  in 
den  Zelten  Sems  (d.  i.  der  Israeliten)  wohnen,  aber  Kana'an 
beider  Knecht  sein  solP);  darin  lebt  der  Name  der  Kafti 
fort.  So  werden  wir  auch  in  der  Angabe,  daß  Gaza  von 
Minos  als  Minoia  gegründet  sei  und  der  dort  verehrte  Haupt- 
gott, den  seine  Verehrer  einfach  Marna  „unser  Herr"  nennen, 
identisch  sei  mit  dem  Zeus  KpTjtaYsvyjc  oder  KpijTafOi;^),  ein 
Fortleben  einer  richtigen  Tradition  erblicken  dürfen. 

Über  die  Herkunft  der  Zakkari  läßt  sich  weiter  nichts 
ermitteln,  als  daß  sie  wie  die  Philister  ein  Seevolk  sind.  Die 
ägyptischen  Darstellungen  geben  beiden  und  ebenso  den  ein- 
mal neben  ihnen  dargestellten  Danauna^')  gleiche  Gestalt  und 
Tracht.  Charakteristisch  ist  vor  allem  die  Kopfbedeckung,  ein 
breiter,  meist  mit  Buckeln  oder  zackigen  Streifen  geschmückter 
Reif,  offenbar  von  Metall,  mit  gefälteltem  Nackenschutz  von 
Zeug  oder  Filz  und  einem  unter  dem  Kinn  verknoteten  Sturm- 
band; auf  ihm  sitzt  auf  einer  Kappe  ein  nach  allen  Seiten  aus- 
ladender Aufsatz  aus  dicht  aneinander  liegenden  Federn*). 
Schon  früher  ist  erwähnt  (o.  S.  217),  daß  diese  Federkrone 
sich  ebenso  auf  dem  kahlen  und  bartlosen  Kopf  findet,  der 
auf  dem  Diskus  von  Phaistos  als  Schriftzeichen  am  Anfang 

der  Söldner  Davids  und  seiner  Nachfolger  als  Kreter  und  Pleter  (d.  i. 
Philister)  stehn  beide  Namen  nebeneinander. 

')  Gen.  9,  27,  vgl.  meine  Israeliten  S.  220  f.  und  oben  S.  183 
und  346. 

^)  Steph.  Byz.  siehe  v.  rds«. 

')  Champollion,  Mon.  .381  (fälschlich  ins  Ramesseum  gesetzt)  = 
Lepsius,  Denkm.  III  211.  Text  III  174  (drei  gleiche  Reihen  Gefangener; 
über  der  ersten  steht  keine  Inschrift;  die  zweite  Reihe  ist  als  Danauna, 
die  dritte  =  Phot.  485  als  Philister  bezeichnet).  Ebenso  die  Zakkari 
Champollion  226. 

*)  Abgebildet  Taf.  VId.  In  den  Schlachtbildern  sind  diese  Federn 
durchweg  gezeichnet,  in  anderen  Darstellungen  (so  auch  bei  den  Zak- 
kari Phot.  499)  dagegen  meist  weggelassen,  so  daß  der  Aufsatz  wie  eine 
große  Haube  aussieht.  Bei  dem  gefesselten  Philister  auf  einem  Osiris- 
pfeiler  Phot.  846  fehlt  er  über  der  Kappe. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertums,    in.  36 


562  ^11-  ^^^  großen  Wanderungen 

zahlreicher  Wörter  (wohl  Eigennamen)  steht.  Somit  werden 
die  Philister  und  Zakkari  dasjenige  Volk  sein,  das  diese  Stem- 
pelschrift erfunden  hat  und  aus  dessen  —  bisher  nicht  auf- 
gefundenen —  Wohnsitzen  der  Diskus  nach  der  kretischen 
Stadt  gelangt  ist.  Auch  die  Möglichkeit,  daß  der  Philister- 
name mit  dem  der  Pelasger  identisch  ist.  kann  nicht  ganz 
abgelehnt  werden. 

Unter  der  Kappe  ist  das  Haupthaar  niemals  angedeutet, 
also  entweder  kurz  geschnitten  oder  rasiert,  wie  bei  den  Köpfen 
und  den  übrigen  Figuren  auf  dem  Diskus.  Die  Krieger  sind 
durchweg  bartlos,  wie  die  Serdana,  nur  ältere  Häuptlinge 
tragen  mehrfach  einen  Bart^).  Die  Gesichtszüge  sind  von 
denen  der  Semiten  und  der  Chetiter  durchaus  verschieden,  das 
Profil  verläuft  geradlinig  wie  bei  den  Griechen.  Mit  diesen 
stimmen  die  Waflfen  überein,  längere  Lanzen  und  kürzere 
Speere,  kurze  spitze  Schwerter  und  runde  Schilde.  Der  Ober- 
körper ist  in  den  sorgfältiger  gearbeiteten  Bildern  von  einem 
bis  zum  Gürtel  reichenden  Panzerhemd  bekleidet,  das  auch 
die  Schultern  umschließt,  während  Hals  und  Arme  freibleiben. 
Auf  der  Brust  sind  Linien  eingezeichnet,  die  der  Krümmung 
der  Rippen  entsprechen  und  am  Brustbein  spitz  zulaufen. 
So  ist  es  wohl  eher  ein  festes  Wams  mit  Besatz  von  Metall 
oder  starkem  Zeug  zum  Schutz  der  Brust,  als_^ein  Metall- 
panzer^).  Unter  ihm  sitzt  ein  bis  zu  den  Knien  reichender 
Lendenschurz,  der  ebenso  wie  der  Gürtel  mit  Troddeln  ver- 
ziert ist.     Die  Beine  sind  nackt. 

Die  Serdana   tragen   im   übrigen    dieselben  Waffen   und 


^)  So  die  Gefangenen  am  Durchgang  des  hohen  Tors  Phot.  .''03, 
mit  durchgearbeiteten  Gesichtszügen;  ebenso  der  Zakkari  und  der  Ser- 
dana Phot.  499,  beide  mit  Ohrring. 

»)  Mehrfach  tragen  in  Ramses'  HI.  Schlachtbildern  auch  Ägypter 
den  gleichen  Panzer;  und  hier  ist  er,  wie  die  Abbildungen  im  Grabe 
Kenamons  (Phot.  768)  und  Ramses'  III.  zeigen,  sicher  ein  mit  Metall- 
Bchnppen  besetzter  Lederkoller,  wie  schon  bei  einigen  Semiten  auf  dem 
Streitwagen  Thutmosis'  IV.  (Phot.  16),  s.  Wolf.  Bewaffnung  des  altäg. 
Heers  S.  96  ff. 


Tracht  und  Bewaffnung  der  Philister,  Zakkari  und  Serdana     563 

dieselbe    Kleidung^}   bis    auf  den    für   sie    charakteristischen 
ehernen  Helm  mit  Hörnern  (Mondsichel)^). 

Auf  einer  Vase  jungmykenischer  Zeit,  aus  einem  kyklo- 
pischen  Haus  in  Mykene^),  ist  der  Auszug  von  Kriegern  ins 
Feld  —  hinter  ihnen  steht  die  Frau,  die  mit  Trauergestus 
von  ihnen  Abschied  nimmt  —  und  vreiter  eine  Schar  in  die 
Schlacht  rückender  Kämpfer  dargestellt.  Jene  tragen  lange 
Lanzen,  an  denen  der  Brotbeutel  hängt;  diese  schwingen 
Speere  zum  Kampf.  Beide  Gruppen  haben  runde  Schilde;  um 
den  Rumpf  sitzt  ein  ornamentiertes  Wams  (oder  Panzer?), 
das  auch  die  Schultern  umschließt,  während  der  Hals  frei- 
bleibt; darunter  verdeckt  ein  Untergewand  mit  Troddeln  die 
Scham.  Im  allgemeinen  entspricht  diese  Tracht  der  eben  ge- 
schilderten; abweichend  ist,  daß  auch  der  Arm  mit  einem 
Ärmel  umschlossen  ist,  und  daß  sie  Gamaschen  (TtvyjfxiSe?) 
und  Schuhe  tragen.  Außerdem  haben  sie  Backen-  und  Kinn- 
bart; aber  der  Schnurrbart  ist  abrasiert  und  ebenso  fehlt 
jede  Andeutung  des  Haupthaars.  Fast  völlig  übereinstim- 
mend mit  den  Philistern,  Zakkari  und  Danauna  ist  bei  der 
zweiten  Gruppe  die  Kopfbedeckung,  eine  bunte  Kappe  auf 
einem  Reif,  nach  beiden  Seiten  überladend,  mit  einem  Auf- 
satz paralleler  Striche  darauf,  die  den  Federn  entsprechen; 
nur  der  Nackenschirm  fehlt.  Man  wird  damit  verbinden 
dürfen,  daß  nach  Herodot  die  Lykier  „rings  mit  Federn  be- 
setzte Filzmützen"  trugen^).  Bei  der  anderen  Gruppe  könnten 
die  beiden  Hörner  am  Helm  der  Mondsichel  auf  dem  Helm 
der  Serdana  entsprechen,  wenngleich  hier  eher  eine  rein 
griechische  Entwicklung  vorliegt,   die  Sicherung  des  Helmes 

*)  Auch  das  Panzerhemd  findet  sich  bei  ihnen  mehrfach  in  der 
Darstellung  der  Seeschlacht. 

')  Oben  S.  57.  Der  kugelförmige  Aufsatz  zwischen  den  Hörnern 
fehlt  in  den  Darstellungen  nicht  selten. 

»)  ScHLiEMANN,  Mjkenae  Fig.  213.  214.  Furtwängler  u.  Löschke, 
Myk.  Vasen  Taf.  42.  43.  Tsuntas-Manatt,  Myc.  age  Taf.  18;  danach  auf 
Taf.  VI  a.  b.  —  Gleichartig  die  bemalte  Stele  bei  Tsuntas,  Etp.  ip^.  1896 
Taf.  I 

*)  Herod.  VII  92  itiXou?  «TEpoiat  iiEpteoTt<pav<ujx£vouc. 


564  ^11-  ^^^  großen  Wanderungen 

gegen  Hiebe  durcli  daran  angesetzte  Haken  (^aXot),  vgl.  oben 
S.  234,  1. 

So  wenig  man  an  eine  direkte  Gleichsetzung  dieser  myke- 
nischen  Kriegerscharen  mit  den  von  den  Ägyptern  dargestellten 
wird  denken  dürfen,  so  zeigen  die  Übereinstimmungen  doch, 
daß  sie  alle  demselben  Kulturkreis  angehören,  in  dem  die 
Völkerschaften  sich  gegenseitig  beeinflußten  und  in  Bewaff- 
nung und  Tracht  sich  angeähnelt  haben. 

Andersartig  ist  die  Kopftracht  in  dem  stark  zerstörten 
Bild  eines  Tursahäuptlings  in  Medinet  Habu  (Phot.  498):  über 
der  Stirn  hält  ein  breites  Band  (oder  Reif?)  das  Haar  zusam- 
men, das  lockenartig  endend  über  der  Stirn  liegt,  aber  ziem- 
lich kurz  gehalten  ist  und  daher  nicht  auf  die  Schultern 
herabfällt.  Gleichartige  Gestalten,  in  denen  wir  daher  Tur§a 
erkennen  dürfen,  finden  wir  neben  Ägyptern,  Serdana  und 
Philistern  oder  Zakkari  sowie  Negern  in  der  Garde  Ram- 
ses'  HI.^)  und  ebenso  unter  den  Söldnern  in  der  Libyer- 
schlacht ^).  Einer  von  diesen  trägt  über  der  Brust,  an  einer 
Schnur  vom  Hals  herabhängend,  eine  runde  Scheibe,  wie  wir 
sie  mehrfach  auch  bei  Semiten  finden,  wohl  zugleich  als 
Schmuckstück  und  als  Amulett. 

Unter  den  Bildern  gefesselter  Feinde  auf  glasierten  Fay- 
encekacheln, mit  denen  Ramses  HI.  seinen  Palast  in  Medinet 
Habu  geschmückt  hat^),  finden  sich  neben  Libyern,  Syrern, 
Chetitern    und   Negern   auch   einige,    die   an   diese   Gestalten 


^)  Phot.  447  f.  und  428  f  (aus  ersterer  sind,  auf  C4rund  der  älteren 
Zeichnungen,  die  Bilder  bei  W.  M.  Müller,  Asien  und  Europa  S.  380  f., 
entnommen).    Danach  Taf.  VE  2. 

2)  Phot.  434,  danach  Taf.  VI  c.  Der  Vergleich  mit  den  Bildern 
von  Ägyptern  in  derselben  Schlacht  zeigt,  daß  die  glatte  Fläche  hinter 
dem  Stirnband  nicht  ein  Kopftuch  ist  (wie  z.  B.  W.  M.  Müller  meinte), 
sondern  das  Haar,  das  nicht  weiter  modelliert  ist,  aber  dann  in  ein- 
zelne kleine  Büschel  oder  Locken  ausläuft. 

^)  Publiziert  von  Daressy,  Ann.  du  Serv.  XI  1910;  Fremdvölker- 
phot.  1 — 11.  Weitere  in  den  Museen  von  Wien  und  Berlin  und  in  der 
Sammlung  v.  Bissing's.  In  Betracht  kommen  hier  Phot.  5a.  b.  9b.  11 
(=  Daressy  no.  15.  16.  18.  14). 


Die  Tursa.    Bilder  der  Seevölker  565 

erinnern.  Alle  diese  Figuren  tragen  nicht  die  Kriegsrüstung, 
sondern  reich  mit  Stickerei  geschmückte  Gewänder,  ähnlich 
wie  die  Serdana  in  der  Galatracht,  in  der  sie  in  dem  Bilde 
der  Schlacht  bei  Qades  als  Leibwache  Ramses'  III.  dargestellt 
sind.  Einer,  in  buntem  Obergewand  und  langem  Unterrock 
(Phot.  9  b),  mit  Backen-  und  Schnurrbart,  trägt  über  der 
Stirn  das  breite  Band  und  dahinter  das  Haar  in  Strähnen 
zurückgekämmt  und  gleichmäßig  abgeschnitten;  das  scheint 
also  ein  Tursa  zu  sein.  Auf  der  Brust  hängt  ihm  unter  der 
Halskette  ein  Ring.  Ein  anderer  (Phot.  11)  trägt  statt  dessen 
die  volle  Scheibe.  Auch  er  hat  einen  kurzen  Vollbart.  Die 
Gesichtszüge  sind  ganz  europäisch.  Über  der  Stirn  scheint 
auch  bei  ihm  ein  Band  zu  liegen;  das  Haar  ist  zerstört.  Der 
Leib  ist  unter  der  Brust  mit  einem  horizontal  gestreiften 
Tuch  umwickelt,  von  der  Schürze  hängen  Troddeln  über  den 
Leibrock  herab.  Die  gleiche  Kleidung  findet  sich  bei  Phot.  5a; 
hier  ist  das  Stirnband  mit  Steinen  geschmückt,  das  Haar  liegt 
in  Strähnen  auf  dem  Kopf  und  ist  geradlinig  abgeschnitten^). 
Besonders  bedeutsam  ist  weiter,  daß  sich  in  einem  Grab 
von  Enkomi  (Salamis)  auf  Cypern  ein  Kasten  aus  Elfenbein 
gefunden  hat,  dessen  Schnitzereien  in  mykenischem,  aber  asia- 
tisch beeinflußtem  Stil  eine  Jagd  darstellen;  und  in  dieser 
tragen  zwei  Krieger  im  Gefolge  der  wie  die  ägyptischen  und 
mykenischen  Fürsten  auf  dem  Wagen  stehenden  Hauptfigur 
ganz  deutlich  denselben  mit  Buckeln  geschmückten  Stirn- 
reifen mit  Nackenschutz  und  mit  dem  überhängenden  Feder- 
aufsatz wie  die  Philister^}.  Das  Grab,  in  dem  sich  ein  paar 
Eisenmesser   mit   Elfenbeingriff  gefunden  haben,  gehört   der 

')  Zwei  gleichartige  Köpfe  befinden  sich  in  Wien. 

^j  Excavations  in  Cyprus  pl.  I  und  p.  31  (vgl.  o.  S.  .552, 1),  aus  Grab  58. 
Die  beiden  Krieger  sind:  hinter  dem  Wagen  der  WafiPenträger  mit  Streit- 
axt und  mit  dem  Dolch  am  Gürtel,  und  ganz  links  der  Mann,  der  einen 
Löwen  niederstößt.  Auch  die  Sphinx  pl.  II  1126  trägt  die  gleiche  Kopf- 
bedeckung. Der  Schurz  des  Waifenträgers  entspricht  gleichfalls  den 
ägyptischen  Darstellungen.  Der  bärtige  Schütze  auf  dem  Streitwagen 
trägt  einen  Schuppenpanzer;  sein  Haar  ist  nach  hinten  zurückgekämmt, 
aber  einen  Stirnreifen  hat  er  nicht. 


566  XII.  Die  großen  Wanderungen 

Zeit  um  1200  au.  So  wird  hier  die  Mischung  der  verschiedenen 
Volkstüraer  anschaulich,  welche  die  Insel  besiedelt  haben; 
mehrere  Elfenbeinschnitzereieu  aus  anderen  Gräbern  zeigen 
statt  dessen  bartlose  Köpfe  mit  dem  raykenischen,  mit  Eber- 
zähnen besetzten  Helm^). 

Die  große  Völkerwanderung 

Die  Verbindung  der  Serdana  mit  Ägypten  reicht  jeden- 
falls bis  über  die  Amarnazeit,  ja  vielleicht  bis  in  die  Anfänge 
des  Neuen  Reichs  zurück.  Jahrhundertelang  ist  die  kriegs- 
lustige Jugend  dieses  Volkes,  mag  es  nun  in  Sardinien  oder 
sonst  irgendwo  in  weiter  Ferne  ansässig  gewesen  sein,  übers 
Meer  gezogen,  um  als  Reisläufer  im  Dienst  des  Pharao  Beute 
und  Ruhm  zu  verdienen.  Daß  daneben  Raubzüge  gegen  Ägypten 
vorkamen  (o.  S.  457  f.),  ist  durchaus  begreiflich.  Aber  auch  die 
anderen  Seevölker  standen  schon  längere  Zeit  mit  Ägypten  in 
Verbindung;  so  hat  sich  im  Faijüm  das  Grab  eines  zur  Guts- 
verwaltung des  Harems  gehörenden  Beamten  'An-tursa  aus 
der  neunzehnten  Dynastie  gefunden^),  dessen  Name  über  seine 
Herkunft  keinen  Zweifel  läßt. 

Daß  die  Seevölker  sich  mit  den  Libyern  zu  einem  großen, 
offenbar  sorgfältig  vorbereiteten  Angriff  auf  Ägypten  ver- 
banden, würde  an  sich  schon  nicht  nur  regen  Verkehr  durch 
Handel  und  Seeraub,  sondern  auch  politische  Beziehungen 
von  einer  Ausdehnung  erweisen,  wie  sie  die  Folgezeit  Jahr- 
hunderte hindurch  nicht  wieder  gekannt  hat.  Aber  der  Zu- 
sammenhang greift  viel  weiter;  diese  Invasion  Ägyptens  reiht 
sich  ein  in  eine  große  Völkerbewegung,  welche  das  gesamte 
Ostbecken  des  Mittelmeers  nebst  dem  angrenzenden  Festland 
erschüttert  und  weithin  umgestaltet  hat. 

')  Excav.  pl.  IL  no.  1340  aus  Grab  16.  no.  872  aus  Grab  17,  Spiegel- 
griff, auf  dem  ein  bartloser  Krieger  mit  dem  Schwert  einen  Greifen 
niederstößt.  Auf  dem  Rücken  liegt  sein  Rundschild,  die  Scheide  hängt 
am  Gürtel;  der  Schurz  entspricht  auch  hier  den  ägyptischen  Dar- 
stellungen. Gleichartig  das  Fragment  883  aus  Grab  24,  das  der  Zeit 
Ramses'  IH.  angehört  (o.  S.  552,  1). 

^)  Petrie,  Kahun,  Gurob  and  Hawara  (1890)  pl.  XIX. 


Die  Völkerwanderung.    lUyrier  und  Thraker  567 

Den  Verlauf  im  einzelnen  können  wir  nicht  ermitteln; 
aber  die  Grundzüge  lassen  sich  deutlich  genug  erkennen. 
Der  Anstoß  ist,  so  scheint  es,  von  dem  Eindringen  eines 
neuen  indogermanischen  Volksstammes,  der  Illjrier,  in  den 
Nordwesten  der  Balkauhalbinsel  ausgegangen^).  Dadurch  .sind 
alle  hier  ansässigen  Volksstämme  in  Bewegung  geraten.  Unter 
den  thrakischen  Stämmen  hat  der  Stoß  vor  allem  das  große 
Volk  der  Phryger  getroflFen,  die  ehemals  das  ganze  Gebiet 
vom  Strymon  und  Makedonien  bis  zum  Adriatischen  Meer  be- 
sessen haben  müssen.  Reste  von  ihnen  haben  sich  hier  unter 
dem  Namen  Bryger  oder  Briger  an  mehreren  Stelleu  erhalten, 
so  im  Hinterland  von  Epidamnos*)  —  hier  kennt  sie  die  Tele- 
gonie  als  Nachbarn  und  Feinde  der  Thesproten  —  und  im 
Gebiet  des  Erigon  im  oberen  Makedonien^);  am  Berg  Bermion 
in  dem  Gebiet,  von  dem  später  das  makedonische  Königreich 
ausgegangen  ist,  hat  sich  die  phrygische  Sage  von  dem  reichen 
Urköuig  Midas,  dem  Sohn  des  Gordias,  und  den  üppigen  Gärten 
Silens  dauernd  erhalten^).  Der  Hauptteil  des  Volkes  aber  ist 
nach  Kleinasien  hinübergezogen  und  hat  hier  die  Küstenland- 
schaft des  Hellesponts  und  der  Propontis  sowie  weithin  das 
innere  Hochland  besetzt,  und  hier  die  alteinheimischen  Kulte 
der  großen  Gebirgsgöttin  und  des  Attis  übernommen  und 
weitergebildet. 

Die    Erinnerung   daran,  daß   die  Phryger   hier   aus    Eu- 

')  Vgl.  Bd.  I  525. 

2)  [Skymn.]  434  ff.  Appian  civ.  11  89.  Apollonios  Rhod.  IV  330.  470 
versetzt  sie  dann  auf  die  sog.  apsyrtischen  Inseln. 

»)  Herodot  VI  45  (als  Thraker  bezeichnet).  VK  185.  Strabo  VII  7, 
8  f.  vgl.  XII  3,  20.  Die  Namensform  Bpb-^ot.  zeigt  bekanntlich  die  make- 
donische Aussprache  des  ursprünglichen  bh  als  b,  vrährend  es  in 
$p6fec  wie  im  Griechischen  zu  ph  geworden  ist.  Daneben  gibt  Hero- 
dot VII  73  BpiYs?  als  makedonische  Aussprache  für  <I>pÜYe?.  Steph.  Byz. 
verzeichnet  daneben  die  Formen  lipüxat,  Bpuxeli;,  BpuxYjtoi,  sow'.e  Bpti^, 
BpüYO'  u"d  M^  makedonische  Orte  lipo-{irtq  und  ßp'JYtov.  Auch  die 
Namen  Beßpuxec  (in  Bithynien  und  Troas)  und  Bifsxüvtsi;  enthalten  da« 
gleiche  Namenselement;  vgl.  Hesyc.h,  Bpsxov  töv  BpEnovxa,  xöv  BpiY«  " 
BptYe?  fäp  ol  <I>p6Ye?. 

*)  Herod.  \1II  138.    Strabo  VI!  fr.  25.    Konon  narr.  1. 


5((g  XII.  Die  großen  Wanderungen 

ropa  gekommene  Eindringlinge  sind,  hat  sich  dauernd  er- 
halten, ebenso  daß  dann  weit  später  von  ihnen  die  Armenier 
ausgegangen  und  in  die  östlichen  Gebirgslande  vorgedrungen 
sind;  die  Übereinstimmung  der  Sprachen  bezeugte  die  Ver- 
wandtschaft der  drei  Völker^).  Xanthos  der  Lyder  setzte  ihre 
Einwanderung  in  die  Zeit  nach  dem  troischen  Kriege,  und 
verband  damit  das  Vordringen  der  Myser  ins  Quellgebiet 
des  Kaikos ^).  Darin  hat  sich  eine  geschichtliche  Kunde  er- 
halten, und  auch  das  auf  Kombination  beruhende  Datum  ist 
im  wesentlichen  zutreffend.  Denn  auch  die  Myser  sind  wohl 
sicher  aus  dem  inneren  Thrakien  herübergekommen,  wo  die 
Ilias  N  5  sie  in  weiter  Ferne  kennt  und  wo  ihr  Name  dann 
in  römischer  Zeit  in  der  Donaulandschaft  als  Moesia  wieder 
auftaucht;  sie  haben  sich  zunächst  in  dem  rauhen  Gebirgs- 
land  des  Arganthonios  zwischen  dem  Golf  von  Nikoraedien 
und  dem  von  Kios  sowie  am  mysischen  Olymp  festgesetzt'), 
von  wo  aus  sie  ständig  als  Räuberstamm  die  Bauern  der 
Umgegend  ausplünderten,  und  sind  dann  weiter  ins  Binnen- 
land bis  nach  Teuthranien  am  Kaikos  vorgedrungen.    Wenn 

1)  Heiod.  VII  73.    Eudoxos  bei  Steph.  Byz.  'Ap[i.sv[a. 

2)  Xanthos   bei   Strabo  XII  8,  3.  XIV  5,  29.   Vgl.  Strabo  XIII  1,  8. 
^)  Nur  hier  kennt  sie  die  Ilias  an  den  wenigen  Stellen,    wo   sie 

erwähnt  werden.  Die  Phrjger  dagegen  kommen  öfter  vor,  und  ebenso 
N  792  ff.  sowie  im  Schiffskatalog  der  mit  ihnen  verbundene  Land- 
schaftsname Askania  am  askanischen  See  bei  Nikaea  (identisch  mit 
Askenaz  in  der  Völkertafel  der  Genesis  sowie  Jerem.  .51,  27),  dessen 
Eponymos  Askanios  später  zum  Sohn  des  "Aeneas  gemacht  wird.  Nach 
Xanthos  sind  die  Phryger  aus  Europa  unter  Führung  des  Skamandrios 
ex  Bepsv.üvTtüv  xal  'Aoy.avta,;  gekommen;  er  versetzt  also  diese  Namen 
schon  in  ihre  europäische  Heimat.  Darin  wirkt  wohl  die  auch  von 
Xanthos  angenommene  Besetzung  der  Troas  (sie  erschlagen  deren  Für- 
sten) durch  die  Phryger  nach.  Hier  sitzt  in  Lampsakos  und  Abydos 
der  phrygische  Stamm  der  Bebryker  ebenso  wie  in  dem  späteren 
Bithynien;  auf  sie  geht  der  an  beiden  Stellen  heimische  Kult  des 
Priapos  zurück.  —  Daß  die  Ilias  die  Phryger  (und  Myser),  den  Ver- 
hältnissen der  Zeit  der  Dichter  entsprechend,  schon  in  Asien  kennt, 
ist  begreiflich  genug;  darauf  beruhen  dann  Apollodors  Einwendungen 
gegen  Xanthos"  Angaben  bei  Strabo  XIV  5,  29.  —  Weiteres  siehe  im 
nächsten  Band. 


Eindringen  der  Phryger  und  Myser  in  Kleinasien  5g9 

Herodot  eine  sonst  völlig  verschollene  Nachricht  von  einem 
großen  Kriegszug  der  Mjser  und  Teukrer  über  den  Bosporus 
nach  Thrakien  bis  zum  Strymon  und  zum  Ionischen  Meer 
lange  vor  der  Zeit  des  troischen  Krieges  bewahrt^),  so  mag 
auch  darin  eine  dunkle  Kunde  von  diesen  Bewegungen  stecken, 
bei  der  die  Vorgänge  umgekehrt  sind  und  die  späteren  Sitze 
der  Myser  und  Teukrer  in  Asien  als  ihre  Urheimat  betrachtet 
werden,  aus  der  sie  in  grauer  Vorzeit  einmal  nach  Europa 
gezogen  seien. 

So  wenig  sich  der  geschichtliche  Verlauf  aus  diesen  Tra- 
ditionen im  einzelnen  feststellen  läßt,  so  deutlich  erkennen 
wir  die  große  Umwälzung,  welche  Kleinasien  gegen  Ende 
des  2.  Jahrtausends  getroöen  und  neue  Volksstämme,  Phryger, 
Myser.  Teukrer  (vielleicht  auch  die  Dardaner  der  Troas)  dort- 
hin geführt  hat.  Die  Datierung  ergibt  sich  aus  dem  Be- 
richt Ramses'  III.  über  die  große  Völkerwanderung,  die  unter 
seiner  Regierung  das  Chetiterreich  vernichtet  und  Syrien  über- 
schwemmt hat. 

Wie  die  Phryger  sind  auch  die  nordwestgriechischen 
Stämme  aus  den  Gebieten  am  Adriatischen  Meer  westlich 
von  der  Piiidoskette  verdrängt  worden  und  haben  den  illyrisch- 
epirotischen  Völkerschaften  (s.  o.  S.  271)  Platz  gemacht.  Auch 
hier  kennen  wir  nur  die  nackten  Tatsachen,  die  sich  aus 
dem  späteren  Bestand  ergeben;  denn  was  uns  in  der  Literatur 
als  Überlieferung  über  die  Wanderungen  entgegentritt,  sind 
lediglich  Folgerungen  aus  diesem  Bestände,  mit  ganz  sekun- 
dären Ausschmückungen;  vor  allem  die  von  der  genealo- 
gischen Poesie  des  7.  und  6.  Jahrhunderts  geschaflfene  und 
vom  Volk  gläubig  angenommene  Geschichte  der  sog.  Rück- 
kehr der  Herakliden  ist  eines  der  armseligsten  Produkte  der 
griechischen  Literatur.  Man  tut  diesen  Machwerken  viel  zu 
viel  Ehre   an,  wenn   man   sie   als  Sagendichtung  bezeichnet; 

')  V  13.  VII  20.  75.  Bei  diesem  Zuge  sollen  die  Bithyner  aus  ihren 
Sitzen  am  Strymon  verdrängt  und  nach  Asien  gezogen  sein  (was  sicher 
erst  in  viel  spätere  Zeit  gehört),  und  die  Paeoner  sollen  Abkömm- 
linge der  Teukrer  von  Troja  sein. 


^YQ  XII.  Die  großen  Wanderungen 

OS  ist  lediglich  Geschichtsklitterung,  die  nur  strebt,  von  den 
Zuständen  der  Heroenzeit,  die  natürlich  vorher  abgeschlossen 
sein  muß,  möglichst  rasch  zu  denen  der  Gegenwart  zu  ge- 
langen und  diese  mit  dürftigster  Kenntnis  der  wirklichen  Ver- 
hältnisse einigermaßen  zu  erklären.  Noch  jünger  sind  die 
Versuche,  an  der  Hand  der  Stammbäume  zu  einer  Zeitbestim- 
mung zu  gelangen,  die  zunächst  zu  einer  Fülle  verschiedener 
Ansätze  führten,  bis  dann  seit  dem  3.  Jahrhundert  die  von 
Eratosthenes  auf  Grund  der  spartanischen  Königslisten  auf- 
gestellten Daten  allmählich  alle  anderen  zurückgedrängt  haben. 
Umso  deutlicher  redet  der  Tatbestand  selbst  i).  Nahezu 
das  gesamte  griechische  Festland  ist  von  nordwestgriechischen 
Stämmen  besetzt,  die  sich  über  die  ältere  aeolische  und  achaei- 
sche  Bevölkerung  lagern  und  in  ihrem  Dialekt  eine  starke 
Beimischung  der  hier  heimischen  Sprachformen  erfahren.  So 
vor  allem  in  Thessalien  und  Boeotien ;  zwischen  beiden  Land- 
schaften sind  dann  rein  nordwestgriechische  Stämme  bis  ans  Eu- 
boeische  Meer  und  den  Pagasaeischen  Meerbusen  vorgedrungen, 
die  Achaeer  von  Phthiotis,  die  Malier  und  Aenianen,  die  Lokrer 
und  Phoker.  Im  Peloponnes  ist  die  ältere  Bevölkerung  in 
das  innere,  rings  von  Bergen  umschlossene  Hochland  Arka- 
diens zurückgedrängt.  Die  Nordküste,  Achaja  und  Elis  nebst 
den  ionischen  Inseln,  ist  von  Scharen  besetzt,  die  aus  Aeto- 
lien  herübergekommen  sind,  alle  anderen  Küsten  haben  die 
Dorier  in  Besitz  genommen.  Abgesehn  von  Arkadien  hat  sich 
die  ältere  Bevölkerung  hier  nur  in  dürftigen  Resten  be- 
hauptet, in  Kynurien  an  der  lakonischen  Steilküste  die  lonier, 
im  Westen  zwischen  Ehs  und  Messenien  das  Mischvolk  der 
Triphylier. 

Die  Ausbreitung  der  Dorier  bietet  ein  Problem,  das  sich 
mit  voller  Sicherheit  nicht  lösen  läßt.  Sie  sind  ein  kriege- 
rischer Stamm,  dessen  Name  sie  als  „  Lanzenkämpfer "  zu  be- 

^)  An  dieser  Stelle  können  wir  uns  auf  eine  zusammenfassende 
Skizze  beschränken;  auf  die  Einzelheiten  wird  später  einzugehn  sein, 
wenn  die  Zustände  der  mittelalterlichen  Epoche  der  griechischen  Welt 
zu  schildern  sind. 


Die  dorische  Wanderung  57 1 

zeichnen  scheint^).  Nach  der  Überlieferung  sollen  sie  ur- 
sprünglich im  Pindos  gesessen  haben '-*),  unter  der  Herrschaft 
des  dorischen  Urkönigs  Aigimios ;  von  hier  aus  seien  sie  dann 
in  die  kleine  Landschaft  Dryopis  südlich  vom  Oeta  im  Quell- 
gebiet des  Kephissos  gezogen,  die  den  Namen  Doris  dauernd 
behalten  hat  und  immer  als  ihr  eigentliches  Stammland  und 
Ausgangspunkt  ihrer  Wanderung  gilt.  Aber  was  von  dieser 
erzählt  wird,  wie  sie  unter  Führung  der  Herakliden  bei  Nau- 
paktos  über  den  Korinthischen  Golf  gehn,  den  Norden  des 
Peloponnes  durchziehn  und  die  südlichen  und  östlichen  Küsten- 
landschaften erobern  und  unter  die  drei  Söhne  des  Herakliden 
Aristomachos  verteilen,  ist,  wie  schon  erwähnt,  ein  kümmer- 
liches Machwerk  ohne  jeden  geschichtlichen  Wert  und  beweist 
nur,  daß  (wie  bei  den  Israeliten)  über  den  Hergang  jede  Er- 
innerung geschwunden  und  nur  die  Tatsache  im  Bewußtsein 
geblieben  war,  daß  sie  die  Gebiete,  in  denen  sie  saßen,  mit 
der  Waffe  erobert  hatten.  In  Wirklichkeit  ergibt  bereits  ein 
Blick  auf  die  Karte  ein  ganz  anderes  Bild :  sowohl  in  La- 
konien  wie  in  Argolis  —  über  Messenien  haben  wir  weiter 
keine  Kunde  —  sind  die  Dorier  von  der  Küste  des  Golfs  aus 
nach  Norden  vorgedrungen,  in  Lakonien  im  Eurotastal  und 
von  hier  aus  sowohl  gegen  Arkadien  wie  gegen  die  kynurische 
Küste ^),  in  Argolis  von  der  Inachosebene  aus  gegen  die  Akte 
und  den  Isthmus,  wo  sie  schließlich  noch  über  die  Geraneia 
vordringen  und  den  loniern  von  Athen  Megara  und  Salami» 
entreißen. 

Neben  der  Festsetzung  im  Peloponnes  steht  die  Ausbrei- 
tung über  See,  im  Süden  des  Ägaeischen  Meeres,  über  die 
südlichsten  Kykladen  Melos  und  Thera  bis  nach  Rhodos  und 

')  AtupiYji;  als  Kurzform  von  AtuptjjLay ot  erklärt :  W.  Schulze,  Ber. 
Berl.  Ak.  1910,  805  f. 

^)  Herod.  I  56,  nach  dem  sie  vorher  unter  Deukalion  in  Phthiotis, 
dann  unter  dessen  Enkel  Doros  in  Histiaeotis  gesessen  haben  und  von 
den  Kadmeern  in  den  Pindos  gedrängt  sind. 

*)  Fernzuhalten  ist  von  der  ursprünglichen  Invasion  der  Dorier 
die  spätere  Ausbreitung  der  Macht  Spartas,  das  sich  die  dorische  oder 
dorisierte  Landbevölkerung  in  Lakonien  und  Messenien  unterwirft. 


572  XII-  Die  großen  Wanderungen 

Kos  und  den  sich  diesen  Inseln  entgegenstreckenden  Land- 
zungen hin.  Im  Mittelpunkt  steht  Kreta,  und  diese  Insel  ist 
mit  Ausnahme  des  äußersten  Ostens  so  völlig  dorisiert  worden, 
daß  nicht  nur  die  achaeische  Epoche  der  Insel  eine  verschol- 
lene Episode  geworden  ist,  sondern  auch  die  Sagengestalt 
des  Minos  von  den  Doriern  ühernommen  wird  und  sie  un- 
bedenklich auf  ihn,  den  Genossen  des  Zeus,  ihre  sozialen 
und  rechtlichen  Ordnungen  zurückführen.  So  liegt  die  Ver- 
mutung nahe,  daß  Kreta  der  Ausgangspunkt  auch  für  die 
Besetzung  der  sich  nach  der  Insel  zu  öflFnenden  Küstenland- 
schaften des  Peloponnes  gewesen  ist.  Darauf  weist  denn  auch 
sonst  gar  manches  hin,  so  daß  die  Spartaner  den  Ursprung 
ihrer  mit  den  kretischen  übereinstimmenden  Institutionen  von 
Kreta  und  damit  (durch  Vermittlung  des  Lykurgos)  von  Minos 
ableiten^),  und  vor  allem,  daß  die  Dorier  auch  hier  den 
Kult  des  auf  Kreta  weit  verbreiteten  Apollon  (Pythaeus) 
übernommen  und  mit  dem  Bauerngott  in  Widdergestalt  (Kar- 
neios)  gleichgesetzt  haben,  dem  alle  peloponnesischen  Do- 
rier ein  großes  Fest  feiern,  bei  dem  allgemein  Waffenruhe 
herrscht. 

So  erinnert  die  Ausbreitung  der  Dorier,  wenn  auch  in 
weit  kleineren  Dimensionen,  an  die  der  Normannen,  die,  aus 
Skandinavien  gekommen,  von  der  Normandie  aus  England 
und  über  Südfrankreich  Unteritalien  mit  Sicilien  sowie  Palae- 
stina  erobert  und  ebenso  das  russische  Reich  gegründet  haben. 
Wie  sie  ursprünglich  ein  Meervolk  gewesen,  dann  aber  die 
eigentlichen  Träger  des  Rittertums  geworden  sind,  werden 
wir  uns  auch  die  Entwicklung  der  Dorier  gleichartig  zu 
denken  haben.  Sie  müssen,  aus  dem  Gebirgslande  des  Pindos 
vordringend,  etwa  vom  Winkel  des  Malischen  Golfs  aus  auf 
die  See  gegangen  sein  und  sich  vor  allem  in  großen  Scharen 
auf  Kreta  festgesetzt  haben ;  von  hier  aus  sind  sie  dann  wie 
auf  die  Inseln  im  Osten  so  nach  den  Golfen  des  Peloponnes 
hinübergegangen  und  haben  hier  überall  die  älteren  Staaten 

*)  Herod.  I  65.  Ebenso  in  dem  aus  der  Schule  Piatos  stammenden 
Dialog  Minos. 


Die  dorische  Wanderung.    Italien  573 

und  Burgen  überwältigt  und  die  Bevölkerung  teils  verjagt, 
teils  geknechtet. 

Durch  diese  Wanderungen  ist  die  Staatenwelt  der  my- 
kenischen  Epoche  mit  ihrer  Kultur  zugrunde  gegangen.  Un- 
berührt geblieben  ist  außer  Arkadien  und  Euboea  mit  den 
Kykladen  nur  Attika.  Mit  Recht  konnten  die  Athener  sich 
rühmen,  daß  sie  allein  unter  allen  griechischen  Stämmen,  mit 
Ausnahme  der  Arkader,  von  Anfang  an  auf  ihrem  Boden 
heimisch  seien;  daher  hat  sich  hier  allein  die  in  der  niyke- 
nischen  Epoche  begründete  Einheit  der  Landschaft  unter  der 
Herrschaft  der  Burgfestung  Athen  dauernd  erhalten,  während 
sonst  überall  die  größeren  Gebiete  sich  in  zahlreiche  selb- 
ständige kleine  Gaue  auflösten.  Aus  demselben  Grunde  fehlt 
hier  allem  ein  Stammname;  Landschaft  und  Bewohner  werden 
nach  der  Hauptstadt  benannt. 

Die  I^mwälzung  auf  dem  Festlande  hat  auch  das  Meer 
ergriffen  und  die  hier  ansässigen  Volksstämme  in  Bewegung 
gebracht;  dadurch  sind  die  großen  Kriegszüge  über  See  nach 
Libyen  und  Ägypten  hervorgerufen.  Zugleich  ergossen  sich 
die  aus  dem  Festlande  verdrängten  Völkerschaften  in  Scharen 
übers  Meer  nach  der  Kleinasiatischen  Küste;  so  sind  hier 
die  aeolischen  und  ionischen  Ansiedlungen  entstanden,  und 
ebenso  die  Tramilen  von  Kreta  nach  Lykien  hinübergegangen. 
Auch  nach  Pamphylien  und  C3"pern  werden  jetzt  neue  Zuzüge 
gegangen  sein.  — 

Die  Auswirkungen  der  Völkerbewegung  haben  noch  weiter 
gereicht.  Es  ist  früher  (Bd.  I  526)  schon  dargelegt  worden, 
daß  die  indogermanischen  Stämme  Italiens  nicht  von  Norden 
her  durch  das  Poland,  in  dem  vor  dem  Kelteneinbruch  zu 
Anfang  des  4.  Jahrhunderts  niemals  Indogermanen  gesessen 
haben,  sondern  nur  von  Osten  her  über  das  Adriatische  Meer 
in  ihre  Wohnsitze  gelangt  sein  können.  Sie  schichten  sich 
in  zwei  Hauptgruppen.  Die  Latiner  und  ihre  Verwandten,  die 
Ausoner  (Aurunker)  und  Opiker  in  Campanien.  die  oenotri- 
schen  Stämme  und  die  Sikeler  in  Unteritalien  füllen  den  Westen 
und  Süden  der  Halbinsel.  Hinter  ihnen  folgen  im  Norden  die 


fcij»^  XII.  Die  großen  Wanderungen 

Umbrer,  im  mittelitalischen  Gebirgslande  die  sabellischen 
Stämme,  die  sich  dann  seit  dem  5.  Jahrhundert  immer  weiter 
nach  Süden  ausdehnen  und  die  Opiker  und  Oenotrer  ver- 
drängen oder  aufsaugen.  So  ist  es  recht  wahrscheinlich,  daß 
wenigstens  diese  Sabeller  erst  jetzt  von  den  Illyriern  übers 
Meer  gedrängt  sind;  sind  doch  illyrische  Stämme  ihnen  ge- 
folgt, die  Japyger  und  ihre  Verwandten  in  Apulien  und  weiter 
südlich  am  Golf  von  Tarent  die  Choner^). 

Damit  wird  man  verbinden  dürfen,  daß  nach  griechischer 
Überlieferung  die  Sikeler  ursprünglich  in  Unteritalien  saßen 
(wo  sich  Reste  auch  später  noch  erhielten)"''),  dann  aber,  von 
ihren  Nachbarn  verdrängt,  über  die  Meerenge  gingen,  die 
Sikaner  in  den  Westen  zurückdrängten  und  der  Insel,  die  bis 
dahin  Sikanien  hieß,  den  Namen  Sikelia  gaben.  Antiochos 
von  Syrakus  bezeichnet  sie  mit  Recht  als  einen  oenotrischen 
Stamm;  denn  die  zahlreichen  sikulischen  Wörter,  welche  die 
Griechen  auf  der  Insel  übernommen  haben,  zeigen  deutlich, 
daß  ihre  Sprache  dem  Lateinischen  ganz  nahe  gestanden  hat. 
Nach  Antiochos  sind  sie  von  den  Oenotrern  und  Opikern  ver- 
jagt; Thukydides  nennt  allein  die  letzteren,  Hellanikos  hat 
an  ihre  Stelle  die  Japyger  gesetzt^).  Daß  der  Übergang  der 
Sikeler  lange  Zeit  vor  dem  Beginn  der  griechischen  Koloni- 
sation stattfand,  kann  nicht  zweifelhaft  sein");  dürfen  wir  ihn 
mit  den  anderen  Völkerbewegungen  kombinieren,  so  wächst 
dadurch  die  Wahrscheinlichkeit,  daß  die  Sakarusa  (Sakalsa), 
')  Außerdem  sind  bekanntlich  die  Veneter  in  Oberitalien  bis 
zur  Etsch  ein  illyrischer  Stamm. 

«)  Thuk.  VI  2.  Polyb.  XII  5,  10. 

')  Antiochos'  Angaben  bei  Dien.  Hai.  I  22  (dazu  I  12  und  72). 
Thuk.  VI  2.  Hellanikos  (der  sie  für  Ausoner  erklärte)  bei  Dion.  H^l.  I  22 
und  Steph.  Byz.  S'.xsXia,  fr.  79  .Iacoby.  Antiochos  gab  keine  Zeitbe- 
stimmung, Thukydides  setzt  die  Einwanderung  etwa  300  Jahre  vor 
den  Beginn  der  griechischen  Kolonisation,  also  um  1050,  Hellanikos 
in  die  dritte  Generation  vor  den  Tpwtxd,  Philistos  (bei  Dion.  Hai.  1.  c), 
der  sie  für  Ligurer  erklärte,  80  Jahre  vor  den  troischen  Krieg. 

*)  Wenn  in  dem  jungen  Odysseegedicht  u>  307  die  Insel  Stxavif) 
heißt,  so  kann  das  nur  beabsichtigter  Archaismus  sein;  denn  damals 
hieß  sie  längst  StxsXi-/]. 


Die  Sikeler.    Bewegungen  in  Nordafrika.  575 

die  an  dem  Angriff  der  Seevölker  auf  Ägypten  teilnahmen, 
wirklich  Sikeler  gewesen  sind.  — 

Wann  die  Völkerwanderungen  begonnen  haben,  läßt  sich 
nicht  ermitteln.  Sie  mögen,  wie  die  große  Völkerwanderung 
am  Ausgang  des  Altertums,  sich  Generationen  hindurch  in 
immer  neuen  Stößen  fortgesetzt  haben;  sie  können  aber  auch, 
ähnlich  den  großen,  von  Zentralasien  ausgehenden  Bewe- 
gungen, innerhalb  weniger  Jahre  Schlag  auf  Schlag  die  Ge- 
stalt der  Völkerwelt  völlig  umgewandelt  haben.  Sicher  ist 
dagegen,  daß  die  Bewegung  zu  Anfang  des  12.  Jahrhun- 
derts ihren  Höhepunkt  erreicht  hat  und  daß  sie  schon  eine 
Generation  vorher  zu  einem  großen  Angriff  auf  Ägypten  ge- 
führt hat. 

Auch  Nordafrika  war,  wie  die  Libyerkämpfe  unter  Sethos  I. 
und  Kamses  II.  zeigen,  schon  seit  längerer  Zeit  in  ständiger 
Bewegung^).  Wenn  nicht  veranlaßt,  so  doch  wesentlich  ge- 
steigert ist  sie  durch  das  Vordringen  der  Masauasa,  eines 
Stammes,  in  dessen  Namen  dasselbe  Element  steckt,  das  in 
dem  der  Maxyer  im  Gebiet  der  Schotts  an  der  Kleinen  Syrte^) 
und  in  dem  der  Massylier  und  Massaesyler  Numidiens  sowie 
in  dem  Namen  der  heutigen  Berberstämme  Imazigh  vorliegt. 
In  den  ägyptischen  Abbildungen  stimmen  die  Masauasa  mit 
den  Zehenu  in  Haartracht  und  Kleidung  überein^).  Sie  sind 
das  eigentlich  treibende  Element  in  der  Bewegung,  ein  aus 
seinen  Wohnsitzen  fortgezogener  Wanderstamm,  der  sich  eine 
neue  Heimat  sucht  wie  die  Kimbern  und  Teutonen  und  da- 
her immer  von  neuem  gegen  das  Niltal  andrängt  und  andere 


')  Ein  innerer  Zusammenhang  mit  den  Bewegungen  in  Europa 
liegt  dabei  schwerlich  vor.  Andernfalls  müßte  man  annehmen,  daß 
eine  noch  viel  weitere  Völkerbewegung  im  inneren  Europa,  etwa  das 
Vordringen  neuer  indogermanischer  Stämme  wie  der  Kelten,  nicht  nur 
auf  die  Balkanhalbinsel,  sondern  auch  auf  den  Westen  eingewirkt  und 
über  Spanien  nach  Afrika  hinübergegriffen  hat.  Möglich  ist  das  natür- 
lich; aber  wir  wissen  darüber  garnichts,  und  so  sind  alle  derartigen 
Spekulationen  müßig. 

2)  Herod.  IV  191 ;  bei  Hekataeos  MaCosc. 

«)  Siehe  Möixer,  ZDMG.  78,  50  f.  und  oben  S.  82  Anm.  und  435,  4. 


gyg  XII.  Die  großen  Wanderungen 

Stämme  mit  sich  fortreißt.  Erwähnt  werden  sie  zuerst  unter 
Ramses  II.  als  Söldner  (o.  S.  436,  1).  Dann  treten  sie  mit  den 
hellfarbigen,  in  Tracht  und  Gestalt  den  Zemeh  gleichenden 
Libyern  (äg.  Libu)  auf  dem  Plateau  von  Kyrene  und  Barka 
in  Verbindung,  die  jetzt  von  den  Ägyptern  zum  ersten  Male 
genannt  werden. 

Von  hier  aus  sind  dann  diese  Stämme  gegen  das  Niltal 
vorgedrungen.  Merneptah  schildert,  wie  sie  seit  alters  die 
Oasen  besetzt  haben  und  fortdauernd  die  Grenzgebiete  bis 
zum  großen  Fluß  beunruhigen,  um  Lebensmittel  zu  erbeuten. 
In  seinem  5.  Jahre  (um  1227)  ist  dann  der  Angriff  erfolgt, 
zu  dem  sich  die  libyschen  Stämme  mit  den  Seevölkern  ver- 
bunden haben. 

Merneptah.   Der  Angriff  der  Libyer  und  der  Seevöilter 

Ramses  IL  erscheint  in  seinen  Denkmälern  als  der  krie- 
gerische König,  der  heldenhaft  einen  Sieg  nach  dem  andern 
erficht;  aber  der  bei  weitem  größere  Schlußteil  seiner  67 jäh- 
rigen Regierung,  mehr  als  zwei  Drittel,  ist  in  ungestörtem 
Frieden  verlaufen.  Als  er  starb  (um  1232),  lagen  nicht  nur 
seine  Kämpfe,  sondern  auch  seine  riesigen  Bauten  weit  hinter 
ihm.  Wie  so  mancher  Herrscher,  dem  eine  lange  Regierung 
beschieden  war,  hat  er  nicht  nur  seine  eigene,  sondern  auch 
die  nächste  Generation  überlebt.  Alle  die  Söhne,  die  als 
Knaben  mit  ihm  in  den  Chetiterkrieg  gezogen  waren,  sind 
vor  ihm  gestorben,  ebenso  Cha'emues,  der  in  seinen  mitt- 
leren Jahren  besonders  hervortritt,  als  Hoherpriester  von  Mem- 
phis seinen  Vater  bei  der  Feier  religiöser  Feste  vertritt  und 
in  der  späteren  Tradition  als  großer  Zauberer  und  Verfasser 
magischer  Texte  fortlebt.  Sein  Nachfolger  wurde  der  gleich- 
falls schon  bejahrte  Merneptah,  der  dreizehnte  in  der  Reihe 
seiner  zahllosen,  von  den  verschiedensten  Frauen  seines  Harems 
geborenen  Söhne  ^). 


')  Die    von   Petrie,   Hist.   of  Egypt  III  35  ff.    zusammengeätellte 
Liste  kennt  79  Söhne  und  59  Töchter. 


Merneptah  in  Palaestina  577 

In  seinen  ersten  Jahren  hat  Merneptah  sich  der  Ord- 
nung der  asiatischen  Verhältnisse  zugewandt;  wie  es  scheint, 
hat  der  Thronwechsel  hier,  wie  so  oft,  den  Anlaß  zu  lokalen 
Aufständen  gegeben.  Einem  großen  Hymnus  auf  den  König, 
der  seinen  Sieg  über  die  Libyer  verherrlicht^),  ist  eine  all- 
gemeine Schilderung  der  Machtstellung  Ägyptens  angehängt: 
„Die  Fürsten  liegen  ausgestreckt  und  sagen  sahhn"  —  die 
asiatischen  Vasallen,  die  um  Frieden  und  Verschonung  bitten, 
wie  so  oft  dargestellt  wird  — ,  „kein  einziger  erhebt  seinen 
Kopf  unter  den  neun  Bogenvölkern"  —  der  uralte  Ausdruck 
für  die  Ausländer  —  „Libyen  (Zehenu)  ward  zerstört;  das 
Chetiterland  ist  friedlich'-);  Kana'an  mit  all  seinem  Bösen  ist 
gefangen;  xVskalon  ward  fortgeführt;  Gäzer  ward  gepackt; 
Jenu'am  ist  zu  nichte  gemacht;  der  Stamm  Israel  ist  ver- 
wüstet und  hat  keinen  Samen  (Nachkommen);  Chor  ist  für 
Ägypten  eine  Witwe  {chart,  ein  Wortspiel  mit  dem  Namen). 
Alle  Länder  insgesamt  sind  in  Frieden,  wer  immer  umher- 
schweift, ist  gebändigt  durch  König  Merneptah." 

Im  Zusammenhang  mit  den  Kämpfen,  auf  die  tier  an- 
gespielt wird,   wird  auch   „der  Brunnen  Merneptahs  im  Hoch- 


1)  Breasted,  Rec.  111  602  ö".  Erman.  Lit.  341  ff.  Die  Inschrift  ist 
datiert  vom  Tajje  des  Sieges  über  die  Libyer  3/11  J.  h,  aber  natürlich 
erst  später  verfaßt.  Immerhin  ist  es  wahrscheinlich,  daß  die  am  Schluß 
erwähnten  Ereignisse  früher  fallen;  wäre  auf  den  Libyersieg  ein  Feld- 
zug in  Palaestina  gefolgt,  so  würde  davon  wohl  ausführlicher  geredet 
werden.  Büeastfd's  Annahme,  aus  dem  „Tagebuch  eines  Grenzbeamten* 
vom  J.  3  (Rec.  III  630  ff.)  ergebe  sich,  daß  der  König  damals  in  Palae- 
stina gestanden  habe,  ist  schwerlich  zutreffend;  „der  Ort,  wo  man 
(d.  i.  der  König)  ist"  und  wohin  Briefe  gebracht  werden,  wird  viel- 
mehr seine  Residenz  in  der  Ramsesstadt  sein.  —  Im  übrigen  ist  es 
natürlich  lediglich  Zufall,  daß  uns  gerade  aus  den  ersten  Jahren 
Merneptahs  zahlreiche  Papyri  erhalten  sind,  so  auch  die  Schilderungen 
dieser  Residenz  (o.  S.  454,  3.  494). 

^)  Mit  Unrecht  hat  man  daraus  einen  Krieg  mit  den  Chetitern 
.gefolgert;  der  Ausdruck  bezeugt  vielmehr  die  Fortdauer  des  Friedens 
und  Bündnisses.  —  In  welchem  Zusammenbang  Merneptah  in  der  In- 
schrift von  Karnak  ZI.  24  die  Getreidesendung  an  die  Chetiter  .erw^ähnt 
{o.  S.  .530),  ist  leider  ganz  dunkel. 

Meyer,  Geschichte  des  Altertums.    W.  37 


578  ^11-  ÜJe  großen  Wanderungen 

land",  nordAvestlich  von  Jerusalem,  angelegt  sein,  bei  dem 
nach  einer  Notiz  aus  seinem  3.  Jahr  eine  Besatzung  stationiert 
war;  er  hat  seinen  Namen  noch  in  israelitischer  Zeit  be- 
wahrt^). 

Eine  Folge  der  Unruhen  in  Asien  war,  daÜ  Merneptah 
Maßregeln  ergriff,  um  die  Ostgrenze  Ägyptens  und  das  un- 
bebaut daliegende  Vorland  im  Gebiete  von  Per-bairis  (Bilbeis) 
und  Heliopolis  gegen  das  Eindringen  der  Nomaden  aus  der 
Wüste  weiter  zu  sichern^).  Da  wurde,  im  Frühhng  seines 
5.  Jahres  (1227),  diese  Tätigkeit  jäh  unterbrochen  durch  den 
Angriff  der  Libyer  und  ihrer  Genossen  auf  die  Westgrenze  ^). 
Ihr  Fürst  Maraju,  Sohn  des  Did,  hat  ihn  sorgfältig  vorbe- 
reitet, vor  allem  durch  die  Koalition  mit  den  See  Völkern. 
Das  stärkste  Kontingent  haben,  wie  schon  erwähnt,  die  Aqai- 
wasa  gestellt,  schwächere  die  Tursa,  Sakalsa  und  Serdana, 
während  die  Luka  nur  mit  geringer  Zahl  beteiligt  waren. 
Von  den  Libyern  selbst  wurde  die  gesamte  wehrfähige  Mann- 
schaft aufgeboten;  dazu  kamen  die  Scharen  der  Maäauasa 
und  des  kleinen,  auch  sonst  gelegentlich  erwähnten  Volks- 
stammes der  Kahak.  Von  den  Dimensionen  des  Heeres  gibt 
einen  Begriff,  daß  Merneptah  als  Zahl  der  in  der  Schlacht 
erschlagenen  Libyer  6111  (var.  6200)  Mann,  der  Seevölker 
2370  Mann,  als  Gesamtzahl  der  Gefangenen  9376  Männer 
und    Frauen*)    angibt.     Danach    wird    das    Gesamtheer   etwa 


^)  Tagebuch  des  Grenzbeamten  pap.  Anast.  III  Rev.  6,  4  (Breasted. 
Rec.  III  631).  ninsj  ■'IS  pi»a  Jos.  1.5,  9.  18,  15,  erkannt  von  Calick,  Orient. 
Lit.  Z.  1903,  224. 

-)  Mit  Unrecht  sind  die  Angaben  im  Eingang  der  Inschrift  von 
Karnak  von  manchen  auf  das  Vorrücken  der  Libyer  in  diese  Gebiete 
bezogen  worden.  Aber  dies  wird  dem  König  erst  ZI.  13  gemeldet,  was 
vorhergeht,  hat  mit  den  Libyern  nichts  zu  tun.  —  Vgl.  auch  die  Ge- 
stattung der  Einwanderung  von  Edomitern  in  seinem  3.  Jahr  (o.  S.  488). 

')  Das  Material  (Inschriften  von  Karnak  und  von  Athribis)  bei 
Breasted,  Rec.  Ill,  von  dessen  Auffassung  ich  ein  paarmal  abweichen  muß. 

••)  So  richtig  schon  Brugsch,  gegen  Breasted  UI  588,  der  die  letzte 
Zahl  für  die  Summe  der  Gefallenen  hält;  er  hat  übersehn,  daß  vor  der 
Zahl  in  dem  lückenhaften  Text  noch  das  Determinativ  Mann  und  Frau 


Merneptah  gegen  die  Libyer  und  Seevölker  579 

30000  Mann  stark  gewesen  sein,  ein  Beweis,  daß  es  sich  nicht 
um  einen  Raubzug,  wie  früher,  sondern  um  einen  großen  Er- 
oberungskrieg handelt.  Wie  die  Pharaonen  hat  auch  Maraju 
seinen  Harem  (zwölf  Frauen),  seine  Söhne  und  Brüder  mit- 
genommen, in  vollem  Vertrauen  auf  den  Sieg.  Merneptab 
war  noch  im  Osten  des  Delta  beschäftigt,  als  er  die  Kunde 
vom  Vorrücken  Marajus  ins  Gebiet  von  Per'ari  im  Westen 
des  Delta,  wohl  auf  der  Straße  nach  Memphis,  erhielt.  Er 
hat  es  an  Energie  nicht  fehlen  lassen;  in  vierzehn  Tagen  war 
sein  Heer  marschfähig,  am  24.  April  1227  unternahm  er,  ge- 
stärkt durch  einen  Traum,  in  dem  ihm  der  Gott  Ptah  sein 
Schwert  überreichte,  den  Angriff  auf  die  feindliche  Stellung. 
Der  Sieg  war  hart  umstritten,  die  Schlacht  dauerte  sechs  Stun- 
den; aber  sie  endete  mit  dem  vollen  Siege  der  Ägypter.  Gegen 
10000  Leichen  deckten  das  Schlachtfeld,  etwa  ebensoviel 
wurden  gefangen,  darunter  der  Harem  Marajus.  Er  selbst 
entkam  in  eiliger  Flucht,  aber  seine  Kinder  und  Brüder  fanden 
den  Tod.  Mit  reicher  Beute  konnte  Merneptah  triumphierend 
heimkehren;  er  hatte  Ägypten  vor  einem  Schicksal  bewahrt, 
wie  es  vor  einem  halben  Jahrtausend  die  Hyksos  über  das 
Land  gebracht  hatten. 

Thronwirren  und  Fremdherrschaft  in  Ägypten.   Setnacht 

Li  diesem  Siege  hat  sich  die  militärische  Kraft  des 
Reichs,  die  übrigens  vorwiegend  schon  damals  auf  den  aus- 
ländischen Söldnern  beruhte,  noch  einmal  bewährt.  Der  Be- 
stand dieser  Fremdtruppe  ist  dann  offenbar  aus  den  Kriegs- 
gefangenen und  dann  durch  weitere  Anwerbungen  unter  den 
Seevölkern  beträchtlich  vermehrt  worden:  in  den  Bildern  der 
Libyerkriege  Ramses'  HL  sind,  wie  schon  erwähnt,  neben  dem 
ägyptischen  Aufgebot  und  den  Negertruppen  sowohl  die  Ser- 
dana wie  Philister  oder  Zakkari  und  Tursa  vielfach  dargestellt, 
teils  als  Einzelkämpfer,  teils  als  geschlossene  Abteilung. 

erhalten  ist;  somit  können  es  nur  Gefangene  sein.  Auch  gehn  ja  die 
Bruchstücke  der  Gefangenenliste  vorher,  während  dann  die  Beute  an 
Waffen,  Pferden  u.  s.  w.  folgt. 


580  ^^-  Die  großen  Wanderungen 

Indessen  die  Erschöpfung,  die  unter  Ramses  II.  einge- 
setzt hatte,  tritt  unter  seinem  Sohn  deutlich  zutage.  Größere 
Bauten  hat  er  nicht  mehr  ausführen  können;  er  behilft  sich 
damit,  daß  er  in  noch  viel  rücksichtsloserer  Weise  als  sein 
Vater  seinen  Namen  überall  auf  ältere  Denkmäler  und  Königs- 
statuen eingraben  läßt.  Für  seinen  Totentempel  in  Theben 
hat  er  die  Bausteine  aus  dem  schon  verfallenen  Tempel 
Amenophis'  III.  geholt,  die  große  Inschrift,  die  seinen  Sieg 
verherrlicht,  auf  die  Rückseite  einer  von  dort  genommenen 
Granitstele  gesetzt;  man  sieht,  nicht  der  Wille  fehlte,  aber  die 
Mittel. 

Merneptah  mag  etwa  ein  Jahrzehnt  lang  regiert  haben  ^). 
Über  seine  Nachfolger  versagt  das  auf  uns  gekommene  Mate- 
rial so  gut  wie  völlig.  Wir  kennen  aus  dieser  Zeit  drei  Könige, 
die  sich  im  Königstal  von  Theben  ein  Grab  gebaut  haben; 
aber  zwei  von  ihnen  galten  als  illegitim  und  ihre  Namen 
sind  hier  sowie  auf  den  wenigen  Monumenten,  auf  denen  sie 
sonst  noch  vorkommen,  getilgt.  Der  erste  ist  Amenmeses,  ein 
Usurpator  nicht  königlichen  Geblüts^),  der  Merneptah  ge- 
stürzt zu  haben  scheint,  aber  sich  nicht  lange  behauptete; 
sein  Grab  ist  systematisch  zerstört.  Er  ist  durch  Merneptah 
Siptab  gestürzt  worden,  der    sich   länger  behauptet  hat;   die 

')  Das  höchste  erhaltene  Datum  ist  sein  8.  Jahr. 

^)  Das  geht  daraus  hervor,  daß  seine  Mutter  Tachat  nur  den 
Titel  , große  Königsmutter "  führt,  also  nicht  Gemahlin  oder  Tochter 
eines  Königs  gewesen  ist,  so  wenig  wie  seine  eigene  Gemahlin  Bekturer, 
s.  Lepsius  Text  III  205.  Wenn  er  in  einer  Inschrift  im  Tempel  von 
Qurna,  in  der  er  Amon,  Sethos  I.  und  Ramses  II.  verehrt  und  in  die 
dann  Siptah  seinen  Namen  eingesetzt  hat  (Lepsius,  Denkm.  III  201  c, 
s.  Text  III  91),  sich  bezeichnet  als  „Sohn  des  Amon,  göttlicher  Same, 
hervorgegangen  aus  seinen  Gliedern,  Kind  des  Horus,  lieblich  als 
König  Oberägjqotens,  schön  als  König  Unterägyptens,  gesäugt  von  Isis 
in  Chemmis  (im  Delta,  wie  Horus),  um  das  Land  zu  beherrschen", 
so  enthalten  diese  Titel,  obwohl  sie  von  allen  ägyptischen  Königen 
ausgesagt  werden  können,  doch  wohl,  trotz  Brea.sted  III  641  Anm. 
einen  Hinweis  darauf,  daß  er,  der  (angeblich)  rechtmäßige  König,  wie 
Horus  in  der  Verborgenheit  und  unter  Nachstellungen  aufgewachsen 
und  dann  siegreich  hervorq-etreten  ist. 


Merneptah.    Thronwirren  in  Ägypten  581 

nach  ihm  datierten  Inschriften  reichen  bis  zu  seinem  6.  Jahr. 
Neben  ihm  tritt  seine  Gemahlin  Tausret  hervor,  die  gleichfalls 
ein  großes  Grab  erhalten  hat.  Daneben  hat  sich  sein  Schatz- 
meister Bai  ein  Grab  angelegt,  muß  also  eine  führende  Stel- 
lung eingenommen  haben.  Ihm  ist  Sethos  II.  gefolgt,  der  den 
Namen  seines  Vorgängers  tilgt,  den  der  Tausret  dagegen  ver- 
schont (vielleicht  hat  er  sie  geheiratet)  und  neben  ihrem  Grab 
für  sich  ein  eigenes  gebaut  hat,  das  unangetastet  geblieben 
ist.  Auch  sonst  wird  er  in  der  Folgezeit  als  legitimer  Herrscher 
anerkannt^).  Gestorben  ist  er  im  Verlauf  seines  6.  Jahres; 
das  auf  einer  Kalksteinplatte  erhaltene  Tagebuch  über  die 
Arbeiten  an  seinem  Grabe  zeigt,  daß  ihm  ein  König  Ramses 
Siptah  gefolgt  ist  und  daß  die  Arbeiten  nach  einer  Trauer- 
frist von  vier  Tagen  unbehindert  weitergingen^),  also  eine  Er- 
schütterung durch  den  Thronwechsel  wenigstens  zunächst 
nicht  eingetreten  ist.  Der  neue  König  ist  sonst  nur  durch 
ganz  wenige  kleine  Monumente  bekannt^).  Er  kann  nur  kurze 
Zeit  regiert  haben.  Der  nächste  Pharao,  von  dem  wir  Denk- 
mäler haben,  ist  dann   Setnacht,   der  Vater  Ramses'  III/). 


')  So  LD.  III  212  a.  Die  Folge  der  drei  Könige  ist  vor  allem  durch 
Lkpsius,  Text  III  20-5  und  209  ff.  festgestellt;  Tgl.  Breasted  III  ß?A)  tf. 
—  Die  Listen  der  Auszüge  aus  Manetho  sind  hier  so  völlig  konfus, 
daß  mit  ihnen  nichts  zu  machen  ist  (s.  Äg.  Chronol.  88  ff.  und  o.  S.  421). 
Auch  (laß  er  die  20.  Dynastie  mit  Ramses  III.  begonnen  habe,  ist  nicht 
Überlieferung,  sondern  moderne  Kombination;  geschichtlich  werden  wir 
sie  nur  mit  Setnacht  beginnen  können. 

*)  Mit  dem  Thronwechsel  am  19./5.  wechselt  natürlich  auch  sofort 
die  Jahreszahl :  vorher  Jahr  6,  nachher  Jahr  1. 

')  Das  Tagebuch  ist  durch  Daressy,  Rec.  .34,  1912  veröffentlicht, 
der  auch  das  übrige  Material  zusammenstellt.  Er  hebt  mit  Recht  hervor. 
daß  Ramses  Siptah  mit  Merneptah  Siptah  nicht  identisch  sein  kann; 
auch  ihre  Thronnamen  sind  ganz  verschieden.  Auffallend  ist  freilich, 
daß  Ramses  Siptah  in  seinem  1.  Jahr  einen  „Königssohn  von  Kus' 
Sethos  einsetzt,  und  dieser  auch  schon  im  3.  Jahr  des  Merneptah 
Siptah  im  Amt  gewesen  ist.  [Mit  König  Sethos  11.  kann  dieser  Sethos 
nicht  identisch  sein,  wie  man  meist  angenommen  hatte.] 

*)  In  die  Zeit  der  Thronwirren  gehört  auch  die  Stiftungsurkunde 
eines  Beamten  im  Delta  für  einen  Tempel  Amons,  Gardiner  ÄZ.  .50,  49  ff.. 


5g2  XII.  Die  großen  Wanderungen 

Das  ist  alles,  was  sich  aus  den  Monumenten  und  In- 
schriften dieser  Zeit  entnehmen  läßt.  In  welcher  Beziehung 
diese  Könige  zu  dem  legitimen  Herrscherhaus  gestanden  und 
worauf  sich  ihre  Ansprüche  gegründet  haben,  bleibt  völlig 
dunkel.  Hier  ist  uns  aber  einmal  ein  gleichzeitiger  Bericht 
erhalten,  der  Aufklärung  gewährt,  die  kurze  Schilderung, 
die  Ramses  III.  in  dem  zusammenfassenden  Bericht  seiner 
Taten  von  dem  Wirrsal  gibt,  das  vor  der  Erhebung  seines 
Vaters  Setnacht  in  Ägypten  herrschte.  „Viele  Jahre  hindurch, 
vormals  bis  auf  andere  Zeiten,  gab  es  kein  Oberhaupt,  sondern 
Ägypten  war  in  den  Händen  der  Magnaten  und  Stadtherrscher, 
und  einer  erschlug  den  andern,  vornehm  und  gering."  Das 
ist  also  der  Zustand  unter  den  sich  rasch  ablösenden  Usur- 
patoren, die  wir  kennen  gelernt  haben.  „Danach  aber  kamen 
Zeiten  mit  leeren  (d.  h.  königslosen)  Jahren"  —  Jahren,  in 
denen  nicht  nach  Regierungszahlen  datiert  werden  konnte  — : 
„da  war  ein  Choriter  'Arsu  unter  ihnen  als  Häuptling;  der 
machte  das  ganze  Land  sich  allein  tributär  und  vereinigte 
seine  Genossen,  den  Besitz  zu  plündern.  Die  Götter  behan- 
delten sie  wie  die  Menschen,  Opfer  wurden  in  den  Tempeln 
nicht  dargebracht." 

„Dann  aber  wandten  sich  die  Götter  zur  Beruhigung, 
um  das  Land  zurecht  zu  stellen  gemäß  seiner  richtigen  Ord- 
nung. Sie  setzten  ihren  aus  ihrem  Leibe  hervorgegangenen 
Sohn  zum  Herrscher  über  das  ganze  Land  auf  ihren  großen 
Thron,  den  König  Setnacht.  Er  war  wie  der  Gott  Chepri  und 
Seth,  wenn  er  rast;  er  ordnete  das  ganze  Land,  das  im  Auf- 
ruhr gewesen  war;  er  erschlug  die  Rebellen,  die  in  Ägypten 
waren,  und  reinigte  den  großen  Thron  Ägyptens;  er  wurde  der 
Herrscher  der  beiden  Lande  auf  dem  Thron  des  Atum.  Er 
bestätigte  die  Tempel  im  Besitz  der  Opfergaben,  sie  dem 
Götterkreise  darzubringen  gemäß  ihren  Satzungen." 

Diese  Erzählung  bringt   sehr    anschaulich  zum  Bewußt- 

in  der  der  Name  des  Königs  und  der  „großen  Königin"  (vielleicht 
Tausret)  überall  getilgt,  der  Sethos'  II.,  in  dessen  Diensten  er  stand, 
dagegen  erhalten  ist. 


Fremdherrschaft.    Der  Choriter  Arsu.    Setnacht  583 

sein,  wie  unzulänglich  unsere  Kunde  ist,  wo  uns  keine  ge- 
schichtliche Darstellung  erhalten  ist.  In  dem  Denkmäler- 
material fehlt  jede  auch  nur  versteckte  Andeutung,  die  auf 
die  Fremdherrschaft  des  Arsu  oder  auf  die  entscheidende 
Rolle  Setnachts  hinwiese.  Setnacht  hat  das  Grab  der  Tausret 
für  sich  mit  Beschlag  belegt  und  dann,  wie  es  scheint,  den 
Bau  des  Grabes  Ramses'  III.  begonnen;  sonst  erscheint  sein 
Name  nur  auf  ein  paar  unbedeutenden  Monumenten  und  in 
den  Bergwerken  der  SinaihalbinseP);  und  doch  muß  er  einer 
der  bedeutendsten  Pharaonen  gewesen  sein.  Wie  er  empor- 
gekommen ist  und  ob  er  irgendwie  mit  der  alten  Dynastie 
zusammenhing,  wissen  wir  nicht;  legitimer  König,  etwa,  wie 
man  gemeint  hat.  der  Sohn  Sethos'  IL,  ist  er  gewiß  nicht  ge- 
wesen, sonst  würde  sein  Sohn  ganz  anders  reden. 

Eine  dunkle  Kunde  von  diesen  Vorgängen  scheint  in 
der  Volksüberlieferung  erhalten,  die  Manetho  in  seine  Er- 
zählung von  Osarsiph  aufgenommen  hat.  Wir  haben  oben 
gesehn  (S.  421  flF.),  daß  in  ihr  die  Geschichte  der  religiösen 
Bewegung  unter  Amenophis  IV.  versetzt  ist  in  die  Zeit  Mer- 
neptaljs  (dessen  Name  daher  in  Amenophis  gewandelt  ist)^) 
und  Ramses'  III.,  der  zu  dessen  Sohn  gemacht  wird.  Unter 
Amenophis  brachen  die  Feinde  aus  Jerusalem,  angeblich  Nach- 
kommen der  verjagten  Hyksos,  in  Ägypten  ein;  König  Ame- 
nophis wagt  keinen  Widerstand,  sondern  flüchtet  nach  Aethio- 
pien  (Nubien),  bringt  aber  seinen  fünfjährigen  Sohn  Ramses 
bei  einem  Freunde  in  Sicherheit,  Die  Fremden  (infolge  der 
Kontamination  verbunden  mit  den  Aussätzigen  unter  Osar- 
siph) verwüsten  das  Land,  seine  Ortschaften  und  Tempel  drei- 
zehn Jahre  lang;  dann  kehrt  Amenophis  zurück,   schlägt  sie 


^)  Petrie,  Researches  in  Sinai  p.  108. 

")  In  der  im  übrigen  ganz  entstellten  Königsliste  der  Epitome 
aus  Manetho  ist  der  Name  korrekter  durch  'AiAsvEtpO-Yj.;  wiedergegeben, 
Nachfolger  des  'Pa-iaxYjc;  oder  'Pan'^vj';,  Vater  des  Ta(ieaoY|(;,  und  dann 
nochmals  als  'AfjL|xsvcfivf]<:  verdoppelt.  Was  in  dessen  Nachfolger  Öoüwpt«; 
stecken  mag,  ist  ganz  dunkel.  Dann  folgt  die  20.  Dynastie  von  12  Dios 
politen,  von  denen  Namen  nicht  mehr  gegeben  werden. 


i^g4  ^JI-  I^'ß  großen  Wanderungen 

mit  seinem  Sohn  Ramses  zusammen  zum  Lande  hinaus  und 
verfolgt  sie  durch  die  Wüste  bis  nach  Syrien.  In  dieser  nach 
ägyptischer  Art  ganz  legendarisch  ausgemalten  Erzählung  ist 
der  Nachklang  der  Fremdherrschaft  unter  Arsu  unverkenn- 
bar; denn  nur  damals  hat  es  eine  solche  gegeben,  während 
Amenophis  IV.  und  seine  Nachfolger  immer  noch  die  Herr- 
schaft über  einen  Teil  Syriens  behauptet  haben.  Setnacht  ist 
vergessen;  seine  Taten  werden  vielmehr  seinem  ruhmreichen 
Sohn  Ramses  III.  zugeschrieben  und  dieser  zugleich  durch  die 
Anknüpfung  an  Merneptah  legitimiert. 

Daß  es  sich  bei  Arsu^  wirklich  wenigstens  halbwegs 
um  eine  Fremdherrschaft  handelt,  kann  auch  nach  Ramses" 
Bericht  nicht  zweifelhaft  sein.  Dieser  Palaestinenser  (Choriter) 
mag  einer  der  zahlreichen  Ausländer  aus  Syrien  gewesen 
sein,  die  wir  in  dieser  Zeit  als  Offiziere  und  hohe  Beamte 
im  Dienst  der  Pharaonen  finden 2),  der  sich  in  Verbindung 
mit  seinen  Landsleuten  der  Herrschaft  bemächtigte  und  dann 
auch  aus  Palaestina  Zuzug  erhalten  haben  wird. 

Sein  Besieger  Setnacht  kann,  wie  das  Fehlen  größerer 
Denkmäler  zeigt,  nur  kurze  Zeit  regiert  haben.  Aber  er  hat 
die  Königsmacht  neu  begründet;  sein  Sohn,  den  er  zum  Mit- 
regenten und  Nachfolger  bestellte  und  dem  er  den  ruhm- 
vollen Namen  Ramses  gegeben  hatte,  durfte  sich  der  Hoff- 
nung hingeben,  es  seinem  großen  Vorgänger  gleichzutun. 
Er  hat  gleich  nach  seiner  Krönung  die  volle  Herstellung  der 
inneren  Ordnung  durchgeführt:  Jchhabe",  rühmt  er.  „Ägyp- 
ten in  zahlreiche  Klassen  gegliedert,  Hofbeamte  des  Palastes. 
große  Magnaten,  zahlreiche  Infanterie  und  Wagenkämpfer 
zu  Hunderttausenden.  Serdana  und  Kahak  ohne  Zahl,  Gefolgs- 


')  Er  mag  als  Pharao  einen  ägyptischen  Namen  angenommen 
haben;  aber  ihn  in  einem  der  aus  den  Denkmälern  bekannten  Könige 
zu  suchen  haben  wir  keinen  Anhalt. 

^)  So  unter  Merneptah  der  , erste  Sprecher  seiner  Majestät"  Ben- 
mazana  Sohn  des  Jupa'a  aus  Ziribasana  (in  Basan,  0.  S.  92,  1),  der  dann 
den  Namen  , Ramses  im  Tempel  des  Re'"  angenommen  hat:  Mariette, 
Abydo?  IT  50. 


Setnacht  und  Ramses  III.  585 

leute  (Troß)  zu  Zehntausenden,  und  die  Fronpflichtigen  Ägyp- 
tens (die  abhängige  Bevölkerung)."  Deutlich  tritt  in  diesen 
Worten  hervor,  daß  der  Schwerpunkt  in  den  Streitkräften 
liegt  und  in  diesen  wieder  die  überseeischen  und  libyschen 
Söldner  eine  entscheidende  Rolle  spielen. 

Wir  werden  die  Zeit  vom  Antritt  Merneptalis  bis  auf 
den  Ramses'  III.  rund  auf  ein  Menschenalter  (ca.  1232—1200) 
ansetzen  dürfen^).  Synchronismen  fehlen  völlig;  aber  die  Ge- 
schlechtsfolge der  Chetiterkönige  führt  für  den  Untergang 
ihres  Reichs  auf  das  gleiche  Datum,  und  so  Averden  wir  nicht 
fehlgehn,  wenn  wir  die  32jährige  Regierung  Ramses'  III.  in 
die  ersten  Jahrzehnte  des   12.  Jahrhunderts  setzen. 

Ramses'  III.  Kriege  mit  den  Libyern  und  den  Seevölkern. 
Untergang  des  Chetiterreichs 

Die  Wiederaufrichtung  eines  kräftigen  Königtums  hat  es 
ermöglicht,  daß  Ramses  III.  die  Angriffe  siegreich  bestehn 
konnte,  die  Ägypten  jetzt  von  allen  Seiten  bedrohten.  Denn 
inzwischen  war  das  Vordringen  der  europäischen  Völker- 
scharen in  den  Orient  in  vollem  Gange,  sowohl  zu  Lande 
wie  zur  See.  In  dem  Bericht  über  seinen  Sieg  über  sie  im 
8.  Jahre  seiner  Regierung  faßt  Ramses  III.  den  Verlauf  kurz 
zusammen:  „Die  Völker  auf  ihren  Inseln"  —  so  erscheinen 
dem  Ägypter  die  Küsten  Europas  —  „waren  ausgezogen, 
sich  ,  .  .  auf  einmal  ausbreitend.    Kein  Land  konnte  vor  ihren 

')  Die  erhaltenen  Daten  sind:  Merneptah  mindestens  S  J..  Amen- 
meses  (schwerlich  mehr  als  2  J.),  Merneptah  Siptah  mindestens  6  J.. 
Sethos  II.  f  im  6.  Jahr,  Ramses  Siptah,  Arsu,  jedenfalls  mehrere  Jahre. 
Setnacht.  Das  gibt  zusammen  einige  SO  Jahre.  Ramses  III.  f  im 
.82.  Jahr,  also  um  116.5.  Für  die  spateren  Rame.'^siden  haben  wir  etwa 
SO  Jahre  anzusetzen  =  1165—1085,  für  die  21.  Dynastie  etwa  150  Jahre 
=  1085 — 935.  Das  stimmt  dazu,  daß  nach  der  manethonischen  Liste 
desAfricanus,  die  freilich  im  einzelnen  auch  hier  noch  ganz  unzu- 
verlässig ist,  Sosenq  I.,  der  Begründer  der  22-  Djn.,  im  J.  930  zur  Re- 
gierung gekommen  ist:  und  auf  diese  Zeit  führt  alles,  was  wir  sonst 
über  Sosenq  I.  wissen,  so  vor  allem,  daß  er  Zeitgenosse  Rehabeams  von 
Juda  war. 


586  XII.   Die  großen  Wanderungen 

Armeen  standhalten,  vom  Chetiterland  an,  Qedi,  Karkemis,  Ar- 
wad  (Arados),  Alasia  (Cypern)  wurden  verwüstet.  Sie  lagerten 
an  einem  Platz  in  Amurru  und  plünderten  dessen  Bevölkerung 
und  Land  bis  zur  Vernichtung.  Sie  zogen,  mit  der  Feuer- 
flamme vor  sich,  vorwärts  gegen  Ägypten.  Die  Stütze  ihrer 
Macht  bestand  aus  Philistern,  Zakkari,  Sakalsa,  Danauna 
und  Uases^);  diese  Völker  hatten  sich  verbunden,  ihre  Hand 
auf  Ägypten  (und)  bis  zum  Rand  des  Erdkreises  zu  legen; 
ihre  Herzen  waren  zuversichtlich  und  voll  von  Plänen." 

In  dieser  knappen  Schilderung  ist  die  Entwicklung  von 
Jahren  zusammengefaßt.  Nur  mit  einem  Wort  ist  der  Unter- 
gang des  Chetiterreichs  angedeutet,  die  einzige  Nachricht, 
die  wir  darüber  haben,  die  aber  durch  das  plötzliche  Ab- 
brechen der  Urkunden  von  Boghazkiöi  unter  DudchaliaV.  voll- 
auf bestätigt  wird.  Wie  die  Katastrophe  verlaufen  ist,  wissen 
wir  nicht;  es  ist  aber  klar,  daß  wenn  die  See  Völker,  begleitet 
von  ihren  Weibern  und  Kindern  auf  Ochsenkarren,  wie  sie 
dann  Ramses  HI.  in  seinem  Schlachtgemälde  darstellt,  ganz 
Syrien  überschwemmen  und  sich  im  Amoriterlande  festsetzen, 
sie  vorher  Kleinasien  verheerend  durchzogen  haben  müssen. 
Das  wird  dann  zu  einer  Erhebung  der  Untertanen  und  Nach- 
barn gegen  die  Chetiter  geführt  haben,  in  derselben  Weise, 
wie  gegen  Ende  des  7.  Jahrhunderts  die  große  skythische  In- 
vasion den  Anstoß  zum  Untergang  des  Assyrerreichs  gegeben 
hat  und  die  Meder  und  Chaldaeer  die  dadurch  geschaffene 
Situation  ausgenutzt  haben.  Einen  Hinweis  darauf  gibt  die 
Nachricht,  daß  um  1170  die  Muskäja  den  Assyrern  die  Land- 
schaften Alzi  und  Purukuzzi  (vgl.  o.  S.  532)  östlich  vom  Eu- 
phratknie  entrissen  haben  ^).  Die  Muskäja  sind  die  Moscher 
der  Griechen,  ein  Volksstamm  in  den  pontischen  Gebirgen,  der 
sich  jetzt  nach  dem  Falle  des  Chetiterreichs  weithin  im  öst- 
lichen Kleinasien  ausgebreitet  hat. 

Neben  dem  Vordringen  zu  Lande  steht  die  Ausbreitung 

*)  Im  Harrispapyrus  nennt  Ramses  daneben  die  auch  sonst  mehr- 
fach erwähnten  Serdana,  läßt  dagegen  die  Sakalsa  aus. 

^)  Prisma  Tiglatpilesers  I  col.  t,  62  ff.,  50  Jahre  vor  seinem  Antritt. 


Die  Invasion  der  Seevölker.    Ende  des  Chetiterreichs         587 

zur  See.  Auch  darüber  gibt  Ramses  III.  Auskunft^):  über  die 
Nordvölker,  die  Philister  und  Zakkari  ist  eine  allgemeine  Un- 
ruhe gekommen.  „Ein  Teil  waren  Krieger  (tuhir)  zu  Lande, 
andere  auf  dem  großen  Meer.  Die  zu  Lande  kamen,  hinter 
denen  war  Amon-Re*  her,  sie  zu  vernichten;  die  in  die  Nil- 
mündungen eindrangen,  die  waren  wie  Vögel,  die  im  Netz  ab- 
gefangen werden.  Ihr  Herz  zitterte  und  entwich  ihrem  Leibe, 
ihre  Führer  wurden  erschlagen  oder  gefangen."  sie  müssen 
die  Allmacht  des  Pharao  anerkennen.  Diese  Schilderung  ist 
an  den  Bericht  über  den  ersten  Libyerkrieg  vom  Jahr  5  an- 
geschlossen und  kann  hier  nicht  eine  Vorwegnahme  der  gleich- 
artigen Kämpfe  des  Jahres  8  sein ;  sie  beweist  vielmehr,  daß 
die  Angriffe  auf  Ag3^pten  schon  früher  begonnen  und  sich 
Jahre  hindurch  fortgesetzt  haben;  dabei  ist  es  dem  Könige 
gelungen,  Scharen,  die  zu  Schiff  in  die  Nilmündungen  einzu- 
dringen suchten,  hier  abzufangen,  sei  es  schon  vor,  sei  es  un- 
mittelbar nach  dem  ersten  Libyerkrieg'). 

Das  Zusammenwirken  der  Streitkräfte  zu  Lande  und  zur 
See  zeigt  anschaulich  die  großen  Dimensionen  der  Bewegung 
und  beweist  zugleich,  daß  eine  einheitliche  Leitung  die  ver- 
schiedenen Völkerschaften  zusammengefaßt  haben  muß.  Es 
handelt  sich  in  der  Tat  um  eine  planmäßig  durchgeführte 
Völkerwanderung  größten  Stils,  etwa  wie  bei  den  Zügen  der 
Kelten  nach  der  Balkanhalbinsel  und  Kleinasien  oder  bei 
denen  der  Mongolen. 


')  Der  Text  bei  Chab.is,  Ant.  bist.  254.  Dümichen,  Hist.  Inschr.  II  46, 
ZI.  51  ff.  Breasted.  Anc.  Rec.  IV  44. 

^)  So  erklärt  es  sich  vielleicht  auch,  daß  Ramses  III.  den  zu- 
sammenfassenden Bericht  über  seinen  Sieg  über  die  Seevölker  (an  den 
er  einen  Zug  gegen  die  Beduinen  von  Se'ir  anschließt)  im  Harris- 
papyrus an  den  Anfang  des  Abrisses  seiner  Taten  gestellt  hat,  vor 
den  Libyerkrieg.  —  Die  Vernichtung  der  Amoriter  erwähnt  Ramses, 
nach  Breasted's  evidenter  Ergänzung  des  verstümmelten  Namens  Rec. 
IV  39,  gleichfalls  schon  beim  ersten  Libyerkriege,  in  Übereinstimmung 
mit  dem  im  Text  (S.  586)  angeführten  Bericht  aus  dem  J.  8;  es  scheint 
hier  davon  die  Rede  zu  sein,  daß  die  Flüchtlinge  aus  Amurru  in  Ägypten 
Zuflucht  suchen. 


588  ^I^-  I^i®  großen  Wanderungen 

Tu  engem  Zusammenhancr  mit  diesen  Zügen  stehn  nach 
wie  vor  die  Angriffe  der  Libyer  auf  Ägypten.  „Die  Libyer 
und  Masauasa  hatten  sich  in  Ägypten  niedergelassen  und 
die  Städte  des  Westufers  von  Memphis  bis  Qarbana  (bei 
Abuqir)  besetzt;  sie  waren  bis  zum  großen  Strom  an  all 
seinen  Seiten  vorgedrungen,  und  sie  haben  die  Ortschaften 
von  Gaut  (Kanopos)  viele  Jahre  hindurch  ausgeplündert,  wäh- 
rend sie  in  Ägypten  waren."  „Ihre  Krieger  dachten:  wir 
wollen  uns  nach  Herzenslust  berauschen;  ihre  Scheichs"  —  der 
Text  verwandte  dafür  das  libysche  Wort  mes'^)  —  „meinten: 
wir  wollen  unser  Herz  mit  Raub  sättigen."  Offenbar  ist  die 
Wirkung  von  Merneptahs  Sieg  infolge  der  bald  darauf  ein- 
setzenden Wirren  nicht  von  Dauer  gewesen,  und  auch  Set- 
nacht hat  hier  noch  nicht  eingreifen  können.  Jetzt  aber,  in 
seinem  5.  Jahr,  Avar  Ramses  so  weit,  daß  er  mit  dem  Auf- 
gebot Ägyptens  und  drei  Truppenkörpern,  die  aus  den  mit 
Zakkari  oder  Philistern  untermischten  Serdana,  aus  Tursa. 
und  aus  Negern  gebildet  waren*'),  zum  Angriff  vorgehn  konnte. 
Er  hat  einen  glänzenden  Sieg  erfochten.  12  535  Gefallene^) 
wurden  gezählt;  dazu  kamen  Massen  von  Gefangenen.  Das 
Land  war  von  den  Eindringlingen  gesäubert,  Sicherheit  und 
friedliches  Leben  wiederhergestellt.  Ganz  beseitigt  war  die 
Gefahr  freilich  noch  nicht;  vielmehr  haben  sechs  Jahre  später 


')  Erm.\n,  ÄZ.  1883,  69.  Ramses  zählt  eine  ganze  Reihe  von  Häupt- 
lingsnamen auf,  ebenso  wie  er  im  Harrispapyrus  außer  Masauasa  und 
Libyern  noch  fünf  andere  Stämme  nennt  (vgl.  Möller,  ZDMG.  78,  53). 

-)  Phot.428f.;  danach  auf  Taf.VII'i.  Aus  dem  Schlachtbild  (Fremd- 
völkerphot.  434)  stammen  auch  die  gegen  die  Libyer  kämpfenden  Tursa 
auf  Taf. \1c;  ebenso  sind  hier  Serdana  (Phot.  435)  sowie  in  dem  zweiten 
Bilde  der  ersten  Libyerschlacht  (Phot.  493)  Philister  oder  Zakkari  im 
Kampf  auf  ägyptischer  Seite  dargestellt.  Gleichartige  Szenen  in  der 
zweiten  Libyerschlacht  Phot.  479.  482  f.  Die  Ägypter  und  Seevölker 
in  der  Garde  auch  unter  dem  Bilde  der  Löwenjagd  Phot.  437  f.  und 
neben  Beduinen  und  Negern  484.  sowie  beim  Auszug  gegen  die  See- 
Tölker  436. 

*)  Korrekter:  1253')  unbeschnittene  Ph;illi  und  ebensoviel  Hände; 
vgl.  0.  S.  558,  2. 


Ramses'  III.  Siege  über  die  Libyer  589 

tlie  Masauasa,  die  auch  hier  als  das  eigentlich  treibende  Ele- 
ment der  Bewegung  in  Nordafrika  hervortreten,  noch  einmal 
versucht,  im  Niltal  Fuß  zu  fassen.  So  kam  es  im  Jahre  11 
zu  einer  zweiten  Libyerschlacht,  die  freilich  in  ihren  Dimen- 
sionen an  die  erste  nicht  heranreicht.  Die  Masauasa  wurden 
völlig  geschlagen  und  acht  ägyptische  Meilen  weit  verfolgt 
bis  zu  zwei  Kastellen,  von  denen  das  eine  den  bezeichnenden 
Namen  „Sandburg  (hat-so')"  trägt;  2175  Gefallene  wurden 
gezählt,  der  Heerführer  Mesasar,  Sohn  des  Häuptlings  Kapur, 
fiel  in  Gefangenschaft^),  und  mit  ihm  wurden  2052  Gefangene, 
Männer,  Weiber  und  Kinder,  eingebracht,  dazu  große  Massen 
von  Vieh  und  sonstiger  Beute. 

Über  die  Gefangenen  sagt  Ramses:  „Ich  setzte  ihre  Häupt- 
linge in  Festungen  auf  meinen  Namen  und  gab  ihnen  Obersten 
des  Kriegsvolks  und  Stammeshäupter;  ich  brandmarkte  sie  zu 
Knechten  auf  meinen  Namen,  ebenso  ihre  Weiber  und  Kinder; 
ihr  Vieh  überwies  ich  dem  Amontempel  als  Herde  für  immer." 
Neue  Invasionen  haben  die  libyschen  Stämme,  so  weit  wir 
wissen,  nicht  mehr  versucht;  aber  um  so  stärker  ist  ihre 
durch  diese  Ansiedlungen  beförderte  friedliche  Ausbreitung  in 
Ägypten  geworden.  Zugleich  wird  das  Heer  immer  stärker 
aus  ihnen  rekrutiert,  wie  aus  den  Kahak,  so  vor  allem  aus 
den  Masauasa.  Da  zugleich  die  Anwerbung  überseeischer 
Söldner  nach  Ramses  III.  ganz  aufliört  und  die  kriegerische 
Kraft  der  Ägypter  immer  mehr  erschlafft,  sind  diese  libyschen 
Truppen  allmählich  der  allein  leistungsfähige  Bestandteil  des 
ägyptischen  Heeres  geworden;  die  Folge  ist  gewesen,  daß  sie 
sich  zwei  Jahrhunderte  später,  unter  Sosenq  I.,  aus  Knechten 
zu  Herren  Ägyptens  gemacht  haben. 

Zwischen  den  beiden  Libyerkriegen  ist  Ramses  III.  im 
Jahre  8  gegen  die  Seevölker  nach  Syrien  gezogen.    In  dem 


^)  Im  Schlachfcgemälde  Phot.  477  ist  dargestellt,  wie  er  auf  der 
Flucht,  aJs  die  Pferde  zusammenbrachen,  sich  auf  dem  Wagen  um- 
wendet und  flehend  die  Hände  erhebt;  seine  Einbringung  als  Gefangener 
Phot.  347,  danach  bei  Möller  ZDMG.  78  Taf.  8.  —  Porträt  eines  ge- 
fangenen Häuptlings  der  Libyer  und  eines  der  Masauasa  Phot.  502.  50^. 


590  ^^I-  D^®  großen  Wanderungen 

Bilderzyklus  in  Medinet  Habu  ist  auch  dieser  Feldzug  ein- 
gehend dargestellt;  dadurch  erhalten  wir  mehr  Aufschluß  als 
durch  die  Phrasenergüsse  der  Prunkinschriften,  die  daneben 
stehn.  Wir  sehn,  wie  der  König  die  Waffen  —  Bogen  und 
Köcher,  Sichelschwerte,  Speere  und  Schwerter  —  an  das 
ägyptische  Aufgebot  verteilen  läßt  und  mit  diesem  und  den 
Söldnern  aus  den  Seevölkern  nach  Phoenikien  (Zahi)  zieht. 
Hier  kommt  es  zu  einer  Schlacht,  in  der  das  Heer  der  Phi- 
lister und  Zakkari  im  Nahkampf,  Mann  gegen  Mann,  den  in 
sie  eindringenden  Ägyptern  und  Serdana  erliegt;  auch  ihre 
Kriegswagen  und  dann  die  Ochsenkarren  mit  den  Weibern 
und  Kindern  werden  nach  heftiger  Gegenwehr  von  den  Siegern 
überwältigt,  ähnlich  der  Wagenburg  der  Kimbern  und  Teu- 
tonen. 

Ein  zweites  Bild  zeigt  eine  Seeschlacht  bei  einem  „Mag- 
dol  (Turm)  Ramses'  HL".  Man  sucht  diesen  Ort  jetzt  meist 
an  der  Küste  Phoenikiens,  ob  mit  Recht,  ist  sehr  fraglich. 
Denn  mit  der  Landschlacht  ist  der  Seekarapf  nicht  verbunden, 
sondern  durch  das  Bild  einer  Löwenjagd  davon  getrennt; 
und  andrerseits  reden  sowohl  die  Beischriften  zum  Bilde  wie 
der  zusammenfassende  Bericht  über  den  Feldzug  des  Jahres  8 
von  ihnen  genau  mit  denselben  Ausdrücken,  wie  der  oben 
angeführte  über  die  Kämpfe  mit  ihnen  in  den  Nilmündungen. 
Auch  diesmal^)  haben  sie  die  Flußmündungen  angegriffen;  aber 
das  Netz  war  bereitet,  sie  beim  Eindringen  zu  fangen.  Wäh- 
rend Ramses  die  Grenze  in  Phoenikien  sicherte,  ließ  er  die 
Flußmündungen  durch  seine  Offiziere  mit  der  Flotte  besetzen 
„wie  eine  starke  Mauer  von  Schiffen,  Barken  und  Kähnen, 
ausgerüstet  vom  Kiel  bis  zum  Steuer  mit  tapferen  Kriegern 
und  ihren  Waffen";  rings  auf  den  Ufern  standen  die  Streit- 
wagen. So  scheint  es,  daß  der  Schiffskampf  in  Ägypten  selbst, 
im  Nil,  stattgefunden  hat,  wo  es  im  Delta  mehrere  Orte 
Magdol  gegeben  hat.  In  die  Schlacht  hat  Ramses  selbst  mit 
seinen   Schützen   vom  Ufer   aus   eingegriffen   und   die   feind- 


ij  Breasted,,  Rec.  IV  65.  66.  75.  77. 


Ramses'  III.  Siege  über  die  Seevölker  591 

liehen  Schiffe  mit  einem  Pfeilhagel  überschüttet;  auch  das 
spricht  dafür,  daß  der  Kampf  auf  engem  Raum  stattgefunden 
hat.  Auf  dem  Wasser  drängen  sich  die  Schiffe,  vier  ägyptische 
und  fünf  feindliche,  auf  denen  außer  den  Philistern  und 
Zakkari  auch  Serdana  kämpfen,  die  also,  wie  auch  früher 
schon,  auf  beiden  Seiten  beteiligt  sind;  die  ägyptischen  Schiffe 
sind  mit  ägyptischen  Schützen  und  Speerkämpfern  und  mit  Ser- 
dana bemannt.  Die  Schiffe  sind  auf  beiden  Seiten  in  Größe 
und  Bauart  ähnlich,  Segelschiffe,  deren  Segel  an  einer  Rahe, 
die  auf  dem  Mast  liegt,  emporgerafft  sind  0,  mit  Mastkörben. 
in  denen  ein  bewaffneter  Pilot  sitzt.  Die  feindlichen  Schiffe 
sind  weit  plumper  gebaut,  mit  hohen  spitzen  Schnäbeln  an 
beiden  Enden;  die  ägyptischen  sind  elegante  Nilboote  und  zu- 
gleich mit  Ruderern  besetzt,  die  durch  einen  Bort  geschützt 
sind.  Die  Ägypter  fallen  die  feindlichen  Schiffe  an,  deren 
Mannschaften  schon  durch  die  Geschosse  geschwächt  sind, 
springen  hinüber  und  machen  alles  nieder;  ein  Schiff  haben 
sie  zum  Kentern  gebracht.  Das  Wasser  ist  überfüllt  mit 
Leichen  und  Schiffbrüchigen,  die  die  ägyptischen  Ruderer 
vielfach  herauszuziehn  suchen  und  als  Gefangene  auf  ihre 
Schiffe  setzen. 

Durch  diese  Siege  war  die  Bedrohung  Ägyptens  abge- 
wendet. „Die,  welche  an  die  Grenze  meines  Reichs  gekommen 
waren,  ernten  nicht  mehr,  ihre  Seelen  sind  kraftlos  auf 
ewig;  die  sich  auf  dem  Meere  zusammengerottet  hatten,  hat 
die  Kriegsflamme  verzehrt;  gemordet  sind  sie  am  Ufer  des 
Meeres,  niedergemetzelt  zu  Leichenhügeln,  ihre  Schiffe  und 
Habe  ins  Wasser  gestürzt."  Unter  den  Massen  der  Gefangenen 
werden  die  Zakkari,  Philister  und  Danauna  genannt  und  ab- 
gebildet, während  die  Sakalsa  und  Uases  nicht  weiter  er- 
wähnt werden.  Auch  sie  wurden,  wie  die  Libyer,  in  den 
Festungen  angesiedelt. 

An  die  Besiegung  der  Seevölker  haben  sich  weitere  Kämpfe 
in  Syrien  angeschlossen,  die  in  den  Wandgemälden  von  Medinet 


")  Vgl.  0.  S.  211. 


592  ^^^-  ^'^  großen  Wanderungen 

Habu  mehrfach  dargestellt  sind.  So  die  Eroberung  einer  , Fe- 
stung des  Amoriterfürsten",  die  sich  ergibt,  als  die  Ägypter 
und  Serdana  gegen  die  Mauern  anrücken  und  der  König  sie  be- 
schießt i);  die  Einnahme  einer  hochgelegenen,  von  Semiten  ver- 
teidigten Festung  und  einer  rings  von  Wasser  umschlossenen, 
deren  Tor  gesprengt,  deren  Mauer  auf  Leitern  erstiegen  vi^ird. 
während  gleichzeitig  die  Bäume  ringsum  abgehackt  werden^); 
ebenso  die  Einnahme  zweier  von  Chetitern  verteidigter  Fe- 
stungen, deren  eine  einen  Namen  führt,  der  etwa  Arzawa 
zu  lesen  ist'^.  Die  Vorführung  von  semitischen  und  cheti- 
tischen  Gefangenen,  auch  von  Beduinen,  ist  neben  der  von 
Philistern  und  Libyern  und  auch  Negern  vielfach  dargestellt*). 
Am  Hohen  Tor  hat  Ramses  IIL  außer  gefesselten  Häuptlingen 
der  Negerstämme,  der  Libyer  und  Masauasa,  der  Zakkari, 
Serdana  und  Tursa  auch  [einen  der  Beduinen  (Sos),  sowie 
„den  Fürsten  der  Chetiter  als  lebenden  Gefangenen"  —  gewiß 
nicht  den  Großkönig  selbst  —  und  den  Fürsten  von  Amurru 
darstellen  lassen^). 

Oflfenbar  hat  Kamses  HL  versucht,  seine  Siege  und  den 
Untergang  des  Chetiterreichs  zur  Wiederaufrichtung  der  ägyp- 
tischen Herrschaft  über  Syrien  zu  benutzen,  und  dabei  auch 
manche  Erfolge  gegen  die  durch  die  Phihster  geschwächten 
Amoriter  und  gegen  chetitische  Garnisonen  in  den  Festungen 
Nordsyriens  errungen*^).  Aber  bedeutend  und  vor  allem  dauer- 


')  Phot.  488—490.  Breasted  IV  117.  Auf  den  Zinnen  weht  die 
große  Kriegsfahne,  wie  in  den  Bildern  Ramses'  11. 

2)  Phot.  463  und  464  f.    Breasted  IV  119.  118. 

3)  Phot.  470—472.    Breasted  IV  120. 

*)  Phot.  460— 4f32.  Breasted  IV  12.5.  121.  Phot.  486.  487.  491 
(=  Breasted  IV  124).  504  f. 

*)  Phot.  498—503.  Vgl.  die  Vorführung  der  Fürsten  von  Amurru 
und  Libyen  nebst  den  Prunkstüf  ken  der  Beute  vor  die  Triade  von 
Theben  Phot.  497,  Breasted  IV  126. 

«)  In  üblicher  Weise  gibt  er  auch  lange  Listen  der  besiegten 
Städte  und  Landschaften  sowohl  im  Süden  wie  im  Norden,  zusammen 
249  Namen.  Die  Liste  der  Asiaten  ist  jetzt  vollständig  bei  W.  M.  Müller, 
Egyptol.  Res.  I  (vgl  denselben,  Asien   und  Europa  227  und  Breasted  I^' 


Ramses  III.  in  Syrien  593 

haft  dürfen  wir  sie  uns  nicht  vorstellen.  In  dem  zusammen- 
fassenden Bericht  über  seine  Taten  erwähnt  er  denn  auch 
nur,  daß  er  die  Beduinen  (Sos)  von  Se'ir,  dem  edomitischen 
Bergland  im  Süden  Palaestinas,  geplündert  und  in  Massen 
als  Tempelsklaven  nach  Ägypten  geschleppt  habe.  Auch 
sind  die  Philister  und  Zakkari  nichts  weniger  als  vernichtet, 
haben  vielmehr  die  fruchtbare  Küstenebene  Palaestinas  in 
Besitz  genommen  und  hier  ihre  Fürstentümer  gegründet,  die 
Philister  in  Gaza,  Askalon,  Asdod,  Gat  und  'Aqqaron,  mit 
einer  Bundesorganisation,  die  Zakkari  weiter  nördUch  in  Dor. 
Das  Hochland  dagegen  scheinen  die  Ägypter  behauptet  zu 
haben;  Ramses  III.  hat  hier  dem  Amon  einen  Tempel  in 
der  nach  ihm  benannten  Stadt  in  Kana'an  erbaut  oder  wohl 
eher  wiederhergestellt,  wohin  die  Asiaten  ihre  Tribute  bringen: 
außerdem  besaß  er  im  Choriterland  und  Kus  zusammen  noch 
neun  Ortschaften^).  Auch  der  Seehandel  mit  Phoenikien  blieb 
aufrecht  erhalten  und  ebenso  überhaupt  der  friedhche  Ver- 
kehr; eine  Darstellung  in  Medinet  Habu  zeigt,  wie  auslän- 
dische Gesandte,  Chetiter  und  Semiten,  den  bei  einem  Fest 
aufgeführten  King-  und  Kampfspielen  zuschauen ■''). 

Ramses'  IM.  Regierung.    Kultur  und  Kunst 

Die  späteren  Jahre  Ramses'  III.  sind,  wie  die  seines 
großen  Vorgängers,  friedlich  verlaufen.  „Ich  habe",  so  faßt 
er  am  Schluß  seines  Lebens  seine  Regierung  zusammen^), 
„im  ganzen  Lande  grüne  Bäume  wachsen  lassen,  und  Heß 
die  Bewohner  in  ihrem  Schatten  sitzen.  Ich  bewirkte,  daß 
die  Frauen  Ägyptens  nach  ihrem  Wunsch  überall  hingehn 
konnten,   ohne   daß   sie   irgend  jemand   auf   dem   Wege   be- 

130  f.  137  f.);  die  Namen,  darunter  sehr  viele  undeutbare,  sind  aber 
großenteils  aus  den  älteren  Listen  kompiliert  und  geschichtlich  wertlos. 

')  Pap.  Harris  bei  Breasted  IV  219.  22H;  was  Amon  hier  an 
Abgaben  von  Rindern  erhalten  hat.  war  freilich  wenig  genug,  im 
ganzen  19  Stück  (ib.  229).    Seeschiffe  nach  Zahi  ib.  211.  828. 

=•)  Phot.  335-345. 

»)  Pap.  Harris  78,  8  ff.  (Breasted  IV  410). 
Meyer,  üeschichte  des  Altorturas.    II'.  38 


594  ^^^-  D'6  großen  Wanderungen 

lästigte.  Ich  ließ  das  Fußvolk  und  die  Wagenk'ämpfer  da* 
heim  sitzen  zu  meiner  Zeit;  die  Serdana  und  Kahak  konnten 
sich  in  ihren  Garnisonen  lang  auf  dem  Rücken  ausstrecken 
ohne  Besorgnis;  da  war  kein  Feind  in  Kus  oder  in  Syrien 
(Chor).  Die  Bogen  und  Waffen  lagen  friedlich ^  in  den  Maga- 
zinen" —  ein  solches  reich  ausgestattetes  Waffenmagazin  hat 
Rarases  III.  in  seinem  Grabe  abgebildet  — ;  „sie  konnten 
sich  sattessen  und  -trinken  in  Behagen.  Ihre  Frauen  und 
ihre  Kinder  waren  bei  ihnen;  sie  brauchten  nicht  zurück- 
zublicken, ihr  Herz  war  froh,  denn  ich  war  ihr  Verteidiger 
und  Beschützer." 

„Das  ganze  Land  und  alle  Volksklassen  habe  ich  be- 
lebt. Ich  habe  den  Menschen  aus  der  Not  herausgezoger» 
und  ihm  Luft  gegeben;  ich  schützte  ihn  gegen  den  Vor- 
nehmen, der  gewichtiger  war  als  er,  ich  gewährte  allen  Ruhe 
in  ihren  Ortschaften.  In  den  Bezirken,  die  öde  waren,  habe 
ich  das  Land  ausgestattet.  Das  Land  war  wohlzufrieden  mit 
meiner  Regierung;  ich  habe  den  Göttern  und  Menschen  Gutes 
getan."  Zum  Schluß  spricht  er  den  Untertanen  seine  An- 
erkennung aus  für  ihre  Dienstbereitschaft.  „Ihr  wäret  meinem 
Herzen  wohlgefällig,  wie  ihr  meine  Befehle  und  Aufträge 
eifrig  erfüllt  habt." 

Diese  Schilderung  gibt  ein  anschauliches  Bild  von  dem, 
was  man  von  einem  tüchtigen  Herrscher,  dem  „guten  Gotte", 
erwartete.  Zugleich  aber  zeigt  sie,  wie  alle  Energie  und 
vollends  der  kriegerische  Geist  geschwunden  ist;  friedliches 
Behagen  ist  durchaus  die  Hauptsache  geworden,  der  Nieder- 
gang kündet  sich  deutlich  an. 

Von  friedlichen  Unternehmungen  erwähnt  Ramses  Hl. 
die  Anlage  eines  großen  Brunnens  im  Kalksteingebirge  von 
'Aian  bei  den  Steinbrüchen  gegenüber  von  Memphis,  eine 
neue  Expedition  nach  Punt,  die,  mit  Geschenken  reich  aus- 
gestattet, diesmal  wieder  über  Land  von  Koptos  aus  ans  Rote 


')  Dafür  ist  das  in    dieser  Zeit   ganz   geläufige   semitische  Wort 
äalötn  gebraucht. 


Spätere  Zeit  Ramses'  III.    Tempel  von  Medinet  Habu         595 

Meer  ging  —  der  Kanal  von  Suez  mag  wieder  versandet 
gewesen  sein  —  und  Massen  von  Weihrauch  und  Myrrhen 
zurückbrachte,  geleitet  von  den  zur  Huldigung  entsandten 
Söhnen  der  Häuptlinge,  ferner  die  Arbeiten  in  den  Malachit- 
gruben am  Sinai  und  die  Erschließung  großer  Kupferminen 
in  'Atika,  vielleicht  ebendort. 

Wie  Ramses  HI.  seinen  Thronnamen  in  Anlehnung  an 
den  Ramses'  H.  gebildet  hat,  so  hat  er  in  allem  versucht, 
es  seinem  großen  Vorgänger  gleichzutun ^).  Auf  dem  Ost- 
ufer Thebens  hat  er  in  Medinet  Habu  einen  großen  Amon- 
tempel  ganz  nach  dem  Muster  des  Ramesseums  gebaut  — 
es  ist  der  weitaus  am  besten  erhaltene  Tempel  des  Neuen 
Reichs.  An  ihn  schloß,  aus  Lehmziegeln  erbaut,  der  große 
Palast  des  Königs,  dessen  Empfangsfenster  sich  nach  dem 
ersten  Hof  des  Tempels  öffnet,  in  dem  die  Menge  sich  ver- 
sammelt, um  dem  König  zuzujubeln  und  die  Belohnungen 
zu  empfangen.  In  den  Kammern  des  innern  Tempels  waren 
auch  die  reichen  Schätze  bewahrt,  darunter  Massen  von  Gold 
aus  Nubien,  aus  mehreren  Bezirken  Oberägyptens,  auch  Fluß- 
gold, ferner  Silber,  Kupfer,  Blei,  Edelsteine  u.  s.  w.^).  Vor- 
gelagert ist  dem  Tempel  ein  mächtiges  Eingangstor  in  die 
Umwallung  des  Palastbezirks,  das  von  zwei  als  Wohnräume 
für  den  Harem  dienenden  Türmen  eingeschlossen  ist,  das  sog. 
Hohe  Tor. 

Die  Wände  des  Tempels  sowie  des  Tores  sind  auch  hier 
durchweg   mit   Reliefgemälden   geschmückt,    von    denen    wir 


*)  Zu  den  Nachahmungen  gehört  auch,  daß  der  Streitwagen 
Ramses'  III.  auf  den  Bildern  wirklich  von  einem  Löwen  begleitet  ist 
—  was  in  Wirklichkeit  doch  ganz  undenkbar  scheint  — ,  während  bei 
Ramses  IL  nur  dns  Bild  des  Löwen  am  Wagen  angebracht  ist  und 
außerdem  ein  gefesselter  Löwe  im  Lager  liegt  (o.  S.  .504,  1). 

^)  Vielleicht  schließt  an  Ramses  III.  das  von  Herodot  bewahrte 
Märchen  von  Rhampsinit  an,  dessen  Name  mit  dem  nicht  erklärten  Zusatz 
-nit  gebildet  ist.  der  ebenso  bei  Psammenit  =  Psammetich  III.  wieder- 
kehrt. Das  Märchen  ist  den  Griechen  schon  im  7.  Jahrhundert  be- 
kannt geworden  und  von  Eugammon  von  Kyrene  in  die  Telegonie  auf- 
genommen, übertragen  auf  das  Schatzhaus  des  Hyrieus  (o.  S.  266,  2). 


596  ^11-  I^i®  großen  Wanderungen 

die  Kriegsbilder  schon  kennen  gelernt  haben;  dazu  kommen, 
wie  übhch,  Festdarstellungen  und  Kultszenen  sowie  Jagd- 
bilder, darunter  ein  Meisterwerk,  das  das  Nachleben  der  aus 
Kreta  gekommenen  Anregungen  erkennen  läßt  in  einer  Jagd 
auf  Wildstiere,  die,  durch  das  Schilf  zum  Strom  flüchtend, 
unter  den  Geschossen  zusammenbrechen.  Die  Schlachtenbilder 
reihen  sich  an  die  von  Ramses  II.  geschaffenen  an,  gehn 
aber  über  sie  in  der  Steigerung  des  Getümmels  und  der  Be- 
wegung noch  hinaus.  Fortwährend  überschneiden  sich  die 
Figuren  in  kaum  übersehbarem  Gewirr,  oft  in  den  kühnsten 
Stellungen;  ganze  Trupps  kommen  in  geschlossenen  Reihen 
anmarschiert,  der  Charakter  des  Gefechts  wird  wahrheits- 
getreu geschildert,  auch  die  Feinde  kämpfen  tapfer,  wenn 
sie  auch  erliegen  und  sich  verzweifelt  zur  Flucht  wenden. 
Der  König  ist  in  der  üblichen  Weise  dargestellt,  auf  dem 
Wagen  oder  zu  Fuß  seine  Pfeile  entsendend;  aber  für  das 
eigenthche  Schlachtbild  tritt  er  ganz  zurück  und  könnte  völlig 
ausgeschieden  werden.  So  ist  der  Realismus  des  Bildes  ge- 
steigert; zugleich  sind  die  Gestalten  durch  Vertiefung  dei^ 
Reliefs  und  die  dadurch  erzeugte  Schattenwirkung  stärkei" 
herausgehoben,  und  sie  werden  meist  schlanker,  die  Gesichts- 
züge —  neben  vortrefflichen  Porträts  wie  denen  der  gefan- 
genen Häuptlinge  am  Hohen  Tor  —  zeigen  oft  eine  glatte 
Eleganz,  der  das  innere  Leben  fehlt.  Man  erkennt,  daß  die 
Kunst  sich  von  dem  klassischen  Stil  Sethos'  I.  und  Ramses'  IL 
und  ihren  strengen  Formen  übersättigt  abzuwenden  beginnt, 
Eine  weitere  Entwicklung,  die  zur  Ausbildung  eines  mo- 
derneu Stils  hätte  führen  können,  ist  der  ägyptischen  Kunst 
nicht  mehr  beschieden  gewesen.  Mit  den  Denkmälern  Ram- 
ses'III.  schließt  die  Kunst  des  Neuen  Reichs  jäh  ab.  Schlachten- 
gemälde sind  in  Ägypten  nie  wäeder  geschaffen  w^orden,  und 
auch  als  nach  vielen  Jahrhunderten  nochmals  ein  neuer  Auf- 
schwung' einsetzt,  hält  sich  die  Kunst  von  allen  Beziehungen 
zu  Staat  und  Krieg  vollständig  fern.  Wohl  mit  Recht  hat  man 
ein  Anzeichen  dieser  Abwendung  vom  ötfeutlichen  Leben  darin 
gefunden,   daß    uns    aus   der   Zeit   Ramses"   III.   ein    Papyru.s 


Die  Kunst  unter  Ramses  III.  597 

mit  Illustrationen  zu  Tierfabeln  erhalten  ist,  der  einen  Krieg 
der  Mäuse  gegen  die  Katzen  darstellt,  in  dem  der  Mäuse- 
könig, in  deutlicher  Karikatur  der  großen  Schlachtengemälde, 
rückwärts  auf  dem  Wagen  sitzend  die  Unterwerfung  des  Katers 
entgegennimmt  0. 

Auch  die  Baukunst  und  ebenso  die  statuarische  Plastik 
hat  dasselbe  Schicksal  erlitten.  Ramses  III.  hat  außer  dem 
Tempel  von  Medinet  Habu  und  seinem  RiesengTabe  im  Königs- 
tal, das  an  Größe  dem  Sethos'  I.  gleichkommt,  an  Feinheit 
der  Ausführung  der  Reliefs  und  Inschriften  freilich  weit 
hinter  ihm  zurücksteht,  in  Karnak  einen  Tempel  des  Amon 
(südlich  von  dem  Haupttempel),  einen  des  Chons  und  einen 
der  Mut  gebaut,  ferner  natürlich  auch  für  die  anderen  Haupt- 
götter wie  den  Ptab  von  Memphis  und  den  Atum  von  Helio- 
polis  und  gar  manche  andere  gesorgt,  in  der  jetzt  nach 
seinem  Namen  benannten  Ramsesstadt  im  Delta  einen  Tempel 
für  Amon  und  einen  für  Seth  erbaut  oder  wohl  eher  restau- 
riert'0,  einen  mit  glasierten  Ziegeln  verkleideten  Tempel  in 
Leontopolis  (Teil  el  Jehudije)  nördlich  von  Heliopolis  u.  a.  m. 
Aber  Ramses  II.  hat  er  es  doch  nicht  gleichtun  können;  die 
Mittel  dafür  reichten  eben,  trotz  der  Schätze,  die  er  an- 
sammelte, nicht  mehr  aus,  und  sind  durch  seine  Bauten  offen- 
bar vollends  erschöpft  worden.  Bezeichnend  für  die  wirkliche 
Lage  Ägyptens  ist  auch,  daß  der  Tempel  des  Chons  so  gut  wie 
ganz  aus  Steinen  älterer  verfallener  Bauten  eri'ichtet  ist,  auf 
denen  man  die  Skulpturen  notdürftig  abhackte  oder  mit  Mörtel 
überzog.  Vor  allem  hat  der  große  Tempel  Amenophis'  III. 
geradezu  als  Steinbruch  gedient").  Wie  der  rasche  Verfall 
dieses  großen  Gebäudes  zu  erklären  ist,  bleibt  dunkel;  man 
könnte  vermuten,  daß  es  in  den  Wirren  vor  Setnachts  Auf- 
treten zerstört  worden  ist. 

Mit  dem  Tode  Ramses"  III.  bricht  dann  die  Folge  der 
großen  Bauten  jäh  ab:  von  der  langen  Reihe  der  folgenden 

')  H.  Schäfer  in  der  Kunst  des  Alten  Orients  (Propylaeen  II)  S.  108. 
*)  Die  Angaben  darüber  siebe  im  Pap.  Harris. 

^)    BORCHARDT.    ÄZ.  61. 


59g  XII.  Die  großen  Wanderungen 

Raraessiden  kennen  wir  außer  einzelnen  Reparaturen  u.  ä. 
nur  ihre  Gräber  im  Königstal,  und  mit  dem  Ende  der  Dynastie 
schließen  auch  diese  ab. 

Ganz  anschaulich  tritt  uns  der  Niedergang  des  geistigen 
Lebens  und  das  völlige  Fehlen  neuer  Gedanken  in  der  Lite- 
ratur entgegen.  An  innerer  Leere  und  ständig  die  gleichen 
Phrasen  wiederholendem  Schwulst  übertreffen  die  Inschriften 
Ramses'  IIL  alles,  was  seine  darin  doch  auch  nicht  kargen 
Vorgänger  geleistet  haben;  poetische  Gestaltungskraft,  wie 
sie  in  dem  Gedicht  über  die  Schlacht  bei  Qades  noch  her- 
vortritt, fehlt  völlig,  und  die  wenigen  Tatsachen,  die  er- 
wähnt werden  —  in  bezeichnendem  Gegensatz  zu  der  an-' 
schauHchen  Darstellung  der  Bilder  — ,  verschwinden  fast  in 
diesem  Meer  inhaltlosen  Geredes.  Noch  bequemer  war  es  frei- 
lich, die  älteren  Texte  einfach  zu  kopieren  und  auf  den  Namen 
des  neuen  Herrschers  umzustellen;  und  das  hat  Ramses  III. 
wiederholt  getan,  so  mit  dem  Siegeshymnus  Thutmosis'  III. 
und  mit  einem  Hymnus,  in  dem  Ptah  dem  König  die  Fülle 
seiner  Segnungen  verheißt^). 

Umso  eifriger  wird  Religion  und  Kultus  gepflegt.  In 
dem  Bericht,  der  die  Leistungen  und  Taten  der  einunddreißig 
Jahre  seiner  Regierung  zusammenfaßt,  wird  ganz  ausführ- 
lich aufgezählt,  was  alles  er  den  Göttern  zugewendet  hat; 
dabei  werden  freilich  auch  ihr  gesamter  ererbter  Besitz  und 
ebenso  die  regelmäßigen  Abgaben  der  LT ntertanen  des  Tempel- 
guts mitgezählt,  weil  er  diesen  Besitz  ebenso  wie  seine  legi- 
timen Vorgänger  bestätigt  hat  —  der  Choriter  Arsu  freilich  ist, 
ebenso  wie  früher  Echnaten,  anders  vorgegangen  — ,  so  daß 
seine  Gaben  noch  weit  größer  erscheinen  als  sie  in  Wirk- 
lichkeit waren ^).  Immerhin  bleibt  es  gewaltig,  was  er  un- 
unterbrochen den  Göttern  zugewiesen  hat,  abgesehn  von  den 


';  Breasted  IV  132  ff.  137.  Das  Gleiche  gilt  von  den  Listen  der 
besiegten  Ortschaften  o.  S.  592/6. 

*)  Die  Aufklärung  verdanken  wir  Erman,  Zur  Erklärung  des  Pap. 
Harris,  Ber.  Berl.  Ak.  1903,  456  ff.  und  Breasted,  Rec.  IV  151  ff.  Vgl. 
Ehmax-Ranke,  Ägypten  339  ff. 


Literatur  und  Kultus  unter  Ramses  IIl.  599 

schon  berührten  Bauten  —  deren  Kosten  und  Arbeiten  wohl 
größtenteils  aus  dem  Tempelvermögen  bestritten  sein  werden  — 
nebst  den  zugehörigen  Statuen,  Schreinen,  Barken  und  Kult- 
geräten, vor  allem  die  Scharen  der  Kriegsgefangenen  und 
die  Viehherden,  dazu  Grundbesitz,  weiter  Gold,  Silber,  Kupfer, 
jEdelsteine  und  Kostbarkeiten  aller  Art.  Überdies  stand  aller 
Tempelbesitz  zwar  unter  der  Kontrolle  des  Königs,  war  aber 
frei  von  allen  staatlichen  Steuern  und  Fronden;  Ramses  III. 
rühmt,  daß  er  auch  bei  dem  Besitz  der  kleineren  Tempel  die 
Hörigen  nicht,  wie  frühere  Könige,  zu  Aushebungen  für  den 
Krieg  herangezogen  habe^).  In  manchen  Fällen,  z.  B.  in  der 
Zuweisung  von  Gold,  hat  er  dem  Atum,  Ptah  und  den  übrigen 
Göttern  mehr  zugewendet  als  dem  Amon,  da  jene  weit  be- 
dürftiger und  offenbar  vielfach  vernachlässigt  waren,  während 
Amon  auch  an  Gold  bereits  aus  den  regelmäßigen  Jahres- 
einnahmen sehr  viel  mehr  bezog  als  die  übrigen.  Wie  ge- 
waltig die  Überlegenheit  Amons  über  alle  andern  Götter, 
auch  über  Atum-r6'  von  Heliopolis  und  Ptah  von  Memphis, 
gerade  in  diesem  Dokument  zutage  tritt,  ist  oben  S.  511  schon 
erwähnt.  Der  Grundbesitz  Amons  bildet  geradezu  einen  Staat 
im  Staate;  so  ist  es  nur  natürhch,  daß  seine  Priesterschaft, 
je  mehr  die  Königsmacht  erlahmte,  immer  selbstherrlicher 
und  anspruchsvoller  geworden  ist. 

Ramses'  IIl.  Ausgang.    Die  späteren  Ramessiden. 
Niedergang  Ägyptens 

Hamses  III.  ist  kurz  nach  dem  Autritt  seines  32.  Jahres 
gestorben  (um  11G5  v.  Chr.)^).  Der  Ausgang  seiner  Regierung 
entspricht  dem  von  ihr  gezeichneten  Idealbild  wenig.  Uns  sind 
die  Akten  eines  Hochverratprozesses  über  eine  Verschwörung 
gegen  Ramses  III.  großenteils  erhalten,  die  vom  Harem  des 
Königs  ausging   und  in  die  zahlreiche   hohe  Hofbeamte   und 

')  Pap.  Harris  57,  8  f.  Breasted  IV  354. 

'')  Am  6./11.  J.  32  (ca.  l>.  M  ü).  Siehe  Ei  un  S.  45S  f.  un  l  B  x-'.  vsrsn 
IV  1.5.3  f. 


gQQ  XII.  Die  großen  Wanderungen 

Offiziere  verwickelt  waren  ^).  Die  eigentliche  Triebfeder  war 
eine  seiner  Frauen,  Teje,  die  offenbar  ihren  Sohn  ^Pentußr, 
der  auch  jenen  anderen  Namen  getragen  hat",  auf  den  Thron 
erheben  wollte.  Sie  suchte  durch  ihre  Gehilfen  die  Bevölke- 
rung zum  Aufstand  aufzuhetzen;  daneben  wurden  Zauber- 
mittel verwendet,  magische  Puppen  in  den  Palast  gebracht, 
um  die  Bewohner  zu  lähmen  u.  ä.  m.  Die  Verschwörung  wurde 
unterdrückt,  die  Schuldigen  verurteilt;  die  Vornehmsten  durf- 
ten sich  selbst  das  Leben  nehmen,  an  den  anderen  wurden 
^die  großen  Todesstrafen  vollzogen,  von  denen  die  Götter" 
—  oder  „die  heiligen  Schriften",  d.  i.  das  von  den  Göttern 
gegebene  Gesetzbuch  —  „sagen:  vollziehe  sie  an  ihnen''; 
einige  kamen  mit  dem  Abschneiden  von  Nasen  und  Ohren 
davon. 

Die  Instruktion,  die  der  König  dem  für  diesen  Fall  ein- 
gesetzten, aus  hohen  Beamten  gebildeten  Gerichtshof  ge- 
geben hat,  lautet  ganz  eigentümlich:  -Die  Worte,  die  die 
Leute  geredet  haben,  kenne  ich  nicht.  Geht  und  untersucht 
sie.  Und  ihr  werdet  gehn  und  sie  verhören,  und  ihr  werdet 
sterben  lassen,  die  ihr  durch  eigene  Hand  sterben  lassen 
müßt,  ohne  daß  ich  davon  weiß;  und  ihr  werdet  auch  die 
Strafe  an  den  andern  voUziehn,  ohne  daß  ich  davon  weiß  .... 
Und  ich  sage  euch  in  Wahrheit:  alles  was  geschehn  ist  und 
was  sie  getan  haben,  laßt  auf  ihre  Häupter  fallen;  ich  da- 
gegen bin  geschützt  und  beschirmt  in  Ewigkeit,  da  ich  unter 
den  gerechten  Königen  bin,  die  beim  Götterkönig  Amon-Rä* 
und  bei  Osiris,  dem  Herrn  der  Ewigkeit,  sind."  Ganz  deut- 
lich spricht  der  König  hier  aus,  daß  er  bereits  gestorben 
und  in  die  Götterwelt  eingegangen  ist 2):  aber  es  wird  fingiert, 

1)  BRE.\sTKti  IV.  416  ff.  ERMAN-R.AnKE  160'ff.  Außerdem  wird  im 
Pap.  Harris  59,  11  ff.  (Breasted  IV  361)  die  Bestrafung  eines  rebellischen 
Vezirs  und  seines  Anhangs  erwähnt,  der  sich  in  der  Deltastudt  Athribis 
empört  hatte. 

*)  Diese  Folgerung  ist  von  Breasted  vorbereitet,  der  annimmt, 
RamsesIII.  sei,  vielleicht  infolge  des  Attentats,  schon  schwer  krank 
gewesen  und    habe   gewußt,   daß   er   gleich   nach   der  Einsetzung   de« 


Ramses"  III.  Ausgang  601 

daß  er  aus  dem  Jenseits  selbst  den  Gerichtshof  einsetzt,  dessen 
Urteil  ihm,  eben  weil  er  tot  ist,  nicht  mehr  zur  Bestätigung 
vorgelegt  werden  kann. 

Ramses  III.  ist  also  einem  Attentat  erlegen;  aber  der 
Prinz,  dem  dadurch  der  Weg  zum  Thron  geebnet  werden 
soUte,  ist  nicht  zur  Regierung  gelangt,  sondern  ein  anderer 
Königsohn,  der  den  Namen  Ramses  IV.  annahm,  ihm  zuvor- 
gekommen. Die  Leiche  Ramses'  III.  wurde  dann  nach  Theben 
zur  Leichenfeier  in  Medinet  Habu  und  Beisetzung  im  Königs- 
grabe  gebracht,  und  zugleich  Ramses  IV.  hier  von  Amon,  also 
durch  das  vom  Gott  gegebene  Orakel,  feierlich  auf  den  Thron 
des  Horus  gesetzt.  Auch  hierüber  ist  uns  ein  eigenartiges 
Dokument  in  dem  großen  Buch  erhalten,  das  über  die  Taten 
Ramses'  III.  und  seine  Gaben  an  die  Götter  berichtet.  Es 
tritt  auf  als  eine  Rede,  die  der  ins  Jenseits  eingehende  König 
unmittelbar  nach  seinem  Tode  an  Götter  und  Menschen  hält; 
in  Wirklichkeit  ist  es  also  von  seinem  Nachfolger  verfaßt.  In 
möglichster  Eile  sind  die  langen  Listen  der  Geschenke  an  die 
Tempel  zusammengestellt  worden;  daher  sind  sie  wenigstens 
für  die  Unzahl  der  kleineren  Tempel,  für  die  das  Material 
bis  zum  Begräbnistage  nicht  erschöpfend  beschafft  werden 
konnte,  nur  ganz  unvollständig  und  enthalten  viele  Flüch- 
tigkeiten  im    einzelnen,  vor   allem    in   den  Suramierungen^). 


Gerichtshofes  sterben  -werde.  Er  macht  anch  darauf  aufmerksam,  daß 
er  in  den  Akten  als  „der  große  Gott"  bezeichnet  wird,  ein  Ausdruck, 
der  im  Neuen  Reich  nie  mehr  von  dem  lebenden  König,  wohl  aber 
vom  verstorbenen  gebraucht  wird.  Die  volle  Konsequenz  hat  dann 
Struve  in  dem  gleich  zu  erwähnenden  Aufsatz  gezogen;  sie  ist  in  der 
Tat  ganz  unabweisbar.  Er  weist  auch  darauf  hin,  daß  Ramses  III. 
seltsamerweise  in  Medinet  Habu  die  Namen  seiner  Gemahlin  und  seiner 
Söhne  unausgefüllt  gelassen  hat;  offenbar  hat  er  sich  über  die  Thron- 
folge und  daher  auch  über  die  Frage,  welche  seiner  Frauen  er  als  seine 
Haupt gemahlin  bezeichnen  wolle,  niemals  entscheiden  können.  —  Hängt 
damit  zusammen,  daß  nach  Sethe.  Unters,  zur  Gesch.  Äg.  I  62,  Ramses  VI, 
die  Namen  seiner  beiden  Vorgänger,  Ramses  IV.  und  V  ,  getilgt  hat,  also 
sich  resp.  seinen  Vater  als  den  legitimen  Thronerben  betrachtete? 

')  Das  ist  von  Erman  in  seiner  grundlegenden  Arbeit  (o.  S.  598.  2) 


ß02  ^11-  -Die  großen  Wanderungen 

Auf  Grund  dieser  Leistungen  erbittet  und  erhofft  der  ver- 
storbene König  von  den  Göttern  die  Aufnahme  in  ihre  Mitte 
und  die  Gewährung  des  behaglich  mit  Atem,  Wasser  und 
Speise  ausgestatteten  Daseins  im  Jenseits,  welches  der  Toten- 
dienst den  Seelen  der  Frommen  und  Gerechten  verschafft. 
Daneben  aber  erbittet  er  den  göttlichen  Segen  für  seinen 
Sohn  Ramses  IV.,  den  Amon,  Atum,  Ptah  gezeugt  und  zum 
Thronfolger  bestimmt  haben.  Möge  das  Land  unter  ihm  ge- 
deihen, der  Nil  üppige  Fruchtbarkeit  bringen,  die  Untertanen 
ihm  freudig  gehorchen  und  ihm  zujubeln,  die  Barbaren  seinem 
Schwert  erliegen  und  ihm  Tribut  bringen,  und  er  seine  Gren- 
zen setzen  so  weit  er  will.  Möge  ihm  dauernd  jugendhche 
Kraft  und  Gesundheit  beschieden  sein.  „Du  hast,"  sagt  er  zu 
Amon,  „  mir  eine  Regierung  von  zweihundert  Jahren  zugespro- 
chen; gewähre  sie  meinem  Sohn,  der  noch  auf  Erden  ist" 
—  übertrage  also  auf  diesen,  was  mir  nicht  erfüllt  worden 
ist  —  „mache  sein  Leben  länger  als  das  irgend  eines  an- 
deren Königs,  um  so  die  Wohltaten  zu  vergelten,  die  ich  dir 
erwiesen  habe!''  In  einem  Gebet  an  Osiris  von  Abydos  wieder- 
holt Ramses  IV.  ^)  alle  diese  Bitten  nahezu  wörtlich,  und  ge- 
rade die  Bitte  um  ein  weit  über  das  menschliche  Maß  hinaus- 
gehendes Leben  ist  für  ihn  charakteristisch.  „Verdopple  mir," 
betet  er  zu  Osiris  —  „denn  du,"  so  heißt  es  nachher,  „bist 
der,  der  es  mit  seinem  eigenen  Munde  gesagt  hat,  und  es 
wird  nicht  umgestoßen  werden"  —  „die  lange  Regierung 
des  großen  Gottes  Ramses  IL;  denn  größer  sind  die  Wohl- 
taten und  Opfergaben,  die  ich  deinem  Heiligtum  innerhalb 
dieser  vier  Jahre  täglich  dargebracht  habe,  als  was  der 
große  Gott  Ramses  IL  für  dich  in  seinen  siebenundsechzig 
Jahren  getan  hat."  Es  ist  ganz  deutlich,  daß  auch  in  dem 
Ramses  III.  in  den  Mund  gelegten  Text  in  Wirklichkeit  sein 
Sohn  spricht. 


sowie  von  Breasted  nachgewiesen,  die  das  Verständnis  ganz  wesentlich 
gefördert  haben. 

')  Erfüllt  ist  seine  Bitte  nicht,    er   hat   nur  6  Jahre  regiert.   In- 
schrift von  Abydos  aus  seinem  4.  -Tahr,  Breasted  IV  469  ff.;  vgl.  o.  S.  417. 


Kamses  IV.  603 

Zum  Schluß  werden  dann,  nach  den  Göttern,  die  Unter- 
tanen angeredet:  „Ranises  III.,  der  große  Gott,  sagt  zu  den 
Magnaten  und  Grafen  des  Landes,  Fußvolk  und  Streitwagen, 
Serdana,  den  zahlreichen  Soldtruppen,  allen  Bewohnern  von 
Ägypten"  —  und  nun  folgt  der  oben  gegebene  Überbhck 
über  die  Wiederherstellung  der  Ordnung  durch  Setnacht  und 
die  eigenen  Taten,  die  mit  der  Anerkennung  für  den  willigen 
Gehorsam  schließt.  „Siehe,  jetzt  bin  ich  in  die  Unterwelt  ein- 
gegangen wie  mein  Vater  Re',  und  habe  mich  gemischt  unter 
den  großen  Götterkreis  in  Himmel,  Erde  und  Hölle.  Amon-Re' 
hat  meinen  Sohn  auf  meinen  Thron  gesetzt,  er  sitzt  auf  dem 
Thron  des  Horus  als  Herr  beider  Nilseiten  und  hat  sich 
die  Atefkrone  aufgesetzt.  Seid  also  seinen  Sohlen  Untertan, 
küßt  den  Fußboden  und  beugt  euch  vor  ihm,  gehorcht  und 
verehrt  ihn,  grüßt  seine  Schönheit  jeden  Morgen  wie  ihr  es 
dem  Rö'  tut,  bringt  ihm  die  Abgaben,  vollzieht  seine  Auf- 
träge" —  das  wird  im  einzelnen  weiter  ausgeführt  — ;  „denn 
Amon  hat  ihm  das  Königtum  auf  Erden  zugesprochen  und 
seine  Lebensdauer  verdoppelt  mehr  als  jedem  anderen  König, 
ihm,  dem  König  Ramses  IV.". 

So  zielt  dies  einzigartige  Dokument  auf  die  feierliche 
Einsetzung  des  neuen  Herrschers  durch  den  verstorbenen, 
in  Wirklichkeit  wohl  zweifellos  ermordeten  König  und  mas- 
kiert die  Vorgänge,  durch  die  Ramses  IV.  im  Gegensatz 
gegen  den  Prätendenten  auf  den  Thron  gelangt  ist^).  So 
wird  auch  die  Vermutung  zutreffend  seia,  daß  die  Fürsorge 
Ramses'  III.  für  den  Kultus  so  eingehend  dargelegt  wird, 
um  die  mächtige  Priesterschaft  für  den  neuen  Herrscher  zu 
gewinnen  und  ihr  das  Vertrauen  zu  geben,  daß  er  ebenso 
handeln  wird.  Daß  er  das  getan  hat,  bestätigt  der  angeführte 
Hymnus  an  Osiris-). 


')  Eine  Parallele  bietet  die  Thronbesteigung  Salomos,  nur  daß 
dort  der  Batseba  im  Bunde  mit  der  Geistlichkeit  der  Staatsstreich 
gegen  den  rechtmäßigen  Thronerben  Adonia  gelungen  ist. 

^)  Das  richtige  Verständnis  des  Pap.  Harris  hat  V.  Struve  er- 
schlossen (in  der  Zeitschr.  Aegyptus  VII    1926,    1  ff).    P]r   hat   gezeigt, 


ß04  ^^^-  ß^®  großen  Wanderungen 

Mit  Ramses  IV.  beginnt  eine  lange  Reihe  tatenloser 
Könige,  die  alle  den  Namen  Ramses  angenommen  haben, 
im  ganzen  acht,  bis  auf  Ramses  XI.  Sechs  von  ihnen  haben 
Gräber  im  Königstal  erbaut,  von  denen  das  Ramses'  V.  durch 
seinen  Nachfolger,  der  ihn  vom  Thron  gestoßen  hat,  für  sich 
mit  Beschlag  belegt  worden  ist.  Auch  einige  andere  haben 
nur  kurze  Zeit  regiert;  insgesamt  werden  wir  für  sie  höch- 
stens achtzig  Jahre  (ca.  1165 — 1085)  ansetzen  dürfen').  Ihre 
Namen  erscheinen  gelegentlich  in  Papyri  und  inhaltlosen  In- 
schriften; weiter  wissen  wir  über  sie  garnichts.  Umso  klarer 
tritt  hervor,  daß  es  mit  der  Machtstellung  des  Reichs  vorbei 
ist.  Die  Herrschaft  über  Nubien  wird  noch  behauptet,  aber  in 
Asien  sind  auch  die  letzten  Besitzungen  verloren  gegangen, 
wenn  auch  der  Anspruch,  daß  Palaestina  und  Phoenikien 
eigentlich  den  Pharaonen  und  dem  Amon  gehören,  weiter 
aufrecht  erhalten  wird.  Die  Mittel  des  Staats  sind  völlig 
erschöpft;  die  Götter  erhalten  wohl  noch  Weihgaben  und 
Opfer,  aber  an  größere  Bauten  ist  nicht  mehr  zu  denken. 
Ein  drastisches  Symptom  des  Niedergangs  ist,  daß  die  Un- 
sicherheit in  der  riesigen  Totenstadt  von  Theben  immer  mehr 
zunahm  und  nicht  nur  Privatgräber  in  großer  Zahl  ausgeplün- 
dert wurden,  sondern  auch  die  Königsgräber  nicht  mehr  sicher 
waren.  Bei  einer  Untersuchung  im  Jahre  16  Ramses'  IX., 
über  die  uns  die  Akten  erhalten  sind,  stellte  sich  allerdings 

daß  Erman's  Auffassung  als  eines  dem  König  für  das  Jenseits  mit  ins 
Grab  gegebenen  Rechtfertigungsdokuments  nicht  haltbar  ist  und  der 
Schlußabschnitt  sowie  die  Gebete  für  den  Sohn  nicht  ein  gleich- 
gültiger Appendix,  sondern  die  Hauptsache  sind.  Er  weist  nach,  daß 
er  aus  eineui  in  üblicher  Weise  zur  Bewahrung  von  Urkunden  be- 
nutzten Kruge  „aus  dem  Schloß  Ramses'  III.  im  Amontempel",  d.  i. 
in  Medinet  Habu  stammt,  in  dem  auch  die  Akten  des  Prozesses  gegen 
die  Gräberdiebe  unter  Ramses  IX.  lagen,  dessen  Schriftstücke  in  einem 
Wiener  Papyrus,  ÄZ.  1876,  Iff,  verzeichnet  sind. 

')  Vgl.  0.  S.  585,  1.  An  Daten  sind  erhalten:  R.  IV.  6  J.,  R.  V. 
mindestens  4  J.,  R.  IX.  19  J.,  R.  X.  mindestens  6  J.,  R.  XI.  27  J.  Der  bisher 
meist  als  R.  IX.  oder  XI.  gezählte  König  Ramses  Siptah  gehört  in  die 
Zeit  vor  Ramses  III.  (o.  S.  581);  dadurch  wird  der  bisher  als  R.  XII.  ge- 
zählte letzte  König  der  Dynastie  zu  R.  XI. 


Die  späteren  Ramessiden.    Niedergang  Ägyptens  ßO  5 

heraus,  daß  nur  ein  Grab,  das  Sebekemsafs  IL  aus  der  drei- 
zehnten Dynastie,  erbrochen  und  ausgeplündert  war;  aber 
wenige  Jahre  später  war  eine  Diebsbande  in  die  Gräber 
Sethos'  I.  und  Ramses'  II.  eingebrochen,  und  so  ging  es  weiter. 
Immer  wieder  mußten  die  Leichen  der  Könige  untersucht 
und  an  eine  sicherer  scheinende  Stelle  überführt  werden, 
bis  man  sich  nach  etwa  anderthalb  Jahrhunderten  schließ- 
lich entschloß,  sie  alle  in  einem  unzugänglichen  Versteck 
in  einem  Feischacht  bei  D6r  el  Bahri  zu  bergen,  der  so  gut 
gewählt  war,  daß  sie  hier  ungestört  erhalten  blieben,  bis 
sie  wiederentdeckt  und  1881  ins  Museum  von  Kairo  über- 
führt wurden. 

Während  die  Königsmacht  immer  mehr  erschlaffte,  ist 
die  Stellung  des  Hohenpriesters  des  Amon  ständig  gewachsen. 
Unter  Ramses  IX.  datiert  eine  Frau  einen  Diebstahl,  über 
den  sie  Klage  erhebt,  als  „zur  Zeit  des  Aufstandes  des  Hohen- 
priesters Amons"  geschehn^.  Dem  Hohenpriester  Amenophis 
weist  derselbe  König  Abgaben  für  Amon  zu,  die  bisher  vom 
König  erhoben  wurden;  an  der  Wand  eines  Terapelhofs  hat 
er  sich  in  bisher  ganz  unerhörter  Weise  neben  dem  König, 
der  ihn  mit  dem  Golde  belohnt,  in  gleicher  Größe  wie  dieser, 
also  als  ihm  gleichstehend,  darstellen  lassen.  Noch  selbst- 
herrlicher tritt  sein  Nachfolger  Hrihor  auf,  der  Bauten  am 
Chronstempel  selbständig  aufführt  und  dabei  seinen  Ober- 
herrn Ramses  XI.  nur  noch  nebenbei  erwähnt.  Er  erhält 
weiter  die  Verwaltung  Nubieus  als  „Königssohn  von  Ku.s". 
und  hat  auch  die  alten  Priestertitulaturen  eines  Truppen- 
kommandanten und  Grafen  wieder  aufgenommen;  er  kann  sich 
als  Oberbefehlshaber  der  Truppen  des  Südens  und  Nordens 
bezeichnen.  Schließlich,  beim  Tode  des  Königs,  hat  er  den 
letzten  Schritt  getan,  die  Dynastie  entthront,  und  sich  selbst 
die  Krone  aufgesetzt.  Gleichzeitig  aber  erhebt  sich  in  Tanis 
im  Delta  eine  neue,  die  einundzvvanzigste  Dynastie. 

So  ist  das  Reich  Thutmosis'  III.  und  Ramses'  II.  langsam 
und  ruhmlos  an  Altersschwäche  entschlafen.   Wenn  aber  aus 

'J  Spiegelderg,  Reo.  XIX  91.    Breasted  IV  486. 


606  ^11-  ^iß  großen  Wanderungen 

der  Zersetzung  des  Alten  und  dann  des  Mittleren  Reichs  das 
ägyptische  Volk  zu  einer  neuen,  höheren  Stufe  emporgestiegen 
war,  so  ist  jetzt,  seit  der  entscheidenden  Krise  unter  Echnaten, 
seine  innere  Kraft  gebrochen.  Die  alten  Formen  leben  weiter 
und  werden  immer  peinlicher  beobachtet,  und  der  geistige 
Gehalt  der  Tradition  war  so  gewaltig,  daß  sie  Jahrhunderte 
später,  unter  der  sechsundzwanzigsten  Dynastie,  noch  einmal 
eine  Nachblüte  zu  erzeugen  vermochte.  Indessen  auch  da 
fehlt  die  schöpferische  Kraft;  etwas  wirklich  Neues  vermag 
man  nicht  mehr  zu  schaffen,  das  Ideal  liegt  in  der  Vergangen- 
heit, nicht  in  der  Zukunft.  Und  vor  allem:  das  nationale 
Leben  hat  sich  auf  die  Religion  zurückgezogen,  die  politischen 
Aufgaben  sind  gleichgültig  geworden,  und  der  kriegerische 
Geist  ist  entschwunden.  Dabei  steht  Ägypten  auch  in  der 
jetzt  beginnenden  Epoche  des  Stillstands  und  der  Erstarrung 
immer  noch  weit  höher  als  Babylonien,  wo  nun  schon  seit 
einem  Jahrtausend  alles  höhere  Leben  entschwunden  ist;  aber 
politisch  wird  es  so  ohnmächtig  wie  dieses,  und  alsbald  gerät 
auch  Ägypten,  da  das  Volk  die  militärischen  Aufgaben  nicht 
mehr  erfüllen  kann,  unter  die  Herrschaft  fremder  Elemente, 
zunächst  der  Söldner  aus  Libyen. 

Wie  Ägypten  erstarrt  und  Babylonien  regungslos  daliegt, 
so  sind  um  die  W"ende  vom  13.  zum  12.  Jahrhundert  auch 
die  beiden  Kulturen  zugrunde  gegangen,  die  in  den  Jahr- 
hunderten vorher  diesen  selbständig  zur  Seite  getreten  waren. 
Sowohl  die  sich  innerlich  schon  zersetzende  kretisch-myke- 
nische,  wie  die  frisch  aufstrebende  chetitische  Kultur  sind  den 
Stürmen  der  Völkerwanderung  erlegen.  So  bezeichnet  diese 
einen  entscheidenden  Einschnitt  in  der  Geschichte  der  Mensch- 
heit. Eine  neue  Epoche  beginnt.  Politisch  maßgebend  für 
ihre  Gestaltung  ist  der  Wegfall  jeder  größeren  Macht,  die  auf 
die  Geschicke  entscheidend  einwirken  könnte;  denn  auch  das 
Assyrerreich,  das  jetzt  im  Vorschreiten  begriffen  ist,  ist  doch 
noch  jahrhundertelang  keine  wirkliche  Großmacht  geworden 
und  hat  immer  wieder  um  die  Behauptung  seiner  beschränkten 
Machtsphäre  zu  kämpfen. 


Niedergang  Ägyptens.    Charakter  der  nächsten  Epoche        607 

Dieses  negative  Moment  hat  die  Entwicklung  der  näch- 
sten Jahrhunderte  ermöglicht.  Es  folgt  eine  Epoche  der  Klein- 
staaterei und  des  Stillebens  der  Einzelgebiete  in  streng  be- 
grenzten Kreisen.  Zugleich  aber  ist  dadurch  neuen  Völkern 
Raum  gegeben,  sich  unbehindert  zu  bewegen  und  ihre  Eigen- 
art frei  auszubilden.  So  ist  Raum  geschaffen  für  die  Ent- 
wicklung, welche  sich  in  den  nächsten  Jahrhunderten  bei  den 
Phoenikern,   den  Israeliten  und  den  Griechen  vollzogen  hat. 


Königslisten 


1.  Ägypten 

Vgl.  S.  47.  50.  77  f.  110,  1.  148,  1.  340  f.  448  f.  455.  580  tf.  585, 1. 

Dyn.  17.    Senechtenre'  Ta'o  I. '6  („der  Ältere") 

Seqenjeiire*  Ta'o  II.  qen  („der  Tapfere") 
Uazcheperre'  Kamose 

Dyn.  18.    Ainosis  ca.  1.580—58 

Amenophis  I.  | 

Thutniosis  I.    J  ca.  1557—1505 

Thutmosis  II. ) 

Hatsepsut  21  J.  V zusammen  53  J.  10  M.  86  T. 

Thutmosis  III.    (  ca.  1504—1450 

Amenophis  II.  I  ,...  ^.^, 
rvu  ^  ■  TV  r'^-  1450—1405 
Thutmosis  IV.  j 

Amenophis  III.  36.  J.  ca.  1405—1370 

Amenophis  IV.  Echnaten  ca.  1370—1352 

S'akere'  \ 

Tut'anch-amon  [  ca.  1352—1310 

Eje  ) 

Dyn.  19.    Haremhab 

Ramses  I.  ca.  1309 

■Sethosl.  ca.  1308—1298 

liamses  II.  67  J.  1298—1232 

Merneptah 

Amenmeses 

Merneptah  II.   Siptah 

Sethos  II. 

Kamses  Siptah 

<Der  Choriter  Arsu) 

Dyn.  20.    Setnacht 

Ramses  III.  ca.  1200-1168 
Ramses  IV. -XI.  ca.  1168—108.5. 


1232—1200 


Königslisten  ß()9 

2.  Das  charrische  Reich  Mitani  (Cha  n  ig  alb  at) 
Vgl.  S.  125.  160  f.  376  f.  476  f. 
Saussatar  um  1475 
Artatäma 
Sutarna  um  1400 
Artasuwara 

Dusratta  ca.  1380—1355 
(Artatäma  und  Sutarna) 
Mattiwaza 

Satluara,  um  1280  von  Salmanassar  I.  besiegt.  Das  Reich 
Chanigalbat  fortan  auf  das  Gebiet  von  Melitene  westlich 
vom  Eui)hrat  beschränkt. 

3.  Das  Chetiterreich 
Vgl.  S.  25  f.  125,  2.  157,  2.  339  f.  447  f.  sowie  Forreh,  Boghazkiöi- 
texte  in  Umschrift  S.  VI  und  S.  17*  ff. 
Anitta  S.  d.  Bidchäna 

Tabarna  (Labarna)  ca.  1800 

Chattnsill. 

Mursil  I.  ca.  1750 

Chantili 

Zidanta 

Ammuna 

Chuzzija 

Telibiiius 

Dudchalia  IL  ca.  1480 
Arnuanda  I.  ca.  1460 
Chattusil  II.  ca.  1435 
Dudchalia  III.  ca.  1410 
Arnuanda  II.  ca.  1390 
Subbiluljuma  ca.  1380—1346 
Arnuanda  III.  1345 
Mursilll.  ca.  1344— 1820 
Muwattal  ca.  1320—1288 
Urchitesub  ca.  1288—1281 
Chattusil  III.  1281  bis  ca.  1260 
Dudchalia  IV.  »  / 

Arnuanda  IV.  [  ca.  1260—1200 
Dudchalia  V.    I 
Meyer,  Geschichte  des  Altivtiims.    IIi.  39 


gJQ  Königslisten 

4.  Babylon  ien 

Vgl.  S.  154  ff.  475.  478.  530,  2.  532  ff. 

Die  von  E.  Weidner  im  Anhang  zu  Meissners  Babylonien  und 
Assyrien  Bd.  II  (1925)  S.  447  gegebene  Liste  setzt  von  Nazimaruttas  II. 
an,  mit  dem  die  erhaltene  Datenliste  beginnt,  alle  Daten  um  2—3  Jahre 
tiefer;  vgl.  dazu  meine  Bemerkungen  im  Nachtrag  zum  ersten  Bande 
(1925)  S.  1  f. 

3.  Dyn.  von  Babel  (Kossaeer) 

17.  Karaindas  I.  ca.  1450—1415 

18.  Kadasmancharbe(-ellil)  I.  ca.  1415—1390 

19.  Kurigalzu  II.  ca.  1390—76 

20.  Burnaburias  II.  ca.  1376—1351 

21.  Karaindas  II.  ca.  1351—45 
(Nadbugas  1345) 

22.  Kurigalzu  III.  1344—23 

23.  Nazimaruttas  II.  1322—1297 

24.  Kadasmanturgu  1296—80 

25.  Kadasmanellil  II.  1279-74 

26.  Kudurellil  1273—65 

27.  SagaraktisuriaS  1264-52 

28.  Kastilias  III.  1251—44 

29.  Ellilnadinsum  1243—42 

30.  Kadasmancharbe  IL  1252—41  \  Tugultininurta  von  Assur 

31.  Adadsumiddin  1240—35  /König  von  Babel  1241-35 

32.  Adadsumnasir  1234—05 

33.  Melisipakll.  1204—1190 
84.  Mardukbaliddin  I.  1189-77 

35.  Zamamaäumiddin  1176 

36.  Ellilnadinache  1175—1173 

4.  Dyn.  (von  Isin) 

1.  Marduksapikzer  1172 — 55 

2.  Ninurtanadinsum  1154—49 

3.  Nebukadnezar  I.  1148  bis  ca.  1125. 

5.  Assyrien 

Vgl.  S.  157.  475,  1.  531  ff. 

"Weidner's  Liste  mit  approximativen  Daten   bei   Meissner  S.  451> 

27.  Puzurassur  IV.  ca.  1530 

28.  EllilnasirIL 

29.  Assurrabi  I. 

30.  Assurnirari  IL 

31.  Assurbelnisesu  um  1430 


Königslisten  0 1  l 


82.  Assurrimnisesu 

33.  Assurnadinache 

34.  Eribaadad  I. 

35.  Assuruballit  ca.  1375—40 

36.  Ellilnirari  bis  ca.  1325 

37.  Arikdenilu  bis  ca.  1805 

38.  Adadnirari  I.  bis  ca.  1280 

37.  Salmanassar  I.  ca.  1280—1260 

38.  Tugultininurta  I.  ca.  1260—35 

39.  Assurnadinpal  1235 

40.  Assurnirari  III.  und  Nabudan 

41.  EUilkudurusur 

Neue  Dynastie 

42.  Ninurtapalekur  I. 

48.  Assurdän  I.  ca.  1190—60 
(44.  Ninurta-Tagultiassur) 

45.  Mutakkilnusku  ca.  1160—45 

46.  Assurres'isi  ca.  1145 — 15 

47.  Tiglatpileser  I.  ca.  1115-1100 


Index 

Kg.  =  König.    Ld.  =  Land.    S.  =  Sohn.    St.  =  Stadh 


A'ahhotep,  Kgin.  50,  1.  54  ff.  75. 
Abanten  auf  Kuboea  265. 
Abdasirta  v.  Aniurru  347  ff. 
Abdchiba   v.  Jerusalem  13-").  366  f. 
Abel,  St.  in  Palaestina  92,1. 
Abila,  St.  in  Palaestina  91,  1. 
Abimelek  v.  Tyros  353.  361. 
Abirattas  v.  Barga  370,  4. 
Abusimbel  499  f. 
Achaeer  280  fl".  546  ff.  557  ff. 
Achchijawa,  Ld.  in  Kleinasien  546  ff. 
-    557  ff 
Achilleus  299. 

Achlamaeer  348  f.  474.  476  ff.  538. 
Adadnirari    L  v.  Assur   439.  475  f. 

531.  —  V.  Nuchasse  103,2.  355,  1. 
Adadsumiddin  v.  Babel  532,  1.  533. 
Adadsumnasir  v.  Babel  532,  1.  533. 

535. 
Addaja,  äg.  General  3G5  Anni.  366. 
Adrastos  v,  Sikyon  251. 
Aegina  221. 
Ägypten,  Bevölkerungsklassen  54. 1. 

105,  2. 
Aeoler.  Aiolos  263  f.  549. 
Agamemnon  249.  298. 
A'hmesnofret'ari,  Kgin.  75. 
'Alan,   Kalksteingebirge  bei  Mem- 
phis 74.  594. 
Aitaqama  v.  Kinza  354—362.   369. 

375  f.  440. 
Ajab  V.  Pella  363.  365. 
Ajalon,  ,St.  in  Palaestina  366. 
Akija  V.  Arachti  374- 
Akitesub  v.  Ni  und    v.  Tunip  374. 

874,  8.  377,  1. 
Akizzi  V.  Qatna  335.  355. 
Akko  in  Palaestina  91.  104.  363,  1. 

365  f.  435.  452.  467. 
Aksap,  St.  in  Palaestina  91, 1.  364,  3. 

366. 
Alaksanda  v.  Uilusa  302,  1.  439,  3. 

442   1. 
Alasia  (Cypern)  129.  138  f.   189,  1. 

153.  351,  2.  472.  546  f.  586. 


Aleppo26.  30.  101.  125.  131.  133,  1. 

157.  373  Anm.  376.  448. 
Alexandros  (Paris)  298.  302,  1. 
Alse,  Alzi,  Ld.  874.  377.   532.  586. 
Amanappa,  äg.  General  348  f. 
Amarna,  Archiv  334  ff.  Stadt  898  fi'. 
Amathus  auf  Cypern  7.  554. 
Ambia,  St   in  Phoenikien  348.  352. 
Amencbatbi  v.  Tnsulti  343,  3. 
Amenemheb,  äg.  General  124.  131  f. 

Freiiidvölker  im  Grabe  109. 
Amenophis  L  74  ff.  Grab  76,  2.  1 16, 2. 
-  IL  146  f.  -  in.  149  ff  318  ff 
Tod  841.  356.  -  IV.  338  ff.  857  ff 
380  ff. 
—  Hoherpriester  unter  Ramses  IX. 

605. 
Amenophis  S.  des  Paapis  422  ff. 
Amenmeses,  äg.  Kg.  580. 
Ammunira  v.  Berytos  360  f. 
Amoriter,  Amurru  18,  2.  —  im  Li- 
banon 100.  337.  847  ff.  450  ff.  468. 
480.  538.  586  f.  592. 
Amosis,  Kg.  52  ff'.  74. 
Amphiaruos  256. 

'Aniq  (Coelesyrien)  337.  354  ff.  378  f. 
'Amu,   afrikan.  Ld.  119. 
Am.yklae  253. 

Anab,  St.  in  Palaestina  95,  1. 
'Anat,  Göttin  101,  2.  457,  2.  492. 
Andreus  v.  Orchomenos  549,  1. 
Anitta,  Chetiterkg.  25. 
Anogas,  St.  im  Libanon   124. 
Aoner  in  Boeotien  266,  8. 
Apheq,    St.    in    Palaestina    90.    1. 

91,  1. 
Apollon  284  I'. 

Apöpi  III.,  Hyksoskg.  44.  47  f. 
'Apuriu,  angeb).  Volk  346,  2. 
Aqaiwasa,  Seevolk  555  ff".  578. 
Arachti,  Ld.  374. 

Arados  (Arwad)  99.  352.  458,  2.  586. 
Aramaeer  343  ff.  474. 
Arawanna  in  Armenien  448. 
Araziqi  am  Euphrat  133,  1. 


Index 


613 


Ardata,  St.  inPhoenikien  100-  126,8. 

127.  852. 
Arem,  afrikan.  Stamm  119.  140. 
Argos  =  Peloponnes  249 ;  =  Ebene 

275,  1. 
Arier  in  Vorderasien  88  ff. 
Arikdenilu  v.  Assur  475.  548. 
Arinna,  chetit.    Sonnentempel  482. 

481. 
Arkader  280.  288.  286;    auf  Kreta 

237,  1. 
Arman,  Ld.  im  Zagros  12. 
Arne  in  Boeotien  259. 
Arnuanda  III.,    chet.    Kg.    488.    — 

IV.  529.  547. 
'Aro'er,  St.  in  Palaestina  367. 
'Arqa  inPhoenikien  100.  130.  136. 

848.  8-52.  858  Anm. 
Arrapcha,  Ld.  129,  2. 
Arsu,   Choriter,   in  .Ägypten   -582  ff. 
Arrecb,  Ld.  129,  2. 
Artasuwara  v.  Mitani  161. 
Artatäma  v.  Mitani  160;  v.  Charri 

871,  1.  873  f.  876  f. 
'Aruna  bei  Megiddo  90,2.  128. 
Arzawa  (Arzawija),  Ld.  in  Kilikien 

28.  158  f.  489.  442  f.  546.  —  Fe- 
stung 597. 
Arzawija  v.  Ruchizzi  854.  860. 
Äser,    Land   und  Stamm  in  Palae- 
stina 467. 
Asia,  Esioneer  .545,  1.  557  Anm. 
Asine  in  Argolis  246.  270. 
'Asit,  Göttin  498. 
Askalon  90,  1.  866.  468.  577. 
Askanier  (Phryger)  568,  1. 
Assur,  Stelen  134.  548. 
Assurbelnisesu,  Kg.  156.  157,  1. 
Assurdän  I.  585.  587. 
Assurnadinache,  Kg.  157,  1.  370. 
Assurnadinpal,  Kg.  582,  1.  584. 
Assurnirari  III.  534. 
Assurrimnisesu,  Kg.  157,  1. 
Assurris'isi.  Kg.  588. 
Assuruballit,    Kg.  155  f.    870.   489. 

473  f. 
Assuwa,  Ld.  in  Kleinasieu  544. 
Ast  arte  in  Ägypten  492. 
'Astarot   in   Palaestina   92,  1.    485. 

489. 
Astate,  Ld.  am  Euphrat  378. 
Athamanen  259.  272. 
Athen  268  f.  277  ff'.  287.  Athenai  in 

Boeotien  260  A. 


Athena,  Göttin  277  ff. 

Attarissijas  v.  Achchijawa  547.  550. 

Aulis  299. 

Aziru  V.  Amurru  852  ff".  868  f.  874  f. 

440. 
Azzi,   Ld.  in  Armenien  439. 

Ba'al  in  Ägypten  492. 
Baläische  Sprache  6. 
Barga,  St.  in  Syrien  870,  4.  452,  2. 
Barqän,  St.  in  Palaestina  90,  2. 
Basan,  Ld.  in  Palaestina  92. 
Bentesina  v.  Amurru  451.  468.  480- 

528  f. 
Bentres-stele  484,  1. 
Berytos  in  Phoenikien  98.  860  f.  458. 
Beschneidung  558  f. 
Bet-'anat,  St.  in  Palaestina  435.  467. 
Bet-Rechob  in  Palaestina  92,  1.  434. 
Betse'an,  St  in  Palaestina  90.  186. 

482  ff.  489. 
Bet-sopher  in  Palaestina  485,  2. 
Bibchururias,  äg.  Kg.  887  f. 
Bier  17.  390,  1. 
Bijassil  v.  Karkemis  876  f. 
Bimbiras,  chet.  Kg.  25,  1. 
Biridija  v.  Megiddo  864  f. 
Biridaswa  v.  Jenu'am  854,  8. 
Boghazkiöi  522  ff. 
Botrys  in  Phoenikien  348. 
Burnaburias,  babyl.  Kg.  151.  155  f. 

363.  870. 
Buruschanda,  St.  in  Kleinasien  12. 

16.  25. 
Byblos   98  f.    188.   347  ff'.  368.  458. 

Phoenik.  Inschriften  458,  2. 
Busruna,  St.  in  Palaestina  854. 

Chaballa,  Ld.  in  Kleinasien  442,  1. 
Chabestiu,  afrik.  Stamm  119. 
Chabiri,  Beduinen  .842  fl\ 
Cha'emues,  S.  Ramses'  II.  576. 
Chaib,  äg.  Offizier  860,  8. 
Chaja,    Chäi,    äg.    General    848,  l. 

853,  2.  864,  8.  868,  1. 
Chajasi,  Ld.  in  Armenien  489. 
Chakpis,  St.  in  Kleinasien  447.  472. 
Ghana,  Ld.  am  Euphrat  27.  29.  80. 
Chani,  äg.  General  864.  868  f.  400. 
Chanigalbat  (=  Mitani)  29.  862.  477. 
Chaoner  in  Epirus  271,  8. 
Charrän  (Karrhae)  844,  2.  877.  474. 
Charrier  (=  Mitani)  5  f.  80  ff".  871.  1 . 

877.  1.  878. 


614 


Index 


Chasab,  St.  in  Palaestina  91,  1. 
Chasor,  St.  in  Palaestina  91,  1.  363. 

364,  3.  365. 
Chatib,  äg.  Offizier  368  f. 
Chattusas  (Boghazkiöi),  St.  2-5  f.  52-2. 
Chattusil  II.  157.  372  Anm.  —  III. 

445  ff.  459.  472  ff.  477  ff. 
Chazi.  St.  in  Palaestina  91,  1.  363,  3. 
Chetiter.  Typus  10.445.  Sprache  4  f. 

19.  21.  515.    Hieroglyphenschrift 

526  f. 
Chian,  Hyksoskg.  43.  164. 
Chinaton,     St.   in  Palaestina   363. 

382,  1. 
Choriter  in  Palaestina  6,  3.  88.  433. 
Chuzzija,  chet.  Kg.  28. 
Cypern,    einheim.    Sprache    7.  554. 

Griech.  Kolonien  552  ff.  vgl.  Alasia. 

Ragon,  Gott,  in  Palaestina  103,  2. 
Daidalos  auf  Kreta  213. 
Damaskus  91,  1.  354. 
Danaer  224    Danauna  224.  2.  556. 

5.59.  561.  586.  591. 
Dapur,    St.    in  Syrien  468  f.  504  f. 
Dardaner  in  Troas  301. 
Dardani   im  chetit.  Heer  301.  443. 
Dasa,  Dynast  im  'Amq  354. 
Dattasa,  chet.  St.  446. 
Debir.  St.  in  Palaestina  95,  1- 
Delos'  284. 

Der,  St.  am  Tigris  533. 
Der  el  Bahri,  Tempel  113.  117.  306  f. 
Dodona  269.  271. 
Dodun,  nub.  Gott  80.  119,  l. 
Doloper  270. 
Dorier  279  f.  Auf  Kreta  215  f.  572. 

Dorische  Wanderung  237,  1.  280, 

2.  569  S. 
Dotain,  St.  in    Palaestina  90,  2. 
Dryoper  270. 

Dubbitesub  v.  Amurru  875.  2. 
Dudchalia  IL.  chet.  Kg.  125,  2.  128. 

157.  -  III.  158  Anm.  —  IV.  451. 

529.  581.  544.  547.  —  V.  .529.  ->86. 
Duma,  St.  in  Palaestina  367. 
Dusratta,  Kg.  v.  Mitani  152.  160  f. 

Edom  93,  3.  488. 

Edre'i,  St.  in  Palaestina  92,  1.  435. 

p]je.  Kg.  V.  Ägypten  408  ff. 

Ektenen,  in  Boeotien  266,  3. 

Elam  475.  532  f.  585  ff. 

F^lensis  in  Boeotien  260  Anm. 


Elis,     Beziehungen    zu    Thessalien 

263  Anm.  275,  2. 
Elkab,  Gaufürsten  und  Gräber  59. 

68.  90. 
Ellilkudurusur  v.  Assur  534  f. 
Ellilnadinache  v.  Babel  536. 
Ellilnadinsum  v.  Babel  532,  1.  533. 
Ellilnirari  v.  Assur  475. 
Elysion  214  Anm. 
'En'anab,  St.  in  Palaestina  95, 1.  367. 
Enkomi  auf  Cypern,  Gräber  552,  1. 

565  f. 
Ephraim  486,  1. 
Epiroten  269  f. 
Erechtheus  278. 
'Esau,  Gott  492,  1. 
Eteokles.  Eteoklos  257,  1.  549. 
Etrusker  556. 
Euboea  264  f. 
Europa  254,  3. 
Eurytanen  272,  1. 

Fenchu,  angebt.  Volksname  83  An- 
merk.  97,  1. 

Gader,  Festung  im  Libanon  435. 

Gagaeer  29,  1. 

Gari,  Ld.  in  Palaestina  367. 

Garsaura,  St.  in  Kappadokien  12. 

Gasgaeer.  kleinas.  Volk  438  f.  448. 
447.  472.  479. 

Gaza  90,  1.  121.  366.  367,  6.  .56L 

Gazer  in  Palaestina  90,  1.  148.  364. 
366.  577. 

Gaziura,   St.   in  Kappadokien  447. 

Geba',  St.  in  Palaestina  95.  2. 

Gem-aten,   St.  in  Nubien  885.  496. 

Gennezaret  91. 

Germanen  38  ff'- 

Giaurkalessi,  Ruinenstadt  in  Klein- 
asien 528.  544. 

Giluchepa,  mitan.  Prinzessin  160. 

Gimtiasna,  St.  in  Palaestina  90,  2. 

Gimtikirmil  in  Palaestina  90,  1. 

Gnbtu,  Volk  am  Arab.  Meerbusen 
120  Anm. 

Gorgoneion  32.  528,  1. 

Gjsen  488. 

Graer,  Graiker  265- 

Gaddasuna,  St.  in  Palaestina  91,  1. 

Gurnia  auf  Kreta  209. 

Gutaeer  475,  1.  477,  2.  531. 

Guzana  (Teil  Chalaf)  in  Mesopo- 
tamien 29. 


Index 


615 


Habes,  Abessinien  119  f. 
ijadid,  St.  in  Palaestina  90,  1. 
yamat,  St.  in  Palaestina  92,  2.  434. 
yaremhab,  äg.  Kg.  341.  401  ff.  499, 1. 
^latsepsut,   äg.  Kgin.    112  ff.  306  f. 
Haunebt  =  Kreta  54.  10.5.    Auf  das 

Euphratgebiet  übertragen  104,  2. 

105,  2. 
Hebraeer  845  f. 
Hebron  95,  1. 

Hekalim,  bt.  in  Palaestina  92,  1. 
Helena  197.  297  f. 
Hellopia  270. 
"FAXot  270.  281. 
Heraklessage  2.50.  252,  2.  261. 
Heraklidenstammbauni  281, 2. 291. 2. 
yeriusa*,  „Sandbewohner",  in  Afrika 

81. 
Hesiod,  Tagwählerei  419,  1. 
Hiobstein  in  Palaestina  489. 
Holajaflußland  in  Kleinasien  439,  1. 

442, 1. 
Horuswege,  Landschaft  am  Isthmus 

143,  2. 
Hrihor,   Hoherpriester   u.  Kg.  605. 
yuij  Grabgemälde  141,  2.  406. 407. 1- 
Hyakinthienfest  253. 
Hyanten  in  Boeotien  264  Anm.  26n. 
Hyksos  41  ff.  47  ff.  84  f. 
Hyrieus,    Schatzhaus    des   H.    266. 

".595.  2. 

lalysos  auf  Rhodos  268.  281,  4. 

'Ijon,  St.  in  Palaestina  91,  1. 

Illyrier  567.  574. 

Indar-uta  v.  Aksap  364,  3.  366. 

Inder  in  Mitani  34  ff. 

Indogermanen.  Herkunft  und  Aus- 
breitung 20  f.  38  ff. 

Indra  in  Mitani  34. 

lonier  282  ff. 

Isis  als  große  Göttin  des  Zaubers  330. 

Isopata  auf  Kreta,  Grab  201.  249. 

Israeliten  344  f.  434.  486.  577. 

Istar  von  Ninive  134.  356.  520. 

Tsuwa,  Ld.  am  Euphrat  158.  372. 
373  f. 

Italien  573  f. 

Itonos  in  Boeotien  228,  2. 

Jancham,  äg.  General  349,  1.  350  ff. 

359.  364.  367. 
Japachaddi,  Ägypter  3.52,  2.  353,  1. 

368  Anm. 


Japhet,  lapetos  182  f.  561. 
Ja'qob'el,  St.   in  Palaestina  92,  1. 
Ja'udi  im  Amanosgebiet  .345,  1. 
Jehem,    St.    in    Palaestina    90,   1. 

122. 
Jenu'am,  St.  in  Palaestina  124.  354. 

434.  577. 
Jericho  86.  96. 
Jerusalem  95.  135.  366  f. 
Jible'am,  St.  in  Palaestina  90,  2. 
Joppe  90,  1.  367,  6. 
Joqne'am,   St.   in  Palaestina  89,  2. 

90,  2.  91,  1. 
Jsp'el  in  Palaestina  89,  2. 
Jursa,  St.  in  Palaestina  90,  1.  121. 

Kadasmancharbe  L,    Kg.    152.    155 

Anm.  (474)  —  II.  532.  1.  .533. 
Kadasmanellil  IL,  Kg.  448.  478  f. 
Kadasmanturgu,  Kg.  448.  478. 
Kadmeer  254  ff. 

Kafti  (Kreter)  107  ff  139.  182  ff. 
Kahak,    libyscher    Stamm   81.  431. 

578.  .584.  594. 
Kakovatos    (Pylos),     Kuppelgräber 

254. 
Kamose,  Kg.  49  ff. 
Kana'an  88  f.  Festung  433. 
Kanes,  St.  in  Kleinasien  5.  12.  16. 

24.  447. 
Kaptor  94,  3.  108  f.  560. 
Karachardas,  Kg.  153,  3. 
Karaindas  I.  153.  156  Anm.  ^   IL 

153,  8.  155  f.  370.  474. 
Karer  216. 

Kari.  Grenzland  in  Nubien  79.  1 50. 
Karkemis   28.    131.   376.   378.  439. 

443.  476.  586. 
Karkisa   in  Kleinasien  473.  493,  2. 
Karnak,  Tempel  73.  115.  121.  308  ff. 

428  f.  497.  597. 
Kasijargebirge  476  f. 
Kaspier  41.  1. 
Kastilias  IL  532. 
Kelte  (Qe'ila)   in   Palaestina  95,  I. 

366. 
Kidinchutrudas  v.  Elam  532. 
Kikkuli  V.  Mitani, Werk  über  Pferde- 
zucht 84  f.  .521. 
Kiliker  in  Ägypten  493. 
Kinyras  v.  Paphos  555. 
Kinza  (=:  Qades)  100;  s.  Aitaqama. 
sar  kissati,  assyr.  Königstitel  27. 

681. 


616 


Index 


Kizwatna  (Kappadokien)  158,  1.  372 
Anm.  373.  447.  514.  529. 

Komana  158,  1.  441.  511. 

Kopaissee  259.  261,  4. 

Kossaeerreich  27.  80.  40  f.  137,  5. 
153.  475.  536. 

Kreta,  Kreter  162  ff.;  vgl.  Kafti. 
Bei  den  Philistern  94,  3.  560. 

Kudmuch.  assyr.  Provinz  134.  475. 

Kudurnachunte  von  Elam  536. 

Ä;(fdztr/Vf,babyl. Urkundensteine  541. 

Kültepe  in  Kappadokien,  assyr.  Ko- 
lonie 13.  17.  23. 

Kumidi,  St.  in  Palaestina  91,  1.  354. 
359,  3.  485. 

Kummuch  (Kommagene)  475,  1. 

Kureten  264  Anm. 

Kurigalzu  I.  u.U.  154.  1-55,  1.  — 
III.  475.  533. 

Kurion  auf  Cypern  553. 

Kus  (Nubien),  Provinz  und  Statt- 
halter 80  f.  140  f. ;  in  den  Amar- 
natafeln  Kasi  137,  5. 

Kusae,  St.,  Grenze  der  Thebais  51. 
GG. 

Kussar,  chetit.  Stadt  25.  512. 

Kutmar  am  Tigris  374,  2. 

Kuwalija,  Ld.  in  Kleinasien  442.  1. 

Kykladen  263  f.  268. 

Labaja.  Dynast,  in  Palaestina  336. 

364  f.  366. 
Laban,  Ahne  der  Aramaeer  844.  2. 

474. 
Labarna  (Tabarna),  chet.  Kg.  25. 
Labyrinth    in    Knossos    189,  2;    im 

Faijüm  314  Anm. 
Lais,  St.  in  Palaestina  91,  1- 
Lakis.  St.  in  Palaestina  90,  1.  103,  3. 

.366. 
Lapana,  St.  in  Syrien  354. 
Lazpas  in  Kleinasien,  nicht  gleich 

Lesbos  549  f. 
Libanon    124  f.    135  f.   35-5,  1.  485. 

äg.  Festung  im  L.  125.  462,  2. 
Libyer,  Völkertypen  81,  4.  435,  4.  — 

Geichichte    81.    142.   405.   430  f. 

435  f.  566.  575  ff.  588  ff. 
Lulachi-Götter,  chetit.  342. 
Lulubaeer  (Lulumaeer)  475.  538. 
Lupakku,  chetit.  Feldherr  378  f. 
Luwier,  Volk  und  Sprache  6. 
Lydda  in  Palaestina  87,  4.  90,  1. 
Lyder,  Stammbaum  556,  2. 


Lykier  (Luka,  Lugga)  214.  286.  301  f. 

443.  545  ff'.  555  ff'.  578. 
Luxor,  Tempel  315  f.  319.  408.  497. 

Machas,  St.  in  Palaestina  90,  1. 
Magdol,   Festung  in  Ägypten   590. 
Maja,  äg.  General  364,  4. 
Majarzana  v.  Chazi  363.  8. 
Makedonen  273  f. 
Malta.  Steinhäuser  219. 
Manda.  Nordvölker  12.  35,  3. 
Mardukbaliddin  I.  v.  Babel  585. 
Marduksapikzer  v.  Babel  537. 
Marjanni,    arische   Krieger   34.  48. 
83,  1.  102  ff'.    161.  374.  377.  405. 
4,59.  2. 
Mäsa,  kleinas.  Volk  22,  1.  443. 
Masauasa  (Maxyer),  libysches  Volk 

481.  575  f.  578  f.  588  f. 
Mattiwaza,  Kg.  v.  Mitani  377  f. 
Mazoi,   nubische   Polizeitruppe  81. 

899. 
Me'am,  St.  in  Nubien  (Ibrim)  142. 
Medinet  Habu,  Tempel  595  f. 
Megären  223.  243. 
Megiddo  90,  2.  123  f.  364  f. 
Melisipak  I.  von  Babel  155  Anm.  — 

II.  535. 
Melitene  477. 
Melos    162.    216.    26H.    Fischer vase 

182,  2.   „Hausmodell"   219,  2. 
Melucha,BezeichnungNubiensl37,5. 
Menelaos  298. 
Mencheperre'senib,      Grabgemälde 

109.  132,  2. 
Mennus  in  Nordsyrien  452,  2. 
Merneptah,   Kg.    v.  Ägypten  529  f. 

576  ft'.  Brunnen  M's  bei  Jerusalem 

577  f.  —  Merneptah  Siptah  580  f. 
Merom,  St.  in  Palaestina  91,  1.  467. 
fjiEpons?  270. 

Mideia  in  Argolis  216. 

Migdol,  St.  in  Palaestina  90,  1,  vgl. 

Magdol. 
Milet  551  f. 

Milkil,  palaestin.  Dynast  364  fi'. 
Millawanda,  Ld.  in  Kleinasien  (Mi- 

lyas)  545,2.  546. 
Minoa  213  f.  561  (Gaza). 
Minos  212  ff. 
Minotauros  212,  2. 
Minyer  262  f. 
Mira,  Ld.  in  Kleinasien  442,  1.  479. 

480.  1. 


Index 


617 


Mis'al,  St.  in  Palaestina  91,  1. 
Mitani,  Reich  28  f.  33  ff.  101.  125  ff. 

130.    133  f.    147  f.    152  ff.   160  ff. 

350  ff.  369  ff.  439,  3.  476  f. 
Moehlos  auf  Kreta  209. 
Molosser  271.  272  Anm. 
Mopsos  271  Anm. 
Mopsopia,  Name  Attikas  267,  1.  270. 
Mopsion  in  Thessalien  271  Anm. 
Moscher,  kleinas.  Volk  586. 
Mursil  I.,  chet.  Kg.  25  f.  -  II.  337.  2. 

339  f.  438  ff.  .546.  549. 
Musanez,  Ld.  in  Kleinasien  443. 
Mutakkilnusku,  Kg.  v.  .Assyrien  537. 
Mutira,  St.  in  Syrien  468. 
Muwattal,   chet.   Kg.   445  ff'.  4.^8  ft'. 

469.  472. 
Muzri,  Ld.  bei  Ninive  440.  474. 
Mykene  225  ff.  Kriegervase  563. 
Myser  568  f. 

Na'aruna,   Truppenname   430.  462. 

464. 
Nabudän,  Kg.  v.  Assur  531. 
Naharain,  Ld.  am  Euphrat  101. 
Nairiländer  in  den  armen.  Bergen 

532. 
Namjawaza.  syr.  Dynast  354. 358. 363. 
Napata  in  Nubien  80  f.  142. 
Naramsin  v.  Akkad  12. 
Nauplia  in  Argolis  245  f. 
Nazibugas,  Ursurpator  in  Babel  475. 
Nazimaruttas  IL,  Kg.  v.  Babel  155  f. 

475. 
Nebukadnezarl.  v.  Babel  536,  2.  538. 
Nechen,  Gaufürsten  von,  81,  1. 
Negeb  in  Palaestina  90,  1.  94.  129. 
Neger   im    Heer   Ramses'  III.    579. 

588._  592. 
Nemaju,  nub.  Stamm  119. 
Nerab  in  Nordsyrien  133,  1. 
Ni,  Neje,  St.  im  Euphratgebiet  101. 

107.  128.  131.  147.  355.  372. 
Ninive,  Istar  von  1.34.  356.  520.  Im 

Besitz  von  Mitani  134.  Assyrisch 

473. 
Ninurtanadinsum,  Kg.  v.  Babel  537. 
Ninurtapalekur,    Kg.  v.  Assur  535. 
Ninurta-Tugultiassur,  Kg.  v.  Assur 

537. 
Nippur,    St.  in    Babylonien  154,  1. 

533. 
Nofret'ari,    Gemahlin    Ramses'    IL 

482  f.  500. 


Nofret-ite,  Gemahlin  Amenophis'  IV. 

388.  397.  400.  409. 
NofrureS  Tochter  der  IJatsepsut  115. 

121,  .8. 
Nubien  51.  79  f.  111.  137,  5.  140  ff. 

495  f.  499.  506. 
Nuchasse,  Ld.  in  Syrien  101.  108,  2. 

124,  2.    35.5.    362.    .368.  871  Anm. 

374  ff  440.  443.  473. 
Nympha_on,  chetit.  Relief  von  N.  544. 

Oasen  ^2. 
Ody^seus  286.  289. 
Oedipus  256  f. 
Ono,  St.  in  Palaestina  90,  1. 
Orchomenos  in  Boeotien  260  ft'.  279. 
Oropos,  St.  der  Graer  265. 
Osarsiph  bei  Manetho  422  ff.  583  f. 
Osymandyas,     Grab     (Ramesseum) 
498,  2. 

Pabach,  Ld.  in  Syrien  452,  2. 

Pachamnata,,  äg.  General  347.  348, 1. 

Pachor  (Bichura,  Puchura),  äg.  Ge- 
neral 359. 

Palladion  241  f.  277. 

Pamba,  chetit.  Kg.  12.  24,  1. 

Pamphyler  548. 

Päpanikri,  Ritualschrift  des  P.  521,1. 

Paphos  auf  Cypern  553.  555. 

Pawara,  äg.  General  360,  3.  364,  4. 

Pelasger  218,  3.  231,  3.  237,  1. 

Pella,  St.  in  Palaestina  92,  1.  2.  365. 
433. 

Pelops  250.  270. 

Petor  in  Mesopotamien  133,  1. 

Pferd  23.  32.  34  f.  44  f. 

Phaestos,  Diskus  217  f.  561  f. 

Pharis  in  Lakonien  253,  1. 

Philister  218.  556.  560  ff.  579.  586  ff. 
590  f.  593. 

Phlegyer  262,  2. 

Phoeniker  83.  97,  1.  138.  435.  452  f. 
479.  489.  491.  .593. 

Phoenix  255  Anm. 

Phryger  567  f. 

Phylakopi  auf  Melos  162. 

Pitasa,  Ld.  in  Kleinasien  443. 

Pitom,  St.  in  Ägypten  454,  3.  487  f. 

Pleuron  in  Aetolien  263  f. 

Poseidon  278.  280,  2.  282.  .. 

Prophetische  Literatur  in  Ägypten 
424  f. 

Prosymna  in  Argolis  242.  244.  2.52. 


618 


Index 


Pseira,   Insel  bei  Kreta  209. 
Pucluchepa,  Gemahlin  ChattusirsIII. 

441.  472.  483. 
Puemre'^,  Grabgemälde  und  Inschr. 

106,  5.  143,  2. 
Punt  117  ff.  140.  142  f.  490  f.  594. 
Puranda     (Pyramos)     in     Kilikien 

1.Ö9,  1.  439,  1. 
Purukuzzi,  Ld.  am  Euphrat  532.  586. 
Puzurassur  I\^  v.  Assur  157,  1. 
Pylos  im  Peloponnes  254. 

Qades    am    Orontes    100  f.    122  ff. 

130  ff.  443  ff'.,  vgl.  Kinza  u.  Aita- 

qama.    Schlacht  bei  438.  458  ff. 

504.  —  Göttin  100  f.  497.  —  in 

Galilaea  450. 
Qana,  St.  in  Palaestina  91,  1. 
Qart'aiiab,  St.  in  Palaestina  435. 
Qatna,  St.  in  Syrien  354,  3.  355.  374. 
Qedi,    Ld.  in  Nordsyrien  102.  122. 

443.  471.  493.  495.  686. 
Qe'ila,  St.  in  Palaestina  9.5,  1.  366. 
Qir,  Wüstenheimat   der  Aramaeer 

344,  2.  474. 
Qirjatsopher,  St.  in  Palaestina  95, 1. 

Rachmanum,  äg.  Offizier  364,  4. 
Ramses  I.  427  f.  —  II.  44S  f.  455  ff". 

-  IIL  583  ff.  —  iV.  417.  601  ff. 

—  V.-XI.  604  f.  —  Ramses  Sip- 
tah  580  f.  —  Stadt  453  f.  487,  5. 
494  f. 

Rechmere',  Vezir   62,  1.    107.    135. 

Grab  1.36. 
Rechob  in  Palaestina  92,  1.  434. 
Resep,  Gott  492. 

Rezenu  (Palaestina)  83,  1.  87.  135  f. 
Rhadamanthys  214,  Anm. 
Rhampsinit  595,  2. 
Rhinokorura  in  Ägypten  413,  2. 
Rhodos  268  f. 

Rianappa,  äg.  Offizier  364,  4. 
Ribaddi  V.  Byblos  335  f.  347-364. 
Rosqados  in  Phoenikien  101. 
Rubnte,  St.  in  Palaestina  90,  1. 
Ruchizzi,  Ld.  in  Syrien  354. 

Sabili  V.  Amurru  451. 
Sagaraktisurias,  Kg.  v.  Babel  530.  3. 

533,  2.  537. 
Sakalsa  (Sikeler?)  220.  555  ff.  578. 

586. 
S'akere',  Kg.  v.  Ägypten  400. 


Salamis,  St.  auf  Cypern  553  f. 
Salem,  St.  in  Palaestina  467. 
Salmanassar  I.  v.  Assur  343.  476  f. 
Salmone,  St.  in  Elis  275,  2. 
Samucha,  St.  in  Kleinasien  473. 
.Samchuna,  St.  in  Palaestina  91,  3. 
Samsedom,  St.  in  Palaestina  91,  1- 

93,3.  147. 
Samsiadad  II.  v.  Assur  15,  1.  27. 
Sangar  (Sanchara),  d.  i.  Sinear  (Ba- 

bylonien)  103,  1.  128.  439,  3.  457. 
Sauden,  kilik.  Gott  6. 
Saratu  v.  Akko  363,  1.^ 
Sardinien  218  f.  vgl.  .Serdana. 
Sargon  v.  Akkad  11  f.  1-5,  1.  —  v. 

Assur  13. 
Sarön,  St.  in  Palaestina  91,  1.  3. 
Sarrupsa  v.  Nuchasse  362.  374  f. 
.Saruchan,  St.  in  Palaestina  52.  82. 
^  95.  12L 

Saschimi,  St.  in  Palaestina  91,  1. 
Sattuara  v.  Mitani  476. 
Satuna,  St.  im  Libanon  468. 
Sauska,    charrische    Göttin    134,  1. 

161. 
Saussatär  v.  Mitani  125.  133. 
Sechaflußland  in  Kleinasien  442,  1. 

472,  2. 
Se'ir,  Ld.  südlich  v.  Palaestina  9.3,  3. 

587,  2.  593. 
.Sem,  Ahne  der  Hebraeer  346. 
Sendjirli,  Skulpturen  31  f. 
Senmut,  Vezir   der  Hatsepsut  106. 

114  f.  116  f.  121.  306. 
Serdana  im  äg.  Heer  57  f.  219.  430. 

457  f.  495.  579.  584.  588.  Kriegs- 
züge gegen  Ägypten  457  f.  555  ff". 

578.  586  ff. 
Sesebi   in   Nubien  (Gem-aten)  885. 
Setfest  149,  2.  381 A.  383  f. 
Sethos  L   431  ff".   491.  497.  499.  — 

IL  581. 
Setnacht,  Kg.  582  ff". 
Sfat,  St.  in  Palaestina  90,  2. 
Sichern,    St.  in  Palaestina  95.  364. 
Sichor,  Lagune  im  Delta  494. 
Sicilien  in  rayken.  Zeit  219. 
Sidon  98.  349.  361. 
Sigata  in  Phoenikien  852. 
Sikeler  557.  ,574;  vgl.  Sakalsa. 
Sile,  ägypt.  Grenzfeste  93. 122.433, 1. 

453.  461.  489. 
Simyra  in  Phoenikien  100.  127.  136. 

347  ff.  8.52.  858  ff.  868.  4-52.  471. 


Index 


619 


Sinaihalbinsel,  ägypt.  Provinz  143. 

595. 
Sinear  s.  Sangar. 
Sinzar,  St.  in  Syrien  101.  128.  131. 

355  (Zinzar). 
Siptah,  äg.  Kg.  580  f. 
Soko,  St.  in  Palaestina  90,  1. 
Solymer  545. 

§or'a,  St.  in  Palaestina  366. 
Sos,  Beduinen  Palaestinas  93.  112. 

129.  431  ff.  466.  486  ff.  592  f. 
Styx  in  Arkadien  286,  2. 
Subanda,  Dynast  in  Palaestina  364, 3. 
Subari   in    Mesopotamien    (Mitani) 

362,  3.  440.  474  ff.  532. 
Subbiluljuma.  chetit.  Kg.  339.  350  f. 

355  f.  361  f.  868  ff  400.  404.  436  f. 

512. 
Suezkanal  117.  487.  595. 
Sukkot,  St.  in  Ägypten  488. 
Sum-adda  v.  Samchuna  363,  1. 
Sunassui-a,  Kg.  v.  Kizwatna  373. 
.Sunem,  St.  in  Palaestina  90,  2.  364 f. 
Surata  v.  Akko  349,  1. 
Süta,    St.  in   Mesopotamien  374,  2. 
Öuta,  äg.  General  363,  2.  365  Anm. 
Sutarna,    Kg.    v.   Mitani    160;    ein 

späterer  374,  1.  375  f. 
Suti,  beduinische  Schützen  1*3.  137. 

343.  366,  5.  369.  474.  476. 
Sutruknachunte  v.  Elam  535  f. 
Suwardata  v.  Qe'ila  366  f. 

Ta'anak,    St.    in    Palaestina   90.  2. 

123. 
Tabarna  (Labarna),  chetit.  Kg.  25. 
Tachas  in  Coelesyrien  132.  147.  149. 

354.  358. 
Taduchepa,  mitan.  Prinzessin  356  f. 
Tagi,    Dynast  in  Palaestina  864  ff. 
Takuwa  v.  Ni  374.  377,  1. 
Tanagra  265,3. 

Ta'o  I.  u.  IL  von  Ägypten  47  f. 
Tarchundarab  v.  Arzawa  152.  159. 
Tarqu,  kleinas.  Gott  6.  9. 
Tausert,  äg.  Königin  581. 
Tebach  (Tubichi)  in  Palaestina  91, 1. 

132,  1. 
Teje,  Gemahlin  Amenophis'  III.  152. 

IGO.  319.  357.  898. 
Telibinus,  chetit.  Kg.  27  f.  518.  — 

V.  Aleppo  376.  441. 
Teil  Chalaf  in  Mesopotamien  1.5,  1. 

29.  33. 


Temmiker  in  Boeotien  und  Attika 

260  Anm.  267.  1. 
Tenni,  St.  in  Palaestina  83,  1,  vgl. 

ISO,  2. 
Tesub,  kleinas.  Gott  32.  42. 
Tettev.Nuchasse37lAnm.  373  Anm. 

375. 
Teukrer  301.  569. 
Teuwatti  v.  Lapana  354. 
Theben  in  Boeotien  254  f. 
Thera  262. 

Theseus  und  Helena  297.  298,  1. 
Thouti.  äg.  General  139,  2. 
Thutmosis  I.  75  f.  79  f.  308.  310,  1. 

Grab  116,  2.  204.    Palast  in  Mem- 
phis 407.  —  II.  110  ff.  —  III.  76. 

112  f.   120  ff.   309.   —  IV.   148  f. 

sein  Streitwagen  149.  311. 
Tinniru,  Stadt  am  Chaboras  133,  1. 
Tiryns  242  ff.  Sagengeschichte  2-50, 2. 

252  Anm. 
Tob,  Ld.  in  Palaestina  92,  1. 
i'ogarma,   Ld.  in  Kappadokien  28. 
Tombos,  Inschrift  v.  79,  1.  80.  82,  4. 

104  f.  127,  3. 
Torrlieber,  lydischer  Stamm  556,  2. 
Tramilen  (Lykier)  545  f. 
Triton  in  Boeotien  260  Anm.  278- 
Troja,  Troer  300  f.  Angebl.  bei  den 

Chetitern  545,  1. 
Tubichi  (Tebach)  in  Palaestina  91 .  I . 

132,  1.  364  Anm. 
Tuchi,  Usurpator  in  Mitani  161- 
Tugultininurta  I.   v.  Assur  531  fl'. 
tuhir,  chetit.  Fußvolk  102,  8.  126. 

445,  1.  459,  1.  460,  2.  557. 
Wadi  Tümilät  487  f. 
Tunanat  in  Syrien  130,  2.  355. 
Tunip,  St.  in  Syrien  30.  109.  126  f. 

130  ff.  355.  358.  368.  374  f.  376. 

443.  469... 
Turbicha,  Ägypter  353  Anm. 
Tursa  555  ff".  '564.  566.   578  f.  .588. 
Tusulti,    St.    in    Palaestina    91,  1. 

363,  3. 
Tut'anch-amon,  äg.  Kg.  401  ff. 
Tyana  in  Kleinasien  25. 
Tydeus,  Aetoler  258. 
Tyros  98.    122,  1.    349.    353.   360  f. 

435.  4.52. 
Tyrsener  556,  vgl.  Tursa. 

üarzet,  St.  in  Syrien  126-  133. 
Uases,  Seevolk  556.  559.  586. 


620 


Index 


Uauat,     nubische     Provinz    140  f. 

149. 
Ubi,  Gebiet  von  Damaskus,  88.  92. 

3.54.  358. 
Ugarit,  St.  in  Syrien  29,  1.  132.  142. 

349..  4.  352.  443. 
Uilusa,    Ld.    in   Kleinasien   439,  3. 
..442,1. 

Üjük,  chetit.  Stadtruinen  525. 
üllaza,  St.  in  Phoenikien  100.  127. 

348.  352.  452. 
Urchitesub.   chetit.  Kg.  472  f.  479. 
üruatri.  Urartu,  in  Armenien  475. 1. 

476,  2. 
User,  Vezir  Thutmosis'  III.  106. 
üsu  (Palaetyros)  98.  360.  435. 


Wassuganni,   Hauptstadt  v.  Mitai 

29.  374.  376.  378.  476. 
Wezentiu,  Inselvolk  142.  1. 


Zaban  in  Assyrien  535. 
Zahl,  Phoenikien  88,  1. 
Zakkari,   Seevolk   556.   560  tf.   579. 

.586  ff. ^590  f.  597. 
Zamamasumiddin  v.  Babel  535  f. 
Zaru  s.  Sile. 
Zatatna  v.  Akko  363,  1. 
Zehenu,  libyscher  Stamm  81,  4.  436 

Anm. 
Zemhu,  libyscher  Stamm  81,  4.  436 

Anm. 
Zeus  als  Lokalgott  276  f.  —  Z.  her- 

keios  223. 
Zidä  (Zitana),   chetit.  Prinz  159,  8. 

379,  1.  446,  1.  472. 
Zimrida  v.  Sidon  349.  360.  361,  2. 
Zinzar,  St.  in  Syrien  131.  355,  siehe 

Sinzar. 
Ziribasani,  St.  in  Palaestina  92,  1. 

589,  2. 
Zurata  v.  Akko  365  f. 


Tafel  1 


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r 


Semitische  und  arische  (Tefaii,t>'cne,  von  Äg-yptern  geführt 
Aus  dem  Grabe  des  Haieuihab  (Leiden,  nach  ihotograpliie) 


Tafel  11 


KrctiseliLM-  Ucsjui'lter 
Aus  dem  (ir.ibe  des  .Senmut.  Theben,  Fremd  vr.Ikerphot.  742 


^j^iM^tm^ 


Gesandtschaft  der  Kafti 
Aus  dem  G.  abe  des  Rechmtr;-.  Theben,  nach  der  Zeichnnno-  v,n,  Hay  im  British  M, 


Tafel  III 


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Kafti 

aus  dem  tirabe  des  Rechmere. 

Theben,  nach  der  Zeichnung 

von  Hay  im  British  Museum 


Kreter 

t.us  dem  Prozessionsfresko  voi 

Knossos.   Nach  Dussaud, 

Civil.  ))rt'helU'ii.   «.  CO 


Kretischer  Fürst  und  Offizier  auf  einem  Steatitbecher 
Aus  Ilagia  Triada.   Nach  Dussaud,  Civil,  prelielh'n.  S.  ö4 


Tafel  IV 


Tafel  V 


-^V\^" 


~^ 


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Serdiiua  aus  der  (ianle  Humses*  II. 
Abydos,  Frt'mdvölkerphot.  84 


;^  '^. 


I     ( 


'^\. 


h    WS^^J: 


Bcduinon.  Syrer  und  Chetiter  aus  der  Sehlacht  l)ei  <,)ade> 
fiUxor,  Freiudviilkerpliiit.  425 


Tat>l  VI 


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^j' 

^w 


H 


a  u.  b  Krieger  von  der  myke- 

nisclien  Kriegervase 

Nach  Tsnntas-Manatt.  Myc.  agH 

Tafel  18 


^V 


xJs 


c 


'I'iiisa  im  iigv)itiscbt'n  Heer  in  der  Liltyerschlacht  l»ainses'  Hl. 
Mcilinet  Habu.  nacli  Fremdvölkerpliut.  4M4 


Philister  aus  der  Secvsehlaclit  Hanises'  111. 
Mediiiet  Halju.  nacli  Fivnnl  v.Ukeri.lior.  4.i.-.  A 


Tafel  VI 


Silbervase  uns  tleni  vierteil  .SthiielitgraJ)  von  Mykene 
Nach  K.  Müller.  Archntol.  .lal.rb.  XXX.  3J(I 


^^^^^ 


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I  '\v;'ri.'. 


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Üdtiiiffl«fa 


Philister  und  Serdana,  Tursa.  Ne^er  im  Heere  Ifaiiises"  III. 
Mediupf  Haliu.  FiviM,lvnIkernl:of.  \-l\) 


Tafel  VIII 


(Toldrinu-e 
vierten  Sfhachturnb  vun  i\Jykfnp.  nach  Pliotograpliie.  b  aus  M,\  keiie.  nach  Photographi 
c  uiid  ü  ans  Mykene,  e  aus  Knossos.  f  SiegelalMlrui  k  au>  Knossos 
Nacli  Kam.  Religion  des  äoaeis(  lien  Kreisi's  Nr.  75.  7*i.  74.  ßß 


J.  G.  Cotta'sche  Buchhandlung  Nachf.,  Stuttgart  u.  Berlin 


EDUARD  MEYER 

Geschichte  des  Altertums 

i.Bd.,  I.Hälfte:  Einleitung.  Elemente  der  An  t  lirop  ologie. 
5.  Aufl.  Geh.  Rm.7. — ,  GanzleinenRm.  9.50,  Haibieder  Rm.  14.— 

1.  Bd.,  2.  Hälfte:  Die  alt  est  en  geschichtlichen  Völker  und 
Kulturen  bis  zum  sechzehnten  Jahrhundert.  5.  Aufl. 
Geh.  Rm.  26.  —  ,  Ganzleinen  Rm.  30. — ,  Halbleder  Rm.  36.— 

Nachtrag  zu  Band  1:  Die  ältere  Chronologie  Babyloniens, 
Assyriens  und  Ägyptens.  Geh.Rm.3. — , Ganzleinen  Rm. 5.- 

.  .  .  Eduard  Meyers  großzügige  Darstellung  stützt  sich  auf  eine  er- 
staunliche, bis  in  die  kleinsten  Einzelheiten  gehende  Kenntnis  fast 
aller  in  Betracht  kommenden  Wissenszweige  und  ihrer  Literatur, 
und  der  großartige  Überbhck  über  das  gesamte,  ihm  überall  sofort 
gegenwärtige  Material  und  damit  über  voneinander  weit  ab- 
liegende analoge  Erscheinungen  ist  es,  der  seiner  Geschichte  des 
Altertums  ihre  Bedeutung  und  ihren  Reiz  verleiht. 

Literarisches  Zentral  blatt,    Leipzig 

.  .  .  Indem  E.  Meyer  sich  in  seiner  umfassenden  Gelehrsamkeit  in 
diesem  Nachtrag  mit  den  Anschauungen  anderer  Forscher  ausein- 
andersetzt, kommt  er  schließlich  zu  dem  weltgeschichtlich  bedeuten- 
den Ergebnis,  daß  Ägj'pten  die  Priorität  nicht  nur  vor  Babylonien, 
sondern  in  der  gesamten  menschlichen  Entwicklung  behält.  Den 
Lesern  des  1.  Bandes  wird  diese  Darlegung  des  gx-oßen  Gelehrten 
hochwillkommen  sein.  Hamburger  Nachrichten 

Caesars  Monarchie 

und    das    Principat    des    Pompejus 

Innere  Geschichte  Roms  von  66  bis  44  v.  Chr. 


Dritte  Aufh 


Geheftet  Rm.  10.—,  Ganzleinen  Rm.  15.50 


. . .  Wie  über  Droysens  Beurteilung  der  deutschen  Politik  Preußens 
Erdmannsdörffer  und  Koser  haben  hinaiiskommen  müssen,  so  hat 
der  V^erfasser  erst  gege.\  Mommscn  die  Möglichkeit  erwiesen,  eine 
rr.mische  Geschichte  über  Caesars  Tod  hinaus  zu  schreiben  mit 
dem  Verständnis  für  das  Principat  als  das  natürliche  Ergebnis 
römischer  Geschichte  ... 

Das  humanistische  Gymnasium,  Leipzig 

.  .  .  Wer  die  wissenschaftlich  meisterhaft  fundierte,  prachtvoll  dra- 
matische Darstellung  bewegten  Herzens  liest,  wird  den  Erfolg  des 
Buches  verstehen.       Süddeutsche  Monatshefte,  München 


J.  G.  Cotta'sche  Buchhandlung  Nachf.,  Stuttgart  u.  Berlin 

EDUARD  MEYER 

Ursprung 
und  Anfänge  des  Christentums 

In  drei  Bänden 

1.  Band:  Die  Evangelien.  4.  und  5.  Auflage.  Geh.  Rm.  10. — . 
Halbleinen  Rm.  12.50,  Ganzleinen  Rm.  13.— 

2.  Band:  Die  Entwicklung  des  Judentums  und  Jesus  von 
Nazareth.  4.  und  5.  Auflage.  Geheftet  Rm.  15.—,  Halbleinen 
Rm.  17.50,  Ganzleinen  Rm.  18. — 

5.  Band :  Die  Apostelgeschichte  und  die  Anfänge  des 
Christentums.  1.-3. Auflage.  Geheftet  Rm.  20.  —  ,  Halbleinen 
Rm.  25. — ,  Ganzleinen  Rm.  23.50 

.  . .  Mit  Recht  ist  der  vorzügliche  Kenner  des  Altertums  in  allen 
seinen  Kulturerscheiriungen  inzwischen  von  der  Friedrich -Wil- 
helms-Universität mit  dem  Titel  eines  Ehrendoktors  der  Theologie 
beliehen  worden,  hat  er  es  doch  in  diesem  seinem  Werke  meister- 
haft verstanden,  seine  hervorragenden  Kenntnisse  des  Altertums 
für  das  bessere  Verständnis  der  christlichen  Zeiten  bis  in  die  An- 
fänge der  katholischen  Kirche  hinein  nutzbar  zu  machen  ...  An 
Eduard  Meyers  ebenso  großzügigem  wie  subtil  sorgfältigem 
Werke  kann  künftig  niemand  vorübergehen,  der  sich  ernstlich 
wissenschaftlich  mit  den  ersten  drei  Jahrhunderten  des  Christen- 
tums beschäftigen  will.  Kölnische  Zeitung 

England 

Seine  staatliche  und  politische  Entwicklung 
und  der  Krieg  gegen  Deutschland 
6.  und  -..Auflage.   Geheftet  Rm.  4. — ,  Ganzleinen  Rm.  6.50 
Eduard  Meyer  hat  uns  mit  seinem  Buche  „England"  ein  ausge- 
zeichnetes  Kriegsbuch   geschenkt,  das   in   lebendiger,  fesselnder 
Darstellung  eine   Fülle  von   Belehrung  bietet    und  uns  die  Zu- 
sammenhänge des  Krieges  in  großartiger  Auffassung  schildert  .  .  . 
Geheimrat  Prof.  G.  v.  Below  in  ..Deutsche  Wacht" 

Weltgeschichte  und  Weltkrieg 

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...  So  wissen  wir  denn  zum  vornherein,  daß  E.Meyers  „Gesammelte 
Aufsätze"  zum  ganz  Guten  gehören  müssen.  Und  wirklich  —  was 
er  uns  da  auseinandersetzt,  gehört  zum  Inhaltsreichsten,  was  man 
lesen  kann  .. .  Schweizerische   Militärzeitung 


J.  G.  Cotta'sche  Buchhandlung  Nachf.,  Stuttgart  u.  Berlin 

KURT  BREYSIG 

Vom  geschichtlichen  Werden 

Umrisse  einer  zukünftigen  Geschichtslehre 

Erst  er  Band  : 
Persönlichkeit  und  Entwicklung 
Geheftet  Rm.  8. — ,  Ganzleinen  Rm.  10.50 
Der  Mensch  als  Persönlichkeit  wird  durch  Breysig  wieder  in  lang 
entbehrte  Rechte  eingesetzt  und  in  jedem  ein  Gefühl  der  Verant- 
wortung geschärft  .  .  .  Vossische  Zeitung 

Zweiter  Band  : 
Die  Macht  des  Gedankens  in  der  Geschichte 
In  Auseinandersetzung  mit  Marx  und  mit  Hegel 
Geheftet  Rm.  15. — ,  Ganzleinen  Rm.  18.— 
.  .  .  Schon  heute  läßt  sich  sagen,  daß  hier  eine  empirische  Ge- 
schichts-  und  Kulturphilosophie  erwächst,  die,  was  man  auch  in 
Einzeliieiten  dagegen  vorbringen   mag,  durch  Weite  des  Blicks 
und   eine   sensitive   Feinheit   für  Einzelfragen   sich   dem   Bedeu- 
tendsten an  die  Seite  stellt,  was  heute  geschrieben  wird. 
Literar.  Berichte  a.d.  Gebiete  der  Philosophie,  Erfurt 

Dritter  Band: 

Der  Weg  der  Menschheit 

Geheftet  Rm.  14. — ,  Ganzleinen  Rm.  1  j. — 

Eine  erste,  biologisch  erkennende  Universalgeschichte.  Mit  diesem       j 

dritten  Bande  erhält  Kurt  Breysigs  große  Geschichtslehre  ..Vom 

geschichtlichen  Werden"  ihren  krönenden  Abschluß. 

Der  Stufenbau  und 
die  Gesetze  der  Weltgeschichte 

Zweite,  stark  vermehrte  Auflage 
Geheftet  Rm.  g. — ,  Ganzleinen  Hm.  12. — 
Neben  das  größere  Werk  „Vom  geschichtlichen  Werden"  tritt  in 
zweiter,  mehrfach  veränderter  Auflage  diese  Studie  über  die  Ent- 
wicklungsalter der  Menschheit  .  .  .  Aus  einer  Auseinandersetzung 
mit  Oswald  Spengler  sei  die  Warnung  vor  allzu  weitgehendem 
Vergleich  von  Volkern  und  Einzeimenschen  hervorgehoben  ...  Als 
Gesamt wurf  ist  das  Buch  das  unentbehrliche  Rüstzeug  und  eine 
unerschöpfliche  Quelle  tiefer  Anre^'ungen  für  jeden  Geschichts- 
philosophen von  Fach  und  Neigung  geblieben. 

Deutsche  Rundschau,  Berlin 


.1.  G.  Cotta'sche  Buchhandlung  Nachf.,  Stuttgart  u.  Berlin 

KARL  HENRING 

Johannes  von  Müller 

1752 — 1809 

Auf  den  hundertsten  Gedenktag  seines  Todes  im  Auftrage  des 

historisch-antiquarischen  Vereins  des   Kantons  Schaffhausen 

herausgegeben 

Erster  Band:    1752 — ^1780 

Mit  6  Abbildungen.  Geheftet  I'.m.  8. — .  Ganzleinen  Rm.  ii. — 

Zweiter  Band:    1780 — 1804 

Mit  5  Bildnissen.  Geheftet  Rm.  20.—,  Ganzleinen  Rm.  24.— 

Das  muß  eine  wahre  Freude  gewesen  sein,  das  Bild  des  werden- 
den Mannes  immer  deutlicher  zu  erkennen  und  mit  immer  kräf- 
tigeren Strichen  zu  umschreiben.  Denn  die  Entwicklung  Müllers 
nimmt  von  früh  an  die  Richtung  in  das  Große.  Eine  außerordent- 
liche Begabung  wurde  durch  einen  in  das  Riesenhafte  gesteigerten 
Fleiß  zu  den  höchsten  Leistungen  befähigt,  die  frühe  und  klar 
erfaßte  Erkenntnis  der  Lebensaufgabe  veranlaßte  den  jungen 
Mann,  immer  weitere  Wissensgebiete  sich  zu  erobern  imd  zu  be- 
herrschen, so  daß  man  ihn  mit  Staunen  auf  der  Menschheit  Höhen 
wandeln  sieht  in  Lebensjahren,  in  denen  der  gewöhnliche  Sterb- 
liche bescheiden  sich  abmühend,  unbemerkt  unten  durch  geht.  . . 
Der  Verfasser  verfügt  über  eine  schöne,  einlache,  pathosfreie 
Sprache.  Die  Darstellung  gewinnt  umso  mehr  an  Überzeugungs- 
kraft, als  zahlreiche,  besonders  charakteristische  Stellen  aus  Briefen 
in  den  Text  aufgenommen  worden  sind.  Der  Bund,  Bern 

Der  gewaltige  zweite  Band  von  Henkings  Müller-Biographie  führt 
das  Werk  noch  nicht  zu  Ende,  vielmehr  sollen  der  Berliner  und 
der  letzte  Kasseler  Aufenthalt  (1804 — 1809)  noch  in  einem  ab- 
schließenden Bande  dargestellt  werden.  Die  hier  geschilderten 
24  Jahre  umfassen  hauptsächlich  die  Zeit  von  Müllers  Dienst  beim 
Kurfürsten  von  Mainz  und  in  der  österreichischen  Staatskanzlei, 
zugleich  aber  die  Zeit  seines  bedeutendsten  literarischen  Schaffens 
(„Schweizergeschichte").  Gestützt  auf  ein  überwältigend  um- 
fassendes, gewissenhaft  verarbeitetes  Material  (50  000  Briefe  und 
Akten  des  handschriftlichen  Nachlasses  in  der  Schaffhausener 
Bibliothek!)  von  primärem  Quellenwert,  hat  Henking  das  Bild  des 
großen  Historikers  liebevoll,  aber  auch  mit  dem  Mut  zu  sirenger 
Wahrheit  geschrieben.  Li  t  erar.  Zentralblatt,  Leipzig 


D 

57 

M582 

1907 

Bd. 2 

Abtlff.l 


Mever,   Eduard 

Geschichte  des  Altertums 


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